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German Pages 523 [525] Year 2023
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht
Band 198 herausgegeben von Rolf Stürner
Karl Ole Rinck
Streuschadensbekämpfung in Anwendung der Cy-Pres-Doktrin Ein Vorschlag auf rechtsvergleichender Basis zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in das deutsche Recht
Mohr Siebeck
Karl Ole Rinck, geboren 1994; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Konstanz; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz; Rechtsreferendariat am Landgericht Stuttgart.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – 429842187 ISBN 978-3-16-162433-9 / eISBN 978-3-16-162597-8 DOI 10.1628/978-3-16-162597-8 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von SatzWeise in Bad Wünnenberg aus der Times gesetzt und von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie und Amelie
Vorwort Die diesen Worten nachfolgende Arbeit wurde im Sommersemester 2022 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Legislatur, Rechtsprechung und Literatur konnten bis zum Frühjahr 2022 berücksichtigt werden. Sowohl die Entstehung als auch die Veröffentlichung dieser Arbeit wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Projekts „Schaden ohne Kompensation – Kompensation ohne Schaden“ gefördert. Mein Dank gilt zuvorderst meiner Doktormutter, Frau Professor Dr. Astrid Stadler. Die freundliche Aufnahme und Einbindung an ihren Lehrstuhl bereits in meinen frühen Studienjahren, ihre bereitwillige Unterstützung und Förderung sowie der fortwährende Austausch mit ihr waren nicht nur für das Entstehen dieser Arbeit, sondern auch für meinen gesamten bisherigen juristischen Werdegang maßgeblich. Ihr verdanke ich darüber hinaus die Einbindung in das von ihr konzipierte oben benannte DFG-Projekt. Weder fachlich noch menschlich hätte ich mir eine bessere Betreuung wünschen können. Bedanken möchte ich mich zudem bei Herrn Professor Dr. Michael Stürner, M.Jur. (Oxford) für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie die überaus hilfreichen und sehr willkommenen Anmerkungen, die beinahe vollständig in die Endfassung dieser Arbeit übernommen werden konnten. Die vorliegende Arbeit ist zwar zu großen Teilen in den Jahren der CoronaPandemie, dennoch aber alles andere als eremitisch entstanden. Für den fachlichen und menschlichen Austausch danke ich den Kollegen am Lehrstuhl Stadler sowie am Fachbereich Rechtswissenschaft, insbesondere Herrn Dr. Christian Krüger, Frau Magdalena Behmann, Frau Gabi Reichle sowie meinem langjä hrigen Weggefä hrten Ludwig Leon Gegenfurtner. Letztgenanntem zudem für die aufmerksame und fast schon akribische Durchsicht des Manuskripts. Ein weiterer Dank gebührt Herrn Dr. Per Hendrik Heerma, der nie müde wurde, mich daran zu erinnern, dass auch ökonomische Erwä gungen ihren verdienten Platz in der juristischen Denk- und Arbeitsweise haben. Herzlich bedanken möchte ich mich abschließend bei den Personen, ohne deren vorbehaltlosen Rückhalt diese Arbeit nie entstanden wä re. Bei mei-
VIII
Vorwort
nen Eltern für die Unterstützung in jeglicher Hinsicht, bei meiner Schwester für die langen Gespräche unter Doktorandenkollegen und bei meiner Freundin Amelie für ihre Geduld, ihren Zuspruch und ihre ansteckende positive Sichtweise auf die Dinge. Ihnen ist die Arbeit gewidmet.
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 1 Einführung, Grundlagen
XI
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
A. Einleitung, Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Streuschäden; Definition und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . C. Die rationale Passivität – Ursache für die unzureichende individuelle Geltendmachung von Streu- und Bagatellschäden . . D. Auswirkungen von Streuschäden – Implikationen für deren Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
13
E. Für Streuschäden besonders anfällige Personengruppen, Sach- und Rechtsgebiete – Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . .
17
Teil 2 Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland – Darstellung und Bewertung . .
23
A. Privatrechtliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verwaltungsrechtliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . C. Strafrechtliche Instrumente – Die Einziehung von Taterträgen §§ 73–73e StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit – Aktuelle Möglichkeiten zur Streuschadenssteuerung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 7
23
. . . . . .
113
. . .
137
. . .
142
E. Ausblick – Die europäische Verbandsklagerichtlinie, a New Hope?
143
Teil 3 Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 A. Allgemeines, Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklung und Bedeutung der Class Action in den U.S.A. . . . .
173
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
178
. . .
175
Inhaltsübersicht
X
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248
E. „Class Action with Brakes“ – Cy Pres im Rahmen der englischen Gruppenklage im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
328
Teil 4 Effektive Streuschadensbekämpfung – Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie in Anwendung der Cy-Pres-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 A. Anforderungen an eine effektive Streuschadensbekämpfung – Bezugnahme auf die Erkenntnisse aus den ersten drei Teilen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestehende Umsetzungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems unter Implementierung der Cy-Pres-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . .
367
347
Teil 5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 439 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
467
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
501
Literaturverzeichnis
Anlagen Sachregister
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil 1 Einführung, Grundlagen
IX
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
A. Einleitung, Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Streuschäden; Definition und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . C. Die rationale Passivität – Ursache für die unzureichende individuelle Geltendmachung von Streu- und Bagatellschäden . . D. Auswirkungen von Streuschäden – Implikationen für deren Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
13
E. Für Streuschäden besonders anfällige Personengruppen, Sach- und Rechtsgebiete – Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . .
17
Teil 2 Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland – Darstellung und Bewertung . .
23
A. Privatrechtliche Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
I.
Klagen von Verbänden und qualifizierten Einrichtungen . . 1. Die Verbandsklage und ihre Akteure . . . . . . . . . . . a) Die Verbandsklage, ein deutscher Reimport . . . . . . b) Die Gruppen der klagebefugten Verbände und Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die qualifizierten Einrichtungen . . . . . . . . . . bb) Die (qualifizierten) Wirtschaftsverbände / Die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern c) Erhebliche Finanzierungsprobleme der Verbände . . . aa) Streitwerte und Kostentragungsregelungen . . . . bb) Unzureichende Kostenerstattung . . . . . . . . . . cc) Folgen und Ursachen der Unterfinanzierung . . . . 2. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche . . . . . . . . a) Ansprüche nach dem UKlaG . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 7
. . . . . .
23 23 23
. . . .
25 26
. . . . . . . .
29 31 32 35 39 42 43 43
. . . . . . . .
XII
Inhaltsverzeichnis
bb) § 1 UKlaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 2 UKlaG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche aus § 8 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die einzelnen Verbotstatbestände und ihre Relevanz für Streuschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anspruchsinhalt – Entschädigung der Verletzten in Geld? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansprüche aus § 33 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streuschadensträchtigkeit des Kartellrechts im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rolle der Ansprüche aus § 33 GWB bei der Bekämpfung von Streuschäden . . . . . . . . . . . . 3. Abschöpfungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 10 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der misslungene Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . (1) Der vorsätzliche Wettbewerbsverstoß . . . . . . . (2) Vielzahl von Abnehmern . . . . . . . . . . . . . . (3) Zu Lasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rechtsfolge – Auskehr an den Bundeshaushalt . . b) § 34a GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines, praktische Relevanz . . . . . . . . . . . bb) Der vorsätzliche Verstoß im Sinne des § 34 Abs. 1 GWB cc) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern und Anbietern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Wirtschaftlicher Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Die Rechtsfolge – Auskehr an den Bundeshaushalt . . 4. Die Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO . . . . . . . 5. Die Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historisches, Entwicklung, Ziele . . . . . . . . . . . . . . b) Überblick über den Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . c) Kritikpunkte, Untauglichkeit für die Streuschadensbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenfazit – Die Bedeutung von Verbandsklagen für die Streuschadensbekämpfung in Deutschland . . . . . . . . . . II. Das Kapitalanlegermusterverfahren nach KapMuG . . . . . . . III. Rechtsdienstleistungsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Plattformmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formularausfüllungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Automatisiertes Prüfungsverfahren und Weitergabe an Vertragsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 47 50 50 52 54 56 56 57 58 59 60 60 62 62 65 66 69 74 77 77 78 79 79 81 82 83 84 84 85 86 90 91 93 94 94 95
Inhaltsverzeichnis
c) Ermächtigung zur außergerichtlichen Durchsetzung auf Provisionsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sofortkauf von Forderungen zu einem Festpreis, sog. (echtes) Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Inkassozession auf Provisionsbasis mit Prozessfinanzierung. 2. Rechtliche Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingabemasken und „Entschädigungsrechner“ als Rechtsdienstleistungen nach § 2 Abs. 1 und 2 RDG . . . . b) Sonstige Überschreitungen der Inkassoerlaubnis, klarere Abgrenzung zwischen §§ 2 und 5 RDG n.F. . . . . . . . . . c) Zulässigkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars . . . d) Interessenkollisionen iSd § 4 RDG . . . . . . . . . . . . . aa) Die Prozessfinanzierung als weitere Leistungspflicht . . bb) Leistungspflicht gegenüber den anderen Kunden . . . 3. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Verwaltungsrechtliche Instrumente I.
XIII 96 97 98 99 99 102 104 106 108 110 112
. . . . . . . . . . . . . . . . .
113
Maßnahmen der Kartellbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßnahmen der deutschen Kartellbehörden . . . . . . . . . a) Bußgelder nach den §§ 81 ff. GWB . . . . . . . . . . . . . aa) Anknüpfungstatbestände im Rahmen des § 81 GWB . . bb) Bemessung der Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bonusregelungen und Settlements . . . . . . . . . . . b) Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde, § 34 GWB aa) Allgemeines, Geschichte, Relevanz . . . . . . . . . . bb) Voraussetzungen und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . c) Abstellungsverfügungen nach § 32 GWB – insbesondere Rückerstattungsanordnung nach § 32 Abs. 2a GWB . . . . aa) Historische Entwicklung, Grundlagen . . . . . . . . . bb) Funktionsweise der Rückerstattungsanordnung . . . . cc) Verhältnis der Rückerstattungsanordnung zu anderen Rechtsbehelfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einziehung von Taterträgen gem. § 29a OWiG . . . . . . . 2. Maßnahmen der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bußgelder nach Art. 23 VO 1/2003 . . . . . . . . . . . . . aa) Bemessung der Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kooperation mit der Kommission, Kronzeugenregelung und Vergleichsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . b) Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen, Art. 7 VO 1/2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit – Unverzichtbarkeit der behördlichen Instrumente zur Streuschadensbekämpfung im Kartellrecht . .
114 114 115 115 115 119 119 119 120 121 121 123 125 126 127 127 127 129 130 131
XIV
Inhaltsverzeichnis
. . . . .
132 132 133 135 137
C. Strafrechtliche Instrumente – Die Einziehung von Taterträgen §§ 73–73e StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
II. Die behördliche Durchsetzung des Datenschutzrechts 1. Allgemeines, Aufsichtsbehörden, Aufgaben . . . . 2. Abhilfebefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geldbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
I.
Relevanz für Streuschäden, Funktion, Folgen der Reform vom 01. 07. 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis zu anderen Instrumenten . . . . . . . . . . . . . . . III. Folgen der Einziehung, Verwendung des abgeschöpften Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137 140 141
D. Fazit – Aktuelle Möglichkeiten zur Streuschadenssteuerung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
E. Ausblick – Die europäische Verbandsklagerichtlinie, a New Hope?
143
Hintergrund, Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagebefugte Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich und Zulassungsvoraussetzungen . . . . . Klageinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom einheitlichen Ansatz der Kommission zum dualistischen Modell der endgültigen Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterlassungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abhilfeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rolle der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadensberechnung, -nachweis und -verteilung . . . . . V. Vergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kosten und Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Parallelverfahren, Verjährungshemmung und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. III. IV.
. . . .
143 147 150 151
. . . . . . . . .
151 155 156 157 158 160 163 164 165
. .
169 172
Inhaltsverzeichnis
XV
Teil 3 Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 A. Allgemeines, Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . .
173
B. Entwicklung und Bedeutung der Class Action in den U.S.A. . . . .
175
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
178
. . .
I.
Die verschiedenen Alternativen der Class Action nach Rule 23(b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschriebene und ungeschriebene Voraussetzungen nach Rule 23(a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die besonderen Voraussetzungen nach Rule 23(b)(3) . . . . . 1. Predominance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Superiority . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermessenslenkende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Berechnung und Nachweis des individuellen Schadens . . . IV. Die Zulassungsentscheidung im Rahmen des Verfahrensablaufs V. Die Gruppenmitglieder und ihre Vertretung durch den Gruppenanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die abwesenden Gruppenmitglieder . . . . . . . . . . . . a) Das Benachrichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am Prozess . . . . 2. Der Gruppenanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Beendigung der Class Action, der Vergleich und sein Inhalt 1. Urteil oder Vergleich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablauf des Vergleichsverfahrens und gerichtliche Kontrolle . 3. Inhalt und Folgen des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . a) Typischer Vergleichsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verteilung des Geldschadensersatzes . . . . . . . . . . . 4. Geldwerter Schadensersatz, in-kind relief . . . . . . . . . . VII. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Problematik – Erfolglose Schadensverteilung nach Vergleichen, Anwendbarkeit in streitigen Verfahren . . . . . . . II. Die Möglichkeiten, Begrifflichkeiten und ihre Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Implementierung der Methoden im Kontext der U.S. Class Action und ihr historischer Ursprung . . . . . . . . . . . . . . .
178 182 192 192 195 198 202 207 211 211 212 216 219 224 224 225 232 232 235 237 241 247
248
I.
248 249 252
XVI
Inhaltsverzeichnis
Die Formen im Vergleichskontext . . . . . . . . . . . . . . . 1. Full Cy Pres und residual Cy Pres . . . . . . . . . . . . . . a) Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweifel an der Vereinbarkeit mit Bundes- und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedenken bezüglich der Angemessenheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der konkreten Anwendung und Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Rolle des Gruppenanwalts . . . . . . . . . (2) Die Rolle des Beklagten . . . . . . . . . . . . . (3) Die Rolle der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenfazit, Beeinflussung durch die Empfängerorganisationen . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Verteilung an die Geschädigten ist unwirtschaftlich oder unmöglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anforderungen an die begünstigte Organisation . . d) Fazit, Vorteile der Cy-Pres-Verteilung . . . . . . . . . . 2. Fluid Recovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pro Rata Distribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Escheat to the Goverment . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine echte Alternative, Reversion an den Beklagten . . . V. Keine Anwendung der alternativen Verteilungsmethoden in streitigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsprechung und Gesetzesrecht der Einzelstaaten, ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zwischenfazit: Vielfach kritisiert, aber alternativlos? Methoden zur Verteilung übrig gebliebener Gelder im Rahmen der Class Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV.
E. „Class Action with Brakes“ – Cy Pres im Rahmen der englischen Gruppenklage im Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. III. IV.
Hintergrund, Genese des Instruments . . . . . . . . . . . Das Verfahren im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . Cy-Pres-Verteilung und Finanzierungsmöglichkeiten . . . Bewertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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259 259 259 263 264 271 274 275 279 280 282 283 284 286 296 300 302 305 308 313 316 322
326
328 328 332 337 342
Inhaltsverzeichnis
XVII
Teil 4 Effektive Streuschadensbekämpfung – Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie in Anwendung der Cy-Pres-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 A. Anforderungen an eine effektive Streuschadensbekämpfung – Bezugnahme auf die Erkenntnisse aus den ersten drei Teilen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
B. Bestehende Umsetzungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
I.
Die beiden bislang vorgeschlagenen Umsetzungsmodelle – Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich vom 04. 02. 2021 . 1. Verfahrensablauf im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergleiche, gütliche Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . b) Erleichterung der Schadensberechnung . . . . . . . . . . c) Finanzierung und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirkung der Abhilfeklage, Parallelverfahren und Verjährungshemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unterlassungs- und Feststellungsklagen, Auswirkungen auf bestehende Rechtsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgebliche Kritikpunkte, offene Fragen . . . . . . . . . . .
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems unter Implementierung der Cy-Pres-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . I. Das vorgeschlagene System im Überblick, Caveat . . . . . . . II. Breiter und flexibler Ansatz im Anwendungsbereich, in der Klagebefugnis und bei der Wahl der Klageziele . . . . . . . . 1. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . 3. Klageziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterlassung und Feststellung . . . . . . . . . . . . . . b) Abhilfe/Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beseitigung und Folgenbeseitigung . . . . . . . . . . . . d) Wahlmöglichkeiten und Subsidiarität . . . . . . . . . . . III. Die Verbandsklage auf Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens . . . . . . . . . . . . 2. Zulassungsvoraussetzungen und Zulassungsentscheidung . . 3. Zeitraum für die Ausübung des Ein- bzw. des Austrittsrechts 4. Rechtswahrende Beteiligung der Geschädigten . . . . . . . 5. Erleichterung der Schadensberechnung . . . . . . . . . . . 6. Beendigung durch Urteil oder Vergleich . . . . . . . . . . . 7. Anmeldeprozess und gerichtliche Überprüfung . . . . . . .
349 352 352 357 357 359 360 362 364 365
367
.
367
. . . . . . . . . . . . . . . .
370 370 372 373 373 375 378 379 383 383 391 394 396 399 402 406
Inhaltsverzeichnis
XVIII
8. Anwendung der Cy-Pres-Doktrin im Rahmen der Rechtsfolgen, indirekte Kompensation und Abschreckungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwendung nicht beanspruchter Gelder nach gesetzlicher Vorgabe, Verwendung im Anschluss an ein Urteil . . . . . b) Der Rechtsdurchsetzungsfonds – Rechtsform, Struktur, Einrichtung und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsmäßigkeit der Verteilungsmethode . . . . . . d) Verteilung in Vergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Full Cy Pres? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Folgenbeseitigungsanspruch als vereinfachtes Abhilfeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick, Bedürfnis nach einem entsprechenden Instrument 2. Umfasste Fallkonstellationen, Anspruchsumfang, dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensablauf, Beitritt, Benachrichtigung . . . . . . . . . 4. Urteil, Vollzugskontrolle, Zwangsvollstreckung und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitere konzeptionelle Eckpunkte des vorgeschlagenen Verbandsklagesystems im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Drittfinanzierung und Erfolgshonorare . . . . . . . . . . . . 3. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtskraft und Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Koordinierung konkurrierender Verbandsklagen – Aussetzung und Ruhen von Einzelverfahren – Klageregister . . . . . . . 6. Auswirkungen auf bestehende Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407 407 411 415 420 422 424 424 425 426 427 430 430 431 432 433 434 436 437
Teil 5 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . 439 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
467
Anlage 1 – U.S.-amerikanisches Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . .
469
Anlage 2 – Regelungen zur Verteilung übriger Gelder der U.S.-Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
474
Literaturverzeichnis
Anlagen
Inhaltsverzeichnis
XIX
Anlage 3 – Regelungen des Vereinigten Königreiches . . . . . . . . . . Competition Act 1998 c. 41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Competition Appeal Tribunal Rules 2015/1648 . . . . . . . . . . . .
484 484 486
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
501
Sachregister
Teil 1
Einführung, Grundlagen A. Einleitung, Gang der Untersuchung Der neunte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied am 27. April 2021, dass eine Klausel in den AGB der Postbank, die ohne inhaltliche Einschränkung eine Zustimmung der Kunden zur Änderung der AGB fingiert, unwirksam ist. 1 Obgleich dieses Urteil unmittelbar nur die beklagte Bank bindet, dürfte es Auswirkungen auf den Großteil aller volljährigen Bundesbürger haben. 2 Der klagende Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (VZBV) hatte die AGB der Postbank nämlich nur exemplarisch für eine branchenweite Praxis herausgepickt. Banken und Sparkassen verwenden solche Klauseln seit Jahren, um Leistungs- und Preisänderungen meist zu Ungunsten ihrer Kunden in die Verträge einzuführen. Die Grundsatzentscheidung des BGH verbietet ihnen dieses Verhalten nun nicht nur für die Zukunft, es entfällt zugleich auch der Rechtsgrund für Zahlungen der Kunden, die in der Vergangenheit auf Grundlage dieser unwirksamen AGB geleistet wurden. Im Ergebnis steht damit nun den meisten Verbrauchern ein Rückzahlungsanspruch gegen ihre Bank zu. 3 Obgleich der Entscheidung des BGH ein erhebliches mediales Echo folgte und die meisten Nachrichtenbeiträge auch dezidiert auf die sich hieraus für die Verbraucher ergebenden rechtlichen Konsequenzen hingewiesen haben, 4 ist davon auszugehen, dass nur ein Bruchteil der betroffenen Kunden eine Rückerstattung erhalten wird. Der Grund hierfür ist so zwingend wie banal: Die Kunden müssten einen solchen Anspruch eigenständig durchsetzen. Nicht einmal die Postbank selbst, Beklagte im oben angesprochenen Verfahren, ist aufgrund des Urteils verpflichtet, ihren Kunden aktiv eine Rückerstattung anzubieten, da dem VZBV zur Rechtsdurchsetzung lediglich Unterlassungsansprüche zustanden. Für andere Banken, die gleiche oder 1
BGH NJW 2021, 2273. Geschätzt wird, dass ca. 40 Mio. Bankkunden betroffen sind, https://www.businessin sider.de/wirtschaft/nach-bgh-urteil-banken-und-sparkassen-muessen-mindestens-47-mil liarden-euro-zurueckzahlen-pro-kunde-sind-das-120-euro-f/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 3 Ganz h. M. vgl nur: Artz, BKR 2021, 488, 494; Mäsch, JuS 2021, 1184, 1186; Graf v. Westphalen, NJW 2021, 3145, 3146 ff.; Rodi, WM 2021, 1357. 4 Siehe beispielsweise https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/bankkunden-ge buehren-rueckforderung-bgh-urteil-faq-101.html [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 2
2
Teil 1: Einführung, Grundlagen
ähnliche Klauseln verwenden, entfaltet das Urteil überhaupt keine direkte Bindungswirkung. Insofern werden weder die förmliche Aufsichtsmitteilung der BaFin 5 noch die bereits vom VZBV angekündigten Musterfeststellungsklagen gegen Banken, die eine Rückzahlung bislang verweigert haben, 6 etwas an der Tatsache ändern, dass die meisten Kunden zur Rechtsdurchsetzung selbst aktiv werden müssen. Zu diesem Zweck müssen sie, wie der VZBV in seinem hierfür bereitgestellten „interaktiven Musterbrief“ aufführt, „lediglich“ nachschauen, ob ihre Bank unzulässige Fiktionsklauseln verwendet hat (1), überprüfen, ob auf Grundlage dieser Klauseln unzulässige Vertragsveränderungen vorgenommen wurden (2), ausrechnen, wieviel aufgrund dessen zu viel gezahlt wurde (3) und sich sodann an ihre Bank wenden (4). 7 Hinzu kommt natürlich noch die gerichtliche Durchsetzung (5), sollte die Bank hierauf nicht eingehen. Ist der Aufwand der Rechtsverfolgung im Vergleich zum Wert der in Frage stehenden Forderung zu hoch und wird aus diesem Grund von der Durchsetzung abgesehen, so spricht man von rationaler Passivität. Dieses Phänomen ist, soweit es vereinzelt auftritt, nicht weiter bedenklich und trägt insbesondere zur Entlastung der Gerichte bei. Problematisch wird es erst dann, wenn ein Ereignis, wie beispielsweise die Verwendung einer unzulässigen AGB, bei vielen Personen zeitgleich einen Schaden auslöst, den diese aufgrund der rationalen Passivität nicht durchsetzen. Dem Schädiger verbleibt in einem solchen Fall mitunter eine erhebliche Summe, 8 was unter anderem zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Solche Streuschadensereignisse treten durch die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten nicht nur deutlich häufiger auf, die durch sie erlangten Unrechtsgewinne nehmen auch stetig zu. 9 Die vorliegende, in vier Teile untergliederte Arbeit nimmt sich der Thematik der Streuschäden und den Möglichkeiten ihrer Steuerung umfassend an. Aufbauend auf einem ersten rechtstheoretischen Abschnitt, in dem die Ursachen für die Entstehung von Streuschäden analysiert und Hürden für 5 Abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Aufsichts mitteilung/2021/aufsichtsmitteilung_211026_Urteil_BGH_zu_AGB.html;jsessionid=6B970 BE84669CD6A2C12BEB98AB53F73.1_cid502?nn=7846960 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 6 Ausführlich https://www.musterfeststellungsklagen.de/themen/bankgebuehren [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 7 https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/sparen-und-anlegen/ unzulaessige-vertragsaenderungen-so-koennen-sie-bankgebuehren-zurueckfordern-60 926#3 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 8 So wird beispielsweise der Gesamtbetrag, den Banken und Sparkassen aufgrund der unzulässigen Verwendung der Fiktionsklauseln erwirtschaftet haben, auf 4,7 Milliarden Euro geschätzt https://www.businessinsider.de/wirtschaft/nach-bgh-urteil-banken-und-spar kassen-muessen-mindestens-47-milliarden-euro-zurueckzahlen-pro-kunde-sind-das-120euro-f/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 9 Hierzu ausführlich Teil 1 – E.
A. Einleitung, Gang der Untersuchung
3
deren Bekämpfung aufgezeigt werden, wendet sich der zweite Teil den bislang hierfür in Deutschland zur Verfügung stehenden Instrumenten zu. Obgleich die privatrechtlichen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes dabei im Zentrum stehen, geht die Analyse zum Zwecke einer erschöpfenden Darstellung der Problematik hierüber hinaus. Neben verwaltungs- und strafrechtlichen Instrumenten werden insbesondere auch die neueren Entwicklungen auf dem Markt der Rechtsdienstleistungsplattformen aufgezeigt. Online-Portale, die Rechtsdurchsetzung gegen eine nicht unerhebliche Erfolgsprovision versprechen, erfreuen sich in Deutschland immer größerer Beliebtheit und bieten selbstverständlich mittlerweile auch für den einführend dargestellten Fall der unzulässigen AGB-Änderungen ihren Service an. 10 Aus Mangel an Alternativen greifen mehr und mehr Verbraucher in den letzten Jahren auf diese Möglichkeit zurück, auch wenn sie im Erfolgsfall meist weniger als zwei Drittel der durchgesetzten Summe behalten dürfen. Im Hinblick auf die in Deutschland aktuell zur Streuschadensbekämpfung zur Verfügung stehenden Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes lässt sich, wie das eingangs aufgezeigte Fallbeispiel gut illustriert, ein erhebliches Ungleichgewicht konstatieren. Während negatorische Ansprüche ein breites Feld möglicher Streuschadenskonstellationen abdecken und dementsprechend auch relativ häufig durchgesetzt werden, haben die klagebefugten Verbände oft weder die rechtlichen Möglichkeiten noch die finanziellen Mittel, um dem Verletzer einen einmal aufgrund einer Streuschadenssituation erlangten Gewinn wieder zu entziehen. Die hierfür implementierten Abschöpfungsansprüche entfalten so gut wie keine praktische Relevanz, gegen ein kompensatorisches Instrument, hatten sich sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber aus einer recht diffusen Angst vor „amerikanischen Verhältnissen“ lange gesträubt. Hinzu kam das häufig angeführte Argument, ein Instrument das die rationale Passivität der Beklagten auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung überwindet, verlagere die Problematik lediglich auf die Schadensverteilung. 11 Tatsächlich ist bei kleineren Individualschäden davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Verbrauchern auch nach erfolgter Anspruchsdurchsetzung nicht aktiv wird, um an der Schadensauskehr zu partizipieren. Gehen aus diesem Grunde erstrittene Summen wieder an den Beklagten zurück, war die Mühe umsonst. Beinahe auf den Tag genau ein halbes Jahr bevor der BGH über die Fiktionsklauseln in den Banken-AGB entschieden hat, verabschiedete das Europäische Parlament einen Rechtsakt, der zweifelsohne das Potential hat, an dieser Gemengelage etwas zu ändern. Die Vorgaben der europäischen Ver-
10 https://conny.de/finanzen/kontogebuehren [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]; https:// justify.de/bist-du-auch-betroffen#bank [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 11 Hierzu Stadler, VuR 2011, 79.
4
Teil 1: Einführung, Grundlagen
bandsklagerichtlinie, 12 die die Bundesrepublik bis spätestens 25. 12. 2022 in deutsches Recht umsetzen muss, ermöglichen erstmalig die Einführung von Verbandsklagen auf Abhilfe ohne aktiven Beitritt der Verbraucher. Aufbauend auf einem hierzu noch deutlich weitergehenden Kommissionsentwurf, werden den Mitgliedstaaten nun auch Spielräume eingeräumt, Regelungen zur Verwendung nicht abgerufener Summen im Anschluss an ein solches Verfahren zu treffen. Während die Darstellung der Vorgaben der Richtlinie im Rahmen dieser Arbeit den Abschluss des zweiten Teils bildet, wird in Teil 4 ein konkreter Umsetzungsvorschlag, aufbauend auf den vorangegangenen Erkenntnissen, unterbreitet. Die Arbeit wendet sich im dritten Teil dem zentralen Instrument zur Streuschadensbekämpfung in den U.S.A., der Class Action, 13 zu. Als Archetyp der Gruppenklage, die vielen Rechtsordnungen weltweit für die Entwicklung eigener Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes Modell stand, ist diese in den letzten Jahrzehnten in weiten Teilen Europas vom Vorbild zum Feindbild mutiert. Auch in Deutschland war es, wie oben angesprochen, die Angst vor einer Klageindustrie amerikanischen Ausmaßes, die die Einführung effektiver Rechtsschutzinstrumente maßgeblich verhindert hat. Vor diesem Hintergrund wird die Class Action vorliegend zum einen hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für die Streuschadensbekämpfung und zum anderen hinsichtlich ihres Missbrauchspotentials begutachtet. Da im Rahmen dieser Arbeit jedoch die Ansicht vertreten wird, dass sich eine Verbandsklage deutlich besser als eine Gruppenklage zur Streuschadensbekämpfung eignet, konzentriert sich die Betrachtung auf einzelne Aspekte, die auch für die Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems eine Rolle spielen. Im Zentrum stehen hierbei die in den U.S.A. schon seit geraumer Zeit kontrovers diskutierten Methoden zur Verwendung nicht verteilbarer Gelder im Anschluss an einen die Class Action beendenden Vergleich. Ausgehend von der ursprünglich dem Trust-Kontext entstammenden Cy-Pres-Doktrin, werden die verschiedenen Methoden auf ihre Vor- und Nachteile untersucht. Die Darstellung versucht dabei auf alle in diesem Zusammenhang aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen einzugehen, um ein umfassendes Bild des Problemkreises zu zeichnen. Die Erkenntnisse aus den ersten drei Teilen werden im letzten Teil zusammengeführt. Aufbauend auf der Analyse des deutschen Rechts und den Erfahrungen aus den U.S.A., wird hier ein Vorschlag zur Umsetzung der Ver12 Richtlinie (EU) 2020/1828 des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG. 13 Englische Begriffe werden in dieser Arbeit nach den Regeln der englischen Orthographie geschrieben und bei ihrer Erstnennung kursiv hervorgehoben, ansonsten aber recte gesetzt. Hiervon wird abgewichen, wenn eine erneute Kursivierung dem Lesefluss dienlich ist.
A. Einleitung, Gang der Untersuchung
5
bandsklagerichtlinie in Deutschland unter Implementierung einer Form der Cy-Pres-Doktrin unterbreitet. Dabei werden auch Erfahrungswerte aus der Einbindung der Cy-Pres-Doktrin in die neue englische Gruppenklage im Kartellrecht sowie Impulse aus bereits veröffentlichten Umsetzungsvorschlägen für die Verbandsklagerichtlinie in die Ausarbeitung mit aufgenommen. Die Arbeit zeigt damit auf, dass effektive Streuschadensbekämpfung im Lichte der neuen Richtlinie durchaus möglich ist, wenn hierzu der politische Wille besteht. Sie setzt zudem ein Zeichen dafür, dass Anlehnungen an das U.S.-Recht weder per se negativ noch positiv sind, sie aber in jedem Fall im Vorfeld einer intensiven Begutachtung bedürfen.
B. Streuschäden; Definition und Abgrenzung Unter den Begriffen „Massenschäden“, „Bagatellschäden“ und „Streuschäden“ werden in der Literatur immer wieder unterschiedliche Sachverhalte zusammengefasst. 14 Wie so oft in der Rechtssprache gibt es hierbei kein Richtig oder Falsch. Die Autoren haben verschiedenste, häufig sehr gute, Gründe für ihre Definition der Begriffe. Mögen die Abweichungen teilweise auch noch so gering sein, 15 ist es dennoch von größter Wichtigkeit für das Verständnis und die Präzision der folgenden Arbeit, vorab die verschiedenen Begriffe zu erläutern und eine genaue Abgrenzung vorzunehmen. Nach hier verwendeter Definition sind Massen- und Streuschäden zwei Parameter gemein. Beide Schadenstypen bezeichnen eine Situation, bei der eine Vielzahl von Personen entweder durch dasselbe, oder eine Kette gleichförmiger Ereignisse in ihren Rechtsgütern verletzt werden. Während bei Massenschäden jedoch jeweils eine erhebliche individuelle Verletzung vorliegt, 16 ist der Schaden, der dem einzelnen Betroffenen durch ein Streuschadensereignis entsteht, gering. 17 Demnach schließen sich Streuschäden und Massenschäden gegenseitig aus. Wird durch dasselbe schädigende Ereignis oder eine Kette gleichförmiger Ereignisse eine Vielzahl von Geschädigten 14 Ausführlich zur Begriffsverwendung Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 18 ff.; bezogen auf den Begriff des „Massenschadens“ auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 1 ff. 15 So werden häufig z. B. die Begriffe Streu- und Bagatellschaden vermischt, das merkt auch Alexander, JZ 2006, 890, 892 an; ganz anders legt u. A. Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 13 ff. die Begrifflichkeiten aus. 16 So auch Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 26; Micklitz/Stadler/ Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 12; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 20. 17 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 3; Bechtold/Bosch GWB § 34a Rn. 4; Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 22. 08. 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 23; Wagner, Gutachten, 66. Juristentag I, S. A 11, A 106 f.; Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 4.
Teil 1: Einführung, Grundlagen
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berührt, so liegt je nach Höhe des jeweiligen Schadens entweder ein Streuoder ein Massenschaden vor. Der individuellen Schadenshöhe kommt damit eine zentrale Rolle zu. An diesem Scheidepunkt zwischen Massen- und Streuschäden ist der Begriff des Bagatellschadens anzusiedeln. Dieser bezeichnet schlicht einen Schaden von geringem Ausmaß, 18 und ist damit nicht exklusiv der Terminologie des kollektiven Rechtsschutzes zuzuordnen. Um im Folgenden eine differenzierte Betrachtung der Problematiken rund um die Behandlung von Streuschäden zu ermöglichen, kann es nicht ausbleiben, diesen Wert, sowie die Anzahl der betroffenen Personen, die für ein Streuschadensereignis erforderlich ist, zumindest annäherungsweise zu bestimmen. Die in der Literatur hierzu herangezogenen Werte unterscheiden sich teils erheblich voneinander und sind deshalb nicht selten dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt. 19 Um dem entgegenzuwirken, sollen im Rahmen dieser Arbeit nicht feste Werte den Untersuchungsgegenstand definieren, sondern der Untersuchungsgegenstand die Werte. Die Streu- und Bagatellschäden inhärente Problematik, ihre mangelnde Durchsetzung, prägt das Wesen dieser Schadenskategorien dabei so maßgeblich, dass es sinnvoll erscheint, sie gleichzeitig zu deren Definition heranzuziehen. Insofern kann von einem Bagatellschaden immer dann gesprochen werden, wenn der Schaden so gering ist, dass regelmäßig nicht mit seiner individuellen Durchsetzung gerechnet werden kann. 20 Ab welcher Wertschwelle dies genau der Fall ist und weshalb es rechtspolitisch als sinnvoll erscheint, dem Verletzer die Gewinne aus solchen Schädigungen nicht zu belassen, wird in den folgenden Abschnitten erörtert. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Untersuchung kann sodann nicht nur der Begriff des Streuschadens exakter definiert, sondern auch der Frage nachgegangen werden, ob es hinsichtlich der Entwicklung effektiver Steuerungsinstrumente überhaupt Sinn ergibt, zwischen Massen- und Streuschäden zu unterscheiden.
Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 128. So nennt Wagner, Gutachten, 66. Juristentag I, S. A 11, A 107, hier ohne nähere Begründung beispielsweise 100 €; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23 kommt mit zwar deutlich mehr Vorarbeit im Ergebnis aber ohne überzeugende Begründung auf 200–1000 €; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 19 auf 25–75 €; MellerHannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 25 spart eine konkrete Bezifferung ausdrücklich aus. 20 Eine entsprechende Abgrenzung findet sich auch bei Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 25; wohl auch Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 107, A 119; Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 34; Micklitz/Stadler/Micklitz/ Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1325; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 16 ff. die insoweit noch zwischen absolutem und relativem Desinteresse differenziert. 18
19
C. Die rationale Passivität
7
C. Die rationale Passivität – Ursache für die unzureichende individuelle Geltendmachung von Streu- und Bagatellschäden Wie bereits angesprochen, gilt es weitestgehend als unbestritten, dass die unzureichende Durchsetzung von Streuschäden auf dem Individualklageweg auf die rationale Passivität der Geschädigten zurückzuführen ist. 21 Gemeint ist damit, dass die Geschädigten aus nachvollziehbaren und berechtigten Gründen von der individuellen Verfolgung ihrer Ansprüche absehen. 22 Diese Annahme ist für sich genommen zwar nicht falsch, stellt die Problematik jedoch etwas verkürzt dar. So scheitert die Durchsetzung vieler Schäden nicht erst daran, dass sich die Geschädigten bewusst gegen ihre Verfolgung entscheiden, sondern schon im Vorfeld an der Tatsache, dass sich die Schädigung von den Geschädigten unbemerkt vollzieht. Nun stellen unbemerkte Schädigungen jedoch ein Problemfeld eigener Kategorie dar, welches sich zwar vorwiegend auf dem Gebiet der Kleinstschäden niederschlagen dürfte, aber teilweise auch, wie der VW-Diesel-Skandal gezeigt hat, Schädigungen von erheblichem Umfang inkludiert. Insofern kann diese Art der Schädigungen weder geschlossen den Streu- noch den Massenschäden zugeordnet werden und sollte aus diesem Grunde bei der Bestimmung der Bagatellwertgrenze nicht gesondert berücksichtigt werden. Dementsprechend soll die Definition eines Bagatellschadens nach hier vertretener Auffassung all diejenigen Schäden umfassen, die vom Geschädigten auch dann nicht individuell verfolgt werden würden, wenn er ihrer gewahr werden würde. Die Mehrheit der Autoren ist sich darüber einig, dass sich Geschädigte bei ihrer Entscheidung, ob sie einen Schaden durchsetzen, überwiegend von „wirtschaftlichen Überlegungen“ leiten lassen, bleibt aber eine Definition, was hierunter genau zu verstehen ist, schuldig. Im Ergebnis schwebt wohl den meisten eine Art Einsatz/Ertrag-Verhältnis vor. Übersteigt der Schaden des Einzelnen nicht einen gewissen Wert, so sieht dieser davon ab, den Schaden individuell gerichtlich geltend zu machen. Es wird davon ausgegangen, dass der Geschädigte nicht bereit ist hohe Ressourcen aufzuwenden, um im Erfolgsfall eine vergleichsweise überschaubare Entschädigung zu erhalten.
21 Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 22. 08. 2003, BTDrucks. 15/1487, S. 23; Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 107; Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 5; Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 39; Homburger/Kötz/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, S. 71 f.; Basedow/Hopt/Kötz/Baetge/Schäfer, Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 70; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 3; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 18, der die hier zu behandelnde Problematik jedoch explizit ausspart; grundlegend auch Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, S. 459 f. 22 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 129 f.
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
Dahinter steht die Vorstellung, „schlechtem Geld nicht gutes Geld hinterherzuwerfen“. 23 Basierend auf dieser Annahme wurden Modelle entwickelt, um zu ermitteln, bis zu welcher Summe eine Durchsetzung noch als wahrscheinlich anzusehen ist. Micklitz und Stadler stellten ein solches bereits im Jahr 2003 vor 24 und differenzierten es später weiter aus. 25 Die Autoren rücken dabei das Kostenrecht in das Zentrum der Betrachtung und stellen die Prämisse auf, dass eine gerichtliche Verfolgung wohl nur dann zu erwarten sei, wenn der entstandene Schaden die Höhe der Auslagen für die Gerichtskosten übersteigt oder zumindest erreicht. Aus den §§ 12 Abs. 1 S. 1, 34 Abs. 1 S. 1 GKG iVm Nr. 1210 KV-GKG ergibt sich bei einem Streitwert bis zu 500 € jeweils eine vorauszahlungspflichtige Gebühr von 114 €. Bleibt der dem einzelnen Geschädigten jeweils entstandene Schaden also hinter diesem Betrag zurück, so wäre er gezwungen, allein an Gerichtskosten einen höheren Betrag vorauszuzahlen als er bei Obsiegen im Prozess erhalten würde. Bei Kleinstbeträgen entspräche die Vorauszahlung jeweils einem Vielfachen. Nimmt man noch die Anwaltsgebühren hinzu, 26 was angesichts der Tatsache, dass sich auch vor dem Amtsgericht die meisten Kläger anwaltlich vertreten oder zumindest beraten lassen, 27 als sachnah erscheint, steigt dieser Wert weiter. Über die Vorschrift des § 9 RVG wird auch der mandatierte Anwalt im Regelfall 28 einen Vorschuss verlangen. Obgleich § 9 RVG von einem „angemessenen“ Vorschuss spricht, kann dieser, etwa bei begründeten Zweifeln der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mandanten, sogar die gesamten zu erwartenden Gebühren und Auslagen des Anwaltes umfassen. 29 Vor Klageeinreichung wird der Anwalt jedoch üblicherweise mindestens die Verfahrensgebühr und, soweit er bereits außergerichtlich tätig wurde, die Geschäftsgebühr als Vorschuss verlangen. 30 Damit beliefen sich die Kosten des Vorschusses bei einem Gegenstandswert bis 500 € gem. §§ 13 Abs. 1 S. 1 RVG, Nr. 2300, Nr. 3100 VV RVG aufwandsabhängig auf einen Betrag zwischen 104,95 € und 151,60 €. 31 Insgesamt käme man somit auf 23 BT-Drucks. 15/1487, S. 23; Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 107; Basedow/ Hopt/Kötz/Baetge/Schäfer, Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 70. 24 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 34. 25 Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1325. 26 Micklitz und Stadler sprechen die Anwaltskosten zwar ebenfalls an, lassen sie bei der Berechnung des Ergebnisses aber außen vor, vgl. Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1325; Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 34. 27 Von 856.035 im Jahr 2020 vor den deutschen Amtsgerichten erledigten Verfahren war der Kläger in 759.811 Fällen anwaltlich vertreten, DESTATIS, FS. 10 Reihe 2.1, S. 30. 28 Insbesondere bei kleineren Mandaten und unbekannten Mandanten, vgl. Soldan Institut, AnwBl. 2006, 752 (jedoch nur zu Vorschüssen bei Vergütungsvereinbarungen). 29 Mayer/Kroiß/Klees RVG § 9 Rn. 26. 30 Mayer/Kroiß/Klees RVG § 9 Rn. 27. 31 Jeweils inklusive 19 % Mehrwertsteuer, bei der Berechnung wurde die nach Nr. 2300
C. Die rationale Passivität
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einen Betrag zwischen 218,95 € und 265,60 €, die ein Kläger vorleisten müsste, um eine Klage wegen eines Schadens zwischen 0,01 € und 500,00 € anzustrengen. Mittelt man diese Spanne, so käme man nach der oben genannten Prämisse von Micklitz und Stadler auf eine Bagatellschadensgrenze von rund 240 €. 32 Diese Abgrenzungsmethode ist jedoch hinsichtlich zweier Punkte kritisch zu würdigen. So vernachlässigt sie zum einen den Einfluss, den Rechtsschutzversicherungen auf die Klagebereitschaft der Geschädigten haben. 33 Im Hinblick auf die hohe Anzahl an Rechtsschutzversicherten in Deutschland darf dieser Faktor jedoch keineswegs außer Acht gelassen werden. Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. zufolge bestanden in Deutschland im Jahre 2017 22 Mio. Rechtsschutzversicherungsverträge. 34 Unbestritten senkt eine solche Versicherung die Hemmschwelle, anwaltliche Beratung und gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, 35 wodurch sich der Schadensbereich, in dem sich der Geschädigte rational passiv verhält, verkleinert. Zum anderen greift die isolierte Betrachtung des Einsatz/Ertrag-Verhältnisses in diesem Zusammenhang zu kurz. Es erscheint als unwahrscheinlich, dass sich Geschädigte linear an den vorauszuzahlenden Kosten orientieren. Bei der Frage, ob ein Geschädigter einen Anspruch im Ergebnis gerichtlich geltend macht, spielt ein ganzes Bündel an Faktoren eine Rolle. Neben den voraussichtlichen Kosten einer solchen Rechtsverfolgung sind das insbesondere die informationelle Aufklärung des Geschädigten sowie die Möglichkeiten der Beweisführung. Lässt man einmal, wie oben dargelegt, die mangelnde informationelle Aufklärung über den Schaden an sich außer Betracht, so muss sich ein Geschädigter vor der Durchsetzung zunächst einmal einen Überblick über die verschiedenen Rechtsschutz- und Durchsetzungsinstrumente verschaffen. 36 VV RVG bestehende Möglichkeit, eine Gebühr von 1,3–2,5 für umfangreiche oder schwierige Tätigkeiten zu verlangen außer Acht gelassen. 32 Bei Unterliegen beliefe sich die Gesamtsumme aller vom Kläger zu tragenden Kosten auf knapp über 500 €. 33 Das räumen Micklitz/Stadler auch ein, Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1325. 34 GDV, Statistisches Taschenbuch, S. 66. 35 Rechtsschutzversicherte gaben bei einer Befragung im Vergleich zu Personen ohne eine Rechtschutzversicherung rund 33 % seltener an, in den letzten fünf Jahren auf die Hinzuziehung eines Anwalts verzichtet zu haben obgleich sie sich rechtlichen Beistand gewünscht hätten, Roland Rechtsreport 2020, S. 23; diese Annahme teilt auch Joachim Lüblinghoff, Stellvertretender Vorsitzender des deutschen Richterbundes: „Wenn die Betroffenen eine Rechtsschutzversicherung haben, dann klagen sie. Wenn nicht, dann lassen es viele lieber“ Süddeutsche Zeitung 09. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche .de/panorama/streitkultur-nur-keine-klagen-1.3287616 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 36 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 130; Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzung für Verbraucher, COM (2008) 794 final, S. 5.
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
Der eingangs aufgeführte Fall mag den Eindruck vermitteln, dass dies noch eine relativ geringe Hürde ist. So wurden die Verbraucher über die unzulässigen Fiktionsklauseln nicht nur ausführlich in der Presse informiert, die meisten Medien zeigten zudem, wie bereits angesprochen, auch Wege und Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung auf. An dieser Stelle ist jedoch hervorzuheben, dass solche Konstellationen zum einen die absolute Ausnahme darstellen, und zum anderen, wenn sie auftreten, meist durch bereits vorangegangene Instrumente zur Streuschadensbekämpfung, im oben angesprochenen Fall die Unterlassungsklage des VZBV, ermöglicht wurden. Bleiben solche Aktivitäten im Vorfeld allerdings aus, bleiben Geschädigte oft bereits aus mangelndem Überblick über zur Verfügung stehende Durchsetzungsinstrumente passiv. Darüber hinaus sehen sich auch Geschädigte, die nach Einholung aller erforderlicher Informationen noch eine Verfolgung in Betracht ziehen, häufig erheblichen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt. So benötigen Betroffene im eingangs aufgeführten Beispiel der unzulässigen Fiktionsklauseln nicht nur ihre Kontoauszüge der letzten drei Jahre, sondern auch die zwischenzeitlich ggf. mehrfach geänderten AGB für diesen Zeitraum, um ungerechtfertigte Abbuchungen nachweisen zu können. Während dies im mittlerweile hoch digitalisierten Bankensektor mit digitalen Postfächern und langen Speicherzeiträumen unter Umständen noch möglich ist, geraten Geschädigte in der analogen Welt hier schnell an ihre Grenzen. Micklitz/Stadler formulieren das für das Beispiel der Füllmengenunterschreitung sehr anschaulich: „Wer bewahrt schon die Kassenzettel seiner Einkäufe für längere Zeit auf?“. 37 Aber auch den Nachweis anderer haftungsbegründender Merkmale werden die Geschädigten häufig schuldig bleiben. Problematisch sind hier im Besonderen die Kausalität, die Schadenshöhe und das Verschulden des Schädigers. 38 Das Zivilrecht hält zwar verschiedene materiell- und prozessrechtliche Instrumente bei systematischer Unterlegenheit des Klägers bereit, 39 auch an dieser Stelle ist jedoch wiederum mit einem informationellen Defizit der Geschädigten zu rechnen, so dass diese sich der Möglichkeiten wohl nur selten bewusst sein werden. Abstrakt ist es kaum möglich, all diese Faktoren in die Bestimmung eines Grenzwertes miteinzubeziehen. Eine umfassende Berücksichtigung aller 37 Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 12. Im Rahmen der U.S.amerikanischen Class Action wird dieses Problem von einigen Gerichten dadurch gelöst, dass anstelle einer Kaufquittung auch eine eidesstattliche Versicherung des Käufers genügt, Mullins v. Direct Digital, LLC, 795 F.3d 654, 659–672 (7th Cir. 2015). 38 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 130. 39 Beispielhaft genannt sei hier nur die Beweislastumkehr bei der Produzentenhaftung aus § 823 Abs. 1 BGB oder die dem Kläger nach § 33a GWB zugutekommenden Vermutungen auf dem Gebiet des Kartellrechts.
C. Die rationale Passivität
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sich hemmend auf die Durchsetzung auswirkenden Parameter kann insofern nur durch eine empirische Betrachtung gewährleistet werden. Das IFD Allensbach 40 befragte 2019 rund 1.500 repräsentativ ausgewählte Personen im Bundesgebiet, ab welcher Schadenshöhe sie vor Gericht ziehen würden. 41 Das Ergebnis fällt überraschend hoch aus und liegt weit über dem Wert, der durch die Anwendung der Methode von Micklitz und Stadler ermittelt wurde. Im Durchschnitt würden die Deutschen erst ab einem Schaden von 1.840 € vor Gericht ziehen. 42 Fünf Prozent gar geben an, überhaupt keine gerichtliche Streitbeilegung in Betracht zu ziehen. 43 Zwar wurde in dieser Studie nicht nach dem Grund für diese hohe Hemmschwelle gefragt, bei einer Befragung im Rahmen derselben Studienreihe 2014 gaben jedoch noch 64 % der Befragten als Hauptgrund die hohen Kosten für einen Prozess bzw. das finanzielle Risiko an. 44 Da davon auszugehen ist, dass dieser Wert alle zur rationalen Passivität beitragenden Faktoren in sich vereinigt, soll er als Richtwert zur Definition der Bagatellschwelle herangezogen werden. Streuschäden liegen insoweit immer dann vor, wenn der Schaden eines jeden Betroffenen zwischen 0,01 € und 1.840 € liegt und aus diesem Grund nicht mit einer individuellen Verfolgung der Schäden gerechnet werden kann. Das weicht auf den ersten Blick von der herkömmlichen Definition eines Streu- bzw. eines Bagatellschadens ab, für die hauptsächlich Kleinstschadensereignisse beispielhaft aufgezählt werden. 45 Der hohe Maximalbetrag soll jedoch nicht irritieren. Die Statistik zeigt klar, dass die Klagebereitschaft bei Kleinstschäden am geringsten ist. Nur 10 Prozent der Befragten würden bei einem Betrag unter 500 € vor Gericht ziehen. 46 Somit ist auch hier der Handlungsbedarf am höchsten. Dennoch dürfen auch vermeintlich „größere“ Schäden nicht außer Acht gelassen werden, da auch hinsichtlich dieser,
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Institut für Demoskopie Allensbach. Vereinfacht, die tatsächliche Frage lautete: „Einmal angenommen, Sie streiten mit jemandem um einen finanziellen Schaden, zum Beispiel weil Ihnen jemand Geld schuldet oder weil es einen Unfall gab: Ab welchem Betrag, um den gestritten wird, würden Sie vermutlich vor Gericht ziehen, bei welcher Summe ungefähr?“. 42 Roland Rechtsreport 2020, S. 24. 43 Roland Rechtsreport 2020, S. 24. 44 Roland Rechtsreport 2014, S. 35. 45 Bspw. Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, Vertragsschlüsse aufgrund irreführender Werbung, gefälschte Produkte, Mogelpackungen (BT-Drucks. 15/1487, S. 23), fehlerhafte Informationen bei Wertpapieremissionen, verspätet erfolgende Geldüberweisungen von Banken, Sonderbelastungen bei der Nutzung von Kreditkarten, überhöhte kommunale Gebühren, überhöhte Preise aufgrund von Kartellabsprachen (Basedow/ Hopt/Kötz/Baetge/Schäfer, Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 69), Bankgebühren für Leistungen aufgrund rechtswidriger AGB (Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 25). 46 Roland Rechtsreport 2020, S. 24. 41
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
wie aus den Daten hervorgeht, mit einer Passivität der Geschädigten zu rechnen ist. Sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber scheinen ähnlicher Auffassung hinsichtlich der Bagatellschadensgrenze zu sein. So entspricht die Maximalgrenze von 1.840 € fast genau dem Wert von 2.000 €, den die VO (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen ursprünglich als Streitwertgrenze festgelegt hatte. 47 Ziel der Verordnung ist es, für grenzüberschreitende Zivilund Handelssachen im Bagatellbereich ein vereinfachtes, vorwiegend schriftliches Verfahren zu schaffen, um so die Hürden 48 für die grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung dieser Schäden zu senken. Auf Vorschlag der Kommission 49 wurde diese Streitwertgrenze inzwischen auf 5.000 € angehoben. 50 Die Beweggründe hierfür laufen größtenteils parallel zu den eben aufgeführten Gründen für den „hohen“ Maximalwert. Zwar bewegten sich über 70 % der streitigen Forderungen, insbesondere die von Verbrauchern, im Bereich unter 2.000 €, 51 jedoch sah die Kommission auch erhebliche Rechtsdurchsetzungsdefizite bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), deren Forderungen diesen Betrag oft überstiegen. In Deutschland wurden mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt die Möglichkeiten für Rechtsanwälte, mit ihren Mandanten die Vergütung eines Erfolgshonorars zu vereinbaren, erheblich erweitert. 52 Die dabei gewählte Wertgrenze von Ansprüchen bis 2.000 € nach § 4a Abs. 1 Nr. 1 RVG geht auf Überlegungen des Gesetzgebers zur Bagatellschadensgrenze zurück. Ausweislich der Gesetzgebungsunterlagen zog er diesen Wert heran, weil er bei Forderungen bis zu dieser Höhe angesichts des hohen Kostenrisikos ein erhebliches Hemmnis sieht, rechtliche Hilfe zur Durchsetzung in Anspruch zu nehmen. 53 Abschließend bleibt festzuhalten, dass es sich bei der nun gefundenen Wertgrenze lediglich um eine Momentaufnahme handelt. Sowohl die neuen Möglichkeiten der anwaltlichen Erfolgshonorare als auch andere gesetzliche Maßnahmen, die auf eine Überwindung der rationalen Passivität der Ge47
Art. 2 Abs. 1. Verordnung (EG) Nr. 861/2007 vom 11. Juli 2007. Die Kommission nennt in ihrem Vorschlag für die Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM (2005) 87 final S. 4, insbesondere die häufige Notwendigkeit der Mandatierung zweier Rechtsanwälte sowie gesteigerte Kosten durch die Inanspruchnahme von Übersetzern, Dolmetschern, die Anreise der Zeugen, Streitparteien, Rechtsanwälte etc. 49 Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007, COM (2013) 794 final S. 6, 16, der sogar eine Anhebung auf 10.000 € forderte. 50 Art. 1 Nr. 1 Verordnung (EU) 2015/2421 vom 16. Dezember 2015. 51 EU-Kommission, Eurobarometer 395, S. 11, diese Werte legte die Kommission auch in ihrem Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007, COM (2013) 794 final S. 4 zugrunde. 52 Hierzu ausführlich Teil 2 – A.III.2.c). 53 BT-Drucks. 19/27673, S. 34. 48
D. Auswirkungen von Streuschäden
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schädigten abzielen, können und werden diesen Wert in der Zukunft hoffentlich senken. Das ist auch nicht weiter problematisch, sondern lediglich Resultat der Bemühungen des Gesetzgebers und der hieraus hervorgehenden Dynamik dieses Problemkreises.
D. Auswirkungen von Streuschäden – Implikationen für deren Steuerung Fallen entstandener Schaden und von den Geschädigten geltend gemachter Schadensersatz auseinander, so spricht man von „Schadensdiskontierung“. 54 Primäre Folge hiervon ist zunächst, dass dem Geschädigten der Schaden nicht abgenommen wird und es insofern zu keinem Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigten kommt. Wie bereits aus dem Begriff „Schadensersatz“ hervorgeht, ist die Ausgleichsfunktion für das deutsche Schadensrecht immanent und wird weithin als dessen zentrale Funktion bezeichnet. 55 Fehlt es an Möglichkeiten, einen erlittenen Schaden auszugleichen, so kann dies nicht nur den Rechtsfrieden, sondern darüber hinaus auch das Gewaltmonopol des Staates und im Ergebnis sogar den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. 56 Während die Ausgleichsfunktion damit im Allgemeinen zu Recht im Mittelpunkt des Schadensrechts steht, müssen für Streuschäden andere Maßstäbe angelegt werden. Die Belastung der einzelnen Geschädigten bewegt sich hier regelmäßig auf einem so geringen Niveau, dass sie für diese sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich noch als hinnehmbar erscheint. 57 Auf Seiten des Schädigers führen Streuschädigungen jedoch nicht selten zu erheblichen Gewinnen, was nicht nur einen Anreiz zu erneuten Schädigungen schafft, sondern sich auf lange Sicht auch auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat auswirkt. 58 Streuschäden grenzen sich insoweit von anderen Schadensarten, seien es Massenschäden oder Einzelschädigungen jenseits der Bagatellgrenze, ab, als dass sie nicht in erster Linie aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Geschädigten, sondern der aus ihr hervorgehenden Unrechtsgewinnkumulation auf Seiten des Schädigers zu missbilligen sind. Gefährdet wird insoweit weniger die Ausgleichs-, sondern eine andere Funktion des SchadensEnders, Ökonomische Grundlagen des Haftungsrechts, S. 51. Grundlegend Deutsch, JZ 1971, 244, 245; Koziol, Privatrechtlicher Rechtsgüterschutz, FS Canaris I, S. 631, 654; Jansen, JZ 2005, 160, 162 f.; Jansen, Ausgleich und Strafe, Gamauf S. 73, 74 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 9 ff. 56 Das stellt Kleist in seiner Novelle „Michael Kohlhaas“ eindrücklich dar. 57 Andernfalls würde er seine Passivität überwinden und den Schaden geltend machen. 58 Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8, 9; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 63. 54 55
Teil 1: Einführung, Grundlagen
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rechts, die Steuerungsfunktion. 59 Diese ist weitestgehend mit der sog. Präventionsfunktion gleichzusetzen und unterstellt neben dem Ziel des individuellen Ausgleiches von Schäden auch überindividuelle Interessen, wie das der Verhaltenssteuerung über den konkreten Schadensfall hinaus, dem Regime des Schadensrechts. Sie verfolgt dabei das Ziel, ähnliche Schadensfälle auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu verhindern. 60 Über die Frage, ob Steuerung und Prävention überhaupt Aufgaben sind, die vom Privatrecht übernommen werden sollen und dürfen, werden, wie Alexander zutreffend beschreibt, seit langem „ideologisch anmutende Grabenkämpfe“ 61 geführt. Obgleich eine erschöpfende Darstellung des Konflikts den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, kann ein kurzer Blick auf den Meinungsstand an dieser Stelle nicht ausbleiben. Leicht generalisierend lässt sich festhalten, dass den Argumentationsstrukturen, die zur Ablehnung der Steuerungsfunktion im Privatrecht hervorgebracht werden, zumeist die Annahme zugrunde liegt, solche Funktionen seien dem öffentlichen Recht, bzw. dem Strafrecht als Teilgebiet desselben, exklusiv zugewiesen. Das Privatrecht diene insoweit ausschließlich dem Ausgleich gleichgeordneter Bürger und sei aus diesem Grunde für übergeordnete, gesellschaftspolitische Zielsetzungen und Verfolgung kollektiver Interessen ungeeignet. 62 Dem liegt der aus dem 18. Jahrhundert stammende Gedanke der Sphärentrennung zugrunde, 63 der jedoch nicht mehr zeitgemäß ist. Zwar werden öffentliches und privates Recht auch heute noch formal aus vielerlei Gründen unterschiedlich behandelt, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen kann sich der Gesetzgeber jedoch, gestützt auf seine weite Einschätzungsprärogative, beider Teilgebiete bedienen, um die von ihm avisierten politischen Ziele zu verfolgen. 64 Im Ergebnis tragen alle Teilrechtsgebiete gemeinsam die bestehende Gesellschaftsordnung, weswegen auf sie auch zur Steuerung von Schadensereignissen alternativ oder in Kombination miteinander zurückgegriffen werden kann. 65 Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 560. Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 137, 437, hier auch als Ordnungsfunktion bezeichnet. 61 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 137. 62 Honsell, ZIP 2008, 621, 626 f.; MüKoBGB/Finkenauer § 241a Rn. 5; Rödl, Gerechtigkeit unter freien Gleichen, S. 59 ff., 63 ff.; Berger, JuS 2001, 649, 651; ähnlich auch Casper, ZIP 2000, 1602, 1606; Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, S. 3; zweifelnd auch Picker, JZ 2002, 880. 63 Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 35 ff.; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 66; vertiefend auch Lepsius, Der Privatrechtsdiskurs der Moderne aus der Sicht des öffentlichen Rechts, Grünberger/Jansen, S. 82 ff.; Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 377 ff.; Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 17 ff.; ausführlich auch Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 103 ff. 64 Engel, JZ 1995, 213, 214; ausführlich zum Nebeneinander von öffentlichem Recht und Privatrecht Poelzig, Aufsichts- und zivilrechtliche Regelungsdurchsetzung, Regelsetzung im Privatrecht, S. 227 ff.; Arnold, Vertrag und Verteilung, S. 103; Kähler, Pluralismus und Monismus, Grünberg/Jansen, S. 118, 130 ff. 65 Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 67 f.; Halfmeier, AcP 216 (2016), 717, 59 60
D. Auswirkungen von Streuschäden
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Insofern dürfen auch privatrechtliche Instrumente eine Steuerungs- bzw. Präventionsfunktion entfalten. Wagner argumentiert hier zutreffend, wenn er ausführt, dass die Präventionsfunktion ohnehin Ausfluss der anerkannten Ausgleichsfunktion ist, da schon die Aussicht, einen Schaden evtl. ersetzen zu müssen, den potenziellen Schädiger zu Sorgfaltsmaßnahmen veranlasst, also in dieser Hinsicht bereits (spezial-) präventiv wirkt. 66 Rechtstatsächlich hat spätestens mit der Einführung der Verbandsansprüche auf Gewinnabschöpfung die Prävention Einzug in das deutsche Privatrecht gefunden. 67 Die auch in diesem Zusammenhang wieder aufkommenden verfassungsrechtlichen Diskussionen, die im weiteren Sinne wiederum die Frage der Präventionsfunktion des Privatrechts betrafen, konnten die Befürworter weitestgehend für sich entscheiden. Mittlerweile ist anerkannt, dass, soweit das Privatrecht zu Steuerungs- oder Präventionszwecken herangezogen wird, hierin an sich noch kein Verstoß gegen das staatliche Bestrafungsmonopol bzw. keine Aushöhlung der strafprozessualen Garantien gesehen werden kann. 68 Unabhängig davon, ob das Ziel des steuernden Instrumentes die Kompensation der Geschädigten oder lediglich die Abschöpfung des vom Schädiger erzielten Gewinns ist, kann von einer „Strafe“ nach Rechtsprechung des BVerfG nur gesprochen werden, soweit die Haftung des Schädigers über den erzielten Unrechtsgewinn hinaus eine Vergeltung/Repression für die rechtswidrige Tat enthält. 69 Auf die Abgrenzung und die verschiedenen verfassungsrechtlichen Implikationen in dieser Hinsicht wird an späterer Stelle, im Rahmen der Darstellung der Abschöpfungsansprüche, vertieft eingegangen. 70 Allein die Tatsache, dass das Privatrecht zu Steuerungszwecken eingesetzt werden kann, trifft aber weder eine Aussage darüber, ob hierfür auch ein Bedürfnis besteht, noch gibt sie Anhaltspunkte dafür, wie ein entsprechendes Instrument ausgestaltet sein sollte. Der Frage nach dem Bedürfnis wird im zweiten Teil dieser Arbeit nachgegangen, in dem sich die hier erfolgende Analyse, wie bereits angesprochen, bemüht, ein Gesamtbild der Mittel zur 740; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 743 f., 555 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 265 f.; ausführlich hierzu auch Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 186 ff. 66 Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 79; ausführlich Wagner, AcP 206 (2006), 352, 422 ff. 67 Der Entwurf zur Modernisierung des UWG, BT-Drucks. 15/1487, spricht auf S. 43 vom „Präventionszweck des Gewinnabschöpfungsanspruchs“. 68 Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 417; Janssen, Präventive Gewinnabschöpfung, S. 172 ff.; Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 8; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 68 f.; a. A.: Honsell, Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus, FS Westermann, S. 315, 335; Sack, WRP 2003, 549, 552 f.; Stegmaier, NJW 2020, 1642, 1645. 69 BVerfGE 20, 323, 331; BVerfGE 109, 133, 179; BVerfGE 110, 1, 13 ff.; hierzu auch Thönissen, AcP 219 (2019), 855, 860 ff. 70 Hierzu Teil 2 – A.I.3.
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
Streuschadensbekämpfung in Deutschland zu zeichnen und dabei auch die „originär“ zur Steuerung berufenen Rechtsgebiete wie das Straf- und das öffentliche Recht umfasst. Auch für den zweiten Aspekt, die Frage der Ausgestaltung eines effektiven Instruments, ist eine Untersuchung der Stärken und Schwächen der bereits zur Verfügung stehenden Mittel nützlich, hier bedarf es jedoch noch einiger theoretischer Vorüberlegungen. Für die Prävention sind die Folgenerwägungen des potenziellen Schädigers maßgeblich. Eine Maßnahme kann überhaupt nur dann eine präventive Wirkung entfalten, wenn sich der Adressat grundsätzlich von nachvollziehbaren und bestenfalls ökonomischen Erwägungen leiten lässt. 71 Im Hinblick darauf sind Streuschäden der Prävention in besonderem Maße zugänglich. Sie gehen nämlich in den meisten Fällen von größeren Unternehmen aus, 72 deren Handeln häufig nicht nur sehr rationale, sondern auch streng ökonomische Entscheidungsfindungsprozesse zugrunde liegen. Anders als bei einem irrationalen Schädiger werden hier vor der Schädigung eher Überlegungen angestellt, ob sich die Schädigung „lohnt“. 73 In diese Entscheidung fließen, anders als das begrifflich zunächst den Anschein macht, nicht nur rein finanzielle Erwägungen ein. Muss der Schädiger damit rechnen, wegen seines Verhaltens abgemahnt, auf Beseitigung oder Unterlassung in Anspruch genommen zu werden, kann ihn bereits das von der Schädigung abhalten, insbesondere wenn zu befürchten steht, dass ein solches Verfahren aufgrund der damit einhergehenden medialen Aufmerksamkeit zu einem Reputationsverlust führt. 74 Dennoch vermögen es Ansprüche allein zukunftsgerichteter Natur, wie die auf Beseitigung und Unterlassung, auch wenn sie häufig durchgesetzt werden, nicht ausreichend steuernde Wirkung zu entfalten. Ihnen ist stets eine „Präventionslücke“ hinsichtlich des Gewinns, den der Schädiger schon durch die erste Schädigung erzielt hat, immanent. 75 Um wirkungsvoll von Streuschädigungen abzuschrecken, bedarf es eines umfassenden Zugriffs auf den Unrechtsgewinn. Die oben dargestellte Gegebenheit, dass dieser Zugriff in erster Linie aus Steuerungs- und nicht aus Ausgleichsgründen zu erfolgen hat, verleitet zu der Annahme, es sei lediglich sekundär, ob die entzogenen Gewinne an die Geschädigten zurückgeführt, bzw. wofür sie verwendet werden. Diesem Gedanken folgte auch der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung der Abschöpfungsansprüche im Lauterkeits- und Kartellrecht, die einen Entzug des Unrechtsgewinns zwar ermöglichen, die erlangten Gelder jedoch nicht an die Geschädigten zurück-, sondern an den Bun71 Wagner beschreibt das als „pekuniäre Motivierbarkeit“, Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 142. 72 Vgl. Fn 45, S. 10. 73 Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 142. 74 Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 140. 75 Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 140.
E. Besonders anfällige Personengruppen, Sach- und Rechtsgebiete
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deshaushalt abführen. 76 Obgleich es grundlegend zutreffend ist, dass es bei der Streuschadensbekämpfung in erster Linie auf den Entzug der Unrechtsgewinne ankommt, stehen Kompensation und Prävention nicht notwendigerweise in einem Konkurrenzverhältnis, im Gegenteil. Umfassende Kompensation bedingt immer auch einen umfassenden Entzug der Unrechtsgewinne und führt insofern auch zu einer vollen Präventionswirkung. Ein ideales Instrument zur Streuschadensbekämpfung sollte insofern eine Kompensation der Geschädigten soweit wie durchführbar ermöglichen und zugleich in einem zweiten Schritt sicherstellen, dass, sollte dies nicht vollumfänglich möglich sein, dem Verletzer auch der übrige Unrechtsgewinn entzogen wird. Dies alles gilt es in Überwindung der rationalen Passivität der Verbraucher zu realisieren, womit die Aufgabe wohl zurecht als herausfordernd bezeichnet werden kann.
E. Für Streuschäden besonders anfällige Personengruppen, Sachund Rechtsgebiete – Untersuchungsgegenstand Die Gebiete, in denen Streuschäden auftreten und auftreten können, werden unmittelbar durch die Natur dieser Art des Schadens definiert. Ein Streuschadensereignis zeichnet sich, nach oben genannter Definition, dadurch aus, dass durch ein gewillkürtes oder unwillkürliches Verhalten, eine Begebenheit oder eine Entscheidung des Schädigers, eine Vielzahl von Geschädigten einen jeweils gleichgelagerten geringen Schaden erleiden. Gesprochen wird auch von der Serienmäßigkeit des Schadens. 77 Verlangt man für die Definition als Streuschaden darüber hinaus noch, dass die Höhe des den Betroffenen kumulativ zugefügten Schadens eine gewisse Schwelle überschreitet, was angesichts der Tatsache, dass nur dann die Steuerungsfunktion des Schadensrechts berührt ist, durchaus Sinn ergibt, 78 grenzt das die in Frage kommenden Gebiete weiter ein. Mitunter ist nur eine begrenzte Anzahl von Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen eine solche Schädigung möglich ist. Zu nennen sind hier zunächst sämtliche Schadensereignisse, die auf ein massenhaft hergestelltes und vertriebenes Produkt zurückzuführen sind. Mit der industriellen Herstellung von Gütern und Waren ging auch einher, dass ein Fehler, ein Mangel, oder eine Falschangabe bei einem bzw. bezüglich eines Produkts zu Auswirkungen bei einem immer größer werdenden Kreis von Abnehmern führt. Nur beispielhaft seien hier Mogelpackungen, bei denen weniger Inhalt als angegeben enthalten ist, Produktionsfehler, die 76 77 78
Ausführlich Teil 2 – A.I.3.a)cc).; Teil 2 – A.I.3.b)ff). Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1311. So auch Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 107.
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
zu Mängeln am Produkt selbst oder aber zu Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Abnehmers führen 79, sowie kartellbedingte Mehrpreise genannt. Im Zuge der wachsenden Globalisierung der Güter- und Absatzmärkte nehmen die Schäden in diesem Sektor noch zu, da der gestiegene Wettbewerb zum einen zu einer geringeren Marge der Hersteller führt und damit unlauteres Verhalten attraktiver macht, zum anderen weil international tätige Unternehmen einen wesentlich größeren Abnehmerkreis haben als kleinere Unternehmen. 80 Das leistet eben genannten Verhaltensweisen noch Vorschub, da mit der Anzahl der Abnehmer auch der Verletzergewinn steigt und die Schäden des Einzelnen noch kleiner gehalten werden können, so dass die Durchsetzungswahrscheinlichkeit weiter sinkt. Parallel hierzu verläuft der Markt der Dienstleistungen. Dieser ist zusätzlich noch von einer starken Digitalisierung geprägt, was zu einer zunehmenden Anonymisierung der Kundenbeziehung führt. Ein Faktor, der die Entstehung von Streuschäden fördert, da in einem anonymisierteren Markt das rationale Desinteresse des Geschädigten gesteigert wird und seitens des Schädigers zudem weniger mit einem Reputationsverlust zu rechnen ist. 81 Die Schädigung selbst kann mehr oder weniger bei jeder mit dem Vertrieb und der Erbringung von Dienstleistungen zusammenhängenden Gelegenheit auftreten, beispielsweise in Form der Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund im Vertragszusammenhang, der unbemerkten Erbringung einer Minderleistung, 82 oder einer kartellbedingten Preissteigerung. In diese Gruppe fallen auch sämtliche Finanzdienstleistungen, die unter Angabe fehlerhafter oder generell fehlender Informationen vertrieben werden. 83 Obgleich die Schäden hier wohl häufig die oben skizzierte Bagatellgrenze überschreiten, 84 sind Streuschäden in diesem Bereich zumindest auch denkbar. Meist im Zusammenhang mit Dienstleistungs- bzw Finanzdienstleistungsverträgen stehen auch Schäden, die dem Vertragspartner durch die Verwendung unzulässiger AGB-Klauseln entstehen. 85 Die im Einführungsbeispiel erwähnten Fiktionsklauseln stellen hier nur die Spitze des Eisberges dar. In langen und oft unübersichtlich gestalteten AGB finden sich nicht selten den 79 So nennen Micklitz/Stadler/Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht, S. 1312 bspw. fehlerhafte Arzneimittel, die zu kleineren Beeinträchtigungen bei den Patienten führen. 80 Hierzu und noch ausführlicher zu den ökonomischen Zusammenhängen Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 24. 81 Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 26. 82 Insbesondere bei Telefon- und Internetverträgen ist das Zur-Verfügung-Stellen von geringeren als im Vertrag angegebenen Geschwindigkeiten oder Bandbreiten bei Up- und Download virulent. 83 Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 30 nennt hier im Besonderen: Prospekthaftung, Insiderinformationen, Informationen über die Verhältnisse der Gesellschaft, Jahresabschlüsse, Konzernabschlüsse und fehlerhafte Anlageberatung. 84 Hierzu Teil 2 – A.II. 85 Eine genaue Aufschlüsselung der Sektoren findet sich bei Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 30.
E. Besonders anfällige Personengruppen, Sach- und Rechtsgebiete
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Kunden benachteiligende unzulässige Klauseln, die zu zusätzlichen Kosten führen. 86 Mit seinen typischerweise kleinen Schadenshöhen stellt dieses Gebiet damit ebenfalls ein klassisches Erscheinungsfeld für Streuschäden dar. In außer- und vorvertraglichen Verhältnissen treten Streuschädigungen häufig im Zusammenhang mit Werbemaßnahmen von Unternehmen auf. Hierbei besteht ein grundlegender Unterschied abhängig davon, ob der Inhalt oder die Form der Werbemaßnahme zu einem Schaden führt. Ist der Inhalt einer Werbemaßnahme ursächlich für den Schaden beim Konsumenten, so ist dies häufig darauf zurückzuführen, dass die Werbemaßnahme in dem Abnehmer Erwartungen weckt, die das Produkt oder die Dienstleistung nicht zu erfüllen vermag. 87 Die Beispiele hierfür sind mannigfaltig und reichen von einfachen Täuschungen über die Herkunft eines Produktes bis zu objektiv wertlosen Leistungen. Je nachdem, wie weit der beworbene von dem tatsächlich geleisteten Gegenstand abweicht, variiert hier die Schadenshöhe der Abnehmer, sie wird aber regelmäßig noch unterhalb der oben festgelegten Bagatellschadensgrenze liegen. Schwieriger festzumachen sind dagegen die Schäden, die auf die Art der Werbemaßnahme zurückzuführen sind. Unlautere Werbemethoden, 88 wie aggressive oder unzulässig vergleichende Werbung, führen häufig zu gesteigerten Absätzen der unlauter Werbenden. 89 Einen materiellen Schaden hat der Betroffene jedoch nicht durch die Werbemethode, solange die versprochene Leistung auch der erhaltenen entspricht. 90 Micklitz/Stadler schlagen vor, hier den abgeschlossenen Vertrag als Schaden zu betrachten und in Naturalrestitution die Auflösung des selbigen zu ermöglichen. 91 Dieser grundsätzlich gute Ansatz nützt dem Abnehmer jedoch nur, soweit er sich auch vom Vertrag lösen will. Sollte er jedoch am Vertrag festhalten und sich nur von bestimmten ungünstigen Bedingungen befreien wollen, geht diese Möglichkeit ins Leere. Darüber hinaus wird man hinsichtlich dieser Art der Streuschäden große Schwierigkeiten beim Nachweis der Kausalität und des jedem Einzelnen konkret entstandenen Schadens haben. Dem unlauter Werbenden bleibt dagegen unstreitig ein, in manchen Fällen gar beträchtlicher, Gewinn. 86
Ausführlich hierzu Teil 2 – A.I.2.a)bb). Ausführlich hierzu mit diversen Beispielen Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 26, 31, 43 f. 88 Also sämtliche unter die §§ 3–7 UWG zu subsumierenden Handlungen. 89 Mit dem Fokus auf Methoden des unlauteren Direktmarketings siehe Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 28, 32, 43 f. 90 Von den möglichen materiellen Schäden beim Abnehmer, die Micklitz/Stadler, (Unrechtsgewinnabschöpfung S. 44 f.) aufzählen, erscheinen heutzutage wohl nur noch die anteiligen Kosten für die Bereitstellung des Endgeräts und dessen Empfangsbereitschaft bei unlauteren Direktmarketing als virulent. Doch auch diese Kosten sind in Zeiten der Telefon- und Internetflatrates zu vergleichsweise geringen Preisen kaum noch erwähnenswert. 91 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 45. 87
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Teil 1: Einführung, Grundlagen
Die Bezifferung des Schadens bereitet auch auf dem letzten für Streuschäden relevanten Gebiet erhebliche Probleme. Die zunehmende Digitalisierung und der damit einhergehende erhebliche Austausch von Daten ließ das Datenschutzrecht von einem vormals kleineren, unbedeutenderen Rechtsgebiet zu einem zentralen Feld erheblicher rechtlicher Auseinandersetzungen mutieren. Nicht erst seit Inkrafttreten der DS-GVO 92 im Jahr 2018 bestehen strenge und dezidierte Vorschriften für den Umgang mit Daten, die in der Vergangenheit insbesondere von Plattformbetreibern wie Google oder Facebook immer wieder, teils sogar vorsätzlich, verletzt wurden. Zwar kann wohl unzweifelhaft gestellt werden, dass die meisten Datenschutzverletzungen, wie beispielsweise die unrechtmäßige Weitergabe einer E-MailAdresse, individuelle Schäden unterhalb der oben identifizierten Bagatellschadensgrenze hervorrufen und massenweise Verletzung des Datenschutzrechts damit als Streuschäden zu kategorisieren sind, die konkrete Bezifferung der Schadenshöhe fällt jedoch, ähnlich wie bei den unlauteren Werbemaßnahmen, sehr schwer. Betrachtet man die Sachgebiete, in denen es häufig zu Streuschäden kommt, so lassen sich diese recht eindeutig den entsprechenden Rechtsgebieten zuordnen. Neben dem Datenschutzrecht sind hauptsächlich das Kartell-, das Lauterkeits- und das allgemeine Verbraucherrecht betroffen. 93 Interessanterweise sind das auch diejenigen Rechtsgebiete, die bereits jetzt durch eine recht hohe Instrumentendichte zur Streuschadensbekämpfung auffallen. Sowohl im Lauterkeits- als auch im Kartellrecht stehen Verbandsklagen auf Unterlassung, Beseitigung und Abschöpfung zur Verfügung. Gesondert für den Bereich der unzulässigen AGB-Klauseln hält zudem das UKlaG Verbandsklagemöglichkeiten bereit. Daneben stehen seit 2018 die allgemeine Musterfeststellungsklage mit Geltungsbereich für das gesamte Verbraucherrecht und das Kapitalanlegermusterverfahren für kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten. Insbesondere das Kartellrecht weist zudem eine Vielzahl an ordnungsrechtlichen Vorschriften und Kontrollmöglichkeiten auf. Dennoch wird diesen Gebieten in der Literatur und auch in dieser Arbeit ein Vollzugsdefizit bescheinigt. 94 Die Gründe hierfür werden in Teil 2 näher beleuchtet. Das sachliche Auswirkungsgebiet von Streuschäden bedingt auch den von ihnen betroffenen Personenkreis. Die Streuung der Schäden findet meist auf der letzten Ebene des Marktes statt, betroffen sind insofern in erster Linie 92 Verordnung (EU) 2016/679 des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). 93 Übereinstimmend, jedoch ohne auf das Datenschutzrecht einzugehen, Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 30. 94 Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 30.
E. Besonders anfällige Personengruppen, Sach- und Rechtsgebiete
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die Endkonsumenten und damit primär Verbraucher. 95 Sie sind nicht nur aufgrund häufig bestehender Informationsdefizite besonders anfällig für Streuschäden, die Angst sich auf einen ungewissen Prozess einzulassen ist hier, wie die Statistiken zeigen, auch oft sehr groß. Neben Verbrauchern sind aber mitunter auch kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) von Streuschäden betroffen. Zur hier ebenfalls oft bestehenden Unerfahrenheit mit gerichtlichen Auseinandersetzungen tritt in diesem Betroffenenkreis zudem häufig eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit vom Schädiger, die eine Schadensdurchsetzung verhindert. Größere Unternehmen sind dagegen kaum von Streuschäden betroffen. Sie sind nicht nur erfahrener und wirtschaftlich emanzipierter, sie beziehen Produkte und Dienstleistungen auch meist in deutlich größerem Umfang, so dass erlittene Schäden nur selten unterhalb der Bagatellgrenze bleiben.
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Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8, 9.
Teil 2
Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland – Darstellung und Bewertung A. Privatrechtliche Instrumente I. Klagen von Verbänden und qualifizierten Einrichtungen 1. Die Verbandsklage und ihre Akteure a) Die Verbandsklage, ein deutscher Reimport Die Verbandsklage ist das Mittel der Wahl sowohl des deutschen als auch des europäischen kollektiven Rechtsschutzes, wenn es um die Bekämpfung von Streuschäden geht. Indem Verbände zur Wahrung öffentlicher und kollektiver Interessen wie dem Wettbewerbs- und dem Verbraucherschutz unabhängig von einer eigenen subjektiven Rechtsverletzung zur Geltendmachung bestimmter Ansprüche berechtigt werden, sollen Rechtsverstöße trotz der rationalen Passivität der eigentlich Geschädigten unterbunden und die Schädiger auf diese Weise von ihrer Begehung abgeschreckt werden. 1 Von Halfmeier zutreffend als eine besondere Form der Popularklage bezeichnet, 2 tritt die Verbandsklage im deutschen Recht bislang vorwiegend in Form einer originären, gesetzlich angeordneten Interventionskompetenz auf. 3 Insofern setzen die Verbände und qualifizierte Einrichtungen nicht etwa gebündelt die Ansprüche der Geschädigten durch, sondern haben eigene Anspruchsberechtigungen inne, deren Qualität, insbesondere im Wettbewerbsrecht, teils weit über den Inhalt hinaus geht, den die Betroffenen selbst geltend machen können. Zumindest innerhalb Europas kann die Verbandsklage als deutscher Exportschlager bezeichnet werden. In Deutschland reichen ihre Anfänge bis in das Jahr 1896 zurück, in dem § 1 Abs. 1 S. 2 des neu eingeführten Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs erstmals gewerbliche Verbände Vgl. hierzu Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 29. Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 4. 3 Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 5; das Gegenmodell, eine Bündelung von Individualansprüchen verfolgt beispielsweise die amerikanische Class Action, siehe Teil 3 – A. Auch der im Rahmen dieser Arbeit dargelegte Vorschlag zur Einführung einer Verbandsklage auf Abhilfe sieht eine Bündelungsmöglichkeit und keinen originären Anspruch der Verbände vor, siehe Teil 4 – C.II.3.b). 1 2
24 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland zur Erhebung von Unterlassungsklagen ermächtigte. 4 In den folgenden 100 Jahren erweiterte der deutsche Gesetzgeber den Kreis der Verbandsklagebefugnisse sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht sukzessive. 1957 hielten Verbandsklagen mit Inkrafttreten des GWB Einzug in das Kartellrecht, 5 1965 wurden im Lauterkeitsrecht erstmalig auch Verbraucherverbände aktivlegitimiert. 6 Die Adaption der Verbands(unterlassungs) klage begann auf europäischer Ebene parallel zur Entwicklung in Deutschland ebenfalls auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts, mit der Richtlinie gegen irreführende Werbung aus dem Jahr 1984, allerdings auch bedeutend später. Erst die Unterlassungsklagerichtlinie aus dem Jahr 1998 unterstellte auch kollektive Verbraucherinteressen dem Regime der Verbandsklage und macht dieselbe mit der Aktivlegitimierung der „qualifizierten Einrichtungen“ zugleich zum zentralen Instrument des harmonisierten kollektiven Rechtsschutzes in Europa. Während es in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten auf europäischer Ebene politisch nicht möglich war, sich auf weitere konkrete Harmonisierungsakte zu einigen, ging Deutschland mit der Einführung der Verbandsabschöpfungsklagen im Lauterkeits- und Kartellrecht und später mit der Musterfeststellungsklage, ebenfalls einer Form der Verbandsklage, zwar einen Sonderweg, blieb dabei aber in der Grundkonzeption sowohl der nationalen als auch der europäischen Linie treu. Nach langer Abstinenz nahm im Jahr 2020 allerdings wieder der europäische Gesetzgeber das Zepter in die Hand. Mit der Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher 7 zementierte er nicht nur sein Bekenntnis zu dieser Form des kollektiven Rechtsschutzes, sondern setzte auch Eckpfeiler, von denen anzunehmen ist, dass sie den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland und ganz Europa zumindest in näherer Zukunft maßgeblich prägen werden. Die oben als streuschadensträchtig identifizierten Rechtsgebiete weisen eine Vielzahl von Verbandsklagebefugnissen auf. Beseitigung und Unterlassung können die Verbände nach § 8 Abs. 1 und 3 UWG und § 33 GWB sowohl im Lauterkeits- als auch im Kartellrecht verlangen. Gesondert für das Gebiet der rechtswidrigen AGB enthält § 1 UKlaG zudem einen isolierten Unterlassungsanspruch. Das allgemeine Verbraucherschutzrecht und das Datenschutzrecht werden momentan lediglich von dem in der Praxis kaum relevanten Anspruch nach § 2 UKlaG sowie der allgemeinen Musterfeststellungsklage abgedeckt. Erhebliche Durchsetzungsdefizite bestehen, wie oben bereits angesprochen, hinsichtlich des Entzugs des Verletzergewinns. Zu die4 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes vom 07. 05. 1896, RGBl. 1896, S. 145–149. 5 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 07. 1957, BGBl. I 1957, S. 1081. 6 Vgl. das Änderungsgesetz zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 07. 06. 1965, BGBl. I 1965, S. 625 ff. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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sem Zwecke wurden zwar die Abschöpfungsansprüche in § 10 UWG und § 34a GWB eingeführt, wie später genauer aufgezeigt wird, nutzen die Verbände diese Möglichkeiten aufgrund diverser Hürden im Tatbestand und einer allgemein als unbefriedigend angesehen Rechtsfolge jedoch kaum. Auch die Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, mittels derer Verbände Individualansprüche von Verbrauchern gesammelt durchsetzen können und die damit theoretisch zum Entzug des Verletzergewinns geeignet wäre, ist in der Handhabung zu kosten- und aufwandsintensiv, als dass sie praktische Relevanz entfalten könnte. b) Die Gruppen der klagebefugten Verbände und Einrichtungen Die in Deutschland zur Erhebung von Verbandsklagen befugten Verbände werden regelmäßig in drei Gruppen unterteilt. Zum einen die sog. „qualifizierten Einrichtungen“, worunter vorwiegend die Verbraucherverbände zu verstehen sind, zum anderen die (qualifizierten) Wirtschafts- und Berufsverbände und zuletzt die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern. Der Übergang zwischen den letzten beiden Gruppen ist dabei fließend, da die Kammern auch der zweiten Gruppe angehören, soweit sie gewerbliche Interessen fördern und die weiteren Voraussetzungen erfüllen, 8 was regelmäßig der Fall sein dürfte. 9 Selbstverständlich sind nicht alle Gruppen (gleichermaßen) zur Durchsetzung aller Verbandsklageansprüche befugt. Die jeweiligen Normen unterscheiden zwischen der Schutzrichtung des Gesetzes, 10 ermächtigen teils nur einzelne Gruppen zur Durchsetzung oder stellen gar noch zusätzliche Voraussetzungen an die Klagebefugnis. 11 Im Folgenden erfolgt zunächst eine abstrakte Darstellung der drei Gruppen, wohingegen auf die Unterschiede im Detail bei der Erörterung des jeweiligen Anspruches eingegangen wird. Soweit eine Norm eine oder mehrere Gruppen von Verbänden zur Durchsetzung eines bestimmten Anspruches berechtigt, ist umstritten, welche Rechtsnatur dieser Berechtigung zukommt. Die ganz h. M. folgt hier der Lehre der Doppelnatur, der zufolge den Verbänden neben der (materiellen) Anspruchsberechtigung zugleich auch die (prozessuale) Klagebefugnis in
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NomosUKlaG/Walker UKlaG § 3 Rn. 12. Ausführlich zu der Zuordnung der einzelnen Verbände siehe auch Teplitzky/Büch, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, S. 137 ff. 10 So können beispielsweise nach § 3 Abs. 2 UKlaG qualifizierte Einrichtungen AGB nicht angreifen, soweit diese nur gegenüber Unternehmern oder öffentlichen Auftraggebern verwendet oder hierzu empfohlen werden. 11 So stellt beispielsweise § 606 ZPO gesonderte Anforderungen an die qualifizierten Einrichtungen für die Erhebung einer Musterfeststellungsklage, ähnlich wie § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, der zusätzliche Anforderungen an die qualifizierten Wirtschaftsverbände, die einen lauterkeitsrechtlichen Verstoß verfolgen möchten, stellt. 9
26 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Form der Prozessführungsbefugnis zugesprochen wird. 12 Eine starke Mindermeinung dagegen sieht jeweils lediglich die materielle Anspruchsberechtigung erteilt und argumentiert sowohl mit dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften als auch mit den Grundsätzen des allgemeinen Verfahrensrechts, wonach sich die Prozessführungsbefugnis regelmäßig bereits aus der behaupteten Inhaberschaft des Anspruches ergibt. 13 Da Verbandsklagen jedoch, wie oben dargelegt, nicht zur Verfolgung subjektiver Rechtsverletzungen der Verbände selbst, sondern zur Wahrung öffentlicher Interessen betrieben werden, erscheint es berechtigt, in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen eine gesonderte Prozessführungsbefugnis zu verlangen. 14 Insofern spielen die Voraussetzungen der Verbandsklagevorschriften nicht nur für die Begründetheit, sondern auch für die Zulässigkeit eine Rolle, weswegen das Gericht deren Vorliegen von Amts wegen und in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen hat. Auch das Revisionsgericht hat deren Vorliegen in Abweichung von § 559 Abs. 1 ZPO selbstständig festzustellen und ist hierbei nicht an die vorangegangenen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden. 15 aa) Die qualifizierten Einrichtungen Soweit eine Norm die „qualifizierten Einrichtungen“ zur Erhebung einer Verbandsklage befugt, bezieht sie sich dabei immer sowohl auf die nationalen Institutionen, die in der vom Bundesamt für Justiz gemäß § 4 UKlaG zu führenden Liste aufgeführt sind, als auch auf die Einrichtungen anderer europäischer Mitgliedstaaten entsprechend Art. 4 Abs. 3 der Unterlassungsklagerichtlinie. Für Deutschland gilt, dass sämtliche nach § 4 UKlaG gelisteten Organisationen auch an das europäische Register gemeldet wurden. Die Liste nach § 4 UKlaG führte zum 26. 11. 2021 75 Eintragungen, 16 darunter Verbraucherzentralen und -verbände, Mietervereine und Schutzgemein12 Ganz h. M. siehe zu § 8 UWG: BGHZ 215, 12; BGH NJW 2012, 1812; BGH NJW-RR 2005, 1128, 1129; BGH GRUR 2007, 610, 610 f.; BGH GRUR 2015, 1240; BeckOKUWG/ Haertel § 8 Rn. 163; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher UWG § 8 Rn. 245; MüKoUWG/ Ottofülling § 8 Rn. 394; nun auch Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen UWG § 8 Rn. 3.10. Zu § 3 UKlaG: Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 3 Rn. 3; ähnlich MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 3 Rn. 7 ff.; SoergelBGB/Fritzsche UKlaG § 3 Rn. 3; Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 146. 13 Balzer NJW 1992, 2721, 2726; Greger, NJW 2000, 2457, 2462; Schmidt NJW 2002, 25, 28; Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 599 ff. 14 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen UWG § 8 Rn. 3.10. 15 BGH GRUR 2007, 809, 810; BGH GRUR 2006, 873, 874; BGH GRUR 2005, 689, 690; BGH NJW 2019, 3377, 3378; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen UWG § 8 Rn. 3.9. 16 Die Liste ist abrufbar unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Verbrau cherrechte/UKlaGundUWGListe/Einrichtungen/Einrichtungen_node.html [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023].
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schaften. Um in die Liste aufgenommen zu werden, muss die Einrichtung die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG erfüllen. Ausgenommen hiervon sind Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, für diese wird das Vorliegen der Voraussetzungen unwiderleglich vermutet. 17 Entsprechend der Vorgaben des § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG muss es sich bei dem Aspiranten um einen eingetragenen Verein handeln, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Wahrnehmung von Verbraucherinteressen durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung gehört, 18 wobei er dies zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits mindestens ein Jahr lang getan haben muss. 19 Er bedarf außerdem einer gewissen Mindestanzahl an Mitgliedern 20 und seine bisherige Tätigkeit muss es als gesichert erscheinen lassen, dass er seine Aufgaben auch in Zukunft erfüllen wird und Verfahren zudem nicht lediglich zum Zwecke der Einnahmenerzielung durch Abmahnungen oder Vertragsstrafen anstrebt. 21 Abschließend darf der Verein seinen Mitgliedern keine Zuwendungen aus seinem Vermögen gewähren, oder Personen, die für ihn tätig sind, unangemessen begünstigen. 22 Obgleich jüngst durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs nachgeschärft, 23 sind diese Voraussetzungen entgegen der Ansicht von Mickltiz und Rott 24 nicht sonderlich hoch, was auch durch die beträchtliche Zahl an Einrichtungen in der Liste belegt wird. Neben der grundlegenden und an späterer Stelle noch ausführlich zu erörternden Frage, warum es überhaupt derlei Hürden bedarf, wenn doch gerade eine möglichst umfassende Rechtsverfolgung den größten abschreckenden Effekt erzielt, 25 erscheint insbesondere das geforderte nicht gewerbsmäßige Handeln als virulent. Fest steht in diesem Zusammenhang lediglich, dass gemeinnützige Vereine nicht gewerbsmäßig handeln. 26 Sobald sich ein Verein jedoch nicht ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und öffentlichen Geldern finanziert, muss geklärt werden, ab wann eine gewerbsmäßige Tätigkeit beginnt. Diese Abgrenzung wird dabei wohl angesichts massiver Budgetkürzung seitens der öffentlichen Hand 27 in Zukunft auch für Vereine relevant werden, die bislang durch die Vermutung des § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG privilegiert waren. Werden öffentliche Zuschüsse gekürzt und beispielsweise mit Einnahmen durch 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
§ 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG. § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UKlaG. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UKlaG. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UKlaG. § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UKlaG. Ausführlich hierzu Max, VuR 2021, 129, 130 f. MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG Vor. § 1 Rn. 20. Hierzu Teil 2 – A.I.1.c)cc). MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 4 Rn. 29. MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 4 Rn. 33.
28 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland entgeltliche Beratungstätigkeiten, Abmahnungen oder die Durchsetzung von Unterlassungserklärungen ergänzt, so läuft ein Verein mitunter nicht nur Gefahr, mangels „überwiegender“ öffentlicher Förderung der Vermutungswirkung verlustig zu werden, sondern darüber hinaus, da ihm nun ein gewerbsmäßiges Handeln unterstellt wird, gänzlich seine Klagebefugnis zu verlieren. In einer entsprechenden Situation befand sich zuletzt die Deutsche Umwelthilfe e. V. Im Rahmen eines von ihr betriebenen Unterlassungsverfahrens wurde ihr seitens des Beklagten Rechtsmissbrauch vorgeworfen, gestützt auf die Tatsache, dass sie erhebliche Überschüsse aus ihren Marktverfolgungstätigkeiten in den letzten Jahren erzielt und diese unter anderem auch zur Verfolgung anderer Satzungszwecke als der Ahndung von Wettbewerbsverstößen verwendet hatte. 28 Der BGH jedoch hielt dieses Verhalten für unschädlich und stellte fest, alleine ein Überschuss aus Marktverfolgungstätigkeiten reiche noch nicht aus, um eine vorrangige Gewinnerzielungsabsicht zu unterstellen. 29 Auch die Querfinanzierung anderer Projekte mit diesen Mitteln begründe noch keinen entsprechenden Vorwurf, solange die Marktüberwachung als Verbandszweck nicht lediglich vorgeschoben sei, um Mittel zu generieren und diese für andere, satzungsfremde Zwecken zu verwenden. 30 Die Eintragung in die Liste nach § 4 UKlaG bzw. Art. 4 Abs. 3 der Unterlassungsklagerichtlinie ist für die Klagebefugnis des Verbandes konstitutiv. 31 Kommen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens Zweifel an der Erfüllung einer Eintragungsvoraussetzung auf, so kann das Gericht dem Verein nicht einfach die Klagebefugnis absprechen, diese Kompetenz liegt ausschließlich beim Bundesamt für Justiz. Entsprechend § 4a Abs. 2 UKlaG kann das Verfahren jedoch bei „begründeten Zweifeln“ an der Erfüllung der Eintragungsvoraussetzung ausgesetzt, und das Bundesamt zur Überprüfung aufgefordert werden. 32 Eine direkte Handhabe verbleibt dem Gericht nur in den Fällen der missbräuchlichen Anspruchsgeltendmachung, beispielsweise nach § 2b UKlaG oder § 8c UWG.
28 BGH NJW 2019, 3377; zur Entscheidung und ihrer Übertragbarkeit auf die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 UKlaG auch MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 4 Rn. 29. 29 BGH NJW 2019, 3377, 3379. 30 BGH NJW 2019, 3377, 3380. 31 NomosUKlaG/Walker UKlaG § 4 Rn. 6. 32 Ausführlich dazu, wann „begründete Zweifel“ vorliegen MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 4a Rn. 9 ff.
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bb) Die (qualifizierten) Wirtschaftsverbände / Die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern Mit Ausnahme der Musterfeststellungsklage ermächtigen die meisten Normen zur Verbandsklage auch Verbände, die nicht primär die Interessen der Verbraucher, sondern die der gewerblich oder selbstständig beruflich tätigen Wettbewerber auf dem entsprechenden Markt vertreten. Wie oben bereits angesprochen, waren Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen bis 1965 die einzig klagebefugte Gruppe in Deutschland und somit der eigentliche Ursprung des Verbandsklagerechts. Historisch leitet sich ihre Berechtigung aus der im Mittelalter noch vorherrschenden Aufsichtsfunktion der Zünfte und Innungen ab. 33 Die Klagebefugnis dieser Gruppe hat jüngst durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs 34 eine Spaltung erfahren. Während das GWB für Klagen auf dem Gebiet des Kartellrechts die Anforderungen an die klagebefugten Verbände noch innerhalb der entsprechenden Anspruchsnormen regelt und diese damit der Kontrolle des mit dem konkreten Verfahren befassten Gerichts unterstellt, fordern UWG und UKlaG neuerdings in Anlehnung an die Regelungen zu den qualifizierten Verbraucherverbänden ein unter Aufsicht des Bundesamts für Justiz stehendes Registrierungsverfahren. 35 Die nun in § 8b Abs. 2 UWG aufgeführten Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der klagebefugten Wirtschaftsverbände sind nicht nur ihrem Aufbau, sondern auch ihrem Inhalt nach weitestgehend denen nachempfunden, die entsprechend § 4 Abs. 2 UKlaG für die Verbraucherverbände gelten. So muss es zu den satzungsgemäßen Aufgaben des Verbandes gehören, „gewerbliche oder selbstständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu fördern sowie zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten und zu informieren“. 36 Dies muss er bereits ein Jahr lang getan haben 37 und sein Verhalten in dieser Zeit muss in Aussicht stellen, dass er seine Aufgaben auch in Zukunft sachgerecht erfüllen 38 und Ansprüche nicht vorwiegend zur Einnahmenerzielung geltend machen wird. 39 Er muss zudem mindestens 75 Unternehmen als Mitglieder haben und darf diesen keine Zuwendungen aus seinem Vermögen gewähren. 40 Ebenso wenig darf er Personen, die für ihn tätig sind, mittels unangemessen hoher Zuwendungen begünstigen. 41
33 34 35 36 37 38 39 40 41
Hohlweck, WRP 2020, 266, 267. Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26. 11. 2020, BGBl. I 2020, S. 2568 ff. § 8b UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 3a UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 3b UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UWG. § 8b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UWG.
30 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Die Einführung dieses neuen Registrierungsverfahrens ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ergibt eine Angleichung an die Anforderungen, die an die Verbraucherverbände gestellt werden, durchaus Sinn und das vorgeschaltete Verfahren entlastet mitunter die Gerichte von langwierigen Prüfungen, andererseits folgt aus der Einführung des Registrierungsverfahrens und den neuen Anforderungen an die Verbände, die teils über das hinausgehen, was die Gerichte zuvor für die Klagebefugnis verlangt hatten, wohl auch eine geringere Klage- und Abmahnaktivität der Wirtschaftsverbände, was unweigerlich zu einer geringeren Rechtsdurchsetzung auch auf dem Gebiet der Streuschäden führen wird. 42 Problematisch erscheint in dieser Hinsicht insbesondere die Anforderung an die Mitgliederzahl. Gerade auf kleineren oder oligopolistischen Märkten wird häufig nur eine deutlich geringere Zahl an Unternehmen überhaupt aktiv sein. Soweit ein Verband seine Tätigkeiten auf einen bestimmten Markt beschränkt und nicht, wie beispielsweise die Wettbewerbszentrale, Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht generell verfolgt, dürfte es für diesen schwierig sein, die geforderte Mindestanzahl zu erreichen. 43 Wie erheblich sich das neu eingeführte Registrierungsverfahren auswirken wird, ist noch nicht abzusehen. Zum Stand 17. 12. 2021 waren lediglich 19 Verbände in die Liste eingetragen. 44 Diese Zahl ist momentan aber noch nicht aussagekräftig, da das neue Registrierungserfordernis erst für Klagen, die ab dem 01. 09. 2021 erhoben wurden, gilt. 45 Als letzte klageberechtigte Gruppe die keinem Registrierungserfordernis unterliegt, verbleibt die der Industrie-, Handels- und Handwerkskammern. Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs verzichtete bewusst auf die Einführung eines solchen für diese Gruppe, da von ihr, anders als vom Gesetzgeber für die Wirtschaftsverbände angenommen, kein Missbrauchsrisiko ausgehe. 46 Diese Gruppe ist seit 1986 anspruchsberechtigt, 47 mitunter aber nicht sonderlich aktiv. 48 Das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ordnet nun auch die Gewerkschaften und die sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts dieser Gruppe zu.
42 Max, VuR 2021, 129, 135 f.; Hohlweck, WRP 2020, 266, 273; Buchmann, BB 2020, Heft 45, Umschlag I; Halfmeier, VuR 2020, 441, 442 f. 43 Hohlweck, WRP 2020, 266, 268; Max, VuR 2021, 129, 131. 44 https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Verbraucherrechte/UKlaGundUWG Liste/Wirtschaftsverbaende/Wirtschaftsverbaende_node.html [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 45 § 15a UWG. 46 BT-Drucks. 19/12084, S. 27. 47 UWG-Novelle vom 25. 07. 1986 BGBl. I 1986, S. 1169. 48 Vgl. hierzu Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 56.
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c) Erhebliche Finanzierungsprobleme der Verbände Von allen zur Erhebung von Verbandsklagen berechtigten Einrichtungen entfalten Verbraucher- und Wettbewerbsverbände, allen voran die Verbraucherzentralen und die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, mit Abstand die größte Klageaktivität. 49 Obgleich diese Verbände damit insbesondere im Rahmen des § 1 UKlaG und § 8 UWG einen erheblichen Teil zur Bekämpfung von Streuschäden beitragen, sind ihnen Grenzen auferlegt, die weniger in den Registrierungs- und Anspruchsvoraussetzungen liegen, als vielmehr in den mangelnden finanziellen Möglichkeiten dieser Einrichtungen. Insbesondere bei den Verbraucherverbänden beginnt diese Problematik bereits mit der mangelnden Grundfinanzierung. 50 Die meisten beziehen einen Großteil ihrer Einkünfte aus öffentlichen Kassen, wobei es hier gerade in den letzten Jahren vermehrt zu Kürzungen gekommen ist. 51 Zweifelsohne noch am besten aufgestellt ist hier der VZBV. Mit einem institutionellen Haushalt von über 22 Millionen Euro gelang es ihm im Jahr 2020 immerhin, etwas über 1,2 Millionen Euro für die Prozesskosten von Verbands- und Musterfeststellungsklagen bereit zu stellen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, wie trügerisch diese Zahlen sind. Zum einen erzielte der Verband in diesem Jahr nur etwas über 900.000 € Einnahmen durch Prozesskostenrückerstattungen, Vertragsstrafen und Abmahnpauschalen, musste also einen nicht unerheblichen Teil der Kosten querfinanzieren. Zum anderen lag der Fokus des VZBV im Jahr 2020 auf der Musterfeststellungsklage gegen VW wegen des Diesel-Abgas-Skandals. Alleine hierauf wird wohl ein Großteil der Gelder aufgewandt worden sein. Erheblich relativiert wird dieser Betrag zudem, schaut man sich einmal exemplarisch für den VW-Diesel-Skandal das Budget der Gegenseite an. Der Volkswagenkonzern hatte in Verbindung mit dem Diesel-Skandal rund zwei Milliarden Euro für Berater- und Anwaltskosten aufgewendet. 52 Neben die mangelnde finanzielle Grundausstattung der Verbände treten weitere Probleme, die die angespannte Lage derselben verschärfen. Das sind zum einen teils gut gemeinte, im Ergebnis aber eher schadende Streitwert49 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 166. 50 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 170; SoergelBGB/Fritzsche UKlaG Vor. § 1 Rn. 9; MüKoZPO/Micklitz/ Rott UKlaG Vor. § 1 Rn. 37; Ulmer/Brandner/Hensen/Witt UKlaG Vor. § 1 Rn. 12; StaudingerBGB/Piekenbrock UKlaG Einl. Rn. 11. 51 MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 4 Rn. 33. 52 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/juristische-aufarbeitung-vwzahlt-wohl-zwei-milliarden-euro-nur-fuer-anwaelte-welche-kanzleien-am-dieselskandalverdienen/27465386.html [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Diese Summe beläuft sich zwar auf die weltweiten Kosten des Konzerns, weswegen sie nicht direkt dem Budget des VZBV gegenübergestellt werden kann, der Vergleich verdeutlicht aber dennoch das erhebliche Ungleichgewicht.
32 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland und Kostentragungsregelungen, zum anderen Diskriminierungen in der Kostenerstattung. Hierauf sowie auf die Ursachen und die Folgen dieser Finanzierungsprobleme wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. aa) Streitwerte und Kostentragungsregelungen Für Verbandsklagen gelten keine einheitlichen Streitwertregelungen. In Verfahren nach dem UWG bestimmt das Gericht den Streitwert gem. § 51 Abs. 2 GKG nach freiem Ermessen, abhängig von der für den Kläger bestehenden Bedeutung der Sache. 53 Der Streitwert für Unterlassungsklagen nach dem UKlaG, die Musterfeststellungsklage sowie Unterlassungs- Beseitigungsund Abschöpfungsklagen nach dem GWB wird gemäß § 3 ZPO festgelegt. Auch hier ist grundsätzlich das wirtschaftliche Interesse des Klägers maßgeblich. 54 Gerade in Streuschadensfällen mit einer Vielzahl von betroffenen Verbrauchern und einem mitunter sehr hohen kumulierten Schaden, würde eine Bemessung alleine an der Bedeutung der Sache bzw. am wirtschaftlichen Interesse des klagenden Verbandes jedoch schnell zu einem Streitwert im zweistelligen Millionenbereich führen. 55 Um dem vorzubeugen griff der Gesetzgeber im Laufe der Zeit aus unterschiedlichen Gründen immer wieder auf Maßnahmen zurück, um den Streitwert in Verbandsklageverfahren zu begrenzen. Zu diesem Zwecke enthielt die Neufassung des UWG aus dem Jahr 2004 eine Regelung, die kraft einer Verweisung in § 5 UKlaG auch auf die dortigen Vorschriften anwendbar war. 56 § 12 Abs. 4 UWG a.F. besagte: „Bei der Bemessung des Streitwerts für Ansprüche nach § 8 Abs. 1 ist es wertmindernd zu berücksichtigen, wenn die Sache nach Art und Umfang einfach gelagert ist oder wenn die Belastung einer der Parteien mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert angesichts ihrer Vermögens- und Einkommensverhältnisse nicht tragbar erscheint.“ Mittels dieser von Amts wegen zu berücksichtigenden Streitwertminderung wurden zwei recht entgegenlaufende Ziele verfolgt. Die erste Alternative zur Minderung bei einfach gelagerten Fällen wurde nicht etwa eingeführt, um die Verbände finanziell zu entlasten, sondern um die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen wirtschaftlich uninteressanter zu machen und 53 Die Bedeutung der Sache für den Beklagten ist dabei als Korrektiv heranzuziehen, § 51 Abs. 3 GKG. 54 Daneben werden mittlerweile noch gesonderte Kriterien zur Streitwertbestimmung bei Verbandsklagen angewandt, die die Bemessung mittlerweile maßgeblich bestimmen, hierzu Musielak/Voit/Heinrich ZPO § 3 Rn. 38. 55 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 842 rechnet ein Beispiel mit 70 Millionen Euro vor. 56 Es handelt sich um keine echte Neuregelung. Bei der Novellierung des UWG 2004 übernahm man recht unreflektiert die bereits 1986 in § 23a UWG eingeführte Regelung.
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damit einem Rechtsmissbrauch vorzubeugen. 57 Lediglich bei der zweiten Alternative hatte der Gesetzgeber die angespannte Finanzsituation der klagenden Verbände im Auge, zudem aber auch den Schutz kleinerer und mittelständischer Unternehmen in der Situation des Beklagten. 58 Insgesamt schadete die Norm den Verbänden mehr als sie ihnen nützte. So gingen Gerichte, gestützt auf § 12 Abs. 4 1. Var. UWG a.F., bei Verbandsklagen nach § 1 UKlaG dazu über, je angegriffene Teilklausel 2.500 € als Streitwert festzulegen. 59 Die Herabsetzung des Streitwerts führte dabei auch zu einer Verringerung der Rechtsanwaltsgebühren. In der Folge hatten die Verbände erhebliche Schwierigkeiten Prozessbevollmächtigte für ihre Verfahren zu finden, da kaum ein Rechtsanwalt bereit war, arbeits- und zeitintensive Prozesse für vergleichsweise so geringe Gebühren zu betreiben. 60 Hinzu kam, dass die Norm, da die Verbände aufgrund ihrer begrenzten Mittel meist Verfahren mit guten Erfolgsaussichten betreiben, in erster Linie den Beklagten nutzte. Diese konnten sich aufgrund des geringen Prozesskostenrisikos unproblematisch auf eine Vielzahl langwieriger Abwehrprozesse einlassen, ohne ein wirtschaftliches Risiko einzugehen. 61 Von der zweiten Variante des § 12 Abs. 4 UWG a.F. wurde dagegen kaum zugunsten der Verbände Gebrauch gemacht. 62 Zum 09. 10. 2013 änderte der Gesetzgeber die Herangehensweise an die Problematik grundlegend und novellierte § 12 Abs. 4 UWG. Ausgehend von Anpassungen des § 51 Abs. 2 und 3 GKG sah er nun keinen Platz mehr für eine generelle und von Amts wegen zu prüfende Streitwertminderung im UWG. 63 Die neue Regelung, 64 die mittlerweile durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in § 12 Abs. 3 UWG aufgerückt ist, soll nach dem ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers nunmehr eine Härtefallregelung darstellen. 65 Sie sieht die Möglichkeit vor, von einer bedürftigen Partei, nach entsprechender Antragsstellung, nur noch Kosten entsprechend eines verringerten Streitwerts zu erheben. Der Streitwert an sich wird dabei nicht
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BT-Drucks. 10/4741, S. 19. BT-Drucks. 10/4741, S. 19. 59 BGH NJW 2013, 875, Rn. 21 m. w. N. auch zur obergerichtlichen Rechtsprechung; BGH NJW-RR 2007, 497; BGH NJW-RR 2003, 1694; OLG Koblenz, MMR 2010, 815. 60 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 843. 61 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 843. 62 MüKoUWG/Schlingloff UWG § 12 Rn. 329, die klagenden Verbände gaben in ihrer Klageschrift meist ohnehin niedrige Streitwerte an um das Prozessrisiko zu minimieren. 63 BT-Drucks. 17/13057, S. 24. 64 Auch diese Regelung ist eigentlich nicht neu. Sie war bereits von 1965 bis 2004 beinahe wortgleich in den §§ 23a bzw. später 23b UWG zu finden. Auch das PatG (§ 144) und das MarkenG (§ 142) enthalten entsprechende Regelungen. 65 BT-Drucks. 17/13057, S. 24. 58
34 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland gemindert, es handelt sich lediglich um eine Kostentragungsregelung. 66 Obgleich sich diese Regelung schon immer mit Kritik bezüglich der Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf Art. 3, 14 GG konfrontiert sah, 67 ist sie im Grundsatz zu begrüßen. Sie ermöglicht es den Verbänden, ihren Prozessbevollmächtigten bei Verfahren mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit eine angemessene Vergütung in Aussicht zu stellen, und schützt die Verbände gleichzeitig, sollten sie Verfahren anstreben, bei denen sie sich ein Unterliegen eigentlich nicht leisten können. Leider hinkt die Rechtspraxis der neuen Gesetzgebung in dieser Hinsicht stark hinterher. So wird zum einen von der Möglichkeit der verminderten Kostentragung nach § 12 Abs. 3 UWG nur recht selten Gebrauch gemacht, 68 zum anderen wirkt sich der § 12 Abs. 4 UWG a.F., obgleich er in dieser Form bereits seit über zehn Jahren nicht mehr existiert, weiterhin auf die Bemessung des Streitwertes aus. So konnte die Rechtsprechung beispielsweise bei Verfahren nach § 1 UKlaG bis heute nicht dazu bewegt werden, von der Regelbemessung von 2.500 € pro angegriffene Teilklausel abzuweichen. 69 So drastisch wie Bluhm, der von einer Unvereinbarkeit der Praxis nach Gesetzesänderung mit Art. 20 Abs. 3 GG spricht, 70 muss man die Lage zwar nicht sehen, es bleibt aber dennoch zu hoffen, dass hier zeitnah eine Anpassung der Rechtsprechung an den veränderten gesetzlichen Rahmen stattfindet. Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Bei Einführung der Musterfeststellungsklage war eine dem heutigen § 12 Abs. 3 UWG entsprechende Härtefallregelung ebenfalls im Gespräch, der Gesetzgeber verwarf diesen Ansatz jedoch und weitete stattdessen die in § 48 Abs. 1 S. 2 GKG bis dato lediglich für Verfahren nach dem UKlaG geltende Streitwertobergrenze von 250.000 € auf die Musterfeststellungsklage aus. 71 Mit dieser Ausweitung gelang dem Gesetzgeber das bemerkenswerte Kunststück, eine Norm von der Bedeutungslosigkeit zu einer Behinderung zu befördern. Verfahren nach § 1 UKlaG, in denen regelmäßig, wie oben angesprochen, ein Streitwert von 2.500 € pro Teilklausel festgelegt wird, um66 Auch einseitige Streitwertbegünstigung genannt, Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler/Feddersen UWG § 12 Rn. 4.17. 67 Siehe zum Überblick MüKoUWG/Schlingloff UWG § 12 Rn. 332 ff. und zur tiefergehenden Auseinandersetzung Gruber, GRUR 2018, 585. Siehe zudem BVerfG NJW-RR 1991, 1134 zur Vorgängerreglung in § 23b UWG a.F. 68 BeckOKUWG/Tavanti/Scholz § 12 Rn. 557. 69 BGH BeckRS 2017, 103961 Rn. 4 ff.; BGH BeckRS 2015, 14782 Rn. 3 ff. der die Problematik zwar aufwirft, im Ergebnis aber pro Klausel 2.500 € für angemessen hält; ebenso OLG Nürnberg BeckRS 2018, 2430 Rn. 54 ff. 70 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 846. 71 Der Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage sah noch eine § 12 Abs. 3 UWG entsprechende Härtefallregelung vor, https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsver fahren/Dokumente/DiskE_Musterfeststellungsklage.pdf?__blob=publicationFile&v=3 S. 6 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Hierzu auch Nordholtz/Mekat/Schmaltz § 10 Rn. 9.
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fassen so gut wie nie einen so hohen Gesamtstreitwert, dass die Obergrenze von Relevanz wäre. 72 Musterfeststellungsklagen dagegen sind meist wirtschaftlich so bedeutend, umfangreich und komplex, dass die Streitwertbegrenzung, vergleichbar mit § 12 Abs. 4 UWG a.F., zu einer erheblich unterdimensionierten Rechtsanwaltsvergütung führt, 73 mit den oben angesprochenen Auswirkungen. bb) Unzureichende Kostenerstattung Zur Verschärfung der ohnehin bereits angespannten finanziellen Lage vieler Verbände trägt neben den problematischen Streitwert- und Kostentragungsregelungen auch eine unzureichende Kostenerstattung bei. Sowohl Verbraucher- als auch Wirtschaftsverbände werden zum einen hinsichtlich ihres Aufwendungsersatzanspruches bei einer erfolgreichen Abmahnung und zum anderen hinsichtlich den ihnen entstehenden Reisekosten für Prozessvertreter bei gerichtlichen Auseinandersetzungen systematisch schlechter gestellt als klagende Mitbewerber. Das Gesetz sieht, obgleich es dies nicht explizit vorschreibt, sowohl bei Verfahren nach dem UWG als auch nach dem UKlaG vor, dass der Verletzer vor Klageerhebung abgemahnt wird. 74 Ist die Abmahnung berechtigt, so kann der Abmahnende vom Abgemahnten gem. § 13 Abs. 3 UWG Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen verlangen. 75 Bevor diese konkrete Anspruchsgrundlage 2004 in das novellierte UWG eingeführt wurde, stützte sich der Anspruch auf Aufwendungsersatz auf GoA (§§ 683 S. 1, 677, 670 BGB). Der Wortlaut des § 13 Abs. 3 UWG unterscheidet nicht danach, ob der Anspruch von einem Wirtschafts- oder Wettbewerbsverband, einer qualifizierten Einrichtung, einer Kammer oder einem nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG klagebefugten Mitbewerber geltend gemacht wird. In der gerichtlichen Praxis wirkt sich diese Unterscheidung aber erheblich auf die Höhe des Aufwendungsersatzes aus. Im Gegensatz zu Mitbewerbern, bezüglich derer sowohl seitens der Literatur 76 als auch der Rechtsprechung 77 anerkannt ist, dass sie, soweit sie einen 72
MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 5 Rn. 43. Nordholtz/Mekat/Schmaltz § 10 Rn. 11; Halfmeier, ZRP 2017, 201, 204; weniger kritisch dagegen Röthemeyer, MFK, § 48 GKG Rn. 2. 74 Ausführlich zur Abmahnung im Rahmen des § 8 UWG Teil 2 – A.I.2.b)aa). 75 Ausführlich hierzu Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 94 ff. 76 Mit Verweis auf die klare Rechtslage MüKoUWG/Ottofülling UWG § 13 Rn. 283; Fezer/Büscher/Obergfell/Büscher UWG § 12 Rn. 68; Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 116; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Brüning UWG § 13 Rn. 88; Ohly/Sosnitza/Sosnitza UWG § 12 Rn. 19 ff. 77 In ständiger Rechtsprechung BGH GRUR 2008, 928; BGH GRUR 2010, 1120, 1122 Rn. 26 m. jeweils w. N.; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2006, 978; OLG Stuttgart WRP 2007, 688. 73
36 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland externen Anwalt mit der Abmahnung beauftragen, die Kosten des Anwaltes vom Abgemahnten ersetzt bekommen, wird den klagebefugten Verbänden ein solches Recht nicht eingeräumt. Ausgangspunkt dieser Ungleichbehandlung war die Anwaltsabmahnung I-Entscheidung 78 des BGH aus dem Jahre 1984, 79 in der der Gerichtshof hinsichtlich der Abmahnung eines Fachverbandes feststellte, dass dieser sich zur Erfüllung seines Verbandszwecks selbst mit den notwendigen Mitteln versehen müsse, um durchschnittlich schwere und zu verfolgende Wettbewerbsverstöße eigenständig erkennen und abmahnen zu können. 80 Seine Entscheidung begründete der Gerichtshof in Anknüpfung an § 670 BGB. Er ging, leicht vereinfacht dargestellt, davon aus, dass der Verband die Aufwendungen für einen externen Anwalt nicht für erforderlich halten durfte, da die Beanspruchung von Dritten über die eigenen personellen Mittel hinaus im Eigeninteresse des Verbandes zur Erfüllung seines Verbandszweckes sei. 81 Der BGH, und in der Folge auch die unteren Instanzen, halten an dieser fragwürdigen Rechtsprechung bis heute fest. Der Gerichtshof bezog sich zuletzt in seiner Entscheidung Anwaltsabmahnung II 82 hierauf. Weder die zwischenzeitlich erfolgte Einführung des speziellen Aufwendungsersatzanspruches in das UWG noch ein von dieser Linie abweichendes Urteil des OLG Frankfurt, in dem schlüssig dargelegt wurde, dass es sich für einen Verband, der nur eine geringe Anzahl an Abmahnungen jährlich tätigt, ja wohl nicht rechnen könne, entsprechendes Personal für diese Aufgabe zu beschäftigen und selbiges eben deshalb nicht von dem Verband verlangt werden könne, 83 führten zu einer geänderten Rechtsauffassung. Ausnahmen werden nur dann gemacht, wenn nach den Umständen des Einzelfalls solche tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten vorliegen, dass nicht einmal von einem „Idealverband“ mit hinreichender personeller und finanzieller Ausstattung erwartet werden könnte, eine korrekte rechtliche Würdigung vorzunehmen. 84 Da es den Verbänden nur sehr selten gelingt, das Gericht vom Vorliegen einer solchen Ausnahmekonstellation zu überzeugen, müssen sie sich, unabhängig davon, ob sie einen externen Anwalt zur Hilfe genommen haben oder nicht, in der Regel mit einer Kostenpauschale für ihre Sach- und Personalkosten zufriedengeben. Für die Wettbewerbszentrale beträgt diese der78
BGH GRUR 1984, 691. Mangels entsprechender Norm damals noch zu den Ansprüchen aus GoA. 80 BGH GRUR 1984, 691, 692. 81 Diese Überlegungen sind wohl eher bei der Frage der Fremdheit des Geschäfts zu verorten, jedoch ist vom BGH ja insbesondere in Fragen der GoA bereits bekannt, dass er die Dogmatik häufig auf dem Weg zu einer lösungsorientierten Rechtsprechung auf der Strecke lässt. 82 BGH GRUR 2017, 926. 83 OLG Frankfurt GRUR 2016, 625, Rn. 28 ff. 84 MüKoUWG/Ottofülling UWG § 13 Rn. 293. 79
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zeit 280 €. 85 Zum Vergleich: Ein Mitbewerber kann durchschnittlich Abmahngebühren in Höhe von 1060 € in Rechnung stellen 86 und das auch dann, wenn er eine eigene Rechtsabteilung betreibt. 87 In Einzelfällen sogar dann, wenn die dort tätigen Unternehmensjuristen wettbewerbsrechtlich ausgebildet sind. 88 Zur rechtlichen Begründung dieser Ungleichbehandlung führte der BGH bereits 1985 aus, dass ein Verband 89 nur dann prozessführungsbefugt (!) sei, wenn er sachlich und personell ausreichend ausgestattet sei, um „typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße selbst [zu] erkennen und ab[zu]mahnen“ 90 Dass zum damaligen Zeitpunkt weder das AGBG noch das UWG eine solche Ausstattung gesetzlich verlangte, störte den Gerichtshof dabei nicht. 91 Eine dahingehende Modifikation wurde erst im Jahr 1994 in das UWG, und im Jahr 1999 in das AGBG eingeführt. Hier wurde nun, zumindest für die Wettbewerbsverbände, festgeschrieben, diese müssten „nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande [sein], ihre satzungsgemäßen Aufgaben […] tatsächlich wahrzunehmen“. 92 Für die Verbraucherverbände könnte sich ein entsprechender Anknüpfungspunkt frühestens seit der Festlegung der Eintragungsvoraussetzungen in § 4 UKlaG ergeben. In der Fassung von 2007 hieß es hier, die Verbände müssten „Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung bieten“. 93 Nunmehr verlangen § 4 Abs. 2 Nr. 3 UKlaG und § 8b Abs. 2 Nr. 3 UWG von den Verbänden, wie oben angesprochen, zwar eine gewisse personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung um die dauerhafte Erfüllung der Verbandsaufgaben zu sichern, die Normen sehen es jedoch nicht vor, dem Verband die interne Verteilung seiner Mittel vorzuschreiben oder gar die Möglichkeiten der Gegenfinanzierung gewisser Teilaufgaben auszuschließen. Der Verband kann eigenständig darüber entscheiden, ob er beispielsweise für seine Beratungstätigkeit ein Entgelt verlangt oder eben seine Abmahnungen extern und unter Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs vornehmen lässt. Soweit die Rechtsprechung so invasiv in die Geschäftsführungsbefugnisse eingetragener Vereine eingreift, drängt sich mit 85
Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 132. Hohlweck, WRP 2020, 266. 87 BGH GRUR 2008, 928; BGH GRUR 2010, 1120. 88 OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2006, 978. 89 Hier ging es um einen Wettbewerbsverband. 90 BGH GRUR 1986, 320, 321. 91 Auf eine ausführliche Darstellung der Normen und ihrer Entwicklung muss hier leider verzichtet werden, es sei aber auch hierzu auf den bereits vielfach erwähnten Beitrag von Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 823 ff., verwiesen. 92 § 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG in der Fassung vom 01. 01. 1994; § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBGB in der Fassung vom 01. 01. 2000. 93 § 4 Abs. 2 S. 1 a.E. UKlaG a.F. 86
38 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Blick auf Art. 9 GG die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auf. Doch nicht nur inhaltlich, auch dogmatisch ist die Rechtsprechung als fragwürdig einzustufen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den als Anknüpfungspunkt herangezogenen § 4 Abs. 2 Nr. 3 UKlaG und § 8b Abs. 2 Nr. 3 UWG um Normen der Klagebefugnis. Eine Kürzung des Erstattungsanspruches kann auf sie damit höchstens indirekt, in Form einer argumentativen Heranziehung des Normgehalts, gestützt werden. Insoweit müssten dann aber auch Einrichtungen, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert und dementsprechend gem. § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG privilegiert sind, anders behandelt werden, was die Rechtsprechung aktuell nicht tut. Eine mit der Rückerstattung der Abmahnkosten vergleichbare ungerechtfertigte Differenzierung wird auch bei Reisekosten gemacht, die dem Prozessvertreter eines klagenden Verbandes entstehen, wenn dieser zur Verhandlung anreist. Hierzu regelt § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO grundsätzlich, dass die unterlegene Partei die Kosten zu erstatten hat, die „zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren“. Dementsprechend sind die Kosten, die einem Rechtsanwalt, der am Ort des Prozessgerichts weder wohnt, noch den Sitz seiner Kanzlei dort hat, durch die Reise zum Gericht entstehen, grundsätzlich erstattungsfähig, wenn die Beauftragung dieses Rechtsanwalts eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Entscheidung darstellt. 94 Gerade in komplexeren, wettbewerbsrechtlichen Verfahren, in denen es oft spezialisierter Anwälte bedarf, werden die Reisekosten daher in der Regel als erstattungsfähig eingestuft. Beauftragen größere Unternehmen einen Anwalt am Sitz der Rechtsabteilung, um einen Prozess vor einem Gericht am Ort einer Zweigniederlassung zu führen, so werden sogar diese Reisekosten als erstattungsfähig angesehen. 95 Soweit jedoch ein Verband und nicht ein Mitbewerber eine Klage erhebt, stuft die obergerichtliche Rechtsprechung, gestützt auf zwei Grundsatzentscheidungen des BGH aus den Jahren 2003 und 2005, eine zu einem Wettbewerbs- 96 und eine zu einem Verbraucherverband 97, die Reisekosten des Rechtsanwaltes als nicht erstattungsfähig ein. Einem klagenden Verband wird es zugemutet, sich einen Prozessbevollmächtigten am Ort des Prozessgerichts zu suchen und diesen telefonisch und schriftlich zu instruieren. 98 Dieser ständigen Rechtsprechung trat das OLG Düsseldorf im Jahr 2006 entgegen. Hinsichtlich eines Verbandes, dessen Tätigkeitsschwerpunkt in 94
BGH NJW 2018, 1693; Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO § 91 Rn. 18. BGH NJW-RR 2004, 1724; BGH NJW-RR 2007, 1561. 96 BGH NJW-RR 2004, 856. 97 BGH NJW 2006, 301. 98 Einen Überblick über die Rechtsprechung findet sich bei Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre -der Bildung S. 801, 840. 95
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der Verbraucherberatung lag, konstatierte es ein Bedürfnis, mit der Durchführung der Verbandsklage einen am Sitz des Verbandes ansässigen Anwalt zu mandatieren, und sah dessen Reisekosten in der Folge als erstattungsfähig an. 99 Das Gericht zeigte dabei klar auf, dass es für eine im Vergleich zu einer Klage von einem Mitbewerber unterschiedliche Behandlung keinen Raum sehe. 100 Leider blieb diese Ansicht ein Unikum in der Rechtsprechung. Der BGH sah sich weder im Jahr 2008 101 noch im Jahr 2012 102 dazu veranlasst, von seiner Linie abzuweichen. Auch die Kritik der Literatur an dieser Ungleichbehandlung ist bislang sehr verhalten. 103 Für die Verbände kann die fehlende Erstattung der Reisekosten jedoch zu einem ernsthaften Problem werden. Aufgrund der „2.500 € pro Teilklausel“-Rechtsprechung in Verfahren nach § 1 UKlaG und der Streitwertobergrenze nach § 48 Abs. 1 S. 2 GKG haben diese, wie oben angesprochen, ohnehin schon Schwierigkeiten, Prozessbevollmächtigte für ihre Verfahren zu finden. 104 Die zusätzliche Einschränkung, vorwiegend auf am Prozessort ansässige Rechtsanwälte zurückzugreifen, erschwert die Suche zusätzlich enorm. Den Verbänden bleibt insoweit wohl in der Regel nichts anderes übrig, als die Reisekosten, durchschnittlich 500 € pro Prozesstag,105 aus eigener Tasche zu bezahlen. Angesichts der Tatsache, dass Klagen nach UKlaG und UWG aufgrund der besonderen Zuständigkeitsanordnungen in § 6 UKlaG und § 14 UWG beinahe ausschließlich am Sitz des Beklagten erhoben werden, trifft die Verbände hier eine nicht unerhebliche Mehrbelastung. cc) Folgen und Ursachen der Unterfinanzierung Die mangelnde Grundfinanzierung, die unzureichende Kostenerstattung sowie die geltenden Streitwert- und Kostentragungsregelungen und die auf sie zurückzuführenden Probleme, Prozessbevollmächtigte für Verfahren zu finden, schränken die Klageaktivität der Verbände und damit auch die Streuschadensbekämpfung stark ein. Die Verbände können Rechtsverletzungen nicht in der eigentlich nötigen Breite bekämpfen und müssen ihre Ressour99
OLG Düsseldorf – Beschluss vom 11. 12. 2006 – I -20 W 86/06 – Juris, Orientierungs-
satz. 100
OLG Düsseldorf – Beschluss vom 11. 12. 2006 – I -20 W 86/06 – Juris, Rn. 9. BGH NJW- RR 2009, 556. 102 BGH NJW-RR 2013, 242. 103 Kritisch Stillner, VuR 2009, 81; Eckhard, VuR 2009, 115; unkritisch die Kommentarliteratur: Musielak/Voit/Flockenhaus ZPO § 91 Rn. 18; MüKoZPO/Schulz ZPO § 91 Rn. 74; Saenger/Gierl ZPO § 91 Rn. 50; BeckOKZPO/Jaspersen § 91 Rn. 171.1; Zöller/Herget ZPO § 91 Rn. 13.79. 104 Siehe Teil 2 – A.I.1.c)aa). 105 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre – der Bildung S. 801, 835. 101
40 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland cen auf klare und offensichtliche Rechtsverstöße, oder aber solche mit erheblichen Auswirkungen auf die Verbraucher bzw. die Wettbewerber beschränken. 106 Weniger offensichtliche Verstöße oder solche mit nicht ganz so erheblichen Auswirkungen bleiben so ungesühnt. 107 Ein im Jahr 2009 im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass hohe Kostenrisiken und der mangelnde Ausgleich derselben ein Hauptfaktor für die unzureichende Durchsetzung des materiellen Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht durch Verbände in Deutschland darstellen. 108 Die Problematik ist dabei keineswegs neu. So wurde schon 1987, also zehn Jahre nach Inkrafttreten des AGB-Gesetzes, von Löwe, der maßgeblich an der Entstehung des Gesetzes beteiligt war, gefordert, die Verbraucherverbände und -zentralen wesentlich stärker von staatlicher Seite finanziell zu unterstützen. 109 Doch auch heute, über 30 Jahre nachdem diese Forderung ausgesprochen wurde, zeichnet sich in dieser Hinsicht keine Verbesserung ab, im Gegenteil. Die Klageaktivität der Verbände wurde in den letzten Jahren durch Rechtsprechung und Gesetzgebung weiter gedämpft. 2018 verbot der BGH einem Verband im Rahmen der Geltendmachung eines Abschöpfungsanspruches mit mehr als zweifelhafter Begründung die Hinzuziehung eines externen Prozessfinanziers. 110 Das 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs brachte neben einer Verschärfung der Registrierungsvoraussetzungen für die klagebefugten Verbände neue Pflichtinhalte für Abmahnungen und einen Anspruch des unberechtigt Abgemahnten gegen den Abmahnenden auf Kostenerstattung mit sich. 111 Woran aber liegt es, dass den Verbänden immer wieder so viele sprichwörtliche Steine in den Weg gelegt werden? Die Antwort auf diese Frage findet man in einer Urangst der Akteure am Markt, die mittlerweile, als Ergebnis hervorragender Lobbyarbeit, längst auf den Gesetzgeber und die Gerichte übergegriffen hat, die Angst vor sog. Abmahnvereinen. Unter diesem Begriff werden weithin solche Verbände verstanden, die alleine aus Gewinnerzielungsabsicht und nicht etwa zur Verfolgung eines übergeordneten Ziels kostenpflichtige wettbewerbsrechtliche Abmahnungen verschicken. 112 Abmahnvereine als „Feindbild“ finden sich in Literatur und Gesetzgebungs106
MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG Vor. § 1 Rn. 33. Ulmer/Brandner/Hensen/Witt UKlaG Vor. § 1 Rn. 8. 108 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 170. 109 Heinrichs/Löwe/Ulmer/Löwe, S. 115. 110 Ausführlich hierzu Teil 2 – A.I.3.a)cc). 111 Siehe hierzu § 13 Abs. 2 und 5 UWG; Buchmann, BB 2020, Heft 45, Umschlag I bezeichnete das Gesetz unter anderem deshalb auch als „Türöffner für unlauteren Wettbewerb“. 112 BT-Drucks. 19/12084, S. 1. 107
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unterlagen bereits seit Ende der 60er Jahre. 113 Die Maßnahmen gegen diese Art von Verbänden wurzeln dabei in zwei Grundannahmen, von denen die erste wohl schlicht falsch und die zweite zumindest hinterfragenswert ist. Es wird zum einen davon ausgegangen, dass, wenn keine aktiven Schritte gegen Abmahnvereine unternommen werden, der Markt mit missbräuchlichen Abmahnungen regelrecht überflutet wird, zum anderen, dass Vereine, die Abmahnungen lediglich zur Gewinnerzielung betreiben, per se etwas Negatives und zu Bekämpfendes sind. Es gibt keine konkreten Angaben darüber, wie viele sog. Abmahnvereine zurzeit tatsächlich in Deutschland aktiv sind. Schätzungen gehen aber von einem sehr kleinen Kreis an „schwarzen Schafen“ aus. 114 Abmahnvereine sind nach allgemeiner Auffassung beinahe ausschließlich im Kreise der Wirtschaftsverbände, nicht in der Gruppe der Verbrauchervereine anzutreffen. Dementsprechend verwunderlich ist es, dass die oben genannten Maßnahmen zum Schutz vor missbräuchlichen Abmahnungen beide klagebefugten Gruppen gleichermaßen treffen, und nicht einmal hinsichtlich der nach § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG privilegierten, öffentlich geförderten Verbraucherzentralen und -verbände eine Unterscheidung vorgenommen wird. 115 In Bezug auf den Anteil „missbräuchlicher“ Abmahnungen an der Gesamtheit der betriebenen Abmahnungen nannte der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs erstmals konkrete Zahlen. Er ging, leider ohne Nennung der konkreten Quelle, davon aus, dass von insgesamt 324.338 im Jahre 2017 ausgesprochenen Abmahnungen die Hälfte auf Normen des Wettbewerbsrechts gestützt wurden und davon 10 %, also 16.217 „missbräuchlich“ gewesen seien. 116 Obgleich die Missbrauchsquote unter allen Abmahnungen mit 5 % bereits nach dieser Berechnung sehr gering erscheint, wird in der Literatur angenommen, dass die tatsächlichen Zahlen noch deutlich darunter liegen. In einer eigenen Berechnung anhand von Fällen des OLG Köln kommt Hohlweck beispielsweise nur auf einen Anteil von 1 % missbräuchlicher Abmahnungen. 117 Auch die GRUR erhebt in einer Stellungnahme im Jahr 2019 begründete Zweifel am Vorliegen eines problematischen Rechtsmissbrauchs durch Abmahnungen. 118 Losgelöst von der konkreten Anzahl der gegenwärtig in Deutschland als missbräuchlich empfunden Abmahnungen sollte man sich jedoch grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen, ob Abmahnungen alleine zum Zwecke der Gewinnerzielung überhaupt ein Phänomen darstellen, das es zu be113 Vgl. hierzu Hefermehl, GRUR 1969, 653, 654; ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung auch Hohlweck, WRP 2020, 266, 267. 114 Buchmann, BB 2020, Heft 45, Umschlag I. 115 Max, VuR 2021, 129, 135 f. 116 BT-Drucks. 19/12084, S. 24. 117 Hohlweck, WRP 2020, 266, 267. 118 Würtenberger/Freischem, GRUR 2019, 59, 62.
42 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland kämpfen gilt. An dieser Stelle sei noch einmal konkretisiert, dass mit dem Terminus der „missbräuchlichen Abmahnung“ keineswegs ungerechtfertigte Abmahnungen, also solche ohne tatsächlich vorliegenden materiellen Rechtsverstoß, bezeichnet werden. Wird ein Unternehmen ohne hinreichende rechtliche Grundlage abgemahnt, so hat es einen Anspruch gegen den Abmahnenden auf Erstattung der durch die Rechtswahrung entstandenen Kosten. 119 Wird von „missbräuchlichen Abmahnungen“ gesprochen, so ist damit also in der Regel die materiell-rechtlich berechtigte Verfolgung von begangenen Wettbewerbsverstößen gemeint. 120 Alleine die Tatsache, dass ein bestehender Anspruch nicht aus den hehren Zielen des Verbraucheroder Wettbewerbsschutzes, sondern zu Zwecken der Gewinnerzielung verfolgt werden, macht diese Tätigkeiten jedoch noch lange nicht „missbräuchlich“. Abmahnvereine sind im Grundsatz nichts anderes als die logische Konsequenz von Verbandsklagebefugnissen. Legt man die Durchsetzung und Wahrung bestimmter rechtlicher Interessen zu Steuerungszwecken in die Hand Privater, so geht mit dieser Privatisierung auch, zumindest ein Stück weit, eine Kommerzialisierung einher. Daran ist im Grundsatz nichts auszusetzen. Insgesamt gilt es sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass nur ein Verband, der sich „alleine auf Gottes Lohn beschränkt“, 121 ein unverdächtiger ist. 2. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche Im Zentrum des deutschen Verbandsklagrechts stehen, wie bereits eingangs erwähnt, negatorische Ansprüche. Die allermeisten Verbände beschränken ihre Aktivitäten ausschließlich auf diese Anspruchsgruppe, 122 wobei § 8 UWG mit Abstand am häufigsten als Anspruchsgrundlage herangezogen wird. Dieser enthält, genau wie § 33 GWB und § 2 UKlaG, streng genommen drei verschiedene Arten von Ansprüchen: Den vorbeugenden Unterlassungsanspruch, den Verletzungsunterlassungsanspruch und den Beseitigungsanspruch. Der Grund, warum die Geltendmachung dieser Ansprüche alleine nicht ausreichend ist, um Streuschäden effektiv zu bekämpfen, liegt, wie oben angesprochen, in ihrer begrenzten Wirkung. So ergibt sich aus den Unterlassungsansprüchen für den Verletzer lediglich die zukunftsgerichtete Pflicht, das angegriffene Verhalten abzustellen. Mittels des Beseitigungs119
§ 13 Abs. 5 UWG. Halfmeier, Möglichkeiten und Grenzen kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 28, der hier zwischen missbräuchlichen und lediglich als missbräuchlich empfundenen Abmahnungen unterscheidet. 121 Bluhm, Zur kostenerstattungs- und streitwertrechtlichen Diskriminierung der Verbraucherzentralen, Der Forschung – der Lehre – der Bildung S. 801, 814. 122 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 61. 120
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anspruches kann er zwar auch zu aktiven, den gegenwärtigen Störungszustand beendenden Handlungen verpflichtet werden, eine Wirkung in die Vergangenheit, wie beispielsweise die Verpflichtung zur Rückzahlung unrechtmäßig eingezogener Beträge, vermag aber auch dieser in der Regel nicht zu entfalten. 123 Trotz dieses Mankos trägt eine rege Geltendmachung von negatorischen Ansprüchen unzweifelhaft dazu bei, die Zahl der Streuschadensereignisse zu senken, weswegen ihnen in der folgenden Darstellung auch der entsprechende Raum eingeräumt wird. a) Ansprüche nach dem UKlaG aa) Allgemeines Das Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagegesetz – UKlaG) trat in seiner ursprünglichen Form am 01. 01. 2002 in Kraft. Zu Beginn enthielt es lediglich die vormals in §§ 13 ff. AGBG enthaltenen Verfahrensvorschriften, die, nachdem im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung die materiell rechtlichen Vorschriften des AGBG in das BGB (§§ 305 ff.) aufgenommen wurden, einen neuen Platz brauchten. Im Laufe der Zeit wurde das Gesetz jedoch, systematisch teils fragwürdig, um weitere Vorschriften erweitert, meist zum Zwecke der Umsetzung diverser europäischer Richtlinien. 124 Nunmehr enthält das UKlaG neben einer Unterlassungsklage bei Verwendung oder Empfehlung unwirksamer AGB (§ 1 UKlaG) und einem Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch bei verbraucherrechtswidrigen Praktiken (§ 2 UKlaG) auch einen Unterlassungsanspruch wegen Beschränkung der Haftung im Zahlungsverkehr (§ 1a UKlaG) und einen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch (§ 2a UKlaG). Die letzten beiden spielen allerdings weder in der Praxis 125 noch für die Streuschadensbekämpfung eine Rolle und werden daher im Folgenden auch nicht behandelt. Trotz aller Änderungen und Erweiterungen prägt die AGB-Kontrolle weiterhin den Charakter des UKlaG maßgeblich, 126 weswegen sie auch im Zentrum der vorliegenden Betrachtung steht. bb) § 1 UKlaG Wie das eingangs dargelegte Beispiel anschaulich illustriert, spielen rechtswidrige und daher unwirksame AGB bei der Entstehung von Streuschäden eine wichtige Rolle. Sie bringen sämtliche Voraussetzungen mit sich, die für 123
Hierzu ausführlich Teil 2 – A.I.2.b)cc). Ausführlich Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG Vorb. Rn. 2 f. 125 So ergab eine Juris-Recherche zu den beiden Normen keine Treffer in Urteilen von 2003 bis heute. Zu dem gleichen Ergebnis kommen auch MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 2a Rn. 2 zu § 2a UKlaG; Graf v. Westphalen, BB 2014, 1 zu § 1a UKlaG. 126 MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG Vor. § 1 Rn. 12. 124
44 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Streuschadensereignisse mit geringer individueller Rechtsdurchsetzungsquote erforderlich sind. So sind von ihnen regelmäßig eine Vielzahl von Verbrauchern gleichförmig betroffen. Informatorische Defizite entstehen zum einen durch oft sehr umfangreiche vertragsbegleitende AGB, die sich der Verbraucher nur selten vollständig vergegenwärtigt, und zum anderen aus der Unkenntnis des durchschnittlichen Verbrauchers um die Zulässigkeit der einzelnen Klauseln. Der jeweilige Schaden des Einzelnen wird zudem regelmäßig unter der oben genannten Wertgrenze liegen, da es den Verwendern der AGB, soweit sie vorsätzlich handeln, ja gerade darum geht, dass die Mehrkosten so lange wie möglich unentdeckt bleiben. Der Verbraucher wird zudem in nahezu jedem Lebensbereich mit AGB konfrontiert. 127 Die Erscheinungsformen für derartige Klauseln sind mannigfaltig. 128 Häufig handelt es sich um besondere bzw. erhöhte Gebühren in Verbindung mit Bankkarten, etwa für Kreditkartenzahlungen bei Flugbuchungen, 129 Bearbeitungsgebühren für Rücklastschriften, 130 Kontopfändungen 131 oder Einzahlungen. 132 Aber auch viele andere Bereiche des Geschäftslebens sind von solchen AGB betroffen. 133 Eine individuelle Verfolgung dieser Rechtsverstöße durch die Verbraucher findet kaum statt. Dies ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sich Schädigungen durch unwirksame AGB meist unbemerkt vollziehen, sondern liegt auch an den beschränkten prozessualen Möglichkeiten, die Verbrauchern, sollten sie die Schädigung bemerken und ihre rationale Passivität überwinden, zur Verfügung stehen. So kann die Wirksamkeit einer Klausel auf dem Individualklageweg lediglich als Vorfrage geklärt und nicht zum Gegenstand eines eigenen gerichtlichen Verfahrens gemacht werden. 134 Und auch wenn auf diese Weise eine Unwirksamkeit gerichtlich festgestellt wird, wirkt diese Entscheidung selbstverständlich nur inter partes. Der Verwender ist somit nicht gehindert, dieselben Klauseln gegenüber Dritten weiter zu benutzen. 135 Die Verfolgung unwirksamer AGB in die Hände der Verbände zu legen, erscheint auf dieser Grundlage als eine sinnvolle Vorgehensweise. Alle drei oben aufgeführten Gruppen von Verbänden können dies gestützt auf §§ 1, 3 127 Mit ausführlichen Beispielen Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 23 (Fn. 12). 128 Angelehnt an die Beispiele von Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken, S. 481, 484 f. 129 BGH NJW 2010, 2719. 130 BGH NJW 2002, 1950; BGH NJW 2009, 3570. 131 BGH NJW 2000, 651. 132 BGH NJW 1994, 318. 133 Neben dem Bankensektor werden hauptsächlich die Mobilfunk- und die Reisebranche genannt, Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken, S. 481, 484. 134 SoergelBGBFritzsche UKlaG Vor. § 1 Rn. 2. 135 SoergelBGB/Fritzsche UKlaG Vor. § 1 Rn. 2.
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UKlaG tun, wobei AGB, die ausschließlich gegenüber Unternehmen oder öffentlichen Stellen verwendet werden, nicht von den qualifizierten Einrichtungen gerichtlich überprüft werden können. 136 Der Anspruch nach § 1 UKlaG weist jedoch ein zentrales Problem hinsichtlich seiner Reichweite auf. So kann ein Verband auf ihn gestützt lediglich Unterlassung, nicht aber Beseitigung verlangen. Umfasst sind davon zwar nach herrschender Meinung auch komplementäre Handlungen, die diese Unterlassungsverpflichtung umsetzen, 137 weitergehende Verpflichtungen, wie beispielsweise die des Verwenders gegenüber seinen Vertragspartnern eine Richtigstellung vorzunehmen, können über § 1 UKlaG jedoch nicht erreicht werden. 138 Die hierdurch entstandene Durchsetzungslücke wurde im Jahr 2012 durch den BGH geschlossen, als dieser die Verwendung missbräuchlicher AGBKlauseln als lauterkeitsrechtlichen Verstoß einstufte. 139 Seitdem können, da die Ansprüche aus UKlaG zu denen aus UWG in Idealkonkurrenz stehen, unwirksame Klauseln nicht nur über § 1 UKlaG, sondern auch über § 8 UWG verfolgt werden, der neben dem Unterlassungs- auch einen Beseitigungsanspruch vorsieht. 140 Diese unzweifelhaft positive Entwicklung wirkt sich jedoch auf die Klageaktivität unter § 1 UKlaG aus, da Verfahren nun vermehrt nach § 8 UWG betrieben werden. 141 Das trifft insbesondere für die (qualifizierten) Wirtschaftsverbände und die Kammern zu, 142 obgleich diese bereits vor 2012 im Rahmen des § 1 UKlaG durch eine bemerkenswerte Klageabstinenz auffielen. 143 Um der Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG zu einer größeren Breitenwirkung zu verhelfen, hält das UKlaG besondere Verfahrensvorschriften bereit. So sieht § 7 UKlaG für den Fall, dass der Klage stattgegeben wird, eine Veröffentlichungsbefugnis und § 11 UKlaG die Möglichkeit einer einseitigen Rechtskraftserstreckung vor. Leider entfalten beide Normen, obgleich sie dem Grundgedanken nach zu begrüßen sind, kaum praktische Relevanz. 144 136
§ 3 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG. MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 1 Rn. 38 mit Beispielen hierzu. 138 BGH GRUR 2018, 423 Rn. 15; zu Forderungen nach einer dahingehenden Erweiterung Klocke, VuR 2013, 203, 206; Micklitz/Reich, EWS 2012, 257, 262. 139 BGH NJW 2012, 3577; hierzu auch SoergelBGB/Fritzsche UKlaG Vor. § 1 Rn. 11; MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 1 Rn. 8. 140 BGH NJW 2013, 593 Rz. 17; BGH GRUR 2012, 188 Rz. 49; BGH GRUR 2018, 423, Rz. 46 m. w. N.; zu § 8 UWG siehe Teil 2 – A.I.2.b)cc). 141 Vgl. MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 1 Rn. 8. 142 MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG Vor. § 1 Rn. 38; SoergelBGB/Fritzsche UKlaG Vor. § 1 Rn. 8. 143 Wohl mit Ausnahme der Wettbewerbszentrale Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 62; Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 146. 144 Zu § 7 UKlaG NomosUKlaG/Walker UKlaG § 7 Rn. 2; MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 7 Rn. 1 bezeichnet die Norm als „praktisch wertlos“. Zu § 11 UKlaG MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 11 Rn. 2; Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 144; Stadler/Klöpfer, VuR 2012, 343. 137
46 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Auf Antrag des Klägers hin kann das Gericht diesem zwar nach § 7 UKlaG das Recht zusprechen, die Urteilsformel und den vollen Namen des unterlegenen Verwenders auf dessen Kosten im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, der Personenkreis, der von einer solchen Veröffentlichung profitieren würde, in aller Regel Verbraucher, gehört jedoch meist nicht zu den Lesern des Bundesanzeigers. 145 Eine darüber hinausgehende Veröffentlichung, beispielsweise in einer Tageszeitung, müsste der Kläger zum einen aus eigener Tasche finanzieren, zum anderen wäre hier der Abdruck der bloßen Urteilsformel wohl nur wenig aussagekräftig. 146 Die fehlende Bedeutung des § 7 UKlaG wirkt sich auch direkt auf die Tragweite des § 11 UKlaG aus. Die Norm ermöglicht es Vertragspartnern eines Verwenders von AGB, sich auf ein vorangegangenes, rechtskräftiges Unterlassungsurteil gegen diesen zu berufen mit der Wirkung, dass der Verwender die entsprechende Klausel nicht in den Vertrag einbringen und auch eine Vertragsabwicklung nicht mehr auf die entsprechende Klausel stützen darf. 147 Ist ein solches Urteil mangels praktischer Relevanz des § 7 UKlaG allerdings nie publik geworden, kann es weder als Anknüpfungspunkt einer Einrede des Verbrauchers dienen noch vom Gericht von Amts wegen berücksichtigt werden. 148 Abhilfe könnte hier die Einführung eines Klagregisters schaffen, das einerseits für die nötige Publizität sorgen und andererseits eine zusätzliche Abschreckungswirkung entfalten würde. 149 Als weiterer Kritikpunkt an § 11 UKlaG wird seitens der Literatur zudem dessen mangelnde Reichweite genannt. 150 So ermöglicht die Norm lediglich eine Rechtskraftserstreckung gegenüber dem Verwender, gegen den auch das Unterlassungsurteil ergangen ist. Vorschläge, die Rechtskraft darüber hinaus auch auf andere Verwender, die identische Klauseln benutzen, zu erstrecken, 151 sind jedoch kritisch zu hinterfragen. Eine solche Erweiterung 145 Stoffels, AGB-Recht, S. 542; NomosUKlaG/Walker UKlaG § 7 Rn. 2; MüKoZPO/ Micklitz/Rott UKlaG § 7 Rn. 1. 146 Stoffels, AGB-Recht, S. 542; besser gelungen dagegen die entsprechende Befugnis in § 12 Abs. 2 UWG. 147 BGH NJW 1981, 1511; BGHZ 127, 35, 37; Ulmer/Brandner/Hensen/Witt UKlaG § 11 Rn. 4; SoergelBGB/Fritzsche UKlaG § 11 Rn. 5; MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 11 Rn. 7. 148 Obgleich die Norm eigentlich als Einrede konzipiert ist, wird eine vorangegangene Unterlassungsentscheidung spätestens seit der Invitel-Entscheidung des EuGH richtlinienkonform wohl von Amts wegen zu berücksichtigen sein, EuGH, Urt. v. 26. 04. 2012 – C-472/10, ECLI:EU:C:2012:242 = GRUR 2012, 939. Dieser Ansicht folgend SoergelBGB/ Fritzsche UKlaG § 11 Rn. 6 ff.; MüKoZPOMicklitz/Rott UKlaG § 11 Rn. 10. 149 MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 11 Rn. 11 sehen in der Invitel-Entscheidung des EuGH sogar die Verpflichtung zur Einführung eines solchen Registers. 150 So bereits Schlosser, ZRP 1975, 148, 150. 151 Dies forderten neun Verbände im Rahmen einer Befragung zu dieser Norm, MellerHannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 92 f.
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würde zwar mit Sicherheit zu einer größeren praktischen Relevanz der Norm führen, brächte aber auch erhebliche Probleme mit sich. Mit dem Recht der anderen, am vorangegangenen Verfahren nicht beteiligten Verwender auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wäre eine solche Erstreckung nur vereinbar, wenn man ihnen entweder im Rahmen der vorangegangenen Unterlassungsklage die Möglichkeit einräumen würde dem Prozess beizutreten, oder aber ihnen in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO im Rahmen der Zwangsvollstreckung ein Vorgehen gegen die Bindungswirkung eröffnen würde. 152 Keine dieser Vorgehensweisen wäre ohne größere prozessrechtliche „Umbauten“ gangbar. 153 Abschließend stellt sich im Zusammenhang mit § 11 UKlaG noch die Frage, warum die Norm nur für Ansprüche nach § 1 UKlaG und nicht auch für solche nach § 2 UKlaG eine Rechtskraftserstreckung vorsieht. 154 Denkbar wäre es auch, den Anwendungsbereich der Norm über das UKlaG hinaus auf sämtliche Verbandsunterlassungsklagen zu erstrecken. Ein dahingehender Vorschlag wird im Rahmen des in Teil 4 dieser Arbeit vorgestellten Entwurfs zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie unterbreitet. 155 cc) § 2 UKlaG § 2 UKlaG gewährt bei Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherschutzgesetze einen Unterlassungs- und, im Gegensatz zu § 1 UKlaG, auch einen Beseitigungsanspruch. Vom Anwendungsbereich der Norm umfasst sind neben den im Beispielkatalog des § 2 Abs. 2 UKlaG aufgeführten Regelungen alle Vorschriften, 156 die (auch) dem Schutz von Verbrauchern dienen. 157 Trotz dieser eindeutigen Ausrichtung auf das Verbraucherschutzrecht sind zu Klagen nach § 2 UKlaG nicht nur die qualifizierten Einrichtungen, sondern alle oben vorgestellten Gruppen befugt. Ansprüche nach § 2 UKlaG stehen, ebenso wie die nach § 1 UKlaG, zu solchen nach § 8 UWG in Idealkonkurrenz. 158 Die Anwendungsbereiche beider Vorschriften weisen dabei erhebliche Überschneidungen auf, da die meisten Verbotsnormen des UWG
Stadler/Klöpfer, VuR 2012, 343, 347. Das zeigen auch die diversen Vorschläge von Stadler/Klöpfer, VuR 2012, 343, 347 ff. 154 Eine Erweiterung des Anwendungsbereiches fordern auch Ritter/Schwichtenberg, VuR 2016, 95, 98. 155 Hierzu Teil 4 – C.V. 4. 156 Darunter sind alle in Deutschland geltenden Rechtsnormen, also nicht nur Gesetze im formellen Sinne zu verstehen, Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 2. 157 Der Verbraucherschutz muss nicht der alleinige Zweck der Vorschrift sein, muss aber zumindest eine gewisse Rolle spielen, BT-Drucks. 14/2658, S. 53; OLG Karlsruhe GRURRR 2018, 349. 158 MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 2 Rn. 7. 152 153
48 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland neben dem Wettbewerbs- auch den Verbraucherschutz bezwecken. 159 Eine eigenständige Bedeutung kommt § 2 UKlaG insbesondere dann zu, wenn die entsprechende Vorschrift keine Marktverhaltensregelung ist, oder aber das Verhalten des Verletzers, wenn beispielsweise die für den Rechtsbruchstatbestand erforderliche subjektive Komponente nicht gegeben ist, nicht als wettbewerbswidrig eingestuft werden kann. 160 Obgleich § 2 UKlaG insoweit teilweise als „Lückenbüßer“ bezeichnet wurde, nimmt seine Relevanz aufgrund der wachsenden Anzahl der in den letzten Jahren erlassenen verbraucherschützenden Vorschriften stetig zu. 161 Für die vorliegende Arbeit dabei von besonderem Interesse sind die nach § 2 UKlaG bestehenden Möglichkeiten hinsichtlich des oben als streuschadensanfälliges Gebiet identifizierten Datenschutzrechts. Insbesondere der VZBV und die Verbraucherzentralen nutzen das Verbandsklagerecht schon seit längerem, um den seit Beginn der flächendeckenden Digitalisierung deutlich zunehmenden Verstößen gegen das Datenschutzrecht etwas entgegen zu setzen. 162 Anfänglich wurde hierzu vorwiegend auf das AGB-Recht zurückgegriffen und gegen datenschutzrechtswidrige Klauseln mittels des Anspruches aus § 1 UKlaG vorgegangen. 163 Ob den Bestimmungen des Datenschutzrechts zudem ein verbraucherschützender Charakter zukommt und somit auch der weiterreichende § 2 UKlaG zur Bekämpfung von Datenschutzverstößen herangezogen werden kann, war unter der alten Fassung der Norm lange Zeit umstritten. 164 Erst 2016 bezog der Gesetzgeber hierzu Stellung und nahm das Datenschutzrecht, wenn auch mit einer Reihe von Beschränkungen, ausdrücklich in § 2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG auf. Nunmehr unterfallen Vorschriften zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten von Verbrauchern durch Unternehmer dann dem Anwendungsbereich der Norm, wenn die Daten zu kommerziellen Zwecken erhoben werden, wobei § 2 Abs. 2 Nr. 11 lit. b UKlaG Beispiele für solche kommerziellen Zwecke aufführt. Seit dem Inkrafttreten der DSGVO im Jahr 2018 ist jedoch im höchsten Maße umstritten, wie diese, ur-
159 Neben der Verbrauchergeneralklausel in § 3 Abs. 2 UWG sind das insbesondere § 3 Abs. 1 i. V. m. §§ 4a, 5, 5a UWG sowie die Per-se-Verbote des § 3 Abs. 3 UWG; Köhler/ Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 32; JurisPKBGB/Baetge UKlaG § 2 Rn. 5. 160 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 33; MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 2 Rn. 6. 161 JurisPKBGB/Baetge UKlaG § 2 Rn. 3. 162 Allein gegen Facebook ging der VZBV innerhalb der letzten zehn Jahre acht Mal vor, ausführlich hierzu und zu anderen Verfahren Dünkel, DuD 2019, 483, 484 f. 163 Einen guten Überblick über die Verfahren findet sich bei Heidemann-Peuser, DuD 2002, 389 ff. 164 Die Rechtsprechung vertrat hier weitestgehend eine ablehnende Auffassung vgl. OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2005, 1280, 1281; OLG Hamburg OLG-Report 2005, 32; OLG Düsseldorf BeckRS 2004, 13486; mit einer guten Übersicht MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 2 Rn. 30. A.A. waren dagegen Teile der Literatur hierzu Köpernik, VuR 2014, 240.
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sprünglich auf die Begriffsbestimmungen des alten BDSG zugeschnittene 165 Norm europarechtlich einzuordnen ist. Obgleich die DS-GVO ihren Fokus klar auf die behördliche Durchsetzung des Datenschutzrechts legt, lässt sie komplementär auch eine private Anspruchsverfolgung zu. Neben der Rechtswahrung durch die von der Verletzung direkt Betroffenen sieht Art. 80 Abs. 2 DS-GVO zu diesem Zwecke eine Öffnungsklausel vor, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, bestimmte, in Art. 80 Abs. 1 DS-GVO näher beschriebene Einrichtungen zur mandatsunabhängigen Durchsetzung der in den Art. 77–79 DS-GVO niedergeschriebenen Rechte der Verletzten zu ermächtigen. Obgleich der Wortlaut der deutschen Fassung dieser Vorschrift auf den ersten Blick anderes suggeriert, geht die h. M. davon aus, dass die Norm nicht etwa die prozessstandschaftliche Verfolgung subjektiver Rechte vorsieht, sondern die Verbände, entsprechend den sonstigen Verbandsklagevorschriften im deutschen Recht, ein eigenes Recht geltend machen. 166 Ob das deutsche Recht in Form des § 2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG nun in zulässiger Weise von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht hat, ist, wie angesprochen, umstritten. Da die Norm bereits vor Verabschiedung der DSGVO bestand, wird sie von Teilen der Literatur als „vorweggenommene“ oder auch „zufällige“ Teilumsetzung des Art. 80 Abs. 2 DS-GVO verstanden. 167 Von einer Teilumsetzung wird in diesem Zusammenhang gesprochen, weil § 2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG den klagebefugten Einrichtungen nicht alle in Art. 80 Abs. 2 DS-GVO vorgesehenen Rechte zuspricht und zudem in Abweichung von der europäischen Norm nur die Verfolgung von Verbraucheransprüchen ermöglicht. Während der Großteil der Literatur eine solche Teilumsetzung nun als zulässig erachtet, 168 wird sie von einer Gegenmeinung als unzulässig eingestuft, woraus sich die Konsequenz ergebe, dass § 2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG seit dem 25. 05. 2018 nicht mehr angewendet werden dürfe. 169 Die Vertreter dieser Mindermeinung sehen in Art. 80 Abs. 2 DS-GVO eine abschließende Regelung im Sinne des „Alles-oder-nichts“-Prinzips. Die Norm ermögliche den Mitgliedstaaten entweder eine vollständige Umset165
Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 18. Gola/Werkmeister DS-GVO Art. 80 Rn. 10; GSSV/Koreng DS-GVO Art. 80 Rn. 39; Taeger/Gabel/Moos/Schefzig DS-GVO Art. 80 Rn. 21 f.; Plath/Becker DS-GVO Art. 80 Rn. 4; Ehmann/Selmayr/Nemitz DS-GVO Art. 80 Rn. 12; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 174 f. 167 Dünkel, DuD 2019, 483, 487; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 29a; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 176 m. w. N. 168 Dünkel, DuD 2019, 483, 487; BeckOKDatenSchutzR/Karg DS-GVO Art. 80 Rn. 20; GSSV/Koreng DS-GVO Art. 80 Rn. 44; Simitis/Hornung/Spiecker/Boehm DS-GVO Art. 80 Rn. 20; Kühling/Buchner/Bergt DS-GVO Art. 80 Abs. 2 Rn. 13; Augenhofer, VbR 2019, 8, 9. 169 Paal/Pauly/Frenzel DS-GVO Art. 80 Rn. 13; Gola/Werkmeister DS-GVO Art. 80 Rn. 18; Köhler, WRP 2018, 1269, 1275; Spittka, GRUR-Prax 2019, 272, 274. 166
50 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland zung in das nationale Recht oder eben gar keine. Eine Teilumsetzung wie sie in Deutschland bestehe, könne daher aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewandt werden. 170 Die Frage, welche Lesart zutreffend ist, hat der BGH mittlerweile dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. 171 Sie dürfte jedoch in absehbarer Zeit ihre Relevanz verlieren, da die bis Ende 2022 umzusetzende Verbandsklagerichtlinie ohnehin deutlich weitergehende Verbandsklageinstrumente, auch für das Datenschutzrecht, fordert. 172 Eine gewisse Restrelevanz wird dem Streit wohl aber noch hinsichtlich des § 3a UWG verbleiben, in dessen Rahmen aktuell eine ähnliche Diskussion geführt wird. 173 b) Ansprüche aus § 8 UWG aa) Allgemeines Der wettbewerbsrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 8 UWG ist der mit Abstand am häufigsten erhobene und durchgesetzte Anspruch des deutschen Verbandsklagerechts. 174 Weithin als effektiv beschrieben, vermelden weder die Literatur noch die ihn geltend machenden Verbände größere Probleme mit der Norm. 175 Seine Popularität verdankt er zum einen der Tatsache, dass er über die als Anknüpfungstatbestände dienenden Normen des UWG eine große Bandbreite an wettbewerbswidrigem Verhalten abdeckt, 176 zum anderen seiner insbesondere im Vergleich zu § 1 UKlaG größeren Reichweite, mittels derer nicht nur Unterlassung sondern auch Beseitigung verlangt werden kann. Auch hinsichtlich der Klagebefugnis ist § 8 UWG weit gefasst. So sind nicht nur die drei oben beschriebenen Verbandsgruppen zur Erhebung von Klagen ermächtigt, § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG sieht ein entsprechendes Recht auch für Mitbewerber des Verletzers vor, soweit sie mit diesem in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen. 177 Die Mitbewerber tragen als klageaktivste Gruppe auf diesem Wege seit jeher erheblich zur privatrecht-
170
Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 29g. BGH GRUR 2020, 896; anhängig beim EuGH als C-319/20 - Facebook Ireland. 172 Hierzu auch Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UKlaG § 2 Rn. 29h; ausführlich auch Teil 2 – E. 173 Hierzu Teil 2 – A.I.2.b)bb). 174 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 118, 141; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.3; MüKoUWG/Fritzsche UWG § 8 Rn. 18. 175 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 141. 176 Hierzu ausführlich Teil 2 – A.I.2.b)bb). 177 BeckOKUWG/Haertel § 8 Rn. 167. 171
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lichen Durchsetzung des Lauterkeitsrechts bei, 178 wenngleich ihre Klagebefugnis jüngst durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs eingeschränkt wurde. Nunmehr verlangt § 8 Abs. 3 Nr. 1 Hs. 2 UWG, dass ein Mitbewerber auf dem betroffenen Markt nicht nur gelegentlich oder in unerheblichem Ausmaß tätig ist, um eine Klage erheben zu können. 179 Obgleich die Novellierung an der grundlegenden Bedeutung der Mitbewerber für die Rechtsdurchsetzung im Lauterkeitsrecht wohl nichts ändern wird, kann man wohl schon eine gewisse Dämpfung der Klageaktivität erwarten. 180 Mehr als noch im UKlaG spielt im Rahmen des § 8 UWG die wettbewerbsrechtliche Abmahnung eine wichtige Rolle. 181 Wenngleich keine gesetzliche Pflicht zu einer der Klage vorausgehenden Abmahnung besteht, 182 bringt eine solche sowohl für den Schuldner als auch für den Gläubiger erhebliche Vorteile mit sich. So hat der Schuldner die Möglichkeit sein Verhalten vor Klageerhebung einzustellen und so den Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu entgehen. Der Gläubiger wiederum ist nicht der Gefahr ausgesetzt, dass er bei sofortigem Anerkenntnis des Schuldners in die Kostentragungspflicht gerät, § 93 ZPO. In einer Abmahnung fordert der Gläubiger vom Schuldner regelmäßig ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen und eine strafbewehrte Unterwerfungserklärung abzugeben. 183 Durch die Abgabe einer solchen Erklärung entfällt regelmäßig die Wiederholungsgefahr, eine Klage wäre unbegründet. 184 Die bestehende Abmahnpraxis bietet auf diese Weise eine schnelle und für beide Seiten kostengünstigere Möglichkeit, Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht zu ahnden und zu unterbinden. Unglücklicherweise ist davon auszugehen, dass die Anpassungen, die das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs zum Schutz vor der, oben als inexistent entlarvten, Gefahr missbräuchlicher Abmahnungen vorsieht, die Anzahl der (begründeten!) wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen in Zukunft deutlich verringern wird. 185 So können Wettbewerber nunmehr nach § 13 Abs. 4 UWG keine Erstattung der Abmahnkosten verlangen, wenn sie im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangene Verstö178 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 27. 179 Zum Hintergrund der Änderung BT-Drucks. 19/12084, S. 26. 180 Die Novellierung verlagert im Gegensatz zur a.F. der Norm nun insbesondere die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen auf den Kläger, Hohlweck, WRP 2020, 266, 267; Max, VuR 2021, 129, 132. 181 So übersteigt die Zahl der auf § 8 UWG basierenden Abmahnungen die der Klagen bei Weitem, Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 28, 38, 65; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.4; BeckOKUWG/Tavanti/Scholz § 13 Rn. 4; MüKoUWG/Ottofülling UWG § 13 Rn. 1. 182 § 13 Abs. 1 UWG ist lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet. 183 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 3. 184 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.48. 185 So auch Buchmann, BB 2020, Heft 45, Umschlag I.
52 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland ßen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten rügen. 186 Darüber hinaus entfällt die Möglichkeit der Kostenerstattung auch bei sonstigen Abmahnungen auf Grundlage der DS-GVO und des BDSG, wenn das betreffende Unternehmen weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigt. 187 Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Durchsetzungslücke gerade in dem so verletzungsanfälligen Gebiet des Datenschutzrechts zu schaffen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Es muss als unwahrscheinlich angesehen werden, dass die Verbände, für die der Ausschluss des § 13 Abs. 4 UWG nicht gilt, in der Lage sein werden diese Lücke zu schließen. Deren angespannte finanzielle Situation führt, wie oben angesprochen, ohnehin schon zu einer Konzentration der Mittel auf Fälle mit großer Breitenwirkung. 188 Hinzu kommt, dass sie bei unklarer Rechtslage Gefahr laufen, sich einem Gegenanspruch des Abgemahnten nach § 13 Abs. 5 UWG auszusetzen. Wollen sie im Vorfeld eine Klärung der Rechtslage erreichen, so müssen sie hierfür einen Anwalt konsultieren, dessen Kosten sie aber, wie oben dargelegt, grundsätzlich nicht erstattet bekommen. bb) Die einzelnen Verbotstatbestände und ihre Relevanz für Streuschäden Inhaltlich knüpft § 8 UWG an die Verbotstatbestände der §§ 3–7 UWG an. 189 Um die Bedeutung des § 8 UWG zu eruieren, muss daher vorangestellt die Frage beantwortet werden, inwieweit unter den einzelnen Tatbeständen überhaupt Streuschadensereignisse denkbar sind. Abhängig von den Anwendungsbereichen der jeweiligen Normen bestehen hier erhebliche Unterschiede. Kaum Bedeutung für Streuschadensereignisse entwickeln die ausschließlich die Mitbewerber schützenden Verbotstatbestände, namentlich die §§ 4 und 6 UWG. In der Subsumtion dieser Vorschriften sind kaum Schädigungen mit der erforderlichen Breitenwirkung denkbar. Regelmäßig werden hier nur wenige Mitbewerber betroffen sein, häufig nur einer. Mittelbare Beeinträchtigungen einer größeren Anzahl von Verbrauchern sind zwar möglich (bspw. eine Täuschung der Abnehmer durch eine nach § 4 Nr. 3a UWG verbotene Handlung), jedoch werden diese meist ebenfalls durch andere Vorschriften sanktioniert (hier läge bei Erfolg parallel eine irreführende Handlung nach § 5 Abs. 1 UWG vor). 190
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§ 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG. § 13 Abs. 4 Nr. 2 UWG. 188 Hierzu Teil 2 – A.I.1.c)cc). 189 Der Wortlaut des § 8 spricht zwar nur von unzulässigen Handlungen nach § 3 und § 7 UWG, über das Merkmal der Unlauterkeit umfasst er aber auch die dazwischenliegenden Tatbestände. 190 Die Vorschriften sind in diesem Fall nebeneinander anwendbar; Köhler/Bornkamm/ Feddersen/Köhler UWG § 4 Rn. 3.5. 187
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Die größte Gruppe der Verbotsvorschriften bilden diejenigen, die ein bestimmtes unlauteres Verhalten sanktionieren, welches zeitlich im Bereich der Vertragsanbahnung anzusiedeln ist. Es werden aggressive (§ 4a UWG) und irreführende (§§ 5, 5a UWG) geschäftliche Handlungen sowie unzumutbare Belästigung (§ 7 UWG) sanktioniert. Hinsichtlich der Einstufung dieser Normen in Bezug auf ihre Streuschadensträchtigkeit stößt man wiederum auf das bereits oben 191 angesprochene Problem, dass die hier untersagten Handlungen nicht direkt zu einem Vermögensschaden bei den Abnehmern führen. Hierzu bedarf es stets eines Zwischenschrittes, des Vertragsschlusses. Erst wenn aufgrund der unlauteren Handlung ein Vertrag geschlossen wird, kann hieraus ein individueller Schaden bei einem oder mehreren Verbrauchern entstehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich Leistung und Gegenleistung wertmäßig nicht entsprechen, oder die Leistung für den Abnehmer unbrauchbar ist, also eine Art „aufgedrängte Bereicherung“ vorliegt. Ob und in welcher Höhe genau in den übrigen Fällen ein Schaden vorliegt, ist für die Ausführungen im Rahmen des § 8 UWG jedoch zunächst nicht relevant. Soweit man von einer (vermögenswirksamen) Schädigung der Abnehmer ausgeht, bewegt sich diese unzweifelhaft im Bagatellbereich, womit die Normen unter dieser Prämisse als streuschadensträchtig eingestuft werden können. Der letzten Gruppe der Verbotsvorschriften sind diejenigen Normen zuzuordnen, die Handlungen sanktionieren, die direkt, also ohne Zwischenschritte, zu einem Schaden oder sonstigen Nachteil des Verbrauchers führen. Diese Handlungen sind meist, aber nicht immer, einem Vertragsschluss zeitlich nachgelagert und prädestiniert für Streuschäden, da sie häufig eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle betreffen. Dieser Kategorie zuzuordnen sind beispielsweise Fälle, in denen geringe Beträge ohne Rechtsgrund eingezogen werden, Füllmengenunterschreitungen oder aber auch der Vertrieb von schadhaften Produkten. Relevanz für diese Handlungen entfaltet allen voran der Rechtsbruchstatbestand des § 3a UWG. Daneben sind Konstellationen nach der Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 UWG und nach § 3 Abs. 3 UWG denkbar. Die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG spielt nach ihrer Novellierung nur noch eine untergeordnete Rolle. 192 Ob mittels § 3a UWG auch Verstöße gegen die DS-GVO nach § 8 UWG verfolgt werden können, ist in noch stärkerem Ausmaß als im Rahmen des § 2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG umstritten. 193 Ausgangspunkt ist hier wiederum die Frage, ob das Regelungsregime der DS-GVO abschließend ist oder ob Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften, soweit ihnen auch der Charakter einer Marktverhaltensregelung zukommt, zusätzlich wettbewerbsrechtlich ver191 192 193
Hierzu Teil 1 – E. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Podszun UWG § 3 Rn. 10. Im Überblick Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 3a Rn. 1.40a ff.
54 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland folgt werden dürfen. 194 Der deutsche Gesetzgeber zumindest scheint letztgenannter Auffassung zu sein, andernfalls hätte es der Regelung zur Kostenerstattung bei datenschutzrechtlichen Abmahnungen in § 13 Abs. 4 UWG nicht bedurft. 195 Nun liegt es jedoch nicht in der Kompetenz des deutschen Gesetzgebers die Europarechtskonformität einer nationalen Vorschrift festzustellen. Diesbezüglich wird die Entscheidung des EuGH in dem oben angesprochenen Vorabentscheidungsverfahren abzuwarten sein. 196 cc) Anspruchsinhalt – Entschädigung der Verletzten in Geld? Einer der Hauptgründe dafür, warum Verbände, wenn möglich den Weg über § 8 UWG und nicht über § 1 UKlaG wählen ist, wie bereits angesprochen, die größere Reichweite des Anspruches, der nicht nur eine Unterlassungs- sondern auch eine Beseitigungsverpflichtung ermöglicht. Es liegt nicht nur im Interesse des Wettbewerbs- sondern auch des Verbraucherschutzes, einen Beklagten möglichst umfassend zur Wiederherstellung der vor dem Verstoß bestandenen Situation zu verpflichten. Angesichts dieser Tatsache nimmt es kaum Wunder, dass es im Rahmen des § 8 UWG immer wieder Bestrebungen gab, die Beseitigungsverpflichtung des Beklagten auszuweiten. Grundsätzlich zielt der Beseitigungsanspruch auf die Abwehr einer bereits eingetretenen, aber fortwirkenden Beeinträchtigung. 197 Gegenstand des Anspruches ist alles, was erforderlich ist, um diese Beeinträchtigung zu beseitigen. 198 Führen mehrere Maßnahmen zur Beseitigung der Störung, so bleibt dem Schuldner die Wahl zwischen ihnen überlassen. 199 Die Beseitigung muss dem Störer zudem tatsächlich möglich 200 und für ihn verhältnismäßig 201 sein. So vielfältig die gegen das Lauterkeitsrecht verstoßenden Handlungen sind, so mannigfaltig sind auch die entsprechenden Beseitigungsmaßnahmen. 202 194 Für eine Anwendbarkeit des § 3a UWG auf Verstöße gegen die DS-GVO OLG Hamburg GRUR 2019, 86, Rn. 53; LG Naumburg GRUR-RR 2020, 79 Rn. 45 ff.; Taeger/ Gabel/Moos/Schefzig DS-GVO Art. 80 Rn. 26; a. A. Ohly, GRUR 2019, 686; Köhler, WRP 2018, 1269 Rn. 22; Gola/Werkmeister DS-GVO Art. 80 Rn. 14; Barth, WRP 2018, 790 Rn. 11 ff. 195 Dafür sprechen auch die Gesetzgebungsunterlagen, BT-Drucks. 19/12084, S. 32. 196 BGH GRUR 2020, 896; anhängig beim EuGH als C-319/20 - Facebook Ireland. 197 BGH WRP 1993, 396, 397; BGH GRUR 1995, 424, 426; BGH GRUR 1998, 415, 416. 198 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.113. 199 So die h.M, BGH NJW 1960, 2335; BGHZ 67, 252, 253; BGH NJW 1993, 1656, 1657; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.115 ff.; Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 8 Rn. 81; MüKoUWG/Fritzsche UWG § 8 Rn. 202 ff. 200 BGH GRUR 2015, 258; BGH AfP 2015, 425, Rn. 39; Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Bornkamm UWG § 8 Rn. 1.121; Ott, WRP 2007, 605, 608. 201 So schon der Gesetzgeber, BT-Drucks. 15/1487, S. 22. 202 Beispiele für fortdauernde Störungszustände aus denen ein Beseitigungsanspruch hervorgeht, finden sich bei MüKoUWG/Fritzsche UWG § 8 Rn. 188.
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Typische Beispiele hierfür sind die Abnahme von Plakaten, das Entfernen von Schildern oder Aufschriften, die Löschung von Domainnamen oder anderen Einträgen. 203 Beseitigungsansprüche, die auf eine Geldzahlung des Schädigers gerichtet sind, werden im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang dagegen eher als Fremdkörper betrachtet, wobei die Diskussion hierum jüngst wieder an Dynamik gewonnen hat. Ausgangspunkt hierfür war ein Urteil, das der BGH im Jahr 1996 auf dem Gebiet des Kartellrechts erlassen hatte. 204 Damals hatte der Gerichtshof auf Grundlage des (heutigen) § 33 GWB einen Energieversorger im Zuge eines Beseitigungsanspruchs dazu verpflichtet, dem Kläger zu Unrecht zurückbehaltene Vergütungen für Stromeinspeisungen auszubezahlen. Diese Art des Beseitigungsanspruches war jedoch als Unikat aufgrund der Besonderheit des Falles gedacht. Eine andere Art der Beseitigung war in dieser Konstellation schlicht nicht denkbar. Unabhängig davon fiel mit diesem Urteil der Startschuss für die Diskussion um einen auf Rückzahlung gerichteten Beseitigungsanspruch. Diese weitete sich, von § 33 GWB ausgehend, auf die behördliche Abstellungsermächtigung im Kartellrecht in § 32 GWB und auf § 8 UWG aus. In § 32 Abs. 2a GWB fand sie jüngst erstmals auf gesetzlicher Grundlage Einzug in das Wettbewerbsrecht. 205 In neuerer Zeit wurde die Diskussion um einen geldwerten Beseitigungsanspruch im Rahmen des § 8 UWG durch ein Urteil des LG Leipzig 206 und das im Instanzenzug hierzu folgenden Urteil des OLG Dresden 207 neu beflügelt. In dem Verfahren ging es um eine Preisklausel für Kontopfändungen in den AGB einer Bank. Nachdem das LG die Preisklausel für unzulässig erklärt hatte, verurteilte es die Bank auf Grundlage der §§ 3a, 8 Abs. 1 S. 1 Var. 1 UWG unter anderem dazu, allen Verbrauchern, die von der Klausel betroffen waren und daher für Kontopfändungen jeweils 30 € an die Bank gezahlt hatten, diese Kosten zurückzuerstatten. Die Klägerin war die Verbraucherzentrale Sachsen, eine qualifizierte Einrichtung. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig geworden, eine Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH wurde zurückgenommen. Isoliert auf ihre rechtspraktischen Konsequenzen ist diese Auslegung des Beseitigungsanspruchs durchaus zu begrüßen. Der Entzug des Verletzergewinns und die Kompensation der Geschädigten in Überwindung der rationalen Passivität ermöglichen eine effektive Bekämpfung von Streuschäden. Dogmatisch gesehen, wird man eine derartige Anwendung des Beseitigungsanspruches jedoch – de lege lata – als unzulässige Überdehnung der Anspruchsreichweite betrachten müssen. Zwar kann man die konkrete Reich203 204 205 206 207
Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 8 Rn. 241 ff. m. w. Bsp. BGH NJW 1996, 3005. Ausführlich Teil 2 – B.I.1.c). LG Leipzig ZIP 2016, 207. OLG Dresden VuR 2018, 266.
