Strategisches Management: Theoretische Ansätze, Instrumente und Anwendungskonzepte für Dienstleistungsunternehmen 9783110505887, 9783828200371


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German Pages 327 [328] Year 1997

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Theoretische Ansätze und Modelle des Strategischen Management
Forschung im strategischen Management. Darstellung, Kritik, Empfehlungen
Ansätze zur Theorie strategischer Unternehmensentwicklung
Die Ambivalenz der Zeitkomponente im Wettbewerb
Innovatives Risikomanagement zwischen finanzwirtschaftlicher Finalität und bilanzieller Kausalität
II. Instrumente des Strategischen Management
Prozeßorientierung der Kostenrechnung
Information Systems for the Strategic Management of Complex Corporate Groups
Strategische Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen
III. Anwendungskonzepte des Strategischen Management für Dienstleistungsunternehmen
Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg
Impulse für ein erfolgreiches Management öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen
Strategische Planung in kirchlichen Organisationen
Komponenten einer strategischen Planung im Versicherungs-Vermittlungsunternehmen
IV. Internationale Aspekte des Strategischen Management
Strategische Allianzen deutscher Unternehmen mit Partnern anderer Länder im China-Geschäft
Beyond Leveraging Technological Excellence toward a Cross Fertilization with Market Knowledge
Schriftenverzeichnis von Prof. Dr. Franz Xaver Bea
Verzeichnis der Autoren
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Strategisches Management: Theoretische Ansätze, Instrumente und Anwendungskonzepte für Dienstleistungsunternehmen
 9783110505887, 9783828200371

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A. Kötzle (Hrsg.) Strategisches Management

Strategisches Management Theoretische Ansätze, Instrumente und Anwendungskonzepte für Dienstleistungsunternehmen

herausgegeben von Alfred Kötzle mit Beiträgen von Elisabeth Göbel, Alfred Kötzle, Erwin Dichtl, Mark Leach, Wolfgang Eisele, Marcell Schweitzer, Kuno Rechkemmer, Wolfgang Nuber, Bernhard Früh, Hermann Fünfgeld, Martin Gläser, Ottmar Schneck, Knut Kühlmann, Joachim Weber, Armin Bohnet, Oliver Fix

Lucius & Lucius • Stuttgart

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Strategisches Management : theoretische Ansätze, Instrumente und Anwendungskonzepte fur Dienstleistungsunternehmen / hrsg. von Alfred Kötzle. - Stuttgart : Lucius und Lucius, 1997 ISBN 3-8282-0037-0

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 1997 Gerokstr. 51, D-70184 Stuttgart

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm Printed in Germany

Franz Xaver Bea zum 60. Geburtstag

Vorwort

Am 29. Dezember 1997 vollendet Franz Xaver Bea sein 60. Lebensjahr. Aus diesem Anlaß widmen ihm Kollegen, Freunde und Schüler diese Festschrift - in Dankbarkeit für die persönliche und wissenschaftliche Förderung sowie für die fruchtbare und angenehme Zusammenarbeit. Wir verbinden diesen Dank mit dem Wunsch, daß Franz Xaver Bea seine so erfolgreiche Lehr- und Forschungstätigkeit auch im nächsten Jahrzehnt in bester Gesundheit fortfuhren kann. Vieles von dem, was wir an Franz Xaver Bea alle so schätzen, ist in seinem Lebensweg angelegt. Er ist in Altheim, einem Dorf am Rande der Schwäbischen Alb in einer alten Bauernfamilie aufgewachsen. Seine unermüdliche Schaffenskraft und Selbstdisziplin sind sicher auch auf dieses familiäre Umfeld zurückzufuhren. Daß diese Eigenschaften für Mitarbeiter und Studenten zum Teil auch lästige Folgen hatte - etwa Vorlesungen grundsätzlich montags um 8.00 Uhr -, liegt auf der Hand. Die altsprachlich-humanistische Ausbildung am Gymnasium in Riedlingen in den Jahren 1948 - 1957 mag zu einem weiteren Wesenszug von Franz Xaver Bea beigetragen haben, seiner Aversion gegen Modisches und Vordergründiges. Das Motto „Mehr sein als scheinen" ist nicht nur für seinen persönlichen Lebensstil, sondern auch für seine wissenschaftliche Arbeit prägend. Völlig verfehlt wäre jedoch die Vorstellung eines weitabgewandten, nur in seiner Fachdisziplin verhafteten wissenschaftlichen Einsiedlers. Seine Lebensfreude, sein Humor, seine Kontaktfreudigkeit lassen Bezüge zum oberschwäbischen Barock erkennen, den er - wie die Künste generell - auch sehr schätzt. Das Studium der Volkswirtschaftslehre von Franz Xaver Bea war auch für die damalige Zeit mit vier Jahren (1957 - 1961) außergewöhnlich zügig. Als Studienorte wählte er Tübingen sowie - für einen Oberschwaben und damit Vorderösterreicher naheliegend Wien. Die wissenschaftlichen Lehrjahre (1961 - 1972) am Lehrstuhl von Dieter Pohmer in Tübingen waren für Franz Xaver Bea prägend: sowohl hinsichtlich der Qualitätsstandards wissenschaftlichen Arbeitens als auch der Forschungsinteressen und Forschungsschwerpunkte. Als Schüler von Dieter Pohmer und damit wissenschaftlicher Enkel von Erich Kosiol achtete er in allen seinen Forschungsarbeiten auf eine präzise Gedankenführung und exakte Ausdrucksweise. Dies erfreute die Mitarbeiter etwa bei der fünften Endredaktion einer Publikation nicht immer; im nachhinein sind ihm seine Schüler hierfür jedoch sicher dankbar. Bei den Forschungsgebieten verbindet Franz Xaver Bea mit seinem Lehrer die Breite der Interessen, verknüpft mit einer Bevorzugung grundsätzlicher Problemstellungen gegenüber modischen Tagesthemen des Faches. Andererseits ist auch eine gegenläufige Entwicklung der Forschungsschwerpunkte festzustellen: Während Dieter Pohmer sein Forschungsgebiet und auch die Widmung seines Lehrstuhls immer

VIII

Vorwort

mehr von der Betriebswirtschaftslehre und der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre zur Volkswirtschaftslehre und hier insbesondere der Finanzwissenschaft verlagerte, wird in den wissenschaftlichen Arbeiten von Franz Xaver Bea der betriebswirtschaftliche Schwerpunkt immer deutlicher. Sein Interesse an Fragestellungen an der Schnittstelle dieser beiden wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen ist jedoch nie erloschen. Den ersten Ruf erhielt Franz Xaver Bea 1972 an die Universität Hohenheim, wo er zunächst die betriebswirtschaftliche Ausbildung im Studiengang Agrarökonomie übernahm. Schon nach kurzer Zeit fiel die Entscheidung zum Aufbau einer Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Hohenheim. Der exzellente Ruf, den diese Fakultät heute genießt, ist nicht zuletzt auf den maßgeblichen Einfluß von Franz Xaver Bea bei der Gestaltung der Studienkonzeption und sein Engagement in den Berufungsverfahren zurückzuführen. Die Forschungsschwerpunkte von Franz Xaver Bea lagen in Hohenheim zum einen - der Ausrichtung des Lehrstuhls entsprechend - auf dem Gebiet der Industriebetriebslehre und hier insbesondere der Produktions- und Kostentheorie sowie der Systemsimulation. Aber auch die Zuneigung zum Rechnungswesen, zur betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und hier vor allem zur Umsatzsteuer ist in seinen Publikationen aus dieser Zeit erkennbar. Nicht zuletzt widmete er sich einem Fachgebiet, das zu dieser Zeit noch völliges Neuland war, der Umweltökonomie. Das Thema „Aufbau" stand auch bei der zweiten wissenschaftlichen Station von Franz Xaver Bea im Vordergrund. Er nahm 1982 den R u f auf den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Planung und Organisation, an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen an, die zu dieser Zeit ihr Studienprogramm um eine betriebswirtschaftliche Ausbildung erweiterte. Hinzu kamen die Aufbauprobleme, die mit dem Wechsel in ein neues Fachgebiet verbunden sind. Diese Umorientierung von der Industriebetriebslehre zur Planungs- und Organisationswissenschaft war wissenschaftlich sehr fruchtbar; dies belegen viele Aufsätze und vor allem das jüngst in der zweiten Auflage erschienene Lehrbuch zum strategischen Management. Daß Franz Xaver Bea daneben auch seine aus der Assistentenzeit rührenden Forschungsinteressen an der öffentlichen Wirtschaft weiterverfolgte, kann nicht verwundern. Hervorzuheben ist hier sein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Forschungsprogramm zu Strategie, Struktur und Systemen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Seine herausgehobene Position auf diesem Forschungsgebiet führte 1988 zu der Berufüng in die Kommission für die Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfünkanstalten, der er seither ununterbrochen angehört. Eine Laudatio, die sich auf die Leistungen von Franz Xaver Bea als Forscher beschränken würde, wäre einseitig. Bei Franz Xaver Bea ist eine für seine Studenten außergewöhnlich glückliche Konstellation anzutreffen, die Liebe zur Lehre und eine außergewöhnliche Begabung als Lehrer. Auch diese Begabung war für uns als Mitarbeiter nicht nur Anlaß zur Freude, führte seine Beliebtheit bei den Studenten doch zu einem sehr hohen Betreuungsaufwand.

Vorwort

IX

Zu einem großen Teil auf dieses didaktische Engagement läßt sich auch der außerordentliche Erfolg der von Franz Xaver Bea gemeinsam mit Erwin Dichtl und Marcell Schweitzer geschaffenen Lehrbuchwerke „Grundwissen der Ökonomik - Betriebswirtschaftslehre" zurückfuhren, deren Gesamtauflage mittlerweile über 900.000 Exemplare beträgt. Allein von der dreibändigen „Einfuhrung in die BWL" wurden über 160.000 Bände verkauft. Die Begabung von Franz Xaver Bea, Wissenschaft einfach und dennoch präzise zu kommunizieren, trug ihm auch viele Einladungen zu Gastvorträgen und Gastdozenturen ein, unter anderem an den Universitäten in Surabaja und Shanghai. Eine Laudatio zum wissenschaftlichen Lebenswerk kann bei einem nicht nur objektiv, sondern vor allem auch hinsichtlich des subjektiven Empfindens noch so jungen und zudem auch völlig uneitlen Adressaten ambivalente Gefühle hervorrufen. Wir hoffen, daß Franz Xaver Bea diese Würdigung nicht etwa als Nachruf auf sein wissenschaftliches Wirken interpretiert. Wir erwarten, daß er auch im folgenden Jahrzehnt seine so produktive wissenschaftliche Arbeit fortführt. Dank gebührt in erster Linie dem Forscher und Lehrer Franz Xaver Bea. Als Herausgeber habe ich jedoch auch sehr herzlich allen zu danken, die mich bei der Erstellung dieser Schrift unterstützt haben; den Autoren für viele wertvolle Hinweise und Anregungen, die termingerechte Ablieferung der Manuskripte und die Einhaltung der formalen Vorgaben; Herrn Dr. W. v. Lucius für die Unterstützung des Projektes in allen Phasen sowie die großzügigen Konditionen; meinen Mitarbeiterinnen, Frau cand. rer. pol. Gunda Richter für die Mithilfe bei der Schlußredaktion sowie insbesondere Frau Kerstin Tänzer für die Anfertigung der druckfertigen Endfassung der Festschrift sowie das Projektmanagement.

Alfred Kötzle

Inhalt

Vorwort I.

VII

Theoretische Ansätze und Modelle des Strategischen Management

Elisabeth Göbel: Forschung im strategischen Management. Darstellung, Kritik, Empfehlungen

3

AlfredKötzle: Ansätze zur Theorie strategischer Unternehmensentwicklung

27

Erwin Dichtl und Mark Leach: Die Ambivalenz der Zeitkomponente im Wettbewerb

45

Wolf gang Eise le: Innovatives Risikomanagement zwischen finanzwirtschaftlicher Finalität und bilanzieller Kausalität

59

II. Instrumente des Strategischen Management Marceli Schweitzer: Prozeßorientierung der Kostenrechnung

85

Kuno Rechkemmer: Information Systems for the Strategie Management of Complex Corporate Groups

111

Wolfgang Nuber: Strategische Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen

125

III. Anwendungskonzepte des Strategischen Management für Dienstleistungsunternehmen Bernhard Früh: Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

157

Hermann Fünfgeld und Martin Gläser: Impulse für ein erfolgreiches Management öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen

193

Inhalt

Ottmar Schneck: Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

209

Knut Kühlmann und Joachim Weber: Komponenten einer strategischen Planung im Versicherungs-Vermittlungsunternehmen

223

IV. Internationale Aspekte des Strategischen Management Armin Bohnet: Strategische Allianzen deutscher Unternehmen mit Partnern anderer Länder im China-Geschäft

263

Oliver Fix: Beyond Leveraging Technological Excellence toward a Cross Fertilization with Market Knowledge

283

Schriftenverzeichnis

305

Autorenverzeichnis

313

XII

I. Theoretische Ansätze und Modelle des Strategischen Management

Forschung im strategischen Management. Darstellung, Kritik, Empfehlungen von Elisabeth Göbel

1

Entwicklung des strategischen Management

Wann das strategische Management als eigenständiges Forschungsgebiet etabliert wurde, läßt sich kaum präzise bestimmen. Als „Geburtsjahr" genannt wird bspw. das Jahr 1977 (vgl. Klaus, 1987, 52). Damals fand eine Konferenz an der Universität von Pittsburgh/USA statt, deren Beiträge 1979 von Schendel und Hofer unter dem Titel „Strategie Management. A New View of Business Policy and Planning" veröffentlicht wurden. 1 Da Ansoff/Declerck/Hayes bereits 1976 ein Buch mit dem Titel „From Strategie Planning to Strategie Management" herausgaben, könnte der Beginn der Forschung im strategischen Management auch auf die Mitte der 70er Jahre vorverlegt werden. Schließlich ist auch 1980 als „Geburtsjahr" im Gespräch, weil in diesem Jahr das „Strategie Management Journal" und das „Journal of Business Strategy" gegründet wurden (vgl. Hambrick, 1990, 237). Zwischen den verschiedenen Autoren, die sich mit der historischen Entwicklung des strategischen Management befassen, besteht trotz solcher Divergenzen in zwei Punkten weitgehende Einigkeit. Zum einen, daß die 80er Jahre diesem Forschungsfeld einen „Boom" beschert haben (vgl. Fredrickson, 1990, 2), zum anderen, daß das strategische Management einen (vorläufigen) End- und Höhepunkt der Geschichte der Unternehmensfuhrungsforschung darstellt. Letzteres kommt in idealtypischen Phasenkonzepten zum Ausdruck. Populär ist z. B. die auf McKinsey zurückgehende Unterteilung der Entwicklung des strategischen Management in die vier Phasen budgeting (in den 50er Jahren), long-range planning (in den 60er Jahren), strategic planning (in den 70er Jahren) und schließlich strategic management (seit den 80er Jahren bis heute) (vgl. Bowman, 1990, 12 f.; ähnlich Bea/Haas, 1997, 13). Hax/Majluf unterscheiden in ähnlicher Weise Budgetierung, Langfristplanung, Planung der Geschäftseinheitsstrategie, Planung der Unternehmensstrategie und strategisches Management als Entwicklungsphasen, wobei das strategische Management „die modernste ... Form des strategischen Denkens" darstellt (1991, 129).2

2

In dem Vorwort zu diesem Tagungsband nehmen die Herausgeber allerdings nicht für sich in Anspruch, eine neue Disziplin zu etablieren, sondern sie wollen eine Entwicklung dokumentieren, die sich bereits seit Jahren („during the last decade", Schendel/Hofer, 1979a, VI) angebahnt habe. Ansoff (1984, 14) unterscheidet gar 11 Entwicklungsphasen, von denen die letzten vier (seit ca. 1970) zum strategischen Management gezählt werden können, welches nach seiner Einschätzung das heute gültige Paradigma darstellt.