56 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland weite des Beseitigungsanspruches sowohl im Rahmen des negatorischen Eigentumsschutzes nach § 1004 BGB als auch der wettbewerbsrechtlichen Abwehransprüche wohl zurecht als relativ konturlos bezeichnen, 208 dennoch wird man seine Grenze wohl spätestens an der Stelle ziehen müssen, an der die die andauernde Störung verursachende Quelle neutralisiert wurde. Heruntergebrochen bedeutet das für den oben dargelegten Sachverhalt, dass die Bank, sobald sie von der angegriffenen Praxis die entsprechende Preisklausel zu verwenden Abstand nimmt, der Beseitigungsverpflichtung vollständig nachgekommen ist. 209 Die Unrechtsgewinne, die auf Grundlage dieser Klausel erwirtschaftet wurden, sind lediglich Folge des rechtswidrigen Zustands, die Rückzahlung derselben könnte dementsprechend lediglich mittels eines Folgenbeseitigungsanspruches erreicht werden, den aber im Moment weder das Wettbewerbs- noch das Verbraucherschutzrecht vorsieht. 210 Es liegt nicht in der Kompetenz der Judikative einen solchen zu implementieren. Hierzu bedürfte es einer konkreten Entscheidung des Gesetzgebers, der zu diesem Zwecke insbesondere auch das Verhältnis zum grundsätzlich verschuldensabhängigen Schadensersatz klären müsste. 211 c) Ansprüche aus § 33 GWB aa) Allgemeines Schon die ursprüngliche Fassung des GWB aus dem Jahr 1958 enthielt in § 35 Abs. 2 GWB a.F. einen Unterlassungsanspruch, zu dessen Geltendmachung bereits damals die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen berechtigt waren. 212 Im Rahmen der 7. GWB-Novelle wurde der Anspruch erheblich erweitert. Dies geschah einerseits in sachlicher Hinsicht durch die ausdrückliche Aufnahme des Beseitigungsanspruches, die Abkehr vom Schutzzweckerfordernis sowie die Einbeziehung der Art. 81 und 82 EG, später Art. 101, 102 AEUV, 213 in den Anwendungsbereich der Norm, andererseits in persönlicher Hinsicht durch die Aktivlegitimierung der qualifizierten Einrichtungen. 214 Die 8. GWB-Novelle erweiterte die Gruppe der klagebefugten Wirtschaftsverbände zusätzlich um solche der Marktgegenseite. 215 Die aktuelle Fassung der Norm ermöglicht eine Durchsetzung des
Ausführlich hierzu Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409, 419 ff. So auch Baldus/Siedler, BKR 2018, 412, 416; Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409, 425. 210 Bunte, ZIP 2016, 959, 960. 211 Einen dahingehenden Vorschlag für das AGB-Recht findet sich bei Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken; zur Möglichkeit einer Umsetzung im Rahmen der Verbandsklagerichtlinie Teil 4 – C.IV. 212 BGBl. I 1957, S. 1081. 213 Angepasst durch die 8. GWB-Novelle. 214 Hierzu die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/3640, S. 53. 215 BT-Drucks. 17/9852. 208 209
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gesamten materiellen Kartellrechts, mit Ausnahme des Vergaberechts. 216 Ebenso können Zuwiderhandlungen gegen Verfügungen der Kartellbehörden Grundlage des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs sein. Klagebefugt sind neben den direkt durch einen Verstoß Betroffenen die qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG bzw. Art. 4 Abs. 3 der Unterlassungsklagerichtlinie sowie Wirtschaftsverbände. Letztgenannte müssen jedoch, im Unterschied zu den Klagebefugnissen nach UKlaG und UWG, nicht in eine entsprechende Liste eingetragen sein. Es genügt, wenn ihnen eine erhebliche Anzahl vom Verstoß betroffener Unternehmen angehören und sie nach ihrer Ausstattung in der Lage sind, ihre satzungsgemäßen Aufgaben wahrzunehmen. 217 Der Gesetzgeber sah das Kartellrecht anscheinend als weniger missbrauchsanfällig an als das Lauterkeitsrecht. bb) Streuschadensträchtigkeit des Kartellrechts im Allgemeinen Insgesamt steht das Kartellrecht, was die Anfälligkeit für Streuschadensereignisse betrifft, dem Lauterkeitsrecht in nichts nach. 218 Jedoch unterscheiden sich die verschiedenen Teilbereiche des Kartellrechts untereinander hinsichtlich ihrer Streuschadensträchtigkeit sehr. Das Kartellrecht besteht, soweit man das Vergaberecht einmal außen vor lässt, im Grundsatz aus drei Bereichen: Dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und der Fusionskontrolle. Letztgenannte spielt für Streuschäden keine Rolle. Mit Abstand am meisten Relevanz für Streuschadensereignisse weist das Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen auf. Normiert in den §§ 1–4 GWB und Art. 101 AEUV umfasst es sowohl horizontale Vereinbarungen, also solche unter Konkurrenten, als auch vertikale Vereinbarungen, also solche zwischen Teilnehmern verschiedener Marktstufen. Insbesondere die sog. „Hardcore-Kartelle“ 219, d. h. direkte Absprachen auf horizontaler Ebene, beispielsweise Verkaufspreise betreffend, sind es, die zur Schädigung einer Vielzahl von Abnehmern auf den nachgelagerten Märkten
216 L/M/R/K/M/Kersting GWB § 33 Rn. 4; obgleich § 33 GWB nicht auf die FKVO 139/2004 verweist, findet sie auf die Fusionskontrolle analoge Anwendung, Immenga/ Mestmäcker/Franck GWB § 33 Rn. 4. 217 § 33 Abs. 4 Nr. 1 GWB. 218 van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 377. 219 Die OECD definiert Hardcore-Kartelle als „wettbewerbswidrige Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweisen oder Absprachen tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber, die darauf abzielen, Preise zu vereinbaren, manipulierte Angebote (geheime Ausschreibungen) zu unterbreiten, Produktionsbeschränkungen oder Quoten festzulegen oder Märkte aufzuteilen, indem beispielsweise Kunden, Lieferanten, Gebiete oder Handelszweige zugewiesen werden“. OECD, Recommendation of the Council concerning Effective Action against Hard Core Cartels, S. 3.
58 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland führen. 220 Zwar sind durchaus auch Konstellationen denkbar, bei denen der in den §§ 18–20 GWB und Art. 102 AUEV normierte Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu Streuschäden führt, die Regel wird das aber nicht sein. Verstöße gegen die an Unternehmen gerichteten Verbote in § 19 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5 GWB entfalten wohl meist eine zu geringe Reichweite, um als streuschadensrelevant eingestuft zu werden. Gleiches gilt für die Regelungen für Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht in § 20 GWB. Auch die hier sanktionierten Verhaltensweisen richten sich gegen andere Unternehmen, deren Schaden zudem meist die Bagatellgrenze überschreiten wird. cc) Die Rolle der Ansprüche aus § 33 GWB bei der Bekämpfung von Streuschäden Der seitens des Gesetzgebers im Zuge der Aktivlegitimation der Verbraucherverbände ausdrücklich geäußerte Wunsch, die Ansprüche nach § 33 GWB auch für die Bekämpfung von Streuschäden fruchtbar zu machen, bleibt leider unerfüllt. Klagen von qualifizierten Einrichtungen auf Grundlage des § 33 GWB haben keine, 221 solche von Wirtschafts- und Berufsverbänden nur eine äußerst geringe 222 praktische Bedeutung. Geschuldet ist dies nicht etwa den Tatbestandvoraussetzungen oder der fehlenden Reichweite des § 33 GWB, sondern vielmehr den Eigenarten kartellrechtlicher Verstöße an sich. Sowohl die qualifizierten Einrichtungen als auch die Wirtschaftsverbände hätten zweifelsohne ein Interesse daran, gegen die oben als besonders streuschadensrelevant identifizierten wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen vorzugehen, ohne entsprechende Ermittlungsbefugnisse haben sie aber kaum jemals eine Chance von solchen Vereinbarungen zu erfahren, geschweige denn diese nachzuweisen. Trotz der Stärkung des zivilrechtlichen Sanktionssystems im GWB bleiben die Hauptakteure des Kartellrechts damit die Kartellbehörden. 223 Gehen diese, gestützt auf ihre weitreichenden Ermittlungsbefugnisse, gegen ein entsprechendes Verhalten vor und machen es damit publik, stellen die Verletzer ihr Verhalten in der Regel von selbst ein, so dass für die Ansprüche aus § 33 GWB kein Raum mehr bleibt. Die Betroffenen haben sodann die Möglichkeit, die Feststellungswir-
220 Als prominentes Beispiel sei hier nur das von 1989 bis 1999 bestehende „Vitaminkartell“ zwischen Hoffman-La Roche, der BASF und sechs weiteren Kartellanten genannt, bei dem sowohl die Anzahl der Geschädigten als auch die kumulative Schadenshöhe im Milliardenbereich lag. 221 Wiedemann/Topel, Kartellrecht, § 50 Rn. 66. 222 MüKoGWB/Lübbig GWB § 33 Rn. 29; KölnKomKartellR/Krohs § 33 Rn. 170; zu den Verbandsklagen insgesamt FrankfKomKartellR/Roth GWB § 33 Rn. 103. 223 MüKoGWB/Keßler GWB § 32 Rn. 8.
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kung des § 33b GWB zu nutzen, um den ihnen entstanden Schaden im Rahmen eines Follow-on-Verfahrens geltend zu machen. 224 3. Abschöpfungsansprüche Die Abschöpfungsansprüche in UWG und GWB sind die Antwort des deutschen Gesetzgebers auf das Durchsetzungsdefizit, das die zukunftsgerichteten negatorischen Ansprüche auf dem Gebiet der Streuschäden hinterlassen. 225 Sie sollen die klagebefugten Verbände in die Lage versetzen, dem Verletzer den Unrechtsgewinn zu entziehen und damit das übergeordnete, kollektive Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb zu wahren, in dem sich Rechtsverstöße nicht lohnen. 226 Ihrer Grundkonzeption nach erfüllen sie insofern zwar das in dieser Arbeit für die Streuschadensbekämpfung aufgezeigte Bedürfnis nach einem Instrument, das einen vollständigen Entzug des Verletzergewinns zum Zweck hat, weichen jedoch, da der entzogene Gewinn nicht an die Geschädigten selbst, sondern an den Bundeshaushalt abgeführt wird, von dem oben dargestellten Idealbild eines zugleich präventiv und kompensatorisch wirkenden Instruments ab. Dogmatisch eingeordnet werden die Abschöpfungsansprüche häufig als Ansprüche eigener Art, sui generis, was zwar zweifelsohne zutreffend, zugleich aber auch kaum aussagekräftig ist. Inhaltsreicher ist dagegen die von Alexander geprägte Bezeichnung als „Patchworknormen“, 227 die auf der bausteinartigen Zusammensetzung der Ansprüche aus Merkmalen der deliktischen Verschuldenshaftung, der bereicherungsrechtlichen Eingriffshaftung und der kollektivrechtlichen Abwehransprüche aufbaut. Die Abschöpfungsansprüche sahen sich bei ihrer Einführung erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken ausgesetzt. Neben der grundlegenden, oben bereits behandelten, Kritik an der Fruchtbarmachung des Privatrechts zu Steuerungs- und Präventionszwecken im Allgemeinen, sahen Teile der Literatur in den Abschöpfungsansprüchen „strafrechtliche Normen in zivilrechtlichem Gewand“ 228 und befürchteten insofern eine Aushöhlung straf-
224
MüKoGWB/Lübbig GWB § 33 Rn. 5. Insgesamt und ausführlich Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 483 f.; zu § 10 UWG BT-Drucks. 15/1487, S. 23; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 3; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 54; Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 10 Rn. 1; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 1; zu § 34a GWB BTDrucks. 15/3640, S. 36. 226 Ausführlich Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 165; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 13; Alexander JZ 2006, 890, 893 f.; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 53; BeckOKUWG/Eichelberger § 10 Rn. 3. 227 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 475. 228 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 39. 225
60 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland prozessualer Garantien. 229 Diese, mittlerweile auch weitestgehend verebbte 230 Kritik ist jedoch unbegründet. So entfaltet die Gewinnabschöpfung zweifelsohne zwar einen präventiven, aber keinen pönalen Charakter. 231 Zugegriffen wird nur auf den rechtswidrig erlangten Gewinn, darüber hinaus findet keine, eine Strafe prägende repressive Maßnahme abhängig vom Verschuldensgrad statt. 232 Hierin liegt auch der wichtigste Unterschied zu den in den U.S.A. verbreiteten punitive damages, die mit den grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung als unvereinbar gelten. 233 Weder die Abführung des abgeschöpften Gewinns an den Bundeshaushalt 234 noch die Tatsache, dass die Geschädigten kompensationslos bleiben, 235 vermögen an dieser Einstufung etwas zu ändern. Zudem wird den Verbänden zur Abschöpfung lediglich ein zivilrechtlicher Anspruch, und keine darüber hinaus gehenden, für das Strafrecht aber typischen, originären Eingriffsbefugnisse zugesprochen. 236 Ohnehin muss die Eingriffsqualität der Abschöpfung angesichts der Tatsache, dass der rechtswidrig erworbene Gewinn kein von der Rechtsordnung geschütztes Rechtsgut darstellt, hinterfragt werden. 237 a) § 10 UWG aa) Allgemeines Anfang der 2000er wurde man in Deutschland der oben beschriebenen Durchsetzungsdefizite auf dem Gebiet der Streuschäden und des daraus hervorgehenden Handlungsbedarfs gewahr. 238 Konkrete Vorschläge zur Lösung der Problematik unterbreiteten zum einen Micklitz und Stadler in ihrem 229 Sack, WRP 2003, 549, 552; Wimmer-Leonhardt, GRUR 2004, 12, 15 f.; Mönch, ZIP 2004, 2032, 2037; Schaub, GRUR 2005, 918, 923 f.; Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 42. 230 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 45; auch das OLG Stuttgart sah insofern von einer Vorlage zur konkreten Normenkontrolle ab, OLG Stuttgart VuR 2007, 70, 72. 231 Ausführlich hierzu Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 187 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 486 f.; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2017, 331 Rn. 61; OLG Stuttgart VuR 2007, 70, 72. 232 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 3; Oppermann/Müller, GRUR 2005, 280, 283 f.; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 45; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 135. 233 Grundlegend hierzu BGH NJW 1992, 3096. 234 Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 130; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 41. 235 Hier muss wiederum zwischen dem unbestritten präventiven und dem behaupteten pönalen Charakter der Abschöpfung unterschieden werden, Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 3. 236 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 27. 237 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 Rn. 45. 238 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 80 ff.; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1327; politisch war in Deutschland seit Mitte der 70er Jahre eine Diskussion über notwendige kollektive Rechtsschutzmittel im Gange, ausführlich hierzu MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 18 ff.
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Gutachten „Unrechtsgewinnabschöpfung, Möglichkeiten und Perspektiven eines kollektiven Schadenersatzanspruches im UWG“ 239 und zum anderen Köhler, Bornkamm und Henning-Bodewig in einem sog. Professorenentwurf. 240 Die beiden Publikationen stellten die Weichen für den im Jahr 2003 veröffentlichten Referentenentwurf zur Novellierung des UWG, der in § 9 eine Regelung zur Gewinnabschöpfung vorsah. 241 Dieser fand sich später, wenn auch in stark abgeänderter Form, in § 10 des Regierungsentwurfes wieder.242 Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens votierte der Bundesrat jedoch gegen die Verabschiedung der vorgeschlagenen Norm. 243 Zwar begrüßte er grundsätzlich die Einführung eines Gewinnabschöpfungsanspruches, hielt ihn in der vorgelegten Form jedoch für nicht ausgereift und impraktikabel, weswegen er eine umfassende Überarbeitung der Vorschrift forderte. 244 Erst einige weitreichende Anpassungen durch den Rechtsausschuss machten die endgültige Fassung letzten Endes mehrheitsfähig. 245 Konfliktpunkte während des Gesetzgebungsverfahrens waren dabei hauptsächlich das Vorsatzerfordernis, die Frage, ob es seitens der Abnehmer eines Schadens bedarf bzw. das Merkmal „zu Lasten“, die Gewinnermittlung und -berechnung sowie die Begünstigung des Bundeshaushaltes. 246 Unmittelbar nach Verabschiedung des § 10 UWG sah sich die Norm noch Kritik von zwei Seiten ausgesetzt. Während die eine Seite sie für nicht effektiv genug hielt und in ihr eher einen „Papiertiger“ 247 als eine effektive Regelung sah, befürchtete die andere Seite aufgrund praktischer und verfassungsrechtlicher Bedenken ein „neues Schreckgespenst“ 248 herannahen und schloss aus der Aktivlegitimation der Wettbewerbs- und Verbrauchervereine auf ein erhebliches Missbrauchsrisiko. 249 Letzen Endes war es die Zeit, die diesen Streit entscheiden und dabei klar der ersten Seite Recht geben sollte. Den befürchteten „Appetit auf Austestung der äußersten Grenzen der Vorschrift“ 250 entwickelten die Verbände nie. § 10 UWG ist heute eine Norm mit
Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung. Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1327; es handelte sich um einen Gesetzgebungsvorschlag, hervorgegangen aus der Arbeitsgruppe Unlauterer Wettbewerb des Bundesministeriums der Justiz. 241 Entwurf und Begründung GRUR 2003, 298. 242 BT-Drucks. 15/1487, S. 7. 243 BT-Drucks. 15/1487, S. 34 ff. 244 BT-Drucks. 15/1487, S. 34. 245 BT-Drucks. 15/2795, S. 21 f. Allein die Fraktion der FDP sah in § 10 UWG den Einzug „amerikanischer Verhältnisse“ und beantragte dessen komplette Streichung, a. a. O. S. 19. 246 Ausführlich jeweils im Rahmen der einzelnen Merkmale erörtert. 247 Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559, 562. 248 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 42. 249 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43. 250 Engels/Salomon WRP 2004, 32, 43. 239 240
62 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland geringer bis verschwindend geringer praktischer Relevanz 251 oder, um es mit den Worten der deutschen Verbraucherschutzministerkonferenz zu sagen: „Völlig ineffizient und faktisch wirkungslos“. 252 Von Einführung der Norm bis zum 15. 01. 2021 konnten insgesamt nur 21 Verfahren unter der Vorschrift identifiziert werden, der kumulative Abschöpfungsbetrag wird wohl im unteren sechsstelligen Bereich liegen. 253 Trotz ihrer Bedeutungslosigkeit in der Praxis kann die Norm als eine der umstrittensten und meist diskutierten Vorschriften des UWG und des Wettbewerbsrechts generell bezeichnet werden. 254 Zu kaum einem anderen Paragraphen finden sich so viele diesen ausschließlich oder im Schwerpunkt behandelnde Monographien. 255 Diese Arbeit erhebt insoweit nicht den Anspruch einer vollständigen Kommentierung der Norm und aller ihrer Unwägbarkeiten, es soll vielmehr in der gebotenen Kürze auf die Gründe für die fehlende praktische Relevanz der Vorschrift eingegangen werden. bb) Der misslungene Tatbestand (1) Der vorsätzliche Wettbewerbsverstoß Genau wie § 8 UWG knüpft auch § 10 UWG tatbestandlich an die unzulässigen geschäftlichen Handlungen der §§ 3–7 UWG an. Im Gegensatz zum Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch verlangt § 10 UWG jedoch die vorsätzliche Begehung einer solchen Handlung und schafft damit für die meisten Verfahren eine unüberwindbare Hürde. 256 251 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 148 ff.; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 728. 252 Beschluss der 6. Verbraucherschutzministerkonferenz am 17. 09. 2010, wiedergegeben bei Fezer, Zweckgebundene Verwendung von Unrechtserlösen, S. 6. 253 Genaue Daten dazu gibt es nicht, vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 5 ff.; Henning-Bodewig, GRUR 2015, 731,735. Eine Juris-Recherche ergab genau ein Verfahren, in dem gerichtlich eine Abschöpfung angeordnet wurde: LG Kiel MMR 2015, 43, nachfolgend OLG Schleswig GRUR 2018, 1071. Da in mehreren Verfahren jedoch Auskunftsansprüche erfolgreich durchgesetzt wurden, ist davon auszugehen, dass es in der Folge auf Vergleichsbasis zu Abschöpfungen gekommen ist. Entsprechendes ergab auch eine Anfrage an das BMJ, van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 181. 254 Die Vorschrift wird daher auch als „reizvolles Betätigungsfeld für ein normatives Glasperlenspiel“ bezeichnet, Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 8. 255 Als Beispiele seien hier nur genannt: Herzberger, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, die der Norm über 600 Seiten widmet; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG; Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG; Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich; van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht. 256 So bspw LG Bonn GRUR-RR 2006, 111 – Unzutreffendes Testurteil; LG Heilbronn BeckRS 2006, 03993; LG Berlin CR 2008, 192; OLG Hamm GRUR-RR 2008, 435; LG München I vom 22. 07. 2008, 33 O 17282/07 – juris; eine thematische Auflistung der Urteile
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Das Vorsatzerfordernis war dabei bereits im (Vor-)Stadium des Gesetzgebungsverfahrens eines der umstrittensten Tatbestandsmerkmale. Während der Professorenentwurf 257 eine planmäßige Täuschung der Verbraucher im Rahmen abgeschlossener Fallgruppen voraussetze, 258 worin nach allgemeinem Rechtsverständnis nichts anderes als ein Vorsatzerfordernis gesehen werden kann, verlangten Micklitz und Stadler in ihrem, dogmatisch stark abweichenden, Ansatz dagegen lediglich einen schuldhaften Wettbewerbsverstoß, womit (einfache) Fahrlässigkeit ausreichen würde. 259 Quasi vermittelnd zu diesen beiden Ansätzen setzte der Referentenentwurf von 2003 mindestens ein grob fahrlässiges Verhalten voraus. 260 Es sollte zum einen den Unternehmen nicht das Risiko aufgelastet werden, sich bei Handlungen im „Grenzbereich“ einer Abschöpfung ausgesetzt zu sehen, zum anderen sah man eine Beschränkung auf rein vorsätzliche Verstöße als zu eng an und hatte hierbei schon die später noch zu erörternden Beweisschwierigkeiten im Auge. 261 Der darauffolgende Regierungsentwurf 262 sah jedoch wiederum eine Abschöpfung nur bei vorsätzlichen Handlungen vor. 263 Er machte sich dabei beinahe wortgleich die Begründung des Referentenentwurfs zu eigen, unterschlug aber ohne nähere Ausführungen die dort geäußerten Bedenken bezüglich einer Einschränkung auf lediglich vorsätzliche Handlungen. 264 Nachdem der Bundesrat hieran keinen Anstoß nahm, 265 sah sich auch der Rechtsausschuss des Bundestages zu keiner Änderung mehr veranlasst. 266 Diese Entscheidung ist, den Argumenten von Micklitz 267 folgend, grundlegend zu kritisieren. Eine Privilegierung von Unternehmen, die im „Grenzbereich“ des Zulässigen tätig sind, erscheint nicht schlüssig. Wer sich aktiv dafür entscheidet in solchen „Grauzonen“ zu agieren, muss nicht vor dem daraus eventuell resultierenden Prozessrisiko geschützt werden, zumal ein solches im „Grenzbereich“ auch auf Seiten der potentiellen Kläger besteht. 268 Eine Einbeziehung der groben Fahrlässigkeit wäre hier gesetzesunter dem Aspekt des Vorsatzes findet sich bei van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 220 ff. 257 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317. 258 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig, WRP 2002, 1317, 1322. 259 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 125. 260 GRUR 2003, 298, 299. 261 GRUR 2003, 298, 309. 262 BT-Drucks. 15/1487. 263 BT-Drucks. 15/1487, S. 7. 264 BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 265 BT-Drucks. 15/1487, S. 34 f. 266 BT-Drucks. 15/2795, S. 9, 21 f. Das ist auch Anbetracht der Tatsache, dass neben Bornkamm und Köhler noch vier Vertreter von Wirtschaftsverbänden als Sachverständige mitgewirkt hatten, nicht überraschend. 267 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 80. 268 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 80.
64 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland technisch wesentlich sinnvoller gewesen. Auch das Argument, hieraus würden sich unzählige Abgrenzungsprobleme zur einfachen Fahrlässigkeit ergeben, verfängt nicht, da sich diese Problematik nun einfach auf die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und grober Fahrlässigkeit verlagert. Als anspruchsbegründende Tatsache ist der Vorsatz grundsätzlich vom Kläger darzulegen und auch zu beweisen. Das betrifft nicht nur den Vorsatz bezüglich der Vornahme der unzulässigen Handlung, sondern, dem allgemeinen zivilrechtlichen Verständnis des Vorsatzbegriffes folgend, 269 auch das Bewusstsein des Verletzers um die Rechtswidrigkeit seiner Handlung. 270 Die Eingrenzung auf vorsätzliches Handeln privilegiert damit denjenigen Unternehmer, der bewusst auf die Einholung einer rechtlichen Beratung verzichtet, da seriöse Unternehmer, die dies tun und denen im Zuge derselben ein gewisses Restrisiko aufgezeigt wird, sich dann bereits im Bereich des (nachweisbaren) Eventualvorsatzes befinden. 271 In der Laiensphäre genügt zwar in Parallelwertung auch das sich bewusste Verschließen vor einer in Betracht gezogenen Rechtswidrigkeit des Handelns, um einen Vorsatz zu begründen, 272 dies nachzuweisen dürfte aber sehr schwer fallen. Hier sind die Gerichte hauptsächlich auf Indizien angewiesen, um zu der nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Überzeugung zu gelangen. 273 Ein prima facie Beweis wird nur schwer zu begründen und eine Beweislastumkehr nur schwer herzuleiten sein. 274 Da einfach gelagerte Fälle wie eine vorausgegangene Abmahnung 275 oder eine vorherige Unterlassungsklage bezüglich desselben Verhaltens eher die Ausnahme, und komplizierte Konstellationen, hervorgerufen durch Schutzbehauptungen des Beklagten, eher die Regel sein werden, 276 entstehen hier erhebliche Beweisschwierigkeiten. Diese wären, würde man grobe Fahrlässigkeit ausreichen lassen, zweifelsohne gerin-
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BGH NJW 1977, 1875; BGH NJW 1992, 2014, 2016. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 6; die Auffassung, die für den Vorsatzbegriff im Rahmen des § 10 UWG den des § 826 BGB heranziehen möchte, ist abzulehnen, hierzu ausführlich Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 226 ff. 271 Sosnitza, GRUR 2003, 739 745. 272 BGH NJW 1996, 2652, 2653; BGH NJW 2004, 2971, 2973; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 6; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 67. 273 Zu den verschiedensten Indizwirkungen van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 213 ff. 274 Ausführlicher zu beiden Möglichkeiten van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 219 f.; zur Möglichkeit der Beweislastumkehr Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 103 ff., der sich aber, i. E. wohl schwer vertretbar, für eine Übertragung der Beweislastumkehr aus der Produzentenhaftung ausspricht. 275 Teilweise wird hier jedoch nur eine qualifizierte, hinreichend dezidierte Abmahnung als ausreichend erachtet, LG Heilbronn BeckRS 2006, 03993. 276 Ausführlich zu den denkbaren Konstellationen MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 81 ff. 270
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ger, da hier die objektive Sorgfaltspflichtverletzung einen guten Anknüpfungspunkt für die inneren Erwägungen des Beklagten darstellt. 277 (2) Vielzahl von Abnehmern Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Vielzahl von Abnehmern“ ist gleich in dreierlei Hinsicht umstritten. Zunächst ist unklar, wer genau zum Kreis dieser Abnehmer gehören soll. Der Gesetzeswortlaut verzichtet im Gegensatz zu § 34a GWB auf die ausdrückliche Einbindung auch der Anbieter in den möglichen Kreis der Geschädigten. Die Gesetzesbegründung jedoch möchte die Norm auf sämtliche „Marktteilnehmer“ erstrecken, 278 womit nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG neben den Verbrauchern und Nachfragern auch Mitbewerber und Anbieter umfasst wären. Der daraus hervorgehende Widerspruch lässt sich wohl am besten auflösen, wenn man vom Anwendungsbereich des § 10 UWG jeden Marktakteur umfasst sieht, der in dem konkreten Fall als Abnehmer auftritt. 279 Das werden regelmäßig Verbraucher sein; Anbieter, Nachfrager, Mitbewerber oder Verbraucher sind jedoch keine Eigenschaften, die den Akteuren dauerhaft anhaften, sie beschreiben vielmehr nur eine Rolle in einem bestimmten Markt. Ein Anbieter ist häufig zugleich auf einem anderen Markt Nachfrager und auch ein Verbraucher kann, bspw. bei einem privaten Verkauf, zugleich Anbieter sein. 280 Hinsichtlich des Begriffs der Abnehmer ist zudem strittig, ob hier nur die unmittelbaren Vertragspartner des Verletzers in Betracht kommen oder ob auch Marktteilnehmer auf nachgelagerten Marktstufen umfasst sind. 281 Der Bundesrat verlangte in seiner Stellungnahme eine im Gesetzestext verankerte Begrenzung nur auf die unmittelbaren Vertragspartner. 282 Obgleich eine Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 103. BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 279 So auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 520; Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 155; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 107; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 142; a. A. Pinski, Abschöpfungsregeln im Wettbewerbsrecht, S. 51. 280 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 519. 281 Für eine Einbeziehung MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 121; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 95; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 522; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 143; Herzberg, Die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG, S. 289 ff.; van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 411; Emmerich, Überlegungen zur Gewinnabschöpfung, FS Fezer S. 1027, 1031; Pokrant, Zum Verhältnis von Gewinnabschöpfung gemäß § 10 und Schadensersatz nach § 9 UWG, FS Ullmann, S. 813, 816; a. A. BGH GRUR 2008, 818, 829 – Strafbare Werbung im Versandhandel; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 11; Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 10 Rn. 10; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 107 f. 282 BT-Drucks. 15/1487, S. 34. 277 278
66 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland solche im Gesetzgebungsverfahren ausgeblieben ist, sieht ein Teil des Schrifttums dennoch nur diese von der Norm umfasst. Sachlich sinnvoll wäre ein weites Verständnis des Abnehmerbegriffes, da dies dem Anspruch eine erheblich größere Breitenwirkung verleihen würde. 283 Das lässt sich angesichts der Tatsache, dass auf das Verlangen des Bundesrats eben gerade nicht eingegangen wurde, de lege lata wohl auch besser vertreten. Letztlich ist auch ungeklärt, wie viele Abnehmer betroffen sein müssen, damit von einer „Vielzahl“ gesprochen werden kann. Während Micklitz/ Stadler eine Mindestanzahl von 15–30 Betroffenen benannt hatten, 284 schwiegen sich Referenten- und Regierungsentwurf dahingehend aus. Klar machte der Gesetzgeber nur, dass Wettbewerbsverstöße, die sich gegen einzelne Personen richten, von der Norm ausgenommen werden sollen, 285 eine Untergrenze zog er jedoch nicht. Dementsprechend vielfältig sind die Meinungen zu einer solchen in der Literatur. Parallel zum AGB-Recht wird teilweise eine Mindestbetroffenheit von drei bis fünf Verletzten verlangt, 286 anknüpfend an den Tatbestand des § 283a StGB eine von 50 Personen. 287 Im Ergebnis wird der Streit wohl rein akademischer Natur bleiben. In der Regel lohnt sich die Geltendmachung des § 10 UWG für die Verbände erst bei einem größeren Betroffenenkreis. 288 Dieser wird wohl auch in vielen Fällen vorliegen, wenn man den Begriff des Abnehmers, wie hier vertreten, weit auslegt. Ein dezidierter Nachweis der Betroffenheit wird ohnehin weitgehend für entbehrlich gehalten, es genügt, dass die Handlung bei typischer Betrachtungsweise eine Vielzahl von Abnehmern betrifft. 289 (3) Zu Lasten Konturlos und insofern Gegenstand erheblicher Diskussionen ist zudem die Formulierung in § 10 UWG, ein Gewinn müsse zu Lasten der Abnehmer erzielt werden. Abweichend vom heutigen Gesetzestext enthielten Referenten- 290 und Regierungsentwurf 291 noch die Formulierung, der Gewinn müsse auf Kosten der Abnehmer erzielt worden sein, womit das Erfordernis eines der Gewinnerzielung unmittelbar gegenüberstehenden Vermögensnachteils
283
MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 121. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 127. 285 Im Referentenentwurf GRUR 2003, 298, 309 f.; im Regierungsentwurf BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 286 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 12. 287 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 104. 288 Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 109. 289 van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 419 ff. 290 GRUR 2003, 298, 299. 291 BT-Drucks. 15/1487, S. 7. 284
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seitens der Abnehmer aufgestellt werden sollte. 292 Der Bundestag kritisierte diesen Ansatz, da er den Nachweis eines Vermögensnachteils bei jedem einzelnen Abnehmer für kaum praktikabel hielt. 293 Daraufhin änderte der Rechtsausschuss des Bundestages das Tatbestandsmerkmal in seine heutige Form ab und stellte klar, dass die Ermittlung von einzelfallbezogenen Schäden nicht erforderlich sei und lediglich dargelegt werden müsse, dass bei einer Vielzahl von Abnehmern eine wirtschaftliche Schlechterstellung eingetreten ist. 294 Unklar, und damit Ausgangspunkt der hier herrschenden Meinungsverschiedenheiten ist, ob die Anpassung des Rechtsausschusses lediglich in Bezug auf den Nachweis des Vermögensnachteils auch eine typisierende Betrachtung ermöglichen wollte, oder ob von dem Erfordernis des unmittelbar dem Gewinn gegenüberstehenden Vermögensnachteils generell abgewichen werden sollte. Insofern dreht sich die Auseinandersetzung im Wesentlichen um die Art der Auswirkungen, die durch das unlautere Verhalten bei den Abnehmern hervorgerufen werden müssen. 295 Köhler vertritt hierzu die denkbar engste Ansicht. So fordert er nicht nur einen unmittelbaren Vermögensnachteil auf Seiten der Abnehmer in Form einer tatsächlichen wirtschaftlichen Schlechterstellung, welche sich nach Abzug der von dem Verletzer erbrachten Gegenleistung ergibt und sich in Form einer unmittelbaren Vermögensverschiebung sodann ohne Zwischenschritte als Zuwachs beim Verletzer niederschlägt, sondern darüber hinaus, dass dem Abnehmer durch diese Vermögensverschiebung ein bürgerlich rechtlicher Anspruch zur Sicherung seines Vermögens gegen den Verletzer erwachsen ist. 296 Dieser Ansatz steht notwendigerweise im Zusammenhang mit der von Köhler vertretenen engen Auslegung des Abnehmerbegriffs, wonach ohnehin nur die unmittelbaren Vertragspartner des Verletzers als „Abnehmer“ i. S. d. § 10 UWG in Frage kommen. Nach Köhlers Auffassung entspricht diese Auslegung nicht nur dem historischen Willen des Gesetzgebers, sondern verwirklicht auch den Zweck des § 10 UWG, das Marktversagen zu korrigieren, das sich daraus ergibt, dass dem einzelnen Betroffenen zwar Ansprüche gegen den Verletzer entstehen, er diese aber nicht durchsetzt. 297 Problematisch an dieser Auslegung des Merkmals „zu Lasten“ ist, dass durch sie sämtliche Konstellationen, in denen der Vertragsschluss selbst auf eine unlautere Handlung zurückzuführen ist, Leistung und Gegenleistung sich aber wertmäßig entsprechen, aus dem Anwendungsbereich des § 10
292 293 294 295 296 297
BT-Drucks. 15/1487, S. 24. BT-Drucks. 15/1487, S. 34. BT-Drucks. 15/2795, S. 21. van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 378. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 10. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 10.
68 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland UWG ausgenommen werden. 298 Um der Gewinnabschöpfung dennoch den Zugang zu diesen Konstellationen zu eröffnen, wurden verschiedenste Begründungsmodelle 299 entwickelt, die den Anwendungsbereich der Norm erweitern sollen. Die meisten möglichen Fallkonstellationen umfasst dabei der Ansatz, bei dem das Merkmal „zu Lasten“ als vollständig vom Vermögensbezug losgelöst betrachtet wird. Obgleich es auch unter den Vertretern dieser Ansicht Abweichungen in der Begründung gibt, geht es im Kern darum, bei der Feststellung der Benachteiligung der Abnehmer sämtliche Rechtsgüter derselben, welche diesen zur alleinigen Nutzung zugewiesen sind, in die Betrachtung miteinzubeziehen. 300 Damit wird auf das Erfordernis eines Vermögensschadens verzichtet und bereits jeglicher Eingriff in den wettbewerbsrechtlich geschützten Interessenkreis der Abnehmer als ausreichend zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals erachtet. 301 Sämtlichen Begründungsansätzen hierzu ist gemein, dass sie dem Sinn und Zweck des Abschöpfungsanspruches folgend nicht den Verlust auf Seiten der Abnehmer, sondern den Gewinn auf Seiten des Verletzers in den Fokus der Betrachtung rücken. Das Merkmal „zu Lasten“ wird damit weitestgehend auf seine Funktion, einen konditionalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen zu schaffen, reduziert. 302 Zwischen diesen beiden sehr gegensätzlichen Betrachtungsweisen tummeln sich eine Vielzahl von weiteren Auslegungs- und Begründungsansätzen, die in ihrem Umfang und ihrer Komplexität in dieser Arbeit allerdings nicht umfassend dargestellt werden können. 303 Insgesamt fällt eine Positionierung hier nicht leicht. Einerseits erscheint es, angesichts der in den Gesetzgebungsmaterialien verwendeten Forderung nach einer „wirtschaftlichen Schlechterstellung“ 304 der Abnehmer, nicht sehr naheliegend, das Tatbestandsmerkmal als vollkommen vermögenslosgelöst auszulegen. Anderer298 Als Beispiele werden hier häufig die Auszeichnung von Waren mit Mondpreisen, nicht in genügender Anzahl vorrätig gehaltene Lockangebote und unlautere vergleichende Werbung genannt. Tatsächlich erstreckt sich das Konstellationsfeld jedoch noch weit darüber hinaus und erfasst die meisten Zuwiderhandlungen gegen die §§ 3 Abs. 3, 4a, 5, 6 und 7 UWG. 299 Beispielsweise: Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 540 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 189 ff.; soweit ähnlich MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 106 ff.; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/ Goldmann UWG § 10 Rn. 85 ff. 300 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 108. 301 Dies wird teilweise mit der Anlehnung an die aus dem Bereicherungsrecht stammende Zuweisungstheorie begründet, Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 539. 302 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 114. 303 Verwiesen sei hier auf die Darstellungen von van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 378 ff. und die von Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 528 ff. 304 Sowohl im Gesetzesentwurf BT-Drucks. 15/1487, S. 24, als auch in den Beschlussempfehlungen des Rechtsausschusses BT-Drucks. 15/2795, S. 21 wird dies vorausgesetzt.
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seits ist gerade bei Verstößen gegen § 7 UWG in den wenigsten Fällen von einem unmittelbaren Vermögensnachteil, wie ihn Köhler fordert, auszugehen. Der Gesetzgeber hat § 7 UWG jedoch ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Gewinnabschöpfungsanspruches aufgenommen, was stark gegen diese enge Auslegung spricht. 305 Im Ergebnis ist es jedoch wohl die schrittweise Verabschiedung vom Begriff des Schadens im Tatbestand des Gewinnabschöpfungsanspruches, die eine weite, vermögenslosgelöste Auslegung des Merkmals „zu Lasten“ nahelegt. Während sowohl Micklitz und Stadler 306 als auch der Referentenentwurf 307 einen Schaden noch ausdrücklich forderten, wählte schon der Regierungsentwurf mit der Formulierung „auf Kosten“ einen Ansatz, der sich von dieser Betrachtung abwendete. 308 Auch wenn mit der endgültigen Fassung des Merkmals keine dahingehende Begründung des Gesetzgebers einherging, wird man diesen Schritt wohl als weitere Abstandnahme vom Erfordernis einer konkreten Vermögensverschiebung und einer rein auf der Differenzhypothese basierenden Betrachtung ansehen können. (4) Gewinn Spricht man von „Gewinn“ iSd § 10 UWG muss man zunächst zwischen den beiden unterschiedlichen Funktionen differenzieren, die der Begriff im Rahmen der Norm einnimmt. Er beschreibt zum einen auf Rechtsfolgenseite den Anspruchsinhalt und stellt zum anderen im Rahmen des Tatbestandes den Anknüpfungspunkt der Haftung dar. In letzterer Funktion korrespondiert er dabei stark mit dem Verständnis des Merkmales „zu Lasten“, da beide Begriffe zusammen die für eine Haftung erforderlichen Auswirkungen des unlauteren Handelns auf Verletzer- und Abnehmerseite definieren. Auch bei diesem Tatbestandsmerkmal hat es der Gesetzgeber verpasst, nähere Anhaltspunkte zu Anwendung und Auslegung anzubieten. Daraus resultieren wiederum eine Vielzahl verschiedener Ansätze in der Literatur, die allesamt hauptsächlich zu einem Ergebnis führen – Rechtsunsicherheit. Eingeordnet wird die Problematik dabei meist unter dem Stichpunkt der „Gewinnberechnung“, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt. Die eine Komponente betrifft die Entstehung des Gewinns beim Verletzer, die andere die Frage, welche Posten dieser seinerseits noch gegen diesen Gewinn in Abzug bringen kann.
305 306 307 308
So auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 541. Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 124. GRUR 2003, 298, 299. BT-Drucks. 15/1487, S. 7, 24.
70 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Bezüglich der Entstehung des Gewinns stellt § 10 UWG durch den Begriff „hierdurch“ 309 das Mindesterfordernis eines Kausalzusammenhangs 310 zwischen dem UWG-Verstoß und dem Zuwachs auf Seiten des Verletzers auf. Was auf den ersten Blick simpel anmutetet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung hinsichtlich des Nachweises einer solchen Kausalität in vielen Fällen als schwierig, in einigen sogar als quasi unmöglich. 311 Bei der Einstufung muss nach den oben bereits herausgearbeiteten Fallgruppen differenziert werden. 312 Unproblematisch sind dabei allein die Fälle, in denen das unlautere Verhalten ohne Zwischenschritte zu einer direkten Vermögensverschiebung von den Abnehmern zum Verletzer führt und diese ausschließlich auf den Gesetzesverstoß zurückzuführen ist. 313 Schwieriger gestalten sich dagegen bereits die Fälle, in denen nicht der gesamte Gewinn, sondern lediglich ein Gewinnanteil dem unlauteren Verhalten zugeordnet werden kann. Wird beispielsweise eine Ein-Liter-Packung Milch zum Preis von einem Euro nur mit lediglich 900 ml befüllt, so kann es, obgleich dies auf den ersten Blick vielleicht anders erscheint, nicht als ausreichend erachtet werden, dem Verletzer hier pro verkaufter Packung 10ct zu entziehen. Durch die Minderbefüllung war der Verletzer nämlich u. U. in der Lage, sein Produkt günstiger als seine Mitbewerber anzubieten und sich dadurch einen größeren Marktanteil zu sichern. Auch wenn er jetzt von all diesen Packungen den „Unrechtsgewinn“ von 10ct herausgeben muss, verbleibt ihm der Mehrgewinn, den er durch den Mehrverkauf insgesamt erwirtschaftet. Denn natürlich enthalten auch die 900 ml tatsächlich abgefüllte Milch einen gewissen Gewinnanteil. 314 309 „[…] wer vorsätzlich eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt […]“. 310 So die h. M. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 7; Fezer/Büscher/ Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 215; van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 283; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 97; Gärtner, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 123; Schmauß, Der Gewinnabschöpfungsanspruch von Verbänden, S. 97 f.; Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 141. 311 So auch van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 284, 289. 312 Hierzu Teil 2 – A.I.2.b)bb). 313 Bspw. Einziehung geringer Beträge ohne Rechtsgrund, kostenpflichtige Mehrwertdienste ohne Gegenleistung, Abo-Fallen, bei denen die Gegenleistung für den Abnehmer ohne Wert ist. 314 Vereinfachte Kalkulation zum Verständnis: Betragen die Herstellungs- und Produktionskosten für einen Milliliter Milch 0,05 Cent, so macht der Hersteller mit jedem verkauften Liter Milch für einen Euro einen Reingewinn von 50 Cent. Füllt er tatsächlich aber nur 900 ml ab, so beträgt der Reingewinn 55 Cent. Werden von diesem Reingewinn wiederum 10 Cent als Unrechtsgewinn abgeschöpft, so verbleiben dem Verletzer „nur noch“ 45 Cent Gewinn pro Packung. Geht man nun aber davon aus, dass andere Anbieter, die ebenfalls eine Gewinnmarge von 55 Cent pro Liter Milch anstreben, sich aber lauter verhalten wollen, dadurch gezwungen sind ihre Milchtüten für 1,05 € pro Stück zu verkaufen, so ergibt sich ein Wettbewerbsvorteil für den Verletzer. Nutzt er diesen, um sagen wir statt
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Während dieses Problem wohl noch durch ein angepasstes Modell der Gewinnberechnung in den Griff zu bekommen ist, stößt man bezüglich der letzten Fallgruppe beim Versuch eines Kausalitätsnachweises an die Grenzen des Machbaren. Dieser Gruppe sind sämtliche Fälle zuzuordnen, in denen sich der Verletzer neben lauteren auch unlauteren Maßnahmen bedient hat, um einen Vertragsabschluss zu erreichen. 315 In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, ob deshalb der gesamte Gewinn aus der Vertragsbeziehung herauszugeben ist oder nur der nachweislich auf der unlauteren Maßnahme beruhende. 316 Entscheidet man sich für letzteres, so eröffnet sich ein schier endloses Feld an Folgeproblemen den Kausalitätsnachweis betreffend. Zurückzuführen ist dies vornehmlich darauf, dass dem Markt unter freiem Wettbewerb Monokausalitäten fremd sind. 317 Konkrete Vertragsschlüsse lassen sich somit sehr schwer auf eine einzelne Maßnahme zurückführen. Verbraucherentscheidungen beruhen in der Regel auf einem komplexen Zusammenspiel aus Medieneinflüssen, Umwelteinflüssen, Marktverhalten sowie der Marktposition des Vertragspartners und nicht zuletzt dem Verhalten der Wettbewerber auf dem Markt. Wirbt ein Verletzer in seiner Werbekampagne unlauter vergleichend für ein Produkt, so ist es äußerst kompliziert festzustellen, wie viele Abnehmer dieses Produkt aufgrund der Kampagne gekauft haben oder aber sich beispielsweise aus Markenbekanntheit, vorherigen Erfahrungen mit dem Produkt oder persönlichen Empfehlungen für den Kauf entschieden haben. Je enger man das Erfordernis des Kausalzusammenhangs fasst, desto schwieriger, oder besser unmöglicher, scheint dessen Nachweis zu werden. Wie verhält es sich, wenn nur ein Teil der Werbekampagne, sagen wir nur die Plakatwerbung, als unlauter zu bewerten ist? Wie, wenn nur ein Teil der einzelnen Plakate betroffen ist? Der jeweilige Einfluss hiervon auf den Kunden ist nicht berechenbar. Nicht zuletzt deshalb gilt der Satz: „Die Hälfte des Geldes, das man in die Werbung steckt, ist zum Fenster herausgeworfen, man weiß nur nicht welche“. 318 Angesichts dieser Komplexität verwundert es nicht, dass eine Vielzahl an Begründungsmodellen entwickelt wurde, die einen exakten Kausalitätsnachweis entbehrlich machen. Goldmann verfolgt dabei den Ansatz, statt eines kausalen, einen konditionalen Zusammenhang zwischen dem unlauteren Verhalten und dem erzielten Gewinn ausreichen zu lassen. 319 Durch eine normalerweise 1000 Packungen Milch 2000 Packung zu verkaufen, so hat er hierdurch einen „Mehrgewinn“ auch nach Gewinnabschöpfung erwirtschaftet. 315 Bspw. durch belästigende, bedrängende, vergleichende oder aus anderen Gründen unzulässige Werbung oder Werbemaßnahmen. 316 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 125. 317 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 126. 318 Sack, WRP 2003, 549, 553. 319 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 119 ff.; die Ansicht konnte sich in der Literatur allerdings nicht durchsetzen und wird teilweise als zu einseitig und ergebnisorientiert bezeichnet, Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechts-
72 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland weite Auslegung des Merkmals „hierdurch“ soll es ermöglicht werden, nicht nur denjenigen Gewinn abzuschöpfen, der entstanden ist, weil der Verletzer unlauter handelte, sondern denjenigen, der entstanden ist, wenn er dies tat. 320 Im Ergebnis entspricht das dem Ansatz von Micklitz, der fordert, das Kausalitätserfordernis durch teleologische Reduktion anzupassen und damit eine tatsächliche Gewinn- und nicht lediglich eine Mehrerlösabschöpfung zu ermöglichen. 321 Damit hätte der Verletzer in allen obigen Fallgruppen stets den gesamten erzielten Gewinn herauszugeben, eine Berechnung des Teils, der auf der unlauteren Handlung beruht, entfiele. Neben der Entstehung des Gewinnes an sich ist, wie angesprochen, auch umstritten, welche Posten der Verletzer gegen seinen Gewinn in Abzug bringen darf. Hier bestehen erhebliche Rechtsunsicherheiten und es gibt kaum einen Posten, der einhellig als abzugsfähig oder nicht abzugsfähig eingestuft wird. 322 Die Problematik rührt daher, dass der Gesetzgeber es versäumt hat, im Rahmen des Lauterkeitsrechts eigene Grundsätze für die Abzugsfähigkeit zu entwickeln, und stattdessen schlicht die Prinzipien aus dem Immaterialgüterrecht übertragen hat, die jedoch in diesem Zusammenhang nicht wirklich passen. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 10 UWG soll der Verletzer von seinem Umsatzerlös die Herstellungskosten für die erbrachte Leistung sowie eventuell angefallene Betriebskosten abziehen dürfen. Vom wettbewerbswidrigen Verhalten unabhängige Gemeinkosten sollen dagegen nicht abzugsfähig sein. 323 Aus der Formulierung entnimmt die Literatur weitgehend einhellig,324 dass es hier die Intention des Gesetzgebers war, sich an der Rechtsprechung des BGH auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes zu orientieren, insbesondere an der Entscheidung „Gemeinkostenanteil“. 325 Im gewerblichen Rechtsschutz hat ein Geschädigter grundsätzlich die Wahl zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten der Schadensberechnung. Anstelle der Geltendmachung des konkreten Schadens kann er entweder in Lizenzanalogie das fordern, was vernünftig denkende Parteien als Lizenzentgeld vereinbart hätten, oder den Verletzergewinn herausverlangen. Entvergleich, S. 94; ausführlich auch van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 286 f. 320 Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 133 ff. 321 MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 125. 322 Dabei soll es hier ausdrücklich nicht um die Posten aus § 10 Abs. 2 UWG gehen, sondern um diejenigen, die sich bereits auf den Gewinn als solches auswirken. 323 BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 324 So die allgemeine Meinung, vgl. van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 258; Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 160; Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 547; Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 98; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 7; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 218; Ohly/Sosnitza/Ohly UWG § 10 Rn. 6; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 131. 325 BGH GRUR 2001, 329.
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scheidet sich der Geschädigte für die letztgenannte Methode, so kann der Schädiger von dem herauszugebenden Gewinn, vereinfacht gefasst, nur diejenigen Kosten abziehen, die unmittelbar durch die Verletzungshandlung verursacht wurden. 326 Auf diese Positionen ist der Schutzrechtsverletzer beschränkt, weil er parallel zu den Regelungen in § 687 Abs. 2 S. 2 BGB einem angemaßten Fremdgeschäftsführer gleichgestellt wird. Zugunsten des Verletzten wird dabei fingiert, dass dieser durch die Verwendung seines Schutzrechtes den gleichen Gewinn wie der Verletzer erzielt hätte. 327 Aus dieser Überlegung resultieren zwei Folgen: Zum einen kann der Verletzte vom Verletzer dessen Gewinn gem. §§ 687 Abs. 2 S. 2, 681, 667 BGB herausverlangen, zum anderen kann der Verletzer gegen den Verletzten einen Aufwendungsersatzanspruch nach den Vorschriften über die Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung nach §§ 687 Abs. 2 S. 2, 684 BGB geltend machen. Sinnbildlich gesprochen entspricht der Anspruch des Verletzten dabei der Gewinnabschöpfung, der des Verletzers enthält die Abzugsposten. Letzterer beschränkt sich dabei auf die mit der Geschäftsanmaßung unmittelbar im Zusammenhang stehenden Ersparnisse des Geschäftsherrn, Gemeinkosten des Geschäftsführers gehören nicht dazu. Diese Ausführungen offenbaren die Problematik, die sich aus der Übertragung dieses Instituts aus dem Immaterialgüter- in das Wettbewerbsrecht ergibt. Einen „Verletzten“ wie es im Immaterialgüterrecht regelmäßig der Schutzrechtsinhaber ist, gibt es im Wettbewerbsrecht nicht. Das Lauterkeitswie auch das Kartellrecht schützen die Funktion des Marktes und des Wettbewerbs an sich. 328 Hieraus ergeben sich mitunter sehr unbillige Ergebnisse im Rahmen des Abschöpfungsanspruches. So müsste man beispielsweise die Kosten für eine unlautere Werbekampagne als abzugsfähig einstufen, da sie keine Gemeinkosten darstellen und unmittelbar durch die Verletzungshandlung verursacht wurden. 329 Während der Anknüpfungspunkt des Immaterialgüterrechts meist jedoch ein bestimmtes Produkt ist, an dem Schutzrechte bestehen, knüpft das Wettbewerbsrecht an Handlungen an, die den Wettbewerb schädigen. 330 Während es daher billig erscheint, Werbung für ein geschütztes Produkt als abzugsfähig einzustufen – der Schutzrechtsinhaber 326 Ausführlich hierzu van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 240 ff. 327 So ausdrücklich BGH GRUR 2001, 329, 331 – Gemeinkostenanteil, mit Verweis auf BGH GRUR 1972, 189, 190 f. – Wandsteckdose II. 328 Vgl § 1 S. 2 UWG, § 1 GWB. 329 Aus diesem Grund auch für eine Abzugsfähigkeit Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler UWG § 10 Rn. 7; Sack, WRP 2003, 549, 554; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 151; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 219; Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 177; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG Rn. 133. 330 So auch van Ray, Gewinnabschöpfung als Präventionsinstrument im Lauterkeitsrecht, S. 261 ff.
74 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland hätte ja auch geworben – ist es sehr schwer vermittelbar, das Gleiche bei den Kosten für unlautere Werbung vorzunehmen. Aus diesem Grunde plädieren einige Autoren hier für einen Bruch mit der Dogmatik und einer Ablehnung der Abzugsfähigkeit solcher Kosten. 331 Letzten Endes folgt aus der dogmatisch unsauberen Übertragung der Grundsätze aus dem gewerblichen Rechtsschutz ein im Rahmen des § 10 UWG bestehender erheblicher Anpassungsbedarf im Einzelfall, der in der Konsequenz in vielen unterschiedlichen Ansichten zur Abzugsfähigkeit vieler unterschiedlicher Posten resultiert. 332 cc) Die Rechtsfolge – Auskehr an den Bundeshaushalt Der erzielte Gewinn ist gem. § 10 Abs. 1 UWG an den Bundeshaushalt abzuführen, wobei gem. § 10 Abs. 2 UWG zuvor diejenigen Leistungen abzuziehen sind, die der Schuldner auf Grund der Zuwiderhandlung an Dritte oder an den Staat erbracht hat. Das betrifft insbesondere individuelle Schadensersatzzahlungen, die nach der ab dem 28. 05. 2022 geltenden Neufassung des § 9 UWG zweifelsohne an praktischer Relevanz gewinnen dürften. Anrechenbare Leistungen an den Staat sind sowohl Geldstrafen und Geldbußen 333 als auch Einziehungsanordnungen nach den §§ 73 ff. StGB. 334 Teilweise wird verlangt, Vertragsstrafen von der Anrechnung auszunehmen, da der Verletzer auf diese Weise eigentlich abzuschöpfendes Vermögen an ausgewählte Geschäftspartner verteilen könnte. 335 Die Rechtsfolge des § 10 UWG, die Auskehr des abgeschöpften Gewinns an den Bundeshaushalt, trägt zweifelsohne in nicht unerheblichem Ausmaß zu dessen geringer Nutzung bei. Während sowohl der Vorschlag von Micklitz und Stadler 336 als auch der Professorenentwurf 337 noch vorsahen, den Gewinn den Verbänden zu überlassen, teilweise mit der Einschränkung, diesen nur für die satzungsmäßigen Zwecke zu verwenden, beinhaltete schon der 331 Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 219; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG, Rn. 133; Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 177. 332 Einige Autoren wie bspw. Bauer gehen daher dazu über, Tabellen mit den einzelnen Posten und ihrer Einschätzung zur Abzugsfähigkeit zu erstellen, Bauer, Der Gewinnabschöpfungsanspruch nach § 10 UWG, S. 175 ff. 333 BT-Drucks. 15/1487, S. 24; OLG Schleswig GRUR-RR 2018, 1071 Rn. 20. 334 BGH GRUR 2008, 818 Rn. 135; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 13; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 175; BeckOKUWG/Eichelberg § 10 Rn. 76; a. A. Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 257; Alexander, WRP 2004, 407, 409. 335 M. M. siehe nur: Mönch, ZIP 2004, 2032, 2033; a. A. Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler UWG § 10 Rn. 13; MüKoUWG/Micklitz/Namysłowska UWG § 10 UWG, Rn. 157; Fezer/Büscher/Obergfell/von Braunmühl UWG § 10 Rn. 252; BeckOKUWG/Eichelberg § 10 Rn. 74. 336 Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 124. 337 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1327.
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Referentenentwurf eine Regelung, durch die der Gewinn dem Bundeshaushalt zugeführt werden sollte. 338 Neben der Option, das Geld an den klagenden Verband auszuschütten, erteilte der Entwurf auch der Möglichkeit, das abgeschöpfte Geld einer Stiftung zur Förderung von Verbraucherinteressen zukommen zu lassen, eine Absage. 339 Die Gründung einer solchen sei mit nicht unerheblichem Verwaltungsaufwand verbunden, von dem noch nicht abzusehen sei, ob er sich angesichts des neuen Instrumentes lohne. 340 Abgesehen von der durch die Literatur wiederholt dargelegten Tatsache, dass der Errichtungsaufwand durch Wahl einer entsprechenden Rechtsform durchaus gering gehalten werden kann, 341 leuchtet nicht ein, warum dann anstelle einer Neugründung nicht auf eine bestehende Stiftung, beispielsweise die Stiftung Warentest, zurückgegriffen wurde. 342 Ebenso wenig kann die Argumentation verfangen, die seitens des Gesetzgebers für die Ablehnung der Ausschüttung an den klagenden Verband vorgebracht wurde. Hier führt der Gesetzgeber an, dass, würde der Gewinn bei den Verbänden verbleiben, die Gefahr bestünde, dass diese den Anspruch „aus dem letztlich sachfremden Motiv der Einnahmeerzielung heraus“ geltend machen. 343 Hier tritt die oben bereits dargelegte und als irrational eingestufte Angst vor Abmahnvereinen wieder hervor. Die Tatsache, dass der Bundesrat während des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass der Anspruch aus § 10 UWG durch die Pflicht der Abführung an den Bundeshaushalt wirkungslos werde, 344 lässt erkennen, wie groß diese Angst ist. Der Gesetzgeber scheint lieber ein unwirksames Instrument zu implementieren und damit den Gewinn, den ein vorsätzlich unlauter handelnder Verletzer erzielt hat, diesem zu belassen, als (auch) finanziell motivierte Verbände auf den Plan zu rufen. Entscheidet man sich aber bei der Bekämpfung von Streuschäden gegen eine behördliche und für eine privatrechtliche Durchsetzung und entfernt im nächsten Schritt einen der Hauptanreize für privatrechtliches Tätigwerden, das Vermögensinteresse, aus der Gleichung, so braucht man sich nicht zu wundern, wenn am Ende derselben sodann eine Null steht. Auch der BGH scheint mittlerweile davon auszugehen, dass der Gesetzgeber es bei der Verabschiedung des § 10 UWG in Kauf genommen hat, ein weitestgehend unwirksames Instrument zu schaffen. Der Gerichtshof hatte 338
GRUR 2003, 298, 299. GRUR 2003, 298, 299. Dieselben Gründe führt auch später der Regierungsentwurf auf, BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 340 GRUR 2003, 298, 310; BT-Drucks. 15/1487, S. 25. 341 So beispielsweise Fezer, Zweckgebundene Verwendung von Unrechtserlösen; ausführlich zu einer Implementierung im Rahmen der Umsetzung der neuen Verbandsklagerichtlinie Teil 4 – C.III.8.b). 342 Diesen Vorschlag macht auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 572. 343 GRUR 2003, 298, 310; BT-Drucks. 15/1487, S. 24. 344 BT-Drucks. 15/1487, S. 35. 339
76 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Ende 2018 einen Fall zu entscheiden, in dem sich der klagende Verband eines Prozessfinanzierers bediente, um einen Auskunftsanspruch auf Grundlage des § 10 UWG durchzusetzen. Da der Prozessfinanzierer, wie in solchen Fällen üblich, als Gegenleistung für die Übernahme des Prozessrisikos im Erfolgsfall eine Beteiligung am Erlös forderte, hatte sich der Verband im Voraus an das Bundesamt für Justiz gewandt und von diesem die Zusage erhalten, auf die Einwendung zu verzichten, die Kosten für den Prozessfinanzierer seien keine „für die Geltendmachung des Anspruches erforderlichen Aufwendungen“ im Sinne des § 10 Abs. 4 S. 2 UWG. 345 Diese angesichts der oben dargelegten finanziellen Situation der Verbände durchaus nachvollziehbare Vorgehensweise stufte der BGH jedoch als unzulässig ein. Zur Begründung führte er unter anderem aus, es beruhe auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, dass die klagebefugten Verbände ob der Pflicht, den Gewinn bei Obsiegen an den Bundeshaushalt abzuführen und des Risikos bei Unterliegen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, kein besonderes Interesse an der Rechtsverfolgung der Gewinnabschöpfungsansprüche haben. 346 Durch die Einschaltung des Prozessfinanzierers würde diese Entscheidung umgangen. Interessanterweise wurde im Zuge der Diskussion um die Rechtsfolge des Anspruches der Vorschlag, den Gewinn an die betroffenen Abnehmer zu verteilen, nur recht selten laut. Das lag einerseits an der zu dieser Zeit noch vorherrschenden, spätestens ab der Novellierung des § 9 UWG aber nicht mehr aktuellen, dogmatischen Grundausrichtung des deutschen Lauterkeitsrechts, das den Abnehmer nur reflexhaft und primär den Wettbewerb und die Mitbewerber schützen sollte. 347 Andererseits, und wahrscheinlich hauptsächlich, wurde diese Möglichkeit aber wegen des großen Zeit- und Kostenaufwands verworfen, den eine solche Verteilung mit sich bringen würde. 348 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass alle drei alternativen Verteilungsmethoden einer Auskehr an den Bundeshaushalt vorzugswürdig gewesen wären. Eine solche lässt nicht nur völlig den kompensatorischen Aspekt außer Acht, sie führt in letzter Konsequenz auch zu einer mangelnden Geltendmachung des Abschöpfungsanspruches und verhindert damit den eingangs als zentral identifizierten Entzug des Verletzergewinns.
345 346 347 348
BGH NJW 2018, 3581; hierzu auch Stadler, JZ 2019, 203. BGH NJW 2018, 3581, 3584 Rn. 43. Vgl. BT-Drucks. 15/1487, S. 22. Neuberger, Gewinnabschöpfungsanspruch im Rechtsvergleich, S. 133.
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b) § 34a GWB aa) Allgemeines, praktische Relevanz Die Vorteilsabschöpfung durch Verbände in § 34a GWB ist in ihrer Konzeption dem Anspruch aus § 10 UWG nachempfunden. 349 Während das GWB bereits seit längerem die Möglichkeit einer Mehrerlösabschöpfung durch die Kartellbehörde vorsieht, wurde ein Abschöpfungsanspruch für Verbände im Kartellrecht erstmals im Zuge der 7. GWB-Novelle erörtert. Bereits der Referentenentwurf vom 17. 12. 2003 sah in § 34a einen entsprechenden Mechanismus vor, 350 der neben den Wirtschaftsverbänden auch den qualifizierten Einrichtungen zur Verfügung stehen sollte. Letztere wurden jedoch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder aus dem Kreis der Klagebefugten entfernt und erst im Zuge der 8. GWB-Novelle 2013 aktivlegimitiert. 351 Anders als die Monopolkommission, 352 die die neue Abschöpfungsmöglichkeit begrüßte und den Gesetzgeber noch zu Erweiterungen der Möglichkeiten der Verbände ermunterte, 353 reagierte der Bundesrat ablehnend auf die Einführung des Instruments. Er befürchtete die Verabschiedung eines weiteren wirkungslosen Instruments und bat die Regierung doch von solcher „Schaufenstergesetzgebung“ Abstand zu nehmen. 354 Im Zentrum der Kritik stand wiederum die Auskehr des Erlöses an den Bundeshaushalt sowie die erheblichen Beweis- und Berechnungsprobleme, die bei der Geltendmachung des Anspruches entstehen würden. 355 Leider ging die Regierung, ähnlich wie bei der Einführung des § 10 UWG, nicht auf die Vorschläge des Bundesrats ein, weswegen dieser mit seiner Einschätzung im Ergebnis Recht behalten sollte. § 34a GWB hat es dabei bemerkenswerterweise geschafft, in der Praxis noch irrelevanter zu werden als seine Vorbildnorm. Während es nur sehr wenige Klagen nach § 10 UWG gab, 356 ist bislang noch kein einziger Fall bekannt, in dem ein Verband einen 349 Treffend formuliert Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 578: „Der kartellrechtliche Vorteilsabschöpfungsanspruch segelt im Windschatten der Gewinnabschöpfung“. 350 Entwurf eines 7. Gesetzes zur Änderung des GWB, nicht veröffentlichter Referentenentwurf vom 17. 12. 2003, abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/Shared Docs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/15_wp/GWB7Aend/refe.pdf;jses sionid=3508A8E0173FC9F568093D6A293D7D03.internet952?__blob=publicationFile& v=2 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 351 BGBl. I 2013, S. 1738 ff. 352 Monopolkommission, Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der 7. GWB-Novelle – Sondergutachten, S. 4 GWB. 353 So wurde bspw. eine Einführung einer Schadensersatzklage für Verbände (Rn. 86) und ein Verzicht auf die Abführung des abgeschöpften Vorteils an den Bundeshaushalt (Rn. 94) gefordert, Monopolkommission, Das allgemeine Wettbewerbsrecht in der 7. GWB-Novelle – Sondergutachten, S. 46, 51. 354 BT-Drucks. 15/3640, S. 78. 355 BT-Drucks. 15/3640, S. 78. 356 Hierzu Teil 2 – A.I.3.a)aa).
78 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Anspruch nach § 34a GWB, gerichtlich oder außergerichtlich, geltend gemacht hat. 357 Zur intendierten 358 Bekämpfung von Streuschäden trägt die Norm somit gar nichts bei. Das beruht zum einen auf Problemen im Tatbestand der Norm, hinsichtlich derer es der Gesetzgeber versäumt hat, aus den Erfahrungen mit § 10 UWG zu lernen, zum anderen aber auch auf der Regelungs- und Sanktionsstruktur des Kartellrechts, die die Vorteilsabschöpfung der Verbände buchstäblich ins Leere greifen lässt. bb) Der vorsätzliche Verstoß im Sinne des § 34 Abs. 1 GWB Bezüglich der Anknüpfungstatbestände verweist § 34a GWB auf die behördliche Vorteilsabschöpfung in § 34 Abs. 1 GWB, wobei die Abschöpfung durch die Verbände lediglich bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Kartellrecht möglich ist. Materiell-rechtlich umfasst sind das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, die Fusionskontrolle und ein Zuwiderhandeln gegen eine Verfügung der Kartellbehörde. Vom Wortlaut nicht umfasst ist das Zuwiderhandeln gegen ein Verbot der europäischen Kommission, auf Grund des Äquivalenzgrundsatzes wird man dies jedoch inkludieren müssen. 359 Was zunächst nach einem weiten Anwendungsbereich klingt, lässt sich schnell herunterbrechen. Schädigungen einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern, wie sie § 34a GWB fordert, sind bei Verstößen gegen die Normen der Fusionskontrolle kaum denkbar. Handelt ein Unternehmen entgegen der Verfügung einer Kartellbehörde, so wird diese selbst die entsprechenden Mittel ergreifen, § 34a GWB tritt zurück. 360 Auch beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist eine größere Vielzahl an Geschädigten eher die Ausnahme. 361 Übrig bleiben die wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, diese hatte der Gesetzgeber bei Erlass der Norm auch hauptsächlich im Sinn. 362 Hier wirken sich allerdings das Erfordernis des Vorsatznachweises und die strukturelle Unterlegenheit der Verbände besonders stark aus. In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es dazu zwar, bei sog. Hardcore-Fällen sei ein vorsätzliches Handeln der beteiligten Unternehmen evident, 363 was auch sein mag, dabei wird jedoch der erforderliche vorgelagerte Schritt verkannt. 357 Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 193 (Stand 2008); Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 581 (Stand 2010); MüKoGWB/Lübbig GWB § 34a Rn. 3 (Stand 2020); eine am 31. 01. 2022 durchgeführte JurisRecherche ergab keine relevanten Treffer. 358 BT-Drucks. 15/3640, S. 36. 359 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 586. 360 Hierzu sogleich. 361 Siehe oben Teil 2 – A.I.2.c)bb). 362 BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 363 BT-Drucks. 15/3640, S. 55.
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Im Gegensatz zum Lauterkeitsrecht, in dem die Tatbestandsverwirklichung meist in einem nach außen wirkenden Verhalten liegt, finden Kartellabsprachen ihrer Natur nach im Kleinen und Geheimen statt. Dem Gesetzgeber ist in der Annahme zuzustimmen, dass es nicht schwierig ist, Kartellbeteiligten einen Vorsatz nachzuweisen, dafür müssen die Kartelle aber zunächst aufgedeckt werden. Selbst mit ihren weitreichenden Ermittlungsbefugnissen sind die Kartellbehörden hier meist auf sog. Kronzeugen, also Kartellmitglieder die kooperieren, angewiesen. 364 Die privatrechtlichen Verbände ohne Ermittlungsbefugnisse haben hier so gut wie keine Chance. 365 cc) Subsidiarität § 34a GWB soll ausweislich der Gesetzgebungsunterlagen lediglich eine Ergänzungsfunktion zukommen. 366 Dementsprechend ist eine Vorteilsabschöpfung durch die Verbände gem. § 34a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GWB nicht möglich, wenn und soweit der durch den Verstoß erlangte Vorteil bereits durch die Kartellbehörde im Rahmen eines Bußgeldes oder der behördlichen Vorteilsabschöpfung, durch die Anordnung einer Rückerstattung, oder, in Ausnahmefällen, eine Einziehungsanordnung entzogen wurde. Der Gesetzgeber bezweckte insoweit mit der Einführung des § 34a GWB die Durchsetzungslücke zu schließen, die daraus entstanden ist, dass sowohl die Vorteilsabschöpfung im Rahmen der Bußgeldbemessung als auch nach § 34 GWB in das Ermessen der Kartellbehörden gestellt wurde. 367 Obgleich jedoch die Behörden, wie an späterer Stelle noch ausgeführt wird, von diesen Möglichkeiten so gut wie nie Gebrauch machen, 368 wird die aus diesem Verhalten resultierende Lücke von den Verbänden entgegen den Erwartungen des Gesetzgebers nicht geschlossen. Dabei spielt es zweifelsohne auch eine Rolle, dass zur Vermeidung einer Doppelbelastung des Verletzers alle Leistungen, die der Verletzer auf Grund des Verstoßes an Dritte erbracht hat, auf den Vorteil anzurechnen sind. 369 dd) Zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern und Anbietern Einiger im Rahmen des § 10 UWG bestehenden Probleme konnte sich bei der Verabschiedung des § 34a GWB angenommen werden. Vom Wortlaut der Norm umfasst sind nun sowohl Abnehmer als auch Anbieter, wobei die 364
Hierzu Teil 2 – B.I.1.a)cc); Teil 2 – B.I.2.a)bb). Zu diesem Schluss kam auch das Bundeskartellamt, BKartA, Private Kartellrechtsdurchsetzung, S. 26, 30. 366 BT-Drucks. 15/3640, S. 36. 367 Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 34a Rn. 20. 368 Hierzu Teil 2 – B.I. 369 § 34a Abs. 2 S. 1 GWB. 365
80 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Gesetzesbegründung klarstellt, dass: „Abnehmer iSd Abs. 1 […] nicht nur die unmittelbaren Abnehmer, sondern alle potentiell geschädigten Abnehmer bis hin zum Endabnehmer“ sind. 370 Zwar lässt die Gesetzesbegründung eine entsprechende Klarstellung auch für die Gruppe der Anbieter vermissen, dies ist jedoch nur darauf zurückzuführen, dass der Begriff der Anbieter erst nach oben erfolgter Klarstellung Einzug in die Norm gehalten hatte. Da es jedoch das erklärte Ziel der Bunderegierung war, eine Abschöpfung unabhängig davon, auf welcher Marktstufe der aus der Zuwiderhandlung resultierende Nachteil eingetreten ist, zu ermöglichen, 371 ist von einer Einbeziehung von Anbietern auch auf einer vorgelagerten Marktstufe auszugehen. 372 Erneut schuldig blieb der Gesetzgeber jedoch wiederum Erläuterungen zum Merkmal „zu Lasten“ sowie nähere Ausführungen zu der Frage, wann eine Vielzahl an Anbietern oder Abnehmern betroffen ist. Beide Problematiken entfalten im Rahmen des § 34a GWB jedoch eine geringere Relevanz als für den Tatbestand des § 10 UWG. Wie oben bereits dargelegt, fokussiert sich die Vorteilsabschöpfung im GWB auf Vorteile aus sog. Hardcore-Kartellen. Die Anzahl der Betroffenen ist hier regelmäßig sehr groß, sodass selbst die 50-Personen-Grenze, die Verfechter der restriktivsten Ansicht vertreten, 373 in so gut wie allen Fällen überschritten werden wird. Noch stärker wirkt sich die vom Lauterkeitsrecht abweichende Systematik des Kartellrechts auf die praktische Relevanz des Streits um das Merkmal „zu Lasten“ aus. Zwar geben die amtlichen Materialien auch hier keinen Aufschluss, jedoch stellt sich die Frage, ob es erforderlich ist, dass Abnehmer oder Anbieter einen direkten vermögensbezogenen Nachteil erleiden hier wesentlich weniger dringlich. 374 Während es im Lauterkeitsrecht eine Vielzahl von unlauteren Verhaltensweisen gibt, die nicht direkt zu einem wirtschaftlichen Nachteil der Abnehmer führen, 375 ist der kartellrechtswidrigen Absprache und ebenso dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ein solcher Nachteil der Marktgegenseite immanent. 376 Da Teilnehmer aller Marktstufen vom Anwendungsbereich der Norm umfasst sind, spielt auch ein eventuelles passing-on der Schäden in diesem Zusammenhang keine Rolle.
370
BT-Drucks. 15/3640, S. 56. BT-Drucks. 15/3640, S. 56. 372 So auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 588. 373 Anknüpfend an den Tatbestand des § 283a StGB, Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG § 10 Rn. 104. 374 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 590 f. 375 Siehe Teil 2 – A.I.2.b)bb). 376 Ähnlich auch Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 188. 371
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ee) Wirtschaftlicher Vorteil Im Gegensatz zu § 10 UWG ist Tatbestandsmerkmal und Anknüpfungspunkt der Rechtsfolge im Rahmen des § 34a GWB nicht der erzielte Gewinn des Verletzers, sondern dessen wirtschaftlicher Vorteil. Die im Kartellrecht bestehende Mehrerlösabschöpfung durch die Kartellbehörde wurde im Zuge der 7. GWB-Novelle in Anpassung an § 17 Abs. 4 OWiG in eine Vorteilsabschöpfung abgeändert. 377 Um eine Vereinheitlichung herbeizuführen, wurde der Begriff auch für den neu eingeführten § 34a GWB übernommen und für die Definition des Begriffes auf die in § 17 Abs. 4 OWiG entwickelten Rechtsgrundsätze verwiesen. 378 Die Vorteilsabschöpfung ist dabei eine Art Weiterentwicklung der Mehrerlösabschöpfung, durch die deren Anwendungsbereich sowohl auf der einen Seite beschränkt als auch auf der anderen erweitert wurde. Sowohl für die Mehrerlösabschöpfung in § 34 GWB a.F. als auch für die heutige Vorteilsabschöpfung war bzw. ist es erforderlich, dass der Abschöpfungsgegenstand kausal auf die Verletzung eines der in § 34 GWB normierten Tatbestände zurückzuführen ist. Parallel zur Mehrerlösabschöpfung wird auch zur Bestimmung der Höhe des abzuschöpfenden Vorteils ein Vergleich zwischen der tatsächlichen Lage und einer hypothetischen Situation ohne Kartellverstoß vorgenommen. 379 Während bei der Mehrerlösabschöpfung vor dem 30. 06. 2005 jedoch der tatsächliche Bruttoumsatz des Verletzers seinem hypothetischen Bruttoumsatz gegenübergestellt und die Differenz ohne weitere Abzüge als Mehrerlös abgeschöpft wurde, 380 wird es dem Verletzer im Rahmen der heutigen Vorteilsabschöpfung, ähnlich wie im Rahmen des § 10 UWG, gestattet, diejenigen Aufwendungen in Abzug zu bringen, die mit dem wirtschaftlichen Vorteil in Zusammenhang stehen. 381 Die Einführung dieses sog. Netto-Prinzips hat die Reichweite des Anspruches grundsätzlich verkürzt. Auf der anderen Seite jedoch umfasst der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils nun nicht mehr nur den reinen monetären Zuwachs, sondern sämtliche vermögenswerten Positionen und somit beispielsweise auch eine Verbesserung der Marktposition. 382 Obgleich diese Erweiterung grundsätzlich zu begrüßen ist, bringt sie eine Reihe von Folgeproblemen mit sich. So fällt es keineswegs leicht, den exakten Wert einer besseren 377
BT-Drucks. 15/3640, S. 55. BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 379 Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden zur Bestimmung des kausalen Vermögenszuwachses im UWG und im GWB lassen sich auf die unterschiedlichen Zwecksetzungen der Rechtsgebiete zurückführen, ausführlich hierzu Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 185. 380 MüKoGWB/Lübbig GWB § 34 Rn. 13. 381 Das ergibt sich nun aus dem Verweis in den Gesetzgebungsunterlagen, BT-Drucks. 15/3640, S. 55, in das Ordnungswidrigkeitenrecht, dort: KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 17 Rn. 119; Krenberger/Krumm/Bohnert/Krenberger/Krumm OWiG § 17 Rn. 26. 382 BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 378
82 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Marktposition zu berechnen. Auch inwiefern dann mittelbare Vorteile, also solche, die der Verletzer durch die Verwendung der Vermögensvorteile erwirtschaftet hat, einzubeziehen sind, ist fraglich. 383 Das Grundproblem der Mehrerlösabschöpfung hat die Änderung zur Vorteilsabschöpfung ebenfalls nicht beseitigen können. Um den oben beschriebenen erforderlichen Vergleich durchzuführen, ist die Bestimmung einer hypothetischen Marktsituation ohne den Kartellrechtsverstoß notwendig. Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Zunächst muss ein hypothetischer Preis, wie er ohne Kartell bestehen würde, berechnet werden. Wenn es nicht einen absolut identischen, nicht kartellbelasteten Vergleichsmarkt gibt, ist dies bereits schwierig. Ein einfaches Heranziehen des Preises vor oder nach dem Kartellrechtsverstoß ist insbesondere bei Kartellen, die lange aktiv sind, ob der Dynamik des Marktes keine gangbare Option. Ist die Bestimmung eines hypothetischen Preises auf irgendeine Weise gelungen, so muss dieser im nächsten Schritt mit der Anzahl der abgesetzten Produkte multipliziert werden. Dabei kann jedoch in keinem Fall einfach die Menge der tatsächlich abgesetzten Produkte herangezogen werden, dies würde die bestehende Elastizität von Preisen absolut ignorieren. 384 Der hypothetischen Preisberechnung muss also noch eine hypothetische Absatzmengenberechnung folgen. Im Rahmen des § 34 GWB können die Kartellbehörden dieser Problematik mit der Möglichkeit der Schätzung nach § 34 Abs. 4 GWB begegnen. Den Verbänden steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. ff) Die Rechtsfolge – Auskehr an den Bundeshaushalt Leider entspricht auch die Rechtsfolge des § 34a GWB der des § 10 UWG. Die stark klagehemmende Wirkung einer Abführung des wirtschaftlichen Vorteils an den Bundeshaushalt wurde oben bereits ausgiebig erörtert. 385 Neben den bereits genannten Alternativen wurde im Rahmen der Vorteilsabschöpfung zudem noch debattiert, den Vorteil dem Bundeskartellamt zuzusprechen. Diese Idee wurde jedoch genau so wenig umgesetzt wie der Vorschlag des Bundesrates, den Vorteil zumindest einem zweckgebundenen Vermögen des Bundes zuzuweisen. 386 Diesen verwarf die Bundesregierung unter Hinweis auf den Grundsatz der Gesamtdeckung aus § 8 BHO. 387 Es bleibt ohnehin zu bezweifeln, ob eine der beiden Alternativen zu einer Steigerung der Klageaktivität der Verbände geführt hätte. 383
FrankfKomKartellR/Achenbach § 81 Rn. 566 m. w. N. Fehlemann, Verfolgung von Streuschädigungen durch Abschöpfungsansprüche, S. 188. Kritisch zur Berücksichtigung des Mengeneffekts bei der Berechnung Immenga/ Mestmäcker/Emmerich GWB § 34 Rn. 19; Bongard, WuW 2010, 762. 385 Siehe Teil 2 – A.I.3.a)cc). 386 BT-Drucks. 17/9852, S. 44 f. 387 BT-Drucks. 17/9852, S. 52. 384
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Im Ergebnis hat der Gesetzgeber mit § 34a GWB eine weitere Möglichkeit verpasst, ein wirkungsvolles zivilrechtliches Instrument zur Bekämpfung von Streuschäden zu verabschieden. Große Teile der Norm sind relativ gedankenlos von § 10 UWG übernommen worden. Das hat nicht nur zur Folge, dass dort geschehene Missgriffe nicht behoben wurden, sondern führte auch dazu, dass die Norm an die besondere Systematik des Kartellrechts und insbesondere das dortige duale System der Rechtsdurchsetzung kaum angepasst ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Norm überhaupt keine praktische Relevanz besitzt. 4. Die Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO Etwas versteckt in § 79 ZPO, einer Norm zur Regelung der Prozessvertretungsbefugnis, findet sich in Absatz 2 Nr. 3 ein weiteres kaum genutztes 388 und daher auch kaum beachtetes Instrument der Verbände zur Durchsetzung von Verbraucherrechten und -interessen. Die Norm erlaubt es Verbraucherzentralen und mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherverbänden ohne anwaltliche Vertretung Forderungen von Verbrauchern gerichtlich einzuziehen. Außergerichtliches Pendant hierzu ist § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG. Historisch entspringen beide Normen der früheren Einheitsregelung in Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG a.F. Die Aufspaltung der Norm durch die Reform zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts im Jahr 2007 brachte auch den Wegfall des sog. Erforderlichkeitsgebots mit sich. Zuvor war eine Einziehung durch die Verbrauchereinrichtungen nur möglich, wenn dies im Interesse des Verbraucherschutzes notwendig war. Für die Einziehung muss die klagende Einrichtung nicht in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen sein. Bei dem Anspruch muss es sich um den eines Verbrauchers auf Zahlung handeln. 389 Diesen muss der Verbraucher dem Verband abgetreten oder durch eine Ermächtigung zur Einziehung überlassen haben. 390 Dieses Verfahren ist generell und insbesondere in Streuschadensfällen zu umständlich und zu teuer für die Verbände und Zentralen. 391 Die Einrichtungen müssten sich zunächst über mögliche Streuschadensereignisse informieren und sodann betroffene Verbraucher ermitteln. Nach erfolgter Abtretung oder Einziehungsermächtigung müssen die zahlreichen individuellen Ansprüche koordiniert, geprüft und gerichtlich durchgesetzt werden. Hinzu 388 Meller-Hannich/Höland, Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 31, 66; Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409, 411 f. mit einigen wenigen Fallbeispielen in Fn. 14. 389 Wortlautargument „Einziehung“, h. M. Musielak/Voit/Weth ZPO § 79 Rn. 13; Zöller/Althammer ZPO § 79 Rn. 8.; Stein/Jonas/Jacoby ZPO § 79 Rn. 37. 390 Zöller/Althammer ZPO § 79 Rn. 8. 391 Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409, 412.
84 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland werden gerade im Bereich von Streuschäden oftmals erhebliche Beweisschwierigkeiten treten – wer bewahrt schon alle seine Quittungen auf? Eine konkrete Finanzierungsmöglichkeit für die Verbände sieht § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht vor, insoweit müssten hier Individualvereinbarungen mit den Verbrauchern getroffen werden. 392 Einen anderen und wohl gänzlich eigenen Ansatz verfolgen hier Oechsler und Ricard. 393 Zumindest für den Bereich der Streuschäden im Kartellrecht wollen sie den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in europarechtskonformer Auslegung auf Grundlage des Effektivitätsprinzips dahingehend erweitern, dass dieser den Verbänden und Zentralen ein gesetzliches Mandat zur Liquidierung solcher Schäden unabhängig vom Tätigwerden der einzelnen Verbraucher ermöglicht. Im Ergebnis interpretieren sie in die Vorschrift damit eine Art Ermächtigung zu einer Opt-Out-Einziehungsklage der Verbände. Obgleich die Autoren hierfür den erheblichen Begründungsbedarf erkennen und versuchen diesem möglichst gerecht zu werden, kann dieser Ansatz im Hinblick auf Wortlaut und Systematik der Norm nicht überzeugen. 5. Die Musterfeststellungsklage a) Historisches, Entwicklung, Ziele Mitte 2017 erzeugte der aufgedeckte VW-Abgasskandal mit mehr als 2,5 Millionen Geschädigten allein in Deutschland einen so erheblichen Druck auf die Bundesregierung, dass diese sich zu einer Reaktion mehr oder weniger genötigt fühlte. In beeindruckend kurzer Zeit wurde daraufhin der Entwurf einer Musterklage für Verbraucher auf den Weg gebracht und bereits ein Jahr später ein Gesetz verabschiedet, das wohl mehr dazu bestimmt war, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, als tatsächlich praktischen Nutzen zu entfalten. 394 Erklärtes Ziel dieser nun in den §§ 606 ff. ZPO geregelten eigenständigen zivilprozessualen Klageart 395 war es, in Überwindung des rationalen Desinteresses der Verbraucher 396 ein probates Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zu schaffen, das auf längere Sicht sowohl zu einer 392 Dies wäre wohl zulässig, da § 79 Abs. 2 Nr. 4 ZPO im Gegensatz zu § 79 Abs. 2 Nr. 2 ZPO keine Unentgeltlichkeit voraussetzt. 393 Oechsler/Ricard, NZKart 2019, 308. 394 In diesem Zusammenhang wurde gerne von einem Placebo-Gesetz gesprochen, Stadler, VuR 2018, 83, 89. Aufgegriffen etwa von Basedow, EuZW 2018, 609, 611. 395 Weinland, Die neue Musterfeststellungsklage, Rn. 10. 396 Dies wird besonders hervorgehoben, sowohl im Entwurf der Regierungsfraktion BTDrucks. 19/2507, S. 1, 13, 14, 15, 24; als auch im Entwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 19/2439, S. 21. Die Materialien konzentrieren sich dabei ausschließlich auf die Verbraucherperspektive, vgl. BMJV, Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage S. 9 ff. Die Tatsache, dass auch KMU durchaus von Streuschädigungen betroffen sind, wird außer Acht gelassen, Nordholtz/Mekat/Nordholtz § 1 Rn. 13.
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Stärkung des Verbraucherschutzes generell 397 als auch zu einer Auflösung von Wettbewerbsverzerrungen durch unrechtmäßig erzielte Gewinne einzelner Marktteilnehmer führen soll. 398 Weiterhin versprach man sich eine Entlastung der Gerichte 399 und eine Stärkung außergerichtlicher Streitschlichtung. 400 Die praktische Relevanz des Verfahrens ist momentan recht gering. Neben der berühmten Musterfeststellungsklage gegen VW, die am 13. 05. 2020 mit einem außergerichtlichen Vergleich respektive einer Klagerücknahme endete, wurden bislang noch 26 weitere Verfahren angestrebt, von denen acht mittlerweile (teilweise) beendet wurden. Schwerpunktmäßig hatten und haben die Verfahren Regelungen zu Banken-AGB zum Gegenstand. 401 b) Überblick über den Ablauf des Verfahrens Die Musterfeststellungsklage ist, wie dem Namen bereits zu entnehmen ist, eine Feststellungsklage. Mit ihr kann eine qualifizierte Einrichtung iSd § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG, die die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erfüllt, gerichtlich feststellen lassen, ob im Verhältnis zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer bestimmte Anspruchsvoraussetzungen bestehen oder nicht. Das Feststellungsziel ist dabei weiter gefasst als bei der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO. Im Rahmen der MFK können sowohl tatsächliche als auch rechtliche Voraussetzungen für das Bestehen oder das Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen geklärt werden. Materiell-rechtlich ist der Anwendungsbereich der Klage dabei denkbar weit. Gegenstand des Verfahrens können, mit Ausnahme des Arbeitsrechts, 402 Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse jedes Rechtsgebiets sein, solange sie das Verhältnis eines Verbrauchers zu einem Unternehmer betreffen. 403 Nach Eingang der Klage beim Oberlandesgericht prüft dieses zunächst, ob die klagende Einrichtung die Voraussetzung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erfüllt 404 und ob die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn in der Regel namentlich zu benennenden 405 Verbrauchern von den Feststel397
BT-Drucks. 19/2507, S. 13; BT-Drucks. 19/2439, S. 1. Auch dieses Ziel wird mehrmals hervorgehoben, BT-Drucks. 19/2439, S. 1, 14. 399 BT-Drucks. 19/2439, S. 19. 400 BT-Drucks. 19/2439, S. 16. 401 https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Be kanntmachungen/Klagen_node.html;jsessionid=4C25F32C8A6BEF59DB5980C33C997C BA.2_cid500 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 402 § 46 Abs. 2 ArbGG. 403 Bezug wird hierbei auf den prozessualen Verbraucherbegriff des § 29c Abs. 2 ZPO genommen, der nicht nur vertragliche, sondern auch gesetzliche Ansprüche umfasst. 404 Hierzu sogleich. 405 Musielak/Voit/Stadler ZPO § 606 Rn. 15. 398
86 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland lungszielen abhängen. Ist dies der Fall, so veröffentlicht das Gericht die Klage gem. § 607 ZPO im Klageregister, woraufhin andere Verbraucher die Möglichkeit haben, ihre Ansprüche dort anzumelden. Innerhalb von zwei Monaten müssen sich auf diesem Wege mindestens 50 Verbraucher angemeldet haben, um die „nachgeschobene“ Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zu erfüllen. Für die Verbraucher hat eine Anmeldung zur MFK weitreichende Konsequenzen. So ist sie nicht nur die Voraussetzung dafür, dass sich die Bindungswirkung der Entscheidung zur MFK auch auf sie erstreckt, 406 sie führt außerdem zur Hemmung der Verjährung 407 und sperrt zudem Individualklagen der angemeldeten Verbraucher für den Zeitraum der Rechtshängigkeit der MFK. 408 Beendet wird ein Musterfeststellungsverfahren entweder durch ein Urteil des OLG oder gütlich in Form eines gerichtlichen Vergleiches nach § 611 ZPO. Ein solcher kann frühestens nach dem ersten Termin geschlossen werden 409 und soll Regelungen über die auf die angemeldeten Verbraucher entfallenden Leistungen und deren Fälligkeit, die zum Erhalt der Leistung zu erbringenden Nachweise sowie die Aufteilung der Kosten zwischen den Parteien enthalten. 410 Hält das Gericht den Vergleich für angemessen und genehmigt ihn, wird der Vergleichsinhalt allen bislang angemeldeten Verbrauchern zugestellt. 411 Diese haben sodann die Möglichkeit, innerhalb eines Monats ihren Austritt aus dem Vergleich zu erklären. 412 Treten weniger als 30 % der angemeldeten Verbraucher aus, so wird der Vergleich wirksam und bindet, genau wie ein Urteil, 413 sowohl die angemeldeten Verbraucher als auch den beklagten Unternehmer. 414 c) Kritikpunkte, Untauglichkeit für die Streuschadensbekämpfung Missbrauchsbedenken und wahrscheinlich auch geschickter Lobbyismus seitens der potentiellen Beklagten haben im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung diverser „Sicherungsmechanismen“ geführt, die unter dem vorgeschobenen Ziel, eine „Klageindustrie“ nach U.S.-amerikanischem
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§§ 613 Abs. 1, 611 Abs. 5 S. 4 ZPO. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. 408 Von der Sperrwirkung umfasst sind dabei nach h. M. nicht nur Feststellungs- sondern auch Leistungsklagen, Musielak/Voit/Stadler ZPO § 610 Rn. 5. 409 § 611 Abs. 6 ZPO. 410 § 611 Abs. 2 ZPO; ausführlich zum Inhalt Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 60 ff. 411 § 611 Abs. 3 und 4 ZPO; zur Angemessenheitsprüfung Nordholtz/Mekat/Mekat § 7 Rn. 36–47. 412 § 611 Abs. 4 S. 2 ZPO; zu den Folgen eines Austritts Nordholtz/Mekat/Mekat § 7 Rn. 61 f. 413 § 613 Abs. 1 ZPO. 414 § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO. 407
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Vorbild zu vermeiden, 415 die Breitenwirkung der Musterfeststellungsklage stark beschränkt und das Instrument insgesamt zu einem stumpfen Schwert im kollektiven Rechtsschutz generell und zur Streuschadensbekämpfung im Besonderen gemacht haben. Zentrale Hemmnisse für eine Effektivität der Klage sind dabei neben dem zweistufigen Aufbau des Verfahrens der kleine Kreis der klagebefugten Einrichtungen sowie der fehlende Vergleichsanreiz. Der Kreis der klagebefugten Einrichtungen hat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens so viele Einschränkungen hinnehmen müssen, dass man schon fast geneigt wäre, dem Gesetzgeber hier eine böse Absicht zu unterstellen. Klagebefugt sind aktuell ausschließlich qualifizierte Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG, die zusätzlich den Anforderungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO entsprechen. Abweichend zu früheren Entwurfsfassungen 416 wurden sowohl die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen sowie die Industrie- und Handelskammern von der Klagebefugnis ausgenommen, 417 als auch die in § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–5 ZPO statuierten zusätzlichen Anforderungen an die qualifizierten Einrichtungen deutlich verschärft. Neben einer im Vergleich zu § 4 Abs. 2 Nr. 1 UKlaG erheblich angehobenen Mindestgröße (Nr. 1) muss ein Verband, um eine Musterfeststellungsklage erheben zu können, nun schon mindestens vier Jahre den Status einer qualifizierten Einrichtung innehaben (Nr. 2). Dieser Zeitraum ist angesichts der deutschen Regelverjährung von drei Jahren gewählt worden und soll verhindern, dass Einrichtungen, die sich als Reaktion auf ein konkretes Schadensereignis ad hoc zur Durchsetzung der Rechte der Geschädigten gründen, eine Musterfeststellungsklage erheben können. 418 Ziel dieser restriktiven Vorgaben war es, wie eingangs bereits erwähnt, sogenannte „Durchsetzungsverbände“ von der Klagebefugnis auszuschließen. Nicht nur an der dieser Entscheidung zugrundeliegende Prämisse, Verbände, die alleine zum Zwecke der Rechtsverfolgung gegründet werden, seien per se etwas Negatives, lässt sich angelehnt an die obigen Ausführungen zweifeln, 419 es erscheint darüber hinaus auch fraglich, ob es zur Erreichung dieses Zwecks einer Mindestbestandsdauer überhaupt gebraucht hätte. So schreibt bereits § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ZPO vor, dass die Musterfeststellungsklage nicht zu Gewinnerzielungszwecken erhoben werden darf, womit „amerikanischen Verhältnissen“ bereits ausreichend vorgebeugt sein sollte. Ohnehin er-
415 BT-Drucks. 19/2507, S. 22; Umschrieben wird das in den Gesetzgebungsmaterialien auch mit dem Ausschluss von „unseriösen Einrichtungen“, BT-Drucks. 19/2507, S. 21. Ausführlich mit den Einschränkungen der Klagebefugnis und dem Feindbild der „Klageindustrie“ setzt sich Röthemeyer, VuR 2020, 130 auseinander. 416 Vgl. BMJV, Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage. 417 Musielak/Voit/Stadler ZPO § 606 Rn. 5. 418 BT-Drucks. 19/2507, S. 22. 419 Siehe Teil 2 – A.I.1.c)cc).
88 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland schließt es sich nicht ganz, wie mit einer Klage, die lediglich eine Feststellung zum Ziel hat, Gewinne erzielt werden sollen. 420 Parallel zu § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG enthält auch § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO eine unwiderlegliche Vermutung, dass Verbraucherzentralen und -verbände, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, die normierten Anforderungen erfüllen. Angesichts der erheblichen Hürden, die diese Anforderungen darstellen, wird der Kreis der klageaktiven Verbände wohl maßgeblich auf diese Einrichtungen reduziert, wobei oben bereits angesprochen wurde, wie schlecht es um deren Finanzierung steht. 421 Auch im Rahmen der MFK hat der Gesetzgeber keine Regelungen vorgesehen, um die Einrichtungen finanziell zu unterstützen. Es wird erwartet, dass die Verbände die zusätzlichen Kosten aus ihren „Hausmitteln“ bestreiten. 422 Erschwerend hinzu kommt die Streitwertbegrenzung nach § 48 Abs. 1 S. 2 GKG, die, wie bereits erwähnt, zwar das Prozesskostenrisiko der Verbände senkt, über kurz oder lang aber auch zu dem Problem führt, Prozessvertreter zu dem parallel zum Streitwert abgesenkten Gebührensatz zu finden. 423 Weitaus sinnvoller wäre hier eine dem § 12 Abs. 4 UWG entsprechende Kostentragungsregelung für Härtefälle gewesen, die vom Diskussionsentwurf zwar angedacht war, 424 im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch wieder verworfen wurde. 425 Zentraler Kritikpunkt hinsichtlich der Musterfeststellungsklage im Allgemeinen und ihrer Tauglichkeit zur Streuschadensbekämpfung im Besonderen ist jedoch nicht die eng gefasste Klagebefugnis, sondern der zweistufige Aufbau des Verfahrens. Meldet ein Verbraucher seinen Anspruch zur MFK an und wird die Klage positiv beschieden, so erwächst ihm daraus noch kein Leistungstitel. Um einen solchen zu erreichen, muss er erst noch, gestützt auf die Feststellung der Musterklage, individuell eine Folgeklage auf Leistung erheben. Bei einer geringen Schadenshöhe wird der einzelne Verbraucher bereits häufig schon von einer Anmeldung seines Anspruches absehen. 426 Und selbst wenn genügend Verbraucher diese Hürde überwinden und die erforderliche Mindestanzahl an Anmeldung erreicht wird, erscheint 420 Saenger/Rathmann ZPO § 606 Rn. 6; ausführlich zu möglichen Auslegungen Musielak/Voit/Stadler ZPO § 606 Rn. 8. 421 Siehe Teil 2 – A.I.1.c). 422 Musielak/Voit/Stadler ZPO Vob. § 606 ff. Rn. 4; dass dies die meisten Einrichtungen vor erhebliche Herausforderungen stellt ist evident, siehe Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8, 11. 423 Hierzu Teil 2 – A.I.1.c)aa). Für die Betreuung einer komplexen Musterfeststellungsklage können gerade einmal Anwaltsgebühren von etwas mehr als 8.000 € erhoben werden. 424 BMJV, Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage, § 615 ZPO-E. 425 Hierzu Nordholtz/Mekat/Schmaltz § 10 Rn. 9. 426 Zumal er sich für eine Anmeldung erst einmal hinreichend über die Anhängigkeit einer MFK und das Bestehen seiner Ansprüche informieren müsste.
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es mehr als unwahrscheinlich, dass viele von ihnen im Anschluss an ein positives Musterfeststellungsurteil noch den beschwerlichen Weg der Individualklage beschreiten. Insofern wird von den Geschädigten gleich zwei Mal die Überwindung ihrer rationalen Passivität gefordert, was das Instrument zur Streuschadensbekämpfung schlicht ungeeignet macht. Warum aber wurde für ein Verfahren, das ausdrücklich auch der Streuschadensbekämpfung dienen soll, eine in dieser Hinsicht so unpassende Konstruktion gewählt? Die Antwort hierauf findet sich bei genauerer Betrachtung der Gesetzgebungsunterlagen in der fehlenden Differenzierung zwischen Massen- und Streuschäden. 427 Während zwar auf der einen Seite immer wieder betont wurde, die MFK solle zur Überwindung des rationalen Desinteresses der Verbraucher führen, 428 woraus sich eine klare Ausrichtung auf Streuschäden ergibt, finden sich auf der anderen Seite diverse Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei Erlass der Vorschriften vorwiegend den VW-Diesel-Skandal vor Augen hatte. 429 Bei diesem konkreten Schadensereignis ging es für den Einzelnen jedoch um Schäden von durchaus beträchtlicher Höhe, so dass hier ein Massen- und kein Streuschadensereignis vorlag. Nun bedürfen Streu- und Massenschäden jedoch ganz unterschiedlicher Herangehensweisen. Während bei Streuschäden die Überwindung des rationalen Desinteresses des Einzelnen im Vordergrund steht, geht es bei Massenschäden vorwiegend darum, geeignete Bündelungsmechanismen zu entwickeln, um einerseits die Kapazitäten der Gerichte nicht zu überlasten und andererseits eine möglichst homogene Behandlung zu gewährleisten. 430 Auch die Regelungen zum gerichtlichen Vergleich in § 611 ZPO sind nicht ausreichend an die Differenzierung zwischen den Schadenskategorien angepasst. Soweit mit dem Verfahren nicht wie bei der Musterfeststellungsklage gegen VW ein erheblicher medialer Druck auf den Beklagten einhergeht, besteht für diesen zunächst schlicht kein Anreiz dazu, sich zu vergleichen. Nach Erlass des Grundurteils kann er immer noch abwarten, wie viele Geschädigte tatsächlich den Individualklageweg beschreiten. Sind das wegen der geringen individuellen Schadenshöhen nur wenige, so empfiehlt sich aus seiner Sicht eine Reihe einzelner Vergleiche zur Beilegung der Folgeverfahren, womit er zugleich auch die für ihn lästige Angemessenheitskontrolle des § 611 Abs. 3 ZPO umgehen kann. Nur bei größeren Schäden muss im Anschluss an ein positives Grundurteil eine Vielzahl an Folgeverfahren erVgl. hierzu Waclawik, NJW 2018, 2921; Koch, MDR 2018, 1409, 1410 f. BT-Drucks. 19/2507, S. 1, 13, 14, 15, 24; BT-Drucks. 19/2439 S. 21. 429 BT-Drucks. 19/2701, S. 7; siehe hierzu ebenfalls Deutscher Bundestag, Dokumente, Experten: Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage nachbessern, abrufbar unter: https:// www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw24-pa-recht-musterfeststellungsklage/ 558342 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 430 Ausführlicher hierzu Teil 4 – C.I. 427 428
90 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland wartet werden, weswegen ein Kollektivvergleich hier zur schnellen und homogenen Beendigung des Falles sowohl im Interesse des Beklagten als auch der Gerichte wäre. Die klagebefugte Einrichtung kann einen Vergleich mit Bindungswirkung für die angemeldeten Verbraucher jedoch nur während des Musterfeststellungsverfahrens und nicht mehr nach dessen Beendigung schließen, womit § 611 ZPO für den einzigen Fall, in dem tatsächlich ein Anreiz zu einem Vergleich bestehen würde, nicht anwendbar ist. 431 Insofern wird die Hoffnung des Gesetzgebers, individuelle Leistungsklagen auf zweiter Stufe würden in der Regel aufgrund eines vorher geschlossenen Vergleichs gar nicht erst erhoben werden müssen, 432 wohl enttäuscht werden. 433 6. Zwischenfazit – Die Bedeutung von Verbandsklagen für die Streuschadensbekämpfung in Deutschland Mindestens als zwiespältig wenn nicht sogar als gestört wird man das Verhältnis des deutschen Gesetzgebers zur Verbandsklage beschreiben müssen. Als zentrales Instrument des kollektiven Rechtsschutzes werden in sie gerade im Hinblick auf die Streuschadensbekämpfung einerseits erhebliche Erwartungen gesetzt, während andererseits kaum eine Anspruchsnorm verabschiedet wird, ohne dass die Hand des Gesetzgebers aus Angst vor negativen Auswirkungen zittert. Im Ergebnis findet sich heute in Deutschland ein großes Feld an Verbandsansprüchen, das von den klagebefugten Einrichtungen mangels ausreichender finanzieller Mittel und aufgrund teils erheblicher Hürden in den Anspruchsvoraussetzungen jedoch kaum bespielt werden kann. Während sich diese Hemmnisse weniger auf die negatorischen Ansprüche auswirken, da Verfahren hier in der Regel kostengünstiger und mit weniger Aufwand möglich sind, werden die Möglichkeiten, dem Verletzer den Gewinn zu entziehen, aus diesen Gründen so gut wie nicht genutzt. Wie zuletzt die Einführung der Musterfeststellungsklage bewiesen hat, ist es nicht zielführend, den Verbänden einfach nur immer neue Klagemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, solange die Wurzel der Problematik nicht angepackt wird. Wünscht man sich tatsächlich ein effektives Verbandsklagesystem, so muss man den Verbänden entweder zugestehen, mit der Anspruchsdurchsetzung auch eigene finanzielle Interessen zu verfolgen, oder aber man muss ihnen anderweitig ausreichende finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen. Solange dahingehend kein grundlegendes Umdenken geschieht, kann man sich den Worten des Bundesrates nur anschließen und den Gesetzgeber bitten, von weiterer „Schaufenstergesetzgebung“ abzusehen. Insoweit ist es 431 432 433
Musielak/Voit/Stadler ZPO § 611 Rn. 1. BT-Drucks. 19/2507, S. 16. Bislang wurde noch kein Verfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beigelegt.
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uneingeschränkt begrüßenswert, dass der europäische Gesetzgeber mit der Verbandsklagerichtlinie nun die Gelegenheit für eine solche Kehrtwende eröffnet hat. Die Vorgaben dieser Richtlinie, die ausführlich am Ende dieses Teils besprochen werden, verlangen ohnehin eine grundlegende Neuausrichtung des deutschen Verbandsklagerechts, so dass weitreichende Umbauten im Schatten der Umsetzung möglich wären. Bis eine solche erfolgt, überlässt der deutsche Gesetzgeber den privatrechtlichen Aspekt der Streuschadensbekämpfung faktisch gewinnorientierten Rechtsdienstleistungsplattformen, deren Geschäftsmodelle im Anschluss an eine kurze Darstellung der Möglichkeiten des Kapitalanlegermusterverfahrens erörtert werden.
II. Das Kapitalanlegermusterverfahren nach KapMuG Das Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten, kurz KapMuG, wird häufig als Vorbild für die Konstruktion der Musterfeststellungsklage in den §§ 606 ff. ZPO angeführt, 434 ähnelt dieser aber nur entfernt. Es lässt sich bereits in Frage stellen, ob es sich beim KapMuG überhaupt um eine richtige Musterklage handelt, zutreffender wäre wohl die Bezeichnung als „begrenzte Gruppenklage“. 435 Mittels des Verfahrens nach KapMuG soll für den Bereich des Kapitalanlagerechts die Interessenbündelung einer Vielzahl von gleich gelagerten Schadensfällen ermöglicht und insofern das Kostenrisiko für den einzelnen Betroffenen sowie die Gefahr abweichender gerichtlicher Entscheidungen minimiert werden. 436 Zu diesem Zwecke eröffnet das Gesetz Individualklägern die Option, die gemeinsame Klärung rechtlicher oder tatsächlicher Fragen mit Bindungswirkung für alle anhängigen Verfahren herbeizuführen. Während es damit mit der Struktur der MFK nicht viel gemein hat, ähneln sich beide Verfahren zumindest in ihrer Genese und den in sie gesetzten Erwartungen. So sah sich der Gesetzgeber auch bei der Verabschiedung des KapMuG erheblichem Druck seitens der Öffentlichkeit ausgesetzt. Grund hierfür war ein vor dem LG Frankfurt anhängiges Verfahren gegen die Deutsche Telekom AG, der vorgeworfen wurde, bei ihrer dritten Kapitalerhöhung im Jahre 2000 ein Börsenprospekt vorgelegt zu haben, das aufgrund von fehlerhaften Immobilienbewertungen falsch war. 437 Da Klagen von über 15.000 Aktionären anhängig waren, sah man einem viele Jahre andauernden Prozessmarathon entgegen. Um Verfahren wie diese einem möglichst schnellen und homogenen Ende zuzufüh-
434 BT-Drucks. 19/2507, S. 15; Röthemeyer, MFK, Einl. Rn. 66; Musielak/Voit/Stadler ZPO Vor. §§ 606 ff. Rn. 3. 435 Vorwerk/Wolf/Lange KapMuG Einf. Rn. 26; ausführlich Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 85 ff. 436 BT-Drucks. 15/5091, S. 16 f. 437 Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737.
92 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland ren, wurde das KapMuG verabschiedet. 438 Zugleich wollte der Gesetzgeber auf dem von ihm als besonders massen- und streuschadensträchtig ausgemachten 439 Gebiet des kapitalmarktrechtlichen Haftungsrechts für kostengünstigen und effektiven Rechtsschutz sorgen, um damit sowohl das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt stärken, als auch dem materiellen Haftungsrecht in diesem Rechtsgebiet zu mehr Steuerungs- und Abschreckungswirkung verhelfen. 440 Das Verfahren nach KapMuG sollte dabei als „zweite Spur“ neben die staatliche Finanzaufsicht treten. 441 Zumindest im Bereich der Massenschäden kann das KapMuG, insbesondere im Vergleich zu den verschwindend geringen Fallzahlen der Abschöpfungsinstrumente, durchaus praktische Akzeptanz für sich geltend machen. So weist das Klageregister momentan insgesamt 118 Vorlagebeschlüsse aus. 442 Beachtenswert ist auch, dass die Anzahl der Vorlagebeschlüsse seit dem Jahr 2012 kontinuierlich zunimmt. 443 Für Streuschadensfälle dagegen, ist das KapMuG weitestgehend irrelevant. Wie bereits mehrfach dargestellt, muss ein probates Mittel zur Streuschadensbekämpfung das rationale Desinteresse der Geschädigten an der Durchsetzung ihrer Ansprüche überwinden. Dieses Desinteresse hindert die Geschädigten regelmäßig an der Erhebung einer Individualklage. Nun ist das Verfahren nach KapMuG jedoch so ausgestaltet, dass es zum Eintritt der Bindungswirkung für den einzelnen Geschädigten im ersten Schritt gerade der Erhebung einer solchen Klage bedarf, § 22 Abs. 1 KapMuG. Gerade bei kleineren Schadenssummen ist das für die Betroffenen regelmäßig keine Option. Anders verhält es sich zwar mit der Möglichkeit der einfachen Anmeldung nach § 10 Abs. 2–4 KapMuG, diese führt jedoch lediglich eine Verjährungshemmung und keine Bindungswirkung herbei, § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB. 444 Im Hinblick auf die Ausrichtung dieser Arbeit auf die Streuschadensbekämpfung muss auf eine umfassende Darstellung der durchaus komplexen Funktionsweise des Kapitalanlegermusterverfahrens an dieser Stelle daher verzichtet werden. 445
438 Das gelang bereits in diesem Verfahren nur sehr bedingt. Das OLG Frankfurt erlies erst 2012 einen Musterentscheid, der daraufhin noch mit der Rechtsbeschwerde vor dem BGH angegriffen wurde, ein Beschluss hierzu erging erst 2016 – zu Ungunsten der Kläger. 439 BT-Drucks. 15/5091 S. 13. 440 BT-Drucks. 15/5091 S. 13, 16. 441 BT-Drucks. 15/5091 S. 16. 442 https://www.bundesanzeiger.de/pub/de/suchen2?25 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 443 Siehe hierzu die Tabelle bei Rotter, VuR 2019, 283, 294. 444 Diese Möglichkeit wurde erst durch die Gesetzesreform vom 01. 11. 2012 eingeführt. 445 Eine übersichtliche Darstellung findet sich in Vorwerk/Wolf/Lange KapMuG Einf. Rn. 6 ff.
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III. Rechtsdienstleistungsplattformen „Kräftezehrende Rechtsstreitigkeiten gehören ab jetzt der Vergangenheit an. Wir verwandeln dein Rechtsproblem von einem ärgerlichen Übel in einen erfreulichen Zustand der Genugtuung – nämlich dann, wenn du Recht bekommst. Legalhero wurde entwickelt, um dich zu schützen, wenn du Hilfe brauchst und dich unsicher fühlst“. 446 Hilflos und unsicher werden sich wohl viele Opfer von Streuschädigungen fühlen. Betrachtet man die hier bisher erfolgte Darstellung der zur Verfügung stehenden Durchsetzungsinstrumente, sind diese Gefühle leider auch nachvollziehbar und meist sogar berechtigt. Es kann daher und angesichts der Summen, die den Schädigern regelmäßig verbleiben, nicht verwundern, dass bei wirtschaftlich agierenden Akteuren Begehrlichkeiten geweckt wurden, diesen „Markt“ zu erschließen. In Verbindung mit der zunehmenden Digitalisierung der Informationsstrukturen und dem vermehrten Aufkommen von Legal-Tech-Software findet sich mittlerweile eine kaum noch zu überschauende Vielzahl an Angeboten, die mit mehr oder weniger ähnlichen Versprechen wie dem oben wiedergegebenen Slogan werben – einem einfachen und schnellen Zugang zum Recht. Für diese, im Folgenden unter dem Begriff der Rechtsdienstleistungsplattformen zusammengefassten, Geschäftsmodelle gab es lange keine einheitlichen rechtlichen Rahmen. Nachdem ihre Bedeutung in der Praxis in den letzten Jahren jedoch erheblich zunahm 447 und divergierende Entscheidungen immer wieder neue rechtliche Probleme rund um die Modelle aufwarfen, sah sich der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen. 448 Das am 01. 10. 2021 in Kraft getretene Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt tritt mit dem Ziel an, Transparenz und Rechtssicherheit in den Markt der Dienstleistungsplattformen zu bringen. Inwieweit dies gelungen ist, soll im Rahmen dieser Arbeit im Anschluss an die Darstellung der unterschiedlichen Erscheinungsformen der Plattformen erörtert werden. Hinsichtlich der Streuschadensbekämpfung sind die Plattformmodelle insbesondere deshalb von solch großer Relevanz, weil sie ihre Angebote gezielt darauf ausrichten, die oben aufgezeigten 449 Beweggründe für die mangelnde Durchsetzung von Streuschäden auszugleichen. Durch Werbung 446
https://legalhero.de/unsere-mission/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Fries, NJW 2021, 2537; allein die Marke „flightright“ gibt an, bislang über 350 Mio. € für ihre Kunden durchgesetzt zu haben, https://www.flightright.de/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 448 Der Ruf hiernach war schon lange laut geworden, vgl. Stadler, JZ 2020, 321, 330 f.; Valdini, BB 2017, 1609, 1613; Meller-Hannich, WISO 2020, 1, 3 f.; Meller-Hannich NJW 2019, 2522, 2527; Kilian NJW 2019, 1401, 1406; Kluth, VuR 2018, 408, 411; Fries NJW 2020, 193, 194; Deckenbrock, DB 2020, 321, 326; Jost, LMK 2020, 428168. 449 Siehe Teil 1 – C. 447
94 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland und aktives Ansprechen des Kunden wird dieser zunächst grundsätzlich über die Höhe und meist sogar den Bestand seines Anspruches informiert. Durch verschiedene Finanzierungsmodelle und das Versprechen an den Kunden, dass es nach der Anmeldung von seiner Seite keines weiteren Tätigwerdens bedarf, werden die oben genannten Defizite, die zur rationalen Passivität des Anspruchsinhabers führen, abgebaut. 450 Das Ganze gibt es natürlich nicht zum „Nulltarif“. Aber da die Anspruchsinhaber andernfalls meist ohnehin von einer Durchsetzung abgesehen hätten, stellt sich die Beauftragung der Plattform aus ihrer Sicht dennoch als wirtschaftlich sinnvoll dar. 1. Plattformmodelle Bei der Darstellung der verschiedenen Geschäftsmodelle der Plattformen kommt man nicht umhin, innerhalb der einzelnen Gruppierungen eine gewisse Generalisierung vorzunehmen. Das ist zum einen auf die Tatsache zurückzuführen, dass kaum ein Modell dem anderen in allen Details entspricht, und zum anderen darauf, dass sich die Modelle durch Änderung oder Anpassung ihrer AGB in einem ständigen Wandel befinden. Diese Volatilität war bislang hauptsächlich auf die sich ständig verändernde Rechtslage durch obergerichtliche Entscheidungen zurückzuführen, so dass noch nicht klar absehbar ist, ob aufgrund der neuen gesetzlichen Regelung des Tätigkeitsfelds nun eine gewisse Stetigkeit eintreten wird. Unabhängig davon ist jedoch vorangestellt hervorzuheben, dass die meisten Plattformen mehrere Modelle alternativ oder gar in Kombination miteinander anbieten. Werden daher im Folgenden einzelne Plattformen als Beispiele im Rahmen verschiedener Modelle angeführt, so ist dies hierauf zurückzuführen. a) Formularausfüllungshilfen Die simpelste Form des Rechtszugangs bieten einfache, online angebotene Formularausfüllungshilfen. So hält beispielsweise die Seite „zug-erstattung. de“, neben anderen Angeboten, eine software-basierte Ausfüllungshilfe bereit, mit Hilfe derer ein Fahrgastrechteformular erstellt und an die deutsche Bahn AG übermittelt werden kann. Hierbei erfolgt keinerlei rechtliche Beratung oder Überprüfung. 451 Die Seite tritt nach außen nicht für den Kunden in Erscheinung. Das Modell gleicht den bereits hinreichend bekannten und viel genutzten Softwares zur Anfertigung einer Steuererklärung.
450 Freitag/Lang, ZZP 2019, 329, 335; zur Überwindung des rationalen Desinteresses durch die Rechtsdienstleistungsplattformen auch BT-Drucks. 19/27673 S. 13 ff. 451 Allgemeine Geschäftsbedingungen der Internetseite www.zug-erstattung.de, „was wir nicht sind“ abrufbar unter: https://www.zug-erstattung.de/agb [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023].
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b) Automatisiertes Prüfungsverfahren und Weitergabe an Vertragsanwälte Das zweite Modell ist dagegen schon wesentlich komplexer und soll anhand der Seite „fairplane.de“ dargestellt werden. 452 Die Seite bietet die Überprüfung und ggf. Durchsetzung des Ausgleichsanspruches aus Art. 7 der FluggastrechteVO 453 bei nicht erfolgter oder verspäteter Beförderung an. Ähnliche Konzepte verfolgen die Seiten „geblitzt.de“ in Bezug auf Bußgeldbescheide 454 und „myright.de“ bei der Abwicklung von Schäden durch Fahrradunfälle. 455 In einem ersten Schritt gibt der Kunde die erforderlichen Informationen, bei „fairplane.de“ sind das Angaben zum betroffenen Flug, in eine Maske ein. Softwaregestützt wird daraufhin überprüft, ob die Angaben vollständig sind und ob der Anspruch vom Angebot der Seite umfasst ist. Die Informationen werden sodann einer Partnerkanzlei der Plattform übermittelt. Mit der Beauftragung von „fairplane.de“ erteilt der Kunde zugleich dem Plattformbetreiber eine Vollmacht, für ihn mit dieser Partnerkanzlei einen Mandatsvertrag abzuschließen. 456 Zur Bearbeitung der weitergeleiteten Fälle wird den Kanzleien von „fairplane.de“ eine Software zur Verfügung gestellt. Hierfür entrichten die Kanzleien Lizenzgebühren. Die Kanzleien setzen sodann den Anspruch namens und im Auftrag des Anspruchsinhabers außergerichtlich und ggf. auch gerichtlich durch. Die Kosten hierfür, sowie die Kosten der Gegenseite bei Unterliegen, trägt „fairplane.de“. Im Gegenzug erhält die Plattform eine Erfolgsprovision in Höhe von 24 bis 35 Prozent der durchgesetzten Forderungssumme. 457 Die Seite „geblitzt.de“ verlangt dagegen keinerlei Zahlung von ihrem Kunden, sie scheint sich allein aus Lizenzgebühren zu finanzieren. Eine Sonderregelung für Vergleiche enthalten die AGB von „fairplane.de“ nicht. Bei „geblitzt.de“ entscheidet über ein Vergleichsangebot ausschließlich der Kunde, 458 „myright.de“ stellt den Abschluss eines Vergleiches unter Erlaubnisvorbehalt der Plattform. 459 452 https://www.fairplane.de/allgemeine-geschaeftsbedingungen/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 453 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91. 454 https://www.geblitzt.de/so-funktionierts/ sowie https://www.geblitzt.de/nutzungsbe dingungen/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 455 Siehe hierzu: https://www.myright.de/fahrradunfall/agb [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 456 AGB von „fairplane.de“ Punkt 3.5, https://www.fairplane.de/allgemeine-geschaefts bedingungen/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 457 AGB von „fairplane.de“ Punkt 5.2, https://www.fairplane.de/allgemeine-geschaefts bedingungen/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 458 AGB von „Geblitzt.de“ Punkt 7.3; https://www.geblitzt.de/nutzungsbedingungen/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 459 AGB von „myright.de“ Punkt 4.1, https://www.myright.de/fahrradunfall/agb [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023].
96 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Im Ergebnis verbindet dieses Modell drei Tätigkeitsbereiche miteinander. Die Plattformen treten sowohl als Softwareanbieter als auch als Prozessfinanzierer und Vermittlungsstellen für Mandatsverträge auf. c) Ermächtigung zur außergerichtlichen Durchsetzung auf Provisionsbasis Weitgehend verlassen wird die reine Vermittlungsebene bei den Modellen, die dieser dritten Gruppierung zuzuordnen sind. Das in den AGB oft als „Vollmachtsprozess“ bezeichnete und häufig zur Auswahl des Kunden gestellte Prozedere sieht den Abschluss eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrages gem. § 675 BGB und die Erteilung einer Vollmacht zur (zunächst außergerichtlichen) Einziehung einer Forderung vor. Hauptanwendungsbereich sind wiederum Ansprüche aus der FluggastrechteVO. Angeboten wird das Modell unter anderem von den Seiten „Flightright.de“, „Flug-verspaetet.de“ und „euclaim.de“. Nach Eingabe seiner Daten in eine entsprechende Maske, oft als „Entschädigungsrechner“ bezeichnet, wird dem Kunden ein Betrag angezeigt, der der ihm zustehenden Summe nach der FluggastrechteVO abzüglich der Erfolgsprovision der Plattform entspricht. Diesen Betrag stellt die Plattform dem Kunden bei erfolgreicher Durchsetzung des Anspruches in Aussicht. Die Durchsetzung wird vollständig von der Plattform finanziert, sie tritt somit ebenfalls als Prozessfinanzierer auf. Kommt eine Beauftragung der Plattform zustande, so tritt diese an die Airline heran und versucht, die Entschädigung im Namen des Kunden geltend zu machen. Hierfür ist sie gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG als Inkassodienstleister registriert. Unterschiede zwischen den einzelnen Plattformen werden deutlich, wenn dieser Versuch (teilweise) scheitert. Während beispielsweise „euclaim.de“ sodann dem Kunden die Mandatierung eines Vertragsanwaltes empfiehlt, 460 ist eine solche bei den Seiten „Flightright.de“ und „Flug-verspaetet.de“ von der Ermächtigung des Kunden gem. § 164 Abs. 1 BGB bereits umfasst. Die Plattformen begründen also, parallel zur oben dargestellten Praxis von „fairplane.de“, in Stellvertretung für den Kunden ein Mandatsverhältnis mit einem Partneranwalt. Der Anwalt beginnt sodann im Namen des Kunden mit der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung. Auch im Falle eines Vergleichsangebots unterscheiden sich die Geschäftsbedingungen. Bei „euclaim.de“ wird der Abschluss eines Vergleiches zwar zur Disposition des Kunden gestellt, jedoch muss er, wenn ein solcher zur Übernahme von Kosten führt und „euclaim.de“ dem nicht zugestimmt hat, 460 https://www.euclaim.de/allgemeine-geschaeftsbedingungen [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Sollte der Kunde trotz Empfehlung der Plattform jedoch die Mandatierung ablehnen, so ist er verpflichtet, die bis dahin entstandenen Aufwendungen der Plattform zu tragen (AGB 3.8).
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diese Kosten selbst tragen und zudem „euclaim.de“ die volle Provisionshöhe zahlen. 461 „Flightright.de“ setzt den Abschluss eines Vergleiches schon grundsätzlich unter das Zustimmungserfordernis der Plattform. 462 Die Seite lässt sich zudem die Berechtigung einräumen, Vergleiche, die weniger als 80 % der geforderten Summe auskehren würden, ohne Rücksprache mit dem Kunden abzulehnen. Diese Formulierung legt nahe, dass die gesamte Kommunikation des Kunden mit seinem(!) Anwalt ausschließlich vermittelt über die Plattform stattfindet, und diese nach eigenem Ermessen auch über die Nichtweitergabe entscheiden kann. Diese „Entfremdung vom eigenen Prozess“ nimmt der Kunde jedoch bewusst in Kauf. So gehört der ausschließlich durch die Plattformen betriebene Prozess ja gerade zum zentralen Werbeversprechen derselben. 463 Durch diese Rechnung könnte das Gericht rein theoretisch zwar einen Strich machen, indem sie das persönliche Erscheinen des Kunden als Prozesspartei gem. § 141 Abs. 1 ZPO anordnet. In den meist sehr einfach gelagerten Sachverhalten wird dies jedoch kaum nötig sein. Zudem verbleibt die Möglichkeit, einen durch die Plattform gestellten Vertreter im Sinne des § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO zu entsenden. Die erforderliche Ermächtigung, insbesondere hinsichtlich des Vergleichsabschlusses, müsste in einem solchen Fall ggf. erweitert werden. d) Sofortkauf von Forderungen zu einem Festpreis, sog. (echtes) Factoring Viele Plattformen, darunter die Seiten „Flug-Erstattung.de“, „ersatz-pilot. de“ und „euflight.de“, bieten neben anderen Optionen auch den Sofortkauf von Forderungen zu einem Festpreis an. Zu Beginn dieses Vorgangs steht wiederum die Betätigung eines „Erstattungsrechners“ durch den Kunden auf der Seite des Plattformanbieters. Softwaregestützt wird sodann der Wert der Forderung ermittelt und der Kunde kann der Plattform ein entsprechendes Angebot zum Abkauf der Forderung übermitteln. Nimmt die Plattform an, so schließen die Parteien einen Forderungskaufvertrag gem. §§ 433, 453 BGB ab und der Kunde tritt die Forderung an die Plattform ab. Dieser Vorgang entspricht dem sogenannten „echten Factoring“ 464 und grenzt sich von der Inkassozession dadurch ab, dass der Factor auch wirtschaftlich alleiniger 461 https://www.euclaim.de/allgemeine-geschaeftsbedingungen (AGB 4.1 ff.) [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 462 https://www.flightright.de/agb (AGB 7.1 ff.) [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Interessant wäre hier die Frage, welche Konsequenzen bezüglich der Kostentragung ein Vergleichsabschluss ohne Zustimmung der Plattform nach sich ziehen würden. 463 „In fünf Minuten ist alles erledigt. Wir und unsere Vertragsanwälte erledigen Alles für Sie. So sparen Sie Zeit und Nerven“ (fairplane.de). „Eufligth.de“ geht noch einen Schritt weiter und verspricht sogar „Seelenfrieden“ (euflight.de). 464 Obgleich hinter dem Begriff des echten Factorings in seiner ursprünglichen Verwendung eine andere wirtschaftliche Situation stand, entsprechen sich die Vorgehensweisen in ihrer rechtlichen Ausgestaltung. Zum Factoring Foerster, JuS 2020, 203.
98 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Inhaber der Forderung wird. 465 Er trägt das gesamte Ausfall- und Kostenrisiko. Das hieraus resultierende wirtschaftliche Risiko für die Plattformen und der Vorfinanzierungsbedarf führen zu einem recht eingeschränkten Geschäftsfeld für diese Art der Plattformen. Die Ansprüche dürfen, einzeln und in der Summe, keinen allzu hohen Wert haben und müssen zudem relativ zuverlässig auf ihre Durchsetzbarkeit eingeschätzt werden können. Gerade der Entschädigungsanspruch aus Art. 7 der FluggastrechteVO eignet sich wegen seiner leicht nachprüfbaren objektiven Bedingungen hierfür gut. e) Inkassozession auf Provisionsbasis mit Prozessfinanzierung Das letzte Geschäftsmodell ist mit Abstand das prominenteste. Es ist wegen diverser rechtlicher Streitfragen in letzter Zeit so in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, dass bei Sichtung der einschlägigen Fachliteratur beinahe der Eindruck entsteht, die Rechtsdienstleistungsplattformen würden sich ausschließlich dieses Modells bedienen. Tatsächlich ist es eher eine Minderheit, die eine Inkassozession anbietet und dies meist auch nur in Alternative zu oder in Kombination mit anderen Modellen. 466 Bei der Inkassozession wird der Anspruch der Plattform treuhänderisch zur außergerichtlichen und ggf. gerichtlichen Durchsetzung abgetreten und die Plattform zu diesem Zwecke zusätzlich vom Kunden ermächtigt. Um diese Tätigkeiten wahrnehmen zu können, sind die Plattformen als Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG registriert. Die Plattformen erhalten im Erfolgsfall eine nicht unerhebliche Provision und tragen ansonsten alle entstandenen Kosten. Hierfür treten sie entweder selbst als Prozessfinanzierer auf oder kontrahieren mit einem Dritten. Bleibt die außergerichtliche Durchsetzung erfolglos, so beauftragt die Plattform nach eigenem Ermessen und im eigenen Namen einen Anwalt mit der gerichtlichen Verfolgung, oder sie tritt den Anspruch zurück an den Kunden ab. Die Regelung zu Vergleichen bewegen sich im selben Rahmen wie oben für den „Vollmachtsprozess“ dargestellt. Das Modell wird unter anderem von den Seiten „Flightright.de“, „Flug-erstattung.de“ und „wenigermiete.de“ angeboten.
465 Siehe zur Abgrenzung auch BGH NJW-RR 2001, 1420; BGH NJW 2018, 2254. Insoweit ist beim „echten“ Factoring nach ganz h. M. auch der Anwendungsbereich des RDG nicht eröffnet, da hier keine fremde, sondern eine eigene Angelegenheit besorgt wird, Krenzler RDG § 2 Rn. 107; Gaier/Wolf/Göcken/Johnigk RDG § 2 Rn. 58; Dreyer/ Lamm/Müller/Dreyer/Müller RDG § 2 Rn. 47 mit Verweis auf BGH NJW-RR 2001, 1420. 466 Die Bundesregierung schätzt, dass insgesamt nur 420 registrierte Inkassodienstleister auf dem Markt der Plattformbetreiber tätig sind, BT-Drucks. 19/27673. Davon dürfte nur ein Bruchteil tatsächlich eine Inkassozession anbieten, die meisten werden sich auf Modelle der Bevollmächtigung beschränken.
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2. Rechtliche Problemfelder Vor seiner Novellierung am 01. 10. 2021 war das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) nur sehr unzulänglich an das Angebotsfeld der Rechtsdienstleistungsplattformen angepasst. Die technische Entwicklung war, wieder einmal, der gesetzgeberischen Gestaltung zuvorgekommen. Das galt insbesondere für die Regelungen zu den Inkassodienstleistern, die noch auf den Archetyp des Inkassounternehmers, einem Dienstleister, der im Auftrag von Unternehmen fällige Forderungen mahnt und eintreibt, abgestimmt waren. Die Tatsache, dass sich nun die Rechtsdienstleistungsplattformen, deren Tätigkeit sich, wie oben aufgezeigt, stark von der der ursprünglichen Inkassounternehmer unterscheidet, zur gesetzlichen Legitimierung weitestgehend auf die Registrierung als Inkassodienstleister nach § 10 RDG stützten, führte zu einer Vielzahl an rechtlichen Problemen. Zur Auflösung derselben verabschiedete noch der scheidende 19. Bundestag in einem für ein so disputables Themengebiet überraschend zügigen Gesetzgebungsverfahren 467 das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt. Hinsichtlich der Rechtsdienstleistungsplattformen vollzieht dieses inhaltlich weitestgehend die liberale Rechtsprechung des BGH nach, legt ihnen aber im Gegenzug auch erweiterte Pflichten auf. Weiterer Kernpunkt des Gesetzes ist daneben die Erweiterung der Möglichkeiten der Anwaltschaft, um deren Wettbewerbsfähigkeit mit den nun auf sichere rechtliche Grundlage gestellten Inkassodienstleistern zu gewährleisten. Eingehend auf die vor der Novellierung des RDG bestandenen Streitpunkte, sollen im Folgenden die wichtigsten Änderungen aufgezeigt und damit die nun geltenden rechtlichen Parameter für die Tätigkeit der Plattformbetreiber dargestellt werden. a) Eingabemasken und „Entschädigungsrechner“ als Rechtsdienstleistungen nach § 2 Abs. 1 und 2 RDG Nach altem Recht bereits umstritten war die rechtliche Einordnung der von den Plattformen verwendeten Eingabemasken, in die der Kunde zu Beginn des Kontakts entsprechende Informationen eintragen muss. All diesen Masken ist, obgleich sie in Erscheinungsformen und Name so unterschiedlich sind wie die Plattformen und ihre Konzepte selbst, 468 gemein, dass sie nach Informationseingabe durch den Kunden mittels einer Software Überprüfungen vornehmen, um (zumindest) die Vollständigkeit der Informationen festzustellen und die Zugehörigkeit des Anspruches des Kunden zu dem Ange467 Von der Veröffentlichung des Referentenentwurfs bis zur Verabschiedung des Gesetztes vergingen lediglich neun Monate. 468 „Mietpreisrechner“, „Entschädigungsrechner“, „Abfindungsrechner“ sind nur ein paar der Bezeichnungen.
100 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland bot der Seite zu ermitteln. Weitere Funktionen sind häufig die Berechnung und Anzeige einer konkreten Summe, deren Auszahlung die Plattform dem Kunden bei erfolgreicher Durchsetzung in Aussicht stellt. Häufig kommen auch noch konkrete Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen hinzu. 469 Diese Masken warfen nach alter Rechtslage zwei miteinander verbundene rechtliche Fragen auf. Zum einen war unklar, ob die Plattformen hiermit erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistungen nach § 2 Abs. 1 RDG erbringen, 470 zum anderen wurde, sollte dies der Fall sein, darüber gestritten, ob diese Dienstleistungen noch von der Inkassogenehmigung der Plattformen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG a.F. gedeckt waren. Die erste dieser beiden Fragen wurde auch durch die Novellierung des RDG nicht beantwortet. § 2 Abs. 1 RDG ordnet immer noch sämtliche Tätigkeiten in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordern, als Rechtsdienstleistungen ein. Bereits nach alter Rechtslage war unumstritten, dass es sich bei der automatisierten Tätigkeit der Eingabemaske, soweit der Kunde dort das Bestehen seines Anspruches ermittelt, um eine für die Plattform fremde Angelegenheit handelt, 471 woran auch eine eventuelle spätere Abtretung nichts ändert. 472 Da die Tätigkeit zudem konkret auf den Einzelfall erbracht wird, 473 war Dreh- und Angelpunkt die Auseinandersetzung darüber, ob die von den Plattformen verwendeten Softwares zur Bestimmung der Entschädigungssummen Leistungen darstellen, die eine rechtliche Prüfung erfordern. Die hierzu ergangene Rechtsprechung war uneinheitlich. Bezüglich des „Mietpreisrechners“ der Plattform „wenigermiete.de“ wurde der Streit hauptsächlich zwischen den verschiedenen Zivilkammern des LG Berlin ausgetragen. Während die 85. hierin keine rechtsberatende Tätigkeit erkannte, 474 gingen die 67. 475 und die 63. 476 übereinstimmend von einer recht469 Wie z. B. die Bevollmächtigung eines Anwaltes, den Sofortverkauf der Forderung oder die Vereinbarung einer Sicherungszession. 470 Zur parallelen Problematik bezüglich Vertragsgeneratoren im sog. „Smartlaw“ LG Köln BeckRS 2019, 23784 und hierzu Kilian, DStR 2020, 1278. 471 Hierzu klar BeckOKRDG/Grunewald § 2 Rn. 13 ff. Insbesondere schließt auch ein mittelbares Eigeninteresse der Plattformen eine Fremdheit nicht aus BGH NJW 1967, 1562; BGH NJW 2007, 2570; BFH BeckRS 2010, 25016612. Anders ist das freilich beim echten Factoring (oben 1.d.). Hier steht die Forderung auch wirtschaftlich vollständig dem Zessionar zu, er wird in eigenen Angelegenheiten tätig, Krenzler RDG § 2 Rn. 107; Gaier/ Wolf/Göcken/Johnigk RDG § 2 Rn. 58; Dreyer/Lamm/Müller/Dreyer/Müller RDG § 2 Rn. 47 mit Verweis auf BGH NJW-RR 2001, 1420. 472 Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt der Erbringung der Dienstleistung, dies erfolgt, wie oben dargestellt, bei den „Erstattungsrechnern“ u. U. vor Abtretung. 473 Konkretheit ist gegeben, soweit sich die Tätigkeit auf eine wirkliche und sachverhaltsbezogene Rechtssache bezieht BGH GRUR 2011, 539. 474 LG Berlin NJW 2018, 2898 Rn. 26 ff. 475 LG Berlin BeckRS 2019, 382 Rn. 30 f. 476 LG Berlin BeckRS 2018, 19885 Rn. 26 f.
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lichen Prüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG aus. In seiner Entscheidung zu eben diesem Modell hätte der BGH die Möglichkeit gehabt, diese Streitfrage zu klären, wozu es jedoch leider nicht kam. Der Gerichtshof sah das Modell insgesamt von der Inkassotätigkeit des Unternehmens nach § 2 Abs. 2 RDG umfasst, weswegen die Frage der Zuordnung zu § 2 Abs. 1 RDG offen bleiben konnte. In einem Nebensatz führte er jedoch aus, dass er die Annahme, dem „Mietpreisrechner“ läge eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls zu Grunde, als eher fernliegend erachte. 477 Wie bereits angesprochen, führte auch die Novellierung des RDG in dieser Hinsicht zu keiner Klärung. Der Gesetzgeber hat dem Streit durch die Anpassung des § 2 Abs. 2 RDG jedoch die Relevanz entzogen. Die Norm, die Inkassodienstleistungen grundsätzlich immer als Rechtsdienstleistungen i. S. d. § 2 Abs. 1 RDG einordnet, stellt nun im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregelung unmissverständlich klar, dass die für einen Inkassodienstleister zulässige Tätigkeit der Einziehung fremder oder zum Zwecke der Einziehung abgetretener Forderungen auch die rechtliche Prüfung und Beratung hinsichtlich dieser Forderung umfasst. 478 Da die Plattformbetreiber, wie oben angesprochen, im Regelfall als Inkassodienstleister registriert sind, ist für sie somit auch das Betreiben der Eingabemasken zulässig. Im Ergebnis vollzog der Gesetzgeber damit die Rechtsprechung des BGH nach. In seinem Grundsatzurteil zum „Mietpreisrechner“ der Seite „wenigermiete.de“ legte dieser § 2 Abs. 2 RDG a.F. im Lichte zweier Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 2002 479 und 2004 480 weit aus, 481 und sah von der Inkassodienstleistungsbefugnis auch die rechtliche Beratung des Gläubigers umfasst. 482 Der Bundesgerichtshof verfestigte diese Rechtsauffassung wenige Monate später in einer erneuten Entscheidung zum selben Plattformmodell 483 und entzog damit bereits der teilweise vertretenen Gegenansicht 484 weitestgehend den Boden. Spätestens jedoch durch die Änderung des § 2 Abs. 2 RDG dürfte der Streit nun vollständig passé sein.
477
BGH NJW 2020, 208 Rn. 148; zustimmend Kleine-Cosack, AnwBl. Online 2020, 88,
94. 478
Hierzu auch Bt-Drs. 19/27673 S. 39. BGH NJW 2002, 1190. 480 BGH NJW-RR 2004, 1570. 481 Die Entscheidungen des BVerfG betrafen freilich noch das damals gültige RBerG, die Gesetzgebungsmaterialien zum RDG nehmen aber ausdrücklich Bezug hierauf, BTDrucks. 16/3655 S. 26 f. Auch sie sprechen dem Inkassodienstleister zudem die Berechtigung zur „umfassenden rechtlichen Forderungsprüfung“ zu, BT-Drucks. 16/3655 S. 27. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Problematik findet sich bei Mann/Schnuch, NJW 2019, 3477. 482 BGH NJW 2020, 208, 97, 110 f. 483 BGH NJW 2020, 542, 547. 484 Henssler NJW 2019, 545, 547; Mann/Schnuch, NJW 2019, 3477, 3480; Greger, MDR 2018, 897, 899; Valdin, BB 2017, 1609. Auch einige Instanzengerichte hatten sich dieser 479
102 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Quasi im Handstreich gelang es dem Gesetzgeber zudem, durch die Umformulierung des § 2 Abs. 2 RDG einen weiteren Disput im Rahmen dieser Norm aufzulösen. So wurde unter der Vorgängernorm hinsichtlich der Eingabemasken teilweise argumentiert, die in diesem Rahmen erbrachte Rechtsdienstleistung erfolge nicht „bei“, sondern „vor“ Forderungseinzug und lasse daher den Zusammenhang zu der Inkassotätigkeit missen. 485 Nun, da die Norm von einer „auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung spricht“, dürfte diese Ansicht kaum noch zu vertreten sein. 486 b) Sonstige Überschreitungen der Inkassoerlaubnis, klarere Abgrenzung zwischen §§ 2 und 5 RDG n.F. Zwar erweitert § 2 Abs. 2 RDG den Begriff der Inkassodienstleistung nun um die auf die Einziehung bezogene rechtliche Prüfung und Beratung, im gleichen Zuge schränkt der Gesetzgeber die hierunter fallenden Tätigkeiten jedoch ein und grenzt sich insoweit zur Rechtsprechung des BGH ab. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialen sollen unter den Begriff der Inkassodienstleistung nur noch solche Tätigkeiten gefasst werden können, die sich konkret auf die Einziehung der gegenständlichen Forderung beziehen. 487 Darüber hinausgehende Tätigkeiten, die zwar inhaltlich in einem Zusammenhang mit der Einziehung stehen, dieses Kriterium aber nicht erfüllen, sollen dagegen nun am Maßstab des § 5 RDG gemessen werden. 488 Die damit einhergehende und vom Gesetzgeber explizit hervorgehobene Abweichung zur zuvor ergangenen Rechtsprechung des BGH ist jedoch eher marginal. Der Bundesgerichtshof hatte, der liberalen Rechtsprechung des BVerfG folgend, Handlungen der Plattformbetreiber, die zwar eine Verbindung zur Einziehung der Forderung aufwiesen, inhaltlich aber über die bloße außergerichtliche Durchsetzung eines Zahlungsanspruches hinausgingen, großzügig unter den Begriff der Inkassodienstleistung gefasst. Das betraf zum einen die Geltendmachung (zusätzlicher) Hilfsansprüche wie beispielsweise Auskunftsansprüche 489 und zum anderen Tätigkeiten, die lediglich auf die Herstellung der Voraussetzungen für die Einziehbarkeit der Forderung gerichtet waren. In der hier viel zitierten Grundsatzentscheidung über die Ansicht angeschlossen, LG Berlin BeckRS 2019, 382 Rn. 33 ff.; LG Berlin BeckRS 2018, 19885 Rn. 29 ff. 485 LG Berlin BeckRS 2019, 382 Rn. 35. 486 Auch hier schloss sich der Gesetzgeber im Ergebnis der Rechtsprechung des BGH an, siehe BGH NJW 2020, 208 Rn. 154; BGH NJW 2020, 542, 547; zustimmend Lettl, WuB 2020, 145, 147. 487 BT-Drucks. 19/27673, S. 39. 488 BT-Drucks. 19/27673, S. 39. 489 BGH NJW 2020, 208 Rn. 164 ff.; in diese Richtung bereits Krenzler RDG § 2 Rn. 134 f.; Henssler/Prütting/Overkamp/Overkamp RDG § 2 Rn. 44; ablehnend Kilian, NJW 2019, 1401, 1403; Gaier/Wolf/Göcken/Johnigk RDG § 2 Rn. 60a.
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Verfahrensweise der Plattform „wenigermiete.de“ ging es dabei um eine Rüge nach § 556g Abs. 2 BGB, 490 die Voraussetzung für das Rückzahlungsverlangen nicht geschuldeter Miete ist. 491 Diese Maßnahmen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auch weiterhin unter den Begriff der Inkassodienstleistung fallen, da sie sich „unmittelbar auf eine bestimmte, […] in dem Verfahren geltend gemachte Forderung“ beziehen. 492 Hiervon nicht mehr umfasst soll in Zukunft jedoch beispielsweise die im oben angesprochenen Verfahren ebenfalls erfolgte Aufforderung des Plattformbetreibers an den Vermieter, in Zukunft nicht mehr die als überhöht eingestufte Miete zu verlangen, sein. 493 Diese Tätigkeit beziehe sich ebenso wie die rechtliche Beratung, die künftige Miete lediglich unter Vorbehalt zu bezahlen, nicht mehr auf die Forderungseinziehung und sei daher nach § 5 RDG zu bewerten. 494 Am Maßstab des § 5 RDG zu messen sind damit auch sämtliche Tätigkeiten der Plattformbetreiber, die sich auf die gerichtliche Durchsetzung der Forderung beziehen. Das betrifft nicht nur die Finanzierung eines solchen Prozesses, sondern auch die Vermittlung oder Beauftragung eines Rechtsanwaltes zu diesem Zwecke. 495 Für diese nun zentralere Rolle wurde auch § 5 RDG redigiert. Die Norm enthielt bereits vor ihrer Anpassung die Vorgabe, dass Rechtsdienstleistungen auch im Zusammenhang mit anderen Tätigkeiten erbracht werden dürfen, wenn sie sich u. a. aufgrund von Inhalt und Umfang nur als Nebenleistung zu dieser anderen Tätigkeit darstellen und zu deren Erbringung erforderlich sind. Der neu eingefügte S. 3 des ersten Absatzes hebt nun ausdrücklich den Anwendungsbereich dieser Norm auch für Inkassodienstleiter hervor, indem er klarstellt, dass Haupttätigkeiten im Sinne dieser Vorschrift auch Rechtsdienstleistungen sein können. Damit stellt sich der Gesetzgeber gegen eine Strömung in der Literatur, die einige Verhaltensweisen der Plattformen, beispielsweise die, nach erfolgloser außergerichtlicher Durchsetzung einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Verfolgung der Ansprüche zu beauftragen, als unzulässig mit der Begründung einstufte, dies würde über die zulässige Inkassotätigkeit hinausgehen. 496 Durch die deklaratorische Ergänzung 497 des § 5 RDG steht nun fest, dass diese Tätigkeiten, sollte es sich hierbei überhaupt um Rechtsdienstleistungen im Ausführlich zu der entsprechenden Rechtslage im Mietrecht Rott, WuM 2020, 185 ff. BGH NJW 2020, 208 Rn. 160; insofern ablehnend Kilian, NJW 2019, 1401, 1403; Henssler, NJW 2019, 545, 546 f.; i. E. wohl auch Valdini, BB 2017, 1609, 1611; kritisch auch Widder, AnwBl. Online 2020, 269. 492 BT-Drucks. 19/27673, S. 39. 493 BT-Drucks. 19/27673, S. 39. 494 BT-Drucks. 19/27673, S. 39. 495 BT-Drucks. 19/27673, S. 21. 496 So Henssler, NJW 2019, 545, 546 ff.; Valdini, BB 2017, 1609,1611; a. A. wohl bereits BGH NJW 2020,208 Rn. 225 ff. 497 BT-Drucks. 19/27673, S. 40. 490 491
104 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Sinne des RDG handeln, 498 nach Maßgabe des § 5 RDG zulässig sind, wenn sie sich lediglich als Nebentätigkeiten zu der Inkassodienstleistung darstellen. 499 Mit der Stärkung des § 5 RDG korrespondiert auch der neu gefasste § 13 RDG. Dessen Absatz 2 Nr. 2 bezieht nun die von einem Dienstleister erbrachten Nebentätigkeiten nach § 5 RDG explizit in die durch die Registrierungsbehörde durchzuführende Prüfung mit ein. Wird eine Registrierung als Inkassodienstleister beantragt, so hat der Antragsteller eine inhaltliche Darstellung der beabsichtigen Nebenleistungen beizufügen. 500 Unzulässige Geschäftsmodelle sollen auf diese Weise bereits im Rahmen der Registrierung abgelehnt und nicht erst durch den Beklagten im Zivilverfahren angegriffen werden. Mit dieser Anpassung bezweckt der Gesetzgeber eine gesteigerte Rechtssicherheit nicht nur für die Inkassodienstleister, sondern auch für die zedierenden Verbraucher. 501 c) Zulässigkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars Die Geschäftsmodelle der Plattformbetreiber sahen sich des Weiteren hinsichtlich ihrer Finanzierungsstruktur andauernder Kritik ausgesetzt. Wie oben dargestellt, müssen die Kunden für die Dienstleistung der Plattformen zwar zunächst keine Gebühren entrichten, verpflichten sich aber dazu, im Erfolgsfall einen nicht unerheblichen Teil der eingetriebenen Summe an den Plattformbetreiber abzuführen. Dies zog den Unmut von Teilen der Anwaltschaft auf sich, der sowohl die Vereinbarung einer solchen Kostenfreistellung als auch eines Erfolgshonorars grundsätzlich gem. § 49b Abs. 2 S. 1, 2 BRAO a.F. untersagt war. 502 Einige Stimmen sahen daher eine unzulässige Ungleichbehandlung gegeben, woraus sie, sowohl teleologisch als auch systematisch nur schwer haltbar, ein Verbot dieser Art der Finanzstruktur auch für Inkassodienstleister herleiteten. 503 Andere dagegen wiesen zwar ebenfalls auf diese Art der Ungleichbehandlung hin, verlangten aber in der Konsequenz eine Lockerung der Vorgaben für die Anwaltschaft. 504 Dieser Forderung ist der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt nun nachgekommen.
498 Was der Gesetzgeber für die Beauftragung eines Rechtsanwalts ausdrücklich bezweifelt, BT-Drucks. 19/27673, S. 21. 499 BT-Drucks. 19/27673, S. 21. 500 § 13 Abs. 2 Nr. 2 RDG. 501 BT-Drucks. 19/27673, S. 41; hierzu auch Günther, MMR 2021, 764, 767. 502 Eine enge Ausnahme sah das Gesetz nach einer Intervention des BVerfG nur in § 4a RVG vor. 503 Henssler, NJW 2019, 545, 548; LG Berlin BeckRS 2019, 382 Rn. 46; a. A. bereits BGH NJW 2020, 208 Rn. 170 ff.; BGH NJW 542, Rn. 69. 504 Deckenbrock, DB 2020, 321, 326; Hellwig, AnwBl. Online 2020, 260.
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Für die Vereinbarung eines Erfolgshonorars stellt sich die Rechtslage daher nun wie folgt dar: Für die Inkassodienstleister ist die Vereinbarung eines solchen (weiterhin) uneingeschränkt möglich, sie treffen im Gegenzug jedoch weitreichende Aufklärungspflichten. So müssen sie ihre Kunden unter anderem über alternative Durchsetzungsmöglichkeiten informieren, 505 Gründe für die Bemessung des Erfolgshonorars nennen 506 und genau definieren, welche Vergütung bei Eintritt welcher Bedingung fällig wird. 507 § 13c Abs. 1 RDG stellt daneben gewisse Voraussetzungen an die Form der Vereinbarung, zudem kann das Erfolgshonorar nun, sollte es unter der Berücksichtigung aller Umstände als unangemessen hoch eingeschätzt werden, seitens des Gerichts auf einen angemessenen Betrag herabgesetzt werden. 508 Auch für Rechtsanwälte bestehen nun deutlich erweiterte Möglichkeiten mit Rechtssuchenden Erfolgshonorare zu vereinbaren. 509 Sie werden zunächst mit den Inkassodienstleistern gleichgestellt, indem ihnen dies gem. § 4a Abs. 1 Nr. 2 RVG immer dann gestattet wird, wenn sie Inkassodienstleistungen erbringen oder nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 tätig werden. Darüber hinaus dürfen sie nun aber auch entsprechend § 4a Abs. 1 Nr. 1 RVG Erfolgshonorare vereinbaren, wenn pfändbare 510 Forderungen bis zu einer Höhe von 2.000 € gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht werden. 511 Für den im Rahmen dieser Arbeit festgelegten Untersuchungsgegenstand ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass der Gesetzgeber die in § 4a Abs. 1 Nr. 1 RVG festgelegte Grenze keineswegs willkürlich gewählt hat. 512 Ausweislich der Gesetzgebungsunterlagen zog er diesen Wert heran, weil er bei Forderungen bis zu dieser Höhe angesichts des hohen Kostenrisikos ein erhebliches Hemmnis sieht, rechtliche Hilfe zur Durchsetzung in Anspruch zu nehmen. 513 Dies bestätigt die zu Beginn dieser Arbeit dargelegten Erkenntnisse zur rationalen Passivität der Verbraucher bei Bagatellschäden und die hieraus hervorgehende Definition eines solchen bis zu einem Wert von 1.840 €. 514 Abschließend soll ein Erfolgshonorar auch dann möglich sein, wenn der Rechtssuchende ansonsten von der Rechtsverfolgung abgehalten werden würde. 515 Diese letzte Regelung kann als Nachfolgevorschrift des § 4a Abs. 1 505
§ 13b Abs. 1 Nr. 1 RDG. § 13c Abs. 3 Nr. 3 RDG. 507 § 13c Abs. 3 Nr. 1 u. 4 RDG. 508 § 13c Abs. 2 RDG. 509 Ausführlich zu den Änderungen im Vergütungsrecht Kilian, MDR 2021, 1297, 1299 ff. 510 BT-Drucks. 19/27673, S. 36. 511 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll hiervon auch die Verteidigung gegen entsprechende Forderungen umfasst sein, Bt-Drucks. 19/27673, S. 16. 512 Entgegen der Einschätzung von Fries, NJW 2021, 2537, 2539. 513 BT-Drucks. 19/27673, S. 34. 514 Hierzu Teil 1 – C. 515 § 4a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 RVG. 506
106 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland RVG a.F. aufgefasst werden, sie stellt aber nun nicht mehr auf die „wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Rechtssuchenden, sondern auf die verständige Betrachtung aller Umstände ab, 516 und ist daher weiter gefasst. Vereinbart ein Rechtsanwalt auf einer der eben genannten Grundlagen ein Erfolgshonorar, so treffen ihn nun ausweislich § 4a Abs. 3 RVG ebenfalls gewisse Aufklärungspflichten. Im Zuge der Gleichstellung der Anwaltschaft sowie im Hinblick auf die neuen Rechtsgrundlagen zum Erfolgshonorar wurden zudem die gesetzlichen Möglichkeiten für Anwälte, vom Unterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO abzuweichen, angepasst. 517 Erbringen Rechtsanwälte Inkassodienstleistungen eigenständig oder im Rahmen der in § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO genannten Verfahren, so muss die hierfür veranschlagte Gebühr entgegen der Grundregelung des § 4 Abs. 1 S. 2 RVG nun nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko stehen, auf sie kann sogar vollständig verzichtet werden. 518 Wird ein Erfolgshonorar dagegen auf der Grundlage der § 4a Abs. 1 Nr. 1 oder 3 vereinbart, so darf, unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt gerichtlich oder außergerichtlich tätig wird, von der gesetzlichen Vergütung bzw. der Regelung des § 4 Abs. 1 S. 2 RVG nur nach unten abgewichen werden, wenn dafür im Erfolgsfall ein „angemessener Zuschlag“ vereinbart wird. 519 d) Interessenkollisionen iSd § 4 RDG § 4 RDG war Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen über die Modelle der Plattformbetreiber und wird diese Rolle wohl auch nach der Anpassung durch das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt behalten. Die Norm, die zutreffend als „Auffangbecken für die Annahme eines Verbots“ bezeichnet wurde, 520 verfolgt den Zweck, für den Anwendungsbereich des gesamten RDG Interessenkollisionen auszuschließen, die die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährden könnten. 521 Die Regelung hatte zwar keinen direkten Vorgänger im RBerG, 522 geht aber auf ein Urteil zurück, welches der BGH im Jahre 1961 zur Schadenssachbearbeitung von Rechtsschutzversicherern erlassen hatte. 523 In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Versicherer im Namen seiner Versicherungsnehmer mit deren Gegner über Grund 516
BT-Drucks. 19/27673 S. 37. Ausführlich hierzu Günther, MMR 2021, 764, 766 f. 518 § 4 Abs. 1 S. 3, § 4 Abs. 2 RVG. 519 § 4a Abs. 2 RVG. 520 Kleine-Cosack, AnwBl. Online 2020, 88, 92. 521 BT-Drucks. 16/3655, S. 51. 522 Ein ähnliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen findet sich für Rechtsanwälte in § 43a Abs. 4 BRAO. 523 BGH NJW 1961, 1113. 517
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und Höhe von Ersatzansprüchen verhandelt. Darin sah der Gerichtshof eine unzulässige Interessenkollision. Die Verpflichtung des Versicherers, die Prozesskosten für seinen Kunden zu tragen, könnte unmittelbaren Einfluss auf die Verhandlungen mit der Gegenseite haben und den Versicherer dazu veranlassen, bei den Verhandlungen allein die Vermeidung von Kosten und nicht die effektive Rechtsdurchsetzung im Sinne zu haben. 524 Dementsprechend legt der heutige § 4 S. 1 RDG fest, dass Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, nicht erbracht werden dürfen, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Die Norm war nach ihrer Entstehung sowohl rechtspolitischer 525 als auch verfassungsrechtlicher 526 Kritik ausgesetzt, kann mittlerweile aber als unstreitig etabliert bezeichnet werden. 527 Aus dem Wortlaut ergeben sich vier Tatbestandsmerkmale. Es muss zunächst eine Rechtsdienstleistung erbracht werden (1). Hierunter fallen alle Rechtdienstleistungen nach dem RDG. 528 Zudem bedarf es einer weiteren Leistungspflicht des Dienstleisters (2). Diese muss zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsdienstleistung erbracht werden soll, bereits bestehen. 529 Dabei ist es unerheblich, ob sie gegenüber dem Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten besteht. 530 Die Rechtsdienstleistung und die andere Leistungspflicht müssen jedoch aufeinander einen unmittelbaren gestaltenden Einfluss haben (3). 531 Hierdurch muss es zuletzt zu einer Gefährdung der ordnungsgemäßen Erbringung der Rechtsdienstleitung kommen (4). Eine solche liegt vor, wenn die Dienstleistung nicht objektiv und frei von Eigeninteresse erfolgt. 532 Da die Plattformbetreiber meist, wie oben dargestellt, ein ganzes Bündel an unterschiedlichen Leistungen nebeneinander erbrin524
BGH NJW 1961, 1113, 1115. Hierzu umfassend m. w. N. BeckOKRDG/Grunewald § 4 Rn. 4. 526 Hierbei wurde die Norm hauptsächliche hinsichtlich Art. 12 GG und ihrer Vereinbarkeit mit europäischem Recht in Zweifel gezogen, ausführlich Henssler/Prütting/Overkamp/Overkamp RDG § 4 Rn. 3 ff., 7 ff. 527 Noch strittig ist dagegen die Frage, ob ein Verstoß der Inkassovereinbarung nach § 4 RDG auch gem. §§ 3 RDG, 134 BGB die Nichtigkeit der Inkassozession zur Folge hat. Davon geht nun der BGH „grundlegend“ aus, BGH NJW 2020, 208 Rn. 89 ff.; a. A. LG Berlin VuR 2018, 466, 469 f.; Stadler, JZ 2020, 321, 327; Tolksdorf, ZIP 2019, 1401, 1407 ff.; Rott, VuR 2018, 443, 446; Römermann/Günther, NJW 2019, 551, 553. Ausführlich hierzu auch Morell, NJW 2019, 2574. 528 Ganz h.M, Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock RDG § 4 Rn. 11; Dreyer/Lamm/ Müller/Dreyer/Müller RDG § 4 Rn. 2; Henssler/Prütting/Overkamp/Overkamp RDG § 4 Rn. 12; siehe auch BT-Drucks. 16/3655, S. 51. 529 BT-Drucks. 16/3655, S. 51. 530 Ganz h.M, Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock RDG § 4 Rn. 16; Henssler/Prütting/Overkamp/Overkamp RDG § 4 Rn. 17; Gaier/Wolf/Göcken/Johnigk RDG § 4 Rn. 15; Krenzler RDG § 4 Rn. 12. 531 BT-Drucks. 16/3655, S. 51. 532 BT-Drucks. 16/3655, S. 51; BGH NJW 2013, 1870 Rn. 12. 525
108 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland gen, wurde § 4 RDG in der Vergangenheit immer wieder von Beklagten und Kritikern zur Begründung eines Verbots der Geschäftsmodelle herangezogen. aa) Die Prozessfinanzierung als weitere Leistungspflicht Soweit Plattformen nicht lediglich Formularausfüllungshilfen anbieten, sondern die Ansprüche ihrer Kunden darüber hinaus auch außergerichtlich oder gar gerichtlich durch Hinzuziehung eines Vertragsanwalts durchsetzen, wird der Kunde, wie oben dargestellt, bei Misserfolg von sämtlichen Kosten freigehalten. Die Plattformen veranschlagen somit nicht nur für ihr eigenes Tätigwerden ein Erfolgshonorar, es werden auch sämtliche anderweitig anfallenden Kosten wie die Gerichtsgebühren, das Anwaltshonorar und bei Unterliegen die Kosten der Gegenseite übernommen. Abhängig von der jeweiligen Konstellation gehen damit Leistungspflichten einher, die als Anknüpfungspunkt für eine Kollision iSd § 4 RDG in Betracht kommen. Hierbei ist jedoch zunächst zu differenzieren: Übernimmt die Plattform selbst die Prozessfinanzierung, so begründet sie damit eine weitere Leistungspflicht gegenüber dem Kunden, die potentiell in Konflikt mit der erbrachten Inkassodienstleistung iSd § 4 RDG treten könnte. 533 Anders gestaltet sich die Situation, wenn nicht die Plattform als Finanzierer auftritt, sondern zu diesem Zwecke einen dritten, externen Prozessfinanzierer heranzieht. 534 In diesem Fall könnten Pflichten der Plattform gegenüber diesem Finanzierer bestehen, die wiederum auf ihre Konfliktträchtigkeit mit der geschuldeten Inkassoleistung untersucht werden müssen. Kritiker und insbesondere Beklagte sahen in beiden Konstellationen eine die Erbringung der Inkassodienstleistung gefährdende Interessenkollision unter § 4 RDG a.F. 535 Inhaltlich wurde dabei vorwiegend auf Konflikte im Vergleichskontext verwiesen. So wurde zur erstgenannten Konstellation vorgebracht, die Tatsache, dass die Plattformbetreiber sich sowohl dazu verpflichten würden, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen als auch dazu be533 Der Gesetzgeber geht als Regelfall von einer Leistungspflicht gegenüber dem Dienstleistungsempfänger aus, siehe BT-Drucks. 16/3655, S. 51. Eine solche Konstellation lag auch BGH NJW 1961, 1113 zugrunde. 534 Dazu war es in der Vergangenheit immer häufiger gekommen. Grund hierfür war u. a. ein Urteil des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2015 (NJW 2015, 2129), das eine Inkassoabtretung für nichtig erklärt hatte, weil aufgrund der ungenügenden Finanzen der Zessionar-Gesellschaft das Risiko bestehe, dass diese bei Unterliegen nicht die Prozesskosten bestreiten könne. Die Plattformen reagierten insofern mit der Hinzuziehung finanzstarker Prozessfinanzierer. 535 Zur Konstellation in der der Plattformbetreiber selbst die Finanzierung übernimmt Greger, MDR 2018, 897, 900; Valdini, BB 2017, 1609, 1610; Henssler, NJW 2019, 545, 549; zur Hinzuziehung eines externen Finanzierers LG München I BeckRS 2020, 841 Rn. 144; Henssler, NJW 2019, 545, 547 f.
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rechtigt wären, mit dem Beklagten über den Abschluss eines Vergleiches zu verhandeln, resultiere unweigerlich in einer Neigung, verfrüht außergerichtlichen Vergleichen zuzustimmen, um eine kostspielige Beweisaufnahme zu umgehen. 536 Die Plattformbetreiber hätten insoweit im Gegensatz zum Kunden kein Interesse an einer vollumfänglichen Anspruchsdurchsetzung, sondern ihnen genüge „ein guter Schnitt“, also eine Vergütung auf Grundlage einer geringeren Vergleichssumme unter Vermeidung eines hohen Kostenrisikos. Übernehme eine Plattform die Finanzierung nicht selbst, sondern ziehe zu diesem Zwecke einen externen Prozessfinanzierer hinzu, bestünde, insofern parallel, die Gefahr, dass der Finanzierer die aus der Vertragsbeziehung mit dem Plattformbetreiber entspringenden Rechte dazu missbrauche, ebenfalls auf einen „verfrühten“ Vergleichsschluss hinzuwirken. 537 Der Gesetzgeber hat sich dem nun zwar angenommen, blieb dabei aber hinter seinen Möglichkeiten und auch den in ihn gesetzten Erwartungen zurück. So stellt § 4 S. 3 RDG nun ausdrücklich klar, dass alleine dadurch, dass Berichtspflichten gegenüber einem Prozessfinanzierer bestehen, die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung noch nicht gefährdet wird. Damit bleiben einige Fragen offen. So kann die Regelung zunächst nur dahingehend verstanden werden, dass die Hinzuziehung eines externen Finanzierers nicht schon per se, wie zuvor teilweise angenommen, zu einer Interessenkollision führt. 538 Ist die Rolle des Finanzierers in der Vertragsbeziehung zur Plattform weitestgehend passiv ausgestaltet und hat der Finanzierer neben dem Recht informiert zu werden keine anderen Einflussmöglichkeiten auf den Prozess, so ist von keiner Kollision auszugehen. 539 Treten jedoch weitere Rechte des Finanzierers und damit auch Verpflichtungen des Plattformbetreibers hinzu, müssen weiterhin die Gerichte über deren Bewertung im Hinblick § 4 RDG entscheiden. 540 Darüber hinaus enthält das novellierte Gesetz keine explizite Regelung für die in der Praxis weitaus häufiger auftretende Konstellation, dass nicht ein Dritter, sondern der Plattformbetreiber selbst die Prozessfinanzierung übernimmt. Diesbezüglich ist das Telos der neuen Vorschriften jedoch relativ eindeutig. So können Rechtsanwälte nun, neben den erweiterten Möglichkeiten zur Vereinbarung eines Erfolgshonorars, in bestimmten Konstellationen auch die weiteren Kosten ihres Mandanten übernehmen. § 49b Abs. 2 S. 2 BRAO gestattet dies immer dann, wenn Rechtsanwälte außergerichtliche Inkassodienstleistungen erbringen oder in den Verfahren nach
536 Henssler, NJW 2019, 545, 549; a. A. Stadler, JZ 2020, 321, 325; Morell, JZ 2019, 809, 814; Römermann/Günther, NJW 2019, 551, 555; Hartung, BB 2017, 2825, 2829. 537 Henssler, NJW 2019, 545, 549 f. 538 Günther, MMR 2021, 764, 768. 539 BT-Drucks. 19/27673, S. 40. 540 BT-Drucks. 19/27673, S. 40.
110 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO tätig werden. 541 Die Erweiterung dieser Befugnisse der Anwaltschaft geschah, ausweislich der Gesetzesbegründung, um sie mit den Inkassodienstleistern gleichzustellen. 542 Hieraus lässt sich recht eindeutig die Annahme des Gesetzgebers ableiten, dass auch den Inkassodienstleistern eine solche Tätigkeit gestattet ist oder werden soll. Dafür sprechen auch die neuen Regelungen in § 13b Abs. 1 Nr. 3 RDG, die dem Prozessfinanzierer nun umfassende Pflichten hinsichtlich eines Vergleichsschlusses mit dem Beklagten auferlegen. Wie eben dargelegt, waren es insbesondere der Vergleichskontext, der als neuralgisch hinsichtlich einer Interessenkollision nach § 4 RDG eingestuft wurde. Indem der Gesetzgeber den Schutz der Verbraucher in diesem Zusammenhang nun erhöht, bekennt er sich deutlich zur Zulässigkeit einer neben der Inkassodienstleistung erfolgenden Prozessfinanzierung. Man könnte zudem davon ausgehen, dass der Gesetzgeber, der in seiner Gesetzesbegründung immer wieder Bezug auf die vorangegangene Rechtsprechung des BGH nimmt, 543 deutlich gemacht hätte, würde er in einem so wichtigen Punkt von dessen Auffassung abweichen. Der Gerichtshof hatte insoweit bereits Zweifel daran erhoben, ob es sich bei der Finanzierungszusage überhaupt um eine „andere“ Leistungspflicht im Sinne des § 4 RDG handelt. Er sah in der Finanzierung vielmehr einen Bestandteil der Inkassodienstleistung. 544 Darüber hinaus lehnte er auch für den Vergleichskontext eine Interessenkollision ab und betonte vielmehr den auch in diesem Rahmen noch bestehenden Interessengleichlauf zwischen dem Kunden und der Plattform. 545 bb) Leistungspflicht gegenüber den anderen Kunden Herrührend aus dem Geschäftsmodell der Plattformbetreiber, der Durchsetzung einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen, ergibt sich eine weitere potentiell konfliktträchtige Leistungspflicht. Es handelt sich um diejenige, die bereits gegenüber den anderen Kunden der Plattform besteht. Aus dem Bereich des Masseninkassos nach Kartellrechtsverstößen stammend, wurde ein Verstoß gegen § 4 RDG in diesem Zusammenhang wiederum für den Vergleichskontext debattiert. So nahm beispielsweise das LG München eine Interessenkollision mit der Begründung an, würden viele Fälle zu gleichen Konditionen verglichen, so spare das zwar dem Inkassodienstleister Aufwendungen in Form von Verhandlungszeit, es führe aber auch dazu, dass die 541 Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah darüber hinaus auch die Möglichkeit vor, die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens zu übernehmen, soweit die geltend gemachte Forderung nicht 2.000 € übersteigt, vgl. BT-Drucks. 19/27673, S. 7, 31. 542 BT-Drucks. 19/27673, S. 16 f. 543 Beispielsweise BT-Drucks. 19/27673, S. 15, 20, 39. 544 BGH NJW 2020, 208, Rn. 196; BGH NJW 2020, 542 Rn. 64. 545 BGH NJW 2020, 208, Rn. 196 ff.; BGH NJW 2020, 542 Rn. 65 f.
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Ansprüche pauschal gleich behandelt und dadurch die Inhaber von vergleichsweise werthaltigeren Ansprüchen benachteiligt würden. 546 Diese bereits in ihrem ursprünglichen Kontext umstrittene 547 Einschätzung ließ sich schon nach der alten Gesetzeslage kaum auf den Rahmen der Rechtsdienstleistungsplattformen übertragen. So lag dem Urteil des LG München eine Konstellation zugrunde, in der der Inkassounternehmer viele sich inhaltlich teilweise stark unterscheidende Ansprüche gegen dieselben Beklagten durchzusetzen beabsichtigte. 548 Abweichend hiervon nehmen die meisten Plattformen durch ihre Spezialisierung auf ein ganz bestimmtes Teilrechtsgebiet, bspw. Entschädigungsansprüche aus der FluggastrechteVO, ausschließlich beinahe identische Ansprüche zur Durchsetzung an, 549 jedoch meist unabhängig von der Identität des Anspruchsschuldners. Hierdurch ergeben sich zum einen bereits kaum Unterschiede bezüglich der Werthaltigkeit der Ansprüche, die Vielzahl an Anspruchsschuldnern trägt zum anderen auch dazu bei, dass von ein und demselben Vergleich meist keine besonders große Zahl an Ansprüchen betroffen ist. Andere Plattformen, wie z. B. „wenigermiete.de“ betätigen sich zwar in einem durchaus heterogenen Anspruchsfeld, hier liegt jedoch in beinahe jedem Fall ein anderer Anspruchsschuldner vor. 550 Für die Dienstleistungsplattformen ergibt sich somit quasi nie die Konstellation des Massenvergleiches von heterogenen Ansprüchen. Der Gesetzgeber bezieht im Rahmen der Novellierung nicht explizit Stellung zur Frage kollidierender Leistungspflichten gegenüber verschiedenen Kunden. Das Gesamtgefüge der neuen Vorschrift spricht jedoch wiederum eindeutig dafür, dass er hierin grundsätzlich kein Problem sieht. So lagen der Gesetzgebung diesmal, im Gegensatz zur vorangegangenen Fassung des RDG, die aktuellen und insoweit auch bekannten Geschäftsmodelle der Plattformbetreiber zugrunde, 551 an denen grundsätzlich kein Anstoß genommen wurde. Darüber hinaus verpflichtet § 13b Abs. 1 Nr. 3 lit. d RDG den Inkassodienstleister nun ausdrücklich dazu, seine Kunden darüber aufzuklären, welche Auswirkungen es auf einen Vergleich haben kann, wenn dieser sich zeitgleich auf Forderungen mehrerer Personen bezieht. Einer solchen 546
LG München I BeckRS 2020, 841 Rn. 147. Römermann, AnwBl. Online 2020, 273, 276 ff. 548 Das Gericht sah sogar, insoweit in der Argumentation mehr als fraglich, in der Heterogenität der Ansprüche ein für den Einzelnen erhebliches Durchsetzungsdefizit begründet, das darin bestehe, dass nun neben den Rechtsfragen zu den Ansprüchen auch solche zum Zessionsmodell erörtert werden müssten, LG München I BeckRS 2020, 841 Rn. 140 f. Hierzu zurecht kritisch Römermann, AnwBl. Online 2020, 273, 276 ff., der in den Ausführungen einen gewissen Leidensdruck des Gerichts vermutet. 549 Siehe hierzu auch BT-Drucks. 19/27673, S. 15. 550 Konstellationen, in denen mehrere Gläubiger demselben Schuldner entgegenstehen, sind zwar denkbar, beispielsweise wenn die Miete für ein ganzes Haus oder einen Wohnblock rechtswidrig erhöht wurde, in solchen Fällen sind allerdings auch wieder die Ansprüche untereinander eher homogen. 551 Vgl. BT-Drucks. 19/27673, S. 15. 547
112 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Regelung hätte es nicht bedurft, hätte der Gesetzgeber in dieser Praxis grundsätzlich einen Verstoß gegen § 4 RDG gesehen. 552 3. Fazit und Ausblick Die Neuerungen, die das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt mit sich bringt, führen in vielerlei Hinsicht zu mehr Rechtssicherheit und sind daher zweifelsohne zu begrüßen. Die Geschäftsmodelle der Plattformbetreiber stehen nun auf einer solideren rechtlichen Grundlage, was auch den Verbrauchern zugutekommt. 553 Einige Fragen sind jedoch noch nicht vollständig geklärt. Sowohl im Rahmen der §§ 2 und 5 RDG als auch in Bezug auf § 4 RDG wäre eine schärfere gesetzliche Grenzziehung zwischen erlaubten und unerlaubten (Neben-) Tätigkeiten bzw. Leistungspflichten, die seitens des Gesetzgebers als kollisionsträchtig eingestuft werden, wünschenswert. Dies könnte anhand konkreter Beispiele in der Gesetzesbegründung oder einer näheren Definition des Tatbestands der entsprechenden Normen geschehen. Ein großes Manko der Novellierung ist zudem die fehlende Stellungnahme des Gesetzgebers zur Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 4 RDG. 554 Dogmatisch kaum haltbar 555 wurde hier bislang von großen Teilen der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, ein Verstoß gegen § 4 RDG führe gem. § 134 BGB nicht nur zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts, sondern auch der Inkassozession. 556 Diese Rechtfolge, für deren Eintreten der BGH nun zumindest recht strenge Voraussetzungen implementiert hat, 557 läuft dem Schutzweck des RDG diametral entgegen. Verbraucher, die ihre Ansprüche an Plattformen abtreten, laufen so nicht nur Gefahr, dass der Plattform später durch das entscheidende Gericht die Aktivlegitimation abgesprochen wird, durch die Nichtigkeit der Zession tritt dann auch keine Verjährungshemmung ein. Mitunter wird damit dem Verbraucher, der eigentlich durch § 4 RDG geschützt werden soll, die Möglichkeit seinen Anspruch durchzusetzen vollständig genommen. 558 552 So auch Stadler, VuR 2021, 123, 126 allerdings zur, insoweit inhaltsgleichen, früheren Fassung des Gesetzentwurfs. 553 Skupin, GRUR-Prax 2021, 368, 370. 554 Hierzu auch ausführlich Stadler, VuR 2021, 123, 126 ff.; Krüger/Seegers, BB 2021, 1031, 1036. 555 Ausführlich Morell, NJW 2019, 2574, 2576; Stadler, JZ 2020, 321, 327; BeckOKRDG/ Grunewald § 4 Rn. 41. 556 LG München BeckRS 2020, 841 Rn. 155; LG Braunschweig BeckRS 2020, 7267, Rn. 46 ff.; LG Ingolstadt BeckRS 2020, 18773 Rn. 108 ff.; der BGH hat dies bislang explizit lediglich für Fälle der fehlenden Registrierung entschieden: BGH NJW-RR 2017, 410; BGH NJW 2015, 397. 557 BGH NJW 2020, 208, Rn. 90 ff. 558 Stadler, VuR 2021, 123, 127; BeckOKRDG/Grunewald § 4 Rn. 41.
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Insgesamt sollte man sich von den Neuerungen innerhalb des RDG und des Markts für Rechtsdienstleister nicht dazu verleiten lassen, zu vergessen, dass es sich bei der Streuschadensbekämpfung durch Rechtsdienstleistungsplattformen trotz all der mit ihr verbundenen Vorteile um gewerbliche Rechtsdurchsetzung handelt, die allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten stattfindet. Daraus resultiert bereits ein beschränkter Anwendungsbereich der Plattformmodelle. Ansprüche müssen homogen, leicht überprüfbar und vergleichsweise einfach durchzusetzen sein, damit sie für diese Geschäftsmodelle in Betracht kommen. Ein „Allheilmittel“ zur Streuschadensbekämpfung stellen Rechtsdienstleistungsplattformen damit nicht dar. Darüber hinaus gilt es sich grundlegend die rechtspolitische Frage zu stellen, ob es erstrebenswert ist, die Durchsetzung von Streuschäden in den betroffenen Teilrechtsgebieten überwiegend privaten Anbietern anzuvertrauen, die meist ein Erfolgshonorar zwischen 30 und 40 Prozent des Forderungswertes verlangen. Es erscheint widersprüchlich, dass der Gesetzgeber bei Verbandsklagen solch hohe Anforderungen an die Expertise, die Beweggründe und die finanzielle Unabhängigkeit der klagebefugten Einrichtungen stellt, und auf der anderen Seite das Feld der tatsächlich effektiven Durchsetzung von Streuschäden „kampflos“ der privaten Wirtschaft überlässt. Diesem Phänomen sollte seitens des Gesetzgeber jedoch nicht durch Einschränkung der Möglichkeiten der Rechtsdienstleister begegnet werden, sondern mit dem erfolgreichsten Mittel der Privatwirtschaft, der direkten Konkurrenz. Sollte es dem Gesetzgeber gelingen, effektive Instrumente zur Streuschadensbekämpfung im kollektiven Rechtsschutz zu etablieren, so bedarf es keines Verbots der Plattformmodelle, die Nachfrage würde schlicht abgeworben werden. Ein Öffnungsschritt in diese Richtung ist durch die Novellierung nun bereits angelegt. § 13b Abs. 1 Nr. 1 RDG verpflichtet die Dienstleister dazu, vor Abschluss des Vertrages andere Möglichkeiten zur Anspruchsdurchsetzung aufzuzeigen.
B. Verwaltungsrechtliche Instrumente Um zu beurteilen, ob es in Deutschland neuer Instrumente zur Steuerung von Streuschäden bedarf, ist ein Blick allein auf das Privatrecht nicht ausreichend. Steuerungs- und Präventionsfunktionen, die, wie eingangs herausgearbeitet, zentral für die Streuschadensbekämpfung sind, sind originär dem hoheitlichen Aufgabengebiet zuzuordnen, weswegen sich eine umfassende Analyse insofern auch auf das öffentliche Recht erstrecken muss. Begrenzt auf die als besonders streuschadensrelevant identifizierten Sachrechtsgebiete, werden daher im folgenden Abschnitt die Möglichkeiten der Kartell- sowie der Datenschutzbehörden einer näheren Betrachtung unterzogen. Im Zentrum der Untersuchung steht dabei die Frage, inwieweit die
114 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Instrumente die primäre Anforderung an ein effektives Mittel zur Streuschadensbekämpfung, möglichst umfassend den Entzug des Verletzergewinns zu gewährleisten, erfüllen können. Darüber hinaus sollen mögliche Kompensationsaspekte sowie das Verhältnis der Instrumente zu den bereits untersuchten Mitteln des Privatrechts untersucht werden. Der Abschnitt schließt mit einer kurzen Darstellung der strafrechtlichen Möglichkeiten zur Streuschadensbekämpfung.
I. Maßnahmen der Kartellbehörden Im Gegensatz zum Lauterkeitsrecht, das beinahe ausschließlich 559 auf private Rechtsdurchsetzung angelegt ist, vertraut das Kartellrecht auf ein duales System. Neben den bereits beschriebenen privatrechtlichen Instrumenten treten verwaltungsrechtliche. Mit der Kommission auf europäischer Ebene, dem Bundeskartellamt und den Landeskartellbehörden besteht ein breites Netz an zuständigen Institutionen, die mit weitreichenden Ermittlungs- und Zwangsbefugnissen ausgestattet sind. Solcher bedarf es auch, um insbesondere sogenannte Hardcore-Kartelle aufzudecken und zu beenden. Die Behörden haben insoweit, insbesondere durch die Möglichkeit der Kronzeugenregelungen, einen strukturellen Vorteil gegenüber den Verbänden bei der Aufdeckung solch geheimer Absprachen. Dieser Vorteil ist es, der der behördlichen Rechtsdurchsetzung auf diesem Gebiet eine solch zentrale Rolle zuteil werden lässt. 1. Maßnahmen der deutschen Kartellbehörden Das GWB gibt den Kartellbehörden eine bemerkenswerte Vielzahl von Möglichkeiten an die Hand, um sicherzustellen, dass die Kartellrendite nicht beim Verletzer verbleibt. Bei der Verhängung von Bußgeldern kann gemäß §§ 81d Abs. 3 GWB, 17 Abs. 4 OWiG der wirtschaftliche Vorteil berücksichtigt werden, eine eigene behördliche Abschöpfungsmöglichkeit bietet § 34 GWB, die Kartellbehörden können nach dem neu eingefügten § 32 Abs. 2a GWB die Rückerstattung der erzielten Vorteile anordnen und zu guter Letzt auch die Einziehung gemäß § 29a OWiG bestimmen. All diesen Instrumenten ist gemein, dass sie Regelungen enthalten, die sicherstellen, dass die verschiedenen Möglichkeiten die Kartellrendite zu entziehen nur alternativ zueinander zur Anwendung kommen. 560 Diese Gebote werden oft als eine Anordnung der Subsidiarität missverstanden, was den Eindruck erweckt, es gebe eine klare Rangfolge, an der sich die Kartellbehörde bei der Anwen559 Die Vorschriften des 4. Kapitels des UWG entfalten allenfalls für die strafrechtliche Einziehung Relevanz, dazu Teil 2 – C.I. 560 So z. B. § 34b Abs. 2 GWB, § 29a Abs. 2 OWiG.