4

Elisabeth

Göbel

Diese Phasenschemata unterstellen einen kontinuierlichen Fortschritt im Managementwissen. Die Unzulänglichkeiten der jeweils vorhergehenden Entwicklungsstufe sollen ausgemerzt werden. Recht plastisch wird dies bei Hax/Majluf, die die Beschreibung jeder Entwicklungsphase mit einer ausführlichen und kritischen Herausarbeitung der Grenzen des jeweiligen Konzeptes beenden, bis sie zur Phase des strategischen Management vordringen, welches als ausgereift, modern und vollständig gepriesen wird (vgl. 1991, 129). Ob dieses sehr positive Urteil gerechtfertigt ist, wird uns im weiteren noch beschäftigen. Ohne Zweifel zugestimmt werden kann allerdings dem Urteil dieser Autoren, daß sich strategisches Management durch die ständige Ausweitung des einbezogenen Spektrums der Aufgaben heute als „allumfassendes Konzept" (1991, 129) darstellt. Diese Ausweitung kann stark simplifizierend in der Weise nachgezeichnet werden, daß das strategische Management der strategischen Planung die Strategieimplementierung hinzufugt (vgl. Bracker, 1980). Die strategische Planung hatte den Blick aus dem Unternehmen hinaus auf die Umwelt der Unternehmung gelenkt. Die Umwelt liefert die Chancen und Risiken, an die sich das Unternehmen mit seinen (vorhandenen) Stärken und Schwächen anzupassen hat.3 Das strategische Management lenkte den Blick wieder in das Unternehmen zurück, weil die Implementierung der Strategie Probleme bereitete. „Experience in companies has shown that precepts of Strategie planning are difficult to transíate into practice", stellen Ansoff u.a. (1976, 39) fest. Die strategische Planung wird wie ein Fremdkörper abgestoßen, wenn die Unternehmung sich nicht ganz und fundamental auf sie einläßt und ihre Systeme, Prozesse, Strukturen und ihr Wertesystem sowie ihr Führungskräfteverhalten darauf einstellt (ebenda, 45). Es ging also nicht um eine Ablösung der strategischen Planung, sondern um deren Erweiterung: Die richtige Strategie muß auch noch erfolgreich implementiert werden. Das strategische Management kann aber auch noch in einem anderen Sinne als Ausweitung der strategischen Planung gelten, nämlich im Hinblick auf die untersuchte Umwelt. Zum ersten wurde die zu untersuchende Umwelt ausgeweitet. Die globale Umwelt (the macro-environment) soll in die Betrachtung einbezogen werden. Begründet wird dies u. a. mit gestiegenen Ansprüchen der Umwelt, die zusätzlich zur reinen Marktstrategie eine politische Strategie4 erforderlich mache (vgl. Ansoff, 1979, 25 f f ; ders. 1984, 129 f f ) , deren Basis eben eine Untersuchung aller Stakeholder darstelle. Zum zweiten sollen die Entwicklungen in der Umwelt immer früher erkannt werden.5 Auch damit ist die Ausweitung der zu untersuchenden Umwelt verbunden, weil im Prinzip alles ungerichtet und zweckfrei beobachtet werden soll, damit keine Umweltentwicklung verpaßt wird.

4 5

„Strategie planning is ... the one factor that requires a careful analysis of the external environment. Having identified external threats and opportunities, strategic planners analyze available resources and organizational strengths and weaknesses." (Rowe u.a., 1989, 12). Diese Vorgehensweise wird auch mit dem Akronym „SWOT-Schema" (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) bezeichnet. Im gleichen Zusammenhang ist auch von „societal strategy" und „enterprise strategy" die Rede. Ansoff (vgl. 1984, 14) sieht die immer frühere Erkenntnis zukünftiger Chancen und Risiken - bis hin zum Erkennen schwacher Signale - als den entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung der Managementtheorie an.

Forschung im strategischen Management

5

Weiterhin kann auch die Einbeziehung des Zielbildungsprozesses als Erweiterung der strategischen Planung angesehen werden. Während im engeren Prozeß der strategischen Planung die Zielbildung ausgeklammert wird, ist sie Bestandteil des strategischen Management (vgl. Schendel/Hofer, 1979b, 11, 14). Das hat weitgehende Konsequenzen: Machtverhältnisse im Unternehmen, Ansprüche von Stakeholdern, politische Prozesse der Zielaushandlung und ähnliches werden zum Gegenstand des strategischen Management Schließlich wurde noch die „strategische Kontrolle" hinzugefügt. Während Schendel/Hofer (vgl. 1979b, 18) noch bedauern, daß das gerade aufkommende (,just emerging") Thema der strategischen Kontrolle noch nicht explizit behandelt wurde, ist das Thema zwischenzeitlich ausgiebig bearbeitet worden (vgl. z. B. Nuber, 1995) und gehört mittlerweile in den einschlägigen Lehrbüchern zum Standard (vgl. Bea/Haas, 1997, 204 ff). Durch diese geraffte und idealisierte Darstellung kommt deutlich zum Ausdruck, daß es sich bei der Geschichte des strategischen Management um eine Geschichte zunehmender „Anreicherung" handelt. Die strategische Planung wurde um den vorgelagerten Zielbildungsprozeß, den nachgelagerten bzw. parallelen Kontrollprozeß, die Beobachtung der globalen Umwelt und der schwachen Signale sowie den Implementierungsprozeß ergänzt. Die Idealvorstellung ist die einer allumfassenden Integration, d. h. die Strategien sollen nicht nur (allen) Umweltanforderungen gerecht werden und zur Zielerfüllung der Unternehmung beitragen, sondern auch untereinander auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen harmonieren 6 und zu allen unternehmensinternen Größen 7 passen. Außerdem sollte bei aller internen und externen „Passung" zugleich genügend Offenheit und Flexibilität vorhanden sein, um den Umweltänderungen durch internen Wandel begegnen zu können und auch mit Diskontinuitäten fertig zu werden. Neuerdings tritt noch die Forderung hinzu, die Grenzen der Unternehmung fließend zu gestalten und wechselnde, mehr oder weniger enge Bindungen zu anderen Unternehmungen einzugehen (vgl. Picot u. a., 1996). „In dieser Form vorgetragen, erweist es sich als schwierig, etwas gegen das strategische Management vorzubringen" konstatieren Hax/Majluf (1991, 129). Was sollte auch an diesem kohärenten und modernen Ansatz der Unternehmensführung (vgl. ebenda) noch zu kritisieren sein, nachdem alle Defizite vorhergehender Ansätze nach und nach beseitigt wurden? Und doch zeichnet sich in letzter Zeit das strategische Management betreffend eine gewisse „Ernüchterung" (zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 32) oder sogar Krise (vgl. ebenda) ab. Es sind vor allem Forschungsdefizite, die dem strategischen Management vorgehalten werden und die die Frage haben aufkommen lassen, ob tatsächlich ein Fortschritt erzielt wurde. Die wesentlichen Kritikpunkte sollen im folgenden näher erläutert werden.

6

7

Abstimmung von enterprise-, corporate-, business-, functional area - strategy; vgl. Schendel/Hofer, 1979b, 11. Struktur, Kultur, Stil, Systeme, Prozesse, Personal, Fähigkeiten; vgl. Pascale/Athos, 1981; ähnlich auch schon Galbraith/Nathanson, 1978, 96.

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2

Elisabeth Göbel

Strategisches Management in der Krise?

2.1 Die wesentlichen Kritikpunkte Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme des „State of the Art" des strategischen Management konstatiert zu Knyphausen-Aufseß ein weit verbreitetes Krisenbewußtsein unter den Forschern (vgl. 1995, 33). In der Tat gibt es eine ganze Reihe von - oft widersprüchlichen - Kritikpunkten. So wird das strategische Management als „überakademisiert" und zu theoretisch, aber auch als theorielos bezeichnet (vgl. zu KnyphausenAufseß, 1995, 34 f.). Die Praxisferne wird ebenso beklagt wie die einseitig pragmatische Ausrichtung auf „how-to-do-it"-Regeln für das Top-Management (vgl. Saunders/Thompson, 1980, 126) und die Vermarktung simpler Erfolgsrezepte (vgl. Teece, 1990, 44). Das Forschungsfeld gilt einerseits als schlecht definiert und zu breit angelegt (vgl. Spender, 1983, 211), andererseits werden immer noch Lücken festgestellt und wird für die Einbeziehung weiterer Fragen, insbesondere den sozialen Kontext von Entscheidungen betreffend, plädiert (vgl. Bowman, 1990, 30; Hambrick, 1990, 251). Mehr Aufgeschlossenheit für neue Ideen wird gefordert (vgl. Daft/Buenger, 1990, 100); zugleich werden aber auch die in immer kürzeren Abständen auftauchenden neuen Moden in der Managementtheorie kritisiert (vgl. Walter-Busch, 1991, 348 ff ). Der Grund für diese widersprüchliche Kritik läßt sich darin vermuten, daß schon der „paradigmatische Status"8 des strategischen Management ungeklärt ist. Die Diskussion um die Basisannahmen der Forschung verläuft bereits sehr kontrovers. Wegen ihrer fündamentalen Bedeutung wird diese Diskussion im folgenden näher betrachtet. 2.2 Der umstrittene paradigmatische Status des strategischen Management (1) Es fehlt ein Paradigma im strategischen Management. Häufig wird das Fehlen eines gemeinsamen Paradigmas beklagt.9 Kritisiert wird mit diesem Einwand vor allem, daß unter dem „großen Schirm" („loose umbrella"; Spender, 1983, 211) des strategischen Management sehr viele unterschiedliche Ansätze Platz finden. Von einem „Überfluß", „Überangebot", „Radikalpluralismus" und „Labyrinth" von Forschungsansätzen und -er-

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In Anlehnung an Kuhn (vgl. 1976, 193 ff.) kann ein Paradigma näher bestimmt werden als „disziplinares System", dessen Hauptbestandteile die „symbolischen Verallgemeinerungen" (194), das „Vertrauen auf bestimmte Modelle" (196), „gemeinsame Werte" (197) und „Musterbeispiele" (198) sind. Durch das disziplinare System wird für eine Gemeinschaft von Forschern eine Zeitlang definiert, was als „normale Wissenschaft" (25) anerkannt wird. Daß sich der Paradigmabegriff auf die Betriebswirtschaftslehre sinnvoll anwenden läßt, wird teilweise bestritten (vgl. Schneider, 1981, 190 ff.). „We believe that the issue is precisely that the 'field' of strategic management is 'preparadigmatic1,, (Freeman/Lorange, 1985, 14; ähnlich auch Spender, 1983, 212 f.; Teece, 1990, 44; Bowman, 1990, 17).

Forschung im strategischen Management

7

gebnissen ist die Rede (vgl. Walter-Busch, 1991, 382, 384).10 Die „enorme Menge empirischer Forschung" (zu Knyphausen-Aufseß, 1997, 74) aus den letzten zehn Jahren hat nicht wenig dazu beigetragen, den „Theorie-Dschungel" (Koontz, 1980; Klaus, 1987) immer undurchdringlicher werden zu lassen, denn vielfach handelt es sich um relativ unverbundene Einzelergebnisse („individual pieces"; Hambrick, 1990, 237), ohne daß eine rahmengebende Gesamtansicht von Sinn und Grenzen des Forschungsgebietes existiert. Zudem kommen die empirischen Untersuchungen auch noch häufig zu widersprüchlichen Ergebnissen (vgl. Walter-Busch, 1991, 383 f.). Die zahlreichen Versuche, einen systematischen Überblick über die unterschiedlichen Forschungsansätze zu geben,11 enden alle mit der Feststellung, daß das Forschungsfeld sehr weit und komplex ist („extremely broad"; Teece, 1990, 73) und nur schwer eingrenzbar. „Most scholars would agree that Strategie management lacks an overarching paradigm" stellt Fredrickson (1990, 2) fest.12 Das Fehlen eines zentralen Paradigmas wird als Manko angesehen, weil es die „Unreife" eines Faches signalisiere13, es wird aber auch begrüßt. Bowman (vgl. 1990, 18) befurchtet, ein zentrales Paradigma führe zu einem Reduktionismus, zu einer Vergewaltigung der komplexen Realität, damit sich diese den normalen Methoden und Modellen fuge

(2) Es dominiert ein Paradigma im strategischen Management. Genau den von Bowman befürchteten Zustand eines zu sehr dominierenden Paradigmas sehen Daft/Buenger (1990, 85ff.) als zur Zeit gültige Realität an. Sie werfen den Forschern im Bereich des strategischen Management vor, sich einseitig auf bestimmte (positivistische) Basisannahmen, bestimmte (quantitative) Methoden und ein bestimmtes (pragmatisches) Wissenschaftsziel festgelegt zu haben. „Normal science" ist nach ihrer Meinung die Erhebung möglichst vieler Daten (meist in Form großzahliger Querschnittsuntersuchungen) und ihre statistische Auswertung (z. B. durch bivariate Korrelationsanalysen) unter der selbstverständlichen Voraussetzung der problemlosen Operationalisierbarkeit und objektiven Meßbarkeit der untersuchten Größen Ihre Kritik bezieht sich zum einen auf die methodische Vorgehensweise. Dies sei theorielose Datenhuberei, die aufgrund der übersimplifizierenden, realitätsfernen Basisannahmen keinerlei Wert für die Praxis besitze (vgl. Daft/Buenger, 1990, 94 ff.).14 Zum anderen kritisieren sie die Dominanz des gelten10

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Freeman/Lorange (1985, 12) unterscheiden 17 fundamentale Forschungsfragen, Schendel/Hofer (1979a, 516) 18 „research topics"; Mintzberg (1990) differenziert zwischen 10 Schools of Thought. Vgl. Hofer, 1976; Bourgeois, 1980; Jauch, 1983; Freeman/Lorange, 1985; Mintzberg, 1990; Teece, 1990, Fredrickson, 1990. Freeman/Lorange (1985, 35) sehen das strategische Management gar „Lichtjahre entfernt" von einem einheitlichen Paradigma. Nach Kuhn (1976, 26) ist ein Paradigma das Zeichen der Reife eines wissenschaftlichen Fachgebietes. Diese Kritik wird von verschiedenen anderen Autoren, mit jeweils unterschiedlichen Akzenten, geteilt. Zu naive Basisannahmen, zu sterile Daten, zu wenig Längsschnittanalysen wirft Hambrick (vgl. 1990, 241 ff.) der empirischen Mainstream-Forschung vor. Hypothesen würden nicht systematisch getestet, sondern höchstens induktiv gewonnen; in „theorielos" gewonnene Daten würden ex post Zusammenhänge hineininterpretiert, lautet ein weiterer Vorwurf (vgl. Teece, 1990, 44 f.). Detailkritisch wird gegen die empirischen Forschungsmethoden u. a. eingewendet, daß die Datenbasen nicht mächtig genug oder auch zu heterogen zusammengesetzt seien und die Messung des Erfolges nicht zufriedenstellend gelöst sei (vgl. zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 208 ff.).

8

Elisabeth Göbel

den Paradigmas, durch welches Denkverbote aufgestellt und intellektueller Fortschritt verhindert würde (vgl. ebenda, 84 f., 96). Begrüßen würden sie mehr unterschiedliche Denkweisen und Perspektiven, um der Komplexität des Forschungsfeldes gerecht zu werden (vgl. ebenda, 100 ff ). (3) Es gibt unterschiedliche Paradigmen im strategischen Management. Ganz im Gegensatz dazu wird von anderen Forschern festgestellt, daß zur Zeit im Bereich des strategischen Management unterschiedliche Paradigmen gelten (vgl. Gioia/Pitre, 1990; Scherer, 1995). Wie Burrell/Morgan (vgl. 1979) unterscheiden diese Autoren anhand der Dimensionen „methodische Grundannahmen" und „Erkenntnisinteresse" vier Paradigmen. Aufgrund der methodischen Grundannahmen, dargestellt durch die Ontologie, Epistemologie, das Menschenbild und die Methodologie, werden der subjektivistische und der objektivistische Ansatz gegeneinander abgegrenzt (vgl. Burrell/Morgan, 1979, 3, Abb. 1.1). Der objektivistische Ansatz geht von einer objektiv gegebenen Realität aus, welche nach generellen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, die mit Hilfe quantitativer Verfahren aufgedeckt werden können und die das Verhalten der Menschen determinieren. Ein dem subjektivistischen Ansatz verpflichteter Forscher versucht dagegen, einzelfallbezogen und mit qualitativen Methoden zu verstehen, wie Menschen sich ihre Realität selbst schaffen und darin selbstbestimmt handeln. Nach dem Erkenntnisinteresse stellen Burrell/Morgan (vgl. 1979, 18) Ansätze, die auf eine Bewahrung des Status quo hinzielen, solchen Ansätzen gegenüber, die einen (radikalen) Wandel der Verhältnisse zum Ziel haben. Den Mainstream der Forschung im strategischen Management sieht Scherer (vgl. 1995, 142.) im sog. „funktionalistischen" Paradigma, welches objektivistische methodische Grundannahmen mit einem Interesse am Erhalt des Status quo verbindet. Für Daft/Buenger (vgl. 1990) handelt es sich sogar um das einzige zur Zeit akzeptierte Paradigma. Es gab aber immer schon eine stärker vom subjektivistischen Ansatz geprägte „Gegenkultur" (zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 205) zum Mainstream, die in den letzten Jahren an Einfluß gewonnen hat. Nach diesem Gegenbild werden bspw. Strategien nicht rational geplant, sondern bilden sich im Laufe der Zeit als Muster in einem Strom von Handlungen heraus und werden nachträglich als Strategien interpretiert (vgl. Mintzberg, 1990, 146 ff ). Die Umwelt existiert nur in der Weise für das Unternehmen, wie sie vom Interpretationssystem des Unternehmens „zitiert" wird (vgl. Daft/Weick, 1984; Baitsch, 1993, 27 ff.).15 Die Besonderheiten des Einzelfalles und die Kontextgebundenheit von Entscheidungen werden wieder stärker betont, was zu einer Renaissance der Fallstudienforschung gefuhrt hat (vgl. Bowman, 1990, 30; zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 217 ff ). Schließlich wird selbstreflexiv die soziale Konstruktion der „Adminstrative Science" thematisiert (vgl. Astley, 1985). Die Bewertung dieses Zustandes fällt wiederum widersprüchlich aus. Für Scherer ist der Pluralismus ein Problem. Man müsse sich für eines der konkurrierenden Paradigmen ent15

Auch Bourgeois (vgl. 1980, 33 ff.) weist schon auf die Bedeutung der „wahrgenommenen" im Vergleich zur „objektiven" Umwelt hin.