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dung orientierten muss. Dem ist aber nicht so. Die Behörde hat grundsätzlich die Wahl zwischen den verschiedenen Instrumenten. 561 Darüber hinaus treten sämtliche Zugriffsmöglichkeiten auf den Verletzergewinn hinter der direkten Entschädigung der Verletzten, etwa durch Individualansprüche auf Schadensersatz, zurück. Der Gesetzgeber betont regelmäßig diesen Vorrang der Restitution vor der Präventivwirkung der Abschöpfungsinstrumente. 562 a) Bußgelder nach den §§ 81 ff. GWB Bußgelder sind das Mittel der Wahl sowohl der deutschen Kartellbehörden als auch der Europäischen Kommission. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in den letzten Jahren immer neue Rekordhöhen erreicht wurden. 563 Die Bußgeldtatbestände in §§ 81 ff. GWB sind dabei Ordnungswidrigkeiten, weswegen ergänzend die Vorschriften des OWiG zu Anwendung kommen. Diese Konstellation eröffnet auch den Weg für die später zu besprechende Einziehung nach § 29a OWiG. 564 aa) Anknüpfungstatbestände im Rahmen des § 81 GWB Mit seinen zahlreichen Verweisungsnormen deckt § 81 GWB nahezu das gesamte Kartellrecht ab. Umfasst, und damit als Ordnungswidrigkeiten definiert, sind sowohl materielle gesetzliche Verbote (§ 81 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 GWB) als auch behördliche Verfügungen (§ 81 Abs. 2 Nrn. 2, 5, 5a, 8, 9, 10) sowie Auskunfts- und Meldepflichten (§ 81 Abs. 2 Nrn. 3, 4, 5b, 6, 7, 11 GWB). Für die Verstöße nach § 81 Abs. 1 und 2 GWB ordnet das Gesetz, entsprechend der Vorgaben des § 10 OWiG, zudem an, dass nicht nur vorsätzliche, sondern auch fahrlässige Zuwiderhandlungen geahndet werden. Für die dort aufgeführten Verbote hat die Begehungsform jedoch weiterhin Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße, § 17 Abs. 2 OWiG. bb) Bemessung der Geldbuße Entscheidend dafür, ob Bußgelder potentielle Verletzer von Streuschädigungen abhalten können, ist neben der Verfolgungs- und Durchsetzungszahl die Frage, inwieweit der vom Verletzer erzielte Gewinn bei der Bemessung der Höhe der Bußgelder eine Rolle spielt, und ob potentielle Schädiger somit bereits auf Grund von wirtschaftlichen Überlegungen von einer Schädigung abgehalten werden. Bezüglich des Bußgeldrahmens findet in § 81c 561
Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 34 Rn. 16 ff. BT-Drucks. 15/3640, S. 36; ausführlich hierzu Raum, Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht, FS Hirsch, S. 301, 308. 563 L/M/R/K/M/Meyer-Lindemann GWB § 81 Rn. 1. 564 Dazu Teil 2 – B.I.1.d). 562
116 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland GWB eine Differenzierung statt. Schwerwiegende Kartellverstöße können mit bis zu einer Million Euro, bzw. bei Unternehmen mit 10 % des Vorjahresumsatzes, 565 leichtere mit bis zu 100.000 € 566 geahndet werden. 567 § 81c Abs. 1 GWB ordnet sämtliche Kerntatbestände des deutschen und europäischen Kartellrechts sowie eine Vielzahl von vollziehbaren Anordnungen, die der Umsetzung und Durchführung derselben dienen, den schwerwiegenden Verstößen zu. Steht für die entsprechende Ordnungswidrigkeit der geltende Bußgeldrahmen einmal fest, so erfolgt in einem nächsten Schritt die Zumessung der konkreten Geldbuße im Einzelfall. Hierfür gelten diverse Bemessungskriterien, die sich im neu gefassten § 81d GWB sowie ergänzend in § 17 Abs. 2 und 3 OWiG finden. Der Möglichkeit, im Rahmen des Bußgeldzumessung auch den wirtschaftlichen Vorteil des Verletzers nach § 17 Abs. 4 OWiG abzuschöpfen, kommt dabei ausweislich § 81d Abs. 3 eine Sonderrolle zu, die auf eine bewegte Geschichte zurückblickt. Bis zur 7. GWB-Novelle bestimmte die dreifache Höhe des durch die Zuwiderhandlung erlangten Mehrerlöses noch den maximalen Bußgeldrahmen und war damit Vorgänger der oben genannten Umsatzgrenzen. Zudem war § 17 Abs. 4 OWiG bis dahin ohne die Einschränkung des heutigen § 81d Abs. 3 GWB anwendbar. Als „Sollvorschrift“ ausgestaltet, waren die Kartellbehörden daher angehalten, den wirtschaftlichen Vorteil als Sockelbetrag der Geldbuße anzusetzen. Damit sollte erreicht werden, dass das Bußgeld, der Konzeption des Ordnungswidrigkeitenrechts entsprechend, 568 sowohl einen abschöpfenden als auch einen ahndenden Teil enthielt. 569 Hiervon konnten die Kartellbehörden nur bei Vorliegen besonderer Gründe abweichen. Mit der Einführung des § 81 Abs. 5 GWB, der Vorgängervorschrift zum heutigen § 81d Abs. 3 GWB, wurde § 17 Abs. 4 OWiG für die Kartellbußgelder von einer Soll- zu einer Kannvorschrift abgestuft. Damit steht die Entscheidung, ob im Rahmen der Geldbuße der vom Verletzer durch die Zuwiderhandlung erlangte Vorteil abgeschöpft wird, nun grundsätzlich im Ermessen der Kartellbehörden. Ob diese bei der Ausübung frei oder aufgrund von verfassungsrechtlichen Implikationen eingeschränkt sind, ist umstritten. 565 § 81c Abs. 2 S. 2 GWB. Die Vorgängernorm zu dieser Regelung, § 81 Abs. 4 GWB a.F. löste die bis zur 7.-GWB-Novelle geltende dreifache Mehrerlösabschöpfung ab und steht seit ihrer Einführung unter erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik, siehe hierzu ausführlich Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB § 81 Rn. 390 ff. 566 § 81c Abs. 1 GWB. 567 Davon kann in den Fällen des § 81c Abs. 3 S. 1 GWB abgewichen werden, wobei dann eine 1 % des Jahresumsatzes die Maximalgrenze bildet. 568 FG Hamburg BB 1980, 452; KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 17 Rn. 10. 569 Diese innere Unterscheidung zwischen den beiden Bestandteilen spielt insbesondere für die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Geldbußen eine Rolle (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 S. 4 EStG), siehe hierzu BFH NJW 2019, 3261; Drüen/Kersting, Steuerrechtliche Abzugsfähigkeit von Kartellgeldbußen des Bundeskartellamtes; Gegenfurtner, StudZR 2017, 160 ff.
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Während weite Teile der Literatur der Ansicht sind, dass die Kartellbehörden, um nicht in Konflikt mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG statuierten Gleichheitsgrundsatz zu geraten, nur bei Vorliegen von sachlichen Gründen, beispielsweise bei Existenzgefährdung des Verletzers, 570 auf eine Abschöpfung verzichten können, 571 tritt die behördliche Praxis dem klar entgegen. Nachdem die Vorschrift im Jahr 2005 angepasst wurde, ordnete das Bundeskartellamt bis 2017 in lediglich drei Fällen im Rahmen einer Bußgeldentscheidung eine Abschöpfung an. 572 Der Gesetzgeber hält dieses Verhalten für legitim und führt den Verzicht auf die verstärkte privatrechtliche Durchsetzung des Kartellrechts durch Schadensersatzansprüche der Betroffenen zurück. 573 Da bereits erfüllte oder rechtskräftig festgestellte Ersatzansprüche Dritter eine Abschöpfung des Vorteils in der jeweiligen Höhe ausschließen, 574 bestünde ein geringerer Bedarf für die Abschöpfung. 575 Insofern sei den Kartellbehörden in der Abschöpfungspraxis Zurückhaltung angeraten, da sie in entsprechender Anwendung des § 99 Abs. 2 OWiG den abgeschöpften Vorteil zurückzuerstatten haben, soweit Individualansprüche erst nach erfolgter Abschöpfung tituliert oder erfüllt werden. Eine solche Rückerstattung verringert nach Ansicht des Gesetzgebers jedoch das Abschreckungspotential der Maßnahme und sei daher tunlichst zu vermeiden. 576 Individualansprüche spielen jedoch gerade für das Gebiet der Streuschäden keine nennenswerte Rolle. Hier ist die Zurückhaltung der Kartellbehörden nicht auf die Vermeidung von Rückerstattungen, sondern auf die komplizierte Berechnung des abzuschöpfenden Vorteils zurückzuführen. Seit der Gleichschaltung durch den Gesetzgeber im Zuge der 7. GWB-Novelle gilt für die Bemessung des wirtschaftlichen Vorteils in §§ 81d GWB, 17 OWiG sowie für § 34 GWB das oben zu § 34a GWB Gesagte. 577 Insofern müssten die Behörden auch hier den Vorteil anhand eines hypothetischen Vergleichsmarktes ohne Kartelleinschränkungen berechnen, was nur unter erheblichen Aufwendungen und Anstrengungen möglich ist. Die dafür benötigten Ressourcen kann auch die Kartellbehörde im Regelfall nicht aufbringen, weswegen meist darauf verzichtet wird, der Geldbuße einen abschöpfenden Anteil hinzuzufügen. 570
MüKoGWB/Vollmer GWB § 81 Rn. 142. Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB § 81 Rn. 623; Wiedemann/Klusmann, Kartellrecht, § 57 Rn. 105 Fn. 387; FrankfKomKartellR/Achenbach GWB § 81 Rn. 586 ff.; Achenbach/Wegner, ZWeR 2006, 49, 61. 572 So die Feststellung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie 2017, BTDrucks. 18/10207, S. 68. 573 BT-Drucks. 18/10207, S. 67 ff. 574 Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB § 81 Rn. 633; KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 17 Rn. 129. 575 BT-Drucks. 18/10207, S. 67 ff. 576 BT-Drucks. 18/10207, S. 69. 577 Hierzu Teil 2 – A.I.3.b)ee). 571
118 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Was zunächst nach einem bitteren Fazit für die Streuschadensbekämpfung klingt, wird jedoch dadurch relativiert, dass der Verletzergewinn auch bei der Zumessung des ahndenden Teils des Bußgeldes eine gewisse Rolle spielt. Für die konkrete Bemessung des Bußgeldes müssen, wie oben angesprochen, eine Vielzahl an Kriterien berücksichtigt werden, woraus sich ein relativ komplexer Prozess der Berechnung ergibt. Um diesen zu vereinheitlichen und um auch den Bußgeldschuldnern eine gewisse Rechtssicherheit zu gewähren, legt das Bundeskartellamt in sog. Bußgeldleitlinien seine Verfahrenspraxis fest und offen. 578 Vereinfacht dargestellt geht das BKartA danach bei der Bemessung des ahndenden Teils des Bußgeldes wie folgt vor: Zunächst wird der durch die Begehungsform modifizierte Bußgeldrahmen festgelegt. 579 Sodann wird der tatbezogene Umsatz ermittelt, also derjenige Umsatz, der mit den Produkten bzw. Dienstleistungen, die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen, erzielt wurde. 580 Dieser Umsatz bestimmt zusammen mit dem Gesamtumsatz des bebußten Unternehmens sodann den sogenannten Ausgangswert. Um die Empfindlichkeit der Geldbuße an die Umstände des Verletzers anzupassen, wird, je größer das bebußte Unternehmen ist, ein höherer Prozentsatz vom tatbezogenen Umsatz als Ausgangswert herangezogen. 581 Liegt der Gesamtumsatz des Unternehmens beispielsweise unter 100 Mio. Euro, so sind es lediglich 10–15 %, liegt er dagegen über 100 Mrd. Euro, so können es über 30 % sein. 582 In einem letzten Verfahrensschritt wird sodann der Ausgangswert im Rahmen einer Gesamtabwägung anhand tat- und täterbezogener Merkmale korrigiert. Die Leitlinie des BKartA stellen insofern, obgleich sie immer wieder diverser Kritik hinsichtlich der Vernachlässigung des Prinzips einer an Unrecht und Schuld orientierten Bemessung der Geldbuße ausgesetzt sind, 583 auch für den ahndenden Teil des Bußgeldes einen hinreichenden Bezug zum Verletzergewinn her, womit die Kartellbuße auch in Verzicht auf eine Abschöpfung eine präventive Wirkung zu entfalten vermag. Die Leitlinien binden zwar nur die Behörden und nicht die Gerichte, die insofern die Angemessenheit eines verhängten Bußgeldes mittels eigener Berechnungen überprüfen, 584 der neu gefasste § 81d Abs. 1 Nr. 1 GWB hält aber auch in diesem Rahmen dazu an, das Bußgeld vom mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehenden Umsatz abhängig zu machen. 585 578
Aktuelle gilt die Bußgeldleitlinie von 2021, BKartA, Bußgeldleitlinien. Bei fahrlässigem Handeln werden die Grenzen des § 81c Abs. 1 GWB jeweils um die Hälfte verringert, § 17 Abs. 2 OWiG. 580 BKartA, Bußgeldleitlinien, S. 3 Rn. 10; der tatbezogene Umsatz kann geschätzt werden. 581 BKartA, Bußgeldleitlinien, S. 2 Rn. 8. 582 Beispiele finden sich in BKartA, Bußgeldleitlinien, S. 9. 583 Hierzu Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB § 81 Rn. 569. 584 BT-Drucks. 19/23492, S. 127. 585 Die Anpassung dient u. A. der Vereinheitlichung der Bußgeldberechnung, BTDrucks. 19/23492, S. 127. 579
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cc) Bonusregelungen und Settlements Dem europäischen Vorbild folgend, sieht auch das deutsche Recht verschiedene Möglichkeiten zur Kooperation mit den Kartellbehörden vor. Das ist zum einen das nunmehr gesetzlich in den §§ 81h ff. GWB geregelte Kronzeugenprogramm und zum anderen der Abschluss eines Vergleiches mit der Kartellbehörde im sog. Settlementverfahren. 586 Im Settlementverfahren ist eine Bußgeldreduktion um bis zu 10 %, 587 auf Grundlage der Bonusregelung sogar ein vollständiger Erlass der Geldbuße möglich. 588 Obgleich gerade letzteres nicht unkritisch gesehen wird, 589 sind beide Regelungen essentiell für die kartellrechtliche Bußgeldpraxis. Wie bereits angesprochen, finden Kartellabsprachen meist unter strengster Geheimhaltung statt. Die Möglichkeit, durch Kooperation einzelner Kartellanten solche Absprachen aufzudecken, führt nicht nur zu einer wesentlichen Steigerung der Bußgeldverfahren und damit der Durchsetzungsbreite, sondern schürt auch Misstrauen unter den Kartellanten und entwickelt daher sogar eine präventive Wirkung. b) Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde, § 34 GWB aa) Allgemeines, Geschichte, Relevanz Die heutige Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde ist weitgehend auf die 7. GWB-Novelle zurückzuführen. Zwar enthielt das GWB bereits davor eine Mehrerlösabschöpfung, jedoch nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen. Die Norm war als ein weiteres Instrument eingeführt worden, das sicherstellen sollte, dass ein durch einen Kartellverstoß erlangter Vorteil nicht beim Verletzer verbleibt. 590 Schon nach seiner Ausrichtung war für § 34 GWB dabei kein besonders großer Anwendungsbereich vorgesehen. Ausweislich § 34 Abs. 2 Nr. 2 GWB scheidet eine gesonderte Abschöpfung aus, soweit der Vorteil bereits im Rahmen der Festsetzung der Geldbuße abgeschöpft wurde. Nur sehr wenige Fälle sind denkbar, in denen die Behörde zwar den Vorteil abschöpfen möchte, dies aber nicht im Rahmen der Geldbuße tut, sondern dafür noch als zweites Instrument § 34 GWB bemüht. 591 Die dahingehend bereits geringe Erwartungshaltung an die zu entwickelnde Relevanz der Norm wurde je586 BKartA, Merkblatt Settlement, gestützt auf die Rechtsgrundlage in §§ 81d Abs. 4 GWB. 587 BKartA, Merkblatt Settlement, S. 4. 588 §§ 81h Abs. 1, 81k GWB. 589 Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB § 81 Rn. 585; Stockmann, Sanktionen als Instrument der Durchsetzung des Kartellrechts, Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, S. 99. 590 BT-Drucks. 15/3640, S. 55. 591 Theoretisch käme das dann in Frage, wenn vollständig auf eine Geldbuße verzichtet würde, oder wenn die Erwartung, die die Behörde beim Erlass der Geldbuße hegt, der Vorteil würde durch Schadensersatzansprüche Dritter abgeschöpft, sich später als falsch herausstellt.
120 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland doch noch untertroffen. Seit ihrem Inkrafttreten kam die Norm bislang nicht ein einziges Mal zur Anwendung. 592 Dennoch hielt die Bundesregierung im Zuge der Beratung zur 9. GWB-Novelle an der Norm fest, da sie ihr immer noch eine gewisse Abschreckungsfunktion zusprach, 593 was wohl leider als völlig abwegig eingestuft werden muss. 594 bb) Voraussetzungen und Rechtsfolge Tatbestandlich kann mit einigen Einschränkungen auf die Ausführungen zu § 34a GWB verwiesen werden. 595 § 34 GWB setzt zwar ebenfalls Verschulden voraus, lässt hierbei aber Fahrlässigkeit genügen. Der Vorteil muss im Rahmen des § 34 GWB nicht zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern oder Anbietern erlangt worden sein, womit die Norm auch dann angewandt werden kann, wenn sich des korrespondierende Nachteil bei nur einem oder wenigen Marktteilnehmern niederschlägt. 596 Die Abschöpfung steht, unter den Einschränkungen der § 34 Abs. 3 und 5 GWB, im Ermessen der Behörde. Nach § 34 GWB kann ausweislich seines zweiten Absatzes nicht abgeschöpft werden, soweit der Vorteil bereits anderweitig entzogen wurde. Um insbesondere sicherzustellen, dass private Schadensersatzklagen nicht ins Leere laufen, ordnet § 34 Abs. 2 S. 2 GWB an, dass die Behörde, soweit ein anderweitiger Entzug erst nach der Abschöpfung geschieht, den abgeführten Betrag in dieser Höhe zurückzuerstatten hat. § 34 Abs. 4 GWB enthält eine Befugnis zur Schätzung des Verletzervorteils, um den oben bereits aufgeführten 597 Berechnungsproblemen zu begegnen. Diese befreit jedoch keineswegs vom Erfordernis der Heranziehung objektiv nachweisbarer Tatsachen, sondern verringert lediglich die Anforderungen an die Strenge des Nachweises. 598 Die konzeptionelle Problematik, die die Feststellung des Vorteils anhand hypothetischer Marktdaten mit sich bringt, ist damit nicht beseitigt. 599 Somit reduzieren sich auch die dafür seitens der Behörde erforderlichen Aufwendungen und Anstrengungen nicht, woraus im Endeffekt wiederum die Nichtanwendung der Norm resultiert. Ein nach § 34 GWB abgeschöpfter Vorteil verbleibt der Behörde und muss im Gegensatz zu § 34a GWB nicht an den Bundeshaushalt abgeführt werden.
592 Für den Stand bis 2017 siehe BT-Drucks. 18/10207, S. 68. Intensive Recherchen haben auch für die Zeit bis zum 30. 03. 2022 keinen Anwendungsfall ausmachen können. 593 BT-Drucks. 18/10207, S. 68 f. 594 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 34 Rn. 7. 595 Siehe Teil 2 – A.I.3.b). 596 MüKoGWB/Lübbig GWB § 34 Rn. 5. 597 Hierzu Teil 2 – A.I.3.b)ee). 598 MüKoGWB/Lübbig GWB § 34 Rn. 27. 599 L/M/R/K/M/Funke GWB § 34 Rn. 5.
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c) Abstellungsverfügungen nach § 32 GWB – insbesondere Rückerstattungsanordnung nach § 32 Abs. 2a GWB aa) Historische Entwicklung, Grundlagen Als Quasi-Pendant zu den privatrechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen aus § 33 GWB ermöglicht § 32 GWB es den Kartellbehörden, Unternehmen zur Abstellung einer kartellrechtlichen Zuwiderhandlung zu verpflichten. Die Abstellungsverfügung stellt dabei eine selbstständige Sanktion neben dem behördlichen Bußgeldverfahren dar, 600 die durchaus praktische Relevanz aufweist, da es sich um ein rein objektives Verfahren handelt, welches es den Kartellbehörden ermöglicht, auch bei nicht schuldhaften Verstößen tätig zu werden. 601 Die Norm enthält dabei zwei konzeptionell voneinander unabhängige Regelungen. Ist eine Zuwiderhandlung bereits beendet, so kann die Kartellbehörde eine Feststellungsentscheidung nach § 32 Abs. 3 GWB erlassen, soweit hieran ein berechtigtes Interesse besteht. 602 Dauert eine Zuwiderhandlung noch an, steht unmittelbar bevor 603 oder droht sich zu wiederholen, 604 so ergeht eine Abstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1, 2 und 2a GWB. Dabei kann die Kartellbehörde nach heutiger Rechtslage sowohl auf verhaltensorientierte als auch, sollten diese nicht ausreichen, auf strukturelle Maßnahmen zurückgreifen. 605 Sie kann zudem die Rückerstattung der aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten erwirtschafteten Vorteile anordnen. Um die Reichweite der Norm in ihrer heutigen Ausführung richtig zu erfassen, ist ein Blick auf ihre Entwicklung nötig. Im Zuge der 2. GWB -Novelle räumte der Gesetzgeber der Kartellbehörde erstmalig die Möglichkeit ein, kartellrechtlich verbotenes Verhalten zu untersagen. Dies geschah mehr oder weniger aus der Not heraus, der zuvor vorherrschende Zustand war unhaltbar. 606 Zwar wurde bereits im Zuge der 6. GWB-Novelle der Anwendungsrahmen des Instruments erweitert, in annähernd den heutigen Stand wurde die Norm jedoch erst mit der 7. GWBNovelle versetzt. Diese brachte zwei wesentliche Anpassungen an Art. 7 VO 1/2003, 607 dem europäischen Pendant des § 32 GWB, mit sich. Zum einen 600
L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 1, 5. L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 2. 602 Das kann sowohl ein öffentliches Interesse als auch das Interesse Privater an der Ermöglichung von Follow-on-Klagen auf Schadensersatz sein, Immenga/Mestmäcker/ Emmerich GWB § 32 Rn. 54. 603 OLG Düsseldorf WuW 2010, 73; Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 9; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 15f; L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 7. 604 BGHZ 147, 325, 341 f.; BGHZ 152, 97, 102 f., 105; Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 9; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 15 f. 605 FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 23a. 606 Hierzu Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 1. 607 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. 601
122 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland wurden die Kartellverbote der europäischen Verträge ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Norm mit aufgenommen. Das erfüllte jedoch hauptsächlich Klarstellungswecke und brachte angesichts der vorangegangenen Praxis der Kartellbehörden keine sachliche Erweiterung mit sich. 608 Zum anderen, und diese Anpassung kam schon eher einer Wesensveränderung des Instruments gleich, wurden die Kartellbehörden durch die Novellierung in die Lage versetzt, eine kartellrechtswidrige Praxis nicht lediglich zu untersagen, sondern darüber hinaus den Adressaten dazu zu verpflichten, die Zuwiderhandlung abzustellen. Der gesetzlichen Genehmigung einer positiven Tenorierung im Rahmen dieses Instruments ging dabei eine bereits seit langer Zeit stattfindende extensive Auslegung durch die Gerichte voraus. So war zwar grundsätzlich anerkannt, dass die Kartellbehörden nach altem Recht nur Ver- und keine Gebote aussprechen durften, 609 an diesem Dogma wurde jedoch insbesondere bei Belieferungssperren seit langem gekratzt. So hatte sich hier die Praxis etabliert, dass „als Gebot verkleidete Verbote“ dann rechtsgültig waren, wenn das Verbot dem Adressaten praktisch nur eine Möglichkeit, in diesem Falle die Belieferung des Geschädigten, zum weiteren Handeln gab. 610 Auch bei Preisobergrenzen war die Rechtsprechung bereits mehr als flexibel. 611 Nachdem diese Frage durch die Gesetzesänderung 2005 ihre Problematik verlor, rückte ein anderer Streit um die extensive Auslegung der Norm in den Mittelpunkt. Parallel zu obigen Ausführungen zu § 8 UWG 612 entbrannte auch bezüglich des § 32 GWB eine Diskussion darüber, ob dem Adressaten im Rahmen der Abstellungsverfügung auch aufgegeben werden durfte, seine unrechtmäßig erwirtschafteten Vorteile an die Kunden zurück zu erstatten. Vorreiter und Verfechter dieser Möglichkeit war der BGH. In der Entscheidung „Stadtwerke Uelzen“ 613 ließ er sich zu einem obiter dictum hinreißen und führte aus, „dass nach § 32 II GWB keine grundsätzlichen Bedenken dagegen bestehen, im Rahmen einer Abstellungsverfügung auch Maßnahmen anzuordnen, die der Beseitigung einer geschehenen, aber noch gegenwärtigen Beeinträchtigung dienen. Dazu gehört die Anordnung, durch das missbräuchliche Verhalten erwirtschaftete Vorteile zurückzuerstatten“. 614 Sei608
Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 4. BGHZ 67, 104; BGH NJW 1975, 1282; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 24; ausführlich auch MüKoGWB/Keßler GWB § 32 Rn. 48 ff. 610 BGH WuW/E 2906, 2908; BGHZ 127, 388, 390; hierzu auch Bechtold, NJW 1995, 1936, 1939; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 25. 611 BGHZ 67, 104, 109. 612 Siehe Teil 2 – A.I.2.b)cc). 613 BGH NJW 2009, 1212; hier ging es um ein Gasversorgungsunternehmen, das von seinen Abnehmern überhöhte Jahresgesamtpreise gefordert hatte. Die Landeskartellbehörde hatte daraufhin angeordnet, dass der zu viel gezahlte Betrag den Betroffenen mit der nächsten Jahresendabrechnung zurückzuerstatten sei. 614 BGH NJW 2009, 1212 Rn. 16. 609
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tens der Literatur wurde diese Auslegung kritisch betrachtet, wobei hauptsächlich dogmatische Bedenken angeführt wurden, die dem Leser bereits aus den Ausführungen zu § 8 UWG bekannt sind. Zum einen sei die Abstellungsverfügung, ähnlich wie der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch darauf gerichtet, Verstöße in der Zukunft zu unterbinden, zum anderen würde durch eine solche Auslegung die Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch und zu den Ansprüchen auf Vorteilsentziehung verschwimmen. Das habe insbesondere auch eine „Verwässerung“ des dort bestehenden Verschuldenserfordernisses zur Folge. 615 Auch sahen manche Autoren in einer zu starken Einmischung der Kartellbehörde auf diesem Gebiet eine Gefährdung der selbständigen privatrechtlichen Anspruchsverfolgung der Geschädigten. 616 Unbeeindruckt hiervon hielt der BGH an seiner Rechtsprechung fest. Insbesondere entspreche die Auslegung der Notwendigkeit eines wirksamen Rechtsgüterschutzes. 617 Letztendlich entschied der Gesetzgeber den Streit, indem er im Zuge der 8. GWB-Novelle § 32 Abs. 2a GWB einführte, welcher nun ausdrücklich die Anordnung einer Rückerstattung erlaubt. 618 bb) Funktionsweise der Rückerstattungsanordnung Aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 2a GWB „In der Abstellungsverfügung kann die Kartellbehörde eine Rückerstattung der […] Vorteile anordnen“ schließen Teile der Literatur, dass eine Rückerstattungsanordnung nur im Rahmen einer Abstellungsverfügung ergehen kann, womit der Anwendungsbereich des Instrumentes auf die Fälle beschränkt wäre, in denen der Verletzer das angegriffene Verhalten noch nicht vollständig beendet hat. 619 Obgleich der Wortlaut hier zugegebenermaßen etwas unglücklich formuliert ist, zeigt die historische Auslegung klar die Fehlerhaftigkeit dieser Annahme. In seiner Begründung zur 8. GWB-Novelle bezieht sich der Gesetzgeber eindeutig auf das zuvor ergangene orbiter dictum des BGH in der Entscheidung „Stadtwerke Uelzen“. 620 In dieser ordnete der Gerichtshof jedoch ebenfalls nur die Rückerstattung an, ohne daneben eine Abstellungsverfügung zu erlassen. Insofern ist es näherliegend, dass mit den Worten „In der Abstellungsverfügung“ lediglich der Verfügungstyp für die RückerstatEine sehr ausführliche Erörterung findet sich bei Fuchs, ZWeR 2009, 176. Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 467. 617 BGH NZKart 2013, 34 Rn. 21. 618 Nach der Ansicht des Gesetzgebers sollte dies auch schon für die vorangegangene Fassung gelten und der Einführung des § 32 Abs. 2a GWB insofern nur eine klarstellende Funktion zukommen, BT-Drucks. 17/9852, S. 26. 619 Fritzsche, DB 2012, 845, 850; Bosch/Fritzsche, NJW 2013, 2225, 2228; Berg/Mäsch/ Mäsch GWB § 32 Rn. 20. 620 BT-Drucks. 17/9852, S. 26. 615 616
124 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland tung festgelegt und der Anwendungsbereich des Instruments nicht verengt werden sollte. 621 Gegenstand der Rückerstattung ist der aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten erwirtschaftete Vorteil, § 32 Abs. 2a GWB. Aus der Zinsregelung in Satz 2 wird zumeist geschlossen, dass es sich hierbei um einen Vorteil in Geld, zumindest aber einen geldwerten Vorteil handeln muss. 622 Auch i. R. d. Rückerstattungsanordnung muss der Vorteil der Höhe nach genau bestimmt werden, eine Schätzung ist nach h. M. nicht möglich. 623 Insofern beschränkt sich das praktische Anwendungsgebiet des Instruments vorwiegend auf Fälle, in denen sowohl der Vorteil als auch die Identität der Geschädigten 624 einfach zu ermitteln sind, andernfalls käme es wieder zu den oben dargelegten Berechnungsproblematiken. Es sind damit hauptsächlich vertragliche Dauerschuldverhältnisse in der Versorgungswirtschaft oder im Telekommunikationssektor die für eine Rückerstattung in Frage kommen. 625 Diese Bereiche weisen zudem erhebliche Defizite bei der privaten Rechtsdurchsetzung mittels Schadensersatzklagen auf, sei es wegen der rationalen Passivität der Verbraucher bei Streuschäden oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten vom Verletzer. 626 Dem kartellrechtlichen Schadensersatz entlehnt, wird auch im Rahmen der Rückerstattungsanordnung die Frage debattiert, ob der Verletzer hier eine Schadensabwälzung, auch „passing-on-defense“ genannt, für sich geltend machen darf. 627 Gemeint ist damit, ob eine Rückerstattungsanordnung dann nicht in Betracht kommt, wenn der Verletzer darlegen kann, dass seinem unmittelbaren Vertragspartner gar keine Schäden entstanden sind, da dieser seine Mehrbelastung durch höhere Preise an die nächste Marktstufe weiterreichen konnte. Während § 33c GWB für den Schadensersatz umfassende Regelungen hierzu bereit hält, fehlen entsprechende Vorschriften im Rahmen des § 32 Abs. 2a GWB. Diese Tatsache für sich genommen mag zwar noch nicht ausreichen, um dem Verletzer den entsprechenden Einwand zu nehmen, es sprechen jedoch auch die besseren systematischen Argumente 621
FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 35. FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 35a. 623 H. M. Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 45; FrankfKomKartellR/ Jaeger GWB § 32 Rn. 35a; Langen/Bunte/Bornkamm/Tolkmitt § 32 Rn. 27. A. A. MüKoGWB/Keßler GWB § 32 Rn. 70. 624 Denn auch diese muss unter dem Gesichtspunkt der Vollstreckbarkeit feststehen oder zumindest anhand von klaren, objektiven Gesichtspunkten feststellbar sein, FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 35c mit Formulierungsbeispielen. 625 Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 41; MüKoGWB/Keßler GWB § 32 Rn. 66. 626 Frei nach dem bekannten Problem des Kartellrechts: „Win the case but lose the business“. 627 Dafür Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 42; Bien, ZWeR 2013, 448, 464; a. A. FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 35a; Bechtold/Bosch GWB § 32 Rn. 22; L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 20. 622
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gegen eine Zulassung der passing-on-defense i. R. d. § 32 Abs. 2a GWB. Im Gegensatz zum Anspruch auf Schadensersatz, der einen Schaden im Sinne der Differenzhypothese voraussetzt und insofern ins Leere läuft, wenn es dem unmittelbar Geschädigten gelungen ist, den Schaden an die nächste Marktstufe weiter zu reichen, ist die Rückerstattungsanordnung ein vom Begriff des Schadens losgelöstes Instrument, bei dem die Rückgängigmachung einer ungerechtfertigten Vermögensverschiebung im Zentrum steht. 628 cc) Verhältnis der Rückerstattungsanordnung zu anderen Rechtsbehelfen Noch weitgehend ungeklärt ist das Verhältnis der Rückerstattungsanordnung zu anderen Ausgleichsinstrumenten des Kartellrechts. Für den individuellen Schadensersatz nach § 33a GWB ist die Situation, solange derjenige zu dessen Gunsten die Rückerstattung geschieht auch der Geschädigte ist, unproblematisch. In diesem Fall verringert sich sein Schaden um die entsprechende Summe. Wurden schon vor der Rückerstattungsanordnung Schadensersatzzahlungen geleistet, so sind diese im Rahmen derselben bei der Bemessung des Vorteils zu berücksichtigen. Wesentlich problematischer gestaltet sich die Situation, wenn eine oben beschriebene Schadensabwälzung stattfand, ein Schaden also bei jemandem entstanden ist, der nicht Rückerstattungsempfänger ist. Würde dieser nun Ansprüche gegen den Verletzer geltend machen, käme es zu einer Mehrfachbelastung. 629 Eine Direktkondiktion gegen den Rückerstattungsempfänger ist durch den Vorrang der Leistungskondiktion ausgeschlossen. Um diese Konstellationen zu vermeiden, wird vorgeschlagen, dass die Kartellbehörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung von Rückerstattungsanordnungen absieht, wenn eine passing-on-defense für den konkreten Sachverhalt unschwer erkennbar ist. 630 Die Vorteilsabschöpfungen nach §§ 34, 34a GWB kommen, soweit der Vorteil durch eine Rückerstattung entzogen wurde, nicht in Betracht. 631 Gleiches gilt wohl für die Geldbuße nach den §§ 81 ff. GWB. Auch hier muss eine zuvor erfolgte Rückerstattung berücksichtigt werden. 632 Ungleich komplizierter wird es, wenn das Konkurrenzverhältnis in zeitlich umgekehrter Reihenfolge entsteht, also zuerst eine Vorteilsabschöpfung stattfindet und 628
Berg/Mäsch/Mäsch GWB § 32 Rn. 19. L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 20. 630 L/M/R/K/M/Otto GWB § 32 Rn. 20; FrankfKomKartellR/Jaeger GWB § 32 Rn. 35a; Berg/Mäsch/Mäsch GWB § 32 Rn. 26 geht hier noch einen Schritt weiter und verlangt, die Rückerstattungsanordnung auf die Fälle zu beschränken, in denen der direkte Abnehmer zugleich der Endabnehmer ist, weswegen eine Schadensabwälzung von vorne herein ausgeschlossen werden kann. Bien ZWeR 2013, 448, 465 macht den nachvollziehbaren, aber praktisch wohl nicht umsetzbaren Vorschlag, auch gegenüber mittelbaren Abnehmern eine Rückerstattungsanordnung zuzulassen. 631 Ausweislich § 34 Abs. 2 Nr. 4 GWB, § 34a Abs. 1 S. 1 GWB a. E. 632 Berg/Mäsch/Mäsch GWB § 32 Rn. 33. 629
126 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland dann die Rückerstattung angeordnet wird. Der Vorteil wäre in einem solchen Fall bereits teilweise oder sogar vollständig abgeschöpft, wodurch die unmittelbar Geschädigten leer ausgehen würden. Dieses Ergebnis kann, angesichts des Grundgedankens des Vorranges der Kompensation vor der Prävention, nicht überzeugen, weswegen hier über eine analoge Anwendung des § 99 Abs. 2 OWiG nachzudenken wäre. Angesichts der oben herausgearbeiteten verschwindend geringen Bedeutung der Vorteilsabschöpfung bleibt diese Problematik jedoch ohnehin reine Theorie. 633 d) Einziehung von Taterträgen gem. § 29a OWiG Als ein letztes Mittel, um dem Verletzer die Vorteile des Kartellrechtsverstoßes zu entziehen, steht den deutschen Kartellbehörden die Einziehung von Taterträgen (ehemals Verfallsanordnung) gem. § 29a OWiG zur Verfügung. Diese ermöglicht es der Bußgeldbehörde, einen durch eine Ordnungswidrigkeit erlangten Geldbetrag beim Täter selbst, oder, für das Kartellrecht wesentlich relevanter, bei einem durch die Ordnungswidrigkeit begünstigten Unternehmen einzuziehen. Die Einziehung kommt nur in Betracht, wenn zuvor kein Bußgeld gegen den Täter oder das begünstigte Unternehmen festgesetzt wurde, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 5 OWiG. Das gilt auch für den Fall, dass eine reine Ahndungsgeldbuße, also eine ohne abschöpfenden Teil, erlassen wurde. 634 Da Bußgelder, wie oben dargelegt, auf dem Gebiet des Kartellrechts jedoch eine hervorgehobene Rolle spielen, verbleibt bereits aufgrund dieser Regelungen ein eingeschränkter Anwendungsbereich für die Einziehung in diesem Rechtsgebiet. Zumindest in der Vergangenheit gab es jedoch einen rationalen Grund für die Behörde, anstelle eines Bußgeldes die Einziehung nach § 29a OWiG anzuordnen. So bedarf es im Rahmen der Einziehung, anders als bei den bislang vorgestellten Instrumenten, keines spezifischen Zusammenhangs zwischen Tat und Vorteilszufluss. 635 Gegenstand der Einziehung ist alles, was in Folge der Tat erlangt wurde, ohne dass der Einziehungsadressat den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens vorbringen kann. 636 Der Vorteil wird darüber hinaus grundsätzlich nach dem Brutto-Prinzip bestimmt, womit dem Täter auch der Abzug etwaiger Kosten und Aufwendungen verwehrt ist. 637 Im Vergleich zur Vorteilsabschöpfung können damit im Rahmen der Einziehung nicht nur 633
Immenga/Mestmäcker/Emmerich GWB § 32 Rn. 40. BGH NStZ-RR 2008, 13, 15; BeckOKOWiG/Meyberg OWiG § 29a Rn. 31. 635 BGHSt 227, 242; BeckOKOWiG/Meyberg OWiG § 29a Rn. 41 f. 636 OLG Celle NZV 2012, 400, 401; OLG Celle NZWiSt 2012, 191, 192; differenzierend KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 29a Rn. 34. 637 BGHSt 50, 299, 312; BGHSt 52, 227, 248; BGHSt 57, 79, 82; OLG Hamburg NStZ 2014, 340; KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 29a Rn. 48; Krenberger/Krumm/Bohnert/ Krenberger/Krumm OWiG § 29a Rn. 4; BeckOKOWiG/Meyberg OWiG § 29a Rn. 43. 634
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höhere Beträge entzogen werden, 638 es wird auch der Berechnungsaufwand der Behörden in erheblichem Umfang reduziert. Leider wurden diese Vorzüge durch jüngste Gesetzesänderungen stark relativiert. Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung 639 brachte mit der Einführung des § 29a Abs. 3 OWiG eine (teilweise) 640 Abkehr vom Brutto-Prinzip mit sich. Die Norm erlaubt es dem Einziehungsadressaten nun Aufwendungen in Abzug bringen, soweit diese nicht der Begehung der Tat oder ihrer Vorbereitung dienten. 641 Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 73d StGB, der Parallelvorschrift zur strafrechtlichen Einziehung, ist damit nun auch den Wert der erbrachten Gegenleistung in Abzug zu bringen. 642 Diese partielle Rückkehr zum Nettoprinzip hat für das Kartellrecht weitreichende Folgen. So beschränkt sie nicht nur den Einziehungsumfang erheblich, darüber hinaus bedarf es, um den Wert der erbrachten Gegenleistung zu bestimmen, nun auch wieder der aufwand- und kostenintensiven Berechnung eines hypothetischen Preises. Damit wurde die Einziehung nach § 29a OWiG ihres einzigen Vorteils im Vergleich zur Abschöpfung im Rahmen der Geldbuße oder nach § 34 GWB verlustig. Es bleibt daher zu erwarten, dass ihre ohnehin schon sehr geringe praktische Relevanz im Kartellrecht 643 weiter abnimmt. 2. Maßnahmen der Kommission Im Vergleich zu den deutschen Kartellbehörden stehen der Kommission aus den europäischen Rechtsquellen weit weniger verschiedene Instrumentarien zur Verfolgung von Streuschäden zur Verfügung. Unangefochten im Zentrum stehen auch hier die Bußgelder nach Art. 23 VO 1/2003, welche durch die Möglichkeit der Abstellungsanordnung aus Art. 7 VO 1/2003 komplementiert werden. a) Bußgelder nach Art. 23 VO 1/2003 aa) Bemessung der Geldbuße Für die genaue Bemessung der Geldbuße enthält Art. 23 der Verordnung nur relativ wenige gesetzliche Anhaltspunkte. Klar definiert sind einzig und 638 Insofern wird jedoch angezweifelt ob die Behörde diesen Widerspruch zwischen Brutto- und Nettoprinzip zum Anlass nehmen darf, um insgesamt zu einem höheren Abschöpfungsbetrag zu gelangen, dazu m. w. N. KarlsKomOWiG/Mitsch OWiG § 29a Rn. 24. 639 BGBl. 2017 I 872. 640 Emmert, NZWiSt 2016, 449 ff. sieht hierin eher eine vollkommene Rückkehr zum Nettoprinzip. 641 Eingehend BT-Drucks. 18/9525, S. 68. 642 BT-Drucks. 18/9525, S. 68. 643 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 460; Wiedemann/Klusmann, Kartellrecht, § 57 Rn. 106.
128 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland allein die Bußgeld-Obergrenzen, die für einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften bei einem Prozent und einen Verstoß gegen materielles Recht bei zehn Prozent des im vorausgegangenen Geschäftsjahr durch das Unternehmen oder die Unternehmensvereinigung erzielten Gesamtumsatzes liegen. Für die Zumessung der Geldbuße im Einzelfall enthält Art. 23 Abs. 3 VO 1/2003 lediglich die sehr vagen Kriterien der Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung. Entsprechend liegt die individuelle Festsetzung weitgehend im pflichtgemäßen Ermessen der Kommission, welcher hierfür durch die Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch ein weiter Rahmen zugebilligt wird. 644 Ermessenseinschränkend im Sinne einer Selbstbindung wirken sich jedoch die von der Kommission erlassenen Bußgeldleitlinien aus. Die ursprünglichen Leitlinien aus dem Jahr 1998 645 wurden 2006 von den aktuellen 646 abgelöst. Die Gerichte sind hieran nicht gebunden, und haben nach Art. 31 der Verordnung eine unbegrenzte Nachprüfungsbefugnis von Bußgeldentscheidungen. Nachdem die Kommission lange Zeit den Umsatz, den das beteiligte Unternehmen im Vorjahr mit dem kartellierten Produkt erwirtschaftet hatte, als Bezugspunkt für die Geldbuße heranzog, wich sie Ende der neunziger Jahre von dieser Praxis ab und ordnete Verstöße mit Billigung der Rechtsprechung 647 nun bestimmten Gruppen zu, für die sie mehr oder weniger pauschal Beträge festlegte. 648 Seitens der Literatur stieß dies auf erhebliche Kritik, woraufhin die Kommission ihren Kurs im Jahre 2006 wieder revidierte und nunmehr wiederum die Kartellrendite als Hauptbemessungskriterium heranzieht. Das heutige Vorgehen diente dabei auch dem BKartA als Vorbild, weswegen sich die Zumessungsverfahren stark ähneln. Auch die Kommission bestimmt in einem ersten Schritt einen Grundbetrag. Hierfür wird der Umsatz bestimmt, der mit unmittelbar und mittelbar vom Kartellverstoß betroffenen Waren oder Dienstleistungen des Unternehmens im letzten Geschäftsjahr erzielt wurde. 649 Sodann wird hiervon, abhängig von der Art und Auswirkungsbreite der Zuwiderhandlung, ein Wert von bis zu 30 % festgelegt, welcher mit der Anzahl der Jahre multipliziert wird, die der Kartellrechtsverstoß bestanden hat. Anschließend fügt die Kommission diesem Betrag eine sogenannte „Eintrittsgebühr“ hinzu. Diese beträgt 15–25 % des errechneten Umsatzes und soll eine abschreckende Wirkung entfalten. 644 EuGH, Urt. v. 08. 12. 2011 – C-389/10, ECLI:EU:C:2011:816; EuGH, Urt. v. 22. 05. 2008 – C-266/06, ECLI:EU:C:2008:295, Rn. 50 ff.; EuGH, Urt. v. 16. 11. 2000 – C-279/98, ECLI:EU:C:2000:626. 645 EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 1998. 646 EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 2006. 647 EuG, Urt. v. 20. 03. 2002 -T-15/99, ECLI:EU:T:2002:71 Rn. 122 ff.; EuG, Urt. v. 19. 03. 2003, – T-213/00, ECLI:EU:T:2003:76 Rn. 261 ff. 648 EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 1998. 649 Das geschieht entweder anhand von Angaben des Verletzers oder anhand von Ermittlungen der Kartellbehörde, EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 2006, Rn. 15, 16.
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Im zweiten Schritt nimmt die Kommission eine Gesamtbetrachtung aller einschlägigen erschwerenden und mildernden Umstände vor, die jeweils zu einer Erhöhung bzw. Ermäßigung der im ersten Schritt berechneten Summe führen. Hierbei kommt es zwar vorwiegend auf die Kooperation des betroffenen Unternehmens und dessen Rolle innerhalb des Kartells an, die Kommission legt aber auch ein besonderes Augenmerk darauf, dass von der Geldbuße eine ausreichend abschreckende Wirkung ausgeht. Eigens zu diesem Zwecke kann sie die Geldbuße erhöhen, 650 was seitens der Literatur nicht unkritisch gesehen wird. 651 Auch zum Zwecke der Gewinnabschöpfung kann der Betrag erhöht werden, 652 woraus sich ableiten lässt, dass die oben beschriebenen Bemessungsschritte ausschließlich ahndenden und keinen abschöpfenden Charakter haben. Parallel zum deutschen Recht blieb die Gewinnabschöpfung aber auch auf europäischer Ebene trotz einer bestehenden Schätzungsmöglichkeit 653 aufgrund von Berechnungsschwierigkeiten bislang ohne praktische Bedeutung. 654 Mehr noch als im Rahmen der Bußgeldbemessung durch das BKartA wird dieses Manko jedoch durch die zentrale Rolle, die der Umsatz bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße spielt, und die mittlerweile astronomisch anmutenden Summen, die teilweise verhängt werden, ausgeglichen. bb) Kooperation mit der Kommission, Kronzeugenregelung und Vergleichsverfahren Im europäischen Recht gibt es die Möglichkeit durch Kooperation mit der Kommission eine Reduktion der Geldbuße herbeizuführen schon seit über dreißig Jahren. 655 Die Regelungen zum Vergleichsverfahren 656 und dem Kronzeugenprogramm 657 standen dem deutschen Recht dabei Vorbild. Auch auf europäischer Ebene sind diese Instrumente von hervorgehobener Be650
EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 2006, Rn. 30. Hierzu ausführlich und m. w. N. Immenga/Mestmäcker/Biermann VO 1/2003 Art. 23 Rn. 221 ff. 652 EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 2006, Rn. 31. 653 EU-Kommission, Bußgeldleitlinien 2006, Rn. 31. 654 v. d. Groeben/Schwarze/Kienapfel VO 1/2003 Art. 23 Rn. 119. 655 L/M/R/K/M/Nowak VO 1/2003 Art. 23 Rn. 37. 656 Settlements finden aktuell auf Grundlage der Verfahrensverordnung Nr. 773/2004 und deren Änderungsverordnung von 2008 VO (EG) Nr. 622/2008 statt. Details finden sich in der Vergleichsverfahrensmitteilung: EU-Kommission, Mitteilung über die Durchführung von Vergleichsverfahren 2008; sowie deren aktuellen Anpassung, in: EU-Kommission, Änderungsmitteilung über die Durchführung von Vergleichsverfahren 2015. 657 Einen Bezugspunkt hat die Kronzeugenregelung seit 2015 in Art. 4a VO 773/2004. Details finden sich in der aktuellen Kommissionsmitteilung: EU-Kommission, Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen 2006; sowie deren aktuellen Anpassung, in: EU-Kommission, Änderungsmitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen 2015. 651
130 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland deutung für die Ermittlung und Bearbeitung komplexer Kartellverfahren. Die durch sie entstehenden Defizite hinsichtlich der spezialpräventiven Wirkung der Geldbuße werden durch die Abschreckungswirkung des höheren Aufdeckungsrisikos 658 und der gesteigerten Durchsetzungsbreite mehr als ausgeglichen. b) Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen, Art. 7 VO 1/2003 Art. 7 VO 1/2003 stellt neben Art. 23 VO 1/2003 die wichtigste Entscheidungsbefugnis der Europäischen Kommission im Kartellrecht dar. Er ermächtigt die Kommission, ähnlich wie § 32 GWB im deutschen Recht, Zuwiderhandlungen festzustellen und deren Abstellung anzuordnen. Im Gesamtzusammenhang der VO 1/2003 ist Art. 7 als Regelverfahren und die Art. 8 und 9 als Varianten hierzu zu verstehen. Stellt die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Art. 101, 102 AEUV fest, so kann sie zu deren Abstellung verhaltensorientierte Maßnahmen und, sollten diese nicht ausreichen, auch strukturelle Maßnahmen bis hin zu einer Entflechtung des betroffenen Unternehmens anordnen. Hinsichtlich der verhaltensorientierten Maßnahmen ist dabei anerkannt, dass der Adressat nicht nur zu einem Unterlassen, sondern auch zur Vornahme aktiver Handlungen verpflichtet werden kann. 659 Diese können mannigfaltiger Art sein. So wurden in der Vergangenheit beispielsweise Änderungen von AGB 660, Änderungen von Rabatt- und Preissystemen 661 oder die Gewährung von Zugang zu wesentlicher Infrastruktur 662 angeordnet. Die Anordnungsbefugnisse der Kommission werden hierbei lediglich durch die Zweckbestimmung, die festgestellte Zuwiderhandlung zu beseitigen und so einen rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen, 663 sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt. 664 Insofern verwundert es auch wenig, dass sich in der Literatur zu Art. 7 der Verordnung kaum Ausführungen zu der Frage finden lassen, ob es der Kommission auf Grundlage der Norm ebenfalls möglich ist, die Rückerstattung unrechtmäßig eingezogener Beträge anzuordnen. 665 Die streng formale Untertei658
So auch Immenga/Mestmäcker/Biermann VO 1/2003 Art. 23 Rn. 232. Ganz h.M, siehe nur Immenga/Mestmäcker/Ritter/Wirtz VO 1/2003 Art. 7 Rn. 44; Grabitz/Hilf/Dalheimer VO 1/2003 Art. 7 Rn. 9; L/M/R/K/M/Anweiler VO 1/2003 Art. 7 Rn. 50; v. d. Groeben/Schwarze/Breit VO 1/2003 Art. 7 Rn. 13. 660 Kommissionsbeschluss vom 24. 07. 1991, Tetra Pak II, ABl. 1992 L 72, S. 1 ff. 661 Kommissionsbeschluss vom 17. 12. 1975, United Brands (Chiquita), ABl. 1976 L 95, S. 1 ff. 662 Kommissionsbeschluss vom 21. 12. 1988, Magill TV-Guide/ITP, BBC und RTE, ABl. 1989 L 78, S. 43 ff.; Kommissionsbeschluss vom 24. 03. 2004, Microsoft, ABl. 2007 C 296, S. 45 ff. 663 Grabitz/Hilf/Dalheimer VO 1/2003 Art. 7 Rn. 9. 664 Grabitz/Hilf/Dalheimer VO 1/2003 Art. 7 Rn. 9. 665 MüKoGWB/Keßler GWB § 32 Rn. 65 bezeichnet diese Problematik als „durchweg ungeklärt“. 659
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lung einzelner Maßnahmen in bestimmte Gruppierungen entspricht nicht der Herangehensweise des europäischen Gesetzgebers. Hier herrscht vielmehr ein funktionales Verständnis vor. Die Kommission soll nach Ansicht der europäischen Gerichte 666 durch Art. 7 in die Lage versetzt werden, die Unternehmen dazu zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls die Legalität wiederherzustellen. Hierfür hat sie die wirksamste und angemessenste Maßnahme zu treffen. 667 Soweit sich daher eine Rückerstattungsanordnung im Einzelfall als verhältnismäßig erweist, dürfte einer solchen auf Grundlage des Art. 7 VO 1/2003 nichts entgegenstehen. 3. Zwischenfazit – Unverzichtbarkeit der behördlichen Instrumente zur Streuschadensbekämpfung im Kartellrecht Der Gesetzgeber hat sich in den letzten Jahren redlich bemüht, durch gesetzliche Erleichterungen die private Kartellrechtsdurchsetzung auf Grundlage individueller Schadensersatzansprüche zu stärken. Jüngst war es die Schadensersatzrichtline 668 und deren Umsetzung in der 9. GWB-Novelle, die hierfür erhebliche Verbesserungen mit sich brachten. Nichtsdestotrotz erscheint das Kartellrecht ohne das Wirken von gut ausgestatten und mit erheblichen Eingriffsbefugnissen versehenen Behörden auf deutscher und europäischer Ebene kaum „beherrschbar“. Das zeigt sich schon allein daran, dass die mit Abstand meisten Individualklagen sogenannte Follow-on-Klagen sind, also an behördliche Ermittlungsergebnisse anknüpfen. 669 Gerade für Streuschäden ist das behördliche Handeln in besonderem Maße unverzichtbar, da hier trotz der Erleichterungen Individualklagen kaum zu erwarten sind, und sich die Verbandsklagen mit dem obigen ernüchternden Fazit der Wirkungslosigkeit konfrontiert sehen. Leider scheint es jedoch diese Schadensart zu sein, die auch den Behörden Schwierigkeiten bereitet. Die mannigfaltigen, hauptsächlich durch die 7. GWB-Novelle eingeführten Abschöpfungsinstrument der deutschen Kartellbehörden rosten kaum benutzt neben ihren privatrechtlichen Pendants. Aufwand und Kosten für die komplizierte Berechnung des hypothetischen Marktes sind es, die auch die Behörden vor der Anwendung zurückschrecken lassen. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, wie es denn jemals 666
Siehe EuG, Urt. v. 10. 07. 1991 -T-76/89, ECLI:EU:T:1991:41 Rn. 70. EuGH, Urt. v. 17. 01. 1980 – C-792/79, ECLI:EU:C:1980:18; so auch L/M/R/K/M/ Anweiler VO 1/2003 Art. 7 Rn. 48. 668 Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. 669 Mengden, NZKart 2018, 398, 400. 667
132 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland möglich sein soll, dass die unterfinanzierten Verbände diese Aufgabe stemmen, wenn sogar die gut ausgestatteten Kartellämter die Problematik scheuen. Diese haben jedoch andere Wege gefunden, um ihren Teil zur Bekämpfung von Streuschäden beizutragen. Hier sind zuallererst die Bußgelder zu nennen, deren Bemessung zu einem nicht unerheblichen Teil auf Grundlage des Verletzergewinns erfolgt und die mit ihren jüngst erreichten Höhen diesen auch durchaus zu umfassen in der Lage sind. Daneben ist es die im deutschen Recht nun gesetzlich normierte Rückerstattungsanordnung aus § 32 Abs. 2a GWB, die durchaus Grund zur Hoffnung gibt. Mit der Regelung eröffnet der Gesetzgeber quasi einen Mittelweg zwischen echtem Schadensersatz einerseits und Abschöpfungs- bzw. Bußgeldmaßnahmen auf der anderen Seite. Diese Möglichkeit steht nach hier vertretener Auffassung auch der Kommission über Art. 7 VO 1/2003 offen.
II. Die behördliche Durchsetzung des Datenschutzrechts 1. Allgemeines, Aufsichtsbehörden, Aufgaben Die bis 2018 in Deutschland vorherrschende recht lasche Praxis der Behörden bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Datenschutzrecht 670 musste sich nach dem in Kraft treten der DS-GVO einem grundlegenden Wandel unterziehen. Basierend auf der Erkenntnis, dass ein effektiver Datenschutz nur mittels weitreichender hoheitlicher Durchsetzungsbefugnisse erreicht werden kann, 671 enthält die Verordnung ausführliche Vorgaben zur Errichtung von nationalen Datenschutzbehörden, deren Aufgaben und Befugnissen. Bei der Einrichtung der Datenschutzbehörden nach den Anforderungen der Art. 51 ff. DS-GVO wählte die Bundesrepublik dabei als einziges europäisches Land einen föderalen und keinen zentralen Ansatz. 672 Dementsprechend gibt es heute neben dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) 16 Landesdatenschutzbehörden der Bundesländer, die sich die Datenschutzaufsicht teilen. 673 Zur Sicherstellung der einheitlichen Anwendung der DS-GVO in den Mitgliedstaaten existiert darüber hinaus ein europäischer Datenschutzausschuss, der jedoch,
670 Moos/Schefzig/Arning/Schefzig/Rothkegel/Cornelius, Praxishandbuch DSGVO, S. 968; Brink, ZD 2019, 141 f.; von Lewinski, RDV 2001, 275, 276 ff. 671 Vgl. Erwägungsgrund 117 DS-GVO. 672 Ausführlich Ehmann/Selmayr/Selmayr DS-GVO Art. 51 Rn. 23 ff. 673 Streng genommen sind 56 Einrichtungen berufen, rechnet man die 13 DatenschutzAufseher für den öffentlichen Rundfunk und die 25 Datenschutz-Aufseher für die Kirchen hinzu. Das Bundesland Bayern hat zudem gesonderte Behörden für den öffentlichen und den nichtöffentlichen Bereich geschaffen, Ehmann/Selmayr/Selmayr DS-GVO Art. 51 Rn. 23 ff.
B. Verwaltungsrechtliche Instrumente
133
im Gegensatz zur Kommission auf dem Gebiet des Kartellrechts, keine eigenen Ermittlungs- und Durchsetzungskompetenzen hat. 674 Im Hinblick auf die nationalen Datenschutzbehörden nimmt die DS-GVO eine Differenzierung zwischen dem Tätigkeitsfeld und den Zielen des Handelns (Aufgaben gem. Art. 57 DS-GVO) einerseits und den Rechtsgrundlagen für dieses Handeln (Befugnisse gem. Art. 58 DS-GVO) andererseits vor. Hauptaufgabe der Behörden ist es dabei, die Anwendung der DS-GVO zu überwachen und durchzusetzen, 675 um die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen bei der Datenverarbeitung zu schützen und zugleich den freien Verkehr personenbezogener Daten innerhalb der Union zu erleichtern. 676 Zu Erreichung dieses Ziels werden die Behörden auch beratend tätig und leisten Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit. 677 Die Gründe, weshalb die DS-GVO der behördlichen Durchsetzung eine so hervorgehobene Rolle zuweist, sind dabei die selben, die eingangs zur Identifizierung des Datenschutzrechts als streuschadensträchtiges Rechtsgebiet geführt haben. Obgleich einem Geschädigten aus einer Datenschutzverletzung umfangreiche Ansprüche erwachsen, 678 ist mit einer individuellen Geltendmachung derselben so gut wie nie zu rechnen. Die auf diesem Gebiet vorherrschende strukturelle Unterlegenheit der Verbraucher im Verhältnis zu Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen resultiert in einer gesteigerten rationalen Passivität, 679 die bis dato, wie die obige Analyse gezeigt hat, kaum mit Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes überwunden wird. 2. Abhilfebefugnisse Die Befugnisse der Datenschutzbehörden werden in Art. 58 DS-GVO ausführlich geregelt. Der Maßnahmenkatalog ist grundsätzlich abschließend, wird in Deutschland jedoch in Anwendung der Öffnungsklausel des Art. 58 Abs. 6 DS-GVO durch einige Vorschriften im BDSG ergänzt. 680 Die in Untersuchungsbefugnisse (Abs. 1), Abhilfebefugnisse (Abs. 2) und Genehmigungsbefugnisse (Abs. 3) gegliederte Ermächtigungsliste unterscheidet nicht danach, ob der Adressat der Maßnahme privat oder öffentlich-rechtlich kon674 Siehe Art. 68 ff. DS-GVO, die Aufgaben des Ausschusses sind in Art. 70 DS-GVO geregelt. 675 Art. 57 Abs. 1 lit. a DS-GVO; Ehmann/Selmayr/Selmayr DS-GVO Art. 57 Rn. 6 ff.; Paal/Pauly/Körffer DS-GVO Art. 57 Rn. 2; Gola/Nguyen DS-GVO Art. 57 Rn. 4; Kühling/ Buchner/Boehm DS-GVO Art. 57 Rn. 9. 676 Art. 51 Abs. 1 DS-GVO. 677 Art. 57 Abs. 1 lit. b, d, i i. V. m. Art. 35 f. DS-GVO. 678 Beispielsweise das Recht auf Schadensersatz aus Art. 82 DS-GVO oder die Rechte aus Kapitel III der Verordnung. 679 Sydow/Ziebarth DS-GVO Art. 51 Rn. 20. 680 Siehe § 40 Abs. 3–6 BDSG.
134 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland stituiert ist. Die Datenschutzbehörden können die entsprechenden Maßnahmen insofern auch gegenüber öffentlichen Stellen ergreifen. 681 Für die Streuschadensbekämpfung von besonderem Interesse sind dabei die möglichen Abhilfemaßnahen, die in Art. 58 Abs. 2 DS-GVO nach „Eskalationsstufen“ 682 gestaffelt sind. Reichen Warnungen 683 bzw. bei bereits begangenen Verstößen Verwarnungen 684 nicht aus, so kann die Behörde einen Verarbeiter dazu anweisen, seine Vorgänge in Einklang mit der Verordnung zu bringen, 685 sie einzuschränken oder, sollte das zur Herstellung der Rechtskonformität nicht genügen, die Verarbeitung gänzlich einzustellen. 686 Soweit Betroffene bereits Rechte gegenüber dem Verantwortlichen geltend gemacht haben, kann die Behörde diesen anweisen, dem Verlangen der Betroffenen zu entsprechen, 687 und darüber hinaus die Berichtigung (Art. 16 DS-GVO) oder Löschung (Art. 17 DS-GVO) personenbezogener Daten sowie die Einschränkung der Datenverarbeitung (Art. 18 DS-GVO) auch ohne vorangegangenen Antrag der Betroffenen anordnen. 688 Einen gewissen Pranger-Effekt kann die Behörde zudem durch die Verpflichtung des Verantwortlichen, die betroffenen Personen über die Verletzung ihrer personenbezogenen Daten zu informieren, erreichen. 689 Bei der Auswahl der jeweiligen Maßnahme muss sich die Datenschutzbehörde nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip richten und insoweit von mehreren gleich geeigneten Maßnahmen stets die mildeste wählen, 690 wobei eine Kumulation der Maßnahmen möglich ist. 691 Geldbußen nach Art. 58 Abs. 1 lit. i können dabei, je nach Einzelfall, zusätzlich zu oder anstelle einer anderen Abhilfemaßnahme angeordnet werden.
681 Paal/Pauly/Körffer DS-GVO Art. 58 Rn. 3; Kühling/Buchner/Boehm DS-GVO Art. 51 Rn. 10. 682 Dieterich, ZD 2016, 260, 263. 683 Art. 58 Abs. 2 lit. a DS-GVO; zur Abgrenzung zu Art. 58 Abs. 1 lit. d DS-GVO BeckOKDatenSchutzR/Eichler DS-GVO Art. 58 Rn. 19. 684 Art. 58 Abs. 2 lit. b DS-GVO. 685 Art. 58 Abs. 2 lit. d DS-GVO. 686 Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO. 687 Art. 58 Abs. 2 lit. c DS-GVO. 688 Art. 58 Abs. 2 lit. g DS-GVO. 689 Art. 58 Abs. 2 lit. b DS-GVO. 690 Ehmann/Selmayr/Selmayr DS-GVO Art. 51 Rn. 18; Gola/Nguyen DS-GVO Art. 58 Rn. 17; Moos/Schefzig/Arning/Schefzig/Rothkegel/Cornelius, Praxishandbuch DSGVO, S. 962; das bedeutet jedoch nicht, dass die Behörde stets die Reihenfolge des Art. 58 Abs. 2 DS-GVO einzuhalten hat, sie kann vielmehr auch direkt schärfere Abhilfebefugnisse ausüben, soweit dies verhältnismäßig und sachlich geboten ist, BeckOKDatenSchutzR/Eichler DS-GVO Art. 58 Rn. 18; Gola/Nguyen DS-GVO Art. 58 Rn. 17. 691 Kühling/Buchner/Boehm DS-GVO Art. 58 Rn. 20.
B. Verwaltungsrechtliche Instrumente
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3. Geldbußen Nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers soll dem Instrument der Geldbuße auf dem Gebiet des Datenschutzrechts, ähnlich wie in der Kartellrechtspraxis, eine hervorgehobene Rolle zukommen. Die Liste der Anknüpfungstatbestände in Art. 83 Abs. 4, 5 und 6 DS-GVO ist demensprechend umfangreich und umfasst praktisch die gesamte Verordnung. 692 Auch der Bußgeldrahmen wurde im Vergleich zu den Vorgängerregelungen der meisten Mitgliedstaaten erheblich erweitert und ähnelt seiner Struktur nach nun ebenfalls stark der des Kartellrechts. Art. 83 Abs. 4 DS-GVO sieht für Verstöße gegen formelle administrative Pflichten Geldbußen in Höhe von bis zu 10 Mio. €, respektive 2 % des weltweit erzielten Vorjahresumsatzes vor, Verstöße gegen materielle Grundsätze, Rechte der Betroffenen sowie Bestimmungen über den Drittstaatentransfer können gem. Art. 83 Abs. 5 DS-GVO mit bis zu 20 Mio. € oder 4 % des Vorjahresumsatzes geahndet werden. Bei Festsetzung der Geldbuße müssen die Behörden sicherstellen, dass diese im jeweiligen Einzelfall wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist. 693 Konkrete Verfahrensvorgaben macht die Verordnung dabei nicht, in Deutschland werden diesbezüglich die Vorschriften der OWiG angewandt, da die Verstöße, die Art. 83 DS-GVO aufführt, ihrer Typizität nach Ordnungswidrigkeiten gleichkommen. 694 Die in Art. 83 Abs. 1 DS-GVO normierte Voraussetzung, dass eine Geldbuße in jedem Einzelfall abschreckend sein muss, betont bereits deren spezial- bzw. generalpräventiven Charakter. Ausschlaggebend dafür, ob die Bußgelder diese Steuerungsfunktion auch erfüllen können, ist, wie eingangs erörtert, die Frage, wie umfassend sie einen Entzug des Verletzergewinns ermöglichen, sprich dafür Sorge tragen, dass sich Datenschutzverstöße nicht lohnen. Obgleich diesbezüglich eine ausdrückliche Absichtserklärung seitens des europäischen Gesetzgebers fehlt, wird weithin angenommen, dass insbesondere der Bußgeldrahmen und die in Art. 83 Abs. 2 DS-GVO normierten Zumessungskriterien sicherstellen sollen, dass ein durch den Verletzer erzielter Vorteil nicht bei diesem verbleibt. 695 Insoweit fordert Art. 83 Abs. 2 DS-GVO nicht nur, dass die Höhe der Geldbuße von der Art, Schwere und Dauer des Verstoßes abhängig gemacht wird, sondern verlangt darüber hinaus auch die Zahl der betroffenen Personen, das Ausmaß der von diesen erlittenen Schäden und insbesondere den finanziellen Vorteil des Verletzers zu berücksichtigen. 696 692 Eine übersichtliche tabellarische Darstellung findet sich bei Moos/Schefzig/Arning/ Schefzig/Rothkegel/Cornelius, Praxishandbuch DSGVO, S. 989 f. 693 Art. 83 Abs. 1 DS-GVO. 694 Auer-Reinsdorff/Conrad/Conrad, IT- und Datenschutzrecht, § 34 Rn. 687. 695 Ehmann/Selmayr/Nemitz DS-GVO Art. 83 Rn. 1, 15. 696 Art. 83 Abs. 2 lit. a und k DS-GVO.
136 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Obgleich Art. 82 Abs. 2 DS-GVO einen umfassenden spezifischen Kriterienkatalog zur Bemessung des Bußgeldes im Einzelfall bereit hält, lässt die Norm klare Anweisungen zum Verhältnis der Kriterien untereinander sowie Vorgaben zum Berechnungsverfahren missen. Um eine einheitliche Bußgeldpraxis innerhalb der Union zu gewährleisten, hatte die Art-29-Datenschutzgruppe bereits im Jahr 2017 Leitlinien erlassen, die sich der europäische Datenschutzausschuss in Ausübung seiner Kompetenz nach Art. 70 Abs. 1 lit. k DS-GVO später explizit zu eigen gemacht hat. 697 Ergänzend hierzu verabschiedete die Datenschutzkonferenz des Bundes und der Länder Ende 2019 ein Konzept zur Bußgeldbemessung, das mittlerweile einheitlich von allen deutschen Datenschutzbehörden angewandt wird. 698 Das Modell geht dabei in einem Dreischritt vor, womit es wiederum nicht übersehbare Parallelen zur Zumessungspraxis im Kartellrecht aufzeigt. Im ersten Schritt wird abhängig vom Vorjahresumsatz des bebußten Unternehmens ein Grundwert in Form eines Tagessatzes ermittelt. 699 Der Multiplikationswert dieses Tagessatzes wird sodann von der Schwere des jeweiligen Verstoßes abhängig gemacht, wobei materielle Verstöße insgesamt deutlich schwerer wiegen als formelle. 700 Abschließend wird das Ergebnis noch an die Umstände des Einzelfalls anhand einer Betrachtung der täterbezogenen Merkmale angepasst. 701 Dieses recht starre Berechnungsmodell wird seitens der Literatur kritisiert. Dabei wird nicht nur der deutsche „Alleingang“ in dieser Hinsicht beanstandet, 702 es wird auch grundsätzlich daran gezweifelt, ob der Jahresumsatz geeignet ist, als zentrales Kriterium der Bußgeldbemessung herangezogen zu werden. 703 Auch diese Problematik ist in Erscheinungsbild und Auswirkung bereits aus dem Kartellrecht bekannt. Selbstverständlich wäre es sinnvoller, wenn der Verletzergewinn, ergänzt durch einen ahndenden Teil, die Basis der Geldbuße bilden würde, den konkreten Mehrwert von Datenschutzverletzungen zu berechnen, fällt jedoch sehr schwer. Mit der alternativen Orientierung am Jahresumsatz werden insbesondere bei größeren Unternehmen jedoch erhebliche Bußgelder erreicht, 704 die mitunter zwar unverhältnismäßig sein können, zweifelsohne aber einen abschreckenden Charakter entfalten.
697
Artikel-29-Datenschutzgruppe, WP 253; EDPB, Endorsement 1/2018, S. 2. DSK, Bußgeldzumessung in Verfahren gegen Unternehmen. 699 DSK, Bußgeldzumessung in Verfahren gegen Unternehmen, S. 3–7. 700 DSK, Bußgeldzumessung in Verfahren gegen Unternehmen, S. 7–8. 701 DSK, Bußgeldzumessung in Verfahren gegen Unternehmen, S. 8. 702 Moos, DSB 2019, 212, 213; Schmidt, DSB 2019, 240, 242. 703 Moos, DSB 2019, 212. 704 In Deutschland bspw. 14,5 Mio. € gegen die Deutsche Wohnen oder 35, 26 Mio. € gegen H&M, Übersicht bei Moos/Schefzig/Arning/Schefzig/Rothkegel/Cornelius, Praxishandbuch DSGVO, S. 991 ff. 698
C. Strafrechtliche Instrumente
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4. Zwischenfazit Mit ihrem breiten Maßnahmenkatalog und dem erheblichen Bußgeldrahmen trägt die von der DS-GVO vorgesehene behördliche Aufsichtstätigkeit zweifelsohne zur Durchsetzung des Datenschutzrechts und damit auch zur Bekämpfung von Streuschäden auf diesem Gebiet bei. Bislang ist die Kontrolldichte jedoch noch vergleichsweise gering, was neben der Tatsache, dass sich die teils neu gegründeten Behörden erst in dieser Rolle zurechtfinden müssen, auch auf die ungenügende Ausstattung einiger Behörden zurückzuführen ist. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Tätigkeiten auf diesem Gebiet in Zukunft zunehmen werden, insbesondere da anzunehmen ist, dass die Länder, obgleich ihnen ein rein monetäres Gewinnstreben eigentlich untersagt ist, die Geldbußen als erhebliche Einnahmequelle entdecken werden. 705
C. Strafrechtliche Instrumente – Die Einziehung von Taterträgen §§ 73–73e StGB I. Relevanz für Streuschäden, Funktion, Folgen der Reform vom 01. 07. 2017 Obgleich das Strafrecht in Deutschland mit Sicherheit keine hervorgehobene Rolle bei der Bekämpfung von Streuschäden spielt, wäre eine Betrachtung der hierzu zur Verfügung stehenden Instrumente ohne eine in gebotener Kürze zu erfolgende Analyse der Einziehung von Taterträgen nicht komplett. Dieses, vor der umfassenden Novellierung im Jahr 2017 noch als „Verfall“ bezeichnete, Institut wird gemeinhin als strafrechtliche Ergänzung der zivil- und öffentlich-rechtlichen Vermögensordnungen verstanden 706 und ermöglicht die Abschöpfung von aus Straftaten herrührenden Unrechtsgewinnen. Von besonderem Interesse für die hier erfolgende Analyse ist dabei zum einen der Umfang, den die Einziehung von Taterträgen zur Streuschadensbekämpfung beiträgt, und zum anderen deren Verhältnis zu den hier bereits untersuchten Abschöpfungsinstrumenten. Hinsichtlich der Verwendung der eingezogenen Vermögenswerte ist zudem der kompensatorische Charakter der Einziehung und deren Auswirkung auf eventuell parallel bestehende Individualansprüche zu untersuchen. Die Einziehung von Taterträgen nach § 73 ff. StGB bezweckt, genau wie ihre Vorgängerregelung zum Verfall, die sich von 1975 bis 2017 an eben je705
S. 977.
Moos/Schefzig/Arning/Schefzig/Rothkegel/Cornelius, Praxishandbuch DSGVO,
706 Güntert, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion, S. 17; Wallschläger, Die strafrechtlichen Verfallsvorschriften, S. 39; MüKoStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 14.
138 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland nem Ort befand, die Abschöpfung unrechtmäßig erlangten Vermögens. 707 Der Gesetzgeber sieht in ihr keine Form der Nebenstrafe, sondern eine normativ den §§ 812 ff. BGB nahestehende quasi-kondiktionelle Maßnahme. 708 Die Wirkung der Einziehung ist grundsätzlich generalpräventiv. Straftätern soll durch das Institut in erster Linie der Anreiz für die Begehung gewinnbringender Straftaten genommen werden. 709 Vermögensrechtlich zielt die Einziehung daher darauf ab, den Täter so zu stellen wie vor der Tatbegehung. 710 Die Einziehung setzt das Vorliegen einer rechtswidrigen aber nicht notwendigerweise schuldhaften Straftat voraus. 711 Obgleich die Vorschriften für das gesamte Strafrecht gelten, ist ihre Relevanz für klassische Streuschadenskonstellationen eher gering. Das Kartellrecht enthält, mit Ausnahme des § 298 StGB für wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen, keine Straftatbestände 712 und auch das Datenschutz- sowie das Lauterkeitsrecht unterstellen in § 42 BDSG bzw. § 16 UWG nur sehr wenige Verhaltensformen dem strafrechtlichen Sanktionsregime. Völlig bedeutungslos ist die Einziehung für Streuschäden aber nicht. Betrugskonstellationen, insbesondere Fälle des § 263 Abs. 3 Nr. 2 Alt. 2 StGB, sind ebenso streuschadensträchtig wie Umweltstraftaten, die, da die §§ 73 ff. StGB auch an Fahrlässigkeitsdelikte anknüpfen, 713 gleichermaßen Grundlage der Einziehung sein können. Voraussetzung und zugleich Bezugspunkt der Einziehung ist, dass Täter oder Teilnehmer der rechtswidrigen Vortat durch oder für diese „etwas erlangt“ haben. Der an das Bereicherungsrecht angelehnte Begriff des „etwas Erlangten“ umfasst jeden Vermögenszuwachs in tatsächlicher oder rechtlicher Form. 714 Der Gegenstand der Einziehung blickt dabei auf eine bewegte Geschichte zurück. Von 1975 bis 1992 war die zu dieser Zeit noch als Verfall bezeichnete Einziehung auf den erlangten „Vermögensvorteil“ gerichtet. 715 Eingezogen werden durfte nach h. M. nur der überschießende Wert des Erlangten. Eigene Gegenleistungen und Aufwendungen des Täters waren somit vom Bruttozuwachs abzuziehen, dem Verfall unterlag nur der verbleibende Nettowert. 716 Diese Ausgestaltung brachte jedoch erhebliche 707
Lackner/Kühl/Heger § 73 Rn. 1. Lackner/Kühl/Heger § 73 Rn. 1. 709 Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung, S. 13 f. 710 Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung, S. 13 f. 711 So der Wortlaut des § 73 Abs. 1 StGB, vgl. hierzu auch § 11 Abs. 5 StGB; MüKOStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 19. 712 Zum Hintergrund Immenga/Mestmäcker/Biermann GWB Vor. § 81 Rn. 1 ff. 713 MüKOStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 19 m. w. N. in Fn. 56, 57. 714 Lackner/Kühl/Heger § 73 Rn. 3. 715 § 73 Abs. 1 S. 1 StGB F.v. 01. 01. 1975. 716 BGH NJW 1979, 1942; MüKOStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 5 ff.; Schönke/ Schröder/Eser 24. Aufl. StGB § 73 Rn. 17. 708
C. Strafrechtliche Instrumente
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Berechnungsschwierigkeiten mit sich ähnlich denen, die im Rahmen dieser Arbeit bereits für die Begriffe des „Gewinns“ bzw. des „wirtschaftlichen Vorteils“ i. S. d. § 10 UWG bzw. 34a GWB dargestellt wurden. 717 Hierauf reagierte der Gesetzgeber im Jahr 1992 mit der Umformulierung des Tatbestandsmerkmals. Der neue Einziehungsgegenstand, das „etwas Erlangte“ sollte sich ausweislich der Gesetzgebungsunterlagen nun auf die „Gesamtheit des Erlangten“ beziehen. 718 Trotz der damit erfolgten Aufgabe des Netto- und Etablierung des Brutto-Prinzips blieben viele Fragen offen. 719 Zwischen den verschiedenen Strafsenaten des BGH war insbesondere die Auswirkung des Brutto-Prinzips auf (teil-) inkriminierte Austauschgeschäfte umstritten. 720 Mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. 04. 2017 verfolgte der Gesetzgeber die Intention, das Brutto-Prinzip zu stärken und zu konkretisieren. 721 Erreicht werden sollte dies durch die Zweiteilung des Vorgangs. Zunächst werden nach § 73 Abs. 1 StGB sämtliche aus der Tat herrührenden Vorteile abgeschöpft, und zwar sowohl diejenigen, die unmittelbar kausal aus der Tat erlangt wurden, als auch solche, die lediglich mittelbar Ausfluss des Taterfolges waren. 722 Diese Vorteile werden sodann auf einer zweiten Stufe der wertenden Korrektur des § 73d StGB unterworfen. Dieser ermöglicht es dem Täter Aufwendungen in Abzug zu bringen, soweit sie nicht zur Begehung der Tat aufgewendet oder eingesetzt wurden. Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem durch die Tat Verletzten sind zudem immer abzugsfähig. 723 Die Neuregelung konnte damit viele Zweifelsfälle ausräumen und das Ziel der Konkretisierung erreichen. Wie jedoch bereits im Rahmen des § 29a OWiG, der im Zuge der Novellierung inhaltlich an die Einziehung angepasst wurde, angesprochen, 724 bestehen Bedenken, dass sich die Einziehung dadurch, dass Aufwendungen nun grundsätzlich als abzugsfähig eingestuft werden, doch wieder eher dem Nettoprinzip und damit auch den aus ihm hervorgehenden Berechnungsproblemen annähert. 725
717
Hierzu ausführlich Teil 2 – A.I.3.a)bb)(4); Teil 2 – A.I.3.b)ee). BT-Drucks. 12/1134, S. 12. 719 Hierzu ausführlich MüKOStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 8 ff. 720 Ausführlich hierzu Heine, NStZ, 2015, 127. 721 BT-Drucks. 18/9525, S. 55. 722 BT-Drucks. 18/9525, S. 55; MüKOStGB/Joecks/Meißner StGB § 73 Rn. 15. 723 Die Vorschrift ist dem Wortlaut nach nur für die Bestimmung der Höhe des Wertersatzes einschlägig, hat aber, da in ihr der Grundgedanke der neuen Vermögensabschöpfung zum Ausdruck kommt, auch Auswirkungen auf die Bestimmung des Erlangten als solches, BT-Drucks. 18/9525, S. 55. 724 Siehe Teil 2 – B.I.d). 725 Schönke/Schröder/Eser/Schuster StGB § 73 Rn. 9; Gebauer, ZRP 2016, 101, 103; ausführlich zur Problematik auch Emmert, NZWiSt 2016, 449. 718
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II. Verhältnis zu anderen Instrumenten Wird gegen eine juristische Person oder eine Personenvereinigung eine Geldbuße erlassen, so kann die bebußte Tat nicht mehr als Anknüpfungspunkt für eine Einziehung nach §§ 73 ff. StGB oder § 29a OWiG dienen. 726 Entsprechendes gilt gem. § 29a Abs. 1 OWiG auch für natürliche Personen. Erfüllt eine Tat sowohl einen Straf- als auch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand, erfolgt die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB. 727 Gewinn- bzw. Vorteilsabschöpfung und die Einziehung schließen sich gegenseitig aus. Für die Abschöpfungsansprüche stellt die Einziehung eine nach § 10 Abs. 2 UWG bzw. §§ 34 Abs. 2 und § 34a Abs. 2 GWB anzurechnende Leistung an den Staat dar. 728 Ging eine Abschöpfung, was praktisch wohl nie der Fall sein dürfte, einer Einziehung des Werts von Taterträgen voraus, so ist der abgeschöpfte Betrag im Rahmen des § 73d StGB zu berücksichtigen. Das Verhältnis der Einziehung zu neben ihr bestehenden Individualansprüchen der Opfer wurde durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vollkommen neu geordnet. Die bis 2017 geltende Regelung in § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a.F., wonach eine Einziehung unterbleiben musste, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch gegen den Täter erwachsen war, führte insbesondere in Streuschadenssituationen, in denen solche Ansprüche zwar bestehen, jedoch so gut wie nie geltend gemacht werden, zu erheblichen Durchsetzungsdefiziten und wurde deshalb auch gemeinhin als der „Totengräber des Verfalls“ bezeichnet. 729 Die Entscheidung des Gesetzgebers, diese Vorschrift zu streichen und die Befriedigung der Individualansprüche größtenteils in das Strafvollstreckungsverfahren zu verlagern, wurde insofern weitestgehend als positiv bewertet. 730 Nach nun geltendem Recht unterbleibt die Einziehung entsprechend § 73e StGB nur noch, wenn und soweit die aus der Tat entstandenen Individualansprüche beispielsweise durch Erfüllung oder (Teil-) Erlass erloschen sind. 731 Sind die Individualansprüche der Geschädigten dagegen lediglich verjährt, so findet dennoch eine Einziehung statt. 732
726
§ 30 Abs. 5 OWiG. BeckOKOWiG/Meyberg OWiG § 29a Rn. 10. 728 Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler UWG § 10 Rn. 13; für die Vorteilsabschöpfung ergibt sich dies direkt aus § 34a Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 34 Abs. 2 Nr. 3 GWB. 729 Ursprünglich wohl Eberbach, NStZ, 1987, 486, 491; ausführlich auch Barreto da Rosa, ZRP 2012, 39; sogar der BGH machte sich diese Formulierung zu eigen, BGH NJW 2000, 297, 300. 730 So z. B. Köhler, NStZ 2017, 497; Trüg, NJW 2017, 1913, 1918; Köllner/Mück, NZI 2017, 593, 594. 731 § 73e StGB; siehe hierzu Lackner/Kühl/Heger § 73e Rn. 2. 732 § 73e Abs. 1 S. 2 StGB. 727
C. Strafrechtliche Instrumente
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III. Folgen der Einziehung, Verwendung des abgeschöpften Vermögens Das Eigentum an eingezogenen Gegenständen geht entsprechend § 75 Abs. 1 StGB auf den Staat, genauer nach § 60 StafvollstrO auf das Land, dessen Gericht im ersten Rechtszug entschieden hat, über. Die Anordnung der Einziehung wird nach § 459g StPO durch Wegnahme vollstreckt. Für eingezogene Gegenstände ordnet § 63 Abs. 2 i. V. m. § 64 StafvollstrO die Verwertung in Form der öffentlichen Versteigerung an. Wird kein Gegenstand sondern an dessen Stelle ein Geldbetrag als Wertersatz entsprechend § 73c StGB eingezogen, so begründet dies einen Zahlungsanspruch der Staatskasse, der vollstreckungsrechtlich wie eine Geldstrafe behandelt wird. 733 Wurde einem Tatopfer der eingezogene Gegenstand durch die Tat entzogen, so wird diesem der Gegenstand nach Rechtskraft der Einziehungsanordnung herausgegeben bzw. rückübereignet. 734 Verletzte werden zu diesem Zwecke über die Einziehungsanordnung informiert 735 und haben sechs Monate lang Gelegenheit dazu, ihre Ansprüche bei der Vollstreckungsbehörde anzumelden. 736 Parallel hierzu verläuft auch das Verfahren zur Partizipation an durch Einziehung des Wertersatzes bzw. der Verwertung entsprechender Gegenstände erlangten Geldern. 737 Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist müssen die Verletzten, um eine Entschädigung zu bekommen, einen zivilrechtlichen Titel erlangen. Mittels dessen können sie sich sodann entweder direkt an die Vollstreckungsbehörde wenden oder aber gegen den Täter vorgehen, der seinerseits dann wiederum Erstattung durch die Staatskasse beantragen kann. 738 Werden eingezogene Gegenstände oder Vermögenswerte nicht von den Verletzten beansprucht, so verbleiben sie bzw. die durch ihre Verwertung erlangten Gelder bei der Staatskasse. Ambitionen, diese Gelder einem bestimmten Zweck zuzuführen, wie es im Rahmen der Abschöpfungsansprüche diskutiert wurde, gab es hier soweit ersichtlich bislang nicht.
733 734 735 736 737 738
§ 459g Abs. 2 StPO. § 459h Abs. 1 StPO. § 459i StPO. § 459j Abs. 1 StPO. § 459h Abs. 2 i. V. m. § 459k StPO. § 459l StPO.
142 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland
D. Fazit – Aktuelle Möglichkeiten zur Streuschadenssteuerung in Deutschland Die Streuschadensbekämpfung wird in Deutschland, abhängig vom jeweiligen Rechtsgebiet, von ganz unterschiedlichen Akteuren betrieben. Während im Lauterkeitsrecht privatrechtliche Klagen von Verbänden und Mitbewerbern eine zentrale Rolle spielen, werden Teile des allgemeinen Verbraucherrechts mittlerweile maßgeblich von den Rechtsdienstleistungsplattformen geprägt. Das Kartell- und das Datenschutzrecht zeichnen sich wiederum durch eine vorwiegend behördliche Durchsetzung aus, was auf die verletzungsspezifischen Eigenarten dieser Gebiete zurückzuführen ist. Kartellabsprachen und Datenschutzverstöße sind häufig für die Verletzten nicht erkennbar, weswegen es hier umfassender Ermittlungsbefugnisse bedarf, um eine Verfolgung überhaupt zu ermöglichen. Diese Feststellung soll jedoch nicht den Eindruck erwecken, eine privatrechtliche Streuschadensbekämpfung wäre auf diesen Gebieten unnötig oder gar unmöglich. Wie die erhebliche Anzahl individueller Follow-on-Klagen im Kartellrecht zeigt, können sich behördliche Ermittlungstätigkeiten und privatrechtliche Rechtsdurchsetzung unter Umständen hervorragend ergänzen und so Hand in Hand eine weitreichende Rechtsdurchsetzung sicherstellen. Unabhängig davon, ob ein Gebiet vorwiegend durch privatrechtliche oder hoheitliche Rechtsdurchsetzung geprägt ist, treten Defizite beim Entzug des Verletzergewinns zutage. Komplizierte Berechnungserfordernisse, gepaart mit einer unzureichenden finanziellen Ausstattung, hindern die Akteure häufig daran, die hier zur Verfügung stehenden Instrumente anzuwenden. Während sich diese Gegebenheit im Lauterkeitsrecht in einem einseitig negatorischen Rechtsschutz niederschlägt, wird ihr im Kartell- und Datenschutzrecht durch eine teils unverhältnismäßig hohe Berechnung der Ahndungsgeldbuße begegnet. Beide Vorgehensweisen sind nicht optimal, wenngleich die letztgenannte zumindest sehr abschreckend wirkt. Tritt man hier in der Betrachtung einen Schritt zurück, so fällt interessanterweise auf, dass der Gesetzgeber die zu Beginn dieser Arbeit getroffene Annahme, wonach Streuschäden idealerweise mittels einer umfassenden Kompensation der Geschädigten beizukommen ist und ein schlichter Entzug des Verletzergewinns nur die zweitbeste Alternative darstellt, grundlegend zu teilen scheint. Schließlich ordnet er für sämtliche rein präventiv wirkenden Instrumente, seien es behördliche Bußgelder oder privatrechtliche Abschöpfungsansprüche, stets den Vorrang der Individualkompensation an. Neben der Angst vor einer „Klageindustrie amerikanischen Ausmaßes“ war es bislang vor allem die Annahme, dass ein Zuwachs auf Seiten des Verletzers deutlich einfacher zu berechnen sei als der Schaden auf Seiten der Verletzten, die den
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Gesetzgeber davon abgehalten hat, kollektivrechtliche Instrumente mit kompensatorischer Wirkung zu verabschieden. Nachdem die vorangegangene Analyse nun aber gezeigt hat, dass Verbände und Behörden in der Praxis regelmäßig auch vor einer Vorteilsberechnung zurückschrecken und das deutsche Verbandsklagesystem zudem weit von einer missbräuchlichen Klageindustrie entfernt ist, stellt sich die Frage, warum an einer solchen „Second-best“-Lösung noch festgehalten werden sollte. Insofern scheint die neue Verbandsklagerichtlinie, die mit dem Abhilfeverfahren ein solches kompensatorisches Instrument vorsieht, genau den richtigen Anlass für ein grundlegendes Umdenken zu geben. Diese Arbeit wendet sich den Vorgaben der Richtlinie im folgenden Abschnitt zu und unterbreitet in Teil 4 einen umfassenden Umsetzungsvorschlag.
E. Ausblick – Die europäische Verbandsklagerichtlinie, a New Hope? I. Hintergrund, Überblick Angesichts der erheblichen Defizite, die die vorangegangene Analyse den deutschen Instrumenten zur Streuschadensbekämpfung und insbesondere den zivilrechtlichen Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes bescheinigt, kann es durchaus als Hoffnungsschimmer bewertet werden, dass bei der nächsten umfassenden Reform des Kollektivrechtsschutzes nicht der deutsche, sondern der europäische Gesetzgeber die grundlegenden Weichen gestellt hat. Der noch unter der Juncker-Kommission verabschiedete New Deal for Consumers enthielt neben einer Mitteilung über diverse Einzelinitiativen 739 auch zwei konkrete Richtlinienentwürfe. Das war zum einen der Entwurf für die am 07. 01. 2020 in Kraft getretene Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften 740 und zum anderen der Vorschlag für eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher, 741 auf dessen Grundlage, wenn auch unter teils erheblichen Änderungen, am 20. 11. 2020 739 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher COM (2018) 183 final. 740 Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM (2018) 185. 741 Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG COM (2018) 184 final.
144 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland die entsprechende Richtlinie verabschiedet wurde. 742 Die Bundesrepublik hat nun bis zum 25. 12. 2022 Zeit, die Vorgaben umzusetzen. Die Verbandsklagerichtlinie löst zum einen die Unterlassungsklagerichtlinie ab und enthält insofern Vorgaben für eine im Vergleich zur Vorgängerregelung deutlich erweiterte Unterlassungsklage im Verbraucherschutzrecht. Darüber hinaus, und hierin liegt zweifelsohne das Herzstück des neuen Regelungskatalogs, sieht sie die Einführung einer Verbandsklage auf „Abhilfe“ vor, womit qualifizierte Einrichtungen erstmals in die Lage versetzt werden, Schadensersatz und andere kompensatorische Maßnahmen zugunsten von Verbrauchern einzuklagen. Die einzelnen Regelungen der Richtlinie sind insoweit gleich in doppelter Hinsicht zweigeteilt. Inhaltlich findet sich eine scharfe Trennung zwischen den beiden Klagearten, zudem unterscheiden die Vorschriften ihrer Intensität und Verbindlichkeit nach erheblich zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verbandsklagen. Beides war im ursprünglichen Richtlinienvorschlag, zumindest in dieser Form, noch nicht angelegt gewesen und hatte sich erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens herausentwickelt. Die Verbandsklagerichtlinie ist dabei der bislang letzte und zugleich weitreichendste Rechtsakt der europäischen Union in der Bestrebung den kollektiven Rechtsschutz zu harmonisieren. Dieses vor über 20 Jahren mit der Unterlassungsklagerichtlinie 1998 743 begonnene Vorhaben, war trotz mannigfaltiger Anläufe bislang nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Die Bestrebungen auf dem Gebiet des Kartellrechts führten lediglich zu einem 2005 veröffentlichten Grünbuch 744 und einem 2008 hierauf folgenden Weißbuch. 745 Als es dann im Zuge der Verabschiedung der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014 um die konkrete Festlegung kollektivrechtlicher Maßnahmen ging, scheiterte das Vorhaben am Widerstand der Wirtschaftsverbände. 746 Auch im Verbraucherschutzrecht, das seit 2007 neben dem Kartellrecht im Fokus der Kommission hinsichtlich der Harmonisierung von kollektivrechtlichen Instrumenten steht, 747 konnten nach der Novellierung der Unterlas742 Richtlinie (EU) 2020/1828 des europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (im Folgenden als „Verbandsklagerichtlinie“ bezeichnet). 743 Richtlinie 98/27/EG des europäischen Parlaments und des vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen. 744 Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts v. 19. 12. 2004, COM (2005) 672 final. 745 Weißbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts v. 02. 04. 2008, COM (2008) 165 final. 746 Ausführlich Stadler, GPR 2013, 281, 282 f. 747 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013) – Stärkung der Verbraucher – Verbesserung des Verbraucherwohls – wirksamer Verbraucherschutz COM/2007/0099 final., Nr. 5.3.
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sungsklagerichtlinie im Jahr 2009 keine für die Mitgliedstaaten verbindlichen Rechtsakte mehr verabschiedet werden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass bereits die Entschließung des EU-Parlaments zu einem kohärenten europäischen Ansatz im kollektiven Rechtsschutz aus dem Jahr 2012 den durch die Unterlassungsklagerichtlinie eingeführten Mechanismus als „wesentlich verbesserungswürdig“ einstufte. 748 Die Kommission reagierte hierauf im Jahr 2013 mit einer Fülle an Positionspapieren, 749 unter anderem einer Mitteilung „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“ 750 und einer Empfehlung zu gemeinsamen Grundsätzen für kollektive Schadensersatz- und Unterlassungsverfahren. 751 Trotz ihres Umfangs blieben beide Papiere jedoch weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück. Eine angespannte politische Situation auf europäischer Ebene 752 führte nicht nur dazu, dass anstelle einer sinnvollerweise rechtsverbindlichen Richtlinie bloße Empfehlungen verabschiedet wurden, sondern ließ im Rahmen derselben inhaltlich zugleich Erwägungen zur Verhinderung eines möglichen Missbrauchs so weit in den Vordergrund treten, dass selbst den Empfehlungen weitestgehend die Eignung zur Begründung eines effektiven Systems des Kollektivrechtsschutzes abgesprochen werden musste. 753 So setzten diese beispielsweise grundsätzlich den aktiven Beitritt der Geschädigten zu einer Schadensersatzklage voraus, 754 was, wie bereits dargestellt, 755 gerade für Streuschäden keinen gangbaren Weg darstellt. Grund hierfür war die bekannte Angst vor „amerikanischen Verhältnissen“, die auch zur Ablehnung von Erfolgshonoraren für Anwälte 756 und dem Verbot von Strafschadensersatz 757 in den Empfehlungen führte. 758 748 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 zu dem Thema „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ (2011/2089 (INI)) Nr. 11. 749 Neben den in der Folge genannten Akten war ein Richtlinienvorschlag für das Kartellrecht enthalten, eine Mitteilung zur Ermittlung des Schadensumfangs bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen samt praktischem Leitfaden und eine Folgenabschätzung zu diesem Richtlinienvorschlag samt Zusammenfassung. M. N. hierzu Stadler, GPR 2013, 281 Fn. 3–6. 750 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, COM (2013) 401 final. 751 Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten – (2013/396/EU). 752 Hierzu ausführlich Stadler, GPR 2013, 281, 282 ff. 753 Statt vieler Domej, ZEuP 2019, 446 m. w. N. in Fn. 4. 754 Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – (2013/396/EU) Empfehlung V. 21. 755 Siehe Teil 2 – A.I.5.c). 756 Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – (2013/396/EU) Empfehlung V. 30. 757 Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – (2013/396/EU) Empfehlung V. 31. 758 Meller-Hannich, GPR 2014, 92, 97.
146 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Kumulativ waren wohl letzten Endes drei Ereignisse dafür ausschlagegebend, dass die Kommission im Jahr 2018 den deutlich ambitionierteren Entwurf zur Verbandsklagerichtlinie vorlegte. Zum einen musste sie selbst in ihrer Evaluation der 2013 verabschiedeten Empfehlung einräumen, dass diese nur einen sehr geringen Einfluss auf die zwischenzeitliche Rechtssetzung in den Mitgliedstaaten entfalten konnte, 759 zum anderen brachte der 2017 erschienene „Fitness check“, bei dem insgesamt sechs verbraucherschützende Richtlinien, unter anderem die Unterlassungsklagerichtlinie, einer umfassenden Eignungsprüfung unterzogen wurden, Defizite bei der Durchsetzung materiellen EU-Verbraucherrechts zum Vorschein. 760 Last but (for sure) not least waren es auch die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des VW-Diesel-Skandals, die dem Vorhaben Rückenwind gegeben hatten. 761 Die endgültig verabschiedete Verbandsklagerichtlinie weicht in diversen Punkten vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission ab und ist das Ergebnis eines Kompromisses aus den teils stark gegensätzlichen Ansichten der Kommission, des Rates und des Parlaments. 762 Insoweit sind die Vorgaben der Richtlinie in vielerlei Hinsicht recht unscharf und lassen den Mitgliedsstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum. Die Richtlinie stellt zudem lediglich Mindestanforderungen an das Kollektivrechtsschutzsystem der Mitgliedstaaten und verbietet es ihnen somit nicht, weitergehende Regelungen zu schaffen oder beizubehalten. 763 Dieses Vorgehen wahrt zwar den Subsidiaritätsgrundsatz und die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, wird aber unwillkürlich zu einer relativ heterogenen Umsetzungspraxis führen. 764 Insbesondere für grenzüberschreitende Verbandsklagen, also Klagen, bei denen die klagende Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat benannt wurde als das angerufene Gericht seinen Sitz hat, 765 sieht die Richtlinie weitreichende Vorkehrungen zur Unterbindung von missbräuchlichen Klagen 759 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Umsetzung der Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 über gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten (2013/396/EU) COM (2018) 40 final S. 3. 760 Commission Staff Working Document – Report of the Fitness Check SWD (2017) 209 final; deutsche Zusammenfassung: Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Eignungsprüfung SWD (2017) 208 final. 761 Augenhofer, NJW 2021, 113; Röthemeyer, VuR 2021, 43; der VW-Diesel-Skandal wurde auch im Vorschlag der Kommission explizit angesprochen, COM (2018) 184 final S. 2 f. 762 Siehe hierzu Lühmann, ZIP 2021, 824 f.; Rentsch, EuZW 2021, 524, 527 ff. Auf eine ausführliche vorangestellte Darstellung des Entwicklungsprozesses muss an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet werden, an den relevanten Stellen wird die Genese der einzelnen Vorschriften jedoch soweit erforderlich dargelegt. 763 Art. 1 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 11 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. 764 Lühmann, ZIP 2021, 824; Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 674. 765 Art. 3 Nr. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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vor. Insoweit befindet sich auch diese Richtlinie wiederum in einem Spannungsfeld zwischen Effektivität und Missbrauchsschutz, wobei die Waage nun deutlich weniger stark zugunsten des letztgenannten ausschlägt, als das noch bei der Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2013 der Fall war. Im Folgenden werden die Vorgaben der Richtlinie in den wichtigsten Punkten dargestellt, wobei auch auf Schwächen und mögliche Probleme bei der Umsetzung hingewiesen wird. Dieser Abschnitt befasst sich allerdings noch nicht mit konkreten Umsetzungsvorschlägen, die Ausführungen hierzu finden sich in Teil 4.
II. Klagebefugte Einrichtungen Der große Unterschied, den die Richtlinie hinsichtlich der Regelungsintensität zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verbandsklagen macht, tritt bereits, und hier besonders deutlich, bei den Anforderungen an die klagebefugten Einrichtungen zum Vorschein. Im Vergleich zum Richtlinienentwurf der Kommission wurden auf Initiative des Rates 766 die Anforderungen an Verbände, die zur Erhebung von grenzüberschreitenden Verbandsklagen befugt sind, erhöht, während die Anforderungen an Verbände, die lediglich innerstaatlich tätig werden, deutlich abgesenkt wurden. 767 Die Richtlinie bleibt jedoch für beide Sachverhaltskonstellationen dem bereits aus der Unterlassungsklagerichtlinie bekannten Repräsentationsprinzip treu. Zur Klageerhebung sind lediglich in Art. 3 Nr. 4 legal definierte, qualifizierte Einrichtungen, gemeint sind vorzugsweise Verbraucherverbände, berechtigt, eine Klageerhebung durch die Betroffenen direkt ist nicht vorgesehen. 768 Wie ebenfalls bereits aus der Unterlassungsklagerichtlinie bekannt, fordert auch die Verbandsklagerichtlinie eine vorgeschaltete Prüfung und Anerkennung der Verbände, sodass die mit der konkreten Klage befassten Gerichte hinsichtlich der Klagebefugnis, zumindest bei grenzüberschreitenden Klagen, nur noch nachprüfen dürfen und müssen, ob der Satzungszweck der qualifizierten Einrichtung deren Klage im konkreten Fall rechtfertigt. 769 Die Anforderungen, die die Richtlinien an Einrichtungen stellt, die sich für grenzüberschreitende Klagen qualifizieren möchten, sind gelinde gesagt komplex. In Art. 4 Abs. 3 lit. a–f sind die grundlegenden Voraussetzungen benannt, Art. 10 stellt zusätzliche Anforderungen für die Finanzierung von Abhilfeklagen auf 770 und Art. 5 sind Verfahrensvorschriften zur Registrie766 Rat der Europäischen Union – Interinstitutionelles Dossier: 2018/0089(COD) – Allgemeine Ausrichtung v. 28. 11. 2019. 767 Vgl. hierzu Artikel 4 Richtlinienvorschlag der Kommission 2009/22/EG COM (2018) 184 final. 768 Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 675; Augenhofer, NJW 2021, 113, 114; Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183; hierzu noch sogleich. 769 Art. 6 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 770 Hierzu ausführlich Teil 2 – E.VII.
148 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland rung und Überwachung der Einrichtungen zu entnehmen. Damit eine Einrichtung einen Benennungsantrag stellen kann, muss sie zuvor mindestens 12 Monate in Verbraucherinteressen tätig gewesen sein (Art. 4 Abs. 3 lit. a). 771 Des Weiteren muss der Schutz der Verbraucherinteressen zum Satzungszweck der Einrichtung gehören (lit. b), sie darf keinen Erwerbszweck verfolgen (lit c) und darf nicht insolvent sein (lit. d). Die Einrichtung muss zudem unabhängig von Dritten, die ein irgendwie geartetes wirtschaftliches Interesse an der Erhebung von Verbandsklagen haben könnten, sein. Gemeint sind hier insbesondere Wettbewerber des Beklagten sowie Prozessfinanzierer aber wohl auch Anwälte, die nicht, wie es in den U.S.A. mittlerweile der Regelfall ist, 772 aus finanziellem Eigeninteresse Klagen anstoßen sollen. 773 Art. 4 Abs. 3 lit. e verlangt zu diesem Zwecke, dass die Einrichtung eine Art Compliance-System vorweist, mit dem sie diese Unabhängigkeit überprüfen und sicherstellen kann. Über die Einhaltung all dieser Voraussetzungen muss die Einrichtung die Öffentlichkeit dauerhaft und in verständlicher Sprache informieren. Hinzu treten noch Informationspflichten über alle wichtigen Strukturmerkmale der Einrichtung selbst (lit. f). Die nach diesen Voraussetzungen ernannten Einrichtungen werden von den Mitgliedstaaten an die Kommission gemeldet, die sämtliche Einrichtungen in einem öffentlich zugänglichen Verzeichnis registriert. 774 Mindestens alle fünf Jahre müssen die Mitgliedstaaten überprüfen, ob die von ihnen ernannten Einrichtungen die Voraussetzungen noch erfüllen. 775 Zudem findet eine anlassbezogene Überprüfung durch den ernennenden Mitgliedstaat statt, wenn ein anderer Mitgliedstaat oder die Kommission Bedenken bezüglich der Einhaltung einer Voraussetzung erhebt. 776 Das im konkreten Fall angerufene Gericht kann, wie bereits angesprochen, von Amts wegen lediglich überprüfen, ob der Satzungszweck der qualifizierten Einrichtung deren Klage im konkreten Fall rechtfertigt. 777 Daneben kann auch der Beklagte begründete Zweifel am Vorliegen einer oder mehrerer Qualifikationsvoraussetzungen der Einrichtung geltend machen, eine konkrete Rechtsfolge für diesen Fall geht aber weder aus dem Richtlinientext noch aus den Erwägungsgründen hervor. 778
771 Missbrauchsbefürchtungen hatten zur Einführung dieser Vorschrift und der damit einhergehenden Vermeidung von Ad-hoc-Anmeldungen geführt, die die Richtlinie bei innerstaatlichen Verfahren zwar nicht verbietet, denen sie aber klar kritisch gegenübersteht, siehe Erwägungsgrund 28 Richtlinie (EU) 2020/1828. 772 Siehe hierzu Teil 3 – C.V. 2. 773 Lühmann, ZIP 2021, 824, 826. 774 Artikel 5 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828. 775 Artikel 5 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 776 Artikel 5 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828. 777 Artikel 6 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 778 Artikel 5 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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In starkem Kontrast zu diesen minutiösen Anforderungen an Verbände die grenzüberschreitend tätig werden, stehen die Vorgaben, die die Richtlinie für Einrichtungen macht, die ihre Klageaktivität auf ihren Benennungsstaat beschränken. Hier sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei darin, Voraussetzungen festzulegen, solange sie mit den Zielen der Richtlinie, ein wirksames System von Verbandsklagen zu gewährleisten, im Einklang stehen. 779 Dieser Passus dürfte als Hinweis verstanden werden, nicht noch restriktivere Vorgaben einzuführen, als die, die bereits für grenzüberschreitende Verbandsklagen gelten. 780 Art. 4 Abs. 5 enthält zudem die eigentlich überflüssige Klarstellung, dass die Mitgliedstaaten auch die Voraussetzungen für Einrichtungen, die grenzüberschreitend tätig sind, auf diejenigen übertragen können, die lediglich innerstaatliche Verfahren führen. Interessanterweise erlaubt Art. 4 Abs. 6 zudem einerseits für innerstaatliche Verfahren ausdrücklich die Ad-hoc-Ernennung einer Einrichtung, während Erwägungsgrund 28 andererseits von einem solchen Vorgehen ausdrücklich abrät. Diese Ambivalenz verdeutlich ein weiteres Mal die teilweise vorhandenen stark gegensätzlichen Ansichten der verschiedenen europäischen Institutionen in der Genese der Richtlinie. Trotz aller den Mitgliedsstaaten für innerstaatliche Sachverhalte überlassenen Freiheit können diese in Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie nicht die Aktivlegitimierung der Geschädigten selbst und damit die faktische Einführung von Gruppen- und Sammelklagen vorsehen. Die Richtlinie ist ausdrücklich nur auf Verbandsverfahren ausgerichtet und auch Art. 4 Abs. 4 überlässt den Mitgliedstaaten lediglich für die Benennung von „Organisationen“ einen recht weiten Spielraum. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten verbietet, solche Verfahren im sachlichen Anwendungsgebiet der Verbandsklagerichtlinie einzuführen oder aufrechtzuerhalten. Ausweislich des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie wird lediglich mindestens eine Verbandsklage auf diesen Gebieten gefordert, darüber hinausgehende nationale Instrumente sind möglich. 781 Damit ist es den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht benommen, neben dem oder gar integriert in das von der Richtlinie geforderte Verbandsklagesystem auch Gruppenklagen einzuführen.
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Artikel 4 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828. Röthemeyer, VuR 2021, 43, 45. 781 So auch Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 8, die darauf aufbauend ein komplementäres Gruppenklagesystem vorschlagen. 780
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III. Anwendungsbereich und Zulassungsvoraussetzungen Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie erstreckt sich auf 66 in Anhang I aufgeführte Rechtsakte der Union und geht damit deutlich über den der Unterlassungsklagerichtlinie hinaus, die nur auf 13 Rechtsakte Anwendung fand. Umfasst ist nicht nur das gesamte europäische Verbraucherschutzrecht, sondern aufgrund der Einbeziehung der UGP-Richtlinien 782 und der DS-GVO 783 auch die streuschadensträchtigen Gebiete des Lauterkeits- und Datenschutzrechts. Streuschäden hatte der europäische Gesetzgeber bei der Verabschiedung der Richtlinie auch konkret vor Augen. So nennt Erwägungsgrund 9 als eines der Ziele der Richtlinie ausdrücklich die Überwindung der rationalen Passivität der Verbraucher. 784 Einer Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereiches gegenüber ist die Richtlinie sehr aufgeschlossen. Neue Rechtsakte der Union zum Verbraucherschutz sollen in den Anhang mit aufgenommen werden 785 und die Mitgliedstaaten sind darüber hinaus berechtigt, weitere nationale Vorschriften dem Verbandsklageregime der Richtlinie zu unterstellen. 786 Für Deutschland würde sich eine solche überschießende Umsetzung anbieten, insbesondere da bereits jetzt die Musterfeststellungsklage ohne sachliche Beschränkungen auf sämtliche Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern und Unternehmern Anwendung findet. Hinzu kommt, dass die Richtlinie aus Gründen der Abgrenzung zwischen den Ressorts auf europäischer Ebene das Kartellrecht nicht umfasst, eine Miteinbeziehung dieses Rechtsgebiets aufgrund der oben aufgezeigten privatrechtlichen Durchsetzungsdefizite aber durchaus wünschenswert wäre. Beklagte können nach der Richtlinie ausschließlich Unternehmer sein, 787 der weitere persönliche Anwendungsbereich wird durch den sachlichen Anwendungsbereich bestimmt. Insoweit können ausschließlich Ansprüche von Verbrauchern bzw. Datenschutzsubjekten im Sinne der DS-GVO geltend gemacht werden. 788 Damit wegen eines Verstoßes gegen eine der im Anhang aufgeführten Vorschriften eine Verbandsklage erhoben werden kann, müssen gem. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie die Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigt sein oder eine solche Beeinträchtigung muss drohen. Diese Voraussetzung gilt unabhängig davon, welches Klageziel die Einrichtung verfolgt, und muss 782
Anhang I Nr. 14 Richtlinie (EU) 2020/1828. Anhang I Nr. 56 Richtlinie (EU) 2020/1828. 784 „[…] die Hindernisse zu überwinden, auf die Verbraucher bei Einzelklagen stoßen, beispielsweise solche der Unsicherheit über ihre Rechte und die zur Verfügung stehenden Verfahrensmechanismen, das psychologische Zögern, tätig zu werden, und das ungünstige Verhältnis zwischen den erwarteten Kosten und dem Nutzen der Einzelklage“. 785 Erwägungsgrund 17 Richtlinie (EU) 2020/1828. 786 Erwägungsgrund 18 Richtlinie (EU) 2020/1828. 787 Art. 1 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828. 788 Erwägungsgrund 14 Richtlinie (EU) 2020/1828; Rentsch, EuZW 2021, 524, 528. 783
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bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Klagen gleichermaßen erfüllt sein. Obgleich die Beeinträchtigung der Kollektivinteressen der Verbraucher damit die einzige wirkliche Zulassungsvoraussetzung für Verbandsklagen darstellt, wird sie begrifflich seitens der Richtlinie recht vage gehalten. Art. 3 Nr. 3 definiert die Kollektivinteressen der Verbraucher lediglich als „das allgemeine Interesse der Verbraucher und, insbesondere im Hinblick auf Abhilfeentscheidungen, die Interessen einer Gruppe von Verbrauchern“. Nähere Bestimmungen dafür, welchen Grad der Ähnlichkeit die einzelnen Ansprüche der Verbraucher aufweisen müssen, sowie die Festlegung einer Mindestanzahl an betroffenen Verbrauchern für Abhilfeklagen überlässt die Richtlinie sowohl im nationalen als auch im grenzüberschreitenden Zusammenhang den Mitgliedstaaten selbst. 789 Im Gesetzgebungsverfahren forderte das europäische Parlament noch die Festlegung einer einheitlichen Mindestanzahl, 790 konnte sich damit aber nicht durchsetzen.
IV. Klageinhalte 1. Vom einheitlichen Ansatz der Kommission zum dualistischen Modell der endgültigen Richtlinie Wie bereits angesprochen nimmt die Verbandsklagerichtlinie eine relativ strikte systematische Trennung zwischen Unterlassungsklagen (Art. 8) einerseits und Klagen auf Abhilfe (Art. 9) andererseits vor. Die qualifizierten Einrichtungen sollen frei zwischen den verschiedenen Klagezielen wählen können. 791 Ganz anders war dagegen noch das koordinierte System, das der Richtlinienentwurf der Kommission vorsah. Dieses verlangte von den qualifizierten Einrichtungen zunächst stets eine Unterlassungsanordnung oder eine vorläufige Unterlassungsanordnung zu erwirken, um aufbauend auf dieser Entscheidung, „in der festgestellt wird, dass eine Praktik einen Verstoß gegen […] Unionsvorschriften darstellt, der den Kollektivinteressen der Verbraucher schadet“, 792 weitergehende Ansprüche auf (Folgen-)beseitigung oder andere Abhilfemaßnahmen durchzusetzen. Der Entwurf verlangte von den Einrichtungen immer in diesem zweistufigen Verfahren vorzuge789 Erwägungsgrund 12 Richtlinie (EU) 2020/1828. Die Vorgaben der Mitgliedstaaten sollen lediglich nicht das wirksame Funktionieren des Verbandsklagesystems beeinträchtigen, zudem gilt im Verhältnis von nationalen zu grenzüberschreitenden Sachverhalten das Äquivalenzprinzip. 790 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (COM(2018)0184 – C8–0149/2018 – 2018/0089(COD)), Erwägungsgrund 6a. 791 Siehe hierzu Art. 9 Abs. 8 Richtlinie (EU) 2020/1828. 792 Art. 5 Abs. 3 S. 2 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final.
152 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland hen, verpflichtete im Gegenzug aber die Mitgliedsstaaten dazu, solche Abhilfeentscheidungen zum einen grundsätzlich zu ermöglichen 793 und zum anderen prozessuale Mittel zur Verfügung zu stellen, die es den Einrichtungen erlaubten, beide Klageziele im selben Verfahren durchzusetzen. 794 Unter engen Voraussetzungen jedoch konnten die Mitgliedstaaten von diesen Vorgaben abweichen und den qualifizierten Einrichtungen in bestimmten Konstellationen anstelle einer Abhilfemaßnahme lediglich die Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung durch ein Feststellungsurteil eröffnen. Dies sollte aus Praktikabilitätsgründen möglich sein, wenn sich die Quantifizierung der individuellen Ansprüche als zu komplex herausstellen sollte. 795 Von dieser Ausnahme sah der Entwurf allerdings wiederum Rückausnahmen vor. Ein Abhilfeurteil sollte den Verbänden in jedem Fall zur Verfügung stehen, wenn entweder die betroffenen Verbraucher anhand der Aufzeichnungen des Beklagten identifizierbar seien und zugleich homogene Schädigungen aufgrund derselben Schadensursache vorliegen, 796 oder wenn der Verlust der einzelnen Verbraucher so geringfügig sein sollte, dass eine individuelle Aufteilung ohnehin unverhältnismäßig wäre. 797 Diese beiden Rückausnahmen ergaben sich eigentlich schon aus dem Wortlaut oder zumindest dem Telos der Ausnahme selbst. Verfahren, bei denen die Identifizierung der Geschädigten und/oder die Quantifizierung der individuellen Schäden zu aufwändig wäre, sollten ausnahmsweise auch mit einem Feststellungsurteil beendet werden dürfen. In der ersten Rückausnahme sind die Geschädigten dem Beklagten bekannt und die Quantifizierung ist ihm anhand seiner Aufzeichnung zumindest annähernd genau möglich, bei der zweiten Rückausnahme bedarf es einer individuellen Quantifizierung gar nicht, weil das Geld ohnehin nicht an die Geschädigten ausgekehrt wird. Gleich mehrere Aspekte machen diesen Teil des ursprünglichen Richtlinienvorschlags zu einer erkenntnisreichen Quelle für die Streuschadensbekämpfung, worin auch der Grund dafür liegt, dass er an dieser Stelle so ausführlich gewürdigt wird. Zunächst einmal zeigt der enge systematische Zusammenhang zwischen Unterlassungs- und Abhilfemaßnahmen, den der Entwurf ursprünglich im Auge hatte, ebenso wie zahlreiche Formulierungen in den vorgeschlagenen Artikeln, 798 dass die Kommission bei der Erweiterung der den Verbänden zur Verfügung stehenden Anspruchsinhalte weniger das Ziel verfolgte, eine gänzlich neue Verbandsklage auf Schadensersatz einzuführen, sondern vielmehr die bestehenden Anspruchsziele der Unter793
Art. 6 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. Art. 5 Abs. 4 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 795 Art. 6 Abs. 2 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 796 Art. 6 Abs. 3 lit. a Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 797 Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 798 Art. 5 Abs. 3 S. 2 des Entwurfes sprach beispielsweise von „Maßnahmen zur Beseitigung der fortdauernden Auswirkungen des Verstoßes“. 794
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lassung und Beseitigung auf eine weitergehende, zu einer konkreten Rückerstattung der Unrechtserlöse verpflichtende Folgenbeseitigung auszudehnen. 799 Dieser Systematik folgend, stellte es der Entwurf den Mitgliedstaaten auch in weiten Teilen frei, für die Durchsetzung der Abhilfeansprüche ein Mandat der Verbraucher zu verlangen. 800 Insbesondere die Fallkonstellationen der ersten Rückausnahme, also die, in denen die betroffenen Verbraucher anhand der Aufzeichnungen des Beklagten identifizierbar sind und zugleich homogene Schädigungen aufgrund derselben Schadensursache vorliegen, erinnern dabei stark an die oben angesprochenen Folgenbeseitigungsurteile des LG Leipzig und des OLG Dresden. 801 Mit ihrem Entwurf unterstützt die Kommission damit die im Rahmen dieser Arbeit bereits getroffene Aussage, dass ein verschuldensunabhängiger Folgenbeseitigungsanspruch, der ohne das aktive Zutun der Geschädigten durchgesetzt werden kann und der dennoch eine individuelle Entschädigung derselben ermöglicht, ein in einer entsprechenden Fallkonstellation ideales Instrument zur Streuschadensbekämpfung darstellt. Der Frage, ob ein solches Instrument auch unter der aktuellen Form der Richtlinie implementiert werden könnte, wird in Teil 4 genauer nachgegangen. 802 Die zweite Rückausnahme ist nicht weniger interessant, griff die Kommission mit ihr doch, in dieser Form auf europäischer Ebene erstmalig, eine Konstellation auf, wie sie in Streuschadensfällen durchaus vorkommen kann. Ein effektives kollektivrechtliches Instrument zur Streuschadensbekämpfung hat die rationale Passivität der Geschädigten, wie bereits angesprochen, an vielerlei Stellen zu überwinden. Es genügt nicht, dass lediglich die Klageerhebung unabhängig vom Zutun der einzelnen Geschädigten möglich ist, auch die Beweisführung und die Schadensberechnung dürfen nicht von deren Partizipation abhängen. Verfolgt das Instrument darüber hinaus die, oben als sinnvolles Primärziel ausgemachte, Kompensation der Geschädigten, so muss auch die Verteilung der Entschädigungssumme mit möglichst geringer Beteiligung derselben stattfinden. Das ist bei Konstellationen, wie sie die erste Rückausnahme im Auge hat, recht unproblematisch möglich, da die Geschädigten hier anhand der Aufzeichnungen des Beklagten identifiziert werden können und dieser meist sogar bereits Kontakt- oder gar Zahlungsadressen vorhält. Ist das jedoch, beispielsweise bei einer Füllmengenunterschreitung von im Einzelhandel vertriebenen Lebensmitteln, nicht der Fall, so muss im Anschluss an die Feststellung des Gesamtschadens ein Distributionsprozess für die Entschädigungssumme etabliert werden, an dem
So auch Röthemeyer, VuR 2021, 43. Siehe hierzu die Formulierungen in Art. 6 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final; Domej, ZEuP 2019, 446, 452; Rentsch, EuZW 2021, 524, 527. 801 Siehe Teil 2 – A.I.2.b)cc). 802 Siehe Teil 4 – C.IV. 799
800
154 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland die Geschädigten aktiv teilnehmen müssen. Hierbei können zweierlei Probleme entstehen: Zum einen, und das wird die Regel sein, werden nach Abschluss des Verteilungsprozesses noch Gelder übrig bleiben. Gerade bei kleineren individuellen Schäden ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich jeder Geschädigte meldet und seinen Anteil einfordert. Zum anderen, und gerade diese Konstellation hat die zweite Rückausnahme im Auge, wird es Fälle geben, bei denen der individuelle Schaden so klein ist oder die Geschädigten so schwierig auszumachen sind, dass voraussichtlich bereits die Kosten des Verteilungsprozesses die Gesamtschadenssumme erschöpfen werden bzw. die Implementierung desselben als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Für solche Fälle sah der Richtlinienentwurf vor, auf eine individuelle Entschädigung zu verzichten und die Entschädigung „einem öffentlichen Zweck zugutekommen zu lassen, der den Kollektivinteressen der Verbraucher dient“. 803 Beide Formen der Verteilungsproblematik sind in den U.S.A. im Rahmen der Class Action auf Schadensersatz bekannt. 804 Die Problematik um die Verwendung der übrigen Gelder im Anschluss an einen Verteilungsprozess wird dabei unter dem Begriff residual Cy Pres, die um eine alternative Verteilung der Gesamtschadenssumme unter dem Begriff der full Cy Pres eingeordnet. Der Diskurs darüber, ob nicht verteilbare Gelder einem anderen Zweck als der direkten Entschädigung der Geschädigten zugeführt werden dürfen und welche Verteilungsmethoden hierzu in Betracht kommen, ist dort bereits vor über 50 Jahren entbrannt und wird auch heute noch lebhaft geführt. 805 Es ist zu bezweifeln, dass sich die Kommission des Ausmaßes der Kontroversen bewusst war, die ihr Vorschlag damit auf den europäischen Kontinent importierte. Das zeigt sich auch daran, wie mit der Thematik im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses umgegangen wurde. In seiner legislativen Entschließung zum Richtlinienentwurf der Kommission strich das europäische Parlament nämlich den Passus zur alternativen Verteilung der Gesamtschadenssumme und führte dafür einen Absatz ein, der es dem Gericht ermöglichen sollte, darüber zu entscheiden, wie mit Geldern zu verfahren ist, die im Anschluss an einen Aufteilungsprozess übrig bleiben. 806 Auch die Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung enthält dahingehend eine Vorschrift. Art. 9 Abs. 7 überlässt es den Mitgliedstaaten, Regelungen für nicht in Anspruch genommene Abhilfebeträge zu schaffen. Die Evolution 803
Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. Hierzu Teil 3 – D.I. 805 Hierzu Teil 3 – D. 806 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (COM(2018)0184 – C8–0149/2018 – 2018/0089(COD)), Abänderungen 64 und 66. 804
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der ursprünglichen Norm des Richtlinienvorschlags der Kommission hin zur endgültigen Regelung der Richtlinie basierend auf dem Vorschlag des Parlaments geschah damit anscheinend unbesehen der Tatsache, dass beide Vorschriften, wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, Anordnungen zu unterschiedlichen Fallkonstellationen treffen. Unabhängig von all diesen Verwirrungen muss ein kollektivrechtliches kompensatorisches Element zur Streuschadensbekämpfung für beide Fallkonstellationen klären, ob eine alternative Verteilung möglich ist und insbesondere auch, wie diese aussehen soll. Die vorliegende Arbeit nimmt sich dieser Problematik in Teil 3 im Zuge einer umfassenden rechtsvergleichenden Betrachtung mit dem U.S.-Recht an 807 und geht in Teil 4 sowohl der Frage nach, wie die Richtlinienvorgabe in Art. 9 Abs. 7 im Hinblick auf die Verteilung übriger Gelder bestmöglich umzusetzen ist, 808 als auch der, ob die endgültige Richtlinienfassung weiterhin eine Regelung zur Verteilung der Gesamtschadenssumme an alternative Empfänger zulässt. 809 2. Unterlassungsentscheidungen Die finale Version der Richtlinie sieht, wie oben angesprochen, eine recht strikte Trennung zwischen Verbandsklagen auf Unterlassung und solchen auf Abhilfe vor. Die Regelungen der Verbandsklagerichtlinie zu Unterlassungsentscheidungen entsprechen dabei grundlegend denen der von ihr abgelösten Unterlassungsklagerichtlinie. Um bevorstehende oder andauernde Verstöße gegen die im Anhang aufgeführten Normen des Unionsrechts zu verhindern oder zu beenden, kann eine qualifizierte Einrichtung einstweilige Verfügungen 810 oder endgültige Entscheidungen 811 erwirken. Für erstere soll eine summarische Prüfung ausreichend sein, 812 darüber hinaus gilt aber auch ein generelles Beschleunigungsgebot unabhängig von der Verfahrensart. 813 Die Mitgliedstaaten können den qualifizierten Einrichtungen zusätzlich noch die Möglichkeit eröffnen, eine Entscheidung zu erwirken „mit der festgestellt wird, dass die Praktik einen Verstoß gem. Art. 2 Abs. 1 darstellt“. 814 Die Richtlinie ermöglicht damit auch reine Feststellungurteile und zwar, wie aus dem Zusammenspiel der Vorschrift mit Art. 2 Abs. 1 S. 3 und den Erwägungsgründen 20 und 40 hervorgeht, sowohl für Fälle, in denen die
807 808 809 810 811 812 813 814
Hierzu Teil 3 – D. Siehe Teil 4 – C.III.8. Siehe Teil 4 – C.III.8.e). Art. 8 Abs. 1 lit. a Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 8 Abs. 1 lit. b Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 17 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 17 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 8 Abs. 2 lit. a Richtlinie (EU) 2020/1828.
156 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland angegriffene Praktik bereits vor Klageerhebung eingestellt wurde, als auch für solche, in denen dies erst im Laufe des Verfahrens geschieht. 815 Wie bereits im Rahmen der Unterlassungsklagerichtlinie können auch in der neuen Richtlinie die qualifizierten Einrichtungen Unterlassungsentscheidungen aus eigenem Recht erwirken. 816 Insofern ist kein Mandat der betroffenen Verbraucher nötig 817 und die Einrichtungen müssen weder einen Schaden auf Seiten der Verbraucher, noch ein Verschulden auf Seiten des Beklagten nachweisen. 818 Neu ist, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Befugnis gibt, die Erhebung einer Unterlassungsklage von einer vorangegangenen Konsultation mit dem betroffenen Unternehmer abhängig zu machen. Angesichts der hierzulande ohnehin schon weit verbreiteten Abmahnpraxis erschließt sich zumindest für Deutschland der Mehrwert einer solchen Regelung nicht. 3. Abhilfeentscheidungen Im Gegensatz zu den Unterlassungsentscheidungen stellt die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Ermöglichung von Abhilfeentscheidungen im Verbandsklageverfahren ein absolutes Novum dar. Die qualifizierten Einrichtungen müssen in die Lage versetzt werden, zugunsten der Verbraucher und abhängig vom jeweiligen Fall „Abhilfe in Form von Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistungen, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“ durchsetzen zu können. 819 Wesentlich ist hierbei, dass die jeweilige Abhilfe dem Verbraucher unmittelbar aus der Verbandsklage zugutekommen muss. 820 Verfahrensgestaltungen, in denen der Verband ein Grundurteil erstreitet, der Verbraucher seine finale Entschädigung aber noch in einem Individualverfahren durchsetzen muss, wie das bei der deutschen Musterfeststellungsklage der Fall ist, 821 sind ausdrücklich nicht ausreichend. 822 Im Gegensatz zum koordinierten Verfahren des Kommissionsvorschlags können die qualifizierten Einrichtungen nun die Abhilfemaßnahmen auch ohne vorangegangene Unterlassungsentscheidung einklagen. Ein stufenweises Vorgehen bleibt ihnen dabei aber unbenommen, ab-
So auch Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183, 185. Vollkommer, MDR 2021, 129, 132; Lühmann, ZIP 2021, 824, 827. 817 Art. 8 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 818 Art. 8 Abs. 1 lit. a und b Richtlinie (EU) 2020/1828. 819 Art. 9 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828; die selbe Definition der Abhilfemaßnahmen findet sich zudem in Art. 3 Nr. 10 Richtlinie (EU) 2020/1828. 820 Art. 9 Abs. 6 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 50 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. 821 Siehe hierzu Teil 2 – A.I.5. 822 Art. 9 Abs. 6 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 50 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. 815 816
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hängig von der Entscheidung des jeweiligen Mitgliedstaats können beide Klageziele auch in einem gemeinsamen Verfahren verfolgt werden. 823 a) Verfahrensgestaltung Die grundsätzliche Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten wahrend, verzichtet die Verbandsklagerichtlinie auch bezüglich der Verfahrensausgestaltung der Abhilfeklagen weitestgehend auf konkrete Vorgaben. Am deutlichsten zeigt sich das bei der Frage der Beitrittsmodalität der betroffenen Verbraucher. Während die Kommission in ihrer Empfehlung aus dem Jahr 2013 noch dem Opt-In-Prinzip klar den Vorzug einräumte, 824 enthielt der Richtlinienentwurf dagegen für manche Konstellationen die Vorgabe, überhaupt kein Mandat zu verlangen. 825 Nun können sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei entscheiden, ob ein aktiver Verfahrensbeitritt (Opt-In) oder ein passiver Verfahrensbeitritt (Opt-Out) erfolgen soll. Lediglich wenn die repräsentierten Verbraucher ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Forumstaat haben, soll für diese verpflichtend ein Opt-In erfolgen. 826 Auch den Zeitpunkt, zu dem eine Beitritts- oder eine Austrittserklärung zu erfolgen hat, kann der Mitgliedstaat grundsätzlich frei wählen. Das eröffnet einen zusätzlichen Spielraum, macht es für die Verbraucher doch einen erheblichen Unterschied, ob sie in einem frühen Stadium ihren Ein- bzw. Austritt erklären müssen oder ob sie dies noch zu einem Zeitpunkt tun können, in dem die Erfolgsaussichten der Klage bereits klar abzusehen sind. Um ein Verfahren auch zu ermöglichen, wenn der Ein- bzw. Austritt erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet, die einzelnen Verbraucher also zu Beginn (noch) nicht bekannt sind, hat der Verband bei Klageerhebung zumindest die Gruppe der betroffenen Verbraucher anhand objektiver Merkmale zu definieren. 827 Darüber hinaus muss er bereits in diesem Stadium Angaben zu den für das Verfahren relevanten Sach- und Rechtsfragen machen. 828 All dies soll das Gericht in die Lage versetzen, schon in einem frühen Verfahrensstadium offensichtlich unbegründete Klagen, 829 oder solche, die sich für die Durchsetzung in Form der Verbandsklage nicht eignen, abzulehnen. 830 Ein irgendwie geartetes Zulassungsverfahren, wie es auch die 823
Art. 7 Abs. 5 Richtlinie (EU) 2020/1828. Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – (2013/396/EU) Empfehlung V. 21. 825 Art. 6 Abs. 3 lit. a, b Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final; Domej, ZEuP 2019, 446, 453. 826 Art. 9 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 45 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. 827 Art. 7 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 49 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. 828 Erwägungsgrund 49 Richtlinie (EU) 2020/1828. 829 Art. 7 Abs. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828. 830 Erwägungsgrund 49 Richtlinie (EU) 2020/1828. 824
158 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland amerikanische Class Action 831 und die englische Gruppenklage im Kartellrecht 832 kennen, wird zu diesem Zwecke einzuführen sein. Wählt ein Mitgliedstaat als Beitrittsform das Opt-Out-Prinzip, so ist die Identität der einzelnen Verbraucher mitunter während des gesamten Verfahrens nicht bekannt. In einem solchen Fall befreit die Richtlinie die Gerichte ausdrücklich davon, diese im Rahmen des Urteils individuell zu identifizieren. Auch hier genügt es, wenn sich die Gruppe der betroffenen Verbraucher klar bestimmen lässt. 833 b) Rolle der Verbraucher Konsequent dem Repräsentationsprinzip folgend, hat der einzelne Verbraucher nach der Konzeption der Richtlinie lediglich eine passive Rolle inne. Er ist selbst nicht Verfahrenspartei 834 und soll lediglich am Ergebnis der Klage partizipieren. 835 Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, dem einzelnen Verbraucher Verfahrenskosten aufzubürden, soweit diese durch sein Verschulden verursacht wurden, setzt zwar denklogisch eine gewisse Verfahrensbeteiligung der Verbraucher voraus, und auch Erwägungsgrund 36 empfiehlt, den einzelnen Verbrauchern bestimmte Rechte im Rahmen des Verfahrens einzuräumen, diesen Möglichkeiten sind jedoch klare Grenzen gesetzt. So sollen die Verbraucher weder die Verfahrensentscheidungen des Verbandes beeinträchtigen noch selbstständig Beweismittel anfordern oder Rechtsbehelfe einlegen können. 836 Sie sollen auch keine Pflichten im Rahmen des Verfahrens treffen. 837 Bis auf schlichte Informationsrechte scheint damit nicht mehr viel übrig zu bleiben, obgleich es verwundert, wie die Ausübung derselben Verfahrenskosten iSd Art. 12 Abs. 3 auslösen sollen. Die geringen Beteiligungsrechte der Verbraucher gleicht die Richtlinie durch ein komplexes System an Informationspflichten aus. Art. 13 Abs. 1 nimmt die qualifizierten Einrichtungen zunächst in die Pflicht, unabhängig von der Klageart umfassende Informationen 838 über geplante Verfahren, den Stand von laufenden Verfahren und die Ergebnisse von abgeschlossenen Verfahren zu veröffentlichen. Bei Abhilfeverfahren müssen die Verbraucher zusätzlich, um ihnen die Möglichkeit zu geben ihren Ein- bzw. Austritt zu erklären, rechtzeitig „durch geeignete Mittel“ informiert werden. 839 Was un831 832 833 834 835 836 837 838 839
Siehe Teil 3 – C.IV. Siehe Teil 3 – E.II. Art. 9 Abs. 5 Richtlinie (EU) 2020/1828. Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 6 S. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 7 Abs. 6 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Erwägungsgrund 36 S. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828. Erwägungsgrund 36 S. 5 Richtlinie (EU) 2020/1828. Sie hierzu Erwägungsgrund 52 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 13 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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ter dem Begriff „rechtzeitig“ zu verstehen ist, richtet sich maßgeblich nach dem oben angesprochenen und von den Mitgliedstaaten frei wählbaren Zeitpunkt, zu dem der Ein- bzw. Austritt erklärt werden muss. Ausdrücklich offen lässt die Richtlinie, wen diese Informationspflicht trifft. 840 Sinnvoll wäre es hier wohl, diese zunächst der qualifizierten Einrichtung aufzuerlegen, ihr aber die Möglichkeit zu geben, die Kosten bei Obsiegen vom Beklagten zurückzuerlangen. 841 Die unterlegene Partei trifft auch die Verpflichtung, die Verbraucher über die Beendigung des Verfahrens zu informieren. 842 Wird das Verfahren durch einen Vergleich beigelegt, so trifft die Informationspflicht ebenso wie bei einer Teil-Verurteilung grundsätzlich den Unternehmer. 843 An dieser „Selbstbezichtigungspflicht“ bei Unterliegen ist besonders bemerkenswert, dass der europäische Gesetzgeber die aus ihr hervorgehenden Reputationsrisiken für den Unternehmer nicht nur in Kauf nimmt, sondern diese ausdrücklich als abschreckende Maßnahme miteinkalkuliert. 844 Art. 13 selbst enthält kaum konkrete Angaben darüber, wie genau die jeweilige Benachrichtigung aussehen muss. So sollen die Verbraucher über Abhilfeverfahren entsprechend Art. 13 Abs. 2 durch „geeignete Mittel“ informiert werden, über Entscheidungen und Vergleiche auf eine „Art und Weise […] welche die Umstände des Falls berücksichtigt“. 845 Erwägungsgrund 61 nennt zu diesem Zwecke eine Vielzahl an öffentlichen Benachrichtigungsformen und legt hier insbesondere einen Fokus auf digitale Medien. 846 Sofern dies allerdings möglich ist, sollen die Verbraucher individuell schriftlich oder in elektronischer Form informiert werden. 847 Für die Information durch den Unternehmer bei Beendigung des Verfahrens greift Art. 13 Abs. 3 diesen Vorrang der Individualbenachrichtigung noch einmal explizit auf und verlangt eine gesonderte Benachrichtigung aller Betroffener, „soweit dies gerechtfertigt ist“. Die Abstufung der Informationspflichten scheint insbesondere in Verfahren mit wenigen und/oder leicht identifizierbaren Geschädigten gerechtfertigt, sollte jedoch in Verfahren mit vielen schwer zu identifizierenden Geschädigten, wie es in Streuschadenssituationen oft der Fall ist, nicht zu einem zu aufwändigen und kostenintensiven Benachrichtigungsprozess führen, der die qualifizierten Einrichtungen von der Klageerhebung abschrecken oder das Verfahren unnötig in die Länge 840
Erwägungsgrund 59 S. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. Das stünde auch im Einklang mit der generellen „Loser-pays“-Regelung der Richtlinie, vgl. Art. 13 Abs. 5 Richtlinie (EU) 2020/1828. 842 Art. 13 Abs. 3 bzw. Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828. 843 Art. 13 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828; Röthemeyer, VuR 2021, 43, 49. 844 Erwägungsgrund 60 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 845 Art. 13 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 846 Genannt werden: Die Website der Einrichtung oder des Unternehmers, (für diesen Zweck eingerichtete) elektronische Datenbanken, soziale Medien, Online-Marktplätze oder Online-Zeitungen. 847 Erwägungsgrund 61 S. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 841
160 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland ziehen könnte. Nachvollziehbar erscheint es, an die Benachrichtigung durch den unterlegenen Unternehmer strengere Anforderungen anzulegen und diesen Vorgang auch unter die Kontrolle des Gerichts zu stellen. Hier müssen Versuche des Unternehmers, seine Pflicht aus Gründen der Schadensbegrenzung oder Reputationswahrung zu unterlaufen, verhindert werden. c) Schadensberechnung, -nachweis und -verteilung Wie oben am Negativbeispiel der Musterfeststellungsklage erörtert, kann ein kollektivrechtliches Instrument nur dann effektiv kompensatorische Wirkung entfalten, wenn es die Passivität der Geschädigten während des gesamten Verfahrens, also bis zur Ausschüttung der Entschädigung, überwindet. Dieses Bedürfnis erkennt auch die Verbandsklagerichtlinie an, indem sie in Art. 9 Abs. 6 festlegt, dass die Geschädigten in der Lage sein müssen, in den Genuss der Abhilfe zu gelangen, ohne gesondert Klage im Anschluss an das Verbandsklageverfahren zu erheben. So sinnvoll und wichtig diese Regelung ist, so schwierig ist sie für die Mitgliedstaaten jedoch umzusetzen. Die im deutschen Recht bestehenden Anspruchs- und Tatbestandsvoraussetzungen sind auf eine Individualdurchsetzung ausgelegt, wodurch sich in einem Kollektivverfahren erhebliche Probleme ergeben. So muss beispielsweise zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen mehrerer Verbraucher aufgrund einer Vertragsverletzung nicht lediglich die Pflichtverletzung des Unternehmers nachgewiesen werden, sondern zusätzlich für jeden einzelnen Geschädigten ein hieraus hervorgehender kausaler Schaden in einer bestimmten Höhe. 848 Hinzu kommen u. U. sogar noch subjektive Merkmale der Verbraucher, wie beispielsweise die für die Verjährung relevante Kenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Verteidigung gegen einen entsprechenden Einwand des Beklagten im Rahmen der sekundären Darlegungslast. Der Nachweis solch individueller Merkmale mag in Verfahren, denen die Geschädigten aktiv beitreten (Opt-In) oder in denen nur eine kleinere homogene Gruppe an Geschädigten besteht, mit überschaubarem Aufwand gelingen, bei größeren, insbesondere nach dem Opt-Out-Prinzip gebildeten, Gruppen kann er aber zu einem kaum überwindbaren Hindernis werden. Diese Problematik spricht die Richtlinie weder in den Erwägungsgründen noch im Normtext explizit an, es finden sich lediglich vereinzelt Anhaltspunkte dazu, wie der europäische Gesetzgeber sich die „Verschmelzung“ der Individualansprüche mit dem Kollektivverfahren vorgestellt hat. In Erwägungsgrund 50 heißt es, die Abhilfeentscheidung solle „zumindest die Gruppe von Verbrauchern [nennen], denen die […] Abhilfe zugutekommt“ und es solle „soweit zutreffend, die Berechnungsmethode für die Schäden 848
Lühmann, ZIP 2021, 824, 829.
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dargelegt und die relevanten Schritte beschrieben werden, die von Verbrauchern und Unternehmern zur Umsetzung der Abhilfe einzuleiten sind“. Hieraus sind zwei Dinge abzuleiten: Zum einen, und hiervon geht auch ausdrücklich Art. 9 Abs. 5 aus, bedarf es in der Tenorierung weder einer Individualisierung der Geschädigten noch der Nennung einer konkreten individuellen Schadenshöhe. Die Richtlinie möchte den Gerichten die Möglichkeit eröffnen, lediglich die Parameter für die individuelle Abhilfe festzulegen und die konkrete Bezifferung auf einen nachfolgenden Schritt zu verlagern („zweistufiges Abhilfeverfahren“). 849 Zum andern, und das folgt unwillkürlich aus der ersten Feststellung, sollen im zweiten Verfahrensschritt die Geschädigten durchaus in irgendeiner Weise zur Partizipation verpflichtet werden können. Erwägungsgrund 50 spricht davon, dass von ihnen gefordert werden kann, zur Erlangung individueller Abhilfe „bestimmte Maßnahmen“ zu ergreifen. Vollkommen offen lässt es die Richtlinie, welche Institution die Maßnahmen auf dieser zweiten Stufe verwalten und durchführen soll. Sollte dies nicht das Gericht selbst sein, und hiervon scheint die Richtlinie auszugehen, stellt sich die Frage, in welchem Maße die Konkretisierung der Abhilfemaßnahmen überhaupt auf Dritte übertragen werden darf. 850 In der Regel wird von dieser Stelle nämlich ein deutlich weitergehendes Handeln gefordert werden als die schlichte Entgegennahme der Anmeldung der Geschädigten und die Berechnung der individuellen Schadenssumme anhand einer vom Gericht vorgegebenen Formel. Alleine schon zur Überprüfung der tatsächlichen Betroffenheit wird die Sichtung und Bewertung von Beweismitteln, wie beispielsweise Kaufquittungen, unumgänglich sein. Für besonders komplexe und komplizierte Fälle scheint die Richtlinie noch einen anderen Ausweg aufzuweisen. So sieht Erwägungsgrund 49 vor, den Gerichten bereits in einem frühen Stadium die Möglichkeit einzuräumen, zu prüfen, ob sich der Fall „in Anbetracht der Art des Verstoßes und der Merkmale der Schäden […] für eine Verbandsklage [eignet]“. Wie bereits angesprochen, wird ein solches Zulassungsverfahren wohl unumgänglich sein. Hier müssen aber wirksame Maßnahmen getroffen werden, die verhindern, dass Gerichte auf Drängen der Beklagten und um sich selbst kompliziertere Prozesse zu ersparen, in diesem Stadium zu restriktiv vorgehen. Andernfalls wäre zu befürchten, dass Verfahren, die auf klassischen Streuschadenssituationen beruhen, kaum jemals in konkreten Abhilfemaßnahmen für die Geschädigten enden. Um auf der zweiten Verfahrensstufe anhand einer Formel die individuellen Schäden berechnen zu können, wird es zumindest in Verfahren, die keine ausdrückliche Beitrittserklärung der Verbraucher voraussetzen (Opt-Out), erforderlich sein, zunächst einmal den Gesamtschaden der Gruppe zu be849 850
Siehe hierzu auch Vollkommer, MDR 2021, 129, 134. Ausführlich zur Problematik Stadler, Judex non calculat, FS Ebke.
162 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland rechnen und gerichtlich feststellen zu lassen. Ein solcher Schritt wird wohl auch von der Richtlinie impliziert. 851 Zur Erleichterung der Berechnung oder des Nachweises des Gesamtschadens sieht diese jedoch keine konkreten Instrumente vor. Hier sind seitens des nationalen Gesetzgebers jedoch unbedingt entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Dabei muss zum einen sichergestellt werden, dass der Gesamtschaden dem Verletzer unabhängig von möglichen Verteilungsproblemen auf der zweiten Verfahrensstufe in möglichst vielen Fällen entzogen wird, um der Verbandsklage die nötige abschreckende Wirkung zukommen zu lassen. Zum anderen bedarf es jedoch, gerade wenn später kein hinreichender Bezug zu den einzelnen Geschädigten hergestellt wird, Maßnahmen, die verhindern, dass es zu einer übermäßigen Inanspruchnahme des Verletzers kommt. Sollte der festgestellte Gesamtschaden der Gruppe über die Summe hinausgehen, die letztendlich an die Geschädigten verteilt werden kann, so eröffnet die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Anordnungen für die Verwendung der übrigen Gelder zu treffen. 852 Diese Regelung bietet Anlass zu einem umfassenden Diskurs, wie ein Blick in die U.S.A. zeigt, wo über die angemessene Verwendung von nicht abgerufenen Gelder im Anschluss an die U.S. Class Action seit Jahrzehnten heftig gestritten wird. 853 Unterschiedlichste Lösungsansätze werden hier diskutiert, die von einem Rückfluss der übrigen Gelder an den Beklagten, über eine Verteilung unter den identifizierten Geschädigten bis zu einer Zuwendung an wohltätige Zwecke, die bestenfalls entfernt mit den Zielen der ursprünglichen Klage übereinstimmen, gehen. Die Entscheidung darüber, wie diese Gelder verwendet werden, ist dabei auch keine bloße Nebensächlichkeit. Die Erfahrungen aus den U.S.A. zeigen, dass der Anteil der Geschädigten, die sich im Anschluss an eine Opt-Out-Gruppenklage melden und ihren individuellen Entschädigungsbeitrag einfordern, insbesondere in Streuschadenssachverhalten gering bis verschwindend ist. 854 Da sich die Geschädigten auch im Rahmen des zweistufigen Verfahrens der Verbandsklage auf Abhilfe häufig zumindest melden müssen, um ihre Entschädigungssumme zu erhalten, oft jedoch darüber hinaus noch Nachweise wie Kaufbelege oder ähnliches erbringen müssen, ist mit nicht unerheblichen übrig bleibenden Summen zu rechnen. Das macht es wesensprägend für diese Art der Verbandsklage, wie mit den überschüssigen Geldern zu verfahren sein wird. Auf Grundlage einer umfassenden Analyse des U.S.-Rechts in Teil 3 wird in Teil 4 dieser Arbeit ein integratives System zur Verteilung dieser Gelder vorgeschlagen. Kontrolliert durch ein unabhängiges Gremium werden dabei So auch Lühmann, ZIP 2021, 824, 829; Vollkommer, MDR 2021, 129, 134. Art. 9 Abs. 7 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 853 Hierzu Teil 3 – D. 854 In nur einem von sechs Fällen liegt die Verteilungsquote über 12 %, zum Teil liegt sie deutlich darunter, Brown, Do Class Actions Benefit Class Members?, S. 10. 851 852
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zum einen gemeinnützige Projekte unterstützt, hinsichtlich derer davon auszugehen ist, dass sie für die nicht kompensierten Geschädigten einen indirekten Nutzen entfalten, und zum anderen Finanzierungszusagen für künftige Verbandsklagen ermöglicht. 855 Den Zielen der Kompensation und der Abschreckung wird dabei genauso Vorschub geleistet wie der Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes.
V. Vergleiche Aus Gründen der Prozessökonomie spielen Vergleiche im System des kollektiven Rechtsschutzes eine hervorgehobene Rolle. 856 Dem trägt auch die Richtlinie Rechnung, indem sie ausdrücklich das Ziel formuliert, Vergleiche in Verfahren auf Abhilfe zu fördern 857 und für diese in Art. 11 auch eigene Vorschriften bereit hält. Zur Beendigung von Unterlassungsklagen durch Vergleiche enthält die Richtlinien zwar keine gesonderten Regelungen, in Einklang mit der bereits geltenden Rechtslage ist jedoch davon auszugehen, dass diese weiterhin möglich sind. 858 Die Initiative für einen Abhilfevergleich kann sowohl von den Parteien 859 als auch vom Gericht ausgehen. 860 Der Vergleich unterliegt der Kontrolle des Gerichts, welches zu überprüfen hat, ob der Vergleichsinhalt vollstreckbar ist und mit nationalem Recht in Einklang steht. 861 Während der Kommissionsentwurf zudem noch eine obligatorische Kontrolle der Angemessenheit des Vergleiches vorsah, 862 ist dies in der endgültigen Richtlinie den jeweiligen Mitgliedstaaten überlassen. 863 Die fakultative Ausgestaltung der Richtlinie gerade an dieser Stelle erscheint mit dem ausgegebenen Ziel der Steigerung des Verbraucherschutzes kaum in Einklang zu bringen, erkennen doch die meisten Kollektivinstrumente die besondere Schutzbedürftigkeit der Verbraucher gerade im Rahmen des Vergleichsschlusses an und verlangen aus diesem Grunde eine Angemessenheitsprüfung. 864 Insofern empfiehlt sich die Implementierung einer entsprechenden Prüfung in Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht dringend. 865 855
Hierzu Teil 4 – C.III.8. Ausführlich Eggers, Kontrolle von Vergleichen, S. 9 ff. 857 Erwägungsgrund 53 Richtlinie (EU) 2020/1828. 858 So auch Augenhofer, NJW 2021, 113, 116. 859 Art. 11 Abs. 1 lit. a Richtlinie (EU) 2020/1828. 860 Art. 11 Abs. 1 lit. b Richtlinie (EU) 2020/1828; entgegen der Lesart der Norm kann das Gericht einen Vergleich freilich nicht erzwingen, sondern einen solchen lediglich anregen, vgl. auch Lühmann, ZIP 2021, 824, 835. 861 Art. 11 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828; zur Frage was unter „nationalem Recht“ zu verstehen ist siehe Teil 4 – C.III.6. 862 Art. 8 Abs. 4 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 863 Art. 11 Abs. 2 S. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 864 Im deutschen Recht beispielsweise § 611 Abs. 3 ZPO; § 18 Abs. 1 KapMuG. 865 Augenhofer, NJW 2021, 113, 117. 856
164 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Abweichend vom Kommissionsvorschlag sieht die Richtlinie nun eine Bindungswirkung des Vergleiches auch im Hinblick auf die von ihm betroffenen Verbraucher vor. 866 Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn nur auf diese Weise werden gütliche Streitbeilegungen auch für den Beklagten zu einer attraktiven Option. Um jedoch in diesem Zusammenhang die Rechte der Verbraucher, insbesondere im Opt-Out-Verfahren, zu wahren, sollten die Mitgliedstaaten den in Art. 11 Abs. 4 S. 2 aufgezeigten Weg beschreiten und den Verbrauchern nach Vergleichsschluss (erneut) die Möglichkeit einräumen, ihren Austritt zu erklären. 867 Nicht in die endgültige Richtlinie geschafft hat es das noch im Kommissionsentwurf enthaltene „Settlementonly“-Verfahren, das einen Vergleichsschluss ohne vorangegangene Klageerhebung ermöglichen sollte. 868 Die Richtlinie erwähnt diese Möglichkeit nun nicht mehr, es scheinen aber auch keine Regelungen gegen die Implementierung eines solchen Verfahrens auf nationaler Ebene zu sprechen. 869
VI. Beweismittel Welche Schwierigkeiten die klagebefugten Einrichtungen bei der Beweisführung erwarten, wenn sie den Beweis über Tatsachen, die sich in der Sphäre der geschädigten Verbraucher befinden, ohne deren aktive Mitwirkung erbringen müssen, wurde bereits oben dargelegt. 870 Hierbei wurden auch die Regelungsdefizite, die die Richtlinie diesbezüglich aufweist, aufgezeigt. Deutlich ausgeprägter ist im Gegensatz hierzu das Problembewusstsein des europäischen Gesetzgebers hinsichtlich Beweisführungsschwierigkeiten, die darauf beruhen, dass sich zu beweisende Tatsachen oder notwendige Informationen, beispielsweise zur Schadensberechnung, in der Sphäre des Beklagten befinden. Die Richtlinie erkennt die in diesem Zusammenhang häufig bestehenden Informationsasymmetrien an 871 und verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 18 dazu, den qualifizierten Einrichtungen die Möglichkeit zu eröffnen, die Offenlegung von anderweitig unter zumutbaren Aufwendungen nicht zu beschaffenden Beweismitteln zu beantragen. 872 Um insoweit prozessuale Waffengleichheit herzustellen, kann der Beklagte umgekehrt auch die Offenlegung von Beweismitteln in der Sphäre der qualifizierten
866 Art. 11 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828; anders war wohl noch die Regelung in Art. 8 Abs. 6 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final zu verstehen; Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243, 246. 867 So auch Augenhofer, NJW 2021, 113, 117; Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 678. 868 Art. 8 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final; hierzu auch Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243, 246. 869 So auch Röthemeyer, VuR 2021, 50. 870 Hierzu Teil 2 – E.IV. 3.c). 871 Erwägungsgrund 68 Richtlinie (EU) 2020/1828. 872 Art. 18 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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Einrichtung beantragen, in der Praxis dürfte das aber nur selten von Relevanz sein. Inwieweit sich aus Art. 18 ein konkreter Umsetzungsbedarf für das deutsche Recht ergibt, scheint nicht ganz klar. Die Formulierungen erinnern zwar einerseits stark an die aus dem U.S.-Recht bekannte, im deutschen Recht aber als wesensfremd betrachtete discovery, die den Parteien weitreichende Aufdeckungs- und auch Ausforschungsbeweise ermöglicht, 873 Erwägungsgrund 68 stellt aber andererseits klar, dass eine Anordnung zur Offenlegung von Beweismitteln im Einklang mit dem nationalen Verfahrensrecht stehen soll. 874 Insofern gehen die meisten Beobachter in der Literatur davon aus, dass die deutsche ZPO mit den Möglichkeiten der §§ 142, 144 und u. U. (abhängig davon, ob man den Zeugenbeweis überhaupt von Art. 18 umfasst sieht) 373 ZPO den Anforderungen des Art. 18 bereits entspricht und hier ggf. lediglich eine weite, richtlinienkonforme Auslegung nötig ist. 875 Handlungsbedarf könnte es jedoch noch hinsichtlich der Sanktionierung einer Nichtvorlage trotz gerichtlicher Anordnung geben, die aktuell lediglich beweisrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. 876 Art. 19 der Richtlinie fordert in einem solchen Fall jedoch wirksame und abschreckende Sanktionen, unter anderem in Form von Geldbußen. 877 Erwägungsgrund 69 spricht in diesem Zusammenhang zwar auch von der Möglichkeit, auf eine Nichtvorlage mit anderen Sanktionen, beispielsweise „Verfahrensmaßnahmen“, zu reagieren, hier ist aber einerseits nicht klar, ob diese Maßnahmen neben oder alternativ zu Geldbußen stehen sollen und andererseits nicht, ob die aktuell geltenden, lediglich auf das Beweisrecht beschränkten Konsequenzen unter solche „Verfahrensmaßnahmen“ zu subsumieren sind.
VII. Kosten und Finanzierung Die obige Analyse der bestehenden Verbandsklageinstrumente hat deutlich gemacht, wie ausschlaggebend das Verhältnis von Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten für den Erfolg, bzw. den Misserfolg eines Instruments ist. Die Entscheidungen der Richtlinie bezüglich dieser beiden Faktoren gilt es daher mit besonderer Sorgfalt zu untersuchen. Für die Kosten einer Verbandsklage auf Abhilfe schreibt Art. 12 Abs. 1 ausdrücklich das „Loser-pays“-Prinzip vor. 878 Die hieraus hervorgehende Hierzu grundlegend Prütting, AnwBl. 2008, 153. Erwägungsgrund 68 S. 5 Richtlinie (EU) 2020/1828. 875 Röthemeyer, VuR 2021, 49; Lühmann, ZIP 2021, 824, 834. 876 Stein/Jonas/Althammer ZPO § 142 Rn. 35 ff. 877 Art. 19 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 878 Für Verbandsklagen auf Unterlassung enthält die Richtlinie zwar keine entsprechende Regelung, es sind aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum diesbezüglich von dem in diesem Zusammenhang bereits etablierten Konzept des „Loser-pays“-Prinzip abgewichen werden sollte, Vollkommer, MDR 2021, 129, 132. 873 874
166 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland Verpflichtung der unterlegenen Partei, nicht nur die eigenen, sondern auch die Kosten der Gegenpartei sowie die Gerichtsgebühren zu tragen, soll ein weiteres Mittel zur Verhinderung missbräuchlicher und erpresserischer Klagen sein. 879 Sollte jedoch die klagende Einrichtung unterliegen und daher zur Kostentragung verpflichtet werden, so verlangt die Richtlinie, dass zur Begleichung dieser Kosten nicht die repräsentierten Verbraucher herangezogen werden dürfen. 880 Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund von Opt-Out-Verfahren, bei denen die Verbraucher ansonsten vollkommen ohne ihr Zutun und teilweise sogar ohne ihre Kenntnis zur Kostentragung verpflichtet werden könnten, sondern auch bei Verfahren nach dem Opt-InPrinzip, auf deren Ablauf und Ausgang die Verbraucher nach Ausrichtung der Richtlinie auch nur einen sehr geringen Einfluss haben sollen, 881 konsequent. Treten die Geschädigten dem Verfahren jedoch aktiv bei, so können die Mitgliedstaaten den klagebefugten Einrichtungen die Möglichkeit eröffnen, hierfür eine moderate Beitrittsgebühr zu erheben. 882 Hinzu tritt die oben bereits angesprochene Möglichkeit, die einzelnen Verbraucher für Verfahrenskosten in Anspruch zu nehmen, die sie selbst schuldhaft, 883 beispielsweise durch Verfahrensverzögerungen, verursachen. 884 Trotz dieser beiden Möglichkeiten trifft die Kostentragungspflicht bei Unterliegen jedoch maßgeblich die klagende Einrichtung. Angesichts der von Haus aus eher bescheidenen Grundfinanzierung der Verbände und den hohen zu erwartenden Streitwerten in großen Abhilfeverfahren besteht bezüglich der Finanzierungsmöglichkeiten ein erheblicher Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass die klagebefugten Einrichtungen die Erweiterung ihrer möglichen Klageziele aufgrund mangelnder Ausstattung überhaupt nicht realisieren können. Diese Gefahr greift auch die Richtlinie auf und verlangt von den Mitgliedstaaten in Art. 20 Abs. 1, wenn auch in recht pauschaler Weise, sicherzustellen, dass die entstehenden Kosten die Verbände nicht davon abhalten, ihre Klagerechte wirksam auszuüben. Art. 20 Abs. 2 präzisiert diese Aussage ein Stück weit und nennt als mögliche Maßnahmen öffentliche Finanzierungen, eine Begrenzung der Gerichtsgebühren sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Trotz dieser Konkretisierung erscheinen die Vorschläge insgesamt sehr vage. Wie oben aufgezeigt, werden bereits jetzt die meisten qualifizierten Einrichtungen in Deutschland durch öffentliche Mittel unterstützt. Eine weitergehende Finanzierung, etwa dahingehend, dass hierdurch 879 Lühmann, ZIP 2021, 824, 832; Vollkommer, MDR 2021, 129, 135; Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 678. 880 Art. 12 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 881 Hierzu Teil 2 – E.IV. 3.b). 882 Art. 20 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 883 Art. 12 Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 884 Erwägungsgrund 38 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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weitreichende Klageaktivitäten ermöglicht werden, scheint die Richtlinie nicht vorzusehen. Erwägungsgrund 70 stellt ausdrücklich klar, dass die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet werden sollen, Verbandsklagen zu finanzieren. Auch Streitwertdeckelungen oder -begrenzungen wie sie in dieser Arbeit bereits im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 S. 2 GKG und § 12 Abs. 4 UWG a.F. erörtert wurden, sind angesichts der Tatsache, dass mit Verringerung des Streitwerts die Verfahren für Anwälte auch deutlich weniger attraktiv werden, kritisch zu betrachten. 885 Ein geringer Streitwert kann dazu führen, dass es für die Verbände schwierig wird, überhaupt (gute) Anwälte für ihre Verfahren zu finden oder aber schlimmer noch, dass die Anwälte wegen der geringen Gebühren dazu neigen, die Verfahren schnell zu unangemessenen Konditionen beizulegen. 886 Einer externen Finanzierung durch Dritte, die, in dieser Form schon aus dem Gebiet der Rechtsdurchsetzungsplattformen bekannt, 887 für konkrete Klagevorhaben die Mittel vorstrecken und das Kostenrisiko übernehmen, steht der europäische Gesetzgeber traditionell skeptisch gegenüber. 888 Das schlägt sich auch in der Richtlinie nieder, die externe Prozessfinanzierung zwar nicht verbietet, sie den Mitgliedstaaten aber auch nicht empfiehlt und für den Fall der Implementierung recht strikte Vorgaben zur Missbrauchskontrolle macht. So hält Art. 10 Abs. 1 die Mitgliedstaaten dazu an, wenn sie eine externe Finanzierung zulassen, dafür Sorge zu tragen, dass hieraus einerseits keine Interessenkonflikte (wohl zwischen Verband und Finanzierer) 889 entstehen und dass andererseits die wirtschaftlichen Interessen des Finanzierers die Kollektivinteressen der Verbraucher nicht verdrängen. Diese generalklauselartige Formulierung wird in der Folge noch genauer präzisiert. Die Verfahrensentscheidungen der qualifizierten Einrichtung dürfen von dem Finanzierer nicht „ungebührlich in einer Weise beeinflusst werden, die den Kollektivinteressen der […] Verbraucher abträglich wäre“, 890 zudem darf der Finanzierer nicht Wettbewerber des Beklagten sein. 891 Die qualifizierten Einrichtungen müssen außerdem dem Gericht für jede Klage eine Finanzierungsübersicht offenlegen, in der sämtliche für dieses Verfahren in Anspruch genommenen Finanzierungsquellen gelistet sind. 892 Diese Pflicht trifft die qualifizierten Einrichtungen zusätzlich zu den allgemeinen, oben 885 So auch Röthemeyer, VuR 2021, 43, 52; siehe zu § 48 Abs. 1S. 2 GKG und § 12 Abs. 4 UWG a.F. auch Teil 2 – A.I.1.c)aa). 886 Röthemeyer, VuR 2021, 43, 52; zu dieser Problematik im Rahmen des Verfahrens VZBV gegen VW Stadler, VuR 2020, 163, 165. 887 Siehe hierzu Teil 2 – A.III. 888 Siehe hierzu bereits die Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013 – (2013/396/ EU) Empfehlung III. 14 ff. 889 Lühmann, ZIP 2021, 824, 832. 890 Art. 10 Abs. 2 lit a. Richtlinie (EU) 2020/1828. 891 Art. 10 Abs. 2 lit b. Richtlinie (EU) 2020/1828. 892 Art. 10 Abs. 3 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828.
168 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland angesprochenen Transparenzpflichten aus Art. 4 Abs. 3 lit. f bei grenzüberschreitenden Verbandsklagen. 893 Vollkommen offen lässt es der europäische Gesetzgeber, in welcher Weise die Refinanzierung der Kosten des Finanzierers erfolgen soll. Teilweise wird davon ausgegangen, dass die Richtlinie, indem sie eine Prozessfinanzierung ermöglicht, bereits denklogisch die Vereinbarung einer Erfolgsprämie als zulässig erachtet, 894 da hierzu zugegebenermaßen kaum echte Alternativen bestehen. Bei näherer Betrachtung der Vorgaben der Richtlinie erscheint das jedoch fraglich, würden dadurch doch im Ergebnis die Verbraucher im Erfolgsfall mit nicht unerheblichen Kosten belastet. Hiergegen könnte Art. 12 Abs. 2 sprechen, der festlegt, dass die Verbraucher gerade nicht „die Kosten des Verfahrens“ tragen sollen. Obgleich das Erfolgshonorar des Prozessfinanzierers wohl nicht den typischen „Verfahrenskosten“ entspricht, die Art. 12 Abs. 2 iVm Erwägungsgrund 38 im Sinne hat, könnte man aus der Norm durchaus auf einen allgemeinen Grundsatz schließen. 895 Dafür sprechen auch die engen Ausnahmen in Art. 12 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3. Letzterer ermöglicht es zwar, von den Verbrauchern eine moderate Gebühr zu erheben, ein durchschnittliches Erfolgshonorar von 30 % dürfte diese Schwelle jedoch deutlich übersteigen. 896 Zuletzt könnte sich ein Verbot des Erfolgshonorars auch aus Art. 9 Abs. 6 ableiten, der verlangt, dass die Abhilfe den Verbrauchern (ohne gesondert Klage erheben zu müssen) zugutekommt. Dieser Ansatzpunkt ist jedoch recht vage, schließlich bestimmt der Artikel nicht, dass ihnen die Abhilfe in vollem Umfang zugutekommen muss, zudem ließe sich argumentieren, dass die Geschädigten ohne die Finanzierung höchstwahrscheinlich niemals ihren Anspruch durchgesetzt hätten und die Finanzierung selbst ihnen damit zugutekommt, weswegen die Norm der Vereinbarung eines Erfolgshonorars als Gegenleistung hierfür nicht im Wege stehen kann. Letzten Endes hängt die Frage der Zulässigkeit von Erfolgshonoraren unweigerlich mit dem Umfang der Dispositionsbefugnis der einzelnen Verbraucher zusammen. Den qualifizierten Einrichtungen steht mit Sicherheit nicht das Recht zu, bereits zu Verfahrensbeginn über einen (nicht unerheblichen) Teil der Entschädigung der Verbraucher ohne deren Zustimmung zu disponieren. Insofern bedarf es für die Vereinbarung des Erfolgshonorars 893 Die zuständigen Gerichte müssen die Einhaltung der eben genannten Voraussetzungen bei begründeten Zweifeln überprüfen können, Art. 10 Abs. 3 S. 1 Richtlinie (EU) 2020/ 1828. Für den Fall, dass sie in diesem Zuge einen Verstoß feststellen, sollen ihnen weitreichende Maßnahmen zur Verfügung stehen, die von einer Ablehnung oder Anordnung zur Änderung der Finanzierung bis zum Entzug der Klagebefugnis für die entsprechende Klage gehen können, Art. 10 Abs. 4 Richtlinie (EU) 2020/1828. 894 Röthemeyer, VuR 2021, 43, 45; wohl auch Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 678; offenlassend Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 49. 895 Lühmann, ZIP 2021, 824, 833. 896 Lühmann, ZIP 2021, 824, 833.
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stets der Zustimmung der Verbraucher. In Opt-In-Verfahren wäre das ohne weitere Schwierigkeiten möglich, auch wenn es fraglich erscheint, ob die Finanzierer bereit sind, das Risiko zu tragen, dass sich nicht genug Verbraucher der Klage anschließen, um die Finanzierung rentabel zu machen. Bei Opt-Out-Verfahren mit großen Gruppen, also genau den Verfahren, die für einen Finanzierer interessant sein dürften, müsste mit der Benachrichtigung über das Austrittsrecht auch darüber informiert werden, dass, wenn dieses Recht nicht ausgeübt wird, auch bei Obsiegen nur ein Teil der Entschädigungssumme ausgezahlt wird. Hier müssten deshalb wohl an Inhalt und Art der Benachrichtigung höhere Ansprüche gestellt werden. Mit dem Argument, dass der Verbraucher ja aber auch ohne Prozessfinanzierung stets das Risiko eingeht, dass der Verband im Prozess unterliegt und er damit seinen gesamten Anspruch verliert, und auch das im Endeffekt nur von der Ausübung des Austrittsrechts abhängig gemacht wird, wäre eine entsprechende Gestaltung aber durchaus möglich. Insgesamt behandelt die Richtlinie den neuralgischen Punkt eines jeden Instruments des kollektiven Rechtsschutzes, die Finanzierung, nur ungenügend. Dadurch, dass den Mitgliedstaaten weder explizit vorgeschrieben wird eine externe Prozessfinanzierung zu ermöglichen oder zu verbieten, sind je nach Entscheidung erhebliche Unterschiede in der Klageaktivität zu erwarten. Die zwar zwingend aber nicht sonderlich präzise formulierten Einschränkungen werden in Kombination mit den weitreichenden Kontrollbefugnissen der Gerichte und den Unklarheiten bezüglich der Zulässigkeit des Erfolgshonorars unwillkürlich zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und damit zu erheblichen Verzögerungen in den Verfahren führen. 897 Bis der europäische Gerichtshof die relevanten Fragen hierzu entschieden hat, wird viel Zeit vergehen. Klare, verbindliche Regelungen, unterstützt durch weitreichende Erläuterungen in den Erwägungsgründen, hätten das verhindern können.
VIII. Parallelverfahren, Verjährungshemmung und Bindungswirkung Art. 9 Abs. 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu sicherzustellen, dass sich die in einer Klage auf Abhilfe repräsentierten Verbraucher weder parallel in einer anderen Verbandsklage repräsentieren lassen, noch ihren Anspruch auf dem Individualklageweg durchsetzen. Die Richtlinie steht damit grundsätzlich mehreren Parallelklagen nicht im Wege, verlangt aber einen Mechanismus, der sicherstellt, dass ein Verbraucher nicht mehr als einmal die ihm zustehende Entschädigung erlangt. 898 Das erweitert grundsätzlich den Handlungsspielraum eines Verbrauchers für Fälle, in denen mehrere Verbands897 898
Lühmann, ZIP 2021, 824, 832. Art. 9 Abs. 4 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828.
170 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland klagen (möglicherweise sogar vor Gerichten unterschiedlicher Mitgliedsstaaten) bezüglich desselben Klageziels anhängig sind. 899 Soweit die jeweiligen Klagen den Anspruch des Verbrauchers umfassen, kann er, wenn er aus einer Verbandsklage, der er einmal aktiv oder passiv beigetreten ist, wieder austritt, sich erneut in einer anderen Verbandsklage repräsentieren lassen oder aber sein Recht individuell einklagen. Diese Möglichkeit steht ihm unabhängig davon offen, zu welchem Zeitpunkt er aus der ersten Klage austritt. 900 Er kann damit mitunter einen Vergleichsvorschlag im ersten Verfahren abwarten, diesen sodann, soweit das nationale Recht ihm das ermöglicht, ausschlagen, und sich im Anschluss von einem anderen Verband in einem Parallelverfahren repräsentieren lassen. Ein „hopping“ ist damit so lange möglich, bis eine Entscheidung oder ein Vergleich Bindungswirkung entfaltet, wird in den meisten Fällen aber reine Theorie bleiben. So ist es zum einen anzuzweifeln, dass ein Verband eine Klage erhebt, soweit dasselbe Klageziel bereits von einem anderen Verband verfolgt wird, und zum anderen kaum realistisch, dass Verbraucher, insbesondere wenn es um Streuschäden geht, den nötigen Informationsaufwand auf sich nehmen, um zwischen mehreren Verfahren zu wechseln. Zu parallelen Unterlassungsklagen enthält die Richtlinie keine Vorgaben, ebenso wenig hindert eine Verbandsklage auf Unterlassung die Erhebung einer Individualklage mit demselben Klageziel. 901 Die Mitgliedsstaaten haben sicherzustellen, dass, wenn ein Verband eine Klage auf Abhilfe erhebt, diese Klage die Verjährung der Individualansprüche der betroffenen Verbraucher hemmt oder unterbricht. 902 Wer in diesem Kontext die „betroffenen“ Verbraucher sind, geht nicht ganz eindeutig aus der Richtlinie hervor. Bei einem Opt-Out-Verfahren wird die Verjährung wohl ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung für alle Verbraucher unterbrochen oder gehemmt werden müssen, die der im Klageantrag entsprechend den Anforderungen des Art. 7 Abs. 2 abstrakt umschriebenen Gruppe angehören. Keine konkreten Aussagen macht die Richtlinie darüber, wer bei einem Opt-In-Verfahren die „betroffenen Verbraucher“ sind. Teilweise wird angenommen, dies seien grundsätzlich alle Verbraucher, die dem Verfahren beitreten können. 903 Betroffen wäre damit ein ähnlich weiter Kreis wie bei einem Opt-Out-Verfahren, Beginn der Hemmung oder Unterbrechung wäre dann ebenfalls der Zeitpunkt der Klageerhebung. Andere Stimmen in der Literatur machen den Begriff des „betroffen sein“ von der Bindungswirkung 899 Soweit unterschiedliche Verbände klagen, steht dem Art. 29 Brüssel-Ia-VO nicht entgegen, das später angerufene Gericht könnte jedoch entsprechend Art. 30 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO das Verfahren aussetzen, da hier keine Parteiidentität vorausgesetzt wird. Hierzu auch Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 37 f. 900 Erwägungsgrund 46 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 901 Lühmann, ZIP 2021, 824, 834. 902 Art. 16 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 903 So wohl Vollkommer, MDR 2021, 129, 135.
E. Ausblick
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der Entscheidung abhängig, insofern wäre die Verjährung nur für die beitretenden Verbraucher gehemmt und unterbrochen und das dann auch erst ab Zeitpunkt des Beitritts. 904 Da beide Regelungen grundsätzlich denkbar sind, liegt die Entscheidung wohl bei den Mitgliedstaaten. Auch darüber, wann die Unterbrechung bzw. die Hemmung der Verjährung enden soll, schweigt die Richtlinie. Bei Opt-Out-Klagen gäbe es nach Ausübung des Austrittsrechts keinen Grund mehr, die Hemmung oder Unterbrechung fortzuführen. 905 Im Einklang mit § 204 Abs. 2 BGB könnte der deutsche Gesetzgeber hier die Sechsmonatsfrist beibehalten. Ein wirkliches Novum sieht Art. 16 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie vor, der für Klagen auf Unterlassung ebenfalls eine die Verjährung hemmende oder unterbrechende Wirkung anordnet. Von dieser Wirkung umfasst sollen dabei nicht nur etwaige Unterlassungsansprüche der Verbraucher sein, sondern auch Ansprüche auf Abhilfe, die sich aus demselben Verstoß gegen die vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasste Norm ergeben. Die Richtlinie möchte den Verbrauchern die Möglichkeit eröffnen, etwaige Abhilfeansprüche auch noch im Anschluss an eine Unterlassungsentscheidung entweder selbst oder wiederum im Wege einer Verbandsklage durchzusetzen. 906 Die Umsetzung dieser (zwingenden) Regelung der Richtlinie in das deutsche Recht bedeutet einen Paradigmenwechsel, wurde in dieser Form aber in der Literatur bereits teilweise gefordert. 907 Welche Verbraucher konkret von der Hemmung bzw. Unterbrechung betroffen sind, ist, ähnlich wie bei Abhilfeklagen im Opt-Out-Verfahren, anhand der Gruppendefinition des Verbandes, die Art. 7 Abs. 2 fordert, zu ermitteln. 908 Ein rechtskräftiges Urteil über eine Verbandsklage auf Abhilfe bindet, ebenso wie ein gerichtlich bestätigter Vergleich, 909 sowohl den Unternehmer als auch die repräsentierten Verbraucher. 910 Darüber hinaus sah der ursprüngliche Kommissionsentwurf eine weitergehende Bindungswirkung auch für nachfolgende Verfahren von nicht repräsentierten Verbrauchern vor. Im Forumstaat sollte ein festgestellter Verstoß in Verfahren gegen denselben Unternehmer wegen desselben Verstoßes als unwiderlegbar nachgewiesen gelten. 911 In anderen Mitgliedstaaten sollte die Feststellung des Verstoßes im Folgeverfahren zumindest eine widerlegbare Vermutung begründen. 912 Die endgültige Fassung der Richtlinie bleibt hierhinter leider Lühmann, ZIP 2021, 824, 835; Röthemeyer, VuR 2021, 43, 49. Insoweit besteht ein ähnliches Verhältnis wie bei der Rücknahme der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage. 906 Erwägungsgrund 65 Richtlinie (EU) 2020/1828. 907 Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 56. 908 Lühmann, ZIP 2021, 824, 835. 909 Art. 11 Abs. 4 S. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828. 910 Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 911 Art. 10 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 912 Art. 10 Abs. 2 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 904 905
172 Teil 2: Bestehende Instrumente zur Steuerung von Streuschäden in Deutschland deutlich zurück. Art. 15 sieht insoweit lediglich vor, dass rechtskräftige klagestattgebende Entscheidungen in Folgeverfahren als Beweismittel eingebracht werden können. 913 Der europäische Gesetzgeber begründet diese Zurückhaltung mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit der Justiz sowie der freien Beweiswürdigung. 914 Die Mindestanforderung des Art. 15 gilt insoweit auch für Verbandsunterlassungsklagen. Dort ergangene Feststellungen können in Folgeverfahren als Beweismittel eingebracht werden, abgewiesene Klagen entfalten, vor dem Hintergrund, dass solche Klagen gänzlich ohne Verbrauchermandat geführt werden können, keine negativen Auswirkungen zulasten der Verbraucher. 915
IX. Fazit Die neue Richtlinie bringt zweifelsohne erhebliche Chancen für den kollektiven Rechtsschutz in Europa und insbesondere auch in Deutschland mit sich. Der europäische Gesetzgeber ist nicht nur in Form, sondern auch in Inhalt weit über seine Empfehlung aus dem Jahr 2013 hinausgegangen. Wie bei jeder Chance ist es aber auch hier entscheidend, was daraus gemacht wird. Wo der politische Wille da ist, bietet die Richtlinie ohne jeden Zweifel die Gelegenheit dazu, ein effektives Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zu etablieren, das auch, aber nicht ausschließlich, der Streuschadensbekämpfung dienen kann. Die erheblichen Spielräume, die den Mitgliedstaaten gewährt werden, ermöglichen aber leider auch eine richtlinienkonforme Umsetzung ohne dabei den Druck auf die Schädiger merklich zu erhöhen. Neben der Wahl des Beitrittsmodus werden wichtige Stellschrauben die jeweiligen konkreten Zulassungsvoraussetzungen, die Anforderungen an den Schadensnachweis und die Schadensberechnung sowie die Regelungen zur Finanzierung der Klageaktivitäten sein. Die kompensatorische Wirkung der nationalen Instrumente wird darüber hinaus entscheidend von der Organisation des Verteilungsprozesses auf der zweiten Stufe und, insbesondere soweit Verfahren auch nach dem Opt-Out-Prinzip ermöglicht werden, auch von der Verwendung der nicht verteilbaren Gelder abhängen. Ein wenig mehr Verbindlichkeit des europäischen Gesetzgebers hätte all diesen Punkten mit Sicherheit gut getan. Nun bleibt es bis Ende 2022 abzuwarten, welche Modelle die Mitgliedstaaten aus den Vorgaben der Richtlinie heraus entwickeln. Für Deutschland liegen bereits zwei konkrete Umsetzungsvorschläge vor, auf die in Teil 4 aufbauend auf die in diesem Teil geleistete Vorarbeit eingegangen wird. 913 Die Richtlinie überlässt es insoweit wohl den Mitgliedstaaten festzulegen, welche Wirkung ein klageabweisendes Urteil entfalten soll, Hakenberg, NJOZ 2021, 673, 678. 914 Erwägungsgrund 64 Richtlinie (EU) 2020/1828. 915 Lühmann, ZIP 2021, 824, 835.
Teil 3
Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
A. Allgemeines, Untersuchungsgegenstand Weltweit gibt es kein Instrument zur Streuschadensbekämpfung, das so prominent ist und zugleich so sehr polarisiert wie die U.S.-amerikanische Class Action. Als Archetyp der Gruppenklage eröffnet sie Einzelpersonen die Möglichkeit, Ansprüche einer Vielzahl von Geschädigten, unter anderem auf Schadensersatz, ohne deren Zutun durchzusetzen. Von ihren Befürwortern als beispielloses Werkzeug zum Ausgleich struktureller Defizite gefeiert, stand die Class Action vielen Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes Modell. 1 Spätestens seit Mitte der 90er Jahre jedoch nimmt auch die Zahl ihrer Kritiker sowohl innerhalb der U.S.A. als auch international erheblich zu. Wird heute in Europa im kollektivrechtlichen Kontext von „amerikanischen Verhältnissen“ gesprochen, so sind die damit verbundenen Aussagen fast ausschließlich negativ konnotiert. Sowohl der deutsche als auch der europäische Gesetzgeber sehen in der Class Action vorwiegend ein missbräuchliches und erpresserisches Instrument, das in erster Linie den die Klagen betreibenden Anwälten und kaum den Geschädigten selbst dient. Wie die Analyse in Teil 2 offenbart hat, sind es maßgeblich diese Erwägungen, auf die bislang das zaghafte Vorgehen auf dem Gebiet des kollektiven Rechtsschutzes gestützt wurde. Auch im Rahmen der Verbandsklagerichtlinie, die zweifelsohne einer der liberalsten Rechtsakte in dieser Hinsicht seit vielen Jahren ist, wurden Maßnahmen implementiert, die „amerikanischen Verhältnissen“ vorbeugen sollen. 2 Die nachfolgende Bearbeitung konzentriert sich auf die Class Action auf Schadensersatz vor U.S.-amerikanischen Bundesgerichten nach Rule 23(b) (3) Fed. R. Civ. P., 3 die nach dem Willen des Supreme Courts ausdrücklich 1 So beispielsweise den Class Actions in Kanada und Australien. Aber auch die englische Gruppenklage im Kartellrecht, die am Ende dieses Teils kurz beleuchtet wird, orientiert sich ihrer Struktur nach an der U.S. Class Action, Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 842 (2017). 2 Vgl. Erwägungsgrund 10 Richtlinie (EU) 2020/1828. 3 Soweit im folgenden Rule 23 Fed. R. Civ. P oder Teile der Norm zitiert werden, wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Textes darauf verzichtet, stets auch die Gesetzes-
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
der Streuschadensbekämpfung dienen soll, 4 und nimmt sich dabei sowohl der Stärken als auch der Schwächen des Instruments an. Auf eine umfassende, wertende Betrachtung wird jedoch verzichtet, da die Darstellung der Class Action zum einen bereits mehrfach Gegenstand deutschsprachiger Werke war 5 und die vorliegende Arbeit zum anderen nicht das Ziel verfolgt, einen Vorschlag für die Implementierung einer Gruppenklage im deutschen Recht zu unterbreiten. Vielmehr sollen die für ein kompensatorisches Instrument neuralgischen Punkte, die insofern Gruppen- und Verbandsklagen gleichermaßen betreffen, einer kritischen Würdigung unterzogen werden, um daraus Umsetzungsperspektiven für die Verbandsklagerichtlinie zu entwickeln. Die bereits oben angesprochene Erwartung, dass, zumindest soweit in Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie auch Opt-Out-Verfahren ermöglicht werden, im Anschluss an den Verteilungsprozess mitunter erhebliche Teile der Gesamtentschädigungssumme übrig bleiben, rückt die Möglichkeiten zur Verwendung dieser Gelder in das Zentrum der Betrachtung. In den U.S.A. hat sich hierzu ein weitreichender Diskurs entwickelt, der auch die im Zuge der Genese der Verbandsklagerichtlinie aufgeworfene Frage, ob und in welchen Fallkonstellationen insgesamt auf eine individuelle Aufteilung der Entschädigungssumme verzichtet werden kann, umfasst. Neben der und zugleich in Vorarbeit für die Analyse dieses Problemfelds geht die Darstellung auf weitere kritische Stellschrauben im Rahmen der Class Action auf Schadensersatz ein, die gleichermaßen Relevanz für die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie entfalten. Behandelt werden insofern die Anforderungen an die Schadensberechnung und den Schadensnachweis, 6 die Interessenwahrung der geschädigten Gruppenmitglieder, 7 die Regelungen zur Beendigung des Verfahrens durch einen Vergleich 8 sowie die Kostentragungspflichten und Finanzierungsmöglichkeiten. 9 Abschließend erfolgt noch eine Analyse der englischen Gruppenklage im Kartellrecht, die als „Class Action der dritten Generation“ den Anspruch erhebt, die Effizienz der U.S. Class Action in Eingrenzung des Missbrauchspotentials zu erreichen und in deren Genese sich aus diesem Grund unter der Beachtung der Erfahrungen in den bezeichnung anzufügen. Rule 23 Fed. R. Civ. P. findet sich im vollständigen Wortlaut in den Anlagen. 4 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 617, 117 S. Ct. 2231, 2246, 138 L. Ed. 2d 689 (1997): „The policy at the very core of the class action mechanism is to overcome the problem that small recoveries do not provide the incentive for any individual to bring a solo action prosecuting his or her rights.“ 5 Siehe nur Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action; Koch, Kollektiver Rechtsschutz; Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions; Greiner, Die Class Action im amerikanischen Recht; Schlurmann, Class Action im Recht der USA. 6 Hierzu Teil 3 – C.III.4. 7 Hierzu Teil 3 – C.V. 8 Hierzu Teil 3 – C.VI. 9 Hierzu Teil 3 – C.VII.