Forschung im strategischen Management

9

scheiden (vgl. 1995, 5). Andere Autoren vertreten die Ansicht, daß man die unterschiedlichen Paradigmen kombinieren kann und soll. 16 Folgende Abbildung veranschaulicht noch einmal in verkürzter Form die unterschiedlichen Positionen:

Paradigmatischer Status

Negative Bewertung

Positive Bewertung

Es gibt kein Paradigma

Zeichen von Unreife

Kein Dogma engt die Forscher ein

Es gibt ein dominantes Paradigma (das funktionalistische)

Denkverbote werden errichtet; das funktionalistische Paradigma weist entscheidende Schwächen auf

Zeichen von Fortschritt

Es gibt mehrere Paradigmen

Man muß sich für eines entscheiden

Nur so kann man der Komplexität des Forschungsfeldes gerecht werden

Abb. 1 : Unterschiedliche Meinungen zum paradigmatischen Status des strategischen Management

2.3 Fazit Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß trotz aller Fortschritte, die der Forschung im strategischen Management in den letzten zehn Jahren attestiert werden (vgl. zu Knyphausen-Aufseß, 1997, 74), offenbar nach wie vor erheblicher Diskussionsbedarf besteht über die Güte der bisher erzielten Ergebnisse zum einen und den „richtigen" Forschungsweg zum anderen. Das soll uns im weiteren beschäftigen. Die Pluralismus-These von Scherer scheint den Stand der Forschung im strategischen Management am besten zu treffen. Vermeidet man den Begriff des Paradigmas wegen seiner Unscharfe, so kann man sagen, daß der Status quo der Managementforschung sicherlich durch sehr viele unterschiedliche Schulen (vgl. Mintzberg, 1990), Strömungen, Ideen (vgl. zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 50), approaches (Drazin/Van de Ven, 1985, 515; Koontz, 1980, 175) oder Ansätze gekennzeichnet ist. Dabei geht es nicht nur um unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte (Strategieinhalt oder -prozeß, Strategieformulierung oder -implementierung, strategische Planung auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen usw.), sondern auch um unterschiedliche Forschungsformen (quantitativ/ qualitativ, Längsschnittstudie/Querschnittstudie), unterschiedliche theoretische Zugänge (Industrial Organization, Spieltheorie, Transaktionskostentheorie u. a ), unterschiedliche

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Vgl. Gioia/Pitre, 1990, 591 ff.; Bowman, 1990, 33; Dañ/Buenger, 1990, 100 ff.; Mintzberg, 1990, 208 f.; Hambrick, 1990, 249.

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Wissenschaftsziele (deskriptiv, theoretisch, pragmatisch), unterschiedliche Annahmen über die Freiheitsgrade der Akteure und schließlich um unterschiedliche ontologische Grundannahmen Fraglich ist allerdings, ob man sich - wie Scherer postuliert - für einen Ansatz entscheiden muß. Angesichts der eingangs dargestellten Komplexität des Forschungsfeldes scheint eher eine integrative Perspektive angemessen und fruchtbar. Vergleichsweise wenig Probleme macht eine Kombination der Ansätze mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten. Forschungsergebnisse zum Strategieinhalt lassen sich mit solchen zum Strategiebildungsprozeß verbinden, Forschungsergebnisse zur Strategieformulierung werden von solchen zur Strategieimplementierung ergänzt, um nur Beispiele zu nennen.17 Problematischer wird die Integration bei solchen grundlegenden Unterschieden in den Ansätzen, die oben als „paradigmatisch" gekennzeichnet wurden. Daß aber auch auf dieser Ebene eine Integration möglich und sinnvoll ist, soll im folgenden gezeigt werden.

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Empfehlungen für die Forschung im strategischen Management

3.1 Integration unterschiedlicher „Paradigmen" (1) Das Burrell/Morgart Schema als Ausgangspunkt. Die idealtypische, anschauliche Gegenüberstellung von „objektivistischen" und „subjektivistischen" Ansätzen nach Burrell/Morgan (vgl. 1979, 3) ist in der Betriebswirtschaft auf große Resonanz gestoßen. Der objektivistische Ansatz wird näher gekennzeichnet als realistisch, positivistisch, deterministisch und nomothetisch, der subjektivistische Ansatz ist dagegen nominalistisch, anti-positivistisch, voluntaristisch und ideographisch. Diese Gegensätze sollen im folgenden zum Leitfaden einer Argumentation werden, die in der Empfehlung mündet, sich von den artifiziellen Dichotomisierungen der beiden „Paradigmen" nicht den Blick dafür verstellen zu lassen, daß das strategische Management sich gerade keiner dieser Extrempositionen zuordnen läßt. (2) Realistische versus nominalistische Position. Das erste Gegensatzpaar von Burrell/Morgan bezieht sich auf die ontologischen Basisannahmen. Die realistische Position geht von einer objektiv gegebenen Realität aus, die „da draußen" („out there"; 1979, 1, 4) in der Welt unabhängig vom Beobachter existiert. Nicht nur in der Natur, sondern 17

Fragen kann man sich natürlich, ob die zur Zeit üblichen Systematisierungen und Schwerpunktbildungen sinnvoll sind. Jeder, der aus dem umfangreichen Forschungsgebiet nur einen Ausschnitt herausgreift (z.B. nur die business level strategy), durchschneidet Zusammenhänge und vernachlässigt Aspekte, die andere möglicherweise für zentral halten (vgl. auch zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 37 f.). Aufgrund der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität der Forscher wird es aber auch in Zukunft unvermeidbar sein, begrenzte Ausschnitte zu bilden, wobei sich die Einzelteile dann aber zum kompletteren Bild zusammenfügen lassen.

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auch im Bereich des Sozialen gibt es nach realistischer Auffassung harte, konkrete und stabile Strukturen („hard, tangible and relatively immutable structures"; 1979, 4). Nominalisten betonen dagegen die subjektive Produktion einer jeweils nur individuell gültigen Realität. Man schafft durch Etikettierung künstliche Entitäten, die es so nicht gibt (vgl. 1979, 1, 4). In der neueren deutschsprachigen Diskussion wird als Kontrapunkt der realistischen Position der radikale Konstruktivismus angesehen, der die Existenz einer beobachterunabhängigen, objektiven Welt konsequent zurückweist (vgl. Janich, 1996, 111, 113). 18 Für die Forschung im strategischen Management bedeutet eine realistische Position, daß es die untersuchten Phänomene wie z. B. Strategie, Struktur, Kultur, Umwelt, Erfolg (objektiv meßbar und intersubjektiv prüfbar) „da draußen" gibt und daß sie richtig abgebildet werden können und sollen. Wie die Diskussion um die Reliabilität und Validität der jeweiligen Operationalisierungen für diese Phänomene zeigt, ist diese Annahme nicht ohne weiteres haltbar. Der Forscher muß, damit er Zusammenhänge erkennen kann, die teils amorphe Realität für seine Bedürfnisse „zurechtstutzen" und bspw. davon ausgehen, daß es fünf unterschiedliche Turbulenzlevel der Umwelt gibt (vgl. Ansoff, 1984, 10 ff ), drei unterschiedliche Strategietypen (vgl. Porter, 1983, 62 ff.) und vier unterschiedliche Kulturtypen (vgl. Deal/Kennedy, 1982, 107 ff.). 19 Komplizierend kommt hinzu, daß nicht nur die Forscher Schwierigkeiten haben, von außen zu sehen, was die „wirkliche", „reale", „objektive" Umwelt, Struktur, Strategie usw. des Unternehmens ist, sondern daß es den Menschen in der Unternehmung nicht besser geht. Auch sie interpretieren subjektiv und schaffen sich ihre Wirklichkeit zum Teil selbst. Mintzberg stellt bspw. fest, daß Strategien als Konstrukte aufgefaßt werden können, mit denen die beteiligten Akteure nachträglich ihrem Tun Sinn verleihen. Es kann sowohl sein, daß „reale" Strategien gar nicht als solche erkannt werden, als auch, daß ein Handeln zur Strategie erklärt wird, das „real" gar keine Strategie ist (vgl. Mintzberg, 1990, 151 f f ) . Auch die „Umwelt" ist nicht einfach „da draußen" objektiv gegeben. Bourgeois (vgl. 1980, 33 ff.) unterscheidet zwischen der objektiven und der von den Managern wahrgenommenen Umwelt. Vor allem für die Einschätzung der Komplexität und Unsicherheit der Umwelt scheint dabei die Risikoeinstellung des Managers eine wichtige Rolle zu spielen. Auch wenn der Forscher versucht, seine Interpretationen auszublenden, indem er die Akteure selbst Umwelt, Strategie, Struktur usw. beschreiben läßt, erfaßt er also nicht unbedingt die objektive Realität, sondern subjektiv gefärbte Bilder der Realität. Eine radikal konstruktivistische Position, die die Realität kurzerhand zur Erfindung erklärt (vgl. Watzlawick, 1988), ist aber aus diesen Überlegungen nicht begründbar. Paradoxerweise kommen die subjektiven Komponenten in der Realitätswahrnehmung ja gerade erst dadurch in den Blick, daß man sie mit der „objektiven" Realität konfrontiert und Abweichungen feststellt. Ein typisches Problem der strategischen Früherkennung, 18

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Nominalismus und Realismus sind traditionell Gegenpole in der Diskussion, ob den allgemeinen Begriffen (Universalien) ein ontischer Status zukommt oder ob sie nur „Namen" sind. Burrell/Morgan verwenden die Begriffe dagegen eher erkenntnistheoretisch. Daß damit nicht einfach die Realität „wie sie ist" eingefangen wird, wird sofort deutlich, wenn man auf andere Konzepte stößt, die bspw. vier Strategiearten oder zwei Kulturtypen unterscheiden.

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nämlich die wahrnehmungsbedingte Ignoranz von Krisensignalen, kann erst dann festgestellt werden, wenn behauptet werden kann, daß es „objektiv" Krisensignale gegeben hat, die dann aber „subjektiv" ausgeblendet wurden. Nach diesen Überlegungen scheint als ontologische Basisannahme für das strategische Management die integrative Perspektive einer „gefilterten Realität" am besten geeignet zu sein. Jede Realität ist letztlich wahrgenommene Realität und damit nicht vollkommen unabhängig vom Beobachter. Der subjektive Anteil ist aber nicht in jedem Fall gleich groß. Bei den Erfolgskriterien lassen sich economies of scale leichter „objektiv" messen als economies of scope. Die Anzahl der Konkurrenten in einer Branche ist ein relativ gut meßbares Faktum; die Einschätzung der Umwelt als turbulent, unsicher oder feindselig hängt dagegen stark von der Person des Beobachters ab. Eine unternehmensinterne Analyse der relativen Technologiestärke dürfte weniger Interpretationsspielraum lassen als die Einschätzung des vorhandenen Humanpotentials. Es gibt sie sehr wohl, die sog. „hard facts", die von verschiedenen Beobachtern in gleicher Weise wahrgenommen werden und die einen relativ hohen Grad an Objektivität beanspruchen können. Es gibt aber auch Realitätsinterpretationen, die intersubjektiv sehr stark divergieren, so daß kaum auszumachen ist, was „da draußen" wirklich zu sehen ist. Eine einseitig konstruktivistische Sicht unterschätzt die Chance, zu intersubjektiv prüfbaren Aussagen zu kommen, eine einseitig realistische Sicht unterschlägt die Wahrnehmungsfilter sowohl der Forscher als auch der „Beforschten" und maßt sich fälschlich an, die objektive Wahrheit ohne weiteres feststellen zu können. Die Basisannahme einer „gefilterten Realität" bekommt sowohl die „hard facts" als auch die Interpretationen in den Blick und bewahrt die Forschung im strategischen Management sowohl vor Beliebigkeit als auch vor Dogmatismus.

(3) Positivistische versus antipositivistische Position. Die unterschiedlichen ontologischen Basisannahmen korrespondieren unmittelbar mit zwei entgegengesetzten epistemologischen Lagern, die Burrell/Morgan (vgl. 1979, 1 f., 5) als Positivismus und AntiPositivismus bezeichnen. Unter der Voraussetzung, daß die Welt „da draußen" aus realen, harten, objektiven Daten und Fakten besteht, kann ein Forscher diese Außenwelt „richtig" erfassen und intersubjektiv prüfbare Aussagen machen, die eindeutig als wahr oder falsch beurteilt werden können. Der positivistische Forscher geht außerdem von der Voraussetzung aus, daß es auch in der sozialen Welt gesetzmäßige Ursache-WirkungsBeziehungen gibt, die entdeckt werden können, und daß wissenschaftlicher Fortschritt in der Kumulation solcher wahren Gesetze besteht. Die Gegenposition der Anti-Positivisten ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß sie die Existenz solcher Gesetze in der sozialen Welt leugnen. Unter der ontologischen Basisannahme, daß es keine objektive Realität gibt, sondern nur individuelle Konstruktionen, kann ein Forscher höchstens im Einzelfall verstehend nachvollziehen, was warum geschehen ist, indem er sich quasi in die Beteiligten hineinversetzt. Zugespitzt läuft die Kontroverse für den Bereich des strategischen Management auf zwei Positionen hinaus: 1. Auch für den Bereich des strategischen Management gibt es räum-

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zeitlich invariante, gut bewährte Gesetze. 2. Es gibt immer nur unterschiedliche Einzelfälle, aus denen sich nichts Verallgemeinerndes ableiten läßt. Ein Großteil der Forschung im strategischen Management geht von epistemologischen Voraussetzungen aus, die nach Burrell/Morgan als „positivistisch" einzuordnen wären. Ob es nun das Erfahrungskurvenkonzept ist, die PIMS-Forschung oder die Industrial Organization Schule (vgl. Bea/Haas, 1997, 86, 106 ff., 177 ff.), um nur einige populäre Ansätze zu nennen, alle diese Ansätze suchen und versprechen „Gesetze", die den Erfolg einer Unternehmung erklären. Nach strengen Maßstäben gemessen wird dieses Versprechen von keinem der Ansätze eingelöst. Der Erfolg einer Unternehmung wird weder vollständig noch zwingend aus bspw. der Höhe des Marktanteils, der Produktqualität oder der Branchenstruktur erklärt. Für jede dieser Ursache-Wirkungs-Hypothesen lassen sich ohne weiteres Gegenbeispiele finden, womit die Hypothesen strenggenommen als falsifiziert zu gelten hätten (vgl. Popper, 1984, S. 7 f.). Es gibt eben immer auch Unternehmen, deren Erfolg oder Mißerfolg auf der Basis der bisher gefundenen „Gesetze" unerklärlich bleibt. Wenn man bedenkt, von wieviel Komponenten der Erfolg einer Unternehmung abhängt, daß diese Komponenten miteinander vielfältig verflochten sind und auch noch historische Entwicklungspfade eine Rolle spielen, wundert das kaum noch. Wenn die PIMS-Studie durch 37 Erfolgsfaktoren ca. 80 % der Varianz des ROI erklärt (vgl. Buzzel/Gale, 1987), dann hat man damit keine strengen Gesetzmäßigkeiten und auch keine unmittelbaren Handlungsanweisungen gewonnen. 20 Daraus kann aber nicht die anti-positivistische Position abgeleitet werden, daß jede Suche nach Regelmäßigkeiten im Bereich des Wirtschaftsgeschehens unsinnig sei. Es existieren offenbar durchaus gewisse „Muster" („basic patterns", „archetypes"; Freedman, 1992, 37) und typische Zusammenhänge, die zwar nicht zwingend für jeden Einzelfall, aber doch im allgemeinen gelten und deren Kenntnis hilfreich ist, um die „richtigen" Entscheidungen zu treffen. Man weiß bspw. aufgrund des Erfahrungskurvengesetzes, daß mit wachsender „Erfahrung" in einem Markt (gemessen durch die kumulierte Produktionsmenge) die Kosten im allgemeinen um einen gewissen Prozentsatz (20 - 30% bei Verdoppelung der Produktionsmenge) sinken. Diese Information macht immerhin auf Potentiale aufmerksam, die genutzt werden könnten und sollten, und zeigt Defizite an, wenn dies nicht gelingt. Man hat mit der Erfahrungskurve zwar keinen nomologischen Ursache-WirkungsZusammenhang, der sich tautologisch in eine Ziel-Mittel-Empfehlung umwandeln läßt, man hat aber durchaus eine pragmatisch verwertbare Regelmäßigkeit gefunden, die über Einzelfälle hinausweist. Ähnliches gilt für die PIMS-Ergebnisse, das Produktlebenszyklus-Konzept und die structure-conduct-performance Zusammenhänge des Industrial Organization Ansatzes. 21

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Betrachtet man z.B. den zentralen Erfolgsfaktor „Höhe des Marktanteils", dann ist es zum einen so. daß auch Unternehmen mit niedrigem Marktanteil erfolgreich sein können. Zum anderen ist mit der Anweisung: „Erhöhe den Marktanteil!" alleine noch nicht viel gewonnen, weil die zentrale Frage, wie das geschehen soll, unbeantwortet bleibt. Und schließlich ist es schon rein logisch unmöglich, daß alle Unternehmen den Wettbewerbsvorteil des höchsten Marktanteils haben. Die Zusammenhänge zwischen Marktstruktur und Erfolg sind nicht raum-zeitlich invariant, aber doch „relativ", „ziemlich", „annähernd" bzw. „hinreichend" stabil, wie Minderlein (vgl. 1993, 170 ff.) sich ausdrückt.