B. Entwicklung und Bedeutung der Class Action in den U.S.A.
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U.S.A. auch vertieft Gedanken über die Verwendung nicht verteilbarer Gelder gemacht wurde.
B. Entwicklung und Bedeutung der Class Action in den U.S.A. Die moderne Class Action der U.S.A. hat ihren Ursprung in der Rechtsprechung der englischen Courts of Chancery, die im ausgehenden 17. Jahrhundert mit der Bill of Peace 10 erstmalig ein Verfahren vorsahen, bei dem einige wenige Verfahrensbeteiligte die Interessen sämtlicher Betroffenen vertreten konnten. 11 Im Zuge der Kolonialisierung des nordamerikanischen Kontinents durch vorwiegend englische Siedler nahm diese Spruchpraxis Einzug in die Mehrheit der damals 13 Kolonien. 12 Als Mitte des 19. Jahrhunderts eine Welle der Kodifizierung das U.S.-amerikanische Recht ergriff, wurden auch die Repräsentantenklagen in die Gesetze des Bundes und der Staaten aufgenommen. Vorreiter auf Staatenebene war der New York Field Code von 1848, der für die meisten anderen Staaten eine Vorbildfunktion entwickelte. 13 Mit der Federal Equity Rule 48 von 1842 gestattete erstmalig eine Bundesnorm eine Repräsentantenklage und bestimmte auch detaillierte Voraussetzungen für eine solche. 14 Obgleich die Federal Rules of Civil Procedures in Rule 23 schon bei ihrem Erlass im Jahr 1938 eine Regelung zur Class Action enthielten, wurde diese erst im Jahr 1966 annähernd in ihren heutigen Stand versetzt. Hintergrund war ein Reformvorschlag des Advisory Committee, 15 das sich im Rahmen eines mehrjährigen Evaluationsprozesses zuvor mit den Unzulänglichkeiten 16 der ursprünglichen Regelung befasst hatte. 10 Die Bezeichnung „Bill of Peace“ stammt wohl daher, dass es Zweck der Klage war, dauerhaften Frieden in einem ansonsten sehr lange fortwährenden Rechtsstreit zu schaffen, Story, Commentaries on Equity Jurisprudence II § 853; Black’s Law Dictionary, BILL. Ausführlich zur Geschichte der Class Action Yeazell, From Medival Group Litigation to the Modern Class Action. 11 Brown v. Vermuden, 1 Ch,Cas. 272, 282 (1676); How v. Tenants of Bromsgrove, 1 Vern. 22, 23 Eng. Rep. 277 (1681); Brown v. Booth, 2 Vern. 184 (1690); hierzu vertieft auch Yeazell, 77 Colum. L. Rev. 866 (1977). 12 Blumenwitz, Anglo-amerikanisches Recht, S. 27. 13 Wright/Miller/Kane, § 1751; vgl. Action under the codes against representative defendants, Note, 36 Harv. L. Rev. 89 (1922); Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 34. 14 Im Wortlaut: „Where the parties on either side are very numerous, and cannot, without manifest inconvenience and oppressive delays in the suit, be all brought before it, the Court in its discretion may dispense with making all of them parties, and may proceed in the suit, having sufficient parties before it to represent all the adverse interest of the plaintiffs and the defendants in the suit properly before it. But, in such cases, the decree shall be without prejudice to the rights and claims of all the absent parties.“ 15 Das Advisory Committee überprüft für den U.S. Kongress seit 1958 die Fed. R. Civ. P. und hat ein formelles Vorschlagsrecht gegenüber dem U.S. Supreme Court, der für diese Regeln die Gesetzgebungskompetenz innehat. 16 So wurde insbesondere hinsichtlich der Unterteilung in drei verschiedene Arten (true, hybrid und spurious) kritisiert, dass diese nicht nur unterschiedliche Voraussetzungen und
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Seit 1966 wurde Rule 23 Fed. R. Civ. P. durch insgesamt sechs Änderungsgesetze geprägt. 17 Vertiefte inhaltliche Änderungen fanden dabei lediglich in den Jahren 1998, 2003 und 2018 statt. 18 Tendenz der Gesetzgebung war es insgesamt, der Class Action und den Möglichkeiten ihrer Beteiligten klarere Konturen zu geben und dadurch die abwesenden Gruppenmitglieder zu schützen. Hierfür wurden insbesondere 2003 die Anforderungen an die Benachrichtigung der Gruppenmitglieder bei der Opt-Out Class Action erhöht und spezifiziert, Rule 23(c)(2). Zudem wurde die Tätigkeit des Gruppenanwalts verstärkt der Kontrolle des Gerichts unterworfen. Das betrifft sowohl die Auswahl desselben, Rule 23(g), als auch dessen Entlohnung, Rule 23(h), ebenso wie den Abschluss von Vergleichen, Rule 23(e). Neben dem Supreme Court, der seit 1934 das Recht inne hat, bindende Verfahrensvorschriften für die Bundesgerichte zu erlassen, 19 trug auch der Kongress zur Weiterentwicklung des Class Action bei. Er erließ in bestimmten Rechtgebieten wie dem Kartellrecht, 20 dem Verbraucherschutzrecht, 21 dem Wertpapierrecht 22 und dem Arbeitsrecht 23 eigenständige Regelungen, die teils erheblichen Einfluss auf Class Actions in diesen Rechtsgebieten haben. Zu erwähnen ist zudem der Class Action Fairness Act (CAFA) von 2005, der zwar zu keinen direkten Änderungen in Rule 23 führte, aber dennoch erheblich deren Anwendungsbereich beeinflusste. 24 Rechtsfolgen hinsichtlich der Bindungswirkung aufwiesen, sondern zudem nur sehr schwer voneinander zu unterscheiden seien, Federal Class Actions: A Suggested Revision of Rule 23, Note, 46 Col. L. Rev. 818, 822 (1946); Wright/Miller/Kane, § 1752. Das führte nicht selten dazu, dass Gerichte den selben Fall unterschiedlichen Arten zuordneten, oder die Zuordnung generell offenließen. So wurde beispielsweise in Deckert v. Indep. Shares Corp., 27 F. Supp. 763, 764 (E.D. Pa. 1939) die Klage lapidar als „class bill“ bezeichnet, die Revisionsinstanz bezeichnete sie als „spurious“ Indep. Shares Corp. v. Deckert, 108 F.2d 51, 55 (3d Cir. 1939), der Supreme Court bezeichnete sie gar nicht und wies sie an die Revisionsinstanz zurück, die sie nun als „hybrid“ bezeichnete Deckert v. Indep. Shares Corp., 39 F. Supp. 592 (E.D. Pa. 1941). Die Rule ließ zudem nähere Regelungen zur Stellung des Richters und der Benachrichtigung der Class Members missen, Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 98 et seq. (1966). 17 Sämtliche Änderungsgesetzte und die entsprechenden Notes des Advisory Committee finden sich bei Moore’s Federal Practice V, § 23App. 05–10. 18 1987 wurden lediglich in der Regelung für die Benachrichtigung sprachliche Korrekturen vorgenommen, 2007 stilistische Anpassungen gemacht und 2009 die Frist für die isolierte Anfechtung der Zulassungsentscheidung auf 14 Tage erhöht. 19 Ausführlich hierzu Koch, Kollektiver Rechtsschutz, S. 27 ff. 20 Ausführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 20. 21 Real Estate Settlement Procedures Act (1974); Truth in Lending Act (1968); Fair Credit Reporting Act (1970); Equal Credit Opportunity Act (1974); Fair Debt Collection Practices Act (1977); Magnuson-Moss Warranty Act (1975); Telephone Consumer Protection Act (1991). 22 Private Securities Litigation Reform Act (1995). 23 Fair Labor Standards Act (1938); Age Discrimination in Employment Act (1967); Equal Pay Act (1963); Employee Retirement Income Security Act (1974); Family and Medical Leave Act (1993). 24 Hierzu im Überblick: Reig, 40 Tort Trial & Ins. Prac. L.J. 1087 (2005).
B. Entwicklung und Bedeutung der Class Action in den U.S.A.
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In ihrer heutigen Form erlaubt es Rule 23 Fed. R. Civ. P. einem oder mehreren Betroffenen eine Gruppe von gleichermaßen Betroffenen vor Gericht zu repräsentieren und dabei Entscheidungen herbeizuführen, die auch für die repräsentierten Betroffenen bindend sind. Dafür ist es unter anderem notwendig, dass die Mitglieder der Gruppe eine hinreichende Verbindung zueinander aufweisen. Welcher Art diese Verbindung sein muss, regelt Rule 23(b), die vier Kategorien von möglichen Class Actions enthält. Die Gruppe der Betroffenen kann grundsätzlich sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite stehen, die vorliegende Darstellung beschränkt sich aufgrund der weitaus größeren Relevanz insgesamt und für Streuschadensfälle im Besonderen jedoch auf die erstgenannte Konstellation. Rule 23 Fed. R. Civ. P. ist eine Verfahrensvorschrift für Bundesgerichte, es finden sich aber auch auf Ebene der Einzelstaaten diverse mit der Vorschrift vergleichbare Regelungen. 25 Ähnlich wie auch die von der Verbandsklagerichtlinie vorgesehenen Verfahren folgt die Class Action dem Repräsentationsprinzip. Sie wird vorwiegend vom Repräsentanten bzw. dem Gruppenanwalt betrieben, den repräsentierten Mitgliedern kommt eine weitestgehend passive Rolle zu. Um dennoch die weitreichende Bindungswirkung des Verfahrens zu rechtfertigen, sieht Rule 23 umfassende Benachrichtigungspflichten und darüber hinaus eine hervorgehobene Kontrollfunktion des Gerichts vor. Soweit ein Sachverhalt inhaltlich einer der vier Kategorien der Rule 23(b) zugeordnet werden kann, ist die Class Action ihrem Anwendungsbereich nach nicht auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt. Sie kann grundsätzlich zur Durchsetzung sämtlicher privatrechtlicher Ansprüche genutzt werden, wobei sich insbesondere in den letzten Jahren jedoch eine recht klare Tendenz zu bestimmten Rechtsgebieten herauskristallisiert. Während die Class Action kurz nach ihrer Einführung in den 1960er und 1970er Jahren noch vorwiegend zur Durchsetzung von Bürgerrechten oder wegen Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz erhoben wurde, 26 sind es heute beinahe ausschließlich Schadensersatzstreitigkeiten auf den Gebieten des Kapitalmarkt-, Wettbewerbs- oder Verbraucherschutzrechts, die die Gerichte beschäftigen. 27 Gewandelt hat sich auch die Form, in der die Class Action zur Rechtsdurchsetzung beiträgt. Verfahren werden heutzutage beinahe ausnahmslos entweder durch eine Klageabweisung oder aber durch einen Vergleich beendet. 28 Hat eine Klage nur die geringste Aussicht auf Erfolg, so vergleicht sich der Beklagte wegen des erheblichen Kostendrucks und der Angst vor einem Reputationsverlust meist bereits vor der Zulassungsentscheidung. Das wirkt sich nicht nur auf die Prozessstrategie der Parteien aus, Ausführlich zu dem Recht der Einzelstaaten Mullenix, State Class Actions. Hierzu Teil 3 – C.I. 27 Newberg/Rubenstein, § 1:17. 28 Fitzpatrick, 7 J. Empirical Legal Stud. 811, 812 (2010); Baker/Griffith 157 U. Pa. L. Rev. 755 (2009). 25 26
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
sondern führt, wie später noch ausführlich erörtert wird, auch zu einer faktischen Abschwächung der Zulassungsvoraussetzungen, da Gerichte in Verfahren, in denen bereits ein Vergleich im Raum steht, wesentlich großzügiger im Hinblick auf einige Verfahrensvoraussetzungen sind. 29
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte I. Die verschiedenen Alternativen der Class Action nach Rule 23(b) Wie bereits angesprochen, listet Rule 23(b) die Fallkonstellationen auf, in denen eine Class Action betrieben werden kann. Formal ist die Regelung dabei in drei Kategorien unterteilt, umfasst aufgrund der beiden Untergruppen der Rule 23(b)(1) faktisch aber vier Anwendungsfälle. Eine Class Action ist demnach möglich, wenn mehrere individuelle Parallelverfahren die Interessen des Beklagten [Rule 23(b)(1)(A)] oder der Verletzten [Rule 23(b)(1)(B)] gefährden würden, wenn eine Anordnung oder eine Feststellung begehrt wird, die eine Gruppe von Personen gleichermaßen betreffen würde [Rule 23(b)(2)] oder wenn gemeinsame Streitpunkte der Gruppe die individuellen Unterschiede zwischen den Ansprüchen der Gruppenmitglieder überwiegen und die Class Action daher das geeignetste Mittel zur Streitbeilegung darstellt [Rule 23(b)(3)]. Die Anwendungsfälle der Class Action lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, nämlich einerseits die mandatory (= verpflichtenden) Class Actions, wozu die ersten drei Kategorien zählen, und die non-mandatory Class Actions, denen Verfahren der vierten Kategorie zuzuordnen sind. 30 Mandatory Class Actions zeichnen sich dabei dadurch aus, dass sie grundsätzlich kein Austrittsrecht für die Gruppenmitglieder vorsehen, weswegen auch geringere Anforderungen an die Benachrichtigungen derselben gestellt werden. 31 Darüber hinaus können Schadenersatzansprüche grundsätzlich nur im Rahmen von non-mandatory Class Actions durchgesetzt werden, mandatory Class Actions sind insofern auf equitable relief, also Feststellung, Unterlassung und Beseitigung beschränkt. 32 Ein und dasselbe Verfahren kann mitunter unter mehrere Kategorien der Rule 23(b) zu subsumieren sein, wobei eine trennscharfe Zuordnung, soweit eine Überschneidung nur innerhalb der Gruppe der mandatory Class Actions stattfin-
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Ausführlich zu den sog. settlement Class Actions Teil 3 – C.III.3. Newberg/Rubenstein, § 4:1; Moore’s Federal Practice V, § 23.40. 31 Vgl. Rule 23(c)(2), ausführlich hierzu Teil 3 – C.V. 1.a). 32 Siehe hierzu Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797, 812, 105 S. Ct. 2965, 2974, 86 L. Ed. 2d 628 (1985). Zur Unterscheidung zwischen equitable relief und relief at law siehe Black’s Law Dictionary, REMEDY, equitable remedy. 30
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
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det, wegen der Parallelität der Anforderungen und der Rechtsfolgen in dieser Gruppe nicht nötig ist. 33 Gemäß Rule 23(b)(1)(A) ist die Durchführung einer Class Action zum Schutze des Gegners der Gruppe möglich, wenn andernfalls das Risiko bestehen würde, dass Urteile aufgrund mehrerer Individualklagen für ihn unterschiedliche, miteinander unvereinbare Verhaltenspflichten statuieren würden, in der Gestalt, dass die Befolgung der einen Pflicht jeweils zur Verletzung einer anderen Pflicht führen würde. Fälle unter dieser Kategorie sind sehr selten. Das Risiko, in unterschiedlichen Urteilen zu unterschiedlichen Höhen von Schadensersatz verklagt zu werden, ist dabei noch nicht ausreichend, um ein Verfahren nach Rule 23(b)(1)(A) zu betreiben, da ein Beklagter verschieden hohen Zahlungsverpflichtungen unproblematisch nachkommen kann. 34 Die verschiedenen Pflichten müssen sich vielmehr in einer Weise ausschließen, die es dem Beklagten rechtlich oder tatsächlich unmöglich macht, allen gleichermaßen nachzukommen. 35 Das Advisory Committee zitierte bei Erlass der Vorschrift einen Fall, in dem sich die Eigentümer von verschiedenen Grundstücken, die allesamt ihr Wasser vom San Joaquin River bezogen, gegen den Bau eines Dammes an besagtem Fluss richteten. Eine Entscheidung über die Menge des Wassers, das zulässigerweise aufgestaut werden durfte, betraf alle flussabwärts liegenden Eigentümer gleichermaßen. 36 Ähnlich stellte sich ein Fall dar, in dem es um die Einstellungsrichtlinien der U.S.-Navy bezüglich des Seelsorger-Korps ging. Mehrere Seelsorger klagten wegen einer Diskriminierung nicht-liturgischer Christen gegenüber liturgischen Christen. 37 In diesem Fall bestand die Gefahr, dass verschiedene Gerichte der Navy unterschiedliche Verhaltenspflichten hinsichtlich ihrer Einstellungspolitik auferlegen könnten, denen die Navy nicht mit einer einheitlichen Regelung entsprechen könnte. 38 Ebenfalls keinen sonderlich großen, aber dennoch einen etwas größeren Anwendungsbereich hat die zweite Variante der Class Action nach Rule 23(b)(1)(B), die darauf abzielt, die Rechte und Interessen derjenigen vor Beeinträchtigung zu schützen, die neben den beiden Prozessparteien faktisch von einer Entscheidung in einer Individualklage betroffen wären. Die Kategorie stellt das Gegenstück zu Rule 23(b)(1)(A) dar, da beide Varianten die Erhebung einer Class Action erlauben, um Benachteiligungen durch die Newberg/Rubenstein, § 4:1; Moore’s Federal Practice V, § 23.40. Oakley v. Verizon Commc’ns Inc.,2012 WL 335657, at *11 (S.D.N.Y. 2012); Zinser v. Accufix Research Inst., Inc., 253 F.3d 1180, 1193 (9th Cir.); In re Dennis Greenman Sec. Litig., 829 F.2d 1539, 1545 (11th Cir. 1987); m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 1st und 8th Circuits Newberg/Rubenstein, § 4:14. 35 McBirney v. Autrey, 106 F.R.D. 240, 245 (N.D. Tex. 1985). 36 Rank v. Krug, 142 F. Supp. 1 (S.D. Cal. 1956). 37 Adair v. England, 209 F.R.D. 5 (D.D.C. 2002). 38 Adair v. England, 209 F.R.D. 5, 12–13 (D.D.C. 2002). 33 34
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Verfolgung von Einzelklagen zu verhindern. 39 Das bedingt auch ein relativ großes Überschneidungsfeld der beiden Varianten. Im Gegensatz zu Rule 23(b)(1)(A) setzt Rule 23(b)(1)(B) jedoch lediglich voraus, dass die Rechte der Mitglieder rein faktisch beeinträchtigt werden, einer rechtlichen Undurchsetzbarkeit bedarf es nicht. 40 Hauptanwendungsgebiet der Variante nach Rule 23(b)(1)(B) sind die sog. Limited-Fund-Fälle. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass eine begrenzte Vermögensmasse, zum Beispiel ein Treuhandvermögen, eine Versicherungssumme oder ein Unternehmensvermögen, 41 besteht, die voraussichtlich nicht zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreichen wird. In einem solchen Fall könnten Individualklagen die Masse erschöpfen oder verringern und so die Ansprüche der übrigen Gläubiger beeinträchtigen. Um das und einen „run to the courthouse“, bei dem jeder Gläubiger versucht zuerst seine Ansprüche durchzusetzen, zu verhindern, ermöglicht Rule 23(b)(1)(B) hier eine Kollektivierung. Damit weist die Norm eine inhaltliche Nähe zu anderen obligatorischen Prozessverbindungen im U.S.-Recht, wie dem interpleader und dem Bankruptcy-Recht auf. 42 Als dritte Variante der Class Action sieht Rule 23(b)(2) die Möglichkeit vor, ein Gruppenverfahren zuzulassen, wenn dem Beklagten 43 ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen vorzuwerfen ist, das alle Gruppenmitglieder betrifft und das durch eine einzige Anordnung oder Feststellung des Gerichts abschließend behandelt werden kann. Hauptanwendungsgebiet dieser Form der Class Action sind Klagen wegen Verletzung der Bürgerrechte, was der Variante auch die Bezeichnung Civil Rights Class Action einbrachte. Obgleich dieses Anwendungsgebiet auch historisch den Anstoß zum Erlass der Rule 23(b)(2) gegeben hat, 44 ist sie heutzutage bei weitem nicht hierauf beschränkt, sondern kommt auch in Fällen von Preisdiskriminierungen bestimmter Gruppen oder bei Benachteiligungen in der Ausführung komplexer administrativer Verfahren beispielsweise auf der Grundlage des Social Security Act 45 oder dem U.S. Food Stamp Programm zum Einsatz. 46 Moore’s Federal Practice V, § 23.42. Robertson v. Nat’l Basketball Ass’n, 556 F.2d 682, 685 (2d Cir. 1977); Wright/Miller/ Kane, § 1774; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 102. 41 Newberg/Rubenstein, § 4:18. 42 Newberg/Rubenstein, § 4:16. Siehe hierzu Rule 22 Fed. R. Civ. P. und 11 U.S.C.A. §§ 101 ff. 43 Zu der umstrittenen Konstellation einer b(2) Class Action in der die Beklagten und nicht die Kläger die Gruppe bilden siehe Newberg/Rubenstein, § 4:46. 44 Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 102 (1966); Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 564 U.S. 338, 361, 131 S. Ct. 2541, 2558, 180 L. Ed. 2d 374 (2011). 45 Califano v. Yamasaki, 442 U.S. 682, 701, 99 S. Ct. 2545, 2557, 61 L. Ed. 2d 176 (1979); Verdow ex rel. Meyer v. Sutkowy, 209 F.R.D. 309, 313 (N.D.N.Y. 2002); m. w. N. Wright/ Miller/Kane, § 1775 Fn. 46. 46 Almendares v. Palmer, 222 F.R.D. 324, 333 (N.D. Ohio 2004); Reynolds v. Giuliani, 118 F. Supp. 2d 352, 391 (S.D.N.Y. 2000); m. w. N. Wright/Miller/Kane, § 1775 Fn. 47. 39 40
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Damit ein Verfahren nach dieser Variante angestrebt werden kann, bedarf es zunächst eines Handelns oder Unterlassens des Beklagten, das die Gruppe als Ganzes betrifft. Dabei steht das die Gruppe verbindende Element im Zentrum, das dafür sorgt, dass die Mitglieder dem angegriffenen Verhalten des Beklagten gemeinsam ausgesetzt sind. 47 Das Verhalten des Beklagten muss zudem einer Abhilfe durch ein Anordnungs- oder Feststellungsurteil zugänglich sein, wobei eine Feststellung nur dann begehrt werden kann, wenn deren Reichweite der eines Anordnungsurteils entspricht oder ein solches vorbereitet. 48 Abschließend muss die Anordnung oder Feststellung der Gruppe als Ganzes zugutekommen. Dieses Erfordernis ist nur dann erfüllt, wenn es nur einer einzigen Anordnung oder Feststellung bedarf, um für alle Gruppenmitglieder Abhilfe zu schaffen. Müsste die Anordnung für jedes Mitglied oder bestimmte Teile der Gruppe angepasst werden, so kann die Klage nicht unter dieser Variante zugelassen werden. 49 Die letzte, in Rule 23(b)(3) normierte Variante der Class Action hebt sich deutlich von den anderen Erscheinungsformen ab und ist gleichzeitig mit Abstand die mit der größten praktischen Relevanz. 50 Ihre Sonderstellung erklärt sich aus dem zunächst merkwürdig anmutenden Zusammenspiel der erweiterten Rechtsfolge der Variante und ihrer zugleich gelockerten Anforderungen an die Verbundenheit der Gruppe. So ermöglicht die (b)(3) Class Action auf der einen Seite als einzige Variante die primäre Verfolgung von Schadensersatz, 51 setzt aber keine mit den Varianten (b)(1) oder (b)(2) vergleichbare Verbindung der Gruppenmitglieder dergestalt voraus, dass diese zwingend durch eine gegen ein einzelnes Mitglied ergangene Entscheidung tangiert werden. 52 Die Gruppe wird ausschließlich aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen zugelassen und zwar dann, wenn ihr gemeinsame Streitpunkte die individuellen Unterschiede zwischen den Ansprüchen der Gruppenmitglieder überwiegen (predominance) und die Class Action in der Folge das bestgeeignete Mittel darstellt, um den Rechtsstreit einer effizienten und gerechten Lösung zuzuführen (superiority). Um die verfassungsmäßigen Rechte der Gruppenmitglieder zu wahren, 53 sieht Rule 23(c)(2)(B) vor, dass bei einer Class Action nach dieser Variante die Gruppenmitglieder zwingend über die Zulassung der Class Action benachrichtigt werden müssen und die47
Newberg/Rubenstein, § 4:28; Wright/Miller/Kane, § 1775. Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 102 (1966); Coca-Cola Bottling Co. of Elizabethtown v. Coca-Cola Co., 98 F.R.D. 254, 271 (D. Del. 1983); Wright/Miller/Kane, § 1775. 49 Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 564 U.S. 338, 362, 131 S. Ct. 2541, 2558, 180 L. Ed. 2d 374 (2011). 50 Fitzpatrick, 7 J. Empirical Legal Stud. 811, 814 (2010). 51 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 614, 117 S. Ct. 2231, 2245, 138 L. Ed. 2d 689 (1997); Newberg/Rubenstein, § 4:47; Moore’s Federal Practice V, § 23.44. 52 Newberg/Rubenstein, § 4:49. 53 Hier geht es in erster Linie um den Due-Process-Grundsatz, dazu Teil 3 – C.II. 48
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
sen das Recht gewährt werden muss, sich durch Erklärung von der Bindungswirkung zu lösen. 54 Aufgrund der vergleichsweise losen Verbundenheit der Gruppenmitglieder steht ein Opt-Out bei dieser Variante auch nicht, wie beispielsweise bei einer (b)(2) Class Action, diametral dem Zweck der Kollektivierung entgegen. Wie bereits angesprochen, wurde die Class Action auf Schadensersatz nach Rule 23(b)(3) ausdrücklich zur Bekämpfung von Streuschädigungen implementiert, 55 weswegen sich die hier erfolgende Darstellung vorwiegend ihr widmet. Auf die besonderen Voraussetzungen der Rule 23(b)(3) wird dabei im Anschluss an die Darstellung der allgemeinen Voraussetzungen der Class Action eingegangen, da diese in nicht unerheblichem Umfang miteinander korrespondieren.
II. Geschriebene und ungeschriebene Voraussetzungen nach Rule 23(a) Unabhängig davon, welcher Kategorie eine Class Action zuzuordnen ist, muss sie zunächst die allgemeinen Voraussetzungen nach Rule 23(a) erfüllen. In Bezug auf die Gruppe wird dabei verlangt, dass diese so groß ist, dass eine Klageverbindung nicht möglich ist [numerosity Rule 23(a)(1)] und dass bei allen Mitgliedern gemeinsame Streitpunkte vorhanden sind [commonality Rule 23(a)(2)]. Der Repräsentant muss Inhaber eines Anspruches sein, der typisch für die gesamte Gruppe ist [typicality Rule 23(a)(3)] und die Gruppe zudem fair und angemessen vertreten [Rule 23(a)(4)]. 56 Damit diese (geschriebenen) Voraussetzungen erfüllt werden können, ist es denklogisch notwendig, dass eine „Class“ also eine identifizierbare Gruppe, überhaupt besteht, und der Repräsentant auch Mitglied dieser Gruppe ist. 57 Die Definition der Gruppe entfaltet dabei wesentliche Auswirkungen für den Verlauf des Verfahrens und korreliert mit diversen weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen. Wegen der umfassenden Benachrichtigungspflichten und der weitreichenden Rechtsfolgen gilt das im Besonderen für die Schadensersatzklage nach 23(b)(3). 58 Dennoch haben sich bislang keine einheit54
Wright/Miller/Kane, § 1777. Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 103 (1966); ausführlich Sabbey, 10 B.C.Ind. & Com. L. Rev. 539 (1969). 56 Die einzelnen Voraussetzungen korrespondieren dabei sehr stark miteinander, die Übergänge zwischen ihnen sind fließend. 57 Ad-Hoc Comm. v. City of St. Louis, 143 F.R.D. 216, 216 (E.D. Mo. 1992); In re A.H. Robins Co, Inc., 880 F.2d 709, 728 (4th Cir. 1989); Jenson v. Eveleth Taconite Co., 139 F.R.D. 657, 659 (D. Minn. 1991); Stambaugh v. Kansas Dep’t of Corr., 151 F.R.D. 664, 671 (D. Kan. 1993); Moore’s Federal Practice V, § 23.20; Wright/Miller/Kane, § 1759. 58 Marcus v. BMW of N. Am., LLC, 687 F.3d 583, 592 (3d Cir. 2012); In re Fosamax Products Liability Litigation, 248 F.R.D. 389, 396 (S.D. N.Y. 2008); Newberg/Rubenstein, § 3:2; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 35. Insbesondere bei der Class Action zur Anordnung und Feststellung nach Rule 23(b)(2) werden an die Definition der Gruppe nur sehr geringe Ansprüche gestellt, da in der Rechtsfolge ohnehin nur eine einzige Feststellung ergehen muss und individuelle Benachrichtigungen in der Regel nicht 55
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
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lichen Maßstäbe durchsetzen können, nach denen die Definition der Gruppe zu erfolgen hat. 59 Weitgehende Einigkeit besteht zumindest darüber, dass die Gruppenmitglieder bei Klageerhebung weder namentlich bekannt sein müssen, noch deren genaue Anzahl feststehen muss. 60 Das ist im Besonderen für Streuschadensfälle relevant, da der Kläger andernfalls bereits bei Klageerhebung vor die beinahe aussichtlose Aufgabe gestellt werden würde, die konkrete Betroffenheit der Gruppenmitglieder, beispielsweise durch die Beibringung von Kaufquittungen, belegen zu müssen. 61 Grundsätzlich muss die Gruppenmitgliedschaft nach objektiven Kriterien feststellbar sein. 62 Einige Gerichte verlangen zudem, dass die Identifikation der Gruppenmitglieder durch eine zuverlässige und nicht zu aufwändige Methode möglich sein muss. 63 Ist die Gruppe erst einmal definiert, bereitet das zweite ungeschriebene 64 Merkmal für gewöhnlich kaum Schwierigkeiten. 65 Der Repräsentant muss Mitglied der Gruppe und zudem nach den allgemeinen Voraussetzungen klagebefugt sein (standing) . 66 Wird eine Class Action darüber hinaus aufstattfinden; Shelton v. Bledsoe, 775 F.3d 554, 561 (3d Cir. 2015); Kurlander v. Kroenke Arena Co., LLC, 276 F. Supp. 3d 1077, 1084 (D. Colo. 2017); Braggs v. Dunn, 317 F.R.D. 634, 671 (M.D. Ala. 2016). 59 Wright/Miller/Kane, § 1760. 60 Brecher v. Republic of Argentina, 802 F.3d 303, 305 n. 2 (2d Cir. 2015); In re Tetracycline Cases, 107 F.R.D. 719, 728 (W.D. Mo. 1985); Davoll v. Webb, 160 F.R.D. 142, 144 (D. Colo. 1995); Cook v. Rockwell Int’l Corp., 151 F.R.D. 378, 382–383 (D. Colo. 1993); Joseph v. General Motors Corp., 109 F.R.D. 635, 638 (D. Colo. 1986); Wright/Miller/Kane, § 1760; Moore’s Federal Practice V, § 23.21. 61 Mullins v. Direct Digital, LLC, 795 F.3d 654, 662 (7th Cir. 2015). 62 AstraZeneca AB v. UFCW (In re Nexium Antitrust Litig.), 777 F.3d 9, 19 (1st Cir. 2015); Carrera v. Bayer Corp., 727 F.3d 300, 305 (3d Cir. 2013); EQT Prod. Co. v. Adair, 764 F.3d 347, 358 (4th Cir. 2014); Young v. Nationwide Mut. Ins. Co., 693 F.3d 532, 538–539 (6th Cir. 2012); Elliott v. ITT Corp., 150 F.R.D. 569, 573–574 (N.D. Ill. 1992); McKeage v. TMBC, LLC, 847 F.3d 992, 999 (8th Cir. 2017); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.222.; Moore’s Federal Practice V, § 23.21. 63 Darüber, ob dies erforderlich ist, ob und wie diese Methode vom Kläger dargelegt werden muss, wird, insbesondere zwischen dem 3th Circuit Court einerseits und dem 7th sowie dem 9th Circuit Court andererseits, heftig gestritten. Eine ausführliche Aufarbeitung der Auseinandersetzung mit entsprechenden Nachweisen findet sich in Mullins v. Direct Digital, LLC, 795 F.3d 654, 659–672 (7th Cir. 2015); hierzu auch Moore’s Federal Practice V, § 23.21. 64 Diese Voraussetzung ist weit weniger ungeschrieben als die der Existenz einer Gruppe, heißt es doch in 23(a) „One or more members of a class may sue or be sued as representative parties on behalf of all members only if […]“, Newberg/Rubenstein, § 3:8. 65 Selbst Gerichte, die das Bestehen einer definierbaren Gruppe eingehender thematisieren, führen oft gar nicht zur Mitgliedschaft des Repräsentanten aus, siehe Piedmont Office Tr., Inc. Sec. Litig., 264 F.R.D. 693 (N.D. Ga. 2010); Grimes v. Rave Motion Pictures Birmingham, L.L.C., 264 F.R.D. 659, 663 (N.D. Ala. 2010); Bakalar v. Vavra, 237 F.R.D. 59, 64–66 (S.D. N.Y. 2006). Nur sehr knapp hierzu Macedonia Church v. Lancaster Hotel Limited Partnership, 270 F.R.D. 107, 114–116 (D. Conn. 2010). 66 Wright/Miller/Kane, § 1761; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 79 f.; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 63.
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grund eines Streuschadensereignisses angestrengt, so liegen auch die die Gruppe betreffenden geschriebenen Voraussetzungen der numerosity und der commonality nach Rule 23(a)(1) und (2) regelmäßig relativ unproblematisch vor. Entsprechend den Anforderungen der Rule 23(a)(1) wird eine Klageverbindung (joinder) in diesen Fällen kaum in Betracht kommen. Entgegen der Bezeichnung dieser Voraussetzung als „numerosity“ (deutsch: Anzahl) ist die absolute Größe der Gruppe, 67 wenn sie auch wohl das wichtigste Kriterium darstellt, 68 keineswegs allein dafür ausschlaggebend, dass dieses Erfordernis erfüllt ist. 69 In die Entscheidung, ob eine Klageverbindung im konkreten Fall als zu schwierig oder zu aufwändig 70 angesehen wird, fließen auch Faktoren wie Erwägungen der Prozessökonomie, 71 die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Individualklagen kommt, 72 sowie die geographische Verteilung der Gruppenmitglieder 73 mit ein. Das Gesamtbild all dieser Indikatoren bildet die Grundlage für die Entscheidung des Richters, der jedoch einen
67 Als „Faustformel“ lässt sich sagen, dass die Gerichte bei Gruppen unter 20 Mitgliedern eher dazu neigen eine Class Action abzulehnen, bei über 40 eher dazu, eine Class Action zuzulassen, Moore’s Federal Practice V, § 23.22. Eine für den deutschen Leser schon skurril anmutende Auflistung von Urteilen zu einzelnen Gruppenstärken findet sich bei Wright/Miller/Kane, § 1762. 68 Walco Invs., Inc. v. Thenen, 168 F.R.D. 315, 324 (S.D. Fla. 1996); Moore’s Federal Practice V, § 23.22. 69 In re Modafinil Antitrust Litig., 837 F.3d 238, 267 (3d Cir. 2016); Koch v. Jerry W. Bailey Trucking, Inc., No. 1:14-CV-72-HAB, 2019 WL 2138775, at *3 (N.D. Ind. 2019); Holak v. Kmart Corp., No. 1:12-CV-00304 AWI, 2014 WL 2565902, at *12 (E.D. Cal. 2014); Newberg/Rubenstein, § 3:11; Moore’s Federal Practice V, § 23.22; Schneider, Class Actions S. 21. Bei einer sehr großen Zahl an Mitgliedern schlossen einzelne Gerichte allerdings auch allein daraus auf das Vorliegen der Voraussetzung, Mathis v. Bess, 138 F.R.D. 390, 393 (S.D.N.Y. 1991) (120 Mitglieder); Moskowitz v. Lopp, 128 F.R.D. 624, 628 (E.D. Pa. 1989) (über 6000 Mitglieder). 70 Es ist nicht nötig, dass die Klageverbindung als unmöglich anzusehen ist, Robidoux v. Celani, 987 F.2d 931, 935 (2d Cir. 1993); Liberty Lincoln Mercury, Inc. v. Ford Mktg. Corp., 149 F.R.D. 65, 73 f. (D.N.J. 1993); Walco Investments, Inc. v. Thenen, 168 F.R.D. 315, 324 (S. D. Fla. 1996); Castano v. American Tobacco Co., 160 F.R.D. 544, 550 (E.D. La. 1995); Moore’s Federal Practice V, § 23.22; Spindler, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Prozessvergleiche, S. 99 f. 71 In re Drexel Burnham Lambert, 960 F.2d 285, 290 (2d Cir. 1992); McMahon Books, Inc. v. Willow Grove Assocs., 108 F.R.D. 32, 35 (E.D. Pa. 1985); Moore’s Federal Practice V, § 23.22. 72 Moore’s Federal Practice V, § 23.22. Dabei kann es unter anderem auf die Höhe der einzelnen Schäden, Modern Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797, 809, 105 S. Ct. 2965, 2973 (1985), die soziale Situation der Kläger, Slanina v. William Penn Parking Corp., 106 F.R.D. 419, 423–424 (W.D. Pa. 1984), deren Englisch- und Rechtskenntnisse, Rodriguez v. Berrybrook Farms, Inc., 672 F. Supp. 1009, 1013 (W.D. Mich. 1987) sowie deren finanzielle Situation ankommen, Block v. First Blood Ass’n 125 F.R.D. 39, 42 (S.D.N.Y. 1989). 73 Riordan v. Smith Barney, 113 F.R.D. 60, 62 (N.D. Ill 1986); Tietz v. Bowen, 695 F. Supp. 441, 445 (N.D. Cal. 1987); Kilgo v. Bowman Transp., Inc., 789 F.2d 859, 878 (11th Cir. 1986).
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relativ weiten Ermessensspielraum hat und je nach Fall einzelne Faktoren stärker oder weniger stark gewichten kann. 74 Auch die Voraussetzung der Rule 23(a)(2), commonality, die fordert, dass die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche rechtliche oder faktische Gemeinsamkeiten aufweisen, führt generell, und in Streuschadensfällen im Besonderen, selten zur Abweisung einer Class Action. Das liegt zum einen daran, dass die Gerichte nur sehr geringe Anforderungen an das Merkmal stellen. So muss entgegen dem Wortlaut (Questions) nach der vorherrschenden Praxis nur eine gemeinsame Frage vorliegen, 75 und diese muss nach Ansicht eines Großteils der Gerichte nicht einmal alle Mitglieder betreffen, es genügt, wenn sie die meisten betrifft. 76 Zum anderen erfolgt die Prüfung des Merkmals häufig, wenn überhaupt, kursorisch, 77 da Rule 23 in dieser Hinsicht eine gewisse Redundanz aufweist. So ist nicht nur der Übergang zum Merkmal der Rule 23(a)(3), typicality, fließend, 78 die Gemeinsamkeiten der Ansprüche sind darüber hinaus, soweit es sich um eine Class Action auf Schadensersatz nach Rule 23(b)(3) handelt, ebenfalls nach den strengeren Maßstäben des Merkmals der predominance zu untersuchen. 79 Die commonality steht in engem Zusammenhang mit der typicality, der dritten Voraussetzung der Rule 23(a). Diese ist quasi das Verbindungsstück zwischen der Gruppe und dem Repräsentanten und soll sicherstellen, dass ein Repräsentant, wenn er seinen eigenen Anspruch verfolgt, sich zugleich
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Newberg/Rubenstein, § 3:11. Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 564 U.S. 338, 359, 131 S. Ct. 2541, 2556, 180 L. Ed. 2d 374 (2011); Enriquez v. Cherry Hill Mkt. Corp., 993 F. Supp. 2d 229, 233 (E.D.N.Y. 2013); Thomas v. Louisiana-Pac. Corp., 246 F.R.D. 505, 513 (D.S.C. 2007); Jimenez v. Allstate Ins. Co., 765 F.3d 1161, 1165 (9th Cir. 2014); Moore’s Federal Practice V, § 23.23; m. w. N. auch zur Rechtsprechung aus dem 1st, 3rd, 5th, 6th, und 7th Circuit Newberg/Rubenstein, § 3:20 Fn. 1. 76 Newberg/Rubenstein, § 3:23; die Frage wird selten explizit behandelt, die meisten Entscheidungen ergingen von Gerichten des 5th Circuit, O’Sullivan v. Countrywide Home Loans, Inc., 319 F.3d 732, 741 (5th Cir. 2003); James v. City of Dallas, Tex., 254 F.3d 551, 570 (5th Cir. 2001); Jenkins v. Raymark Indus., Inc., 782 F.2d 468, 472 (5th Cir. 1986). Aus anderen Circuits: Braggs v. Dunn, 317 F.R.D. 634, 656 (M.D. Ala. 2016); Collinge v. IntelliQuick Delivery, Inc., 2015 WL 1292444, at *13 (D. Ariz. 2015); Meijer, Inc. v. Warner Chilcott Holdings Co. III, 246 F.R.D. 293, 300 (D.D.C. 2007). 77 Wright/Miller/Kane, § 1762 m. N. in Fn. 4 und 5; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 87. 78 Gen. Tel. Co. of Sw. v. Falcon, 457 U.S. 147, 158, 102 S. Ct. 2364, 2371, 72 L. Ed. 2d 740 (1982); Armstrong v. Davis, 275 F.3d 849, 868 (9th Cir. 2001). Obgleich beide Merkmale im System der Class Action eine unterschiedliche Bedeutung haben, liegen sie inhaltlich sehr nahe beieinander. So kann der Anspruch des Repräsentanten kaum typisch für die Gruppe sein, wenn dieser nicht gemeinsame Fragen zugrunde liegen, Newberg/Rubenstein, § 3:26; Moore’s Federal Practice V, § 23.23. 79 Weiss v. York Hosp., 745 F.2d 786, 809 (2d Cir. 1984); Danvers Motor Co., Inc. v. Ford Motor Co., 543 F.3d 141, 148 (3d Cir. 2008); Applewhite v. Reichhold Chems., Inc., 67 F.3d 571, 573 (5th Cir. 1995); ausführlich Teil 3 – C.III.1. 75
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für die Ansprüche der Gruppenmitglieder einsetzt. 80 Hierfür verlangt sie, dass die Ansprüche des oder der Repräsentanten in der Gestalt typisch für die Gruppe sind, dass sie auf denselben Ereignissen, Verhaltensmustern oder Anspruchsgrundlagen beruhen. 81 Bei kartellrechtlichen Klagen genügt hier die Betroffenheit von derselben Preisabsprache, 82 in Anlagebetrugsfällen dieselbe zugrundeliegende falsche Angabe über die Wertpapiere 83 und im Verbraucherschutzrecht das Vorliegen einer ähnlichen Vertragsbeziehung zu dem Beklagten. 84 Insgesamt werden also ebenfalls keine besonders strengen Anforderungen gestellt. 85 So ist es beispielsweise nicht nötig, dass die Ansprüche von Gruppe und Repräsentant identisch sind 86 oder ihnen jeweils dieselbe Schadenshöhe zugrunde liegt. 87 Auch eine Widerklage gegen den Repräsentanten ist für das Vorliegen der Voraussetzung in der Regel unschädlich. 88 Dagegen kann die Class Action unter diesem Gesichtspunkt nicht zugelassen werden, wenn faktische oder rechtliche Unterschiede zwi80 In re Am. Med. Sys., Inc., 75 F.3d 1069, 1082 (6th Cir. 1996); Sapir v. Averback, No. 14CV-07331, 2015 WL 858283, at *2 (D.N.J. 2015); Newberg/Rubenstein, § 3:29; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 88 f.; Schneider, Class Actions, S. 22. 81 Strouchler v. Shah, 286 F.R.D. 244, 247 (S.D. N.Y. 2012); Deering v. Galena Biopharma, Inc. WL 4954398, at *9 (D. Or. 2014); Agnone v. Camden Cty., Georgia, WL 1368634, at *6 (S.D. Ga. 2019); Moore’s Federal Practice V, § 23.24; Wright/Miller/Kane, § 1764; m. w. N. zu Urteilen aus dem 3rd, 5th, 6th, 7th, 10th Circuit Newberg/Rubenstein, § 3:29 Fn. 5. 82 In re Chlorine & Caustic Soda Antitrust Litig., 116 F.R.D. 622, 626 (E.D. Pa. 1987); In re Aluminum Phosphide Antitrust Litig., 160 F.R.D. 609, 613 (D. Kan. 1995); In re Catfish Antitrust Litig., 826 F. Supp. 1019, 1036 (N.D. Miss. 1993); Moore’s Federal Practice V, § 23.24. 83 Friedlander v. Barnes, 104 F.R.D. 417, 419 (S.D.N.Y. 1984); Simpson v. Specialty Retail Concepts, 149 F.R.D. 94, 100–101 (M.D.N.C. 1993); In re Amerifirst Sec. Litigation, 139 F.R. D. 423, 428–429 (S.D. Fla. 1991); Moore’s Federal Practice V, § 23.24. 84 Durrett v. John Deere Co., 150 F.R.D. 555, 558 (N.D. Tex. 1993); Demitropoulos v. Bank One Milwaukee, N.A., 915 F. Supp. 1399, 1418 (N.D. Ill. 1996); Heartland Communications, Inc. v. Sprint Corp., 161 F.R.D. 111, 116 (D Kan. 1995). 85 Forbush v. J.C. Penney Co., Inc., 994 F.2d 1101, 1106 (5th Cir. 1993); Alpern v. UtiliCorp United, Inc. 84 F.3d 1525, 1540 (8th Cir. 1996); Moore’s Federal Practice V, § 23.24; Zirngibl, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 37; Koch, Kollektiver Rechtsschutz, S. 35. 86 H.M, Trief v. Dun & Bradstreet, 144 F.R.D. 193, 200 (S.D.N.Y. 1992); Simpson v. Specialty Retail Concepts, 149 F.R.D. 94, 99 (M.D.N.C. 1993); Hanon v. Dataprod. Corp., 976 F.2d 497, 508 (9th Cir. 1992); Goodnight v. Shalala, 837 F. Supp. 1564, 1583 (D. Utah 1993); Kornberg v. Carnival Cruise Lines, Inc., 741 F.2d 1332, 1337 (11th Cir. 1984); Moore’s Federal Practice V, § 23.24; Newberg/Rubenstein, § 3:29; Wright/Miller/Kane, § 1764. 87 In re LIBOR-Based Fin. Instruments Antitrust Litig., 299 F. Supp. 3d 430, 589 (S.D.N. Y. 2018); In re Wal-Mart Stores, Inc. Wage & Hour Litig., 2008 WL 413749, at *11 (N.D. Cal. 2008); Coleman through Bunn v. District of Columbia, 306 F.R.D. 68, 83 (D.D.C. 2015); Wright/Miller/Kane, § 1764; m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 1st, 6th, 8th, 10th und 11th Circuits siehe Newberg/Rubenstein, § 3:43 Fn. 1. 88 Int’l Woodworkers of Am., AFL-CIO, CLC v. Chesapeake Bay Plywood Corp., 659 F.2d 1259, 1269 (4th Cir. 1981); Owner-Operator Independent Drivers Ass’n v. Mayflower Transit, Inc., 204 F.R.D. 138, 147 (S.D. Ind. 2001); Ballard v. Equifax Check Services, Inc., 186 F.R.D. 589, 595–96 (E.D. Cal. 1999); Newberg/Rubenstein, § 3:46.
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schen dem Repräsentanten und der Gruppe vorliegen, die Kernfragen der geltend gemachten Ansprüche betreffen. 89 Dasselbe gilt, wenn der Repräsentant Einwendungen oder Einreden geltend machen kann, die der restlichen Gruppe nicht zur Verfügung stehen und die eine gewisse Relevanz für den Fall entfalten. 90 Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das letztgenannte Erfordernis der Rule 23(a), das verlangt, dass der Gruppenrepräsentant die abwesenden Mitglieder gerecht und angemessen repräsentiert, aufgrund seiner unmittelbaren Genese aus dem U.S.-Verfassungsrecht, die wichtigste Komponente in diesem Katalog darstellt. 91 Basierend auf dem V. und dem XIV. Zusatzartikel der amerikanischen Bundesverfassung gilt in den U.S.A. der sogenannte Due-Process-Grundsatz, der besagt, dass der Staat nicht ohne angemessenes Verfahren über Leben, Freiheit oder Vermögen einer Person verfügen darf. 92 Den Kern eines solchen angemessenen Verfahrens stellt die Gewährung rechtlichen Gehörs dar, 93 die für die abwesenden Gruppenmitglieder im Rahmen der Class Action allerdings meist nur kaum oder gar nicht gewährleistet werden kann. 94 Um dieses Defizit auszugleichen ist es nach amerikanischer Rechtsauffassung möglich, dass der Repräsentant das Recht auf rechtliches Gehör für die abwesenden Gruppenmitglieder wahrnimmt. Für eine solche mittelbare Rechtswahrnehmung ist es eben aber erforderlich, dass diese Vertretung gerecht und angemessen erfolgt. Hierbei ist der interest theory zufolge ein Gleichlauf zwischen den Interessen des Repräsentanten und der Gruppenmitglieder von Nöten, da nur auf diese Weise eine angemessene Vertretung sichergestellt werden könne. 95 Vor diesem 89 Deiter v. Microsoft Corp., 436 F.3d 461, 466 (4th Cir. 2006); Broussard v. Meineke Disc. Muffler Shops, Inc., 155 F.3d 331, 340 (4th Cir. 1998); In re Am. Med. Sys., Inc., 75 F.3d 1069, 1083 (6th Cir. 1996); Love v. Turlington, 733 F.2d 1562, 1564 (11th Cir. 1984). 90 Hanon v. Dataproducts Corp., 976 F.2d 497, 508 (9th Cir. 1992); Loughlin v. Amerisave Mortg. Corp., 2019 WL 1495302, at *9 (N.D. Ga. 2019); Newberg/Rubenstein, § 3:45. Im umgekehrten Fall ebenfalls, also wenn der Mehrheit der Gruppe (99 %) eine solche Einrede zusteht, dem Repräsentanten aber nicht, Jensen v. Cablevision Sys. Corp., 372 F. Supp. 3d 95, 122 (E.D.N.Y. 2019). 91 In re LILCO Litig., 111 F.R.D. 663, 672 (E.D.N.Y. 1986); Johnson v. Shreveport Garment Co., 422 F. Supp. 526, 531 (W.D. La. 1976); Ballan v. Upjohn Co., 159 F.R.D. 473, 482 (W.D. Mich. 1994); Bishop v. Committee on Prof’l Ethics, 686 F.2d 1278, 1288 (8th Cir. 1982); Moore’s Federal Practice V, § 23.25; Newberg/Rubenstein, § 3:50. 92 U.S. Const. Amend V, XIV; ausführlich hierzu auch Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 55 ff. 93 Hierzu grundlegend Grannis v. Ordean, 234 U.S. 385, 394, 34 S. Ct. 779, 783, 58 L. Ed. 1363 (1914) m. w. N. 94 Häufig erreicht die Mitteilung die Gruppenmitglieder gar nicht. Doch selbst wenn sie das tut, sind deren Möglichkeiten sich einzubringen sehr beschränkt, siehe Teil 3 – C.V. 1.b). 95 Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32, 61 S. Ct. 115, 85 L. Ed. 22 (1940); ausführlich hierzu auch Yeazell, 27 UCLA L. Rev. 1067, 1102 ff. (1980). Damit steht das Merkmal auch in enger Verbindung zur typicality. Gemeinsamer Grundgendanke beider Voraussetzungen ist es, dass ähnliche Ansprüche zu ähnlichen Interessen führen und ähnliche Interessen eine faire
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Hintergrund erklärt es sich auch, dass für die Auslegung des Merkmals der gerechten und angemessenen Repräsentation weniger die Eigenschaften des Repräsentanten eine zentrale Rolle spielen, als vielmehr die Abwesenheit von Interessenkonflikten zwischen ihm und den Gruppenmitgliedern. 96 Eine weitere Folge der verfassungsrechtlichen Genese des Merkmals ist dessen doppelte Relevanz im Hinblick auf die Rechtsfolge. So ist die angemessene Vertretung entsprechend Rule 23(a)(4) zwar Voraussetzung für die Zulassung der Class Action, als Ausfluss aus dem Due-Process-Grundsatz entscheidet sie aber auch darüber, ob ein Urteil über die Class Action für die abwesenden Gruppenmitglieder in Rechtskraft erwächst. 97 Besteht nicht durchgehend eine angemessene Vertretung, so kann die Bindungswirkung des Urteils auch noch in einem späteren Verfahren durch eine collateral attack angegriffen werden. 98 Obgleich Rule 23(a) ihrem Wortlaut nach nur verlangt, dass der Gruppenrepräsentant die Gruppe gerecht und angemessen vertritt, war wegen der hervorgehobenen Position, die der Gruppenanwalt im Rahmen einer Class Action innehat, 99 lange anerkannt, dass die Norm dieselben Anforderungen auch an ihn stellt. Da die Rolle der Gruppenanwälte im Laufe der Zeit immer zentraler für die Class Action wurde, standen sie in jüngeren Entscheidungen sogar regelmäßig im Zentrum der Betrachtung. 100 Das führte so weit, dass unter einigen Autoren die Forderung laut wurde, die Systematik der Class Action grundlegend zu ändern und auf die kaum mehr bedeutende Rolle des Repräsentanten gänzlich zu verzichten. 101 Dem entsprach der Gesetzgeber zwar nicht, er reagierte auf die Entwicklung aber, indem er 2003 Rule 23(g) erließ, die neben den Vorgaben für die Auswahl des Gruppenanwalts auch Ausführungen zu dessen Pflichtenprogramm enthält. 102 Der Umgang der Gerichte mit dieser neuen Regelung ist allerdings bis heute nicht einheitlich. Einige ignorieren die Gesetzesänderung vollständig und prüfen die Angemessenheit der anwaltlichen Vertretung weiter unter Rule und adäquate Vertretung zumindest bedingen, Newberg/Rubenstein, § 3:57; Wright/Miller/Kane, § 1764. 96 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 594, 117 S. Ct. 2231, 2236, 138 L. Ed. 2d 689 (1997); Newberg/Rubenstein, § 3:45. 97 Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Implementation Newberg/Rubenstein, § 3:51; hierzu auch grundlegend Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32, 61 S. Ct. 115, 85 L. Ed. 22 (1940). 98 Gonzales v. Cassidy, 474 F.2d 67, 72 et seq. (5th Cir. 1973); Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 89; siehe auch Black’s Law Dictionary, COLLATERAL ATTACK. 99 Siehe vertieft Teil 3 – C.V. 2. 100 Cooper, 40 AZLR 923, 927 (1998); Phillips v. Asset Acceptance, LLC, 736 F.3d 1076, 1080 (7th Cir. 2013); New Directions Treatment Servs. v. City of Reading, 490 F.3d 293, 313 (3d Cir. 2007); Newberg/Rubenstein, § 3:52. 101 Burns, 42 Hastings L.J. 165 (1990); Macey/Miller, 58 U. Chi. L. Rev. 1, 5 (1991); Newberg/Rubenstein, § 2:52; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 92. 102 Siehe hierzu Rule 23(g)(B).
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23(a)(4), andere verorten sie teilweise in Rule 23(a)(4) und teilweise in Rule 23(g), wieder andere haben die Prüfung geschlossen in Rule 23(g) verlagert. 103 Unabhängig davon, welchen Ansatz man hier für dogmatisch sinnvoller hält, gilt es für die aktuelle Anwendungspraxis festzuhalten, dass zwar eine Unsicherheit bezüglich des Verhältnisses der beiden Normen besteht, die Gerichte aber weiterhin und teilweise sogar in gesteigerter Form ihr Augenmerk auch auf die Rolle des Gruppenanwalts legen. 104 Für die hier erfolgende Darstellung wird die Einführung der Rule 23(g) als Wunsch des Gesetzgebers dahingehend gedeutet, im Rahmen von Rule 23(a)(4) fortan nur noch die Angemessenheit der Vertretung des Repräsentanten zu überprüfen. 105 Dementsprechend finden sich die Ausführungen zum Gruppenanwalt unten. 106 Inhaltlich erfordert Rule 23(a)(4) vom Repräsentanten nicht die bestmögliche, sondern lediglich eine adäquate Vertretung. 107 Dem entspricht ein Repräsentant im Idealfall, wenn er die Klage energisch vorantreibt, sich mit ihr identifiziert und damit den Schutz der abwesenden Gruppenmitglieder gewährleistet. 108 Die Anforderungen an den Repräsentanten variieren dabei aber stark von Fall zu Fall 109 und sind, wie oben bereits erwähnt, hinsichtlich seiner Person nicht sonderlich hoch. So soll er zwar grundsätzlich über die wesentlichen Tatsachen des Falles im Bilde sein, vertiefte Kenntnisse insbesondere rechtlicher Natur werden aber nicht erwartet. 110 Die Ausrichtung 103 Zwischen den drei genannten Verhaltensweisen gibt es auch noch Abstufungen, hierzu ausführlich m. N. zu den einzelnen Rechtsprechungspraktiken Newberg/Rubenstein, § 3:80. 104 Hilton v. Wright, 235 F.R.D. 40, 54 (N.D. N.Y. 2006); McCall v. Drive Financial Services, L.P., 236 F.R.D. 246, 254 (E.D. Pa. 2006); Stair ex rel. Smith v. Thomas & Cook, 254 F. R.D. 191, 199 n. 5 (D.N.J. 2008); Stanich v. Travelers Indem. Co., 259 F.R.D. 294, 318 (N.D. Ohio 2009). 105 Sheinberg v. Sorensen, 606 F.3d 130, 132–135 (3d Cir. 2010); In re Nat. Football League Players’ Concussion Injury Litigation, 307 F.R.D. 351, 373 (E.D. Pa. 2015); ebenfalls Newberg/Rubenstein, § 3:80. 106 Siehe Teil 3 – C.V. 2. Das soll auch einer Überfrachtung der Darstellung der Rule 23 (a)(4) vorbeugen. 107 Ashe v. Board of Elections in the City of N.Y., 124 F.R.D. 45, 50 (E.D.N.Y. 1989); McGowan v. Faulkner Concrete Pipe Co., 659 F.2d 554, 559 (5th Cir. 1981); Ballan v. Upjohn Co., 159 F.R.D. 473, 482 (W.D. Mich. 1994); Moore’s Federal Practice V, § 23.25. 108 Robinson v. Metro-N. Commuter R.R. Co., 267 F.3d 147, 170 (2d Cir. 2001); Kristensen v. Credit Payment Servs., 12 F. Supp. 3d 1292, 1305 (D. Nev. 2014); Piazza v. Ebsco Indus., Inc., 273 F.3d 1341, 1346 (11th Cir. 2001); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.26; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 89. 109 In re LILCO Litig., 111 F.R.D. 663, 672 (E.D.N.Y. 1986); Ballan v. Upjohn Co., 159 F. R.D. 473, 482 (W.D. Mich. 1994); Kirkpatrick v. J.C. Bradford & Co., 827 F.2d 718, 728 (11th Cir. 1987); Wright/Miller/Kane, § 1765; Moore’s Federal Practice V, § 23.25. 110 In re Crazy Eddie Sec. Litig., 135 F.R.D. 39, 40–41 (E.D.N.Y. 1991); Burkhalter Travel Agency v. MacFarms Int’l, Inc., 141 F.R.D. 144, 153–154 (N.D. Cal. 1991); Rothenberg v. Security Mgmt. Co., Inc., 667 F.2d 958, 962 (11th Cir. 1982); Newberg/Rubenstein, § 3:67; m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 3rd, 5th, 7th und D.C. Circuits Moore’s Federal Practice V, § 23.25.
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der Class Action auf Streuschadenskonstellationen brachte es zudem mit sich, dass von der Vorstellung, ein Gruppenmitglied eigne sich nur dann als Repräsentant, wenn es einen Schaden von nicht unerheblicher Höhe erlitten hat, Abstand genommen wurde. 111 Vor diesem Hintergrund wird auch nicht mehr verlangt, dass der Repräsentant eine gewisse finanzielle Leistungsfähigkeit aufweist. Die Kumulation vieler einzelner Ansprüche führt häufig zu einem durchaus erheblichen Streitwert, so dass es in der Regel die Gruppenanwälte sind, die gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars die Finanzierung der Klage übernehmen. 112 Zudem finden unmittelbare persönliche Merkmale wie das Alter oder der gesundheitliche Zustand des Repräsentanten im Regelfall keine Berücksichtigung. 113 Gleiches gilt auch für Einwände des Beklagten gegen die Integrität oder moralische Glaubwürdigkeit des Repräsentanten. 114 Die Grenze bilden hier aber vorangegangene Straftaten, die inhaltliche Bezüge zum Gegenstand der Klage aufweisen. 115 Weitaus höhere Maßstäbe setzen die Gerichte dagegen an, wenn es um die Abwesenheit von Interessenkonflikten zwischen dem Repräsentanten und der Gruppe geht. Dem Grunde nach kann jeder Konflikt, soweit er mit der Klage in einem inhaltlich Zusammenhang steht und nicht bloß unerheblicher Natur ist, zur Ablehnung des Repräsentanten durch das Gericht führen. 116 Der Konflikt darf allerdings nicht rein hypothetischer Natur sein, 117 111 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 391 F.2d 555, 563–564 (2d Cir. 1968); Plumbers & Pipefitters Nat. Pension Fund v. Burns, 292 F.R.D. 515, 524 (N.D. Ohio 2013); Eufaula Drugs, Inc. v. TDI Managed Care Servs., 250 F.R.D. 670, 678 (M.D. Ala. 2008); In re Oxford Health Plans, Inc., 191 F.R.D. 369, 375 (S.D.N.Y. 2000); Wright/Miller/Kane, § 1767. 112 LaRocque ex rel. Spang v. TRS Recovery Servs., Inc., 285 F.R.D. 139, 152 (D. Me. 2012); Moeller v. Taco Bell Corp., 220 F.R.D. 604, 612 (N.D. Cal. 2004); Californians for Disability Rights, Inc. v. California Dept. of Transp., 249 F.R.D. 334, 348 (N.D. Cal. 2008); Newberg/Rubenstein, § 3:69. 113 Cavin v. Home Loan Center, Inc., 236 F.R.D. 387, 394 (N.D. Ill. 2006); CV Reit, Inc. v. Levy, 144 F.R.D. 690, 698 (S.D. Fla. 1992); McGlothlin v. Connors, 142 F.R.D. 626, 634 (W.D. Va. 1992); Garfinkel v. Memory Metals, Inc., 695 F. Supp. 1397, 1405 (D. Conn. 1988); Newberg/Rubenstein, § 3:71. 114 German v. Fed. Home Loan Mortg. Corp., 168 F.R.D. 145, 155 (S.D.N.Y. 1996); State of Connecticut Office of Prot. & Advocacy for Persons with Disabilities v. Connecticut, 706 F. Supp. 2d 266, 288 (D. Conn. 2010); Bereket v. Portfolio Recovery Assocs., LLC, 2018 WL 6266606, at *4 (W.D. Wash. 2018); Moore’s Federal Practice V, § 23.25; m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 1st, 3rd, 6th, 8th und 10th Circuits Newberg/Rubenstein, § 3:68. 115 Pagan v. The New Wilson’s Meats, Inc, 2011 WL 1876027, at *7 (E.D. Pa. 2011); Stanich v. Travelers Indem. Co., 259 F.R.D. 294, 315 (N.D. Ohio 2009); Smyth v. Carter, 168 F.R. D. 28, 33 (W.D. Va. 1996). 116 Johnson v. Nextel Communications, Inc., 293 F.R.D. 660, 672 (S.D. N.Y. 2013); Ward v. Dixie Nat. Life Ins. Co., 595 F.3d 164, 180; (4th Cir. 2010); In re Online DVD-Rental Antitrust Litig., 779 F.3d 934, 942 (9th Cir. 2015); Grimes v. Fairfield Resorts, Inc., 331 F. App’x 630, 632 (11th Cir. 2007); m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 1st, 3rd, 5th, 6th, 7th, 10th und D.C. Circuits, Newberg/Rubenstein, § 3:58. 117 In re Olsten Corp. Sec. Litig., 3 F. Supp. 2d 286, 296 (E.D.N.Y.); Howell v. Advantage RN, LLC, 2018 WL 3437123, at *7 (S.D. Cal. 2018); m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 3rd, 4th, 10th und D.C. Circuits, Newberg/Rubenstein, § 3:58.
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sondern muss sich bereits zum Entscheidungszeitpunkt manifestiert haben. 118 Das Gericht ist angehalten, nicht nur bei der Zulassung der Klage, sondern während des gesamten Verfahrens eventuelle Interessenkonflikte im Auge zu behalten. 119 Da die möglichen Konfliktursachen sehr vielfältig sind, kann die Darstellung hier nicht abschließend erfolgen und konzentriert sich stattdessen auf gängige Konflikte in Streuschadensfällen. Unterschiede im Anspruchsinhalt stellen nicht notwendigerweise einen Interessenkonflikt dar. Variiert der Anspruch des Repräsentanten und der einiger Gruppenmitglieder ausschließlich in der Höhe des geforderten Schadensersatzes, so nehmen die Gerichte hieran regelmäßig keinen Anstoß. 120 Gleiches gilt, wenn die Ansprüche lediglich auf verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt werden. 121 Anders stellt es sich allerdings dar, wenn sich die Anspruchsziele unterscheiden, der Repräsentant also beispielsweise nur Schadensersatz fordert, ein Teil der Mitglieder aber zusätzlich noch Unterlassung. 122 Hier besteht die Gefahr, dass der Repräsentant sich nur für einen möglichst hohen Schadensersatz einsetzt und dabei die Reichweite des Unterlassungsanspruches vernachlässigt. In ähnlicher Weise divergieren die Interessen, wenn der Repräsentant, zum Beispiel aufgrund der krebserregenden Wirkung von Asbest, bereits einen gesundheitlichen Schaden erlitten hat, in der Gruppe aber auch Mitglieder sind, bei denen erst ein künftiger Schaden zu erwarten ist. 123 Macht der Repräsentant neben dem in der Class Action geltend gemachten Anspruch in einem Individualverfahren noch weitere nicht unerhebliche Ansprüche gegen den Beklagten geltend, so erwächst ein Interessenkonflikt aus der Gefahr, dass der Repräsentant die Class Action dafür benutzt, Druck auf den Beklagten mit dem Ziel eines günstigen Vergleichs in dem Individualverfahren auszuüben. 124 Die Gefahr, dass der Repräsentant seinen eigenen Interessen Vorrang vor denen der Gruppe gewährt, besteht auch, wenn ihm vom Beklagten im Zuge des Ver-
118 In re Cmty. Bank of N. Virginia Mortg. Lending Practices Litig., 795 F.3d 380, 395 (3d Cir. 2015); Newberg/Rubenstein, § 3:58. 119 Key v. Gillette Co., 782 F.2d 5, 7 (1st Cir. 1986); Binta B. ex rel. S.A. v. Gordon, 710 F.3d 608, 618 (6th Cir. 2013); Shroder v. Suburban Coastal Corp., 729 F.2d 1371, 1374 (11th Cir. 1984); Moore’s Federal Practice V, § 23.25. 120 In re Ins. Brokerage Antitrust Litig., 579 F.3d 241, 272 (3d Cir. 2009); Newberg/Rubenstein, § 3:60. 121 In re Flag Telecom Holdings, Ltd. Sec. Litig., 574 F.3d 29, 37 (2d Cir. 2009); In re Tyco Int’l, Ltd., 236 F.R.D. 62, 72 (D.N.H. 2006). 122 Dickens v. GC Servs. Ltd. P’ship, 706 F. App’x 529, 535 et seq. (11th Cir. 2017); Morris v. Wachovia Sec., Inc., 223 F.R.D. 284, 297 (E.D. Va. 2004); J.B. v. Onondaga Cty., 401 F. Supp. 3d 320, 332 (N.D.N.Y. 2019); Newberg/Rubenstein, § 3:59. 123 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 626, 117 S. Ct. 2231, 2251, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). 124 Kurczi v. Eli Lilly & Co., 160 F.R.D. 667, 678–679 (S.D. Ohio 1995); Moore’s Federal Practice V, § 23.25.
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gleichsangebot ein incentive award 125 angeboten wird, der die Höhe seines Anspruches deutlich übersteigt. 126 Allein die Tatsache, dass sich der Repräsentant in direktem wirtschaftlichen Wettbewerb zu einigen Gruppenmitgliedern befindet, wie es in Class Actions, die aufgrund von Kartellabsprachen erhoben wurden, häufig der Fall ist, begründet noch keinen Interessenkonflikt. 127 Um Interessenskonflikten entgegenzuwirken bzw. ihnen vorzubeugen, greifen Gerichte häufig auf die Bildung von Untergruppen mit jeweils eigenen Gruppenrepräsentanten gem. Rule 23(c)(5) zurück. 128 Diese Möglichkeit wurde gerade zu diesem Zwecke geschaffen und führt dazu, dass jede Untergruppe für sich betrachtet die Voraussetzungen von Rule 23(a) und (b) erfüllen muss. 129
III. Die besonderen Voraussetzungen nach Rule 23(b)(3) Wie bereits angesprochen, ist es, damit eine Class Action auf Schadensersatz zugelassen werden kann, nach Rule 23(b)(3) erforderlich, dass die gemeinsamen Streitpunkte der Gruppe die individuellen Unterschiede zwischen den Ansprüchen der Gruppenmitglieder überwiegen (predominance) und die Class Action daher das bestgeeignete Mittel zur Streitbeilegung darstellt (superiority). Zur Feststellung dieser beiden Tatsachen gibt die Norm dem Gericht vier ermessenslenkende Faktoren an die Hand, die weder abschließend 130 noch zwingend 131 sind und lediglich als guidelines dienen sollen. 1. Predominance Die Frage nach der predominance, dem Überwiegen gemeinsamer Streitpunkte, zielt darauf ab festzustellen, ob eine Gruppe ausreichend Kohärenz aufweist, um eine Vertretung durch einen Repräsentanten mit Bindungs125 Eine Entschädigung, die der Repräsentant für sein Engagement, das über das eines gewöhnlichen Gruppenmitglieds hinausgeht, erhält. 126 Greenberg v. Procter & Gamble Co. (In re Dry Max Pampers Litig.), 724 F.3d 713, 722 (6th Cir. 2013); Radcliffe v. Experian Info. Solutions, 715 F.3d 1157, 1161 (9th Cir. 2013); Moore’s Federal Practice V, § 23.25. 127 In re Beer Distribution Antitrust Litigation, 188 F.R.D. 557, 563 (N.D. Cal. 1999); Uniondale Beer Co. v. Anheuser-Busch, Inc., 117 F.R.D. 340, 342 (E.D.N.Y. 1987); In re Polypropylene Carpet Antitrust Litig., 178 F.R.D. 603, 614 (N.D. Ga. 1997). 128 Cent. States Se. & Sw. Areas Health & Welfare Fund v. Merck-Medco Managed Care, L.L.C., 504 F.3d 229, 246 (2d Cir. 2007); Langbecker v. Elec. Data Sys. Corp., 476 F.3d 299, 316 (5th Cir. 2007); In re Cendant Corp. Sec. Litig., 404 F.3d 173, 202 (3d Cir. 2005). 129 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.23. 130 Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 100 (1966); Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 615, 117 S. Ct. 2231, 2246, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). 131 Walco Invs., v. Thenen, 168 F.R.D. 315, 337 (S.D. Fla. 1996); Wright/Miller/Kane, § 1780.
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wirkung für die Gruppenmitglieder zu rechtfertigen. 132 Im dogmatischen Ansatz greift die predominance das Merkmal der commonality aus Rule 23(a)(2) auf und verschärft die Anforderungen in qualitativer Hinsicht. Insofern genügt es nicht, dass alle mit der Class Action gesammelt geltend gemachten Ansprüche gemeinsame Streitpunkte aufweisen, diese müssen auch die individuellen, sich aus den Ansprüchen der einzelnen Mitglieder ergebenden Fragen überwiegen. 133 Dafür werden in einem ersten Schritt regelmäßig die gemeinsamen Streitpunkte von den individuellen Fragestellungen zu trennen sein, um dann in einem zweiten Schritt abwägen zu können, welche dieser Gruppen im konkreten Fall überwiegt. 134 Allgemeingültige Abwägungskriterien existieren dabei nicht, 135 aus der Rechtsprechungspraxis lassen sich aber gewisse Leitlinien entnehmen. So ist weder ein rein quantitativer Vergleich von gemeinsamen und individuellen Streitpunkten ausschlaggebend, 136 noch die Einschätzung des Gerichts, welche der beiden Fragestellungen in einem Prozess den höheren Zeitaufwand zu Erörterung benötigen würde. 137 Genauso wenig ist es erforderlich, dass der gesamte Rechtstreit von der Beantwortung der gemeinsamen Streitfragen abhängig ist. 138 Die predominance wird in qualitativer Hinsicht festgelegt, es kommt lediglich darauf an, dass ein gebündeltes Verfahren unter Berücksichtigung aller Umstände zu einem Effizienzgewinn führt. 139 In Massenschadensfällen wird eine predominance regelmäßig abzulehnen sein, wenn sich die Ansprüche der Gruppenmitglieder nicht auf ein einziges Ereignis, wie beispielsweise einen Flugzeugabsturz, zurückführen lassen, sondern jedes Gruppenmitglied durch einen individuellen Berührungspunkt vom Beklagten verletzt wurde. So wurde beispielsweise in einer Klage gegen einen Hersteller von asbesthaltigem Material die predominance mit der Begründung abgelehnt, die Gruppenmitglieder seien in so heterogener Weise dem Stoff exponiert gewesen, dass individuelle Feststellungen zu den jeMoore’s Federal Practice V, § 23.45. Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 106. 134 Newberg/Rubenstein, § 4:50. 135 Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1045, 194 L. Ed. 2d 124 (2016); In re Nassau County Strip Search Cases, 461 F.3d 219, 227–229 (2d Cir. 2006); Rodriguez v. Carlson, 166 F.R.D. 465, 477 (E.D. Wash. 1996); Williams v. Mohawk Indus., Inc., 568 F.3d 1350, 1357 (11th Cir. 2009); Moore’s Federal Practice V, § 23.45. 136 Buford v. H & R Block, Inc., 168 F.R.D. 340, 356 (S.D. Ga. 1996); Deutschman v. Beneficial Corp., 132 F.R.D. 359, 375 (D. Del. 1990); Wright/Miller/Kane, § 1778; Moore’s Federal Practice V, § 23.45; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 106. 137 In re Workers’ Comp., 130 F.R.D. 99, 108 (D. Minn. 1990); Coleman v. Cannon Oil Co., 141 F.R.D. 516, 526–527 (M.D. Ala. 1992); Moore’s Federal Practice V, § 23.45. 138 Lockwood Motors, Inc. v. Gen. Motors Corp., 162 F.R.D. 569, 580 (D. Minn. 1995); In re Potash Antitrust Litig, 159 F.R.D. 682, 693 (D. Minn. 1995); John Does 1–100 v. Boyd, 613 F. Supp. 1514, 1530 (D. Minn. 1985); Wright/Miller/Kane, § 1778. 139 Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 106; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 106. 132 133
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
weiligen Vorgängen hier gegenüber dem allgemeinen Streitpunkt der krebserregenden Wirkung von Asbest überwiegen würden. 140 Bei Streuschadenskonstellationen stellt meist die Frage, ob der Beklagte generell haftbar ist, einen gemeinsamen Streitpunkt dar, der gegen die für jedes Mitglied individuell zu berechnende Höhe des Schadensersatzes abzuwägen ist. In der Rechtsprechung sämtlicher Bundesgerichte hat es sich dabei mittlerweile etabliert, dass allein die Tatsache, dass nach Klärung der Haftungsfrage noch individuelle Schadenshöhen berechnet werden müssen, nicht zu einer fehlenden predominance führt. 141 So führte auch das Advisory Committee bei Erlass der Norm aus: „[Ein] Betrug, der an zahlreichen Personen durch die Verwendung ähnlicher Falschdarstellungen verübt wird, kann eine attraktive Situation für eine Sammelklage sein, und dies kann auch so bleiben, obwohl, falls eine Haftung festgestellt wird, die von den Einzelpersonen innerhalb der Gruppe erlittenen Schäden gesondert festgestellt werden müssen.“ 142 Können aber weder die individuellen Schäden noch die Gesamtschadenssumme anhand der Aufzeichnungen des Beklagten festgestellt werden, so muss der Kläger anderweitig nachweisen, dass die predominance dennoch vorliegt. Er muss beispielsweise aufzeigen, dass die Schadensberechnung durch eine einheitliche Berechnungsformel bewältigt werden kann und damit individuelle Berechnungsfragen nicht die der Gruppe gemeinsamen Fragen der Verantwortlichkeit des Beklagten überwiegen. Gelingt dies nicht, kann die Zulassung aus diesem Grund auch abgelehnt werden. 143 Der Aufwand, den die Schadensberechnung gegebenenfalls benötigen würde, spielt auch noch an einer anderen Stelle der Zulassungsentscheidung eine Rolle, nämlich bei der Erörterung von Verwaltungsproblemen nach Rule 23(b)(3)(D). Komplizierte Schadensberechnungen, die eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen seitens des Gerichts benötigen würden, können zur Einstufung einer Class Action als undurchführbar führen. Da die 140 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 624, 117 S. Ct. 2231, 2250, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). Die Mitglieder der Klasse waren verschiedenen asbesthaltigen Produkten ausgesetzt und zwar für unterschiedlich lange Zeiträume und in unterschiedlicher Intensität. Einige Mitglieder erlitten keine körperlichen Schäden oder wiesen nur asymptomatische Pleuraveränderungen auf, während andere an Lungenkrebs, Asbestose oder einem Mesotheliom erkrankten. Ausführlich Newberg/Rubenstein, § 4:62. 141 In re Visa Check/MasterMoney Antitrust Litig., 280 F.3d 124, 139 (2d Cir. 2001); Gunnells v. Healthplan Servs., Inc., 348 F.3d 417, 428 (4th Cir. 2003); Achziger v. IDS Prop. Cas. Ins. Co., 772 F. App’x 416, 418 (9th Cir. 2019); Brown v. Electrolux Home Prod., Inc., 817 F.3d 1225, 1239 (11th Cir. 2016); McCarthy v. Kleindienst, 741 F.2d 1406, 1415 (D.C. Cir. 1984); m. w. N. auch zur Rechtsprechung aller anderen Circuits Newberg/Rubenstein, § 4:54 Fn. 2. 142 Wörtliche Übersetzung, Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 103 (1966). 143 Windham v. American Brands, Inc., 565 F.2d 59, 66–67, (4th Cir. 1977); Crutchfield v. Sewerage & Water Bd. of New Orleans, 829 F.3d 370, 378 (5th Cir. 2016); Ibe v. Jones, 836 F.3d 516, 529, 530–531 (5th Cir. 2016).
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Problematik der Schadensberechnung nicht unwesentlich mit den in dieser Arbeit vertieft erörterten Methoden zur Schadensverteilung zusammenhängt, finden sich sämtliche Ausführungen hierzu zusammengefasst in einem gesonderten Abschnitt im Anschluss an die Ausführungen zu den ermessenslenkenden Faktoren. 144 2. Superiority Neben der predominance setzt die Zulassung nach Rule 23(b)(3) voraus, dass die Class Action sich gegenüber anderen Streitbeilegungsmethoden als überlegen darstellt (superiority). Vergleichsmaßstab bilden hier regelmäßig Individualklagen und deren Kollektivierungsmöglichkeiten wie beispielsweise joinder, intervention, interpleader und consolidation. Auch Musterklagen, sogenannte test-cases, müssen in Betracht gezogen werden, sowie Verwaltungsmaßnahmen und strafrechtliche Vollstreckungsmaßnahmen. 145 Einige Gerichte haben zudem außergerichtliche Streitbeilegungsmethoden in den Vergleich mit aufgenommen, diese Praxis blieb aber umstritten. 146 Der Superiority-Test ist für klassische Streuschadenskonstellationen schnell abgeschlossen. Hier ist die Class Action meist nicht nur die überlegene, sondern die einzige Form der Rechtsdurchsetzung. 147 Sämtliche Kollektivierungsmöglichkeiten von Individualklagen scheiden hier bereits von Beginn an aus, da es ob der geringen Schadenshöhe als nahezu ausgeschlossen erscheint, dass überhaupt Individualklagen angestrengt werden. 148 Wie oben bereits erörtert, bilden Streuschadenskonstellationen, bei denen die Geschädigten aufgrund der geringen Schadenshöhe meist gar nicht von ihrem Anspruch wissen, geschweige denn die Möglichkeit haben, diesen gerichtlich durchzusetzen oder einen Anwalt für ihren Fall zu gewinnen, den Kernzweck der Class Action nach Rule 23(b)(3). 149 Viele Gerichte begnügen sich in solchen Konstellationen daher mit einem Verweis auf die geringe individuelle Schadenshöhe, um das Superiority-Merkmal zu bejahen. 150 Parallel zu 144
Teil 3 – C.III.4. Newberg/Rubenstein, § 4:85; Gregory v. Finova Capital Corp., 442 F.3d 188, 189 (4th Cir. 2006). 146 Newberg/Rubenstein, § 4:86. Für die Berücksichtigung außergerichtlicher Beilegungsmethoden sprachen sich die Gerichte aus in: In re Phenylpropanolamine (PPA) Products Liability Litigation, 214 F.R.D. 614 (W.D. Wash. 2003); Chin v. Chrysler Corp., 182 F.R.D. 448, 463 (D.N.J. 1998); Berley v. Dreyfus & Co., 43 F.R.D. 397 (S.D. N.Y. 1967). Dagegen in: In re Aqua Dots Prod. Liab. Litig., 654 F.3d 748, 752 (7th Cir. 2011); Turner v. Murphy Oil USA, Inc., 234 F.R.D. 597, 610 (E.D. La. 2006). 147 Newberg/Rubenstein, § 4:87. 148 Hierzu ausführlich Rubenstein, 74 UMKC L. Rev. 709. 149 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 617, 117 S. Ct. 2231, 2246, 138 L. Ed. 2d 689 (1997); Mace v. Van Ru Credit Corp., 109 F.3d 338, 344 (7th Cir. 1997). 150 In re Wilborn, 404 B.R. 841, 868 (Bankr. S.D. Tex. 2009); Norwood v. Raytheon Co., 237 F.R.D. 581, 604 (W.D. Tex. 2006); Newberg/Rubenstein, § 4:87. 145
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der oben dargelegten Kontroverse im deutschen Recht gibt es auch im U.S.Recht keine trennscharfe Bestimmung, wann ein individueller Schaden als „klein“ eingestuft werden kann. 151 Da die superiority stets eine vergleichende Perspektive aufweist, wiegen die Gerichte in der Regel die Anspruchshöhe mit den Kosten einer Individualklage ab. 152 Aufgrund der Tatsache, dass diese Kosten je nach Fall stark variieren können, bewegt sich insofern auch die als „klein“ eingestufte Anspruchshöhe in einem Bereich zwischen Pennies und mehreren tausend Dollars. 153 In Einzelfällen können jedoch spezielle Verwaltungsverfahren eine überlegene Alternative zu einer Class Action auch in Streuschadenskonstellationen darstellen. 154 Das gilt zum einen für eine Aufteilung der Vermögensmasse im Bankruptcy-Verfahren, 155 und zum anderen für Verfahren von speziellen Fachbehörden wie beispielsweise der National Highway Traffic Safety Administration’s (NHTSA) 156 oder der Equal Employment Opportunity Commission. 157 Die meisten der hierfür in Frage kommenden Behörden sind jedoch entweder unterfinanziert oder verfügen über keine effektiven Instrumente, um eine echte Alternative zur privaten Rechtsdurchsetzung darzustellen. 158 Ist der jeweilige Schaden der potentiellen Gruppenmitglieder allerdings höher, sind die Gerichte angehalten sorgfältig abzuwägen, ob die Class Action tatsächlich die überlegene Durchsetzungsmethode darstellt. Nach U.S.amerikanischem Rechtsverständnis sind Individualklagen wenn möglich zu bevorzugen, da keinem Geschädigten vorschnell sein „Tag am Gericht“ verwehrt werden soll. 159 Das Gericht darf nicht nur Individualklagen in getrennten Prozessen in Betracht ziehen, sondern muss auch sämtliche zur Verfügung stehenden Verbindungsmöglichkeiten berücksichtigen. Obgleich ein joinder 160 grundsätzlich das gängigste Mittel zur Klageverbindung darstellt, spielt diese Möglichkeit im Rahmen der superiority kaum eine Rolle, da bereits Rule 23(a)(1) deren Ausscheiden voraussetzt. 161 Auch ein Klage-
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Fisher v. United States, 69 Fed. Cl. 193, 205 (2006). Newberg/Rubenstein, § 4:65. 153 Einen Überblick über die Bandbreite der Schadenshöhen die noch als gering eingestuft wurden findet sich in: Newberg/Rubenstein, § 4:65 Fn. 6. 154 Newberg/Rubenstein, § 4:87. 155 In re TWL Corp., 712 F.3d 886, 896 (5th Cir. 2013). 156 Chin v. Chrysler Corp., 182 F.R.D. 448, 464 (D.N.J. 1998). 157 Pattillo v. Schlesinger, 625 F.2d 262, 265 (9th Cir. 1980). 158 Newberg/Rubenstein, § 4:87. 159 Martin v. Wilks, 490 U.S. 755, 762, 109 S. Ct. 2180, 2184, 104 L. Ed. 2d 835 (1989); Hansberry v. Lee, 311 U.S. 32, 40, 61 S. Ct. 115, 117, 85 L. Ed. 22 (1940). 160 Rules 18–20 Fed. R. Civ. P. 161 Moore’s Federal Practice V, § 23.46. 152
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beitritt durch intervention 162 oder interpleader 163 wird nur in bestimmten Fällen in Betracht kommen, muss dann aber gegebenenfalls vom Gericht berücksichtigt werden. 164 Das Instrument der consolidation, 165 welches den Gerichten die Möglichkeit bietet, Individualklagen für gewisse Teile des Verfahrens oder aber auch vollständig aus Effizienzgründen zusammenzuführen, stellt grundsätzlich eine taugliche Alternative dar, 166 kann aber nicht angewandt werden, wenn sich die einzelnen Klagen in unterschiedlich fortgeschrittenen Verfahrensstadien befinden oder die Anzahl der potentiellen Gruppenmitglieder besonders groß ist. 167 Ebenfalls muss von den Gerichten ein Test-Case-Verfahren, eine Art fakultatives Musterklage, in Betracht gezogen werden. 168 Hierbei einigen sich Kläger und Beklagter darauf, dass der Beklagte im Falle eines Unterliegens in Folgeprozessen an die im test-case getroffenen Feststellungen gebunden ist. 169 Einer solchen einseitigen Bindungswirkung wird der Beklagte im Regelfall aber nur unter besonderen Umständen zustimmen, beispielsweise wenn sich eine Zulassungsbenachrichtigung an sämtliche Gruppenmitglieder für ihn als in erheblicher Weise geschäftsschädigend darstellen würde. 170 Ein Test-Case-Verfahren scheidet aus, wenn sich kein Kläger finden lässt, der willens ist das Verfahren auf eigene Kosten zu betreiben. 171 Interessanterweise habe U.S.-Gerichte zudem bereits 1987 festgestellt, dass test-cases in Fällen geringer Einzelschäden unbrauchbar sind, da die Geschädigten hier auch im Anschluss an ein erfolgreiches Test-Case-Verfahren kaum ihre Ansprüche in Individualklagen geltend machen werden. 172 Eine entsprechende Einsicht hätte man sich auch seitens des deutschen Gesetzgebers knapp 30 Jahre später bei Einführung der Musterfeststellungsklage gewünscht. 162 Rule 24 Fed. R. Civ. P. Die Intervention of Right entspricht in etwa der deutschen Hauptintervention, § 64 ZPO; die Permissive Intervention in etwa der deutschen Nebenintervention, §§ 66 ff. ZPO. 163 Rule 22 Fed. R. Civ. P. Bei einem Interpleader können Individualansprüche gegen den selben Beklagten verbunden werden um eine mehrfache Inanspruchnahme des Schuldners zu verhindern. 164 Moore’s Federal Practice V, § 23.46; Beuchler, Class Actions und Securities Class Actions, S. 107. 165 Rule 42 Fed. R. Civ. P., vertiefend Moore’s Federal Practice VIII, § 42.10–15. 166 Datz v. Whitworth, 144 F.R.D. 426, 427 (N.D. Ga. 1992). 167 Esler v. Northrop Corp., 86 F.R.D. 20, 39 (W.D. Mo. 1979); Moore’s Federal Practice VIII, § 42.10. 168 Perez v. Government of V.I., 109 F.R.D. 384, 390 (D.V.I. 1986); Butt v. Allegheny Pepsi-Cola Bottling Co., 116 F.R.D. 486, 493 (E.D. Va. 1987); Castano v. American Tobacco Co., 84 F.3d 734, 748–750 (5th Cir. 1996). 169 Ausführlich zu test-cases: Federal Courts – Rules of Civil Procedure – Question of Class Status should be postponed when Test-Case Alternative is Superior to Immediate Class Certification, Note, 88 Harv. L. Rev. 825 (1975). 170 Fogie v. Rent-A-Center, Inc., 867 F. Supp. 1398, 1404 (D. Minn. 1993). 171 Brown v. Cameron-Brown Co., 92 F.R.D. 32, 50 (E.D. Va. 1981). 172 Sheftelman v. Jones, 667 F. Supp. 859, 869 (N.D. Ga. 1987).
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Trotz all dieser Alternativen werden Class Actions regelmäßig auch in Fällen mit hohen Einzelschäden zugelassen. In der Tendenz lässt sich konstatieren, dass gerade in Konstellationen mit vielen Geschädigten die Class Action unter den Gesichtspunkten der Effizienz und der Prozessökonomie insbesondere dann das überlegene Durchsetzungsinstrument darstellt, wenn die einzelnen Fälle sehr ähnlich gelagert sind. 173 Insoweit lässt sich hier auch eine Korrelation zum Merkmal der predominance feststellen. Je stärker die predominance, desto größer ist auch der Effizienzgewinn durch die Class Action. 174 3. Ermessenslenkende Faktoren Rule 23(b)(3) gibt den Gerichten vier Faktoren an die Hand, die ihnen bei der Zulassungsentscheidung helfen sollen. Das ist zum einen das Interesse der potentiellen Gruppenmitglieder an einer individuellen Prozessführung (A), wobei hier insbesondere Ausmaß und Art der bereits begonnenen Prozesse (B) zu berücksichtigen sind, daneben die Eignung des entsprechenden Forums für das Verfahren (C) und zuletzt die voraussichtlichen Probleme in der Verwaltung der Class Action (D). Obgleich die vier Faktoren dem Wortlaut nach sowohl für das Merkmal der predominance als auch der superiority von Relevanz sein sollen, ordnen die meisten Gerichte sie mittlerweile hauptsächlich der superiority zu. 175 Eine trennscharfe Abgrenzung ist hier wohl weder möglich noch erforderlich. Die Faktoren sind in vielerlei Hinsicht voneinander abhängig, überschneiden sich sowohl untereinander als auch mit einigen bereits angesprochenen Aspekten der predominance und der superiority und zudem auch teilweise mit den Faktoren der Rule 23(a). Insofern betonen sie eher die rechtspolitische Zielsetzung der Variante b(3) und geben den Gerichten noch zusätzliche Anhaltspunkte, um festzustellen, ob die Class Action tatsächlich aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen zugelassen werden sollte. Die Faktoren sind weder abschließend 176 noch zwingend 177 und sollen lediglich „guidelines“ darstellen. Ob ein Interesse an einer individuellen Prozessführung vorliegt, kann das Gericht meist nur aus dem Verhalten der Gruppenmitglieder schließen. Wichtigste Anhaltspunkte sind dabei Art und Ausmaß bereits begonnener Individualverfahren, womit der Faktor nach Rule 23(b)(3)(A) stark mit dem 173 In re Monster Worldwide, Inc. Sec. Litig., 251 F.R.D. 132, 139 (S.D.N.Y. 2008); Jennings Oil Co. v. Mobil Oil Corp., 80 F.R.D. 124, 131 (S.D.N.Y. 1978). 174 Klay v. Humana, Inc., 382 F.3d 1241, 1269 (11th Cir. 2004). 175 Zinser v. Accufix Research Inst., Inc., 253 F.3d 1180, 1190 (9th Cir.); Vega v. T-Mobile USA, Inc., 564 F.3d 1256, 1278 (11th Cir. 2009); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 22.921. 176 Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 100 (1966); Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 615, 117 S. Ct. 2231, 2246, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). 177 Walco Invs., v. Thenen, 168 F.R.D. 315, 337 (S.D. Fla. 1996); Wright/Miller/Kane, § 1780.
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nach Rule 23(b)(3)(B) korrespondiert. Letztgenannter ist auch nach Wille des Gesetzgebers mehr als unselbstständiger Ergänzungsfaktor als als eigenständiges Kriterium konzipiert. 178 Ist bereits eine Vielzahl von Einzelprozessen anhängig, so spricht dies klar für ein starkes Interesse der Mitglieder an einer individuellen Rechtsverfolgung und gegen die Implementierung einer Class Action. Auf der anderen Seite spricht die Abwesenheit jeglicher Individualprozesse entweder für ein geringes Interesse an individueller Verfolgung oder aber für das Bestehen erheblicher Rechtsdurchsetzungshindernisse und lässt somit in beiden Fällen die Class Action als zweckmäßig erscheinen. Soweit das Gericht hiervon Kenntnis erlangt, kann es auch Erklärungen der Gruppenmitglieder, an einer Class Action nicht interessiert zu sein 179 oder aber im Falle der Zulassung einer solchen von ihrem Austrittsrecht Gebrauch zu machen, 180 in seine Erwägungen mit einfließen lassen. Darüber hinaus verfahren die Gerichte meist entsprechend ihrer im Rahmen der superiority üblichen Praxis und gehen bei geringen Individualschäden davon aus, dass hier regelmäßig kein oder nur ein geringes Interesse an einer individuellen Verfolgung besteht. 181 Soweit das schadensverursachende Ereignis, wie beispielsweise eine körperliche Verletzung, jedoch dazu geeignet ist, erhebliche emotionale Reaktionen auf Seiten der Geschädigten zu verursachen, kann dies unabhängig von der Höhe der jeweiligen Schäden für ein entsprechendes individuelles Rechtsverfolgungsinteresse sprechen. 182 Der dritte, in Rule 23(b)(3)(C) normierte Faktor betrifft die Frage, ob es wünschenswert ist, die Class Action in dem Distrikt zuzulassen, in dem die Zulassung beantragt wurde. Hier wird also, abweichend von den anderen Faktoren, weniger eruiert, ob generell eine Class Action angemessen erscheint, sondern vielmehr, ob sie konkret vor dem angerufenen Gericht sinnvoll ist. 183 Dieser Punkt ist nicht gerade unbedeutend, da die Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit in Zivilprozessen vor den U.S.-Federal-Courts es dem Kläger meist ermöglichen, zwischen einer Vielzahl an möglichen Gerichtsständen auszuwählen. In sachlicher Hinsicht kann hier beispielsweise ausschlaggebend sein, ob das Gericht bereits Vorabentscheidungen in der Sache getroffen hat, ob ähnliche Klagen vor dem Gericht anhängig sind 184 Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 104 (1966). Riordan v. Smith Barney, 113 F.R.D. 60, 66 (N.D. Ill. 1986). 180 Central Wesleyan Coll. v. W.R. Grace & Co., 143 F.R.D. 628, 640 (D.S.C. 1992). 181 Nevarez v. Forty Niners Football Company, LLC, 326 F.R.D. 562 (N.D. Cal. 2018); Breeden v. Benchmark Lending Grp., Inc., 229 F.R.D. 623, 630 (N.D. Cal. 2005); Rios v. Marshall, 100 F.R.D. 395, 409 (S.D.N.Y. 1983). 182 In re Three Mile Island Litig., 87 F.R.D. 433, 442 (M.D. Pa. 1980); In re Northern Dist. of California, Dalkon Shield IUD Products Liability Litigation, 693 F.2d 847, 856 (9th Cir. 1982); Lehocky v. Tidel Technologies, Inc., 220 F.R.D. 491 (S.D. Tex. 2004); Rubenstein, 89 Geo. L.J. 371, 428 f. (2001). 183 Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 109. 184 Klay v. Humana, Inc., 382 F.3d 1241, 1271 (11th Cir. 2004); Easterling v. Connecticut Dep’t of Correction, 278 F.R.D. 41, 50 (D. Conn. 2011); Lehocky v. Tidel Technologies, Inc., 178 179
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oder ob das Gericht über die erforderlichen Kapazitäten verfügt, um die Class Action in einem angemessenen Zeitraum zu bearbeiten. 185 Unter geographischen Gesichtspunkten werden häufig die anfallenden Fahrtwege für die Prozessparteien berücksichtigt 186 sowie die Erreichbarkeit von Zeugen und anderen Beweismitteln. 187 In der Abwägung vergleichen sich die Gerichte in der Regel nur mit anderen Bundesgerichten, die Gerichte der Einzelstaaten werden meist nicht miteinbezogen. 188 Abschließend verlangt Rule 23(b)(3)(D) von den Gerichten, auch mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung der Class Action zu berücksichtigen. Dieser Faktor wird weithin als der wichtigste der vier angesehen 189 und umfasst das gesamte Spektrum der praktischen Probleme, die dazu führen können, dass die Durchführung der Class Action als unangemessen erscheint. 190 Für die Feststellung der Unangemessenheit müssen jedoch immer auch die Vorteile der Kollektivierung in die Abwägung miteinbezogen werden. 191 Allein die Tatsache, dass ein Fall voraussichtlich zu einem komplexen Verfahren führen wird, darf ein Gericht nicht zum Anlass nehmen, die Zulassung zu verweigern, da es ja gerade diese Fälle sind, die am meisten von der Kollektivierung profitieren und für die das Instrument der Class Action auch ursprünglich erdacht wurde. 192 In die Abwägung mit einbezogen werden dürfen des Weiteren nur Probleme, deren Auftreten aufgrund der tatsächlichen Faktenlage auch als wahrscheinlich erscheint. Rein hypothetische oder spekulative Erwägungen dürfen nicht berücksichtigt werden. 193 In diesem Zusammenhang wirkt sich die mittlerweile vorherrschende Praxis der settlement Class Actions erheblich aus, bei der mitsamt dem Antrag auf Zulassung bereits ein Vergleichsvorschlag bei Gericht eingereicht wird. Hier 220 F.R.D. 491, 510–11 (S.D. Tex. 2004); In re Relafen Antitrust Litigation, 218 F.R.D. 337, 347 (D. Mass. 2003). 185 Frankel, 32 ABA Antitrust L.J. 295 (1966). 186 In re Warfarin Sodium Antitrust Litig., 391 F.3d 516, 534 (3d Cir. 2004); Santoro v. Aargon Agency, Inc., 252 F.R.D. 675, 686 (D. Nev. 2008); Moore’s Federal Practice V, § 23.46. 187 Haley v. Medtronic, Inc., 169 F.R.D. 643 (N.D.Cal.1996); Zinser v. Accufix Research Inst., Inc., 253 F.3d 1180, 1191 (9th Cir. 2001); Breeden v. Benchmark Lending Grp., Inc., 229 F.R.D. 623, 631 (N.D. Cal. 2005). 188 Sykes v. Mel S. Harris & Assocs. LLC, 780 F.3d 70, 92–93 (2d Cir. 2015). 189 Sykes v. Mel S. Harris & Assocs. LLC, 780 F.3d 70, 82 (2d Cir. 2015); Krehl v. BaskinRobbins Ice Cream Co., 78 F.R.D. 108, 124 (C.D. Cal. 1978); Moore’s Federal Practice V, § 23.46; m. w. N. Newberg/Rubenstein, § 4:72 Fn. 3.50. 190 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 164, 94 S. Ct. 2140, 2146, 40 L. Ed. 2d 732 (1974); Elliott v. ITT Corp., 150 F.R.D. 569, 577 (N.D. Ill. 1992); Andrews v. AT&T, 95 F.3d 1014, 1023 (11th Cir. 1996). 191 In re Nassau Cty. Strip Search Cases, 461 F.3d 219, 229 (2d Cir. 2006); Fisher v. Plessey Co., 103 F.R.D. 150, 160 (S.D.N.Y. 1984); m. w. N. Wright/Miller/Kane, § 1780 Fn. 35. 192 Wright/Miller/Kane, § 1780. 193 McClendon v. Continental Group, Inc., 113 F.R.D. 39, 45 (D.N.J. 1986); Windham v. American Brands, Inc., 565 F.2d 59, 70 (4th Cir. 1977).
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kommt es nie zu einer Verhandlung oder einem Urteil, da die Zulassung regelmäßig nur unter der Bedingung beantragt wird, dass das Gericht dem Vergleich zustimmt. 194 Aus diesem Grund dürfen Probleme, die voraussichtlich im Hauptsachverfahren oder bei der Urteilsfindung auftreten könnten, in solchen Verfahren nicht berücksichtigt werden. 195 Auch wenn zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung noch kein Vergleichsvorschlag vorliegt, es sich aber bereits abzeichnet, dass die Parteien sich wohl vergleichen werden, darf das Gericht die Zulassung nicht mit Hinweis auf eventuelle Probleme in der Durchführung eines streitigen Verfahrens ablehnen. Sollte es wider Erwarten nicht zu einem Vergleich kommen, kann es die Zulassung später immer noch aufheben. Dieses „Schlupfloch“ ist insbesondere für moderne Class Actions in Streuschadenskonstellationen lebensnotwendig. Die große Anzahl an Geschädigten verursacht hier regelmäßig einen hohen Verwaltungsaufwand in Bezug auf die Identifizierung und Benachrichtigung der Gruppenmitglieder, die Berechnung der individuellen Schadenshöhe sowie die Verteilung der Entschädigungssumme. 196 Dieser Aufwand kann, obgleich das nicht immer der Fall sein muss, 197 in einem streitigen Verfahren zu einer Einstufung als „undurchführbar“ führen. Selbstverständlich muss auch ein Vergleich Regelungen für diese Verfahrensschritte vorsehen, als privatrechtliche Vereinbarung ist er aber, auch wenn er nach Rule 23(e) der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, weniger starr an prozess- und verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden als eine gerichtliche Entscheidung zu einem streitigen Verfahren. Insofern können im Vergleichskontext, wie später genauer ausgeführt wird, 198 Vorgehensweisen vereinbart werden, die die individuelle Schadensberechnung und -verteilung, erleichtern oder teilweise bzw. vollständig ersetzen. Ein weiteres Problem, das unter Umständen zur Undurchführbarkeit der Class Action führen kann, ist, dass die einzelnen Ansprüche der Gruppenmitglieder, trotz ihrer Verbindung durch die Class Action, ggf. nach unterschiedlichen Rechtsordnungen der Einzelstaaten zu beurteilen sind. 199 Das resultiert zum Teil darin, dass Gerichte bei einer großen geographischen Streuung der Geschädigten die Ansprüche nach dem materiellen Recht aller 50 Bundesstaaten zu beurteilen hätten. Diesem und vielen weiteren Problemen können die Gerichte jedoch begegnen, indem sie die Gruppe gemäß Rule 23(c)(5) in Untergruppen aufteilen oder die Zulassung auf eine oder mehrere Teilfragen beschränken, Rule 23(c)(4). Die Gerichte sind grund194
Newberg/Rubenstein, § 13:1. Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 620, 117 S. Ct. 2231, 2248, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). 196 Pastor v. State Farm Mut. Auto. Ins. Co., 487 F.3d 1042, 1046–1047 (7th Cir. 2007). 197 Hierzu sogleich. 198 Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b). 199 Ausführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 10:17 ff. 195
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sätzlich dazu angehalten, zunächst sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten anzuwenden, bevor sie die Zulassung einer Class Action ablehnen. 200 4. Berechnung und Nachweis des individuellen Schadens Während im Rahmen der Class Action auf Schadensersatz allgemeine Haftungsfragen für alle Geschädigten gemeinsam beantwortet werden können (War das Produkt mangelhaft? Trifft den Beklagten ein Verschulden?), unterscheiden sich die daraus resultierenden individuellen Ansprüche der Geschädigten ihrer Höhe nach zum Teil sehr deutlich voneinander. Das Merkmal der predominance, insofern näher konkretisiert durch den ermessenslenkenden Faktor der Durchführbarkeit, verlangt in diesem Zusammenhang vom Kläger darzulegen, dass trotz des Aufwandes, der aus der Berechnung der individuellen Schäden entsteht, die gemeinsamen Fragen der Gruppenmitglieder überwiegen und eine Bündelung im Rahmen der Class Action daher wünschenswert und möglich ist. Die Anforderungen an diese Darlegung sind, wie bereits angesprochen, in Verfahren in denen mit der Zulassung der Klage zugleich die Genehmigung eines Vergleichs beantragt wird, stark abgesenkt. Wie der Supreme Court bereits im Jahre 1997 in seiner Entscheidung zu Amchem Products, Inc. v. Windsor 201 explizit feststellte, kann die Berechnung der individuellen Schäden in sog. settlement Class Actions, die mittlerweile die klare Mehrheit aller Verfahren ausmachen, 202 deutlich pauschalisierter vorgenommen werden. 203 Doch auch außerhalb des Vergleichskontext muss das Erfordernis der Berechnung des individuellen Schadens nicht den Todesstoß für die Class Action bedeuten. So lässt sich die Höhe der einzelnen Schäden in einigen Fallkonstellationen unproblematisch den Aufzeichnungen des Beklagten entnehmen. Das ist beispielsweise bei Verfahren wegen unbezahlter Überstunden, ungerechtfertigter Einziehung zu hoher Beträge oder auch in vielen Wertpapierstreitigkeiten der Fall. 204 Um auf die entsprechenden Unterlagen des Beklagten zugreifen zu können, genehmigen die Gerichte oft eine certification-related discovery. 205 Sollte sich die individuelle Schadenshöhe nicht direkt aus den Aufzeichnungen ergeben, erlauben Gerichte dem Kläger in der Regel auch, eine einheitliche Methode darzulegen, anhand derer sich der Schaden eines jeden einzelnen Gruppenmitglieds berechnen lässt. Im Laufe 200 Siegel v. Chicken Delight, Inc., 271 F. Supp. 722, 725 (N.D. Cal. 1967); Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 110 f. 201 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 117 S. Ct. 2231, 138 L. Ed. 2d 689 (1997). 202 Issacharoff/Nagareda, 156 U. Pa. L. Rev. 1649, 1650 (2008). 203 Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b). 204 Newberg/Rubenstein, § 12:4. 205 Siehe Teil 3 – C.IV.
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der Zeit wurde eine Vielzahl teils sehr unterschiedlicher Methoden akzeptiert, deren Darstellung in angemessenem Umfang eine recht grobe Kategorisierung erfordert. Die am häufigsten angewandte Begründungsmethode ist eine formelhafte mathematische Berechnung, entwickelt von einem ökonomischen Sachverständigen. Sollten die Aufzeichnungen des Beklagten als Grundlage hierfür nicht ausreichend sein, so erkennen die Gerichte auch kompliziertere mathematische oder statistische Formeln an, die weitere Daten des Falles sowie Besonderheiten der verschiedenen Geschädigten berücksichtigen. 206 Wichtig ist jedoch nicht nur, dass die Formel allgemein anwendbar ist, sondern auch, dass sie ausreichend die Gegebenheiten des konkreten Falls berücksichtigt. Eine Entscheidung des Supreme Courts aus dem Jahre 2013 veranschaulicht dies: In Comcast Corp. v. Behrend, einem Kartellverfahren, griffen die Kläger vier Praktiken des Beklagten als kartellrechtswidrig an und legten ein Sachverständigengutachten vor, das eine Methode zur Berechnung der Schäden der Gruppenmitglieder auf Grundlage dieser vier Praktiken aufzeigte. 207 Obgleich das zuständige Gericht erster Instanz nur eine der vier angegriffenen Verhaltensweisen als kartellrechtswidrig einstufte, sah es die von den Klägern dargelegte Methode als ausreichend an, um das Erfordernis der predominance zu erfüllen und das Verfahren als durchführbar einzustufen. 208 Die Berufungsinstanz bestätigte diese Entscheidung und führte aus, es genüge, wenn die von den Klägern dargelegte Methode ausreichend sei, das Gericht davon zu überzeugen, dass wenn die Haftung des Berufungsklägers nachgewiesen werden könne, der daraus resultierende Schaden messbar sei und keine labyrinthartigen Einzelfallberechnungen erforderlich seien. 209 Dem trat der Supreme Court 2013 mit knapper Mehrheit von fünf zu vier entgegen. Da das Modell der Kläger auf Grundlage aller vier angegriffenen Verhaltensweisen entwickelt worden sei, sei es weit davon entfernt nachzuweisen, dass die Schäden der Gruppenmitglieder auch unter Beachtung der aktuellen Rechtsauffassung des Gerichts anhand einer einheitlichen Methode berechnet werden könnten. 210 Die knappe Mehrheit des Supreme Courts sah die erforderliche Verbindung zwischen der Haftungsgrundlage und der Berechnungsmethode als nicht gegeben an. 211 Eine weitere Methode, die insbesondere dann angewandt wird, wenn der Beklagte keinerlei Aufzeichnungen über die Schädigungen erstellt oder ge206 So beispielsweise in In re Nexium (Esomeprazole) Antitrust Litig., 297 F.R.D. 168, 181 (D. Mass. 2013). 207 Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27, 133 S. Ct. 1426, 185 L. Ed. 2d 515 (2013). 208 Behrend v. Comcast Corp., 264 F.R.D. 150 (E.D. Pa. 2010). 209 Behrend v. Comcast Corp., 655 F.3d 182, 206 (3d Cir. 2011). 210 Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27, 34, 133 S. Ct. 1426, 1433, 185 L. Ed. 2d 515 (2013). 211 Comcast Corp. v. Behrend, 569 U.S. 27, 34, 133 S. Ct. 1426, 1433, 185 L. Ed. 2d 515 (2013).
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sammelt hat, ist die, einen Sachverständigen zu beauftragen, das Schadensereignis anhand von empirischen Daten nachzuvollziehen und damit die individuellen Schadenssummen zu errechnen. Ein anschauliches Anwendungsbeispiel dieser Methode ist der 2016 durch den Supreme Court entschiedene Fall Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo. 212 Hier hatten die Angestellten eines in Iowa ansässigen Fleischverarbeitungsunternehmens ihren Arbeitgeber auf Zahlung eines ihnen nach dem Fair Labor Standards Act (FLSA) zustehenden Überstundenausgleichs verklagt. Im Kern ging es darum, dass Tyson Foods die Zeit, die die Arbeiter mit Anlegen und Ablegen der erforderlichen Schutzkleidung verbracht hatten, weder erfasst noch vergütet hatte. Mangels Aufzeichnungen hierüber legten die Kläger zum Nachweis der predominance ein Sachverständigengutachten vor, das die durchschnittliche Zeit, die für dieses donning-and-doffing benötigt wurde, ermittelt hatte. 213 Der District Court sah dies als ausreichend an und auch den Supreme Court konnte der Beklagte letzten Endes nicht mit seinem Einwand überzeugen, die Berechnungsmethode sei zu undifferenziert, da verschiedene Gruppen von Arbeitern unterschiedlich lange zum Anlegen von Schutzkleidung benötigten. 214 Obgleich bei größeren Abweichungen innerhalb einer Gruppe wohl ein differenzierteres Sachverständigengutachten von Vorteil wäre, ließ das Gericht sich von der Erwägung leiten, dass der vorgelegte Sachverständigenbeweis auch für jeden einzelnen Anspruch, wäre er in einem Individualprozess geltend gemacht worden, als ausreichend erachtet worden wäre. 215 Es wäre jedoch ein Fehler anzunehmen, die in Tyson Foods sehr großzügige Anwendung dieser Berechnungsmethode sei ohne weiteres auf andere Fallkonstellationen zu übertragen. So spielte es in diesem Fall eine nicht zu vernachlässigende Rolle, dass Tyson Foods es versäumt hatte, entgegen der aus dem FLSA hervorgehenden Verpflichtung, die Zeiten für das Anlegen der Schutzkleidung zu erfassen, und dies der Grund dafür war, dass auf keinerlei Aufzeichnungen zurückgegriffen werden konnte. 216 Auch stellte der Supreme Court explizit klar, dass er in diesem Fall keine grundlegenden Regelungen zu dieser Art der Berechnungsmethode aufstellen wollte, und die Frage, ob eine solche Methode zur Anwendung kommen könne, stark von den zu beweisenden Tatsachen und der Ausgestaltung des konkreten Falls abhängig sei. 217 212
Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 194 L. Ed. 2d 124 (2016). Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1044, 194 L. Ed. 2d 124 (2016). 214 Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1042, 194 L. Ed. 2d 124 (2016). 215 Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1046, 194 L. Ed. 2d 124 (2016). 216 Hierfür zog das Gericht einen Präzedenzfall heran, dem ebenfalls eine entsprechende Verletzung des FLSA zugrunde lag, Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1047, 194 L. Ed. 2d 124 (2016) in Berufung auf Anderson v. Mt. Clemens Pottery Co., 328 U. S. 680, 66 S. Ct. 1187, 90 L. Ed. 1515 (1946). 217 Tyson Foods, Inc. v. Bouaphakeo, 136 S. Ct. 1036, 1049, 194 L. Ed. 2d 124 (2016). 213
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Eine letzte Methode, die sich mittlerweile jedoch erheblicher Kritik ausgesetzt sieht, ist die, eines oder mehrere Mitglieder der Gruppe herauszugreifen, für dieses oder diese die entstandenen Schäden zu berechnen und dieses Ergebnis dann auf die gesamte Gruppe umzulegen. Obgleich dieses Vorgehen im Rahmen von Vergleichsverhandlungen durchaus üblich ist, 218 lehnen die Gerichte eine Anwendung in streitigen Verfahren regelmäßig ab. 219 Insbesondere stellen sie die korrekte Auswahl der Gruppenmitglieder, die zur Berechnung herangezogen werden, 220 als auch die Wahrung der DueProcess-Rechte, sowohl der übrigen Gruppenmitglieder als auch des Beklagten in Frage. 221 Bedenken wurden zudem hinsichtlich des aus dem siebten Verfassungszusatz hervorgehenden Rechts auf eine Verhandlung vor einer Jury, 222 der Bestimmung des anwendbaren Rechts, 223 und des Grundsatzes, dass durch Prozessrecht nicht das materielle Recht verkürzt, erweitert oder verändert werden darf, geäußert. 224 Ein Zwischenschritt, der in manchen Fällen nötig und hilfreich sein kann, um eine individuelle Schadensberechnung zu gewährleisten, ist die Berechnung des kumulativen Schadens der gesamten Gruppe. Diese als aggregate damages bezeichnete Vorgehensweise ist bei weitem nicht immer erforderlich und oft auch schlicht nicht möglich. 225 Gelegentlich jedoch mag sie helfen, um Bedenken des Gerichts bezüglich der Durchführbarkeit zu zerstreuen. Man stelle sich eine Pensionskasse mit $ 50 Mio. vor, die vom Treuhänder der Kasse dadurch veruntreut wurde, dass dieser sich den gesamten Betrag auf sein Privatkonto überwiesen hat. Während es in dieser Situation nur anhand komplizierter Berechnungen, die Faktoren wie Alter, Einzahlungsjahre und Renteneintrittsalter berücksichtigen, möglich wäre festzustellen, wie hoch der jeweilige individuelle Schaden der Gruppenmitglieder ist, steht unproblematisch fest, dass der Beklagte sämtlichen Pensionsberechtigten des Betriebes zusammen $ 50 Mio. schuldet. 226 In einem solchen Fall kann das Gericht den Treuhänder unproblematisch zu einer Zahlung an die Pensionskasse verurteilen, ohne sich je mit der Berechnung der individuellen Schäden beschäftigen zu müssen. 218 Sherman, 25. Rev. Litg 691, 700 (2006); siehe außerdem zu den Aufteilungsmethoden bei Vergleichen Teil 3 – C.VI.3.b). 219 Ausführlich hierzu m. w. N. Newberg/Rubenstein, § 11:21. 220 Espenscheid v. DirectSat USA, LLC, 705 F.3d 770, 774 (7th Cir. 2013); Balasanyan v. Nordstrom, Inc., 294 F.R.D. 550, 568 (S.D. Cal. 2013); Marlo v. United Parcel Serv., Inc., 639 F.3d 942, 949 (9th Cir. 2011); In re Simon II Litig., 211 F.R.D. 86, 150 (E.D.N.Y. 2002). 221 Ausführliche Erwägungen des fünften Bundesberufungsgerichts hierzu finden sich in In re Chevron U.S.A., Inc., 109 F.3d 1016, 1020 (5th Cir. 1997). 222 Cimino v. Raymark Indus., Inc., 151 F.3d 297, 320 (5th Cir. 1998). 223 Cimino v. Raymark Indus., Inc., 151 F.3d 297, 312 (5th Cir. 1998). 224 Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 564 U.S. 338, 367, 131 S. Ct. 2541, 2561, 180 L. Ed. 2d 374 (2011). 225 Ausführlich zu der Problematik Nagareda, 84 N.Y.U. L. Rev. 97 (2009). 226 Vereinfachte Darstellung eines Fallbeispiels, siehe Newberg/Rubenstein, § 12:2.
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Solche Fälle stellen jedoch die klare Ausnahme dar. Wichtig und unerlässlich hervorzuheben ist deshalb an dieser Stelle, dass die Gerichte zwar auch in anderen Verfahren teilweise gewillt sind, den Nachweis von aggregate damages anzuerkennen, dies allerdings, wie oben bereits angesprochen, nur als Zwischenschritt. Muss am Ende der Klage eine Aufteilung der Schadenssumme unter den Gruppenmitgliedern erfolgen, so wird zusätzlich stets noch verlangt, dass die Kläger eine einheitliche Methode darlegen, anhand derer aus der kumulierten Schadenssumme die individuellen Schäden der einzelnen Gruppenmitglieder berechnet werden können. 227 Immer wieder versuchen Kläger, diese Hürde zu umgehen und dem Gericht Verfahrensweisen vorzuschlagen, bei denen im ersten Schritt die aggregate damages berechnet werden und sodann zur Verteilung der Gesamtsumme eine alternative Methode gewählt wird, die auf eine individuelle Aufteilung verzichtet. Die große Mehrheit der Gerichte lehnt eine solche Vorgehensweise jedoch ab, wie an späterer Stelle noch vertieft ausgeführt wird. 228 Ist es den Klägern nicht möglich, einen Vergleich auszuhandeln oder darzulegen, warum die Berechnung der individuellen Schäden auf einfache Weise möglich ist, so sind die Gerichte, gerade in Streuschadenskonstellationen, in denen es, wie oben aufgezeigt, zur Class Action meist kaum eine gangbare Alternative gibt, dazu angehalten, durch Anwendung der ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsmittel dennoch eine Zulassung zu ermöglichen. Sie können beispielsweise die Class Action gemäß Rule 23(c)(4) nur zur Erörterung der Verantwortlichkeit des Beklagten zulassen oder aber gemäß Rule 23(c)(5) Untergruppen bilden, die in sich homogener sind und so eventuell doch die Anwendung einer einheitlichen Berechnungsmethode ermöglichen. 229 Auch können die Gerichte für die Hauptverhandlung einen sogenannten bifurcated trial ansetzen, in dem zunächst die Verantwortlichkeit des Beklagten verhandelt und erst im Anschluss die Schadenshöhe ermittelt wird. Dies bezweckt im Ergebnis hauptsächlich die Erhöhung des Vergleichsdrucks auf die Beteiligten. Sollte nicht bereits vor Beginn des trial ein Vergleich abgeschlossen werden, so erledigt sich das Verfahren fast immer nach der ersten Phase des bifurcated trial. Wurde die Verantwortlichkeit des Beklagten festgestellt, so wird dieser alles dafür tun, um sich zu vergleichen und nicht sein Schicksal in die Hände einer kaum zu berechnenden
227 In re NASDAQ Mkt.-Makers Antitrust Litig., 169 F.R.D. 493, 523 (S.D.N.Y. 1996); Allied Orthopedic Appliances, Inc. v. Tyco Healthcare Grp. L.P., 247 F.R.D. 156, 175 (C.D. Cal. 2007); Meijer, Inc. v. Warner Chilcott Holdings Co. III, 246 F.R.D. 293, 311 (D.D.C. 2007); m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 1st, 3rd und 6th Circuits Newberg/Rubenstein, § 12:2. Ein anschauliches Beispiel zu der zweistufigen Schadensberechnung findet sich in In re Polyurethane Foam Antitrust Litig., 2015 WL 4459636, at *8 (N.D. Ohio 2015). 228 Ausführlich Teil 3 – D.V. 229 Siegel v. Chicken Delight, Inc., 271 F. Supp. 722, 725 (N.D. Cal. 1967); Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 110 f.
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Jury legen. 230 Wurde die Verantwortlichkeit dagegen abgelehnt, so bedeutet das ohnehin das Ende des Verfahrens. Die Gerichte planen zudem meist, die zweite Phase des bifurcated trial in die Hände einer richterlichen Hilfsperson, also eines special masters oder eines magistrate judges zu legen und diesem größtenteils die Berechnung des Schadens zu überlassen. 231 Die dadurch regelmäßig entstehenden hohen Kosten bieten den Parteien einen weiteren Vergleichsanreiz. 232 Einige wenige Gerichte wählten in der Vergangenheit auch die entgegensetzte Variante und verhandelten in sogenannten reversed bifurcated trials zunächst die Schadenshöhe und dann die Verantwortlichkeit des Beklagten. Dadurch, dass die Geschädigten in der ersten Phase die Möglichkeit haben sollten, ihre individuellen Schäden bei Gericht anzumelden, erhoffte man sich einen besseren Überblick über die der Gruppe gemeinsamen Fragestellungen. Ob der geringen Beteiligung der Geschädigten und der Tatsache, dass sich dieser ganze Prozess als überflüssig herausstellt, sollte später die grundsätzliche Verantwortlichkeit des Beklagten abgelehnt werden, wurde dieser Ansatz jedoch kaum verfolgt. 233 Trotz all der aufgezeigten Möglichkeiten haben es Kläger in Class Actions mit vielen Gruppenmitgliedern und kleinen heterogenen Schäden oft nicht leicht, das Gericht von der Durchführbarkeit der Klage zu überzeugen. Häufig ist es nur der hohe Vergleichsdruck, der dazu führt, dass die Gruppenmitglieder überhaupt eine Kompensation erhalten. In streitigen Verfahren dagegen scheitern Class Actions, die auf Streuschadenskonstellationen beruhen, nicht selten an dieser Hürde und werden in der Folge nicht zugelassen.
IV. Die Zulassungsentscheidung im Rahmen des Verfahrensablaufs Die Class Action nach Rule 23 unterscheidet sich zwar in vielerlei Hinsicht von einem „gewöhnlichen“ Individualprozess, bezogen auf den Verfahrensablauf liegen ihr jedoch die allgemeinen Regelungen für Zivilverfahren vor Bundesgerichten zugrunde. 234 So eröffnen auch im Rahmen der Class Action 230
Newberg/Rubenstein, § 11:9. In re Visa Check/MasterMoney Antitrust Litig., 280 F.3d 124, 141 (2d Cir. 2001); Hilao v. Estate of Marcos, 103 F.3d 767, 772 (9th Cir. 1996); Klay v. Humana, Inc., 382 F.3d 1241, 1273 (11th Cir. 2004); Johnson v. D.C., 248 F.R.D. 46, 57 (D.D.C. 2008); m. w. N. auch zur Rechtsprechung des 3rd, 4th und 6th Circuits Newberg/Rubenstein, § 11:9; ausführlich auch Abitanta, 36 Sw. L.J. 743, 760 ff. (1982). 232 Wright/Miller/Kane, § 1784. 233 Das Vorgehen findet sich nur in sehr frühen Entscheidungen, siehe Biechele v. Norfolk & W. Ry. Co., 26 Ohio Misc. 139 (N.D. Ohio 1969); Philadelphia Elec. Co. v. Anaconda Am. Brass Co., 43 F.R.D. 452 (E.D. Pa. 1968); Harris v. Jones, 41 F.R.D. 70 (D. Utah 1966). 234 Newberg/Rubenstein, § 10:1. Eine ausführliche Darstellung des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses kann hier nicht erfolgen, einen Überblick über die Verfahrensgestaltung als Hilfestellung für die Bundesrichter bietet das Ann. Manual Complex Lit. Part I. Für den deutschen Rechtsanwender bietet sich zum schnellen Einlesen auch Schack, US-amerika231
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die einleitenden Schriftsätze das gerichtliche Verfahren. Auf die Klageschrift, complaint, folgt die Replik, answer, und gegebenenfalls noch eine Duplik, die reply. Obgleich die Richter im U.S.-amerikanischen Rechtssystem schon der Grundkonzeption nach wesentlich freier in der Ausgestaltung des Prozesses sind als ihre deutschen Kollegen, ermächtigt sie Rule 16(c)(2) (L) Fed. R. Civ. P. noch einmal explizit dazu, "besondere Maßnahmen zur Verwaltung potenziell schwieriger oder langwieriger Verfahren, die komplexe Sachverhalte, mehrere Parteien, schwierige Rechtsfragen oder ungewöhnliche Beweisprobleme beinhalten können", anzuwenden. Konfrontiert mit einem Streuschadensfall, der mehrere tausend Geschädigte betrifft, benötigt ein Gericht diese Freiheiten auch, da hier nur ein straff organisierter Prozess die Chance hat, in angemessener Zeit zu einem Ergebnis zu führen. 235 Zu diesem Zwecke werden im Laufe des Verfahrens regelmäßig eine große Anzahl sogenannter pretrial conferences mit den Beteiligten abgehalten, in denen der aktuelle Stand des Prozesses und das weitere Vorgehen erörtert wird. 236 Im Anschluss an diese Treffen, kann das Gericht sog. pretrial orders erlassen, mit denen es den Verfahrensgegenstand eingrenzen, den Verfahrensablauf modifizieren oder näher bestimmen und damit den Prozess in eine bestimmte Richtung lenken kann. 237 Neben den fakultativen pretrial conferences stehen die für die Class Action grundsätzlich obligatorischen Verfahrensschritte. Zeitnah nach Zustellung der Klage findet die in Rule 26(f) Fed. R. Civ. P. geregelte initial conference statt, in der die Parteien den Streitstand erörtern und einen Plan für das Discovery-Verfahren erstellen. 238 Liegt dieser Plan vor, so erlässt das Gericht eine auf Rule 16(b)(1) Fed. R. Civ. P. gestützte scheduling order, in der es den Ablauf des weiteren Verfahrens bestimmt. 239 Dem schließt sich in der Regel auch im Rahmen der Class Action das Discovery-Verfahren an. Über dieses Stadium kommen nur die wenigsten Verfahren hinaus. Regelmäßig vergleichen sich die Parteien spätestens im Anschluss an die discovery, meist sogar deutlich davor. Zur Hauptverhandlung, dem trial, der im Anschluss an eine abschließende final pretrial conference 240 stattfindet, kommt es so gut wie nie. Der Vergleichszeitpunkt hängt dabei maßgeblich davon ab, wann das Gericht die Zulassungsentscheidung, die certification
nisches Zivilprozessrecht S. 40–84 an. Mit Ausrichtung auf die Class Action empfiehlt sich Newberg/Rubenstein, §§ 10, 11. 235 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 10.01. 236 Newberg/Rubenstein, § 10:3. 237 Eine Auflistung aller möglichen Maßnahmen enthält Rule 16(c)(2) Fed. R. Civ. P. 238 Den obligatorischen Inhalt der Besprechung bestimmt Rule 26(f)(2) Fed. R. Civ. P.; den Inhalt des Discovery-Plans Rule 26(f)(3) Fed. R. Civ. P. 239 Der (mögliche) Inhalt der scheduling order findet sich in Rule 16(b)(3) Fed. R. Civ. P. 240 Geregelt in Rule 16(e) Fed. R. Civ. P.
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order, erlässt, die den Dreh- und Angelpunkt innerhalb einer Class Action darstellt. 241 Über die Zulassung der Klage entscheidet das Gericht meist auf Antrag des Klägers oder aufgrund eines Ablehnungsantrages des Beklagten. 242 In seltenen Fällen wird das Gericht auch auf Eigeninitiative tätig, oder der Beklagte wünscht selbst die Einstufung der Klage als Class Action, wofür er verschiedenste Gründe haben kann. 243 In settlement Class Actions reicht der Kläger den Antrag auf Zulassung zusammen mit dem Vergleich ein und der Beklagte tritt dem nicht entgegen. In streitigen Verfahren dagegen stellt die Zulassungsentscheidung einen wichtigen Scheidepunkt dar. Lehnt das Gericht hier den Zulassungsantrag des Klägers ab, so hat sich das Verfahren damit in den meisten Fällen erledigt. 244 Die Klage könnte zwar noch als Individualverfahren fortgeführt werden, der Kläger und insbesondere sein Anwalt haben hieran aber nur selten ein Interesse. 245 Lässt das Gericht die Class Action dagegen zu, so hat es entsprechend Rule 23(c)(1)(B) die Gruppe und deren Ansprüche zu definieren, Streitpunkte und mögliche Einwendungen des Beklagten auszumachen und nach den Vorgaben von Rule 23(g) den Gruppenanwalt zu ernennen. 246 Diese Festlegungen sind für den weiteren Verlauf der Class Action wegweisend, weswegen die Gerichte auch angehalten sind, diese möglichst präzise zu treffen. 247 Der weitreichenden Wirkung der Zulassungsentscheidung ist es auch geschuldet, dass Rule 23 (f) seit 1998 die Möglichkeit vorsieht, die Zulassungsentscheidung getrennt und vor Abschluss des Hauptverfahrens anzugreifen und von einem Berufungsgericht überprüfen zu lassen. Das stellt eine Besonderheit in Verfahren
241 Henderson v. Corelogic Nat’l Background Data, LLC, 2016 WL 4611571, at *7 (E.D. Va. 2016); Milbourne v. JRK Residential Am., LLC, 2016 WL 1071564, at *8 (E.D. Va. 2016); Newberg/Rubenstein, § 7:18. 242 Small v. Gen. Nutrition Companies, Inc., 388 F. Supp. 2d 83, 99 (E.D.N.Y. 2005); Picus v. Wal-Mart Stores, Inc., 256 F.R.D. 651, 655 (in Fn. 1), (D. Nev. 2009); Newberg/ Rubenstein, § 7:1. 243 Newberg/Rubenstein, § 7:1. Fälle in denen die Zulassung vom Beklagten beantragt wurde: De Lage Landen Financial Services, Inc. v. Rasa Floors, LP, 792 F. Supp. 2d 812, 818 (E.D. Pa. 2011); Tracy v. NVR, Inc., 2009 WL 3242565 (W.D.N.Y. 2009); Newman v. Ed Bozarth Chevrolet Co., 2008 WL 4681921 (D. Colo. 2008). Zur Zulassungsentscheidung von Amtswegen: Oxford v. Williams Companies, Inc., 154 F. Supp. 2d 942, 945 (E.D. Tex. 2001); Ponce v. Housing Authority of Tulare County, 389 F. Supp. 635, 654 (E.D. Cal. 1975). 244 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 162, 94 S. Ct. 2140, 2145, 40 L. Ed. 2d 732 (1974). 245 Verma v. 3001 Castor, Inc., No. CIV.A. 13–3034, 2014 WL 2957453, at *15 (E.D. Pa. June 30, 2014). 246 Vertiefend Newberg/Rubenstein, § 7:25–7:27; zur Ernennung des Gruppenanwalts Teil 3 – C.V. 2. 247 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.221.; Wachtel ex rel. Jesse v. Guardian Life Ins. Co. of Am., 453 F.3d 179, 187 (3d Cir. 2006).
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vor den Bundesgerichten dar, bei denen ansonsten grundsätzlich nur das Endurteil angegriffen werden kann. 248 Bedeutend, und zugleich erheblich umstritten, ist der Zeitpunkt, zu dem das Gericht über den Zulassungsantrag zu entscheiden hat. Rule 23(c)(1)(A) verlangt insofern eine Entscheidung „zu einem frühen praktikablen Zeitpunkt“ und lässt dem Gericht damit mehr Spielraum als die bis 2003 geltende Vorgängerregelung, die dies noch zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangte. 249 Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Zulassungsentscheidung vor dem trial ergehen muss, 250 ist ihr zeitliches Verhältnis zur discovery, zu motions to dismiss 251 sowie zu motions for summary judgments 252 recht ungeklärt. Eine spät im Verfahrensablauf angesiedelte Zulassungsentscheidung bringt dabei den Vorteil mit sich, dass die Erfolgsaussichten des Verfahrens hier klarer abzusehen sind. Das erspart in einem aussichtslosen Verfahren nicht nur den teuren und aufwändigen Benachrichtigungsprozess, 253 sondern verbessert zudem auch klar die Position der Gruppenmitglieder. Sie können sich vielversprechenden Klagen anschließen und aus voraussichtlich erfolglosen Klagen ausscheiden, was im Ergebnis eine Art faktische einseitige Bindungswirkung herbeiführt. 254 So dehnbar der Begriff des „frühen praktikablen Zeitpunkts“ aber auch sein mag, eine Zulassungsentscheidung erst im Anschluss an eine abgeschlossene discovery lässt sich hierunter nur schwer subsumieren. Zieht das Gericht jedoch die Zulassungsentscheidung der discovery vor, so fehlen ihm häufig entscheidungserhebliche Tatsachen über die Voraussetzungen der Class Action nach Rule 23(a) und (b). Insoweit hat es sich als gangbarer Weg erwiesen, das Discovery-Verfahren aufzuspalten, und vor der Zulassungsentscheidung eine sogenannte certification-related discovery abzuhalten, in der lediglich die 248 28 U.S.C.A. § 1291; ausführlich zur getrennten Überprüfung der Zulassungsentscheidung Newberg/Rubenstein, § 7:41 ff. 249 Rule 23(c)(1)(A) Fed. R. Civ. P. (2003). 250 Ausführlich Newberg/Rubenstein, § 7:11. 251 Der Kläger kann die Abweisung der Klage beantragen, wenn einer der in Rule 12(b) Fed. R. Civ. P. aufgelisteten prozessualen Mängel vorliegt. Dies muss spätestens mit der Klageerwiderung beantragt werden, Rule 12(b), (g), (h)(1) Fed. R. Civ. P. Ausführlich zur motion to dismiss Wright/Miller/Miller/Spencer, §§ 1349 ff.; bezüglich des zeitlichen Verhältnisses zur Zulassungsentscheidung Newberg/Rubenstein, § 7:9. 252 Summary Judgments sind (Teil)urteile die ohne die Beteiligung einer Jury ergehen. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte können ein solches beantragen, wenn die Tatsache entweder unstreitig ist oder aber die Beweiserhebung die Sache eindeutig erscheinen lässt, Rule 56 Fed. R. Civ. P. Ausführlich zu summary judgments Wright/Miller/Kane, § 2712 ff.; bezüglich des zeitlichen Verhältnisses zur Zulassungsentscheidung Newberg/Rubenstein, § 7:10. 253 Marx v. Centran Corp., 747 F.2d 1536, 1552 (6th Cir. 1984); Thomas v. UBS AG, 706 F.3d 846, 849 (7th Cir. 2013); Cowen v. Bank United of Texas, FSB, 70 F.3d 937, 941 (7th Cir. 1995); Curtin v. United Airlines, Inc., 275 F.3d 88, 92 (D.C. Cir. 2001). 254 Am. Pipe & Const. Co. v. Utah, 414 U.S. 538, 547, 94 S. Ct. 756, 763, 38 L. Ed. 2d 713 (1974); Hart v. Crab Addison, Inc., 2016 WL 4010064, at *1 (Fn. 2) (W.D.N.Y. 2016).
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für die Zulassung der Class Action relevanten Tatsachen beigebracht werden sollen, nicht jedoch solche, die zur materiell-rechtlichen Beurteilung der in Frage stehenden Ansprüche von Bedeutung sind. 255 Hier ist selbstredend eine trennscharfe Abgrenzung nicht immer ohne weiteres möglich, 256 die Gerichte tendieren insoweit in letzter Zeit eher dazu, im Zweifel eine weite discovery zuzulassen, auch wenn diese gegebenenfalls bereits Fragen zur Begründetheit der Ansprüche vorwegnimmt. 257 Erfolgt eine Zulassung im Anschluss an die certification-related discovery, so beginnt nach der Benachrichtigung der Gruppenmitglieder die eigentliche discovery. Spätestens jetzt kommt es in der Regel zu einem Vergleich, da die ansonsten nun durchzuführende Hauptverhandlung zum einen die Prozesskosten immens steigen lassen würde und zum anderen keine der Parteien ein Interesse daran hat, im Ergebnis eine Laienjury über den Fall entscheiden zu lassen. Auch das Gericht hat wegen der ansonsten anstehenden komplizierten Schadensberechnung ein hohes Interesse an einer Beendigung durch Vergleich und wird stark auf einen solchen hinwirken. 258
V. Die Gruppenmitglieder und ihre Vertretung durch den Gruppenanwalt 1. Die abwesenden Gruppenmitglieder Die abwesenden oder passiven Gruppenmitglieder der Class Action werden auch im U.S.-amerikanischen Recht als prozessuale Sonderlinge angesehen, deren Einordung im Verfahrenszusammenhang häufig einige Schwierigkeiten aufwirft. 259 Diese treten insbesondere dann zu Tage, wenn die Mitglieder die ihnen zugedachte passive Rolle verlassen (wollen) und entweder freiwillig oder unfreiwillig aktiv zum Prozess beitragen (müssen). 260 In der Regel, und in Streuschadensfällen im Besonderen, bleiben die abwesenden Mitglieder aber auch bis zum Ende des Prozesses passiv. Sie partizipieren am Verfahren lediglich durch die verschiedenen verpflichtenden Benachrichtigungen und können in Class Actions nach Rule 23(b)(3) den Eintritt der Bindungswirkung durch Ausscheiden abwenden. 255
Ausführlich Newberg/Rubenstein, § 7:14 ff. Als Faustformel zur Abgrenzung gilt: Die certification-related discovery sollte ausreichend weit gefasst sein, damit die Kläger eine faire und realistische Möglichkeit haben Beweise dafür zu erhalten, dass die Voraussetzungen der Rule 23(a) und (b) vorliegen, jedoch nicht so weit gefasst, dass die Offenlegungsbemühungen eine unangemessene Belastung für den Beklagten darstellen, Tracy v. Dean Witter Reynolds, Inc., 185 F.R.D. 303, 304–305 (D. Colo. 1998). 257 Ausführlich und m. w. N. Newberg/Rubenstein, § 7:17. 258 Newberg/Rubenstein, § 4:93. 259 Devlin v. Scardelletti, 536 U.S. 1, 2, 122 S. Ct. 2005, 2007, 153 L. Ed. 2d 27 (2002); Newberg/Rubenstein, § 9:1. 260 Hierzu Teil 3 – C.V. 1.b). 256
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a) Das Benachrichtigungsverfahren Die Benachrichtigungen (notices) bilden das Herzstück der Integration der Gruppenmitglieder in die Class Action. Nach der Konzeption des Gesetzgebers kann es in einem Verfahren zu bis zu vier verschiedenen Arten der Benachrichtigung kommen. Man unterscheidet zwischen der Zulassungsbenachrichtigung, 261 die für (b)(3) Class Actions obligatorisch und ansonsten fakultativ ist, der Benachrichtigung über einen Vergleich, 262 die, genau wie die Benachrichtigung über die Anwaltskosten, 263 stets erfolgen muss und den sonstigen Benachrichtigungen im Laufe des Verfahrens, die im Ermessen des Gerichts liegen. 264 Diese Aufteilung sollte heutzutage jedoch nur noch als dogmatischer Ausgangspunkt angesehen werden und entspricht bei weitem nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Die große Mehrheit aller in den letzten Jahren eingereichten Class Actions sind settlement Class Actions, bei denen dem Gericht mit dem Antrag auf Zulassung bereits ein Vergleich vorgelegt wird. In diesen Fällen werden die Mitglieder genau einmal benachrichtigt, und zwar zugleich über die Zulassung, den Vergleich und die Anwaltsgebühren. Selbst wenn ein Verfahren noch bis zur Zulassungsentscheidung streitig sein sollte, erfolgen in der Regel maximal zwei Benachrichtigungen, da auch solche Fälle früher oder später durch einen Vergleich abgeschlossen werden, der Regelungen zu den Anwaltsgebühren enthält. 265 Der Hauptgrund dafür, dass Rule 23(c)(2)(B) nur für b(3) Class Actions zwingend die Benachrichtigung der Gruppenmitglieder über die Zulassungsentscheidung vorschreibt, ist, dass den Gruppenmitgliedern nur in Verfahren nach dieser Kategorie ebenso zwingend das Recht, aus der Klage auszuscheiden, gewährt werden muss, welches sie logischerweise nur ausüben können, wenn sie zuvor über die Zulassung unterrichtet wurden. 266 Bei Class Actions nach (b)(1) und (b)(2) kann ein solches Recht lediglich gewährt werden, was in der Praxis nur sehr selten geschieht. 267 Dementsprechend ist hier die Benachrichtigung über die Zulassung auch nur fakultativ und in der Ausgestaltung weniger strengen Vorschriften unterworfen. 268
261
Rule 23(c)(2) Fed. R. Civ. P. Rule 23(e)(1) Fed. R. Civ. P. 263 Rule 23(h)(1) Fed. R. Civ. P. 264 Rule 23(d)(1)(B) Fed. R. Civ. P. 265 Newberg/Rubenstein, § 8:1; Redish/Kastanek, 75 U. Chi. L. Rev. 545, 604 (2006). 266 Amchem Prod., Inc. v. Windsor, 521 U.S. 591, 593, 117 S. Ct. 2231, 2235, 138 L. Ed. 2d 689 (1997); vertiefend Wright/Miller/Kane, § 1786. 267 Hierzu Teil 3 – C.V. 1.b). 268 Advisory Committee’s Note on 2003 amendments; Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.311. Wie oben angesprochen wirkt sich das auf die Prozessrealität jedoch weniger aus, als es zunächst den Anschein hat. Die Gruppenmitglieder in (b)(1) und (b)(2) Class Actions werden regelmäßig ebenfalls bei Zulassung unterrichtet – und zwar über den vorgeschlagenen Vergleich. 262
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Doch nicht nur das obligatorische Austrittsrecht, sondern auch die geringere Verbundenheit der Gruppenmitglieder untereinander, die Tatsache, dass das zur Entscheidung berufene Gericht keine territoriale Zuständigkeit über die abwesenden Gruppenmitglieder haben muss, 269 sowie der Geldwert der durchsetzbaren Ansprüche führen bei (b)(3) Class Actions zu höheren Anforderungen an die Benachrichtigung über die Zulassungsentscheidung. 270 Rule 23(c)(2)(B) verlangt insofern, dass das Gericht den Gruppenmitgliedern die „bestmögliche Benachrichtigung zukommen lassen [muss], die unter den gegebenen Umständen durchführbar ist, einschließlich einer individuellen Benachrichtigung aller Mitglieder, die mit vertretbarem Aufwand ermittelt werden können“. Der Vorrang der Individualbenachrichtigung ergibt sich dabei aus dem Due-Process-Grundsatz, der eine möglichst direkte Information verlangt. 271 Eine solche kann unproblematisch dann erfolgen, wenn die Namen der Gruppenmitglieder bekannt oder einfach zu ermitteln sind. Was ansonsten als „noch vertretbarer Aufwand“ anzusehen ist, liegt im Ermessen des Gerichts und ist von Fall zu Fall unterschiedlich. 272 Im Endeffekt wird eine Abwägung vorzunehmen sein, bei der sowohl die Kosten des Ausfindigmachens, die Chancen, die Mitglieder zu identifizieren und zu erreichen, als auch der voraussichtliche Wert der einzelnen Ansprüche berücksichtigt werden müssen. 273 Die „bestmögliche Benachrichtigung“ ist in diesem Zusammenhang in der Regel eine individuelle Briefsendung, die trotz der Digitalisierung weiterhin die meist genutzte Form für alle Arten der Benachrichtigung im Rahmen der Class Action darstellt. 274 Über die korrekte Benachrichtigungsform gibt es heutzutage kaum noch Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, da zu diesem Zwecke, gerade in Verfahren mit vielen Gruppenmitgliedern, meist professionelle, hierauf spezialisierte Unternehmen beauftragt werden. 275 Diese führen häufig begleitend zu den Postsendungen noch Benachrichtigungen durch Veröffentlichungen in verschiedenen Medien durch, um auch die nicht namentlich bekannten Gruppenmitglieder zu erreichen. Hervorzuheben ist jedoch, dass, wenn das Gericht die Benachrichtigungsbemühun269 Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797, 808, 105 S. Ct. 2965, 2972, 86 L. Ed. 2d 628 (1985); ausführlich auch Newberg/Rubenstein, § 6:28. 270 Ausführlich Newberg/Rubenstein, § 8:5. 271 Mullane v. Cent. Hanover Bank & Tr. Co., 339 U.S. 306, 318, 70 S. Ct. 652, 659, 94 L. Ed. 865 (1950). 272 In re Nissan Motor Corp. Antitrust Litig., 552 F.2d 1088, 1097 (5th Cir. 1977); In re Domestic Air Transp. Antitrust Litig., 141 F.R.D. 534, 539 (N.D. Ga. 1992); In re Agent Orange Prod. Liab. Litig. MDL No. 381, 818 F.2d 145, 169 (2d Cir. 1987). 273 In re Nissan Motor Corp. Antitrust Litig., 552 F.2d 1088, 1098 (5th Cir. 1977). 274 Sibley v. Sprint Nextel Corp., 2018 WL 3145402, at *6 (D. Kan. 2018); Harlow v. Sprint Nextel Corp., 2018 WL 2568044, at *8 (D. Kan. 2018); In re Amazon.com, Inc., Fulfillment Ctr. Fair Labor Standards Act (Flsa) & Wage & Hour Litig., 2016 WL 9558953, at *5 (W.D. Ky., 2016). 275 Newberg/Rubenstein, § 8:27.
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gen grundsätzlich als ausreichend erachtet, alle Gruppenmitglieder an die Entscheidungen im Rahmen der Class Action gebunden sind, also auch diejenigen, die weder individuell benachrichtigt werden konnten noch die Veröffentlichungen zur Kenntnis genommen haben. 276 Für öffentliche Bekanntmachungen ist in den letzten Jahren das Internet zum Mittel der Wahl geworden, da Anzeigen dort vergleichsweise geringe Kosten verursachen, zugleich aber, insbesondere durch den Einsatz personalisierter Werbung, eine hohe Abdeckungsrate erzielen können. 277 Dennoch hegen die Gerichte weiterhin Vorbehalte dagegen, auch die individuelle Briefsendung durch eine E-Mail zu ersetzen. 278 Dies wurde bislang nur in Ausnahmefällen bei konkretem Internet-Bezug des Sachverhaltes zugelassen. 279 Der Inhalt der Zulassungsbenachrichtigung wird in Rule 23(c)(2)(B)(i–vii) festgelegt und muss „klar und prägnant in einfacher, leicht verständlicher Sprache formuliert werden“. 280 Die Benachrichtigung besteht daher meist aus kurzen Sätzen und wird in Englisch und, je nach Zusammensetzung der Gruppe, teilweise zusätzlich noch in einer anderen Sprache, häufig Spanisch, verfasst. 281 Die Vergleichsbenachrichtigung nach Rule 23(e)(1) und die Benachrichtigung über die beantragten Anwaltskosten nach Rule 23(h)(1) müssen im Gegensatz zur Zulassungsbenachrichtigung bei jeder Art der Class Action erfolgen und fallen zudem fast immer zusammen. Wird ein Vergleich geschlossen, so beinhaltet dieser in nahezu allen Fällen auch eine Vereinbarung über die Höhe und Verteilung der Anwaltskosten. Insofern ergibt die zeitgleiche Benachrichtigung auch durchaus Sinn, da die Mitglieder eine fundierte Entscheidung sowohl über die Angemessenheit des Vergleichs als auch der Anwaltsgebühren nur treffen können, wenn ihnen beide Informationen vorliegen. 282 Den beiden Benachrichtigungsformen liegt darüber hinaus auch eine ähnliche Ratio zugrunde, nämlich die, dass der grundsätzlich angelegte Interessengleichlauf zwischen den Mitgliedern der Gruppe, dem Repräsentanten und dem Gruppenanwalt meist schon beim Vergleich, spätestens aber bei der Frage der Anwaltsgebühren endet. Das Gesetz inten276 In re Agent Orange Prod. Liab. Litig. MDL No. 381, 818 F.2d 145, 169 (2d Cir. 1987); In re Se. Milk Antitrust Litig., 2012 WL 2050865, at *2 (E.D. Tenn. 2012); Paik Apau v. Deutsche Bank Nat. Tr. Co., 2012 WL 300417, at *10 (D. Haw. 2012); Newberg/Rubenstein, § 8:29; Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 140. 277 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.311. 278 Reab v. Elec. Arts, Inc., 214 F.R.D. 623, 630 (D. Colo. 2002). 279 Siehe beispielsweise Browning v. Yahoo! Inc., 2006 WL 3826714, at *8 (N.D. Cal. 2006); In re HP Inkjet Printer Litig., 2011 WL 1158635, at *2 (N.D. Cal. 2011). 280 Rule 23(c)(2)(B). 281 Montelongo v. Meese, 803 F.2d 1341, 1352 (5th Cir. 1986); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.311. Beispiele finden sich auf https://www.fjc.gov/content/301253/illustrativeforms-class-action-notices-introduction [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 282 In re Nat’l Football League Players Concussion Injury Litig., 821 F.3d 410, 446 (3d Cir. 2016).
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diert, die Mitglieder hier vor einem Ausverkauf ihrer Rechte zu schützen, indem es einem zu ihrem Nachteil erfolgenden kollusiven Zusammenwirken von Anwalt und Beklagten vorzugreifen versucht. Dass dies leider nicht immer gelingt, wird an späterer Stelle ausgeführt. 283 Mit der sehr groben Vorgabe „in vernünftiger Weise“ 284 stellt das Gesetz für die Vergleichsbenachrichtigung sowie für die Benachrichtigung über die beantragten Anwaltskosten nur geringe Formanforderungen auf, deren Ausformungen im Einzelfall im Ermessen des Gerichts liegen. Eine individuelle Benachrichtigung wird nicht explizit verlangt, erfolgt aber meist, da die beiden Benachrichtigungen, wie oben erwähnt, ohnehin im Großteil der Fälle zusammen mit der (soweit möglich) individuellen Zulassungsbenachrichtigung erfolgen. Inhaltlich erhalten die Mitglieder in der Regel eine in einfacher Sprache formulierte Zusammenfassung der Vergleiches, begleitet von einer tabellarischen Aufstellung der Kosten und Abzüge, aus denen sich klar ergibt, wie hoch die Vergleichssumme ist, wieviel für was abgezogen wurde und wie hoch die voraussichtliche individuelle Entschädigungssumme ist. 285 Bezüglich der Anwaltsgebühren verlangen die Gerichte regelmäßig, dass den Mitgliedern nicht nur die absolute Höhe, sondern auch die Zusammensetzung übermittelt wird, da nur so eine fundierte Entscheidung möglich ist. 286 Abschließend ermöglicht es Rule 23(d)(1)(B) den Gerichten noch, die Gruppenmitglieder nach eigenem Ermessen zusätzlich über relevante Verfahrensschritte zu informieren, wobei die Aufzählung der Anwendungsfälle in Rule 23(d)(1)(B)(i-iii) nicht abschließend ist. Von dieser Möglichkeit wurde in der Vergangenheit vorwiegend Gebrauch gemacht, um die Mitglieder über Fragen der Angemessenheit der Vertretung, neue relevante Informationen oder die Ablehnung der Gruppenzulassung zu benachrichtigen. 287 Die Kosten für die Zulassungsbenachrichtigung trägt nach dem wegweisenden Urteil des Supreme Courts zu Eisen aus dem Jahr 1974 die Partei, die von der Zulassung profitiert. 288 Das wird im Regelfall der Kläger sein, unabhängig davon, ob es sich um eine Class Action mit einer Gruppe auf Kläger- oder auf Beklagtenseite handelt. 289 Die Tatsache, dass es somit der Gruppenrepräsentant ist, der zunächst die teilweise extrem kostspielige Benachrichtigung zu finanzieren hat, birgt zwar grundsätzlich ein erhebliches 283
Siehe Teil 3 – C.VI. Rule 23(e)(1)(B), Rule 23(h)(1). 285 Hierzu Newberg/Rubenstein, § 8:17. 286 In re Mercury Interactive Corp. Sec. Litig., 618 F.3d 988, 994 (9th Cir. 2010); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.724. 287 City Select Auto Sales, Inc. v. David/Randall Assocs., Inc., 151 F. Supp. 3d 508, 513 (D.N.J. 2015); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.313.; Wright/Miller/Kane, § 1793. 288 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 179, 94 S. Ct. 2140, 2153, 40 L. Ed. 2d 732 (1974). 289 Defendant Class Actions, Note, 91 Harv. L. Rev. 630, 648 (1978). 284
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Abschreckungspotential in sich, wird aber dadurch relativiert, dass der Gruppenanwalt in aller Regel die Vorfinanzierung übernimmt. 290 Das Gericht hat zudem die Möglichkeit, die Kosten ganz oder anteilig auf den Beklagten zu verlagern, wenn dieser die Benachrichtigung, oder Teile davon, wesentlich günstiger, beispielsweise als Anhang zur monatlichen Rechnung an die Gruppenmitglieder, bewerkstelligen kann. 291 Über die Kosten der anderen Benachrichtigungen einigen sich die Partei meist im Rahmen des Vergleiches, weswegen es hierzu so gut wie nie einer expliziten Entscheidung des Gerichts bedarf. 292 b) Möglichkeiten der aktiven Teilnahme am Prozess Abwesende Gruppenmitglieder sind grundsätzlich passiv. Es sind der Gruppenrepräsentant und der Gruppenanwalt, die die Klage aktiv vorantreiben, betreuen und es den übrigen Mitgliedern damit ermöglichen, „sich zurückzulehnen und dem Rechtsstreit seinen Lauf zu lassen“. 293 Das Gesetz und die Gerichte sind daher bemüht, die Gelegenheiten, bei denen von den Mitgliedern eine aktive Beteiligung verlangt wird, gering und das Ausmaß der Beteiligung begrenzt zu halten. Schon der Kontakt der Parteien mit den abwesenden Gruppenmitgliedern außerhalb der formellen Benachrichtigungen kann und muss in manchen Fällen vom Gericht eingeschränkt oder überwacht werden. Das gilt hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, für Kontaktversuche seitens des Beklagten, insbesondere wenn es sich um Kommunikation über die Ausübung des Austrittsrechts handelt. 294 Den Gerichten stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine unsachgemäße Beeinflussung der Gruppenmitglieder durch den Repräsentanten oder seinen Anwalt, den Beklagten oder Dritte zu verhindern. 295 Die Rahmenbedingungen hierfür schaffte der Supreme Court in seiner Entscheidung zu Gulf Oil v. Bernard 1981. 296 Auch im Rahmen der discovery entstehen bisweilen Spannungsfelder, nämlich wenn der Beklagte zur Verteidigung Informationen benötigt, die sich bei den abwesenden Gruppenmitgliedern befinden. Die Konzeption der Class Action würde unterlaufen werden, wenn der Beklagte in diesen Fällen die uneingeschränkte Möglichkeit hätte, die passiven Mitglieder durch Beweiserhebungsgesuche „in den Prozess hineinzuziehen“. Da die 290
Newberg/Rubenstein, § 8:35. Oppenheimer Fund, Inc. v. Sanders, 437 U.S. 340, 341, 98 S. Ct. 2380, 2384, 57 L. Ed. 2d 253 (1978). 292 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.312. 293 Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797, 810, 105 S. Ct. 2965, 2974, 86 L. Ed. 2d 628 (1985). 294 Hierzu vertieft Newberg/Rubenstein, § 9:50. 295 Ausführlich Newberg/Rubenstein, § 9:2 ff. 296 Gulf Oil Co. v. Bernard, 452 U.S. 89, 101 S. Ct. 2193, 68 L. Ed. 2d 693 (1981). 291
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Regelungen zur discovery stark danach unterscheiden, ob sich die discovery gegen eine Prozesspartei oder gegen Dritte richtet, 297 haben einige Gerichte die abwesenden Gruppenmitglieder schlicht als „Dritte“ iSd Vorschriften eingestuft, um diesen so deren institutionellen Schutz zukommen zu lassen. 298 Die abwesenden Gruppenmitglieder sind aber nicht „Dritte“, sondern Teil einer Prozesspartei, zudem schränkt ein solches Vorgehen die Möglichkeiten des Beklagten zu stark ein. 299 Die Mehrheit der Gerichte ist daher inzwischen dazu übergegangen, die discovery bei passiven Gruppenmitgliedern von mehreren Faktoren abhängig zu machen. Diese unterscheiden sich zwar leicht in ihrer konkreten Ausformung, setzen aber grundsätzlich voraus, dass erstens die discovery nicht dazu angewandt wird, die Gruppenmitglieder zu belästigen oder die Gruppe zu verkleinern, zweitens die discovery zur Ermittlung von für die gesamte Gruppe relevanten Informationen notwendig ist und drittens die benötigten Informationen nur auf diese Weise beschafft werden können. 300 Die Beweislast dafür, dass diese Faktoren erfüllt sind, trägt der Beklagte. 301 Obgleich das in Streuschadenssituationen eher die Ausnahme sein wird, kann eine aktivere Beteiligung am Prozess unter Umständen auch im Interesse eines abwesenden Mitglieds liegen. Dieses kann beispielsweise mit der Prozessführung des Repräsentanten nicht einverstanden sein und daher selbst die Rolle des Gruppenrepräsentanten anstreben. 302 Es kann aber auch wünschen, die Argumente des Repräsentanten durch eigenes Vorbringen zu unterstützen oder die Klage um weitere Ansprüche zu erweitern. 303 Für diese Fälle erwähnt Rule 23(d)(1)(B)(iii) die Möglichkeit des in Rule 24 Fed. R. Civ. P. geregelten Klagebeitritts (Intervention) im Rahmen der Class Action. Rule 24 unterscheidet zwischen der intervention of right, auf die ein Anspruch besteht, und der permissive intervention, die im Ermessen des Gerichts liegt. Während für die intervention of right enge gesetzliche Rahmen297
Siehe Rule 26(a), 33, 34, 35, 36 Fed. R. Civ. P. und für Dritte Rule 45 Fed. R. Civ. P. Kline v. First W. Gov’t, 1996 WL 122717, at *2 (E.D. Pa. 1996); McCarthy v. Paine Webber Grp., Inc., 164 F.R.D. 309, 313 (D. Conn. 1995); In re Worlds of Wonder Sec. Litig., 1992 WL 330411, at *2 (N.D. Cal. 1992); Fischer v. Wolfinbarger, 55 F.R.D. 129, 132 (W.D. Ky. 1971). 299 Devlin v. Scardelletti, 536 U.S. 1, 20, 122 S. Ct. 2005, 2016, 153 L. Ed. 2d 27 (2002); Newberg/Rubenstein, § 9:12. 300 Eine Formulierung findet sich beispielsweise in Clark v. Universal Builders, Inc., 501 F.2d 324, 340 (7th Cir. 1974); eine andere, die sich inhaltlich aber kaum unterscheidet in On the House Syndication, Inc. v. Fed. Exp. Corp., 203 F.R.D. 452, 456 (S.D. Cal. 2001). 301 Hapka v. Carecentrix, Inc., 2017 WL 3386253, at *2 (D. Kan. 2017); McPhail v. First Command Fin. Planning, Inc., 251 F.R.D. 514, 517 (S.D. Cal. 2008); Clark v. Universal Builders, Inc., 501 F.2d 324, 341 (7th Cir. 1974). 302 Standard Fire Ins. Co. v. Knowles, 568 U.S. 588, 594, 133 S. Ct. 1345, 1349, 185 L. Ed. 2d 439 (2013). 303 Deutschman v. Beneficial Corp., 132 F.R.D. 359, 381 (D. Del. 1990); Newberg/Rubenstein, § 9:30. 298
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bedingungen erfüllt sein müssen, 304 sind die Voraussetzungen der permissive intervention wesentlich weiter und erlauben einen Beitritt bereits, wenn der Beitretende "einen Anspruch oder eine Verteidigung hat, der/die mit der Hauptklage eine gemeinsame Rechts- oder Tatsachenfrage teilt". 305 Bei letzterer Variante liegt die Entscheidung jedoch im freien Ermessen des Gerichts, welches einen Beitritt hauptsächlich erlauben wird, wenn dadurch die Klage unterstützt, vorangebracht oder beschleunigt wird. 306 Möchte ein Mitglied mehr an dem Prozess partizipieren, ohne diesem gleich aktiv beizutreten, so hat es darüber hinaus gemäß Rule 23(c)(2)(B)(iv) die Möglichkeit, sich durch einen eigenen Anwalt vertreten zu lassen, wobei das Gericht in einem solchen Fall darüber entscheidet, in welchem Umfang der Anwalt sodann in das Verfahren eingebunden wird. 307 In der Regel wird ihm Zugang zu den Prozessunterlagen gewährt, um ihn in die Lage zu versetzen, den Verlauf des Verfahrens für seinen Mandanten beobachten zu können. 308 Auch diese Form der Beteiligung wird in Streuschadensfällen jedoch kaum genutzt, was insbesondere daran liegt, dass das den Anwalt beauftragende Gruppenmitglied die Kosten hierfür selbst zu tragen hat, was sich bei einer geringen Schadenssumme schlicht nicht lohnt. 309 Ein Gruppenmitglied kann während des gesamten Prozesses passiv bleiben. Möchte es allerdings von seinem Recht Gebrauch machen, aus der Klage auszutreten, so muss es dies aktiv kundtun. Diese Opt-Out-Konstruktion ist es, die die Class Action zu dem wirksamen Instrument zur Streuschadensbekämpfung macht, die sie heute im U.S.-amerikanischen Recht darstellt. Bleibt ein Mitglied passiv, so ist es automatisch an den Prozessausgang gebunden, womit die rationale Passivität der Geschädigten bei geringen Schadenssummen, im Gegensatz zu beispielsweise der deutschen Musterfeststellungsklage, gerade zu einer hohen Durchsetzungsrate beiträgt. Rule 23 sieht vor, dass den Mitglieder bei b(3) Class Actions zwingend nach der Zulassungsentscheidung ein Austrittsrecht gewährt werden muss. In Verfahren 304 Erforderlich ist, dass der Beitretende rechtzeitig einen Antrag einreicht, in dem er geltend macht ein besonderes Interesse an der Klage zu haben, welches aktuell gefährdet und nicht angemessen durch den Repräsentanten geschützt ist, ausführlich Wright/Miller/ Kane, §§ 1906 ff. 305 Rule 24(b)(1)(B) Fed. R. Civ. P. 306 Insgesamt ziehen die Gerichte auch bei der permissive intervention eine Vielzahl von Faktoren heran, siehe Perry v. Schwarzenegger, 630 F.3d 898, 905 (9th Cir. 2011). Würde ein Beitritt den Prozess jedoch aufhalten oder verzögern, so wird er in der Regel abgelehnt: Barnes v. D.C., 274 F.R.D. 314, 319 (D.D.C. 2011); Chippewa Cree Tribe of Rocky Boy’s Reservation v. United States, 85 Fed. Cl. 646, 661 (2009). 307 In re AT&T Fiber Optic Cable Installation Litig., 2002 WL 31045370, at *1 (S.D. Ind. 2002); In re Potash Antitrust Litig., 162 F.R.D. 559, 562 (D. Minn. 1995); Aks v. Southgate Tr. Co., 1992 WL 401708, at *14 (D. Kan. 1992). 308 Aks v. Southgate Tr. Co., 1992 WL 401708, at *14 (D. Kan. 1992); Eichholtz, Die USamerikanische Class Action, S. 151. 309 Newberg/Rubenstein, § 9:37.
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nach Rule 23(b)(1) und (b)(2) kann ein solches ebenfalls gewährt werden, was aber nur recht selten geschieht, da ein solches meist dem Zweck der Kollektivierung bei mandatory Class Actions entgegenlaufen würde. 310 Für das obligatorische Austrittsrecht schreiben die Regelungen in Rule 23(c)(2)(B) (v–vii) Inhalt und Form nur grob vor. In der Zulassungsbenachrichtigung zu einer b(3) Class Action müssen die Mitglieder darüber aufgeklärt werden, dass es ein Recht zum Austritt gibt, wie sie den Ausritt erklären können, wie lange sie dieses Recht ausüben können und welche Folgen ein Austritt nach sich zieht. 311 Tritt ein Mitglied aus der Class Action aus, so hat dies das Erlöschen sämtlicher Rechte innerhalb der Class Action und den Wegfall der Bindungswirkung von Urteil oder Vergleich zur Folge. 312 Wird eine (b)(3) Class Action durch einen Vergleich beendet, so kann das Gericht den Mitgliedern erneut die Möglichkeit zum Austritt gewähren, Rule23(e)(4). Auf den Vergleichsinhalt können die Geschädigten zudem durch die Erhebung von Einwendungen nach Rule 23(e)(5) aktiv Einfluss nehmen, worauf an späterer Stelle noch vertieft eingegangen wird. 313 2. Der Gruppenanwalt Die zentrale Figur der Class Action ist der Gruppenanwalt. 314 Er prägt und kontrolliert die Klage wie kein anderer. Gleichzeitig und selbstverständlich auch hierdurch bedingt, ist seine Rolle eine der umstrittensten im Rahmen der Class Action und Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Kritikpunkten und Kontroversen. Im Kern lassen sich diese meist darauf zurückführen, dass die moderne Class Action heute nur noch wenig mit ihrer ursprünglich intendierten Konzeption gemein hat. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers sollte sich ein mündiger und engagierter Gruppenrepräsentant einen Anwalt suchen, diesen beauftragen und beaufsichtigen. Ein Interessengleichlauf sollte durch die Vereinbarung eines Erfolgshonorars gesichert werden, 315 über dessen Höhe das Gericht im Urteilsspruch entscheiden sollte. Insbesondere bei Class Actions, die aus Streuschadenskonstellationen her310 Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 564 U.S. 338, 362, 131 S. Ct. 2541, 2558, 180 L. Ed. 2d 374 (2011). 311 Ein Beispiel in Form einer tabellarischen Darstellung findet sich bei Newberg/Rubenstein, § 9:44. 312 Matsushita Elec. Indus. Co. v. Epstein, 516 U.S. 367, 379, 116 S. Ct. 873, 880, 134 L. Ed. 2d 6 (1996); Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 417 U.S. 156, 176, 94 S. Ct. 2140, 2152, 40 L. Ed. 2d 732 (1974). 313 Hierzu Teil 3 – C.VI.2. 314 Häufig werden mehrere Anwälte die Gruppe vertreten, Moore’s Federal Practice V, § 23.120. Um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, wird hier jedoch grundsätzlich der Singular angewandt. 315 Grundlegend zur Principal-Agent-Problematik in der Beziehung zwischen Anwalt und Gruppe Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 19 ff.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
vorgehen und die Erlangung von Geldschadensersatz zum Ziel haben, entspricht dieses Bild schlicht nicht mehr der Realität. Die Initiative für die Klage geht hier so gut wie immer von einem Anwalt aus, der sich für „seine“ Klage sodann einen ihm passenden Repräsentanten sucht. 316 Diesen lockt er mit einer Sonderzahlung für diese Rolle 317 und tritt sodann unmittelbar in Vergleichsverhandlungen mit dem Beklagten. Hierbei vernachlässigt er nicht selten die Interessen der Gruppe in dem Versuch, mit möglichst überschaubarem Aufwand die Zustimmung zu einer möglichst hohen Honorarforderung zu erlangen. 318 Der Repräsentant oder gar die abwesenden Mitglieder, für die ohnehin jeweils meist nur sehr geringe Summen auf dem Spiel stehen, haben nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, gestalterisch in den Prozess einzugreifen, und hieran meist auch kein Interesse. Dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber in jüngerer Zeit mehrfach entgegenzutreten versucht, indem er sowohl für die Auswahl des Gruppenanwalts, die Festlegung seines Honorars als auch den Abschluss von Vergleichen generell mit Rule 23(e), (g) und (h) neue Regelungen erlassen hat und damit nun die Gerichte viel stärker an den Stellen einbindet, an denen die Interessen der Gruppe und des Anwalts auseinander zu divergieren drohen. Nicht selten kommen die Gerichte durch diese neuen Aufgaben aber an ihre Kapazitätsgrenzen und sind dadurch bei weitem nicht zu der aufwändigen und zeitintensiven Analyse in der Lage, die das Gesetz eigentlich von ihnen verlangt. 319 Die erhebliche Arbeitsbelastung führt außerdem dazu, dass auch die Gerichte die Interessen der abwesenden Gruppenmitglieder nicht ausreichend zu schützen gewillt sind, da sie ein eigenes Interesse daran haben, den Streit möglichst schnell beizulegen. 320 Insgesamt stellen sich die aktuellen gesetzlichen Regelungen sowie die dazugehörige Rechtsprechung rund um den Gruppenanwalt bildlich gesprochen als Ansammlung von Flicken auf einem Reifen dar, über dessen vollständige Auswechslung sich der Gesetzgeber schon länger hätte ernsthaft Gedanken machen sollen. 321 Über die Ernennung des Gruppenanwalts entscheidet das Gericht im Rahmen der Zulassungsentscheidung. 322 Rule 23(g)(1)(A) enthält zu diesem Zwecke Voraussetzungen, die es bei der Ernennung berücksichtigen muss, Rule 23(g)(1)(B)–(E) solche, die es berücksichtigen kann. Das Gesetz geht dabei von einer Situation aus, in der sich mehrere Anwälte um die Position 316 Deshalb wird auch teilweise vom „unternehmerischen Anwalt“ gesprochen, Coffee, 54 U. Chi. L. Rev. 877 (1987). 317 Vertieft zu den sogenannten incentive awards Newberg/Rubenstein, § 17:1 ff. 318 Ausführlich Teil 3 – C.VI.3.b). 319 Koniak, 80 Cornell L. Rev. 1045, 1115 ff. (1995); Macey/Miller, 58 U. Chi. L. Rev. 1, 47 (1991); Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 95. 320 Grundlegend zur Principal-Agent-Problematik in der Beziehung zwischen dem Richter und der Gruppe Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 23 ff. 321 Ausführlich Coffee, 42 Md. L. Rev. 215 (1983). 322 Rule 23(c)(1)(B).
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des Gruppenanwalts bewerben, und bezweckt sicherzustellen, dass der Fähigste dieser Bewerber ausgewählt wird. 323 Bereits diese Annahme entspricht allerdings in der Praxis häufig nicht der Realität. Da, wie eingangs erwähnt, so gut wie jede Class Action heutzutage von einem Anwalt initiiert wird, ist dieser meist auch der einzige Bewerber um die Rolle als Gruppenanwalt. 324 Diesen könnte das Gericht zwar auch ablehnen, die Suche nach einem neuen Anwalt würde aber unweigerlich in einer erheblichen Verzögerung des Prozesses münden und außerdem möglicherweise Konflikte zwischen dem Repräsentanten und dem neuen Gruppenanwalt schaffen. 325 Darüber hinaus begünstigen die zwingend zu berücksichtigenden Auswahlfaktoren in Rule 23(g)(1)(A) zudem schon ihrer Ausrichtung nach an vielen Stellen die Ernennung des Anwalts des Repräsentanten zum Gruppenanwalt, womit externen Bewerbern, selbst für den Fall, dass es solche geben sollte, die Ernennung erschwert wird. Am stärksten tritt dies beim ersten obligatorischen Faktor zutage. Gemäß Rule 23(g)(1)(A)(i) muss das Gericht bei seiner Auswahl „die Arbeit, die der Anwalt bei der Identifizierung oder Untersuchung potenzieller Ansprüche im Rahmen der Klage geleistet hat“, berücksichtigen. Solche Arbeit wird beinahe ausschließlich vom Anwalt des Repräsentanten erbracht. Das Gericht kann hier zwar durchaus Abstufungen in der Würdigung vornehmen, abhängig davon, wie komplex und auf den konkreten Fall spezifiziert die vorangegangenen Handlungen des Anwalts waren, 326 und darüber hinaus auch schlechte Leistungen oder Versäumnisse des Anwalts im Vorbereitungsstadium in seine Bewertung mit einfließen lassen, 327 gerade in Fällen, in denen kein anderer Bewerber als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann, fällt dies aber schwer. Die fachlichen Kompetenzen des Anwaltes werden in Rule 23(g)(1)(A)(ii) und (iii) gewürdigt. Die Normen umfassen sowohl die Erfahrenheit des Anwalts im Hinblick auf kollektivierte Verfahren als auch dessen Kenntnisse über das einschlägige materielle Recht. Obgleich die Gerichte diese Faktoren nicht überbewerten sollten, 328 wird durch ihre Anwendung zumindest indirekt wiederum der Anwalt des Repräsentanten bevorzugt. Häufig sind es auf Class Actions spezialisierte Anwälte mit erheblichen Vorerfahrungen auf diesem Gebiet, die sich nach großen Schadensereignissen an einen Be323
Vgl. Rule 23(g)(2) S. 2. Moore’s Federal Practice V, § 23.120. 325 Moore’s Federal Practice V, § 23.120. 326 Siehe Advisory Committee’s Note on 2003 amendments; Moore’s Federal Practice V, § 23.120. 327 Insbesondere unschlüssige Vorträge oder Fristenversäumnisse können sich hier negativ auswirken. Mit Beispielen und ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung Newberg/Rubenstein, § 3:76. 328 Siehe Advisory Committee’s Note on 2003 amendments; Moore’s Federal Practice V, § 23.120. 324
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
troffenen wenden und diesen zur Klageerhebung überreden. Diese Vorerfahrungen werden von den Gerichten wiederum positiv gewürdigt, wodurch eine Art Perpetuierungsfunktion eintritt. 329 Abschließend verpflichtet Rule 23(g)(1)(A)(iv) die Gerichte noch dazu, die Ressourcen, also Geldmittel, Ausstattung und Personal, zu berücksichtigen, die ein Anwalt für die Durchführung des Verfahrens einsetzen könnte. Zwar ist die größte und zugleich wertvollste Ressource, die ein Anwalt in einer Class Action regelmäßig einbringt, seine Arbeitszeit, 330 dennoch tendiert auch dieser Faktor dazu, große, auf Class Actions spezialisierte Anwaltskanzleien zu bevorzugen. Wie bereits angesprochen, wurde die Tauglichkeit des Gruppenanwalts vor Einführung der Rule 23(g) im Rahmen der Rule 23(a)(4) überprüft. 331 Dieser Genese geschuldet und durch die weite Formulierung der Rule 23 (g)(1)(B) ermöglicht, rücken die Gerichte parallel zu den Anforderungen an den Gruppenrepräsentanten häufig auch im Hinblick auf den Gruppenanwalt die Abwesenheit von Interessenskonflikten in das Zentrum der Betrachtung. Die möglichen Ursachen solcher Konflikte sind dabei mannigfaltig. Stehen sich Anwalt und Gruppenrepräsentant zu nahe, so besteht die Gefahr, dass sich der Gruppenanwalt nicht ausreichend für das Wohl aller Gruppenmitglieder einsetzt, sondern die Interessen des Repräsentanten bevorzugt. Aus diesem Grund darf der Gruppenanwalt weder gleichzeitig Gruppenrepräsentant sein 332 noch enge geschäftliche oder persönliche Beziehungen zu diesem hegen. 333 Allein die Tatsache, dass der Gruppenanwalt auch Mitglied der Gruppe ist, spricht jedoch noch nicht für einen Interessenkonflikt. 334 Kritisch werden dagegen Verbindungen des Gruppenanwalts zum Beklagten durch parallel zu Class Action geführte Prozesse gesehen, da hier immer die Gefahr besteht, dass der Anwalt das Wohl der Gruppe 329 Arnold v. United Artists Theatre Circuit, 158 F.R.D. 439, 450 (N.D. Cal. 1994); In re Managed Care Litig., 209 F.R.D. 678, 685 (S.D. Fla. 2002); Wells v. Allstate Ins. Co., 210 F.R. D. 1, 11–12 (D.D.C. 2002); m. w. N. zur Rechtsprechung des 3d, 5th, 7th und 8th Circuit Moore’s Federal Practice V, § 23.120 Fn. 63. 330 Newberg/Rubenstein, § 3:74. 331 Hierzu Teil 3 – C.II. 332 Jacobs v. Citibank, N.A., 318 F. App’x 3 (2d Cir. 2008); In re California Micro Devices Sec. Litig., 168 F.R.D. 257, 260 (N.D. Cal. 1996); Shroder v. Suburban Coastal Corp., 729 F.2d 1371, 1375 (11th Cir. 1984); m. w. N. zur Rechtsprechung des 5th und 6th Circiuits Newberg/ Rubenstein, § 3:77; vertiefend auch Rock, 56 Fordham L. Rev. 111 (1987). 333 English v. Apple Inc., 2016 WL 1188200, at *4 (N.D., 2016); Kramer v. Sci. Control Corp., 534 F.2d 1085, 1093 (3d Cir. 1976); Eubank v. Pella Corp., 753 F.3d 718, 723 (7th Cir. 2014); Zylstra v. Safeway Stores, Inc., 578 F.2d 102, 103 (5th Cir. 1978); eine Generalisierung jedoch grundsätzlich ablehnend Petrovic v. Amoco Oil Co., 200 F.3d 1140, 1155 (8th Cir. 1999). Kein Interessenkonflikt wegen enger familiärer Beziehung wurde dagegen angenommen in In re Greenwich Pharm. Sec. Litig, 1993 WL 436031, at *2 (E.D. Pa. 1993). 334 Diese Doppelstellung wird sich insbesondere in Streuschadensfällen, in denen die Anzahl der Betroffenen schnell in die Millionen gehen kann, auch häufig nicht verhindern lassen, Richey v. Matanuska-Susitna Borough, 2015 WL 1542546, at *7 (D. Alaska 2015).
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aus externen Motiven zurückstellt. So darf der Gruppenanwalt den Beklagten weder in einem anderen Verfahren vertreten 335 noch eine Individualklage gegen ihn betreuen, die in ihrer Ursache oder ihrem Zweck dem der Class Action entspricht. 336 Auch darf sich der Gruppenanwalt nicht gleichzeitig mit einer anderen Class Action gegen den Beklagten befassen, unabhängig davon, ob diese Klagen in Verbindung zueinander stehen. 337 Sollte die Gruppe zudem gemäß Rule 23(c)(5) in Untergruppen aufgespalten werden, untersagen die Gerichte einem Anwalt in der Regel, mehrere Gruppen gleichzeitig zu vertreten. 338 Platz für weitere Erwägungen zu Interessenkonflikten bietet Rule 23(g)(4), die verlangt, dass der Gruppenanwalt die Gruppe fair und angemessen vertritt. Die Gerichte nutzen die Norm, um Fragen der ethischen Eignung des Anwalts zu erörtern. Anlass zur Besorgnis über die moralische Integrität des Anwalts können dem Gericht hierbei sowohl dessen Verhalten in vorangegangenen Prozessen als auch dessen Handlungen im aktuellen Verfahren geben. 339 Ist der Anwalt jedoch einmal als Gruppenanwalt zugelassen, gehen die meisten Gerichte dazu über, Verstöße eher bei den zuständigen Disziplinarbehörden anzuzeigen anstatt den Gruppenanwalt abzuberufen, da eine Auswechslung unweigerlich zu Verzögerungen führen würde, unter denen hauptsächlich die Gruppenmitglieder zu leiden hätten. 340 Insgesamt trägt Rule 23(g) damit nur wenig dazu bei, die dominante Rolle des die Klage initiierenden Anwalts und die daraus hervorgehende Missbrauchsgefahr einzuschränken. Trotz der weitreichenden Anforderungen der Norm stellen sich die Gerichte nur selten einer Ernennung des Anwalts des Repräsentanten zum Gruppenanwalt entgegen, brächte dies doch meist erhebliche Verzögerungen mit sich. Insofern teilt die Regelung weitestgehend das Schicksal der Rules 22(e) und (h) die, wie in den folgenden Abschnitten ausgeführt wird, ebenfalls eine Missbrauchsverhinderung intendieren, diese jedoch häufig aufgrund des fehlenden Engagements der Gerichte nicht (vollständig) erreichen können.
335 Huston v. Imperial Credit Commercial Mortgage Inv. Corp., 179 F. Supp. 2d 1157, 1179–1180 (C.D. Cal. 2001). 336 Ortiz v. Fibreboard Corp., 527 U.S. 815, 852, 119 S. Ct. 2295, 144 L. Ed. 2d 715 (1999). 337 Sullivan v. Chase Inv. Servs., Inc., 79 F.R.D. 246, 258 (N.D. Cal. 1978); Kurczi v. Eli Lilly & Co., 160 F.R.D. 667, 679 (N.D. Ohio 1995); vorsichtiger aber in Sheftelman v. Jones, 667 F. Supp. 859, 865 (N.D. Ga. 1987). 338 Ortiz v. Fibreboard Corp., 527 U.S. 815, 856, 119 S. Ct. 2295, 2319, 144 L. Ed. 2d 715 (1999). 339 Verstöße in vorangegangenen Verfahren wurden beispielsweise berücksichtigt in Walter v. Palisades Collection, LLC, 2010 WL 308978, at *10 (E.D. Pa., 2010). 340 Halverson v. Convenient Food Mart, Inc., 458 F.2d 927, 932 (7th Cir. 1972); Busby v. JRHBW Realty, Inc., 513 F.3d 1314, 1324 (11th Cir. 2008); In re Pfizer Inc. Sec. Litig., 282 F. R.D. 38, 48 (S.D.N.Y. 2012).
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VI. Die Beendigung der Class Action, der Vergleich und sein Inhalt 1. Urteil oder Vergleich? Im U.S-amerikanischen Zivilprozess erfreut sich der Prozessvergleich noch einer weitaus größeren Beliebtheit als das in Deutschland der Fall ist. Der wichtigste, obgleich nicht einzige Grund hierfür ist die American Rule, die es grundsätzlich nicht vorsieht, die Prozesskosten der unterlegenen Partei aufzubürden. 341 Es überrascht daher kaum, dass bei Class Actions, deren Kosten sich auf ein Vielfaches eines Individualprozesses belaufen, der Vergleich eine noch zentralere Rolle als ohnehin schon spielt. Positive Urteile, also solche, bei denen die Ansprüche der Kläger bestätigt werden, sind in Class Actions eine absolute Seltenheit und ergehen beinahe ausschließlich in Verfahren nach Rule 23(b)(1) und (b)(2), die keinen Geldschadensersatz zum Ziel haben. Eine Class Action, mit der Schadensersatzansprüche durchgesetzt werden, endet dagegen entweder dadurch, dass der vom Beklagten frühzeitig eingereichten motion to dismiss stattgegeben wird, dass die Zulassung der Gruppe abgelehnt wird, oder mit einem Vergleich, in dem sich der Beklagte zu einer Zahlung verpflichtet. 342 In großen Verfahren steht neben den Kosten auch der durch die öffentliche Berichterstattung ausgeübte Druck auf den Beklagten. Die geschäftsschädigende Wirkung eines langwierigen Prozesses, in dessen Rahmen die Klägeranwälte dem Gericht und der Öffentlichkeit in emotionsgeladenen Ansprachen die Schäden der Opfer detailliert vortragen und an dessen Ende die Entscheidung einer Laienjury steht, ist immens und kann zum Ruin eines Unternehmens führen. 343 Wer würde dem nicht einen schnellen Vergleich, der in einer Einmalzahlung mündet und in dem auf ein Schuldanerkenntnis des Beklagten verzichtet wird, vorziehen? Vergleiche sind im Rahmen der Class Action aber nicht nur ungleich häufiger, sondern auch ungleich komplizierter. Das ist der Tatsache geschuldet, dass hier, anders als in einem Individualverfahren, der Großteil derjenigen, die von dem Vergleich betroffen sind, nämlich die abwesenden Gruppenmitglieder, nicht an der Aushandlung des Vergleichs beteiligt sind, sondern dies hauptsächlich zwischen dem Beklagten und dem Gruppenanwalt geschieht. Da im Zuge der Vergleichsverhandlungen regelmäßig auch Verhandlungen über die Höhe des Anwaltshonorars stattfinden, besteht hier die erhebliche Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens dieser beiden zum Nachteil der Gruppenmitglieder. Um das zu verhindern, nimmt Rule 23 das Gericht in 341
Hierzu Teil 3 – C.VII. Fitzpatrick, 7 J. Empirical Legal Stud. 811, 812 (2010); Baker/Griffith 157 U. Pa. L. Rev. 755 (2009); ausführlich auch Brown, Do Class Actions Benefit Class Members? 343 Vergleiche die Ausführungen von Judge Richard Posner, Matter of Rhone-Poulenc Rorer, Inc., 51 F.3d 1293, 1299 (7th Cir. 1995). 342
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die Verantwortung, den Vergleichsprozess zu überwachen, das Ergebnis zu überprüfen und die Interessen der Gruppenmitglieder zu wahren. Zum einen wird dem Gericht dadurch jedoch eine eher ungewohnte Rolle zuteil, ist es doch aufgrund des im U.S.-amerikanischen Zivilprozess geltenden Advisory-Prinzips ansonsten nicht angehalten eine Partei zu unterstützen, zum anderen ist auch das Gericht im Rahmen der Class Action, wie bereits angesprochen, nicht frei von Eigeninteressen, die hier ein Konfliktpotential mit sich bringen. So stellt der Vergleich auch für das Gericht einen schnellen und einfachen Weg dar, um die umfangreiche Class Action zu den Akten legen zu können. Eine streitige Verhandlung, die mit einem Urteil endet, würde dagegen einen erheblich größeren Aufwand bedeuten, ebenso wie die intensive Kontrolle des Vergleiches. Hinzu kommt, dass selbst wenn ein Gericht gewillt sein sollte, seine überwachende Funktion bestmöglich und unter Hinzuziehung all seiner Ressourcen wahrzunehmen, eine umfassende Bewertung häufig auch daran scheitert, dass es hierfür nicht immer über ausreichend Informationen verfügt. 344 Insofern gilt weitestgehend das oben zur Auswahl des Gruppenanwalts Gesagte. Die intensive Einbindung des Gerichts in die Vergleichsverhandlungen ist von einem rechtstheoretischen Standpunkt aus zwar durchaus zu begrüßen, erfordert aber auch ein starkes Engagement, das leider nicht alle Gerichte zu erbringen bereit oder in der Lage sind. 2. Ablauf des Vergleichsverfahrens und gerichtliche Kontrolle Endet eine Class Action in einem Vergleich, so lässt sich das hierfür durch Rule 23 vorgeschriebene Verfahren grob in fünf Schritte untergliedern, die allesamt, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität, der Kontrolle des Gerichts unterliegen. Nachdem die Vergleichsverhandlungen (1) abgeschlossen sind, legen die Parteien dem Gericht den Vergleichsvorschlag zur vorläufigen Genehmigung vor (2). Erteilt das Gericht diese, so werden die Gruppenmitglieder über den Inhalt des Vergleichs benachrichtigt (3) und haben die Gelegenheit Einwände vorzutragen und ggf. aus der Klage auszuscheiden (4). Die Einwände der Gruppenmitglieder werden in einer abschließenden Anhörung erörtert, in deren Anschluss das Gericht dem Vergleich endgültig zustimmt (5) . Den Beteiligten steht es frei, in jeder Phase des Prozesses in Vergleichsverhandlungen einzutreten. Grundsätzlich ist auch die Form der Verhandlung keinen Regeln unterworfen. Möchten die Parteien aber sicherstellen, dass ihr Vergleich später vom Gericht gebilligt wird, so sollten sie bei der Ausgestaltung bereits darauf achten, nicht den Anschein kollusiven Zusammenwirkens zu erwecken. Dem ist es sehr zuträglich, wenn die Verhandlun344
Eichholtz, Die US-amerikanische Class Action, S. 23.
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gen in Anwesenheit eines unabhängigen Dritten wie eines Mediators oder einer öffentlichen Aufsichtsbehörde geführt werden. 345 Zudem sollten die Parteien sich vor Beginn der Verhandlungen bereits einen guten Überblick über die wahrscheinlichen Streitpunkte verschafft haben 346 und die Verhandlungen über die Höhe der Anwaltsgebühren bestenfalls erst im Anschluss an die Vergleichsverhandlungen führen. 347 All diese Punkte sind keineswegs zwingend, sie werden aber vom Gericht in der abschließenden Entscheidung positiv gewertet. 348 Haben sich die Parteien auf einen Vergleichsvorschlag geeinigt, so wird dieser dem Gericht zur vorläufigen Genehmigung vorgelegt. Ist die Gruppe noch nicht zugelassen, wird in diesem Zuge auch die Zulassung der Gruppe unter der Bedingung der Genehmigung des Vergleichs beantragt. 349 Hält es das Gericht nach einer summarischen Prüfung für wahrscheinlich, dass der Vergleichsvorschlag, gemessen an den Kriterien der Rule 23(e)(2), im späteren Verlauf auch endgültig gebilligt werden kann, 350 ordnet es die entsprechende Benachrichtigung der Gruppenmitglieder an. Soweit zeitgleich mit der Einreichung des Vergleichsvorschlags auch die Zulassung der Gruppe beantragt wurde, bleibt dies, wie oben angesprochen, die einzige Benachrichtigung, die die Gruppenmitglieder im Zuge des Verfahrens erhalten werden, da der Vergleichsvorschlag in der Regel auch eine Vereinbarung über das Honorar des Gruppenanwalts enthält. 351 Nach Erhalt der Vergleichsbenachrichtigung hat jedes Gruppenmitglied, das nicht aus der Klage ausgeschieden ist, gemäß Rule 23(e)(5) das Recht, Einwände gegen den Inhalt des Vergleichs und/oder die Höhe des Anwaltshonorars 352 vorzubringen. Obgleich die Gruppenmitglieder hierüber in der Benachrichtigung informiert werden, machen in der Regel nur sehr wenige Mitglieder von diesem Recht Gebrauch, meist bleibt es völlig ungenutzt. 353 Das trifft aufgrund der rationalen Passivität zwar insbesondere für Streu345 Siehe Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Gallucci v. Gonzales, 603 F. App’x 533, 534 (9th Cir. 2015); In re Austrian & German Bank Holocaust Litig., 80 F. Supp. 2d 164, 174 (S.D.N.Y. 2000); Thompson v. Metro. Life Ins. Co., 216 F.R.D. 55, 62 (S.D.N.Y. 2003). 346 Siehe Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:50. 347 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.7. 348 Hierzu sogleich. 349 Diese Möglichkeit sieht Rule 23(e)(2)(B)(ii) explizit vor. Ausführlich zu dieser Verfahrensweise Wright/Miller/Kane, § 1797.2; Newberg/Rubenstein, § 13:16 ff. 350 Rule 23(e)(1)(B)(i) Fed. R. Civ. P. 351 Im Falle einer Class Action nach Rule 23(b)(3) fallen damit drei Benachrichtigungen zusammen; die über die Zulassung der Gruppe nach Rule 23(c)(2)(B), die über den Vergleichsinhalt nach Rule 23(e)(1) und die über das Honorar des Gruppenanwalts nach Rule 23(h)(1). Ausführlich zu den Benachrichtigungen Teil 3 – C.V. 1.a). 352 Rule 23(h)(2) Fed. R. Civ. P, ausführlicher Teil 3 – C.VII. 353 Eisenberg, 57 Vand. L. Rev. 1529, 1546 (2004).
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schadensfälle zu, 354 aber auch bei größeren individuellen Schäden fehlt es den Gruppenmitgliedern häufig an den entsprechenden Informationen, um ihre Einwände zu begründen und zu verifizieren. 355 Hinzu kommt, dass die Parteien oft hohe formale Kriterien für das Hervorbringen der Einwände aufstellen, die weit über den von Rule 23(e)(5) geforderten Inhalt hinausgehen. 356 Obgleich dies faktisch zu einer Beschneidung der Rechte der Gruppenmitglieder führt, stimmen die Gerichte meist auch komplizierteren Verfahren zu, um damit der missbräuchlichen Erhebung von Einwänden durch sogenannte professional objectors entgegenzuwirken. Mit diesem Begriff werden Anwälte bezeichnet, deren Betätigungsfeld darin liegt, im Namen von Gruppenmitgliedern Einwände gegen Vergleiche vorzubringen, deren Begründetheit im besten Fall zweifelhaft ist. Durch das Erheben des Einwands und das Einlegen von Rechtsmitteln gegen eine spätere Ablehnungsentscheidung jedoch, kann die Beendigung der Class Action und damit auch die Auszahlung der Vergleichssumme an die Kläger sowie die Begleichung der Anwaltskosten teilweise über Jahre hinausgezögert werden. Die professional objectors bauen darauf, dass sich der Gruppenanwalt, um diese Verzögerung zu verhindern, großzügig mit ihnen vergleicht. 357 Obgleich der Gesetzgeber nun schon im zweiten Anlauf versucht hat, diesem Missbrauch durch einen gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt für Zahlungen, die für die Zurückziehung von Einwänden geleistet werden, zu begegnen, bleiben professional objectors weiterhin ein ernst zu nehmendes Problem. 358 Die Vergleichspraxis hat sich dahingehend angepasst, dass nun verbreitet sogenannte quick-pay provisions vereinbart werden. 359 Der endgültigen Zustimmung des Vergleichs geht ein abschließendes fairness hearing durch das Gericht voraus. Dieses beginnt mit einem Vortrag der Parteien, in dem sie ihren Vergleichsvorschlag dem Gericht unterbreiten und Argumente und Beweismittel dafür vorbringen, dass dieser den Anforderungen der Rule 23(e) genügt. 360 Sollten Einwände durch Gruppenmitglieder vorgebracht worden sein, so werden diese im Anschluss erörtert. Die abschließende Entscheidung darüber, ob der Vergleich genehmigt wird, trifft 354 Mars Steel Corp. v. Cont’l Illinois Nat. Bank & Tr. Co. of Chicago, 834 F.2d 677, 681 (7th Cir. 1987). 355 Newberg/Rubenstein, § 13:21; § 13:58; Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.61. 356 Mögliche Gestaltungen finden sich in Newberg/Rubenstein, § 13:30. 357 Ausführlich zu dieser Problematik Fitzpatrick, 62 Vand. L. Rev. 1623 (2009). 358 Rule 23 machte seit 2003 die Zurückziehung von Einwänden von einer gerichtlichen Genehmigung abhängig. Diese Regelung wurde 2018 von Rule 23(e)(5)(B) ersetzt, die nun für Zahlungen im Zusammenhang mit der Zurückziehung eine Genehmigung verlangt. Hier bestehen aber weiterhin diverse Umgehungsmöglichkeiten, siehe Newberg/Rubenstein, § 13:21. 359 Hierzu Teil 3 – C.VII. 360 In re Shop-Vac Mktg. & Sales Practices Litig., 2016 WL 7178421, at *8 (M.D. Pa. 2016); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.634.
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das Gericht sodann anhand der in Rule 23(e)(2) festgelegten Kriterien. Vor der Anpassung der Vorschrift im Jahr 2018 enthielt die Norm lediglich den Passus, dass ein Vergleich „gerecht, nachvollziehbar und angemessen“ sein müsse. Die nun weitaus ausdifferenzierteren Kriterien spiegeln jedoch nur die bis dato ohnehin herrschende Rechtsprechungspraxis wider und sollten zu keiner materiellen Änderung führen. 361 Die Gerichte haben zudem auch weiterhin noch die Möglichkeit, nicht kodifizierte Faktoren in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen. 362 Auch sonst steht den Gerichten ein sehr weiter Ermessenspielraum bezüglich der Annahmeentscheidung zur Verfügung, der von den Berufungsinstanzen zudem nur auf schwerwiegende Ermessensfehler hin überprüft werden kann. 363 Eine Einschränkung in der Freiheit der Gerichte ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass diese den Vergleichsvorschlag nur als Ganzes ablehnen oder annehmen können; einzelne Passagen abzulehnen oder abzuändern ist ihnen nicht möglich. 364 Der erste kodifizierte Faktor, der die Gerichte dazu anhält zu berücksichtigen, ob die Gruppe angemessen vertreten wurde, ist in gewisser Weise redundant, fordert Rule 23(a)(4) das doch bereits für die Zulassungsentscheidung. Fällt diese zeitlich mit der Unterbreitung des Vergleichsvorschlags auseinander, kann hier jedoch das Verhalten des Repräsentanten und des Gruppenanwaltes in der Zwischenzeit gewürdigt werden. 365 Die Gesetzgebungsmaterialien legen es zudem nahe, unter diesem Punkt zu überprüfen, ob der Gruppenanwalt vor den Vergleichsverhandlungen hinreichend Informationen über dem Fall, beispielsweise im Zuge der discovery, gesammelt hat, um sicherzustellen, dass der Vergleich auf einer soliden Basis und nicht vorschnell geschlossen wurde. 366 Die angemessene Repräsentation im weiteren Sinne ist darüber hinaus auch Gegenstand des zweiten Faktors in Rule 23(e)(2)(B), der verlangt, dass es bei den Vergleichsverhandlungen nicht zu kollusivem Zusammenwirken zum Nachteil der Gruppenmitglieder gekommen ist. Um das Gericht hiervon zu überzeugen, sollten die Parteien, wie oben angesprochen, ihre Verhandlungen bereits von Beginn an so strukturieren, dass der Verdacht eines Ausverkaufs der Gruppeninteressen gar 361 Siehe Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:48. 362 Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:57; siehe zum wichtigsten Faktor, der Reaktion der Gruppenmitglieder, sogleich. 363 In re Drexel Burnham Lambert Grp., Inc., 960 F.2d 285, 292 (2d Cir. 1992). 364 Hanlon v. Chrysler Corp., 150 F.3d 1011, 1026 (9th Cir. 1998); Evans v. Jeff D., 475 U. S. 717, 726, 106 S. Ct. 1531, 1537, 89 L. Ed. 2d 747 (1986); Rawa v. Monsanto Co., 934 F.3d 862, 871 (8th Cir. 2019); Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.61. 365 Siehe Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:49. 366 Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:49; neben der discovery kommen aber auch andere Informationsquellen wie öffentliche Ermittlungsergebnisse von Behörden oder Erkenntnisse aus vorangegangenen oder parallelen Verfahren in Betracht.
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nicht erst aufkommt. Die Hinzuziehung eines neutralen Dritten hat sich hier als gangbaren Weg erwiesen, zumal die Gerichte gut in der Lage sind, diese objektive Tatsache zu überprüfen. Den Kern eines jeden Vergleichs stellt die Leistung dar, die sich der Beklagte zu erbringen verpflichtet. Hierauf liegt naturgemäß das Hauptaugenmerk der Gruppenmitglieder und somit auch des Gerichts, das, wie oben erörtert, im Rahmen des Vergleichs zu deren Interessenwahrung angehalten ist. Die Leistung ist zwar nicht immer eine Geldzahlung, da dies in Streuschadenskonstellationen jedoch der Regelfall ist, ist auch die hier erfolgende Darstellung dementsprechend zugeschnitten. Den gesetzlichen Rahmen für die Erwägungen hierzu bietet seit 2018 Rule 23(e)(2)(C), die von den Gerichten sowohl die Überprüfung der Höhe der Zahlung an die Gruppenmitglieder, des dazugehörigen Verteilungsprozess sowie bestehender Abreden über die Höhe des Anwaltshonorars verlangt. Es ist keineswegs einfach festzustellen, ob die Summe, die der Beklagte im Vergleich bereit ist den Klägern zu zahlen, angesichts der Fakten des konkreten Falles als angemessen angesehen werden kann. Dies erfordert immer eine Prognoseentscheidung des Gerichts über den wahrscheinlichen Ausgang eines streitigen Verfahrens. Grundlage hierfür bilden an den U.S.-Bundesgerichten mathematische Berechnungsmethoden, die sogenannten net expected value analysis, mit Hilfe derer ein Annährungswert bestimmt werden soll. Vereinfacht dargestellt gehen die Gerichte dabei wie folgt vor: Es werden meist vier Summen festgelegt, die das Ergebnis eines streitigen Verfahrens sein könnten. Dabei wird jeweils eine hohe, eine mittlere und eine niedrige Summe angesetzt. Die vierte Summe ist stets Null und spiegelt das vollständige Unterliegen der Kläger im Prozessfall wider. Das Gericht ordnet diesen vier möglichen Prozessergebnissen sodann eine prozentuale Eintrittswahrscheinlichkeit zu. Im Anschluss werden die Summen mit den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten multipliziert, um den expected value eines jeden Prozessausgangs zu berechnen. Addiert man sodann diese vier Ergebnisse, so erhält man den net expected value, der dem Gericht als Referenzwert für die vorgeschlagene Vergleichssumme dient. 367 Diesen Wert kann das Gericht im Anschluss noch anhand anderer Faktoren anpassen. So spielt die Solvenz des Beklagten durchaus eine Rolle, insbesondere wenn er nicht in der Lage wäre, eine höhere Summe zu bezahlen, oder die Gefahr bestehen würde, dass seine Mittel durch einen langwierigen Prozess vollständig oder zu einem erheblichen Teil aufgezehrt werden würden. 368 Auch können die Gerichte einen etwas geringeren Betrag als den net expected value noch als 367 Mit ausführlichen Nachweisen zu dieser Berechnungsmethode und einem tabellarischen Beispiel Newberg/Rubenstein, § 13:51. 368 Redman v. RadioShack Corp., 768 F.3d 622, 632 (7th Cir. 2014); Nat’l Ass’n of Chain Drug Stores v. New England Carptenters Health Benefits Fund, 582 F.3d 30 (1st Cir. 2009); In re PaineWebber Inc. Ltd. Partnerships Litig., 117 F.3d 721 (2d Cir. 1997).
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angemessen erachten, wenn abzusehen ist, dass die Kläger ihr Geld wegen der Komplexität des Prozesses erst in mehreren Jahren erhalten würden. 369 Besondere Fragen der Angemessenheit werden zudem aufgeworfen, wenn geldwerte Ansprüche nicht durch Zahlungen in Geld, sondern andere Leistungen, wie beispielsweise Coupons, befriedigt werden. 370 Noch zentraler als die Höhe der Gesamtvergleichssumme ist für das einzelne Gruppenmitglied die Summe, die am Ende konkret bei ihm ankommt. Aus diesem Grunde hat das Gericht zum einen nach Rule 23(e)(2)(C)(ii) die Ausgestaltung des Verfahrens zur Verteilung der Summe an die Mitglieder und zum anderen gem. Rule 23(e)(3)(D) die Methode, die zur Aufschlüsselung der Summe in die Individualentschädigungen vorgesehen ist, zu überprüfen. Bezüglich der Höhe der individuellen Entschädigungssummen kommt es dabei maßgeblich darauf an, dass Mitglieder mit gleichen Ansprüchen gleich und Mitglieder mit unterschiedlichen Ansprüchen unterschiedlich behandelt werden. 371 Die Gerichte verlangen von den Parteien jedoch keine trennscharfe Unterscheidung der Ansprüche nach Einzelfällen, sondern stimmen, wie oben bereits dargelegt wurde, auch recht groben Unterscheidungsmethoden zu. 372 Damit ersparen sie sich selbst und den Beteiligten komplizierte Einzelfallberechnungen. Auch einer Andersbehandlung des Gruppenrepräsentanten, in Form einer Ausgleichszahlung für den ihm entstandenen Aufwand, wird regelmäßig bis zu einem bestimmten Maße genehmigt. 373 Das Verfahren zur Aufteilung der Gesamtentschädigungssumme muss das Gericht gem. Rule 23(e)(2)(C)(ii) überprüfen. Idealerweise sollte hier ein Verfahren implementiert werden, das von den Geschädigten einerseits nur eine möglichst geringe aktive Beteiligung verlangt, da Geschädigte insbesondere in Streuschadenskonstellationen nur selten zu aufwändigen Anmeldeprozessen bereit sind, 374 andererseits aber effektive Hürden vorsieht, um sicherzustellen, dass nicht auch unberechtigte Ansprüche aus der Vergleichssumme befriedigt werden. 375 Ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erfordern zudem Vergleiche, die vorsehen, die Gesamtsumme oder Teile 369
Rule 23(e)(2)(C)(ii) trägt ausdrücklich auch dem zeitlichen Faktor Rechnung. Hierzu Teil 3 – C.VI.4. 371 Newberg/Rubenstein, § 13:56. 372 Hierzu auch Teil 3 – C.VI.3.b). 373 Beispielsweise wurde in Klingensmith v. Max & Erma’s Restaurants, Inc., 2007 WL 3118505, at *5 (W.D. Pa. 2007) ein incentive award von $ 2500 als angemessen erachtet; in Staton v. Boeing Co., 327 F.3d 938, 978 (9th Cir. 2003) einer Berufung dagegen stattgegeben, weil eine zu große Differenz zwischen den Entschädigungssummen der Repräsentanten und der abwesenden Gruppenmitglieder bestand. 374 Jackson v. Wells Fargo Bank, N.A., 136 F. Supp. 3d 687, 702 (W.D. Pa. 2015); Pace/ Rubenstein, Shedding Light on Out-comes in Class Actions, Doherty/Reville/Zakaras, S. 45 f. 375 Hierzu auch Teil 3 – C.VI.3.b). 370
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davon Dritten zuzuwenden oder nicht verteilbare Gelder an den Beklagten zurückzuführen. Da eine vergleichbare Problematik absehbar auch im Rahmen der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie entstehen wird, erfolgt im Anschluss an die allgemeinen Regelungen zum Vergleich eine vertieftere Darstellung des Verteilungsverfahrens im Allgemeinen. Dem schließt sich ein Kapitel an, in dem konkret auf die Begünstigung Dritter durch Kollektivvergleiche eingegangen wird. Als letzter kodifizierter Faktor verlangt Rule 23(e)(3) von den Parteien, sämtliche Abreden, die im Zusammenhang mit dem Vergleichsvorschlag stehen, dem Gericht anzuzeigen, welche dieses gemäß Rule 23(e)(2)(C)(iv) auch in seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat. Da Rule 23(e)(2)(C)(iii) jedoch bereits explizit die Berücksichtigung sämtlicher Abreden über die Höhe und die Fälligkeit des Honorars des Gruppenanwalts fordert, verbleibt für den erstgenannten Faktor kaum noch ein Anwendungsbereich. 376 Die Höhe des Anwaltshonorars dagegen ist für die Gruppenmitglieder und damit auch für das Gericht durchaus von Interesse. Wie an späterer Stelle noch genauer ausgeführt wird, richtet sich der Honoraranspruch des Gruppenanwalts häufig gegen die Gruppenmitglieder. Sein Honorar wird damit von der Vergleichssumme abgezogen und schmälert die Zahlung an die Gruppenmitglieder. 377 Doch auch wenn ausnahmsweise den Beklagten die Pflicht trifft, für das Honorar des Gruppenanwalts aufzukommen, spricht ein deutliches Missverhältnis zwischen der Honorarsumme und der Entschädigungssumme für einen unsauberen Deal, der zulasten der Gruppenmitglieder abgeschlossen wurde. 378 Wie bereits angesprochen, sollte die Kodifizierung einiger Faktoren zur gerichtlichen Überprüfung von Vergleichen im Jahr 2018 nicht andere Faktoren ersetzen oder verdrängen, die die Gerichte bis dato zur Erörterung dieser Fragestellung herangezogen hatten. 379 Einer der wichtigsten dieser Faktoren war und ist die Reaktion der Gruppenmitglieder auf den ihnen in der Benachrichtigung unterbreiteten Vergleichsvorschlag. 380 Machen viele Mitglieder von ihrem Recht aus der Klage auszuscheiden Gebrauch oder erheben Einwände gegen den Vergleichsvorschlag, so ist dies ein starker Indikator für das Gericht, den Vorschlag abzulehnen. Diese Wirkung ist umso stärker, je geringer die Höhe der in Frage stehenden Ansprüche ist. 376
Newberg/Rubenstein, § 13:55. Zur Common-Fund-Doktrin Teil 3 – C.VII. 378 In re Bluetooth Headset Prod. Liab. Litig., 654 F.3d 935, 948 (9th Cir. 2011); In re Gen. Motors Corp. Pick-Up Truck Fuel Tank Prod. Liab. Litig., 55 F.3d 768, 806 (3d Cir. 1995); eine anschauliche Darstellung anhand eines von einem Sachverständigen vorgebrachten Beispiels findet sich in In re Nat’l Football League Players’ Concussion Injury Litig., 2018 WL 1658808, at *2 (E.D. Pa. 2018). 379 Siehe Advisory Committee’s Note on 2018 amendments; Newberg/Rubenstein, § 13:57. 380 Eisenberg, 57 Vand. L. Rev. 1529, 1536 (2004). 377
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Machen sich viele Mitglieder auch bei geringen Anspruchshöhen die Mühe, ihre Einwände vorzutragen, liegt der Vergleichsinhalt höchstwahrscheinlich nicht im Interesse der Gruppe. Auf der anderen Seite darf aber das Fehlen oder die geringe Anzahl von Einwänden, gerade wenn es um kleine Schadenssummen geht, nicht überinterpretiert werden. 381 Statistiken belegen, dass in der Hälfte aller Class Actions ohnehin keine fundierten Einwände hervorgebracht werden und in den sonstigen Fällen der Anteil der Mitglieder, die Einwände erheben, selten über einem Prozent liegt. 382 Da es sich bezüglich der Anzahl der Mitglieder, die durchschnittlich aus der Klage ausscheiden, ähnlich verhält, fehlt es den Gerichten oft an der nötigen Datengrundlage. In der Hoffnung, diese Lücke füllen zu können, verpflichtet 28 U. S.C.A § 1715(b) seit seiner Änderung durch den CAFA von 2005 die Beklagten in Class Actions vor den Bundesgerichten dazu, spätestens zehn Tage nach Einreichung des Vergleichsvorschlages, verschiedene einzel- und bundesstaatliche Institutionen über den Inhalt desselben in Kenntnis zu setzen. 383 Das Gericht darf dem Vergleichsvorschlag zudem frühestens 90 Tage nach Zustellung dieser Benachrichtigungen zustimmen. Das Instrument erwies sich bislang jedoch weitestgehend als zahnloser Tiger, der kaum zur Erfüllung der intendierten Überwachungs- und Kontrollfunktion im Stande war. Grund hierfür ist, dass die Norm den staatlichen Institutionen weder explizit noch in ihrer bisherigen Auslegung durch die Rechtsprechung das Recht zuweist, ähnlich wie die Gruppenmitglieder Einwände gegen den Vergleichsvorschlag formell vor Gericht vorzutragen. 384 Sie werden meist lediglich als amici curiae eingestuft, deren Beiträge das Gericht nach freiem Ermessen berücksichtigen kann. 385 3. Inhalt und Folgen des Vergleichs a) Typischer Vergleichsinhalt Da das Gericht den Vergleichsvorschlag weder abändern noch diesem etwas hinzufügen kann, sind die Parteien in der Regel bemüht, einen möglichst umfassenden Vorschlag zu unterbreiten, der auf alle eventuell aufkommenden Fragestellungen eingeht und zudem hinreichend Informationen beinhaltet, um dem Gericht eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Zu diesem Eisenberg, 57 Vand. L. Rev. 1529, 1537 (2004). Ausführlich zur Statistik Eisenberg, 57 Vand. L. Rev. 1529 (2004). 383 Ausführlich hierzu Sharkey, 156 U. Pa. L. Rev. 1971 (2008). 384 In re Am. Int’l Grp., Inc. Sec. Litig., 916 F. Supp. 2d 454, 462 (S.D.N.Y. 2013); In re Oil Spill by Oil Rig Deepwater Horizon in Gulf of Mexico, on Apr. 20, 2010, 910 F. Supp. 2d 891, 943 (E.D. La. 2012); siehe auch 28 U.S.C.A. § 1715(f). 385 In re Oil Spill by Oil Rig Deepwater Horizon in Gulf of Mexico, on Apr. 20, 2010, 910 F. Supp. 2d 891, 943 (E.D. La. 2012); In re Am. Int’l Grp., Inc. Sec. Litig., 293 F.R.D. 459, 462 (S.D.N.Y. 2013); Figueroa v. Sharper Image Corp., 517 F. Supp. 2d 1292, 1328 (S.D. Fla. 2007). 381 382
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Zwecke enthält der erste Teil des Vorschlags in der Regel zunächst eine kurze Beschreibung der wichtigsten Fakten des Falles sowie eine Darstellung des Sachverhalts, den Fortschritt der discovery, die Risiken, derer sich die Parteien in einem streitigen Prozess ausgesetzt sehen würden, und, soweit im Rahmen des Vergleichs auch die Zulassung der Gruppe beantragt wird, Faktoren, anhand derer die Feststellung der Gruppenmitgliedschaft erfolgen kann. 386 Dem schließt sich meist in einem gesonderten Anhang der Kerninhalt des Vergleichs an, also der Teil, von dem die Parteien wünschen, dass das Gericht ihn für bindend erklärt. 387 Im Zentrum stehen hier die Ansprüche, zu deren Verzicht sich die Kläger bereit erklären, und die im Austausch dazu erfolgende Gegenleistung des Beklagten. 388 Hinzu kommen diverse gängige Nebenabreden. So werden meist Form und Inhalt der Benachrichtigung der Gruppenmitglieder festgelegt und Vereinbarungen über Höhe und Fälligkeit des Honorars des Gruppenanwalts getroffen. 389 Daneben ist in der Regel eine Erklärung der Parteien enthalten, dass der Vergleichsabschluss keinem Schuldanerkenntnis des Beklagten gleichkommt. 390 Immer beliebter werden zudem zum einen sogenannte most favored nation clauses, die den Beklagten zur Gleichbehandlung mehrerer zeitgleich anhängiger Class Actions verpflichten, 391 und zum anderen sogenannte blow up provisions, die den Vergleich für hinfällig erklären, wenn eine bestimmte Anzahl von Gruppenmitgliedern von ihrem Recht aus der Klage auszuscheiden Gebrauch macht. 392 Typischerweise enthält ein Vergleich die Verpflichtung des Beklagten zu einer Einmalzahlung sowie Regelungen zur Aufteilung dieser Summe unter den Geschädigten. Ein Vergleich muss diese beiden Elemente jedoch nicht zwingend aufweisen und kann insofern auch auf eines oder gar beide verzichten. Das betrifft zunächst die Fälle, in denen die Kläger keine Geldzahlung, sondern eine Feststellung, ein Handeln oder ein Unterlassen vom Beklagten begehren. Zudem zieht auch nicht jede Geldzahlung einen Aufteilungsprozess nach sich. In manchen Konstellationen wird auf eine Aufteilung der Entschädigungssumme vollständig verzichtet und das Geld insgesamt 386
Newberg/Rubenstein, § 13:4. Newberg/Rubenstein, § 13:4. 388 Newberg/Rubenstein, § 13:4. 389 Siehe sowohl zu den „quick-pay provisions“, die den Zeitpunkt der Fälligkeit festlegen, als auch zu den „clear sailing agreements“ über die Höhe des Honorars Teil 3 – C.VII. 390 Newberg/Rubenstein, § 13:4. 391 Diese Klauseln verpflichten einen Beklagten, der sich mehrerer Class Actions wegen desselben Sachverhalts gleichzeitig ausgesetzt sieht, dazu, sollte er sich zu einem späteren Zeitpunkt mit einer anderen Gruppe zu besseren Konditionen vergleichen, diese Konditionen auch der sich früher vergleichenden Gruppe anzubieten. 392 Für Streuschadenskonstellationen werden diese „blow up provisions“ jedoch so gut wie nie relevant, da hier, wie oben bereits dargelegt, nur selten Mitglieder aus der Klage ausscheiden. 387
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einem Dritten zur Verfügung gestellt. Diese full cy pres distribution steht mittlerweile jedoch unter erheblicher Kritik, auf die an späterer Stelle noch vertieft eingegangen wird. 393 Eine andere Konstellation enthält zwar einen Aufteilungsprozess, aber keine Einmalzahlung. In sog. claims-made settlements verpflichtet sich der Beklagte dazu, die Ansprüche der Gruppenmitglieder, teilweise bis zu einer bestimmen Gesamthöhe, zu befriedigen, aber nur, wenn diese ihre Ansprüche zuvor bei ihm geltend machen. 394 Obgleich für sie mit mehr Aufwand verbunden, wählen Beklagte diese Variante gerne, da, und das trifft im Besonderen auf Streuschadensfälle zu, meist abzusehen ist, dass nur ein geringer Teil der Beklagten den Aufwand der Anspruchsanmeldung auf sich nehmen wird. Hierdurch wird eine Art einseitiger „OptIn-Vergleich“ geschaffen, durch den zwar sämtliche Gruppenmitglieder ihrer Ansprüche verlustig werden, aber nur ein geringer Anteil von ihnen überhaupt eine Kompensation erhält. Die Fragwürdigkeit dieser Abrede wird noch durch die extrem hohen Gebühren verstärkt, die den Gruppenanwälten in diesen Konstellationen teilweise zugesprochen werden. Wird der Berechnung des Anwaltshonorars die Summe zugrunde gelegt, die sich der Beklagte maximal zu zahlen bereit erklärt und nicht die tatsächliche Ausschüttungssumme an die Gruppe, so übersteigt das Anwaltshonorar die Gruppenentschädigung leicht um ein Vielfaches. 395 Wie weit verbreitet diese claims-made settlements trotz der eben genannten erheblichen Kritikpunkte ist, lässt sich nur schwer feststellen. Das liegt zum einen an der sehr dürftigen Datenlage. Nur selten werden Vergleichsinhalte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und noch seltener sind darin Details zur Aufteilung der Entschädigungssumme enthalten. 396 Zum anderen wird der Begriff der „claims-made settlements“ teilweise auch unzutreffend verwendet, und zwar um den Prozess der Anspruchsanmeldung zu beschreiben, der sich an eine Einmalzahlung des Beklagten anschließt. Die verfügbaren Daten lassen jedoch die Annahme zu, dass Gerichte auch noch in jüngerer Zeit durchaus dazu geneigt sind, dieser Aufteilungsmethode zuzustimmen. 397 393
Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b). Krakauer v. Dish Network, L.L.C., 2019 WL 7066834, at *4 (M.D.N.C. 2019); In re Comcast Corp. Set-Top Cable Television Box Antitrust Litig., 2018 WL 4252463, at *3 (E.D. Pa. 2018); Zink v. First Niagara Bank, N.A., 2016 WL 7473278, at *6 (W.D.N.Y. 2016); Tait v. BSH Home Appliances Corp., 2015 WL 4537463, at *5 (C.D. Cal. 2015). 395 Ob die „Percentage-of-Funds-Methode“ in solchen Fällen daher angewandt werden darf ist umstritten, ausführlich Teil 3 – C.VII. 396 Zu dieser Problematik Pace/Rubenstein, How Transparent are Class Action Outcomes? 397 So auch Newberg/Rubenstein, § 13:7; Brown, Do Class Actions Benefit Class Members?, S. 8 (obgleich hier der Begriff, wie im Text beschrieben, auch teilweise ungenau gebraucht wird); Saccoccio v. JP Morgan Chase Bank, N.A., 297 F.R.D. 683, 696 (S.D. Fla. 2014); Shames v. Hertz Corp., 2012 WL 5392159, at *9 (S.D. Cal. 2012). 394
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Keinen Schadensersatz in Geld, sondern lediglich eine „geldwerte Entschädigung“ erhalten die Gruppenmitglieder außerdem in Vergleichen, die sogenannte in-kind reliefs beinhalten. Diese meist in Form von Coupons ausgezahlten Leistungen werfen eigene Problempunkte auf und waren in der Vergangenheit Gegenstand diverser Gesetzesänderungen. 398 b) Verteilung des Geldschadensersatzes Obgleich es, wie eben dargelegt, durchaus Ausnahmen gibt, verpflichtet sich der Beklagte im Vergleich regelmäßig zu einer Einmalzahlung an die Gruppe. Diese Zahlung muss sodann unter den Gruppenmitgliedern aufgeteilt werden, wobei sowohl die Ausgestaltung des Aufteilungsprozesses als auch der Aufteilungsschlüssel Inhalt des Vergleichs sein müssen und insofern der Kontrolle des Gerichts unterliegen. 399 Beide Elemente stehen im Spannungsfeld zwischen Praktikabilität und Einzelfallgerechtigkeit, wodurch in so gut wie allen Fällen Kompromisse nötig sind. Idealerweise sollte der Aufteilungsschlüssel dabei so ausgestaltetet sein, dass die jeweilige Entschädigung der Gruppenmitglieder möglichst nahe an ihrer tatsächlichen Schadenssumme liegt, der Aufteilungsprozess so, dass die Geschädigten möglichst wenig tun müssen, um an ihre Entschädigung zu gelangen. 400 Beides zusammen ist jedoch so gut wie nie möglich. In nur sehr wenigen Fällen verfügt der Beklagte über umfangreiche Aufzeichnungen, aus denen sich sowohl die Identitäten der Geschädigten als auch deren Schadenssummen ablesen oder anhand von einfachen Berechnungen ermitteln lassen. Insofern bedarf es in so gut wie jedem Fall eines Anmeldeprozesses, in dem die Gruppenmitglieder gewisse Informationen und Unterlagen über ihre Betroffenheit und die Schadenshöhe einreichen müssen. 401 Dieser schafft nicht nur eine hinreichende Grundlage für die Berechnung der einzelnen Entschädigungssummen, sondern dient zudem dazu, unberechtigte Ansprüche herauszufiltern. Je umfangreicher der Anmeldeprozess aber ausgestaltet ist und je geringer die einzelnen Schadenssummen sind, desto weniger Geschädigte nehmen die Mühe einer Partizipation auf sich. 402 Um den Anmeldeprozess nicht zu überlasten, insbesondere aber um sich teure und aufwändige Einzelfallberechnungen zu ersparen, wird die individuelle Entschädigungssumme meist anhand recht grober Merkmale fest398
Hierzu Teil 3 – C.VI.4. Hierzu Teil 3 – C.VI.2. 400 In re LIBOR-Based Fin. Instruments Antitrust Litig., 327 F.R.D. 483, 496 (S.D.N.Y. 2018); Krakauer v. Dish Network, LLC, 2017 WL 3206324, at *7 (M.D.N.C. 2017). 401 Brown, Do Class Actions Benefit Class Members?, S. 8, 19. 402 Jackson v. Wells Fargo Bank, N.A., 136 F. Supp. 3d 687, 702 (W.D. Pa. 2015); Pace/ Rubenstein, Shedding Light on Out-comes in Class Actions, Doherty/Reville/Zakaras, S. 45 f.; das ALI empfiehlt daher auch, wenn möglich, die Aufteilung ohne einen Anmeldeprozess zu bewerkstelligen, ALI, Aggregate Litigation § 3.05, S. 210. 399
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gelegt, deren Vorliegen einfach und schnell abgefragt werden kann. Zu diesem Zwecke werden für verschiedene Schadenskategorien anhand von Hochrechnungen bestimmte pauschale Schadenssummen herangezogen und die Gruppenmitglieder dann anhand der ermittelten Merkmale diesen Kategorien zugewiesen. Die dadurch teilweise entstehende Ungleichbehandlung wird aus Effizienzgründen in Kauf genommen. 403 In Klagen mit kleineren Gruppen mag auch für die wenigen Gruppenmitglieder eine individuelle Berechnung der Schäden durch einen special master oder ein hierauf spezialisiertes Unternehmen realisierbar sein, 404 für das Gros der Fälle kommt das allerdings nicht in Betracht. Durchgeführt und überwacht werden der Anmeldeprozess und das Verteilungsverfahren von einem claims administrator. Dieses in der Regel hierauf spezialisierte Unternehmen stellt den Gruppenmitgliedern meist im Rahmen der Vergleichsbenachrichtigung ein Formblatt zu, in das die relevanten Informationen einzutragen sind. Darüber hinaus werden häufig noch gesonderte Nachweise wie Kaufquittungen oder ähnliches verlangt. 405 Nach Eingang sichtet der claims administrator die Formblätter und entscheidet anhand von im Vergleich festgelegten Kriterien über die Berechtigung der Ansprüche. Er steht den Gruppenmitgliedern auch für eventuelle Rückfragen zum Anmeldevorgang zur Verfügung. 406 Die Kosten für den claims administrator werden von der Gesamtentschädigungssumme abgezogen, gehen also zu Lasten der Geschädigten. 407 Insgesamt stellt der Aufteilungsprozess eine der größten Schwachstellen der Class Action dar. Von den oben dargelegten idealen Aufteilungsschlüsseln und -verfahren sind die meisten Vergleiche weit entfernt. Es fehlt, insbesondere bei Streuschadenskonstellationen, schlicht an einer Prozesspartei, die bereit ist den Aufteilungsvorgang kritisch zu überprüfen. Für die Gruppenmitglieder sind die jeweiligen Entschädigungssummen zu gering, als dass sie sich aktiv beteiligen würden. Der Gruppenanwalt kann sein Honorar meist an der Gesamtsumme bemessen, eine faire Aufteilung würde für ihn nur zusätzlichen Aufwand bedeuten. Das Gericht ist oft einfach froh, ein kompliziertes Verfahren abgeschlossen zu wissen, und ist daher gewillt fast allem zuzustimmen, was die Parteien ihm vorschlagen. Besonders gefährlich wird es für die Gruppenmitglieder in diesem Zusammenhang dann, 403 In re Holocaust Victim Assets Litig., 424 F.3d 132, 137 (2d Cir. 2005); Lessard v. City of Allen Park, 422 F. Supp. 2d 787 (E.D. Mich. 2006). 404 In re Holocaust Victim Assets Litig., 424 F.3d 132, 137 (2d Cir. 2005); Lessard v. City of Allen Park, 422 F. Supp. 2d 787 (E.D. Mich. 2006). 405 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.66. 406 Ausführlich zu den Aufgaben des claims administrator Newberg/Rubenstein, § 12:20 ff. 407 Hillson v. Kelly Servs. Inc., 2017 WL 3446596, at *6 (E.D. Mich. 2017); Henry v. Little Mint, Inc., 2014 WL 2199427, at *4 (S.D.N.Y. 2014); Burford v. Cargill, Inc., 2012 WL 5472118, at *1 (W.D. La. 2012).
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wenn der Vergleich vorsieht, dass nicht an die Geschädigten ausgekehrte Gelder dem Beklagten verbleiben. Das ist zum einen bei den angesprochenen claims-made settlements der Fall, aber auch, wenn eine Gesamtschadenssumme gebildet wird, und die übrigen Gelder an den Beklagten zurückfließen sollen. 408 Solche Konstruktionen schaffen einen enormen Anreiz für den Beklagten, durch die Etablierung eines unnötig komplizierten Aufteilungsprozesses eine geringe Auszahlungsquote herbeizuführen. All diese Faktoren führen dazu, dass die Ausschüttungsquoten in Class Actions oft sehr gering sind. Nur in einem Sechstel aller Fälle werden mehr als 12 % der Gesamtentschädigungssumme an die Geschädigten ausgekehrt. 409 Im Hinblick auf die abschreckende und kompensatorische Wirkung der Class Action, aber auch um den Beklagten bereits in einem ersten Schritt den Anreiz zu nehmen, die direkte Verteilung an die Gruppenmitglieder zu torpedieren, wird daher seit langem darüber diskutiert, wie nicht verteilbare Gelder einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden können. Die hierzu entwickelten Methoden werden im Anschluss an die Ausführungen zu den Kosten des Verfahrens in einem gesonderten Kapitel untersucht. 4. Geldwerter Schadensersatz, in-kind relief Trotz des Erfordernisses der gerichtlichen Genehmigung ist und bleibt ein Class-Action-Vergleich eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen den Parteien, weswegen diese hier grundsätzlich auch einen großen Spielraum bezüglich der Ausgestaltung desselben haben. Insofern ist es durchaus möglich, eine Vereinbarung zu treffen, die vorsieht, dass die Kläger zwar auf ihre Ansprüche auf Geldschadensersatz verzichten, sie vom Beklagten hierfür aber keine Geldzahlung, sondern eine andere Form der Gegenleistung erhalten. Die gängigste Form dieser als „in-kind relief“ bezeichneten Vorgehensweise ist neben der Verpflichtung des Beklagten zur Vornahme oder zur Unterlassung einer bestimmten Verhaltensweise die Verteilung von Coupons an die Gruppenmitglieder. Coupon-Vergleiche treten in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf, ihnen ist aber in der Regel gemein, dass der Beklagte den Gruppenmitgliedern einen Rabatt in Form eines gewissen Prozentsatzes oder einer fixen Summe auf den Kauf eines bestimmten Produkts oder die Inanspruchnahme einer bestimmten Dienstleistung aus seiner Angebotspallette gewährt. Darüber hinaus kann jedoch insbesondere das Procedere, wie der Coupon den Geschädigten zugänglich gemacht wird und was diese tun müssen, um ihn einzulösen, deutlich variieren. Stehen die Geschädigten in laufenden Geschäftsbeziehungen zum Beklagten, so kann ihnen der Coupon zugesandt oder der Betrag direkt dem ent408 409
Hierzu Teil 3 – D.IV. 5. Brown, Do Class Actions Benefit Class Members?, S. 10.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
sprechenden Kundenkonto gutgeschrieben werden. 410 In einer solchen Situation kann eine Coupon-Lösung durchaus beiden Parteien zum Vorteil gereichen. Für den Beklagten ist es aufgrund der regelmäßig erheblichen Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis betriebswirtschaftlich deutlich günstiger, einen Rabatt von beispielsweise $ 20 auf den nächsten Rechnungsbetrag zu geben, anstatt den Geschädigten $ 20 in bar auszuzahlen. 411 Zudem bindet er die Kunden zumindest für den nächsten Einkauf mit einem solchen Rabatt an sein Produkt oder seine Dienstleistung. Für Geschädigte, die das Produkt oder die Dienstleistung aller Wahrscheinlichkeit ohnehin erneut in Anspruch genommen hätten, ist der Coupon so gut wie geldwert. Hinzu kommt, dass der Beklagte aufgrund der für ihn deutlich geringeren Kosten häufig geneigt sein dürfte, einen Coupon mit einem höheren Nennwert anzubieten, als er bei einer Barzahlung bereit gewesen wäre zu entrichten. Die Kunden realisieren diesen Mehrwert beim nächsten Kauf, ohne dass dies für sie Nachteile mit sich bringen würde. Eine solch einfache und effektive Abwicklung ist jedoch in den meisten Fällen nicht möglich. Häufig bringt eine Entschädigung in Coupons für die Gruppenmitglieder erhebliche Nachteile mit sich, weswegen diese Art des Vergleichs in jüngerer Zeit auch vermehrt Gegenstand erheblicher Kritik ist. Werden die Coupons den geschädigten nicht direkt zugesandt, sondern bedarf es zu diesem Zwecke der Partizipation an einem, oben beschriebenen, Anmeldeprozess, so etabliert die Coupon-Lösung faktisch noch eine weitere Hürde für die Kompensation der Geschädigten. Diese müssen nicht nur am Anmeldeprozess teilnehmen, sondern den Coupon später auch noch einlösen. Das werden einige Gruppenmitglieder schlicht versäumen, es kann aber auch Gründe geben, aus denen die Geschädigten bewusst auf die Einlösung des Coupons verzichten. 412 So sind Coupons kompensatorisch vollkommen ungeeignet, wenn die Geschädigten gar nicht die Absicht oder den Willen haben, das Produkt oder die Dienstleistung erneut (in absehbarer Zeit) in Anspruch zu nehmen. Das kann zum einen mit dem Produkt selbst zusammenhängen, etwa weil es sich um Waren, wie beispielsweise Brautkleider, handelt, die häufig nur einmal oder in großem zeitlichen Abstand zueinander gekauft werden, oder aber weil die zugrundeliegende Klage gerade auf einem Produktfehler beruht, und die Kläger aus diesem Grund nicht noch einmal beim gleichen Hersteller kaufen möchten. Zum anderen kann aber auch die Schädigung, die die Gruppenmitglieder durch den Beklagten erlitten haben, insbesondere wenn diese über einen bloßen Vermögensschaden hinausgeht, für sie Grund genug sein, keine weiteren geschäftlichen Be410
Newberg/Rubenstein, § 12:8. Newberg/Rubenstein, § 12:8. 412 In Redman v. RadioShack Corp., 768 F.3d 622, 628 (7th Cir. 2014) beispielsweise, wurden nur ca. 0,5 % aller Coupons tatsächlich eingelöst. 411
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
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ziehungen mit ihm eingehen zu wollen. 413 Die Coupons lassen den Geschädigten aber keine Wahl, sie sind an den Beklagten gebunden, wenn sie die Vorteile des Coupons nutzen möchten, insbesondere weil die Coupons meistens nicht frei übertragbar bzw. weiterverkäuflich sind. 414 Es kann kaum verwundern, dass Beklagte ob all dieser Gründe häufig mehr als gewillt sind, eine Coupon-Entschädigung anzubieten, insbesondere, wenn der Vergleich vorsieht, dass ihnen der Teil der Gesamtentschädigung, der nicht durch die Einlösung der Coupons abgeflossen ist, verbleibt. In solchen Konstellationen können sie sich gewiss sein, dass aufgrund der zu erwartenden geringen Einlösequote die tatsächlich ausgeschüttete Summe noch geringer sein wird, als ohnehin schon. Das allein stellt jedoch noch kein Problem dar, ist es doch das gute Recht eines jeden Beklagten einen für ihn möglichst günstigen Vergleich auszuhandeln. In der Vergangenheit gingen jedoch auch häufig Gruppenanwälte, deren Aufgabe es eigentlich ist, für die Gruppenmitglieder die bestmögliche Kompensation zu erreichen, einen solchen Vergleich ein und zwar aus Gründen, die mit dieser Aufgabe nicht in Einklang stehen. Wie im nächsten Abschnitt noch im Detail dargestellt wird, wird das Honorar des Gruppenanwalts nämlich meist anhand der Gesamtentschädigungssumme der Gruppe berechnet. Die Kombination aus dieser Tatsache und den Vorteilen, die ein Beklagter aus einem Coupon-Vergleich ziehen kann, machten denselben nun zum Minenfeld für Interessenkonflikte und kollusives Zusammenwirken. 415 Coupon-Vergleiche mit hohen Anwaltshonoraren und geringen Entschädigungen für die Gruppenmitglieder wurden zu Beginn der 2000er Jahre zunehmend zu einem Problem, weswegen sich der Kongress im Zuge des CAFA von 2005 dazu entschloss, an dieser Stelle zu intervenieren. In 28 U.S.C.A. § 1712 ist nunmehr ein ganzes Bündel an Maßgaben enthalten, das dazu dienen soll, den oben aufgezeigten Missständen vorzubeugen. Am wichtigsten und gleichermaßen am effektivsten ist hierbei die in 28 U.S.C.A. § 1712(a) und (b) enthaltene Regelung zur Bemessung des Anwaltshonorars. Wird eine Class Action vor einem Bundesgericht verhandelt, was nicht zuletzt durch den CAFA mittlerweile in den meisten Fällen zumindest möglich ist, und entscheidet sich das Gericht im Rahmen eines Coupon-Vergleichs dazu, das Anwaltshonorar in Form eines Prozentsatzes der Gesamtvergleichssumme zu bemessen, so darf es dieser Berechnung nur den Wert der tatsächlich eingelösten Coupons und nicht den der vom Beklagten lediglich zur Ver-
413 Synfuel Techs., Inc. v. DHL Express (USA), Inc., 463 F.3d 646, 654 (7th Cir. 2006); Laguna v. Coverall N. Am., Inc., 2012 WL 607622, at *5 (S.D. Cal. 2012); Sobel v. Hertz Corp., at *12 (D. Nev. 2011). 414 Newberg/Rubenstein, § 12:13. 415 Newberg/Rubenstein, § 12:8.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
fügung gestellten Coupons zugrunde legen. 416 Daneben verpflichtet 28 U.S. C.A. § 1712(e) nun den Richter bei einem Coupon-Vergleich dazu, eine Anhörung darüber abzuhalten, ob der Vergleich in dieser Form angemessen ist. Das Ergebnis dieser Anhörung muss zudem schriftlich festgehalten werden. Des Weiteren ermöglicht es 28 U.S.C.A. § 1712(d) dem Gericht nun explizit, ein Expertengutachten über den tatsächlichen Wert der Coupons für die Gruppenmitglieder einzuholen. 417 Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Regelungen maßgeblich zur Bekämpfung von kollusiven Coupon-Vergleichen beitragen können, zumindest die Beschränkung des Anwaltshonorars scheint hierzu jedoch gut geeignet. Die Beschäftigung des Gesetzgebers mit den Problemen rund um Coupon-Vergleiche führte zudem zu einer erhöhten Sensibilität der Gerichte hinsichtlich dieser Thematik. Diese scheinen auch unabhängig von den gesetzlichen Vorgaben hier nun einen strengeren Kontrollmaßstab anzulegen. 418 Die neuen Vorschriften bringen aber auch, wie so oft, neue Probleme mit sich. So müssen die Gerichte nun bei jedem Vergleich, der eine Entschädigung enthält, die zwar nicht Geld, aber doch in irgendeiner Form geldwert ist, abwägen, ob es sich dabei um Coupons handelt und damit die Regelungen des 28 U.S.C.A. § 1712 anzuwenden sind. Da der Kreativität der Parteien bei der Vereinbarung des Vergleichsinhalts kaum Grenzen gesetzt sind, bereitet diese Aufgabe häufig Schwierigkeiten. 419 In 28 U.S.C.A. § 1712(e) zuletzt hat der Gesetzgeber noch etwas Bemerkenswertes geschaffen. Die Norm ermächtigt das Gericht ausdrücklich dazu, von den Parteien zu verlangen, dass ihr Vergleich auch eine Regelung für die nicht eingelösten Coupons enthält. Zu diesem Zwecke kann das Gericht den Parteien auferlegen, eine oder mehrere staatliche oder wohltätige Organisation(en) auszuwählen, an die ein Teil des Werts der übrigen Coupons fließen soll. Damit hat der Kongress erstmalig zur bis heute heftig umstrittenen Frage, ob solche Cy-Pres-Lösungen in Vergleichen zulässig sind für den Sonderbereich der Coupons Stellung bezogen. 420 Dies trug, soweit ersichtlich, jedoch nur wenig zur Beilegung des Streits um die Anwendung dieser Methode außerhalb von Coupon-Vergleichen bei, kann die an dieser Stelle vom 416 28 U.S.C.A. § 1712(a). Unter den Bundesgerichtsbezirken strittig ist, ob das Gericht durch die Regelung dazu gezwungen ist, das Anwaltshonorar anhand dieser Methode zu berechnen, oder ob es alternativ zur Berechnung auch die von dem Gruppenanwalt aufgewandte Zeit zugrunde legen darf, Newberg/Rubenstein, § 15:71. 417 Die Sinnhaftigkeit dieser beiden Regelungen wird berechtigterweise von der Literatur in Frage gestellt. Auch ohne die Regelung in 28 U.S.C.A. § 1712(d) hielt bislang nichts ein Gericht davon ab, ein Expertengutachten in Auftrag zu geben. 28 U.S.C.A. § 1712(e) wiederholt in weiten Teilen lediglich die Anforderungen der Rule 23(e) Fed. R. Civ. P. und stellt zusätzlich lediglich das Formerfordernis auf, Newberg/Rubenstein, § 12:9. 418 Newberg/Rubenstein, § 12:11; Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.71. 419 Siehe hierzu ausführlich Newberg/Rubenstein, § 12:11. 420 Ausführlich zur Anwendung außerhalb von Coupon-Vergleichen Teil 3 – D.IV. 1.
C. Die Class Action auf Schadensersatz – Ausgewählte Aspekte
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Kongress getroffene Entscheidung doch in beide Richtungen interpretiert werden. Auf der einen Seite könnte man in ihr ein Zeichen sehen, dass die Legislative dieser Vorgehensweise grundsätzlich offen gegenüber steht, auf der anderen Seite dagegen könnte man aus dem beschränkten Anwendungsbereich der Regelung schließen, dass der Kongress gerade keine Anwendung dieser Methode in der Breite aller Vergleiche für angebracht hält.
VII. Kosten Im Rahmen der Class Action spielen Fragen um die Berechnung und die Höhe des Anwaltshonorars eine wichtige Rolle, da es hierbei im Gegensatz zu den regelmäßig einige hundert Dollar nicht überschreitenden Gerichtsgebühren 421 um immense Summen gehen kann. Im folgenden Abschnitt soll daher in der gebotenen Kürze das Procedere um die Berechnung und die gerichtliche Genehmigung des Honorars des Gruppenanwalts dargestellt und dabei auf die in diesem Rahmen bestehenden Interessenkonflikte und die für die noch folgenden Ausführungen relevanten Problempunkte eingegangen werden. Das U.S.-amerikanische Kostenrecht wird maßgeblich von zwei Besonderheiten geprägt. Zum einen ist das die „American Rule“. Ihr zufolge trägt grundsätzlich jede Prozesspartei ihre eigenen Prozesskosten und das unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Nur wenn dies gesetzlich explizit vorgesehen ist, kann die obsiegende Partei von der unterlegenen Ersatz ihrer Kosten verlangen. 422 Die zweite Besonderheit ist die Zulässigkeit und die damit einhergehende weite Verbreitung von Erfolgshonoraren auf Klägerseite. Gerade weil die Kosten in der Regel nicht von der Gegenpartei erstattet werden, könnten sich die meisten Kläger einen Anwalt, der mangels einer festen Gebührenordnung, wie wir sie aus Deutschland kennen, oft einen Stundensatz von $ 500 und mehr für seine Arbeit verlangt, schlicht gar nicht leisten. Dieses Problem wird in der Regel durch die Vereinbarung eines Erfolgshonorars gelöst, das in Individualverfahren meist bei ca. 25– 50 % liegt. 423 Eine solche Möglichkeit hat der Beklagte dagegen selbstredend nicht. Er muss mit seinem Anwalt einen Stundensatz vereinbaren und steht aus diesem Grund, wie oben bereits angesprochen, unter immensem Druck, das Verfahren möglichst schnell durch einen Vergleich beizulegen. 424 Diese beiden Besonderheiten wirken sich auch im Rahmen der Class Action auf das Honorar des Gruppenanwalts aus. Hier sieht Rule 23(h) Fed. R. 421 422 423 424
Schack, US-amerikanisches Zivilprozessrecht, S. 8 f. Zum „statutory fee-shifting“ sogleich. Schack, US-amerikanisches Zivilprozessrecht, S. 9. Hierzu Teil 3 – C.VI.1.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Civ. P. jedoch noch gesonderte Regelungen vor, die den Eigenheiten des kollektivierten Verfahrens Rechnung tragen. Unabhängig davon, ob die Class Action mit einem Urteil endet oder durch einen Vergleich beigelegt wird, kann der Gruppenanwalt sein Honorar nur erlangen, wenn er hierfür einen formellen Antrag bei Gericht einreicht. 425 Über diesen und über die Höhe des beantragten Honorars muss er die Gruppenmitglieder sodann benachrichtigen. 426 Das Gericht hat abschließend die Aufgabe, festzustellen, ob es die beantragte Summe für angemessen hält. Hierfür kann es eine gesonderte Anhörung abhalten 427 oder eine Hilfsperson zur Berechnung heranziehen. 428 Abhängig davon, gegen wen sich der Honoraranspruch richtet, können von den Betroffenen zudem Einwände gegen den Antrag hervorgebracht werden. 429 An dieser Stelle ist es unverzichtbar hervorzuheben, dass Rule 23(h)(1) iVm Rule 54(d)(2) Fed. R. Civ. P. zwar das Procedere für die Beantragung des Anwaltshonorars festlegt, diese Norm allerdings noch keinen Anspruch auf ein Honorar enthält. Der Honoraranspruch ergibt sich nämlich ausschließlich aus dem materiellen Recht, insofern kommen drei mögliche Grundlagen in Betracht. In einigen wenigen Fällen sehen materiell-rechtliche Vorschriften in Abweichung zur American Rule vor, dass der Beklagte bei Unterliegen die Kosten der Kläger tragen muss. Auf Bundesebene gibt es ca. 200 entsprechende Vorschriften, die insbesondere in Civil-Rights-Fällen die unterlegene Partei zur Kostentragung verpflichten. 430 Dieses statutory fee-shifting 431 hat zur Folge, dass die Klägergruppe bei Obsiegen einen Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten gegen den Beklagten hat. Ein Antrag des Gruppenanwalts und eine Festlegung der Höhe des Honorars durch das Gericht ist aber weiterhin erforderlich. Der Beklagte kann hiergegen gem. Rule 23(h)(2) Einwände vorbringen. Da es aber für gewöhnlich an einer solchen gesetzlichen Regelung fehlt, muss der Gruppenanwalt sich bezüglich seines Honorars an seine Mandantschaft halten. Die simple Vereinbarung eines Erfolgshonorars ist hier jedoch gleich aus zwei Gründen nicht möglich. Zum einen bedarf es, wie eben dargelegt, immer eines entsprechenden Antrags bei Gericht, zum anderen ist dem Gruppenanwalt zu Beginn des Verfahrens und häufig auch noch weit darüber hinaus nur der Gruppenrepräsentant bekannt. Mit diesem könnte er zwar ein Erfolgshonorar vereinbaren, dies wäre jedoch auf die Entschädigung des Repräsentanten beschränkt und stünde 425
Rule 23(h)(1) iVm Rule 54(d)(2) Fed. R. Civ. P. Siehe ausführlich zu dieser Benachrichtigung Teil 3 – C.V. 1.a). 427 Rule 23(h)(3) Fed. R. Civ. P. 428 Rule 23(h)(4) Fed. R. Civ. P. 429 Rule 23(h)(2) Fed. R. Civ. P. 430 Siehe hierzu den Civil Rights Attorney’s Fee Awards Act von 1976, 42 U.S.C.A. § 1988. 431 Auführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 15:25 ff. 426
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damit außer Verhältnis zu dem zeitlichen Aufwand den der Anwalt als Vertreter der Gruppenklage hat. Die Möglichkeit, sich in einem solchen Fall an alle Gruppenmitglieder und nicht nur den Repräsentanten halten zu können, ergibt sich für den Gruppenanwalt aus der aus dem Equity-Recht stammenden Common-Fund-Doktrin. 432 Der Gedanke hinter dieser Doktrin ist der, dass, wenn andere Personen als der Mandant von der Arbeit eines Anwaltes profitieren, diese auch anteilig zur Kostentragung verpflichtet sind. 433 Im deutschen Recht ist das Institut wohl am ehesten mit der Geschäftsführung ohne Auftrag vergleichbar. Da sich der Anspruch unter Anwendung der Common-Fund-Doktrine gegen die Gruppenmitglieder richtet, haben diese auch die Möglichkeit, Einwände nach Rule 23(h)(2) vorzubringen. 434 Zu guter Letzt kann sich der Beklagte in einem Vergleich neben der Entschädigung für die Gruppenmitglieder auch dazu bereit erklären, dem Gruppenanwalt ein bestimmtes Honorar zu zahlen. Das Honorar kommt somit zur Gesamtentschädigungssumme noch hinzu, weswegen einige Gerichte den Gruppenmitgliedern in dieser Konstellation das Recht absprechen, gegen einen Honorarantrag auf dieser Grundlage Einwände zu erheben. Hier würde die Zahlung ausschließlich vom Beklagten und nicht von den Geschädigten verlangt, weswegen auch nur dieser hier Einwände erheben dürfe. 435 Weiter verbreitet und insgesamt überzeugender ist dagegen die Ansicht, das die Gruppenmitglieder auch in dieser Situation Einwände hervorbringen dürfen, ist es doch mehr als naheliegend, das ein hohes Anwaltshonorar sich zulasten der Gesamtentschädigungssumme auswirkt. 436 Unabhängig davon, auf welche dieser drei Grundlagen der Gruppenanwalt seinen Antrag nach Rule 23(h)(1) iVm Rule 54(d)(2) Fed. R. Civ. P. stützt, muss das Gericht feststellen, ob es sich bei der beantragten Höhe um einen nachvollziehbaren und angemessenen Betrag handelt. 437 Hierfür gibt es zwei anerkannte Berechnungsmethoden: zum einen den Lodestar-Approach und zum anderen die Percentage-of-Funds-Methode. Beim Lodestar-Approach lässt sich das Gericht eine Aufstellung der vom Gruppenanwalt und seinen Mitarbeitern geleisteten Stunden vorlegen und multipliziert diese sodann mit einem Stundensatz, den es für angemessen hält. 438 Im Rahmen der Percentage-of-Funds-Methode, die insbesondere in CommonFund-Fällen und damit der deutlichen Mehrheit aller Class Actions angewandt wird, wird dagegen, wie sich aus der Bezeichnung unschwer ableiten lässt, dem Gruppenanwalt ein bestimmter Prozentsatz der Gesamtentschä432 433 434 435 436 437 438
Auführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 15:53 ff. Newberg/Rubenstein, § 15:53. Newberg/Rubenstein, § 13:27. Newberg/Rubenstein, § 13:27. Zucker v. Occidental Petroleum Corp., 192 F.3d 1323, 1328 (9th Cir. 1999). Rule 23(h) Fed. R. Civ. P. Ausführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 15:38 ff.
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digungssumme der Gruppe zugesprochen. In einem ersten Schritt ist es zu diesem Zwecke erforderlich, präzise festzulegen, an welcher Summe sich hierfür orientiert werden soll. Das ist im Großteil der Fälle unproblematisch möglich, verpflichtet sich der Beklagte doch meist im Rahmen eines Vergleiches zur Zahlung eines Gesamtbetrags, der im Anschluss an die Gruppenmitglieder verteilt wird. An diesem Gesamtbetrag orientiert sich sodann auch das Anwaltshonorar. Einige Konstellationen jedoch werfen bereits an dieser Stelle Probleme auf. Bei „claims-made settlements“, bei denen sich der Beklagte dazu verpflichtet, die Ansprüche der Geschädigten, teilweise bis zur Erreichung einer bestimmten Gesamthöhe, zu befriedigen, wird keine Gesamtsumme gebildet, sondern die Gruppenmitglieder müssen ihre Ansprüche gesondert beim Beklagten geltend machen. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob in einer solchen Situation der Berechnung des Anwaltshonorars unter der Percentage-of-Funds-Methode die Summe, die sich der Beklagte maximal zu leisten bereit erklärt, zugrunde gelegt werden kann, 439 oder ob lediglich der Teil, der auch tatsächlich an die Gruppenmitglieder ausgeschüttet wird, herangezogen werden darf. 440 Für eine Orientierung an der Maximalhöhe wird zum einen vorgebracht, auch die Leistung des Anwalts, eine solche Summe überhaupt zur Verfügung zu stellen, müsse honoriert werden, zum anderen, dass durch hohe Anwaltshonorare dem Beklagten auch in einem Fall, in dem nur wenige Gruppenmitglieder ihren Anspruch anmelden, insgesamt mehr Geld entzogen würde, was zumindest den abschreckenden Effekt der Class Action verstärke. 441 Es sei zudem wahrscheinlich, dass der Anwalt das erhaltene Honorar auch teilweise dazu nutzen werde, weitere Class Actions vorzufinanzieren, womit insgesamt die Rechtsdurchsetzung perpetuiert würde. 442 Vertreter der Gegenansicht sehen in einer entsprechenden Berechnung des Anwaltshonorars dagegen eine erhebliche Gefahr für ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem Gruppenanwalt und dem Beklagten. Es wäre für beide ein Leichtes, einen Vergleich so zu konstruieren, dass zwar eine hohe maximale Entschädigungssumme ein entsprechendes Anwaltshonorar rechtfertigt, der Anmeldung der Ansprüche durch die Gruppenmitglieder allerdings solche Hürden entgegenstehen, dass insgesamt nur mit einer sehr
439 Landsman & Funk, P.C. v. Skinder-Strauss Assocs., 639 F. App’x 880, 884 (3d Cir. 2016); Williams v. MGM-Pathe Commc’ns Co., 129 F.3d 1026, 1027 (9th Cir. 1997); Carter v. Forjas Taurus, S.A., 701 F. App’x 759, 767 (11th Cir. 2017). 440 In re TJX Companies Retail Sec. Breach Litig., 584 F. Supp. 2d 395, 406 (D. Mass. 2008); Cline v. TouchTunes Music Corp., 765 F. App’x 488, 492 (2d Cir. 2019); Yeagley v. Wells Fargo & Co., 2008 WL 171083, at *9 (N.D. Cal. 2008). 441 Newberg/Rubenstein, § 15:70. 442 Johnson v. Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc., at *12 (W.D. Wash. 2018).
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geringen tatsächlichen Ausschüttung zu rechnen ist. In einem solchen Fall profitieren Beklagter und Anwalt zu Lasten der Gruppenmitglieder. 443 Auch in anderen Fällen, in denen die zur Verfügung gestellte Gesamtentschädigung und die tatsächlich an die Gruppenmitglieder ausgeschüttete Summe divergieren, wird im Rahmen der Percentage-of-Funds-Methode diskutiert, welcher der beiden Werte zur Berechnung des Anwaltshonorars herangezogen werden soll. Werden nicht verteilbare Gelder im Anschluss an einen individuellen Verteilungsprozess in Form von alternativen Verteilungsmethoden Dritten zugewandt, um damit indirekt den Gruppenmitgliedern einen Nutzen zu verschaffen, so gehen zwar die Gerichte einhellig davon aus, dass auch diese Gelder bei der Berechnung des Anwaltshonorars berücksichtigt werden müssen, in der Literatur ist dies jedoch mittlerweile heftig umstritten. 444 In dieser Hinsicht besonders problematisch sind Vergleiche, bei denen sich der Beklagte, im Gegensatz zur Vorgehensweise bei claims-made settlements, zwar zu Zahlung einer Gesamtsumme an die Gruppenmitglieder verpflichtet, es aber vorgesehen ist, dass Gelder, die nicht direkt an die Geschädigten verteilt werden können, am Ende wieder an den Beklagten zurückfließen. 445 Weder der Supreme Court noch der Kongress haben bislang zu dieser Problematik Stellung bezogen. Lediglich im Bereich der Coupon-Vergleiche wurde, wie oben dargestellt, 446 gesetzlich festgelegt, dass sich die Höhe des Anwaltshonorars bei Anwendung der Percentage-of-Funds-Methode ausschließlich nach den tatsächlich eingelösten Coupons bestimmen darf. 447 Hat das Gericht im Rahmen der Percentage-of-Funds-Methode eine Entscheidung getroffen, an welcher Summe das Anwaltshonorar zu bemessen ist, so hat es in einem zweiten Schritt, ausgehend von dem Prozentsatz, den der Anwalt selbst in seinem Antrag nach Rule 23(h)(1) iVm Rule 54(d)(2) Fed. R. Civ. P. nennt, zu überprüfen, ob dieser Prozentsatz angemessen ist. 448 Grundsätzlich gilt ein Honorar als angemessen, wenn es den Anwalt ausreichend für seine geleistete Arbeit entlohnt, ohne ihn dabei zu überkompensieren. 449 Je nach Bundesgerichtsbezirk wenden die Gerichte teils sehr unterschiedliche Methoden an, um anhand dieses Grundsatzes einen Prozentsatz zu bestimmen. Während die Mehrheit der Gerichte 450 eine Kombination 443
Newberg/Rubenstein, § 15:70. Ausführlich Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(1). 445 Siehe Teil 3 – D.IV. 5. 446 Siehe Teil 3 – C.VI.4. 447 28 U.S.C.A. § 1712(a). 448 Newberg/Rubenstein, § 15:72. 449 Lindy Bros. Builders of Phila. v. Am. Radiator & Standard Sanitary Corp., 487 F.2d 161, 167 (3d Cir. 1973). 450 In acht der zwölf Bundesgerichtsbezirke, namentlich im zweiten, im dritten, im vierten, im fünften, im sechsten, im achten, im zehnten und im D.C Circuit, Newberg/Rubenstein, § 15:77. 444
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aus mehreren verschiedenen Faktoren heranzieht, bei denen meist der Nutzen der Klage für die Gruppenmitglieder und die Risiken des Anwaltes im Zentrum stehen, 451 folgt der siebte Bundesgerichtsbezirk einem anderen Weg. Hier sind die Gerichte nach dem sog. market approach dazu angehalten, einen Prozentsatz auszuwählen, der der Höhe nach dem entspricht, was ein Anwalt mit einem Mandanten, wäre dies im konkreten Fall möglich gewesen, zu Beginn des Verfahrens als Erfolgshonorar vereinbart hätte. 452 Andere Bezirke, wie beispielsweise der erste Bundesgerichtsbezirk, wenden dagegen überhaupt keine einheitliche Vorgehensweise an, hier entscheiden die Gerichte von Fall zu Fall. 453 Wann ein Gericht die Percentage-of-Funds-Methode und wann den Lodestar-Approach anwendet, hängt maßgeblich davon ab, auf welche der drei oben dargelegten Grundlagen der Anwalt seine Honorarforderung stützt. Die Anwendung der Lodestar-Methode ist in den meisten Fällen des statutory fee-shiftings für die Gerichte obligatorisch. Das liegt maßgeblich daran, dass gesetzliche Kostentragungsregelungen hauptsächlich auf dem Gebiet der Civil Rights vorkommen, und hier das Klageziel nur selten Schadensersatz, sondern viel eher ein Handeln oder Unterlassen des Beklagten ist. Insofern wäre die Percentage-of-Funds-Methode hier schlicht nicht anwendbar. In Fällen in denen sich der Anspruch des Gruppenanwalts aber auf die „Common-Fund-Doktrin“ stützt, ist die Berechnung nach der Percentageof-Funds-Methode deutlich verbreiteter. 454 Das ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Gerichte befürchten, die Anwendung der LodestarMethode könnte dazu führen, dass der Gruppenanwalt, um ein höheres Honorar zu erhalten, den Prozess unnötig in die Länge zieht. 455 In jüngerer Zeit zunehmend verbreitet ist zudem eine Kombination aus beiden Methoden. Das Gericht berechnet zunächst nach der Percentage-of-Funds-Methode und führt danach eine Lodestar-Kontrolle durch, ob es sich bei dem ersten Wert um eine unverhältnismäßig hohe oder niedrige Summe handelt. Je nachdem kann es dann das Ergebnis der Percentage-of-Funds-Analyse noch nach oben oder nach unten korrigieren. 456 Interessanterweise scheinen sich 451 Orientiert wird sich hierbei in der Regel an den vom fünften Bundesberufungsgericht 1974 aufgestellten „Johnson Faktoren“, Johnson v. Georgia Highway Exp., Inc., 488 F.2d 714 (5th Cir. 1974). 452 Newberg/Rubenstein, § 15:79. 453 Das führte in der Vergangenheit teilweise zur Anwendung des „Market Approaches“, vgl. Nilsen v. York Cty., 400 F. Supp. 2d 266, 278 (D. Me. 2005), teilweise zur Bestimmung anhand mehrerer Faktoren vergleichbar mit denen der anderen Bezirke, vgl. In re Tyco Int’l, Ltd. Multidistrict Litig., 535 F. Supp. 2d 249, 265 (D.N.H. 2007). 454 Newberg/Rubenstein, § 15:63. 455 In re Gen. Motors Corp. Pick-Up Truck Fuel Tank Prod. Liab. Litig., 55 F.3d 768, 821 (3d Cir. 1995); Gottlieb v. Barry, 43 F.3d 474, 485 (10th Cir. 1994); In re Anthem, Inc. Data Breach Litig., 2018 WL 3960068, at *5 (N.D. Cal. 2018). 456 Ausführlich hierzu Newberg/Rubenstein, § 15:84 ff.
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weder die großen Unterschiede zwischen dem Lodestar-Approach und der Percentage-of-Funds-Methode noch die abweichenden Herangehensweisen an die Berechnung des angemessenen Prozentsatzes nennenswert auf das Ergebnis auszuwirken. Gruppenanwälte erhalten in der Regel zwischen 22 und 30 % der Gesamtentschädigungssumme. 457 An dieser Stelle noch erwähnenswert ist, dass viele Gerichte teilweise explizit, teilweise ohne hierauf gesondert hinzuweisen, dazu neigen, einen geringeren Prozentsatz zuzusprechen, je höher die Gesamtentschädigungssumme ist. 458 Endet eine Class Action wie üblich mit einem Vergleich, so treffen die Parteien für gewöhnlich noch zwei Nebenabreden bezüglich des Anwaltshonorars. Zwar besteht auch bei dieser Form der Beendigung die einzige Möglichkeit für den Gruppenanwalt sein Honorar zu bekommen in einem förmlichen Antrag nach Rule 23(h)(1) i. V. m. Rule 54(d)(2) Fed. R. Civ. P. und der Beklagte kann ihm insofern kein bestimmtes Honorar zusichern, möglich ist jedoch die Vereinbarung eines sogenannten clear sailing agreements, bei dem der Beklagte sich verpflichtet, bis zu einer bestimmten Höhe auf Einwände gegen das Anwaltshonorar zu verzichten. 459 Auch bezüglich der Fälligkeit des Anwaltshonorars wird regelmäßig eine Vereinbarung getroffen. Grundsätzlich wird das Honorar des Gruppenanwalts erst nach Beendigung des Verfahrens, also meist nach gerichtlicher Genehmigung des Vergleichs, ausgezahlt. Diese Beendigung kann jedoch durch Einwendungen von Gruppenmitgliedern hinausgezögert werden, die ihrerseits dann erst rechtskräftig beschieden werden müssen. Wie oben bereits dargestellt, 460 nutzen professional objectors diese Tatsache aus, indem sie das Verfahren durch unbegründete Einwände verzögern in der Hoffnung, der Gruppenanwalt biete ihnen zur Beschleunigung einen großzügigen Vergleich an. Um dieser erpresserischen Methode vorzubeugen enthalten die meisten Vergleichsvereinbarungen heutzutage eine sogenannte quick-pay provision, in der sich der Beklagte dazu verpflichtet, das Honorar nach Genehmigung des Vergleiches, aber noch vor der Bescheidung etwaiger Einwände auszubezahlen. 461
VIII. Zwischenfazit Die Class Action Kultur hat im Rahmen der Rule 23 Fed. C. Civ. P. mittlerweile zweifelsohne ein Eigenleben entwickelt, das mit den Vorstellungen der Verfasser der Norm nicht mehr viel gemein hat. Das Konzept des Gesetzgebers, dem durch das Gewinnstreben einiger Gruppenanwälte bestehenden 457 Eine ausführliche Empirik hierzu findet sich in Eisenberg/Miller, 7 J. Empirical Legal Stud. 248 (2010). 458 Ausführlich zu diesem „Sliding Scale Approach“ Newberg/Rubenstein, § 15:80. 459 Newberg/Rubenstein, § 13:9. 460 Siehe Teil 3 – C.VI.2. 461 Newberg/Rubenstein, § 13:8.
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Missbrauchsrisiko immer weitreichendere Kontrollpflichten der Gerichte entgegenzusetzen, geht nicht immer auf. Insbesondere in Class Actions mit großen Gruppen, bei denen es um Gesamtentschädigungssummen im zweioder gar dreistelligen Millionenbereich geht, sind die Gerichte mit dieser Aufgabe oft schlicht überfordert, was zu teils fragwürdigen Vergleichen führt, von denen die Geschädigten häufig nur marginal profitieren. Dennoch oder eben gerade deswegen darf die U.S. Class Action als erkenntnisreiche Quelle rechtsdogmatischer und rechtspraktischer Erfahrungen nicht vernachlässigt werden. Vielen hier bereits formulierten Problembereichen kann bei der Implementierung eines kompensatorischen kollektivrechtlichen Instruments wie beispielsweise der Verbandsklage auf Abhilfe durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen vorgegriffen werden. Das betrifft im besonderen Maße die Verteilung der Entschädigungssumme, die zweifelsohne eine Schwachstelle im Rahmen der Class Action darstellt. Hier kann in den meisten Fällen nicht auf einen Anmeldeprozess verzichtet werden, an dem, selbst wenn er möglichst niederschwellig ausgestaltet wird, immer nur ein Teil der Geschädigten partizipieren wird. Für die kompensatorische, aber auch für die präventive Wirkung eines kollektivrechtlichen Instruments ist es daher auch entscheidend, wie mit den Geldern die im Anschluss übrig bleiben, verfahren wird. Auf die diesbezüglichen Erfahrungen im Rahmen der U.S. Class Action geht deshalb der folgende Abschnitt vertieft ein.
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten I. Die Problematik – Erfolglose Schadensverteilung nach Vergleichen, Anwendbarkeit in streitigen Verfahren Im Rahmen von Class-Action-Vergleichen sind grundsätzlich zwei Konstellationen denkbar, in denen eine individuelle Aufteilung der Schadenssumme nicht möglich ist und aus diesem Grunde auf alternative Methoden zur Schadensverteilung zurückgegriffen werden muss. Zum einen ist das der bereits oben angesprochene, insbesondere in Streuschadensfälle so gut wie immer auftretende Fall, dass im Anschluss an einen Verteilungsprozess Gelder übrig bleiben. Zum anderen kann aber auch bereits die Vergleichssumme im Verhältnis zu der Anzahl der Gruppenmitglieder so gering sein, dass allein die administrativen Kosten des Verteilungsprozesses einen solchen unwirtschaftlich machen würden. Wie bereits im Rahmen der Verbandsklagerichtlinie erörtert, sollte ein effektives kompensatorisches Instrument bestenfalls für beide Konstellationen eine Lösung parat halten. In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Methoden, die hierfür im Rahmen der U.S. Class
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Action entwickelt wurden, dargestellt und die Vor- und Nachteile derselben sowohl im nationalen Kontext als auch losgelöst hiervon erörtert. Außerhalb des Vergleichskontextes, also in streitigen Verfahren, spielen diese Methoden so gut wie keine Rolle. Sie werden zwar teilweise von Klägern vorgeschlagen, um in Verfahren, in denen eine individuelle Schadensberechnung nicht anhand einer einheitlichen Methode möglich ist dennoch eine Zulassung der Gruppe zu erreichen, die Gerichte stehen dem allerdings ablehnend gegenüber. Insofern konzentriert sich die vorliegende Darstellung auch auf den Vergleichskontext und erörtert die Rolle, die die Methoden in streitigen Verfahren spielt, knapp in einem gesonderten Abschnitt.
II. Die Möglichkeiten, Begrifflichkeiten und ihre Anwendungsgebiete Sind Gelder im Anschluss an einen Vergleich nicht oder nicht vollständig aufteilbar, so kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht mit dieser Problematik umzugehen. Auf Bundesebene ist diesbezüglich, mangels gesetzlicher Regelung und höchstrichterlicher Rechtsprechung, in den letzten Jahrzehnten ein von Klägern, Beklagten, Gerichten und der Literatur geführter erbitterter Streit enormen Ausmaßes entbrannt, der bis heute anhält. Die Darstellung dieses Streits und die Abwägung zwischen den einzelnen Verteilungsmethoden nimmt, ob der hervorgehobenen Bedeutung der Class Action vor Bundesgerichten, den Großteil der hier erfolgenden Erörterung ein. Die Bewertung der einzelnen Verteilungsmethoden soll dabei anhand der oben ausgemachten Ziele einer erfolgreichen Streuschadensbekämpfung erfolgen, denen sich auch der U.S.-amerikanische Gesetzgeber bei der Konzeption der Class Action verschrieben hat: Kompensation, Abschreckung und gerichtliche Effizienz. Insgesamt fünf Methoden werden zur Verteilung der übrigen Gelder vorgeschlagen, die in der hier erfolgenden Darstellung, weil sie alternativ zu einer individuellen Verteilung zum Einsatz kommen, als „alternative Verteilungsmethoden“ bezeichnet werden. Da die in diesem Rahmen als letztes dargestellte Methode, die vorsieht, die übrigen Gelder an den Beklagten zurückzuführen, jedoch weder dem Ziel der Abschreckung noch der Kompensation dienlich ist, wird diese Methode in Abgrenzung zu den anderen Vorgehensweisen nicht als „echte“ alternative Verteilungsmethode bezeichnet. Die erste echte und zugleich wichtigste Alternativmethode stellt die Verteilung an eine oder mehrere wohltätige Organisation dar. Je nachdem, ob hierbei die gesamte Vergleichssumme an die Organisation ausgekehrt wird oder ob die Zuwendung erst im Anschluss an einen Verteilungsprozess unter den Gruppenmitgliedern erfolgt, wird im Rahmen dieser Arbeit von full bzw. residual Cy Pres gesprochen. 462 462
Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 1.
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Nicht direkt verteilbare Gelder können auch durch den Markt verteilt werden. Das kann in Form von Preisreduktionen für Produkte oder Dienstleistungen erfolgen und wird im Rahmen dieser Darstellung als fluid recovery bezeichnet. 463 Wurde bereits ein Verteilungsprozess implementiert, im Rahmen dessen aber nicht alle Geschädigten ausgemacht werden konnten, so besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die übrige Summe unter den bereits identifizierten Mitgliedern zu verteilen. In einem solchen Fall spricht man von einer pro rata distribution. 464 Parallel zu der Rechtsfolge der deutschen Abschöpfungsinstrumente können die nicht verteilbaren Gelder auch durch den sogenannten escheat dem Staat zugesprochen werden. 465 Dem Autor sei es an dieser Stelle nachgesehen, dass die Begriffe nicht übersetzt, sondern direkt aus dem Englischen übernommen werden. Dies dient der Vermeidung weiterer Verwirrungen um die Begrifflichkeiten, die bereits in der U.S.-amerikanischen Rechtsprache zur Genüge bestehen. Die Terminologie zur Bezeichnung der verschiedenen Methoden ist dort nämlich bei weitem nicht einheitlich. Viele Begriffe sind mehrfach belegt bzw. werden relativ willkürlich für unterschiedliche Konstellationen verwendet. Nicht selten verwenden Gerichte und Autoren den Begriff „Cy Pres“ als Oberbegriff für alle, bzw. alle echten alternativen Verteilungsmethoden. 466 Auch die Bezeichnung „fluid recovery“ wird teilweise hierfür verwendet oder aber in noch weiterer Form für den gesamten Vorgang der kumulierten Schadensberechnung und der alternativen Verteilung. 467 In einigen Werken wird zudem der oben dargestellte, in Vergleichen teilweise angewandte „inkind relief“, bei dem die Gruppenmitglieder nicht in Geld, sondern in Sachleistungen entschädigt werden sowohl inhaltlich als auch begrifflich mit den alternativen Verteilungsmethoden vermischt. Hierbei ist allerdings klar zu differenzieren. Im Rahmen des „in-kind relief“ werden die Gruppenmitglieder zwar individuell, aber nicht in Geld entschädigt. Kommen die alternativen Verteilungsmethoden zur Anwendung, ist eine individuelle Entschädigung gerade nicht mehr möglich. Verwechslungen entstehen hier häufig mit der Fluid-Recovery-Methode, bei der auch teilweise Coupons zur Anwendung kommen, diese aber nicht direkt an die Gruppenmitglieder verteilt werden. 468 Unter allen alternativen Verteilungsmethoden nimmt die Cy-Pres-Methode mit Abstand die zentralste Rolle in Rechtsprechung und Literatur ein. 463
Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 2. Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 3. 465 Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 4. 466 Newberg/Rubenstein, § 12:27 m.ausf.N. in Fn. 11. 467 Eine ausführliche Analyse der unterschiedlichen Verwendungsformen des Begriffes „fluid recovery“ findet sich bei Schwab v. Philip Morris USA, Inc., 2005 WL 3032556, at *1 (E.D.N.Y. 2005). 468 Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 2. 464
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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Diejenigen Bundesstaaten, die bereits eine Regelung zur Verwendung unverteilbarer Gelder in ihrem Prozessrecht vorsehen, wenden beinahe ausnahmslos diese Form der Verteilung an, 469 und auch vor den Bundesgerichten kommen Cy-Pres-Vergleiche deutlich häufiger vor als solche, die andere Methoden enthalten. Hieraus resultiert verständlicherweise auch ein gesteigertes Interesse der Literatur, die die Cy-Pres-Verteilung nicht selten in den Fokus der Betrachtung rückt und die restlichen Alternativen deutlich verkürzter erörtert. Bemerkenswert ist hierbei, dass Kritik- oder Problempunkte, die bezüglich der Cy-Pres-Methode geäußert werden, häufig auch auf andere Verteilungsmethoden übertragbar wären, hier aber aufgrund der deutlich geringeren Forschungstiefe in diesen Bereichen nur selten oder gar nie thematisiert werden. 470 Als Teil der Vergleichsvereinbarung ist auch die Methode zur Verteilung der übrigen Gelder dem gerichtlichen Kontrollmaßstab der Rule 23(e) Fed. R. Civ. P. unterstellt. Entsprechend den oben gemachten Ausführungen gilt es für das Gericht somit auch hier festzustellen, dass die Verteilung gerecht, nachvollziehbar und angemessen ist. 471 Diese groben Vorgaben sind jedoch bei weitem nicht ausreichend, um eine einheitliche Rechtsprechung der Bundesgerichte zu dieser Thematik sicherzustellen. Das gesamte Feld der alternativen Verteilungsmethoden ist daher stark von Einzelfallentscheidungen der verschiedenen Gerichte geprägt, die ob des weiten Ermessensspielraums der Richter auch nur eingeschränkt in der Berufungsinstanz überprüft werden können. Hervorzuheben ist hier außerdem, dass es durchaus nicht unüblich und teilweise auch gerechtfertigt ist, dass Gerichte eine unterschiedliche Haltung zu den einzelnen Methoden einnehmen, abhängig davon, in welchem Zusammenhang sie mit diesen konfrontiert werden. Dies beschränkt sich nicht nur auf die gesetzlich zwingende Unterscheidung zwischen Urteilen und Vergleichen, sondern manifestiert sich auch innerhalb des Vergleichskontexts. So sind mehrere Situationen denkbar und möglich, in denen Gerichte mit alternativen Verteilungsmethoden im Rahmen eines Vergleiches in Berührung kommen können. Am gängigsten, und dabei auch am wünschenswertesten, ist es, dass die Parteien bereits in ihrem Vergleichsvorschlag einen konkreten Plan zur Aufteilung der übrigen Gelder vorsehen, über dessen Angemessenheit das Gericht zu entscheiden hat. Dies ist jedoch bei weitem nicht immer der Fall. Teilweise sehen die Vergleiche hierfür gar keine Regelung vor oder stellen die Verteilung der übrigen Gelder explizit ins Ermessen des Gerichts. Es kann auch vorkommen, dass ein Vergleich zwar eine all469
Siehe hierzu ausführlich Teil 3 – D.VI. Siehe beispielsweise zu gewissen Teilen die Kritik an der Verfassungsmäßigkeit der Cy-Pres-Methode Teil 3 – D.IV. 1.b)aa).; oder aber die Trigger-Voraussetzung, die so auch nur im Rahmen der Cy Pres besprochen wird, Teil 3 – D.IV. 1.c)aa). 471 Ausführlich Teil 3 – C.VI.2. 470
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
gemeine Cy-Pres-Regelung enthält, die konkrete Auswahl der Empfängerorganisation aber dem Gericht überlassen werden soll. Zudem können Gerichte durch Einwendungen von Gruppenmitgliedern gegen eine bestimmte im Vergleich vorgesehene Verteilungsmethode zu einer Entscheidung in dieser Hinsicht berufen sein. Selbstverständlich muss ein Gericht verschiedene Maßstäbe anwenden, je nachdem in welcher Situation es zu einer Entscheidung angerufen ist. 472 Das kann dazu führen, dass dasselbe Gericht einen Vergleichsvorschlag, der eine Escheat-Lösung vorsieht als gerecht, angemessen und nachvollziehbar genehmigt, sich einige Monate später aber vehement gegen diese Verteilungsmöglichkeit ausspricht, wenn es aufgrund der Einwendung eines Gruppenmitglieds gezwungen ist, sie gegen eine pro rata distribution abzuwägen. Dies macht es allerdings für den Rechtsanwender nicht unbedingt einfacher, die konkrete Position des entsprechenden Gerichts auszumachen, insbesondere weil große Teile der U.S.-Literatur in der Wiedergabe entsprechender gerichtlicher Stellungnahmen häufig die erforderliche Sorgfalt in Bezug auf die konkrete Situation vermissen lassen.
III. Die Implementierung der Methoden im Kontext der U.S. Class Action und ihr historischer Ursprung Das Bedürfnis nach alternativen Methoden zur individuellen Schadensauskehr innerhalb der Class Action entstand in den U.S.A. erstmals im Jahre 1966 nach der wegweisenden Änderung der Rule 23, 473 die nunmehr, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregelung für Schadensersatzklagen eine Opt-Outanstelle einer Opt-In-Lösung vorsah. Damit einher gingen deutlich größere Klägergruppen und eine gesteigerte Passivität der nun ohne ihr direktes Zutun beteiligten Geschädigten. 474 Bereits in frühen Verfahren unter der geänderten Regelung blieben so im Anschluss an die Verteilung an die Geschädigten erhebliche Summen übrig, für deren Verwendung die Gerichte nach Möglichkeiten suchten. 475 Die „traditionelle“ Lösung, die nicht verteilbaren Mittel an den Beklagten zurückzuführen, wurde als unbefriedigend empfunden, da damit die abschreckende Wirkung der Class Action konterkariert wurde. 476 Den Anstoß für eine alternative Herangehensweise an diese ProYospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1056 f. (2009). Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 281 (2013); Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1103 (2017). 474 Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 281 (2013); Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1103 (2017); Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 7. 475 So blieben beispielsweise in State of W. Va. v. Chas. Pfizer & Co., 314 F. Supp. 710 (S. D.N.Y. 1970) $ 32 Mio. eines $ 100 Mio. Vergleiches übrig, Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 281 (2013); Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1103 (2017). 476 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 631 (2010); Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. 472 473
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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blematik auf Bundesebene gab ein studentischer Beitrag in der University of Chicago Law Review im Jahr 1972. Stewart Shepherd stellte zunächst fest, dass Verteilungsprobleme im Anschluss an große Class Actions kaum vermeidbar seien, 477 und schlug sodann drei Methoden vor, um diese Problematik zu handhaben. Den oben festgelegten Begrifflichkeiten zugeordnet waren das zum einen eine Pro-rata-Verteilung an die Gruppenmitglieder, 478 zum anderen eine Ausschüttung an den Staat, 479 wobei hier bereits sowohl eine hinsichtlich der Verwendung bedingte, als auch eine unbedingte Ausschüttung diskutiert wurde, und zuletzt eine Verteilung durch den Markt im Sinne von fluid recovery. 480 Obgleich die beiden letztgenannten Methoden bereits im Vorfeld vereinzelt von Gerichten in Betracht gezogen worden waren, 481 erlangten sie erst durch den Beitrag Shepherds, in dem vertieft Vorund Nachteile der Methoden erörtert wurden, breite Beachtung in Rechtsprechung und Literatur.482 In der Folge sahen sich auch die Bundesgerichte weiter dazu ermutigt, ihre weiten Entscheidungs- und Ermessensspielräume zu nutzen, um dem Problem der Schadensverteilung Herr zu werden. Ein anschauliches frühes Beispiel hierzu ist der 1974 vor dem Southern District Court of New York verhandelte Fall Miller v. Steinbach. 483 Die Klägergruppe bestand aus allen Eigentümern der ca. 4 Millionen im Umlauf befindlichen Aktien der Baldwin-Lima-Hamilton Corp., die im Jahre 1965 mit einem anderen Unternehmen, Armour & Co, fusioniert hatte. Die Aktionäre machten geltend, die Fusion sei unter unangemessenen Bedingungen zu Stande gekommen, was zu einer Unterbewertung ihrer Aktien geführt habe und worin ein Verstoß gegen geltendes Wertpapierrecht liege. Die Kläger und Armour & Co. einigten sich schlussendlich auf einen Vergleich, der, nach Abzug aller Kosten, eine Summe von $ 58.000 als Entschädigungszahlung vorsah. Da damit die Entschädigung pro Aktie bei ca. $ 0.12 lag, kamen die Parteien überein, die Gesamtsumme stattdessen dem Rentenplan der Baldwin-Lima-Hamilton Corp. zuzuführen. Es ist anzunehmen, obgleich das nicht eindeutig aus dem Urteil hervorgeht, dass ein großer Teil der Aktionäre gegenwärtige oder frühere Angestellte der Baldwin-LimaPol’y 635, 641 (2018); Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 7 f. Siehe ausführlich zur Alternative der Reversion an den Beklagten Teil 3 – D.IV. 5. 477 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 451 (1972). 478 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 453 (1972). 479 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 453 ff. (1972). 480 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 458 ff. (1972). 481 Federführend waren hier zu Beginn insbesondere die Gerichte Kaliforniens, siehe Daar v. Yellow Cab Co., 67 Cal. 2d 695, 433 P.2d 732 (1967). Aber auch auf Bundesebene wurde sowohl eine Ausschüttung an den Staat, State of W. Va. v. Chas. Pfizer & Co., 440 F.2d 1079 (2d Cir. 1971), als auch die Anwendung von fluid recovery, Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 52 F.R.D. 253 (S.D.N.Y. 1971) bereits vor dem Aufsatz Shepherds debattiert. 482 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 631 (2010). 483 Miller v. Steinbach, 1974 WL 350 (S.D.N.Y. J 1974).
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Hamilton Corp. waren. 484 Damit genehmigte das New Yorker Gericht bemerkenswerterweise eine weitere, bis dato neue Verteilungsmethode, nämlich die Ausschüttung an eine die Klägergruppe begünstigende Organisation. Dem Gericht war zwar bewusst, dass es für diese Methode bislang keine Präzedenzfälle gab, 485 man darf jedoch bezweifeln, dass es um die Tragweite seiner Entscheidung zu diesem Zeitpunkt wusste. Nicht nur die zeitliche Nähe der Entscheidung zum Beitrag Shepherds, sondern auch die parallele Begründungsstruktur lassen auf eine Beeinflussung des Falles durch den Beitrag schließen. Sowohl Shepherd als auch das New Yorker Gericht wenden nämlich zur Herleitung ihrer Verteilungsmethoden eine Analogie der in den U.S.A. damals aus dem charitable trust law bekannten Cy-Pres-Doktrin an, 486 die in diesen Zusammenhang verwendet wurde, um wohltätige Zuwendungen, deren Zweck nicht direkt erfüllt werden konnte, einer ähnlichen Verwendung zuzuführen. Über die Ursprünge dieser Doktrin und ihre Entwicklung hin zur Anwendung im Trust-Kontext bestehen viele Unklarheiten. 487 Konsens scheint es zwar dahingehend zu geben, dass sich die Bezeichnung „cy pres“ aus dem normannischen „cy pres comme possible“ (dt. „so nah wie möglich“) ableitet, 488 im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist aber weder die Schreibweise 489 noch die Aussprache 490 einheitlich. Ebenso wenig besteht eine einheitliche Definition. 491 Angelehnt an ihre bis Mitte des 20. Jahrhunderts hauptsächliche Verwendung im Kontext der charitable trusts bezeichnet Zollmann die Doktrin als „die einfache Regelung der liberalen richterlichen Auslegung, die darauf abzielt, die wahren Absichten des Spenders zu ermitteln und diese so weit wie möglich zu verwirklichen“. 492 In dieser Anwendung kann die Doktrin auf eine lange Geschichte zurückblicken, deren Darstellung hier jedoch nur in verkürzter Weise erfolgen Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 636 (2010). Miller v. Steinbach, 1974 WL 350, at *2 (S.D.N.Y. 1974). 486 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 452 (1972); Miller v. Steinbach, 1974 WL 350, at *2 (S.D.N.Y. 1974). 487 Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 455 (2019); Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1465 (2015); Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 3. 488 Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 1; The Ironmongers’ Company v Her Majesty’s Attorney-General, at the relation of Daniel Humphreys Howlett, X Clark & Finnelly 908, 922 (1844). 489 Teilweise, insbesondere in Quellen aus dem Vereinigten Königreich, wird die an das Französische angelehnte Schreibweise „cy près“ verwendet. Wohl eher an der Aussprache orientiert sich die Schreibweise „cy press“. Der Großteil der U.S.-Literatur verwendet die Schreibweise „cy pres“, dem wird in dieser Darstellung gefolgt. 490 Die in den U.S.A. gängigste Ausspracheform ist [see-prey]. 491 Vier verschiedene Definitionsansätze finden sich dargelegt in Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 1 f. 492 Zollmann, American Law of Charities, S. 75 f. 484 485
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kann. 493 Ihre Wurzeln können bis in das Recht des römischen Reiches noch vor der konstantinischen Wende zurückverfolgt werden. 494 In den Pandekten Justinians wird ein Fall aus dem frühen dritten Jahrhundert n.Chr. beschrieben, in dem ein Erblasser einen Teil seines Erbes der Stadt vermacht hatte, um damit Gladiatorenspiele auszurichten. Da diese Art der Spiele jedoch inzwischen vom Senat verboten worden waren, kam die Frage auf, wie mit dem letzten Willen des Erblassers zu verfahren sei. Modestinus, ein damals angesehener Jurist, hielt es für unangemessen, den Teil des Erbes einfach den übrigen Erben zukommen zu lassen, und schlug vor, die Erben und die Magnaten der Stadt mögen stattdessen darüber beraten, wie das Geld einem anderen Nutzen zugeführt werden könne, „um das Andenken des Verstorben in einer anderen, rechtmäßigen Weise zu bewahren“. 495 Dieser Gedankengang überdauerte beinahe tausend Jahre und fiel im mittelalterlichen England auf fruchtbaren Boden. Das Erbe eines Mannes wurde hier regelmäßig in drei Teile unterteilt. Ein Teil ging an die Witwe des Verstorbenen, ein Teil an dessen Kinder und über den dritten Teil konnte der Erblasser frei verfügen. Meist wurde dieser Teil einer kirchlichen Einrichtung zu wohltätigen Zwecken zugewandt. 496 Sowohl für die Vollstreckung des letzten Willens als auch für die Verwaltung der wohltätigen Spenden war der Lordkanzler in seiner klerikalen und weltlichen Doppelfunktion zuständig. 497 Konnte nun der vom Erblasser vorgesehene Zweck nicht erreicht werden, beispielsweise weil es das christliche Waisenhaus der Stadt, das er bedacht hatte, nicht mehr gab, so wurde es als unangemessen angesehen, den dritten Teil zwischen den Kindern und der Witwe zu verteilen. Der Gedanke hierhinter war, dass die wohltätige Zuwendung des Verstorben ihm vor allem einen Erlass seiner Sünden und damit einen Zugang zum Himmelreich sichern sollte. Dies wäre bei einer Ausschüttung an die Angehörigen nicht mehr gegeben, weswegen der dritte Teil – pro salute animae – einem dem Wunsch des Verstorbenen nahekommenden wohltätigen kirchlichen Zweck zugeführt wurde. 498 An dieser altruistischen Motivation mag man zwar angesichts der Tatsache, dass auf diese Weise hauptsächlich der Kirche der Erhalt der Gelder gesichert wurde, berechtigte Zweifel hegen, 499 493 Ausführliche historische Darstellungen finden sich in Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States; Sherman, The Uses of the Dead; Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine, S. 5–18; Gray, 33 B. U. L. Rev. 30 (1953). 494 Digesten Justinians 33:2:16, zitiert in Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Corpus Iuris Civilis V, S. 508. 495 Digesten Justinians 33:2:16, zitiert in Knütel/Kupisch/Rüfner/Seiler, Corpus Iuris Civilis V, S. 508. 496 Gray, 33 B. U. L. Rev. 30, 33 (1953). 497 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 626 (2010); Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 4 f. 498 Gray, 33 B. U. L. Rev. 30, 32 (1953). 499 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 626 (2010); Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 4; Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1465 (2015).
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unbestreitbar fand jedoch auf diese Weise die Cy-Pres-Doktrin Einzug in das englische Recht. Aus der engen Verbindung des Erb- und des Trust-Rechts im englischen Recht entwickelte sich sodann das heutige Hauptanwendungsgebiet der Doktrin im Kontext der charitable trusts. Ein trust, im deutschen Recht am ehesten mit einer Stiftung oder einer treuhänderischen Vermögensverwaltung zu vergleichen, entsteht durch die Aufspaltung des Eigentumsrechts in einen legal und in einen equitable titel. Der Errichter des trusts (settlor) überträgt sein Vermögen an einen Treuhänder (trustee), der es zum Nutzen eines Dritten (beneficary) verwalten soll. 500 Bei einem charitable trust ist dieser beneficary eine wohltätige Organisation oder Einrichtung. Trusts generell und charitable trusts im Besonderen werden häufig für die Nachlassregelung gewählt, da so eine Aufspaltung des Vermögens verhindert werden kann. 501 Nun kann es aber auch nach der Errichtung eines charitable trusts dazu kommen, dass der ihm inhärente wohltätige Zweck aufgrund von rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr verwirklicht werden kann. Um in einem solchen Falle dennoch eine wohltätige Verwendung des trusts sicherzustellen, wurden in England zwei Formen des Cy Pres implementiert, die der Rechtsprechung (judical) und die des Vorrechts (prerogative). 502 Bei der durch die Rechtsprechung angewandten Form der Cy Pres wurde der der wohltätigen Zuwendung zugrundeliegende Wille des settlors ermittelt und der trust sodann einer Organisation oder Einrichtung zugewiesen, die ihrer Ausrichtung nach diesem Willen am nächsten kam. 503 Eine solche Verbindung war dagegen bei der prerogative Cy-Pres-Variante nicht erforderlich. Sie wurde angewandt, wenn kein klarer Wille des settlors ermittelt werden konnte oder der ermittelte Wille nicht mit dem Gesetz vereinbar war. 504 In einem solchen Fall wurde das Trust-Vermögen schlicht einer wohltätigen Einrichtung zugesprochen, die keine, oder nur eine sehr entfernte Verbindung zum settlor aufwies. 505 Einer der Hauptgründe dafür, dass amerikanische Gerichte und Rechtswissenschaftler zu Beginn der Implementierung der Cy-Pres-Doktrin in das U.S-amerikanische Trust-Recht skeptisch gegenüberstanden war, dass sie, die Fälle der prerogative Cy Pres vor Augen, befürchteten, den Gerichten
Hay, US-amerikanisches Recht, S. 222 ff. Zudem ergeben sich steuerliche Vorteile durch diese Regelungsweise. 502 Ausführlich Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine, S. 21 ff. 503 A Revaluation of Cy Pres, Note, 49 Yale L.J. 303, 304 f. (1939); Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 56 f. 504 A Revaluation of Cy Pres, Note, 49 Yale L.J. 303, 304 (1939); Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 56 f. 505 A Revaluation of Cy Pres, Note, 49 Yale L.J. 303, 304 (1939); Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 56 f. 500 501
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dadurch einen zu weiten Ermessensspielraum einzuräumen. 506 Diese Befürchtung basierte jedoch auf der Vermischung von prerogative und judical Cy Pres in der Analyse der Amerikaner. Diese Vermischung ist letztendlich auf die verwirrenden Kompetenzen für die Anwendungsvarianten in England zurückzuführen. Während die judical Cy Pres als Teil des Equity-Rechts durch den Lordkanzler respektive die Courts of Chancery angewandt wurden, 507 stützte sich die Anwendung der prerogative Cy Pres auf die Macht und die Pflicht des Königs, all seinen Untertanen Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Im Laufe der Zeit übertrug aber der König dieses Recht allerdings ebenfalls auf den Lordkanzler, weswegen dieser später die Kompetenz für beide Anwendungsvarianten in sich vereinigte und die Übergänge zwischen beiden Formen zerflossen. 508 Allen Vorbehalten zum Trotz implementierten im Laufe der Zeit beinahe sämtliche Bundesstaaten die Doktrin in ihr Trust-Recht, entweder durch die Rechtsprechungspraxis oder durch Gesetze. 509 Der Uniform Trust Code, ein nicht bindendes Modellgesetz, das jedoch großen Einfluss auf die Gesetzgebung der Bundesstaaten hat, enthält ebenfalls eine explizite Einbindung der Doktrin in § 413. 510 Obgleich zwischen den Bundesstaaten Unterschiede in den Einzelheiten bestehen, wird für die Anwendung grundsätzlich vorausgesetzt, dass wirksam ein charitable trust errichtet wurde und der wohltätige Zweck aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht, oder nicht vollständig, erreicht werden kann. 511 In einem solchen Fall soll weder der trust unwirksam werden, noch das Vermögen an den settlor oder seine Erben zurückfließen. Stattdessen sollen die Gerichte, wenn feststellbar ist, dass der Trust-Errichtung ein wohltätiger Wille des settlors zugrunde lag, das Vermögen einer an diesen angelehnten Verwendung zuführen. 512 Sämtliche echten alternativen Verteilungsmethoden im Kontext der Class Action rühren aus einer Analogie zu diesem Konstrukt her. Wenn die Gelder schon nicht an die Geschädigten ausgekehrt werden können, sollen sie zumindest einem Zweck zugeführt werden, der der Kompensation der Mitglieder nahekommt. Der Gedankengang leuchtet unmittelbar ein, auch wenn man den Kritikern zugestehen muss, dass die beiden Ausgangssituationen
506 Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 60; Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1467 (2015). 507 Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 4. 508 Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 56 f.; Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1466 (2015). 509 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 628 (2010), m. N. zu den einzelnen gesetzlichen Vorschriften in Fn. 59. 510 Unif.Trust Code § 413. 511 Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 128 ff. 512 Fisch, The Cy Pres Doctrine in the United States, S. 214 ff.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
recht weit voneinander entfernt sind. 513 So liegt der Anwendung im TrustKontext der Gedanke zugrunde, den Willen des settlors zu erhalten und fortzuführen, während es im Class-Action-Kontext im Hinblick auf den Beklagten um die Etablierung einer abschreckenden Wirkung mit kompensatorischen Komponenten geht. 514 Stellt man settlor und Beklagten gegenüber, so zeigt sich, dass die Doktrin hier zu einer gegenläufigen Anwendung kommt, da der Erstgenannte durch sie begünstigt und der Letztgenannte durch sie belastet werden soll. Auch unterscheidet sich die Anwendung in der erforderlichen Nähe der ursprünglich und tatsächlich Begünstigten. Während es im Trust-Kontext nur selten zu einer Überschneidung der ursprünglich und der tatsächlich Begünstigten kommt, ist eine möglichst hohe Überschneidungsrate zwischen den Gruppenmitgliedern und den durch die Anwendung der alternativen Verteilungsformen Begünstigten häufig erklärtes Ziel. Da sich jedoch auf Bundesebene bis heute keine einheitlichen Richtlinien zur Anwendung der Cy-Pres-Doktrin bei der Schadensverteilung etabliert haben, können hier auch Fälle beobachtet werden, bei denen die Gruppe der tatsächlich Begünstigten so wenig mit den ursprünglich Geschädigten gemein hat, dass man hier schon fast von einer Anwendung sprechen könnte, die der im Trust-Kontext so vehement abgelehnten prerogative Cy Pres nahe kommt. Unabhängig von allen teils berechtigten Zweifeln an der für eine analoge Anwendung vergleichbaren Interessenlage sind die auf der Cy-Pres-Doktrin basierenden alternativen Schadensverteilungsmethoden heute fester Bestandteil der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten. Während die Einzelstaaten im Laufe der Zeit größtenteils gesetzliche Regelungen hierfür etabliert haben, 515 stützt sich die Anwendung auf Bundesebene ausschließlich auf Richterrecht. Sowohl die Präferenz für einzelne Verteilungsmethoden als auch die von den Gerichten aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen unterscheiden sich dabei von Bezirk zu Bezirk stark voneinander, was auch der bislang fehlenden höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den Supreme Court geschuldet ist. 516
513 514 515 516
Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 289 (2014). Mirfasihi v. Fleet Mortg. Corp., 356 F.3d 781, 784 (7th Cir. 2004). Ausführlich hierzu Teil 3 – D.VI. Ausführlich hierzu Teil 3 – D.IV. 1.a).
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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IV. Die Formen im Vergleichskontext 1. Full Cy Pres und residual Cy Pres a) Unterschiede und Gemeinsamkeiten Full Cy Pres und residual Cy Pres verwenden die gleiche Lösung für zwei unterschiedliche Probleme. Während man von full Cy Pres spricht, wenn die gesamte Vergleichssumme einer oder mehreren Organisationen zugewandt wird, geht dieser Zuwendung bei den residual Cy Pres ein Verteilungsprozess unter den Geschädigten, also den Gruppenmitgliedern, voraus. Full Cy Pres kommen insofern in Konstellationen zur Anwendung, in denen sich ein individueller Aufteilungsprozess bereits zu Beginn aufgrund der Höhe der Vergleichssumme und der Größe der Klägergruppe als unwirtschaftlich herausstellt, 517 residual Cy Pres dagegen, wenn ein Vergleich zwar eine individuelle Schadensaufteilung vorsieht, im Anschluss an diese aber noch Summen verbleiben, die nicht an die Geschädigten verteilt werden konnten. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die einzelnen Summen nicht hoch genug sind, um die Geschädigten zu motivieren den mitunter umständlichen Anmeldeprozess zu durchlaufen, nicht alle Mitglieder über die Klage und den Vergleich benachrichtigt werden konnten, oder aber auch wenn durch das Vorhalten der Vergleichssumme über einen längeren Zeitraum bereits Zinsen generiert wurden. 518 Obgleich sie sich hinsichtlich ihrer Ausgangssituationen damit deutlich voneinander unterscheiden, weisen beide Varianten an anderer Stelle durchaus Überschneidungen auf. So wurden beide in Ableitung der Cy-Pres-Doktrin aus dem Trust-Recht in den Kontext der Class Action übertragen und blicken insoweit auf einen gemeinsamen historischen Ursprung zurück. Auch können Kritikpunkte, die in der Literatur bezüglich der einen Form geäußert werden, häufig, wenn auch teilweise unter gewissen Einschränkungen, auch auf die andere Form übertragen werden, insbesondere wenn es um die Vereinbarkeit der Verteilungsmethoden mit Verfassungs- beziehungsweise höherrangigem Recht geht. Die folgende Darstellung versucht dieser Gemengelage dahingehend Rechnung zu tragen, dass in diesem Abschnitt vorweggenommen die bedeutendsten Unterschiede der beiden Formen aufgezeigt werden, die fortschreitende Analyse in den folgenden Abschnitten jedoch gemeinsam für beide Varianten erfolgt. Hierbei wird der Fokus zwar auf der deutlich weiter verbreiteten Variante, den residual Cy Pres, liegen, an gegebener Stelle wird 517 Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811, 821 (9th Cir. 2012); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 104 (2014); Tidmarsh, 82 Geo. Wash. L. Rev. 767, 769 f. (2014). 518 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 105 (2014); erhebliche Zinsen wurden beispielsweise generiert in In re Holocaust Victim Assets Litig., 424 F.3d 158, 164 (2d Cir. 2005); Powell v. Georgia-Pac. Corp., 119 F.3d 703, 705 (8th Cir. 1997).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
jedoch selbstverständlich auf die notwendigen Unterscheidungen eingegangen. Ein gutes Beispiel für die Anwendung von full Cy Pres ist neben dem oben beschriebene Fall Miller v. Steinbach 519 aus dem Jahr 1974 der Fall In re Google Buzz Privacy Litig. 520 In diesem verletzte Google im Rahmen seines inzwischen eingestellten sozialen Netzwerkes „Buzz“ das Datenschutzrecht von ca. 37 Mio. G-Mail-Nutzern. Google erklärte sich in einem Vergleich mit der Klägergruppe unter anderem zur Zahlung von $ 8,5 Mio. bereit. Von dieser Summe waren nach Abzug aller Kosten noch ca. $ 6 Mio. übrig. Die Parteien verständigten sich darauf, die Summe, anstatt an jeden Geschädigten ca. $ 0.16 auszuschütten, 14 Organisationen zukommen zu lassen, die sich alle auf die eine oder andere Weise dem Datenschutz verschrieben hatten. 521 Der Fall illustriert anschaulich die Ausgangslage, in der sich die Parteien häufig befinden, wenn sie eine full Cy-Pres-Klausel in ihren Vergleich aufnehmen. Die Ausschüttungssummen an die einzelnen Gruppenmitglieder wären entweder so marginal, dass sie schon für sich genommen eine individuelle Verteilung nicht rechtfertigen würden, oder aber die Kosten für die Verteilung würden die Ausschüttungssummen bis zu diesen Punkt reduzieren, wenn nicht sogar vollständig verzehren. In der Literatur werden zudem teilweise noch Konstellationen genannt, in denen die Gruppenmitglieder nicht zu identifizieren seien. 522 Da es aber Voraussetzung für die Gruppenzulassung ist, dass die Gruppe so klar beschrieben ist, dass zumindest die Gruppenmitglieder selbst feststellen können, ob sie der Gruppe angehören oder nicht, 523 geht es in dieser Kategorie wiederum eher um die Kosten, die für eine Identifizierung durch die Parteien oder das Gericht aufgewendet werden müssten, so dass diese Kategorie eigentlich eher eine Unterform der oben beschriebenen zweiten Anwendungskonstellation ist. Ein Vergleich, der eine full Cy-Pres-Verteilung vorsieht, enthält zudem regelmäßig die Verpflichtung des Beklagten, die angegriffene Verhaltensweise zu unterlassen. 524 Da nicht viele Fallkonstellationen in dieses Raster fallen, kommen full CyPres-Vergleiche heutzutage hauptsächlich bei massenhaften Datenschutzverletzungen vor, von denen regelmäßig eine hohe Anzahl von Personen betroffen ist, oder aber aufgrund von Verletzungen des Fair Debt Collection Practices Acts (FDCPA), bei denen gemäß 15 U.S.C.A. § 1692k(a)(1)(B) eine Kappungsgrenze in Höhe von $ 500.000 oder einem Prozent des Nettover519
Miller v. Steinbach, 1974 WL 350 (S.D.N.Y. J 1974), siehe Teil 3 – D.III. In re Google Buzz Privacy Litig., 2011 WL 7460099 (N.D. Cal. 2011). 521 Eine Liste der begünstigten Organisationen findet sich in In re Google Buzz Privacy Litig., 2011 WL 7460099, at *3 (N.D. Cal. 2011). 522 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 103 (2014). 523 Siehe Wright/Miller/Kane, § 1760; Bone, 65 U. Kan. L. Rev. 913, 923 (2017). 524 Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 9. 520
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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mögens des beklagten Unternehmens besteht. 525 Insgesamt haben full CyPres-Vergleiche aber einen Ausnahmecharakter und sind relativ selten. 526 Damit unterscheiden sie sich erheblich von residual Cy-Pres-Vergleichen, die wesentlich häufiger und innerhalb nahezu aller Rechtsgebiete auftreten. 527 Für die Verteilung von Geldern im Anschluss an einen Verteilungsprozess unter den Gruppenmitgliedern gibt es zudem deutlich mehr Alternativen als für eine full Cy-Pres-Verteilung in den oben beschriebenen Situationen. Bleiben Gelder im Anschluss an einen Anmeldeprozess übrig, so besteht die Möglichkeit eines zweiten Anmeldeverfahrens, gegebenenfalls auch unter anderen Bedingungen. Alternativ kann die übrige Summe zwischen denjenigen Gruppenmitgliedern, die bereits Ansprüche angemeldet haben und somit bekannt sind, verteilt werden, der Vergleich kann eine Fluid-Recovery-Lösung vorsehen oder aber bestimmen, dass das übrige Geld an den Staat ausgeschüttet oder an den Beklagten zurückgeführt werden soll. 528 Gegeben der Annahme, dass die Kläger einem Vergleich, der lediglich den Staat begünstigt, nicht zustimmen würden, steht als sinnvolle Alternative zu full Cy Pres dagegen lediglich eine Verteilung durch den Markt im Sinne einer Fluid-Recovery-Lösung zur Verfügung, die jedoch auch nicht in sämtlichen Fällen in Betracht kommt. 529 Ein Gericht ist somit, will es nicht die Zulassung der Gruppe oder die Genehmigung des Vergleichs vollständig versagen, in den entsprechenden Situationen häufig auf die full Cy-Pres-Methode angewiesen. Weder full noch residual Cy Pres wurden bislang von einem Bundesberufungsgericht als grundlegend unzulässig eingestuft, 530 jedoch bestehen zwischen den Gerichtsbezirken erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Anwendungsvoraussetzungen sowohl für die eine als auch für die andere Form. 531 Diese Divergenz ist hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass weder residual noch full Cy Pres auf Bundesebene bislang eine gesetzliche Normierung erfahren haben. Hinzu kommt, dass der Supreme Court bislang zwar zweimal die Gelegenheit hatte, zu der Problematik detailliert Stellung zu beziehen, hierauf aber jeweils verzichtet hat. Bemerkenswerterweise ging es bei beiden Fällen um einen Vergleich mit einer full Cy-Pres-Klausel, also der wesentlich selteneren Variante. Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 13 f. Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 11 ff. Rubenstein identifizierte im Zeitraum von 1995 bis 2017 lediglich 18 full Cy-Pres-Vergleiche vor einem Bundesgericht. 527 Wright/Miller/Kane, § 1784 m.ausf.N. in Fn. 29; Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 597 (2020) m.ausf.N. in Fn. 3; Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 270 (2014); Foer, 24-SPG Antitrust 86 (2010). 528 Auf all diese Alternativen wird in den folgenden Abschnitten vertieft eingegangen. 529 Hierzu ausführlich Teil 3 – D.IV. 2. 530 Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 10. 531 Hierzu vertieft Teil 3 – D.IV. 1.c). 525 526
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Im jüngst verhandelten Fall Frank v. Gaos 532, dem eine Verletzung des Stored Communications Act durch die Such-Engine von Google zugrunde lag, einigten sich die Parteien, anstelle einer Verteilung von ca. $ 5.3 Mio. unter geschätzt 129 Mio. Geschädigten auf eine full Cy-Pres-Lösung. Begünstigt wurden sechs Non-Profit-Organisationen, die sich verpflichtet hatten, das Geld zur Förderung des Bewusstseins, der Bildung und der Forschung rund um den "Schutz der Privatsphäre im Internet" einzusetzen. 533 Fünf Gruppenmitglieder erhoben Einwände gegen die Vergleichsgenehmigung durch den District Court. Neben dem Grundsatzeinwand, eine full CyPres-Verteilung würde keinerlei direkte Kompensation für die Geschädigten enthalten, kritisierten sie insbesondere die Auswahl der Cy-Pres-Empfänger, unter denen auch Universitäten waren, an denen einige der Gruppenanwälte studiert hatten. 534 Nachdem die Berufungsinstanz auf die Kritikpunkte eingegangen war, an der Entscheidung des District Courts allerdings festgehalten hatte, brachten die Beschwerdeführer den Fall vor den Supreme Court, der diesen auch zur Beurteilung annahm. 535 Das erweckte bei vielen amerikanischen Rechtswissenschaftlern die Hoffnung, das oberste Gericht könnte den Fall zum Anlass nehmen, ausführlich Stellung zu den diversen Streitpunkten zu beziehen, die seit langem rund um die Anwendung der CyPres-Methoden bestehen. 536 Leider wurden diese Hoffnungen enttäuscht. Der Supreme Court verwies den Fall aufgrund einer Problematik bezüglich der Aktivlegitimation der Kläger an den District Court zurück, ohne auf Cy Pres einzugehen. 537 Lediglich Richterin Thomas bezog in ihrem Dissent hierzu kurz Stellung und formulierte nachdrückliche Bedenken hinsichtlich einer solchen Form des Vergleiches. 538 Die Erwartungen in den Supreme Court waren dabei durchaus begründet gewesen, hatte er diese doch selbst in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 geweckt. Dem Fall Marek v. Lane 539 lag ebenfalls eine Datenschutzrechtsverletzung zugrunde, verursacht durch das von Facebook betriebene „Beacon“Programm. Das Programm teilte Einkäufe und Dienstleistungen, die Facebook-Nutzer auf Drittanbieterseiten in Anspruch nahmen, in der FacebookTimeline der Nutzer, so dass alle Facebook-Freunde der Person die Informationen einsehen konnten. Das führte beispielsweise bei einem der Kläger dazu, dass dessen Frau über den Kauf eines Ringes informiert wurde, der als 532 533
Frank v. Gaos, 139 S. Ct. 1041, 203 L. Ed. 2d 404 (2019). In re Google Referrer Header Privacy Litig., 87 F. Supp. 3d 1122, 1130 (N.D. Cal.
2015). 534
In re Google Referrer Header Privacy Litig., 869 F.3d 737, 744 (9th Cir. 2017). Frank v. Gaos, 138 S. Ct. 1697, 200 L. Ed. 2d 948 (2018). 536 Siehe beispielsweise Lewis, Is Cy Pres A-OK? 537 Frank v. Gaos, 139 S. Ct. 1041, 203 L. Ed. 2d 404 (2019). 538 Frank v. Gaos, 139 S. Ct. 1041, 1047, 203 L. Ed. 2d 404 (2019). 539 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 535
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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Überraschung für sie gedacht gewesen war. 540 Neben der Einstellung des Programmes verpflichtete sich Facebook im Rahmen eines Vergleichs, $ 6.5 Mio. für die Gründung einer „Digital Trust Foundation“ zur Verfügung zu stellen, die Programme zum Schutz persönlicher Informationen im Internet finanzieren sollte. 541 An diesem Vergleich war nicht nur bemerkenswert, dass eine neue Organisation zur Verteilung der Cy-Pres-Gelder gegründet wurde, über deren Verlässlichkeit und Integrität keinerlei Gewissheit bestand, sondern auch, dass der Direktor für Öffentlichkeitsarbeit von Facebook einen der drei Vorstandsposten dieser Organisation einnehmen sollte. 542 Megan Marek, eines der Gruppenmitglieder, das Einwände gegen den Vergleich vorgetragen hatte, mit diesen vor dem neunten Bundesberufungsgericht aber nicht durchdringen konnte, 543 beantragte den Fall vor dem U.S.Supreme Court zu behandeln, was dieser jedoch aufgrund der besonderen Eigenheiten des Falles ablehnte. 544 In der Ablehnungsentscheidung kam Richterin Roberts jedoch in einer für den Supreme Court ungewöhnlichen Weise kurz auf das Thema der Cy-Pres-Vergleiche zu sprechen und merkte an, das Gericht müsse auf die grundsätzlichen Bedenken, die bezüglich dieser Art der Verteilungsmethode immer wieder vorgebracht werden, zu gegebener Zeit eingehen. 545 Da dies allerdings weder in Frank v. Gaos noch einem anderen Fall bislang geschehen ist, stehen die von Roberts aufgeworfenen Fragen sowohl für full als auch für residual Cy Pres weiterhin im Raum und werden von den Gerichten unterer Instanz teils stark unterschiedlich beantwortet. 546 Dazu gehören unter anderem, wann, wenn überhaupt, eine Anwendung von Cy Pres in Betracht gezogen werden sollte, wie die Fairness von Cy Pres im allgemeinen zu bewerten sei, ob im Rahmen einer Cy-PresLösung neue Organisationen gegründet werden können, anhand welcher Kriterien bestehende Organisationen ausgewählt werden sollten und welche Rolle die Gerichte und die Parteien bei der Ausgestaltung des Cy-Pres-Vergleiches genau spielen sollten. 547 b) Kritik Kritik an der Cy-Pres-Verteilung gibt es seit ihrer ersten Anwendung im Class-Action-Kontext. Die Kritikpunkte sind dabei so vielfältig wie die Anwendung der Doktrin im Einzelfall selbst, lassen sich aber grob in drei Kate540 541 542 543 544 545 546 547
Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811, 827 (9th Cir. 2012). Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811, 817 (9th Cir. 2012). Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811, 817 (9th Cir. 2012). Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013). Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 9, 187 L. Ed. 2d 392 (2013). Auf die einzelnen Fragen wird später noch vertieft eingegangen, Teil 3 – D.IV. 1.c). Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 9, 187 L. Ed. 2d 392 (2013).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
gorien unterteilen. Beiden Formen wird zunächst auf Grundlage mehrerer Argumente die Vereinbarkeit mit höherrangigem- bzw. Verfassungsrecht abgesprochen. Die Anwendung einer Cy-Pres-Verteilung wird auf der nächsten Stufe auch generell hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Gerechtigkeit abgelehnt. Hier finden sich hauptsächlich Stimmen, die aus dem einen oder anderen Grund eine andere Verteilungsmethode gegenüber der Cy-PresVerteilung als vorzugswürdig erachten. Die letzte Kategorie enthält sämtliche Kritikpunkte, die aus der konkreten Anwendung von Cy Pres und ihrer Ausgestaltung im Einzelfall herrühren. Da diese Kritikpunkte stark mit den unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen, die die einzelnen Gerichtsbezirke für die Beurteilung heranziehen, korrespondieren, findet sich diese Gruppe am Ende der folgenden Begutachtung und damit unmittelbar vor der Erörterung der Anwendungsvoraussetzungen. Obgleich die meisten Kritikpunkte die Anwendung der Cy-Pres-Methode bereits von Beginn an begleiten, nehmen die kritischen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur spätestens seit Beginn der 2010er Jahre spürbar zu. Zurückzuführen ist das zum einen auf einen zu dieser Zeit erschienenen wegweisenden Aufsatz dreier Rechtswissenschaftler, in dem insbesondere die Vereinbarkeit der Methode mit höherrangigem Recht nachdrücklich in Frage gestellt wurde, 548 zum anderen auf den ebenfalls 2010 erschienenen Vorschlag des American Law Institutes zu kollektivierten Verfahren, welcher in § 3.07 eine Pro-rata-Verteilung grundsätzlich, wenn realisierbar, der residual Cy-Pres-Methode vorzieht. 549 Nicht zuletzt war es aber auch die in Einzelfällen ausufernde Handhabung einiger U.S.-Gerichte, die der CyPres-Methode in jüngerer Zeit einen schlechten Ruf eingebracht hat. Ob dieser berechtigt ist, wird in der Folge zu erörtern sein. aa) Zweifel an der Vereinbarkeit mit Bundes- und Verfassungsrecht Die Anwendung der Cy-Pres-Methode zur Bewältigung der Problematik der Schadensverteilung nach Class-Action-Vergleichen verstößt nach Ansicht ihrer Kritiker gegen eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Prinzipien. Genannt werden hier insbesondere die Case-or-Controversy-Voraussetzung des Artikel III § 2 U.S. Constitution, der Rules Enabling Act und seine Ausformung in 48 U.S.C.A. § 2072(b) und die Verletzung des Rechts auf due process. Daneben wird der Methode eine Umgehung der gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen sowie eine Verletzung des Rechts auf negative Meinungsfreiheit aus dem ersten Verfassungszusatz vorgeworfen. Interessanterweise liegt beinahe all diesen Kritikansätzen, so unterschiedlich sie in ihrer Herleitung und ihrer Begründung auch sein mögen, dieselbe argumen548 549
Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617 (2010). ALI, Aggregate Litigation § 3.07(b).
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tative Ratio zugrunde. In der Verteilung von Geldern an nicht am Prozess beteiligte Dritte überschreite das Gericht seine ihm durch die Verfassung zugewiesene Rolle, ohne hierfür eine gesetzliche Grundlage zu haben, und verletze hierdurch die Rechte der Geschädigten. Die Argumentationsstrukturen verkennen jedoch häufig die bereits durch die Schaffung einer Kollektivierungsmöglichkeit positiv getroffene Entscheidung des Gesetzgebers und die Besonderheiten einer konsensuellen Verfahrensbeendigung durch einen Vergleich. In Artikel III § 2 U.S. Constitution wird die Rolle der Rechtsprechung im Gewaltensystem der Vereinigten Staaten festgelegt. Ausweislich dieses Artikels beschränkt sich die Rechtsprechungsgewalt auf tatsächliche Fälle und Streitigkeiten (live cases and controversies) . Die Norm dient damit insbesondere der Abgrenzung zur Zuständigkeit der Exekutive und der Legislative. 550 Eine nähere Bestimmung, wann ein solcher Fall oder eine solche Streitigkeit vorliegt, enthält die Norm zwar nicht, der Supreme Court hat aber in langjähriger gefestigter Rechtsprechung die standing requirements entwickelt, die durch den Kläger erfüllt werden müssen, damit ein Gericht sich der konkreten Angelegenheit annehmen darf und bezüglich dieser zu entscheiden befugt ist. 551 Hierfür muss der Kläger geltend machen, dass er erstens in einem rechtlich geschützten Interesse verletzt wurde, dass diese Verletzung zweitens kausal auf ein Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist und dass es drittens wahrscheinlich ist, dass dieser Verletzung durch eine positive Entscheidung des Gerichts abgeholfen werden kann. 552 Kritiker sehen in der Anwendung der Cy-Pres-Methode durch die Gerichte nun die Einbeziehung einer dritten Partei in einen bilateralen Rechtsstreit, in dem diese die Voraussetzungen des standings nicht erfüllt. Dadurch würden die Gerichte außerhalb ihrer durch Artikel III § 2 U.S. Constitution festgelegten verfassungsrechtlichen Zuständigkeit handeln. 553 Es handele sich nicht mehr um die einfache Beilegung einer Rechtsstreitigkeit, sondern um eine häufig politisch motivierte Zuwendung von Geldern an einen unbeteiligten Dritten. 554 Das judikative Handeln auf einer solchen, trilateralen, Ebene sei von einem Exekutivakt nicht mehr zu unterscheiden. 555 Eine 550 Allen v. Wright, 468 U.S. 737, 750, 104 S. Ct. 3315, 3324, 82 L. Ed. 2d 556 (1984); Simon v. E. Kentucky Welfare Rights Org., 426 U.S. 26, 37, 96 S. Ct. 1917, 1924, 48 L. Ed. 2d 450 (1976). 551 Lujan v. Defs. of Wildlife, 504 U.S. 555, 560, 112 S. Ct. 2130, 2136, 119 L. Ed. 2d 351 (1992); Allen v. Wright, 468 U.S. 737, 750, 104 S. Ct. 3315, 3324, 82 L. Ed. 2d 556 (1984). 552 Ausführlich hierzu Elliott, 61 Stan L. Rev. 459 (2008). 553 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 641 ff. (2010); Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 741 ff. (2015); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 18 (2011); a.A. Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 457 (2019); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 272 (2014); Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 598 f. (2020). 554 Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 743 (2015). 555 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 642 (2010).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Grenzüberschreitung würde umso deutlicher, je aktiver die Cy-Pres-Empfänger in den Prozess eingebunden würden. Sieht der Vergleich beispielsweise vor, dass das Gericht die Empfängerorganisationen auswählen soll, so hält dieses nicht selten Anhörungen von Organisationsvertreten ab, um deren Pläne und Möglichkeiten auszuloten. 556 Damit nehmen die Empfängerorganisationen tatsächlich eine aktive Rolle im Prozess ein, und tragen erheblich zur Entscheidungsfindung bei, ohne hierfür die formellen Voraussetzungen zu erfüllen. Die Verletzung des Artikel III § 2 U.S. Constitution sei in solchen Konstellationen zudem noch schwerwiegender, würde hier mit der Begründung, die Schadensumme stünde weiterhin den Geschädigten zu, diese würden das Geld faktisch nur anderweitig aufteilen, wozu sie jedes Recht hätten, der trügerische Anschein der Verfassungskonformität erzeugt. Faktisch gebe es aber keinen abstrakten Kompensationsanspruch, der „weitergereicht“ werden könne, sondern lediglich ein Recht auf Beseitigung des eigenen Schadens. 557 Tatsächlich gibt es auch außerhalb der Besorgnisse um eine Verletzung des Artikel III § 2 U.S. Constitution gewichtige Gründe, die Auswahl der Empfängerorganisation bereits in der Vergleichsvereinbarung festzulegen, und diese nicht dem Gericht zu überlassen. 558 Unabhängig davon liegt eine Kompetenzüberschreitung des Gerichts nicht einmal in diesen besonders gelagerten Fällen vor. Wird eine Class Action durch einen Vergleich beendet, so ist dies eine privatrechtliche Vereinbarung der Parteien, in der diese sämtliche ihnen sinnvoll erscheinenden Abreden treffen können. In einem gewöhnlichen Individualrechtsstreit würde diese Prämisse auch niemand anzweifeln. Die Bedenken im Class-Action-Kontext rühren nun daher, dass sich das Gericht durch das in Rule 23 (e) festgelegte Genehmigungserfordernis aktiv in den Vergleichsprozess involvieren muss und dem Vergleich somit den äußeren Anstrich eines Hoheitsaktes gibt. Nichtsdestotrotz geht es bei der Vergleichsentscheidung des Gerichts nicht darum, irgendjemand irgendetwas zuzusprechen, sondern um die Feststellung, dass der Vergleich „gerecht, nachvollziehbar und angemessen“ ist. Wenn das Gericht, um diese Feststellung treffen zu können, einen Vertreter der Empfängerorganisation anhören muss, so macht diese Tatsache die bilaterale Streitigkeit zwischen den Parteien nicht zu einem trilateralen Prozess. 559 Konsequenterweise hat bislang auch noch kein Bundesgericht einen Vergleich, der eine Cy-Pres-Aufteilung enthielt, wegen einer Verletzung des Ar556 Siehe beispielsweise In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21 (1st Cir. 2012), hier hatten konkurrierende Empfängerorganisationen Vorschläge für die Verwendung der Gelder vorbereitet und unterbreiteten diese dem Gericht in einer Anhörung. 557 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 643 (2010). 558 Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(3). 559 Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 457 (2019); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 272 f. (2014).
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tikel III § 2 der Verfassung abgelehnt. 560 Soweit ersichtlich, hat es auch noch kein Gericht für nötig empfunden, seine Zulassung eines entsprechenden Vergleichs unter diesem Aspekt zu rechtfertigen. 561 Insgesamt wurde die Problematik erst ein einziges Mal von einem Bundesgericht überhaupt erwähnt. 562 Obgleich die Bedenken damit im Vergleichskontext auf einige wenige Literaturstimmen zurückzuführen sind, sind sie bezüglich einer durch ein Urteil angeordneten Cy-Pres-Verteilung durchaus berechtigt und kaum von der Hand zu weisen. 563 Ganz ähnlich verhält es sich mit den Vorwürfen, eine Cy-Pres-Verteilung sei mit dem Rules Enabling Act unvereinbar. Diese kursieren seit geraumer Zeit in der Literatur, blieben von den Gerichten im Vergleichskontext allerdings ebenfalls weitestgehend unbeachtet. Einzig das Berufungsgericht des dritten Bezirks griff sie in einer Entscheidung im Jahr 2013 knapp auf, um sie im Anschluss aber als unbegründet zu verwerfen. 564 Durch den Rules Enabling Act übertrug der Kongress 1934 dem Supreme Court zwar das Recht, Regelungen für den Zivilprozess zu erlassen, jedoch nur unter der Einschränkung, dass hierdurch das materielle Recht weder verkürzt, erweitert oder verändert werden dürfe. 565 Genau dies, so die Kritiker, geschehe aber durch die Anwendung der Cy-Pres-Methode. Class Actions auf Schadensersatz werden auf Grundlage von materiellem Bundes- oder Staatenrecht erhoben, das in der Rechtsfolge für die Geschädigten einen Schadensersatzanspruch in Form einer kompensatorischen Geldzahlung vorsieht. Für die Durchsetzung dieser Ansprüche können zwar die Fed. R. Civ. P. herangezogen werden, weder der Tatbestand noch die Rechtsfolge der Anspruchsgrundlage dürfen jedoch durch das Prozessrecht verändert werden. 566 Genau dies geschehe aber durch eine Cy-Pres-Verteilung, so die Kritiker. Der Charakter des zugrundeliegenden Anspruches würde von einem kompensatorischen zu einem strafenden geändert werden, der Schadensersatzanspruch zu einer Art Zivilstrafe pervertiert. 567 Auch den Einwand, es handele sich hier nicht um eine Abänderung in der Rechtsfolge, da es weiterhin ein kompensatorischer Anspruch sei, der durch die Class Action durchgesetzt werde, die Höhe des Anspruches auf die tatsächliche Schadenshöhe begrenzt sei, die Geschädigten zudem, zumindest bei residual Cy Pres, zuvor die Möglichkeit gehabt hätten, eine Entschädigung zu erhalBoies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 273 (2014). Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 273 (2014). 562 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 481 (5th Cir. 2011). 563 Ausführlich hierzu Teil 3 – D.V. 564 In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163, 173 Fn. 8 (3d Cir. 2013). 565 28 U.S.C.A. § 2072(b). 566 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 644 (2010); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 18 (2011). 567 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 645 (2010); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 18 (2011). 560 561
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ten und Cy Pres somit nur zur Vereinfachung der Schadensaufteilung herangezogen werden würden, lassen die Kritiker nicht gelten. 568 Sie wenden hiergegen ein, ohne die Aussicht auf eine Cy-Pres-Verteilung am Ende des Verfahrens hätte das Gericht die Zulassung der Gruppe mangels ausreichender Entschädigung der Gruppenmitglieder bereits ablehnen müssen. 569 Die Durchsetzung würde somit erst durch die Anwendung von Cy Pres ermöglicht, womit sich diese nicht nur auf die Schadensaufteilung, sondern bereits auf die Reichweite der zugrundeliegenden Ansprüche auswirken würden. 570 Die Argumentationsstruktur der Kritiker verkennt auch hier, ähnlich wie bei der auf Grundlage des Artikel III § 2 U.S. Constitution geäußerten Kritik, die privatautonome Natur des Prozessvergleiches. Die Anwendung der Cy-Pres-Methode bedingt hier nicht die Rechtsfolge des Anspruches ab, sondern ist auf die übereinstimmende Vereinbarung der Prozessparteien zurückzuführen. 571 Dabei ist es weder in Individualprozessen noch in Class Actions unüblich, dass Kläger als Gegenleistung für ihren Anspruchsverzicht qualitativ etwas Anderes erhalten, als die Rechtsfolge der geltend gemachten Ansprüche vorgesehen hätte. So werden Schadensersatzklagen häufig nur für ein Tun oder Unterlassen des Beklagten verglichen, oder Feststellungsansprüche für eine Geldzahlung fallen gelassen. Wenn schon an dieser Praxis kein Anstoß genommen wird, leuchtet nicht ein, warum ein Gericht, ohne den Rules Enabling Act zu verletzen eine Zahlung an einen Dritten nicht als gerecht, nachvollziehbar und angemessen einstufen können sollte. Ausgehend von einer unzulässigen Abänderung der Rechtsfolge des zugrundeliegenden Anspruches der Gruppenmitglieder, wird in der Anwendung der Cy-Pres-Methode zudem ein Verstoß gegen den aus dem V. und dem XIV. Zusatzartikel der Verfassung hergeleiteten Due-Process-Grundsatz gesehen. 572 Die teilweise oder gar vollständige Aufgabe des Kompensationsanspruches der abwesenden Gruppenmitglieder zugunsten einer abschreckenden und strafenden Ausschüttung an einen unbeteiligten Dritten würde das Recht der Gruppenmitglieder auf ein angemessenes Verfahren über deren Vermögenswerte verletzen. Es sei zwar zutreffend, dass jedem individuellen Kompensationsanspruch auch bis zu einem gewissen Grad eine generalpräventive Wirkung innewohne, ersteren aber vollständig zugunsten letzterer aufzuopfern, würde die Gruppenmitglieder jedoch in ihren fun-
Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 646 ff. (2010). Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 647 f. (2010); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 18 (2011). 570 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 648 (2010). 571 Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 274 (2014); Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 455 (2019). 572 Siehe zum Due-Process-Grundsatz bereits Teil 3 – C.II. 568 569
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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damentalen verfassungsrechtlichen Rechten verletzen. 573 Im Endeffekt liegt diesem Kritikpunkt, ähnlich wie den beiden zuvor dargelegten, weniger der Verstoß gegen ein Verfassungsprinzip, sondern vielmehr die fehlende gesetzliche Legitimation der Verteilungsmethode zugrunde. Insoweit wird eingeräumt, dass kompensatorische Rechte zwar zugunsten der Prävention grundsätzlich zurückgestellt werden können, dies aber einer ausdrücklichen Genehmigung durch die Legislative bedürfe, an der es aber, zumindest auf Bundesebene, fehle. 574 Das mündet wiederum in dem Vorwurf einer unzulässigen Erweiterung der judikativen Gestaltungsfreiheit, die ebenfalls bereits in den beiden anderen Kritikpunkten mitschwingt. Was hier aber als unzulässige Erweiterung erachtet wird, ist nichts anderes als eine Konsequenz der zulässigen und durch Rule 23 Fed. R. Civ. P. legitimierten Kollektivierung der Ansprüche. Wie oben bereits ausgeführt, wird die stark verringerte Verfügungsfreiheit der Geschädigten über ihren Anspruch in einer Class Action durch die Kontrolle der angemessenen Repräsentation, die umfassenden Informationsrechte und das Recht aus der Klage auszuscheiden kompensiert. 575 All diesen Kontrollmechanismen ist auch der Vergleich, sogar noch einmal in gesteigerter Form, unterworfen. Insoweit geht die als verfassungsrechtlich gekennzeichnete Kritik hier häufig in eine Kritik über die konkrete Anwendung der Cy-Pres-Methode und insbesondere die in vielen Fällen zutage tretende mangelhafte Repräsentation der abwesenden Mitglieder durch den Gruppenanwalt bei Cy-Pres-Vergleichen über. 576 Diese Kritik ist in diesem Zusammenhang, ebenso wie in anderen Prozessabschnitten der Class Action, durchaus berechtigt, das Phänomen des Interessenkonflikts zwischen Anwalt und Gruppenmitgliedern ist insoweit aber ein grundlegendes und kein erst durch die Cy-Pres-Verteilung entstehendes. Erkennt man aber grundsätzlich an, dass eine angemessene Repräsentation in Verbindung mit den anderen Kontrollmaßnahmen dazu geeignet ist, die Due-Process-Rechte der Gruppenmitglieder zu schützen, so muss dies auch für einen durch den Repräsentanten ausgehandelten CyPres-Vergleich gelten. Etwaige Interessenkonflikte sind dann in der Ausgestaltung und der Kontrolle der Beziehung zwischen dem Gruppenanwalt und den Mitgliedern zu thematisieren, 577 werfen aber keine fundamentalen verfassungsrechtlichen Probleme auf. Abschließend werfen Kritiker der Cy-Pres-Methode noch vor, gegen das aus dem ersten Zusatzartikel der Bundesverfassung hervorgehende Recht 573 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 645 (2010); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 20 (2011). 574 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 645 (2010). 575 Hierzu Teil 3 – C.II. 576 Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 20 (2011); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 275 ff. (2014). 577 Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 277 (2014).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
auf (negative) Meinungsfreiheit zu verstoßen. Das Recht auf Meinungsfreiheit enthält in den U.S.A., ähnlich wie in Deutschland, auch eine Abwehrkomponente, die die Bürger davor schützen soll, eine Meinung unterstützen zu müssen, die sie nicht teilen. Virulent wurde dieses Recht bislang hauptsächlich in Streitigkeiten um verpflichtende Gewerkschaftsbeiträge. 578 In einigen Bundesstaaten können auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder in bestimmten Branchen dazu verpflichtet werden, anteilig Gewerkschaftsbeiträge zu entrichten, da sie ebenfalls von den Verhandlungsergebnissen der Gewerkschaft profitieren. 579 Der Supreme Court zieht hier aber eine klare Grenze, sobald es auch um die Unterstützung von politischen oder gesellschaftlichen Idealen durch die Gewerkschaft geht. Hierzu dürfen Nicht-Gewerkschaftsmitglieder nicht verpflichtet werden, da sie ansonsten in ihrer negativen Meinungsfreiheit beeinträchtigt werden würden. 580 Da einige CyPres-Empfänger unbestreitbar ebenfalls politische Ziele verfolgen und diese nicht immer strikt von deren sonstigen Tätigkeiten zu trennen sind, wird der Methode nun vorgeworfen, ebenfalls die negative Meinungsfreiheit der abwesenden Gruppenmitglieder zu verletzen. Das sei umso gefährlicher, als das Gericht, wenn die Gelder einmal einer Organisation zugesprochen wurden, nur noch sehr eingeschränkt dazu in der Lage sei, eine effektive Aufsicht über die tatsächliche Verwendung zu gewährleisten. 581 Ebenfalls auf Grundlage einer Parallele zum Gewerkschaftsrecht halten die Vertreter dieser Auffassung auch das bestehende Opt-Out-Recht der abwesenden Gruppenmitglieder für nicht ausreichend, um deren Interessen angemessen zu schützen. 582 Tatsächlich wird in den Fällen des verpflichtenden Gewerkschaftsbeitrages in Frage gestellt, ob den Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern der aktive Widerspruch gegen eine die Meinungsfreiheit verletzende Beitragszahlung überhaupt zugemutet werden kann, oder ob bereits in dieser Pflicht ein unzulässiger Eingriff liegt. 583 Der Gedankengang hat in diesem Kontext zwar unbestreitbar seine Daseinsberechtigung, ist aber auf den Class-Action-Kontext so nicht übertragbar, da das Recht auf negative Meinungsfreiheit in den Gewerkschaftsfällen, anders als im Class-ActionKontext, bereits durch die staatliche Verpflichtung der Nicht-Mitglieder 578 Abood v. Detroit Bd. of Ed., 431 U.S. 209, 97 S. Ct. 1782, 52 L. Ed. 2d 261 (1977); Chicago Tchrs. Union, Loc. No. 1, AFT, AFL-CIO v. Hudson, 475 U.S. 292, 106 S. Ct. 1066, 89 L. Ed. 2d 232 (1986); Knox v. Serv. Emps. Int’l Union, Loc. 1000, 567 U.S. 298, 132 S. Ct. 2277, 183 L. Ed. 2d 281 (2012). 579 Knox v. Serv. Emps. Int’l Union, Loc. 1000, 567 U.S. 298, 132 S. Ct. 2277, 2281, 183 L. Ed. 2d 281 (2012). 580 Chicago Tchrs. Union, Loc. No. 1, AFT, AFL-CIO v. Hudson, 475 U.S. 292, 106 S. Ct. 1066, 89 L. Ed. 2d 232 (1986). 581 Center for Individual Rights, Brief as Amicus Curiae, S. 3 ff. 582 Center for Individual Rights, Brief as Amicus Curiae, S. 5 ff. 583 Knox v. Serv. Emps. Int’l Union, Loc. 1000, 567 U.S. 298, 312, 132 S. Ct. 2277, 2290, 183 L. Ed. 2d 281 (2012).
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überhaupt eine anteilige Zahlung an die Gewerkschaft zu entrichten konkret gefährdet wird. Die Schutzpflicht des Staates wird aufgrund dessen ausgeweitet, so dass es vornehmlich zu dessen Aufgabe wird, hier die entsprechenden Schranken zu ziehen und die Verwendung zu überwachen. Der Fall der Kollektivierung einzelner Ansprüche im Rahmen der Class Action ist damit zwar grundsätzlich vergleichbar, hier ist der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht aber nachgekommen, indem er die gerichtliche Kontrolle der Vergleichsvereinbarung in Rule 23(e) Fed. R. Civ. P. etabliert hat. Insoweit stellen das Recht, aus der Gruppenklage nach Benachrichtigung auszutreten oder dem Vergleichsinhalt zu widersprechen, keine unzumutbare Belastung der Gruppenmitglieder dar, da durch die Vorabkontrolle des Gerichts die Gefahr einer Beeinträchtigung bereits deutlich vermindert wird. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der Vorwurf des Verstoßes gegen den ersten Zusatzartikel bislang, soweit ersichtlich, keinerlei Berücksichtigung in der Rechtsprechung gefunden und nur ein sehr begrenztes Echo in der Literatur ausgelöst hat. 584 Insgesamt bleiben die Stimmen, die der Cy-Pres-Methode im Vergleichskontext bereits grundsätzlich ihre Verfassungskonformität absprechen, Exoten. Den meisten Kritikpunkten liegt eine Verletzung der Gewaltenteilung zugrunde, die jedoch meist mit Verweis auf die Besonderheiten des Vergleiches oder die Struktur der kollektiven Rechtsdurchsetzung an sich entkräftet werden kann. Zudem hätte die Legislative, hätte sie fundamentale Bedenken gegen die aktuelle gerichtliche Praxis, zu diversen Zeitpunkten die Möglichkeit gehabt, diese einzuschränken. Das ist jedoch nicht geschehen. Im Gegenteil, im Rahmen des CAFA von 2005 hat der Kongress eine Cy-PresVerteilung für nicht in Anspruch genommene Coupons explizit angeordnet. 585 Eine Klarstellung durch die Legislative auch für die sonstige Verwendung der Methode wäre daher zwar wünschenswert, das Fehlen einer solchen führt allerdings nicht zur mangelnden Verfassungskonformität. bb) Bedenken bezüglich der Angemessenheit und Gerechtigkeit Die residual Cy-Pres-Verteilung wird in jüngerer Zeit hauptsächlich im Vergleich zu der Möglichkeit, die nicht beanspruchten Gelder anteilig unter denjenigen Gruppenmitgliedern zu verteilen, die ihre Ansprüche angemeldet haben (pro rata distribution), als unangemessen angesehen. 586 ProSo i.E. auch Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 597 (2020). 28 U.S.C.A. § 1712(e). 586 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 478 (5th Cir. 2011); In re BankAmerica Corp. Sec. Litig., 775 F.3d 1060, 1063 ff. (8th Cir. 2015); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 280 ff. (2014); Moore’s Federal Practice V, § 23.171; eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Pro-rata-Verteilung erfolgt unten, hier soll lediglich auf die wichtigsten Aspekte für den direkten Vergleich mit Cy Pres eingegangen werden. 584 585
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minentester Verfechter dieser Ansicht ist das American Law Institute, dass eine Cy-Pres-Verteilung nur für angemessen hält, wenn zuvor alle Möglichkeiten, die übrigen Gelder an die bereits ermittelten Gruppenmitglieder zu verteilen, ausgeschöpft wurden. 587 Dahinter steht der Gedanke, dass durch eine Verteilung unter den Gruppenmitgliedern unbeteiligte Dritte nicht in den Genuss der Mittel kommen, was sich bei Cy Pres, auch wenn man bei der Auswahl der Empfängerorganisation hohe Standards an die Nähe zu den Geschädigten anlegt, nicht gänzlich vermeiden lässt. Da die Vergleichssumme in allererster Linie aber der Gruppe der Geschädigten zustehe, liege es insofern nur auf der Hand, das Geld innerhalb dieser Gruppe zu verteilen, bevor man es Dritten zuwendet. Keine Organisation stehe letztendlich den Gruppenmitgliedern, die sich nicht melden, näher, als andere Gruppenmitglieder, die in gleicher Weise verletzt wurden. 588 Dieser Ansicht liegt jedoch bereits die fehlgeleitete Annahme zugrunde, die Vergleichssumme stehe insgesamt der Gruppe der Geschädigten zu. Durch die Class Action werden zwar die Individualansprüche der Gruppenmitglieder prozessual verbunden, trotzdem müssen sie weiterhin als ein Bündel von einzelnen Ansprüchen betrachtet werden. Insofern steht die Vergleichssumme nicht als Ganzes der Gruppe zu, sondern jedes Gruppenmitglied hat ein Anrecht auf seinen Anteil an der Vergleichssumme. 589 Kann diese Summe nicht an das berechtigte Mitglied ausgeschüttet werden, so gibt es keinen Grund, sie stattdessen einem anderen Mitglied zuzuwenden. Rein rechtlich stehen sich die beiden nicht näher als zufällige Dritte, und das nicht kompensierte Gruppenmitglied erhält überhaupt keinen, nicht einmal einen indirekten, Vorteil durch die Zuwendung. 590 Der Fall Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc. 591 illustriert das anschaulich. Ihm liegt eine Klage gegen den Betreiber einer Chemieanlage in Texas zu Grunde, die über mehrere Jahrzehnte Arsen und andere giftige Chemikalien in ihre Umgebung emittierte. Die Parteien einigten sich auf einen Vergleich, der eine Ausschüttung von insgesamt $ 41 Mio. an drei Untergruppen der Klägergruppe vorsah. Untergruppe A bestand aus Personen, die im Schädigungszeitraum in der Nähe der Anlage gelebt oder gearbeitet hatten und an irgendeiner Form von Krebs erkrankt waren, eine Fehlgeburt erlitten hatten oder unter einem auf die Vergiftung zurückzuführenden Geburtsfehler litten. 592 Untergruppe B bestand aus Personen, die zwar ebenfalls in der Nähe ALI, Aggregate Litigation § 3.07(b). Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 474 (5th Cir. 2011). 589 Vgl. Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797, 807, 105 S. Ct. 2965, 2972, 86 L. Ed. 2d 628 (1985); Logan v. Zimmerman Brush Co., 455 U.S. 422, 428, 102 S. Ct. 1148, 1154, 71 L. Ed. 2d 265 (1982). 590 Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 23. 591 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468 (5th Cir. 2011). 592 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 472 (5th Cir. 2011). 587 588
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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der Anlage gelebt oder gearbeitet hatten, bei denen bislang aber keiner der eben aufgezählten pathologischen Zustände zu Tage getreten war. Für diese Gruppe sah der Vergleich eine vom Beklagten finanzierte medizinische Überwachung über einen längeren Zeitraum und zudem die Möglichkeit vor, sollten in diesem Zeitraum Erkrankungen auftreten, erneut gegen den Beklagten Ansprüche geltend zu machen. 593 Gruppe C zuletzt bestand aus Grundstückseigentümern, die durch die toxische Belastung ihrer Grundstücke eine Wertminderung erlitten hatten. 594 Mehrere Jahre nach Vergleichsabschluss meldete der claims administrator dem Gericht, dass aus Gruppe B eine Summe von $ 830.000 übrig sei, da weniger Mitglieder als erwartet das Angebot der medizinischen Überwachung genutzt hatten. Da der Vergleich aber keine klaren Anweisungen enthielt, wie in einem solchen Fall zu verfahren sei, entschied der District Court, die Gelder via Cy Pres an mehrere Organisationen zu verteilen, die kulturelle und pädagogische Programme in der betroffenen Region fördern. 595 Hiergegen wandte sich ein Mitglied aus Untergruppe A und forderte, das Geld stattdessen anteilig an die Mitglieder dieser Untergruppe zu verteilen. Auf die obige Argumentation gestützt, stimmte das Berufungsgericht dem zu und hob die Entscheidung des District Courts auf. 596 Effektiv wurde den Betroffenen aus Untergruppe B durch die Entscheidung der Berufungsinstanz jegliche Möglichkeit auf eine indirekte Kompensation verwehrt und das Geld wurde stattdessen Personen zugesprochen, deren einzige Verbindung zur Untergruppe, polemisch formuliert, darin bestand, dass sie vor mehreren Jahrzehnten in der selben Nachbarschaft gewohnt oder gearbeitet hatten. Obgleich die Intention des Gerichtes, innerhalb dieser, zugegebenermaßen schwer getroffenen Schicksalsgemeinschaft eine Art Solidaritätsausgleich zu etablieren, durchaus nachvollziehbar ist, ist sie rechtlich kaum haltbar. Die Bevorzugung der Pro-rata-Verteilung vor der Cy-Pres-Methode wird zudem häufig auf das Argument gestützt, im Rahmen eines Vergleiches sei die Summe, die jedem Gruppenmitglied zugesprochen wird, ohnehin meist wesentlich geringer, als dessen tatsächliche Schadenshöhe. Aufgrund dessen sei eine anteilige Verteilung zumindest bis zur vollständigen Kompensation aller ermittelten Gruppenmitglieder zu bevorzugen. 597 Auch diese Argumentation kann jedoch nicht verfangen. Hier liegt bereits eine erhebliche Hürde darin, überhaupt festzustellen, wie hoch denn der tatsächliche Schaden eines jeden Gruppenmitglieds ist. 598 Es kann dem Gericht kaum zuge593 594 595 596 597 598
Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 472 (5th Cir. 2011). Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 472 (5th Cir. 2011). Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 472 (5th Cir. 2011). Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468 (5th Cir. 2011). ALI, Aggregate Litigation § 3.07, S. 219. Foer, 24-SPG Antitrust 86, 88 (2010).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
mutet werden, diesen exakt zu bestimmen, würde das doch wiederum in einer Vielzahl von Einzelfallberechnungen resultieren. Auch ein Annäherungswert ist hier schwierig zu ermitteln und birgt das Risiko der Überkompensation. Zudem erscheint schon die zugrundeliegende Ratio hinter der „Aufstockung“ der Entschädigung für die ermittelten Gruppenmitglieder als zweifelhaft. Im Rahmen des Vergleichs einigen sich die Parteien darauf, die von den Klägern erhobenen Ansprüche gegen die Zahlung einer konkreten Geldsumme fallen zu lassen. Es ist unbestritten, dass ein Vergleich durchaus auch als angemessen eingestuft werden kann, wenn die Mitglieder nicht in voller Höhe entschädigt werden. 599 Eine Cy-Pres-Verteilung der übrigen Gelder kann daher wohl kaum mit der Begründung abgelehnt werden, zunächst müssten die ermittelten Gruppenmitglieder eine volle Kompensation erhalten, andernfalls würde an die Entschädigungssumme, je nachdem wie erfolgreich der Anmeldeprozess verläuft, zweierlei Maß angelegt werden. cc) Kritik an der konkreten Anwendung und Ausgestaltung Im Gegensatz zu den Zweifeln an der Vereinbarkeit der Cy-Pres-Methode mit dem Verfassungsrecht und den Bedenken bezüglich ihrer grundlegenden Angemessenheit sind die Kritikpunkte, die Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich der konkreten Anwendung der Methode vorbringen, streckenweise durchaus berechtigt und nicht von der Hand zu weisen. Zentralfiguren der Beanstandung sind hier, wie so oft im Rahmen der Class Action, die Gruppenanwälte. Ihnen wird zum einen vorgeworfen, eine Cy-Pres-Verteilung um jeden Preis durchbringen zu wollen, um zwar einerseits insgesamt eine hohe Vergleichssumme zu generieren, an der sich später in der Regel ihre Honorarhöhe bemisst, sich aber andererseits einen aufwendigen Verteilungsprozess zu ersparen. Zum anderen nutzen viele Gruppenanwälte die Cy-Pres-Verteilung, um die Gelder ihnen nahestehenden Organisationen zukommen zu lassen, und das nicht selten in kollusivem Zusammenwirken mit dem Beklagten. Doch nicht nur die Prozessparteien, auch Richter stehen in der Kritik, Cy-Pres-Gelder häufig lieber von ihnen präferierten Organisationen zuzuwenden, anstatt sich bei der Auswahl am größtmöglichen Nutzen für die Gruppe zu orientieren. Selbst wenn die Gerichte hehre Absichten verfolgen, sind sie oft nicht in der Lage, eine fundierte Auswahl zu treffen und eine Kontrolle der begünstigten Organisationen zu gewährleisten.
599
Ausführlich zur net expected value analysis der Gerichte Teil 3 – C.VI.2.
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(1) Die Rolle des Gruppenanwalts Noch vor der Überwachung durch die Gerichte ist es im Rahmen der Class Action in erster Linie der Interessengleichlauf zwischen dem Gruppenanwalt und den Gruppenmitgliedern, der dafür sorgen soll, dass ersterer letztere angemessen vertritt. Soweit es im Zuge der Vergleichsverhandlungen um die Höhe der Gesamtvergleichssumme geht, verlaufen die Interessen von Anwalt und Gruppenmitgliedern auch noch synchron, bestimmt sich die Höhe des Anwaltshonorars doch, wie oben dargestellt, 600 maßgeblich nach der Höhe der Gesamtvergleichssumme. Das gilt bemerkenswerterweise nicht nur dann, wenn das Honorar nach der Percentage-of-Funds-Methode berechnet wird, sondern auch, wenn der Lodestar-Approach zur Anwendung kommt. Statistiken zeigen, dass das Honorar der die Klägergruppe in einer Class Action vertretenden Anwälte im Durchschnitt bei ca. 30 % liegt, und das weitestgehend unabhängig davon, welche Methode zur Berechnung angewandt wurde. 601 Das legt die Annahme nahe, dass die Vergleichssumme auch zur Rechtfertigung des Anwaltshonorars dient, die Gerichte also einen solchen Anteil grundsätzlich als angemessen erachten. 602 Sobald es jedoch um die Verteilung der Vergleichssumme geht, findet die harmonische Beziehung zwischen Anwalt und Gruppe häufig ein jähes Ende. Die Gerichte neigen nämlich in der Regel dazu, auch die Gelder, die nicht an die Gruppenmitglieder direkt verteilt werden konnten, die jedoch via Cy Pres an eine oder mehrere wohltätige Organisationen ausgeschüttet wurden, als Grundlage für die Berechnung des Anwaltshonorars heranzuziehen. 603 Daher, so argumentieren Kritiker, die hierfür auch diverse Anhaltspunkte aus der Gerichtspraxis für sich ins Felde führen können, fehle es für die Anwälte an einem Anreiz, einen gerechten und mitunter komplizierten Aufteilungsprozess im Vergleich zu vereinbaren. Hinsichtlich der Höhe ihres Honorars bestünde für sie zwischen einer Auszahlung an die Gruppenmitglieder oder an Dritte kein Unterschied, ein langwieriger Aufteilungsprozess würde aus ihrer Sicht unter Umständen lediglich die Genehmigung ihres Honorars verzögern. 604 Ein Ausverkauf der Gruppeninteressen liegt zwar bereits dann vor, wenn Anwälte aus Gründen der Beschleunigung und der Kostenersparnisse eine 600
Siehe ausführlich zur Bemessung des Honorars des Gruppenanwalts Teil 3 – C.VII. Newberg/Rubenstein, § 15:73 m.ausf.N. zur Rechtsprechung in Fn. 9. 602 Dem liegt wohl das gewohnheitsrechtliche Vorstellungsbild vieler amerikanischen Gerichte zu Grunde, dass einem Anwalt in einem Deliktsrechtsfall in der Regel ein Drittel der erstrittenen Summe zusteht, Newberg/Rubenstein, § 15:73. 603 Siehe hierzu Teil 3 – C.VII. 604 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 640, 660 f. (2010); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 122 f. (2014); Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1481 f. (2015); Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 957 ff. (2015); Tidmarsh, 82 Geo. Wash. L. Rev. 767, 772 ff. (2014); Beisner/Miller/ Schwartz, Cy Pres, a Not So Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 13. 601
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indirekte Kompensation der Mitglieder via Cy Pres einer direkten Entschädigung als Ergebnis eines gerechten Aufteilungsprozesses vorziehen, ist aber noch in gesteigerter Weise vorwerfbar, wenn sich das Betätigungsfeld der Empfängerorganisationen inhaltlich kaum mit den Interessen der Gruppenmitglieder deckt. Da eine solche Nähe jedoch ebenfalls für die Honorarhöhe und damit leider auch oft für die Anwälte irrelevant ist, scheinen die Gruppenanwälte teilweise eher dazu geneigt zu sein, eine Organisation auszuwählen, die dem Beklagten oder dem Richter nahe steht, da sie sich hierdurch eine Beschleunigung der Vergleichsverhandlungen beziehungsweise der Vergleichsgenehmigung versprechen. 605 Besonders hoch ist die Gefahr eines Interessenkonflikts bei full Cy-Pres-Vergleichen. Hier gibt es für den Gruppenanwalt in Form einer erheblichen Beschleunigung viel zu gewinnen und für die Gruppenmitglieder durch den vollständigen Verlust jeglicher individuellen Kompensationsmöglichkeit gleichermaßen viel zu verlieren. 606 Obgleich die Gefahr eines Interessenkonflikts bei der Verteilung der Vergleichssumme kaum von der Hand zu weisen ist, ist sie häufig weniger erheblich als von den Kritikern dargestellt. So ist es zwar zutreffend, dass der Honoraranspruch des Gruppenanwalts nicht steigt, wenn ein größerer Anteil direkt an die Geschädigten ausgeschüttet wird, er wird hierdurch aber auch nicht geringer. 607 Insoweit besteht für den Gruppenanwalt keinesfalls ein „überwältigender Anreiz“, 608 die Interessen der Gruppe zugunsten einer Cy-Pres-Verteilung hintanzustellen, insbesondere weil er bei einer hohen Gesamtvergleichssumme mit gleichzeitig geringer Verteilungsrate stets Gefahr läuft, dass das Gericht den Vergleich nicht genehmigt oder seinen Honorarvorschlag als unangemessen einstuft. 609 Auch der Beschleunigungsaspekt spielt eine deutlich weniger bedeutende Rolle als von den Kritikern dargestellt, genehmigt das Gericht die Auszahlung des Anwaltshonorars ohnehin nur selten erst nach Abschluss des Verteilungsprozesses. 610 Mittlerweile weit verbreitete quick-pay provisions tragen ihr Übriges dazu bei, dass die Anwälte in der Regel auch bei einem länger andauerndem Verteilungsprozess unter den Gruppenmitglieder nicht allzu lange auf ihr Honorar warten müssen. 611 Um den Interessengleichlauf auch in der Verteilungsphase zu gewährleisten, werden in jüngerer Zeit Stimmen lauter, die fordern, bei der Bemessung 605 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1481 f. (2015); ausführlich zur häufig fehlenden Distanz zwischen den Parteien respektive dem Gericht und den Empfängerorganisationen sogleich. 606 Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 459 (2019). 607 Bone, 65 U. Kan. L. Rev. 913, 945 f. (2017). 608 Beisner/Miller/Schwartz, Cy Pres, a Not So Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 13. 609 So geschehen in In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163 (3d Cir. 2013). 610 Newberg/Rubenstein, §§ 13:54, 15:21. 611 Newberg/Rubenstein, § 13:8.
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des Anwaltshonorars nur den Anteil zu berücksichtigen, der direkt an die Gruppenmitglieder ausgeschüttet wurde, Cy-Pres-Zahlungen also unberücksichtigt zu lassen. 612 Dadurch würde der Gruppenanwalt stark motiviert, sich vehement für eine hohe Ausschüttungsquote einzusetzen. 613 Die Befürworter dieses Vorschlags ziehen Parallelen zu Coupon-Vergleichen und der 2005 in 28 U.S.C.A. § 1712(a) eingeführten Regelung, die verlangt, dass bei einem Vergleich, der eine Entschädigung in Form von Coupons vorsieht, bezüglich der Bemessung des Anwaltshonorars nur die tatsächlich eingelösten Coupons berücksichtigt werden dürfen. 614 Diese Parallele leuchtet auf den ersten Blick ein, sieht 28 U.S.C.A. § 1712(e) doch zudem ausdrücklich vor, dass nicht eingelöste Coupons zwar via Cy Pres an wohltätige Organisationen verteilt werden können, der Wert dieser Coupons jedoch ebenfalls nicht für die Bemessung des Anwaltshonorars herangezogen werden darf. Bei näherer Betrachtung hinkt der Vergleich jedoch etwas. Die Regelung rechtfertigt sich im Rahmen der Coupon-Vergleiche dadurch, dass die Gruppenmitglieder hier in keiner Weise von nicht eingelösten Coupons profitieren. Bei Cy Pres ist das aber etwas anderes. Hier kommen die Gruppenmitglieder, vorausgesetzt das Tätigkeitsfeld der Organisation weist die erforderliche Nähe zu ihnen auf, durchaus indirekt in den Genuss der Zuwendung. 615 Einigen sich die Parteien zudem auf einen Coupon-Vergleich, so liegt dem in der Regel die freie Entscheidung gegen eine Geldentschädigung und so gut wie nie eine Notwendigkeit zu Grunde. Sieht man einmal von den Fällen der missbräuchlichen Anwendung ab, liegt Cy-Pres-Vergleichen dagegen meist die gegenteilige Ausgangssituation zugrunde. Bei einem full Cy-Pres-Vergleich kann die Entschädigungssumme nicht an die Mitglieder verteilt werden, bei einem residual Cy-Pres-Vergleich ist ein Verteilungsprozess bereits mit eingeschränktem Erfolg durchgeführt worden. Beschränkt man insoweit die Bemessungsgrundlage für das Anwaltshonorar auf die direkt verteilte Entschädigungssumme, so würde man dem Gruppenanwalt, wenn bereits aufgrund der Struktur des Falles eine geringe Verteilungsquote zu erwarten ist, den Anreiz nehmen, eine hohe Gesamtvergleichssumme auszuhandeln beziehungsweise den Fall überhaupt anzunehmen. Auf die abschreckende und die abschöpfende Komponente der Class Action hätte das stark negati-
612 Beisner/Miller/Schwartz, Cy Pres, a Not So Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 19. Häufig wird auch eine zumindest anteilige Reduktion vorgeschlagen, Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 648 (2018); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 141 ff. (2014). 613 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 141 f. (2014). 614 Beisner/Miller/Schwartz, Cy Pres, a Not So Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 19; Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 141 ff. (2014). Siehe ausführlich zu in-kind relief Teil 3 – C.VI.4. 615 Bone, 65 U. Kan. L. Rev. 913, 945 f. (2017).
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ve Auswirkungen. 616 Sinnvoll wäre daher wohl eine nur anteilige Berücksichtigung der Cy-Pres-Summe bei der Bemessung der Honorarshöhe. Der konkrete Prozentsatz könnte dabei variiert werden, abhängig davon, für wie groß das Gericht den Vorteil einschätzt, den die Gruppenmitglieder indirekt aus der Cy-Pres-Verteilung ziehen könnten. Da mit einem solch variablen System allerdings erhebliche Unsicherheiten auf Seiten der Anwälte und ein nicht zu unterschätzender Mehraufwand auf Seiten des Gerichts einhergehen würde, erscheint es als unwahrscheinlich, dass die Rechtsprechung ein solches in absehbarer Zeit adaptieren wird. Die Gruppenanwälte stehen aber nicht nur in der Kritik, eine Cy-PresVerteilung um jeden Preis auf Kosten der Gruppe durchsetzen zu wollen, sondern auch diese Verteilungsmethode gezielt zu ihrer eigenen Profilierung auszunutzen. Nicht selten finden sich in der Liste der Cy-Pres-Empfänger nämlich Universitäten, 617 bar foundations, 618 Rechtsprofessoren 619 oder andere juristische Organisationen, 620 die eine unmittelbare Verbindung zu einem der Gruppenanwälte aufweisen. In Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V. 621 beispielsweise, einem Kartellrechtsfall, dem eine Preisabsprache mehrerer Chemieproduzenten zugrunde lag, verpflichteten sich die Beklagten im Rahmen eines Vergleichs zur Zahlung von insgesamt $ 12.9 Mio. Da im Anschluss an den Verteilungsprozess noch Gelder übrig waren und der Vergleich für einen solchen Fall keine Regelung vorsah, beantragte der Gruppenanwalt mit den $ 5.2. Mio einen neu eingerichteten Stiftungsfonds an der George Washington University Law School zu unterstützen, der „durch akademische und praktische Programme, die wirksame private Durchsetzung des Kartell- und Wettbewerbsrechts in den U.S.A. und der ganzen Welt“ fördern sollte. 622 Ungeachtet der Tatsache, dass diese Verwendung kaum den geschädigten Abnehmern der kartellbedingt überteuerten Chemikalien zugute kam, und dass der Fall keine geographische Verbin616 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 142 (2014); Tidmarsh, 82 Geo. Wash. L. Rev. 767, 773 (2014); Bone, 65 U. Kan. L. Rev. 913, 946 (2017). 617 Siehe beispielsweise Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 480 (N.D. Ill. 1993); In re Google Referrer Header Priv. Litig., 869 F.3d 737, 743 (9th Cir. 2017). 618 Siehe beispielsweise In re Linerboard Antitrust Litig., 2008 WL 4542669, at *1 (E.D. Pa. 2008); Nienaber v. Citibank (S. Dakota) N.A., 2007 WL 752297 (D.S.D. 2007); In re Scouring Pads Antitrust Litig., 1995 WL 290242 (N.D. Ill. 1995). 619 Siehe beispielsweise Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 484 (N.D. Ill. 1993). 620 Siehe beispielsweise Rosenau v. Unifund Corp., 646 F. Supp. 2d 743, 748 (E.D. Pa. 2009); Parker v. Time Warner Ent. Co., L.P., 631 F. Supp. 2d 242, 250 (E.D.N.Y. 2009); In re Motorsports Merch. Antitrust Litig., 160 F. Supp. 2d 1392, 1395 (N.D. Ga. 2001). 621 Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212 (D.D.C. 2007). 622 Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212, 215 (D.D.C. 2007).
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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dung zum Sitz der Law School in Washington D.C. aufwies, stimmte das Gericht dem Antrag zu und genehmigte die Verwendung der Mittel. Es fragt sich, ob es das wohl auch getan hätte, hätte es gewusst, dass der Gruppenanwalt ein Absolvent der George Washington University Law School ist, und er für die Zuwendung an seine Alma Mater nicht nur in deren „L’Enfant Society“, der renommiertesten Stiftungsgesellschaft der GWU, aufgenommen wurde, sondern dort auch mit einem Mitgliedsstatus geehrt wurde, der ansonsten nur Spendern vorbehalten ist, die der Universität über $ 5 Mio. zuwenden. 623 Solch krasse Fälle bilden zwar klar die Ausnahme, dennoch ist in letzter Zeit immer wieder zu beobachten, dass Anwaltskanzleien sich ob der durch sie erstrittenen Cy-Pres-Zahlungen selbst als Wohltäter rühmen 624 oder von der Empfängerorganisation als solche geehrt werden. 625 (2) Die Rolle des Beklagten Neben dem Gruppenanwalt ist es teilweise auch der Beklagte, dem es im Zuge der Vergleichsverhandlungen gelingt, die Begünstigung einer ihm nahestehenden Organisation zu Lasten der Gruppenmitglieder durchzusetzen. Dessen Ausgangssituation in der Verhandlung ist denkbar günstig, ist doch der Gruppenanwalt auf seine Kooperation angewiesen, um möglichst schnell einen möglichst hohen Vergleich zu erreichen und im Rahmen der Empfängerauswahl angesichts der Tatsache, dass für sein Honorar nur die Höhe der Vergleichssumme ausschlaggebend ist, oft durchaus zu einem Entgegenkommen gewillt. Auch das clear sailing agreement, also die Zustimmung des Beklagten, keinen Einspruch gegen das vom Gruppenanwalt beantragte Honorar zu erheben, kann als Druckmittel dienen. Ziel der Beklagten ist es dabei zumeist, das Geld einer Organisation zukommen zu lassen, die sie direkt oder indirekt beeinflussen können, um so weiterhin die Kontrolle über die Vergleichssumme aufrechtzuerhalten. Ein gutes Beispiel für ein solches Vorgehen findet sich in dem oben ausführlich dargestellten Fall Marek v. Lane, 626 in dem es der Beklagten (Facebook) gelungen war, einem ihrer führenden Angestellten einen Platz im Vorstand der Empfängerorganisation zu sichern. Daneben nutzen auch die Beklagten die Cy-Pres-Zahlungen regelmäßig, um sich als mildtätige Spender in der Öffentlichkeit darzustellen und damit ihr eigenes Renommee aufzupolieren. 627 Das erscheint in den Fällen besonders perfide, in denen eine Organisation als Empfänger Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 293 f. (2013). Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1484 (2015). 625 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1484 (2015). 626 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 627 S.E.C. v. Bear, Stearns & Co. Inc., 626 F. Supp. 2d 402, 415 (S.D.N.Y. 2009); Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 603 (2020); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 120 f. (2014). 623 624
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
ausgewählt wird, die vom Beklagten ohnehin regelmäßig Zuwendungen erhält. Nichts hindert einen Beklagten in einem solchen Fall daran, einfach die ansonsten getätigten Zuwendungen stillschweigend um die Höhe der CyPres-Summe zu kürzen und sich so nicht nur einen Anspruchsverzicht seitens der Kläger, sondern auch eine Imageverbesserung zum Nulltarif zu erkaufen. 628 (3) Die Rolle der Gerichte Eigentlich ist es Aufgabe des Gerichts über den Vergleich zu wachen, eventuelle Konflikte zu erkennen und einen Vergleich, sollten die Interessen der Gruppenmitglieder nicht ausreichend gewahrt sein, abzulehnen. Unglücklicherweise jedoch verfolgen auch die Richter zum Teil eigene Interessen und versuchen nicht selten, die Verteilung der Gelder in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zwar haben die Gerichte grundsätzlich nicht die Befugnis, einen Vergleich in einem bestimmten Punkt wie der Auswahl der Empfängerorganisation abzuändern, sie können jedoch den Vergleich pauschal zurückweisen oder in den hearings mehr oder weniger deutlich machen, welche Organisation sie bevorzugen würden. 629 Die Gefahr einer missbräuchlichen Einflussnahme durch das Gericht ist darüber hinaus insbesondere dann gegeben, wenn der Vergleich die Auswahl der Empfängerorganisation explizit in das Ermessen des Richters stellt. 630 Gerade das kann für die Prozessparteien jedoch besonders attraktiv sein, umgehen sie doch so das Risiko, dass das Gericht ihre Empfängerauswahl als unangemessen einstuft. Auch haben häufig weder der Gruppenanwalt noch der Beklagte ein Interesse daran, eine Auswahl durch das Gericht zu rügen, stehen die Chancen auf einen schnellen Vergleich und ein hohes Anwaltshonorar doch deutlich besser, wenn das Gericht die Möglichkeit hat, eine selbstpräferierte Organisation zu begünstigen. 631 Insofern kommt es immer wieder zu Fällen, in denen Richter ihnen nahestehende Organisationen auswählen und damit zumindest den Anschein der Befangenheit erwecken. In Nachshin v. AOL, LLC 632 beispielsweise griffen die Kläger eine unzulässige Werbepraxis im E-Mail-Portal des Anbieters AOL an. Da insgesamt über 66 Millionen Nutzer von der Praxis betroffen waren und die Gesamtschadenssumme nur $ 2 Mio. betrug, einigten sich die Parteien auf eine full Cy-Pres-Verteilung und beantragten eine Empfänger628 Dennis v. Kellogg Co., 697 F.3d 858, 868 (9th Cir. 2012); Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 603 (2020); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 120 f. (2014). 629 Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 763 (2015). 630 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 124 f. (2014); Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 287 (2013); Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 750 (2015). 631 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1482 (2015); Blynn, 25 Geo. J. Legal Ethics 435, 440 (2012). 632 Nachshin v. AOL, LLC, 663 F.3d 1034 (9th Cir. 2011).