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Wie schon bei den ontologischen Basisannahmen erweist sich auch hier wieder die integrative Position zwischen den Extremen als die angemessenste für das strategische Management. Es gibt für das strategische Management keine ehernen Gesetze und es kann sie nicht geben, weil der Forschungsgegenstand nicht „stillhält". Es sind intentional handelnde Menschen, die das strategische Management prägen, und diese Menschen sind als strategische Entscheider gerade daran interessiert, etwas anders zu machen als die Konkurrenz, um einen einmaligen Wettbewerbsvorteil aufzubauen. Es gibt aber dennoch gewisse Muster und Regelmäßigkeiten, die die Forschung mit Gewinn für die Praxis aufdecken kann und die gerade auch vom strategischen Entscheider benötigt werden, damit er die Erfolgsaussichten alternativer Handlungsmöglichkeiten zumindest tendenziell abschätzen kann. Dies wird uns im folgenden Abschnitt noch weiter beschäftigen. (4) Deterministische versus voluntaristische Position. Für Burrell/Morgan (vgl. 1979, 2 f., 6) sind Voluntarismus und Determinismus unterschiedliche Standpunkte zur Frage der menschlichen Natur (human nature) und insbesondere zur Frage der Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt. Die deterministische Sicht sieht den Menschen als durch die Umwelt im wesentlichen konditioniert und bestimmt an. Bestimmte Umweltsituationen rufen quasi mechanistisch bestimmte Reaktionen hervor. Nach voluntaristischer Sicht dagegen schafft und kontrolliert der Mensch seine Umwelt selbst und setzt seinen freien Willen durch. Im bildhaften Vergleich ist der Mensch einmal Marionette einmal Meister seiner Umgebung. Überträgt man dieses Gegensatzpaar auf das strategische Management, dann geraten alle die Ansätze in die Nähe des Determinismus, die nach dem gesetzmäßig gültigen „fit" zwischen bestimmten Aktionsparametern und dem daraus resultierenden Erfolg für die Unternehmung suchen. Als Prototyp einer stark deterministischen Sichtweise wird der von der Marktformenlehre inspirierte Industrial-Organization-Ansatz angesehen, nach welchem die Struktur eines Marktes oder einer Branche eine bestimmte Strategie erfordert. In diesem structure-conduct-performance Zusammenhang hat der Manager nur noch die Aufgabe, die Situation richtig einzuordnen, um dann die „vorgeschriebene" Strategie anzuwenden. Er löst im besten Falle eine „Rechenaufgabe" und könnte im Grunde durch einen Computer ersetzt werden, kritisiert Bourgeois (1984, 590) drastisch. Daß eine solch extreme Position nicht haltbar ist, wird auch von den Forschern zugestanden, die sich grundsätzlich dieser Schule verbunden fühlen (vgl. Porter, 1981). Insbesondere erklärt dieser Ansatz nicht, was das strategische Management im Kern interessiert, nämlich wie es zu den besonderen Wettbewerbsvorteilen eines einzelnen Unternehmens kommt. Streng genommen können bei deterministischem Einfluß der Umwelt alle Unternehmen einer Branche bzw. eines Marktes nur den gleichen Erfolg erzielen, nämlich genau den, den die Struktur „erlaubt". Um auch Unterschiede im Erfolg von Unternehmen einer Branche erklären zu können, werden „Unterumwelten" innerhalb der Branchenstruktur gebildet, die sog. „strategischen Gruppen" (Porter, 1983, 177), deren „Gewinnpotential... ungleich verteilt ist" (ebenda, 180). Obwohl auf den ersten Blick die deterministische Sichtweise mit der Einführung strategischer Gruppen erhalten bleibt, kommen bei genauerem Hinsehen voluntaristische Elemente ins Spiel. Die strategischen Gruppen bilden sich nämlich auf der Basis unterschiedlicher Strategien der Unternehmen,

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d. h. die Unternehmen selbst bilden die Umwelt, die ihnen anschließend strukturelle Restriktionen auferlegt. Die Mischung von Voluntarismus und Determinismus könnte verschiedenen Lebensphasen des Unternehmens zugeordnet werden. In einer ersten Phase definiert die Unternehmung ihre Geschäfte (domain definition) im Rahmen der Corporate level strategy. In dieser Phase fällen die Top-Manager voluntaristisch die „big decisions", die das künftige Schicksal der Unternehmung entscheidend beeinflussen. Nachdem die Würfel gefallen sind, sind die Entscheidungen im Rahmen der Business level strategy (domain navigation) wieder stärker durch die (gewählte) Umwelt determiniert, wobei „Mobilitätsbarrieren" (Porter, 1983, 180ff) verhindern, daß die Unternehmung problemlos in eine andere strategische Gruppe wechselt. Diese idealtypische Zuordnung von Voluntarismus bei der Corporate level strategy und Determinismus bei der Business level strategy ist aber auch nicht haltbar. Außer im Fall der völligen Neugründung eines Unternehmens dürfte auch die domain definition aufgrund zahlreicher Vorentscheidungen und aufgrund von Markteintrittsbarrieren nur begrenzt frei stattfinden. Andererseits haben die Unternehmen auch im Rahmen der domain navigation noch unterschiedliche Optionen, wie sie den Wettbewerb gestalten wollen, können neue strategische Gruppen kreieren und Mobilitätsbarrieren senken oder erhöhen. Aus dieser für das strategische Management typischen Mischung von Determinismus und Voluntarismus ergibt sich für die Forschung ein Dilemma. Einerseits gilt eine Theorie, die gesetzmäßige Zusammenhänge feststellt, als Königsweg für die richtigen Ziel-MittelEntscheidungen der Praktiker. Im Sinne des pragmatischen Wissenschaftsziels könnte es nichts Brauchbareres geben als gesetzmäßig gültige Aussagen bspw. zum structureconduct-performance Zusammenhang. Andererseits wird der Manager als „Macher" und „Entscheider" im gleichen Moment, wo es solche Gesetze gibt, quasi überflüssig. Ein extremer Voluntarist, der den Manager zu einem völlig freien Wesen emporstilisiert, muß sich wiederum kritisch fragen lassen, wie dieser Manager überhaupt vernünftige ZielMittel-Entscheidungen treffen kann, wenn er keinerlei gesetzesähnliche UrsacheWirkungs-Vermutungen darüber hegt, welches Verhalten in welcher Situation besonders erfolgversprechend ist. Der Entscheider ist bei extremem Voluntarismus zwar mächtig aber ratlos. Mit diesem Dilemma hat auch die situative Organisationstheorie zu kämpfen, die nach gesetzmäßigen Zusammenhängen zwischen Umwelt, Struktur und Erfolg sucht (so auch Bourgeois, 1984, 586 f.). In der Organisationstheorie erfaßt man dieses komplexe Problem mit der Formel von der „begrenzten Wahl von Begrenzungen strukturbezogener Wahlmöglichkeiten" (Kieser/Kubicek, 1992, 430). Das auf Hage (vgl. 1977) zurückgehende Konzept der begrenzten Wahl und der Wahl von Begrenzungen bildet sehr gut das Spannungsfeld zwischen „Sachzwang und Beliebigkeit" (Kieser/Kubicek, 1992, 444) ab, dem sich auch das strategische Management gegenübersieht. Auch strategische Handlungen finden in Kontexten statt, die handelnd etabliert werden; Determinanten des Handelns sind Vorgabe und Resultat von Handlungen. Weder ein einseitiger Determinismus noch ein einseitiger Voluntarismus wird daher dem strategischen Management gerecht.

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(5) Nomothetische versus ideographische Position. Die bisher beschriebenen unterschiedlichen Grundannahmen münden in zwei entgegengesetzte methodologische Positionen, die von Burrell/Morgan als ideographisch und nomothetisch bezeichnet werden (vgl. 1979, 2 f., 6 f.). Die nomothetische Forschung sucht nach Gesetzen (positivistische Position) in der Realität „da draußen" (realistische Position), die das Handeln der Menschen zwingend beeinflussen (deterministische Position). Als typische Forschungsmethode kann dieser Position die großzahlige empirische Querschnittstudie mit statistischer Auswertung (z. B. Korrelationsanalyse) zugeordnet werden, wie sie bspw. vom Strategie Planning Institute im Rahmen der PIMS-Studie eingesetzt wird. Idealerweise werden im Rahmen solcher quantitativer Studien Hypothesen streng getestet, d. h. man geht hypothetisch-deduktiv vor (vgl. Popper, 1984, 16 f.). Die Theoriebildung geht dem praktischen Test voran. Die ideographische Forschung konzentriert sich dagegen auf das Verstehen von Einzelfällen (anti-positivistische Position), weil es keine harten Fakten gibt, sondern nur jeweils individuelle Interpretationen und Konstruktionen (nominalistische Position), mit denen die Handelnden sich ihre Umwelt selbst schaffen (voluntaristische Position). Als Forschungsmethode steht bei dieser Position die Längsschnitt-Fallstudie im Vordergrund, mit dem Ziel authentische Eindrücke aus der „Lebenswelt" der Aktoren zu gewinnen. Schlußfolgerungen werden induktiv gewonnen, die verwendeten Methoden werden als qualitativ bezeichnet (vgl. Piore, 1979; Duncan, 1979). Die Beobachtungen sollen möglichst unvoreingenommen durchgeführt werden. Eine vorstrukturierende Theorie würde die empirische Studie quasi „kontaminieren" (Gioia/Pitre, 1990, 588). Die Theoriebildung folgt dem praktischen Befund. Der Mainstream empirischer Forschung im Bereich des strategischen Management kann zweifellos der nomothetischen Position zugeordnet werden.22 Lange Zeit galt diese Art der Forschung als die einzig richtige. Wer an den „gatekeepers" (Astley, 1985, 508) renommierter Zeitschriften vorbeikommen wollte, mußte sich diesem Ansatz verpflichten.23 Der Ansatz ist aber zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik geraten (vgl. zu KnyphausenAufseß, 1995, 208 ff.; diverse Beiträge in Fredrickson, 1990). Die Kritik bezieht sich zum einen eher auf die Details des Forschungsdesigns, etwa falsche Operationalisierungen, zu kleine oder zu heterogen zusammengesetzte Samples, unangemessene statistische Methoden, Konzentration auf die falschen Teilzusammenhänge oder uneindeutige Ergebnisse.24 Viele Kritiker stellen aber auch den Sinn solcher Forschung grundsätzlich in Abrede. Aufgrund naiver, praxisferner Basisannahmen würden irgendwelche fragwürdigen Zahlen produziert und dürftig begründete Teil-Zusammenhänge festgestellt, die keinesfalls als eindeutige Ursache-Wirkungs-Hypothesen gelten könnten. Die Schnappschüsse kleiner Teilausschnitte der Realität auf der Basis statischer Querschnittanalysen könnten den wahren „Reichtum" („richness and texture", Hambrick, 1990, 241) der studierten Phänomene nicht einfangen und die wirklichen Gründe für den Erfolg nicht fest22

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Für Daft/Buenger (vgl. 1990, 91 f.) handelt es sich dabei um das Paradigma im strategischen Management. Perry (vgl. 1992, 94 f.) zeigt dies für den Kontingenzansatz in der einflußreichen Zeitschrift Adminstrative Science Quarterly (ASQ); ähnlich auch Maanen, 1979, 521. So auch schon Miller/Friesen, 1982, 1013.

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sehe Methoden, Konzentration auf die falschen Teilzusammenhänge oder uneindeutige Ergebnisse. 24 Viele Kritiker stellen aber auch den Sinn solcher Forschung grundsätzlich in Abrede. Aufgrund naiver, praxisferner Basisannahmen würden irgendwelche fragwürdigen Zahlen produziert und dürftig begründete Teil-Zusammenhänge festgestellt, die keinesfalls als eindeutige Ursache-Wirkungs-Hypothesen gelten könnten. Die Schnappschüsse kleiner Teilausschnitte der Realität auf der Basis statischer Querschnittanalysen könnten den wahren „Reichtum" („richness and texture"; Hambrick, 1990, 241) der studierten Phänomene nicht einfangen und die wirklichen Gründe für den Erfolg nicht feststellen. Schließlich wird häufig der Vorwurf der „Theorielosigkeit" erhoben. Entgegen dem eigenen Forschungsideal würden die nomothetisch orientierten Forscher gar nicht hypothetisch-deduktiv vorgehen, sondern zunächst Daten erheben und diese später mit sog. Ad-hoc-Theorien interpretieren. Die heftige Kritik an der nomothetischen Position hat die Gegenposition zunehmend erstarken lassen (vgl. Bowman, 1990, 23 ff.; Daft/Buenger, 1990, 100 ff.; zu KnyphausenAufseß, 1995, 217 ff.; auch schon Mintzberg, 1979). Nur eine intensive, langfristige, teilnehmende Untersuchung eines Einzelfalls mit qualitativen Methoden könne die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes angemessen einfangen und zu wirklichen Erklärungen führen. Man brauche eine Rückkehr der Forschung zum Besonderen, Lokalen, Zeitgebundenen (vgl. Scherer, 1995, 371). Daß auch diese Art der Forschung angreifbar ist, liegt allerdings auf der Hand. Als unpräzise, intuitiv, deskriptiv, impressionistisch und anekdotenhaft wird sie charakterisiert. Die Güte unterschiedlicher ideographischer Untersuchungen ist schwer zu beurteilen, weil es an verbindlichen Standards fehlt. Und vor allem ist natürlich das Problem der Zulässigkeit induktiver Verallgemeinerungen virulent. Die bloße Beschreibung eines Einzelfalles bleibt ja theoretisch und praktisch unbefriedigend, wenn man nicht irgend etwas daraus lernen kann, was auch für andere Fälle gilt und die künftige Praxis verbessert. Die Kritik der beiden Extrempositionen läßt auch hier wieder eine integrative Position angemessen erscheinen. Dies soll im einzelnen begründet werden. Die Unterscheidung einer rein deduktiven von einer rein induktiven Forschungsposition ist für die Forschungspraxis im strategischen Management künstlich und unfruchtbar. Die Theorie-Praxis-Sequenz der deduktiven Forschung klammert die Hypothesenbildung aus, die ja nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern sich aus Beobachtungen der Praxis entwickelt. Auch die rein induktive Position einer Praxis-Theorie-Sequenz ist nicht haltbar, da eine völlig voraussetzungslose und absichtslose (theorielose) Betrachtung der Praxis nicht denkbar ist. Bei beiden Positionen bleibt die für das strategische Management typische Anwendung der Theorie durch die Praxis außer Betracht. Praxis führt zu Theorie und Theorie führt zu Praxis. Das „Soll" wird zum Teil aus dem „Ist" gewonnen und beeinflußt das zukünftige „Ist", welches wieder zum „Soll" beiträgt. 25 24 25

S o auch schon Miller/Friesen, 1982, 1013. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die Künstlichkeit der strikten Trennung des subjektivistischen und objektivistischen Paradigmas. Das hypothetisch-deduktive Vorgehen des objektivistischen Paradigmas fordert dazu auf, die Empirie theoriegeleitet zu betreiben. Die „theoriegetränkte" (Popper, 1984, 72)

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eher, and on how the researcher chooses to use them" (Morgan/Smircich, 1980, 498 f.). Behält man - im Bewußtsein des Idealtypischen dieser Trennung - die Unterscheidung von qualitativen und quantitativen Methoden bei, dann ist nicht von einem Konkurrenzverhältnis auszugehen. Vielmehr ergänzen sich die Methoden in verschiedener Hinsicht. Es wird sowohl darauf hingewiesen, daß die durch qualitative Fallstudien gewonnenen Hypothesen durch „härtere" Tests abgesichert werden müssen (vgl. Hambrick, 1990, 250), als auch darauf, daß die in quantitativen Studien ermittelten Zusammenhänge durch qualitative Studien angereichert werden können (vgl. Jick, 1979, 609). Von einer Kombination qualitativer und quantitativer Studien erhofft man sich ein kompletteres, ganzheitlicheres Bild der Wirklichkeit (vgl. Jick, 1979, 603; Duncan, 1979, 424 f.). Eine ähnliche Position schält sich in der Kontroverse „tiefgehende Längsschnittstudie versus breite Querschnittstudie" heraus. Bisher wird eher ein Mangel an Längsschnittstudien beklagt. Nur Längsschnittstudien können - so die Argumentation - Entwicklungspfade nachzeichnen und komplexeren Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auf die Spur kommen (vgl. Bowman, 1990, 29 f.; Hambrick, 1990, 251). Wenn die dynamische Komponente der Unternehmensentwicklung das Erfolgspotential der Unternehmen deutlich mitbestimmt, was heute allgemein angenommen wird (Stichworte: Prozeßmanagement, Unternehmensevolution, lernende Organisation, Unternehmenswandel), dann werden Längsschnittstudien immer mehr zum Desiderat. Die Crux ist nur, daß tiefgehende Längsschnittstudien fast immer zugleich Fallstudien sind, weil eine zugleich breit und tief angelegte Studie die Forschungskapazität rasch sprengt (vgl. Miller/Friesen, 1982, 1019). Damit tritt wieder das Problem der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse auf, welches nur durch breiter angelegte Querschnittstudien gelöst werden könnte. Die Schlußfolgerung aus dieser Kontroverse lautet daher, daß beide Methoden ihre Berechtigung haben (ähnlich auch Jauch, 1983, 168; Burgelman, 1985, 95). Eine Mischung der Methoden stellt bspw. die Suche nach „Cross-Case Patterns" (Eisenhardt, 1989, 540 f.) dar, wobei allerdings eine gewisse Vergleichbarkeit der Fallstudien vorausgesetzt werden muß. Die epistemologische Kontroverse, ob es überhaupt allgemeingültige Gesetze zu entdekken gibt, oder ob jeder Einzelfall anders ist, wird im Bereich des strategischen Management schon länger mit einer „Zwischenform" gelöst. Der Kontingenzansatz sucht quasi nach situativ gültigen Gesetzen, nach dem „fit" zwischen Kontext und Verhaltensweise, der Erfolg verspricht (vgl. Drazin/Van de Ven, 1985). Dem Kontingenzansatz können wiederum unterschiedliche Forschungsdesigns zugeordnet werden; untersucht werden bivariate oder multivariate Zusammenhänge, mit oder ohne explizite Einbeziehung des Erfolges der Unternehmung. Je nach Ausprägung des kontingenztheoretischen Ansatzes liegen die Aussagen näher bei der nomothetischen oder näher bei der ideographischen Position. Dabei spielt eine Rolle, wie umfangreich und „feinkörnig" der Kontext definiert wird, ob einzelne Variablen isoliert werden, ob eine aktive Beeinflussung des Kontextes und funktionale Äquivalente im Verhalten für möglich gehalten werden. Um die Unterschiede zu verdeutlichen, wird von manchen Autoren der „configurational approach" dem Kontingenzansatz als Alternative gegenübergestellt (vgl. Meyer u. a., 1993, 1176 ff), während andere statt vom „configurational approach" von einer „systemorientierten Kontingenztheorie" sprechen (Drazin/Van de Ven, 1985, 515,

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519 ff ). Während der „klassische" Kontingenzansatz einer paarweisen Untersuchung von Variablen der nomothetischen Position sehr nahekommt und deshalb auch mit den Einwänden gegen diese Position zu kämpfen hat (Determinismus, Reduktionismus, naiver Positivismus; vgl. Meyer u. a., 1993, 1177), kann der systemorientierte Kontingenzansatz bzw. Konfigurationsansatz eindeutig als Kompromiß zwischen nomothetischer und ideographischer Position eingeordnet werden. Es gibt nach dieser Sichtweise weder das eine, eindeutige, einzig richtige Verhalten noch beliebig viele passende und erfolgversprechende Verhaltensweisen. Vielmehr sind bestimmte stimmige „Muster" interdependenter Variablen (patterns, Archetypen, gestalts) zu finden, die durchaus pragmatisch verwertbar sind, ohne zugleich den Entscheidungsträger zu determinieren. Auch im Konfigurationsansatz gibt es die Idee des „fit", und zwar sowohl des externen als auch des internen fit. Im Vergleich zum bivariaten, deterministischen fit des klassischen Kontingenzansatzes geht es beim Konfigurationsansatz aber um eine ganzheitliche („holistically"; Drazin/Van de Ven, 1985, 523), typologische Betrachtung und um mögliche (nicht zwingende) Zusammenhänge („mid-range hypotheses"; Drazin/Van de Ven, 1985, 523).26 Angreifbar ist auch die „Configurational School". Zu starke Vereinfachungen, eine zu deskriptive Ausrichtung, Realitätsferne und eine gewisse Beliebigkeit bei der Typenbildung27 werden dem Ansatz vorgeworfen (vgl. Meyer u. a., 1993, 1179; Mintzberg, 1990, 186 f.). Auch entgeht der Ansatz dem Grundproblem nicht, daß erfolgreiches strategisches Management häufig darin besteht, die bisherigen Muster zu verändern, Invarianzen zu brechen und neue Typen zu kreieren (vgl. Mintzberg, 1989, 253 f.). Zum einen erschwert dies eine längerfristig gültige Typenabgrenzung, zum anderen wird die pragmatische Relevanz fragwürdiger. Trotz dieser Einwände erscheint der typologische Ansatz für das strategische Management im Unterschied zu den eingangs beschriebenen Extrempositionen vergleichsweise machbar, angemessen und nützlich. „Thus, for Classification, for comprehension, for diagnosis, and for prescription, configuration is most convenient" (Mintzberg, 1989, 263). Dem „configurational approach" wird daher im allgemeinen eine wachsende Bedeutung für die Zukunft prophezeit.28

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Zu den bekanntesten Typologien im strategischen Management zählen die Strategietypen von Miles/Snow (vgl. 1978), die Strukturtypen von Mintzberg (vgl. 1979) und die zehn Archetypen strategischen Verhaltens von Miller/Friesen (vgl. 1977). Die Vorgehensweise von Miller/Friesen verdeutlicht besonders gut den Zwischentyp von nomothetischer und ideographischer Forschung, denn sie kombinieren die deterministische mit der voluntaristischen Perspektive, die Breite der Querschnittanalyse mit der Tiefe der Fallstudien und qualitative mit quantitativen Methoden (vgl. Kötzle, 1993, 176 ff.). Gibt es nun fünf oder sieben Konfigurationstypen? (Vgl. Mintzberg, 1979, 1989) Mintzberg, 1990, 193: „growing interest"; Meyer u. a., 1993, 1192: „potential for revitalizing theory and research".

20

Elisabeth Göbel

3.2 Aus der integrativen Perspektive abgeleitete Empfehlungen für die Forschung im strategischen Management Wie das strategische Management zwischen den Extremformen des subjektivistischen und objektivistischen Paradigmas seinen angemessenen Platz findet, soll Abbildung 2 noch einmal in synoptischer Form verdeutlichen.

Subjektivismus

Objektivismus

Realismus (Abbilder der Wirklichkeit)

— •

Gefilterte Realität

Positivismus (Universelle Gesetze)

— •

Muster, typische Zusammenhänge

Determinismus (Marionette der Umwelt)

— •

Nomothetik (Großzahlige, quantitative Querschnittanalyse mit — • statistischer Auswertung, um Hypothesen zu testen)

Nominalismus (Erfinder der Wirklichkeit)

«—

Begrenzte Wahl von *— Begrenzungen

Typenbildung und Methodenverbund

Anti-Positivismus (Einzelfälle)

Voluntarismus (Meister der Umwelt)

Ideographie (Tiefgehende, qualitative Längsschnittanalyse eines Einzelfalls mit induktiver Hypothesengewinnung)

Abb. 2: Überblick über die integrative Perspektive im strategischen Management

Die in Abbildung 2 vorgestellte integrative Perspektive fuhrt zu weiteren Folgerungen fiir die Forschung. Wenn die Realität „gefiltert" wird, ist es opportun, sich dieser Filter bewußt zu werden. Für den Objektbereich der Forschung bedeutet dies, daß bspw. Wahrnehmungsbarrieren und Informationspathologien im Unternehmen in den Blick kommen, die ein organisationales Lernen verhindern, oder auch interkulturelle Unterschiede, die eine Globalisierungsstrategie erschweren. Nehmen die Forscher ihre eigenen Filter wahr, dann wird die Gefahr einer verdeckten ideologischen Verzerrung geringer.29

29

Zum Vorwurf der ideologischen Verzerrung vgl. auch zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 41 f.

Forschung im strategischen Management

21

Das dominierende Vorgehen, die Managerperspektive einzunehmen und den Status quo erhalten zu wollen, wird zu einer bewußten Entscheidung30, die kritisierbar und diskutierbar ist. Das Sichtbarwerden der partiellen Verfügbarkeit der scheinbar unhintergehbaren „Selbstverständlichkeiten" befreit von Denkverboten. Auch gelingt eine Verständigung zwischen Vertretern unterschiedlicher Orientierungssysteme leichter, wenn jeder seine Prämissen offenlegt, statt sich dogmatisch zu verschließen (vgl. Scherer, 1995, 185 ff). Gioia/Pitre (vgl. 1990, 598) empfehlen sogar die Bildung von Forschungsteams aus Vertretern unterschiedlicher Sichtweisen als Forschungsstrategie. Die zwischen Positivismus und Anti-Positivismus liegende Position, daß es zwar keine strengen Gesetze aber doch immerhin Muster, gewisse Regelmäßigkeiten (vgl. Freedman, 1992, 37) auch in der sozialen Welt zu entdecken gibt, öffnet den Blick für das Machbare. Typische Erfolgspotentiale, im allgemeinen günstige Strategie-Struktur Kombinationen, eher riskante Portfoliosituationen, vielversprechende Branchenstrukturen, all das und ähnliches kann mit Gewinn für die Praxis erforscht werden. Die zunehmend als Erfolgspotential entdeckten „invisible assets" (Bowman, 1990, 32), wie Wissen, Können und Erfahrung der Mitarbeiter sind keine im positivistischen Sinne meßbaren hard facts. Dennoch lassen sich sowohl verallgemeinernde Aussagen der Art treffen, daß diese „Tiefenstruktur" (zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 95) einen erheblichen Einfluß auf den Erfolg der Unternehmung hat, als auch Gestaltungsempfehlungen ableiten, etwa zur Verbesserung der Lernfähigkeit eines Unternehmens. Auch wenn Erfolgsrezepte mit Garantie nicht geboten werden können, besteht kein Grund zur Resignation. Das Entdecken solcher Muster korrespondiert mit der zwischen Determinismus und Voluntarismus liegenden Position der begrenzten Machbarkeit. Mit dieser Position läßt sich sowohl theoriegeleitetes, quasi deterministisches Verhalten verbinden als auch innovatives und kreatives Brechen von Invarianzen. Für die Forschung werden mit der Abwendung von einer rein deterministischen Position gerade „Anomalien" (Mintzberg, 1989, 253 f.) interessant und die Frage, wie der Handlungsspielraum bei begrenzter Vorhersagbarkeit der zukünftigen Situation und der Handlungsfolgen vernünftig genutzt werden kann. Damit kommen die unternehmensinternen Ressourcen ins Blickfeld, die die Manager dazu befähigen, auch in neuen, unvorhergesehenen Situationen „richtig" zu agieren und sich gerade von dem abzuheben, was „alle" tun.31 Die Forschung konzentriert sich dann weniger auf exakte inhaltliche Vorgaben als vielmehr auf die Fähigkeiten und Prozesse, die im Unternehmen gebraucht werden, damit die Manager (und Mitarbeiter) selbst das situativ Richtige tun und immer mehr dazulernen. Instrumente der strategischen Planung wie die Branchenstrukturanalyse oder das Wertkettenkonzept nach Porter werden in dieser Interpretation zu „Redeinstrumenten" (Scherer, 1995, 293) bzw. begrifflichen Rastern, die eine offene Argumentation strukturieren, ohne den Anwendern die eine, exakte, analytisch ermittelte Lösung vorzulegen (vgl. Scherer, 1995, 291 f f ) . Die einmaligen, verborgenen, nicht kopierbaren Wettbewerbsvorteile können nur bei voluntaristischen Freiräumen kreiert werden. Ohne die Mannigfaltigkeit der Einzelfälle

31

„We must be true to our charter: the study of general management problems from the point of view of the general manager"; Hambrick, 1990, 252. Der Manager wird nicht länger ignoriert (vgl. Hambrick, 1989, 5)

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Elisabeth Göbel

zu ignorieren, kann aber von der Forschung auch Hilfestellung für diese Prozesse erwartet werden. Aus der Diskussion der ideographischen und nomothetischen Position haben sich wesentliche Folgerungen fur die Forschung bereits ergeben. Vielversprechend erscheint auch hier die integrative Perspektive, speziell die Bildung von Typen (Konfigurationen) und ein Methodenverbund. 32 Die Frage, ob das strategische Management nun Kunst oder Wissenschaft ist (vgl. z. B. Teece, 1990, 40; Walter-Busch, 1991, 359), läßt sich aufgrund der bisherigen Überlegungen schließlich auch „integrativ" beantworten: Strategisches Management ist eine wissenschaftlich unterstützte Kunst.

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Für eine Kombination verschiedener Methoden sowie diverser Ideen und disziplinarer Zugänge sprechen sich viele Autoren aus, die Empfehlungen füir die zukünftige Forschung im strategischen Management geben; vgl. Bowman, 1990, 33 f.; Teece, 1990, 73; Dafl/Buenger, 1990, 100 f.; Mintzberg, 1990, 208; Hambrick, 1990, 250; Gioia/Pitre, 1990, 599; zu Knyphausen-Aufseß, 1995, 448.

Forschung im strategischen Management

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Elisabeth

Gobe!

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Ansätze zur Theorie strategischer Unternehmensentwicklung von Alfred Kötzle

1

Einführung

Mit der Entwicklung von Unternehmen, mit Prozessen des Wachstums und der Schrumpfung von Unternehmen im Zeitablauf, befaßt sich die wirtschaftswissenschaftliche Forschung nicht erst in jüngster Zeit und auch nicht ausschließlich aus einzelwirtschaftlicher Perspektive. In der Volkswirtschaftslehre stellt die Wachstumstheorie einen wichtigen Forschungszweig dar; im Vordergrund stehen hierbei Investition und Kapitalbildung in der Unternehmung, die Analyse der Bedingungen für ein Akumulationsgleichgewicht (vgl. Helmstädter, 1980, 477). Die Bedeutung ungleichgewichtiger betrieblicher und damit auch gesamtwirtschaftlicher Wachstumsprozesse und insbesondere die Rolle von Pionierunternehmern und Imitatoren für die Entwicklung von Unternehmen und Volkswirtschaften stellte Schumpeter in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (vgl. Schumpeter, 1987) heraus. Eine Renaissance erfährt die Analyse evolutorischer Phänomene in jüngster Zeit insbesondere durch die Forschungsaktivitäten des Arbeitskreises „Evolutorische Ökonomik" im Verein für Socialpolitik (vgl. Witt, 1990, 1992; Wagner/Lorenz, 1995). Auch die Wirtschaftsgeschichte befaßt sich seit jeher mit der Dokumentation und Analyse der Entwicklung von Unternehmen. Ferner suchen interdisziplinäre Ansätze durch eine Nutzung der Forschungsmethoden und Forschungsergebnisse aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen vertiefte oder erweiterte Erkenntnisse über die Unternehmensentwicklung zu gewinnen. Beispielhaft ist hier die Untersuchung von Chandler (vgl. Chandler, 1962) zu nennen, der aus einer wirtschaftshistorischen Analyse des US-Eisenbahnsektors wegweisende Erkenntnisse zur strategischen Unternehmensentwicklung gewinnen konnte. Eine solche Symbiose zwischen wirtschaftshistorischer und volkswirtschaftlicher Forschung wird auch auf dem Gebiet der evolutorischen Ökonomik erwartet (vgl. Walter, 1997, 76). Erkenntnisziel einer betriebswirtschaftlichen Theorie der Unternehmensentwicklung sollte es sein, Entwicklungsprozesse der Unternehmen nicht nur zu beschreiben, sondern zu erklären, d. h. Aussagen über Ursache-AVirkungsbeziehungen in Wachstums- und Schrumpfungsprozessen zu generieren. Empirisch fundierte Theorien, Realtheorien können der Unternehmensführung Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung leisten. Für eine bestimmte Problemkonstellation in einer Ausgangssituation sollen sie Handlungsalternativen - Entwicklungspfade - aufzeigen, die zu einem aus den Unternehmenszielen abgeleiteten Soll-Zustand führen.

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Alfred Kötzle

Es stellt sich hier die Frage, ob dieser Anspruch an eine Entwicklungstheorie nicht zu hoch geschraubt ist angesichts der Komplexität der Wirkungsbeziehungen in einer Unternehmung sowie zwischen Unternehmung und Unternehmensumwelt. Betrachten wir den realen Stand der Theorie der Unternehmensentwicklung, so bietet sich in der Tat ein hinsichtlich der Vielfalt der Ansätze verwirrendes und was deren Erklärungsgehalt betrifft insgesamt eher ernüchterndes Bild. Die Problemsichtweisen der vorliegenden Ansätze sollen im folgenden kurz skizziert werden, wenn auch plakativ und im Detail sicher überzeichnet.