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auswahl durch das Gericht. Die zuständige Richterin wählte unter anderem die „Legal Aid Foundation of Los Angeles“ aus, in deren Stiftungsrat auch ihr Ehemann saß. 633 Aus diesem Grund griffen einige Gruppenmitglieder die Entscheidung an, aber auch die Berufungsinstanz lehnte es ab, die Richterin als befangen einzustufen. 634 Zwar sind es, ähnlich wie bei den Gruppenanwälten, Einzelfälle, in denen der Vorwurf der Befangenheit so offen im Raum steht, jedoch lässt sich auch bei den Richtern eine gewisse Neigung, sich selbst als Wohltäter darzustellen, nicht leugnen. 635 Zugespitzt ist dies insbesondere bei den einzelstaatlichen Gerichten zu beobachten. Anders als ihre Kollegen auf Bundesebene sind die Richter der Einzelstaaten häufig nicht auf Lebenszeit in ihr Amt berufen und haben somit bei jeder Entscheidung auch ihre Wiederwahl vor Auge. Die eine oder andere Zuwendung an eine einflussreiche Organisation dient hier nicht nur der Steigerung des Prestiges, sondern sichert häufig schlicht die berufliche Zukunft. 636 Im Staate Georgia hatte das 2011 ein solches Ausmaß erreicht, dass Georgias richterliche Qualifikationskommission Ermittlungen gegen einen Richter einleitete, der innerhalb von wenigen Jahren Cy-Pres-Zuwendungen von über $ 33. Mio. an einige ihm nahestehende Organisationen verteilt hatte. 637 Auch solche Fälle bleiben zwar die Ausnahme, rufen aber unwillkürlich die Bedenken ins Gedächtnis, die die U.S.amerikanischen Rechtswissenschaftler hinsichtlich eines ausufernden und schwer kontrollierbarem Ermessensspielraums der Gerichte hatten, als sie zögerten die Cy-Pres-Doktrin aus dem englischen in das amerikanische trust-law zu übernehmen in der Befürchtung, damit der Veruntreuung Tür und Tor zu öffnen. 638 Doch selbst wenn die Gerichte nur die besten Absichten verfolgen, sind sie häufig nicht dazu in der Lage, eine sorgsame Überprüfung und eine umfassende Überwachung der Empfängerorganisation zu gewährleisten. Probleme entstehen hier bereits bei der Auswahl der Organisation beziehungsweise bei der Überprüfung der Auswahl durch die Parteien. Nennen die Parteien dem Gericht eine oder mehrere mögliche Empfängerorganisationen, fehlt es den Richtern häufig schon am nötigen Überblick um feststellen zu können, ob die Ziele der Organisation mit den Interessen der Mitglieder auch tatsächlich kongruent sind. 639 Richter sind ausgebildete Juristen und keine Experten auf dem Gebiet der wohltätigen Organisationen. Aus diesem 633
Nachshin v. AOL, LLC, 663 F.3d 1034, 1038 (9th Cir. 2011). Nachshin v. AOL, LLC, 663 F.3d 1034, 1041 (9th Cir. 2011). 635 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1482 (2015); Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 652 (2018); Liptak, Doling Out Other People’s Money, S. 2. 636 Ausführlich Blynn, 25 Geo. J. Legal Ethics 435, 440 ff. (2012). 637 Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 288 (2013). 638 Siehe Teil 3 – D.III. 639 In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig., 236 F.R.D. 48, 53 (D. Me. 2006); Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1481 (2015). 634
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Grund bleiben kleinere Organisationen häufig unberücksichtigt, auch wenn ihr Programm sich vielleicht eher mit den Interessen der Gruppe deckt. 640 Um vertiefte Nachforschungen über die Organisationen anstellen zu können, fehlt es den Gerichten meist an ausreichenden Ressourcen. Sie sind daher entschieden auf die Informationen der Parteien angewiesen, die aber selbstverständlich nicht auf mögliche Mängel der von ihnen ausgewählten Organisationen hinweisen. 641 Das Informationsdefizit der Gerichte schlägt noch deutlicher zu Buche, wenn ihnen die Auswahl der Empfängerorganisation komplett überlassen wird. Hier werden die Richter zudem in eine für sie problematische Doppelrolle gedrängt. Sie sollen eine Organisation auswählen und diese gleichzeitig kritisch überwachen. Diese beiden Aufgaben sind kaum miteinander vereinbar und ließen sich wohl nicht einmal mit einem deutlich gesteigerten Zeit- und Personalaufwand bewerkstelligen. 642 Insofern vermag es kaum zu verwundern, dass in Rechtsprechung und Literatur vermehrt Stimmen laut werden, die verlangen, dass den Gerichten bei der Auswahl der Empfängerorganisation klarere Richtlinien und Grenzen gesetzt werden, oder aber, dass sich das Gericht vollständig aus der Auswahlentscheidung zurückziehen soll. 643 (4) Zwischenfazit, Beeinflussung durch die Empfängerorganisationen Der hier erfolgten Darstellung ist zu entnehmen, dass keine Partei, die eine aktive Rolle bei der Implementierung der Cy-Pres-Methoden in einen ClassAction-Vergleich spielt, frei von Interessenkonflikten ist. Dies erkennend hat sich in den U.S.A. in den vergangenen Jahrzehnten eine regelrechte „Cy-Pres-Industrie“ entwickelt. Alle möglichen Organisationen versuchen durch aktive Lobbyarbeit bei Anwälten und Gerichten Zuwendungen durch Cy-Pres-Gelder zu erhalten. 644 Für einige Organisationen sind Cy-Pres-Gelder mittlerweile die Haupteinnahmequelle und damit entscheidend für den Fortbestand. 645 Sie drucken Flyer oder richten eigenes Websites ein, um darüber zu informieren, warum sie ihrer Ansicht nach als Cy-Pres-Empfänger ausgewählt werden sollten. 646 All dies hat mit dem „Next-best“-Ansatz Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1483 f. (2015). Sandstrom Simard, 88 S. Cal. L. Rev. Postscript 55, 58 (2014–2015). 642 Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 604 (2020); Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 750 (2015). 643 Siehe ausführlich hierzu Teil 3 – D.IV. 1.c)cc). 644 Liptak, Doling Out Other People’s Money, S. 1; Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 960 (2015); Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 14; Johnston, 9 J.L. Econ. & Pol’y 277, 284 (2013); Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 750 (2015); Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1035 f. (2009). 645 Liptak, Doling Out Other People’s Money, S. 3. 646 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1484 (2015); Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1036 (2009). 640 641
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kaum mehr etwas zu tun, um das Wohl der Gruppenmitglieder geht es hier schon lange nicht mehr. 647 Obgleich sich damit vorliegend ein relativ düsteres Bild abzeichnet, sollte all dies nicht über die Hunderten von Cy-PresVergleichen hinwegtäuschen, in denen keine Übervorteilung der Gruppenmitglieder durch die eine oder die andere Prozesspartei zu beobachten war und die tatsächlich den Gruppenmitgliedern einen indirekten Vorteil bringen konnten. 648 Ein grundlegendes strukturelles Defizit ist an dieser Stelle aber dennoch nicht von der Hand zu weisen. Diesem muss und kann nur durch strenge und einheitliche Anwendungsvoraussetzungen begegnet werden, an denen es auf Bundesebene im Moment aber noch mangelt. c) Anwendungsvoraussetzungen In der Literatur herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass Fällen wie den oben dargestellten, in denen Prozessparteien im Rahmen der Cy-PresVerteilung ihre Interessen zulasten der Gruppenmitglieder durchsetzen, nur wirksam mittels einheitlichen Anwendungsvoraussetzungen begegnet werden kann. 649 Diese wären dazu in der Lage, einem Missbrauch effektiv vorzubeugen, wenn sie zum einen den Spielraum der Parteien verengen und zum anderen dem Gericht einen strengeren Kontrollmaßstab auferlegen würden. Unglücklicherweise gibt es solche Voraussetzungen auf Bundesebene nicht. Weder der Kongress noch der Supreme Court haben bislang von ihrer Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, letzterer hat auch die Gelegenheiten verstreichen lassen, durch höchstrichterliche Rechtsprechung einheitliche Voraussetzungen zu implementieren. Wie bereits erwähnt, nahm sich das oberste U.S.-Gericht bisher erst in Marek v. Lane 650 kurz der Thematik an, warf hier aber nur Fragen auf ohne Antworten zu geben. 651 Das American Law Institute, eine einflussreiche NGO mit vielen namhaften Mitgliedern, die sich der Vereinheitlichung des U.S.-Rechts verschrieben hat, 652 veröffentlichte 2010 seine Modellregelungen für den kollektiven Rechtsschutz im Zivilprozess und widmete dort auch der Cy-PresMethode in Class-Action-Vergleichen ein Kapitel, das explizit Bezug auf einige Anwendungsvoraussetzungen nimmt. 653 Einige Gerichte orientierten
Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 961 (2015). Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 278 f. (2014). 649 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 952 ff. (2015); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 283 ff. (2014); Bartholomew, 83 Fordham L. Rev. 3241, 3276 ff. (2015). 650 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 651 Siehe Teil 3 – D.IV. 1.a). 652 Siehe https://www.ali.org/about-ali/faq/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 653 ALI, Aggregate Litigation § 3.07. 647 648
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sich in der Folge zwar an dem dort dargelegten Regelungsvorschlag, 654 mangels bindender Wirkung desselben sind die Bundesgerichte von einer Vereinheitlichung allerdings noch sehr weit entfernt. 655 Da teilweise nicht einmal innerhalb der einzelnen Bundesgerichtsbezirke einheitliche Vorgaben für die Anwendung der Cy-Pres-Methode bestehen, erhebt die folgende Darstellung weder den Anspruch, für jedes Bundesgericht eine komplette Analyse der Anwendungsvoraussetzungen vorzunehmen, noch abschließend alle angewandten Voraussetzungen aufzulisten. Es soll vielmehr ein Überblick über die gängigen und sinnvollen Voraussetzungen gegeben werden, in dem auch auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Gerichten eingegangen wird. Ebenfalls werden Vorschläge aus der Literatur, die bislang, soweit ersichtlich, noch keine Beachtung in der Rechtsprechung gefunden haben, gewürdigt. aa) Verteilung an die Geschädigten ist unwirtschaftlich oder unmöglich Sowohl full als auch residual Cy Pres sollten nur zur Anwendung kommen, wenn es nicht sinnvoll erscheint, die Gelder (weiter) an die Gruppenmitglieder zu verteilen. Obgleich dies auch für alle anderen alternativen Verteilungsmethoden gelten sollte, wird diese Voraussetzung hauptsächlich im Rahmen der Cy-Pres-Verteilung debattiert. Insofern soll auch hier die Darstellung erfolgen, allerdings mit Verweis auf die Relevanz im Rahmen der anderen Methoden. Die Erörterung der Frage, wann überhaupt eine alternative Verteilungsmethode implementiert werden darf, erfolgt bei den meisten Gerichten unter der Bezeichnung „trigger requirement“ 656. Hier spiegeln sich bereits in den unterschiedlichen Terminologien, die die Gerichte für die Formulierung dieser Voraussetzung verwenden, die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe wider. Manche Gerichte verlangen, dass eine (weitere) Verteilung an die Gruppenmitglieder unmöglich 657 oder undurchführbar 658 ist, andere verlangen lediglich, dass eine solche unangemessen, 659 unwirtschaftlich, 660 oder schlicht ineffektiv 661 ist. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Gerichte den 654 Siehe beispielsweise In re BankAmerica Corp. Sec. Litig., 775 F.3d 1060, 1063 (8th Cir. 2015); In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21, 32 (1st Cir. 2012); In re Pharm. Indus. Average Wholesale Price Litig., 588 F.3d 24, 35 (1st Cir. 2009). 655 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 953 f. (2015); Bartholomew, 83 Fordham L. Rev. 3241, 3277 (2015). 656 Bartholomew, 83 Fordham L. Rev. 3241, 3253 (2015); Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1118 (2017); Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine, S. 259 ff.; Hervorhebung durch Verfasser. 657 Beispielsweise In re Matzo Food Prod. Litig., 156 F.R.D. 600, 605 (D.N.J. 1994). 658 Beispielsweise Jones v. Nat’l Distillers, 56 F. Supp. 2d 355, 357 (S.D.N.Y. 1999). 659 Beispielsweise Mace v. Van Ru Credit Corp., 109 F.3d 338, 347 (7th Cir. 1997). 660 Beispielsweise Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811, 825 (9th Cir. 2012). 661 Beispielsweise In re Ins. Brokerage Antitrust Litig., 282 F.R.D. 92, 117 (D.N.J. 2012).
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exakten Begrifflichkeiten keine besonders hohe Bedeutung zumessen, sie teilweise beliebig austauschen und die Prüfung der Voraussetzung nicht unbedingt an der von ihnen verwendeten Terminologie orientieren. Wie sogleich dargestellt wird, sollten zudem eigentlich für eine full Cy-Pres-Verteilung und eine residual Cy-Pres-Verteilung unterschiedliche trigger verwendet werden, das praktiziert, soweit ersichtlich, aber kein Gericht bislang in dieser Akkuratesse. Würde man für full Cy-Pres-Vergleiche tatsächlich eine vollständige Unmöglichkeit beziehungsweise Undurchführbarkeit der individuellen Verteilung verlangen, so dürfte man solche Vergleiche quasi nie zulassen. Sie kämen, soweit man die wirtschaftliche Unmöglichkeit noch als ausreichend erachten würde, nur dann in Betracht, wenn die Kosten für die Identifizierung der Gruppenmitglieder und die Verteilung der Entschädigung unter diesen, die Vergleichssumme vollständig verzehren oder gar überschreiten würden. In den wenigen Konstellationen, in denen dies der Fall ist, wird eine full CyPres-Verteilung auch von den meisten Gerichten unproblematisch akzeptiert. Bei Vergleichen bei denen aber noch ein, wenn auch geringer, Betrag an die Geschädigten ausgeschüttet werden könnte, bewegt man sich terminologisch eher im Bereich der Unwirtschaftlichkeit. Eine Verteilung wäre meistens zwar möglich, die individuellen Entschädigungssummen wären aber so marginal, dass eine solche, gegebenenfalls auch in Relation zu den hierdurch entstehenden Kosten, als unangemessen angesehen werden kann. Dies scheinen die meisten Gerichte ebenfalls als ausreichend zu erachten, um einen full Cy-Pres-Vergleich zu genehmigen. Feste Grenzen oder zumindest Korridore, ab wann die individuelle Entschädigungssumme groß genug wäre, um eine Verteilung noch als wirtschaftlich und damit angemessen einzustufen, gibt es selbstredend nicht. Die Gerichte sind aber insgesamt sehr zurückhaltend damit, den Gruppenmitgliedern gar keine Entschädigungsmöglichkeit zu geben. Bei vielen full Cy-Pres-Vergleichen hätte sich die Entschädigungssumme rein rechnerisch im Cent-Bereich bewegt, 662 selten im einstelligen Dollarbereich. 663 Das Berufungsgericht des siebten Bezirks lehnte full Cy Pres aber auch schon mit der Bemerkung ab, eine Verteilung von jeweils $ 3 an die Geschädigten sei durchaus noch durchführbar. 664 Selbstverständlich weiß das Gericht, wenn es einem full Cy-Pres-Vergleich zustimmt, nicht exakt, ob und mit welchem Aufwand eine Verteilung unter den Gruppenmitgliedern möglich wäre. Da es insoweit nur eine Prognoseentscheidung treffen kann, sind exakte Schwellenwerte ohnehin nicht 662 In re Google Inc. Cookie Placement Consumer Priv. Litig., 934 F.3d 316 (3d Cir. 2019); Nachshin v. AOL, LLC, 663 F.3d 1034 (9th Cir. 2011); Klewinowski v. MFP, Inc.,2014 WL 1418263, at *1 (M.D. Fla. 2014); In re Netflix Priv. Litig., 2013 WL 1120801 (N.D. Cal. 2013). 663 Hughes v. Kore of Indiana Enter., Inc., 731 F.3d 672 (7th Cir. 2013). 664 Pearson v. NBTY, Inc., 772 F.3d 778, 784 (7th Cir. 2014).
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hilfreich. Einheitliche Wertkorridore wären aber durchaus dazu geeignet, die Gerichte bei der Einordnung ihres jeweiligen Prognoseergebnisses zu unterstützen. Anders gestaltet sich dagegen die Lage, wenn das Gericht nach einem nur teilweise erfolgreichen Anmeldeverfahren einer Verteilung der übrigen Gelder via residual Cy Pres zustimmt. Je nachdem wie sorgfältig das Benachrichtigungs- beziehungsweise Anmeldeverfahren ausgestaltet wurde, scheint es hier schon eher gerechtfertigt, von der Undurchführbarkeit einer weiteren Verteilung an die Gruppenmitglieder, die sich bislang nicht gemeldet haben, zu sprechen. Allerdings unterscheiden sich die Gerichte auch hier deutlich hinsichtlich ihrer Anforderungen. Während einige Richter dazu neigen, nach einem ersten Verteilungsverfahren auch größere Summen ohne weitere Erwägungen wohltätigen Organisationen zuzusprechen, wenden andere hier strengere Maßstäbe an. Bleibt ein hoher Prozentsatz der Vergleichssumme übrig, so ordnen sie zunächst ein zweites Anmeldeverfahren an oder verpflichten die Parteien zu weitergehenden Benachrichtigungsbemühungen. 665 Ähnlich scheint nun auch der dritte Bundesgerichtsbezirk vorzugehen. In der Entscheidung zu In re Baby Prod. Antitrust Litig. 666 verlangt das Bundesberufungsgericht erstmalig bei einer Entscheidung über die Genehmigung einer Cy-Pres-Verteilung, die Gelder die durch den Cy-PresMechanismus verteilt werden sollen, in Relation zu den Entschädigungen zu setzen, die direkt an die Gruppenmitglieder verteilt werden konnten. 667 Grundsätzlich solle eine Cy-Pres-Verteilung nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtvergleichssumme ausmachen, es sei denn, es handele sich um eine hinreichend begründete Ausnahme. 668 Insgesamt ist die Entscheidung, ob die Implementierung eines Cy-PresVergleichs als angemessen erscheint, in hohem Maße einzelfallabhängig und einer einheitlichen Regelung daher ohnehin nur schwer zugänglich. Ein gewisser Grad an Gleichförmigkeit wäre hier aber dennoch anzustreben. Damit würde nicht nur Rechtssicherheit für die Parteien geschaffen, sondern es könnte auch der missbräuchlichen Anwendung vorgebeugt und damit die Akzeptanz gegenüber der Verteilungsmethode deutlich gesteigert werden. bb) Nexus Schlagen die Parteien einen Cy-Pres-Vergleich vor, so sind die Gerichte allerdings nicht bloß angehalten festzustellen, ob eine Cy-Pres-Verteilung gene665 Insbesondere das Bundesberufungsgericht des achten Bezirks scheint hier deutlich höhere Maßstäbe anzusetzen, siehe beispielweise In re BankAmerica Corp. Sec. Litig., 775 F.3d 1060 (8th Cir. 2015). 666 In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163 (3d Cir. 2013). 667 In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163, 174 (3d Cir. 2013). 668 In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163, 174 (3d Cir. 2013).
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rell angemessen sein kann, sondern auch, ob sich die von den Parteien vorgeschlagenen Organisationen im konkreten Fall als Empfänger der Cy-PresZuwendung qualifizieren. Während an späterer Stelle auf die individuellen Merkmale der potentiellen Empfängerorganisation wie Verlässlichkeit und Transparenz eingegangen wird, soll hier zunächst die erforderliche Nähe eruiert werden, die das Tätigkeitsfeld der Empfängerorganisation zu den Interessen der Gruppenmitglieder aufweisen muss. Diese Nähe wird in der U.S.-amerikanischen Rechtsliteratur und auch von den Gerichten häufig als erforderlicher „nexus“ 669 beschrieben, die Anwendungsvoraussetzung daher als „nexus requirement“. 670 Von der uniformen Verwendung dieser Bezeichnung sollte sich der Leser allerdings nicht täuschen lassen, die Gerichte könnten kaum verschiedener in ihrer Anwendung dieser Voraussetzung sein. Obgleich sich bei all den verschiedenen Nuancen, die sich in den letzten Jahrzehnten der U.S.-Rechtsprechung hierzu entwickelt haben, eine Generalisierung nur sehr bedingt vornehmen lässt, können die Gerichte grob anhand von drei verschiedenen Merkmalen ihrer jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen kategorisiert werden. Das ist zum einen der Grad der Nähe, der grundsätzlich gefordert wird, zum anderen die Kriterien, die zur Feststellung dieser Nähe herangezogen werden, und abschließend die Verfahrensweise für den Fall, dass in Anwendung der Kriterien keine Organisation ausgemacht werden kann, die das geforderte Maß erfüllt. Bereits innerhalb der ersten Kategorie unterscheiden sich die einzelnen Bundesgerichtsbezirke erheblich voneinander. Während einigen extrem viel daran gelegen ist, durch hohe Ansprüche an die Nähe der Empfängerorganisation zu den Gruppenmitgliedern den Geschädigten einen möglichst hohen Grad an indirekter Kompensation zu sichern, lassen andere schon eine entferntere Verbindung ausreichen und wiederum andere verlangen überhaupt keine inhaltliche Nähe. In dieser Hinsicht besonders streng ist der neunte Bundesgerichtsbezirk. Der zuständige District Court im Fall In re Wells Fargo Securities Litigation 671 nahm beispielsweise Bezug auf die Herleitung der Cy-Pres-Doktrin aus dem Trust-Recht und stellte fest, dass die Befugnis des Gerichts nicht die Ermächtigung umfasst, die Gelder an eine beliebige Quelle umzuleiten, sondern lediglich die bestmögliche und den Interessen der Gruppenmitgliedern am nahestehendste Organisation gewählt werden dürfe. 672 Die meisten anderen Gerichte und Gerichtsbezirke halten dagegen schon lange nicht mehr an dieser historisch bedingten strengen Anwendungsform fest. Sie verlangen meist zwar noch einen gewissen Grad an Nähe, sind jedoch auch durchaus gewillt, Vergleichen zuzustimmen, 669 670 671 672
Hervorhebung durch Verfasser. Statt vieler Newberg/Rubenstein, § 12:33. In re Wells Fargo Sec. Litig., 991 F. Supp. 1193 (N.D. Cal. 1998). In re Wells Fargo Sec. Litig., 991 F. Supp. 1193, 1195 (N.D. Cal. 1998).
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bei denen eher eine entfernte Verbindung der Empfängerorganisation zu den Geschädigten besteht. 673 Sie sehen es nicht als ihre Aufgabe die bestmögliche Organisation auszuwählen, sondern lediglich zu überprüfen, ob die vorgeschlagene Organisation als angemessen im Sinne des Kontrollmaßstabes der Rule 23(e) Fed. R. Civ. P. angesehen werden kann. 674 Auch scheinen einige Richter das nexus requirement vollständig ad acta gelegt zu haben. 675 So führte der Richter des zuständigen District Courts des siebten Bundesgerichtsbezirks in seiner Entscheidung zu Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc. 676 beispielsweise aus: „Während eine Verwendung der Gelder für Zwecke, die eine enge Verbindung zu ihrer Herkunft aufweisen, zwar immer noch die beste Cy-Pres-Anwendung ist, erlaubt die Doktrin in Verbindung mit den weiten Ermessensspielräumen der Gerichte mittlerweile auch die Verwendung der Gelder für andere öffentliche Zwecke wie Bildungs-, Wohltätigkeits- oder andere gemeinnützige Einrichtungen.“ 677 Im Ergebnis wurde der Fall, dem eine kartellrechtswidrige Preiserhöhung von Glasflaschen zugrunde lag, verglichen und die Gelder wurden unter anderem an ein Museum, verschiedene Rechtsfakultäten, einen lokalen Fernsehsender und andere wohltätige Einrichtungen verteilt. 678 Ähnlich gelagert war ein Fall, den ein Gericht des elften Bezirks zu entscheiden hatte. Es genehmigte in In re Infant Formula Multidistrict Litig. 679 eine Cy-Pres-Zuwendung von über einer Millionen U.S.-Dollar an das amerikanische Rote Kreuz. Dem Fall lag eine kartellbedingte Preiserhöhung von Babynahrung zu Grunde. 680 Gerade diese extremen Fälle sind es, die in der Rechtsliteratur, aber mittlerweile auch in der amerikanischen Öffentlichkeit Zweifel an der Rechtmäßigkeit und der Angemessenheit von Cy-Pres-Verteilungen haben aufkommen lassen. 681 Ähnlich wie beim oben angesprochenen Missbrauch durch die Gerichte korrumpieren diese Entscheidungen die historisch auf die judical Cy-Pres-Anwendung gestützte Doktrin und ähneln ihrem Charakter nach eher der bereits im Trust-Recht auf berechtigte Ablehnung gestoßenen Praxis der prerogative Cy Pres. Auch hier ist es, wie das Gericht in Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc. 682 selbst hervorhebt, das beinah Draba, 16 Loy. Consumer L. Rev. 121, 134 (2004) m.ausf.N. In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163, 174 (3d Cir. 2013). 675 In re Linerboard Antitrust Litig., 2008 U.S. Dist. LEXIS 77739, *11 (E.D. Pa. 2008). 676 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477 (N.D. Ill. 1993). 677 Wörtliche Übersetzung, Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 479 (N.D. Ill. 1993). 678 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 480–487 (N.D. Ill. 1993). 679 In re Infant Formula Multidistrict Litig., 2005 WL 2211312 (N.D. Fla. 2005). 680 In re Infant Formula Multidistrict Litig., 2005 WL 2211312, at *2 (N.D. Fla. 2005). 681 Siehe Liptak, Doling Out Other People’s Money. 682 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477 (N.D. Ill. 1993). 673 674
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grenzenlose Ermessen der District Courts, das solche Auswüchse zulässt und von den Berufungsinstanzen nur sehr eingeschränkt überprüft werden kann. 683 Beide Probleme wären allerdings derselben Lösung zugänglich. So würde die Implementierung von einheitlichen und strengen Anwendungsvoraussetzungen das Ermessen der Gerichte effektiv beschränken und dadurch nicht nur sicherstellen, dass Cy-Pres-Gelder auch tatsächlich den Geschädigten zugutekommen, sondern auch die Missbrauchsmöglichkeiten für die Richter erheblich einschränken. 684 Einheitlichkeit oder Maßstäbe im Allgemeinen sucht man hier jedoch vergeblich. Das schlägt sich nicht erst bei der Frage der erforderlichen Nähe nieder, sondern bereits bei den Kriterien, die angewandt werden, um diese Nähe zu messen. Hier stützen die Gerichte ihre Erwägungen auf teils sehr unterschiedliche Faktoren, was je nach Gerichtsbezirk zu stark abweichenden Ergebnissen führen kann. 685 Verschärft wird diese Situation auch in diesem Zusammenhang noch dadurch, dass auch innerhalb der einzelnen Gerichtsbezirke, herrührend aus dem weiten Ermessenspielraum der Richter, teilweise abweichende Anforderungen angewandt werden. 686 In der Literatur wohl am häufigsten zitiert werden die ursprünglich durch das achte Bundesberufungsgericht aufgestellten Faktoren, die mittlerweile teilweise auch von anderen Gerichten übernommen wurden. Diese verlangen vom Gericht bei der Erörterung der erforderlichen Nähe die Berücksichtigung (1) des Zwecks des zugrundliegenden Gesetzes, (2) der Ziele der zugrundeliegenden Klage, (3) der Interessen der Gruppenmitglieder und teilweise (4) der geographischen Reichweite des schädigenden Ereignisses. 687 Mit diesen vier knapp formulierten Voraussetzungen ist diese Auslegung des nexus requirements zwar deutlich griffiger als andere Ansätze, wirft aber auch einige Fragen auf. Die Kriterien sind weder in sich selbst eindeutig klar formuliert, noch untereinander abgestuft. 688 Ein abstraktes Beispiel soll helfen die Problematik zu veranschaulichen. Man nehme einmal an, alle Hersteller von in den U.S.A. vertriebenen Hochzeitskleidern würden die Preise für diese Kleider über mehrere Jahre kartellrechtswidrig erhöhen und eine Class Action im Namen aller Abnehmer dieser Kleider auf Schadensersatz würde eingereicht werden. Nehmen Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1026, (2009). Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 753 (2015). 685 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 951 f. (2015). 686 Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1026, 1036 (2009), er erklärt daher polemisch, eigentlich laute die Nexus-Voraussetzung: „Die Empfängerorganisation muss eine enge Verbindung zum zugrundeliegenden Fall aufweisen, es sei denn, der Richter am District Court bevorzugt eine andere Organisation“. 687 Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212, 220 (D.D.C. 2007); Schwartz v. Dallas Cowboys Football Club, Ltd., 362 F. Supp. 2d 574, 576 (E.D. Pa. 2005); In re Airline Ticket Comm’n Antitrust Litig., 307 F.3d 679, 683 (8th Cir. 2002). 688 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1471 (2015). 683 684
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wir weiter an, die Parteien würden sich auf einen Betrag von $ 30 Mio. vergleichen und dem Gericht würden drei mögliche Empfängerorganisationen für die Verteilung der nicht beanspruchten Gelder vorgeschlagen. Bei der ersten handelt es sich um eine Stiftung zur bundesweiten Bekämpfung von Kartellabsprachen, bei der zweiten um eine wohltätige Vereinigung, die Bedürftige bei der Ausrichtung von Hochzeiten unterstützt, und bei der dritten um eine Institution, die sich für den günstigeren Erwerb von Häusern durch junge Familien in den U.S.A. einsetzt. Würde das Gericht die oben erwähnten Kriterien anwenden, so käme es in eine missliche Lage. Alle drei Organisationen erfüllen das Erfordernis der geographischen Reichweite, da sie im gesamten Bundesgebiet tätig sind, und sich das schädigende Ereignis bundesweit niedergeschlagen hatte. Betrachtet man den Zweck der zugrundeliegenden Rechtsvorschrift, also dem U.S.-Sherman-Act, so müsste der ersten Organisation der Vorrang gewährt werden. Nur sie setzt sich, genau wie der Sherman-Act, für die Wahrung und Durchsetzung des Kartellrechts ein. Der Grund der zugrundeliegenden Klage war wiederum die kartellbedingte Preiserhöhung von Brautkleidern, insofern würde hier die zweite Organisation eine Nähe aufweisen. Die Geschädigten würden jedoch, wenn überhaupt, nur von einer Zuwendung an die dritte Organisation profitieren, da es als wahrscheinlich eingeschätzt werden kann, dass einige von ihnen sich nach der Eheschließung mit dem Hauskauf beschäftigen werden. Nur selten kommen Organisationen in Betracht, die sämtliche Kriterien gleichermaßen erfüllen, weshalb die Gerichte häufig gezwungen sind, dem einen oder dem anderen Kriterium den Vorrang zu gewähren. Gerade bei Kartellrechtsfällen wird dabei oft die Nähe zum Zweck der zugrundeliegenden Vorschrift gewählt. 689 Institute, die Forschung oder Lehre im Bereich des Kartellrechts betreiben, sind in den U.S.A. weit verbreitet und zudem über das ganze Land verstreut. Sie fördern im Übrigen durch den Schutz des Wettbewerbs auch die Funktionsfähigkeit des Marktes generell, was unbestreitbar auch den geschädigten Gruppenmitgliedern zugutekommt. Auch die Ziele der zugrundeliegenden Klage werden teilweise in den Vordergrund gestellt, diese Entscheidungen werden aber insgesamt als problematisch angesehen, da sie häufig den Gruppenmitgliedern einen noch geringeren Nutzen bringen als Entscheidungen der vorangegangenen Kategorie. In Dennis v. Kellogg Co. 690 beispielsweise, klagten die Gruppenmitglieder gegen den Cerealien-Hersteller Kellogg wegen einer unlauteren Werbekampagne, die suggerierte, Kinder, die Kelloggs zum Frühstück essen, wären aufmerksamer in der Schule. 691 Das Gericht stimmte einem Vergleich zu, in dem sich Kellogg verpflichtete, Produkte aus eigener Herstellung im Wert 689 690 691
Ausführlich hierzu Foer, 24-SPG Antitrust 86, 87 f. (2010). Dennis v. Kellogg Co., 2011 WL 13100738 (S.D. Cal. 2011). Dennis v. Kellogg Co., 2010 WL 4285011, at *1 (S.D. Cal. 2010).
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von $ 5.5 Mio. an wohltätige Einrichtungen zu verteilen und damit sozial schwache Familien bei der Ernährung ihrer Kinder zu unterstützen. 692 Hier waren die Verbindungspunkte lediglich die Produkte des Beklagten und die Unterstützung von Kindern. Von den Geschädigten profitierte wohl so gut wie niemand direkt oder indirekt von der Zuwendung. 693 Legt man dem Begriff der „zugrundeliegenden Ziele“ ein weites Verständnis zugrunde, so könnte sogar der oben bereits erwähnte Vergleich in In re Infant Formula Multidistrict Litig. 694 hierunter gefasst werden, begründete das Gericht seine Zuwendung an das Rote Kreuz doch mit der dringend benötigten Hilfe für die Opfer des Hurrikane Katrina, die insbesondere auf die Versorgung mit Babynahrung angewiesen seien. 695 Deutlich naheliegender und daher auch sinnvoller erscheint dagegen der Ansatz, bei der Auswahl der Empfängerorganisation die Interessen der Gruppenmitglieder in den Vordergrund zu stellen. Hier besteht jedoch zumeist die Schwierigkeit darin festzustellen, womit den Gruppenmitgliedern in Zukunft am meisten gedient ist. Diese Prognoseentscheidung ist umso einfacher, je homogener die Gruppe ist, und umso schwerer, je heterogener sie ist. So lag dem Fall In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig 696 zum Beispiel eine Klage gegen den Hersteller eines Krebsmedikaments zugrunde, dem es durch unlautere Geschäftspraktiken gelungen war, über zehn Jahre lang ähnlich wirksame aber günstigere Medikamente vom Markt fern zu halten. In einem Vergleich erklärte sich der Beklagte zur Zahlung von insgesamt $ 150 Mio. bereit. Die Parteien kamen zudem überein, Gelder, die nicht direkt an die Geschädigten verteilt werden konnten, zwei Einrichtungen zuzuwenden, die sich der Behandlung und Erforschung gerade der Krebsarten verschrieben hatten, gegen die das Medikament des Beklagten eingesetzt wurde. 697 Solche Anwendungen können durchaus als Ideal angesehen werden, sind aber häufig nicht in dieser Form möglich. Sind die Gruppen weniger eng miteinander verbunden, so muss das Gericht, selbst wenn es sein Möglichstes tun möchte, um den Interessen der Geschädigten zu dienen, wesentlich entferntere Organisationen in Betracht ziehen. In In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig 698 klagten die Käufer von Musik-CDs gegen einige Mitglieder der Musikindustrie wegen kartellrechtswidrigem Zusammenwirken mit diversen Vertriebshändlern, welches in einer unzuläs692
Dennis v. Kellogg Co., 2010 WL 4285011, at *1 (S.D. Cal. 2010). Deshalb hob das Berufungsgericht die Entscheidung auch später auf, Dennis v. Kellogg Co., 697 F.3d 858 (9th Cir. 2012). 694 In re Infant Formula Multidistrict Litig., 2005 WL 2211312 (N.D. Fla. 2005). 695 In re Infant Formula Multidistrict Litig., 2005 WL 2211312, at *3 (N.D. Fla. 2005). 696 In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21 (1st Cir. 2012). 697 In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21, 24 (1st Cir. 2012). 698 In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig., 456 F. Supp. 2d 131 (D. Me. 2006). 693
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sigen Erhöhung der Endverkaufspreise resultierte. 699 Das Gericht stellte fest, dass alle Gruppenmitglieder durch den Kauf der Musik-CDs bewiesen hätten, dass sie ein gesteigertes Interesse an Musik haben und rechtfertigte damit die Verteilung der nichtbeanspruchten Gelder an zwei Radiostationen und den bundesweiten Dachverband der Kunsthochschulen. Letztere wurde ausgewählt, da das Gericht davon ausging, dass die Gruppenmitglieder von „der Entwicklung zukünftiger Musikkünstler, der Möglichkeit der Teilnahme an Weiterbildungsprogrammen und dem Besuch von Aufführungen kommunaler Kunstschulen“ 700 profitieren könnten. Für diese Annahme hatte das Gericht schlicht keine Anhaltspunkte. Ihm war weder die Identität der Gruppenmitglieder bekannt noch deren bevorzugte Musikrichtung, geschweige denn deren Geneigtheit Angebote von Kunsthochschulen wahrzunehmen. 701 In der Vergangenheit sahen sich Berufungsgerichte daher auch des Öfteren dazu gezwungen, Entscheidungen aufzuheben, wenn sie die Annahme des Gerichts erster Instanz bezüglich des indirekten Nutzen einer Organisation nicht teilen konnten, beziehungsweise der Entscheidung des Distric Courts eine mangelnde empirische Grundlage attestierten. 702 Wie also sollten sich die Gerichte verhalten, wenn sich auf Grundlage der ausgeführten Kriterien keine taugliche Empfängerorganisation ausmachen lässt? Soweit es lediglich, wie in dem oben dargestellten fiktiven Brautkleider-Fall um die alternative Bevorzugung einer der Faktoren geht, sollte nach hier vertretener Auffassung stets die Organisation gewählt werden, die den größten indirekten Nutzen für die Gruppenmitglieder verspricht. Die anderen Kriterien können hierhinter, soweit nötig, auch vollständig zurücktreten. Steht aber schlicht keine Organisation zur Auswahl, von der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie ausreichend den Interessen der Geschädigten dient, so verbleiben letztendlich nur drei Möglichkeiten. Das Gericht kann eine Cy-Pres-Verteilung generell mit dem Hinweis, eine geeignete Organisation stünde nicht zur Verfügung, ablehnen, es kann eine Organisation auswählen, die zwar keine hinreichende Verbindung aufweist aber einen anderen wohltätigen Zweck verfolgt oder aber es kann eine Einrichtung wählen, die sich generell dem einfacheren und schnelleren Rechtszugang für Teile der Bevölkerung verschrieben hat. Wofür sich ein Gericht in einem solchen Fall entscheidet, hängt maßgeblich von der Konstellation ab, in der es mit der Cy-Pres-Verteilung konfron699 In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig., 456 F. Supp. 2d 131, 137 (D. Me. 2006). 700 In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig., 2005 U.S. Dist. LEXIS 16468, *9, (D. Me. 2005). 701 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1479 (2015). 702 Siehe beispielsweise Dennis v. Kellogg Co., 697 F.3d 858 (9th Cir. 2012) (zum oben beschriebenen Kelloggs Fall); Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1308 (9th Cir. 1990).
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tiert wird. Sieht der Vergleich der Parteien bereits eine oder mehrere Empfängerorganisationen vor und das Gericht muss diese lediglich genehmigen oder sich zwischen den vorgeschlagenen entscheiden, so kann es den Vergleich durchaus mit der Begründung ablehnen, keine der Organisationen sei geeignet. 703 Wurde die Aufgabe der Auswahl im Vergleich jedoch dem Gericht allein überlassen, so wird es den Vergleich wohl kaum mit dieser Begründung ablehnen können, könnte dieses Verhalten doch als Eingeständnis seines Unvermögens angesehen werden, eine taugliche Organisation zu finden. Ähnlich gestaltet sich der Fall, wenn der Vergleich gar keine Regelung für die nach dem Verteilungsprozess übrig gebliebenen Gelder vorsieht, nach Abschluss des Verteilungsprozesses aber unerwarteterweise noch Gelder übrig sind und das Gericht aus dem einen oder anderen Grund unter allen alternativen Verteilungsmethoden nur die Cy-Pres-Verteilung als angemessen ansieht. In solchen Konstellationen neigen die Gerichte eher dazu Organisationen auszuwählen, die im besten Fall eine weit entfernte Verbindung zu den Gruppenmitgliedern aufweisen. So geschehen in einem Fall, den ein Bundesgericht in Georgia zu Beginn der 2000er zu entscheiden hatte. In In re Motorsports Merch. Antitrust Litig. 704 einigten sich die Parteien im Vergleich zwar darauf, dass übrig gebliebene Gelder später via Cy Pres verteilt werden sollten, die Bestimmung der konkreten Empfänger sollte allerdings erst nach Abschluss des Anmeldeverfahrens erfolgen, wenn abzusehen war, wieviel Geld noch übrig blieb. 705 Das Gericht, angetreten mit der Intention, Organisationen auszuwählen, von denen die Gruppenmitglieder zumindest indirekt einen Nutzen haben würden, 706 wurde sich angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Geschädigten um Abnehmer von NASCAR Merchandise-Produkten handelte und keine wohltätige Organisation sich auch nur annähernd der Unterstützung dieser Zielgruppe verschrieben hatte, offenbar schnell der Schwierigkeit dieses Unterfangens gewahr. In der Folge verteilte es die nicht beanspruchten Gelder an insgesamt zehn wohltätige Organisationen, darunter die Make-A-Wish-Foundation, das Rote Kreuz, die Race-AgainstDrugs-Kampagne, zwei Kinderkrankenhäuser und eine Brustkrebs-Stiftung. 707 Es bestand zwar so gut wie keine direkte Verbindung zwischen diesen Organisationen und der Gruppe der Geschädigten, dennoch ist der Grundgedanke hinter dieser Art der Verteilung nicht völlig von der Hand zu weisen. Obgleich die Anzahl der Geschädigten in In re Motorsports 703 Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 606 (2020); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 283 f. (2014), jeweils mit Fallbeispielen. 704 In re Motorsports Merch. Antitrust Litig., 112 F. Supp. 2d 1329 (N.D. Ga. 2000). 705 In re Motorsports Merch. Antitrust Litig., 160 F. Supp. 2d 1392, 1393 (N.D. Ga. 2001). 706 In re Motorsports Merch. Antitrust Litig., 160 F. Supp. 2d 1392, 1395 (N.D. Ga. 2001). 707 In re Motorsports Merch. Antitrust Litig., 160 F. Supp. 2d 1392, 1396–1399 (N.D. Ga. 2001).
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Merch. Antitrust Litig. nicht klar festgestellt werden kann, muss angesichts der Tatsache, dass sich 40 Mio. U.S.-Amerikaner selbst als NASCAR-Fans bezeichnen, 708 von einer sehr großen Gruppe ausgegangen werden. Durch das Prinzip der breiten Streuung war so gut wie sichergestellt, dass einige dieser Gruppenmitglieder auf die eine oder andere Weise von den wohltätigen Zuwendungen profitieren werden. Als Alternative zu einer solchen Verteilung wurde es in den U.S.A. sowohl auf Bundes- als auch auf Staatenebene in den letzten Jahren immer populärer, übrig gebliebene Gelder an Organisationen zu verteilen, die entweder Gerichtskostenhilfe für Bedürftige anbieten oder aber sich generell der Vereinfachung des Rechtszugangs für Bürger verschrieben haben. 709 Zwei Gründe haben hauptsächlich dazu geführt, dass solche Organisationen von immer mehr Gerichten als ideale Empfänger für eine Cy-Pres-Zuwendung angesehen werden. Zum einen besteht in den U.S.A. unbestreitbar ein erhebliches Bedürfnis für derlei Angebote. So verlangen Anwälte, in Abwesenheit einer mit der deutschen Gebührenverordnung vergleichbaren Regelung, mittlerweile teilweise astronomische Summen für ihre Dienstleistungen und die American Rule führt dazu, dass diese Kosten meist nicht einmal bei Obsiegen vom Gegner ersetzt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass weder die Reglungen zur Prozesskostenhilfe auf Bundesebene noch das Recht der meisten Einzelstaaten, im Gegensatz zu der deutschen Regelung in § 122 ZPO, vom Tragen der Anwaltskosten befreien. 710 Die privaten oder teil-öffentlichen, durch Spendengelder finanzierten Einrichtungen haben sich damit zu einem unverzichtbaren Bestandteil des U.S.-amerikanischen Rechtssystems entwickelt. 711 Zum anderen weisen die meisten Class Actions unbestreitbar eine Verbindung zu den häufig bestehenden defizitären Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten auf. So lag der Einführung der Opt-Out Class Action in ihrer heutigen Form gerade der Gedanke zugrunde, die Durchsetzung von Ansprüchen zu ermöglichen, die ansonsten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchgesetzt worden wären. 712 Die geringe individuelle Anspruchshöhe und die hohen Kosten für eine gerichtliche Durchsetzung sind in den allermeisten Fällen der Grund dafür, dass es überhaupt zu einer Class Action kommt. Dieser Tatsache tragen Rule 23(b)(3)(A) und (B) selbst Rechnung, indem das Vorhandensein respektive der Wunsch nach Individualprozessen hier als Negativvoraussetzung für die Implementierung der Class Action be-
Draba, 16 Loy. Consumer L. Rev. 121 (2004). Ausführlich Doyle, 27 Fed. Lawyer 26 (2010). 710 Schack, US-amerikanisches Zivilprozessrecht, S. 12. 711 Schack, US-amerikanisches Zivilprozessrecht, S. 13. 712 Advisory Committee’s Note, 39 F.R.D. 69, 103 (1966); ausführlich Sabbey, 10 B.C. Ind. & Com. L. Rev. 539 (1969). 708 709
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rücksichtigt wird. 713 Gerade in Streuschadensfällen würde es meist zu überhaupt keinem Prozess kommen, stünde die Möglichkeit der Kollektivierung mittels der Class Action nicht zur Verfügung. Da man durchaus davon ausgehen kann, dass einige Beklagte die erschwerte Rechtsdurchsetzung in ihre Abwägung, ob sich eine Streuschädigung für sie als rentabel herausstellen kann, mit einbeziehen, setzen hier sowohl Class Actions als auch Rechtsdurchsetzungsorganisationen am selben Hebel an. Es besteht insofern unbestreitbar eine Verbindung zwischen der Ursache für das zugrundeliegende Verfahren und der Unterstützung sogenannter Access-to-Justice-Organisationen, die geeignet ist, die Nexus-Voraussetzung zu erfüllen. Gerade wenn in einem Fall keine Organisation vorhanden ist, die auf andere Weise eine entsprechend enge Verbindung zu den Interessen der Gruppenmitglieder aufweist, ist eine solche Verteilung eine gangbare Alternative. Auch wird man wohl davon ausgehen können, dass den Geschädigten bei dieser Vorgehensweise zumindest ein vergleichbares Maß an indirekter Kompensation zugutekommt, wie bei der oben angesprochenen Verteilung an beliebige wohltätige Organisationen. Einen noch höheren Grad an Übereinstimmung können die Gerichte zudem dadurch erreichen, dass sie bei der Auswahl der Rechtsdurchsetzungsorganisation auf Übereinstimmungen mit der Klägergruppe achten. So kann beispielsweise bei einer Klage, der ein Verstoß gegen das Verbraucherschutzrecht zugrunde liegt, eine Organisation gewählt werden, die sich insbesondere der Unterstützung von Verbraucherklagen widmet. 714 Die Wahl einer Access-to-Justice-Organisation als Empfänger der CyPres-Zuwendung bringt zudem den bedeutenden Vorteil mit sich, dass solche Einrichtungen selten in einem direkten kontradiktorischen Verhältnis zum Beklagten stehen und ein Vergleich daher deutlich einfacher zu erzielen ist. Ein Telefonanbieter beispielsweise, der sich einer Klage wegen unzulässig hoher Gebühren ausgesetzt sieht, wird sich vehement dagegen wehren, die Cy-Pres-Gelder einer Organisation zukommen zu lassen, die sich für eine gesetzliche Deckelung der Telefongebühren in den U.S.A. einsetzt. Dagegen wird er gegen eine Organisation, die bedürftigen Verbrauchern Rechtsberatung anbietet, deutlich weniger Einwände haben. 715 Insoweit haben auch viele Gesetzgeber der Einzelstaaten in den Access-to-Justice-Organisationen mittlerweile würdige Empfänger für Cy-Pres-Gelder gefunden. Wie an späterer Stelle noch vertieft dargestellt wird, begünstigen so gut wie alle gesetzlichen Regelungen, die einen konkreten Empfänger für eine CyPres-Zuwendung vorgeben, eine Rechtshilfe oder Rechtsdurchsetzungsorganisation. 716 713 714 715 716
Siehe hierzu Teil 3 – C.III.3. Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 607 (2020). Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 290 (2014). Hierzu Teil 3 – D.VI.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
cc) Anforderungen an die begünstigte Organisation Deutlich knapper als die Erwägungen zur Nexus-Voraussetzung fallen in den meisten Entscheidungen die Ausführungen aus, die sich mit den Eigenschaften der begünstigten Einrichtung als solche beschäftigten. So finden sich zwar häufig Absätze über das Tätigkeitsfeld der Organisation, um die Nähe derselben zu den Gruppenmitgliedern hervorzuheben, über die Struktur, die Verlässlichkeit oder Finanzkraft der Organisation schweigen sich jedoch die meisten Urteile aus. Einige Gerichte wenden sich jedoch durchaus, wenn auch häufig recht knapp, dieser Thematik zu und auch Richterin Roberts warf in Marek v. Lane 717 explizit die Frage auf, anhand welcher Kriterien bestehende Organisationen ausgewählt werden sollten und ob im Rahmen einer Cy-Pres-Lösung neue Organisationen gegründet werden können. 718 Dem, sowie der Frage, welche Rolle die Gerichte und die Parteien bei der Auswahl der Empfängerorganisation spielen sollen, wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. Bei großen und hinreichend bekannten Organisationen wie beispielsweise dem Roten Kreuz mag es nicht immer nötig sein, einen genaueren Blick auf die Integrität zu werfen. Bei kleineren Einrichtungen dagegen kann das Geld der Gruppenmitglieder und dadurch auch die angestrebte indirekte Kompensationswirkung durchaus gefährdet sein, wenn die Organisation bereits strukturell solche Defizite aufweist, dass mit einer verlässlichen Aufgabenerfüllung nicht gerechnet werden kann. Einige wenige Gerichte stellen daher auch Anforderungen an die Empfängerorganisation, auch wenn diese sich qualitativ sehr stark voneinander unterscheiden. So wird zum Teil lediglich verlangt, dass die Organisation „unabhängig und uneigennützig“ handelt, 719 in anderen Bezirken sind die Gerichte zusätzlich noch dazu angehalten, die Höhe der Verwaltungskosten, die eine Organisation für die Verteilung veranschlagt und das Verhältnis derselben zu der Summe, die tatsächlich dem Organisationszweck zugeführt werden kann, in ihre Erwägungen mit einzubeziehen. 720 Während in einigen Bezirken von den Gerichten verlangt wird, die Verteilung der Gelder durch die Organisation zu überwachen, regelmäßige Berichte einzuholen und die Auszahlung zu staffeln, damit eine entsprechende Verwendung gewährleistet werden kann, 721 scheinen andere Bezirke auf eine so engmaschige Kontrolle nur Wert zu legen, wenn Organi-
717 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 718 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 9, 187 L. Ed. 2d 392 (2013). 719 In re Agent Orange Prod. Liab. Litig., 818 F.2d 179, 185 (2d Cir. 1987). 720 Fears v. Wilhelmina Model Agency, Inc., 2005 WL 1325297, at *4 (S.D.N.Y., 2005); In re Compact Disc Minimum Advertised Price Antitrust Litig., 2005 U.S. Dist. LEXIS 16468, *3, (D. Me. 2005). 721 Fears v. Wilhelmina Model Agency, Inc., 2005 WL 1325297, at *4 (S.D.N.Y., 2005).
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sationen in Betracht gezogen werden, die nicht bereits durch ihr Tätigwerden in der Vergangenheit ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt haben. 722 Insgesamt aber machen sich die U.S.-amerikanischen Gerichte und Rechtswissenschaftler um die Verlässlichkeit der Empfängerorganisation selten generell, und gegebenenfalls nur bei konkretem Anlass Gedanken. Das scheint zu einem großen Teil daran zu liegen, dass meist ohnehin entweder allgemein oder dem Gericht persönlich bekannte Organisationen ausgewählt werden. Das mag zwar eine Möglichkeit sein, die Zuverlässigkeit der Einrichtungen zu gewährleisten, benachteiligt aber kleinere oder weniger bekannte Organisationen, die im konkreten Fall vielleicht eine größere Nähe zu den Geschädigten aufweisen. Wesentlich kritischer dagegen steht man in den U.S.A. der Gründung neuer Organisationen allein aus dem Anlass einer Cy-Pres-Verteilung gegenüber. Im Nachklang an die oben dargestellte Entscheidung zu Marek v. Lane 723 verlangten einige Stimmen in der Literatur, neu gegründeten Organisationen entweder grundsätzlich die Zuwendung von Cy-Pres-Geldern zu verwehren 724 oder aber, wenn eine solche in Betracht gezogen werde, zumindest erhöhte Anforderungen an die Überprüfung und die Überwachung dieser Organisation zu stellen. 725 Nicht nur, dass bei neuen Einrichtungen nicht auf ein zuverlässiges Verhalten in der Vergangenheit abgestellt werden könne, auch die Gefahr eines Missbrauchs durch kollusives Zusammenwirken sei hier besonders hoch. 726 Um die oben beschriebene Gefahr eines Ausverkaufs der Gruppeninteressen zu verhindern, wird zudem in jüngerer Zeit vermehrt verlangt, bei der Auswahl der Cy-Pres-Empfänger darauf zu achten, dass keine Nähe zu einer der Prozessparteien oder dem Gericht besteht. 727 Dafür soll zunächst einmal der Beklagte nicht mehr in die Entscheidung der Empfängerauswahl mit eingebunden werden. 728 Da die Gelder einzig und allein den Gruppenmitgliedern zustehen würden, sei es nicht ersichtlich, warum der Beklagte, der jedes einzelne Gruppenmitglied in der Vergangenheit geschädigt hat, über die Verteilung der Schadenssumme mitbestimmen und dadurch eventuell sogar für sich selbst einen Vorteil aus der Verteilung ziehen können 722
Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1308 (9th Cir.
1990). 723 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 724 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 131 ff. (2014). 725 Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 607 (2020). 726 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 133 (2014). 727 Insofern verlangt auch das ALI in den Erläuterungen zu seiner Modelregelung für die Anwendung einer Cy-Pres-Verteilung in einem Vergleich, dass keine Verbindung der Empfängerorganisation zum Gericht oder zu einer der Prozessparteien besteht, ALI, Aggregate Litigation § 3.07, S. 219. 728 Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 603 (2020); ähnlich auch Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 120 f. (2014).
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sollte. 729 Daher sollen auch Organisationen, die in der Vergangenheit Zuwendungen von dem Beklagten erhalten hatten, nicht in die Auswahl miteinbezogen werden um zu verhindern, dass der Beklagte zukünftige Zuwendungen einfach um die Cy-Pres-Gelder kürzt. 730 Die Umsetzung dieser beiden Vorschläge dürfte sich allerdings als äußerst schwierig gestalten. Dazu müssten die Gerichte jeden Vergleichsvorschlag ablehnen, in dessen Rahmen der Beklagte bei der Auswahl der Empfängerorganisation mitgewirkt hat. Hierfür fehlt es den Richtern jedoch wohl häufig an ausreichenden Möglichkeiten, ein solches Mitwirken festzustellen, sind sie doch nur selten an den Vergleichsverhandlungen beteiligt. Wie der obigen Darstellung zu entnehmen ist, 731 sind jedoch auch die Gerichte nicht immer frei von Interessenkonflikten, weswegen teilweise gefordert wird, dass auch sie sich vollständig aus der Auswahl der Empfängerorganisation zurückziehen. Sie sollen sich allein auf die Funktion konzentrieren, den Vorschlag des Gruppenanwalts auf Angemessenheit zu überprüfen, nicht aber eigene Vorschläge einbringen oder gar die Auswahl vollständig autonom treffen. 732 Dazu, so verlangen einige Stimmen in der Literatur, sollten sie einen Vergleichsvorschlag, der keine Regelung über die Verteilung unbeanspruchter Gelder enthält oder eine Auswahl durch das Gericht vorsieht, stets pauschal zurückweisen. 733 Durch diese Modalität werde nicht nur Interessenkonflikten vorgebeugt, das Gericht könne auch die frei geworden Kapazitäten effektiv zur Überwachung der Organisationen einsetzen. 734 Mittlerweile scheinen auch einige Gerichte berechtigte Zweifel an der Doppelfunktion von Auswahl und Überwachung zu hegen. So artikulierte das Bundesberufungsgericht des ersten Bezirks seine Bedenken hinsichtlich der Konstellationen, in denen die Auswahl der Empfängerorganisation allein dem Gericht auferlegt wird, dies sei originäre Aufgabe der Parteien. 735 Jüngst ging das Bundesberufungsgericht des achten Bezirks noch einen Schritt weiter, indem es diese Form der Vergleichsvereinbarungen als grundsätzlich unzulässig einstufte. 736 Würde man die beiden hier ausgeführten Vorschläge umsetzen, also den Beklagten vollständig aus der Auswahl herausnehmen und auch das Gericht ausschließlich auf eine überwachende Funktion reduzieren, so bliebe allein Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 603 (2020). Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 603 (2020). 731 Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(3). 732 Smoger, 24 L. & C. L. Rev. 595, 604 (2020); Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1048 f. (2009); Boies/Keith, 21 Va. J. Soc. Pol’y & L. 267, 287 f. (2014); Beisner/Miller/ Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 20; Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.662. 733 Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 756 (2015). 734 Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 756 (2015). 735 In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21, 38 (1st Cir. 2012). 736 In re BankAmerica Corp. Sec. Litig., 775 F.3d 1060, 1066 (8th Cir. 2015). 729 730
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der Gruppenanwalt übrig, um eine geeignete Organisation auszuwählen. Da dieser aber, wie die obigen Ausführungen klar herausstellen, auch bei weitem nicht immer ausschließlich die Interessen der Gruppenmitglieder im Auge hat, wird auch hier als zusätzliche Voraussetzung gefordert, dass die begünstigte Einrichtung keinerlei Verbindung zu diesem aufweisen dürfe. 737 Beschränkt durch strenge Nexus-Voraussetzungen und sorgfältig überwacht durch das Gericht, könnte damit den meisten bislang beobachteten missbräuchlichen Anwendungen der Doktrin vorgebeugt werden. Einige Gerichte haben dagegen einen anderen Weg eingeschlagen. Im Gegensatz zu der oben dargelegten Vorgehensweise, sich selbst bei der Auswahl der Empfängerorganisationen vollständig zurückzunehmen, ziehen sie den Prozess aktiv an sich, gestalten ihn aber wesentlich transparenter, indem sie eine Art Ausschreibung vornehmen. In Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc. 738 beispielsweise veröffentlichte das Gericht einen Aufruf in überregionalen Zeitungen, dass es nach passenden Cy-Pres-Empfängern suche, sichtete die Bewerbungen und lud insgesamt 15 infrage kommende Organisationen zu Anhörungen ein, in denen es sich über die geplante Verwendung der Gelder unterrichten ließ. 739 Die Anhörungen waren zudem öffentlich, so dass auch die Gruppenmitglieder bei Interesse teilnehmen konnte. 740 Durch diese Vorgehensweise wird der Auswahlprozess deutlich transparenter und damit auch weniger anfällig für missbräuchliche Beeinflussungen. Allerdings waren in dem hier als Beispiel herangezogenen Fall im Ergebnis dennoch große Organisationen sowie solche mit einem rechtlichen Tätigkeitsfeld überrepräsentiert. 741 Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass diese Einrichtungen sich der Finanzierungsmöglichkeit über Cy-Pres-Gelder in gesteigerter Form bewusst sind, beziehungsweise ohnehin bereits aktiv auf diesem Felde Akquise betreiben. 742 In der Literatur wird noch ein komplett anderer, kreativer Ansatz zur Auswahl der Empfängerorganisation vorgeschlagen. So sprechen sich einige Autoren für die Etablierung eines Online-voting-Verfahrens aus, mit Hilfe dessen die Gruppenmitglieder selbst entscheiden können, welche Organisation in den Genuss der Gelder kommt. 743 Die Idee ist, dass den Gruppenmitgliedern im Rahmen der obligatorischen Vergleichsbenachrichtigung der individualisierte Link zu einer Website übermittelt wird, auf der sie, ent737 Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1029 (2009); In re Linerboard Antitrust Litig., 2008 WL 4542669, at *5 (E.D. Pa. 2008). 738 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477 (N.D. Ill. 1993). 739 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 480 ff. (N.D. Ill. 1993). 740 Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 478 (N.D. Ill. 1993). 741 Zehn von 15 Organisationen hatten in irgendeiner Form etwas mit Recht zu tun, Superior Beverage Co. v. Owens-Illinois, Inc., 827 F. Supp. 477, 480 ff. (N.D. Ill. 1993). 742 Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1054 (2009). 743 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 653 ff. (2018); Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1487 ff. (2015).
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weder anhand einer durch den Gruppenanwalt festgelegten Vorauswahl 744 oder aber völlig frei, 745 darüber entscheiden können, an wen nicht verteilbare Gelder fließen sollen. Obgleich durch diesen demokratischen Ansatz gewiss die Akzeptanz von Cy-Pres-Vergleichen erhöht werden kann, 746 birgt er doch einige Risiken und Nachteile. So übt der Gruppenanwalt, wenn man ihn die Vorauswahl der Empfänger treffen lässt, weiterhin einen großen Einfluss aus, womit die Gefahr des Missbrauchs nicht vollständig gebannt ist. 747 Gesteht man den Gruppenmitgliedern dagegen zu, völlig frei Organisationen vorzuschlagen und für diese abzustimmen, ist nicht gewährleistet, dass im Ergebnis nicht Organisationen begünstigt werden, die aus völlig sachfremden Motiven ausgewählt wurden. 748 Das dadurch entstehende Risiko einer fehlenden kompensatorischen Wirkung der Cy-Pres-Verteilung wird noch dadurch verstärkt, dass anzunehmen ist, dass am Auswahlprozess vorwiegend die Gruppenmitglieder teilnehmen, die ihr rationales Desinteresse auch im Rahmen des Anmeldeprozesses überwinden. Insofern würden die entschädigten Gruppenmitglieder faktisch allein über die Verteilung entscheiden. Auch haben die Verfechter dieses Vorschlages bislang noch keine brauchbare Vorgehensweise für full Cy-Pres-Vergleiche präsentieren können. Hier scheitert eine individuelle Verteilung ja gerade daran, dass die Kosten, die Gruppenmitglieder zu identifizieren und individuell zu kontaktieren, zu hoch wären. Sind aber die Gruppenmitglieder nicht bekannt, so fehlt es auch an stimmberechtigten Personen. 749 d) Fazit, Vorteile der Cy-Pres-Verteilung Trotz aller geäußerten und teils auch berechtigten Kritik an der Methode haben Cy-Pres-Vergleiche bis heute einen festen Platz im System der U.S. Class Action und sollten diesen auch behalten. Orientiert man sich an den drei zentralen Zielen, die der Gesetzgeber bei der Einführung der heutigen Form der Class Action vor Auge hatte, nämlich Kompensation, Abschreckung und gerichtliche Effizienz, 750 so ist eine sorgsam ausgewählte und sorgfältig überwachte Cy-Pres-Verteilung durchaus dazu in der Lage, all diese Ziele zu erreichen. Genau wie die anderen (echten) Alternativen zur individuellen Schadensverteilung sorgt auch die Cy-Pres-Methode dafür, dass dem Beklagten die gesamte Vergleichssumme entzogen wird und er nicht So Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 655 (2018). Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1489 (2015). 746 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1494 (2015). 747 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1490 (2015). 748 Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1492 (2015). 749 Der Vorschlag, in einem solchen Fall einfach eine der Gruppe möglichst nahekommende Personengruppe zu befragen, kann nicht überzeugen, Chasin, 163 U. Pa. L. Rev. 1463, 1490 f. (2015). 750 Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 455 f. (2019). 744 745
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von der (teilweisen) Unmöglichkeit der individuellen Verteilung profitiert. Wenn und soweit strenge Anforderungen an die Nähe zur Gruppe der Geschädigten gestellt werden, die ausgewählte Organisation einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufweist und die Cy-Pres-Verteilung tatsächlich erst in Betracht gezogen wird, wenn eine direkte Verteilung nicht mehr wirtschaftlich möglich wäre, wird auch der kompensatorische Zweck der Class Action gefördert. Ein großer Vorteil der residual Cy-Pres-Verteilung ist dabei, dass im Gegensatz zu einer Pro-rata-Lösung, auch die Gruppenmitglieder, die nicht am Anmeldeprozess teilgenommen haben, eine indirekte Kompensation erhalten. Der gerichtlichen Effizienz dagegen sind Cy-PresVergleiche hauptsächlich deshalb dienlich, weil sich die Beklagten in der Regel ebenfalls Vorteile aus einer solchen Verteilung erhoffen, und er daher, und sei es nur, um den Anschein von Wohltätigkeit zu erwecken, häufig deutlich vergleichsbereiter sind. Die dadurch erkaufte Beschleunigung des Prozesses ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, verringert sich die abschreckende Wirkung doch diametral zu den Vorteilen, die der Beklagte aus einem Cy-Pres-Vergleich ziehen kann. 751 Für full Cy-Pres-Vergleiche trifft all das noch in gesteigertem Maße zu. Liegt tatsächlich eine Situation vor, in der eine individuelle Verteilung bereits von Beginn an wegen der Größe der Gruppe und der geringen Höhe der Vergleichssumme nicht möglich oder nicht sinnvoll wäre, so gibt es bis auf eine Fluid-Recovery-Lösung schlicht keine gangbare Alternative zu einem full Cy-Pres-Vergleich. Insoweit bedarf es dieser Variante zwingend, um Class Actions in solchen Situationen überhaupt zu ermöglichen und dem Beklagten den Verletzergewinn zu entziehen. Auch entfalten full Cy-PresLösungen, wenn richtig angewandt, eine starke kompensatorische Wirkung. Hier entsteht häufig erst durch die Kumulierung der individuellen Schäden eine Summe, die faktisch etwas bewirken kann. Mit $ 2 Mio. bei der richtigen Organisation ist den Geschädigten oft mehr geholfen als mit jeweils 16 ct. 752 All diese positiven Effekte kann die Cy-Pres-Methode selbstredend nur entfalten, wenn eine verlässliche Empfängerorganisation ausgewählt wird, deren Tätigkeitsfeld den Gruppenmitgliedern tatsächlich nutzt und deren Auswahl von keiner Partei aus sachfremden Erwägungen forciert wurde. Mangels einer gesetzlichen Festlegung auf eine bestimmte Organisation, wie sie die Gesetze vieler Einzelstaaten vorsehen, kann dieses Ziel auf Bundesebene nur durch Anwendung strenger und einheitlicher Voraussetzungen erreicht werden. Im Zentrum muss hier die Nexus-Voraussetzung stehen, da sie eine indirekte Kompensation der Gruppe gewährleistet und zugleich einem Missbrauch durch die Prozessparteien vorbeugt. Aber auch beim trigger requirement sind die Gerichte angehalten deutlicher hinzuschauen. 751 752
Cohen, 32 Geo. J. Legal Ethics 451, 461 (2019). Cofone/Kadri/Cofone, Class Actions in Privacy Law, S. 106.
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Sinnvollerweise sollten die Kapazitäten hierfür durch eine Entfernung des Gerichtes aus dem Auswahlprozess geschaffen werden. So wird eine weitere mögliche Missbrauchsquelle eliminiert und die ungeliebte Doppelrolle der Richter beendet. Insgesamt wäre zudem mehr Transparenz bei der Auswahlentscheidung wünschenswert. Alles in allem wäre aber auch auf Bundesebene eine klare Entscheidung des Gesetzgebers, idealerweise des Kongresses, zu begrüßen. Diese brächte, im Gegensatz zu einer klärenden höchstrichterlichen Entscheidung, den Vorteil mit sich, dass sie die Problematik der Gewaltenteilung ein für alle Mal beseitigen, und damit den Großteil der verfassungsrechtlichen Bedenken entkräften würde. 2. Fluid Recovery Liegt einer Class Action eine unzulässige Preiserhöhung für ein Produkt oder eine Dienstleistung zugrunde, so kann die Vergleichssumme, sollte eine individuelle Verteilung vollständig oder teilweise unmöglich oder unwirtschaftlich sein, auch dadurch indirekt den Gruppenmitgliedern zugutekommen, dass für eine bestimmte Zeitspanne der Preis für das überteuerte Produkt oder die überteuerte Dienstleistung entsprechend gesenkt wird. Nach der hier verwendeten Definition spricht man in einem solchen Fall von einer Fluid-Recovery-Verteilung. Ein illustratives Beispiel für eine solche Verteilung findet sich in dem 1967 vor einem kalifornischen Gericht verhandelten Fall Daar v. Yellow Cab Co. 753 Ein Taxiunternehmen hatte seine Taxameter manipuliert und hierdurch die Fahrtpreise über eine Periode von vier Jahren in unzulässiger Weise erhöht. Da es als aussichtlos erschien, die Fahrgäste ausfindig zu machen und diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keinen Nachweis für ihre Fahrt hätten erbringen können, verpflichtete sich der Beklagte in einem Vergleich mit einem Gesamtvolumen von $ 1.4 Mio. dazu, die Fahrpreise in den nächsten Jahren unter den festgelegten Standard zu senken, und zwar so lange, bis die Vergleichssumme vollständig aufgezehrt sei. 754 Auch Shepherd erörterte die Möglichkeit einer solchen Verteilung in seinem wegweisenden Aufsatz und leitete sie dogmatisch ebenfalls mittels einer Analogie zu der Cy-PresDoktrin im Trust-Recht her. 755 Die Methode ist grundsätzlich sowohl als Alternative für eine full Cy-Pres-Verteilung, also die Verteilung der gesamten Vergleichssumme, als auch für eine Verteilung im Anschluss an einen bereits durchgeführten individuellen Distributionsprozess denkbar, wird aber
753
Daar v. Yellow Cab Co., 67 Cal. 2d 695, 433 P.2d 732 (1967). Einzelheiten des Vergleichs werden beschrieben in Manageability of Notice and Damage Calculation in Consumer Class Actions, Note, 70 Mich. L. Rev. 338, 366 Fn. 186 (1971). 755 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 458 ff. (1972). 754
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hauptsächlich für die erstgenannte Situation verwendet und diskutiert. 756 Dies ist wohl entscheidend durch die Tatsache bedingt, dass die Methode, wie in der Folge noch dargestellt wird, teils erhebliche Defizite aufweist, es in Fallkonstellationen, in denen gar kein Verteilungsprozess möglich ist, aber bis auf eine full Cy-Pres-Verteilung keine Alternativen gibt. Auf den ersten Blick betrachtet, scheint eine Fluid-Recovery-Verteilung durchaus einige Vorteile mit sich zu bringen. So wirkt sie genauso abschreckend wie eine Cy-Pres-Verteilung, wird dem Beklagten im Ergebnis doch ebenfalls die gesamte Vergleichssumme entzogen. Zudem bietet sie, in entsprechend geeigneten Fallkonstellationen, eine kompensatorische Wirkung für die Gruppenmitglieder. Auch der gerichtlichen Effizienz kann ein Vergleich, der eine solche Form der Verteilung enthält, durchaus dienlich sein, bietet er doch eine für beide Parteien akzeptable Lösungsmöglichkeit, ohne dabei nennenswerte administrative Kosten zu verursachen. 757 Bereits erheblich eingeschränkt ist die Methode allerdings in ihrem Anwendungsgebiet. Eine Preisreduktion kommt nur in Betracht, wenn der Class Action der Kauf eines Produkts oder die Inanspruchnahme einer entgeltlichen Dienstleistung zugrunde liegt. 758 Bei Datenschutzverletzungen wie in den oben dargestellten Fällen Frank v. Gaos 759 oder Marek v. Lane 760 fehlt es dagegen bereits an einer entgeltlichen Dienstleistung, die in der Zukunft im Preis reduziert werden könnte. Dabei sind es gerade solche Fälle, die mit der fortschreitenden Digitalisierung immer relevanter werden. Doch damit nicht genug, sinnvollerweise sollte eine Fluid-Recovery-Verteilung zudem nur in Betracht gezogen werden, wenn die infrage stehende Dienstleistung oder das Produkt von den Geschädigten regelmäßig in Anspruch genommen oder gekauft wird. 761 Handelt es sich dagegen um teure oder sehr langlebige Produkte wie Autos oder Häuser, die ein Verbraucher in der Regel nicht häufig kauft, so fällt die kompensatorische Wirkung der Verteilungsmethode vollständig weg und es werden nur zufällige Dritte begünstigt. Ähnlich ist das bei Dienstleistungen, wie zum Beispiel Pauschalreisen, die zwar häufiger in Anspruch genommen werden, aber nur selten in genau derselben Form. Schwierig umsetzbar ist diese Art der Verteilung zudem dann, wenn es sich nicht um Produkte oder Dienstleistungen handelt, die im Direktvertrieb vermarktet werden. Sobald zwischen den Geschädigten und dem Beklagten 756 Vgl. nur Newberg/Rubenstein, § 12:27, der die Methode nur als Alternative zu einer full Cy-Pres-Verteilung behandelt. 757 Newberg/Rubenstein, § 12:27. 758 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 643 (2018). 759 Frank v. Gaos, 139 S. Ct. 1041, 203 L. Ed. 2d 404 (2019). 760 Marek v. Lane, 571 U.S. 1003, 134 S. Ct. 8, 187 L. Ed. 2d 392 (2013) cert. dend. In früherer Instanz Lane v. Facebook, Inc., 696 F.3d 811 (9th Cir. 2012). 761 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 462 (1972); Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine, S. 221.
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noch andere Marktstufen, respektive Zwischenhändler, stehen, besteht die Gefahr, dass diese die Reduktion nicht oder nicht vollständig an ihre Abnehmer weitergeben, 762 oder aber, dass ein oder mehrere Händler den gesamten reduzierten Bestand aufkaufen, um ihn dann gesammelt über dem Einkaufspreis weiter zu verkaufen. 763 Letzteres wäre auch bei Produkten die direkt vertrieben werden denkbar, erscheint hier jedoch als eher unwahrscheinlich. Als kaum mehr haltbar wird die Methode wohl jedoch eingestuft werden müssen, wenn man die Auswirkungen betrachtet, die eine entsprechende Verteilung auf den Wettbewerb hat. Auf jedem nicht vollständig monopolisierten Markt führt eine Fluid-Recovery-Verteilung nämlich zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen, durch die der Beklagte in der Regel dazu im Stande sein wird, die ihm durch die Reduktion entstehende Belastung gleich in doppelter Weise zu Lasten seiner Mitbewerber wieder wettzumachen. So sind zum einen die Geschädigten, wenn sie in den Genuss der Reduktion kommen möchten, dauerhaft an den Beklagten und seine Produkte gebunden. Insoweit führt die Schädigung dazu, dass sich der Beklagte des Erhalts seines Kundenstammes zumindest für die Zeit der Reduktion sicher sein kann. Zusätzlich jedoch wird er durch die geringeren Preise auch noch in der Lage sein, neue Kunden von Konkurrenten abzuwerben. Eine Fluid-Recovery-Verteilung führt damit im Extremfall zu einem gerichtlich genehmigten Verdrängungswettbewerb. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Beklagte am Ende der Reduktionsperiode deutlich mehr Marktmacht inne hat als zu Beginn, startet er doch, aufgrund der vorangegangenen unrechtmäßigen Preiserhöhung, schon aus einer vorteilhafteren finanziellen Position in den Wettbewerb. Bereits Shepherd erkannte die meisten der hier angesprochenen Probleme und wies zusätzlich noch auf die Gefahr hin, dass der Beklagte die Preisreduzierung relativ unproblematisch durch eine Verschlechterung der Qualität seiner Produkte kompensieren könne. 764 Zudem zeigte er die Unwägbarkeit auf, anhand einer tagesaktuellen Buchführung genau zu bestimmen, ab wann die Vergleichssumme vollständig ausgeschöpft ist und die Reduktionsphase daher beendet werden muss. 765 Aufgrund all dieser Kritikpunkte erreichten Fluid-Recovery-Vergleiche in den U.S.A. bei weitem nicht dieselbe Popularität wie solche, die eine Cy-Pres-Verteilung implementieren. Diese Zurückhaltung ist, wenn auch unberechtigt, ebenfalls auf die vehemente Ablehnung der Fluid-Recovery-Methode in dem berühmten Urteil zu Eisen v. Carlisle & Jacquelin 766 zurückzuführen. Obgleich das Zweite Bundesberufungsgericht den Begriff der fluid recovery in diesem Fall sehr viel weiter auslegte als er 762 763 764 765 766
Mulheron, The Modern Cy-près Doctrine, S. 221. Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 462 (1972). Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 462 (1972). Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 462 (1972). Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005 (2d Cir. 1973).
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im vorliegenden Kontext verwendet wird und in Eisen außerdem eine Verteilung im Anschluss an ein Urteil und nicht an einen Vergleich im Raum stand, scheint diese Rechtsprechung die Gerichte auch im Vergleichskontext negativ geprägt zu haben. 767 Mittlerweile zeigen sich einige Richter der Methode gegenüber in diesem Zusammenhang zwar grundsätzlich offen, 768 Fallbeispiele auf Bundesebene sind aber weiterhin rar. Das mag auch auf die gesteigerte Skepsis gegenüber coupon-settlements zurückzuführen sein, die unbestreitbar eine Nähe zur fluid recovery aufweisen. 769 3. Pro Rata Distribution Die Idee, die Gelder, die im Anschluss an einen individuellen Verteilungsprozess noch übrig sind, unter den Gruppenmitgliedern zu verteilen, die ihre Ansprüche angemeldet haben und damit identifiziert und erreichbar sind, ist keineswegs neu und wurde ebenfalls bereits von Shepherd 1972 erörtert. 770 Ausgelöst durch den Vorschlag des American Law Institutes zu kollektivierten Verfahren im Jahr 2010, hat die pro rata distribution allerdings eine Art Renaissance erfahren und wurde in der Folge von den Gerichten und den Parteien deutlich häufiger in Betracht gezogen und damit auch angewandt. 771 Die Methode, die hier bereits knapp in Konkurrenz zur residual Cy-Pres-Verteilung erörtert wurde, 772 entfaltet dabei eine ebenso abschreckende Wirkung wie die anderen echten Alternativen zur individuellen Verteilung. Sie bietet den Gruppenmitgliedern zudem einen zusätzlichen Anreiz ihre Ansprüche anzumelden, besteht doch die realistische Aussicht, in der Endverteilung nochmal einen „Zuschlag“ auf die individuelle Entschädigungssumme zu erhalten. 773 Auch der Prozessbeschleunigung kann eine Pro-rata-Verteilung durchaus zuträglich sein, da es als mehr als unwahrscheinlich erscheint, dass Gruppenmitglieder Einwendungen gegen eine sie direkt begünstigende Verteilung erheben. Das Hauptargument der Befürworter dieser Art der Verteilung ist jedoch, dass auf diese Weise die gesamte Vergleichssumme der Gruppe zugutekomme, und keine außenstehenden Dritten auch nur indirekt von ihr profitieren würden. 774 Hierdurch würde dem Kompensationszweck der Class Action in 767
Ausführlich mit Nachweisen Newberg/Rubenstein, § 12:27. In re MetLife Demutualization Litig., 689 F. Supp. 2d 297, 342 (E.D.N.Y. 2010); Weber v. Goodman, 1998 WL 1807355, at *5 (E.D.N.Y. 1998). 769 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 643 (2018). 770 Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 453 (1972). 771 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 111 (2014); Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 8. 772 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)bb). 773 Newberg/Rubenstein, § 12:30. 774 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 475 (5th Cir. 2011); ALI, Aggregate Litigation § 3.07, S. 218 f. 768
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bestmöglicher Weise Rechnung getragen, insbesondere da der Anteil, der bei den meisten Vergleichen rein rechnerisch auf jedes Gruppenmitglied entfällt, ohnehin deutlich niedriger sei als dessen tatsächlicher Schaden. 775 Um dies sicher zu stellen, lassen einige Gerichte eine Pro-rata-Verteilung zudem nur bis zu einer bestimmten Höhe zu, „deckeln“ sie also auf den tatsächlich erlittenen Schaden oder ein Maximalvolumen. 776 Insofern käme es nur selten zu einer Überkompensation, sondern lediglich zu einem gerechten Ausgleich für den erlittenen Vermögensverlust. 777 Dem ist, nach der hier vertretenen Auffassung, auf Grundlage der oben ausführlich dargelegten Argumentation allerdings entschieden entgegenzutreten. 778 Die Vergleichssumme steht jedem Gruppenmitglied anteilig und nicht der Gruppe als Ganzes zu. Eine Aufteilung innerhalb der Gruppe hat für die nicht entschädigten Gruppenmitglieder keinerlei Mehrwert. Im Vergleich zu einer Cy-Pres-Verteilung verlieren sie auf diese Weise außerdem noch die Möglichkeit einer indirekten Kompensation. 779 Insofern kommt jede Verteilung über dem tatsächlichen rechnerischen Anteil einer Überkompensation zulasten der anderen Gruppenmitglieder gleich. Die Pro-rata-Methode birgt im Übrigen nicht weniger als eine Cy-PresVerteilung das Risiko, dass der Gruppenanwalt keinen gesteigerten Aufwand betreibt, um möglichst viele Gruppenmitglieder ausfindig zu machen. Sein Honorar bemisst sich, genau wie bei der Cy-Pres-Verteilung, an der gesamten Vergleichssumme. Interessanterweise gibt es im Rahmen der Prorata-Verteilung allerdings keine Überlegungen, das Honorar (anteilig) zu kürzen, wenn nur ein geringer Teil der Gruppenmitglieder ausfindig gemacht werden konnte. Das ist bemerkenswert, nützt eine Pro-rata-Verteilung den Gruppenmitgliedern, die ihren Anspruch nicht angemeldet haben, doch bedeutend weniger als eine Cy-Pres-Verteilung. Es kommt die Frage auf, mit welchem Recht der Gruppenanwalt in einem solchen Fall sein volles Honorar einfordern darf, ist er doch gem. Rule 23(g)(4) Fed. R. Civ. P. dazu verpflichtet, alle Gruppenmitglieder in gleicher Weise angemessen zu vertreten. Dieser Pflicht kommt er jedoch offensichtlich nicht nach, wenn er
775 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 479 (5th Cir. 2011); ALI, Aggregate Litigation § 3.07, S. 218 f. 776 In re Lupron Mktg. & Sales Practices Litig., 677 F.3d 21, 35 (1st Cir. 2012); In re Pharm. Indus. Average Wholesale Price Litig., 588 F.3d 24, 35 (1st Cir. 2009); Goodlander, 56 B.C. L. Rev. 733, 738 (2015). 777 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 479 (5th Cir. 2011); ALI, Aggregate Litigation § 3.07, S. 218 f. 778 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)bb). 779 Powell v. Georgia-Pac. Corp., 843 F. Supp. 491, 496 (W.D. Ark. 1994); Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 453 (1972); Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 632 (2010); Rubenstein, Brief as Amicus Curiae, S. 26; Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1045 (2009); Fulton, 56 Ariz. L. Rev. 925, 931 (2014).
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einen Vergleich aushandelt, der einige Gruppenmitglieder über- und andere gar nicht kompensiert. 780 Auch die Rolle der Gruppenrepräsentanten ist, mag sie auch regelmäßig nicht sonderlich bedeutend sein, in Pro-rata-Vergleichen konfliktbelastet. Der Repräsentant ist gem. Rule 23(a)(4) Fed. R. Civ. P. genau wie der Gruppenanwalt dazu verpflichtet, die Gruppe gerecht und angemessen zu vertreten. Er ist jedoch aufgrund seiner Rolle stets ein identifiziertes Gruppenmitglied und erhält daher bei einem Pro-rata-Vergleich automatisch mehr als die nicht identifizierten Mitglieder. Ob in einem solchen Fall angesichts des damit im Raum stehenden Interessenkonflikts eine angemessene Vertretung noch gewährleistet ist, erscheint mehr als fraglich. 781 Abschließend dürfen auch die Kosten nicht unterschätzt werden, die eine solche Verteilung gegebenenfalls verursacht. Bei besonders großen Gruppen können allein die Transaktionskosten für sich genommen schon einen erheblichen Teil der übrigen Summe verzehren. Liegt die ursprüngliche Verteilung zudem bereits eine gewisse Zeit zurück, ist es wahrscheinlich, dass einige Gruppenmitglieder ihre Anschrift, ihre Konten oder gar ihre Namen gewechselt haben, wodurch weitere Kosten entstehen. 782 Einige Ähnlichkeit zur Pro-rata-Verteilung weist auch ein exotisch anmutender Ansatz auf, der unter der Bezeichnung „Reverse Sampling“ 783 erstmalig in einem Aufsatz im Jahr 2011 vorgeschlagen wurde. Shay Lavie beschrieb dort ausführlich die Möglichkeit, nicht verteilbare Gelder einigen wenigen, zufällig ausgewählten Gruppenmitgliedern zukommen zu lassen. 784 Ursprünglich entwickelt wurde der Ansatz als Alternative zu full Cy-PresVergleichen, also zur Anwendung in Konstellationen, in denen die Ausschüttungssummen an die einzelnen Gruppenmitglieder entweder so marginal wäre, dass sie schon für sich allein genommen eine individuelle Verteilung nicht rechtfertigen würden, oder aber die Kosten für die Verteilung die Ausschüttungssummen bis zu diesen Punkt reduzieren, wenn nicht sogar vollständig verzehren würden. 785 In einem solchen Fall, so Lavie, sei es sinnvoll, einige Mitglieder der Gruppe auf zufälliger Basis ausfindig zu machen und die gesamte Vergleichssumme unter diesen aufzuteilen. Er rechtfertigt diesen Vorschlag zum einen mit den deutlich geringeren administrativen Kosten einer solchen Verteilung im Vergleich zu einem individuellen Aufteilungs-
780
S. 27.
Shepherd, 39 U. Chi. L. Rev. 448, 453 (1972); Rubenstein, Brief as Amicus Curiae,
781 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 632 (2010); Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 113 (2014). 782 Wassermann, 88 S. Cal. L. Rev. 97, 113 (2014); Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 644 (2018). 783 Hervorhebung durch Verfasser. 784 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065 (2011). 785 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1072 ff. (2011).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
prozess 786 und stützt seine Ausführungen zum anderen auf den Kompensationsgedanken. Da jedes Mitglied dieselbe Chance habe, in den Genuss der Zuwendung zu gelangen, könne allein schon diese Möglichkeit, also die Teilnahme an einer solchen Lotterie, als Kompensation angesehen werden. 787 Denkbar wäre Lavie zufolge die Anwendung von Reverse Sampling auch im Anschluss an einen individuellen Aufteilungsprozess. 788 Hier könnten ebenfalls aus der gesamten Gruppe zufällige Mitglieder ausgewählt und das Geld an diese verteilt werden. Die Ungleichbehandlung sei bei dieser Vorgehensweise außerdem deutlich geringer als bei einer Pro-rata-Verteilung, würde die Auswahl doch anhand von zufälligen Merkmalen getroffen werden, und sich nicht danach richten ob sich die Gruppenmitglieder bereits gemeldet haben. 789 Der Vorschlag fand in der Literatur jedoch kaum und in der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, gar keine Beachtung. Einzig und allein die Tatsache, dass Gruppenmitglieder in dem oben beschriebenen Fall Frank v. Gaos 790 eine solche Verteilung vorschlugen, führte dazu, dass einige Autoren sich in der Folge knapp mit der Möglichkeit beschäftigten. 791 Auch nach der hier vertretenen Ansicht ist die Methode einer entsprechend angewandten Cy-Pres-Verteilung unterlegen. Parallel zur Pro-rata-Verteilung erhalten die nicht ausgewählten Mitglieder so gut wie keine Kompensation, ist der Wert der Teilnahme an einem solchen Losverfahren doch als sehr gering einzuschätzen. Die Gruppenmitglieder entscheiden sich zudem nicht aktiv für eine Teilnahme an dem Verfahren, was erhebliche Bedenken bezüglich der Angemessenheit der Vertretung durch den Gruppenanwalt und der Erfüllung der Aufsichtspflicht durch das Gericht aufkommen lässt. 792 4. Escheat to the Goverment Bleiben im Anschluss an einen individuellen Verteilungsprozess Gelder übrig, so können diese auch an den Staat ausgekehrt werden. Obgleich sie im Kontext der Class Action alle unter dem Begriff „escheat“ 793 erörtert werden, finden sich in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Ausformungen dieser Art der Verteilung. In den meisten Fällen meinen Gerichte und Autoren, wenn sie im Zusammenhang der Schadensverteilung nach einer Class Action von escheat spreLavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1070 f. (2011). Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1074 f. (2011). 788 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1076 (2011). 789 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1092 (2011). 790 Erwähnt nur in der Vorinstanz In re Google Referrer Header Priv. Litig., 869 F.3d 737, 742 (9th Cir. 2017). 791 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 645 (2018). 792 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 645 (2018). 793 Hervorhebung durch Verfasser. 786 787
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chen, die Verwahrung der Vergleichssumme entsprechend den Regelungen der 28 U.S.C.A. §§ 2041, 2042. Diese Vorschriften sehen vor, dass sämtliche Gelder, die bei einem U.S.-Bundesgericht eingezahlt oder durch Gerichtsorgane entgegengenommen werden, beim Schatzamt der Vereinigten Staaten hinterlegt werden müssen. 794 Nach fünf Jahren wird das Geld dann im Namen und zugunsten der Vereinigten Staaten verwendet und fließt damit effektiv dem allgemeinen Bundeshaushalt zu. 795 Berechtigte haben aber weiterhin die Möglichkeit, Ansprüche anzumelden und seitens des Schatzamtes Befriedigung zu erlangen. 796 Zwar wird die Vergleichssumme nicht bei Gericht einbezahlt oder von diesem entgegengenommen, weswegen die Regelungen im Class-Action-Kontext auch nicht zwingend zur Anwendung kommen, 797 den Parteien steht es aber frei, in ihrem Vergleich eine entsprechende Verwendung anzuordnen und auch das Gericht kann, wird ihm die Entscheidung überlassen, wie mit den übrigen Gelder verfahren werden soll, in freiem Ermessen auf dieses Procedere zurückgreifen. 798 Bezüglich des Abschreckungseffekts steht der escheat auf der selben Stufe wie die anderen echten Alternativen zur individuellen Schadensaufteilung. Auch hier werden die Gelder dem Beklagten vollständig entzogen. Beim escheat hat der Beklagte, anders als bei einer Cy-Pres-Verteilung, zudem keine Möglichkeit, die weitere Verwendung der Gelder in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Aus kompensatorischer Sicht kann dem generellen escheat zugutegehalten werden, dass die Mitglieder noch über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit behalten, ihre individuellen Ansprüche anzumelden und damit die optimale Form der Kompensation zu erhalten. Die Möglichkeit bleibt in vielen Fällen allerdings ein reines Theoretikum, ist es doch häufig mehr als unwahrscheinlich, dass Gruppenmitglieder, die nicht auf die Benachrichtigung und den daran angeschlossenen Verteilungsprozess reagiert haben, nach mehreren Jahren noch auf die Idee kommen, ihre Ansprüche anzumelden. Gerade in Streuschadensfällen dürfte die Quote der nachträglichen Ausschüttungen marginal sein. 799 Zwar hat auch die Auskehr der Summe an den Staat eine indirekte Kompensationswirkung für die Gruppenmitglieder, kommt ihnen die Bezuschussung des Staatshaushaltes ja auch zugute, allerdings profitieren sie hier nicht mehr als alle anderen Bürger. Kritiker bezeichnen die Methode daher als eine Form der unberechtigten subjektiven Steuererhöhung, da es nicht einzusehen sei, warum ge794
28 U.S.C.A. § 2041. Newberg/Rubenstein, § 12:31. 796 28 U.S.C.A. § 2042. 797 Van Gemert v. Boeing Co., 739 F.2d 730, 733 ff. (2d Cir. 1984); Tennille v. W. Union Co., 2013 WL 6920449, at *2 (D. Colo., 2013). 798 Van Gemert v. Boeing Co., 739 F.2d 730, 735 f. (2d Cir. 1984). 799 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 977 (2015); Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1047 (2009). 795
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schädigte Mitglieder einer Class Action mehr zum Staatshaushalt beitragen sollten als andere. 800 Um die Kompensationswirkung für die Gruppenmitglieder zu erhöhen, wird teilweise auch eine leichte Abwandlung des escheats vorgeschlagen, nämlich der sogenannte earmarked escheat. 801 Hierbei werden die Gelder zwar ebenfalls an den Staat abgeführt, allerdings mit der Auflage, sie nur einem bestimmten Zweck zukommen zu lassen. Insoweit können beispielsweise Gelder, die aus einer Class Action wegen der Verletzung des Verbraucherschutzrechts stammen, an den Staat mit der Auflage ausgekehrt werden, die Gelder zur Stärkung des Verbraucherschutzes zu verwenden. 802 Diese Art der Verteilung kann unter gewissen Umständen durchaus Sinn ergeben, zum Beispiel wenn Projekte des Staates besser dazu geeignet sind, die Interessen der Gruppenmitglieder zu fördern, als dies private Institutionen im Rahmen einer Cy-Pres-Verteilung könnten. 803 Wird allerdings nicht nur ein Förderungszweck, sondern direkt eine konkrete staatliche Institution ausgewählt, der die Gelder zugutekommen sollen, so sind die Übergänge zu einer Cy-Pres-Verteilung ohnehin fließend. 804 Letzten Endes besteht auch bei einem earmarked escheat das kaum vermeidbare Risiko, dass der Staat die Bezuschussung durch die Class-Action-Gelder zum Anlass nimmt, um bislang für diesen Zweck vorgesehene Mittel zu kürzen und sie einem anderen Zweck zuzuleiten. 805 Dies ließe sich effektiv nur dadurch verhindern, dass die Gelder unter der Auflage ausgekehrt werden, damit konkrete, noch nicht bestehende oder geplante Projekte umzusetzen. Werden dem Staat allerdings so konkrete Vorgaben gemacht, so verliert der escheat seinen Hauptvorteil gegenüber der Cy-Pres-Verteilung, nämlich den, dass die Gerichte sich keine vertieften Gedanken um die Verwendung der Gelder machen müssen und damit nicht Gefahr laufen, auf ihnen unbekanntem Terrain falsche Entscheidungen zu treffen. 806 Insgesamt einigen sich die Parteien eher selten auf einen escheat zur Verteilung der übrigen Gelder und auch die Gerichte sind in ihrem Verhalten dieser Methode gegenüber gespalten. Während einige sie durchaus als gangLavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1093 f. (2011). State of California v. Levi Strauss & Co., 41 Cal. 3d 460, 474, 715 P.2d 564, 572 (1986); Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1094, Fn. 127 (2011); DeJarlais, 38 Hastings L.J. 729, 751 (1987). 802 Newberg/Rubenstein, § 12:31. 803 In re Folding Carton Antitrust Litig., 744 F.2d 1252, 1254 f. (7th Cir. 1984). 804 In der Folge kommt es hier begrifflich auch häufig zu Überschneidungen, in Tennille v. W. Union Co., 2013 WL 6920449, at *2 (D. Colo., 2013) beispielsweise, wurde eine Auskehr an den Bund und mehrere Einzelstaaten als Cy Pres bezeichnet. 805 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1094, Fn. 127 (2011); DeJarlais, 38 Hastings L.J. 729, 752 (1987); Barnett, 96 Yale L.J. 1591, 1599 (1987). 806 In re Pet Food Prod. Liab. Litig., 629 F.3d 333, 363 (3d Cir. 2010); Newberg/Rubenstein, § 12:31. 800 801
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bare Lösung ansehen und sie insbesondere einem Rückfall der Gelder an den Beklagten vorziehen, 807 stehen andere ihr eher kritisch gegenüber und lehnen eine Anwendung ab, sollten die Parteien sich im Vergleich nicht explizit auf einen escheat geeinigt haben. 808 Sie versuchen dadurch insbesondere dem Anschein der Selbstbevorzugung vorzubeugen, der entstehen könnte, wenn ein Gericht als staatliche Instanz Gelder der Gruppenmitglieder dem Staat zuspricht. 809 Andere Richter gehen hier noch einen Schritt weiter und ermutigen sogar Parteien, die einen escheat in Betracht ziehen, noch andere Alternativen zu erwägen. 810 Auch die Gerichte des neunten Bundesgerichtsbezirks teilen diese Skepsis im Grunde, haben aber einen escheat wiederholt als akzeptable Lösung identifiziert, wenn kein angemessener Cy-Pres-Empfänger ausgemacht werden konnte. 811 Im Ergebnis hat bislang noch kein Gericht einen Vergleich als grundsätzlich unangemessen abgelehnt, weil er eine Escheat-Lösung vorsah, und noch kein Berufungsgericht hat, soweit ersichtlich, die in freiem Ermessen getroffene Entscheidung eines District Courts aufgehoben, übrige Gelder an den Staat auszukehren. 812 Im Zusammenhang mit der Auskehr an den Staat steht außerdem noch eine andere Frage, die sich hauptsächlich stellt, wenn das zur Entscheidung berufene Bundesgericht seine Zuständigkeit aufgrund der diversity jurisdiction innehat, 813 Kläger und Beklagter also aus verschiedenen Bundesstaaten stammen. In solchen Fällen kann es zu kollisionsrechtlichen Problemen zwischen dem Bundesprozessrecht und dem Recht der Einzelstaaten kommen, die daraus herrühren, dass die Abgrenzung zwischen Prozess- und materiellem Recht nicht immer einheitlich vorgenommen werden kann. 814 Diese Abgrenzungsprobleme können auch für die Verwendung unbeanspruchter Gelder eine Relevanz entfalten, da die meisten Gesetze der U.S.Bundesstaaten Regelungen über die Verfahrensweise mit sogenanntem unclaimed property (zu dt. unbeanspruchtes Vermögen) enthalten, so beispielsweise auch der Staat Texas. 815 Die Regelungen sehen hier vor, dass unbeanspruchtes Vermögen einer bestimmten staatlichen Einrichtung zuzufüh807 Clayton v. Knight Transp., 2013 WL 5877213, at *3 (E.D. Cal. 2013); In re Motor Fuel Temperature Sales Practices Litig., 2012 WL 5876558, at *6, Fn 11 (D. Kan. 2012). 808 In re Lease Oil Antitrust Litig. (No. II), 2007 WL 4377835, at *18 (S.D. Tex. 2007); Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212, 217 (D.D.C. 2007). 809 Lavie, 79 Geo. Wash. L. Rev. 1065, 1093 (2011). 810 Guerrero v. Wells Fargo Bank, N.A., 2014 WL 1365462, at *2 (N.D. Cal 2014). 811 Nachshin v. AOL, LLC, 663 F.3d 1034, 1041 (9th Cir. 2011); Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1309 (9th Cir. 1990). 812 Newberg/Rubenstein, § 12:31. 813 Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1109 (2017). 814 Hierzu das wegweisende Urteil Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U.S. 64, 58 S. Ct. 817, 82 L. Ed. 1188 (1938); im Überblick zudem Newberg/Rubenstein, § 10:19 ff. 815 Tex. Prop. Code Ann. § 72.001 ff.
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ren sei, die das Geld verwahrt und investiert. Die Erträge des Investments kommen dabei dem Staate Texas zugute. 816 In All Plaintiffs v. All Defendants, 817 einem 2011 vom fünften Bundesberufungsgericht entschiedenen Fall, macht der Staat Texas nun geltend, aufgrund dieser Regelungen Anspruch auf einen Teil der nicht verteilbaren Gelder aus einem Class-ActionVergleich zu haben. Dem Streit lag eine kartellrechtswidrige Absprache mehrerer Öl-Raffinerien zugrunde, der mit einem Vergleich beigelegt wurde. Im Anschluss an den Verteilungsprozess waren allerdings aus diversen Gründen noch ca. $ 10 Mio. übrig, für die der District Court, der ausweislich der Parteivereinbarung in einem solchen Fall in freiem Ermessen entscheiden sollte, eine Cy-Pres-Verteilung vorsah. 818 Hiergegen intervenierte nun der Staat Texas und machte geltend, das Geld, das nachweislich nicht an Gruppenmitglieder aus Texas verteilt werden konnte, stehe in Anwendung der texanischen Vorschriften dem Staat zu. Ob in einem solchen Fall staatliches Recht für unbeanspruchtes Vermögen zur Anwendung kommt, ist eine durchaus komplizierte Frage, die maßgeblich davon abhängt, ob man die Ermächtigung des Bundesgerichts zur Verteilung unbeanspruchter Gelder auf das allgemeine gerichtliche Ermessen oder auf die Anwendung der Rule 23(e) Fed. R. Civ. P. zurückführt. 819 Abhängig von der Beantwortung dieser Frage ist sodann entweder auf Grundlage des Rules of Decision Acts oder aber des Rules Enabling Acts eine Abgrenzungsanalyse vorzunehmen. Die ausführliche Darstellung dieser Problematik würde allerdings bei weitem den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weswegen an dieser Stelle auf die weiterführende U.S.-Literatur verwiesen werden muss. 820 In All Plaintiffs v. All Defendants 821 kam das fünfte Bundesberufungsgericht letztendlich zu dem Ergebnis, dass hier das Recht des Staates Texas zur Anwendung komme, und ordnete eine Auskehr an den Staat an. 822 Diesem Beispiel folgte jedoch, soweit ersichtlich, bislang kein anderes Gericht, was zum einen darauf zurückzuführen ist, dass das Gericht in seiner Analyse nicht auf das Verhältnis zu den Bundesvorschriften für unbeanspruchtes Vermögen eingegangen ist, 823 und zum anderen darauf, dass der Texas Supreme Court in einer späteren Entscheidung festgestellt hatte, dass das texanische Recht für unbeanspruchtes Vermögen nicht hin-
816
Tex. Prop. Code Ann. § 74.601(b). All Plaintiffs v. All Defendants, 645 F.3d 329 (5th Cir. 2011). 818 In re Lease Oil Antitrust Litig. (No. II), 2008 WL 219501, at *1 (S.D. Tex. 2008). 819 Ausführlich hierzu Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097, 1111 ff. (2017). 820 Rodheim, 111 Nw. U. L. Rev. 1097 (2017); Millar/Coalson, 70 U. Pitt. L. Rev. 511 (2009). 821 All Plaintiffs v. All Defendants, 645 F.3d 329 (5th Cir. 2011). 822 All Plaintiffs v. All Defendants, 645 F.3d 329 (5th Cir. 2011). 823 Siehe Newberg/Rubenstein, § 12:31, Fn. 25. 817
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sichtlich einer im Anschluss an eine Class Action übrigen Vergleichssumme anwendbar sei. 824 5. Keine echte Alternative, Reversion an den Beklagten Weder einen kompensatorischen noch einen abschreckenden Effekt hat zuletzt die Methode, nicht verteilbare Gelder an den Beklagten zurückzuführen, weswegen sie hier auch nicht als „echte“ Alternative zur individuellen Schadensauskehr geführt werden soll. Letztendlich sind alle bislang erörterten „echten“ Alternativen überhaupt erst entwickelt worden, weil die bis dato gängige Methode, die Summe an den Beklagten zurückzuführen, weithin als unbefriedigend erachtet wurde. 825 Insofern stehen mittlerweile die meisten Gerichte einem Vergleich, der für die übrigen Gelder eine Rückführung an den Beklagten vorsieht, mehr als skeptisch gegenüber.826 Auch die beiden führenden, vom Federal Judical Center regelmäßig herausgegebenen Werke, die Bundesrichtern eine Orientierungshilfe bei komplexen Verfahren bieten sollen, warnen vor solchen Vergleichen. Das Manual for Complex Lititgation hält dazu an, entsprechende Vergleiche insbesondere dann mit besonderer Sorgfalt zu überprüfen, wenn Rückführungsklauseln mit hohen und komplexen Voraussetzungen für die individuelle Anspruchsanmeldung kombiniert werden sollen. 827 Der Pocket Guide for Judges geht sogar noch einen Schritt weiter und ermutigt Richter in Situationen, in denen sich die Parteien auf eine Rückführung verständigt haben, den Vergleich nicht zu genehmigen und stattdessen alternative Verteilungsmethoden vorzuschlagen. 828 Dennoch schlagen Richter diese Warnungen auch heute noch gelegentlich in den Wind und genehmigen entsprechende Vergleiche, was auch in den seltenen Fällen, in denen die zugrundeliegende Rechtsvorschrift einen ausschließlich kompensatorischen und keinen abschreckenden Charakter hat, durchaus erwägenswert ist. 829 In den meisten Konstellationen jedoch sind es die Beklagten und ihre Anwälte, die entsprechende Vergleiche mit Nachdruck forcieren, indem sie sich hier deutlich vergleichsbereiter zeigen. 830 Ihre Argumentationsstruktur ist dabei fast immer dieselbe. Aus der Tat824 Highland Homes Ltd. v. State, 448 S.W.3d 403, 410 (Tex. 2014); Moore’s Federal Practice V, § 23.171. 825 Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 641 (2018). 826 In re Baby Prod. Antitrust Litig., 708 F.3d 163, 172 (3d Cir. 2013); Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212, 218 (D.D.C. 2007); Hodgson v. YB Quezada, 498 F.2d 5, 6 (9th Cir. 1974); In re Pharm. Indus. Average Wholesale Price Litig., 588 F.3d 24, 34 (1st Cir. 2009); Dyke, 21 N.Y.U. J. Legis. & Pub. Pol’y 635, 641 (2018). 827 Herr, Ann. Manual Complex Lit. § 21.66. 828 Rothstein/Willging, A Pocket Guide for Judges, S. 20. 829 Van Gemert v. Boeing Co., 739 F.2d 730 (2d Cir. 1984); Wilson v. Sw. Airlines, Inc., 880 F.2d 807, 812 (5th Cir. 1989); Yospe, 2009 Colum. Bus. L. Rev. 1014, 1044 (2009). 830 Newberg/Rubenstein, § 12:29.
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sache, dass nicht die gesamte Vergleichssumme an die Gruppenmitglieder verteilt werden konnte, leiten sie ab, dass die Summe insgesamt zu hoch angesetzt wurde und damit von Anfang an eine Überkompensation vorlag. 831 Dem kann, wenn überhaupt, nur in Konstellationen gefolgt werden, in denen sich die Parteien bewusst sind, dass die gesamte Schadenssumme nur sehr schwierig zu ermitteln ist, und die Vergleichssumme daher insgesamt recht hoch ansetzen, um im Zuge des einfach ausgestalteten Verteilungsprozesses die tatsächliche Schadenssumme annäherungsweise zu ermitteln. 832 In der Regel aber ist, wie hier bereits mehrfach aufgezeigt, eine geringe Anzahl von angemeldeten Ansprüchen keineswegs darauf zurückzuführen, dass insgesamt nur eine geringe Schädigung vorlag, sondern vielmehr darauf, dass viele Gruppenmitglieder es aus diversen Gründen versäumt haben, ihre Ansprüche anzumelden. 833 Insofern erscheint es als kaum haltbar, nicht verteilte Gelder an den Beklagten zurückzuführen, insbesondere da der Beklagte als Gegenleistung für die Vergleichssumme die Befreiung von den Ansprüchen aller Gruppenmitglieder erhält und nicht nur von denjenigen, die ihren Anteil im Verteilungsprozess auch eingefordert haben. Würden nun große Teile der Summe wieder an den Beklagten zurückfließen, so würde dieser sich die Befreiung von den Ansprüchen der passiv gebliebenen Mitglieder zum Nulltarif erkaufen. 834 Befürworter der Rückführung argumentieren des Weiteren, auch bei einem Vergleich schwebe die Vergleichssumme nicht in der Luft, sondern werde vom Beklagten an den Kläger gezahlt. Rufe dieser die Summe daher, aus welchen Gründen auch immer, nicht ab, so stehe das Geld weiterhin dem Beklagten zu, weswegen ein Gericht sowohl eine entsprechende durch die Parteien ausgehandelte Klausel als angemessen bewerten müsse als auch dazu angehalten sei, eine derartige Lösung vorzuziehen, wenn die Verteilung der übrigen Summe in seinem freien Ermessen liegt. 835 Diese Vorgehensweise wäre im Übrigen konform mit der Situation im Rahmen einer Individualklage, bei der die Gelder auch so lange beim Beklagten verbleiben, bis der Kläger sie abruft. 836 Diese Argumentation verkennt die Anforderungen, die Rule 23(e)(2)(C) Fed. R. Civ. P. an die gerichtliche Vergleichsgenehmigung einer Class Action 831 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 482 (5th Cir. 2011); Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 21 (2011). 832 Klier v. Elf Atochem N. Am., Inc., 658 F.3d 468, 482 (5th Cir. 2011); Newberg/Rubenstein, § 12:29. 833 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 976 (2015). 834 Diamond Chem. Co. v. Akzo Nobel Chemicals B.V., 517 F. Supp. 2d 212, 218 (D.D.C. 2007); Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 976 f. (2015). 835 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 638 f. (2010). 836 Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 21 (2011); Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 639, 665 (2010).
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stellt. Ausweislich dieser Vorschrift sind die Gerichte explizit dazu angehalten sicherzustellen, dass auch die Entschädigung der Gruppenmitglieder im Gesamtkontext des Vergleichs gerecht, angemessen und adäquat ist. Dies verpflichtet sie dazu, sollten sie die Gesamtvergleichssumme nicht insgesamt als deutlich überhöht einstufen, sicherzustellen, dass die Summe auch dem Beklagten entzogen und wenn möglich in irgend einer Form den Geschädigten zugeführt wird. Insofern ist die Class Action an dieser Stelle auch nicht mit einem Individualverfahren vergleichbar, begründet sich die deutlich aktivere Rolle des Gerichts doch gerade aus der zu erwartenden Passivität der Gruppenmitglieder. 837 Parallel zu der oben angesprochenen Problematik bei den „claims-made settlements“ ist auch bei der Vereinbarung einer Rückführungsklausel umstritten, ob die Bemessung des Honorars des Gruppenanwalts in Anwendung der Percentage-of-Funds-Methode an dem gesamten der Gruppe grundsätzlich zur Verfügung gestellten Betrag oder aber nur an dem Teil bemessen werden darf, der tatsächlich an die Gruppenmitglieder ausgeschüttet wird. 838 Da bei Rückführungsklauseln im Gegensatz zu claims-made settlements jedoch zunächst eine Gesamtschadenssumme erstritten wird, neigen Gerichte in der Tendenz dazu, diese auch als Bemessungsgrundlage heranzuziehen. 839 Das öffnet einem kollusiven Zusammenwirken Tür und Tor. Der Gruppenanwalt muss kaum Zeit oder Ressourcen aufwenden, um den Beklagten von einem Vergleich, der eine Rückfallklausel enthält, zu überzeugen, wird der Beklagte doch in einem solchen Fall aller Voraussicht nach insgesamt deutlich weniger leisten müssen. Die Gruppenmitglieder jedoch werden auf diese Weise nur von einem kleinen Anteil der Vergleichssumme überhaupt profitieren können. Beinahe schon grotesk mutet dabei das teilweise von Beklagtenseite vorgebrachte Argument an, insbesondere in Fällen, in denen Verbraucher betroffen seien, sei eine Rückführung im Ergebnis auch im Interesse der Gruppenmitglieder, wäre der Beklagte so doch nicht gezwungen, seine Preise zu erhöhen, um die Kosten für den Vergleich zu kompensieren. 840 Die mannigfaltige Kritik an Vergleichen, die eine Rückfallklausel enthalten, hat zu einer deutlichen Reduktion derartiger Parteivereinbarungen in den letzten Jahren geführt. Bemerkenswerterweise jedoch sehen sich claims-made settlements dieser Kritik deutlich weniger ausgesetzt und sind 837
Hierzu Teil 3 – C.VI.1. Hierzu Teil 3C.VII., zudem Newberg/Rubenstein, § 15.70. 839 Vgl. Landsman & Funk, P.C. v. Skinder-Strauss Assocs., 639 F. App’x 880, 884 (3d Cir. 2016); McKinnie v. JP Morgan Chase Bank, N.A., 678 F. Supp. 2d 806, 812 (E.D. Wis. 2009); Williams v. MGM-Pathe Commc’ns Co., 129 F.3d 1026, 1027 (9th Cir. 1997); für eine Bemessung an der zur Verfügung gestellten Summe auch Rubenstein, 1 Class Action Att’y Fee Dig. 63, 64 (2007); Chen, 50 UCLA L. Rev. 879, 892 ff. (2003). 840 Gayl, To Cy Pres or Not to Cy Pres, 16, 21 (2011). 838
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
auch heute noch gängige Praxis. 841 Dies muss kritisch hinterfragt werden, unterscheiden sich die beiden Fallkonstellationen im Ergebnis bis auf eine teilweise(!) abweichende Berechnung des Anwaltshonorars doch kaum voneinander.
V. Keine Anwendung der alternativen Verteilungsmethoden in streitigen Verfahren So vielfältig die alternativen Verteilungsmethoden sind und so kontrovers sie im Vergleichskontext debattiert werden, in streitigen Verfahren spielen sie so gut wie keine Rolle. Bemerkenswerterweise wird diese Tatsache in der U.S.-Literatur weitestgehend als gegeben hingenommen. Kaum ein Autor beschäftigt sich vertieft mit dem Grund für diesen Zustand oder stellt gar Erwägungen an, hieran etwas zu ändern. 842 Unbestreitbar mag die generell hohe Vergleichsquote bei Class Actions einen Teil dazu beitragen, dass Urteile und die Modalitäten zur Schadensverteilung im Anschluss an dieselben von deutlich geringerer praktischer Relevanz und damit auch von weniger Interesse für die Literatur sind. settlement Class Actions machen von Jahr zu Jahr einen immer größeren Anteil der Verfahren aus, positive Urteile sind, genau wie in Individualverfahren, mittlerweile die klare Ausnahme. 843 Wer allerdings allein die Tatsache, dass insbesondere in Streuschadensfällen mittlerweile kaum noch Streitigkeiten mit einem Urteil beendet werden, zur Begründung der Abwesenheit der Debatte um alternative Verteilungsmethoden in diesem Kontext heranzieht, der verwechselt zumindest ein Stück weit Ursache mit Wirkung. 844 Im Gegensatz zu einer Class Action, die durch einen Vergleich beendet wird, stellt sich die Frage, wie die Schäden der Gruppenmitglieder berechnet und verteilt werden können, in streitigen Verfahren schon deutlich früher, und zwar im Rahmen der Zulassungsentscheidung. Hier verlangt das Gericht von den Klägern, wie oben erörtert, für die Fragen der predominance beziehungsweise der allgemeinen Durchführbarkeit der Class Action darzulegen, wie die Schadensberechnung und die Schadensverteilung mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden kann. 845 Gelingt dies nicht, so wird das Gericht die Zulassung der Gruppe ablehnen. Gerade in Streuschadens841 Gascho v. Glob. Fitness Holdings, LLC, 2014 WL 1350509, at *29 (S.D. Ohio 2014); Newberg/Rubenstein, § 12:29. Hierzu auch Teil 3 – C.VI.3.a). 842 Insoweit stellen die Ausführungen in Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 15 ff. eine klare Ausnahme dar. 843 Redish/Julian/Zyontz, 62 Fla. L. Rev. 617, 661 (2010); Brown, Do Class Actions Benefit Class Members?, S. 4. 844 Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 15. 845 Siehe hierzu ausführlich Teil 3 – C.III.4.
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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situationen, in denen es eine große Anzahl an Gruppenmitgliedern und jeweils kleine, nicht absolut gleichförmige individuelle Schädigungen gibt, stellt das die Kläger häufig vor enorme Herausforderungen. Diesen versuchen sie teilweise durch einen Rückgriff auf die alternativen Verteilungsmethoden zu begegnen. Hierfür schlagen sie dem Gericht meist ein Verfahren vor, in dem in einem ersten Schritt der Gesamtschaden der Gruppe in Form von aggregate damages berechnet wird und das im Anschluss anstelle der individuellen Schadensberechnung die Verteilung durch einen Anmeldeprozess in Verbindung mit einer alternativen Methode zur Verteilung der Gelder vorsieht. Bereits die Bildung von aggregated damages ist jedoch in einigen Gerichtsbezirken umstritten und in vielen Konstellationen nicht möglich, insbesondere dann, wenn der Gesamtschaden nur anhand der Summe der jeweiligen Einzelschäden zu bestimmen wäre. 846 Insofern scheitern viele Fälle, in denen potentiell eine alternative Verteilungsmethode zur Anwendung kommen könnte, schon an dieser Hürde. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet der Fall In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litigation. 847 Dem Fall lag eine Klage der direkten und der indirekten Abnehmer frischer Ananasse zugrunde, deren Preis über einen Zeitraum von zwölf Jahren durch mehrere unzulässige Praktiken rechtswidrig erhöht war. Für die Gruppe der indirekten Abnehmer, die hauptsächlich aus den Endverbrauchern der Früchte bestand, schlugen die Kläger nun die Berechnung von aggregated damages auf Grundlage mehrerer Expertengutachten und die Verteilung in Form einer Preisreduktion als fluid recovery im Anschluss an ein Anmeldeverfahren vor. 848 Dem Vortrag der Beklagten folgend, lehnte das Gericht jedoch bereits den ersten Schritt ab. Weil auf einer gemeinsamen Basis nicht festgestellt werden könne, wieviel Prozent der erhöhten Preise an die jeweiligen Verbraucher von ihren jeweiligen Zwischenhändlern, also den Supermärkten, weitergereicht worden war, sei die Bildung von aggregated damages in diesem Fall nicht möglich. 849 Da daher für jeden Supermarkt einzelne Berechnungen angestellt werden müssten, sei die Klage in der Folge generell undurchführbar. 850 Doch selbst wenn es den Klägern gelingt darzulegen, dass die Gesamtschadenssumme verlässlich und mit geringem Aufwand berechnet werden kann, lehnen die Gerichte eine solche Vorgehensweise in Verbindung mit 846 847 848
Newberg/Rubenstein, § 12:2. In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873 (S.D.N.Y. 2008). In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873, at *7 (S.D.N.Y.
2008). 849 In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873, at *5 f. (S.D.N. Y. 2008). 850 In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873, at *9 (S.D.N.Y. 2008).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
einer alternativen Verteilungsmethode strikt ab. Die erste Entscheidung hierzu, auf die sich auch heute noch die meisten Gerichte berufen wenn sie mit dieser Problematik in Berührung kommen, erging im Jahr 1974 vor dem zweiten Bundesberufungsgericht zu Eisen v. Carlisle & Jacquelin. 851 Dem Fall, der über ein Jahrzehnt mehrere Bundesgerichte immer wieder beschäftigte, lag eine Klage aller Odd-Lot-Inverstoren 852 zugrunde, die über einen gewissen Zeitraum für ihre Transaktionen an der New Yorker Börse kartellbedingt überteuerte Preise bezahlen mussten. Die Gruppe bestand aus ca. 6 Mio. Mitgliedern, von denen nach einigen Anstrengungen nur etwas mehr als 2 Mio. identifiziert werden konnten. 853 Der Gesamtschaden der Gruppe wurde auf eine Höhe zwischen $ 20 Mio. und $ 120 Mio. geschätzt. 854 Pro Transaktion errechnete der Richter des District Courts einen Ersatzanspruch in Höhe von $ 3,90. 855 Um diesen gewaltigen Fall noch als durchführbar einstufen zu können, schlugen die Kläger vor, zunächst die Gesamtschadenssumme zu ermitteln, danach einen Anmeldeprozess zu implementieren und die voraussichtlich sehr hohe übrige Summe via fluid recovery durch eine Preissenkung der Transaktionsgebühren zu verteilen. 856 Der District Court stimmte dem zu, das Berufungsgericht aber hob die Entscheidung wieder auf. Es bezeichnete die Vorgehensweise als in keiner Form mit den Voraussetzungen der Rule 23 Fed. R. Civ. P. vereinbar und sah in ihr eine Verletzung des Rules Enabling Acts. 857 Dabei stellte es explizit auf die Unzulässigkeit der Kombination der Verteilungsmethode mit der Berechnung von aggregated damages ab. Würde die Gesamtschadenssumme anhand einer mathematischen Formel berechnet und dann vollständig, auch über die Höhe der tatsächlich angemeldeten Ansprüche hinaus, verteilt, so fehle es an einer faktischen Kontrolle der Schadenssumme. 858 Diese Rechtsprechung, die sich unproblematisch auch auf sämtliche andere alternative Verteilungsmethoden übertragen lässt, verfestigte sich in den folgenden Jahren. 859 2008 hatte das zweite Bundesberufungsgericht dann noch einmal die Gelegenheit hierzu Stellung zu beziehen und untermauerte 851
Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005 (2d Cir. 1973). Von einem Odd-Lot-Investment spricht man, wenn Aktien in ungewöhnlich kleinen oder aber ungewöhnlich großen Mengen gekauft werden, wenn also die gewöhnliche Taktung von je 100 Aktien verlassen wird. 853 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005 (2d Cir. 1973). 854 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005, 1009 (2d Cir. 1973). 855 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005, 1010 (2d Cir. 1973). 856 Bei der Lektüre des Falles muss beachtet werden, dass das Gericht den gesamten Vorgang, also die Bildung von aggregated damages und die Verteilung durch die Preisreduktion, als „fluid recovery“ bezeichnet, der Begriff insofern anders verwendet wird als hier. 857 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005, 1014 (2d Cir. 1973). 858 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005, 1014 (2d Cir. 1973). 859 Van Gemert v. Boeing Co., 553 F.2d 812, 815 (2d Cir. 1977); Augustin v. Jablonsky, 819 F. Supp. 2d 153, 177 (E.D.N.Y. 2011); Al Barnett & Son, Inc. v. Outboard Marine Corp., 64 F. 852
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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hierbei seine Position. Dem Fall McLaughlin v. Am. Tobacco Co. 860 lag eine Klage der Raucher von Light-Zigaretten mehrerer großer Zigarettenhersteller zugrunde, die in dem Verfahren geltend machten, die Beklagten hätten durch falsche Werbeangabe in unzulässiger Weise den Eindruck erweckt, Light-Zigaretten seien gesünder als gewöhnliche Zigaretten. 861 Der District Court, der sich in seiner Entscheidung lange und vertieft mit der Rechtsprechung zu den alternativen Verteilungsmethoden in streitigen Verfahren und insbesondere auch mit dem Urteil zu Eisen v. Carlisle & Jacquelin 862 auseinandergesetzt hatte, ließ die Gruppe unter der Anwendung von aggregated damages und einer Vielzahl anderer kollektiver Beweisführungen zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des RICO-Acts 863 zu und sah auch die Distribution der Gelder ob der Möglichkeit, die nicht beanspruchte Summe via Cy Pres zu verteilen, als durchführbar an. 864 Dabei ließ sich Richter Weinstein offensichtlich hauptsächlich vom angestrebten Ergebnis leiten, konstatierte er doch „Für jede Rechtsverletzung sollte es einen Rechtsbehelf vor Gericht geben, wenn das möglich ist“. 865 Diesen Ansatz schmetterte das zweite Bundesberufungsgericht mit klaren Worten ab und nutzte dabei die Gelegenheit, seine Rechtsprechung aus Eisen zu präzisieren. Eine entsprechende Vorgehensweise führe dazu, dass anstelle einer gebündelten Durchsetzung von Individualansprüchen nun auf Grundlage einer mehr oder weniger genauen Kollektivberechnung dem Beklagten eine Gesamtschadenssumme entzogen würde, die keinerlei Korrektiv durch einen tatsächlichen individuellen Schadensnachweis enthalte. 866 Die Kombination der gemeinsamen Schadensberechnung und der Verteilung der Summe unabhängig von der Höhe der tatsächlich angemeldeten Ansprüche sei eine prozessuale Vorgehensweise, durch die das zugrundeliegende Recht deutlich erweitert würde und die daher gegen den Rules Enabling Act verstoße. 867 Zudem würde das Due-Process-Recht des Beklagten verletzt, da diesem auf diese Weise die Möglichkeit genommen werde, gegen jeden Anspruch vorzugehen. 868 Diese Ansicht hat sich mittlerweile zur ständigen Rechtsprechung auch an den übrigen Bundesgerichten entwickelt, womit für die Anwendung der alR.D. 43, 53 (D. Del. 1974); Windham v. Am. Brands, Inc., 565 F.2d 59, 66 (4th Cir. 1977); In re Neurontin Mktg. & Sale Practices Litig., 244 F.R.D. 89, 112 (D. Mass. 2007). 860 McLaughlin v. Am. Tobacco Co., 522 F.3d 215 (2d Cir. 2008) in der Vorinstanz Schwab v. Philip Morris USA, Inc., 449 F. Supp. 2d 992 (E.D.N.Y. 2006). 861 McLaughlin v. Am. Tobacco Co., 522 F.3d 215, 220 (2d Cir. 2008). 862 Eisen v. Carlisle & Jacquelin, 479 F.2d 1005 (2d Cir. 1973). 863 Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act. 864 Schwab v. Philip Morris USA, Inc., 449 F. Supp. 2d 992, 1251 ff. (E.D.N.Y. 2006). 865 Schwab v. Philip Morris USA, Inc., 449 F. Supp. 2d 992, 1020 (E.D.N.Y. 2006). 866 McLaughlin v. Am. Tobacco Co., 522 F.3d 215, 231 (2d Cir. 2008). 867 McLaughlin v. Am. Tobacco Co., 522 F.3d 215, 231 f. (2d Cir. 2008). 868 McLaughlin v. Am. Tobacco Co., 522 F.3d 215, 232 (2d Cir. 2008).
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ternativen Verteilungsmethoden im streitigen Verfahren so gut wie kein Raum mehr verbleibt. Eine einzige Entscheidung ist dokumentiert, in der ein Berufungsgericht die Anwendung wegen der Besonderheiten des konkreten Falls grundsätzlich als zulässig erachtet hatte. 869 In Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers 870 bestand die Gruppe aus insgesamt 1349 mexikanischen Arbeitern, die in den Jahren 1976 und 1977 als Erntehelfer bei den Beklagten angestellt gewesen waren und deren Rechte, unter anderem auf eine angemessene Behausung, aus dem Farm Labor Contractor Registration Act (FLCRA) durch die Farmer verletzt worden waren. Anhand der Aufzeichnung der Beklagten konnten die Geschädigten auch identifiziert werden, allerdings waren sie größtenteils nicht mehr aufzufinden, da sie mittlerweile zurück in Mexiko waren. 871 Die Kläger schlugen deshalb vor, die nicht verteilbaren Gelder an die Inter-American-Fund-Association zu geben, die diese an Schulen in den mexikanischen Bezirken verteilen sollte, von denen angenommen wurde, dass in ihnen Gruppenmitglieder lebten. Auf diese Weise sollten die Gelder den Familien der Geschädigten zugutekommen. 872 Der Fall wies insoweit eine Besonderheit auf, als dass hier die Anwendung einer alternativen Verteilungsmethode unabhängig von der Berechnung von aggregated damages vorgeschlagen wurde. Der FLCRA sah nämlich für jede der durch die Beklagten begangenen Verletzungen einen festen Betrag in U.S.-Dollar, sogenannte statutory damages vor, so dass eine individuelle Schädigung hier nicht nachgewiesen werden musste. 873 Das neunte Berufungsgericht unterschied den Fall auf dieser Grundlage zu der Eisen-Rechtsprechung und stellte fest, dass in einer solchen Konstellation der Anwendung von alternativen Verteilungsmethoden grundsätzlich keine Bedenken entgegenstünden. 874 Der Fall blieb jedoch ein Unikat in der Rechtsprechung der Bundesgerichte und das ist nicht allein auf seine besondere Konstellation zurückzuführen. Das Gericht betonte in der Entscheidung auch immer wieder, dass es einer solchen weiten Auslegung der Rule 23 Fed. R. Civ. P. in diesem Fall nur so offen gegenüber stehe, weil den zugrundeliegenden Normen des FLCRA ausdrücklich eine abschreckende Funktion zugedacht war und eine individuelle Verteilung des Schadens nur deshalb nicht möglich war, weil die Beklagten gegen die im FLCRA festgelegten Regelungen zur Registrierung der 869 870 871
Bone, 65 U. Kan. L. Rev. 913, 941 f., Fn. 137 (2017). Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301 (9th Cir. 1990). Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1304 (9th Cir.
1990). 872
Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1304 (9th Cir.
1990). 873
Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1304 f. (9th Cir.
1990). 874
1990).
Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1305 ff. (9th Cir.
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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Arbeiter verstoßen hatten, die, wären sie eingehalten worden, eine solche ermöglicht hätten. 875 Insoweit ist kaum zu erwarten, dass die Rechtsprechung zu Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers in Zukunft vermehrt aufgegriffen wird und alternative Verteilungsmethoden eine größere Rolle in Class-Action-Urteilen spielen werden. Überträgt man die oben im Vergleichskontext bezüglich der Cy-Pres-Verteilung dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken auf die Anwendung im streitigen Verfahren, so sind die alternativen Verteilungsmethoden in diesem Kontext auch für sich genommen, also ohne die Kombination mit aggregate damages, abzulehnen. 876 Im Hinblick auf die Anforderungen des Artikel III § 2 U.S. Constitution ist die Zuwendung an unbeteiligte Dritte, die nicht die Voraussetzungen des standings erfüllen, zumindest schwer zu rechtfertigen und mit Blick auf den Rules Enabling Act schlicht nicht mehr haltbar. Ohne gesetzliches Mandat würde auf diese Weise faktisch eine andere Rechtsfolge implementiert, was eine deutliche Veränderung des zugrundeliegenden materiellen Rechts zur Folge hätte. Selbst die im Vergleichskontext als eher fernliegend abgetanen Bedenken bezüglich einer Verletzung der negativen Meinungsfreiheit der Gruppenmitglieder wären bei einer Verwendung im streitigen Verfahren nicht mehr so einfach von der Hand zu weisen. 877 Mittlerweile scheinen auch einige Gerichte der Ansicht zu sein, dass die Implementierung von alternativen Verteilungsmethoden im streitigen Verfahren nicht bloß aufgrund der Kombination mit aggregate damages kritisch zu betrachten sind. Im zu Beginn dieses Abschnitts dargestellten Fall In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litigation 878 beispielsweise ging das Gericht, nachdem es die Bildung von aggregate damages bereits abgelehnt hatte, insoweit ohne zwingenden Anlass, noch auf die dort vorgeschlagene Fluid-Recovery-Methode ein und bezeichnete diese in knappen Worten als nicht mit Rule 23 Fed. R. Civ. P. vereinbar. 879 Hierbei hob es gesondert hervor, dass diese Einordnung unabhängig von der Ablehnung der aggregated damages getroffen worden sei. 880 An der Ablehnung der alternativen Verteilungsmethoden zur Sicherstellung der Durchführbarkeit in streitigen Verfahren könnte insofern nur ein formelles Gesetz etwas ändern, ein solches ist jedoch aktuell nicht in Aussicht. 875
1990).
Six (6) Mexican Workers v. Arizona Citrus Growers, 904 F.2d 1301, 1306 f. (9th Cir.
876 So auch Beisner/Miller/Schwartz, A not so Charitable Contribution to Class Action Practice, S. 15 ff. 877 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)aa). 878 In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873 (S.D.N.Y. 2008). 879 In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873, at *10 (S.D.N.Y. 2008). 880 In re Fresh Del Monte Pineapples Antitrust Litig., 2008 WL 5661873, at *10 (S.D.N.Y. 2008).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
VI. Rechtsprechung und Gesetzesrecht der Einzelstaaten, ein Überblick Viele Bundesstaaten sind an dieser Stelle schon deutlich weiter. Mittlerweile enthalten die Gesetzestexte von 23 Staaten Regelungen zum Umgang mit Geldern, die im Anschluss an eine Class Action nicht verteilt werden können. 881 Die Regelungen unterscheiden sich teils sehr stark voneinander, so dass an dieser Stelle nur ein Überblick in Form einer groben Kategorisierung gegeben werden kann. Die meisten Regelungen beginnen zunächst mit einer Definition des Anwendungsbereichs. An dieser Stelle wird, teilweise sehr detailliert, teilweise recht grob, umschrieben, welche Gelder die Norm umfasst. Meist wird hierbei sowohl auf die Situation im Anschluss an einen Vergleich als auch an ein Urteil verwiesen, teilweise umfasst die Regelung aber auch ausschließlich den Vergleich. 882 Bemerkenswert ist, dass bislang nur zwei Bundesstaaten (New Mexico und Oregon) 883 Fälle, in denen die gesamte Schadenssumme nicht verteilt werden kann, explizit regeln, was wohl auch auf die geringere praktische Relevanz dieser Situationen zurückzuführen ist. 884 Der Definition des Anwendungsbereiches folgt häufig eine Klarstellung, dass die Norm zwar die Verwendung dieser Gelder regelt, die Parteien oder das Gericht allein aufgrund dessen aber nicht dazu verpflichtet sind, ihren Vergleich oder ihr Urteil so auszugestalten, dass entsprechende Gelder übrig bleiben müssen. 885 Dem schließt sich eine Anweisung zur konkreten Verwendung der Gelder an. Hier sehen einige Regelungen vor, zunächst einen bestimmten Prozentsatz (meist zwischen 25 % und 50 %) einer konkret bezeichneten Organisation zuzuweisen. Dabei handelt es sich in der Regel um staatliche oder zumindest staatlich geförderte Einrichtungen, die bedürftigen Personen den Zugang zum Recht erleichtern sollen. Die restliche Summe kann dann entweder an Organisationen verteilt werden, deren Tätigkeitsfelder Überschneidungen zu den Interessen der Geschädigten und/oder dem Zweck der zugrundeliegenden Klage aufweisen, oder aber, sollten entsprechende Einrichtungen nicht ausgemacht werden können, ebenfalls an die genannte Einrichtung. Die Regelung anderer Staaten sehen dagegen genau die umgekehrte Vorgehensweise vor. So soll in Massachusetts beispielsweise für die Gelder zunächst eine den Klägern nahestehende Organisation ausgemacht werden und erst wenn dies nicht möglich ist, eine Verteilung an das Massa881
Eine Sammlung der entsprechenden Vorschriften findet sich in den Anlagen. So spricht die Regelung von South Dakota beispielsweise nur von Entscheidungen zu Vergleichen, S.D. Codified Laws § 16–2–57. 883 Siehe NMRA, Rule 1–023(G)(1)(b) und Or. R. Civ. P. 32(O)(1). 884 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.a). 885 Siehe beispielsweise Ind. R. Trial P. 23(F)(1) „Nothing in this rule is intended to limit the trial court from approving a settlement that does not create residual funds.“ Ähnlich auch Mass. R. Civ. P. 23(f); SCRCP 23(e). 882
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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chusetts IOLTA Committee 886 erfolgen. Einige einzelstaatliche Regelungen sehen zudem gar keine konkrete Empfängerorganisation vor, sondern stellen lediglich explizit klar, dass jedwede Verteilung im Ermessen des Gerichts steht 887 oder aber definieren anhand diverser Faktoren, welche Anforderung eine Organisation erfüllen muss, damit das Gericht sie als Empfängerin in Betracht ziehen kann. 888 Betrachtet man die Regelungen der Einzelstaaten im Ganzen, so fällt zunächst auf, dass hier, im Gegensatz zum erkennbaren Trend in der Bundesrechtsprechung, beinahe ausschließlich auf Cy-Pres-Lösungen gesetzt wird 889 und die anderen alternativen Verteilungsmethoden, insbesondere die Pro-rata-Verteilung, auf Staatenebene so gut wie keine Rolle spielen. Des Weiteren ist bemerkenswert, dass die meisten Staaten, in Abweichung von den Bundesgerichten, sich nur selten vertieft mit den individuellen Nexus-Voraussetzungen auseinandersetzen, sondern mit der Festlegung auf eine bestimmte Empfängerorganisation hier Handhabbarkeit und Rechtssicherheit den Vorrang gewähren. Das mag unbestreitbar zu einem gewissen Teil der Tatsache geschuldet sein, dass die Staaten auf diese Weise durch regelmäßige Cy-Pres-Zuwendungen an von ihnen zumindest geförderte Organisationen eigene Mittel einsparen können. Die gesetzliche Festlegung einer bestimmten Organisation erspart den Gerichten aber auch viel Aufwand und beugt zugleich einer missbräuchlichen Verwendung der Mittel vor. Entscheidet sich ein Bundesstaat unter diesen Prämissen für die gesetzliche Festlegung einer konkreten Empfängerorganisation, so liegt es durchaus nahe, hier eine Vereinigung zu wählen, die sich der Vereinfachung des Rechtszugangs verschrieben hat. Solche Organisationen gibt es in sämtlichen Staaten und sie genießen ob ihrer wohltätigen und nicht gewinnorientierten Ausrichtung auch großes Ansehen. Die oben bereits dargestellte Kombination aus hohen Anwaltshonoraren und dem Prinzip, dass jede Partei die ihr entstandenen Kosten grundsätzlich unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits selbst tragen muss, wecken auch ein erhebliches Bedürfnis für das Angebot dieser Organisationen. In der Wahl einer solchen Einrichtung als Empfänger der nicht verteilbaren Class-Action-Geldern liegt auch, entgegen dem Vorwurf einiger Kritiker, 890 keine vollständige Abkehr vom „Next-best“-Ansatz der Cy-Pres-Doktrin. Es mag zwar zutreffen, dass in
886 Das Massachusetts IOLTA Committee verbessert mit den Geldern die Rechtspflege und unterstützt die Bereitstellung von Rechtsdienstleistungen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, https://www.maiolta.org/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 887 Siehe beispielsweise Tenn. R. Civ. P. 23.08. 888 Siehe beispielsweise NMRA, Rule 1–023(G)(2). 889 Da die gesetzlich vorgeschriebenen Empfängerorganisationen häufig (teil-) staatlich sind, ist der Übergang zum enmarked escheat jedoch fließend. Hierzu bereits Teil 3 – D.IV. 4. 890 Fulton, 56 Ariz. L. Rev. 925, 934 (2014).
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manchen Konstellationen andere Organisationen besser dazu in der Lage wären, den Gruppenmitgliedern eine indirekte Kompensation zu verschaffen, unbestreitbar teilen aber alle Gruppenmitglieder in Fällen, in denen die Schadenssumme nicht vollständig an sie ausgekehrt werden konnte, das Schicksal, dass eine Rechtsdurchsetzung auf Basis einer Individualklage meist aufgrund der geringen Anspruchshöhe gescheitert oder nie in Angriff genommen worden wäre. Der Rechtsdurchsetzungsgedanke, der mit der Class Action begonnen hat und mit der Implementierung der alternativen Verteilungsmethode fortgeführt wurde, perpetuiert sich so auch in letzter Konsequenz, indem durch die Gelder ein besserer Zugang zum Recht und damit auch generell eine höhere Durchsetzungsquote erreicht wird. Dass die Gerichte auch unter einer Regelung, die einen bestimmten Prozentsatz der nicht verteilbaren Gelder direkt einer festgelegten Einrichtung zuweist, genügend Einzelfallflexibilität haben, um eine gerechte Lösung zu finden, die beinahe schon an eine ideale Anwendung der Cy-Pres-Doktrin grenzt, soll abschließend anhand eines Beispielfalles aus dem Staat Washington aufgezeigt werden. Der Fall Judd v. AT&T 891 beschäftigte die Gerichte Washington State’s über zehn Jahre, bevor er 2013 mit einem Vergleich beigelegt wurde. Ihm lag eine Klage gegen den größten U.S.-amerikanischen Telefonanbieter zugrunde, der es in Verletzung einer entsprechenden Pflicht unterlassen hatte, bei R-Gesprächen, die Inhaftierte aus Gefängnissen im Staate Washington führten, zu Beginn klar die Kosten für diese Anrufe kenntlich zu machen. Im relevanten Zeitraum von 1996 bis 2006 kostete jedes R-Gespräch eine Grundgebühr von $ 3.95 und zusätzlich $ 0.90 pro angefangener Minute. Für ein zwanzig-minütiges Telefongespräch hatten die Empfänger so beispielsweise $ 21.95 zu entrichten, was bei manchen Angehörigen zu einer Monatsrechnung im fünfstelligen Bereich geführt hatte. 892 AT&T erklärte sich letztendlich bereit, $ 45 Mio. zu entrichten. Angesichts der Tatsache, dass der Schädigungszeitraum zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bereits etliche Jahre zurücklag und die Zahl der Geschädigten in die Hunderttausende ging, war bereits von Beginn an klar, dass nach Abschluss des Anmeldeprozesses noch erhebliche Summen übrig bleiben würden. 893 Für eine solche Situation hatte der Bundesstaat Washington 2006 eine gesetzliche Regelung erlassen, die vorsieht, dass das Gericht bereits bei der Genehmigung des Vergleiches Regelungen zur Verteilung der voraussichtlich übrigen Gelder trifft. Hierbei sind mindestens 50 % (z.Zt. der Entscheidung noch 25 %) direkt an die Legal Foundation of Washington 891 Judd v. Am. Tel. & Tel. Co., 116 Wash. App. 761, 66 P.3d 1102 (2003), aff’d, 152 Wash. 2d 195, 95 P.3d 337 (2004). 892 Clarke, Prison Legal News, 15. 03. 2013, S. 26; Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 944 (2015). 893 Siehe hierzu die Bekanntmachung des Gerichts unter http:/ /nwsidebar.wsba.org/ 2013/07/03/judd-att-cy-pres-hearing/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023].
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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(LFW) 894 abzuführen um damit Programme zu unterstützen, die den Zugang zum Zivilrechtssystem für einkommensschwache Einwohner des Staates Washington fördern. Den Betrag der über diesen Mindestprozentsatz hinausgeht, kann das Gericht nach freiem Ermessen entweder ebenfalls der LFW zusprechen oder aber einer anderen Einrichtung, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit den Zielen des zugrunde liegenden Rechtsstreits steht oder anderweitig die materiellen oder prozessualen Interessen der Mitglieder der zertifizierten Sammelklägergruppe fördert. 895 Diesen Vorgaben entsprechend forderte das Gericht vor der Vergleichsgenehmigung in einer öffentlichen Bekanntmachung mögliche Empfängerorganisationen auf, vorstellig zu werden und dazulegen, wie sie die Gelder zum Zwecke der Gruppenmitglieder zu verwenden gedenken. Bereits in der Bekanntmachung konkretisierte das Gericht hierbei, welche Organisationen es generell als förderungswürdig erachtet. Bewerben sollten sich insbesondere Einrichtungen, die „direkt oder indirekt Gefangenen oder ehemaligen Gefangenen im U.S.-Bundesstaat Washington, Familienmitgliedern von Gefangenen oder ehemaligen Gefangenen im U.S.-Bundesstaat Washington bei Ausbildung, Lebenshaltung oder dem Zugang zum Recht unterstützen oder fördern […]“. 896 Hierauf reagierten 49 Organisationen mit Bewerbungen, die das Gericht sichtete und sowohl dem Gruppenanwalt als auch dem Beklagten zur Stellungnahme zuleitete. Anschließend hielt es öffentliche Anhörungen ab, um die Eignung der Organisationen festzustellen. Im Ergebnis wurde der LFW neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanteil auch ein Großteil der weiteren Gelder zugesprochen, um mit ihnen ein Bezuschussungsprogramm zu etablieren, das vom Gericht ausgewählte Empfängerorganisationen bei Projekten, die im Einklang mit den dargelegten Zielen der Verteilung standen, unterstützen sollte. Dem von der LFW hierfür einzurichtenden Committee waren dazu seitens des Gerichts klare Vorgaben gemacht worden und das Gericht behielt es sich vor, zu intervenieren, sollte es den Eindruck haben, die Gelder würden nicht in „innovative, kooperative und nachhaltige Projekte investiert, die Inhaftierten, ehemaligen Inhaftierten und ihren Familien über viele Jahre zugutekommen“. 897 Nachdem am Ende des Anmeldeprozesses noch mehr Gelder übrig waren als ursprünglich vom Gericht geschätzt, hörte es noch weitere mögliche Empfängerorganisationen an, denen es auch teilweise direkt, also außerhalb des Zuschussprogramms, Gelder zusprach. Auch hier machte es aber klare Vorgaben zur Verwendung der Gelder und verpflichtete die Organisationen 894 Zum Tätigkeitsbereich der Organisation siehe https://legalfoundation.org/about/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 895 Wash. Super. Ct. Civ. R. 23(f). 896 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 966 (2015). 897 Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 968 (2015).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
dazu, in jährlichen Berichten darzulegen, wie sie das Geld dazu eingesetzt hatten, die Kommunikation zwischen Häftlingen und ihren Familien zu erleichtern oder die Behandlung von Gefangenen, insbesondere solchen mit psychischen Problemen, die aus dem fehlenden Kontakt zu Außenstehenden resultierten, zu verbessern. 898 Ausgewählt wurden zudem nur Organisationen, die ausschließlich in Washington tätig waren und die sich in der Vergangenheit als verlässlich herausgestellt hatten. 899 Das von der LFW ins Leben gerufene „Prison & Reentry Grant Programm“ unterstützt auch heute noch auf nachhaltige Weise (ehemalige) Gefangene und ihre Familien. Auf der Website des Programms werden in einem jährlichen Bericht die bezuschussten Projekte aufgelistet. Die LFW überprüft nicht nur, ob all dies im Sinne des Urteils geschieht, sondern lässt sich auch regelmäßig die Buchführung der Projektpartner vorlegen. 900 Der Fall kann durchaus als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Cy-PresVerteilung angesehen werden. Ermöglicht wurde das nur dadurch, dass alle Beteiligten ihren jeweiligen Auftrag zur Gänze erfüllt haben. Das beginnt mit dem Gesetzgeber, der durch seine Regelung nicht nur Zweifel über die Angemessenheit und die Verfassungskonformität einer entsprechenden Verteilung ausgeräumt, sondern dem Gericht bereits eine konkrete Einrichtung und eine klare Vorgehensweise an die Hand gegeben hat. Das Gericht hat dies, zugegebenermaßen mit weit überobligatorischem Aufwand, umgesetzt. Mit der zentralen Einbindung der LFW sowohl bei der konkreten Ausführung der Bezuschussung als auch bei der Überwachung des Verteilungsprozesses gelang es ihm, sich selbst ein Stück weit aus der endgültigen Entscheidung und der damit einhergehenden Befangenheit zu lösen und sich damit Raum für seine letzten Endes zentrale Überwachungsfunktion zu schaffen. Das LSF zu guter Letzt, durch den obligatorischen Anteil auf einen soliden finanziellen Boden gestellt, war ob seiner Vorerfahrung und seiner Fachkenntnis auf dem Gebiet der wohltätigen Organisationen bestens dafür aufgestellt, die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen.
VII. Zwischenfazit: Vielfach kritisiert, aber alternativlos? Methoden zur Verteilung übrig gebliebener Gelder im Rahmen der Class Action Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass es wegen der großen Varianz der möglichen Fallkonstellationen schwierig ist, allgemeine Aussagen darüber zu treffen, welche Methode zur Verteilung verbleibender Gelder im An898 899 900
Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 969 (2015). Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 969 (2015). Shiel, 90 Wash. L. Rev. 943, 969 f. (2015).
D. Alternativen zur individuellen Schadensauskehr an die Geschädigten
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schluss an eine Class Action die geeignetste ist. Wie im konkreten Fall die bestmögliche Kompensationswirkung erreicht werden kann, hängt maßgeblich von der jeweiligen Schädigungshandlung und der Zusammensetzung der Gruppe ab. So gibt es durchaus Fälle, in denen eine Fluid-Recovery-Verteilung trotz der oben aufgezeigten Schwächen den meisten Nutzen für die Gruppenmitglieder entfaltet oder aber ein (enmarked) escheat an eine staatliche Einrichtung am meisten Sinn ergibt. Auch eine Rückführung an den Beklagten kann in gewissen Konstellationen, wenn diese auch recht selten sein mögen, angemessen sein. Nun hat sich jedoch die Vorgehensweise auf Bundesebene, den Gerichten dahingehend einen weiten Entscheidungsspielraum einzuräumen, in der Hoffnung, so eine möglichst hohe Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen, als kaum gangbar erwiesen, wie die missbräuchlichen Anwendungsfälle illustrieren. Insofern bedarf es zwingend zumindest grober höchstrichterlicher oder bestenfalls gesetzgeberischer Vorgaben, die zwar die Flexibilität der Gerichte einschränken, zugleich aber eine bessere Handhabbarkeit und effektivere Missbrauchskontrolle ermöglichen. Im Rahmen dieser Vorgaben, aber auch für die gerichtliche Praxis in Ermangelung solcher, empfiehlt sich zweifelsohne eine Fokussierung auf die Cy-Pres-Methode, wie sie aktuell bereits in den meisten Bundesstaaten praktiziert wird. Sie allein ermöglicht die nötige Flexibilität, um den meisten Fallkonstellationen gerecht zu werden und ist zudem sowohl auf übrig gebliebene Gelder im Anschluss an einen bereits abgeschlossenen Verteilungsprozess als auch in Alternative zu einem solchen anwendbar. Um auch in Anwendung dieser Methode missbräuchlichen Einflussnahmen vorzubeugen, sollte sowohl der Kläger, respektive der Gruppenanwalt, als auch der Beklagte weitestgehend aus dem Verteilungsprozess exkludiert und zusätzlich auch die Rolle des Gerichts in diesem Zusammenhang eingeschränkt werden. Die Zwischenschaltung einer neutralen und fachkundigen Einrichtung gewährleistet all dies, wie im Fallbeispiel aus dem Bundesstaat Washington aufgezeigt, und entlastet darüber hinaus noch die Gerichte. Die konkrete Empfängerauswahl einer Cy-Pres-Zuwendung sollte nach hier vertretener Ansicht vorwiegend den größtmöglichen Nutzen für die nicht kompensierten Gruppenmitglieder zum Ziel haben. Zusätzlich oder in Ermangelung einer entsprechenden Institution bietet sich die Begünstigung von Einrichtungen, die sich dem Zugang zum Recht bzw. der Rechtsdurchsetzung generell verschrieben haben, an, zeigt das U.S.-amerikanische Prozesskostenhilfesystem hier doch erhebliche Defizite, die mit dafür ausschlaggebend sind, dass eine individuelle Rechtsdurchsetzung ausbleibt und eine Class Action überhaupt betrieben werden muss. Die abwesenden Gruppenmitglieder profitieren zudem indirekt von einer gesteigerten Rechtsdurchsetzung generell, wenn auch nicht mehr als alle anderen Verbraucher. Es ist mehr als naheliegend, diesen Gedankengang losgelöst von der Class Action auch auf andere kompensatorische Instrumente des kollektiven
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Rechtsschutzes zu übertragen. Nicht verteilbare Gelder zum Zwecke der erweiterten Rechtsdurchsetzung zu verwenden, bietet sich im europäischen Kontext dabei weniger im Sinne einer Prozesskostenhilfe für Bedürftige an, da hier meist bereits entsprechende staatliche Hilfen in Anspruch genommen werden können, sondern vielmehr in Form der Finanzierung der Instrumente selbst. Für die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie eröffnet die Cy-Pres-Methode dabei nicht nur die Möglichkeit, eine in präventiver und kompensatorischer Hinsicht sinnvolle Verwendung der übrigen Gelder sicherzustellen, sondern auch die oben dargelegte Finanzierungsfrage zu lösen. Zu diesem Zwecke wurde die Cy-Pres-Doktrin erstmals im Rahmen der englischen Gruppenklage im Kartellrecht fruchtbar gemacht. Die Darstellung dieser Anwendung erfolgt im folgenden Abschnitt, dem sich ein Vorschlag zur konkreten Implementierung der Methode bei der Umsetzung der Verbandsklagerichtline in Deutschland im vierten und letzten Teil dieser Arbeit anschließt.
E. „Class Action with Brakes“ – Cy Pres im Rahmen der englischen Gruppenklage im Kartellrecht I. Hintergrund, Genese des Instruments Das englische Recht kennt eine Reihe von Kollektivierungsmöglichkeiten. Die große Flexibilität der Gerichte in der Handhabung ihrer Fälle erlaubt ihnen die Aussetzung von Individualverfahren und die Durchführung eines Musterverfahrens, des test case, dessen Ergebnisse sodann Präzedenzwirkung für die gleichgelagerten Fälle entfaltet. Hierfür gibt es keinen gesetzlich vorgegebenen Ablauf, die Ermächtigung zu dieser Vorgehensweise hat aber mittlerweile in Rule 3.1 (2)(f) CPR Niederschlag gefunden. 901 Ähnlich gestaltet es sich mit der in Rule 3.1 (2)(g) CPR eröffneten Möglichkeit der consolidation, die es dem Gericht gestattet, eine Art Streitgenossenschaft anzuordnen und Klagen mehrerer Kläger, die auch als eine einzige Klage hätten erhoben werden können, zusammenzufassen. 902 Alternativ kann das Gericht mehrere ähnliche Klagen auch getrennt fortführen, aber anordnen, diese an einem gemeinsamen Termin zu verhandeln, um Zeit und Ressourcen zu sparen. 903 Ebenfalls alter englischer Rechtstradition entspringt die mittlerweile in Rule 19.6 CPR angelegte representative action, die es einem Kläger oder 901
CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, 25 f. CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, 26 f. 903 Siehe Rule 3.1 (2)(h) CPR; CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, 27 f. 902
E. „Class Action with Brakes“
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einem Beklagten ermöglicht, ein Verfahren als Repräsentant für eine Gruppe von Personen, die dasselbe Interesse wie er an der Klage haben, ohne deren aktives Zutun zu beginnen oder fortzuführen. Hierbei werden die übrigen Gruppenmitglieder zwar nicht Prozessbeteiligte, die Entscheidung des Gerichts entfaltet aber auch für sie bindende Wirkung, 904 wenn sie sich nicht aktiv hiergegen entscheiden. 905 Obgleich damit eine strukturelle Ähnlichkeit zur Class Action in den U.S.A. besteht, spielt die representative action in der englischen Rechtspraxis heute so gut wie keine Rolle. 906 Das liegt vorwiegend an den sehr strengen Anforderungen, die die Gerichte an das Vorliegen einer Interessengleichheit ansetzen. 907 Faktisch müssen die geltend gemachten Ansprüche beinahe identisch sein, was den Anwendungsbereich des Instruments deutlich verkürzt. 908 Im Jahr 2000 wurde zudem in den Rules 19.10–19.15 CPR die sektorenübergreifende Group Litigation Order (GLO) eingeführt. In ihrer Ausrichtung wohl eher auf Massen- als auf Streuschäden zugeschnitten, 909 ermöglicht sie es, Tatsachen- oder Rechtsfragen, die sich in mehreren Verfahren in gleicher oder ähnlicher Weise stellen, in einer gemeinsamen Entscheidung für alle betroffenen Verfahren bindend zu klären. 910 Das Gericht kann eine GLO sowohl vom Amts wegen als auch auf Antrag erlassen, 911 allerdings nur dann, wenn es zu dem Schluss kommt, dass kein anderes Verfahren besser zur Anspruchsdurchsetzung geeignet ist. 912 Zur Streuschadensbekämpfung kann die GLO jedoch kaum beitragen, da Geschädigte, um von der Bindungswirkung zu profitieren, in einem ersten Schritt selbst Klage erheben und sich zusätzlich auch noch in das Gruppenregister der GLO eintragen müssen. 913 Bei Schäden im Bagatellbereich werden dies nur die wenigsten auf sich nehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass im Rahmen der GLO zwar die zuvor festgelegten Rechts- oder Tatsachenfragen für alle registrier904
Rule 19.6 (4)(a) CPR. Irish Shipping Ltd v Commercial Union Assurance Co Plc (The Irish Rowan), [1991] 2 Q.B. 206, 239 ff. 906 CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, 35. 907 Vgl. die Entscheidung zu Emerald Supplies Ltd v British Airways Plc, [2011] Ch. 345. 908 Stadler, ZfPW 2015, 61, 75; Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 29. 909 Hintergrund der Einführung der GLO waren insbesondere verschiedene Transportund Produkthaftungsfälle sowie Umweltverschmutzungen mit erheblichen Personenschäden in den 1980er bis 1990er Jahren, Andrews, English Civil Procedure, S. 975. 910 Rule 19.12 (1)(a) CPR, ausführlich zur Bindungswirkung zudem Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 89 f. 911 Practice Direction 19 B – Group Litigation 3.1; zum Antragsverfahren auch ausführlich Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im englischen und deutschen Zivilprozessrecht, S. 236 f. 912 Practice Direction 19 B – Group Litigation 2.3. 913 Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im englischen und deutschen Zivilprozessrecht, S. 251; siehe auch Blagojevic, Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche mittels Gruppenklage, S. 172. 905
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ten Kläger bindend entschieden werden, es aber zu keiner vollständigen Klärung der Einzelansprüche kommt. 914 Um diese endgültig durchzusetzen, müssen die Individualklagen im Anschluss noch weitergeführt werden. Dieses zweistufige Konzept scheitert, wie in dieser Arbeit bereits im Rahmen der Erörterung der deutschen Musterfeststellungsklage aufgezeigt, im Streuschadensbereich an der rationalen Passivität der Geschädigten. Mit dem Enterprise Act von 2002 wurde sektorspezifisch für das Kartellrecht eine Verbandsklage auf Schadensersatz vor dem Competition Appeal Tribunal (CAT) in die Sec. 47A und B des Competition Act 1998 eingefügt. Diese bildete den Vorläufer für die durch den Consumer Rights Act 2015 implementierte Gruppenklage auf diesem Gebiet, hatte mit der heutigen Ausformung des Instruments aber nur wenig gemein und entfaltete so gut wie keine praktische Relevanz. Die Verbandsklage konnte grundsätzlich nur im Anschluss an einen behördlich festgestellten Kartellrechtsverstoß erhoben werden 915 und lediglich ein einziger Verband, die Verbrauchervereinigung „Which?“, war klagebefugt. 916 Bis 2015 wurde genau eine Klage von diesem Verband eingereicht, in deren Verlauf die Hauptunzulänglichkeit des Instituts, das Erfordernis eines aktiven Beitritts durch die Geschädigten, in bemerkenswerter Weise illustriert wurde. Dem Fall The Consumers’ Association v. JJB Sport PLC 917 lag eine behördlich festgestellte Kartellabsprache auf dem Markt für Fußballtrikots der englischen Nationalmannschaft und des Clubs Manchester United zugrunde. „Which?“ erhob Schadensersatzklage und erzielte einen Vergleich, indem sich der Beklagte dazu verpflichtete, £ 20 Entschädigung für jedes im betroffenen Zeitraum von 2000 bis 2001 erworbene Trikot zu entrichten. Wirkung entfaltete der Vergleich jedoch, der damaligen Konzeption dieses Systems entsprechend, nur für Geschädigte, die dem Verfahren aktiv beigetreten waren. 918 Obgleich der Verband erhebliche Anstrengungen unternommen hatte, um die Geschädigten zu einem Opt-In zu bewegen, taten dies nur etwa 0,1 % der Betroffenen. 919 Die im Ergebnis vom Beklagten ausgezahlte Summe war so marginal, dass „Which?“ im Anschluss an das Verfahren erklärte, keine weiteren Klagen 914 Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im englischen und deutschen Zivilprozessrecht, S. 249. 915 Kellaway/Thompson/Brown/Simor/Gibson/Silverstone/Davies/Farell, UK Competiton Law, S. 202 ff. 916 Specified Body (Consumer Claims) Order 2005, SI 2005/2365. 917 Consumers’ Association v JJB Sports Plc, [2009] Comp. A.R. 117. 918 Sec. 47 B (3) stellte in der damaligen Fassung deutlich klar: „[…] such a claim may only be made or continued in the proceedings with the consent of the individual concerned“. 919 Die Anzahl der Personen, die der Klage beigetreten waren, variiert hier innerhalb der verschiedenen Quellen zwischen 130 und 550. Higgins, 79 MLR 442, 446 (2016) nennt 130; Mulheron, Reform of Collective Redress, S. 38 spricht von 144; Bass/Henderson, 6 JECLAP 716, 717 (2015) beziehen sich auf eine Quelle aus der Zeitung „The Guardian“ und sprechen von 550.
E. „Class Action with Brakes“
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mehr im Rahmen dieses Instituts erheben zu wollen und vom Gesetzgeber offen ein Umschwenken auf ein Opt-Out-System verlangte. 920 Mit dieser Forderung war die Organisation keineswegs allein. Bereits 2008 empfahl der Civil Justice Council (CJC) dem Lord Chancellor, gestützt auf eine ausführliche Analyse der bis dato zur Verfügung stehenden kollektiven Rechtschutzinstrumente, die Einführung eines flexibleren Instruments, das nach Wahl des Gerichtes auch in einem Opt-Out-Verfahren durchgeführt werden kann. 921 Hierauf aufbauend begann das Department of Business, Innovation and Skills im Jahr 2012 eine Konsultation über die Erweiterung der kollektiven Rechtsschutzinstrumente, 922 die 2014 in einem konkreten Gesetzgebungsvorschlag mündete. 923 Durch den 2015 erlassenen Consumer Rights Act wurde die Verbandsklage sodann umfassend reformiert. Das nun in den Sections 47A-C Competition Act und ergänzend hierzu in den Rules 73 ff. Competition Appeal Tribunal Rules 2015/1648 (CATR) 924 geregelte Verfahren hat nicht mehr viel mit seiner ursprünglichen Form gemein. Klagebefugt sind nun neben Verbänden auch die Geschädigten selbst, 925 Verfahren können ohne vorangegangene behördliche Feststellung eines Kartellrechtsvorstoßes (Stand-Alone) betrieben werden, und das Gericht hat die Möglichkeit, nicht nur einen aktiven, sondern auch einen passiven Verfahrensbeitritt in Form eines Opt-Out-Verfahrens zu genehmigen. 926 All diese Maßnahmen entwickelten das Instrument weg von der eingeschränkten Verbandsklage hin zu einer sektorspezifischen Gruppenklage nach Vorbild der U.S. Class Action. Der englische Gesetzgeber war jedoch bemüht, gewisse Safeguards in das System einzuführen, die eine exzessive Klagekultur nach amerikanischem Vorbild vermeiden sollen. 927 Zu diesem Zweck werden erhöhte Anforderungen an den Repräsentanten sowie an einen Vergleichsschluss gestellt, das Zulassungsverfahren wurde zur Aussonderung unberechtigter und erpresserischer Klagen gestärkt und dem Gruppenanwalt wurde es untersagt, ein Erfolgshonorar für sein Tätigwerden zu erlangen. Aufgegriffen wurden dabei insbesondere Erfahrungen aus Kanada und Australien, deren Gruppenklagen ebenfalls Weiterentwicklungen der U.S. Class Mulheron, Reform of Collective Redress, S. 41. CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, S. 15, dort insbesondere auch Recommendation 3, S. 130 ff. 922 BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012. 923 BIS 14/556, Consumer Rights Bill: Statement on Policy Reform and Responses to Pre-Legislative Scrutiny, Januar 2014. 924 Die Regelungen der Sections 47A-C Competition Act sowie die in dieser Arbeit zitierten Vorschriften der Rules 73 ff. Competition Appeal Tribunal Rules finden sich in den Anlagen. 925 Vgl. Section 47B (8) Competition Act; Rule 78 CATR. 926 Vgl. Section 47B (10) (11) Competition Act; Rule 79 (3) CATR. 927 Higgins, 79 MLR 442, 443 f. (2016); Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 821 (2017) bezeichnet das Verfahren auch als „Class Action with brakes“. 920 921
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Action darstellen. 928 Die neue kartellrechtliche Gruppenklage wird von einigen Autoren daher auch als „Class Action der dritten Generation“ bezeichnet. 929
II. Das Verfahren im Überblick Bereits bei der Ausgestaltung der Klagebefugnis wird die Konzeption einer breit aufgestellten Gruppenklage mit Schranken zur Verhinderung von missbräuchlichem Verhalten deutlich. Auf der einen Seite ist die Klagebefugnis sehr weit gefasst. Klagevertreter bzw. Repräsentant kann sowohl ein Geschädigter, also ein Mitglied der Gruppe selbst sein, als auch ein „ideeller Kläger“ 930, der nicht der Gruppe angehört, 931 was vorwiegend Verbänden die Möglichkeit zur Klage eröffnet. Auf der anderen Seite verlangt das Gesetz vom Gericht anhand mannigfaltiger, im Vergleich zur U.S. Class Action angehobener Kriterien zu überprüfen, ob der Repräsentant auch dazu geeignet ist, diese Rolle angemessen auszufüllen. 932 Zu berücksichtigen hat es hierbei insbesondere, ob zwischen ihm und den Mitgliedern der Gruppe ein Interessenkonflikt besteht, 933 ob er angemessen auf die Durchführung eines so komplexen Verfahrens vorbereitet ist 934 und ob er über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, um bei Unterliegen die Kosten des Beklagten erstatten zu können. 935 Letztgenannte Notwendigkeit ist besonders hervorzuheben, unterstreicht sie doch die im Rahmen dieses Instruments vom englischen Gesetzgeber getroffene Entscheidung, die Gruppenmitglieder nicht mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, und ruft zugleich einen erheblichen Finanzierungsbedarf seitens des Repräsentanten hervor, auf den an späterer Stelle noch vertieft eingegangen wird. 936 Dreh- und Angelpunkt der Gruppenklage ist die Zulassungsentscheidung, collective proceedings order, deren Umfang und Bedeutung noch über die der certification order im Rahmen der U.S. Class Action hinaus geht. In ihr entscheidet das CAT nicht nur anhand verschiedenster Voraussetzungen und Kriterien, ob die Klage vom Repräsentanten als Gruppenklage geführt werden darf, sondern darüber hinaus, ob die Gruppe mittels eines Opt-In- oder eines Opt-Out-Verfahrens gebildet wird. Dass die Zulassungsentscheidung damit zum „chief battelground“ 937 für das Verfahren werden wird, war be928 929 930 931 932 933 934 935 936 937
Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 842 (2017). Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 842 (2017). Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 827 ff. (2017). Rule 78 (1) CATR. Siehe Rule 78 (1)(b), (2), (3) CATR. Rule 78 (2)(b) CATR. Rule 78 (3)(c) CATR. Rule 78 (2)(d) CATR. Hierzu Teil 3 – E.III. Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 821 (2017).
E. „Class Action with Brakes“
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reits vor Erhebung der ersten Klage unter diesem Regime abzusehen, geht aber auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurück. Bereits der Vorschlag des CJC aus dem Jahre 2008 enthielt einen strengen Zulassungsprozess zur frühzeitigen Abwehr unberechtigter Ansprüche und als wichtigste Maßnahme zur Verhinderung einer exzessiven Klagekultur. 938 In ihren Grundsätzen gleichen die Voraussetzungen für die collective proceedings order denen, die auch die Rule 23 Fed. R. Civ. P. an die Erhebung der U.S. Class Action stellt, in manchen Punkten gehen die englischen Regelungen jedoch über die des amerikanischen Vorbildes hinaus bzw. definieren präzisere Anforderungen. Neben der Grundvoraussetzung, dass lediglich kartellrechtliche Ansprüche im Rahmen der Gruppenklage geltend gemacht werden können, 939 bedarf es der Existenz einer identifizierbaren Gruppe 940 und das Gericht ist, ähnlich der amerikanischen Numerosity-Voraussetzung dazu angehalten, die Anzahl der potentiellen Gruppenmitglieder bei der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen. 941 Rule 79 CATR i. V. m. Section 47B (6) Competition Act stellen zudem ein dem amerikanischen Pendant weitestgehend entsprechendes Commonaltiy-Erfordernis auf, indem verlangt wird, dass den geltend gemachten Ansprüchen gleiche, ähnliche oder verwandte Sach- oder Rechtsfragen zugrunde liegen. Und auch die aus der amerikanischen Class Action auf Schadensersatz bekannte Superiority-Prüfung fand ihren Niederschlag in den Regelungen der englischen Gruppenklage. So ist das Gericht zum einen angehalten festzustellen, ob ein kollektives Verfahren generell ein geeignetes Mittel zur gerechten und effizienten Lösung der gemeinsamen Fragen ist, 942 und soll zudem explizit die Verfügbarkeit anderer alternativer Streitbeilegungsmethoden für die in Frage stehenden Streitgegenstände berücksichtigen. 943 Wie vertieft das Gericht im Rahmen der Zulassungsentscheidung prüfen und Beweise erheben muss und insbesondere, in welchem Umfang hierbei die Erfolgsaussichten der geltend gemachten Ansprüche zu berücksichtigen sind, ist seit der Novellierung des Instruments im Jahr 2015 umstritten. Einige Formulierungen in den einschlägigen Normen sprechen dafür, dass das Gericht die Erfolgsaussichten bereits im Rahmen der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen hat. So verlangt Rule 75 (2)(h) CATR, dass der Repräsentant der Ansicht ist, dass die Ansprüche, die durch die Gruppenklage geltend gemacht werden sollen, eine realistische Aussicht auf Erfolg haben. Zudem soll das Gericht bei der Entscheidung, ob es die Klage in einem Opt938 CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, Recommendation 4, S. 136 ff.; Mulheron, 37 Oxford J. Legal Stud. 814, 821 (2017). 939 Section 47A (2) Competition Act. 940 Rule 79 (1)(a) CATR. 941 Rule 79 (2)(d) CATR. 942 Rule 79 (2)(a) CATR. 943 Rule 79 (2)(g) CATR.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
In- oder einem Opt-Out-Verfahren zulässt, die „Stärke der geltend gemachten Ansprüche“ berücksichtigen. 944 Entgegen dieser Anhaltspunkte in den Gesetzestexten merkte das CAT in seiner ersten Zulassungsentscheidung unter dem novellierten Klageregime jedoch an, es wolle gerade keine ausufernden und vorgreifenden Erörterungen im Rahmen der Zulassungsentscheidung vornehmen, sondern sich eher auf die prozessualen Voraussetzungen und eine Art Evidenzkontrolle beschränken. 945 Angesichts der Tatsache, dass das Verfahren, in dem das CAT dieses Aussage getroffen hatte, Gibson v Pride Mobility Products Ltd, 946 letztendlich an den Hürden der Zulassung scheiterte und das Gericht auch in seinem zweiten, bislang am weitesten fortgeschrittenen Verfahren eine eher restriktive Auslegung vertrat, wird man diese Aussage relativieren müssen. In dem viel beachteten zweiten Verfahren Merricks v. Mastercard 947 waren es letzten Endes die Berufungsinstanz und der Supreme Court, die die strengen Anforderungen des CAT an die Zulassungsentscheidung lockerten. 948 In den bisherigen Verfahren 949 ergaben sich zudem Probleme um die Bildung der sog. „aggregate damages“, also der Gesamtschadenssumme der Gruppe. Im Gegensatz zu den U.S.A. 950 ist die Möglichkeit der Bildung derselben gesetzlich vorgesehen und wird bei der Zulassung der Klage sogar positiv berücksichtigt. 951 Streitpunkte gingen jedoch aus den Anforderungen an das Expertengutachten, das zur Begründung der Schadenssumme eingeholt wurde, 952 und der Frage, ob absehbare Schwierigkeiten in der Aufteilung der Gesamtschadenssumme bereits in der Zulassungsentscheidung berücksichtigt werden müssen, hervor. 953 Ein wichtiger Teil der Zulassungsentscheidung ist, wie eingangs angesprochen, die Frage, ob die Gruppe mittels eines Opt-In- oder einer Opt-OutVerfahrens gebildet werden soll. Bei der Entscheidung hierüber hat das Gericht neben der bereits erwähnten „Stärke der geltend gemachten Ansprüche“ zu prüfen, welches Verfahren unter Berücksichtigung aller Umstände, 944
Rule 79 (3)(a) CATR. Gibson v Pride Mobility Products Ltd, [2017] 4 C.M.L.R. 33, 1429, 1461. 946 Gibson v Pride Mobility Products Ltd, [2017] 4 C.M.L.R. 33, 1429. 947 Merricks v Mastercard Inc, [2017] 5 C.M.L.R. 16, 614. 948 Merricks v Mastercard Inc, [2019] Bus. L.R. 3025; Mastercard Inc v Merricks, [2021] Bus. L.R. 25. 949 Alle laufenden und bereites beendeten Verfahren finden sich unter https://www. catribunal.org.uk/cases?form_build_id=form-B7M0R_nP6oL_emz7fuyjO7OodXLmRzz YlAXU6rHKOCA&form_id=elasticsearch_cases_search_form&query=&type%5BSec tion+47B+Competition+Act+1998+%28Collective+Proceedings%29 %5D=Section+47B +Competition+Act+1998+%28Collective+Proceedings%29&start_year=&end_year= &op=Search [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 950 Hierzu Teil 3 – C.III.4. Teil 3 – D.V. 951 Section 47C (2) Competition Act; Rule 79 (2)(f) CATR. 952 Gibson v Pride Mobility Products Ltd, [2017] 4 C.M.L.R. 33, 1429, 1456 ff. 953 Merricks v Mastercard Inc, [2017] 5 C.M.L.R. 16, 614, 637 ff.; Merricks v Mastercard Inc, [2019] Bus. L.R. 3025, 3049 ff.; Mastercard Inc v Merricks, [2021] Bus. L.R. 25, 43 ff. 945
E. „Class Action with Brakes“
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einschließlich der geschätzten Höhe des individuellen Schadensersatzes der Mitglieder, praktikabler ist. 954 Ausgangspunkt für diese Entscheidung ist jeweils der Zulassungsantrag des Repräsentanten, in dem dieser eine der beiden Verfahrensarten beantragen und seine Wahl begründen muss. 955 Das Gericht ist dazu angehalten, genau zu überprüfen, ob nicht auch ein OptIn-Verfahren möglich wäre, bevor es ein Opt-Out-Verfahren zulässt. 956 Gerade für Fälle mit geringen Schadenshöhen und einer Vielzahl von nicht einfach zu identifizierenden Geschädigten soll aber die Opt-Out-Verfahrensweise in Betracht kommen. 957 Weder für die Schadenshöhe noch für die Anzahl der Geschädigten gibt es insoweit konkrete Grenzwerte, diese werden sich wohl erst im Laufe der Rechtsprechungspraxis entwickeln. Bezüglich der „Stärke der geltend gemachten Ansprüche“ merkt der Guide to Proceedings, eine Art Handreichung für Richter, an, dass die geltend gemachten Ansprüche angesichts der Kosten und Risiken eines Opt-Out-Verfahrens eine deutlichere Aussicht auf Erfolg haben sollten, wenn sie in dieser Verfahrensweise geltend gemacht werden. Explizit wird darauf hingewiesen, dass sich insoweit insbesondere Follow-on-Klagen für Opt-Out-Verfahren eignen. 958 Ist die Klage einmal zugelassen, so hat der Gruppenrepräsentant ein Register anzulegen, in das, abhängig von der Verfahrensweise, die Mitglieder eingetragen werden, die der Klage beigetreten sind bzw. die ihren Austritt erklärt haben. 959 Die Zulassungsentscheidung und viele weitere wichtige Eckpunkte des Verfahrens werden zudem von einem umfangreichen Benachrichtigungsprozess begleitet, der jedoch weniger förmlich ist als der der U.S. Class Action und dessen Ausgestaltung in weiten Teilen im Ermessen des Gerichts liegt. 960 Endet die Gruppenklage mit einem Urteil, so bindet dies je nach Verfahrensart alle Geschädigten, die der Klage beigetreten bzw. aus ihr nicht ausgetreten sind. 961 Parallel zu den Regelungen in der Verbandsklagerichtlinie werden Geschädigte außerhalb des Vereinigten Königreichs nur von der Bindungswirkung umfasst, wenn sie dem Verfahren aktiv beitreten. 962 Ein besonderer Fokus der Novellierung im Jahr 2015 lag zudem auf der För954
Rule 79 (3)(b) CATR. Rule 75 (2)(f) CATR; CAT, Guide to Proceedings 6.38. 956 CAT, Guide to Proceedings 6.39. 957 CAT, Guide to Proceedings 6.39. 958 CAT, Guide to Proceedings 6.39. 959 Rule 83 CATR. 960 Vgl. hierzu zur Benachrichtigung über die Zulassungsentscheidung Rule 81 CATR; zur Benachrichtigung über ein Urteil und erlassene Anordnungen Rule 91 (2) CATR; zur Benachrichtigung über die Verteilung der Schadenssumme Rule 92 (3) CATR; und zur Benachrichtigung über einen Vergleich Rule 94 (13) CATR bzw. Rule 97 (10) CATR. 961 Section 47B (12) Competition Act. 962 Section 47B (11)(b) Competition Act. 955
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derung und der Kontrolle einvernehmlicher Streitbeilegungen, weshalb die gesetzlichen Regelungen zur Beendigung des Verfahrens durch einen Vergleich sehr detailliert und umfangreich ausfallen. Das gilt jedoch nur für Vergleiche, die im Rahmen eines Opt-Out-Verfahrens abgeschlossen werden. Wurde die Gruppe mittels eines Opt-In-Verfahrens gebildet, so bedarf der Vergleich keiner gerichtlichen Genehmigung, soweit er nicht vor Ablauf der in der Zulassungsentscheidung für den Beitritt gesetzten Frist geschlossen wird. 963 Vergleiche mit im Opt-Out-Verfahren gebildeten Gruppen bedürfen dagegen stets einer gerichtlichen Genehmigung. 964 Ähnlich wie im Rahmen der U.S. Class Action muss dem Gericht hierfür ein umfassender und ausführlicher Vergleichsvorschlag vorgelegt werden, welcher vom Gericht im Anschluss daraufhin überprüft wird, ob er gerecht und nachvollziehbar ist. 965 Das Gericht hält hierzu eine gesonderte Anhörung ab und ist gesetzlich dazu angehalten eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen. 966 Parallel zur U.S. Class Action auf Schadensersatz kann das Gericht den Gruppenmitgliedern nach Mitteilung des Vergleichsinhalts eine erneute Möglichkeit zum Opt-Out einräumen. 967 Ein Vergleich ist im Rahmen der englischen Gruppenklage zudem auch außerhalb eines streitigen Verfahrens möglich. Obgleich es auch in den U.S.A. unter dem Begriff der settlement Class Actions bereits gelebte Praxis ist, sich vor der formellen Klageerhebung auf einen Vergleich zu einigen, sieht Rule 23 Fed. R. Civ. P. hierfür kein gesondertes Verfahren vor. Im Gegensatz dazu können die Parteien im Verfahren vor dem CAT auch initial ohne vorangegangene Klageerhebung eine sogenannte collective settlement order (CSO) beantragen, indem sie dem Gericht einen Vergleichsvorschlag vorlegen. Das Gericht prüft sodann im Rahmen der CSO dieselben Voraussetzungen, die es auch bei einem regulären Zulassungsverfahren zu prüfen hätte. 968 Im Anschluss hieran kann von beiden Parteien gemeinsam eine collective settlement approval order (CSAO) beantragt werden, die das Gericht nach Prüfung des Vergleichs erlässt. Die Kriterien dieser Prüfung entsprechen dabei wiederum in großen Teilen denen, die auch an einen Vergleich in einem anhängigen Verfahren angelegt werden. 969
Rule 95 CATR; CAT, Guide to Proceedings 6.95. Rule 94 (1) CATR. 965 Rule 94 (8) CATR. 966 Rule 94 (8), (9) CATR. 967 Rule 94 (10) CATR. 968 Vgl. Rule 96 (6)(b) CATR; CAT, Guide to Proceedings 6.103. 969 Vgl. Rule 97 CATR; auf die Unterschiede eingehend: CAT, Guide to Proceedings 6.113 ff. 963 964
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III. Cy-Pres-Verteilung und Finanzierungsmöglichkeiten Die Kombination einer Opt-Out-Verfahrensgestaltung mit der explizit zugelassenen Möglichkeit, für die Gruppe eine Gesamtschadenssumme zu bilden, wirft unweigerlich die Frage auf, wie mit Geldern verfahren werden soll, die nicht an die Geschädigten verteilt werden können. Im Gegensatz zur Rule 23 Fed. R. Civ. P. greifen die Normen zur englischen Gruppenklage diese Problematik explizit auf. Bleiben im Anschluss an ein das Verfahren beendende Urteil Gelder übrig, so hat der Repräsentant das Gericht hierüber zu informieren, 970 woraufhin dieses zwei Möglichkeiten hat, mit den Geldern zu verfahren. Zum einen kann es sie gemäß Section 47C (5) Competition Act i. V. m. Rule 93 (6) CATR 971 an die Acess to Justice Foundation 972 abführen, eine Organisation, die Projekte zur Erleichterung des Rechtszugangs für Bedürftige fördert, durchführt und unterstützt. 973 Zum anderen, und hierauf wird sogleich noch vertieft eingegangen, kann es sämtliche übrigen Gelder, oder einen Teil davon, gemäß Section 47C (6) Competition Act i. V. m. Rule 93 (4) und (5) CATR dem Repräsentanten als Ersatz für seine Kosten und Auslagen zusprechen. Wird das Verfahren dagegen durch einen genehmigungsbedürftigen Vergleich beendet, so ist das Gericht in seiner Entscheidung, welche Art der Verteilung es hier als gerecht und angemessen ansieht, deutlich freier. Es hat die Verteilung der nicht beanspruchten Gelder zwar als einen von mehreren Faktoren bei seiner Genehmigungsentscheidung zu berücksichtigen, Rule 94 (9)(g) bzw. Rule 97 (7)(g) CATR machen diesbezüglich allerdings einzig und allein die Vorgabe, dass es nicht bereits per se als unangemessen angesehen werden kann, wenn die übrigen Gelder an den Beklagten zurückgeführt werden sollen. Die Regelung bezweckt dabei jedoch mitnichten die Rückführung an den Beklagten als Regelfall zu konstituieren, im Gegenteil, das Gericht ist dazu angehalten, Vergleiche, die eine Rückführung vorsehen, aufmerksam auf ihre Angemessenheit hin zu kontrollieren. 974 Die explizite Erwähnung dieser Methode drückt nur den weiten Spielraum aus, den die Parteien bei der Vereinbarung und das Gericht bei der Genehmigung haben. Es ist damit grundsätzlich möglich, jedwede Vereinbarung zur Verwendung der Gelder zu treffen, soweit diese im konkreten Fall angemessen ist. Es kann wohl angenommen werden, dass viele Parteien, um sicherzustellen, dass ihr Vergleich durch das Gericht genehmigt wird, einfach die Acess to Justice Foundation als begünstigte Organisation auswählen werden. Diese
970 971 972 973 974
Rule 93 (3)(b) CATR. I.V.m. Section 194 (8) Legal Services Act 2007 und Order 2008, SI 2008 No. 2680. https://atjf.org.uk/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. Siehe ausführlich https://atjf.org.uk/impact [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. CAT, Guide to Proceedings 6.125.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Wahl wird ein Gericht wohl nur unter besonderen Umständen als unangemessen bewerten können. 975 Die Frage, wie übrige Gelder verteilt werden sollen, wurde während des gesamten Novellierungsprozesses ausführlich diskutiert. Bereits der CJC widmete sich ihr in seinem Entwurf aus dem Jahr 2008 und empfahl die Verteilung und Verwaltung der Gelder nicht frei dem Gericht zu überlassen, sondern hierfür einen Treuhänder einzusetzen. Dieser sollte die Gelder einen angemessenen Zeitraum vorhalten und dann nach allgemeinen Treuhandrechtsprinzipien verwenden, indem er sie beispielsweise an eine Stiftung oder einen trust überträgt. In einer Fußnote wurde hier bereits die Acess to Justice Foundation als möglicher Empfänger erwähnt. 976 Auch der Konsultationsentwurf des Department of Business, Innovation and Skills aus dem Jahr 2012 beschäftigte sich vertieft mit den Verteilungsmöglichkeiten und erörterte hierbei Vor- und Nachteile sämtlicher alternativer Verteilungsmethoden. 977 Basierend auf Erfahrungen aus den U.S.A., Kanada und Australien hob das BIS die Vorteile einer Ausschüttung an eine gesetzlich festgelegte Institution gegenüber einer freien Cy-Pres-Anwendung hervor und verwies auf die auch im Rahmen dieser Arbeit aufgewiesenen Schwächen der anderen Verteilungsmethoden. 978 Im Ergebnis sah der Entwurf entsprechend der heute geltenden Regelung eine Ausschüttung an die Acess to Justice Foundation vor, und ließ dem Gericht einen weiteren Spielraum bezüglich der Vergleichsgenehmigung. 979 Die Antworten der Konsultanten hierauf waren durchaus vermischt, unterstützten in der Mehrheit aber diesen Vorschlag. 980 Der Entscheidung, eine Organisation zu unterstützen, die Bedürftigen den Zugang zum Recht erleichtert, lag dabei derselbe Gedankengang zugrunde, der auch in den U.S.-Bundesstaaten immer wieder zur Begründung dieser Empfängerauswahl herangezogen wurde: „Da ein Hauptzweck der Einführung einer Sammelklagen darin besteht, einen besseren Zugang zum Recht zu eröffnen, entspricht ein solcher Empfänger den allgemeinen Zielen von Sammelklagen insgesamt, auch wenn die Auswahl nicht die Begebenheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen vermag.“ 981 CAT, Guide to Proceedings 6.125. CJC, Improving Access to Justice through Collective Actions, S. 158 (Recommendation 10). 977 BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012, S. 58 ff. 978 BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012, S. 58 ff., siehe zu den Verteilungsmethoden im Kontext der U.S. Class Action Teil 3 – D. 979 BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012, S. 62. 980 BIS 13/501, Private Actions in Competition Law: A consultation on options for reform – government response, January 2013, S. 38. 981 BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012, S. 61. 975 976
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Neben dieser nachvollziehbaren und mit den oben zum U.S.-Recht ausgeführten Erkenntnissen weitestgehend übereinstimmenden Verteilungsmethode 982 erscheint die Alternativmöglichkeit, die übrigen Gelder ganz oder teilweise dem Repräsentanten als Ersatz für seine Kosten und Auslagen zuzusprechen, zunächst als eine Art Fremdkörper. Erklären lässt sich diese durch Section 47C (6) Competition Act eröffnete Option lediglich vor dem Hintergrund der intensiven Diskussionen, die schon im Vorfeld um die Finanzierungsmöglichkeiten der Opt-Out-Gruppenklage geführt wurden. Im Gegensatz zu den U.S.A., insofern aber parallel zu den Vorgaben der europäischen Verbandsklagerichtlinie, gilt auch im Regime der novellierten englischen Gruppenklage im Kartellrecht die loser-pays rule. Hieraus hervorgehend stellte sich bereits von Konzeptionsbeginn an die Frage, wer für die Kosten aufkommen sollte, wenn die Klage abgewiesen oder nicht zugelassen werden würde. Ebenfalls im Einklang mit den Vorgaben der Verbandsrichtlinie und zudem mit den meisten anderen Gruppenklagen im Commonwealth 983 wollte auch der englische Gesetzgeber die Gruppenmitglieder, die ohne ihr Zutun und teilweise sogar ohne ihr Wissen an der Klage beteiligt werden, nicht mit einem möglichen Prozesskostenrisiko belasten und zieht daher den Gruppenrepräsentanten im Falle eines Unterliegens zur Tragung sowohl seiner eigener, als auch der Kosten des Beklagten heran. 984 Daraus resultiert allerdings unweigerlich die Frage, warum ein Repräsentant, wenn es sich nicht gerade um eine finanziell gut ausgestattete wohltätige Organisation handelt, dieses Risiko auf sich nehmen sollte. Diese stellt sich grundsätzlich auch in den U.S.A. im Rahmen der U.S. Class Action, wenn auch hier aufgrund der American Rule nur beschränkt auf die eigenen Kosten des Repräsentanten. Die amerikanische Lösung hierfür wurde oben bereits hinreichend erläutert. Treibende Kraft hinter beinahe allen Class Actions ist nicht der jeweilige Gruppenrepräsentant, sondern der Gruppenanwalt. Er übernimmt die Prozessfinanzierung und trägt damit das Kostenrisiko. Als Ausgleich hierfür erhält er ein meist anteilig an der Höhe des Gesamtschadensersatzes berechnetes Erfolgshonorar. Im Rahmen der englischen Gruppenklage jedoch hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen diese Art der Finanzierung entschieden und ein am Schadensersatz orientiertes Erfolgshonorar für Opt-Out-Verfahren gesetzlich ausgeschlossen. 985 Hintergrund dieser kontrovers diskutierten Entscheidung war es, eine weitere Sicherungsmaßnahme gegen eine „amerikanische Klageindustrie“ zu schaffen und dem nicht selten zu Tage getretenen missbräuchlichen Verhalten mancher U.S.-amerikanischen Rechtsanwälte vor982 983 984 985
Vgl. Teil 3 – D.VII. Higgins, 79 MLR 442, 458 (2016). Rule 98 CATR. Section 47C (8) Competition Act.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
zubeugen. 986 Dadurch entstand jedoch eine Finanzierungslücke, die der englische Gesetzgeber versucht hat durch Section 47C (6) Competition Act zu schließen. Um den Bedeutungsgehalt der Norm vollständig zu erfassen muss noch erwähnt werden, dass im Laufe des Novellierungsprozesses neben dem Verbot eines Erfolgshonorars für die Gruppenanwälte noch angedacht war, auch die Beteiligung externer Prozessfinanzierer zu unterbinden, 987 dieses Vorhaben jedoch wieder aufgegeben wurde, da man hierdurch eine zu starke Hemmung der Klageaktivitäten befürchtete. 988 Doch auch ein Prozessfinanzierer ist nur gewillt das Kostenrisiko zu tragen, wenn für ihn die Möglichkeit besteht, mit der Finanzierung einen Gewinn zu erzielen. Da er aber in keiner vertraglichen Beziehung zu den Gruppenmitgliedern steht und somit, in Ermangelung einer mit der U.S.-amerikanischen Common-Fund-Doktrin vergleichbaren Möglichkeit, allein mit dem Repräsentanten eine Vergütung für die Kostenübernahme vereinbaren kann, erlaubt es Section 47C (6) Competition Act dem Gericht, diese Vergütung als Auslage des Repräsentanten einzustufen und den Prozessfinanzierer damit im Ergebnis aus den nicht beanspruchten Geldern der Gruppenmitglieder zu entlohnen. 989 Diese, auf den ersten Blick eventuell als tragbar erscheinende, Vorgehensweise entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als sehr problematisch, führt sie doch zu einem unvermeidbaren Interessenkonflikt zwischen dem Prozessfinanzierer und den Gruppenmitgliedern. 990 Während Letzteren daran gelegen ist, möglichst eine Aufteilung der gesamten Schadenssumme zu erreichen, kann der Prozessfinanzierer seine Erfolgsbeteiligung nur erhalten, wenn Gelder, die nicht verteilt werden konnten, übrig bleiben. Es ist insofern nicht auszuschließen, dass der Prozessfinanzierer zumindest versucht Einfluss auf den Gruppenrepräsentanten auszuüben, um zu erreichen, dass nicht die gesamte Schadenssumme verteilt wird. Zwar untersteht der Verteilungsprozess an sich gem. Rule 93 CATR der Kontrolle des Gerichts, welches insoweit an dieser Stelle einer missbräuchlichen Einflussnahme vorbeugen kann, 991 die Weichen dafür, ob später Gelder übrig bleiben, werden jedoch schon deutlich früher im Prozess gestellt, beispielsweise bei Fragen der Gruppendefinition oder den Modalitäten der Benachrichtigung. Das Risiko besteht durchaus, dass auf Druck des Prozessfinanzierers die Gruppe
986 BIS 13/501, Private Actions in Competition Law: A consultation on options for reform – government response, January 2013, S. 41; BIS 12/742, Private Actions in Competition Law: a Consultation on Options for Reform, April 2012, S. 57. 987 Rodger, 3 J. Antitrust Enf. 258, 282 (2015). 988 Rodger, 3 J. Antitrust Enf. 258, 282 (2015). 989 Mulheron, 131 LQR 291, 308 (2015). Diese Auslegung der Norm war bei weitem nicht unumstritten, wurde aber mittlerweile durch das CAT bestätigt, Merricks v Mastercard Inc, [2017] 5 C.M.L.R. 16, 641 ff. 990 Hierauf vertieft eingehend Higgins, 79 MLR 442, 460 ff. (2016). 991 So argumentiert Mulheron, 131 LQR 291, 309 (2015).