2

Klassische Theorieansätze

(1) Ein erster Ansatz stellt die Relevanz der Suche nach einer Theorie der Unternehmensentwicklung grundsätzlich in Frage (vgl. Quinn, 1980; Perich, 1993, 199 ff. mwN). Begründet wird dies einmal damit, daß sich die Vielfalt der Interaktionen innerhalb des Systems Unternehmung sowie zwischen der Unternehmung und ihrem Umsystem schon bei statischer Betrachtung nicht abbilden lasse. Erst recht gelte dies, wenn man die Dynamik der Unternehmensumwelt - der Märkte, der technologischen Entwicklung, der (Steuer-) Gesetzgebung - berücksichtige. Hinzu kommt eine sehr skeptische Einschätzung hinsichtlich der Lenkbarkeit sozialer Systeme, der Beeinflußbarkeit der Organisationsmitglieder und damit der Unternehmensentwicklung durch die Unternehmensfuhrung. Erkenntnisziel dieses Ansatzes ist es deshalb nicht, Aussagen zu den inhaltlichen Erfolgsbedingungen in Entwicklungsprozessen der Unternehmung abzuleiten. Solche Aussagen werden als nur situativ, für eine einzelne Unternehmung zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem konkreten Kontext formulierbar erachtet. Theoretische Aussagen und Gestaltungsempfehlungen beziehen sich deshalb vorrangig auf die Problemstellung, wie die Lernfähigkeit einer sich selbst organisierenden Unternehmung erhalten bzw. gefördert werden kann - etwa durch flexible, zeltartige Organisationsstrukturen anstelle starrer, festgefugter Strukturpaläste (vgl. Hedberg, Nystrom, Starbuck, 1976, 43 f.), in denen sich autonome, mit einem breiten Fähigkeitsspektrum ausgestattete, nicht auf eng begrenzte Aufgabenfelder spezialisierte Unternehmens(teil-)einheiten auf neue Aufgaben in einer dynamischen Umwelt selbständig einstellen können. Die Unternehmung wird hier als lebender Organismus interpretiert, deren Entwicklung in kleinen, inkrementalen Schritten abläuft. (2) Ein Kontrastprogramm hierzu stellt der zweite Typus von Ansätzen dar: Verfolgt man die vornehmlich durch Beratungsunternehmungen geprägte populärwissenschaftliche Literatur mit dem Anspruch, anwendungsorientierte und anwendbare Konzeptionen für die Unternehmensfuhrung bereitzustellen, so scheint sich die Komplexität der Problemstellung zu verflüchtigen. Rezepte wie "Total quality management", "Lean management", "Restructuring", "Outsourcing" wollen eine allgemeingültige Wegweisung "in search of excellence" leisten. Die generelle Heilkraft dieser Mittel und damit die beliebige

Theorie der strategischen

Unternehmensentwicklung

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Manipulierbarkeit der Unternehmung wird vorausgesetzt - sofern die Beratungsdienste der jeweiligen Managementgurus genutzt werden. Der Erfolg solcher Weisheiten liegt zum Teil in ihrer Schlichtheit begründet (vgl. Kieser, 1996): Daß etwa die Transaktionskosten einer globalen Erschließung von Beschaffungsund Absatzmärkten u. a. durch Entwicklungen in der Fertigungsprozeßtechnologie und der Informations- und Kommunikationstechnologie abgenommen haben und es deshalb naheliegt, daß die Unternehmungen sich auf diese Entwicklung durch eine Auslagerung, ein "outsourcing" im Inland nicht mehr rentabler Wertschöpfungsprozesse in Niedrigkostenländer anpassen, ist leicht nachvollziehbar. Festzustellen ist allerdings auch, daß viele Unternehmungen auf diesem Weg gescheitert sind, weil die Zielsetzung, die Rezeptur nicht für die jeweilige Unternehmenskonstellation geeignet, der Zeitpunkt für die Strategie falsch gewählt oder der Weg zur Umsetzung der Strategie nicht tragfähig war. Der Markterfolg solcher Breitbandmedikamente läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß die Unternehmungen, welche solch eine Kur unbeschadet überstanden haben - und sie sich auch leisten konnten - eine recht gute Konstitution aufweisen müssen; auch die Erscheinung, daß der Glaube an deren Wirksamkeit sich oft schnell verbreitet, trägt hierzu bei. Wenn sich die Meinung verfestigt, daß etwa "Total quality management" conditio sine qua non einer erfolgreichen Unternehmensfuhrung ist, macht es für das Management Sinn, sich dieser Beurteilung anzuschließen: Die Modernität der Unternehmensfuhrung läßt sich so dokumentieren, was bei Auftritten in der Hauptversammlung Aktionäre und Wirtschaftspresse beeindrucken, den Aufsichtsrat beruhigen und die Banken bei Kreditverhandlungen gnädig stimmen kann (vgl. Mintzberg, 1993a, 40 f.). Bei einer ernsthafteren Würdigung dieses Ansatzes läßt sich feststellen, daß den Gestaltungsempfehlungen, den vorgebrachten management-principies Aussagen mit dem Anspruch genereller Gültigkeit zugrunde liegen, dieser hohe Allgemeinheitsanspruch zu Lasten der Präzision der Aussagen geht, der Prozeß der Unternehmensentwicklung ausgeblendet bleibt und die für eine Realtheorie erforderliche empirische Fundierung der Aussagen in aller Regel nur sehr rudimentär vorhanden ist. (3) Hieraus sollte jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß empirische Forschung zur Unternehmensentwicklung ein Schattendasein führt. Vor allem in der angloamerikanischen Literatur findet man eine kaum mehr überschaubare Anzahl von Untersuchungen, welche mit Hilfe uni- und multivariater statistischer Analyseverfahren Beziehungen zwischen - Kontextgrößen, wie Größe, Alter der Unternehmung, oder Wettbewerbssituation in der Unternehmungsumwelt, - Handlungsvariablen - etwa unterschiedlichen Wachstumsstrategien - und - Zielgrößen wie Cash flow, Gewinn, Rentabilität untersuchen.

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Alfred Kötzle

Seit Jahrzehnten wird ferner im Rahmen einer großangelegten empirischen Untersuchung, der PIMS (Profit impact of marketing strategies) Studie (vgl. Buzzell/Gale, 1987) versucht, generell gültige Gesetzmäßigkeiten strategisch erfolgreicher Unternehmungen, sogenannte "laws of the market place" zu ermitteln. Daß der Beitrag aller dieser Studien zu einer Theorie der Unternehmensentwicklung nur marginal ist, die Forschungsergebnisse in Folgeuntersuchungen oft nicht bestätigt werden konnten, liegt zum einen am Untersuchungsdesign: Die Untersuchungen sind fast ausschließlich als Querschnittanalysen angelegt, stellen also eine Momentaufnahme des Beziehungsgefüges zwischen Kontext-, Gestaltungs- und Zielvariablen dar. Sie können demzufolge Ursache-AVirkungszusammenhänge im Zeitablauf, Lags und Leads zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen nicht abbilden, was sie für langfristige Probleme, wie die strategische Unternehmensentwicklung, disqualifiziert. Hinzu kommt eine stark induktive Prägung der Forschungsansätze, eine unzureichende theoretische Fundierung der Hypothesen. (4) Eine weitere Variante klassischer Entwicklungsmodelle ist stärker konzeptionell geprägt sowie theoretisch - allerdings weniger empirisch - fundiert und bildet die Dynamik der Unternehmensentwicklung explizit ab. Zu nennen sind hier vor allem populationsökologische und Metamorphosemodelle der Unternehmung. Elemente dieser Modelle finden sich auch in neueren Ansätzen zur Entwicklungstheorie der Unternehmung, auf die unten eingegangen wird. Die vornehmlich von Organisationssoziologen wie Aldrich (vgl. Aldrich, 1979) und McKelvey (vgl. McKelvey, 1982) entwickelten populationsökologischen Modelle gehen davon aus, daß Unternehmen sich bei der Gründung für ein bestimmtes Umweltsegment Marktsegment - spezialisieren. Diese Spezialisierung auf eine ökologische Überlebensnische - die Aussagen der Vertreter dieses Ansatzes sind stark von Analogien zur Evolutionsbiologie geprägt (zu den Schwächen der Analogiebildung: vgl. Schnabl, 1990, 221 ff., Schneider, 1996, 1098 ff.) führt nun zu einer Herausbildung spezifischer Fähigkeitsprofile, Verhaltensmuster und Führungskonzeptionen in den nischenspezifischen Unternehmenspopulationen. Solche Fähigkeiten werden durch Tradition bewahrt und auch verfestigt. Zu einem geplanten Wandel des Kompetenzprofils, einer zielgerichteten Anpassung an Umweltentwicklungen sind die Unternehmungen nur in sehr engen Grenzen fähig: Die Erkennung relevanter Umweltentwicklungen ist durch die Fokusierung der Informationssysteme auf bekannte Aktivitäten und Umweltsegmente erschwert, deren Wahrnehmung durch bewährte Denkund Verhaltensmuster, und die Umsetzung einer neuen Unternehmensausrichtung durch spezialisierte und knappe materielle Ressourcen sowie die immensen Schwierigkeiten bei der Aneignung neuer Fähigkeiten. Die Gestaltbarkeit der Unternehmensentwicklung durch die Unternehmensführung wird von Vertretern dieses Ansatzes insofern als sehr beschränkt angesehen. Allenfalls durch ein hohes Flexibilitätspotential, welches Anpassungen an Entwicklungen innerhalb der

Theorie der strategischen

Unternehmensentwicklung

31

ökologischen Nische ermögliche, lasse sich die Überlebenschance erhöhen. Die Kernaussage des populationsökologischen Ansatzes lautet also, daß der Spielraum für eine aktive Gestaltung der Unternehmensentwicklung durch die Wirkung endogener, zu einer strukturellen Trägheit führender Faktoren stark begrenzt ist. Daß in der Realität solche Erscheinungen zu beobachten sind, ist unstrittig. Insbesondere ist anzuerkennen, daß durch die populationsökologische Perspektive die Bedeutung der historischen Entwicklung einer Unternehmung hervorgehoben und so das einem synoptischen strategischen Planungsparadigma immanente Vertrauen in die Beeinflußbarkeit der strategischen Entwicklung durch zweckrationale Führung relativiert wird. Allerdings nur relativiert und nicht ersetzt wird. Es ist eben auch beobachtbar, daß Unternehmungen eine grundsätzliche Neuausrichtung der Aktivitäten gelingt. Der populationsökologische Ansatz vermag folglich allenfalls bestimmte Entwicklungsphasen in vornehmlich kleinen Unternehmungen zu erklären. Solche Klein- und Kleinstunternehmungen - wie Gaststätten - bilden auch das Erkenntnisobjekt vieler empirischer Untersuchungen im Rahmen dieses Ansatzes. Aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer kommt ihnen in der populationsökologischen Forschung eine vergleichbar hohe Bedeutung zu wie den Eintagsfliegen in der biologischen Evolutionsforschung. (5) Im Unterschied zu populationsökologischen Modellen unterscheiden Metamorphosemodelle unterschiedliche Entwicklungsphasen in Abhängigkeit von der Größe bzw. dem Alter der Unternehmung (vgl. Kötzle, 1993, 152 ff.; Pümpin/Prange, 1991). Lebenszyklusmodelle bilden so idealtypische strategische Herausforderungen und Unternehmenskonfigurationen in der Entstehungs-, Wachstums-, Reife- und Niedergangsphase einer Unternehmung als kontinuierlichen Prozeß ab. Wachstumsschwellenmodelle gehen demgegenüber von einer diskontinuierlichen Entwicklung aus: Die Evolution der Unternehmung wird durch Umbruchphasen - Wachstumsschwellen bzw. Wachstumskrisen der Unternehmung - unterbrochen. In dem bekannten Modell von Greiner durchlaufen etwa Unternehmungen mit steigendem Alter und zunehmender Größe mehrere solcher Evolutions- und Umbruchphasen (vgl. Greiner, 1972, 37 ff). Den einzelnen Evolutionsphasen lassen sich jeweils phasenspezifische Führungskonzeptionen zuordnen. Zentrale Aussage der Theorie ist, daß jede Evolutionsphase zu einer Entwicklungskrise fuhrt, welche in eine Umbruchphase mündet. Zurückzufuhren sind diese Entwicklungskrisen auf das Fehlen einer formalen Organisation und eines Kontrollsystems - eine Führungskrise - in der ersten Entwicklungsphase, die zu starke Zentralisation von Führungsaufgaben beim Unternehmensgründer - eine Autonomiekrise - in der zweiten Phase, die mangelhafte Koordination von Geschäftseinheiten bzw. Aktivitäten - eine Koordinationskrise - in der dritten Phase sowie einen durch zunehmende Bürokratisierung der Organisation verursachten Flexibilitätsverlust - eine Bürokratiekrise - in der vierten Entwicklungsphase. Eine Beurteilung des Erkenntnisgehalts solcher Metamorphosemodelle muß zunächst an der schwachen empirischen Fundierung, der in der Regel sehr unbestimmten Charakterisierung der Entwicklungsschwellen und -Übergänge und vor allem der unzureichenden Herausarbeitung von Ursache-AVirkungsmechanismen ansetzen. Insofern sind diese Modelle primär als hochaggregierte Beschreibungsmodelle der Unternehmensentwicklung

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Alfred Kötzle

einzustufen. Wenn man von der völlig unrealistischen Annahme einmal absieht, daß Alter und Größe der Unternehmung per se erklärende Variablen der Unternehmensentwicklung darstellen, wenn diesen Größen also nur ein Symptomcharakter zukommt, bleibt die Frage offen, durch welche Einflußgrößen die Unternehmensentwicklung letztendlich bestimmt wird. Durch die, wenn auch nur grobe, inhaltliche Explizierung der Evolutionsund Umbruchphasen wird ferner ein Automatismus, eine Determiniertheit der Unternehmensentwicklung unterstellt, welche einen nur sehr begrenzten Freiraum für unternehmerische Gestaltung läßt. Der wesentliche Beitrag der Metamorphosemodelle und insbesondere der Wachstumsschwellenmodelle zu einer Theorie der Unternehmensentwicklung liegt darin, daß die Dynamik des Wachstumsprozesses abgebildet und insbesondere der Beobachtung Rechnung getragen wird, daß die Unternehmensentwicklung häufig in Schüben abläuft.

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Neuere Theorieansätze

(1) Grundmodell. Auf dem Grundgedanken der Metamorphosemodelle bauen neuere entwicklungstheoretische Ansätze auf. Vor allem Mintzberg, Miller und Friesen von der McGill Universität in Montreal (vgl. Mintzberg, 1993b; Miller/Friesen, 1984), Tushman und Romanelli von der Harvard und Columbia Business School (vgl. Tushman/Romanelli, 1985, 171 ff.) sowie Pettigrew von der University of Warwick in Großbritannien (vgl. Pettigrew, 1990, 267 ff.; 1992, 5 ff.) entwickelten auf der Basis umfangreicher empirischer Untersuchungen die Grundkonzeption dieses Ansatzes. Die Unternehmensentwicklung wird hier als Folge von langandauernden Evolutionsphasen und kürzeren Phasen des Umbruchs, Revolutionsphasen, gesehen. Evolutionsphasen sind - durch einen inkrementalen Wandel auf ein Gleichgewicht hin, - durch einen Erhalt bzw. eine Verfestigung der Beziehungen zwischen Umwelt und Unternehmung sowie der Konsistenz innerhalb der Unternehmung und - durch einen konvergenten, auf Stabilität ausgerichteten Prozeß geprägt. Revolutionsphasen zeichnen sich demgegenüber durch eine grundlegende Abkehr vom bisherigen Unternehmenskonzept und die Inkaufnahme von Instabilität und Divergenz bei der Suche nach neuen Zielen, Strategien, Strukturen und Systemen aus. Ob die Unternehmung am Ende einer solchen Revolutionsphase - einen Entwicklungssprung, d. h. eine erhöhte Überlebensfähigkeit erreicht,

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-

den Wandel nicht zu vollziehen vermag, in den alten Systemzustand zurückfällt und geschwächt einer Phase der Stagnation und des langsamen Siechtums anheim fällt, oder

-

durch die Phase der Instabilität so überfordert wird, daß sie untergeht,

bleibt offen. Wenn man nun von diesem Basisansatz der Unternehmensentwicklung ausgeht - und empirische Befunde unterstützen die Hypothese, daß es sich hierbei um ein Modell mit relativ hoher Allgemeingültigkeit handelt (vgl. Meyer/Tsui/Hinings, 1993, 1175 ff., Miller/Friesen, 1984, 25 ff.) - stellen sich zwei Fragen: - Wodurch sind Gleichgewichtszustände der Unternehmensentwicklung und Anpassungsprozesse auf diese Gleichgewichtszustände hin charakterisiert, welche Parameter bestimmen die Stabilität der Umwelt-Unternehmensbeziehung sowie die interne Konsistenz der Unternehmung, wie stabil sind solche Gleichgewichte? - Welche Faktoren sind für Ungleichgewichtssituationen, flir die Notwendigkeit einer Reorientierung der Unternehmenskonzeption verantwortlich und vor allem, wie und durch wen werden solche Revolutionsphasen ausgelöst und schließlich, welche Merkmale weist dieser Prozeß des Umbruchs auf?