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weiter gefasst wird oder sogar der individuelle Schadensbetrag geringer kalkuliert wird, um einer hohen Anspruchsanmeldung vorzubeugen. Auch im direkten Vergleich mit der U.S. Class Action muss das englische Finanzierungsmodell kritisch betrachtet werden. Wie oben dargestellt, gibt es in der U.S.-Literatur in jüngerer Zeit vermehrt Stimmen, die fordern, das Honorar des Gruppenanwalts nur an der Summe zu bemessen, die auch tatsächlich an die Gruppenmitglieder verteilt wurde, um so einen Interessengleichlauf zwischen Anwalt und Gruppe zu garantieren. 992 Der englische Gesetzgeber, der bei der Novellierung der Klage so darauf bedacht war, amerikanischen Verhältnissen vorzubeugen, scheint diese Strömungen, und insbesondere die ihr zugrundeliegenden Erkenntnisse, bei seiner Analyse nicht ausreichend beachtet zu haben. Zwar wurde der Vorschlag in der vorliegenden Arbeit aufgrund der indirekten Kompensationswirkung einer (angemessenen) Cy-Pres-Verteilung kritisch betrachtet, dies führt jedoch nicht zu einer Befürwortung der englischen Vorgehensweise, nutzt der Gewinn eines kommerziellen Prozessfinanzierers den Gruppenmitgliedern, die ihre Entschädigung nicht beansprucht haben, doch recht wenig. Obgleich eine ertragreiche Prozessfinanzierung zweifelsohne in gewisser Hinsicht auf Dauer zu einer breiteren Rechtsdurchsetzung führt, darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass die häufig am Kapitalmarkt orientierten Finanzierer selbstverständlich auch Teile ihrer Gewinne abführen bzw. ausschütten müssen, und damit bei weitem nicht der gesamte Ertrag in eine Finanzierung neuer Klagen fließt. Das Defizit in der kompensatorischen Wirkung wird noch deutlicher, wenn man die andere Verwendungsmöglichkeit für die übrigen Gelder gegenüberstellt, nämlich die Begünstigung der Acess to Justice Foundation. Diese würde für die nicht direkt entschädigten Gruppenmitgliedern tatsächlich eine indirekte Kompensationswirkung entfalten. Gehen die übrigen Gelder oder Teile davon jedoch an den Prozessfinanzierer, zahlen die Mitglieder, die es versäumt haben, ihren Anspruch anzumelden, schlicht die Rechnung für die gesamte Gruppe. 993 Diese Art der Finanzierungsstruktur bringt auch ein rein praktisches Problem mit sich. So sind die Anmelderaten zwar bei geringen individuellen Schadensbeträgen häufig niedrig, in einigen Fallkonstellationen jedoch, nämlich wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem eine vertragliche Beziehung besteht, lassen sich die Individualschäden gänzlich oder weitestgehend ohne die Beteiligung der Gruppenmitglieder verteilen. Soweit sich anhand der Aufzeichnungen des Beklagten sowohl die Identität der Geschädigten als auch die jeweilige Schadenshöhe bestimmen lässt, spricht nichts dagegen, dass das CAT eine individuelle Benachrichtigung bzw. direkt eine Zahlung ohne vorausgehenden Anmeldeprozess anordnet. Da in diesen 992 993
Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(1). Higgins, 79 MLR 442, 462 (2016).
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
Konstellationen allerdings keine oder kaum Gelder übrig bleiben, ist zu befürchten, dass gerade diese Fälle aufgrund des mangelnden Interesses der Prozessfinanzierer nicht durchgesetzt werden. Wie oben dargestellt, 994 sollte ein effektives Instrument zur Streuschadensbekämpfung so ausgestaltet sein, dass die Geschädigten bestenfalls ohne in irgendeiner Form aktiv zu werden, vollständig kompensiert werden. Das englische Finanzierungsmodell jedoch beruht gerade darauf, dass dies nicht passiert und ist daher untauglich. 995 Noch nicht abschließend geklärt erscheint zudem die Frage, wie es sich mit der Erfolgsbeteiligung des Prozessfinanzierers im Rahmen eines Vergleiches verhält. 996 Eine Section 47C (6) Competition Act entsprechende Norm gibt es für die gütliche Streitbeilegung nicht, bei seiner Bewertung, ob der Vergleich gerecht und angemessen ist, hat das Gericht jedoch sämtliche Vereinbarungen über Kosten, Gebühren und Auslagen zu berücksichtigen. 997 Eine Vereinbarung, die dem Prozessfinanzierer einen Anteil der Gesamtschadenssumme zuspricht, wäre wohl grundsätzlich möglich, würde aber die Entscheidung des Gesetzgebers, die Gruppenmitglieder nicht mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, ein Stück weit konterkarieren. 998 Würde sich der Beklagte andererseits bereit erklären, die Erfolgsbeteiligung des Prozessfinanzierers neben der Entschädigung der Gruppe zu übernehmen, ginge er damit weiter, als er in einem streitigen Verfahren verpflichtet wäre, weswegen es kaum als glaubwürdig scheint, dass sich diese Bereitschaft nicht negativ auf die Höhe der Gruppenentschädigung auswirkt.
IV. Bewertung und Kritik Im Jahr 2015 wagte der englische Gesetzgeber eine mehr als weitreichende Reformierung, als er die bis dato im Kartellrecht bestehende Opt-In-Verbandsklage in eine Gruppenklage mit der Möglichkeit eines Opt-Out-Verfahrens umwandelte. Der Versuch, durch die Übernahme bestimmter Elemente der U.S.-amerikanischen Class Action ein effizientes Instrument zu schaffen und zugleich einer exzessiven Klagekultur vorzubeugen, kann jedoch nur als teilweise gelungen eingestuft werden. Zunächst einmal unzweifelhaft zutreffend war die der Novellierung zugrundeliegende Erkenntnis, dass ein reines Opt-In-Verfahren in Streuschadenssituationen weder geeignet ist, für die Geschädigten eine Kompensationswirkung zu erreichen, noch potentielle Schädiger abzuschrecken. Die in der Konsequenz hieraus geschaffene Möglichkeit, auf Grundlage einer 994 995 996 997 998
Siehe Teil 2 – D. Higgins, 79 MLR 442, 462 (2016). Higgins, 79 MLR 442, 464 Fn. 118 (2016); Mulheron, 131 LQR 291, 309 (2015). Rule 97 (7)(a) CATR bzw. Rule 94 (9)(a) CATR. Rule 98 CATR; Higgins, 79 MLR 442, 464 Fn. 118 (2016).
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Entscheidung des Gerichts ein Opt-Out- oder ein Opt-In-Verfahren zu implementieren, trägt dem in zutreffender Weise Rechnung und berücksichtigt gleichzeitig das weiterhin für Massenschäden bestehende Bedürfnis nach einem Opt-In-Verfahren. Bei höheren individuellen Schadenssummen besteht eine geringere rationale Passivität der Geschädigten, weswegen diese eher bereit sind, aktiv am Prozess mitzuwirken. Insofern ist in solchen Massenschadensfällen ein Opt-In-Verfahren weiterhin vorzugswürdig, da hier weniger umfassende Schutzvorkehrungen für die Gruppenmitglieder notwendig sind. Es erscheint zudem schlüssig, die Entscheidung, welche Verfahrensart angewandt wird, zwar von der Anzahl der Geschädigten und der Höhe der jeweiligen individuellen Schäden abhängig zu machen, dem Gericht insoweit aber keine feste numerische Grenze zu setzen, sodass es flexibel auf die Gegebenheiten des konkreten Falles reagieren kann. Auch eine Erweiterung der Klagebefugnis war, angesichts der Tatsache, dass zuvor nur eine einzige Organisation klagebefugt war, mehr als angezeigt. Das gewählte Modell jedoch, zunächst einmal grundsätzlich jeder Person und Organisation die Möglichkeit einzuräumen eine Klage zu erheben, das Gericht dann aber anhand mannigfaltiger Kriterien in jedem Einzelfall eine genaue Überprüfung der tatsächlichen Geeignetheit vornehmen zu lassen, erscheint unnötig umständlich und aufwändig. Bei genauerer Betrachtung stellt sich hier insbesondere die Frage, ob es überhaupt zielführend war, die Geschädigten, also die Gruppenmitglieder selbst, in den Kreis der möglichen Gruppenrepräsentanten aufzunehmen. Diesen fehlt es nämlich aufgrund des im Vergleich zu einem Individualverfahren deutlich höheren Zeitaufwands und des immensen Kostenrisikos in aller Regel am nötigen Anreiz ein solches Verfahren anzustreben. Eine Einzelperson wird die Repräsentantenrolle insofern nur in Betracht ziehen, wenn hinter ihr eine Organisation steht, die bereit ist Aufwand und Risiken zu übernehmen. Während dies im Rahmen der U.S. Class Action in aller Regel der Gruppenanwalt ist, steht das Verbot der Vereinbarung eines Erfolgshonorars einer entsprechenden Entwicklung im Recht der englischen Gruppenklage entgegen. Der englische Gesetzgeber versucht durch dieses Verbot zu verhindern, dass kommerzielle Interessen Dritter zu einer Schwemme fragwürdiger Klagen aus sachfremden Erwägungen führen. 999 Nun sieht das System der englischen Gruppenklage aber zum einen eine recht ausführliche Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage im Rahmen der Zulassungsentscheidung vor, zum anderen gilt im Gegensatz zu den U.S.A. die loser-pays rule, weswegen hier 999 Dieser Wunsch spiegelt sich auch in Rule 78 (3)(b) CATR wider, die das Gericht dazu anhält, bei der Entscheidung, ob eine Organisation, die sich um die Repräsentantenrolle bewirbt, aber nicht selbst geschädigt ist, zu berücksichtigen, ob die Organisation bereits im Vorfeld bestand. Die Norm soll einer Vertretung durch Organisationen, die gerade aus Anlass der Schädigung gegründet wurden und denen deshalb rein kommerzielle Absichten unterstellt werden, vorbeugen.
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Teil 3: Die U.S.-amerikanische Class Action – Feindbild oder Vorbild?
auch bei weitem kein so starker Druck auf den Beklagten aufgebaut wird, sich auch mit Klägern, die bestenfalls fragwürdige Ansprüche geltend machen, zu vergleichen. Allein deshalb könnte man schon das Bedürfnis nach einem solchen Verbot in Frage stellen, es erscheint aber darüber hinaus auch angesichts der Tatsache, dass einem externen Prozessfinanzierer eine Gewinnbeteiligung nicht verwehrt wird, als nicht stringent. So kann zunächst schon grundlegend in Frage gestellt werden, weshalb von Prozessfinanzierern ein geringeres Risiko unbegründeter Klagen oder starker Einflussnahme auf den Repräsentanten ausgehen soll als von einem Gruppenanwalt. Spätestens jedoch unter Beachtung der einzigen Refinanzierungsmöglichkeit des Prozessfinanzierers muss die dahingehende Entscheidung des englischen Gesetzgebers als nicht mehr haltbar eingestuft werden. Während in der Beziehung zwischen Repräsentant und durch Erfolgshonorar motiviertem Gruppenanwalt grundsätzlich die Gefahr eines Interessenkonflikts bestehen mag, ist ein solcher zwischen Repräsentant und einem Prozessfinanzierer, der seinen Gewinn ausschließlich aus den nicht an die Gruppenmitglieder verteilbaren Geldern erhalten kann, evident. Angesichts all dieser Erkenntnisse fragt es sich, warum der englische Gesetzgeber, wenn er Einflussnahmen und Interessenkonflikte wirkungsvoll ausschließen wollte, die Klagebefugnis nicht einfach für weitere Verbände geöffnet hat, ohne jedoch den Geschädigten selbst die Möglichkeit einzuräumen, die Gruppe zu vertreten. Wenn es sich nicht um einen äußerst wohlhabenden und altruistischen Geschädigten handelt, bedarf es ansonsten immer einer dritten Partei, die unvermeidbar eigene Interessen mit in die Gemengelage einbringt. Durch eine Beschränkung der Klagebefugnis auf gemeinnützige oder wohltätige Interessens- oder Verbraucherverbände könnte dieses Risiko wenn auch nicht vollständig ausgeschlossen zumindest deutlich begrenzt werden. Durch das Führen einer Liste, entsprechend der, die § 4 UKlaG vorsieht, wäre es möglich, diese Verbände vorab auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen, wodurch das Gericht entlastet und auf eine Detailkontrolle nur bei konkreten Anhaltspunkten beschränkt werden könnte. Die Regelung zur Ausschüttung der nicht verteilbaren Gelder an die Acess to Justice Foundation im Anschluss an ein Urteil ist dagegen gelungen und wohl durchdacht. Durch die gesetzliche Festlegung auf eine bestimmte Organisation wird Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit der Verteilungsmethode vorgebeugt und das Gericht zugleich vom oftmals komplizierten Auswahl- und Entscheidungsprozess entlastet. Die Wahl einer Organisation, die sich der Förderung der Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen verschrieben hat, stimmt dabei mit den aus den U.S.A. gewonnen Erkenntnissen überein und entfaltetet für die Geschädigten zumindest teilweise eine indirekte Kompensationswirkung. Es fragt sich jedoch, warum der englische Gesetzgeber diesen Kurs nicht beibehalten und auch für die Verteilung der
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übrigen Gelder im Anschluss an einen Vergleich klarere Regelungen aufgestellt hat. Rule 94 (9)(g) bzw. Rule 97 (7)(g) CATR eröffnet den Parteien zwar grundsätzlich sämtliche Möglichkeiten zur Verteilung, gibt dem Gericht aber keine Anhaltspunkte an die Hand, um zu entscheiden, ob eine Verteilungsmethode gerecht und angemessen ist. Es steht daher zu befürchten, dass an dieser Stelle, ähnlich zu den Entwicklungen in den U.S.A., aufgrund der Unerfahrenheit der Richter mit der Auswahltätigkeit und der Anfälligkeit des Prozesses für Beeinflussungen, missbräuchliche Verhaltensweisen zumindest partiell zu Tage treten werden. Die Konzeption des Instruments sieht zudem weder für den Fall der Verfahrensbeendigung durch Urteil noch durch Vergleich eine Regelung vor, mittels derer der Anmelde- und individuelle Verteilungsprozess übersprungen werden kann, wenn die Gesamtschadenssumme so gering und die Anzahl der Gruppenmitglieder so groß ist, dass die Implementierung eines solchen Prozesses als nicht wirtschaftlich erscheint. Wie sich aus der Betrachtung der U.S. Class Action ergeben hat, sind entsprechende Fälle zwar eher selten, kommen jedoch hin und wieder vor und sind auch auf dem Gebiet des Kartellrechts durchaus denkbar. 1000 Hier ließ der englische Gesetzgeber die Möglichkeit verstreichen, aus den Erfahrungen der U.S.A. zu lernen und eine entsprechende Option in das Instrument zu integrieren. Aktuell spricht Rule 93 CATR wiederholt von einem Anmeldeprozess, so dass eine full CyPres-Verteilung an die Acess to Justice Foundation wohl contra legem wäre. Für den Vergleich sind die Regelungen nicht ganz so eindeutig, eine entsprechende Klausel wäre aber mit Sicherheit höchst umstritten. Abschließend ist noch die begrenzte Reichweite der Gruppenklage zu kritisieren. Die Beschränkung auf das Kartellrecht ist zwar der historischen Genese des Instruments geschuldet, bereits während des Novellierungsprozesses gab es jedoch Stimmen, die sich für eine Ausweitung auch auf andere Rechtsgebiete stark gemacht hatten. Angesichts des eingangs aufgezeigten generellen Durchsetzungsdefizits bei Streuschäden im englischen Recht wäre eine solche auch durchaus angezeigt gewesen.
1000
Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.
Teil 4
Effektive Streuschadensbekämpfung – Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie in Anwendung der Cy-Pres-Doktrin A. Anforderungen an eine effektive Streuschadensbekämpfung – Bezugnahme auf die Erkenntnisse aus den ersten drei Teilen der Arbeit Streuschädigungen belasten trotz aller bislang erfolgten Bemühungen des deutschen Gesetzgebers auch heute noch die Verbraucher, den Wettbewerb und damit die Gesamtwirtschaft in nicht unerheblichem Umfang. Da Schädigungen dieser Art beinahe ausschließlich von Unternehmen hervorgerufen werden, die sich, zwar in unterschiedlichem Ausmaß, aber dennoch grundlegend ökonomischer Entscheidungsfindungsprozesse bedienen, kann ein signifikanter Rückgang von Streuschädigungen nur erreicht werden, wenn Schädiger damit rechnen müssen, dass ihnen der aus der Schädigung erlangte Gewinn vollständig wieder entzogen wird, an zweiter Stelle der Kosten-Nutzen-Rechnung also immer eine Null steht. Rechtsgestalterisch sind zur Erreichung dieses Ziels viele verschiedene Ansätze denkbar und aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse und Anforderungen der von Streuschädigungen betroffenen Rechtsgebiete auch erforderlich. Soweit hierbei primär oder in Ergänzung zu einer behördlichen Durchsetzung das Privatrecht herangezogen werden soll, bietet sich im Gegensatz zu dem vom Gesetzgeber bisher mit den Abschöpfungsansprüchen verfolgten rein präventiven Ansatz ein kompensatorisches Instrument an. Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass es zu einer Effektivierung der bestehenden Abschöpfungsansprüche erheblicher Veränderungen im Tatbestand bedürfte, sondern insbesondere der Gegebenheit, dass umfassende Kompensation ebenfalls präventiv wirkt. In der Implementierung eines kompensatorischen Instruments des kollektiven Rechtsschutzes ist im Hinblick auf die Streuschadensbekämpfung eine Verbandsklage gegenüber der (echten) Gruppenklage vorzugswürdig, und das nicht nur, weil die Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie ohnehin die Einführung einer solchen verlangen. Eine Verbandsklage hat gegenüber einer Gruppenklage zunächst einmal den Vorteil, dass die Auswahl und Überprüfung der klagebefugten Einrichtung vorgeschaltet und in einem ge-
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
sonderten Verfahren erfolgen kann, wie das jetzt schon in Deutschland für die qualifizierten Einrichtungen und die qualifizierten Wirtschaftsverbände geschieht. Damit werden die Gerichte im Gegensatz zur echten Gruppenklage nicht mit dem komplexen Überprüfungs- und Auswahlprozess des Repräsentanten belastet, sondern können ihre Mittel und Ressourcen anderweitig einsetzen. Selbstverständlich müssen die Gerichte die klagende Einrichtung auch im Rahmen einer Verbandsklage überprüfen und überwachen können, hier wird im Regelfall aber nicht mehr als eine Evidenz- und Missbrauchskontrolle erforderlich sein. Noch entscheidender gegen eine Gruppenklage spricht jedoch die Tatsache, dass Geschädigte in Streuschadensfällen in aller Regel überhaupt keine intrinsische Motivation haben, ein kollektives Verfahren anzustreben. Die rationale Passivität hindert sie hier bereits daran ein Individualverfahren anzustreben. Auf ein umfangreicheres, langwieriges, kosten- und aufwandintensiveres Kollektivverfahren wird sich ein Geschädigter nur einlassen, wenn auf ihn dahingehend von außen eingewirkt wird. Im Rahmen der U.S. Class Action geht die Initiative regelmäßig vom Gruppenanwalt aus, abhängig von den konkreten gesetzlichen Vorgaben kann aber auch ein externer Prozessfinanzierer diese Funktion einnehmen. Damit werden unvermeidbar weitere Interessen der Gemengelage hinzugefügt und Konflikten Tür und Tor geöffnet. Selbstverständlich wird sich auch ein Verband unter entsprechenden Umständen und wenn die gesetzlichen Möglichkeiten hierzu gegeben sind um eine Finanzierung durch Dritte bemühen, von ihm kann in der Regel jedoch erwartet werden, dass er als mündiges Gegenstück die Interessen der Geschädigten energischer verfolgen wird als eine einzelne Privatperson. Aus den vorangegangenen Analysen ergeben sich zudem auch inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf eine kompensatorische Verbandsklage. Zunächst einmal bedarf es einer Ertüchtigung der klagebefugten Einrichtungen. Insbesondere hinsichtlich der Verbraucherverbände, die, wie in Teil 2 dargelegt, bislang keinerlei missbräuchliches Verhalten an den Tag gelegt haben, müssen Hürden für die Eintragung bzw. Klagebefugnis abgebaut und zudem solide finanzielle Grundlagen für die Klageaktivität geschaffen werden. Des Weiteren sollte die Klage eine möglichst umfassende Kompensation der Geschädigten ermöglichen, ohne von diesen aber eine über das nötige Mindestmaß hinausgehende aktive Teilnahme zu verlangen. Der rationalen Passivität muss insofern auf allen Ebenen begegnet werden. Das beginnt bei der Ermöglichung von Opt-Out-Verfahren und zieht sich über die Schadensberechnung hinweg bis zur Verteilung der Entschädigungen. Da spätestens hier, wie die Erfahrungen aus den U.S.A. zeigen, jedoch in vielen Fällen eine irgendwie geartete Partizipation der Geschädigten erforderlich ist, zu der insbesondere bei kleineren Summen nur wenige bereit sein werden, ist es für die kompensatorische und auch die präventive Wirkung der Verbandsklage entscheidend, dass dem Beklagten auch die nicht verteilbaren Gelder
B. Bestehende Umsetzungsvorschläge
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entzogen und einem sinnvollen Zweck zugeführt werden. Dieser sollte nach konkreten gesetzlichen Vorgaben zum einen der indirekten Kompensation der nicht erreichten Geschädigten und zum anderen der Finanzierung und damit der Perpetuierung des kollektiven Rechtsschutzes dienen. An diesen Vorgaben werden im Folgenden die bereits bestehenden Vorschläge zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in das deutsche Recht gemessen und im Anschluss darauf ein eigener Vorschlag für ein umfassendes und integratives Verbandsklagesystem unterbreitet.
B. Bestehende Umsetzungsvorschläge I. Die beiden bislang vorgeschlagenen Umsetzungsmodelle – Unterschiede und Gemeinsamkeiten Bislang existieren zwei umfassende Vorschläge zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie in das deutsche Recht, die bereits relativ gut veranschaulichen, welch breites Spektrum an nationalen Regelungen unter den Vorgaben der Richtlinie möglich ist. Einen eher liberalen und verbraucherfreundlichen Ansatz verfolgen die Professorinnen Gsell und Meller-Hannich in ihrem am 04. 02. 2021 veröffentlichten und im Auftrag des VZBV erstellen Gutachten, 1 welches am 23. 02. 2022 noch einmal durch ein Folgegutachten ergänzt wurde. 2 Die am 27. 10. 2021 von Prof. Alexander Bruns vorgestellte Ausarbeitung im Auftrag verschiedener Wirtschaftsverbände, rückt dagegen vorwiegend den Missbrauchsschutz und die Interessen potentieller Beklagter in das Zentrum der Betrachtung. 3 Beiden Umsetzungsvorschlägen ist dabei gemein, dass sie sich um eine möglichst integrative Einbindung der neu zu erlassenden Regelungen in das System des deutschen Zivilprozesses und die bestehenden Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes bemühen und dabei versuchen, die Wahrung der Grundrechte der Verfahrensbeteiligten sicherzustellen. Hierauf, aber auch auf Zweckmäßigkeitserwägungen, stützen die Umsetzungsvorschläge jedoch ihre Ablehnung einer Opt-OutVerfahrenseinbindung im Rahmen der Verbandsklage auf Abhilfe, 4 wobei sich beide Gutachten zu dieser zweifelsohne wegweisenden Entscheidung so bemerkenswert knapp fassen, dass sich die Vermutung einer dahingehenden Weisung der jeweiligen Auftraggeber doch aufdrängt. Beide Vorschläge setzen damit, zwar zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Verfahren, was, wie Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie. Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie. 3 In dieser Form grenzt sich der Autor auch selbst von dem Umsetzungsvorschlag der Professorinnen ab, Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 1. 4 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 47 f.; Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 20. 1 2
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oben aufgezeigt, einen erheblichen Unterschied machen kann, aber dennoch grundlegend die aktive Beteiligung der Geschädigten voraus und entsprechen insofern nicht den oben dargelegten Anforderungen an ein Instrument zur effektiven Bekämpfung von Streuschädigungen. Trotz dieser, nach hier vertretener Ansicht fehlerhaften Grundentscheidung, die erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Verfahrensablauf der Abhilfeklage entfaltet, wird das von Gsell und Meller-Hannich vorgeschlagene System im nächsten Abschnitt einer zwar knappen aber dennoch umfassenden Analyse unterzogen, da es in seiner grundsätzlich breiten und liberalen Ausrichtung zumindest in Teilen dem entspricht, was die oben ausgemachten Anforderungen für die Umsetzung der Richtlinie indizieren. Das Modell von Bruns weicht dagegen in so vielen Punkten von diesen Anforderungen ab, dass auf eine erschöpfende Darstellung an dieser Stelle verzichtet wird. So sieht der Vorschlag bereits hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs eine Minimalumsetzung vor, wonach die Verbandsklagen auf Abhilfe und Unterlassung nur bei Verstößen gegen die in Anhang I der Verbandsklagerichtlinie aufgeführten Rechtsakte der Union möglich sein sollen. 5 Damit wird nicht nur auf die Nutzung der in der Richtlinie vorgesehenen Öffnungsmöglichkeiten verzichtet, 6 die angesprochenen Verfahrensarten bleiben in ihrem Anwendungsbereich auch hinter dem der bereits eingeführten Musterfeststellungsklage zurück. 7 Insofern erschließt sich nicht, warum sich hier nicht an der Musterfeststellungsklage orientiert wurde, zumal diese für die Klagebefugnis im Rahmen des Umsetzungsvorschlages Modell stand. Hier sollen, zumindest für Abhilfeverfahren, nur qualifizierte Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 UKlaG ermächtigt werden, die zusätzlich noch den oben als ungerechtfertigt hoch eingestuften 8 Anforderungen des § 606 Abs. 1 ZPO entsprechen. 9 Das verhindert nicht nur die Gründung von Verbänden zur Durchsetzung aus Anlass eines bestimmten Schadensereignisses, sondern zieht den Kreis der klagebefugten Einrichtungen generell so eng, dass mit einer erheblich eingeschränkten Klageaktivität gerechnet werden muss. Hinzu kommt, dass eine Abhilfeklage nach den Vorstellungen von Bruns nur dann zugelassen werden soll, wenn ihr mindestens 500 bis 1000 Verbraucher bereits in einem sehr frühen Stadium aktiv beitreten. 10 Diese Voraussetzung dürfte entsprechende Verfahren in Streuschadenskonstellationen ausschließen und darüber hinaus auch bei höheren Individualschäden zu einem erheblichen Hemmnis werden, da nur wenige Geschädigte bereit sein Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 23. Erwägungsgrund 18 Richtlinie (EU) 2020/1828. 7 Hierzu Teil 2 – A.I.5.b). 8 Hierzu Teil 2 – A.I.5.c). 9 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 34. 10 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 44, 108. 5 6
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dürften, sich in einem Stadium, in dem der Prozessausgang noch keineswegs absehbar ist, einer beidseitigen Bindungswirkung zu unterwerfen, von der ein Loslösen auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich sein soll. 11 Auch die Ausgestaltung des Abhilfeverfahrens widerspricht im Kern den oben ausgemachten Voraussetzungen für ein effektives Instrument zur Streuschadensbekämpfung. Wird ein Abhilfeverfahren durch ein Urteil oder einen Vergleich beendet, so sieht der Vorschlag Bruns die Errichtung eines Abhilfefonds vor, in den der Beklagte die vom Gericht festgelegte oder im Falle des Vergleichs genehmigte Gesamtabhilfesumme für alle angemeldeten Verbraucher einzahlt. 12 Dem schließt sich ein Anmeldeverfahren unter der Kontrolle eines vom Gericht bestellten Sachwalters an, in dem die der Klage beigetretenen Verbraucher ihre Ansprüche beziffern und entsprechende Nachweise einreichen müssen. 13 Die angemeldeten Ansprüche werden sodann in einem gemeinsamen Prüftermin erörtert und anschließend vom Sachwalter festgestellt. Bleiben nach der Verteilung an die Geschädigten noch Gelder übrig, so sollen diese an den Beklagten zurückgeführt werden. 14 Im Ergebnis wird durch die zwingende Implementierung des Anmeldeverfahrens eine weitere Hürde für die Kompensation geschaffen, die in Kombination mit der Rückführung an den Beklagten, die, wie oben herausgearbeitet, 15 die ungünstigste Methode zur Verwendung unbeanspruchter Gelder darstellt, den Präventionseffekt des Instruments erheblich beeinträchtigt. 16 Abschließend enthält der Vorschlag Bruns auch keine gangbare Lösung für die generell bestehende, 17 im Rahmen der Verbandsklage auf Abhilfe aber mit Sicherheit noch einmal neue Relevanz gewinnende 18 Frage der Finanzierung der Verbände. Bruns spricht sich zwar explizit gegen eine Ausweitung der Möglichkeit, Erfolgshonorare zu vereinbaren, 19 und die Prozessfinanzierung durch Dritte aus, 20 lehnt aber auch sämtliche anderweitigen finanziellen Unterstützungsangebote für die Verbände ab und verweist auf Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 48. Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 65 (zum Vergleichskontext), S. 69 (für die Verfahrensbeendigung durch ein Urteil). 13 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 85 ff. 14 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 93. 15 Hierzu Teil 3 – D.IV. 5. 16 Interessanterweise beschäftigt sich auch Bruns kurz mit anderen alternativen Verteilungsmethoden, lehnt diese jedoch ohne vertiefte Begründung und mit pauschalem Verweis auf einen angeblichen „strafähnlichen Charakter“ ab, Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 93. 17 Hierzu Teil 2 – A.I.1.c). 18 Hierzu Teil 2 – E.VII. 19 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 78. 20 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 80 f. 11
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die bereits bestehenden Regelungen zur Prozesskostenhilfe. 21 Parallel zu der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht steht er zudem einer Streitwertdeckelung, wie sie § 48 Abs. 1 S. 2 GKG aktuell vorsieht, skeptisch gegenüber, begründet dies aber im Gegensatz zu den oben erfolgten Ausführungen nicht mit der daraus herrührenden Problematik für die Verbände Prozessbevollmächtigte zu finden, sondern damit, dass eine Streitwertdeckelung beim Obsiegen des Beklagten u. U. dazu führen kann, dass dieser nicht die gesamten ihm entstandenen Rechtswahrungskosten erstattet bekommt. 22 Insgesamt kann das Gutachten damit nicht als Vorbild für einen eigenen Umsetzungsvorschlag herangezogen werden, sondern allenfalls mosaikartig Impulse für die Behandlung von Einzelfragen geben.
II. Der Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich vom 04. 02. 2021 1. Verfahrensablauf im Überblick Der von den Professorinnen Gsell und Meller-Hannich im Auftrag des VZBV unterbreitete Vorschlag zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie baut auf das in Deutschland bestehende und funktionierende System der Verbandsklagen auf Unterlassung und Beseitigung auf und möchte dessen Vorzüge auch für weitergehende Klagen auf Abhilfe nutzen. Insofern sieht er zwar ebenso wie das Gutachten von Bruns für die Abhilfeklage ein zweistufiges Verfahren vor, dem die Geschädigten aktiv beitreten müssen, der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass der erste Verfahrensschritt bis zum Erlass des Grundurteils vom Verband vollständig ohne Mandat der Verbraucher absolviert werden kann. Diese müssen erst im zweiten Schritt aktiv werden, wodurch sie sich im Gegensatz zum Vorschlag von Bruns nicht nur einen aktiven Beteiligungsakt ersparen, sondern auch in der vorteilhaften Position sind, dass die grundlegenden Rechtsfragen des Falles zum Zeitpunkt der Eintrittsentscheidung bereits gerichtlich geklärt sind. 23 Die Autorinnen veröffentlichten ein Jahr nach ihrem ersten Entwurf noch ein Folgegutachten, das zwar zu einigen Punkten des ursprünglichen Gesetzesentwurfs noch zusätzliche Ausführungen enthielt, jedoch nicht alle offenen Fragen beantworten konnte. Es befasst sich im Kern mit der komplementären Einführung einer Gruppenklage, auf deren Darstellung der Ausrichtung dieser Arbeit entsprechend jedoch verzichtet wird. Seiner Grundkonzeption nach verfolgt der Umsetzungsvorschlag einen zu begrüßenden breiten und flexiblen Ansatz. Die klagebefugten Einrichtungen sollen wahlweise sowohl alternativ als auch kumulativ, gestuft oder in 21 22 23
Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 82 f. Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 83. Näheres hierzu sogleich.
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einem Eventualverhältnis die von der Richtlinie vorgeschriebenen Klageziele verfolgen können. 24 Auch hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs nutzt der Vorschlag die liberale Ausrichtung der Verbandsklagerichtlinie. Die Autorinnen schlagen vor, über den zwingenden Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus für jeden Anspruch eines Verbrauchers gegen einen Unternehmer unabhängig vom konkreten Rechtsgebiet die Möglichkeit der Verbandsklage zu eröffnen 25 und folgen damit dem bereits bei der Musterfeststellungsklage eingeschlagenen Weg des deutschen Gesetzgebers. Ebenfalls großzügig soll die Klagebefugnis gehalten werden. Wiederum gestützt auf die positiven Erfahrungen mit den bestehenden Verbandsklageinstrumenten auf Unterlassung und Beseitigung sollen neben den qualifizierten Einrichtungen aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 UKlaG auch weiterhin die Wirtschafts- und Berufsverbände sowie die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern klagebefugt sein. 26 Der Vorschlag nimmt damit eine Fraktur zwischen der innerstaatlichen und der grenzüberschreitenden Klagebefugnis hin. Während die qualifizierten Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 UKlaG größtenteils den Anforderungen des Art. 4 Abs. 3 der Verbandsklagerichtlinie entsprechen dürften und damit auf Antrag hin zur Erhebung grenzüberschreitender Klagen ernannt werden können, dürfte das bei den Wirtschaftsverbänden und den Kammern, insbesondere aufgrund der Anforderungen an den Satzungszweck nach Art. 4 Abs. 3 lit. b und der Unabhängigkeit nach Art. 4 Abs. 3 lit. e der Richtlinie, in den meisten Fällen nicht der Fall sein. Dieser Unterschied hat jedoch keine gravierenden Auswirkungen und führt lediglich zu einem gewissen Grad an Uneinheitlichkeit. Diese wird jedoch hinzunehmen sein, insbesondere da durch den Verzicht, die Regelungen für grenzüberschreitende Sachverhalte auch auf innerstaatliche Verfahren zu übertragen, für Klagen vor deutschen Gerichten grundsätzlich auch die Möglichkeit für Ad-hoc-Gründungen bestehen bleibt, der Art. 4 Abs. 3 lit. a der Richtlinie ansonsten entgegenstehen würde. Dies merken auch die Autorinnen an, 27 der Gesetzesentwurf verweist jedoch für die Klagebefugnis pauschal auf § 4 UKlaG, wodurch hierüber wiederum die Jahresfrist des Abs. 2 Nr. 2 gilt. Konsequent wäre es, auch diese im Rahmen einer Gesetzesänderung abzuschaffen, europäisches Recht steht dem zumindest bei innerstaatlichen Verfahren nicht im Wege. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 22. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 22 f., 56 (§ 606 Abs. 1 ZPO v.F.). 26 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 23 f., 56 f. (§ 607 ZPO v.F.). Der Vorschlag entstand dabei vor Anpassung des § 3 UKlaG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs und bezieht sich insoweit noch nicht auf die nunmehr qualifizierten Wirtschaftsverbände nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG, 8b UWG. Da aber grundsätzlich eine Homogenität mit den bestehenden Verbandsklagemöglichkeiten angestrebt wird, ist davon auszugehen, dass nunmehr diese umfasst sein sollen. 27 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 24. 24 25
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Auf einem anderen Blatt steht natürlich, ob die Erweiterung der Klagebefugnis auch zu einer erhöhten Klageaktivität der Wirtschaftsverbände führen wird. Zwar spielt die Wettbewerbszentrale aktuell eine nicht unerhebliche Rolle in der Durchsetzung der Ansprüche aus § 8 UWG und teilweise auch aus § 1 UKlaG, 28 der Umsetzungsvorschlag lässt diese bestehenden Klagemöglichkeiten aber ohnehin unberührt. Ob sich die Wettbewerbszentrale oder andere Wirtschaftsverbände aufgrund der Erweiterung der Klagebefugnis in Zukunft darüber hinaus auch berufen fühlen werden, Ansprüche außerhalb des Wettbewerbsrechts und insbesondere Abhilfeansprüche von Verbrauchern durchzusetzen, erscheint fraglich. Zweifel an der Durchsetzungswilligkeit der Wirtschaftsverbände alleine rechtfertigen aber noch keine Einschränkung der Klagebefugnis. Aufbauend auf relativ knappen abstrakten Abwägungen der hierzu bestehenden Möglichkeiten wendet sich der Umsetzungsvorschlag der zweifelsohne wegweisenden Frage der Beitrittsmodalitäten des neu einzuführenden Instruments der Verbandsklage auf Abhilfe zu. Wie bereits erwähnt, stellt die Richtlinie es vollständig in das Ermessen der Mitgliedstaaten, ob ein Beitritt aktiv erfolgen muss oder passiv erfolgen kann, und lässt es ihnen auch offen, den Zeitpunkt für die Ein- bzw. Austrittserklärung festzulegen. Die Autorinnen entscheiden sich zwar für ein aktives Beitrittsverfahren, reizen aber, wie eingangs angesprochen, den hier bestehenden Spielraum vollständig aus, indem sie ein Opt-In-Verfahren erst nach Erlass des Urteils auf Abhilfe vorsehen. Gedanklich lässt sich das vorgeschlagene Abhilfeverfahren damit in zwei Schritte unterteilen, nämlich zum einen das „Klageverfahren“ zur Erlangung des Abhilfeurteils und zum anderen das sich hieran anschließende „Vollzugsverfahren“. Letztgenanntes darf trotz der begrifflichen Nähe aber nicht mit der Zwangsvollstreckung verwechselt werden, nach dem System der ZPO sind beide Schritte noch dem Erkenntnisverfahren zuzuordnen. Um ein schlankes und effizientes Verfahren zu ermöglichen, verzichten die Autorinnen im ersten Schritt vollständig auf die Beteiligung der betroffenen Verbraucher. Ein Verband kann in gesetzlicher Prozessstandschaft 29 eigenständig eine Klage erheben, soweit er in seinem Antrag sowohl den Klagegrund als auch die Gruppe der betroffenen Verbraucher hinreichend genau bestimmt. 30 Ein irgendwie geartetes Zulassungsverfahren ist nicht vorgesehen, die einzige „echte“ Zulassungsvoraussetzung ist, dass die Beschreibung der Gruppe eine Betroffenheit von mindestens zehn Verbrauchern nahelegen muss. 31 Das passt zwar in das Konzept der möglichst offe28
Hierzu Teil 2 – A.I.1.c). Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 24 ff. 30 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 21. 31 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 56 (§ 606 Abs. 2 ZPO v.F.). 29
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nen und breiten Verbandsklage, bringt aber auch unweigerlich Probleme mit sich. Die Gerichte haben mangels eines vorgeschalteten Zulassungsverfahrens, wie es beispielsweise bei der englischen Gruppenklage im Kartellrecht 32 oder aber auch bei der U.S. Class Action auf Schadensersatz 33 vorgesehen ist, in einem frühen Verfahrensstadium weder die Möglichkeit zu prüfen, ob es sich um eine offensichtlich unbegründete Klage handelt, die lediglich aus sachfremden Erwägungen angestrebt wurde, noch ob sich das Verfahren beispielsweise aufgrund der Heterogenität der geltend gemachten Ansprüche oder der Vielzahl an zu klärenden Einzelfragen überhaupt für eine Durchsetzung im Kollektivklageweg eignet. 34 Letztgenannter Problematik möchte der Vorschlag vorbeugen, indem er die Klärung individueller Streitpunkte im ersten Schritt offen lässt und auf das „Vollzugsverfahren“ verlagert. Das „Klageverfahren“ endet insoweit zwar mit einem Urteil, dessen Tenor muss jedoch weder die aus ihm berechtigten Verbraucher konkret individualisieren noch die genaue Höhe der jeweiligen Schäden bestimmen, da all das erst im zweiten Schritt erfolgt. 35 Dennoch setzt das Urteil den Rahmen für das anschließende „Vollzugsverfahren“ und muss insoweit die Anforderungen enthalten, anhand derer die Betroffenen zu individualisieren sind und die Höhe der jeweiligen Entschädigung zu berechnen ist. 36 Eine Gesamtschadenshöhe soll und muss im Urteil dagegen nicht festgestellt werden. 37 Da das vorgeschlagene System lediglich auf eine Entschädigung der beigetretenen Verbraucher abzielt und darüber hinaus kein Entzug des Unrechtsgewinns des Schädigers stattfinden soll, bedarf es der Berechnung einer Gesamtschadenssumme aller beitrittsberechtigten oder beigetretenen Verbraucher auch nicht unbedingt. Die Autorinnen sehen die Notwendigkeit einer entsprechenden Berechnung nur in bestimmten Konstellationen zur Vermeidung einer Überbelastung des Beklagten gegeben. 38 Was im Urteil dagegen festgelegt werden muss, ist, wie 32
Siehe Teil 3 – E.II. Siehe Teil 3 – C.IV. 34 Ersteres sieht die Richtlinie jedoch in Art. 7 Abs. 7, letzteres in Erwägungsgrund 49 vor. Die Autorinnen sprechen zwar das Problem, dass sich manche Fallkonstellationen nicht für die Kollektivdurchsetzung eignen, an, der Vorschlag gibt den Gerichten für einen solchen Fall jedoch keine konkreten Handlungsoptionen an die Hand, vgl. Gsell/MellerHannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 27. 35 In ihrem Folgegutachten stellen die Autorinnen jedoch klar, dass das Gericht bei kleineren Gruppen auch selbst die Gruppenzugehörigkeit der betroffenen Verbraucher feststellen kann, Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 23. 36 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 26, 57 (§ 609 Abs. 3 ZPO v.F. zu den Anforderungen); Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 46 f. 37 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 22. 38 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 32; hierzu auch Teil 4 – B.II.2.b). 33
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lange die Verbraucher die Möglichkeit haben, dem Verfahren beizutreten, innerhalb welcher Frist die Leistungen individualisiert werden müssen und bis wann Einsprüche gegen die im Vollzugsverfahren zu erfolgenden Schritte möglich sind. 39 Zu guter Letzt muss im Urteil auch der sogenannte „Treuhänder“ bestimmt werden, in dessen Hand maßgeblich der zweite Schritt, das „Vollzugsverfahren“, liegt. 40 Dem Treuhänder obliegt es, im Rahmen der Vorgaben des Urteils die Anmeldungen der Verbraucher entgegenzunehmen, ihre Berechtigung zu überprüfen und die individuellen Schäden zu berechnen. Durch diesen Vorgang überführt er das Gruppenurteil in einen vollstreckbaren Einzeltitel des jeweiligen Verbrauchers. 41 Diese Aufgabe möchten die Autorinnen, weil sie ansonsten eine Überlastung befürchten, nicht dem Gericht aufbürden, sie wegen der Besorgnis der Befangenheit aber auch nicht dem klagenden Verband überlassen. 42 Obgleich dem Treuhänder damit eine zentrale Rolle im System der Abhilfeklage zukommt und er unzweifelhaft hoheitliche Tätigkeiten in der Durchführung des Vollzugsverfahrens ausübt, enthält der Gesetzesvorschlag nur äußerst grobe Qualifikationsanforderungen an ihn. So wird lediglich seine Unabhängigkeit und Geeignetheit gefordert, wobei es bei letzterem maßgeblich auf seine Sachkunde ankommen soll. 43 Die Autorinnen vergleichen seine Stellung zwar mit der eines Insolvenzverwalters, 44 nähere Angaben insbesondere zur rechtlichen Einordnung seiner Funktion fehlen jedoch. Auch das Folgegutachten führt hierzu nicht näher aus, obgleich es den Treuhänder ebenfalls als zentrale Figur in dem dort vorgeschlagenen komplementären Gruppenverfahren vorsieht. 45 Nimmt der Treuhänder die Anmeldung eines Anspruches durch einen Verbraucher an und stimmt er ihr zu, so erwächst hieraus, wie bereits beschrieben, ein vollstreckbarer Einzeltitel. Der Beklagte, in diesem Fall bereits der Schuldner, hat jedoch die Möglichkeit, sowohl gegen die Leistungsberechtigung des einzelnen Verbrauchers generell als auch gegen die Höhe der zugesprochenen Entschädigung Widerspruch einzulegen. 46 In einem solchen Fall soll der Treuhänder zunächst versuchen eine einvernehmliche 39 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 57 (§ 609 Abs. 3 ZPO v.F.). 40 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 57 (§ 609 Abs. 3 Nr. 1 ZPO v.F.). 41 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 26. 42 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 27. 43 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 58 (§ 611 Abs. 1 ZPO v.F.). 44 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 26. 45 Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 20 f. 46 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 29 ff., 59 (§ 611 Abs. 5 und 6 ZPO v.F.).
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Lösung zwischen dem Schuldner und dem Verbraucher zu finden. Sollte dies nicht gelingen, kann sich der Schuldner mit einem entsprechenden Feststellungsbegehren an das Prozessgericht wenden. 47 In gleicher Weise kann auch ein Verbraucher, dessen Anmeldung vom Treuhänder abgelehnt wird oder der die ihm zugesprochene Summe für zu niedrig hält, Widerspruch einlegen. Möchte der Treuhänder dem nicht abhelfen und gelingt auch hier eine gütliche Beilegung nicht, so ist es in diesem Fall am Verbraucher, die gerichtliche Feststellung seiner Berechtigung zu beantragen. 48 Die Regelung zu letztgenannter Konstellation erscheint auf den ersten Blick als nicht ganz unproblematisch, verlangt Art. 9 Abs. 6 Richtlinie (EU) 2020/1828 doch ausdrücklich, dass den Verbrauchern die Abhilfe zugutekommt, ohne dass diese eine gesonderte Klage erheben müssen. Widerspricht der Treuhänder aber der Anmeldung, so verweist der Vorschlag der beiden Autorinnen den Verbraucher auf ein Individualverfahren. Auf dieser Grundlage könnte man dem Vorschlag in diesem Punkt die Richtlinienkonformität absprechen. Es ließe sich jedoch wohl auch argumentieren, dass die Entscheidung des Treuhänders als „konkretisierendes Organ des Gerichts“ einer gerichtlichen Entscheidung zur Leistungsberechtigung oder Leistungshöhe gleichzusetzten ist. Insofern wäre die Feststellungsklage des Verbrauchers kein von ihm zu bewältigender Zwischenschritt, um in den Genuss der Abhilfe zu gelangen, sondern eher eine Art Rechtsmittel. Auf Grundlage dieser Auslegung wäre der Vorschlag insoweit richtlinienkonform, da die Richtlinie es nicht verbietet, den Verbrauchern die Prozesslast bei Klagen gegen eine negative Bescheidung des Abhilfebegehrens aufzubürden. 49 2. Einzelpunkte a) Vergleiche, gütliche Streitbeilegung Wie schon die Richtlinie selbst legt auch der Umsetzungsvorschlag großes Gewicht auf eine gütliche Streitbeilegung, um die Ressourcen des Gerichts und der Parteien zu schonen. Das spiegelt sich nicht erst in der eigentlichen Regelung zum gerichtlichen Vergleich, § 610 ZPO v.F., sondern bereits in der Vergütungsstruktur des Treuhänders wider. Grundsätzlich hat der Schuldner die Arbeit des Treuhänders zu vergüten und dessen Kosten und Auslagen zu ersetzen. Der Entwurf sieht eine durch das Gericht festgelegte Vergütung abhängig von der Anzahl der angemeldeten Verbraucher und der Höhe der 47 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 29 ff., 59 (§ 611 Abs. 5 und 6 ZPO v.F.). 48 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 29 ff., 59 (§ 611 Abs. 6 ZPO v.F.). 49 Mit der dahingehenden Kritik setzen sich die Autorinnen auch noch einmal in ihrem Folgegutachten auseinander, Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 44 f.
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jeweiligen Entschädigungen vor. 50 Darüber hinaus soll der Treuhänder für jede rechtskräftig festgestellte Leistungsberechtigung und -höhe, die von den Parteien ohne gerichtliche Klärung akzeptiert wird, einen zusätzlichen Gebührenanteil erhalten. 51 Ebenfalls vergütungserhöhend soll es sich auswirken, wenn Verbraucher ohne Zwangsvollstreckung zu ihrer Abhilfe gelangen. 52 Diese Strukturierung der Vergütung wirft noch einmal ein anderes Licht auf die intendierte Rolle des Treuhänders. Die Einschaltung eines neutralen Dritten soll nach der Vorstellung der Autorinnen nämlich nicht nur die Gerichte entlasten und zugleich Interessenkonflikten innerhalb des Verbands vorbeugen, sondern auch der gütlichen Streitbeilegung auf niederschwelliger Ebene zuträglich sein. 53 Tatsächlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass dem Treuhänder eine Verständigung mit dem Schuldner leichter fallen dürfte als dem klagenden Verband. Auch wenn eine Abhilfeklage durch einen gerichtlich genehmigten Vergleich beendet wird, sieht der Gesetzesentwurf eine Einbindung des Treuhänders vor. Der Vergleich ersetzt insoweit lediglich das Urteil zur Beendigung des Klageverfahrens. Soweit die Parteien nichts anderes vereinbaren und eine Individualentschädigung der Verbraucher Gegenstand des Vergleiches ist, werden in ihm die Rahmenbedingungen für das anschließende Vollzugsverfahren unter Regie des Treuhänders gesetzt. 54 Der obligatorische Vergleichsinhalt stimmt insoweit weitestgehend mit dem vorgeschriebenen Inhalt eines Urteils überein. Der Vergleich muss durch das Gericht genehmigt werden, welches diesen auf seine Angemessenheit überprüft. Die Angemessenheitsprüfung ist in der Richtlinie fakultativ ausgestaltet, eine Implementierung ist aber in jedem Fall sinnvoll. 55 Nicht explizit erwähnt werden im Gesetzesentwurf dagegen die zwingend durch die Richtlinie vorgegebene Prüfung auf Vollstreckbarkeit des Vergleichsinhalts und die Übereinstimmung mit nationalem Recht. Auch von der Möglichkeit ein Settlement-only-Verfahren zu etablieren, wie es der ursprüngliche Richtlinienentwurf noch vorsah, wurde nicht Gebrauch gemacht. Dem Konzept eines späten Opt-In folgend, müssen die Betroffenen auch erst nach gerichtlicher Genehmigung des Vergleichs den Beitritt zum Verfahren erklären. Den Parteien soll jedoch die Möglichkeit offen stehen, den Vergleich von einer Mindestzahl an beitretenden Verbrauchern abhängig zu machen. 56 50
v.F.). 51
v.F.). 52
v.F.). 53 54 55 56
Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 31, 61 (§ 615 ZPO Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 31, 61 (§ 615 ZPO Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 31, 61 (§ 615 ZPO Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 27. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 33. Dazu bereits Teil 2 – E.V. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 33.
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b) Erleichterung der Schadensberechnung Wie oben bereits angesprochen, bringt die grundsätzlich individuelle Ausrichtung des materiellen Rechts in Deutschland nicht unerhebliche Probleme in der kollektivrechtlichen Durchsetzung mit sich. 57 Während die Analyse der Richtlinie hierzu ein Regelungsdefizit aufgezeigt hat, widmet sich der Gesetzesentwurf der beiden Professorinnen der Problematik vertiefter und verfolgt gleich zwei Lösungsansätze parallel. Zum einen wird die Klärung individueller Fragen weitestgehend auf die zweite Stufe verlagert und das Gericht in der Findung des Grundurteils damit zumindest ein Stück weit entlastet. Zum anderen soll aber auch das Gericht im Klageverfahren entlastet werden, und zwar durch eine erhebliche Änderung des § 287 ZPO. Der Gesetzesentwurf, insoweit noch klarer ausdifferenziert durch das Folgegutachten, 58 sieht vor, die Schadensschätzungsbefugnis des Gerichts im Anwendungsbereich der Verbandsklage auf Abhilfe deutlich zu erweitern. Konkret soll der Schaden der einzelnen Verbraucher neben einem weiterhin möglichen individuellen Nachweis auch pro rata, also als Anteil des Gesamtschadens der Gruppe bzw. der Untergruppe, sowie auf Grundlage einer typisierenden Betrachtung der jeweiligen Schäden ermittelt werden können. Um eine übermäßige Inanspruchnahme des Schädigers zu vermeiden, soll nach der Konzeption des Entwurfs in Fällen, in denen dies möglich ist, der Gesamtschaden quasi als Kappungsgrenze ermittelt werden. 59 Unklar ist, ob hieraus folgt, dass in Fällen, in denen dies nicht möglich ist oder schlicht nicht erfolgt, auf die Anwendung der zusätzlichen Schätzungsmöglichkeiten verzichtet werden muss. Die Anwendung dieser Erleichterung auf der ersten Stufe soll im Übrigen die Gerichte nicht dazu verpflichten, auf dieser Grundlage exakte Summen auszuurteilen, auch hier genügt die Setzung eines konkreten Rahmens zur Übertragung der Einzelberechnung auf den Treuhänder. Der Ansatzpunkt der Autorinnen deckt sich weitestgehend mit dem Ergebnis der in den Teilen 2 und 3 dieser Arbeit erfolgten Analysen der bestehenden Instrumente zur Streuschadensbekämpfung in Deutschland und der U.S. Class Action, in der für die effektive Bekämpfung von Streuschäden immer wieder die Notwendigkeit einer Erleichterung in der Schadensberechnung unterstrichen wurde. Auch wenn die Verortung in § 287 ZPO kaum darüber hinwegtäuschen kann, was die erweiterten Rechte der Gerichte eigentlich sind, nämlich weitreichende Eingriffe in das materielle Recht der Geschädigten, bleibt eine irgendwie geartete Pauschalisierungsmöglichkeit gerade zur effektiven Behandlung von Streuschadenskonstellationen 57
Hierzu Teil 2 – E.IV. 3.c). Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 42 ff. 59 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 32 f. 58
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unumgänglich. Einen solchen Eingriff rechtfertigen die beiden Professorinnen mit der Ausgestaltung der Verfahrensbeteiligung, also mit dem aktiven Beitritt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die konkreten Auswirkungen der Pauschalisierung für die Verbraucher im Ergebnis bereits absehen lassen. 60 Grundsätzlich ließen sich Pauschalisierungen oder Schätzungsbefugnisse aber auch bei anderen Beteiligungsformen implementieren, müssten dann nur eben durch entsprechende Informationen begleitet werden. 61 c) Finanzierung und Kosten Auch der Umsetzungsvorschlag der beiden Professorinnen erkennt die Tatsache an, dass ein effektives Verbandsklagesystem mit einer soliden Finanzierungsstruktur steht und fällt. 62 Da die Richtlinie in der Umsetzung bezüglich der Kosten sehr deutlich das Loser-pays-Prinzip vorgibt, an dieser Stelle also kaum Umsetzungsalternativen bestehen, konzentriert sich der Entwurf stärker auf die Finanzierung. Zu der virulentesten Frage hinsichtlich derselben, nämlich der, ob eine Drittfinanzierung durch externe Geldgeber oder den Anwalt des Verbandes möglich sein soll, enthält der vorgeschlagene Gesetzestext jedoch nur einen einzigen Absatz. So stellt § 606 Abs. 5 ZPO v.F. lediglich klar, dass eine Prozessfinanzierung durch Dritte für sich genommen noch keine Missbräuchlichkeit der Klageerhebung indiziert. Ihre Zurückhaltung in dieser Hinsicht begründen die Autorinnen damit, dass eine Finanzierungsmöglichkeit der Verbandsklagen durch Dritte zwar durchaus wünschenswert sei, eine isolierte Regelung hierzu angesichts der Diskussionen, die aktuell bezüglich der Drittfinanzierung generell und bezüglich der Verfahren durch Legal-Tech-Plattformen 63 auf Grundlage des RDG im Besonderen geführt werden, in einer Uneinheitlichkeit der Rechtsordnung resultieren würde. 64 Insoweit belässt es der Entwurf bei generellen Vorschlägen zur Kodifizierung der Drittfinanzierung an sich und betont, insofern auf einer Linie mit der Richtlinie, die Bedeutung der Prävention hieraus entstehender Interessenkonflikte. 65 In ihren Überlegungen zu Umsetzungsmöglichkeiten einer Drittfinanzierung gehen die Autorinnen jedoch recht vertieft der Frage nach, wie sich ein möglicher externer Geldgeber refinanzieren könnte. Hierbei wenden sie sich 60 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 32; Gsell/MellerHannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 42. 61 Dazu Teil 4 – C.III.5. 62 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 45. 63 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 46 f. 64 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 47. Auch an dieser Stelle ist anzumerken, dass der Umsetzungsvorschlag vor der letzten RDG-Reform unterbreitet wurde, die, wie oben ausgeführt, gewisse Lockerungen und Klarstellungen mit sich brachte, vgl. Teil 2 – A.III.2.c). 65 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 47 f.
B. Bestehende Umsetzungsvorschläge
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zunächst der Möglichkeit einer Beteiligung an der Entschädigungssumme zu und sprechen die im Rahmen dieser Arbeit bereits bei der Analyse der Richtlinie geäußerten Zweifel bezüglich einer Vereinbarkeit mit den Vorgaben des europäischen Gesetzgebers an. 66 Ohne endgültig Stellung zu dieser Problematik zu beziehen, geht der Vorschlag sodann auf eine äußerst disputable alternative Refinanzierungsmöglichkeit ein, nämlich die, die Kosten des Finanzierers dem unterlegenen Beklagten als „Kosten des Rechtsstreits“ i. S. d. § 91 ZPO aufzubürden. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, stellt sich bei näherer Betrachtung als mit der Konzeption des deutschen Kostenrechts und teilweise auch den Vorgaben des Verfassungsrechts kaum vereinbar heraus. Zentraler Kritikpunkt einer solchen Regelung ist die daraus resultierende erhebliche Ungleichbehandlung von Kollektiv- und Individualverfahren. Ein Verband wendet sich an einen Prozessfinanzierer, weil er die Kosten eines Rechtsstreits nicht tragen kann oder aber, und das wird der Regelfall sein, das Risiko nicht eingehen möchte. Kann ein Kläger in einem Individualverfahren die Kosten des Rechtsstreits nicht tragen bzw. vorstrecken und erlangt oder beantragt er keine Prozesskostenhilfe, so muss er, wenn er den Rechtsstreit dennoch führen möchte, hierzu ein Darlehen aufnehmen. Die Zinsen des Darlehens entsprechen insoweit, überträgt man die Situation auf das Kollektivverfahren, der Vergütung des Prozessfinanzierers. Nach ständiger Rechtsprechung, 67 der in der Literatur auch nur sehr vereinzelt widersprochen wird, 68 sind prozessbedingte Finanzierungskosten jedoch nicht erstattungsfähig. Geht es einem Individualkläger dagegen um die Risikovermeidung, so ist das Hinzuziehen eines Prozessfinanzierers mit dem Abschluss einer Rechtsschutzversicherung zu vergleichen. Das Erfolgshonorar entspräche hier der Beitragszahlung an den Versicherer, die ebenfalls im Individualverfahren nicht von der unterlegenen Gegenpartei zu erstatten ist. 69 Insoweit sähe sich ein Beklagter, würde der Gesetzgeber dem Vorschlag der Autorinnen folgen, durch eine Verbandsklage auf Abhilfe einem deutlich höherem Kostenrisiko ausgesetzt, als wenn die Geschädigten ihre Ansprüche auf dem Individualklageweg verfolgen würden. Dem stünden nicht nur Bedenken bezüglich des allgemeinen Gleichheitssatzes bzw. des Rechtsstaatsprinzips entgegen, aus denen die Verpflichtung zu einer gleich66 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 48 f.; hierzu bereits Teil 2 – E.VII. 67 Siehe OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 502; OLG München, NJW-RR 2000, 1096 (zu entgangenem Anlagezins); OLG Koblenz NJW-RR 1998, 718 (zu Kosten für eine Prozessbürgschaft); Zöller/Herget ZPO § 91 Rn. 13.56. 68 Siehe hierzu lediglich Braunschneider, ProzRB 2005, 212. 69 Ein entsprechendes Begehren würde in der Regel wohl bereits an der fehlenden Prozessbezogenheit der Versicherungskosten scheitern. Würde man darüber hinwegsehen, würde es jedoch in jedem Fall an der Erforderlichkeit der Kosten scheitern.
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
mäßigen Verteilung des Kostenrisikos hergeleitet wird, 70 Verbandsklagen würden damit auch einen deutlich höheren Druck auf den Beklagten ausüben, was in Verbindung mit der im Entwurf der Autorinnen fehlenden frühzeitigen Überprüfung der Klagen auf offensichtliche Unbegründetheit ein nicht zu unterschätzendes Erpressungspotential entfalten könnte. 71 Neben den Überlegungen zur Drittfinanzierung enthält der Vorschlag kaum innovative Ideen, um die Finanzierung der Klageaktivitäten der Verbände sicherzustellen. Übernommen werden soll die aktuell für Klagen nach dem UKlaG und die Musterfeststellungsklage geltende Streitwertdeckelung aus § 48 Abs. 1 S. 2 GKG. 72 Die Autorinnen erkennen zwar die in dieser Arbeit bereits mehrfach dargelegte Problematik um die unzureichende Rechtsanwaltsvergütung in Folge einer solchen Deckelung, schätzen sie aber dennoch als notwendig ein, um die Verfahrenskosten bei großvolumigen Abhilfeklagen noch in einem für die Verbände ertragbaren Maß zu halten. Zudem greifen sie den in der Vergangenheit bereits von mehreren Seiten unterbreiteten Vorschlag auf, Gelder aus Gewinnabschöpfungsklagen zur Finanzierung der Verbände zu nutzen. 73 Angesichts der Tatsache, dass die Instrumente zur Gewinnabschöpfung de lege lata überhaupt keine praktische Bedeutung haben, 74 bedürfte es zu diesem Zwecke aber erst einmal einer grundlegenden Novellierung derselben. 75 d) Wirkung der Abhilfeklage, Parallelverfahren und Verjährungshemmung Tritt ein Verbraucher einer Verbandsklage auf Abhilfe nach Erlass eines Grundurteils bzw. nach Genehmigung eines Vergleichs bei, so werden durch die anschließende Festsetzung der individuellen Leistungsberechtigung sowohl der Verbraucher als auch der Beklagte gebunden. 76 Späteren Individualklagen des Verbrauchers bezüglich desselben Streitgenstands steht insoweit die materielle Rechtskraft entgegen, 77 ebenso dem Beitritt zu einer erneuten Verbandsklage. 78 Hat ein Verbraucher bereits vor Beginn des Verbandsklageverfahrens Individualklage erhoben, so soll eine entsprechende Änderung des § 148 ZPO eine Aussetzung des Verfahrens ermöglichen. 79 70
Siehe hierzu grundlegend BVerfGE 35, 283, 289. Auch die Autorinnen erkennen die Schwachstellen in ihrem Vorschlag teilweise, Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 49. 72 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 45 f. 73 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 50. 74 Hierzu Teil 2 – A.I.3.a)cc); Teil 2 – A.I.3.b)ff). 75 Den Bedarf hierzu sehen auch die Autorinnen, Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 6 f. 76 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 36. 77 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 36. 78 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 41. 79 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 38, 55. 71
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Zudem ist das Gericht zur Entlastung der Justiz dazu angehalten, auf ein Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO hinzuwirken, wenn der Kläger keine Aussetzung beantragt. 80 Der Beitritt eines Verbrauchers zur Verbandsklage nach Erhebung einer Individualklage wirkt wie eine Klagerücknahme. Die Autorinnen sehen eine entsprechende Ergänzung des § 269 ZPO vor, um in einem solchen Fall eine Rücknahme auch ohne Zustimmung des Beklagten zu ermöglichen. 81 Zur Koordinierung von parallelen Verbandsklagen bezüglich derselben Ansprüche sieht der Entwurf der beiden Autorinnen eine Rechtshängigkeitssperre bis zum Ablauf der Anmeldefrist vor. Damit sind Parallelverfahren zwar möglich, jedoch nur zeitlich gestaffelt. Erst wenn die Frist zur Anmeldung für das erste Verfahren abgelaufen ist, können die Ansprüche der nicht beigetretenen Verbraucher zum Gegenstand einer weiteren Verbandsklage gemacht werden. 82 In Bezug auf Verbandsklagen mit anderen Klagezielen, also solchen auf Unterlassung oder Feststellung, besteht nach dem vorgeschlagenen System kein Regelungsbedarf, da es aufgrund der Regelungen zur Bindungswirkung zu keiner Rechtskraftkollision kommen kann. 83 Der Abhilfeklage soll zudem verjährungshemmende Wirkung zukommen, und zwar bereits ab dem Zeitpunkt der Klageerhebung. 84 Die Richtlinie selbst war zu diesem Punkt, wie oben angesprochen, uneindeutig. 85 Die Entscheidung hierzu erscheint folgerichtig, trägt doch eine zunächst beitrittsunabhängige Verjährungshemmung dazu bei, dass Individualklagen zunächst eher unterbleiben, was im Ergebnis zu einer Entlastung der Justiz führt. 86 Da der Entwurf durch eine entsprechende Änderung des § 204 BGB allen Verbandsklagen unabhängig von ihrem Klageziel und insoweit im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie, eine verjährungshemmende Wirkung zukommen lassen möchte, wäre es, wie die Autorinnen zutreffend feststellen, auch widersprüchlich, für die Verjährungshemmung im Rahmen einer Abhilfeklage ein Mandat zu verlangen, da die vollständig mandatsfreien Klagen auf Feststellung und Unterlassung die Verjährung ebenfalls hemmen. 87
Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 39, 55. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 40. 82 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 41. 83 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 37. 84 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 37; ausführlich hierzu noch einmal Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 39. 85 Hierzu Teil 2 – E.VIII. 86 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 38. 87 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 37. 80 81
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
e) Unterlassungs- und Feststellungsklagen, Auswirkungen auf bestehende Rechtsinstrumente Neben den bereits bestehenden Verbandsklageinstrumenten auf Beseitigung und Unterlassung, 88 die der Vorschlag, soweit ersichtlich, beibehalten möchte, 89 eröffnet sich durch den erheblich weiteren Anwendungsbereich, den sowohl die Richtlinie als auch, in nochmals gesteigerter Form, der Umsetzungsvorschlag vorsieht, ein breites Feld für mandatsunabhängige Klagen, das die Autorinnen nutzen wollen. Zugleich möchten sie auch die Effektivität der vorbeugenden Verbandsklagen steigern, indem sie die Möglichkeit einer einseitigen Rechtskraftserstreckung nach dem Vorbild des § 11 UKlaG auf sämtliche Klagen dieser Art erweitern. Betroffene Verbraucher sollen die Möglichkeit haben, sich in Folgeprozessen auf Feststellungen aus vorangegangenen Verbandsklagen zu berufen. 90 Dies soll jedoch nur möglich sein, wenn die vorangegangene Verbandsklageentscheidung durch ein deutsches Gericht erlassen wurde. Verfahren aus anderen Mitgliedstaaten entfalten entsprechend der Vorgabe der Richtlinie lediglich Indizwirkung i. R. d. § 286 ZPO. Verbandsklagen auf Beseitigung und Unterlassung sollen zudem, wie oben angesprochen, verjährungshemmend wirken. 91 Parallel zu den Beseitigungs- und Unterlassungsklagen möchten die Autorinnen auch eine vollständig mandatsfreie Verbandsklage auf Feststellung implementieren. Der Kreis der möglichen Feststellungsziele ist hierbei nach dem Vorbild der Musterfeststellungsklage denkbar weit gefasst. 92 Da für die Verbandsklage auf Feststellung ebenfalls die erweiterte Bindungswirkung sowie die Regelungen zur Verjährungshemmung gelten sollen, besteht kein Bedürfnis mehr für die MFK in ihrer jetzigen Form. 93 Diese soll insoweit in dem neu einzuführenden Verbandsklagesystem aufgehen. Bezüglich der Gewinn- bzw. Vorteilsabschöpfungsansprüche aus § 10 UWG bzw. § 34a GWB betonen die Autorinnen die Reformbedürftigkeit, ohne dies jedoch konkret in ihrem Gesetzesentwurf umzusetzen. Es wären wohl weitreichende Umgestaltungen nötig, um das von den Autorinnen avisierte Ziel einer Querfinanzierung von Verbandsklagen durch abgeschöpfte Gewinne zu erreichen. Da die beiden Autorinnen ihren Vorschlag auf den Anwendungsbereich der Richtlinie, also auf Verbandsklagen im B2C-Verhältnis, beschränken, 88
Hierzu Teil 2 – A.I.2. Der Gesetzesentwurf sieht zumindest keine Streichung der entsprechenden Normen vor. Mit der Einführung der geplanten Änderungen haben die bestehenden Elemente jedoch nur noch einen eigenständigen Anwendungsbereich im B2B-Verhältnis. 90 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 57 (§ 606 Abs. 2 ZPO v.F.). Zumindest dem Wortlaut nach gilt die Bindungswirkung jedoch nicht für nachfolgende Verbandsklagen. 91 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 37, 62. 92 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 56 (§ 606 Abs. 3 ZPO v.F.). 93 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 42 f. 89
B. Bestehende Umsetzungsvorschläge
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lassen sie das Kapitalanlegermusterverfahren in ihrem Vorschlag unberührt, empfehlen aber eine Reformierung des schwerfälligen und nicht sonderlich weitreichenden Instruments. 94 3. Maßgebliche Kritikpunkte, offene Fragen Der breite und flexible Ansatz, den die Autorinnen bezüglich des Anwendungsbereichs, der Klagebefugnis und der Klageziele wählen, ist zweifelsohne positiv zu bewerten. Die Erfahrungen sowohl im deutschen Recht als auch in der Rechtsvergleichung haben gezeigt, dass Elemente, die schon in ihrer Konzeption sehr eng gefasst sind, kaum eine effektive Wirkung insbesondere zur Streuschadensbekämpfung entwickeln können. Zwar ist auch die Verfahrensgestaltung der Verbandsklage auf Abhilfe mit ihrem späten Opt-In deutlich verbraucherfreundlicher ausgestaltet als im Rahmen des Vorschlags von Bruns, dennoch liegt in ihr wohl die größte Hürde für die effektive Streuschadensbekämpfung. Je geringer der individuelle Schaden der Verbraucher und je größer damit deren rationale Passivität ist, desto weniger Geschädigte werden dem Verfahren auch im zweiten Verfahrensschritt aktiv beitreten. Das verringert nicht nur die kompensatorische Wirkung der Klage, es unterbleibt auch eine vollständige Entziehung des Verletzergewinns die, wie oben dargelegt, jedoch zentrales Ziel sein sollte. Auch der gütlichen Streitbeilegung, deren Bedeutung im kollektivrechtlichen Kontext sowohl in der vorangegangenen Analyse aufgezeigt als auch von den Autorinnen des Umsetzungsvorschlags hervorgehoben wurde, ist eine Opt-In-Verfahrensgestaltung eher abträglich. Für den Beklagten ist der Anreiz sich zu vergleichen in einer Opt-In-Verfahrensgestaltung aufgrund des fehlenden universalbereinigenden Ergebnisses ungleich geringer als bei einem Opt-Out-Verfahren. Ein Vergleich mit den wenigen beigetretenen Verbrauchern kostet den Beklagten lediglich Geld und ermutigt zudem weitere Verbraucher oder Verbände zu Folgeklagen, gegen die sich der Beklagte wiederum verteidigen muss. Die vorgeschlagene Kosten- und Finanzierungsstruktur trägt ebenfalls nicht unbedingt zur Vergleichsbereitschaft des Beklagten bei. So sieht der Entwurf vor, dass der Beklagte bei Unterliegen im Prozess sowohl die Kosten des Treuhänders als auch, bis zu einer gewissen Deckelung, das Erfolgshonorar eines Prozessfinanzierers übernehmen soll. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es eines der Hauptanliegen des klagenden Verbands bei einer Vergleichsverhandlung sein wird, dass der Beklagte auch im Rahmen des Vergleichs diese Kosten übernimmt. Daraus ergibt sich jedoch, dass der Beklagte damit rechnen muss, in Folgeverfahren von anderen Verbänden wiederum den Treuhänder und den Finanzierer entlohnen zu müssen, entweder 94
Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 45.
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
aufgrund eines Urteils oder eines Vergleichs. Dadurch käme es für den Beklagten nicht nur kumulativ zu höheren Treuhänderkosten, da dieser wohl für jedes Verfahren eine gewisse Grundgebühr unabhängig von der Anzahl der beigetretenen Verbraucher bekommen wird, auch die Deckelung der Finanzierungskosten könnte auf diese Weise ausgehebelt werden, gilt sie doch nach aktuellem Vorschlag nur für das jeweilige Verfahren. Hinzu kommt, dass der Anreiz für den Beklagten, einer festgestellten Leistungsberechtigung des Treuhänders nicht zu widersprechen, deutlich dadurch verringert werden dürfte, dass eine unwidersprochene Feststellung in höheren Gebühren resultiert, die er ja zu tragen hat. Insgesamt scheint der Vorschlag der Problematik um die Finanzierungsstruktur, auch wenn er wiederum deren Bedeutsamkeit hervorhebt, nur unzureichend gerecht zu werden. Zwar ist den Autorinnen grundsätzlich darin zuzustimmen, dass Regelungen zur Drittfinanzierung im deutschen Recht allgemeingültig und nicht ausschließlich für das Feld der Verbandsklagen wünschenswert wären, jedoch erscheint es mehr als fraglich, ob die unter dieser Prämisse angedachte Finanzierungsstruktur des Entwurfs ausreichend sein wird, um den Verbänden eine rege Klageaktivität zu ermöglichen. Kaum zu rechtfertigen wird die aus der Belastung des Beklagten mit dem Erfolgshonorar des Finanzierers resultierende Ungleichbehandlung von kollektiver und individueller Rechtsdurchsetzung sein. Die darüber hinaus gemachten Vorschläge zur Streitwertdeckelung und Querfinanzierung durch Abschöpfungsklagen erscheinen kaum innovativ und aus mehrerlei Gründen problematisch. Der Umsetzungsvorschlag weist an einigen Stellen zudem Ungenauigkeiten bzw. Regelungslücken auf, die, würde der Entwurf in dieser Form Gesetz werden, teilweise lediglich zu Rechtsunsicherheiten führen würden, an anderer Stelle jedoch eine unzureichende Umsetzung der Richtlinie bedeuten könnten. Am auffälligsten ist das zunächst hinsichtlich der in der Richtlinie obligatorisch ausgestalteten Regelungen zur Information und Benachrichtigung über Verbandsklageverfahren, die der Umsetzungsvorschlag mit keinem Wort erwähnt. 95 Aber auch das fehlende Zulassungsverfahren und die damit ausbleibende Prüfung auf offensichtlich unbegründete oder undurchführbare Klagen führt zu einer mangelnden Konformität mit den Vorgaben der Richtlinie. Wünschenswert wären außerdem zusätzliche Angaben zu der zentralen Person des Treuhänders gewesen. Unklar ist insbesondere, welche Qualifikationsanforderungen an dieses Amt zu stellen sind. Werden aufgrund der zu leistenden Subsumtionsarbeit Personen mit der Befähigung zum Richteramt gesucht oder sollte der Treuhänder ob der Aufgabe die Entschädigungssummen konkret zu berechnen, eher über eine ökonomische Vorbildung 95
Zu den Vorgaben der Richtlinie, Teil 2 – E.IV. 3.b).
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems
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verfügen? Die Aufgabe ist in jedem Fall so umfangreich, dass der Treuhänder eines Personalapparats zur Umsetzung bedarf. Stellen sich die Autorinnen daher auf längere Frist ein kommerzielles Betätigungsfeld, vergleichbar mit dem in den U.S.A. zur Verteilung der Schadenssummen nach Class Actions etablierten „claims administrator“, vor? 96 Insgesamt ist der Umsetzungsvorschlag damit zwiespältig zu beurteilen. Was durch das weite Anwendungsgebiet, die Möglichkeit der Rechtskrafterstreckung und die weitreichende Verjährungshemmung zweifelsohne erreicht werden würde, ist eine Stärkung der mandatsunabhängigen Verbandsklagen. Ob jedoch das Kernstück der Richtlinie, die Abhilfeklagen, im System des verpflichtenden Opt-In und gestützt auf die vorgeschlagene Finanzierungsstruktur hinreichende praktische Relevanz entfalten würde, bleibt eher zweifelhaft.
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems unter Implementierung der Cy-Pres-Doktrin I. Das vorgeschlagene System im Überblick, Caveat Anhand der in dieser Arbeit erlangten Erkenntnis soll nun abschließend ein eigener Vorschlag zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie unterbreitet werden, der mittels eines integrativen Systems und in Überwindung der bestehenden und ausgemachten Hürden eine effektive Streuschadensbekämpfung in Deutschland ermöglicht. Grundlage des Vorschlages ist ein flexibles Verbandsklagesystem, innerhalb dessen die Verbände weitestgehend selbständig ihre Klageziele wählen und diese auch im Stufen- oder Eventualverhältnis miteinander kombinieren können. Der Vorschlag erfolgt im Rahmen der Vorgabe der Verbandsklagerichtlinie, nutzt aber den von dieser belassenen Raum für nationale Regelungen aus, indem er zusätzlich zu den von der Richtlinie vorgegebenen Klagezielen den Verbänden noch weitere Instrumente, namentlich Klagen auf Beseitigung und Folgenbeseitigung, an die Hand gibt. Im Gegensatz zu dem Umsetzungsvorschlag von Gsell und Meller-Hannich schlägt sich die Flexibilität des im Rahmen dieser Arbeit unterbreiteten Vorschlages auch bei der Wahl der Beitrittsmodalitäten zu einer Abhilfeklage nieder. Abhängig von der jeweiligen Fallkonstellation soll das Gericht, auf Grundlage des Antrags des Verbandes, entweder ein Opt-In- oder ein Opt-Out-Verfahren anordnen können. Diese und weitere für das Verfahren wegweisende Anordnungen sollen im Rahmen einer Zulassungsentscheidung getroffen werden, in der das Gericht die Klage auch auf ihre generelle 96
Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b).
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
Tauglichkeit hinsichtlich einer kollektivrechtlichen Durchsetzung untersucht. Wird eine Abhilfeklage durch ein Urteil beendet, so enthält dieses, soweit ein Opt-Out-Verfahren implementiert wurde, eine Gesamtschadenssumme und legt darüber hinaus auch bei einer Opt-In-Verfahrensgestaltung fest, wie die Einzelschäden der Verbraucher zu berechnen und zu verteilen sind. Ein möglichst niederschwelliges Online-Anmeldeverfahren soll zu diesem Zwecke installiert werden, das einen Sachwalter in die Lage versetzt, unter möglichst geringer Beteiligung der Geschädigten die Gelder möglichst effizient zu verteilen. Erweiterte Befugnisse zur Schadensschätzung und Pauschalierung sollen beide Verfahrensschritte erleichtern. Die Erfahrungen aus den U.S.A. haben gezeigt, dass unabhängig davon, wie niederschwellig das Anmeldeverfahren ausgestaltet ist, im Anschluss an ein Opt-Out-Verfahren stets Gelder in nicht unerheblichem Umfang verbleiben, die nicht an die Geschädigten verteilt werden können. Diese Gelder sollen nun in Reaktion auf die diesbezüglich ausgemachten Defizite im deutschen Recht und basierend auf den Erkenntnissen aus der in den U.S.A. über die Verwendung übriger Gelder geführten Diskussion dazu genutzt werden, das Finanzierungsdefizit der Verbände auszugleichen, jedoch ohne dabei wie im System der englischen Gruppenklage im Kartellrecht einen Interessenkonflikt zu verursachen. Nicht verteilbare Gelder sollen nach einem entsprechenden Beschluss des Prozessgerichts an ein zu gründendes öffentlichrechtliches Sondervermögen, einen Rechtsdurchsetzungsfonds, abgeführt werden. Dieser verwendet einen festen Prozentsatz der Gelder zur Finanzierung weiterer Verbandsklagen und unterstützt zudem, nach Vorgaben des Gerichts, Projekte, die für die nicht individuell entschädigten Verbraucher eine möglichst große indirekte Kompensationswirkung entfalten. Trotz des umfassenden Ansatzes, der mit dem hier vorgeschlagenen System verfolgt werden soll, kann der Gesetzgebungsvorschlag nicht auf alle im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigten und darüber hinaus gehenden Regelungsdefizite des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland eingehen. Das gilt in erster Linie für die Behandlung von Massenschäden. Im Gegensatz zu Streuschäden geht es in der kollektivrechtlichen Behandlung von Massenschäden nicht um die Überwindung rationaler Passivität, sondern um die effiziente Koordinierung einer Vielzahl von ähnlichen Verfahren. Insofern stehen die verfahrensrechtliche Effizienz und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung hier im Mittelpunkt, beides Ziele, die in der Streuschadensbekämpfung höchstens eine tertiäre Rolle spielen. 97 Hieraus resultiert, dass Instrumente, die zur Streuschadensbekämpfung untauglich sind, sich im Bereich der Massenschäden durchaus als effektiv erweisen können. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zum einen Musterklagen, zum anderen aber 97
Wagner, Gutachten, Juristentag I, S. A 11, A 119 ff.; zudem auch Teil 2 – A.I.5.c).
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems
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auch echte Gruppen- bzw. Repräsentantenklagen, also Klagen bei denen ein Geschädigter selbst das Verfahren oder einen Teil davon für die übrigen Geschädigten führt. 98 Das hier vorgeschlagene Verbandsklagesystem vernachlässigt die Bedürfnisse von Massenschäden jedoch auch nicht gänzlich. Die liberale Ausgestaltung der Beitrittsmodalitäten, die insoweit auch Schadensersatzklagen im Rahmen von Opt-In-Verfahren zulässt, ist durchaus auch auf die Durchsetzung größerer Schäden mit einer Vielzahl von Geschädigten, insoweit Massenschäden, ausgerichtet. Eine weitere ausufernde Problematik, die zwar nicht ausschließlich im kollektivrechtlichen Kontext auftritt, sich hier aber in besonderer Weise niederschlägt, ist die der Schadensberechnung von schwer messbaren materiellen Schäden. Diese wird, wie in Teil 2 bereits dargestellt, zum einen auf dem Gebiet des Lauterkeitsrecht bei unlauteren Handlungen im Rahmen der Vertragsanbahnung virulent, 99 entfaltet in jüngerer Zeit aber auch zunehmend Relevanz bei Verletzungen des Datenschutzrechts, denen in der Regel auch nur sehr schwer ein exakter Schaden zugewiesen werden kann. Obgleich der hier unterbreitete Vorschlag eine Erleichterung der Schadensberechnung vorsieht, kann und soll damit nicht über die Tatsache hinweggetäuscht werden, dass es sich hierbei um ein breites Problemfeld handelt, dessen Wurzeln tief in das materielle Schadensrecht hineinreichen. Zur Behandlung der Problematik wird in rechtsvergleichender Hinsicht insbesondere der Frage nachzugehen sein, ob pauschalierte Schadenssummen für eine bestimmte Verletzungshandlung, wie sie in den U.S.A. unter dem Begriff der „statutory damages“ bekannt sind, implementiert werden sollen und können. Zuletzt soll, insoweit im Einklang mit den Erwägungen, die Gsell und Meller-Hannich in ihrem Umsetzungsvorschlag anstellen, auch in diesem Vorschlag die Frage nach der Zulässigkeit einer externen Prozessfinanzierung nicht abschließend und damit gesondert für den Bereich der Verbandsklagen beantwortet werden. Wie die beiden Autorinnen zutreffend feststellen, bedarf es zur Klärung dieser Problematik einer einheitlichen Regelung für das gesamte deutsche Zivilrecht. Im Unterschied zum Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich besteht jedoch im Rahmen des hier unterbreiteten Umsetzungsvorschlages auch kein gesteigertes Bedürfnis nach einer Regelung zu dieser Thematik. Die Finanzierung der Verbände wird insoweit bereits durch den Rechtsdurchsetzungsfonds sichergestellt. Ohne Zweifel wäre dennoch eine komplementäre Möglichkeit der Drittfinanzierung zu begrüßen, um eine noch weiter gesteigerte Klageaktivität und in der Folge eine breitere Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen.
98 99
Hierzu in Abgrenzung zu Streuschäden, siehe Teil 4 – C.II.1. Hierzu Teil 2 – A.I.2.b)bb); Teil 1 – E.
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II. Breiter und flexibler Ansatz im Anwendungsbereich, in der Klagebefugnis und bei der Wahl der Klageziele 1. Klagebefugnis Grundsätzlich soll, parallel zu dem Ansatz, den Gsell und Meller-Hannich in ihrem Umsetzungsentwurf verfolgen, auch in dem hier unterbreiteten Vorschlag eine möglichst weite Klagebefugnis gewählt werden. Dementsprechend sollen die Klagen auf Feststellung, Unterlassung und Beseitigung auch von allen drei in § 3 UKlaG aufgeführten Gruppen, also den qualifizierten Einrichtungen, den qualifizierten Wirtschaftsverbänden und den Industrieund Handelskammern, erhoben werden können. Bezüglich der Klagen auf Folgenbeseitigung und Abhilfe ist jedoch eine Einschränkung der Klagebefugnis dahingehend vorzunehmen, dass diese nur durch die Verbraucherverbände erhoben werden können. Grund hierfür ist, dass diese Klagearten nach dem hier vorgeschlagenen System zum einen auch in Opt-Out-Verfahren betrieben werden können und zum anderen eine Bindungswirkung auch zulasten der repräsentierten Verbraucher entfalten. 100 Trotz des umfangreichen Benachrichtigungsverfahrens wird es somit gelegentlich zu Fällen kommen, in denen einzelne Verbraucher an das Ergebnis eines Verfahrens gebunden werden, ohne dass sie jemals von dem Verfahren und ihrer Möglichkeit aus diesem auszutreten erfahren haben. Diese Gegebenheit würde es den qualifizierten Wirtschaftsverbänden und den Industrie- und Handelskammern theoretisch ermöglichen, zum Schutze ihrer Mitglieder eigene Klagen anzustreben, damit Klagen durch Verbraucherverbände zunächst einmal qua Rechtshängigkeit zu blockieren 101 und im Ergebnis auf ein milderes Urteil oder einen für den Beklagten vorteilhafteren Vergleich hinzuarbeiten, als dies die Verbraucherverbände getan hätten. Diejenigen Verbraucher, die nicht ihren Austritt erklären, wären sodann hieran gebunden und es verbliebe ihnen lediglich die Option, den klagenden Verband in Haftung zu nehmen. Bislang gibt es zugegebenermaßen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses durch die Klagebefugnis der Wirtschaftsverbände entstehende Risiko auch tatsächlich realisieren würde. Andererseits ist, betrachtet man die Klageaktivität derselben im Rahmen der bereits bestehenden Verbandsklagen, ohnehin zweifelhaft, ob diese großes Interesse an der Durchsetzung von Verbraucherschäden entwickeln würden. Letzten Endes resultiert die hier vertretene Ablehnung der Klagebefugnis dieser Gruppe von Verbänden in Abhilfeverfahren auch in der Wirkung, die eine entsprechende Klage in der Öffentlichkeit entfalten würde. Einem Urteil oder gar einem Vergleich, das bzw. der von einem Wirtschaftsverband erreicht bzw. ausgehandelt wur100 101
Hierzu ausführlich Teil 4 – C.III.6. Dazu Teil 4 – C.V. 5.
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems
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de, werden die meisten Verbraucher mit Argwohn begegnen. Dies würde nicht nur in einer großen Zahl von Verfahrensaustritten resultieren, sondern könnte auf Dauer auch die Akzeptanz des Verbandsklagesystems in der Bevölkerung schwächen. Die zentralen Akteure des hier vorgeschlagenen Systems sind damit die qualifizierten Verbraucherverbände. Die Klageaktivität dieser Gruppe soll zudem noch durch kleinere Änderungen in den momentan in § 4 UKlaG geregelten Qualifizierungsanforderungen weiter belebt werden. Künftig soll auch Einrichtungen, die sich aus Anlass eines bestimmten Schadensereignisses und vorwiegend mit dem Ziel, die dadurch verletzen Rechte der Geschädigten durchzusetzen, gründen, der Verbandsklageweg offenstehen. Wie in Teil 2 herausgearbeitet wurde, liegt der in Deutschland bestehenden Zurückhaltung dieser Möglichkeit gegenüber vorwiegend Lobbyismus und keine tatsächliche Missbrauchsgefahr zugrunde. 102 Einer solchen wird im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems darüber hinaus ohnehin ausreichend durch die Überprüfung der Klage auf offensichtliche Unbegründetheit im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgebeugt. Die Richtlinie steht Adhoc-Gründungen zwar kritisch gegenüber, 103 verbietet sie im nationalen Kontext aber nicht. Insofern soll das momentan in § 4 Abs. 2 Nr. 2 UKlaG niedergeschriebene Erfordernis eines einjährigen Bestehens gestrichen werden. Zudem soll es in Zukunft nicht mehr erforderlich sein, dass es zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Verbände gehört, Verbraucher aufzuklären und zu beraten. 104 Diese Änderungen führen zwar zu unterschiedlichen Anforderungen an die qualifizierten Verbraucherverbände einerseits und die qualifizierten Wirtschaftsverbände andererseits, eine solche Ungleichbehandlung ist jedoch ob dem oben aufgezeigten unterschiedlichen Missbrauchsrisiko, das von beiden Gruppen ausgeht, geboten. Auch führt die Tatsache, dass ad hoc gegründete Durchsetzungsverbände insoweit dann innerhalb Deutschlands Klagen erheben, aufgrund der Regelung in Art. 4 Abs. 3 lit. a Richtlinie (EU) 2020/1828 aber nicht grenzüberschreitend tätig werden können, zwar zu einer Friktion, aber zu einer hinnehmbaren. Obgleich die oben erfolgte Analyse der Vorgaben der Richtlinie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass dieselbe auch der Einführung echter Gruppenklagen, also solchen, bei denen (auch) die Geschädigten selbst die Gruppe repräsentieren können, nicht im Wege steht, 105 soll hier von der Erweiterungsmöglichkeit der Klagebefugnis in dieser Hinsicht aus den eingangs ausgeführten Gründen kein Gebrauch gemacht werden. Echte Gruppenklagen 102
Hierzu Teil 2 – A.I.1.c)cc). Vgl. Art. 4 Abs. 3 lit. a Richtlinie (EU) 2020/1828 zu grenzüberschreitenden Sachverhalten und Erwägungsgrund 28 Richtlinie (EU) 2020/1828 grundsätzlich. Hierzu auch Teil 2 – E.II. 104 Weitere kleinere Anpassungen gehen mit diesem Schritt einher. 105 Teil 2 – E.II. 103
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
bieten sich insoweit lediglich für Massen-, nicht aber für Streuschäden an. 106 Insbesondere die Erfahrungen aus den U.S.A. haben gezeigt, dass das mangelnde Interesse an der Anspruchsdurchsetzung, das die Geschädigten bei Schädigungen in geringer Höhe typischerweise aufweisen, auch in den meisten Fällen der emanzipierten Verfolgung einer Gruppenklage entgegensteht. Eine Klagebefugnis der Geschädigten selbst resultiert daher, wenn sie denn genutzt wird, so gut wie immer in einer Fremdsteuerung des Verfahrens, ausgehend von einer eigeninteressengeleiteten dritten Partei. Insofern bedarf es in einem solchen Fall eines erheblichen Aufwandes seitens des Gerichts, um Interessenkonflikte zwischen den Geschädigten und der steuernden Partei aufzudecken bzw. zu vermeiden. Das Zulassungsverfahren würde darüber hinaus durch eine Überprüfung des Repräsentanten auf seine Tauglichkeit weiter in die Länge gezogen werden. 2. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich Parallel zu dem Ansatz, den der deutsche Gesetzgeber bereits im Rahmen der Musterfeststellungsklage verfolgte und den auch Gsell und Meller-Hannich vertreten, soll der Anwendungsbereich der Verbandsklagen weit gefasst werden. Es sollen sämtliche Ansprüche und Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern und Unternehmern umfasst sein unabhängig davon, ob diese aus nationalen oder aus europäischen Rechtsnormen herrühren. Damit wird insbesondere auch das Kartellrecht, das vom Anwendungsbereich der Richtlinie noch ausgenommen ist, auch dem System der neuen Verbandsklagen unterworfen. Angesichts der privatrechtlichen Durchsetzungsdefizite auf diesem Gebiet erscheint dies mehr als geboten. Hier sollen zudem, parallel zur jetzigen Regelung für Individualklagen auf Schadensersatz in § 33b GWB, Follow-on-Klagen ermöglicht werden. Auch die übrigen Erleichterungen, die im Kartellrecht bereits für Individualklagen gelten, wie die Vermutungen aus § 33a GWB und die Regelungen zum passing-on in § 33c GWB, sollen für die neue Verbandsklage auf Abhilfe Wirkung entfalten. Durch die Eingrenzung des Anwendungsbereichs ausschließlich auf Verbraucher können Schäden von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) nicht im Wege der Verbandsklage durchgesetzt werden. Damit verbleibt hier zwar ein Durchsetzungsdefizit von gewissem Ausmaß, dies dürfte sich aber größtenteils auf dem Gebiet der Massenschäden niederschlagen, da die Schäden dieser Gruppe wohl in dem meisten Fällen die Bagatellgrenze überschreiten dürften. Zudem handeln Unternehmen weitaus rationaler und wirtschaftlicher als Verbraucher, weswegen zumindest bei eindeutigen Rechtsverstößen hier mit einer geringeren Passivität zu rechnen ist. Würde man KMU in den Anwendungsbereich des neuen Verbandsklagesystems 106
Dazu bereits Teil 4 – A.
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einbeziehen, müsste man sich zudem die Frage stellen, welcher Verband diese Schäden durchsetzen sollte. Da Verbraucherverbände hieran wohl kein Interesse hätten, müssten die qualifizierten Wirtschaftsverbände zu diesem Zwecke aktiviert werden. Diese aber auch generell zur Erhebung von Verbandsklagen auf Abhilfe zu ermächtigen, brächte allerdings, wie oben ausgeführt, nicht unerhebliche Probleme mit sich, weswegen insoweit lediglich eine Teil-Legitimierung hinsichtlich der Ansprüche von Unternehmern in Betracht käme. Da dasselbe Streuschadensereignis aber typischerweise sowohl Verbraucher als auch KMU betreffen dürfte, würde diese Regelung zur Klagebefugnis die Aufspaltung eines zusammenhängenden Sachverhaltes in verschiedene Verbandsklagen bedeuten. Auch hier bleibt zudem fraglich, ob die Wirtschaftsverbände ein Interesse hätten, gegebenenfalls gegen ihre eigenen Mitglieder vorzugehen. Es erscheint daher insgesamt schlüssiger, die KMU generell aus dem neuen System der Verbandsklagen auszunehmen, zumal deren Interessen auch weiterhin durch die Beseitigungs- und Unterlassungsklagen in UKlaG, UWG und GWB geschützt werden. 107 3. Klageziele a) Unterlassung und Feststellung Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie und in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen zur Klagebefugnis soll allen klagebefugten Einrichtungen die Möglichkeit zur Erhebung von Unterlassungs- und Feststellungsklagen eröffnet werden. Nach dem Vorbild der bisherigen Unterlassungsklagerichtlinie 108 können die Verbände hier aus eigenem Recht klagen und bedürfen insoweit keines Mandats der betroffenen Verbraucher. Parallel zum Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich sollen die mandatsunabhängigen Verbandsklagen auch im hier vorgeschlagenen System zudem noch einmal ertüchtigt werden. Das soll zum einen durch die von der Richtlinie obligatorisch vorgegebene verjährungshemmende Wirkung geschehen, zum andern durch eine einseitige Rechtskrafterstreckung nach dem Vorbild des § 11 UKlaG. Detaillierte Ausführungen zu beiden Punkten finden sich unten. 109 Art. 8 Abs. 2 lit. a der Verbandsklagerichtlinie i. V. m. Art. 2 Abs. 1 S. 3 und den Erwägungsgründen 20 und 40 ermöglicht es den Mitgliedstaaten, isolierte Feststellungsklagen einzuführen, die den Vorgaben der Richtlinie für Unterlassungsklagen zu entsprechen haben. Parallel zum Gutachten von Gsell und Meller-Hannich möchte auch das hier vorgeschlagene System von 107 Zur weitergehenden Möglichkeit die Interessen von KMU und anderen Unternehmen durch die Etablierung einer Gruppenklage zu wahren, Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten zur Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie, S. 10 ff., 16 ff. 108 Richtlinie 2009/22/EG. 109 Zur Verjährung: Teil 4 – C.V. 3.; zur Rechtskraftserstreckung Teil 4 – C.V. 4.
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dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Die Feststellungsziele sollen dabei, wie das bereits bei der MFK der Fall ist, denkbar weit gefasst werden und sowohl tatsächliche als auch rechtliche Voraussetzungen von Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen umfassen. Da die mandatsunabhängige Ausgestaltung keine Bindungswirkung zu Lasten der am Verfahren nicht beteiligten Verbraucher zulässt, werden Gerichte in Folgeverfahren, parallel zur Unterlassungsklage, lediglich an Feststellungen zugunsten der Verbraucher gebunden. 110 Eine solche einseitige Bindungswirkung, allerdings nach vorangegangener Anmeldung, wurde bereits in der Genese der aktuellen Musterfeststellungsklage diskutiert, 111 nach heftigen Protesten insbesondere der Arbeitsgemeinschaft Mittelstand, 112 des deutschen Reiseverbandes, 113 des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft 114 und unter den Vorzeichen des Abgasskandals selbstverständlich auch des Verbandes der Automobilindustrie, 115 die sich allesamt, ohne hierzu genauere Ausführungen zu machen, auf die „prozessuale Waffengleichheit“ berufen, allerdings nicht weiter verfolgt. 116 Obgleich eine einseitige Bindungswirkung auf den ersten Blick eventuell wie eine ungerechtfertigte prozessuale Besserstellung der Verbraucher erscheinen mag, zeigt eine nähere Betrachtung, dass durch sie nicht etwa die Waffengleichheit beeinträchtigt, sondern im Gegenteil erst hergestellt wird. Wird eine Feststellungsklage, die lediglich einseitige Bindungswirkung entfaltet, abgewiesen, so sind anschließende Individualklagen insbesondere in Streuschadensfällen dennoch äußerst unwahrscheinlich. Auf der anderen Seite führt ein positives Urteil in einem beide Seiten bindenden Feststellungsverfahren bei weitem nicht dazu, dass sämtliche Geschädigten ihren Anspruch in der Folge durchsetzen. Der systematische Vorteil, den der Beklagte in Feststellungsverfahren damit immer gegenüber den Geschädigten hat, wird insoweit zumindest ein Stück weit durch die einseitige Bindungswirkung ausgeglichen. Und auch die theoretische Möglichkeit, im Anschluss an eine Verbandsfeststellungsklage die Entschädigung der Verbraucher ebenfalls im Wege der Verbandsklage einzufordern, führt im Ergebnis zu 110
Hierzu ebenfalls Teil 4 – C.V. 4. Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, 31. 07. 2017. 112 AG-Mittelstand, Positionspapier zur geplanten Einführung einer Musterfeststellungsklage, S. 4. 113 DRV, Stellungnahme zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, S. 4. 114 GDV, Stellungnahme zum Entwurf für ein Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, S. 2. 115 VDA, Position zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, S. 6. 116 Die Stellungnahmen sind allesamt abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/DE/Musterfeststellungsklage.html [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 111
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keiner anderen Bewertung. Aufgrund der auch im Verbandsklagesystem bestehenden Subsidiarität der Feststellungs- gegenüber der Leistungsklage, auf die unten noch vertieft eingegangen wird, 117 werden Feststellungsklagen in der Regel nur in Fällen erhoben werden, in denen eine Verbandsklage auf Leistung ohnehin nicht möglich ist. Einer erfolgreichen Feststellungsklage wird sich daher nur in Ausnahmefällen eine Leistungsklage durch einen Verband anschließen. Durch die Gleichschaltung der Feststellungs- und der Unterlassungsklage im hier vorgeschlagenen System und der daraus hervorgehenden sowohl verjährungshemmenden als auch einseitig bindenden Wirkung der mandatsunabhängigen Feststellungsklage, verbleibt abschließend für die mandatsabhängige Musterfeststellungsklage in ihrer heutigen Form kein Bedarf mehr. 118 b) Abhilfe/Schadensersatz Vollkommen neu einzuführen und damit auch mit erheblichem Regelungsbedarf verbunden ist die neue Verbandsklage auf Leistung oder „Abhilfe“, wie es der europäische Gesetzgeber ausdrückt. Mit ihr müssen die Verbände in die Lage versetzt werden, eine Entschädigung der Verbraucher durchzusetzen, ohne dass es hierzu einer Individualklage derselben bedarf. Die Klage muss nach den Vorgaben der Richtlinie mandatsabhängig ausgestaltet sein, 119 sowohl der Beklagte als auch die Verbraucher sind an das das Verfahren beendende Urteil bzw. den Vergleich gebunden 120 und auch der Abhilfeklage muss eine verjährungshemmende Wirkung zukommen. 121 Zur Erhebung von Abhilfeklagen sollen nach der hier vertretenen Konzeption lediglich die verbraucherschützenden qualifizierten Einrichtungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG berechtigt sein. 122 Da die aufgrund der Richtlinie einzuführende Verbandsklage auf Abhilfe im deutschen Recht ein Novum darstellt, bedarf es zunächst einer dogmatischen Einordnung dieses neuen Instruments. Grundsätzlich sind hier zwei Lösungsansätze denkbar. Man könnte den Verbänden entweder einen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch zuerkennen, der diese zu einer eigenständigen Durchsetzung befähigt und sie lediglich in der Rechtsfolge dazu verpflichtet, das durch das Verfahren Erlangte an die Geschädigten auszukehren. Alternativ könnte man davon ausgehen, dass die Verbände lediglich dazu ermächtigt sind, die Rechte der Verbraucher für diese durchzuset117 118 119 120 121 122
Teil 4 – C.II.3.d). Hierzu auch Teil 4 – C.V. 6. Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 16 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Hierzu Teil 4 – C.II.1.
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zen. Da die Verbände dies nach den Vorgaben der Richtlinie aber in eigenem Namen tun und eine materielle Rechtsübertragung von den Verbrauchern auf den Verband nicht vorgesehen ist, scheiden Stellvertretungs- sowie Abtretungskonstellation hier aus. Die Verbände würden insofern ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend machen, was im deutschen Recht der Prozessstandschaft entspricht. Die Richtlinie selbst legt wohl eher letztgenanntes Konstrukt nahe. Hierfür spricht zum einen Erwägungsgrund 42. Dieser verlangt zwar zunächst nur, dass die materiellen Rechte der Verbraucher durch die Richtlinie unberührt gelassen werden, was an sich noch nicht gegen die Schaffung eines materiellen Anspruchs für die Verbände spricht, stellt aber weiter klar, dass eine Verbandsklage auf Abhilfe nur erhoben werden soll, wenn das Unionsrecht oder das nationale Recht dieses materielle Recht vorsehen. 123 Der Erwägungsgrund positioniert sich insoweit relativ deutlich gegen die Schaffung eines „Anspruches auf Abhilfe“ der Verbände. In diese Richtung geht auch der Wortlaut des Art. 9 Abs. 9 der Richtlinie, der davon spricht, dass die im Rahmen der Verbandsklage gewährte Abhilfe unbeschadet etwaiger weiterer den Verbrauchern zustehenden Ansprüche erfolgt, die nicht Gegenstand der Verbandsklage waren. Auch hier geht der europäische Gesetzgeber wohl davon aus, dass durch die Abhilfeklage Ansprüche der Verbraucher durchgesetzt werden. Das gilt ebenfalls für die Parallelvorschrift zu Abhilfevergleichen in Art. 11 Abs. 5. Gegen eine diesbezügliche Auslegung der Richtlinie ließe sich Art. 9 Abs. 6 anführen, der davon spricht, dass die Verbraucher einen Anspruch darauf haben, dass ihnen die durch die Verbandsklage erstrittene Abhilfe zugutekommt. Einer solchen Regelung bedürfte es, wenn der Verband Ansprüche der Verbraucher durchsetzt, streng genommen ebenso wenig, wie der des Art. 16 Abs. 2 zur Hemmung der Verjährung. 124 Beides würde sich im Rahmen der Prozessstandschaft bereits aus geltendem Recht ergeben. Zumindest für Artikel 16 stellt Erwägungsgrund 64 jedoch klar, dass die Vorschrift der Vermeidung von Zweifeln dient, ähnlich könnte es sich auch mit Art. 9 Abs. 6 verhalten. Auch losgelöst von der Auslegung der Richtlinie, von der man wohl ohnehin nicht erwarten kann, dass sie Lösungsansätze für solche tief dogmatischen Probleme im deutschen Recht bereithält, erscheint eine Ausgestaltung in Form einer Art Prozessstandschaft der Verbände sinnvoller als die Schaffung eines eigenen materiellen Anspruches. Eine solche würde, da der Anspruch dann ja potentiell jedem klagebefugten Verband und darüber hinaus weiterhin den Geschädigten selbst zustehen würde, eine kaum überschaubare Anzahl an Folgeproblemen insbesondere bezüglich der Koordinierung 123 124
Erwägungsgrund 42 S. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Lühmann, ZIP 2021, 828.
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dieser Ansprüche nach sich ziehen. Demgegenüber erscheint eine Umsetzung der Abhilfeklage in Form einer Prozessstandschaft deutlich besser geeignet, insbesondere weil dadurch bezüglich der Bindungswirkung, der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftsperre bereits auf bestehende Judikatur zurückgegriffen werden kann. 125 Dennoch verbleibt aber selbstverständlich auch für diese Art der rechtlichen Einordung ein gewisses Regelungsbedürfnis, 126 welches bereits daraus resultiert, dass es sich bei der Verbandsklage auf Abhilfe weder um eine gewillkürte noch um eine gesetzliche Prozessstandschaft klassischem Verständnis nach handelt. Die gewillkürte Prozessstandschaft verlangt nach allgemeiner Auffassung sowohl das Vorliegen einer Ermächtigungserklärung durch den materiellen Berechtigten vor Beginn der mündlichen Verhandlung 127 als auch die ausdrückliche Erteilung einer solchen. 128 Da ein Ein- bzw. Austritt der betroffenen Verbraucher, wie später noch genauer ausgeführt wird, 129 jedoch erst im Anschluss an die Zulassungsentscheidung erklärt werden muss und Verbraucher in Opt-Out-Verfahren ohne ihr aktives Zutun von der Klage umfasst werden können, erfüllt die Abhilfeklage diese Voraussetzungen nicht. Insofern liegt wohl eher die Einordnung als gesetzliche Prozessstandschaft näher, die allerdings, für diese Art sonst unüblich, ein Austritts- bzw. Eintrittsrecht enthält. Im Ergebnis lässt sich die Klage damit wohl am besten als eine Art Mischform einordnen. Mit der Einordnung der Abhilfeklage als Prozessstandschaft muss zudem eine gewisse Uneinheitlichkeit im Verbandsklagesystem hingenommen werden. Für die bestehenden Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus UKlaG, UWG und GWB war die dogmatische Einordnung zwar lange Zeit umstritten, 130 mittlerweile wird aber beinahe einhellig davon ausgegangen, dass die Verbände hier eigene materiell-rechtliche Ansprüche verfolgen. 131 Dies soll nach dem hier vorgeschlagenen Konzept auch für die erweiterten und modifizierten Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gelten. Parallel hierzu legt es die einseitige Bindungswirkung, die im Rahmen dieses Vorschlags für die Feststellungsklage gewählt wurde, nahe, auch diese als Klage der Verbände aus eigenem Recht einzuordnen. 125 So auch Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 83, hier zwar zur Gruppenklage, insoweit aber dennoch übertragbar. 126 Ausführlich Teil 4 – C.III. 127 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 46 Rn. 36. 128 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 46 Rn. 33; zur Ausnahme der „stillen“ Zession BGH NJW 1993, 1396. 129 Hierzu Teil 4 – C.III.3. 130 Zum Streitstand ausführlich Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 114 ff. 131 Statt vieler zu § 8 UWG: MüKoUWG/Fritzsche UWG § 8 Rn. 23; zu § 1 UKlaG: MüKoZPO/Micklitz/Rott UKlaG § 1 Rn. 2; zu § 33 GWB: KölnKomKartellR/Krohs GWB § 33 Rn. 171.
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c) Beseitigung und Folgenbeseitigung Die Richtlinie sieht, insoweit der Terminologie der Unterlassungsklagerichtlinie folgend, für die Verbände lediglich Unterlassungs- aber keine Beseitigungsansprüche vor. 132 Während der ursprüngliche Kommissionsentwurf die jetzigen Abhilfemaßnahmen noch als Maßnahmen zur „Beseitigung der fortdauernden Auswirkungen des Verstoßes“ einordnete und mit seiner offenen Definition derselben („unter anderem“) 133 klar auch diejenigen Maßnahmen mit einschloss, die im deutschen Recht aktuell im Rahmen des § 8 UWG oder § 33 GWB von den Beseitigungsansprüchen umfasst werden, enthält die finale Fassung hierzu keine Regelung. Art. 8 und die dazu ergangenen Erwägungsgründe sprechen ausdrücklich nur von „Unterlassung“ und in Art. 9 werden die Abhilfemaßnahmen nun abschließend aufgezählt und stehen inhaltlich deutlich Schadensersatz- bzw. Mängelgewährleistungsansprüchen näher. Für die „klassischen“ Beseitigungsmaßnahmen, wie beispielsweise den Rückruf von Produkten, die Richtigstellung bzw. den Widerruf von Aussagen oder die Löschung bestimmter Daten, ergibt sich damit eine Regelungslücke. Diese kann und sollte der nationale Gesetzgeber füllen. Im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems wird den Verbänden daher neben dem Unterlassungs- auch ein mandatsunabhängiger Beseitigungsanspruch an die Hand gegeben. Ausgestaltet als Anspruch der Verbände aus eigenem Recht wirkt er genau wie der Unterlassungsanspruch verjährungshemmend. 134 Gerichte sind zudem in Folgeverfahren, ebenfalls parallel zum Unterlassungsanspruch, an die im Rahmen des Beseitigungsanspruches getroffenen Feststellungen über das Vorliegen eines Verstoßes gebunden. 135 Die Liberalität der Richtlinie nationalen Regelungen gegenüber soll, wie eingangs bereits erwähnt, im Rahmen dieses Vorschlags darüber hinaus dazu genutzt werden, einen Folgenbeseitigungsanspruch zu implementieren, der eine einfache und schnelle Rückzahlung unrechtmäßig eingezogener Beträge ermöglicht. Ein auf Geldzahlung gerichteter Anspruch geht dabei, wie oben aufgezeigt, nach herrschender Meinung über den Inhalt eines gewöhnlichen Beseitigungsanspruches hinaus und bedarf deshalb einer gesonderten gesetzlichen Grundlage. 136 Er ist zudem, trotz der ursprünglichen Konzeption des Kommissionsentwurfes und seiner inhaltlichen Nähe zum Beseitigungsanspruch nach dem Wortlaut der finalen Form der Richtlinie, 132 Die Formulierungen in Art. 8 Abs. 1 und Erwägungsgrund 40 Richtlinie (EU) 2020/ 1828 sind dahingehend recht eindeutig. Lediglich Erwägungsgrund 33 könnte eine andere Auffassung nahelegen, die im Ergebnis, da Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche im hier vorgeschlagenen System ohnehin gleichgeschaltet sind, jedoch keinen Unterschied im Hinblick auf die richtlinienkonforme Umsetzung machen würde. 133 Art. 6 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 134 Ausführlich Teil 4 – C.V. 3. 135 Ausführlich Teil 4 – C.V. 4. 136 Hierzu Teil 2 – A.I.2.b)cc).
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als Abhilfemaßnahme einzuordnen, da es sich um die „Erstattung gezahlt(er) Preise […]“ i. S. d. Art. 9 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie handelt. Das hat zur Folge, dass er den zwingenden Vorgaben der Richtlinie zum Abhilfeverfahren unterstellt ist, was sich insbesondere auf die Mandatsabhängigkeit und die beidseitige Bindungskraft auswirkt. Die Bezeichnung als „Folgenbeseitigungsanspruch“ ist damit zwar historisch korrekt, inhaltlich aber etwas irreführend. Streng genommen handelt es sich um ein vereinfachtes und beschleunigtes Abhilfeverfahren für bestimmte Fallkonstellationen. Das Folgenbeseitigungsverfahren verzichtet im Gegensatz zum „klassischen“ Abhilfeverfahren auf einen Anmelde- und Legitimationsprozess im Anschluss an ein Urteil bzw. einen Vergleich. Wie die Erfahrungen aus den U.S.A. zeigen, hindert das rationale Desinteresse die Geschädigten in Streuschadensfällen häufig auch an der Teilnahme an diesem Vorgang, was zu geringen Kompensationsquoten führt. 137 Der Beklagte soll daher in Fällen, in denen dies möglich ist, und das meint insbesondere wenn er über ausreichend Informationen verfügt, um die Geschädigten zu informieren und zu kontaktieren, verpflichtet werden können, rechtsgrundlos eingezogene Beträge zurückzuerstatten. Die Verlagerung des Identifikations- und Verteilungsprozesses auf den Beklagten bringt dabei ein nicht unerhebliches Regelungsbedürfnis, vornehmlich, aber nicht ausschließlich, in Bezug auf die Kontrollmöglichkeiten des Verbandes hinsichtlich dieses Vorgangs mit sich. Da es sich bei dem Folgenbeseitigungsanspruch jedoch, wie erwähnt, um eine Modifikation der Verbandsklage auf Abhilfe handelt, soll zu diesen Regelungen detailliert im Anschluss an die Darstellung derselben ausgeführt werden, um Parallelen und Unterschiede besser aufzeigen zu können. d) Wahlmöglichkeiten und Subsidiarität Das verpflichtende zweistufige Vorgehen des Kommissionsentwurfes, wonach zunächst eine Unterlassungsklage erhoben werden musste, damit im Anschluss Abhilfe verlangt werden konnte, findet sich in der finalen Version der Verbandsklagerichtlinie nicht mehr. Der europäische Gesetzgeber verlangt nun in Art. 9 Abs. 8 der Verbandsklagerichtlinie, dass eine Klage auf Abhilfe auch ohne vorangegangene Unterlassungsklage ermöglicht werden muss. Weitere Regelungen zur Koordinierung der verschiedenen Klagearten gehen aus der Richtlinie allerdings nicht hervor, womit sich insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems einzuführende Feststellungsklage die Frage stellt, in welchem Verhältnis diese zu den Verbandsklagen auf Unterlassung und Abhilfe stehen soll. Bei der Individualklage auf Feststellung nach § 256 ZPO geht die ganz herrschende Meinung davon aus, dass das Feststellungsinteresse fehlt, wenn es dem Kläger 137
Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b).
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
ebenfalls möglich wäre, ein Urteil zu erwirken, aus dem auch vollstreckt werden kann. 138 Es wird insofern von der Subsidiarität der Feststellungsgegenüber der Leistungs- bzw. der Unterlassungsklage gesprochen, 139 wenn auch dies begrifflich unsauber ist, da der Vorrang der Leistungsklage nicht als allgemeingültiges Konzept missverstanden werden darf 140 und in der Praxis von diversen Durchbrechungen und Modifikationen geprägt ist. 141 Das deutsche Kollektivverfahrensrecht kennt einen Vorrang von direkt vollstreckbaren Klagen bislang jedoch nicht. 142 Zwar forderte die BRAK in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der MFK noch die Einführung von entsprechenden Kollisionsregelungen, 143 dem wurde seitens des Gesetzgebers aber nicht entsprochen. So wird die Unzulässigkeit von AGB aktuell häufig auch im Rahmen von Musterfeststellungsklagen festgestellt, obgleich den Verbänden hierzu auch der Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG zur Verfügung stünde. Den Weg über die MFK beschreiten die Verbände dabei, da zum einen die Feststellung einer Unwirksamkeit faktisch ohnehin einer Unterlassungsanordnung gleichkommt, und zum anderen im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens noch weitere Rechtsfragen, wie beispielsweise das Bestehen eines Rückerstattungsanspruches, geklärt werden können. 144 Daraus ergeben sich aktuell auch keine größeren Probleme. Mit der Einführung der Verbandsklage auf Abhilfe und den erweiterten Unterlassungs- und Beseitigungsklagen, die in Anwendungsbereich und Klagebefugnis weitestgehend der neuen Verbandsfeststellungsklage gleichgeschaltet sind, werden Überschneidungen jedoch deutlich häufiger und damit auch problematischer werden, weswegen in diesem Zusammenhang die Sinnhaftigkeit einer Subsidiaritätsanordnung für die Feststellungsklage erörtert werden muss. Hierbei kann zunächst an den Grund für den Vorrang der Leistungsklage in Individualverfahren, die Prozessökonomie, angeknüpft werden. Es wird als unerwünscht angesehen, die Gerichte zunächst mit einem Prozess zu belasten, aus dessen Urteil nicht vollstreckt werden kann und an den sich aus diesem Grund später noch ein Verfahren zur Erlangung eines Titels anschließt, wenngleich ein solches auch bereits anfänglich möglich gewesen wäre. 145 138 BGH NJW 1952, 740; BGH NJW-RR 2012, 1223, 1224; BGH NJW 2012, 1295; Zöller/Greger ZPO § 256 Rn. 7a; Stein/Jonas/Roth ZPO § 256 Rn. 64 m. w. N. 139 So beispielsweise Pohlmann, Zivilprozessrecht, S. 63. 140 Hierzu ausführlich Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 438 ff. 141 Siehe hierzu ausführlich Stein/Jonas/Roth ZPO § 256 Rn. 65 ff. 142 Siehe zu den fehlenden Abgrenzungen zwischen den Kollektivklageinstrumenten Nordholtz/Mekat/Heigl/Normann § 2 Rn. 48 ff. 143 BRAK, Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, Zif. 1. 144 Siehe beispielsweise OLG Dresden VuR 2020, 306 zu Zinsanpassungsregelungen bei Verbraucher-Sparverträgen. 145 BGH NJW 1984, 1118, 1119; BGH NJW 1986, 2507; Musielak/Voit/Foerste ZPO
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Aktuell kommt es trotz der Möglichkeit Musterfeststellungsklagen in Situationen zu erheben, in denen der klagende Verband auch direkt Unterlassung bzw. Beseitigung hätte verlangen können, nicht zu einer Überlastung der Gerichte. Das ist jedoch maßgeblich auf die hohen Anforderungen zurückzuführen, die § 606 ZPO für die Erhebung einer MFK aufstellt. Es ist insofern nicht auszuschließen, dass es infolge der hier vorgeschlagenen Erweiterung der Klagebefugnis und der Absenkung der Anforderungen für die Erhebung einer Verbandsfeststellungsklage häufiger zu unnötigen doppelten Inanspruchnahmen kommt. Dies ist eher im Hinblick auf Unterlassungsund Beseitigungspflichten zu befürchten, da Abhilfeverfahren, wie oben angesprochen, nur durch qualifizierte Verbraucherverbände erhoben werden können. Betrachtet man diese Klageart isoliert, so wäre es prozessökonomisch wohl noch verkraftbar, auf eine Subsidiaritätssperre zu verzichten und im Vorfeld eines Abhilfeverfahrens auch die Erhebung einer Feststellungsklage zu ermöglichen. Verbandsklagen auf Abhilfe sind nicht in einem so großen Ausmaß zu erwarten, dass dadurch eine systematische Überlastung der Gerichte eintreten würde. Belässt es ein Verband aber bei der Feststellungsklage, so ist es durchaus denkbar, dass sich daran eine Vielzahl von Individualprozessen anschließt, die durch eine Subsidiaritätsanordnung hätten vermieden werden können. Verlässt man die aus dem Individualrechtsschutz abgeleitete Argumentationsebene, so muss man sich zunächst die Frage stellen, was einen Verband dazu motivieren könnte, anstatt einer Abhilfe- eine Feststellungsklage zu erheben. Dies wäre zum einen das geringere Kostenrisiko und zum anderen die lediglich einseitige Bindungswirkung, die ein Feststellungsurteil im hier vorgeschlagenen System entfaltet. Für den Beklagten könnte eine fehlende Subsidiaritätsanordnung daher gefährlich werden, da es für die Verbände auf diesem Weg möglich wäre, auch zweifelhafte Ansprüche kostengünstig und ohne Risiko für die Verbraucher im Wege der Feststellungsklage zu klären und erst im Anschluss hieran ggf. auf Abhilfe zu klagen. Eine fehlende Subsidiaritätsanordnung könnte sich auf der anderen Seite aber auch zu Lasten der Verbraucher auswirken. So könnte sie die Verbände dazu verleiten, sich aufwändige Schadensberechnungen und ein kompliziertes Anmelde- und Verteilungsverfahren zu ersparen und auch in Fällen, in denen eine Abhilfeklage möglich wäre, lediglich auf Feststellung zu klagen. Obgleich es einem Verband dennoch weiterhin möglich wäre direkt eine Abhilfeklage zu erheben, aus der die Verbraucher ohne Zwischenschritt profitieren, könnte damit faktisch das durch die Richtlinie aufgestellte Schutzniveau durch die Hintertür unterlaufen werden. Bliebe das Klageverhalten der Verbände in der Folge trotz der Möglichkeit einer Abhilfeklage weitest§ 256 Rn. 12; Pohlmann, Zivilprozessrecht, S. 63; kritisch Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 439 f.
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gehend auf Feststellungsklagen beschränkt, könnte sich daraus unter Umständen sogar eine Verletzung des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes ergeben. 146 Aus diesem Grund muss die Feststellungsklage auch im Kollektivverfahren subsidiär zu vollstreckbaren Klagezielen sein, 147 jedoch unter Beachtung der Ausnahmen und Durchbrechungen, die es bereits im Individualklagesystem, insbesondere hinsichtlich der nicht vollständigen Bezifferbarkeit von in der Entwicklung befindlichen Schäden, gibt. 148 Ein zusätzliches Anpassungsbedürfnis erwächst im hier vorgeschlagenen System zudem aus der Besonderheit, dass das Gericht eine Abhilfeklage im Rahmen der Zulassungsentscheidung, wie an späterer Stelle genau ausgeführt, 149 ablehnen kann, wenn es der Auffassung ist, dass der Fall, insbesondere wegen der Komplexität der Schadensberechnung und trotz der einzuführenden Erleichterungen in dieser Hinsicht, 150 ungeeignet für die kollektivrechtliche Anspruchsdurchsetzung ist. In Kombination mit der Subsidiarität der Feststellungsklage könnte diese Regelung dazu führen, dass Fälle mit komplizierteren Schadensberechnungen, bei denen sich die Verbände nicht sicher sind, ob sie vom Gericht im Rahmen der Abhilfeklage als durchführbar eingestuft werden, gar nicht erst vor Gericht gebracht werden, da die Verbände die Ablehnung des Abhilfeverfahrens scheuen, aber aufgrund der Subsidiarität auch keine Feststellungsklage erheben können. Diesem Problem soll mit einer Erleichterung der Klageumstellung begegnet werden. Entsprechend den Regelungen der §§ 263, 264 Nr. 2 ZPO gilt es bereits nach geltendem Recht nicht als (zustimmungsbedürftige) Klageänderung, wenn der Kläger seinen Klageantrag von Leistung auf Feststellung umstellt, da insoweit ein Fall der Klagebeschränkung nach § 264 Nr. 2 ZPO vorliegt. 151 Der von der herrschenden Meinung vertretenen Kumulationstheorie zufolge, die von Teilen der Literatur auch bei qualitativen Klagebeschränkungen und somit bei der Umstellung einer Leistungs- in eine Feststellungsklage angewandt werden soll, 152 ist in einer Klagebeschränkung jedoch zeitgleich auch eine teilweise Klagerücknahme zu sehen, womit nach Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache dennoch eine Zustimmung des
Hierzu grundlegend im Verbraucherrecht Reich, VuR 2012, 327. Das gilt für Klagen der qualifizierten Wirtschaftsverbände sowie der Industrie- und Handelskammern selbstverständlich insoweit nur im Verhältnis zu Unterlassungs- und Beseitigungsklagen, da diese nicht befugt sind Abhilfeverfahren zu betreiben. 148 Hierzu m. w. N. Musielak/Voit/Foerste ZPO § 256 Rn. 14. 149 Hierzu Teil 4 – C.III.2. 150 Hierzu Teil 4 – C.III.5. 151 Stein/Jonas/Roth ZPO § 256 Rn. 7; Stein/Jonas/Roth ZPO § 264 Rn. 15; OLG Düsseldorf NJW 2012,85. 152 Stein/Jonas/Roth ZPO § 264 Rn. 15 ff.; Gross, ZZP 75 (1962), 447, 451 ff.; a.A. explizit MüKoZPO/Becker-Eberhard ZPO § 264 Rn. 23. 146 147
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Klägers entsprechend § 269 ZPO erforderlich wäre. 153 Um sicherzustellen, dass es dieser im Verbandsklagekontext nicht bedarf, soll, obgleich dies nach hier vertretener Ansicht bereits aus der geltenden Rechtslage hervorgeht, noch einmal positiv-gesetzlich festgehalten werden, dass die Umstellung einer Verbandsklage auf Abhilfe in eine Verbandsfeststellungsklage keine Teilrücknahme darstellt. Die weiteren Verbandsklagen bedürfen darüber hinaus keiner Koordinierungsregelung. Klagen auf Folgenbeseitigung stehen in Idealkonkurrenz zu „klassischen“ Abhilfeverfahren, mit denen ebenfalls Rückzahlungsansprüche durchgesetzt werden können. Unter Beachtung der hier getroffenen Sonderregelungen steht es den Verbänden des Weiteren offen, die allgemeinen prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Das betrifft sowohl die Kumulierung verschiedener Klageanträge als auch die Erhebung von Stufen- bzw. Eventualklagen.
III. Die Verbandsklage auf Abhilfe 1. Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens Das hier vorgeschlagene System soll sich seine Flexibilität auch bei der Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens bewahren. Aus diesem Grunde soll das Gericht die Wahl zwischen einem Opt-In- und einem Opt-Out-Verfahren einzelfallabhängig und basierend auf dem Antrag des klagenden Verbandes treffen können. Mit der Ermöglichung auch eines Opt-Out-Verfahrens geht der hier unterbreitete Vorschlag deutlich über den Entwurf von Gsell und Meller-Hannich hinaus, bleibt aber im Rahmen der Vorgaben der Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten ausdrücklich offenlässt, sich zwischen diesen beiden Beitrittsformen zu entscheiden und auch eine Kombination erlaubt. 154 Im folgenden Abschnitt wird dargelegt, dass für ein solches Kombinationsmodell ein Bedürfnis besteht, auf welcher Grundlage ein Gericht über die Auswahl des Beitrittsverfahrens entscheiden sollte und insbesondere, dass ein solches, entgegen einiger Stimmen in der Literatur, mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Opt-In-Verfahren unzweifelhaft gewisse Vorteile gegenüber Opt-Out-Verfahren mit sich bringen. So wird eine aktive Beteiligung der Geschädigten von deutlich geringeren Bedenken hinsichtlich der Dispositionsbefugnis begleitet, was sich im Ergebnis auch auf die Strenge der Anforderungen bezüglich der Benachrichtigung nieder153 BGH NJW 1990, 2682; OLG Düsseldorf NJW 2012, 85, 86; Stein/Jonas/Roth ZPO § 264 Rn. 17; Zöller/Greger ZPO § 264 Rn. 4a; MüKoZPO/Becker-Eberhard § 264 Rn. 23; a.A. Musielak/Voit/Foerste ZPO § 264 Rn. 6; Pohlmann, Zivilprozessrecht, S. 214; Walther, NJW 1994, 423, 426. 154 Siehe hierzu Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Erwägungsgrund 43 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
schlägt. 155 Die Geschädigten sind zudem persönlich bekannt, wodurch die Wahrung ihrer Rechte insbesondere im Rahmen der Schadensberechnung und der Schadensverteilung erleichtert wird. Wie in dieser Arbeit jedoch schon an vielen Stellen ausgeführt wurde, scheitern Opt-In-Verfahren in Streuschadenssituationen an der Passivität der Geschädigten. Unabhängig davon, wie niederschwellig das Beitrittsverfahren ausgestaltet ist und mit wieviel Aufwand Informationskampagnen, die zum Beitritt motivieren sollen, betrieben werden, ist bei geringen Schadenshöhen mit keiner nennenswerten Beteiligung zu rechnen. Eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Klage des englischen Verbraucherverbandes „Which?“ aus dem Jahr 2005 wegen der kartellbedingten Preiserhöhung von Fußballtrikots. Trotz der umfangreichen Berichterstattung über das Verfahren und den geschlossenen Vergleich, in dem sich der Beklagte bereit erklärte, jedem angemeldeten Geschädigten £ 20 für jedes nachweislich erworbene Trikot zurückzuerstatten, nahmen nur etwa 0,1 % der Geschädigten diese Möglichkeit wahr. Es war unter anderem dieser Fall, der in England zur Novellierung der Gruppenklage im Kartellrecht und einem Umschwenken auf ein flexibles System zwischen Opt-In und OptOut geführt hat. 156 Das überwiegende praktische Bedürfnis nach Opt-Out-Verfahren führt langsam auch auf internationaler Ebene zu einer liberaleren Einstellung dieser Beitrittsform gegenüber. Die langjährige Skepsis des europäischen Parlaments scheint mit der Kompromisslösung der finalen Fassung der Verbandsklagerichtlinie zumindest teilweise überwunden zu sein und auch auf Ebene der Mitgliedstaaten finden sich bereits mehrere Kollektivverfahrensmodelle, die, zumindest auch, einen passiven Beitritt vorsehen. 157 Das hier vorgeschlagene Kombinationsmodell steht insoweit auch im Einklang mit den europäischen Modellregelungen für das Zivilverfahrensrecht, die das International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT) 158 in Zusammenarbeit mit dem European Law Institute (ELI) 159 im Jahr 2021 veröffentlicht hat. Die in diesen Modellregelungen in den Rules 204 ff. enthaltenen Vorschläge für Kollektivverfahren sind zwar im Unterschied zum hier unterbreiteten Vorschlag nicht auf Verbandsklagen beschränkt bzw. angepasst, setzen sich aber in Rule 215 grundsätzlich mit den Beitrittsmodalitäten auseinan155
Hierzu ausführlicher Teil 4 – C.III.4. Hierzu Teil 3 – E.I. 157 So beispielsweise in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Norwegen und Portugal. 158 Das UNIDROIT ist eine NGO mit Sitz in Rom, die sich, von insgesamt 63 Staaten getragen, der Modernisierung, Koordinierung und Harmonisierung des Zivilrechts verschrieben hat. 159 Das ELI ist eine NGO deren Ziel es ist, die europäische Rechtsentwicklung durch Forschung, Empfehlungen und praktische Anleitungen zu unterstützen. 156
C. Konzeption eines effektiven Verbandsklagesystems
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der. Die Autoren heben dabei, parallel zu den hier gemachten Ausführungen, auf die hervorgehobene Stellung der Dispositionsfreiheit der Geschädigten ab und begründen damit den von den Regelungen grundsätzlich vorgesehenen Vorrang des Opt-In-Verfahrens. 160 Speziell für Streuschadensfälle soll das Gericht aber, wenn absehbar ist, dass die Geschädigten aufgrund ihres rationalen Desinteresses weder einem Kollektivverfahren beitreten noch ihre Ansprüche individuell durchsetzen würden, ein Opt-Out-Verfahren anordnen können. 161 Eine solche Abstufung leuchtet auch für das hier vorgeschlagene Verbandsklagekonzept ein. Die Entscheidung zwischen Opt-In und Opt-Out soll insoweit auch hier nach dem Leitsatz erfolgen: Opt-In soweit möglich, Opt-Out soweit nötig. In der Literatur stoßen Opt-Out-Gestaltungen seit jeher sowohl im Kontext der Gruppen- als auch der Verbandsklage auf Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. Vorgebracht wird immer wieder, eine solche Verfahrensausgestaltung verstoße gegen das Recht auf rechtliches Gehör, die Dispositionsmaxime bzw. den Fair-Trial-Grundsatz. 162 Obgleich verschiedene Autoren diese Einschätzung teilen, wird sich nur selten die Mühe gemacht, einen genaueren Blick auf die Verfassungsgrundsätze zu werfen, deren Verletzung so pauschal unterstellt wird. 163 Vertiefte verfassungsrechtliche Ausführungen würden zwar auch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, dennoch wird im kommenden Abschnitt in gebotenem Umfang Stellung zu diesen Vorwürfen bezogen. Der Dispositionsgrundsatz (oder auch die Dispositionsmaxime) ist einer der zentralen Verfahrensgrundsätze der ZPO. 164 Als prozessuales Gegenstück der Privatautonomie beinhaltet er das Recht der Parteien, über Einleitung, Gegenstand und Ende des Verfahrens zu bestimmen. 165 Seine insoweit zentrale Funktion verdankt er insbesondere auch seiner Nähe zum Verfassungsrecht. Er wird weithin als Ausfluss materieller verfassungsrechtlicher Freiheits- und Verfügungsrechte, namentlich der aus Art. 2 Abs. 1 und
160 ELI/UNIDROIT – Model European Rules of Civil Procedure, Integral, S. 383 ff., abrufbar unter: https://www.unidroit.org/wp-content/uploads/2021/06/English-integral.pdf [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 161 ELI/UNIDROIT – Rule 215 Model European Rules of Civil Procedure (S. 80), abrufbar unter: https://www.unidroit.org/wp-content/uploads/2021/06/English-black-letter.pdf [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 162 Gsell, BKR 2021, 521, 524; Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 59; Deutlmoser, EuZW 2013, 652, 654; Wendt, EuZW 2011, 621; Mertens, ZHR 1975, 438, 470. 163 Sehr pauschal beispielsweise Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 20; ebenfalls Gsell, BKR 2021, 521, 524 die in Fn. 49 auf Meller-Hannich, Gutachten, 72. Juristentag I, S. A 1, A 59 verweist, das allerdings auch keine genaueren Ausführungen enthält. 164 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 76 Rn. 1. 165 Schilken/Brinkmann, Zivilprozessrecht, S. 18 ff.
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Umsetzung der Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie
Art. 14 GG gesehen. 166 Das Recht auf rechtliches Gehör findet sich im deutschen Grundgesetz in Art. 103 Abs. 1. Im Kern verlangt es eine einfach-gesetzliche Ausgestaltung, die gewährleistet, dass von einem Verfahren Betroffene hinreichend über dieses Verfahren informiert werden, sich anhand dieser Informationen zum Verfahrensstoff äußern können und diese Äußerungen letztendlich auch vom Gericht berücksichtigt werden. 167 Neben dem Grundgesetz erkennen auch die EMRK sowie die europäische Grundrechtecharta das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 S. 1 GrCh als Kern des dort jeweils begründeten Rechts auf ein faires Verfahren an. 168 Zweifelsohne werden sowohl der Dispositionsgrundsatz als auch das Recht auf rechtliches Gehör durch eine Verfahrensausgestaltung wie sie hier vorgeschlagen wird, also eine Kombination aus Opt-Out-Beitritt und beidseitiger Bindungswirkung, zumindest berührt. Worin genau die Kritiker jedoch jeweils eine Verletzung sehen, wird aufgrund der häufig sehr pauschalen Aussagen oft nicht klar. Erschwert wird die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands zudem noch dadurch, dass insbesondere die Verletzung des rechtlichen Gehörs häufig nicht isoliert bezüglich der Opt-Out-Verfahrensgestaltung vorgetragen wird, sondern dass zur Stützung einer dahingehenden Verletzung auch auf das Fehlen weiterer Beteiligungsrechte der Verbraucher im Kollektivverfahren abgestellt wird. 169 Da die Verbandsklagerichtlinie die weitestgehende Passivität der Verbraucher während des Verfahrens jedoch ausdrücklich anordnet, ergibt sich in dieser Hinsicht aufgrund des weitaus engeren Umsetzungsspielraums auch ein geänderter Beurteilungsrahmen, insbesondere im Hinblick auf die Wirkung deutscher Grundrechte. Betrachtet man zunächst isoliert den Dispositionsgrundsatz, so könnte das hieraus hervorgehende Recht der Geschädigten, sich auch gegen die Durchsetzung ihres Anspruches zu entscheiden, 170 durch eine Opt-Out-Gestaltung bereits dahingehend verletzt sein, dass ihnen abverlangt wird, aktiv zu werden um eine Anspruchsdurchsetzung zu verhindern. 171 Der Gesetzgeber verfügt allerdings auch hinsichtlich der Dispositionsmaxime über einen ge-
166 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 Rn. 38; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 132; ausführlich zudem Stürner, Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses und Verfassung, FS Baur, S. 647, 650 ff. 167 BVerfGE 107, 395, 409; Sachs/Degenhart GG Art. 103 Rn. 11; Dürig/Herzog/Remmert GG Art. 103 Abs. 1 Rn. 62 ff. 168 Ausführlich auch zum jeweiligen Anwendungsbereich Dürig/Herzog/Remmert GG Art. 103 Abs. 1 Rn. 18 f. 169 Insoweit undifferenziert Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 168 ff. 170 Saenger/Saenger ZPO Einf. Rn. 64. 171 Greiner, Die Class Action im amerikanischen Recht, S. 224; Fiedler, Class Actions zur Durchsetzung europäischen Kartellrechts, S. 259; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 247 f.; Mark, EuZW 1994, 238, 240; wohl auch Scholl, ZfPW 2019, 317, 341.
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wissen Gestaltungsspielraum. 172 Diesen kann er zur Verfolgung öffentlicher Interessen 173 nutzen, sofern der verfassungsrechtliche Kerngehalt der Maxime nicht berührt wird. 174 Da die möglichst umfassende Entziehung von Verletzergewinnen, wie oben aufgezeigt, 175 zweifelsohne im öffentlichen Interesse liegt, und dem Geschädigten grundsätzlich noch die Entscheidung über die Anspruchsverfolgung verbleibt, wird man in dieser Hinsicht noch keinen Verstoß feststellen können. 176 Kernvorwurf der Kritiker eines Opt-Out-Verfahrens, und in dieser Hinsicht sowohl den Dispositionsgrundsatz als auch das Recht auf rechtliches Gehör betreffend, ist jedoch, dass ein solches bei einigen Geschädigten unweigerlich dazu führt, dass über ihren Anspruch gänzlich ohne ihr Wissen verfügt wird. 177 Rein tatsächlich ist dieser Punkt nicht von der Hand zu weisen. Unabhängig davon, wie sorgfältig ein Benachrichtigungsverfahren ausgestaltet ist, kann, insbesondere bei Streuschadensfällen mit großen, heterogenen Gruppen, niemals ausgeschlossen werden, dass die entsprechenden Informationen einzelne Geschädigte nicht erreichen. Dennoch sind die Geschädigten, den Vorgaben der Richtlinie entsprechend, 178 auch an ein u. U. klageabweisendes Urteil gebunden. Faktisch haben sie in einem solchen Fall also keinerlei Einflussmöglichkeit auf eine sie konkret betreffende gerichtliche Entscheidung. Damit ist nicht nur der verfassungsrechtliche Kern der Dispositionsmaxime berührt, die Beteiligten selbst können auch ihr Recht auf rechtliches Gehör nicht ausüben. Bezüglich der Dispositionsbefugnis lässt sich zunächst feststellen, dass diese auch ohne das Gruppenverfahren ohnehin nur theoretisch bestand. Streuschadensfälle, in denen die Geschädigten zwar von der Schädigung an sich, aber nicht von dem anhängigen Verbandsklageverfahren wissen, dürften so gut wie nie vorkommen. Hier liegt insoweit lediglich eine theoretische, nicht aber eine faktische Beeinträchtigung vor,179 da Ansprüche, von denen die Geschädigten nie Kenntnis erlangen, ohnehin früher oder später der Verjährung unterfallen wären. Des Weiteren wird das Recht, über die Durchsetzung des eigenen Anspruches zu entscheiden, auch in anderen Konstellationen eingeschränkt oder gar verwehrt. In Lithgow v. United King172
MüKoZPO/Rauscher ZPO Einl. Rn. 318. Pohlmann, Zivilprozessrecht, S. 23. 174 MüKoZPO/Rauscher ZPO Einl. Rn. 318. 175 Siehe Teil 1 – D. 176 So auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 136; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 93 ff. 177 Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 168; Gsell, BKR 2021, 521, 524; Deutlmoser, EuZW 2013, 652, 654; zur Frage im Rahmen der Anerkennung von U.S.-Urteilen Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107, 115. 178 Art. 9 Abs. 2, 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 179 In diese Richtung auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 134; Voit, Sammelklagen und ihre Finanzierung, S. 102 f. 173
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dom 180 stufte der EGMR beispielsweise ein englisches Gesetz, das Geschädigte ohne Austrittsmöglichkeit zur kollektivierten Geltendmachung bestimmter Ansprüche verpflichtete, als zulässig ein. In der konkreten Situation 181 sei eine Einschränkung des Rechts auf individuellen Zugang zum Gericht aus Art. 6 EMRK rechtmäßig, da die Rechte der Geschädigten durch eine angemessene Repräsentation gewahrt würden und eine anderweitige Abwicklung der Schäden undurchführbar sei. 182 Anders verhält es sich in Bezug auf das Recht auf rechtliches Gehör. Allein die Tatsache, dass einige Mitglieder nicht über das Verfahren informiert werden, stellt hier bereits eine Beeinträchtigung dar, 183 die in der Folge aufgrund der fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten während des Verfahrens noch weiter intensiviert wird. Der hieraus entstehende Konflikt ist zumindest funktional durchaus mit dem vergleichbar, der im Rahmen der U.S. Class Action in Bezug auf den dort geltenden Due-Process-Grundsatz besteht. Der Due-Process-Grundsatz, der, vereinfacht gesprochen, besagt, dass der Staat nicht ohne angemessenes Verfahren über Leben, Freiheit oder Vermögen einer Person verfügen darf und dessen Kern die Gewährung rechtlichen Gehörs darstellt, 184 wird durch die Class Action auf Schadensersatz im Opt-Out-Verfahren nach Rule 23(b)(3) Fed. R. Civ. P. und insoweit noch deutlicher durch die anderen Alternativen der Class Action, die nicht einmal die Möglichkeit des Austritts vorsehen, 185 beeinträchtigt. Die Konstruktion des mittelbaren Rechts auf rechtliches Gehör, die in den U.S.A. zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses herangezogen wird, kann dabei durchaus auch in Deutschland fruchtbar gemacht werden. In den U.S.A. kann der Gruppenrepräsentant, soweit seine Interessen im Wesentlichen mit denen der Gruppe übereinstimmen, das rechtliche Gehör für die abwesenden Gruppenmitglieder wahrnehmen. 186 Getragen wird dieses Konstrukt von einer sorgsamen Auswahl und Überwachung des Repräsentanten durch das Gericht, von einem möglichst effektiven Benachrichtigungsverfahren, den fehlenden Kostentragungspflichten der Gruppenmitglieder bei Klageabweisung sowie dem Erfordernis einer gerichtlichen Vergleichsgenehmigung. All diese Merkmale enthält auch das hier vorgeschlagene Verbandsklagemodell, wenn auch die klagebefugten Verbände aufgrund gesetzlicher Vorgaben und nicht durch das Gericht selektiert werden. Ein eher funktionales 180
Lithgow and others v. United Kingdom, EGMR 24. 06. 1986, App. Nr. 9006/80. Dem Fall lag ein englisches Gesetz zur Entschädigung für Eigentumsverluste nach dem Aircraft and Shipbuilding Industries Act von 1977 zugrunde. 182 Lithgow and others v. United Kingdom, EGMR 24. 06. 1986, App. Nr. 9006/80 Nr. 28; ausführlich auch Kodek, Möglichkeiten zur gesetzlichen Regelung von Massenverfahren, Gabriel/Pirker-Hörmann S. 311, 354 ff. 183 Hierzu ausführlich Waldner Prütting/Weth, Rechtliches Gehör, S. 13 ff. 184 Hierzu Teil 3 – C.II. 185 Hierzu Teil 3 – C.I. 186 Zur „interest theory“ Teil 3 – C.II. 181
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Verständnis des Rechts auf rechtliches Gehör, das insoweit ohnehin zumindest im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG im Vordringen zu sein scheint, würde im Rahmen des auch hier bestehenden gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums 187 insofern eine Konstruktion vergleichbar mit der in den U.S.A. ermöglichen. 188 Eine solche könnte darüber hinaus sogar aufgrund kollidierendem Verfassungsrechts, namentlich dem Justizgewährungsanspruch und dem Gebot der Waffengleichheit, geboten sein. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch wird aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip hergeleitet. 189 Im Unterschied zur Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet er auch für Streitigkeiten des Privatrechts einen Anspruch auf Rechtsschutz. 190 Das Bundesverfassungsgericht sieht in ihm einen Ausgleich für das den Bürgern auferlegte Selbsthilfeverbot. 191 Insoweit ist auch anerkannt, dass sich der Justizgewährungsanspruch über die bloße Bereitstellung einer Zivilgerichtsbarkeit hinaus auch auf einen verhältnismäßigen Zugang zu derselben sowie ein effektives Verfahren zur Bewältigung der Rechtsstreitigkeiten erstreckt. 192 Übermäßige Gebühren für den Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit sind daher ebenso unzulässig 193 wie zu lange Wartezeiten. 194 In Streuschadenssituation sind es dagegen weniger gerichtliche Zugangsschranken als Informationsdefizite und das rationale Desinteresse der Geschädigten, die eine effektive Rechtsverfolgung verhindern. Die Situationen sind insoweit aber durchaus miteinander vergleichbar. Angesichts des in dieser Arbeit für die Bundesrepublik Deutschland festgestellten strukturellen Durchsetzungsdefizits für diese Schadensgruppe, kann man aus dem Justizgewährungsanspruch durchaus das Gebot zur Schaffung einer effektiven Bündelungsmöglichkeit herleiten. 195 Das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete Gebot der prozessualen Waffengleichheit, das, wie oben im Rahmen der Ausführungen zur Feststellungsklage bereits aufgezeigt, gerne von den Gegnern kollektivrechtlicher Verfahren bemüht wird, entfaltet in diesem 187
v. Münch/Kunig/Kunig/Saliger GG Art. 103 Rn. 13. So auch Koch, Kollektiver Rechtsschutz, S. 94. 189 BVerfG NJW 1993, 1635; BVerfG NJW 2003, 1924 m. w. N.; Dürig/Herzog/Grzeszick GG Art. 20 Abs. 3 Rn. 133; BeckOKGG/Huster/Rux GG Art. 20 Rn. 199; Jarass/Pieroth/ Jarass GG Art. 20 Rn. 128. 190 Siehe zur Abgrenzung Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 20 Rn. 128 f. 191 BVerfG NJW 1981, 39, 41; BVerfG NJW 1992, 1673; BeckOKGG/Huster/Rux GG Art. 20 Rn. 199. 192 BVerfG NJW 1981, 39, 41; BVerfG NJW 1992, 1673; BVerfG NJW 2003, 1924, 1926; Sachs/Degenhart GG Art. 103 Rn. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 1 die an dieser Stelle insbesondere auch die wirksame Durchsetzung von Bagatellforderungen hervorheben. 193 BVerfG NJW 1992, 105; Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 20 Rn. 134. 194 BVerfG NJW 1993, 1635; Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 20 Rn. 135. 195 In diese Richtung auch Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 99 ff. 188
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Zusammenhang ebenfalls Relevanz. Es ist allgemein als Teil des Rechts auf ein faires Verfahren anerkannt 196 und wird vom Bundesverfassungsgericht als „die verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter“ charakterisiert. 197 Hautpanwendungsgebiete dieses Gebots in Form von einfach-gesetzlichen Ausformungen sind zum einen die Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und zum anderen Beweislastregelungen, wie beispielsweise im Arzthaftungsrecht. 198 In beiden Fallgruppen geht es dabei um den Ausgleich tatsächlicher Chancenungleichheiten vor Gericht. Solche Ungleichheiten bestehen zweifelsohne auch in Streuschadenssituationen. Informatorische Defizite, Kostenerwägungen und Beweisschwierigkeiten halten die Geschädigten hier davon ab, ihr Recht vor Gericht geltend zu machen. Eine erhebliche Ungleichheit besteht zudem im Hinblick auf das wirtschaftliche Interesse an einem Verfahren. Während für den Geschädigten lediglich der Ausgleich seines vergleichsweise geringen Schadens auf dem Spiel steht und er aus diesem Grund nur wenige Ressourcen auf den Prozess verwenden wird, geht es dem Schädiger um die Verhinderung eines Präzedenzfalles und damit um ein Ziel, das einen deutlich höheren Zeit- und Geldeinsatz rechtfertigt. 199 Erst eine Bündelung der Ansprüche der Geschädigten durch den Verband und dessen daraus resultierende Bereitschaft, auch umfangreichere Ressourcen für den Prozess aufzuwenden, führt im Ergebnis zu einer Angleichung der Interessenlagen und insofern auch zur Herstellung prozessualer Waffengleichheit. Das Recht auf rechtliches Gehör auf der einen Seite wird in dem hier vorgeschlagenen System bestmöglich im Wege der praktischen Konkordanz mit dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch und dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit auf der anderen Seite in Einklang gebracht. Grundsätzlich bleibt der Individualrechtsschutz und damit die vollständige Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör vorrangig. Ist eine Individualklage bereits erhoben, so kann der Anspruch ohne das Zutun des Geschädigten nicht im Wege der Verbandsklage geltend gemacht werden. 200 Innerhalb der Verbandsklage auf Abhilfe stellt der grundsätzliche Vorrang des Opt-In-Verfahrens ebenfalls die bestmögliche Wahrung der Dispositionsfreiheit und des Rechts auf rechtliches Gehör sicher. Nur für diejenigen Fallkonstellationen, in denen der allgemeine Justizgewährungsanspruch und das Gebot der pro196 BVerfG NJW 1979, 1925; BVerfG NJW 1988, 2597; BVerfG NJW-RR 2001, 1006; MüKoZPO/Rauscher ZPO Einl. Rn. 279; ausführlich zudem Vollkommer, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß, FS Schwabe, S. 503 ff. 197 BVerfG NJW 1979, 1925, 1927. 198 MüKoZPO/Rauscher ZPO Einl. Rn. 279 m. w. N. 199 Ein solches Interessenungleichgewicht illustriert anschaulich: Wolf, Maltez v. Lewis, FS Schlosser, 1121, 1130 ff. 200 Dazu Teil 4 – C.V. 5.
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zessualen Waffengleichheit eine besondere Schutzbedürftigkeit der Geschädigten indizieren, kann ein Opt-Out-Verfahren implementiert werden. In solchen Fällen wird das Recht auf rechtliches Gehör mittelbar vom Verband für die Geschädigten wahrgenommen und zusätzlich durch weitere Schutzmaßnahmen gestärkt. 2. Zulassungsvoraussetzungen und Zulassungsentscheidung Im Rahmen des hier unterbreiteten Vorschlags spielt die dem Hauptverfahren vorgeschaltete Zulassungsentscheidung des Gerichts eine zentrale Rolle. Vergleichbar mit dem System der U.S. Class Action, der englischen Gruppenklage im Kartellrecht und vielen anderen Kollektivverfahren weltweit, überprüft das Gericht hier, ob sich die vom Verband erhobene Klage auf Abhilfe für eine kollektivrechtliche Behandlung überhaupt eignet und setzt wichtige Eckpfeiler für den weiteren Verfahrensgang. Die Verbandsklagerichtlinie selbst schreibt ein solches Verfahren nicht explizit vor, verlangt aber, dass das Gericht dazu in die Lage versetzt wird, in einem „möglichst frühen Verfahrensstadium“ offensichtlich unbegründete Klagen abzuweisen 201 und zu überprüfen, ob der konkrete Fall für eine Verbandsklage geeignet ist. Betrachtet man die Zulassungsvoraussetzungen verschiedener Kollektivverfahren rechtsvergleichend, so stellt man fest, dass diese sich jeweils einer von zwei Kategorien zuordnen lassen. Zulassungsvoraussetzungen der ersten Kategorie fragen danach, ob eine kollektive Durchsetzung der Ansprüche nötig ist, die der zweiten danach, ob eine solche auch möglich ist. 202 Beide Kategorien weisen dabei unterschiedliche Schutzrichtungen auf. Während es bei der Frage der Möglichkeit ausschließlich um die Durchführbarkeit des Verfahrens an sich bzw. die Handhabbarkeit durch das Gericht geht, schützen die Voraussetzungen zur Notwendigkeit primär die Geschädigten und erst auf einer sekundären Ebene auch das Gericht vor einer übermäßigen Inanspruchnahme. Zulassungsvoraussetzungen, die die Notwendigkeit eines Kollektivverfahrens überprüfen sollen, sind im Rahmen der U.S. Class Action die numerosity, 203 und bezogen auf die Class Action auf Schadensersatz die superiority. 204 Die Voraussetzungen der englischen Gruppenklage im Kartellrecht sind hieran eng angelehnt und auch die Modellregelungen von UNIDROIT und ELI verlangen in Rule 212(1)(a), dass ein Kollektivverfahren für die Beilegung 201
Art. 7 Abs. 7 Richtlinie (EU) 2020/1828. In echten Gruppenverfahren gibt es zudem meist noch Zulassungsvoraussetzungen, die die Geeignetheit des Gruppenrepräsentanten sicherstellen sollen. Diese sind jedoch für den hier unterbreiteten Vorschlag irrelevant. 203 Hierzu Teil 3 – C.II. 204 Hierzu Teil 3 – C.III.2. 202
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des Rechtsstreits effizienter sein muss, als eine einfache Streitgenossenschaft. Bevor man diese Voraussetzungen jedoch unbesehen in das hier vorgeschlagene System überträgt, scheint eine Abstufung sinnvoll. Wie bereits angesprochen, ist die primäre Funktion der Zulassungsvoraussetzungen erster Kategorie die, die Geschädigten davor zu schützen, unnötigerweise in ein Kollektivverfahren eingebunden zu werden, in dem ihre Beteiligungsrechte deutlich hinter denen zurückstehen, die ihnen in einem Individualverfahren gewährt werden würden. Dieses Schutzes bedarf es aber bei Opt-In-Verfahren grundsätzlich nicht. Hier können die Geschädigten frei unter Abwägung der jeweiligen Folgen entscheiden, ob sie dem Verfahren beitreten möchten. Insoweit genügt es hier, wenn mit einer Mindestanzahl von zehn Geschädigten, wie sie auch Gsell und Meller-Hannich vorschlagen, die sekundäre Schutzfunktion dieser Kategorie der Zulassungsvoraussetzungen, der Schutz der Gerichte vor übermäßiger Inanspruchnahme, erfüllt wird. Diese Mindestanzahl sollte grundsätzlich auch für Opt-Out-Verfahren gelten. Hier erfordert jedoch die Tatsache, dass trotz aller Bemühungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige Geschädigte zwar nie Kenntnis von dem Verfahren erlangen, aber dennoch an dessen Ergebnis gebunden sind, die Einführung weiterer Schutzvorkehrungen. Daher sollen die Gerichte, wie oben angesprochen, in Opt-Out-Verfahren stets überprüfen, ob für ein solches tatsächlich ein Bedürfnis besteht, also in der konkreten Fallkonstellation weder mit einer individuellen Rechtsverfolgung noch mit einer großen Anzahl an Beitritten zu einem Opt-In-Verfahren gerechnet werden kann. Als Kriterien für diese Prognoseentscheidung sollen neben der Höhe der jeweiligen Forderungen auch die Art der Schädigung sowie sonstige Gründe, die ein Interesse der Geschädigten an einer anderweitigen Verfolgung ihrer Ansprüche indizieren, herangezogen werden. In Anlehnung an Rule 23(b)(3)(A) und (B) Fed. R. Civ. P. sollen insbesondere auch Anzahl und Ausmaß bereits begonnener Individualverfahren berücksichtigt werden. Nicht nur aufgrund der Vorgaben der Richtlinie, sondern auch im Interesse eines effektiven Verfahrensablaufs bedarf es hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen, die die Möglichkeit eines Kollektivverfahren überprüfen, eines weitaus umfassenderen Ansatzes, der sowohl Opt-In- als auch OptOut-Verfahren abdeckt. Hier gilt grundsätzlich, dass ein Kollektivverfahren nur dann seine positiven Bündelungseffekte entfalten kann, wenn die geltend gemachten Ansprüche eine gewisse sachliche und/oder rechtliche Nähe zueinander aufweisen. Sichergestellt wird dies im System der englischen Gruppenklage durch Rule 79 CATR i. V. m. Section 47B (6) Competition Act, die, parallel zur commonality bzw. predominance 205 im System der U.S. Class Action, verlangen, dass den geltend gemachten Ansprüchen gleiche,
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ähnliche oder verwandte Sach- oder Rechtsfragen zugrunde liegen. 206 Dieser Ansatz soll auch im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems aufgegriffen werden, das damit ebenfalls auf einer Linie mit den Modelregelungen von UNIDROIT und ELI liegt. 207 Wie die Erfahrungen aus den U.S.A. zeigen, garantiert jedoch eine sachliche oder tatsächliche Nähe der geltend gemachten Ansprüche noch bei Weitem nicht die Durchführbarkeit des Verfahrens. Hier sind seitens des Gerichts weitere Faktoren zu berücksichtigen um sicherzustellen, dass nicht viel Zeit und Geld auf ein Verfahren verwendet werden, das absehbar im Sande verläuft. Unter dem Punkt der „generellen Durchführbarkeit des Verfahrens“ sollen die Gerichte daher insbesondere, aber nicht ausschließlich, überprüfen, ob der Vortrag des Verbandes eine Bestimmung des Gesamtschadens 208 und eine spätere Berechnung der Individualschäden als möglich erscheinen lässt, ob die Zugehörigkeit zur Gruppe anhand objektiver Kriterien bestimmbar ist und ob es wahrscheinlich ist, dass zumindest ein Großteil der Geschädigten über das Verfahren benachrichtigt werden kann. Die möglichst frühe Überprüfung der Klage auf ihre Durchführbarkeit ist aus den oben genannten Gründen zwar wichtig, es muss jedoch zeitgleich verhindert werden, dass eine überzogen restriktive Anwendung der Kriterien zu einer Hemmung der Klageaktivitäten führt. Daher sollen Probleme in der Durchführbarkeit, vergleichbar zur gerichtlichen Praxis in den U.S. A., 209 nur berücksichtigt werden können, wenn sie auch tatsächlich zu erwarten sind. Beantragt ein Verband die Zulassung einer Klage und reicht im selben Zuge bereits einen Vergleichsvorschlag ein, 210 so dürfen Probleme, die theoretisch in einem streitigen Verfahren auftreten könnten, nicht zur Ablehnung der Zulassung herangezogen werden. Zudem bedarf es, um den Vorgaben der Richtlinie und ihrer Ausrichtung auch auf grenzüberschreitende Klagen gerecht zu werden, einer dahingehend normierten Ausnahme. Da die Bestimmung des anwendbaren Rechts nach den allgemeinen Regelungen des internationalen Privatrechts für jeden geltend gemachten Anspruch gesondert vorgenommen werden muss, werden viele Verbandsklagen auf Abhilfe Ansprüche enthalten, die nach unterschiedlichem materiellen Recht zu beurteilen sind. Obgleich dies die Durchführung des Verfahrens zweifelsohne erschwert, soll diese Tatsache allein nicht zur Ablehnung der Zulassung herangezogen werden dürfen. 206
Hierzu Teil 3 – E.II. Siehe hierzu Rule 212(1)(b) und (c) Model European Rules of Civil Procedure (S. 79), abrufbar unter: https://www.unidroit.org/wp-content/uploads/2021/06/English-black-letter. pdf [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 208 Dies ist insoweit nur bei Opt-Out-Verfahren nötig, da bei Opt-In-Verfahren keine Gesamtschadenssumme gebildet werden muss. 209 Hierzu Teil 3 – C.III.3. 210 Zu dieser Möglichkeit Teil 4 – C.III.6. 207
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Entscheidet sich das Gericht die Klage zuzulassen, so hat es in der Zulassungsentscheidung die Gruppe der Geschädigten sowie die von dem Verfahren umfassten Ansprüche klar zu definieren. Daneben muss es die Form des Beitrittsverfahrens festlegen und Regelungen zu Inhalt und Umfang der Benachrichtigung treffen. Da Ein- bzw. Austritt der Geschädigten erst im Anschluss an die Zulassungsentscheidung stattfinden und die Geschädigten somit (noch) nicht persönlich bekannt sind, genügt es den Vorgaben der Richtlinie entsprechend, 211 wenn die Gruppe anhand objektiver Kriterien bestimmbar ist, die so präzise sein müssen, dass jeder Geschädigte in die Lage versetzt wird für sich selbst festzustellen, ob er zugehörig ist. 212 Wie bereits angesprochen, kann ein Verband, soweit das Gericht aufgrund von Schwierigkeiten in der Durchführung nicht geneigt ist, die Verbandsklage auf Abhilfe zuzulassen, ohne Zustimmung des Beklagten die Umstellung in eine Feststellungsklage beantragen. Damit verbleibt, insbesondere für Fälle, die sich aufgrund der Komplexität der Schadensberechnung nicht für das Abhilfeverfahren eignen, zumindest die Möglichkeit, die Haftung des Beklagten dem Grunde nach festzustellen. Ebenso soll der klagende Verband, soweit das Gericht entgegen seinem Antrag kein Bedürfnis für ein Opt-Out-Verfahren feststellt, die Umstellung in ein Opt-In-Verfahren beantragen können, wiederum ohne dass dafür die Zustimmung des Beklagten erforderlich ist. In solchen Fällen soll das Gericht die durch die Umstellung des Verfahrens entstandenen Mehrkosten jedoch unabhängig vom Verfahrensausgang dem klagenden Verband auferlegen können, um zu verhindern, dass dieser einfach pauschal in jedem Fall eine Klage auf Abhilfe erhebt bzw. die Implementierung eines Opt-Out-Verfahrens vorschlägt. 3. Zeitraum für die Ausübung des Ein- bzw. des Austrittsrechts Allein die Tatsache, dass das Gericht im Zulassungsverfahren über die Art des Verfahrensbeitritts entscheidet, bedingt noch nicht, dass sich der Zeitraum für die Ausübung des Ein- bzw. Austrittsrechts zwingend an die Zulassungsentscheidung anschließen muss. An welcher Stelle im Verfahren die Ein- bzw. Austrittsentscheidung getroffen werden muss, spielt dabei, wie oben bereits dargelegt, 213 eine mitunter erhebliche Rolle. Verlangt man, wie das beispielsweise der Umsetzungsvorschlag von Bruns tut, eine recht frühe Entscheidung, so gereicht dies eher dem Beklagten zum Vorteil, da davon auszugehen ist, dass ein unsicherer Prozessausgang vermehrt zur Ausübung 211
Art. 7 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828; Erwägungsgrund 49 Richtlinie (EU) 2020/
1828. 212 In diese Richtung auch Rule 213(1)(c) Model European Rules of Civil Procedure (S. 79), abrufbar unter: https://www.unidroit.org/wp-content/uploads/2021/06/Englishblack-letter.pdf [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 213 Hierzu Teil 3 – C.IV.; Teil 4 – B.II.1.
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des Austritts- bzw. zur Nicht-Ausübung des Eintrittsrechts führt. Ist das Verfahren dagegen weiter fortgeschritten, lässt sich der Verfahrensausgang für die Geschädigten deutlich besser absehen, wodurch sie in eine vorteilhaftere Lage versetzt werden. Ein Opt-In erst im Anschluss an ein Grundurteil, wie es Gsell und Meller-Hannich vorschlagen, kommt so einer quasi-einseitigen Bindungswirkung gleich. Die Richtlinie selbst stellt es ausdrücklich in das Ermessen der Mitgliedsstaaten festzulegen, in welchem Stadium des Verfahrens der Ein- bzw. Austritt erfolgen muss. 214 Gewisse zwingende Vorgaben ergeben sich in diesem Zusammenhang jedoch aus der Ausgestaltung des hier vorgeschlagenen Systems. So muss, zumindest im Opt-Out-Verfahren, im Rahmen des Urteils immer eine Gesamtschadenssumme festgelegt werden, um dem Beklagten den Verletzergewinn vollständig und über den Anteil der am Verteilungsverfahren partizipierenden Geschädigten hinaus, zu entziehen. Um dies zu ermöglichen, muss dem Gericht aber die Größe der Gruppe bekannt sein, insofern muss der Austritt aus dem Verfahren vor Erlass des Urteils erfolgen. 215 Für das Opt-In-Verfahren dagegen scheint die Festlegung eines Gesamtschadens der Gruppe im Endurteil und damit die Implementierung des Eintrittsverfahrens vor Erlass desselben weniger zwingend. Verbraucher, die dem Verfahren aktiv beitreten, werden regelmäßig auch gewillt sein, aktiv am Verteilungsverfahren zu partizipieren, so dass die Diskrepanz zwischen angemeldeten und direkt entschädigten Verbrauchern marginal sein dürfte. Insofern kann hier von der Festlegung einer Gesamtschadenssumme abgesehen werden, zumal dies für die Gerichte eine Erleichterung darstellt. Obgleich damit grundsätzlich die Möglichkeit bestehen würde, den Zeitraum für die Beitrittserklärung erst nach Erlass des Urteils beginnen zu lassen, soll diese im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems nicht genutzt werden. Diese Ablehnung stützt sich dabei weniger auf die Herstellung einer „Waffengleichheit“ zwischen Kläger und Beklagten, sondern vielmehr auf Zweifel, ob die Implementierung eines so späten Beitrittsverfahrens richtlinienkonform wäre. So überlässt es die Verbandsklagerichtlinie, wie angesprochen, zwar grundsätzlich den Mitgliedstaaten den Beitrittszeitpunkt festzulegen, sie verlangt aber auch, dass sowohl der Beklagte als auch die geschädigten Verbraucher an das Ergebnis der Verbandsklage gebunden sind. 216 Die Konstruktion von Gsell und Meller-Hannich entspricht dem zwar dem Wortlaut nach noch, da das „Ergebnis“ der Abhilfeklage hier erst nach Abschluss der zweiten Verfahrensstufe feststeht, faktisch kommt dies aber eher einer einseitigen Bindungswirkung gleich, die die Richtlinie jedoch ge214
Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Die Alternative, zunächst ein Grundurteil zu sprechen, dann den Austritt zu ermöglichen und daran anschließend erst die Gesamtschadenssumme festzulegen erscheint unnötig umständlich. 216 Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 215
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rade ablehnt. Insofern verlangt Art. 9 Abs. 2 auch, dass der Beitritt „nach Erhebung der Verbandsklage innerhalb einer angemessenen Frist“ erfolgt. Obgleich sich diese „angemessene Frist“ wohl eher auf den Zeitraum für die Ausübung des Beitrittsrechts und weniger auf den Satzteil „nach Erhebung der Verbandsklage“ bezieht, 217 sieht die Richtlinie einen Beitritt im Anschluss an ein Grundurteil wohl nicht vor. Insofern soll auch bei Opt-In-Verfahren der Beitritt im Anschluss an die Zulassungsentscheidung und vor dem Urteil erfolgen, wobei das Gericht die genaue Frist hierfür, ebenso wie bei Opt-Out-Verfahren, im Rahmen der Zulassungsentscheidung festlegt. Die Geschädigten sind damit immer noch hinreichend geschützt, sollen doch Klagen, die offensichtlich unbegründet sind, schon gar nicht zugelassen werden. Zudem steigt nach einer Zulassung die Aussicht auf einen Vergleich enorm. 4. Rechtswahrende Beteiligung der Geschädigten Den in dieser Hinsicht angenehm präzise ausgestalteten Vorgaben der Richtlinie entsprechend, soll die Rolle der Verbraucher im hier vorgeschlagenen System weitestgehend passiv ausgestaltet werden. Neben dem Einbzw. Austrittsrecht im Rahmen des Abhilfeverfahrens stehen den Geschädigten selbst ausschließlich Informationsrechte zu. Im Gegensatz zur amerikanischen Class Action haben sie weder das Recht die Klage durch aktives Vorbringen zu unterstützen, noch Einwände gegen den Inhalt des Vergleichs zu erheben. 218 Dies gebieten nicht bloß die Vorgaben der Richtlinie, 219 sondern auch die Erfahrungen aus den U.S.A. Bei geringen Schadenssummen ist die aktive Beteiligungsrate hier ohnehin meist verschwindend gering, die Beteiligungsrechte werden jedoch immer wieder in missbräuchlicher Weise verwendet. 220 Der mit der Verwehrung von Beteiligungsrechten einhergehende Eingriff in das Recht der Geschädigten auf rechtliches Gehör kann im Wege der mittelbaren Wahrnehmung dieses Rechts durch den klagenden Verband in praktischer Konkordanz mit dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit und dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch gerechtfertigt werden. Entsprechend den Vorgaben des Art. 13 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie müssen die Verbände auf ihren Webseiten umfassend sowohl über laufende, als auch über die Ergebnisse von abgeschlossenen VerbandsklageverAnders sieht das wohl Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 48. Zu diesen Möglichkeiten im Rahmen der Class Action Teil 3 – C.VI.2. Ein entsprechendes Recht können die Parteien jedoch selbstverständlich, sollten sie das wünschen, im Vergleich vereinbaren. 219 Vgl. Erwägungsgrund 36 S. 4 und 5 Richtlinie (EU) 2020/1828; zur Rolle der Verbraucher nach den Vorgaben der Richtlinie zudem Teil 2 – E.IV. 3.b). 220 Hierzu Teil 3 – C.VI.2. 217 218
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fahren informieren. Die hierzu zur Verfügung gestellten Informationen sollen zudem auf einer vom BMJ zur Verfügung gestellten Webseite gebündelt erfasst und übersichtlich dargestellt werden. Mit Hilfe eines kurzen Interview-Verfahrens, wie man es aus Software zur Anfertigung von Steuererklärungen kennt, sollen Verbraucher dazu in die Lage versetzt werden, sich in wenigen Minuten einen Überblick über alle sie eventuell betreffenden Verbandsklageverfahren zu verschaffen. Soweit es Verbandsklagen auf Abhilfe betrifft, sollen weiterführende Links den Betroffenen hier direkt ermöglichen, sich vertiefter mit dem Verfahren zu beschäftigen, einen Ein- bzw. Austritt zu erklären oder bei abgeschlossenen Verfahren ihren Anteil an der Gesamtschadenssumme einzufordern. Ist die Frist hierzu bereits abgelaufen, 221 sollen sie über die (geplante) Verwendung der Gelder durch den Rechtsdurchsetzungsfonds informiert werden. Die zentrale Benachrichtigung in Abhilfeverfahren ist zweifellos die über die Zulassungsentscheidung. Sie enthält alle erforderlichen Informationen, um die Geschädigten in die Lage zu versetzen, eine fundierte Entscheidung über den Aus- bzw. Eintritt zu treffen, und ist insofern nur notwendig, wenn die Gruppe auch zugelassen wird. 222 Was genau in dieser Benachrichtigung zu stehen hat, in welcher Form sie zu erfolgen hat und auch welche Partei für sie zuständig ist, entscheidet das Gericht im Rahmen der Zulassungsentscheidung. Für die Fragen der Form und der Zuständigkeit soll es sich dabei von gesetzlichen Vorgaben in der Struktur eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses leiten lassen. Dementsprechend soll hinsichtlich der Form der Benachrichtigung nach der Beitrittsart differenziert werden. Bei einem OptOut-Verfahren gebieten die hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen, dass die Benachrichtigung in der Regel individuell zu erfolgen hat und komplementär hierzu durch öffentliche Bekanntmachungen abgesichert wird. Bei Opt-In-Verfahren dagegen sollen individuelle Benachrichtigungen die Ausnahme und ausschließlich öffentliche Bekanntmachungen die Regel sein. 223 Für die Auswahl des Mediums der individuellen Benachrichtigung und der öffentlichen Bekanntmachung ergeben sich aus Erwägungsgrund 61 der Verbandsklagerichtlinie gewisse Anhaltspunkte. Dieser stellt allem voran auf die Umstände des konkreten Falles ab. Bei Sachverhalten in der analogen Welt oder solchen, bei denen vorwiegend ältere oder weniger digitalaffine Verbraucher geschädigt wurden, soll daher die Individualbenachrichtigung in Briefform und die öffentliche Bekanntmachung (auch) in Printmedien erfolgen. Aufgrund der deutlich höheren Reichweite und der geringeren 221
Dazu Teil 4 – C.III.8.a). Sie entspricht insoweit den Vorgaben des Art. 13 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. 223 Das erscheint insoweit noch konform mit den Vorgaben des Erwägungsgrunds 61 S. 3 Richtlinie (EU) 2020/1828. 222
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Kosten soll in der Regel aber eine E-Mail bzw. eine öffentliche Benachrichtigung in digitalen Medien, wie sie auch die Richtlinie selbst nennt, ausreichen. 224 In Bezug auf letztgenannte können und sollen alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, insbesondere auch die, auf sozialen Medien oder im Werbe-Frame entsprechender Webseiten personalisierte Werbung anzeigen zu lassen. Webseiten wie Google, Facebook oder Instagram nutzen die gesammelten Cookies und Browserdaten ihrer Nutzer schon seit langem dazu, diesen an ihr individuelles Verhalten im Internet angepasste Werbung anzeigen zu lassen. Algorithmen filtern gewisse Datensätze heraus und können dadurch erschreckend genau einschätzen, für welche Produkte oder Dienstleistungen sich der Benutzer interessieren könnte. 225 Obgleich diese Art des Marketings immer wieder in der Kritik steht, spricht nichts dagegen, sie, solange sie gesetzlich zulässig ist, auch zu einem nicht kommerziellen Zweck, nämlich der Benachrichtigung potentieller Geschädigter, zu nutzen. Wie oben bereits angesprochen, lässt es die Richtlinie zwar offen, welche Partei die Geschädigten über die Ein- bzw. Austrittsmöglichkeit und damit in dem hier vorgeschlagenen System über die Zulassungsentscheidung zu informieren hat, aufgrund des Interessengleichlaufs und der Sachnähe naheliegend ist es aber, hiermit grundsätzlich den klagenden Verband zu beauftragen. Dieser kann sich die hieraus entstandenen Kosten, sollte die Klage Erfolg haben, vom Beklagten erstatten lassen. 226 In manchen Fallkonstellationen jedoch, in denen der Beklagte bereits über die entsprechenden Kontaktinformationen der Geschädigten verfügt, kann es sinnvoller sein, ihn die Benachrichtigung durchführen zu lassen. Eine entsprechende Anordnung durch das Gericht kommt insbesondere im Rahmen des vereinfachten Abhilfeverfahrens, sprich des Folgenbeseitigungsanspruches, in Betracht. 227 Eine Benachrichtigung durch den Beklagten kann unter Umständen auch kostengünstiger sein als eine durch den Verband, beispielsweise wenn sie der turnusmäßig erfolgenden Kommunikation zwischen dem Beklagten und den Verbrauchern beigefügt werden kann. 228 Verpflichtet das Gericht den Beklagten zur Benachrichtigung der Verbraucher, so muss überprüft werden können, ob dieser seiner Verpflichtung auch im festgelegten Umfang nachkommt. Zu diesem Zweck kann das Gericht, wenn begründete Zweifel hieran bestehen, von Amts wegen oder auf Antrag des klagenden Verbandes einen Sachverständigen beauftragen, den 224
Siehe hierzu die Beispiele in Erwägungsgrund 61 Richtlinie (EU) 2020/1828. Ausführlich hierzu der Blog des Instituts für Medienwissenschaften „Media Bubble“ https://media-bubble.de/wie-personalisierte-online-werbung-funktioniert/ [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 226 Zur Kostenaufteilung ausführlich Teil 4 – C.V. 1. 227 Hierzu Teil 4 – C.IV. 228 In einem solchen Fall muss der besondere Inhalt des turnusmäßigen Schreibens jedoch bereits deutlich sichtbar auf dem Umschlag vermerkt werden. Nur so kann verhindert werden, dass die Schreiben ungesehen bleiben. 225
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Benachrichtigungsprozess zu überprüfen. Hinweise auf Zweifel können sich aus Medienberichten aber auch anhand einer stichprobenartigen Verbraucherbefragung durch den Verband ergeben. Die Kosten des Sachverständigen trägt die unterlegene Prozesspartei. Es soll überdies, entsprechend Art. 19 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie einen Ordnungswidrigkeitentatbestand für Verstöße gegen die Benachrichtigungspflicht seitens des Beklagten eingeführt werden. Die Kontroll- und Sanktionsmechanismen für das Benachrichtigungsverfahren entfalten noch einmal deutlich erheblichere Relevanz, wenn es um die Benachrichtigung über eine das Verfahren beendende gerichtliche Entscheidung bzw. einen genehmigten Vergleich geht. Im Gegensatz zur Benachrichtigung über die Zulassungsentscheidung legt Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 der Verbandsklagerichtlinie hier explizit fest, dass bei (Teil-) Verurteilung und Vergleichsschluss der Beklagte zur Benachrichtigung verpflichtet werden soll, bei Klageabweisung jedoch der klagende Verband. Damit wird dem Gericht für die Fälle, in denen die Zulassung der Klage zeitgleich mit der Genehmigung des Vergleichs beantragt wird und in denen es daher nur eine einzige Benachrichtigung der Geschädigten gibt, die Auswahlmöglichkeit genommen. Möglich soll es jedoch sein, die Verpflichtung zur Benachrichtigung (auch) in diesen Konstellationen aufzuspalten. So kann beispielsweise der Beklagte zur individuellen Benachrichtigung über einen Vergleich verpflichtet werden, der Verband aber ergänzend zur öffentlichen Benachrichtigung. Da Art. 13 Abs. 3 der Verbandsklagerichtlinie die Form der Benachrichtigung nicht explizit vorgibt, sondern hier ebenfalls wieder auf die Umstände des Falles abstellt, scheint eine solche Umsetzung auch mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar zu sein. Abschließend soll, um auch in dieser Hinsicht maximale Flexibilität herzustellen, das Gericht noch zu jedem Zeitpunkt und bezüglich jeder ihm relevant erscheinenden Tatsache eine zusätzliche Benachrichtigung der Verbraucher veranlassen können. Dies kann beispielsweise bei der Umstellung einer Abhilfe- in eine Feststellungsklage, der Ablehnung eines Vergleichsvorschlags oder einer geänderten Feststellung zur Schadenshöhe erfolgen. 5. Erleichterung der Schadensberechnung Wie bei der Analyse der Vorgaben der Richtlinie bereits erörtert, 229 ist die Schadensberechnung stets ein neuralgischer Punkt bei Gruppen- oder Verbandsklageverfahren. Die hier grundsätzlich bestehenden individuellen Nachweis- und Berechnungsanforderungen sind mit einem effizienten Kollektivverfahren kaum in Einklang zu bringen. Der hieraus entstehende Problemkreis ist damit nicht auf das Prozessrecht beschränkt, sondern tief im 229
Hierzu Teil 2 – E.IV. 3.c).
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materiellen Schadensrecht verwurzelt. Daraus folgt, dass die vorliegende Arbeit aufgrund ihrer Ausrichtung die Problematik nicht in der hierzu eigentlich erforderlichen Tiefe behandeln kann. An dieser Stelle sei jedoch, insoweit zwar unüblich, aber dennoch erforderlich, auf eine noch in der Entstehung befindliche Dissertation verwiesen, die, im Rahmen desselben DFG-Projekts, der auch diese Arbeit angehört, die Frage nach der Notwendigkeit einer Modifikation des materiellen Schadensrecht zur Ermöglichung von Kollektivverfahren vertieft behandelt. Um jedoch trotz der weitreichenden Zusammenhänge zum materiellen Recht dem Anspruch dieser Arbeit, mittels eines möglichst umfassenden Umsetzungsvorschlages ein effizientes Instrument zur Streuschadensbekämpfung aufzuzeigen, zu genügen, soll hier und insoweit unter dem oben aufgezeigten Vorbehalt, zur Lösung der Problematik in Anlehnung an den Entwurf von Gsell und Meller-Hannich eine erweiterte Schätzungsbefugnis für die Gerichte vorgeschlagen werden. Diese soll es dem Gericht auch in komplexeren Fällen ermöglichen, eine Abhilfeklage zuzulassen und letztendlich auch zu entscheiden. Wichtig ist an dieser Stelle jedoch hervorzuheben, dass die Berechnung des Gesamtschadens bzw. der Individualschäden nicht bei jeder Abhilfeklage problematisch ist. Insbesondere im Rahmen der vereinfachten Abhilfeklage, also dem Folgenbeseitigungsanspruch, können sowohl Gesamt- als auch Individualschäden unkompliziert anhand der Aufzeichnungen des Beklagten ermittelt werden. Ebenso ist beispielsweise bei einer systematischen Füllmengenunterschreitung die Bestimmung des Gesamtschadens möglich. Bei Klagen, die nur eine kleine Anzahl von Verbrauchern betreffen, können darüber hinaus auch die Individualschäden, soweit die erforderlichen Informationen hierzu vorliegen, mit vergleichsweise geringem Aufwand genau beziffert werden. In Konstellationen mit größeren, heterogenen Gruppen von Verbrauchern, die mit dem Beklagten nicht in einer laufenden Vertragsbeziehung stehen und über die entsprechende Informationen daher fehlen, bedarf es allerdings einer Ermäßigung der Darlegungs- und Beweisanforderungen. Daher soll, parallel zu dem Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich und insoweit auch im Einklang mit den Modellregelungen von UNIDROIT und ELI, 230 die gerichtliche Schätzungsbefugnis aus § 287 ZPO ausdrücklich sowohl für die Ermittlung der Gesamtschadenssumme als auch die Berechnung der individuellen Schäden gelten. Der Ansatz der beiden Professorinnen kann jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit der vorgeschlagenen Systeme nicht unbesehen übernommen werden, sondern bedarf auch im Hin-
230 ELI/UNIDROIT – Rule 228 Model European Rules of Civil Procedure (S. 85), abrufbar unter: https://www.unidroit.org/wp-content/uploads/2021/06/English-black-letter. pdf [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023].
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blick auf die Erfahrungen aus den U.S.A. gewisser Anpassungen oder zumindest Klarstellungen. In einem Opt-Out-Verfahren wird die Schätzungsbefugnis in Verbindung mit der Abführung der nicht beanspruchten Gelder an den Rechtsdurchsetzungsfonds unwillkürlich zur Behauptung des Beklagten führen, damit sei einer Überkompensation Tür und Tor geöffnet. Tatsächlich erinnert diese Konstellation an die Gründe, weshalb im Rahmen der U.S. Class Action die Implementierung von alternativen Verteilungsmethoden in streitigen Verfahren abgelehnt wird. Hier wird, wie oben ausgeführt, 231 argumentiert, es fehle an einer faktischen Kontrolle der Schadenshöhe, wenn die Gesamtschadenssumme nicht exakt bestimmt und dann vollständig, auch über die Höhe der angemeldeten Ansprüche hinaus, abgeführt werde. Diese Bedenken haben innerhalb der U.S. Class Action durchaus ihre Berechtigung, sind aber im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass es dort für die Bildung von aggregate damages keine konkreten Vorgaben gibt und die Gerichte daher einen sehr weiten Ermessenspielraum haben, auf welcher Grundlage sie die Gesamtschadenssumme bilden. Zudem ist das Hauptargument für eine Ablehnung der Kombination aus alternativen Verteilungsmethoden und aggregate damages der hieraus resultierende Verstoß gegen den Rules Enabling Act, also die Veränderung des materiellen Rechts ohne ausreichende verfassungsrechtliche Legitimation. 232 Beide Argumentationsmuster sind auf das deutsche Recht so nicht übertragbar. Zum einen hängt die Schätzung nach § 287 ZPO nicht „völlig in der Luft“, 233 sondern der Kläger muss greifbare Anhaltspunkte liefern, die als Grundlage der Schätzung herangezogen werden können. 234 Sind diese nicht ausreichend, um eine allgemeine Schätzung zu ermöglichen, so bestimmt das Gericht ohnehin nur den Mindestschaden. 235 Einer übermäßigen Inanspruchnahme des Beklagten ist somit hinreichend vorgebeugt. Zum anderen wäre die Schätzung der Gesamtschadenssumme in Kombination mit der Abführung nicht beanspruchter Gelder an den Rechtsdurchsetzungsfonds im hier vorgeschlagenen System auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen, der, insoweit in Abgrenzung zur Situation in den U. S.A., die Möglichkeit hat, Änderungen im materiellen Schadensrecht vorzunehmen, was, wie oben ausgeführt, teils auch erforderlich sein dürfte.