(2) Typen von Unternehmenskonfigurationen. Mit der Frage nach den Bausteinen, die zu einer überlebensfähigen Unternehmenskonzeption zusammenzufügen sind, beschäftigt sich die strategische Managementwissenschaft (vgl. Bea/Haas, 1997, 11 f f , Scholz, 1987; Scholz, 1997, 44 ff ). State of the art ist, daß hierzu eine Erfolgspotentiale in der Unternehmensumwelt erschließende und auf das Kompetenzprofil der Unternehmung abgestimmte Unternehmensstrategie gehört. Diese muß zum einen mit dem Selbstverständnis der Unternehmung, mit den in der Entwicklungsgeschichte gewachsenen Werten, Zielen und Verhaltensmustern, d. h. mit der Unternehmenskultur, verträglich sein. Zum anderen mit dem Führungssystem, d. h. der Organisationsstruktur und insbesondere auch dem Controllingsystem. Die Frage stellt sich nun, ob in der Realität unendlich viele, jeweils unternehmensindividuelle Konfigurationen anzufinden sind, oder ob sich diese Vielfalt auf eine begrenzte Anzahl in sich konsistenter und auf die Unternehmensumwelt abgestimmter Konfigurationen reduzieren läßt. Sowohl konzeptionelle wie auch empirische Arbeiten zur Unternehmensentwicklung aus den letzten Jahren lassen den Schluß zu, daß sich eine solche begrenzte Anzahl von Konfigurationstypen, Archetypen von Unternehmungen identifizieren läßt. Zwei Typologien sollen im folgenden kurz vorgestellt werden, die konzeptionelle Typologie von Mintzberg und die empirisch fundierte Typologie von Miller und Friesen.

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Die Typologie der Strukturkonfigurationen von Mintzberg (vgl. Mintzberg, 1993b; Bea/Haas, 1997, 385 ff.) baut auf einem Basismodell der Unternehmung auf, das aus fünf Grundelementen besteht. Das erste Grundelement ist die untere bzw. operative Ebene der Unternehmung mit Einkäufern, Maschinenpersonal, Verkäufern oder Lagerarbeitern. Die mittlere Ebene besteht aus dem Mittel-Management, aus Meistern, Gebietsverkaufsleitern oder auch Geschäftsbereichsleitern. Der Vorstand oder die Geschäftsleitung bilden die strategische Führungsspitze. Diese drei Elemente werden ergänzt durch die Technologiestruktur, die u. a. Controlling und Weiterbildung umfaßt, und die unterstützende Ebene, wie z. B. die Rechtsabteilung, Public Relations oder soziale Einrichtungen. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich fünf Konfigurationstypen abgrenzen, bei denen jeweils ein Baustein der Konfiguration im Vordergrund steht sowie ein spezifisches Verfahren der Unternehmenskoordination, ein spezifisches Controlling-Konzept dominiert. Als "Simple Structure" bezeichnet Mintzberg ein in der Regel junges, kleines Unternehmen, das ohne ausgefeilte Vorschriften oder Systeme in einer einfachen, dynamischen und gelegentlich feindlichen Umwelt operiert. Das wichtigste Grundelement ist die strategische Führungsspitze, die durch direkte Überwachung das Unternehmen koordiniert. Die "Machine Bureaucracy" besitzt als wichtigstes Koordinationsinstrument eine sehr ausgeprägte Standardisierung der Arbeit. Das dominierende Organisationselement ist damit die Technostruktur, die die Planungs- und Kontrollarbeit für die extrem regulierte und komplexe Aufgabenerfüllung leistet. Bestehen kann diese Konfiguration nur in einer einfachen und stabilen Umwelt. Die "Divisionalized Form" ist durch die Dominanz der mittleren Ebene, der Leitung der relativ autonomen Unternehmensdivisionen, und durch eine starke Standardisierung von Outputgrößen (wie Umsatz, Gewinn, Rentabilität) gekennzeichnet. Die Abteilungsbildung erfolgt nicht wie bei den zuvor erläuterten Konfigurationen nach funktionalen, sondern nach produkt-/marktorientierten Kriterien. Anzutreffen sind diese Unternehmen in stabilen und diversifizierten Märkten. In der "Professional Bureaucracy" - etwa einer Universität - setzt man auf eine Standardisierung von Fähigkeiten als Koordinationsinstrument. Die operative Ebene - die Lehrstuhlebene bei einer Universität - stellt den Organisationsbaustein mit dem größten Gewicht dar. Aus- und Weiterbildung hat einen sehr hohen Stellenwert in diesen Unternehmen, die durch die "Professionals" koordiniert und kontrolliert werden. Der Unternehmensleitung (dem Rektorat) und der Technostruktur kommen eine untergeordnete Rolle zu. Die fünfte Strukturkonfiguration wird von Mintzberg als "Adhocracy" bezeichnet. Dabei handelt es sich um Unternehmen, bei denen die Koordination durch gegenseitige Abstimmung erfolgt. Die unterstützenden Einheiten und die untere, operative Ebene dominieren diese Organisationsform. Betonung der Weiterbildung und geringe Formalisierung sind die Merkmale dieser Konfiguration, die meist bei jungen Unternehmen in komplexen, dynamischen Märkten anzutreffen ist. Ein sowohl detaillierteres und umfassenderes, vor allem aber auch empirisch fundiertes Modell von Konfigurationstypen wurde von Miller und Friesen entwickelt (vgl. Miller/Friesen, 1984). Mit Hilfe statistischer Verfahren wie der Cluster- und Faktorenanalyse wurden für die der Untersuchung zugrunde liegenden 31 Variablen insgesamt 10 Archetypen von Unternehmungen identifiziert, denen jeweils ein ähnliches Muster der Varia-

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blenausprägungen zugrunde liegt. Sechs dieser Archetypen wurden als erfolgreich, vier als nicht erfolgreich klassifiziert. Letztere weisen zwar auch eine interne Konsistenz auf, allerdings eine pathologische, eine mit den Umweltbedingungen der Unternehmung nicht kompatible Unternehmenskonfiguration. (3) Evolutionsphase. Wenn man nun von der Existenz solcher Gleichgewichtszustände von Unternehmungen ausgeht, stellt sich die Frage, wie der Entwicklungsprozeß der Unternehmung während der Phase eines relativen Gleichgewichts sowie von einem Gleichgewichtszustand zu einem neuen Gleichgewichtszustand abläuft Während einer Gleichgewichtsphase sind konvergente Prozesse in den untersuchten Unternehmungen zu beobachten, Prozesse, die etwa zu einer Feinabstimmung der verschiedenen Teilsysteme einer Konfiguration beitragen oder das Vertrauen in die Unternehmenskonzeption stärken. Anzuführen sind hierbei Aktivitäten im Bereich der Mitarbeiterentwicklung - bei Personalauswahl, Weiterbildung, Anreizsystemen - oder der Organisation - etwa in Form einer Feinabstimmung mit Hilfe traversierender Organisationseinheiten bzw. hinsichtlich der Rollen und Machtstrukturen in der Unternehmung (vgl. Tushman/Newman/Romanelli, 1986, 33 ff ). Diese Prozesse der Feinabstimmung werden ergänzt durch moderate Anpassungsprozesse, Anpassungen an kleinere Umweltturbulenzen, moderate Entwicklungen in der Produkt- und Prozeßtechnologie, auf Absatz- und Beschaffungsmärkten, welche mit der bestehenden Unternehmenskonfiguration absorbierbar sind. Alle diese Maßnahmen fuhren zu einer Stabilisierung, einer Verfestigung des sozialen Systems und letztendlich zu einer engeren und präziseren Anpassung der Unternehmung an ihre Umwelt. Die Gefahren, die hiermit verbunden sind, liegen jedoch auf der Hand: Zum einen können die Anpassungsmaßnahmen zu weit gehen, überdosiert werden. So kann aus einer übertriebenen Zentralisierung eine autokratische, aus einer extremen Dezentralisierung eine atomar fragmentierte Unternehmung und aus einer zu weitgehenden Formalisierung eine unelastische Bürokratie entstehen. Vor allem aber besteht die Gefahr, daß Unternehmungen auf ihr Erfolgsmodell fixiert sind, Änderungen in den Erfolgsbedingungen nicht oder zu spät wahrnehmen, und wenn solche Änderungsnotwendigkeiten wahrgenommen werden, diese aufgrund der präzise aufeinander abgestimmten Systemkonfiguration nur schwer umzusetzen vermögen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei kulturell bedingte Wahrnehmungsbarrieren. Mit zunehmendem Alter und Erfolg von Unternehmen entstehen informelle Normen und Werte, Mythen, Ideologien und Erfolgsgeschichten. Eine durch frühere Erfolge geprägte Unternehmenskultur kann zu Stolz, aber auch Innengekehrheit, Selbstgefälligkeit und Widerstand gegen Änderungen fuhren und so Innovationen verhindern. Kultureller Trägheit wohnen ferner Selbstverstärkungstendenzen inne: Je länger eine Evolutionsphase andauert, um so mehr ersetzen Gewohnheiten das Nachdenken. Werte erhalten Regelcharakter, d. h. sie werden institutionalisiert, wodurch neue Mitarbeiter einen schnellen Sozialisierungsprozeß durchlaufen (vgl. Tushman/Romanelli, 1985, 192 ff.). Werden Gefahren durch das Informationssystem erkannt, reagieren die Mitarbeiter aufgrund der vorliegenden kulturellen Blockade mit erhöhter

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Konformität, sie greifen auf das zurück, was sie am „besten können". Werte und Handlungsroutinen, die in der Vergangenheit einen wichtigen Erfolgsfaktor dargestellt, sich jedoch überlebt haben, stellen so eine signifikante Barriere gegenüber Änderungen dar. Hinzu kommen Widerstände bei den Mitarbeitern - politische Umsetzungsbarrieren die um so stärker ausfallen, je unsicherer Prozeß und Ergebnis des Wandels sind, je höher die Anforderungen an die Lernfähigkeit der Mitarbeiter sind bzw. der Abschreibungsbedarf erworbenen Wissens ist, je stärker eine kulturelle Reorientierung, eine Änderung von Wertesystem und Verhaltensmustern erforderlich ist. Eine weitere wichtige Umsetzungsbarriere stellen Machtstrukturen in der Unternehmung dar. Während einer evolutionären Entwicklungsphase herrscht politisches Gleichgewicht in der Unternehmung, welches durch eine Revolution gefährdet würde. Machtvolle Gruppen sehen so oft ihren Status durch Strategieänderungen bedroht. Erfolge, die einem Mitglied der Unternehmensfuhrung als Promotor und Initiator einer Strategie zugerechnet werden, erhöhen dessen Macht. Insofern besteht häufig eine Verknüpfung zwischen Machtbasis und Unternehmensstrategie; eine Strategieänderung ließe sich dann als Eingeständnis des Versagens interpretieren und würde so die politische Basis und die Selbstachtung machtvoller Individuen untergraben (vgl. Miller/Friesen, 1984, 256 ff). Solange das Unternehmen erfolgreich ist, besteht folglich kein Anreiz, etwas am „tried and true-formular" zu ändern Diese Trägheits- und Beharrungsmomente sind zusammengefaßt um so stärker ausgeprägt, je erfolgreicher eine Unternehmung beim Aufbau einer umweltkonformen Unternehmenskonfiguration war und je langsamer sich die Erfolgsbedingungen für eine Unternehmung ändern. Hierzu läßt sich die so oft zitierte wie unappetitliche Analogie zum Verhalten eines Frosches heranziehen, der - in siedendes Wasser geworfen - sein Überleben durch einen Sprung aus dem Topf retten kann, während er bei einer stetigen Temperaturerhöhung zunächst die Bedrohlichkeit der Situation nicht erkennt und später nicht mehr die Energie zu einem rettenden Sprung aufbringt. (4) Revolutionsphase. Aus der Analyse der Phase, in der sich eine Unternehmung in einem mehr oder weniger ausgeprägten Gleichgewichtszustand, einer evolutionären Entwicklungsphase befindet, sind auch die Gründe ableitbar, weshalb sich der Übergang zu einem neuen Gleichgewicht, zu einer neuen Unternehmenskonfiguration typischerweise nicht evolutionär, sondern revolutionär vollzieht. Revolutionär nicht nur in Bezug auf den Umfang, sondern auch auf die Intensität des Veränderungsprozesses. Umbruchphasen sind insofern als koordinierte Anpassungen konstitutiver Unternehmensparameter, als Wandel in Form eines Quantensprungs zu verstehen. Sie bringen nicht nur marginale, sondern fundamentale Änderungen der Unternehmensparameter - einen dramatischen Wandel - mit sich und fuhren zu einer generellen Neuorientierung von Unternehmen. Begründbar ist eine koordinierte Anpassung durch die Existenz von Konfigurationstypen: Wenn von einem zwar komplexen, jedoch stabilen Komplementaritätsverhältnis zwischen den Variablen (d. h. von Konfigurationstypen) ausgegangen wird, muß der Übergang zu einer neuen Konfiguration und damit zu einem neuen Gleichgewichtszu-

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stand, einer neuen harmonischen Kombination von Umwelt, Strategie, Struktur und Systemen der Unternehmung, durch eine konzertierte, simultane Anpassung der entsprechenden Parameter erfolgen. Für diese koordinierte Anpassung spricht auch das Beharrungsvermögen der Unternehmungen. Gerade weil innerhalb der Unternehmungen ein Widerstand gegen Änderungen tradierten Verhaltens festzustellen ist, läßt sich eine nur stückweise Anpassung einzelner Gestaltungsparameter in der Regel nicht durchsetzen. Erst wenn sich aufgrund von erkennbaren Funktionsmängeln der bestehenden Konfiguration die Überzeugung durchgesetzt hat, daß ein Wandel unvermeidlich ist, läßt er sich verwirklichen - und dann nur in einer konzertierten, alle Unternehmensbereiche umfassenden Form. Für einen dramatischen Wandel in der Änderung der Unternehmensentwicklung verantwortlich ist zum einen, daß grundlegende Änderungen in der Unternehmung aufgrund von Implementierungswiderständen - aber auch wegen damit verbundener hoher Kosten - in der Regel so lange aufgeschoben werden, bis sie unverzichtbar, dann jedoch um so dringender sind. Zum anderen spricht gegen einen inkrementalen Wandel die im Zustand des Ungleichgewichtes in der Übergangsphase bestehende Verwundbarkeit der Unternehmung. Im Regelfall handelt es sich bei solchen Umbruchphasen um eine „heilende" Form der Revolution, in der weniger erfolgreiche Unternehmen auf umweltbedingte Änderungen reagieren. Als Auslöser einer solchen Revolution lassen sich grundlegende Änderungen der Wettbewerbssituation - Markteinbrüche, neue Strategien von Konkurrenten -, Ereignisse in der Rechtssphäre, wie die Privatisierung von staatlichen Unternehmungen oder Deregulationsmaßnahmen, fundamentale wirtschaftliche Einbrüche, wie z. B. die Ölkrisen oder auch dramatische politische Änderungen, wie in Osteuropa und Südafrika anführen (vgl. Tushman/Romanelli, 1985, 178 ff; Tushman/O'Reilly, 1996, 18 ff). Die bisherige einheitliche Richtung geht dadurch verloren, eine neue hat sich noch nicht entwickelt. Es herrscht ein Zustand des Ausprobierens, der Konfrontation. Die treibende Kraft in Richtung Neuorientierung ist der Leistungsdruck, z. B. eine dramatische finanzielle Krise, wodurch sich interner und vor allem externer Druck von seiten der Aktionäre und Gläubiger auf das Management verstärken. Als Folge erhöht sich die Bereitschaft, das Risiko der Zerstörung der alten Ordnung einzugehen. Der Prozeß der Revolution besteht aus einer umfassenden Änderung vieler Unternehmenselemente. Er fuhrt zu einer reformierten Mission und zu einem modifizierten Wertesystem der Unternehmung. Durch neue Strategien, Systeme und Prozesse kann die Organisation eine ähnliche Phase der Erneuerung erleben wie bei der Unternehmensgründung. Die Formulierung „unlearning yesterday and inventing tomorrow" trifft dies sehr gut. Die Mitarbeiter müssen sich an geänderte Interaktionsmuster gewöhnen. Gleichzeitig muß sich ein neues Gleichgewicht von Macht und Status entwickeln, etwa wenn sich veränderte Machtverhältnisse aufgrund von Wettbewerbsveränderungen ergeben und die Ingenieure an Einfluß verlieren, während die Marketingabteilung an Macht gewinnt.