231
Teil 3 – D.V. Teil 3 – D.V. 233 BGH NJW 2020, 393 Rn. 8; BGH NJW 2018, 864 Rn. 15; Musielak/Voit/Foerste ZPO § 287 Rn. 8. 234 BGH NJW 1980, 2522, 2523; BGH NJW 2004, 1945, 1947; BGH NJW 2012, 2267, 2268; Stein/Jonas/Thole ZPO § 287 Rn. 42. 235 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1964, 589; BGH NJW 1987, 909, 910; BGH NJW 2002, 3317; BGH NJW 2013, 525, 527; Stein/Jonas/Thole ZPO § 287 Rn. 43 m. w. N. in Fn. 126. 232
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Auch bezüglich der Bestimmung der individuellen Schäden der Verbraucher soll eine Schätzung möglich sein. Das gilt sowohl für die Fälle, in denen das Gericht selbst die konkreten Einzelschäden ausurteilt, als auch für die, in denen es lediglich die Kriterien für die Berechnung festlegt, den konkreten Berechnungsvorgang aber, wie später noch genauer ausgeführt, 236 einem Sachwalter überlässt. Im Rückgriff auf die Erfahrungen aus den U.S.A. sollen hier mathematische Berechnungen, empirische Daten und in geeigneten Fällen auch typisierende Betrachtungen herangezogen werden können. 237 Die Tatsache, dass insoweit keine exakte individuelle Schadensbestimmung stattfindet, ziehen Gsell und Meller-Hannich als einen der Hauptaspekte heran, um ihre Konstruktion eines späten Opt-In zu begründen. Nur diese Art des Verfahrensbeitritts ermögliche den Verbrauchern einen ausreichenden Überblick über die Auswirkungen der Kollektivierung und insofern eine informierte Entscheidung über den Verfahrensbeitritt. 238 Zwar trifft es zu, dass die Verbraucher im hier vorgeschlagenen System zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Aus- bzw. Eintritt zum Verfahren erklären müssen, also im Anschluss an die Zulassungsentscheidung, den Verfahrensausgang noch nicht so deutlich absehen können wie bei dem von den beiden Professorinnen vorgeschlagenen späten Opt-In, das spricht jedoch nicht gegen eine typisierende Betrachtung der individuellen Schäden in diesem Zusammenhang. Wie bereits oben angesprochen, hat der Verband dem Gericht, wenn er die Zulassung beantragt, dazulegen, wie der Gesamtschaden der Gruppe bestimmt und die Individualschäden berechnet werden können. Plädiert er hierbei in Bezug auf den einen oder anderen Wert für eine Anwendung des § 287 ZPO, so hat er sowohl die Schätzungsgrundlage als auch die zur Bestimmung des Schätzungswerts anwendbare Methode darzulegen. Ist das Gericht davon überzeugt, dass eine Schätzung auf dieser Grundlage möglich ist, so lässt es das Verfahren zu und kann anordnen, dass die Verbraucher im Rahmen der obligatorischen Zulassungsbenachrichtigung über die geplante Schadensschätzung informiert werden. Dies ermöglicht den Verbrauchern ebenfalls eine selbstbestimmte Entscheidung auf Grundlage ausreichender Informationen. 6. Beendigung durch Urteil oder Vergleich Nach der Konzeption der Richtlinie tritt unabhängig davon, ob ein Abhilfeverfahren durch Urteil oder Vergleich beendet wird, eine beidseitige Bindungswirkung ein. 239 Hieraus ergeben sich gewisse Grundanforderungen in 236 237 238 239
Hierzu Teil 4 – C.III.7. Siehe zu den Verfahrensweisen in den U.S.A. Teil 3 – C.III.4. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 31 ff. Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 und Art. 11 Abs. 4 S. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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Bezug auf die Definition der Gruppenmitglieder, die beiden Beendigungsformen gemein sind. Die Feststellung, wer genau zur Gruppe gehört, spielt dabei nicht nur für das Verbandsklageverfahren und die dort beteiligten Parteien eine erhebliche Rolle, sie entscheidet auch darüber, ob einer späteren Klage des Verbrauchers die materielle Rechtskraft entgegensteht. Beantragt der Verband die Zulassung eines Abhilfeverfahrens, so muss er, unabhängig davon, ob er ein Opt-In- oder ein Opt-Out-Verfahren anstrebt, zunächst die geltend gemachten Ansprüche und damit auch die Gruppe der Verbraucher anhand objektiver Merkmale beschreiben. Diese Beschreibung ist Grundlage für das Benachrichtigungsverfahren und Anhaltspunkt für die Verbraucher, um festzustellen, ob sie dem Verfahren beitreten können bzw. aus ihm austreten müssen, um die Bindungswirkung zu erreichen bzw. ihr zu entgehen. In diesem Verfahrensstadium prüft das Gericht jedoch nicht, ob für den individuellen Verbraucher ein Austritt nötig bzw. ein Eintritt möglich ist. Endet das Verfahren mit einem Urteil oder mit einem Vergleich, so schließt sich hieran in der Regel, wie in der Folge noch genauer dargestellt wird, ein Anmelde- und Verteilungsprozess unter der Aufsicht eines vom Gericht bestellten Sachwalters an. Der Sachwalter prüft eingehende Entschädigungsanmeldungen nun auf ihre Berechtigung, am Entschädigungsverfahren zu partizipieren. Entschädigungsberechtigt sind alle Verbraucher, die von der Umschreibung im Urteil bzw. im Vergleich umfasst sind und im Opt-Out-Verfahren nicht aus- bzw. im Opt-In-Verfahren beigetreten sind. 240 Seine Festsetzungen über Entschädigungsberechtigung und -höhe legt der Sachwalter abschließend dem Gericht vor, welches hierüber, wie später noch dargestellt wird, Beschluss fasst. Dieser Beschluss wirkt rechtskraftdefinierend. Soweit das Gericht die Berechtigung eines Geschädigten am Entschädigungsprozess zu partizipieren, feststellt, kann dieser die im Rahmen des Verbandsklageverfahrens geltend gemachten Ansprüche nicht mehr in einem Folgeverfahren geltend machen. Soweit das Gericht die Berechtigung ablehnt, gilt es als festgestellt, dass der Geschädigte nicht unter die Rechtskraftwirkung der Verbandsklage fällt. Machen Geschädigte, die nicht am Anmeldeverfahren partizipieren und bezüglich derer insofern keine entsprechende Feststellung getroffen wird, im Anschluss an die Verbandsklage ihre Ansprüche gerichtlich geltend, so hat das mit dem Folgeverfahren befasste Gericht anhand der Vorgaben des Abhilfeurteils zu bestimmen, ob dem die materielle Rechtskraft entgegensteht. Sowohl das Urteil als auch der Vergleich müssen zudem gewisse Regelungen zur Aufteilung der Entschädigungssumme enthalten. Im Rahmen eines Opt-Out-Verfahrens muss das Urteil mindestens, und das wird daher wohl auch die Regel sein, die konkrete Höhe der Gesamtentschädigungssumme sowie dezidierte Anweisungen zur Berechnung der Individualschäden auf240
Genauer zum Verfahren Teil 4 – C.III.7.
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weisen. Sollte es dem Gericht aber möglich sein, so kann es auch hier bereits Individualschadenssummen konkret ausurteilen. Bei einem Opt-In-Verfahren bedarf es der Festlegung einer Gesamtschadenssumme dagegen, wie bereits angesprochen, nicht. Hier genügen Anweisungen zur Berechnung der Individualentschädigungen bzw. die Festlegung derselben soweit möglich. Zudem hat das Gericht im Abhilfeurteil festzulegen, wie lange Gruppenmitglieder Zeit haben, ihre Entschädigungssumme zu beanspruchen. Dies sollten in der Regel sechs Monate sein, das Gericht kann hiervon aber abweichen, wenn es das für angemessen hält. Soweit ein Vergleich, wie es wohl die Regel sein wird, eine Gesamtentschädigungssumme enthält, muss auch er Regelungen zum Aufteilungsschlüssel sowie zum Verteilungsprozess enthalten. Die Anforderungen sind hier grundsätzlich mit denen im Urteil vergleichbar, das Gericht hat jedoch einen weiteren Spielraum, was es alles noch als gerecht und angemessen einstuft und in der Folge genehmigt. Die Beendigung des Verfahrens durch einen Vergleich will die Richtlinie grundsätzlich fördern. 241 Diesem Gedanken trägt auch das hier vorgeschlagene System Rechnung. So ist ein Vergleich, wie oben angesprochen, für einen Beklagten deutlich attraktiver, wenn das Verfahren im Opt-Out betrieben wird. Bis auf die wenigen Gruppenmitglieder, die ihren Austritt erklären, muss der Beklagte im Anschluss mit keinen Individualverfahren rechnen, er profitiert von einer Art Universalbereinigung des Rechtsstreits. Neben dem Förderungsgedanken enthält Art. 11 der Richtlinie noch besondere Vorschriften für die Beendigung von Abhilfeverfahren durch Vergleich. Dieser unterliegt der gerichtlichen Kontrolle, wobei die Richtlinie eine obligatorische Überprüfung hinsichtlich der Vollstreckbarkeit und der Vereinbarkeit mit nationalem Recht und lediglich fakultativ eine Angemessenheitsüberprüfung vorsieht. 242 Hier ist zunächst einmal nicht ganz klar, was mit den „zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts“, auf die ein Vergleich hin überprüft werden soll, gemeint ist. Sollte hiermit eine Abweichung von den abschließend geregelten Formen des Gewährleistungsrechts verboten werden, könnten sich Verbände und Beklagte in einem Vergleich beispielsweise nicht auf Rabatt- oder Gutscheinlösungen einigen. 243 Coupon-Vergleiche werden, wie oben dargestellt, in den U.S.A. mittlerweile ebenfalls sehr kritisch betrachtet und haben dort durch den CAFA 2005 ein einschränkende Regulierung erfahren. 244 Angesichts der unterschiedlichen Finanzierungs- und damit auch Anreizstruktur im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems haftet dieser Art des Vergleiches zwar kein so immanentes Missbrauchsrisiko an wie bei der U.S. Class Action, insbesondere 241 242 243 244
Erwägungsgrund 53 Richtlinie (EU) 2020/1828. Art. 11 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Röthemeyer, VuR 2021, 43, 50. Hierzu Teil 3 – C.VI.4.
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durch die Hinzuziehung eines Prozessfinanzierers könnte sich allerdings dennoch ein ähnlich gelagerter Interessenkonflikt ergeben. Auf der anderen Seite können Coupon-Vergleiche, wie oben ebenfalls aufgezeigt, in entsprechenden Situationen, wenn Geschädigte und Unternehmer in laufenden Geschäftsbeziehungen stehen, durchaus für beide Seiten eine sinnvolle Lösung sein. Insofern sollen, vorbehaltlich der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Lösung, Coupon-Vergleiche zwar nicht generell verboten, jedoch unter eine strenge Kontrolle des Gerichts gestellt werden. Das Gericht soll, wie oben bereits angesprochen, einen Vergleich in einem Abhilfeverfahren auch daraufhin überprüfen, ob dieser gerecht und angemessen ist. Eine solche Kontrolle ist in Kollektivverfahren durchaus gängig und dient dem Schutz der nicht aktiv am Verfahren beteiligten Geschädigten. 245 Um dem Gericht die mitunter durchaus komplexe Aufgabe der Beurteilung des Vergleiches generell und der Entschädigungssumme im Besonderen zu erleichtern, werden die Parteien verpflichtet, umfassende Informationen beizulegen, aus denen sich aus ihrer Sicht die Angemessenheit der Abrede ergibt. Den Gerichten soll es weitestgehend ins Ermessen gestellt werden, wie sie hierauf aufbauend die Angemessenheit genau ermitteln. Eine mathematische Analyse ausgehend von möglichen Prozessergebnissen ähnlich der net expected value analysis der U.S.-Gerichte 246 soll dabei möglich, jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben sein. Die in Art. 11 Abs. 4 und Erwägungsgrund 57 der Verbandsklagerichtlinie erwähnte Möglichkeit, den Verbrauchern bei einem Vergleichsschluss (erneut) ein Ein- bzw. Austrittsrecht zu gewähren, soll im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems ebenfalls im Sinne einer Regel-Ausnahme-Gestaltung umgesetzt werden. Ein angemessener Vergleich soll diese Option daher grundsätzlich vorsehen, das Gericht kann aber auch von dieser Vorgabe abweichen, wenn die Parteien dies beantragen und es auf Grundlage der vorgebrachten Begründung als angemessen erscheint. Ein Settlement-only-Verfahren, wie es einige europäische Kollektivrechtssysteme kennen, soll dagegen vorerst noch nicht implementiert werden. Die Parteien können jedoch bereits mit Klageerhebung einen Vergleichsvorschlag einreichen, woraus sich, wie oben aufgezeigt, dann ggf. eine Verkürzung der Durchführbarkeitsprüfung ergibt. Ansonsten muss das Gericht ohnehin wie im streitigen Verfahren auch die Zulässigkeit und die Angemessenheit des Vergleiches beurteilen. Fünf Jahre nach ihrer Einführung sollen die neuen Verbandsklageinstrumente evaluiert werden. In diesem Zuge kann auch eine Befragung der Akteure zum Bedürfnis nach einem Settlement-only-Verfahren durchgeführt und an dieser Stelle ggf. nachgebessert werden. 245 Insofern sehen auch die Modellregelungen von ELI und UNIDROIT in Rule 222(2) (d) eine solche Überprüfung vor. 246 Hierzu Teil 3 – C.VI.2.
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7. Anmeldeprozess und gerichtliche Überprüfung Auch im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems bedarf es eines Anmelde- und Verteilungsprozesses im Anschluss an ein Urteil bzw. einen Vergleich. Diese, bei großen Gruppen durchaus zeit- und kostenaufwändige Tätigkeit, soll, insoweit übereinstimmend mit dem Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich, weder dem klagenden Verband noch den das Urteil fällenden Richtern aufgebürdet werden. Da es jedoch grundsätzlich Aufgabe der Gerichte ist, über Anspruchsberechtigung und -höhe zu entscheiden, muss die Verteilung aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zumindest gerichtsnah stattfinden. 247 Zu diesem Zwecke soll, in Anlehnung an das Konzept, das Bruns vorschwebt, wenn auch mit einigen erheblichen Abweichungen, mit der Verteilung ein Sachwalter beauftragt werden, der vom Gericht im Anschluss an das Abhilfeurteil per Beschluss bestellt wird und der nach dem Vorbild eines Insolvenzverwalters eine Urkunde erhält. 248 Der Sachwalter sichtet die eingehenden bzw. eingegangenen Anmeldungen und entscheidet anhand der Vorgaben des Abhilfeurteils über Anspruchsberechtigung und -höhe. Dabei steht er unter der Aufsicht des Gerichts und kann von diesem auch entlassen werden. Der Sachwalter teilt den Inhalt seiner Entscheidung über Anspruchsberechtigung und -höhe den jeweiligen Geschädigten mit, die daraufhin die Möglichkeit haben, hiergegen Einwände zu erheben. Sollte dies geschehen, setzt sich der Sachwalter mit den Geschädigten auseinander und versucht eine Einigung zu erreichen. Wenn dies nicht gelingt, trifft er eigenständig eine Entscheidung, vermerkt den bestehenden Widerspruch aber im Klageregister. In Opt-Out-Verfahren hat der Beklagte kein Recht, Einwände gegen die Entscheidungen des Sachwalters vorzubringen. Für ihn ist lediglich die Gesamtschadenssumme relevant, die bereits im Abhilfeurteil festgelegt wurde. Anders verhält es sich jedoch bei Opt-In-Verfahren, bei denen eine Entscheidung über Anspruchsberechtigung und -höhe unmittelbare Auswirkungen auf den Haftungsumfang des Beklagten hat. Aus diesem Grunde wird dem Beklagten im Anschluss an ein solches Verfahren die Liste mit den Entscheidungen des Sachwalters vorgelegt, woraufhin dieser die Möglichkeit hat, Einwände hervorzubringen und sich diesbezüglich mit dem Sachwalter auseinanderzusetzen. Das Gericht des Abhilfeverfahrens entscheidet abschließend per Beschluss über die vom Sachwalter vorgelegten Festsetzungen der Anspruchsberechtigung und -höhe. Für unwidersprochene Festsetzungen gilt hierbei die unwiderlegbare Vermutung der Richtigkeit der Entscheidung des Sachwalters, bei einer widersprochenen Festsetzung wird die Richtigkeit lediglich widerlegbar vermutet. Das Gericht entscheidet grundsätzlich ohne münd247 248
Stadler, Judex non calculat, FS Ebke, S. 939, 944 ff. Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 88.
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liche Verhandlung, kann eine solche aber in Ausnahmefällen anordnen. Gegen den jeweiligen Beschluss ist die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO zulässig. Im Anschluss an die Beschlussfassung des Gerichts übernimmt der Sachwalter wieder die Verteilung der Gelder an die Geschädigten. Bei Opt-Out-Verfahren muss der Beklagte die Gesamtschadenssumme bereits im Anschluss an das Abhilfeurteil bei der Gerichtskasse hinterlegen, bei Opt-In-Verfahren, bei denen keine Gesamtschadensumme gebildet wird, ist er hierzu erst nach Beschlussfassung des Gerichts über die individuellen Entschädigungssummen verpflichtet. Die Kosten für den Anmeldeund Verteilungsprozess und damit sowohl die Kosten des Gerichts als auch die des Sachwalters trägt entsprechend der loser-pays rule der Verbandsklagerichtlinie der Beklagte. 249 Für Rechtsmittel gegen den Beschluss des Gerichts gelten jedoch die allgemeinen Kostenregelungen, insofern können hier u. U. auch dem beschwerdeführenden Verbraucher die Kosten aufgebürdet werden. Das hier dargelegte Anmelde- und Verteilungsverfahren gilt verpflichtend grundsätzlich nur für Verfahren, die durch ein Urteil beendet wurden. Wird ein Abhilfeverfahren durch einen Vergleich beigelegt, so steht es den Parteien frei, andere Vereinbarungen zur Verteilung der Vergleichssumme zu treffen. Selbstverständlich unterliegen diese Vereinbarungen auch der Angemessenheitskontrolle des Gerichts. Insofern müssen die Parteien, wenn sie eine andere Art der Verteilung vereinbaren möchten, darlegen, warum sie diese im konkreten Fall für angemessen halten und wieso sie besser oder ebenso geeignet ist wie das Verfahren im Anschluss an ein Urteil. 8. Anwendung der Cy-Pres-Doktrin im Rahmen der Rechtsfolgen, indirekte Kompensation und Abschreckungswirkung a) Verwendung nicht beanspruchter Gelder nach gesetzlicher Vorgabe, Verwendung im Anschluss an ein Urteil Forschungsschwerpunkt dieser Arbeit und daher auch Kern des hier unterbreiteten Vorschlags ist die Verwendung der nicht verteilbaren Gelder im Anschluss an die Verbandsklage auf Abhilfe. Aufbauend auf den Erfahrungen aus den U.S.A. soll ein System aufgezeigt werden, das nicht nur den Vorwurf entkräftet, Opt-Out-Verfahren würden die Problematik des rationalen Desinteresses der Verbraucher lediglich von der Haftungsbegründung in die Schadensverteilung verlagern, sondern auch eine Perpetuierung des kollektiven Rechtsschutzes sowie eine indirekte Kompensation der Geschädigten ermöglicht. Die Verbandsklagerichtlinie selbst macht keine konkreten Vorgaben zur Verwendung nicht beanspruchter Gelder, eröffnet den Mitglied-
249
Siehe Art. 12 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2020/1828.
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staaten in Art. 9 Abs. 7 jedoch die Möglichkeit, hierzu Regelungen zu erlassen. 250 Damit übrig gebliebene Gelder einer alternativen Verteilung zugeführt werden können, müssen diese zunächst einmal überhaupt existieren. Dies geschieht regelmäßig, wenn eine in Urteil oder Vergleich festgelegte Gesamtschadenssumme durch das sich anschließende, eben dargestellte, Anmeldeverfahren nicht vollständig erschöpft wird. Damit sind Gelder grundsätzlich eher im Anschluss an ein Opt-Out-Verfahren übrig und verteilbar, dies kann aber auch im Anschluss an ein Opt-In-Verfahren geschehen, beispielsweise, wenn angemeldete Verbraucher nicht mehr reagieren oder auf die Inanspruchnahme ihrer Entschädigungssumme verzichten. Hinsichtlich der Art und Weise der Verteilung muss zudem zwischen den beiden verschiedenen Beendigungsformen differenziert werden. Aufgrund der weitergehenden Dispositionsbefugnis und um einen zusätzlichen Anreiz zur gütlichen Streitbeilegung zu setzen, müssen den Parteien im Vergleichskontext größere Spielräume hinsichtlich der Verteilung der übrigen Gelder belassen werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus den oben ausgeführten flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Anmeldeprozesses in diesem Kontext. Aus diesem Grund soll in der Folge zunächst die Verwendung übriger Gelder im Anschluss an ein gerichtliches Urteil erörtert und im Anschluss auf die Unterschiede im Rahmen der gütlichen Streitbeilegung eingegangen werden. Wie oben bereits angesprochen, legt das Gericht im Abhilfeurteil fest, wie lange Geschädigte Zeit haben, ihren Anspruch im Anschluss an ein OptOut-Verfahren anzumelden. 251 Ist die Frist zur Anmeldung abgelaufen, informiert der Sachwalter das Gericht über die Anzahl der angemeldeten Geschädigten und die Höhe der verbleibenden Gesamtentschädigungssumme. Abhängig hiervon kann das Gericht entweder eine erneute Benachrichtigung in Verbindung mit einer Verlängerung der Anmeldefrist anordnen, gesondert nur die Anmeldefrist verlängern oder das Geld an einen Rechtsdurchsetzungsfonds auskehren. Wählt es eine der ersten beiden Varianten, so kann es nach freiem Ermessen entscheiden, wer die erneute Benachrichtigung in welcher Form durchzuführen hat und wie lange die erneute Frist zur Anmeldung sein soll. Die Kosten für diese zusätzlichen Maßnahmen trägt jedoch nicht der Beklagte, sondern sie gehen von der übrigen Gesamtschadenssumme ab. Von diesem Grundsatz kann das Gericht nur abweichen, wenn der Beklagte schuldhaft die ihm auferlegte Benachrichtigungspflicht unterlaufen hat.
250
Hierzu und zur Entwicklung dieser Norm bereits ausführlich Teil 2 – E.IV. 1. Bei Opt-In-Verfahren bedarf es einer solchen Frist grundsätzlich nicht, hier kann der Sachwalter die Geschädigten direkt kontaktieren. 251
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Entscheidet das Gericht, dass ein weiteres Benachrichtigungs- oder Anmeldeverfahren zwecklos bzw. unwirtschaftlich wäre, so ordnet es die Auskehrung der übrigen Gelder an den Rechtsdurchsetzungsfonds an. Dieser, als Sondervermögen des öffentlichen Rechts ausgestaltete und durch das BMJ betriebene Fonds, 252 verwendet die Gelder sodann nach gesetzlichen Vorgaben. 60 % der eingehenden Summe werden hierbei zur Finanzierung weiterer Verbandsklagen verwendet, 30 % nach dem Vorbild der Cy-PresDoktrin zur indirekten Kompensation der nicht entschädigten Gruppenmitglieder genutzt und mit 10 % sollen Rücklagen gebildet werden. Die Notwendigkeit, einen neutralen Dritten mit der Verteilung zu betrauen und nicht etwa den klagenden Verband oder das Gericht, legen die Erfahrungen aus den U.S.A. nahe. Wie oben dargestellt, verfolgen Kläger, Beklagte und auch Gerichte teilweise Eigeninteressen, wenn es um die Verwendung nicht beanspruchter Gelder geht. Bei den Gerichten kommt zudem häufig fehlende Sachkenntnis über die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten hinzu. 253 Was den Finanzierungsanteil der nicht verteilbaren Entschädigungssumme betrifft, so wird dieser mit den Anteilen aus anderen Abhilfeklagen gebündelt und einem Auswahlkomitee zur Verwaltung unterstellt. Bei diesem, sowohl aus Juristen als auch sachkundigen Verbraucherschützern bestehenden Gremium können Verbraucherverbände Deckungszusagen für Verbandsklagen beantragen und zwar unabhängig davon, welches Klageziel verfolgt wird. Das Komitee entscheidet über eine Deckungszusage anhand der Erfolgsaussichten des Verfahrens, des Nutzens für die betroffenen Verbraucher und der Zuverlässigkeit der klagenden Einrichtung. Hat ein Verband bereits in der Vergangenheit erfolgreich Verbandsklagen geführt, so soll dies zwar positiv berücksichtigt, allein aufgrund fehlender Vorerfahrung sollen aber Verbände nicht abgelehnt werden. Das Komitee darf insbesondere nicht darauf abstellen, ob ein Verband in der Vergangenheit durch Klagen dazu beigetragen hat, dass Gelder an den Rechtsdurchsetzungsfonds abgeführt werden. Eine Verteilung nach dem Motto „Wer viel einbringt, bekommt auch viel“ gilt es zur Vermeidung von Interessenkonflikten unbedingt zu verhindern. Wie bereits oben erläutert, sollen 30 % der übrigen Gelder zur indirekten Kompensation der nicht entschädigten Gruppenmitglieder genutzt werden. Das Auswahlkomitee soll sich dabei von dem Gedanken der größtmöglichen Kompensationswirkung leiten lassen und Vereine oder Projekte unterstützen, hinsichtlich derer davon auszugehen ist, dass sie den Verbrauchern, die nicht entschädigt wurden, einen Nutzen bringen. Lässt sich innerhalb der von der Verbandsklage umfassten Gruppe von Verbrauchern eine Unter252 253
Ausführlich hierzu sogleich. Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(3).
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gruppe ausmachen, die beispielsweise wegen Sprachbarrieren oder Informationsdefiziten eine geringere Anmeldequote als der Rest der Gruppe aufweist, so kann diese gezielt bedacht werden. Nur sekundär, also wenn es keine bzw. nicht ausreichend Projekte oder Organisationen gibt, von denen sich das Komitee einen Nutzen für die nicht entschädigten Gruppenmitglieder verspricht, soll auf Einrichtungen zurückgegriffen werden, deren Ziele mit dem Grund der ursprünglichen Verbandsklage übereinstimmen und die damit einen Nutzen für andere Verbraucher in einer vergleichbaren Situation entfalten. So können im oben dargelegten Beispiel eines Brautmodekartells 254 Einrichtungen, die sich der Bekämpfung von Kartellabsprachen verschrieben haben, erst auf zweiter Stufe berücksichtigt werden, also erst, wenn in Ermangelung ausreichender Optionen kein Nutzen für die konkret Betroffenen erzielt werden kann. Die letzten 10 % der übrigen Entschädigungssumme werden schließlich zur Befriedigung etwaiger im Nachhinein angemeldeter Ansprüche zurückgehalten. Trotz des umfassenden Benachrichtigungs- und Anmeldeverfahrens und der abschließenden Prognoseentscheidung des Gerichts ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Geschädigte von dem Verfahren erst erfahren, wenn die reguläre Anmeldefrist bereits verstrichen ist. Sie sollen daher, vergleichbar mit einer Härtefallregelung, auch noch im Nachhinein die Möglichkeit haben, Ansprüche anzumelden. Angemeldete Ansprüche werden sodann durch eine zuständige Stelle innerhalb des Rechtsdurchsetzungsfonds anhand der Vorgaben des Abhilfeurteils geprüft und bei positiver Beurteilung befriedigt. 255 Lehnt der Fonds eine Zahlung ab, so bleibt dem Geschädigten hiergegen lediglich der Klageweg. 256 Dieses Verfahren widerspricht nicht Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie, der besagt, dass die Geschädigten ohne gesonderte Klageerhebung in den Genuss der Abhilfe kommen müssen. Diese Regelung gilt nämlich, wie aus der Systematik der Richtlinie hervorgeht, nur für das ursprüngliche Abhilfeverfahren. Art. 9 Abs. 7 stellt klar, dass die Setzung einer Frist zur Inanspruchnahme der Abhilfe zulässig ist, und dass die Entscheidung darüber, was im Anschluss mit den Geldern geschieht, im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt. Der Zeitraum, für den die 10 % der übrigen Gelder zurückgehalten werden müssen, wird vom Gericht in seinem Beschluss im Anschluss an den abgeschlossenen Anmeldeprozess festgelegt und muss grundsätzlich, um die Verfassungskonformität der Verteilungsmethode zu gewährleisten, 257 an 254
Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.c)bb). Bei der Prüfung der Ansprüche kann auch auf die Informationen und Verfahrensgänge des Sachwalters zurückgegriffen werden. 256 Bei einem derartigen Verfahren klagt der Geschädigte auf Feststellung seiner Berechtigung auf Partizipation an der Rückstellung. Das Verfahren wird im Wege der abdrängenden Sonderzuweisung der allgemeinen Gerichtsbarkeit zugewiesen. 257 Hierzu ausführlich sogleich. 255
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den Verjährungsfristen in Individualverfahren orientiert werden. Die Summe muss daher mindestens für drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Geschädigten das erste Mal über das Verfahren benachrichtigt wurden, zurückgehalten werden, regelmäßig jedoch für zehn Jahre nach Anspruchsentstehung. 258 Auf diese Weise wird einer Benachteiligung der im Verbandsverfahren repräsentierten Geschädigten im Vergleich zu einem Individualverfahren vorgebeugt. Wäre das Kollektivverfahren niemals angestrebt worden oder hätten die Geschädigten die erste Benachrichtigung bekommen und wären daraufhin aus dem Verfahren ausgetreten, so hätten sie spätestens nach Ablauf der Zehnjahresfrist regelmäßig ohnehin die Möglichkeit verloren, ihren Anspruch individuell geltend zu machen. Fälle mit dreißigjähriger Verjährungsfrist, wie sie § 197 BGB vorsieht, dürften in Verbandsklagen auf Abhilfe generell selten, insbesondere aber aufgrund der oben dargelegten Abgrenzungsregelung nicht in Opt-Out-Verfahren vorkommen. 259 b) Der Rechtsdurchsetzungsfonds – Rechtsform, Struktur, Einrichtung und Kosten Der Vorschlag, entzogene Unrechtsgewinne zur Finanzierung der Klageaktivität der Verbände zu nutzen, ist keineswegs neu und wurde, wie oben dargelegt, hinsichtlich der durch die Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG erlangten Gelder immer wieder debattiert. 260 Bereits bei Einführung des § 10 UWG wurde vorgeschlagen, die Gelder anstatt an den Bundeshaushalt an eine Stiftung zur Förderung der Verbraucherinteressen abzuführen oder diese unmittelbar den klagenden Verbänden zuzuwenden. 261 Beide Vorschläge stießen jedoch seitens des Gesetzgebers auf Vorbehalte. Einer direkten Auskehr der Unrechtsgewinne an die Verbände standen Befürchtungen einer sachfremden Motivation zur Erhebung von Klagen aus Gründen der Einnahmeerzielung entgegen, 262 die Ausschüttung der Gelder an eine gemeinnützige Stiftung wurde, ohne hierauf näher einzugehen, wegen des „nicht unerheblichen Verwaltungsaufwandes“, den die Gründung einer solchen Stiftung mit sich bringe, abgelehnt. 263 Dennoch blieb die Verwendung abgeschöpfter Gewinne zur Stärkung der Verbraucherarbeit weiterhin ein 258 Bzw. dreißig Jahre nach dem den Schaden auslösenden Ereignis, abhängig davon welche Frist früher endet, vgl. die Regelung in § 199 Abs. 3 BGB. 259 So könnten Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, wohl eher nicht im Opt-Out-Verfahren betrieben werden, da hier von einem gesteigerten Interesse der Geschädigten an einer individuellen Verfolgung ausgegangen werden muss, vgl. Teil 4 – C.III.1. 260 Hierzu Teil 2 – A.I.3.a)cc). 261 Siehe hierzu bereits den Referentenentwurf GRUR 2003, 298, 310. 262 BT-Drucks. 15/1487, S. 25. 263 BT-Drucks. 15/1487, S. 25.
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viel diskutiertes Thema und wurde vom Bundesrat u. a. im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie wieder aufgegriffen. 264 Das Argument der Bundesregierung, für einen so weitreichenden Eingriff in die Rechtsfolge der Abschöpfungsansprüche bedürfe es zunächst einer umfassenden Evaluierung der Rechtslage, 265 ließ der Bundesrat bei der nächsten Gelegenheit, dem zweiten Änderungsgesetz zum UWG, nicht mehr gelten und forderte mit Verweis auf ein sich umfassend mit diesem Thema beschäftigendes Gutachten von Fezer 266 aus dem Jahre 2012 die Bildung eines öffentlich-rechtlichen Sondervermögens, das, gespeist aus abgeschöpften Gewinnen, der Finanzierung von Verbandsklagen dienen sollte. 267 Die Bundesregierung hatte dem bis auf den pauschalen Verweis auf einen „neuen Bürokratieaufwand“ inhaltlich zwar nur wenig entgegenzusetzen, 268 brachte das Gesetz angesichts der eilig gebotenen Umsetzung der UGP-Richtlinie 269 dann allerdings dennoch ohne die Einführung des Sondervermögens durch den Bundestag. 270 Auch das neue Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht, das umfangreiche Änderungen am UWG vornimmt, sieht keine dahingehende Anpassung vor. Obgleich es, wie an späterer Stelle noch genauer ausgeführt wird, 271 für die Gewinn- bzw. Vorteilsabschöpfung im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems keinen Raum mehr geben wird, kann auf die Vorschläge zur Novellierung dieser Ansprüche hinsichtlich der Rechtsform des Rechtsdurchsetzungsfonds zurückgegriffen werden, da die Aufgabe des Rechtsdurchsetzungsfonds funktionell weitestgehend dem entspricht, was auch für die Verwendung der abgeschöpften Gewinne angedacht war. Insofern soll, aufbauend auf dem Vorschlag von Fezer, ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen unter der Verwaltung und Kontrolle des BMJ etabliert werden. Dieses bietet nicht nur Vorteile gegenüber einer einfachen Zweckbindung der Mittel im Bundeshaushalt, sondern ermöglicht auch eine effektivere und kostengünstigere Verwaltung als im Rahmen einer selbstständigen Stiftung. Öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind abgesonderte Teile des Bundesvermögens und damit grundsätzlich rechtlich unselbstständig. 272 Sie dienen der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe und werden daher, in Aus-
264
BT-Drucks. 17/12637, S. 94. BT-Drucks. 17/12637, S. 99. 266 Fezer, Zweckgebundene Verwendung von Unrechtserlösen, S. 51 ff. 267 BR-Drucks. 219/13, S. 18 f. 268 BT-Drucks. 17/13429, S. 17 f. 269 Richtlinie 2005/29/EG. 270 BT-Drucks. 18/4535, S. 26. 271 Hierzu Teil 4 – C.V. 6. 272 § 26 Nr. 2.1. VV-BHO; NomosBHO/von Lewinski/Burbat § 26 Rn. 10; Piduch/Nebel GG Art. 110 Rn. 45; ausführlich zudem Maier-Bledjian, Sondervermögen des Bundes. 265
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nahme zum Verfassungsgrundsatz der Haushaltseinheit, 273 getrennt vom sonstigen Bundesvermögen verwaltet. Zur Begründung eines öffentlichrechtlichen Sondervermögens bedarf es eines Errichtungsgesetzes, das unter anderem den Zweck des Sondervermögens, die Finanzierung und die geplanten Zuwendungen durch das Sondervermögen sowie die Rücklagen des Sondervermögens enthält und zudem Regelungen zu Verwaltungskosten und der Auflösung trifft. 274 Damit die Abweichung vom Grundsatz der Haushaltseinheit gerechtfertigt ist, wird gemeinhin verlangt, dass ein „wohlerwogener Grund“ für die Einrichtung des Sondervermögens vorliegt. 275 Im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems wäre dies die effektive und nachhaltige Finanzierung der Verbandsklageaktivitäten. 276 Der Bundesfinanzbericht 2021 weist 24 Sondervermögen auf. 277 Der Absonderung gewisser Bundesaufgaben vom allgemeinen Bundeshaushalt kann aktuell durchaus eine gewisse Popularität bescheinigt werden. So kamen alleine in der letzten Legislaturperiode mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Krise 278 und dem Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ 279 zwei neue Sondervermögen mit einem erheblichen Finanzrahmen hinzu. Auch die neue Bundesregierung wählte diese Rechtsform für die nachhaltige Modernisierung der Streitkräfte in Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. 280 Mehrere Gründe sprechen dafür, auch den Rechtsdurchsetzungsfonds in Form eines öffentlich-rechtlichen Sondervermögens auszugestalten. So ermöglicht die Abtrennung vom allgemeinen Bundeshaushalt zunächst eine dauerhafte und stabile Finanzierung der Verbandsklageaktivitäten unabhängig von den tagespolitischen Schwankungen der Bundespolitik. Durch die gesetzlich angeordnete Abführung der nicht verteilbaren Gelder in ein Sondervermögen wird eine Umwidmung der Gelder in der Zukunft formal erschwert. Eine solche kann dann nicht einfach durch eine Änderung des 273
Hierzu Dürig/Herzog/Kube GG Art. 110 Rn. 102 ff. Heuer/Engels/Eibelshäuser/Dommach BHO § 26 Rn. 3; vgl. auch hierzu die Errichtungsgesetze der bestehenden Sondervermögen des Bundes, Maier-Bledjian, Sondervermögen des Bundes, S. 29 ff. 275 Ausführlich hierzu Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 131 ff.; mit Beispielen für solche Gründe Esser, Zur Einbeziehung von Sondervermögen in den Bundeshaushalt, S. 11; Piduch/Nebel BHO § 113 Rn. 1. 276 Die effiziente Erfüllung einer Bundesaufgabe ist als Grund für die Errichtung eines Sondervermögens anerkannt, vgl. Esser, Zur Einbeziehung von Sondervermögen in den Bundeshaushalt, S. 11; Piduch/Nebel BHO § 113 Rn. 1. 277 BMF, Bundesfinanzbericht 2021, S. 295 ff. 278 Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz – WStFG) vom 27. März 2020. 279 Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ (Digitalinfrastrukturfondsgesetz – DIFG) vom 17. Dezember 2018. 280 https://www.bmvg.de/de/presse/sondervermoegen-bundeswehr-5362120 [zuletzt abgerufen am 13. 03. 2023]. 274
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Haushaltes bewerkstelligt werden, sondern es bedarf der formellen Änderung des Errichtungsgesetzes. Die besondere Rechtsform des Sondervermögens führt auch dazu, dass die Bündelung der Gelder dort rechtssicherer möglich ist als innerhalb einer (zu gründenden) selbstständigen oder unselbstständigen Stiftung. So ist bei einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen die Zweckbindung der Gelder ausdrücklich im Errichtungsgesetz geregelt, wohingegen bei einer Stiftung die Zweckbindung nur mittelbar, durch die Vorgaben der Satzung, erreicht werden könnte. Im Zusammenhang mit der Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Sondervermögens erscheint es insoweit auch sachnah, die Verwaltung desselben dem BMJ zu unterstellen. Ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen des Bundes muss zwar grundsätzlich nicht der unmittelbaren Bundesverwaltung unterstellt sein, 281 dies ist aber durchaus üblich. 282 Das BMJ hat aufgrund seiner Tätigkeit im Rahmen der Musterfeststellungsklage bereits erste Erfahrungen mit der unterstützenden Verwaltung von kollektivrechtlichen Verfahren sammeln können. Hier werden zudem, da die MFK in ihrer jetzigen Form im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems abgeschafft werden soll, Kapazitäten frei. Obgleich nach hier vertretener Auffassung entgegen den Bedenken, die die Bundesregierung bei der Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruches im UWG geäußert hat, 283 die erheblichen Vorteile, die aus einer finanziellen Stärkung der Verbände hervorgehen, auch den (insoweit doch überschaubaren) Aufwand einer Stiftungsgründung und -verwaltung rechtfertigen würden, scheint dieses Ziel durch die Bildung eines öffentlichrechtlichen Sondervermögens sowohl im Hinblick auf die Kosten als auch den Verwaltungsaufwand effizienter erreichbar zu sein. Durch die Bildung des Rechtsdurchsetzungsfonds in Form eines öffentlich-rechtlichen Sondervermögens des Bundes entstehen zunächst keine unmittelbaren Kosten. Im Unterschied zur Gründung einer selbstständigen Stiftung bedarf es weder eines Stiftungsgeschäfts noch einer, regelmäßig gebührenpflichtigen, 284 konstitutiven Anerkennung. Entgegen der insoweit irreführenden Bezeichnung muss das Sondervermögen zudem bei Bildung über keinerlei finanziellen Grundstock verfügen. 285 Eines von Beginn an vorhandenen ertragsfähigen 281 Bei einer Verwaltung (gänzlich) außerhalb der unmittelbaren Bundesverwaltung wird häufig auch von „Treuhandvermögen“ oder aber von „fremdverwalteten Sondervermögen“ gesprochen, hierzu Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 131 f., 135 ff.; Piduch/Nebel BHO § 113 Rn. 1. 282 So ist die Mehrheit der aktuell bestehenden Sondervermögen des Bundes der unmittelbaren Bundesverwaltung unterstellt, vgl hierzu auch Maier-Bledjian, Sondervermögen des Bundes, S. 29 ff., 56. 283 BT-Drucks. 15/1487 S. 25. 284 Dahlmanns, RNotZ 2020, 417, 421. 285 Piduch/Nebel BHO § 113 Rn. 1; so gibt es auch Sondervermögen, denen überhaupt keine finanzierende Aufgabe zukommt und die deshalb auch über keinen eigenen finan-
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Vermögens, wie es für die Stiftung notwendig ist, 286 bedarf es damit ebenfalls nicht. Zwar sind zu den notwendigen Verwaltungskosten eines Sondervermögens im Vergleich zu einer Stiftung wegen der jeweils sehr individuellen Ausgestaltung beider Institute kaum pauschale Aussagen möglich, es lässt sich jedoch konstatieren, dass der Rückgriff auf die bereits bestehenden Strukturen des BMJ wohl kaum kostenintensiver sein wird als die Errichtung und der Unterhalt eines Stiftungsvorstandes und ggf. eines Stiftungsrats. c) Verfassungsmäßigkeit der Verteilungsmethode In den U.S.A. wird die Anwendung der Cy-Pres-Doktrin zur Verteilung übriger Gelder im Anschluss an ein eine Class Action beendendes Urteil weitestgehend einhellig aufgrund der Unvereinbarkeit mit U.S.-Verfassungsrecht abgelehnt. 287 Diesbezügliche Bedenken werden auch, wie oben dargestellt, allerdings nur vereinzelt, im Vergleichskontext vorgebracht. 288 Die Argumentations- und Begründungsstrukturen, die in den U.S.A. zu einer Kollision mit dem Verfassungsrecht führen, bzw. im Vergleichskontext von Kritikern vorgetragen werden, lassen sich jedoch nicht auf die hier vorgeschlagene Anwendung übertragen. Das liegt weniger an den Unterschieden zwischen den jeweiligen nationalen Verfassungsrechten, sondern vielmehr an der in wesentlichen Punkten von der Anwendung in den U.S.A abweichenden Implementierung und Ausgestaltung der Doktrin im hier vorgeschlagenen System. Die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse des U.S.-Rechts hat aufgezeigt, dass so mannigfaltig die (vorgeworfenen) Verletzungen von Verfassungsnormen und -prinzipien durch die Anwendung der Cy-Pres-Doktrin im Kontext der Class Action auch sein mögen, sie sich weitestgehend auf den Grundvorwurf der Überschreitung der verfassungsrechtlich festgelegten Grenzen der richterlichen Entscheidungsbefugnis zurückführen lassen. Das betrifft sowohl die Case-or-Controversy-Voraussetzung als auch die Vorgaben des Rules Enabling Acts und im Ergebnis auch den Due-ProcessGrundsatz. 289 Da die Abführung an und die Verteilung durch den Rechtsdurchsetzungsfonds jedoch im hier vorgeschlagenen System nicht auf richterliches Ermessen, sondern auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzziellen Grundstock verfügen, wie beispielsweise das Bundeseisenbahnvermögen MaierBledjian, Sondervermögen des Bundes, S. 35, 50. 286 Zum hier erforderlichen Grundstockvermögen und Stiftungskapital grundlegend Hof, DStR 1992, 1587 ff.; vertiefend BeckOGKBGB/Jakob/M. Uhl BGB § 80 (Stand: 01. 10. 2020) Rn. 129 ff. 287 Hierzu Teil 3 – D.V. 288 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)aa). 289 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)aa).
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gebers zurückzuführen ist, kann auf dieser Grundlage keine Verletzung höherrangigen Rechts hergeleitet werden. Insoweit steht die hier vorgeschlagene Anwendung der Doktrin auch deutlich der näher, die in den U.S.A. auf einzelstaatlicher Ebene bereits relativ verbreitet und dort kaum verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt ist. In das deutsche Recht zudem nicht übertragbar ist der in den U.S.A. teilweise geäußerte Vorwurf, die Anwendung der Cy-Pres-Methode zur Verwendung der nicht verteilbaren Gelder würde gegen das dort aus dem ersten Zusatzartikel hervorgehende Recht auf negative Meinungsäußerung verstoßen, da mit den Geldern der Geschädigten u. U. Organisationen unterstützt werden könnten, die Ideale oder Ansichten vertreten, mit denen sich die Geschädigten nicht identifizieren bzw. denen sie nicht zustimmen. 290 Obgleich grundsätzlich auch Art. 5 Abs. 1 GG ein Abwehrrecht enthält und insofern die negative Meinungsfreiheit schützt, 291 ist der sachliche Schutzbereich des Artikels durch die hier vorgeschlagene Ausgestaltung nicht eröffnet. Eine Beeinträchtigung des Rechts auf negative Meinungsfreiheit liegt nach herrschender Meinung nur dann vor, wenn der Grundrechtsträger zur Verbreitung einer fremden Meinung verpflichtet wird, ohne kundtun zu können, dass es sich dabei nicht um seine eigene handelt. 292 Noch restriktiver ist in dieser Hinsicht Art. 10 EMRK. Hier wird zwar ebenfalls die negative Meinungsfreiheit geschützt, 293 der EGMR sieht eine Verletzung aber nur unter besonderen Umständen als gegeben an. 294 Die Tatsache, dass dem Beklagten durch das Abhilfeverfahren in der hier vorgeschlagenen Ausgestaltung eine Gesamtschadensumme entzogen wird, ohne dass diese im Anschluss vollständig unter den Geschädigten aufgeteilt wird, wandelt das Verbandsverfahren des Weiteren nicht in eine Maßnahme mit Strafcharakter um und führt insoweit auch zu keinem Konflikt mit dem staatlichen Strafmonopol bzw. dem Staatsvorbehalt aus Art. 34 Abs. 4 GG. Die Argumentation hierzu verläuft weitestgehend parallel zu der, die bereits bei der Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruches in § 10 UWG geführt wurde, weswegen an dieser Stelle größtenteils hierauf verwiesen werden soll. 295 Dem Schädiger wird durch die Verbandsklage auf Abhilfe im hier vorgeschlagenen System lediglich der Unrechtsgewinn entzogen, es kommt 290
Siehe hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)aa). BVerfGE 65, 1, 40 f.; Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 5 Rn. 11; v. Münch/Kunig/Wendt GG Art. 5 Rn. 45; Dürig/Herzog/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 95 ff. m. w. N. in Fn. 7. 292 BVerfGE 95, 173, 182; Dürig/Herzog/Grabenwarter GG Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 96; v. Münch/Kunig/Wendt GG Art. 5 Rn. 45; Merten, DÖV 1990, 761, 766; Hardach/Ludwigs, DÖV 2007, 288, 291. 293 EGMR v. 03. 04. 2012 – 41723/06 Rn. 83 ff. m.Anm. Schöpfer, NLMR 2012, 100, 101 f.; Franzen/Gallner/Oetker/Schubert EMRK Art. 10 Rn. 5. 294 EGMR v. 03. 04. 2012 – 41723/06 Rn. 83 ff. m.Anm. Schöpfer, NLMR 2012, 100, 101. 295 Hierzu Teil 2 – A.I.3. 291
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darüber hinaus zu keinen zusätzlichen Belastungen mit strafendem Charakter. Aus diesem Grund kann die hier vorgeschlagene Methode auch nicht mit den in den U.S.A. verbreiten Regelungen zum Strafschadensersatz gleichgesetzt werden, die bereits ihrer Konzeption nach über die tatsächlich zugefügten Schäden hinausgehen. 296 Des Weiteren stehen dem klagendem Verband keinerlei Eingriffs- bzw. Repressionsinstrumente zur Verfügung, weswegen in diesem Zusammenhang auch nicht von einer mit dem Demokratieund Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren Privatisierung des Strafrechts gesprochen werden kann. Insofern kommt es, sollte sich der Beklagte neben dem Abhilfeverfahren auch einem Strafverfahren wegen des anspruchsbegründenden Verhaltens ausgesetzt sehen, auch zu keiner unzulässigen Doppelbestrafung iSd Art. 103 Abs. 3 GG. 297 Unzweifelhaft zu einem Eingriff in eine grundrechtsrelevante Rechtsposition führt die hier vorgeschlagene Ausgestaltung allerdings hinsichtlich der Eigentumsrechte der von der Abhilfeklage betroffenen Verbraucher. Gegenstand des von Art. 14 Abs. 1 GG umfassten Abwehrrechts sind nach ganz herrschender Auffassung über das Sacheigentum im Sinne des BGB hinaus sämtliche vermögenswerten Rechtspositionen. 298 Insofern fallen auch privatrechtliche Rechtspositionen, wie Ansprüche und Forderungen dinglicher und schuldrechtlicher Natur in den Schutzbereich des Grundrechts. 299 Wird eine solche Rechtsposition entzogen oder in ihrer Nutzung, Verfügung oder Verwertung beschränkt, so liegt ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vor. 300 Formal betrachtet kommt es durch die hier vorgeschlagene Ausgestaltung gleich zu mehreren Eingriffen in das Eigentumsrecht der Verbraucher. An dieser Stelle ist jedoch hervorzuheben, dass alleine die Implementierung eines Opt-Out-Verfahrens noch keinen solchen darstellt. Durch die automatische Einbindung in das Verfahren mit Austrittsmöglichkeit wird das Eigentumsrecht der betroffenen Verbraucher nicht beschränkt, sondern erweitert. Ihnen steht auf diese Weise eine weitere Verwertungsmöglichkeit für ihre Forderung zur Verfügung. 301 Scheidet ein Geschädigter jedoch nicht aus dem Verfahren aus, so tritt mit Erlass des Endurteils und dem damit einhergehenden Beginn des Anmeldeverfahrens, unter Festsetzung einer gewissen Frist hierfür, allerdings eine erste Beschränkung der Verwertungs296
Grundlegend hierzu BGH NJW 1992, 3096. Zur parallel verlaufenden Argumentation und weiteren Nachweisen Teil 2 – A.I.3. 298 So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung – BVerfGE 131, 66, 79; BVerfGE 83, 201, 209; BVerfGE 112, 93, 107; BVerfGE 115, 97, 110 f.; v. Münch/Kunig/Bryde/Wallrabenstein GG Art. 14 Rn. 23 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 14 Rn. 5 ff.; BeckOKGG/Axer GG Art. 14 Rn. 43. 299 BVerfGE 115, 97, 111; BVerfGE 112, 93, 107; BGH NJW 2010, 1948, 1950 f.; ausführlich auch BeckOKGG/Axer GG Art. 14 Rn. 48 ff. 300 Manssen, Staatsrecht II, Rn. 754. 301 Zum Verhältnis der Opt-Out-Verfahrensgestaltung zu anderen höherrangigen Rechten siehe Teil 4 – C.III.1. 297
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möglichkeiten für die vom Verfahren umfassten Ansprüche ein. Der Verbraucher kann seine Forderung nun ob der materiellen Rechtskraft nicht mehr individuell geltend machen und muss zudem innerhalb einer relativ kurzen Frist tätig werden, um eine Entschädigung zu erlangen. Verstreicht diese Frist, so kann er sich nur noch an den Rechtsdurchsetzungsfonds wenden, allerdings, wie oben ausgeführt, mit der Beschränkung, dass von diesem Zeitpunkt an nur noch 10 % der Gesamtentschädigungssumme zur Befriedigung bereitstehen. Nach Ablauf des Rücklagezeitraums wird den von der Rechtskraftwirkung umfassten aber noch nicht entschädigten Verbrauchern ihre Vermögensposition letzten Endes vollständig entzogen. Bei allen hier genannten Eingriffen in das Recht auf Eigentum handelt es sich um Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG und nicht um Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 GG. Das trifft auch auf den letztendlich eintretenden Entzug der Vermögensposition nach Ablauf des Rücklagezeitraums zu. Das BVerfG ordnete einen solchen Entzug zwar nach früherer Rechtsprechung wegen der Intensität dieser Art des Eingriffes stets als Enteignung ein, nahm von dieser Praxis aber spätestens mit dem Nassauskiesungsbeschluss 302 im Jahre 1981 Abstand. 303 Nunmehr wird die Abgrenzung nicht mehr von der Schwere des Eingriffs abhängig gemacht, sondern anhand formaler Kriterien vorgenommen. Hiernach handelt es sich lediglich dann um eine Enteignung, wenn der Legislativ- oder Exekutivakt die (teilweise oder vollständige) Entziehung einer konkreten subjektiven Rechtsposition zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben bezweckt. 304 Es muss sich, anders formuliert, um einen Güterbeschaffungsvorgang handeln, zu dessen Ermöglichung auf konkrete Rechtspositionen Privater zugegriffen wird. 305 Das BVerfG rechtfertigt diesen doch sehr engen Eingriffsbegriff mit dem daraus hervorgehenden weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der aufgrund der extensiven Auslegung des Schutzbereichs von Art. 14 Abs. 1 GG notwendig sei. 306 Während es sich bei Implementierung des befristeten Anmeldeverfahrens zum Erhalt der Entschädigung bereits weder um einen teilweisen noch einen vollständigen Entzug einer Rechtsposition und somit schon aus diesem Grund nicht um eine Enteignung handelt, findet durch die Beschränkung auf 10 % der Gesamtentschädigungssumme und die vollständige Abführung am Ende des Rücklagezeitraums zwar ein (teilweiser) Entzug statt, dieser erfüllt jedoch nicht die vom BVerfG gesetzten Kriterien der Enteignung. 302
BVerfGE 58, 300 ff. Ausführlich zur historischen Entwicklung; v. Münch/Kunig/Bryde/Wallrabenstein GG Art. 14 Rn. 89 ff.; Dürig/Herzog/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 629–654. 304 Ständige Rechtsprechung – BVerfGE 101, 239, 259; BVerfGE 102, 1, 15 f.; BVerfGE 104, 1, 9; BVerfGE 134, 242, 289 jeweils m. w. N. 305 BVerfGE 104, 1, 9 f.; vertieft hierzu BVerfG NJW 2017, 217, 224 ff. 306 BVerfG NJW 2017, 217, 225; BeckOKGG/Axer GG Art. 14 Rn. 81. 303
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Bei der Verwendung der nicht beanspruchten Gelder zur Förderung der Klageaktivität und des Verbraucherschutzes handelt es sich bereits nicht um einen konkreten Zugriff auf private Vermögenspositionen zum Zwecke der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, die öffentliche Aufgabe wird, im Gegenteil, aus Mitteln finanziert, die als Folge eines Kompensationsvorganges übrig bleiben. Zielrichtung des hier vorgeschlagenen Systems ist dabei nicht die Güterbeschaffung, sondern in erster Linie die Kompensation der Geschädigten in Verbindung mit der Abschreckung potentieller Schädiger. Die Tatsache, dass die Verbraucher ihren Anspruch auf Entschädigung nach Ablauf des Rücklagezeitraums verlieren, ist dabei bloßer Reflex des Klagebzw. des Verteilungssystems. Der Verlust der Entschädigungsmöglichkeit nach Zeitablauf verläuft dabei parallel zu den Regelungen der Verjährung, die unbestritten ebenfalls als Inhaltsbestimmungen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG eingeordnet werden. 307 Die Tatsache, dass die den Berechtigten durch Zeitablauf verlorengegangenen Vermögenspositionen sodann einem bestimmten Zweck zugeführt werden, ändert an dieser Einordnung nichts. Darüber hinaus lehnt das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen einer Enteignung ohnehin in Fällen ab, in denen das betreffende Recht aufgrund einer gesetzlichen Ausgestaltung besonders geltend gemacht werden muss, und das Erlöschen vom Rechtsinhaber innerhalb einer angemessenen Frist in „einfacher, leicht zu erfüllender Form“ verhindert werden kann. 308 Beide Voraussetzungen sind im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems unproblematisch erfüllt. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, wie sie damit hier vorliegt, kann durch einfaches Gesetz erlassen werden, 309 wobei der Gesetzgeber jedoch weder die Bestandsgarantie des Eigentums noch dessen Sozialpflichtigkeit über Gebühr verkürzen darf. Beide Aspekte müssen in einer Regelung daher in einen interessengerechten Ausgleich zueinander gebracht werden. 310 Hieraus ergibt sich auch die besondere Bindung des Gesetzgebers an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Erlass entsprechender Vorschriften. 311 All diesen Voraussetzungen wird im hier vorgeschlagenen System in ausreichender Weise Rechnung getragen. Die Eingriffe in die Eigentumsrechte der Verbraucher dienen der Abschreckungswirkung der Verbandsklage auf Abhilfe und damit gleichzeitig deren Funktionsfähigkeit. Die Aus-
307 BVerfGE 81, 97, 107 zur Verwirkung; BVerfG NVwZ 2009, 1158 zur unvordenklichen Verjährung; ausführlich zudem BeckOGKBGB/Piekenbrock BGB § 194 (Stand: 01. 02. 2022) Rn. 12 ff. 308 BVerfGE 70, 278, 285 f. 309 Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 14 Rn. 35; BeckOKGG/Axer GG Art. 14 Rn. 82. 310 BVerfGE 115, 97, 114; v. Münch/Kunig/Bryde/Wallrabenstein GG Art. 14 Rn. 103 ff.; ausführlich zudem Dürig/Herzog/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 424 ff. 311 BVerfGE 122, 374, 391 f.; BVerfGE 100, 226, 240 f.; BeckOKGG/Axer GG Art. 14 Rn. 85; Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 14 Rn. 39.
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gestaltung des Benachrichtigungs- und Anmeldeverfahrens, die Möglichkeit seitens des Gerichts, eine Wiederholung dieser Verfahrensschritte anzuordnen, und die Verpflichtung des Rechtsdurchsetzungsfonds, Rücklagen für später erfolgende Anmeldungen zu bilden, stellen sicher, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte möglichst minimalinvasiv erfolgt. Ein längerer Anmeldezeitraum wäre mit deutlich höheren Kosten verbunden, einen größeren Prozentsatz der Gesamtentschädigungssumme als Rücklage einzubehalten, erscheint angesichts der Erfahrungen, die man in den U.S.A. hinsichtlich der Anzahl von Anmeldungen bei geringen Summen gemacht hat, als unnötig. 312 Auch die Zeitspanne, für die die Rücklagen zurückgehalten werden müssen, ist nicht willkürlich gewählt, sondern, wie oben dargelegt, an den Fristen für die Verjährung orientiert. Damit wird nicht nur einer Schlechterstellung der an einem Kollektivverfahren beteiligten Verbraucher gegenüber denen, die ihren Anspruch individuell verfolgen, vorgebeugt, sondern auch Rechtssicherheit geschaffen, da die Fristen der Verjährung allgemein als verfassungskonform anerkannt sind. 313 d) Verteilung in Vergleichen Wird ein Abhilfeverfahren durch einen Vergleich und nicht durch ein Urteil beendet, so sind die Parteien deutlich freier in der Verwendung eventuell übrig gebliebener Gelder. Das bedingt sich bereits aus der Tatsache, dass ein Vergleich, wie oben dargelegt, nicht unbedingt ein „klassisches“ Anmeldeverfahren vorsehen muss und daher die Ausgangssituation u. U. eine völlig andere sein kann als bei einer Beendigung durch ein Urteil. Es liegt damit grundsätzlich in der Hand der Parteien, eine angemessene Verwendung für die übrigen Gelder zu finden. Obgleich aus diesem Grunde prinzipiell eine Vielzahl an möglichen Verteilungsformen in Betracht kommt, soll die Verteilung an den Rechtsdurchsetzungsfonds, wie sogleich aufgezeigt wird, auch im Vergleichskontext eine zentrale Rolle spielen. Sie dient zum einen als Ausfallregelung und zum anderen als Maßstab für die Angemessenheitsprüfung und wird den Parteien damit indirekt stets als gangbare Verteilungsform nahegelegt. Vereinbarungen über die Verwendung übriger Gelder müssen als Teil des Vergleiches durch das Gericht im Rahmen der Genehmigung desselben auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden. Wie oben bereits dargelegt, tun sich die Bundesgerichte in den U.S.A. aufgrund fehlender Sachkenntnis mit dieser Aufgabe teilweise recht schwer, 314 weswegen im hier vorgeschlagenen 312
Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b). BVerfGE 112, 93, 108; ausführlich und m. w. N. auch BeckOGKBGB/Piekenbrock BGB § 194 (Stand: 01. 02. 2022) Rn. 12 ff. 314 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.b)cc)(3). 313
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System durch gesetzliche Vorgaben gewisse Rahmenbedingungen gesetzt werden sollen. So soll zum einen festgelegt werden, dass, wenn ein Vergleich keine Regelung zur Verwendung der übrigen Gelder vorsieht, diese wie im Anschluss an ein Urteil behandelt, also an den Rechtsdurchsetzungsfonds abgeführt werden sollen. Zum anderen werden die Parteien, wenn sie in ihrem Vergleich keine Abführung an den Rechtsdurchsetzungsfonds, sondern eine andere Verteilungsmethode vereinbaren, dazu verpflichtet, dem Gericht darzulegen, warum sie die von ihnen vorgeschlagene Verwendungsmethode im konkreten Fall für angemessener halten als eine Zuwendung an den Fonds. Darüber hinaus soll jedoch keine Art der Verwendung gesetzlich als per se unangemessen eingestuft werden. Wie bei der Analyse des U.S.-Rechts aufgezeigt, ist die Cy-Pres-Methode in Verbindung mit einer neutralen Auswahlstelle den anderen alternativen Verwendungsmethoden zwar im Allgemeinen vorzuziehen, abhängig von der konkreten Fallkonstellation können jedoch auch andere Verwendungsformen angemessen sein. So kann beispielsweise, wenn eine Organisation existiert, die aufgrund ihrer Tätigkeit eine weitreichende indirekte Kompensation der Geschädigten gewährleisten kann, eine Auskehr der übrigen Gelder vollständig an diese die bestgeeignete Verwendungsform sein. Ebenso kann sich eine Fluid-Recovery-Verteilung anbieten, wenn es als sehr wahrscheinlich anzusehen ist, dass die Geschädigten das hierdurch subventionierte Produkt erneut benutzen und keine Wettbewerbsverzerrungen zu erwarten sind. Abschließend soll auch eine teilweise oder gar vollständige Rückführung der übrigen Gelder an den Beklagten zwar grundsätzlich kritisch betrachtet, aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ist die Gesamtschadenssumme schwer zu ermitteln und wird die Vergleichssumme daher insgesamt sehr hoch angesetzt, kann eine Rückführung als angemessen angesehen werden, insbesondere wenn die Voraussetzungen für eine Anspruchsanmeldung niedrig angesetzt sind und dem Beklagten bezüglich des schadensverursachenden Ereignisses nur einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Das Gericht hat die Angemessenheit einer Vereinbarung über die Verteilung der übrigen Gelder immer im Kontext des Gesamtvergleiches zu würdigen. Hierbei hat es einen relativ weiten Beurteilungsspielraum, soll jedoch nicht über die Maßen in die Privatautonomie der sich vergleichenden Parteien eingreifen. Insofern ist eine Vereinbarung auch dann als angemessen anzusehen, wenn das Gericht zwar davon überzeugt ist, dass sie eine bessere oder zumindest gleichwertige Alternative zur Auskehr an den Rechtsdurchsetzungsfonds darstellt, sie aber insgesamt nicht für die am besten geeignete Form der Verwendung hält. Bei der Bewertung der Angemessenheit hat das Gericht die mit dem Abhilfeverfahren insgesamt verfolgten Ziele der Kompensation und der Abschreckung zu berücksichtigen. Des Weitern ist es, da die richterliche Genehmigung des Vergleiches einen hoheitlichen Akt dar-
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stellt, in seiner Entscheidung nach den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung zur Wahrung der Grundrechte der Beteiligten verpflichtet. 315 e) Full Cy Pres? Wie im Rahmen der Analyse der Verbandsklagerichtlinie und auch des U.S.Rechts aufgezeigt, kann die Anwendung alternativer Verteilungsmethoden nicht nur bezogen auf übrige Gelder im Anschluss an einen Anmeldeprozess, sondern auch anstelle eines solchen unter Umständen interessengerecht sein. Wenn die individuellen Entschädigungssummen so marginal wären, dass bereits die Implementierung des Anmeldeprozesses im Vergleich hierzu unwirtschaftlich erscheint, genehmigen Gerichte in den U.S.A. auch Vergleiche, die überhaupt keine individuelle Kompensation vorsehen und stattdessen die Gesamtschadenssumme gebündelt einer den Interessen der Geschädigten dienenden Einrichtung zusprechen. 316 Entsprechende Fallkonstellationen sind, beispielsweise aufgrund massenhafter Verstöße gegen Datenschutzrecht, auch im Rahmen der Verbandsklage auf Abhilfe denkbar. Dem trug noch der ursprüngliche Kommissionsentwurf Rechnung, indem er für diese Fälle explizit die Möglichkeit vorsah, die Gesamtschadenssumme nicht unter den Geschädigten zu verteilen, sondern diese „einem öffentlichen Zweck zugutekommen zu lassen, der den Kollektivinteressen der Verbraucher dient“. 317 Der finale Text der Richtlinie sieht diese Möglichkeit zumindest in Abhilfeurteilen jedoch nicht mehr vor. Das ergibt sich nicht nur aus der Streichung des Passus im Gesetzgebungsverlauf der Richtlinie, sondern Art. 9 Abs. 6 stellt nun auch relativ unzweifelhaft klar, dass die Abhilfe den Verbrauchern unmittelbar zugutekommen muss. 318 Einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien im Rahmen eines Vergleichs steht die Richtlinie allerdings nicht entgegen. Insofern soll ein Gericht im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems einen Vergleich explizit auch dann als angemessen einstufen können, wenn dieser keine direkte Kompensation der Geschädigten vorsieht. Hier müssen allerdings zum Schutz der betroffenen Verbraucher besondere Vorkehrungen getroffen werden. Ein solcher Vergleich soll zunächst nur dann genehmigungsfähig sein, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass die Summe, die für jeden einzelnen Verbraucher in einem streitigen Verfah-
315 Zur Wirkung der Grundrechte bei gerichtlichen Entscheidungen im Zivilprozess Jarass/Pieroth/Jarass GG Art. 1 Rn. 52. 316 Hierzu Teil 3 – D.IV. 1.a). 317 Art. 6 Abs. 3 lit. b Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 318 „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verbraucher aufgrund einer Abhilfeentscheidung Anspruch darauf haben, dass ihnen die in diesen Abhilfeentscheidungen vorgesehene Abhilfe zugutekommt […]“.
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ren erreicht werden kann, voraussichtlich auch bei einem günstigen Prozessausgang einen einstelligen Eurobetrag nicht überschreiten wird. Im Gegensatz zur U.S. Class Action kann im hier vorgeschlagenen System aufgrund der unterschiedlichen Kostenstrukturen eine solche feste Wertgrenze festgelegt werden. Wie oben ausgeführt, werden in den U.S.A. full Cy-Pres-Vergleiche genehmigt, wenn die individuellen Entschädigungssummen entweder für sich genommen bereits so gering sind, dass sie ein Anmelde- und Aufteilungsverfahren nicht rechtfertigen würden, oder aber wenn die Kosten für ein solches Verfahren, die in den U.S.A. von der Gesamtentschädigungssumme bestritten werden, die Summen auf ein solches Niveau absenken würden. Da Letzteres im hier vorgeschlagenen System aufgrund der Kostentragungspflicht des Beklagten für den Anmeldeprozess nicht möglich ist, kann der Schwellenwert numerisch definiert werden. Auch wenn an die Geschädigten andernfalls nur Kleinstbeträge ausgeschüttet werden könnten, bedarf ein Vergleich, der komplett auf die individuelle Entschädigung der Verbraucher verzichtet, einer gesonderten Legitimation. Das Gericht soll einen solchen daher nur dann als angemessen einstufen können, wenn es auf Grundlage des Vortrags der Parteien davon überzeugt ist, dass die gebündelte Verwendung der Entschädigungssumme einen größeren Nutzen für die Gruppe erzielt als eine individuelle Kompensation. Die Entscheidung des Gerichts hierüber hängt maßgeblich von der Höhe der individuellen Entschädigungssummen und der vorgeschlagenen Verwendung ab. So kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Mehrwert der Bündelung deutlich näherliegt, wenn die Individualentschädigung im Cent-Bereich läge. Auf der anderen Seite kann eine gesammelte Verwendung aber auch bei Beträgen um acht oder neun Euro angezeigt sein, wenn diese einen erheblichen Nutzen für die Gruppe verspricht. Ein zusätzlicher Nutzen der Bündelung kann sich darüber hinaus daraus ergeben, dass der Beklagte, da er sich die Kosten für den Anmeldeprozess erspart, bereit ist, insgesamt eine größere Gesamtentschädigungssumme anzubieten. Wie die Vergleichssumme konkret zum Nutzen der Geschädigten verwendet werden soll, haben die Parteien zu vereinbaren. Dabei kann auch diese Art des Vergleichs eine Abführung an den Rechtsdurchsetzungsfonds vorsehen. In einem solchen Fall ist dem Vergleich eine Bestätigung des Fonds beizufügen, dass dieser der Auffassung ist, die Summe mit größerem Nutzen für die Gruppenmitglieder verwenden zu können, als eine individuelle Entschädigung mit sich bringen würde. Ein full Cy-Pres-Vergleich muss zudem, in Abweichung vom oben dargelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis, 319 zwingend eine (erneute) Austrittsmöglichkeit für die Verbraucher vorsehen.
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IV. Der Folgenbeseitigungsanspruch als vereinfachtes Abhilfeverfahren 1. Überblick, Bedürfnis nach einem entsprechenden Instrument Ein nicht unerheblicher Anteil der Streuschadensereignisse in Deutschland resultiert, wie oben aufgezeigt, aus der unrechtmäßigen Einziehung von kleineren Beträgen während laufender Geschäftsbeziehungen. Meist gestützt auf rechtswidrige AGB, stellen Unternehmen ihren Kunden Leistungen in Rechnung, die sie rein rechtlich entweder günstiger oder sogar unentgeltlich erbringen müssten. 320 Im aktuellen deutschen Kollektivklagesystem besteht hier, wie die Analyse ergeben hat, ein Durchsetzungsdefizit. Die Verbände können zwar nach UKlaG darauf klagen, die Verwendung der unrechtmäßigen AGB zu unterlassen und parallel dazu aus § 8 UWG Beseitigungsmaßnahmen fordern, entgegen den Urteilen des LG Leipzig und des OLG Dresden aus den Jahren 2016 bzw. 2018 geht die herrschende Meinung jedoch davon aus, dass der Beseitigungsanspruch aus § 8 UWG nicht dahingehend ausgelegt werden darf, dem Beklagten bezüglich unzulässig eingezogener Beträge eine Rückzahlungsverpflichtung aufzuerlegen. 321 Das nach den Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie nun einzuführende Abhilfeverfahren der Verbände schließt diese Lücke zwar, führt aber zu, in diesen Konstellationen vermeidbaren, Kompensationsdefiziten. Obgleich durch das Abhilfeverfahren eine Entschädigung der Verbraucher grundsätzlich ermöglicht wird, hält der im Rahmen desselben stattfindende Anmeldeprozess, und möge er auch noch so niederschwellig ausgestaltet sein, wie die Erfahrungen aus den U.S.A. gezeigt haben, viele Geschädigten davon ab, ihre Entschädigung einzufordern. 322 Während ein Anmeldeprozess jedoch im „allgemeinen“ Abhilfeverfahren unumgänglich ist, da es ansonsten an den erforderlichen Informationen fehlt, um die Geschädigten zu identifizieren, die Höhe ihrer Entschädigung zu berechnen und ihnen diese Summe zukommen zu lassen, verfügt der Beklagte, wenn er in laufenden Vertragsbeziehungen zu den Geschädigten steht, regelmäßig bereits über die hierfür erforderlichen Informationen. Diese Tatsache macht sich der einzuführende Folgenbeseitigungsanspruch nun zunutze. Mit seiner Hilfe werden die Verbände in die Lage versetzt, einen Beklagten dazu zu verpflichten, unrechtmäßig eingezogene Beträge eigenständig und unter der Kontrolle des Gerichts an die Geschädigten zurückzuerstatten. Die Bezeichnung als „Folgenbeseitigungsanspruch“ ist dabei der inhaltlichen Nähe zum gewöhnlichen Beseitigungsanspruch sowie der Genese der Richtlinie geschuldet. Der Konzeption der finalen Richtlinie nach handelt es sich beim „Folgenbeseitigungsanspruch“ jedoch um eine vereinfachte Form des Abhilfeverfahrens. 320 321 322
Hierzu Teil 2 – A.I.2.a)bb). Hierzu Teil 2 – A.I.2.b)cc). Hierzu Teil 3 – C.VI.3.b).
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Die oben dargelegten Regelungen desselben finden daher mit einigen Modifikationen Anwendung. Die hier vorgeschlagene Ausgestaltung ist an einen Entwurf angelehnt, den Stadler im Jahr 2015 für das AGB-Recht entwickelt hat. 323 2. Umfasste Fallkonstellationen, Anspruchsumfang, dogmatische Einordnung Für das vereinfachte Abhilfeverfahren eignen sich bei Weitem nicht alle Fallkonstellationen. Damit auf einen Anmeldeprozess verzichtet werden kann, muss es, wie bereits angesprochen, möglich sein, die Geschädigten ohne deren Mitwirkung zu identifizieren, die ihnen zustehende Summe zu bestimmen und ihnen diese zukommen zu lassen. Das grenzt das Spektrum der für den Folgenbeseitigungsanspruch in Frage kommenden Fallkonstellationen stark ein. In Betracht kommen insoweit ausschließlich Fälle, in denen der Beklagte in laufenden Vertragsbeziehungen zu den Geschädigten steht und aufgrund dessen über die entsprechenden Kontakt- sowie Kontodaten verfügt. Auch im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruchsinhalt muss durch eine klare Eingrenzung eine einfache Handhabbarkeit des Verfahrens sichergestellt werden. Dies ist nicht alleine im Interesse eines schlanken Verfahrens notwendig, sondern auch um Abgrenzungsschwierigkeiten der Folgenbeseitigung zum Schadensersatz, der insoweit lediglich durch die „klassische“ Verbandsklage auf Abhilfe erlangt werden kann, vorzubeugen. Aus diesem Grunde kann der Folgenbeseitigungsanspruch nur geltend gemacht werden, soweit es um die Rückerstattung rechtsgrundlos eingezogener Beträge geht. Der Verband macht insoweit, zur genaueren dogmatischen Einordnung sogleich, lediglich die bestehenden bereicherungsrechtlichen Ansprüche der Verbraucher geltend. Das entlastet das Verfahren auch von einem Verschuldensnachweis, dessen es im Rahmen des Bereicherungsrechts nicht bedarf. Sachlich ist der Anwendungsbereich allerdings nicht beschränkt. Der Folgenbeseitigungsanspruch kann bezogen auf jedes Vertragsverhältnis zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer angewandt werden. Dogmatisch gesehen kann der Folgenbeseitigungsanspruch zwischen den Ansprüchen auf Unterlassung und Beseitigung auf der einen Seite und dem Abhilfeanspruch auf der anderen Seite eingeordnet werden. Während es sich bei den erstgenannten, wie dargelegt, um eigene materielle Ansprüche der Verbände handelt, basiert das Abhilfeverfahren auf einer Art der Prozessstandschaft, bei der der Verband lediglich die Ansprüche der Verbraucher geltend macht. 324 Für das Abhilfeverfahren legen nicht nur die Vorgaben der 323 324
Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken. Hierzu Teil 4 – C.II.3.b).
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Richtlinie eine entsprechende Gestaltung nahe, sie empfiehlt sich auch angesichts des erheblichen Koordinierungsaufwands, den die Zuerkennung eines eigenen materiellen Anspruches an die Verbände mit sich bringen würde. Grundsätzlich gilt für den Folgenbeseitigungsanspruch Entsprechendes, angesichts seiner konkreten Ausgestaltung bedarf es jedoch einer Modifikation. Macht der Verband die bereicherungsrechtlichen Ansprüche der Beklagten im Wege des Folgenbeseitigungsanspruches geltend, so geht er inhaltlich über die Rechtsfolge der jeweiligen Individualansprüche hinaus. Ein erfolgreiches Folgenbeseitigungsverfahren führt nämlich nicht nur dazu, dass der Beklagte die unrechtmäßig eingezogenen Gelder wieder herauszugeben hat, er hat darüber hinaus auch die Geschädigten zu ermitteln und die Rückerstattung aktiv vorzunehmen. Das dem Beklagten auferlegte Pflichtenprogramm ist damit deutlich umfangreicher, als es die Rechtsfolge der §§ 812 ff. BGB vorsieht. 325 Insoweit handelt es sich beim Folgenbeseitigungsanspruch um die Kombination einer Prozessstandschaft mit einem eigenen Anspruch der Verbände. 3. Verfahrensablauf, Beitritt, Benachrichtigung Der Folgenbeseitigungsanspruch kann, ebenso wie der gewöhnliche Beseitigungsanspruch, im Anschluss oder in Kombination mit einem Unterlassungsanspruch erhoben werden. Ein Verband kann ihn aber auch gesondert geltend machen, wenn der Beklagte die angegriffene Verhaltensweise bereits von sich aus abgestellt hat. Da es sich um ein Abhilfeverfahren handelt, bedarf es auch hier einer Zulassungsentscheidung durch das Gericht, die jedoch in vereinfachter Form ergehen kann. So entfällt im Gegensatz zum „gewöhnlichen“ Abhilfeverfahren zunächst die Notwendigkeit, eine Beitrittsform festzulegen, da der Folgenbeseitigungsanspruch stets im OptOut-Verfahren geltend gemacht wird. Während eine solche Verfahrensgestaltung, wie oben dargelegt, aus Gründen der einfacheren Handhabung eines Opt-In-Verfahrens und um die Rechte der Geschädigten zu wahren gesondert begründungsbedürftig ist, kann sie für den Folgenbeseitigungsanspruch unproblematisch implementiert werden. Die Rechte der Geschädigten können durch eine persönliche Benachrichtigung gewahrt werden, die für die Handhabung des Verfahrens erforderlichen Informationen sind bereits vorhanden. Aus diesen Gründen muss für die Zulassung des Folgenbeseitigungsanspruches im Gegensatz zum „gewöhnlichen“ Opt-Out-Abhilfeverfahren auch nicht festgestellt werden, dass ein Bedürfnis für das Kollektivverfahren 325 So auch Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken, S. 481, 489, die sich im Ergebnis allerdings für einen eigenen Anspruch der Verbände ausspricht.
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besteht, also in der konkreten Fallkonstellation nicht mit einer individuellen Rechtsverfolgung gerechnet werden kann. Der Schutz der Geschädigten, den diese Zulassungsvoraussetzung, wie oben dargelegt, primär bezweckt, wird im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruches durch die individuelle Benachrichtigung gewährleistet. Die einzige Feststellung, die das Gericht damit neben der Betroffenheit von mindestens zehn Verbrauchern treffen muss, um das Folgenbeseitigungsverfahren zuzulassen, ist die, dass das Verfahren möglich und durchführbar ist. Das ist der Fall, wenn die geltend gemachten Ansprüche auf dasselbe (rechtswidrige) Verhalten des Beklagten zurückzuführen sind und angenommen werden kann, dass dieser die notwendigen Informationen vorrätig hält, um eine Rückerstattung durchzuführen. Steht der Beklagte in laufenden Vertragsbeziehungen zu den Geschädigten, so wird widerlegbar vermutet, dass er über die entsprechenden Informationen verfügt. Wenn das Gericht das Verfahren zulässt, hat der Beklagte die Geschädigten hierüber individuell zu informieren. 326 Dies hat grundsätzlich schriftlich zu geschehen und kann in geeigneten Fällen im Rahmen der regelmäßigen Korrespondenz des Beklagten mit den Geschädigten erfolgen. Es ist jedoch in jedem Fall sicherzustellen, dass für die Geschädigten der Ausnahmecharakter der Benachrichtigung sowohl aus Form als auch aus Inhalt derselben ersichtlich ist. Liegt eine entsprechende Benachrichtigung beispielsweise einer Monatsabrechnung bei, so muss bereits auf dem Briefumschlag ein klar erkennbarer Vermerk vorhanden sein. Eine die individuelle Benachrichtigung begleitende öffentliche Bekanntmachung muss im Rahmen des Folgenbeseitigungsverfahrens grundsätzlich nicht stattfinden, dem Gericht steht es aber frei, eine solche anzuordnen, wenn es dies für erforderlich hält. 4. Urteil, Vollzugskontrolle, Zwangsvollstreckung und Rechtskraft Kommt das Gericht zu der Auffassung, dass das Verhalten des Beklagten rechtswidrig war und Beträge auf dieser Grundlage unrechtmäßig eingezogen wurden, so verpflichtet es den Beklagten im Urteil dazu, diese an die Geschädigten zurückzuerstatten. Das Urteil muss weder die Anzahl noch die Identität der Geschädigten oder die Höhe des jeweils zurückzuerstattenden Betrags und insofern auch keine Gesamtschadenssumme enthalten. Aus ihm muss allerdings hervorgehen, welche Praxis des Beklagten konkret als rechtswidrig eingestuft wird und in welcher Höhe der Beklagte auf Grundlage dieser Praxis pro Vorgang unrechtmäßig Beträge eingezogen hat. Enthielten die AGB einer Bank beispielsweise rechtswidrige Klauseln für Rück326 Wenn der Verletzungszeitraum weiter zurück liegt, kann das Gericht anordnen, dass der Beklagte im Rahmen dieser Benachrichtigung die Geschädigten dazu auffordert, Kontooder Zahlungsdaten zu aktualisieren.
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buchungen von Lastschriften, so muss aus dem Urteil klar hervorgehen, welche Klauseln unzulässig sind und wie hoch der Betrag war, den die Bank hieraus hervorgehend pro Rückbuchung unrechtmäßig eingezogen hat. Ging dem Folgenbeseitigungsanspruch bereits ein Unterlassungsurteil voraus, kann hierauf Bezug genommen werden. 327 Die Rückzahlung der Gelder auf Grundlage des Urteils liegt in der Hand des Beklagten. Um sicherzustellen, dass dieser seiner Verpflichtung aber auch in entsprechendem Umfang nachkommt, kann das Gericht, auf Antrag des Verbandes, per Beschluss einen Sachwalter damit beauftragen, die Rückzahlung zu überwachen und eventuelle Unregelmäßigkeiten zu melden. Das Gericht bestellt den Sachwalter, wenn der Verband darlegen kann, dass Anhaltspunkte für eine Nichterfüllung der aus dem Urteil hervorgehenden Pflicht vorliegen. Dies können zum Beispiel Aussagen von Verbandsmitgliedern sein, die zur Gruppe der Geschädigten gehören, aber keine Benachrichtigung oder Zahlung erhalten haben. Wird ein Sachwalter bestellt, so trägt der Beklagte die hieraus entstehenden Kosten. Zusätzlich kann das Gericht entsprechend den Vorgaben des Art. 19 der Verbandsklagerichtlinie Bußgelder für eine Pflichtverletzung des Beklagten im Rahmen der Benachrichtigung erlassen. Die Einschaltung des Sachwalters ist auch im Folgenbeseitigungsverfahren notwendig, erfüllt hier aber einen anderen Zweck als im „gewöhnlichen“ Abhilfeverfahren, in dem dieser hinzugezogen wird, um eine gerichtsnahe Verteilung der Gelder und damit die Verfassungskonformität des Vorgangs zu gewährleisten. 328 Im Gegensatz hierzu bedarf es seiner Aktivierung im Folgenbeseitigungsverfahren aus datenschutzrechtlichen Gründen. So müssen zur Bewerkstelligung des Rückzahlungsvorgangs die personenbezogenen Daten der Geschädigten i. S. d. Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 DS-GVO verarbeitet werden. Für diesen Vorgang gilt ausweislich Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO der Grundsatz der Datenminimierung bzw. der Datensparsamkeit, der besagt, dass die Verarbeitung auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt werden muss. In Anwendung dieses Grundsatzes verbietet es sich, den Beklagten dazu zu verpflichten, dem klagenden Verband direkt Einblicke in den Rückzahlungsvorgang zu gewähren, da die Überprüfung durch eine neutrale dritte Stelle ein milderes Mittel darstellt. 329 Nichtsdestotrotz kommt es auch durch den Überprüfungsvorgang 327 Zur vorgesehenen Rechtskraftserstreckung einer solchen Entscheidung Teil 4 – C.V. 4. 328 Hierzu Teil 4 – C.III.7. 329 Der Grundsatz der Datenminimierung verlangt stets die Wahl der „datenschutzschonendsten Alternative“. Das bedeutet, dass wenn mehrere Maßnahmen dazu geeignet sind, das Ziel der Datenverarbeitung zu erreichen, diejenige gewählt werden muss, die am geringsten in die Rechte der betroffenen Personen eingreift, hierzu BeckOKDatenschutzR/ Schantz DSGVO Art. 5 Rn. 25.1; Roßnagel/Roßnagel, DatenschutzR, § 3 Rn. 70; Schantz/ Wolff/Wolff, Datenschutzrecht, S. 140 Rn. 434.
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zu einer Datenübermittlung an den Sachwalter, die ihrerseits nach Art. 6 DS-GVO rechtmäßig sein muss. Eine Einwilligung der Geschädigten in die Weitergabe liegt nicht vor, eine solche extra einzuholen, würde dem Zweck eines schnellen und effektiven Verfahrens entgegenlaufen. Die Weitergabe ist allerdings entsprechend Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO zur Erfüllung einer rechtlichen Pflicht des Beklagten erforderlich und insofern rechtmäßig. 330 Kommt der Sachwalter zu dem Schluss, dass der Beklagte seiner Rückerstattungspflicht unzureichend nachgekommen ist, so muss der Verband die Rechte der Geschädigten im Rahmen der Zwangsvollstreckung durchsetzen können. Wie Stadler zutreffend feststellt, kann eine solche jedoch nicht auf dem Wege der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen erfolgen, da sich die Verpflichtung des Beklagten über die bloße Zahlung einer Summe hinaus auch auf die Identifizierung der Geschädigten und die Berechnung der geschuldeten Summe erstreckt. Die insofern unvertretbare Handlung des Beklagten ist daher nach § 888 ZPO zu erzwingen. 331 Ist der Beklagte rein faktisch nicht dazu in der Lage, die Rückerstattung durchzuführen, beispielsweise weil die Vertragsbeziehung zu einem Geschädigten mittlerweile beendet wurde und sich dessen Kontaktdaten geändert haben, so muss dies ebenfalls im Rahmen der Zwangsvollstreckung berücksichtigt werden. 332 Da die Einbindung des Sachwalters im Rahmen des Folgenbeseitigungsverfahrens nicht zwingend ist und zudem in einer anderen Form als im „gewöhnlichen“ Abhilfeverfahren stattfindet, kommt es zu keinem rechtskraftdefinierenden Beschluss seitens des Gerichts. Insofern müssen Gerichte in Folgeverfahren stets anhand der Beschreibung der Ansprüche bzw. der betroffenen Verbraucher im Grundurteil die Rechtskraftwirkung bestimmen. Wurde ein Verbraucher durch den Beklagten bereits im Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs entschädigt und entscheidet ein Gericht in einem Folgeverfahren, dass er gar nicht der Gruppe des Verbandsverfahrens zugehörig war, so kann die bereits erhaltene Entschädigung als Abzugsposten im Rahmen der Bereicherung festgestellt, oder, sollte sie über die im Folgeverfahren zugesprochene Summe hinausgehen, vom Beklagten zurückverlangt werden.
330 Die Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie nach dem hier vorgeschlagenen System dient dabei als gesetzliche Grundlage für die Verarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO. 331 Stadler, Beseitigungsklagen durch Verbände im AGB-Recht, FS Schilken, S. 481, 495. 332 Um eine Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO betreiben zu können, wird gemeinhin gefordert, dass die vorzunehmende Handlung dem Beklagten möglich ist, Musielak/Voit/ Lackmann ZPO § 888 Rn. 9. Hieran würde es in einem solchen Fall fehlen.
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V. Weitere konzeptionelle Eckpunkte des vorgeschlagenen Verbandsklagesystems im Detail 1. Kosten Den Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie entsprechend, gilt für sämtliche Verbandsklagen das „Loser-pays“-Prinzip. Die unterlegene Prozesspartei trägt damit die Kosten für das Verfahren, einschließlich der Benachrichtigungen und im Rahmen des Abhilfeverfahrens für den Anmelde- und Verteilungsprozess. Die repräsentierten Verbraucher treffen grundsätzlich keine Kostentragungspflichten, 333 von der Erhebung einer Gebühr für die Anmeldung, wie sie Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie ermöglicht, wird abgesehen. Geht ein Verbraucher jedoch gegen die Entscheidung hinsichtlich seiner Berechtigung, am Verteilungsverfahren zu partizipieren, oder die Höhe der ihm zugesprochenen Entschädigung vor, so trägt er hierfür das Kostenrisiko. 334 Indirekt werden die Verbraucher zudem belastet, wenn das Gericht einen erneuten Benachrichtigungs- bzw. Verteilungsprozess anordnet, da die hieraus entstehenden Kosten von der übrigen Gesamtentschädigungssumme abgezogen werden und damit nicht mehr für die Verteilung zur Verfügung stehen. 335 Art. 20 Abs. 2 der Verbandsklagerichtlinie sieht darüber hinaus die Möglichkeit vor, zur finanziellen Entlastung der klagenden Verbände eine Deckelung der Prozesskosten einzuführen. Entsprechendes hat der deutsche Gesetzgeber mit § 48 Abs. 1 S. 2 GKG bereits für Musterfeststellungsverfahren sowie Klagen nach dem UKlaG etabliert. Eine Deckelung des Streitwertes führt aber neben der intendierten Verringerung des Prozessrisikos auch zu einer Begrenzung der am Streitwert orientierten Anwaltsvergütung, 336 womit ein aufwändiges und komplexes Verbandsklageverfahren für Anwälte unattraktiv wird. Zudem kommt die Streitwertdeckelung bei Obsiegen des Verbandes ausschließlich dem Beklagten zugute, da dieser durch sie auch in geringerem Umfang zur Kostenerstattung verpflichtet wird. Aus diesen Gründen soll es im hier vorgeschlagenen System keine Streitwertdeckelung geben. Der hierdurch steigende Finanzierungsbedarf der Verbände wird durch den Rechtsdurchsetzungsfonds gedeckt, höhere Gebühren erhöhen zudem die Vergleichsbereitschaft der Parteien.
333
Entsprechend der Vorgabe in Art. 12 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2020/1828. Hierzu Teil 4 – C.III.7. 335 Entschädigungen, die durch den Sachwalter oder den Rechtsdurchsetzungsfonds nach einer erneuten Benachrichtigung und/oder einem erneuten Anmeldeverfahren zugesprochen werden, sind anteilig um die entstandenen Kosten zu kürzen. 336 Hierzu bereits Teil 2 – A.I.1.c)aa). 334
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2. Drittfinanzierung und Erfolgshonorare Die Richtlinie stellt es grundsätzlich in das Ermessen der Mitgliedstaaten, ob sie eine Drittfinanzierung von Verbandsklagen (auf Abhilfe) ermöglichen wollen, fordert aber im Falle der Genehmigung einer solchen recht strikte Maßnahmen zur Missbrauchskontrolle. 337 Terminologisch scheint der europäische Gesetzgeber dabei eher von einem externen Drittfinanzierer auszugehen und weniger die Finanzierung durch den Anwalt des Verbandes vor Augen zu haben. Insoweit erscheint es bereits fraglich, ob die Einräumung einer Finanzierungsmöglichkeit durch den Anwalt richtlinienkonform möglich wäre, verlangt doch beispielsweise Art. 10 Abs. 2 lit a. der Richtlinie von den Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass die Verfahrensentscheidungen des klagenden Verbandes und insbesondere Entscheidungen im Vergleichskontext „nicht ungebührlich von einem [die Klage finanzierenden] Dritten […] beeinflusst werden“. Das im Hinblick auf einen an dem Verfahren beteiligten Anwalt auszuschließen, dürfte schwierig werden. Stellt man diese Bedenken einmal hintan, so wäre es de lege lata aufgrund der durch das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt eingeführten Änderungen in § 4a RVG für Rechtsanwälte nun grundsätzlich auch im Rahmen von Verbandsklagen auf Abhilfe möglich, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, soweit die einzelnen für die Verbraucher geltend gemachten Ansprüche nicht die Wertgrenze des § 4a Abs. 1 Nr. 1 RVG von 2.000 € übersteigen. 338 Eine vollständige Übernahme des Kostenrisikos könnte der Anwalt des Verbandes ob der enger gefassten Regelung in § 49b Abs. 2 S. 2 BRAO zwar nicht anbieten, aber so zumindest eine Teilfreistellung ermöglichen. Das zentrale Problem dieser Art der Kostenübernahme liegt jedoch, parallel zu dem einer Finanzierung durch einen externen Geldgeber, in der Refinanzierung. Wie bereits angesprochen, ist zweifelhaft, ob die Richtlinie, die in Art. 12 Abs. 2 verlangt, dass die Verbraucher nicht die Kosten des Verfahrens tragen dürfen, die prozentuale Beteiligung eines Dritten an der Entschädigungssumme gestattet. 339 Aus diesem und auch aus anderen Gründen steht Bruns jeglicher Art der Drittfinanzierung auf Basis einer Beteiligung an der Entschädigungssumme kritisch gegenüber 340 und auch Gsell und Meller-Hannich weisen auf die dahingehenden Widersprüche in der Richtlinie hin. 341 Deren alternativ vorgeschlagene Art der Refinanzierung jedoch, die vorsieht, die Kosten des Finanzierers bis zu einer bestimmten Höhe dem unterlegenen Beklagten als 337
Siehe Art. 10 sowie Erwägungsgrund 52 Richtlinie (EU) 2020/1828. Natürlich wäre schon hier fraglich, wie ein solches im Rahmen eines Opt-Out-Verfahrens vereinbart werden soll, hierzu auch Teil 2 – E.VII. 339 Ausführlich Teil 2 – E.VII. 340 Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 77 ff. 341 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 48 f. 338
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„Kosten des Rechtsstreits“ i. S. d. § 91 ZPO aufzubürden, führt nach hier vertretener Ansicht zu einer Ungleichbehandlung von Kollektiv- und Individualverfahren und insofern zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung des Beklagten. 342 Obgleich im Rahmen dieser Arbeit grundsätzlich eher dazu tendiert wird, die Einräumung der Möglichkeit der Drittfinanzierung durch die Richtlinie implizit auch als Genehmigung einer Beteiligung des Finanzierers an der Entschädigungssumme zu verstehen, wird an dieser Stelle, wie eingangs erwähnt, auf die Unterbreitung eines konkreten dahingehenden Umsetzungsvorschlags verzichtet. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass im hier vorgeschlagenen System der Rechtsdurchsetzungsfonds maßgebliche Finanzierungsaufgaben übernimmt, zum anderen aber auch darauf, dass hier, insoweit parallel zu dem Gutachten von Gsell und Meller-Hannich, die Ansicht vertreten wird, dass es diesbezüglich einer über das Anwendungsgebiet der Verbandsklagerichtlinie hinausgehenden einheitlichen Regelung bedarf. Diese Auffassung scheint sich mittlerweile auch sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zu verbreiten. Insofern werden die zaghaften Öffnungsschritte hinsichtlich der Vereinbarung von Erfolgshonoraren im Rahmen des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt bereits in drei Jahren evaluiert und ggf. angepasst 343 und auch das europäische Parlament zeigt Bestrebungen, der Prozessfinanzierung innerhalb Europas im Wege einer Harmonisierung über den Anwendungsbereich der Verbandslagerichtlinie hinaus klarere und einheitlichere Rahmenbedingungen zu geben. 344 3. Verjährung Art. 16 Abs. 1 der Verbandsklagerichtlinie ordnet an, dass auch der Verbandsunterlassungsklage eine verjährungshemmende Wirkung zukommen muss, 345 was im deutschen Recht ein Novum darstellt. In Umsetzung dieser Vorgabe soll, entsprechend des Vorschlages von Gsell und Meller-Hannich, § 204 BGB angepasst werden. Um die Einheitlichkeit des hier vorgeschlagenen Systems zu wahren, sollen zudem auch die Klagen auf Feststellung und Beseitigung die Verjährung hemmen. Art. 16 Abs. 2 verlangt darüber hinaus eine verjährungshemmende Wirkung auch für Abhilfeverfahren. Da jedoch sowohl das „gewöhnliche“ Abhilfeverfahren als auch der Folgenbeseitigungsanspruch im hier vorgeschlagenen System ohnehin als Formen der 342
Hierzu Teil 4 – B.II.2.c). Bundesrat – Beschluss zu Drucks. 522/21 vom 11. 06. 2021. 344 Siehe hierzu den Entwurf eines Berichts mit Empfehlungen an die Kommission zur verantwortungsbewussten privaten Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten (2020/2130 (INL)) vom 17. 06. 2021. 345 Hierzu bereits Teil 2 – E.VIII. 343
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Prozessstandschaft ausgestaltet sind, ergibt sich die Hemmung für die in diesem Rahmen geltend gemachten Ansprüche bereits aus geltendem Recht. In einem Opt-Out-Verfahren tritt die Verjährungshemmung insofern mit Klageerhebung für alle von der Verbandsklage umfassten Ansprüche ein und endet sechs Monate nach Austritt aus dem Verfahren. Die Richtlinie gibt, wie oben dargestellt, nicht exakt vor, ob bei Opt-In-Verfahren eine Hemmung bereits mit Klageerhebung oder erst mit Beitritt zum Verfahren eintreten soll, weswegen dies für das nationale Recht frei festgelegt werden kann. 346 Für das hier vorgeschlagene System bietet sich dabei eine Hemmung bereits mit Klagerhebung für alle Ansprüche, die dem Verfahren zugeordnet werden können, an. Dies garantiert eine Einheitlichkeit, insbesondere in Bezug auf die Wirkung mandatsunabhängiger Klagen. 347 4. Rechtskraft und Bindungswirkung Art. 9 Abs. 2 der Verbandsklagerichtlinie verlangt, dass Verbraucher, die einem Abhilfeverfahren (aktiv oder passiv) beigetreten sind, ebenso wie der Beklagte an das Ergebnis des Verfahrens gebunden sind. Auch diesem Erfordernis entspricht das hier vorgeschlagene Modell bereits aufgrund der Ausgestaltung des Abhilfe- bzw. des Folgenbeseitigungsverfahrens als eine Form der Prozessstandschaft. Das Gericht entscheidet unmittelbar über die Ansprüche der vom Verfahren umfassten Verbraucher, womit die Wirkung des Verbandklageurteils grundsätzlich dem eines Individualverfahrens zwischen einem Verbraucher und den Beklagten entspricht. 348 Verbraucher, die einer Verbandsklage dagegen kein Mandat erteilt haben, sollen dort ergangene rechtskräftige Feststellungen über das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Verbraucherschutzrecht, nach den Vorgaben des Art. 15 der Verbandsklagerichtlinie, in Folgeverfahren lediglich als Beweis einbringen können. Diese Regelung gilt sowohl für Abhilfeverfahren, die die Ansprüche der jeweiligen Verbraucher nicht erfasst haben, aus denen diese ausgetreten bzw. in die diese nicht eingetreten sind, als auch für gänzlich mandatsunabhängige Klagen, wie solche auf Unterlassung, Beseitigung oder Feststellung. Zur Umsetzung dieser Vorgabe in das deutsche Recht genügt wohl eine gesetzliche Klarstellung, dass ein Gericht eine in einem Verbandsklageverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung in einem Folgeverfahren, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Individual- oder Verbandsklage han346
Hierzu Teil 2 – E.VIII. Mit ähnlicher Begründung auch Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 37. Der Gleichlauf zwischen Opt-In- und Opt-Out-Verfahren verhindert zudem Wertungsunterschiede, wenn das Verfahren im Rahmen der Zulassungsentscheidung umgestellt wird. 348 Es tritt insofern sowohl prozessuale Bindungswirkung als auch, nach Ausschöpfung der möglichen Rechtsmittel, formelle und materielle Rechtskraft ein. 347
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delt, im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen hat. 349 Wie bereits angesprochen, bleiben die Regelungen des Art. 15 der Verbandsklagerichtlinie weit hinter dem zurück, was der ursprüngliche Kommissionsentwurf hinsichtlich der Wirkung vorangegangener rechtskräftiger Entscheidungen vorgesehen hat. 350 Dieser enthielt in Art. 10 noch eine Regelung, der zufolge festgestellte Verstöße in Folgeverfahren im Forumstaat als unwiderlegbar nachgewiesen gelten sollen, um insbesondere den mandatsunabhängigen Klagen eine breitere Durchsetzungswirkung zu verleihen. 351 Dieser Gedanke soll im hier vorgeschlagenen System aufgegriffen werden. Insofern sollen Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Feststellungsentscheidungen von Gerichten in Folgeverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen sein. Wurde im vorangegangenen Verfahren durch ein deutsches Gericht ein Verstoß festgestellt, so ist das Gericht des Folgeverfahrens, unabhängig davon, ob es in einem Individual- oder ein Verbandsverfahren entscheidet, an diese Feststellung gebunden. Zu diesem Zwecke sind Entscheidungen zu Verbandsklagen, wie unten noch genauer ausgeführt wird, in ein Klageregister einzutragen. Diese Art der Bindungswirkung stellt eine Weiterentwicklung des § 11 UKlaG auf Grundlage der oben dargestellten Analyse dar 352 und wird in ähnlicher Form auch von Gsell und Meller-Hannich vorgeschlagen. 353 5. Koordinierung konkurrierender Verbandsklagen – Aussetzung und Ruhen von Einzelverfahren – Klageregister Durch die Ausgestaltung der Verfahren auf Abhilfe bzw. Folgenbeseitigung nach dem hier vorgeschlagenen System als Formen der Prozessstandschaft kann ohne gesonderte gesetzliche Vorgaben den Anforderungen des Art. 9 Abs. 4 der Verbandsklagerichtlinie entsprochen werden. Dieser verlangt von den Mitgliedstaaten, wie oben angesprochen, sicherzustellen, dass sich die in einer Klage auf Abhilfe repräsentierten Verbraucher weder parallel in einer anderen Verbandsklage repräsentieren lassen, noch ihren Anspruch auf dem Individualklageweg durchsetzen können. 354 Dieses Ziel wird durch die geltenden Regelungen der Rechtshängigkeit erreicht. Ansprüche, die auf dem Individualklageweg bereits verfolgt werden, können aufgrund entgegenstehender Rechtshängigkeit entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht mehr im Entsprechend Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 36. Art. 10 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final; ausführlich hierzu Teil 2 – E.VIII. 351 Art. 10 Abs. 1 Richtlinienvorschlag der Kommission, COM (2018) 184 final. 352 Hierzu Teil 2 – A.I.2.a)bb). 353 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 35 f. 354 Hierzu Teil 2 – E.VIII. 349 350
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Rahmen einer Verbandsklage geltend gemacht werden. 355 Umgekehrt sperrt eine anhängige Verbandsklage weitere Individualverfahren über denselben Anspruch und zugleich parallele Verbandsklagen. Tritt ein Verbraucher aus einer Verbandsklage aus, so entfällt damit auch die Rechtshängigkeit und ihm steht wieder der Individualklageweg offen. Hat ein Verbraucher bereits vor Erhebung einer Verbandsklage ein Individualverfahren begonnen, so verbleiben nach hier vorgeschlagener Konzeption drei Möglichkeiten. Zum einen kann er seine Individualklage parallel zur Verbandsklage fortführen. Da es sehr wahrscheinlich ist, dass über die Individualklage in einem solchen Fall früher entschieden wird, partizipiert er so in keiner Form von den Ergebnissen der Verbandsklage. Alternativ soll ihm, in Erweiterung der aktuell für die Musterfeststellungsklage geltenden Regelungen in § 148 Abs. 2 ZPO, die Möglichkeit eröffnet werden, das Verfahren bis zur Entscheidung im Verbandsklageverfahren ruhen zu lassen. 356 Zielt das Verbandsklageverfahren auf Abhilfe ab, so kann er einen dort festgestellten Verstoß entsprechend der obigen Ausführungen nach Ende der Aussetzung als Beweis in sein Verfahren einbringen. Bei einer Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Feststellungsklage könnte er sogar von der einseitigen Bindungswirkung profitieren. Zuletzt verbleibt dem Individualkläger noch die Möglichkeit, seine Klage nach § 269 ZPO zurückzunehmen, was Voraussetzung ist, um sich einer Verbandsklage auf Abhilfe anzuschließen. Im Einklang mit dem Vorschlag von Gsell und Meller-Hannich soll eine Rücknahme in einer solchen Konstellation ausnahmsweise auch ohne Zustimmung des Beklagten möglich sein. 357 Über die Kosten des bisherigen Individualrechtsstreits entscheidet das Gericht sodann entsprechend § 91a ZPO nach billigem Ermessen. 358 Sowohl zur Koordinierung der Verbandsklagen untereinander als auch im Verhältnis zu nachfolgenden und parallelen Individualverfahren ist es notwendig, ein umfassendes Klageregister zu etablieren. In dieses, vom Bundesministerium für Justiz zu führende Verzeichnis sind sämtliche erhobenen Verbandsklagen einzutragen. Mindestens zu vermerken ist hierbei der Name des klagenden Verbandes, der geltend gemachte Anspruchsinhalt und der Name des Beklagten. Bei Abhilfeverfahren im Opt-Out-System ist zudem die Beschreibung der Verbraucher, deren Ansprüche von dem Verfahren umfasst sind, sowie die Identität derjenigen, die ihren Austritt aus dem Ver355 Die Rechtshängigkeitssperre tritt in Rahmen der Prozessstandschaft ungeachtet der Tatsache ein, dass in einem Individualverfahren keine Parteienidentität vorliegen würde, BGH NJW-RR 1986, 158; Musielak/Voit/Foerste ZPO § 261 Rn. 10a; Schilken/Brinkmann, Zivilprozessrecht, S. 101 f. 356 Diese Möglichkeit soll entsprechend dem bereits geltenden Anwendungsbereich des § 148 Abs. 2 ZPO auch weiterhin für Kläger bestehen, die nicht Verbraucher sind. 357 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 40. 358 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 40.
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fahren erklärt haben, festzuhalten. Bei Opt-In-Verfahren muss ebenfalls sowohl die Gruppe der zum Beitritt berechtigten wie auch die Identität der beigetretenen Verbraucher notiert werden. Darüber hinaus soll, soweit ein solcher bestellt wurde, der Name des für den Anmelde- und Verteilungsprozess zuständigen Sachwalters vermerkt werden. 6. Auswirkungen auf bestehende Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes Die bisherige Landschaft der deutschen Kollektivklageinstrumente wird durch das neu einzuführende Verbandsklagesystem in erheblichem Umfang verändert. Obsolet wird zunächst, wie oben angesprochen, die Musterfeststellungsklage, da mit der mandatsfreien Verbandsklage auf Feststellung nun ein einfacheres und zugleich effektiveres Instrument zur Verfügung steht. Keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hat zudem § 2 UKlaG. Wie oben bereits angesprochen, sollen daneben die Gewinn- bzw. Vorteilsabschöpfungsansprüche aus § 10 UWG und § 34a GWB ersatzlos gestrichen werden. Es bedürfte, um diese beizubehalten, nicht nur einer umfassenden Novellierung derselben, die Ansprüche müssten auch mit den Verbandsklagen auf Abhilfe koordiniert werden. Letzen Endes wäre eine Klage auf Gewinnabschöpfung für einen Verband nur dann vorzugswürdig, wenn ein abgeschöpfter Gewinn bzw. Vorteil nicht an den Bundeshaushalt, sondern ebenfalls an den Rechtsdurchsetzungsfonds fließen und die Berechnung desselben darüber hinaus dergestalt vereinfacht werden würde, dass dieser deutlich leichter zu ermitteln und zu berechnen wäre als der Gesamtschaden der Gruppe. Der Öffentlichkeit, und für den klagenden Verband meint das insbesondere dessen Mitglieder, wäre es wohl aber kaum zu vermitteln, warum der Verband aus diesem Grunde in gewissen Konstellationen die Gewinnabschöpfung vorzieht. Der durchschnittliche Geschädigte wird sich nicht vertieft mit den Unterschieden zwischen Gewinn- und Schadensberechnung beschäftigten, weswegen es sich für ihn lediglich so darstellen würde, als würde der Verband ein Instrument wählen, bei dem lediglich er selbst, nicht aber die Geschädigten, direkt von einem Erfolg profitieren. Insoweit kann es wohl kein Nebeneinander von Gewinnabschöpfungs- und Schadensersatzklagen durch Verbände geben. Unangetastet kann das in erster Linie auf Massenschäden gerichtete Verfahren des KapMuG bleiben. Auch die Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung aus UKlaG, UWG und GWB bleiben für Fälle, in denen Unternehmer und nicht Verbraucher geschädigt werden weiter relevant. Zudem soll den Verbänden die bislang kaum genutzte Möglichkeit der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als weiteres Instrument belassen werden. Abschließend gilt noch festzuhalten, dass im hier vorgeschlagenen System keine gesetzlichen Beschränkungen der Tätigkeit der Rechtsdienstleistungsplattformen vorgesehen ist. Durch das effektivere Verbandsklagesystem sol-
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len Verbraucher jedoch vermehrt dazu verleitet werden, ihren Anspruch im Rahmen desselben, und insoweit ohne die Entrichtung eines hohen Erfolgshonorars, durchzusetzen. 7. Zuständigkeit Sowohl der Umsetzungsvorschlag von Bruns 359 als auch der von Gsell und Meller-Hannich 360 sehen entsprechend den geltenden Regelungen zur Musterfeststellungsklage 361 eine Eingangszuständigkeit der Oberlandesgerichte für Verbandsklagen auf Abhilfe vor. Gsell und Meller-Hannich gehen sogar noch einen Schritt weiter und weisen sämtliche Verbandsklagen in Verbraucherinteresse den Oberlandesgerichten zu. 362 Obgleich dies zweifelsohne der Verfahrenseffizienz dienlich ist, soll im Rahmen des hier vorgeschlagenen Systems auf eine zweite Tatsacheninstanz nicht verzichtet und insofern die Zuständigkeit der Landgerichte in erster Instanz festgeschrieben werden. Innerhalb Deutschlands ist das Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Beklagten ausschließlich örtlich zuständig,363 für Fälle mit Auslandsbezug gilt entsprechend den Vorgaben der Richtlinie die Brüssel Ia-Verordnung. 364
Bruns, Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie, S. 38 f. Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 50. 361 § 119 Abs. 3 GVG. 362 Gsell/Meller-Hannich, Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, S. 50. 363 Bei Unternehmen entsprechend § 17 ZPO der Sitz. Eine dahingehende Bündelung erleichtert die Koordinierung erheblich und vermeidet zudem divergierende Entscheidungen. 364 Erwägungsgrund 21 Richtlinie (EU) 2020/1828. 359 360
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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Von einem Streuschaden spricht man, wenn eine Vielzahl von Personen entweder durch dasselbe oder eine Kette gleichförmiger Ereignisse einen Schaden erleidet, der jeweils so gering ist, dass aufgrund der rationalen Passivität der Geschädigten nicht damit gerechnet werden kann, dass diese sich aktiv um einen Ausgleich des Schadens bemühen werden. Eine effektive Steuerung und Bekämpfung von Streuschäden ist nur möglich, wenn ausreichend personell und finanziell ausgestatteten Akteuren Instrumente an die Hand gegeben werden, die dazu geeignet sind, sicherzustellen, dass die Kosten einer Streuschädigung für einen (potenziellen) Verletzer höher sind als deren Nutzen. Hierzu bedarf es sowohl präventiver Instrumente, die einen Schädiger von (weiteren, künftigen) Schädigungen abhalten, als auch solcher, die sicherstellen, dass der einmal durch eine Schädigung erlangte Gewinn vollumfassend entzogen wird. Gerade im Hinblick auf die letztgenannte Funktion weisen die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehenden Instrumente teils erhebliche Defizite auf. Komplizierte Berechnungserfordernisse verhindern häufig die umfassende Abschöpfung des Verletzergewinns auf der Grundlage öffentlichrechtlicher Vorschriften, die vom Gesetzgeber zur Steuerung berufenen privatrechtlichen Akteure leiden an einer strukturellen Unterfinanzierung und haben zudem in der Durchsetzung ihrer Ansprüche mit signifikanten Hürden zu kämpfen, die ihnen aus einer im Wesentlichen unbegründeten Angst vor einer „Klageindustrie amerikanischen Ausmaßes“ bereitet wurden. Der beste Weg, um sicherzustellen, dass der Verletzergewinn einem Schädiger vollständig entzogen wird, liegt in der umfassenden Kompensation der Geschädigten. In Abweichung zu Fällen mit höheren Individualschäden wird diese in Streuschadensfällen aufgrund der rationalen Passivität der Geschädigten jedoch nicht durch die Durchsetzung von Individualansprüchen realisiert. Um dieses Defizit auszugleichen, muss ein effektives kollektivrechtliches Instrument zur Streuschadensbekämpfung die rationale Passivität der Geschädigten so weit wie möglich überwinden, also eine Kompensation unter möglichst geringen Beteilungsanforderungen ermöglichen. Da jedoch nur in den wenigsten Fällen auf eine Beteiligung der Geschädigten gänzlich verzichtet werden kann und gegeben der oben dargelegten Erkenntnis, dass nur eine vollumfassende Entziehung des Verletzergewinns zur effektiven Bekämpfung von Streuschäden geeignet ist, muss sicher-
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Teil 5: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
gestellt werden, dass auch der Teil des Verletzergewinns, der nicht zur Kompensation verwendet wurde, abgeschöpft und einem sinnvollen Zweck zugeführt wird. Ein vergleichbares Spannungsfeld zwischen Kompensation und Abschreckung tritt im U.S.-amerikanischen Recht häufig zu Tage, wenn es um die Verteilung von durch Opt-Out Class Actions erstrittenen Schadensersatzsummen geht. Mittels der als echte Gruppenklage konzipierten U.S. Class Action werden nicht selten in Reaktion auf Streuschadensereignisse Vergleiche mit Schädigern über hohe Schadensersatzsummen erzielt, die es sodann an die Gruppenmitglieder, welche sich an der Klage bis zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise beteiligt haben, zu verteilen gilt. Im Anschluss an zu diesem Zweck konzipierte unterschiedlich effektive Verteilungsverfahren bleiben häufig erhebliche Summen übrig. Obgleich die unterschiedlichen Fallkonstellationen teils abweichende Behandlungen erfordern, ist die effektivste und zugleich in ihrer Anwendung flexibelste Methode zur Verteilung der übrigen Gelder die Cy-Pres-Methode. Unter Beachtung der notwendigen Anwendungsvoraussetzungen kann diese eine indirekte Kompensation der nicht entschädigten Gruppenmitglieder erreichen, indem übrige Gelder an Einrichtungen ausgekehrt werden, die diese sodann zu einem Zweck einsetzen, der einen möglichst großen Nutzen für die nicht entschädigten Gruppenmitglieder entfaltet. Teilweise ist es darüber hinaus sogar sinnvoll, den Anmeldeprozess in Gänze zu überspringen und die gesamte Entschädigungssumme an eine solche Einrichtung auszukehren, wenn damit, was insbesondere bei sehr kleinen individuellen Schäden oft der Fall ist, insgesamt eine größere Kompensationswirkung erreicht werden kann. In den U.S.A. haben sich sog. Acess to Justice Foundations in vielen Fällen als geeignete Empfänger von Cy-Pres-Geldern erwiesen. Von Bundesgerichten werden diese im Besonderen dann gewählt, wenn aufgrund der Heterogenität der Gruppe keine andere Einrichtung gefunden werden kann, die eine indirekte Kompensation der Geschädigten verspricht. Die Gesetze der Einzelstaaten verpflichten zudem deren Gerichte meist dazu, zumindest einen gewissen Prozentsatz der Gelder an eine solche Einrichtung auszukehren. Hierhinter steht der Gedanke, dass allen Gruppenmitgliedern einer Class Action in der Regel gemein ist, dass sie ihre jeweiligen Schäden nicht individuell durchgesetzt hätten. Insofern sind sie alle von Durchsetzungsdefiziten betroffen, die durch die Förderung von Organisationen, die den Zugang zum Recht erleichtern, verringert werden. Die aufgrund der europäischen Verbandsklagerichtlinie neu in das deutsche Recht zu implementierende Verbandsklage auf Abhilfe bietet den notwendigen Rahmen, um ein effektives Instrument zu Streuschadensbekämpfung nach den eben dargelegten Parametern zu realisieren. Im Hinblick auf die Steuerung von Streuschäden ist eine Ausgestaltung als Verbandsklage
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einer (echten) Gruppenklage vorzuziehen, da auf diese Weise die Interessen eines die Gruppenklage tragenden und finanzierenden Dritten nicht zusätzlich der Gemengelage hinzugefügt werden. Entgegen den bereits bestehenden Umsetzungsvorschlägen sollte die Verbandsklage auf Abhilfe flexibel ausgestaltet werden und neben einem aktiven Beitritt der geschädigten Verbraucher auch eine passive Einbindung derselben im Sinne eines Opt-Out-Verfahrens ermöglichen. An ein solches OptOut-Verfahren sollte sich zunächst ein möglichst niederschwellig auszugestaltendes Anmelde- und Verteilungsverfahren anschließen, durch das die Verbraucher direkt entschädigt werden. Gelder, die im Anschluss an dieses Verfahren nicht verteilt werden konnten, sollten sodann an ein öffentlichrechtliches Sondervermögen abgeführt werden, das diese in Anwendung der Cy-Pres-Methode verwendet. Konkret sollen die Gelder zum einen zur indirekten Kompensation der nicht entschädigten Verbraucher und zum anderen zur Finanzierung weiterer Verbandsklagen genutzt werden. Die auf diese Weise erzielte umfassende Abschöpfung des Verletzergewinns unter weitestmöglicher Kompensation der Geschädigten verspricht nicht nur einen signifikanten Rückgang von Streuschädigungen mangels wirtschaftlichen Anreizes, sondern ermöglicht durch die finanzielle Stärkung der Verbände zugleich auch eine breitere Rechtsdurchsetzung.
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Anlagen
Anlage 1 – U.S.-amerikanisches Bundesrecht Rule 23 Federal Rules of Civil Procedure (a) Prerequisites. One or more members of a class may sue or be sued as representative parties on behalf of all members only if: (1) the class is so numerous that joinder of all members is impracticable; (2) there are questions of law or fact common to the class; (3) the claims or defenses of the representative parties are typical of the claims or defenses of the class; and (4) the representative parties will fairly and adequately protect the interests of the class. (b) Types of Class Actions. A class action may be maintained if Rule 23(a) is satisfied and if: (1) prosecuting separate actions by or against individual class members would create a risk of: (A) inconsistent or varying adjudications with respect to individual class members that would establish incompatible standards of conduct for the party opposing the class; or (B) adjudications with respect to individual class members that, as a practical matter, would be dispositive of the interests of the other members not parties to the individual adjudications or would substantially impair or impede their ability to protect their interests; (2) the party opposing the class has acted or refused to act on grounds that apply generally to the class, so that final injunctive relief or corresponding declaratory relief is appropriate respecting the class as a whole; or (3) the court finds that the questions of law or fact common to class members predominate over any questions affecting only individual members, and that a class action is superior to other available methods for fairly and efficiently adjudicating the controversy. The matters pertinent to these findings include: (A) the class members’ interests in individually controlling the prosecution or defense of separate actions; (B) the extent and nature of any litigation concerning the controversy already begun by or against class members; (C) the desirability or undesirability of concentrating the litigation of the claims in the particular forum; and (D) the likely difficulties in managing a class action. (c) Certification Order; Notice to Class Members; Judgment; Issues Classes; Subclasses.
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Anlage 1 – U.S.-amerikanisches Bundesrecht
(1) Certification Order. (A) Time to Issue. At an early practicable time after a person sues or is sued as a class representative, the court must determine by order whether to certify the action as a class action. (B) Defining the Class; Appointing Class Counsel. An order that certifies a class action must define the class and the class claims, issues, or defenses, and must appoint class counsel under Rule 23(g). (C) Altering or Amending the Order. An order that grants or denies class certification may be altered or amended before final judgment. (2) Notice. (A) For (b)(1) or (b)(2) es. For any class certified under Rule 23(b)(1) or (b)(2), the court may direct appropriate notice to the class. (B) For (b)(3) Classes. For any class certified under Rule 23(b)(3)–or upon ordering notice under Rule 23(e)(1) to a class proposed to be certified for purposes of settlement under Rule 23(b)(3)–the court must direct to class members the best notice that is practicable under the circumstances, including individual notice to all members who can be identified through reasonable effort. The notice may be by one or more of the following: United States mail, electronic means, or other appropriate means. The notice must clearly and concisely state in plain, easily understood language: (i) the nature of the action; (ii) the definition of the class certified; (iii) the class claims, issues, or defenses; (iv) that a class member may enter an appearance through an attorney if the member so desires; (v) that the court will exclude from the class any member who requests exclusion; (vi) the time and manner for requesting exclusion; and (vii) the binding effect of a class judgment on members under Rule 23(c)(3). (3) Judgment. Whether or not favorable to the class, the judgment in a class action must: (A) for any class certified under Rule 23(b)(1) or (b)(2), include and describe those whom the court finds to be class members; and (B) for any class certified under Rule 23(b)(3), include and specify or describe those to whom the Rule 23(c)(2) notice was directed, who have not requested exclusion, and whom the court finds to be class members. (4) Particular Issues. When appropriate, an action may be brought or maintained as a class action with respect to particular issues. (5) Subclasses. When appropriate, a class may be divided into subclasses that are each treated as a class under this rule. (d) Conducting the Action. (1) In General. In conducting an action under this rule, the court may issue orders that: (A) determine the course of proceedings or prescribe measures to prevent undue repetition or complication in presenting evidence or argument; (B) require–to protect class members and fairly conduct the action–giving appropriate notice to some or all class members of: (i) any step in the action; (ii) the proposed extent of the judgment; or
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(iii) the members’ opportunity to signify whether they consider the representation fair and adequate, to intervene and present claims or defenses, or to otherwise come into the action; (C) impose conditions on the representative parties or on intervenors; (D) require that the pleadings be amended to eliminate allegations about representation of absent persons and that the action proceed accordingly; or (E) deal with similar procedural matters. (2) Combining and Amending Orders. An order under Rule 23(d)(1) may be altered or amended from time to time and may be combined with an order under Rule 16. (e) Settlement, Voluntary Dismissal, or Compromise. The claims, issues, or defenses of a certified class–or a class proposed to be certified for purposes of settlement–may be settled, voluntarily dismissed, or compromised only with the court’s approval. The following procedures apply to a proposed settlement, voluntary dismissal, or compromise: (1) Notice to the Class. (A) Information That Parties Must Provide to the Court. The parties must provide the court with information sufficient to enable it to determine whether to give notice of the proposal to the class. (B) Grounds for a Decision to Give Notice. The court must direct notice in a reasonable manner to all class members who would be bound by the proposal if giving notice is justified by the parties’ showing that the court will likely be able to: (i) approve the proposal under Rule 23(e)(2); and (ii) certify the class for purposes of judgment on the proposal. (2) Approval of the Proposal. If the proposal would bind class members, the court may approve it only after a hearing and only on finding that it is fair, reasonable, and adequate after considering whether: (A) the class representatives and class counsel have adequately represented the class; (B) the proposal was negotiated at arm’s length; (C) the relief provided for the class is adequate, taking into account: (i) the costs, risks, and delay of trial and appeal; (ii) the effectiveness of any proposed method of distributing relief to the class, including the method of processing class-member claims; (iii) the terms of any proposed award of attorney’s fees, including timing of payment; and (iv) any agreement required to be identified under Rule 23(e)(3); and (D) the proposal treats class members equitably relative to each other. (3) Identifying Agreements. The parties seeking approval must file a statement identifying any agreement made in connection with the proposal. (4) New Opportunity to be Excluded. If the class action was previously certified under Rule 23(b)(3), the court may refuse to approve a settlement unless it affords a new opportunity to request exclusion to individual class members who had an earlier opportunity to request exclusion but did not do so. (5) Class-Member Objections. (A) In General. Any class member may object to the proposal if it requires court approval under this subdivision (e). The objection must state whether it applies only to the objector, to a specific subset of the class, or to the entire class, and also state with specificity the grounds for the objection.
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(B) Court Approval Required for Payment in Connection with an Objection. Unless approved by the court after a hearing, no payment or other consideration may be provided in connection with: (i) forgoing or withdrawing an objection, or (ii) forgoing, dismissing, or abandoning an appeal from a judgment approving the proposal. (C) Procedure for Approval After an Appeal. If approval under Rule 23(e)(5)(B) has not been obtained before an appeal is docketed in the court of appeals, the procedure of Rule 62.1 applies while the appeal remains pending. (f) Appeals. A court of appeals may permit an appeal from an order granting or denying classaction certification under this rule, but not from an order under Rule 23(e)(1). A party must file a petition for permission to appeal with the circuit clerk within 14 days after the order is entered, or within 45 days after the order is entered if any party is the United States, a United States agency, or a United States officer or employee sued for an act or omission occurring in connection with duties performed on the United States’ behalf. An appeal does not stay proceedings in the district court unless the district judge or the court of appeals so orders. (g) Class Counsel. (1) Appointing Class Counsel. Unless a statute provides otherwise, a court that certifies a class must appoint class counsel. In appointing class counsel, the court: (A) must consider: (i) the work counsel has done in identifying or investigating potential claims in the action; (ii) counsel’s experience in handling class actions, other complex litigation, and the types of claims asserted in the action; (iii) counsel’s knowledge of the applicable law; and (iv) the resources that counsel will commit to representing the class; (B) may consider any other matter pertinent to counsel’s ability to fairly and adequately represent the interests of the class; (C) may order potential class counsel to provide information on any subject pertinent to the appointment and to propose terms for attorney’s fees and nontaxable costs; (D) may include in the appointing order provisions about the award of attorney’s fees or nontaxable costs under Rule 23(h); and (E) may make further orders in connection with the appointment. (2) Standard for Appointing Class Counsel. When one applicant seeks appointment as class counsel, the court may appoint that applicant only if the applicant is adequate under Rule 23(g)(1) and (4). If more than one adequate applicant seeks appointment, the court must appoint the applicant best able to represent the interests of the class. (3) Interim Counsel. The court may designate interim counsel to act on behalf of a putative class before determining whether to certify the action as a class action. (4) Duty of Class Counsel. Class counsel must fairly and adequately represent the interests of the class. (h) Attorney’s Fees and Nontaxable Costs. In a certified class action, the court may award reasonable attorney’s fees and nontaxable costs that are authorized by law or by the parties’ agreement. The following procedures apply:
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(1) A claim for an award must be made by motion under Rule 54(d)(2), subject to the provisions of this subdivision (h), at a time the court sets. Notice of the motion must be served on all parties and, for motions by class counsel, directed to class members in a reasonable manner. (2) A class member, or a party from whom payment is sought, may object to the motion. (3) The court may hold a hearing and must find the facts and state its legal conclusions under Rule 52(a). (4) The court may refer issues related to the amount of the award to a special master or a magistrate judge, as provided in Rule 54(d)(2)(D).
Anlage 2 – Regelungen zur Verteilung übriger Gelder der U.S.-Bundesstaaten California – Cal. Civ. Proc. Code § 384 (a) It is the policy of the State of California to ensure that the unpaid cash residue and unclaimed or abandoned funds in class action litigation are distributed, to the fullest extent possible, in a manner designed either to further the purposes of the underlying class action or causes of action, or to promote justice for all Californians. The Legislature finds that the use of funds for these purposes is in the public interest, is a proper use of the funds, and is consistent with essential public and governmental purposes. (b) Except as provided in subdivision (c), before the entry of a judgment in a class action established pursuant to Section 382 that provides for the payment of money to members of the class, the court shall determine the total amount that will be payable to all class members if all class members are paid the amount to which they are entitled pursuant to the judgment. The court shall also set a date when the parties shall report to the court the total amount that was actually paid to the class members. After the report is received, the court shall amend the judgment to direct the defendant to pay the sum of the unpaid residue or unclaimed or abandoned class member funds, plus interest on that sum at the legal rate of interest from the date of entry of the initial judgment, to nonprofit organizations or foundations to support projects that will benefit the class or similarly situated persons, or that promote the law consistent with the objectives and purposes of the underlying cause of action, to child advocacy programs, or to nonprofit organizations providing civil legal services to the indigent. The court shall ensure that the distribution of any unpaid residue or unclaimed or abandoned class member funds derived from multistate or national cases brought under California law shall provide substantial or commensurate benefit to California consumers. For purposes of this subdivision, ‚judgment‘ includes a consent judgment, decree, or settlement agreement that has been approved by the court. (c) This section shall not apply to any class action brought against any public entity, as defined in Section 811.2 of the Government Code, or against any public employee, as defined in Section 811.4 of the Government Code. However, this section shall not be construed to abrogate any equitable cy pres remedy that may be available in any class action with regard to all or part of the cash residue or unclaimed or abandoned class member funds.
Colorado – Col. R. Civ. P. 23(g) – Disposition of Residual Funds. (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved
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disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from suggesting, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds. (2) Any order, judgment, or approved settlement in a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class shall provide for the disbursement of residual funds, if any. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than fifty percent (50 %) of the residual funds shall be disbursed to the Colorado Lawyer Trust Account Foundation (COLTAF) to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of Colorado. The court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to COLTAF or to any other entity for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive or procedural interests of members of the certified class.
Connecticut – Conn. Sup. Ct. R. 9–9(g) (1) ‚Residual funds‘ are funds that remain after the payment of approved class member claims, expenses, litigation costs, attorney’s fees, and other court-approved disbursements made to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from recommending, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds. (2) Any order, judgment or approved settlement in a class action that establishes a process for identifying and compensating members of the class may designate the recipient or recipients of any such residual funds that may remain after the claims payment process has been completed. In the absence of such designation, the residual funds shall be disbursed to the organization administering the program for the use of interest on lawyers’ client funds pursuant to General Statutes § 51–81c for the purpose of funding those organizations that provide legal services for the poor in Connecticut
Hawaii – Haw. R. Civ. P. 23(f) – Distribution Prior to the entry of any judgment under subdivision (c)(3) or the approval of any compromise under subdivision (e), the court shall determine the total amount payable to each class member. The court shall set a date when the parties shall report to the court the total amount actually paid to class members. After the report is received, the court shall direct the defendant, by order entered on the record, to distribute the sum of any unpaid residue after the payment of approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements. Unless otherwise required by governing law, it shall be within the discretion of the court to approve the timing and method of distribution of residual funds and to approve the recipient(s) of residual funds, as agreed to by the parties, including nonprofit tax exempt organizations eligible to receive assistance from the indigent legal assistance fund under HRS section 607–5.7 (or any successor provision) or the Hawai’i Justice Foundation, for distribution to one or more of such organizations.
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Illinois – 735 ILCS 5/2–807 – Residual funds in a common fund created in a class action (a) Definitions. As used in this Section: ‚Eligible organization‘ means a not-for-profit organization that: (i) has been in existence for no less than 3 years; (ii) has been tax exempt for no less than 3 years from the payment of federal taxes under Section 501(c)(3) of the Internal Revenue Code; (iii) is in compliance with registration and filing requirements applicable pursuant to the Charitable Trust Act and the Solicitation for Charity Act; and (iv) has a principal purpose of promoting or providing services that would be eligible for funding under the Illinois Equal Justice Act. ‚Residual funds‘ means all unclaimed funds, including uncashed checks or other unclaimed payments, that remain in a common fund created in a class action after court-approved payments are made for the following: (i) class member claims; (ii) attorney’s fees and costs; and (iii) any reversions to a defendant agreed upon by the parties. (b) Settlement. An order approving a proposed settlement of a class action that results in the creation of a common fund for the benefit of the class shall, consistent with the other Sections of this Part, establish a process for the administration of the settlement and shall provide for the distribution of any residual funds to one or more eligible organizations, except that up to 50 % of the residual funds may be distributed to one or more other nonprofit charitable organizations or other organizations that serve the public good if the court finds there is good cause to approve such a distribution as part of a settlement
Indiana – Ind. R. Trial P. 23(F) – Disposition of Residual Funds. (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the trial court from approving a settlement that does not create residual funds. (2) Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class shall provide for the disbursement of residual funds, unless otherwise agreed. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than twenty-five percent (25 %) of the residual funds shall be disbursed to the Indiana Bar Foundation to support the activities and programs of the Indiana Pro Bono Commission and its pro bono districts. The court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to the Indiana Bar Foundation or to any other entity for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive or procedural interests of members of the certified class.
Kentucky – Ky. R. Civ. P. 23.05(b) Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class shall provide for the disbursement of residual funds. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than twenty-five percent (25 %) of the residual funds shall be disbursed to the Civil Rule 23
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Account maintained by the Kentucky IOLTA Fund Board of Trustees pursuant to Supreme Court Rule 3.830(20). Such funds are to be allocated to the Kentucky Civil Legal Aid Organizations based upon the current poverty formula established by the Legal Services Corporation to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low-income residents of Kentucky.
Louisiana – La S. C. Rule XLIII Part Q – Cy Pres Award Section 1. For purposes of this rule, ‚Cy Pres Funds‘ shall refer to all funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees and other court-approved disbursements to implement the relief granted. It shall not refer to any such remaining funds that are otherwise distributed by the parties through class settlement, including funds to be returned to one or more parties. Section 2. In matters where the claims process has been exhausted and Cy Pres Funds remain, such funds may be disbursed by the trial court to one or more non-profit or governmental entities which support projects that will benefit the class or similarly situated persons consistent with the objectives and purposes of the underlying causes of action on which relief was based, including the Louisiana Bar Foundation for use in its mission to support activities and programs that promote direct access to the justice system. Section 3. All disbursements of Cy Pres Funds made pursuant to this Rule shall be reported to the Office of the Judicial Administrator of the Louisiana Supreme Court.
Maine – Me. R. Civ. P. 23(f) – Payment of Residual Funds (1) ‚Residual funds‘ are those funds, if any, that remain after reasonable efforts to pay approved class member claims and make other approved disbursements, including any return of funds to the settling defendant, called for by a settlement agreement approved under subdivision (e) of this Rule. (2) The parties may agree that residual funds be paid to an entity whose interests reasonably approximate those being pursued by the class. When it is not clear that there is such a recipient, unless otherwise required by governing law, the settlement agreement should provide that residual fees, if any, be paid to the Maine Bar Foundation to be distributed in the same manner as funds received from interest on lawyers trust accounts pursuant to M. Bar R. 6(a)(2) to (5).
Massachusetts – Mass. R. Civ. P. 23(e) – Disposition of Residual Funds (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from suggesting, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds. (2) Any order, judgment or approved compromise in a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class may provide for the disbursement of residual funds. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, the residual funds shall be dis-
478 Anlage 2 – Regelungen zur Verteilung übriger Gelder der U.S.-Bundesstaaten bursed to one or more nonprofit organizations or foundations (which may include nonprofit organizations that provide legal services to low income persons) which support projects that will benefit the class or similarly situated persons consistent with the objectives and purposes of the underlying causes of action on which relief was based, or to the Massachusetts IOLTA Committee to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of the Commonwealth of Massachusetts. (3) Where residual funds may remain, no judgment may enter or compromise be approved unless the plaintiff has given notice to the Massachusetts IOLTA Committee for the limited purpose of allowing the committee to be heard on whether it ought to be a recipient of any or all residual funds.
Minnesota – Minn. R. Civ. P. 23.05(e) – Distribution of Residual Funds, If Any. In the event there are residual funds that remain after payment of all approved class member claims (including any supplemental distributions to the class), expenses, litigation costs, attorney’s fees, and other court-approved disbursements, the court shall direct notice regarding the distribution of these funds. This notice shall be provided to any potential recipient of residual funds identified by the parties or the court and to the Legal Services Advisory Committee for the purpose of informing qualified legal services programs within the meaning of Minnesota Statutes, section 480.24, subdivision 3. In approving the distribution or other disposition of residual funds, the district court shall consider all relevant factors, including the recommendations of the parties, the nexus between the nature, purpose, and objectives of the class action and the interests of the class members, and the interests of potential recipients of the residual funds.
Montana – Mont. R. Civ. P. 23(g)(i) – Disposition of Residual Funds (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees and other court-approved disbursements. This rule does not prohibit the trial court from approving a settlement that does not create residual funds. (2) “Access to Justice Organization” means a Montana non-profit entity whose purpose is to support activities and programs that promote access to the Montana civil justice system. (3) Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class shall provide for disbursement of residual funds. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than fifty percent (50 %) of the residual funds shall be disbursed to an Access to Justice Organization to support activities and programs that promote access to the Montana civil justice system. The court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to an Access to Justice Organization or to another non-profit entity for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive or procedural interests of members of the certified class.
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Nebraska – Neb. Rev. Stat. Ann. § 25–319.01 (1) It is the intent of the Legislature to ensure that the unpaid residuals in class action litigation are distributed, to the extent possible, in a manner designed to promote justice for all citizens of this state. The Legislature finds that the use of funds collected by state courts pursuant to this section for these purposes is in the public interest, is a proper use of the funds, and is consistent with essential public and governmental purposes. (2) Prior to the entry of any judgment or order approving settlement in a class action described in section 25–319, the court shall determine the total amount that will be payable to all class members if all class members are paid the amount to which they are entitled pursuant to the judgment or settlement. The court shall also set a date when the parties shall report to the court the total amount that was actually paid to the class members. After the report is received, the court, unless it orders otherwise to further the purposes of the underlying cause of action, shall direct the defendant to pay the sum of the unpaid residue to the Legal Aid and Services Fund.
New Mexico – NMRA, Rule 1–023(G) – Residual funds to named organization (1) For purposes of Paragraph (G)(2) of this rule, ‚residual funds‘ are (a) unclaimed funds, including uncashed checks and other unclaimed payments, that remain after payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements or dispositions to implement the relief granted, whether the payments are drawn from a common fund or directly from the judgment debtor’s own funds; or (b) if it is impossible or economically impractical to distribute the common fund to the class at all, the entire common fund after payment of all approved expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements or dispositions to implement the relief granted, whether the payments are drawn from a common fund or directly from the judgment debtor’s own funds. (2) Either in its order entering a judgment or approving a proposed settlement of a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class or by a subsequent order entered when residual funds are determined to exist, the court shall provide for the disbursement of residual funds, if any, to one or more of the following entities: (a) nonprofit organizations that support projects that benefit the class or similarly situated persons consistent with the goals of the underlying causes of action on which relief was based; (b) educational entities that provide training, teaching and legal services that further the goals of the underlying causes of action on which relief was based; (c) nonprofit organizations that provide legal services to low income persons; (d) the entity administering the IOLTA fund under Rule 24–109 NMRA, to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of New Mexico; and (e) the entity administering the pro hac vice fund under Rule 24–106 NMRA, to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of New Mexico. (3) Nothing in this paragraph is intended to prevent the parties to a class action from proposing, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds.
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North Carolina – N.C. Gen. Stat. Ann. § 1–267.10 (a) It is the intent of the General Assembly to ensure that the unpaid residuals in class action litigation are distributed, to the extent possible, in a manner designed either to further the purposes of the underlying causes of action or to promote justice for all citizens of this State. The General Assembly finds that the use of funds collected by the State courts pursuant to this section for these purposes is in the public interest, is a proper use of the funds, and is consistent with essential public and governmental purposes. (b) Prior to the entry of any judgment or order approving settlement in a class action established pursuant to Rule 23 of the Rules of Civil Procedure, the court shall determine the total amount that will be payable to all class members, if all class members are paid the amount to which they are entitled pursuant to the judgment or settlement. The court shall also set a date when the parties shall report to the court the total amount that was actually paid to the class members. After the report is received, the court, unless it orders otherwise consistent with its obligations under Rule 23 of the Rules of Civil Procedure, shall direct the defendant to pay the sum of the unpaid residue, to be divided and credited equally, to the Indigent Person’s Attorney Fund and to the North Carolina State Bar for the provision of civil legal services for indigents.
Oregon. – Or. R. Civ. P. 32(O)(1) – Payment of damages As part of the settlement or judgment in a class action, the court may approve a process for the payment of damages. The process may include the use of claim forms. If any amount awarded as damages is not claimed within the time specified by the court, or if the court finds that payment of all or part of the damages to class members is not practicable, the court shall order that: (1) At least 50 percent of the amount not paid to class members be paid or delivered to the Oregon State Bar for the funding of legal services provided through the Legal Services Program established under ORS 9.572; and (2) The remainder of the amount not paid to class members be paid to any entity for purposes that the court determines are directly related to the class action or directly beneficial to the interests of class members.
Pennsylvania – Pa.R.C.P. No. 1716 a) Any order entering a judgment or approving a proposed compromise or settlement of a class action that establishes a process for the identification and compensation of members of the class shall provide for the disbursement of residual funds. (b) Not less than fifty percent (50 %) of residual funds in a given class action shall be disbursed to the Pennsylvania Interest on Lawyers Trust Account Board to support activities and programs which promote the delivery of civil legal assistance to the indigent in Pennsylvania by non-profit corporations described in Section 501(c)(3) of the Internal Revenue Code of 1986, as amended. The order may provide for disbursement of the balance of any residual funds in excess of those payable to the Pennsylvania Interest on Lawyers Trust Account Board to the Pennsylvania Interest on Lawyers Trust Account Board, or to another entity for purposes that have a direct or indirect
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relationship to the objectives of the underlying class action, or which otherwise promote the substantive or procedural interests of the members of the class.
South Carolina – S.C. R. Civ. P. 23(e) – Disposition of Residual Funds (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from suggesting, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds. (2) Any order, judgment, or approved compromise in a class action under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class may provide for the disbursement of residual funds. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than fifty percent of residuals must be distributed to the South Carolina Bar Foundation to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of South Carolina. The court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to the South Carolina Bar Foundation to any other entity or entities for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive and procedural interests of members of the class.
South Dakota – S.D. Codified Laws § 16–2–57 Any order settling a class action lawsuit that results in the creation of a common fund for the benefit of the class shall provide for the distribution of any residual funds to the Commission on Equal Access to Our Courts. However, up to fifty percent of the residual funds may be distributed to one or more other nonprofit charitable organizations that serve the public good if the court finds there is good cause to approve such a distribution as part of the settlement. For the purposes of this section, residual funds are any funds left over after payment of class member claims, attorney fees and costs, and any reversions to a defendant agreed upon by the parties and approved by the court. This section does not apply to any class action lawsuit against the State of South Dakota or any of its political subdivisions.
Tennessee – Tenn. R. Civ. P. 23.08 Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action certified under this rule may provide for the disbursement of residual funds. Residual funds are funds that remain after the payment of all approved: class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from suggesting, or the trial court from approving, a settlement or order entering a judgment that does not create residual funds. It shall be within the discretion of the court to approve the timing and method of distribution of residual funds and to approve the recipient(s) of residual funds. A distribution of residual funds to a
482 Anlage 2 – Regelungen zur Verteilung übriger Gelder der U.S.-Bundesstaaten program or fund which serves the pro bono legal needs of Tennesseans including, but not limited to, the Tennessee Voluntary Fund for Indigent Civil Representation is permissible but not required. Upon motion of any party to a settlement or judgment of a class action certified under this rule or upon the court’s own initiative, orders may be entered after an approved settlement or judgment to address the disposition and disbursement of residual funds in a manner consistent with this rule.
Washington – Wash. Civ. R. 23(f) – Disposition of Residual Funds (1) ‚Residual Funds‘ are funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorneys’ fees, and other court-approved disbursements to implement the relief granted. Nothing in this rule is intended to limit the parties to a class action from suggesting, or the trial court from approving, a settlement that does not create residual funds. (2) Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action certified under this rule that establishes a process for identifying and compensating members of the class shall provide for the disbursement of residual funds. In matters where the claims process has been exhausted and residual funds remain, not less than fifty percent (50 %) of the residual funds shall be disbursed to the Legal Foundation of Washington to support activities and programs that promote access to the civil justice system for low income residents of Washington State. The court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to the Legal Foundation of Washington or to any other entity for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive or procedural interests of members of the certified class.
West Virginia – W. Va. R. Civ. P. 23(f) – Residual Funds When the claims process has been exhausted in class actions and residual funds remain, then fifty percent (50 %) of the amount of the residual funds shall be disbursed to Legal Aid of West Virginia. The court may, after notice to counsel of record and a hearing, distribute the remaining fifty percent (50 %) to one or more West Virginia nonprofit organizations, schools within West Virginia universities or colleges, or foundations, which support programs that will benefit the class consistent with the objectives and purposes of the underlying causes of action upon which relief was based.
Wisconsin – Wis. Stat. Ann. § 803.08 (10) – Disposition of residual funds a) In this subsection: 1. ‚Residual Funds‘ means funds that remain after the payment of all approved class member claims, expenses, litigation costs, attorney fees, and other court-approved disbursements in an action under this section. 2. ‚WisTAF‘ means the Wisconsin Trust Account Foundation, Inc. (b) 1. Any order entering a judgment or approving a proposed compromise of a class action that establishes a process for identifying and compensating members of the
Anlage 2 – Regelungen zur Verteilung übriger Gelder der U.S.-Bundesstaaten
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class shall provide for disbursement of any residual funds. In class actions in which residual funds remain, not less than 50 percent of the residual funds shall be disbursed to WisTAF to support direct delivery of legal services to persons of limited means in non-criminal matters. The circuit court may disburse the balance of any residual funds beyond the minimum percentage to WisTAF for purposes that have a direct or indirect relationship to the objectives of the underlying litigation or otherwise promote the substantive or procedural interests of members of the certified class. This subsection does not prohibit the trial court from approving a settlement that does not create residual funds.
Anlage 3 – Regelungen des Vereinigten Königreiches Competition Act 1998 c. 41 S. 47A – Proceedings before the Tribunal: claims for damages etc. (1) A person may make a claim to which this section applies in proceedings before the Tribunal, subject to the provisions of this Act and Tribunal rules. (2) This section applies to a claim of a kind specified in subsection (3) which a person who has suffered loss or damage may make in civil proceedings brought in any part of the United Kingdom in respect of an infringement decision or an alleged infringement of— (a) the Chapter I prohibition, or (b) the Chapter II prohibition (3) The claims are— (a) a claim for damages; (b) any other claim for a sum of money; (c) in proceedings in England and Wales or Northern Ireland, a claim for an injunction. (4) For the purpose of identifying claims which may be made in civil proceedings, any limitation rules or rules relating to prescription that would apply in such proceedings are to be disregarded. (5) The right to make a claim in proceedings under this section does not affect the right to bring any other proceedings in respect of the claim. (6) In this Part (except in section 49C) "infringement decision" means— (a) a decision of the CMA that the Chapter I prohibition or the Chapter II prohibition has been infringed, or (b) a decision of the Tribunal on an appeal from the decision of the CMA that the Chapter I prohibition or the Chapter II prohibition has been infringed.
S. 47B Collective proceedings before the Tribunal (1) Subject to the provisions of this Act and Tribunal rules, proceedings may be brought before the Tribunal combining two or more claims to which section 47A applies (“collective proceedings”). (2) Collective proceedings must be commenced by a person who proposes to be the representative in those proceedings. (3) The following points apply in relation to claims in collective proceedings— (a) it is not a requirement that all of the claims should be against all of the defendants to the proceedings,
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(b) the proceedings may combine claims which have been made in proceedings under section 47A and claims which have not, and (c) a claim which has been made in proceedings under section 47A may be continued in collective proceedings only with the consent of the person who made that claim. (4) Collective proceedings may be continued only if the Tribunal makes a collective proceedings order. (5) The Tribunal may make a collective proceedings order only— (a) if it considers that the person who brought the proceedings is a person who, if the order were made, the Tribunal could authorise to act as the representative in those proceedings in accordance with subsection (8), and (b) in respect of claims which are eligible for inclusion in collective proceedings. (6) Claims are eligible for inclusion in collective proceedings only if the Tribunal considers that they raise the same, similar or related issues of fact or law and are suitable to be brought in collective proceedings. (7) A collective proceedings order must include the following matters— (a) authorisation of the person who brought the proceedings to act as the representative in those proceedings, (b) description of a class of persons whose claims are eligible for inclusion in the proceedings, and (c) specification of the proceedings as opt-in collective proceedings or opt-out collective proceedings (see subsections (10) and (11)). (8) The Tribunal may authorise a person to act as the representative in collective proceedings— (a) whether or not that person is a person falling within the class of persons described in the collective proceedings order for those proceedings (a “class member”), but (b) only if the Tribunal considers that it is just and reasonable for that person to act as a representative in those proceedings. (9) The Tribunal may vary or revoke a collective proceedings order at any time. (10) “Opt-in collective proceedings” are collective proceedings which are brought on behalf of each class member who opts in by notifying the representative, in a manner and by a time specified, that the claim should be included in the collective proceedings. (11) “Opt-out collective proceedings” are collective proceedings which are brought on behalf of each class member except— (a) any class member who opts out by notifying the representative, in a manner and by a time specified, that the claim should not be included in the collective proceedings, and (b) any class member who— (i) is not domiciled in the United Kingdom at a time specified, and (ii) does not, in a manner and by a time specified, opt in by notifying the representative that the claim should be included in the collective proceedings. (12) Where the Tribunal gives a judgment or makes an order in collective proceedings, the judgment or order is binding on all represented persons, except as otherwise specified. (13) The right to make a claim in collective proceedings does not affect the right to bring any other proceedings in respect of the claim.
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(14) In this section and in section 47C, “specified” means specified in a direction made by the Tribunal.
S. 47C Collective proceedings: damages and costs (2) The Tribunal may make an award of damages in collective proceedings without undertaking an assessment of the amount of damages recoverable in respect of the claim of each represented person. (3) Where the Tribunal makes an award of damages in opt-out collective proceedings, the Tribunal must make an order providing for the damages to be paid on behalf of the represented persons to— (a) the representative, or (b) such person other than a represented person as the Tribunal thinks fit. (4) Where the Tribunal makes an award of damages in opt-in collective proceedings, the Tribunal may make an order as described in subsection (3). (5) Subject to subsection (6), where the Tribunal makes an award of damages in optout collective proceedings, any damages not claimed by the represented persons within a specified period must be paid to the charity for the time being prescribed by order made by the Lord Chancellor under section 194(8) of the Legal Services Act 2007. (6) In a case within subsection (5) the Tribunal may order that all or part of any damages not claimed by the represented persons within a specified period is instead to be paid to the representative in respect of all or part of the costs or expenses incurred by the representative in connection with the proceedings. (7) The Secretary of State may by order amend subsection (5) so as to substitute a different charity for the one for the time being specified in that subsection. (8) A damages-based agreement is unenforceable if it relates to opt-out collective proceedings. (9) In this section— (a) “charity” means a body, or the trustees of a trust, established for charitable purposes only; (b) “damages” (except in the term “exemplary damages”) includes any sum of money which may be awarded by the Tribunal in collective proceedings (other than costs or expenses); (c) “damages-based agreement” has the meaning given in section 58AA(3) of the Courts and Legal Services Act 1990.
Competition Appeal Tribunal Rules 2015/1648 73.— Scope and interpretation (1) The rules in this Part apply to collective proceedings and collective settlement. (2) In this Part— “aggregate award of damages” means an award of damages made by the Tribunal in collective proceedings without undertaking an assessment of the amount of damages recoverable in respect of each represented person; “class member” means a person falling within the class described in the collective proceedings order, or a collective settlement order, as the case may be; “collective proceedings order” means an order made by the Tribunal authorising the continuance of collective proceedings;
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“collective settlement approval order” means an order of the Tribunal approving a proposed collective settlement; “common issues” means the same, similar or related issues of fact or law; “domicile date” means the date specified in a collective proceedings order or collective settlement order for the purposes of determining whether a person is domiciled in the United Kingdom; “opt-in collective proceedings” has the meaning given in section 47B(10) of the 1998 Act1; “opt-out collective proceedings” has the meaning given in section 47B(11) of the 1998 Act; “proposed class representative” means a person who proposes to be a class representative by applying to the Tribunal to be a class representative; and “represented person” means a class member who, in accordance with rule 82— (a) has opted in to opt-in collective proceedings; (b) was domiciled in the United Kingdom on the domicile date and has not opted out of opt-out collective proceedings; or (c) has opted in to opt-out collective proceedings.
75.— Manner of commencing proceedings under section 47B of the 1998 Act (1) An application to commence collective proceedings shall be made by the proposed class representative filing a collective proceedings claim form. (2) The collective proceedings claim form shall state— (a) the full name and address of the proposed class representative; (b) the full name and address of the proposed class representative’s legal representative; (c) an address for service in the United Kingdom; (d) the name and address of each defendant to the proceedings; (e) that the proposed class representative is making an application for a collective proceedings order; (f) whether the application relates to proposed opt-in collective proceedings or opt-out collective proceedings; (g) whether the parties have used an alternative dispute resolution procedure; and (h) that the proposed class representative believes that the claims which it is sought to combine in the collective proceedings have a real prospect of success. (3) The collective proceedings claim form shall contain— (a) description of the proposed class; (b) a description of any possible sub-class and how it is proposed that their interests may be represented; (c) an estimate of the number of class and any sub-class members and the basis for that estimate; (d) a summary of the basis on which the proposed class representative seeks to be authorised to act in that capacity in accordance with rule 78; (e) a summary of the basis on which it is contended that the criteria for certification and approval in rule 79 are satisfied; (f) a statement as to whether the claims are in respect of an infringement decision, and if so whether that decision has become final within the meaning of section 58A of the 1998 Act (infringement decisions)1;
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(g) a concise statement of the relevant facts, identifying, where applicable, any relevant findings in an infringement decision; (h) a concise statement of any contentions of law which are relied on; (i) the relief sought in the proceedings including— (i) where applicable, an estimate of the amount claimed in damages, including whether an aggregate award of damages is sought, supported by an explanation of how that amount has been calculated; (ii) details of any other claim for a sum of money; (iii) in proceedings in England and Wales or Northern Ireland, whether the proposed class representative is making an application for an injunction; (j) observations on the question in which part of the United Kingdom the proceedings are to be treated as taking place under rule 18; and such other matters as may be specified by practice direction. (4) The contents of the collective proceedings claim form shall be verified by a statement of truth signed and dated by the proposed class representative or on its behalf by its duly authorised officer or legal representative. (5) There shall be annexed to the collective proceedings claim form— (a) a copy of any infringement decision referred to in paragraph (4)(f) and any other document referred to in the collective proceedings claim form; (b) a draft collective proceedings order; and (c) a draft of the notice referred to in rule 81. (6) Unless the Tribunal otherwise directs, the signed original of the collective proceedings claim form shall be accompanied by five copies of the form and its annexes certified by the proposed class representative or its legal representative as conforming to the originals. (7) When filing the collective proceedings claim form, the proposed class representative shall also indicate the method by which it proposes to effect service on the defendant and provide any other information with regard to service of the collective proceedings claim form as may be specified by practice direction.
78.— Authorisation of the class representative (1) The Tribunal may authorise an applicant to act as the class representative— (a) whether or not the applicant is a class member, but (b) only if the Tribunal considers that it is just and reasonable for the applicant to act as a class representative in the collective proceedings. (2) In determining whether it is just and reasonable for the applicant to act as the class representative, the Tribunal shall consider whether that person— (a) would fairly and adequately act in the interests of the class members; (b) does not have, in relation to the common issues for the class members, a material interest that is in conflict with the interests of class members; (c) if there is more than one applicant seeking approval to act as the class representative in respect of the same claims, would be the most suitable; (d) will be able to pay the defendant’s recoverable costs if ordered to do so; and (e) where an interim injunction is sought, will be able to satisfy any undertaking as to damages required by the Tribunal.
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(3) In determining whether the proposed class representative would act fairly and adequately in the interests of the class members for the purposes of paragraph (2)(a), the Tribunal shall take into account all the circumstances, including— (a) whether the proposed class representative is a member of the class, and if so, its suitability to manage the proceedings; (b) if the proposed class representative is not a member of the class, whether it is a pre-existing body and the nature and functions of that body; (c) whether the proposed class representative has prepared a plan for the collective proceedings that satisfactorily includes— (i) a method for bringing the proceedings on behalf of represented persons and for notifying represented persons of the progress of the proceedings; and (ii) a procedure for governance and consultation which takes into account the size and nature of the class; and (iii) any estimate of and details of arrangements as to costs, fees or disbursements which the Tribunal orders that the proposed class representative shall provide. (4) If the represented persons include a sub-class of persons whose claims raise common issues that are not shared by all the represented persons, the Tribunal may authorise a person who satisfies the criteria for approval in paragraph (1) to act as the class representative for that sub-class.
79.— Certification of the claims as eligible for inclusion in collective proceedings (1) The Tribunal may certify claims as eligible for inclusion in collective proceedings where, having regard to all the circumstances, it is satisfied by the proposed class representative that the claims sought to be included in the collective proceedings— (a) are brought on behalf of an identifiable class of persons; (b) raise common issues; and (c) are suitable to be brought in collective proceedings. (2) In determining whether the claims are suitable to be brought in collective proceedings for the purposes of paragraph (1)(c), the Tribunal shall take into account all matters it thinks fit, including— (a) whether collective proceedings are an appropriate means for the fair and efficient resolution of the common issues; (b) the costs and the benefits of continuing the collective proceedings; (c) whether any separate proceedings making claims of the same or a similar nature have already been commenced by members of the class; (d) the size and the nature of the class; (e) whether it is possible to determine in respect of any person whether that person is or is not a member of the class; (f) whether the claims are suitable for an aggregate award of damages; and (g) the availability of alternative dispute resolution and any other means of resolving the dispute, including the availability of redress through voluntary schemes whether approved by the CMA under section 49C of the 1998 Act1 or otherwise. (3) In determining whether collective proceedings should be opt-in or opt-out proceedings, the Tribunal may take into account all matters it thinks fit, including the following matters additional to those set out in paragraph (2)— (a) the strength of the claims; and
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(b) whether it is practicable for the proceedings to be brought as opt-in collective proceedings, having regard to all the circumstances, including the estimated amount of damages that individual class members may recover. (4) At the hearing of the application for a collective proceedings order, the Tribunal may hear any application by the defendant— (a) under rule 41(1), to strike out in whole or part any or all of the claims sought to be included in the collective proceedings; or (b) under rule 43(1), for summary judgment. (5) Any member of the proposed class may apply to make submissions either in writing or orally at the hearing of the application for a collective proceedings order.
81.— Notice of the collective proceedings order (1) The class representative shall give notice of the collective proceedings order to class members in a form and manner approved by the Tribunal. (2) The notice referred to in paragraph (1) shall— (a) incorporate or have annexed to it the collective proceedings order; (b) identify each defendant; (c) contain a summary in easily understood language of the collective proceedings claim form and the common issues; (d) include a statement explaining that any judgment on the common issues for the class members or any sub-class will bind represented persons in the class, or those within the sub-class; (e) draw attention to the provisions of the order setting out what a class member is required to do and by what date so as to opt into or opt out of the collective proceedings and (f) give such other information as the Tribunal directs.
83.— Class records (1) After a collective proceedings order has been made, the class representative shall establish a register on which it shall record the names of those class members who, in accordance with rule 82, opt in to or opt out of the collective proceedings. (2) The class representative shall, on request, make such register available for inspection by the Tribunal and any defendant and by such other person as the Tribunal may direct.
91.— Judgments and orders (1) A judgment or order of the Tribunal made in collective proceedings may specify the sub-class of represented persons or individual represented persons to whom it shall not apply. (2) The class representative shall give notice of any judgment or order to all represented persons in a form and manner approved by the Tribunal. (3) Unless ordered otherwise by the Tribunal, the notice referred to in paragraph (2) shall— (a) incorporate or have annexed to it the judgment or order;
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(b) if it relates to a judgment on common issues in favour of represented persons, include a statement in easily understood language— (i) explaining that represented persons may be entitled to individual remedies; (ii) stating the steps that shall be taken to claim that remedy; and (iii) stating the consequences of failing to take those steps; (c) if it relates to a judgment on common issues against represented persons, include a statement— (i) informing them that an appeal may be brought only by the class representative; and (ii) stating the date by which the class representative would have to serve a notice of appeal or application for permission to appeal; (d) if the Tribunal has specified under paragraph (1) that some represented persons are not bound by the judgment or order, a statement to that effect; and (e) give such other information as the Tribunal directs.
92.— Assessment of damages (1) Where the Tribunal makes an aggregate award of damages, it shall give directions for assessment of the amount that may be claimed by individual represented persons out of that award. (2) Directions given may include— (a) a method or formula by which such amounts are to be quantified; (b) provision for making an interim payment before the final amount which a represented person may receive is determined; (c) the appointment of an independent third party to determine a claim or dispute by any represented person regarding the quantification of the amount which that person will receive, and provision for payment of the costs of that independent third party; and (d) a requirement that the apportionment of the aggregate award as between represented persons is approved by the Tribunal. (3) The class representative shall give notice to represented persons, in such manner as the Tribunal directs, of any hearing to determine what directions should be given in accordance with paragraph (1), and any represented person may apply to the Tribunal to make submissions either in writing or orally at that hearing.
93.— Distribution of award (1) Where the Tribunal makes an award of damages in opt-out collective proceedings, it shall make an order providing for the damages to be paid on behalf of the represented persons to— (a) the class representative; or (b) such person other than a represented person as the Tribunal thinks fit. (2) Where the Tribunal makes an award of damages in opt-in collective proceedings, it may make an order as described in paragraph (1). (3) An order made in collective proceedings in accordance with paragraphs (1) and (2), may specify— (a) the date by which represented persons shall claim their entitlement to a share of that aggregate award;
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(b) the date by which the class representative or person specified in accordance with paragraph (1)(b) shall notify the Tribunal of any undistributed damages which have not been claimed; (c) any other matters as the Tribunal thinks fit. (4) Where the Tribunal is notified that there are undistributed damages in accordance with paragraph (3)(b), it may make an order directing that all or part of any undistributed damages is paid to the class representative in respect of all or part of any costs, fees or disbursements incurred by the class representative in connection with the collective proceedings. (5) In exercising its discretion under paragraph (4), the Tribunal may itself determine the amounts to be paid in respect of costs, fees or disbursements or may direct that any such amounts be determined by a costs judge of the High Court or a taxing officer of the Supreme Court of Northern Ireland or the Auditor of the Court of Session. (6) Subject to any order made under paragraph (4), the Tribunal shall order that all or part of any undistributed damages is paid to the charity designated in accordance with section 47C(5) of the 1998 Act1 and a copy of that order shall be sent to that charity.
94.— Collective settlement where a collective proceedings order has been made: opt-out collective proceedings (1) Where a collective proceedings order has been made and the Tribunal has specified that the proceedings are opt-out collective proceedings, the claims which are the subject of the collective proceedings, may not be settled other than by a collective settlement approval order issued in accordance with this rule. (2) Any offer to settle by a defendant in the collective proceedings shall be made to the class representative. (3) An application for a collective settlement approval order shall be made to the Tribunal by— (a) the class representative; and (b) the defendant in the collective proceedings, or if there is more than one defendant, such of them as wish to be bound by the proposed collective settlement. (4) The application referred to in paragraph (3) shall— (a) provide details of the claims to be settled by the proposed collective settlement; (b) set out the terms of the proposed collective settlement, including any related provisions as to the payment of costs, fees and disbursements; (c) contain a statement that the applicants believe that the terms of the proposed settlement are just and reasonable, supported by evidence which may include any report by an independent expert or any opinion of the applicants’ legal representatives as to the merits of the collective settlement; (d) specify how any sums received under the collective settlement are to be paid and distributed; (e) have annexed to it a draft collective settlement approval order; and (f) set out the form and manner by which the class representative proposes to give notice of the application to— (i) represented persons, in a case where it is expected that paragraph (11) will apply; or (ii) class members, in a case where it is expected that paragraph (12) will apply.
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(5) Unless the Tribunal otherwise directs, the signed original of the application for a collective settlement approval order shall be accompanied by five copies of the application and its annexes certified by the class representative or its legal representative as conforming to the original. (6) On receiving an application for a collective settlement approval order, the Tribunal may give any directions it thinks fit, including— (a) for the confidential treatment of any part of an application for a collective settlement approval order; (b) for the giving of or dispensing with the notice referred to in paragraph (4)(f); (c) for further evidence to be filed on the merits of the proposed collective settlement; (d) for the hearing of the application. (7) Any represented person or, in a case where paragraph (12) applies, any class member may apply to make submissions either in writing or orally at the hearing of the application for a collective settlement approval order. (8) At the hearing of the application, the Tribunal may make a collective settlement approval order where it is satisfied that the terms of the collective settlement are just and reasonable. (9) In determining whether the terms are just and reasonable, the Tribunal shall take account of all relevant circumstances, including— (a) the amount and terms of the settlement, including any related provisions as to the payment of costs, fees and disbursements; (b) the number or estimated number of persons likely to be entitled to a share of the settlement; (c) the likelihood of judgment being obtained in the collective proceedings for an amount significantly in excess of the amount of the settlement; (d) the likely duration and cost of the collective proceedings if they proceeded to trial; (e) any opinion by an independent expert and any legal representative of the applicants; (f) the views of any represented person in a case to which paragraph (11) applies, or of any class member in a case to which paragraph (12) applies; and (g) the provisions regarding the disposition of any unclaimed balance of the settlement, but a provision that any unclaimed balance of the settlement amount reverts to the defendants shall not of itself be considered unreasonable. (10) A collective settlement approval order may specify the time and manner by which— (a) a represented person or class member, as the case may be, who is domiciled in the United Kingdom on the domicile date may opt out of the collective settlement; and (b) a represented person or class member, as the case may be, who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date may opt in to the collective settlement.
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(11) Where the Tribunal approves the collective settlement after the expiry of the period specified in the collective proceedings order in accordance with rule 80(1)(h) (ii) or (iii) within which persons may opt out or (if not domiciled in the United Kingdom) opt in to the collective proceedings, the collective settlement approval order binds all represented persons except— (a) a person who opts out of the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order; and (b) a person who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date and does not opt in to the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order. (12) Where the Tribunal approves the collective settlement before the expiry of the period referred to in paragraph (11), the collective settlement approval order binds all class members except— (a) a person who opts out of the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order; and (b) a person who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date and does not opt in to the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order. (13) If the Tribunal approves the proposed collective settlement, the class representative shall give notice of the terms of the settlement and its approval, in a form and manner approved by the Tribunal, to the represented persons in a case to which paragraph (11) applies, or to the class members in a case to which paragraph (12) applies, and to any other persons as the Tribunal may direct. (14) If one or more of the represented persons or class members are to be omitted from the collective settlement, the Tribunal may permit the proceedings to continue as one or more claims between different parties and for that purpose— (a) order the addition, removal or substitution of parties; (b) order the amendment of the collective proceedings claim form; or (c) make any other order that it considers appropriate. (15) If the Tribunal does not approve the proposed collective settlement, the application for a collective settlement approval order and the terms of the proposed collective settlement may not be relied on at the trial of the collective proceedings, unless all the parties to that application agree in writing.
95. Collective settlements where a collective proceedings order has been made: opt-in proceedings Where a collective proceedings order has been made and the Tribunal has specified that the proceedings are opt-in collective proceedings, the class representative may not without the permission of the Tribunal settle those proceedings before the expiry of the time specified in the collective proceedings order as the time by which a class member may without the permission of the Tribunal opt in to those proceedings.
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96.— Collective settlements where a collective proceedings order has not been made (1) An application for a collective settlement order shall be made to the Tribunal by— (a) a person who proposes to be the settlement representative in relation to the collective settlement; and (b) the person who, if collective proceedings were brought in respect of the claims would be a defendant in those proceedings (or where more than one person would be a defendant in those proceedings, such of those persons as wish to be bound by the proposed collective settlement). (2) The application for a collective settlement order referred to in paragraph (1) shall— (a) identify the proposed settlement representative; (b) provide a summary of the basis on which the proposed settlement representative seeks to be authorised to act in that capacity in accordance with paragraphs (9) to (11); (c) identify the person or persons who would be a defendant or defendants in collective proceedings and who it is proposed will be parties to the collective settlement; (d) provide a description of the proposed settlement class; (e) provide an estimate of the number of class members and the basis for that estimate; (f) provide details of the claims to be settled by the proposed collective settlement; (g) provide a summary of the basis on which the claims, if they had been made in collective proceedings, would satisfy the requirements of rule 79; and (h) annex— (i) a draft collective settlement order; (ii) a draft of the summary referred to in paragraph (5); and (iii) a draft of the notice referred to in paragraph (15). (3) Unless the Tribunal otherwise directs, the signed original of the application for a collective settlement order shall be accompanied by five copies of the application and its annexes certified by the proposed settlement representative or its legal representative as conforming to the original. Response to an application for a collective settlement order (4) On receiving an application for a collective settlement order, the Tribunal may give any directions it thinks fit, including for the hearing of the application. (5) The Registrar shall publish a summary of the application for a collective settlement order on the Tribunal website. Determination of the application for a collective settlement order (6) The Tribunal may make a collective settlement order only— (a) if it considers that the person who proposes to be the settlement representative is a person who, if the order were made, the Tribunal could authorise to act as the settlement representative in relation to the collective settlement in accordance with paragraphs (9) to (11); and (b) in respect of claims which, if collective proceedings were brought, would be eligible for inclusion in such proceedings in accordance with rule 79.
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(7) At the hearing of the application for a collective settlement order, the Tribunal may make— (a) a collective settlement order; and (b) any other order or give any other directions as it considers appropriate. (8) Any member of the proposed settlement class may apply to make submissions either in writing or orally at the hearing of the application for a collective settlement order. (9) The Tribunal may authorise a person to act as the settlement representative only if it considers that it is just and reasonable. (10) In determining whether it is just and reasonable for a person to act as the settlement representative, the Tribunal shall consider whether that person— (a) would fairly and adequately act in the interests of the class members; and (b) does not have, in relation to the common issues for the class members, a material interest that is in conflict with the interests of the class members. (11) In determining whether the proposed settlement representative would act fairly and adequately in the interests of the class members for the purposes of paragraph (10)(a), the Tribunal may take into account all the circumstances, including— (a) whether the proposed settlement representative is a member of the settlement class, and if so, its suitability to manage the settlement; (b) if the proposed representative is not a member of the settlement class, whether it is a pre-existing body and the nature and functions of that body; and (c) whether the proposed settlement representative has prepared a plan for the collective settlement that satisfactorily includes— (i) a method for notifying the class members of the fact and progress of the collective settlement; and (ii) where the proposed collective settlement involves payment of an aggregate amount, a procedure for determination of claims by class members to be paid out of that amount that takes into account the size and nature of the settlement class. The collective settlement order (12) A collective settlement order shall authorise the settlement representative to continue to act in relation to the collective settlement and shall— (a) state the name and address of the settlement representative; (b) state the name of each party to the collective settlement who would be a defendant had collective proceedings been brought; (c) describe or otherwise identify the settlement class; (d) describe or otherwise identify the claims to be settled by the collective settlement; (e) specify the domicile date; and (f) order the publication of a notice to class members in accordance with paragraph (15). (13) A collective settlement order may include any other provision the Tribunal considers appropriate. (14) In describing or otherwise identifying the settlement class for the purposes of paragraph (12)(c), it is not necessary for the order to name or specify the number of the class members.
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Notice of the collective settlement order (15) The settlement representative shall give notice of the collective settlement order to class members in a form and manner approved by the Tribunal. (16) The notice referred to in paragraph (15) shall— (a) incorporate or have annexed to it the collective settlement order; (b) contain a summary in easily understood language of the claims to be settled by the collective settlement; (c) include a statement explaining that the subsequent making of a collective settlement approval order will bind— (i) a class member domiciled in the United Kingdom on the domicile date who does not opt out of the collective settlement; and (ii) a class member who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date who opts in to the collective settlement; and (d) give such other information as the Tribunal directs. Variation or revocation of the collective settlement order (17) The Tribunal may, either of its own initiative or on the application of a class member or party, make an order for the variation or revocation of the collective settlement order.
97.— Collective settlement approval order (1) Where the Tribunal has made a collective settlement order, an application for a collective settlement approval order shall be made to the Tribunal by— (a) the settlement representative; and (b) the person who, if collective proceedings were brought in respect of the claims, would be a defendant in those proceedings or, where more than one person would be a defendant in those proceedings, such of those persons as wish to be bound by the proposed collective settlement. (2) The application referred to in paragraph (1) shall— (a) provide details of the claims to be settled by the proposed collective settlement; (b) set out the terms of the proposed collective settlement, including any related provisions as to the payment of costs, fees and disbursements; (c) contain a statement that the applicants believe that the terms of the proposed settlement are just and reasonable, supported by evidence which may include any report by an independent expert or any opinion of the applicants’ legal representatives as to the merits of the collective settlement; (d) specify how any sums received under the collective settlement are to be paid and distributed; (e) have annexed to it a draft collective settlement approval order; and (f) set out the form and manner by which the settlement representative proposes to give notice of the application to members of the settlement class. (3) Unless the Tribunal otherwise directs, the signed original of the application for a collective settlement approval order shall be accompanied by five copies of the order and its annexes certified by the class representative or its legal representative as conforming to the original. (4) On receiving an application for a collective settlement approval order, the Tribunal may give any directions it thinks fit, including— (a) for the confidential treatment of any part of an application for a collective settlement approval order;
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Anlage 3 – Regelungen des Vereinigten Königreiches
(b) for the giving of or dispensing with the notice referred to in paragraph (2)(f); (c) for further evidence to be filed on the merits of the proposed collective settlement; and (d) for the hearing of the application. (5) Any member of the proposed settlement class may apply to make submissions in writing or orally at the hearing of the application for a collective settlement approval order. (6) At the hearing of the application, the Tribunal may make a collective settlement approval order where it is satisfied that terms of the collective settlement are just and reasonable. (7) In determining whether the terms are just and reasonable, the Tribunal may take account of all relevant circumstances, including— (a) the amount and terms of the settlement, including any related provisions as to the payment of costs, fees and disbursements; (b) the number or estimated number of persons likely to be entitled to a share of the settlement; (c) the likelihood of judgment being obtained if the claims were made in collective proceedings for an amount significantly in excess of the amount of the settlement; (d) the likely duration and cost of proceedings if the claims were made in collective proceedings which proceeded to trial; (e) any opinion by an independent expert and any legal representative of the applicants; (f) the views of any member of the settlement class; and (g) the provisions regarding the disposition of any unclaimed balance of the settlement, but a provision that any unclaimed balance of the settlement amount reverts to the parties paying or contributing to the settlement amount shall not of itself be considered unreasonable. (8) A collective settlement approval order may specify the time and manner by which— (a) a class member who is domiciled in the United Kingdom on the domicile date may opt out of the collective settlement; and (b) a class member who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date may opt in to the collective settlement. (9) A collective settlement approval order binds all class members except— (a) a person who opts out of the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order; and (b) a person who is not domiciled in the United Kingdom on the domicile date and does not opt in to the collective settlement by notifying the class representative in a manner and by a time specified in the collective settlement approval order. (10) If the Tribunal approves the proposed collective settlement, the settlement representative shall give notice of the terms of the settlement and its approval, in a form and manner approved by the Tribunal, to the class members and to any other persons as the Tribunal may direct. (11) An application for a collective settlement approval order may be made at the same time as an application for a collective settlement order. (12) If the Tribunal does not approve the proposed collective settlement, the application for a collective settlement approval order and the terms of the proposed collective settlement may not be relied on at the trial of the claims that are the subject of the
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proposed collective settlement, unless all the parties to that application agree in writing.
98.— Costs (1) Subject to paragraph (2), costs may be awarded to or against the class representative, but may not be awarded to or against a represented person who is not the class representative, save that— (a) if the Tribunal has approved the appointment of a class representative for a sub-class, costs associated with the determination of the common issues for the sub-class may be awarded to or against that person, and not the class representative for the whole class; and (b) costs associated with the determination of individual issues in accordance with rule 88(2)(c) may be awarded to or against the relevant individual represented persons. (2) Costs relating to an application made by a class member, whether or not that class member is a represented person under a collective proceedings order, may be awarded to or against that class member.
Sachregister Abmahnung 35–36, 40–42, 51 Abmahnvereine 40–42, 75, 87 Access-to-Justice-Organisation 295, 322–323, 327, 338 Ad-hoc-Gründungen 87, 149, 353, 371 Advisory-Prinzip 225 aggregated damages 205–206, 317–319, 321, 334 American Law Institute 264, 272, 283, 305 American Rule 224, 241–242, 294 amici curiae 232 Anmeldeverfahren 230, 235–236, 351, 406–407, 420 Anwaltshonorar 224, 229, 231, 234, 239, 241–242, 244–245, 247, 275–277, 316 Anwaltskosten 8, 31, 88, 212, 214–215, 227, 242, 294 Bagatellschäden 5–7, 9, 11–12, 105 Benachrichtigung 158–159, 169, 212–215, 233, 335, 366, 383, 396–399, 408, 426– 427 Beweisschwierigkeiten 10, 63–64, 84 Bindungswirkung 47, 86, 164, 169–171, 188, 197, 329, 335, 362–363, 374, 402– 403, 433–434 blow up provisions 233 Brutto-Prinzip 81, 126–127, 139 Bußgelder 115–118, 127–129, 135–136 Case-or-Controversy-Voraussetzung 264–265, 415 certification 198, 207–211, 316 – -related discovery siehe discovery – order 209
Civil Rights Class Action 180, 246 claims administrator 236, 273, 367 claims-made settlements 234, 237, 244– 245, 315 Class Action Fairness Act 176, 232, 239, 271, 404 clear sailing agreements 247, 279 collateral attack 188 collective proceedings order 332–333 collective settlement approval order 336 collective settlement order 336 Common-Fund-Doktrin 243, 246, 340 commonality 182, 184–185, 193, 392 Coupon-Vergleiche 237–239, 277, 404, siehe auch in-kind relief Cy Pres 154, 240, 249–251, 259–302, 326– 327, 337, 407, 415–416, 421 – Aussprache 254 – full 154, 249, 259–262, 280, 284–285, 301, 345, 422–423 – judical 256–257, 288 – Nexus-Voraussetzung 286–289, 295, 301, 323 – prerogative 256–258, 288 – residual 154, 249, 259, 267, 284–286 – Schreibweise 254 – trigger requirement 284–285, 301 Datenschutzrecht 20, 24, 48–50, 52–53, 132–137, 150, 422, 429 discovery 202, 208, 210–211, 216 Dispositionsgrundsatz 385–387, 390 Dispositionsmaxime siehe Dispositionsgrundsatz Doppelbestrafung 60, 417 Due-Process-Grundsatz 187–188, 205, 213, 268, 319, 388
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Sachregister
Durchsetzungsdefizite 24, 59–60, 150, 345, 372, 389, 424 Durchsetzungsverbände siehe Abmahnvereine equitable relief siehe Equity-Recht Equity-Recht 243, 256–257 Erfolgshonorar 12, 76, 95, 104–106, 108– 109, 168–169, 190, 219, 241–242, 246, 331, 339–344, 351, 361, 431–432, 437 escheat 250, 308–311 – earmarked 310 Factoring 97–98, 100 Fair-Trial-Grundsatz 385 Feststellungsklage 85, 357, 373–375, 379– 383 Fiktionsklauseln 2–3, 10, 18 fluid recovery 250, 302–304, 318, 321 Folgenbeseitigungsanspruch 56, 151, 153, 378–379, 424–426, 428 Follow-on-Klagen 59, 131, 142, 335, 372 Gebot der prozessualen Waffengleichheit 389–390, 396 Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt 12, 93, 99, 104, 106, 112, 431 Group Litigation Order 329 Gruppenanwalt 188, 219–224, 228, 241– 244, 246–247, 275–278, 331 Gruppenklage 4, 91, 173–174, 330–332, 347, 352, 372, 392 Gruppenmitglieder 183–184, 191–192, 198, 211–213, 215–217, 226, 231, 291, 403 Gruppenrepräsentant 187–190, 222, 307, 339 – incentive award 192, 230 Hardcore-Kartelle 57, 78, 80, 114 in-kind relief 237–239, 250 Interessenkonflikte 167, 190–192, 222– 223, 276, 282, 340 interest theory 187, 388
Justizgewährungsanspruch 389–390, 396 Klageindustrie 4, 86–87, 142, 339 Kronzeugenprogramm 119, 129 Legal-Tech 93 Lehre der Doppelnatur 25 Limited-Fund-Fälle 180 Lodestar-Approach 243, 246, 275 Loser-pays-Prinzip 165, 339, 343, 360, 430 Massenschäden 5, 13, 89, 193, 343, 368, 372, 436 – Abgrenzung zu Streuschäden 5, 89 – Auswirkungen 13 – Steuerung 89, 92, 343, 368, 436 Missbrauchsschutz 33, 41, 145, 147, 167, 174, 227, 283, 327, 349 most favored nation clauses 233 net expected value analysis 229, 405 Netto-Prinzip 81, 127, 139 New Deal for Consumers 143 numerosity 182, 184, 333, 391 öffentlich-rechtliches Sondervermögen 409, 412–415 Opt-In 157, 252, 330, 334, 342, 367, 383– 385, 390, 394, 402 Opt-Out 157, 174, 218, 252, 270, 331, 334, 383–386, 394 – Auf europäischer Ebene 157 – Bedürfnis 218, 294, 331, 348 – Verfassungsmäßigkeit 270, 385–391, 397 Parallelverfahren 169–170, 178, 362–363, 372, 434–436 passing-on-defense 124–125 Percentage-of-Funds-Methode 243–246, 275, 315 Pranger-Effekt 134 Präventionsfunktion siehe Steuerungsfunktion predominance 192–194, 198, 203, 392
Sachregister
Pro-rata-Verteilung 250, 273, 305–308 professional objectors 227, 247 Prozessfinanzierung 76, 148, 167–169, 340–342, 351, 360–361, 369, 431– 432 Prozessökonomie 163, 184, 198, 380 Prozessstandschaft 354, 376–377, 425, 433–434 punitive damages 60, 145, 417 qualifizierte Einrichtungen 25–26, 147, 353, 370, 375 – Anforderungen 27–28, 87, 147, 350 – Kostenerstattung 32, 35–39 – Kostentragungsregelungen 32–35, 88 quick-pay provision 227, 247, 276 rationale Passivität 2–3, 7–13, 18, 23, 89, 94, 133, 150, 218 rationales Desinteresse siehe rationale Passivität Recht auf negative Meinungsfreiheit 264, 270, 416 Recht auf rechtliches Gehör 47, 187, 385–391, 396 Rechtsdienstleistungsplattformen 93, 98–99, 111, 113 – Finanzierung 96, 108–110 – Interessenkollisionen 106–108, 111– 112 – Vergleiche 95–96, 110 Rechtskraftserstreckung 45–47, 364 Register 26, 46, 86, 335, 436 Repräsentationsprinzip 147, 158, 177 Reverse Sampling 307 Reversion 313–316, 337, 351 Rückführung an den Beklagten siehe Reversion Rules Enabling Act 264, 267, 312, 318– 319, 401 Schadensberechnung 72, 160–161, 194, 202–207, 316–319, 348, 359, 369, 382, 399–402 settlement Class Actions 200, 202, 209, 212, 316, 336
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Settlement-only-Verfahren 164, 336, 358, 405 standing requirements 183, 265, 321 statutory damages 320, 369 statutory fee-shifting 242, 246 Steuerungsfunktion 14–17, 59, 135 Stiftung 75, 256, 411–412, 414 Streuschäden 5–7, 11, 13, 19, 368 – Abgrenzung zu Massenschäden siehe Massenschäden – Auswirkungen 13–14, 16–17, 20 – Steuerung 42, 55, 59, 90, 113, 142, 347 superiority 192, 195–199, 333, 391 Test-Case-Verfahren 195, 197, 328 trail 206–208, 210 trust 4, 254, 256–258 – charitable 254, 256 typicality 185 Unrechtsgewinne 2, 16–17, 59, 70 Unterlassungsklagerichtlinie 24, 144– 147, 155, 373 Vergleich – durch Rechtsdienstleistungsplattformen siehe Rechtsdienstleistungsplattformen – im Rahmen der englischen Gruppenklage 336 – im Rahmen der Musterfeststellungsklage 86, 89 – im Rahmen der U.S. Class Action 214, 224–241, 247, 266, siehe auch settlement Class Action – im Umsetzungsvorschlag 357–358, 402, 404–405, 420 – Vorgaben der Verbandsklagerichtlinie 163–164 Verjährung 86–87, 169–171, 363, 411, 419, 432 Verteilungsverfahren 154, 235–237, 286, 407–408, 430 VW-Diesel-Skandal 7, 31, 84–85, 89, 146
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Sachregister
Wirtschaftsverbände 29–30, 41, 45, 56, 354, 370–371 Zulassungsentscheidung – im Rahmen der englischen Gruppenklage 332–334
– im Rahmen der U.S. Class Action siehe certification – im Rahmen der Verbandsklagerichtlinie 157 – im Umsetzungsvorschlag 391–394, 426 Zuständigkeit 39, 199, 213, 311, 437, 421