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Umbruchprozesse sind in der Regel mit hohen finanziellen Lasten und hohem Arbeitsaufwand, mit Verwirrung und Tumult verbunden. Deshalb ist die Unterstützung des TopManagement notwendige Voraussetzung für den erfolgreichen Ablauf einer Revolutionsphase. Die Unternehmensfuhrung muß nicht nur fähig sein, neue Aufgaben zu definieren, neue Werte zu kommunizieren, die Organisation zu restrukturieren und die Aufgabe der Kontrolle in der Übergangsphase zu übernehmen (vgl. Tushman/Newman/Romanelli, 1986, 40 ff ), sie muß auch die Mitarbeiter beruhigen, zu konstruktivem Verhalten motivieren sowie in jeglicher Form Inspirationen liefern. D. h. die Führungsspitze muß hinter der neuen Aufgabe stehen und aktiv, mit viel Energie die vorherrschende Trägheit überwinden. Der vorgestellten idealtypischen Variante von Umbruchphasen kann natürlich kein allgemeiner Gültigkeitsanspruch zugemessen werden. Umbruchphasen verlaufen in Unternehmungen oft auch langsamer, stärker evolutionär (vgl. Boeker, 1989, 388 ff ). Je länger die Umbruchphase allerdings andauert, um so langwieriger ist die Periode der Unsicherheit und Instabilität. Andererseits ist die Restrukturierung besser vorbereitet, so daß das Umdenken vor der eigentlichen Implementierung der neuen Konfiguration erfolgen kann. Bei zügig ablaufenden Revolutionsphasen kann sich der Widerstand gegen die Neuerungen weniger entfalten. Jedoch werden sich die Mitarbeiter häufig erst nach Abschluß der Umwandlung über Ausmaß und Inhalt der Änderungen bewußt und beginnen umzudenken (vgl. Mintzberg/Westley, 1992, 48). Auch das primär reaktive Grundmuster von Revolutionsphasen ist nicht generell anzutreffen. Viele erfolgreiche Unternehmungen, insbesondere Unternehmungen, welche sich in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld befinden, initiieren Innovationen proaktiv (vgl. Brown/Eisenhardt, 1997, 1 ff.) - oft in Folge eines Wechsels an der Unternehmensspitze. Derartige Führungswechsel finden einerseits in der Nachfolge von verstorbenen, pensionierten oder entlassenen Führungskräften statt, andererseits erfolgen sie häufig beim Aufkauf oder Zusammenschluß von Unternehmungen. Durch neue Führungsmannschaften lassen sich Wahrnehmungs- und politische Barrieren abbauen. Neue Manager sind eher geneigt und fähig, Umbruchphasen zu initiieren, da sie unvoreingenommener, weniger durch die Unternehmensgeschichte und Unternehmenskultur geprägt sind. Den oben skizzierten idealtypischen Prozeß der Unternehmensentwicklung, einen koordinierten und dramatischen Ablauf der Umbruchphase, konnten Miller und Friesen in empirischen Untersuchungen ebenso nachweisen (vgl. Miller/Friesen, 1984, 87 ff.) wie die Existenz von Archetypen des Unternehmenswandels - typischen Übergangspfaden zwischen zwei Gleichgewichtszuständen (vgl. Mller/Friesen, 1984, 127 ff.). (5) Entwicklungsperspektiven. Für Wissenschaft und Praxis der Unternehmensfuhrung von hohem Erkenntniswert wäre nun eine Weiterfuhrung dieses theoretischen Modells, die Identifikation von Entwicklungsmustern, die ausgehend von einem Konfigurationstyp A über einen Transitionstyp B zu einem neuen Konfigurationstyp C fuhren. Solche Entwicklungspfade wären insbesondere auch zur Früherkennung strategischer Gefährdungen

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hilfreich. Rudimentäre Ansatzpunkte hierfür liegen - zum Teil allerdings nicht ausreichend empirisch belegt - von Argenti (vgl. Argenti, 1976), Miller (vgl. Miller, 1996, 505 ff.; Miller/Friesen, 1984, 146 ff.) sowie Hambrick und D'Aveni (vgl. Hambrick/D'Aveni, 1988, 1 ff.) vor. Aufgezeigt werden Entwicklungspfade -

schon im Gründungsstadium todkranker Unternehmungen,

-

aber auch sehr erfolgreicher Unternehmungen, welche an der Erfolgsdynamik scheitern, d. h. zunächst ein rasantes Wachstum und anschließend einen ebenso rasanten Niedergang verzeichnen (der "Ikarus" oder "success breads failure" Typus) sowie

- ebenfalls erfolgreicher Unternehmungen, welche graduelle Entwicklungen in der Unternehmensumwelt, die die Erfolgsgrundlagen unterminieren, aufgrund der Verhaftung in historischen Denkmustern viel zu spät wahrnehmen, anschließend auf strategische Defizite mit hektischen und kurzfristigen Maßnahmen - Kostensenkungsprogrammen, Entlassungen - reagieren, überreagieren, sobald sich die ersten operativen Erfolge zeigen, wieder die Hände in den Schoß legen und - da die strategischen Defizite nicht etwa behoben, sondern gewachsen sind - in einer Spirale von Inaktivität und Hyperaktivität dem Untergang entgegenstreben. Auf die Erörterung weiterer Facetten des vorgestellten Paradigmas zur Unternehmensentwicklung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Als abschließende Würdigung dieses Ansatzes soll hier die These vertreten werden, daß sich aus den Theoriebausteinen dieses Paradigmas, - aus einer ganzheitlichen, gestaltorientierten, holistischen Sicht der Unternehmung, - aus einem typologischen Untersuchungsansatz, welcher zwischen den beiden polaren Sichtweisen "Jede Unternehmung ist einzigartig" und "Alle Unternehmungen sind gleich" angesiedelt ist und Aussagen mit mittlerem Allgemeinheits- und Genauigkeitsgrad abzuleiten vermag sowie -

aus einem dynamischen Ansatz, welcher Entwicklungsprozesse der Unternehmung expliziert,

Perspektiven eines allgemeinen Ansatzes der Unternehmensentwicklung, welcher sowohl Inhalte, Auslösefaktoren wie auch Phasen des strategischen Wandels umfaßt, ableiten lassen. Schließt man sich dieser Beurteilung an, stellt sich die Frage, weshalb ein erfolgversprechender theoretischer Ansatz - und insbesondere im anglo-amerikanischen Raum wird dies so gesehen - in relativ geringem Ausmaß Gegenstand empirischer Forschung ist. Die Antwort ist kurz: Weil er mit außerordentlich hohem Aufwand verbunden ist. Erforderlich sind Längsschnittanalysen (vgl. Harrigan, 1983, 398 ff; Van de Ven/Huber, 1990,

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213 ff ), d. h. Analysen eines Untersuchungssamples über mehrere Jahre hinweg. Die Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Primärinformationen bei retrospektiven Untersuchungen - verstorbene Vorstände, nicht verfügbare Sitzungsprotokolle von Vorstandsund Aufsichtsratssitzungen -, die lange Projektlaufzeit bei begleitenden Untersuchungen, welche DFG-Förderzeiten bei weitem und bisweilen auch ein Forscherleben übersteigt, sowie die Fülle der auszuwertenden Daten und die damit verbundenen Kosten eines Forschungsprogramms bringen es mit sich, daß fundierte Längsschnittanalysen sehr selten anzufinden sind. Oft wird auf Sekundäranalysen zurückgegriffen, d. h. es werden vorliegende Fallstudien ausgewertet (vgl. Eisenhardt, 1989, 532 ff ). Die Schwächen dieser Methodik liegen auf der Hand. Die Informationen sind zweifach gebrochen: Durch den Interpretationsfilter des Fallstudienschreibers und den des Fallstudienauswerters. Hinzu kommt, daß die Vollständigkeit der Daten bei Fallstudien aufgrund der unterschiedlichen Erkenntnisziele nicht gewährleistet ist. Obwohl die Notwendigkeit empirischer Längsschnittanalysen für die Gewinnung aussagefähiger Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Theorie der Unternehmensentwicklung anerkannt ist, wird immer noch überwiegend auf der Grundlage von Querschnittanalysen gearbeitet. Vergleichbar ist dieses Vorgehen mit der häufig zitierten Geschichte eines angetrunkenen Zechers, der offensichtlich erfolglos im Lichte einer Straßenlaterne seinen Haustürschlüssel sucht und auf die Frage eines hilfsbereiten Passanten, wo er den Schlüssel genau verloren habe, antwortet "Beim Verlassen der Kneipe"; und auf die Rückfrage, warum er dann nicht dort suche, erwidert: "Weil sich dort keine Laterne befindet und die Suche deshalb zu mühsam ist".

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Die Ambivalenz der Zeitkomponente im Wettbewerb von Erwin Dichtl und Mark Leach

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Die Zeit als Wettbewerbsfaktor

Während sich viele Wissenschaftsdisziplinen wie z.B. Mathematik, Physik, Philosophie, Soziologie oder auch Psychologie ausgiebig und seit vielen Jahren der Zeit als Forschungsobjekt widmen, beschäftigte sich die Betriebswirtschaftslehre jahrelang in nur vergleichsweise geringem Maße mit diesem Themengebiet (vgl. Schulte, 1995, 12 ff ). Erst im Zusammenhang mit dem seit Mitte der achtziger Jahre propagierten sogenannten Zeitwettbewerb (vgl. Stalk/Hout, 1990; Stalk, 1988) verhalfen Unternehmensberatungsgesellschaften, insbesondere die Boston Consulting Group, sowie Professoren, Manager, Redakteure von Managementzeitschriften, Seminarveranstalter etc. dem Wettbewerbsfaktor Zeit zu großer Aufmerksamkeit auf Seiten der ökonomisch interessierten Öffentlichkeit. Aufgeschreckt durch die Erfolge der scheinbar übermächtigen Japaner, welche sich dem Zeitwettbewerb in hohem Maße verschrieben hatten, stellte der Faktor Zeit bis in die neunziger Jahre hinein für viele Unternehmen den zentralen Ansatzpunkt für die Erlangung einer besseren bzw. Wahrung der bestehenden Position im Wettbewerb dar. Zeit löste damit die bis dato ebenso insbesondere von Japanern forcierten strategischen Stoßrichtungen Kosten und Qualität ab bzw. erweiterte diese Wettbewerbsfaktoren um den zeitlichen Aspekt (zu Möglichkeiten der Erlangung strategischer Vorteile vgl. Bea/Haas, 1997, 154 ff ). Zeitwettbewerb wurde allerdings oftmals auf den Faktor Schnelligkeit (economies of speed) reduziert, bei Vernachlässigung weiterer erfolgsrelevanter Facetten der Zeit, wie z.B. des Timing oder der Langfristigkeit bzw. Dauerhaftigkeit von Maßnahmen. 1 Doch auch wenn sich Zeitwettbewerber der Vielschichtigkeit des Zeitkonstruktes bewußt sind, bleibt nicht selten der erhoffte Erfolg aus. Dies läßt sich häufig auf die im folgenden beschriebene Ambivalenz der Zeitkomponente zurückfuhren.

Eine Ausnahme hiervon bildet beispielsweise Simon. 1989, 79 ff.

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Erfolgsrelevante Facetten des Faktors Zeit

2.1 Die Schnelligkeit als strategisches Konzept Eine Vielzahl von Unternehmen konzentriert sich bei dem Bemühen um bessere Nutzung der Ressource Zeit auf den Geschwindigkeitsaspekt. Namhafte Beispiele hierfür bilden Siemens, Freudenberg, Asea Brown Boveri (ABB), Honda, Toyota, Seiko, General Electric, Benetton oder auch das Telekommunikationsunternehmen AT&T. Sie alle teilen die Überzeugung, daß vorrangig solchen Unternehmen Erfolg zuteil wird, denen es gelingt, in vielerlei Hinsicht schneller als die Konkurrenten zu sein. Dabei beschränken sich Maßnahmen zur Steigerung der Schnelligkeit in der Regel nicht auf einzelne Abteilungen oder Funktionsbereiche, sondern erstrecken sich auf die gesamte Wertkette. (1) Die Rolle der Geschwindigkeit im Rahmen des Innovationsmanagements. Angesichts kürzer werdender Produkt-Lebenszyklen (vgl. zu dieser Problematik Droege/ Backhaus/Weiber, 1993, 53 ff.; Qualls/Olshavsky/Michaels, 1981), zunehmender Konkurrenz insbesondere aus ostasiatischen Ländern, gesättigter Märkte sowie eines rasanten technologischen Fortschritts in vielen Wirtschaftszweigen bedarf die frühzeitige Suche nach Innovationen besonderer Beachtung seitens der Unternehmen. Die Implikationen einer hohen Innovationsrate sind jedoch vielfältig und ambivalent. Als Positivum einer aufgrund der Innovationstätigkeit möglichen frühen Markteinführung von Produkten zählt die Erzielung sogenannter Pioniergewinne. Gemäß Erkenntnissen aus der Diffusionsforschung sind Innovatoren, die sich häufig als Trendsetter verstehen, bereit, für Neuheiten einen Preisaufschlag zu bezahlen (vgl. Gierl, 1987; Nieschlag/ Dichtl/Hörschgen, 1997, 574 f. u. 905 f.; Rogers, 1962). Als weiterer Vorteil eines frühen Markteintritts kommt neben der Imageträchtigkeit der Innovatorenrolle2 ein vorgezogener Beginn der Erfahrungskurve hinzu, der u.a. gewährleistet, daß das betroffene Unternehmen lange vor seinen in- und ausländischen Nachahmern den Break-even-Punkt erreicht bzw. von Anfang an höhere Gewinne erzielt. Darüber hinaus genießt, wer als erster mit einem aussichtsreichen Erzeugnis auf den Markt kommt, am längsten Schutz vor ausländischen Anbietern, die gemäß der Produktzyklustheorie erst in der dritten Phase in Erscheinung treten (vgl. Dichtl, 1995b, 33). Den angeführten Vorteilen der auch als Führerposition bezeichneten strategischen Option stehen aber, wie aus der seit vielen Jahren in Fachkreisen geführten Diskussion um den optimalen Markteintrittszeitpunkt bekannt ist (vgl. hierzu Perillieux, 1987), zahlreiche und gewichtige Nachteile gegenüber, die gegebenenfalls eine Folgerposition als eher erstrebenswert erscheinen lassen.3 Die Möglichkeit, aus Fehlern des Pionierunternehmens 2

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Auf der Ebene von Produkten wurde erstmalig auf empirischer Basis eine positive Imagewirkung von Pioniermarken nachgewiesen (vgl. Alpert/Kamins, 1995, 34 ff.). So zeigt z.B. eine breit angelegte Studie aus dem Jahr 1996, daß es meist Nachahmer sind, welche die Märkte erobern (vgl. Hoffritz, 1996, 128 ff.).

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erstrebenswert erscheinen lassen.3 Die Möglichkeit, aus Fehlern des Pionierunternehmens zu lernen oder solche zu vermeiden, spricht dabei ebenso für eine abwartende Haltung bei der Markteinführung wie die Umgehung bzw. Eindämmung des weit schwererwiegenden Scheiterrisikos, mit dem jede Neuheit behaftet ist. Selbst der häufig gepriesene Pioniervorteil, Standards respektive Normen setzen zu können, obliegt, wie das oft zitierte Beispiel Video 2000 zeigt, der Gefahr, eine gegenteilige, negative Wirkung zu entfalten. Schließlich winkt "Folgern" die Aussicht, durch Imitation, soweit legal, erhebliche Kosten für F&E-Aktivitäten einzusparen. Die entscheidende Rolle der F&E-Kosten im Geschwindigkeitswettbewerb wird insbesondere im Kontext der sogenannten Zeitfalle offenkundig. Da zunehmend kürzer werdende Produkt-Lebenszyklen mit exorbitant hohen Kosten im F&E-B ereich einhergehen (vgl. Petroni, 1985), gerät die Amortisation einer Investition selbst für Pionierunternehmen in Gefahr. Ein gegenläufiger Verlauf von Produkt-Lebens- und Amortisationszeit ist nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in vielen Wirtschaftszweigen zu beobachten. Das Risiko des Hineingleitens in die sog. Zeitfalle wächst indessen auch, wie das in Abbildung 1 dargestellte Beispiel des Unternehmens IBM zeigt, durch eine die Marktperiode übersteigende, immer länger werdende Entwicklungszeit für Produkte, dies insofern, als einerseits zunehmende Entwicklungszeit einen Indikator für steigende F&EKosten darstellt, andererseits im Falle eines Flops in einer solchen Situation kaum noch die Chance einer rentablen Vermarktung verbesserter Versionen oder Neuentwicklungen besteht. Bauen gar verschiedene Produktgenerationen technisch aufeinander auf, so sind das Auftreten eines "Dominoeffektes" und damit das Scheitern nachfolgender Produkte zu befürchten (vgl. Backhaus/Gruner, 1994, 29).

A b b . 1: F&E-Zeit und Marktperiode am Beispiel von Produkten des Unternehmens IBM 3

So zeigt z.B. eine breit angelegte Studie aus dem Jahr 1996, daß es meist Nachahmer sind, welche die Märkte erobern (vgl. Hoffritz, 1996, 128 ff.).

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Die Zeitfalle droht darüber hinaus zuzuschnappen, wenn der Geschwindigkeitswettbewerb samt den damit verbundenen kürzer werdenden Produkt-Lebenszyklen zum Selbstzweck gerät. So fuhrt die rasche technische wie auch psychologische Veralterung von Produkten in zunehmendem Maße zu Reaktanz auf Seiten der Bedarfsträger. Einerseits konfrontiert mit ständig neuen Erzeugnissen und damit einhergehenden Lern- und Übungserfordernissen zu deren Beherrschung, andererseits aber auch verärgert über die Vielfalt nur geringfügig modifizierter Produkte, kehren viele Verbraucher solch vermeintlichen Neuheiten den Rücken. Im Einklang hiermit haben in den USA über japanische Automobile durchgeführte Untersuchungen ergeben, daß Verbraucher bei einer Präsentation von mehreren Modellgenerationen nicht mehr in der Lage waren, diese korrekt chronologisch anzuordnen (vgl. Backhaus/Gruner, 1994, 40). Angesichts fehlenden zusätzlichen Nutzens vieler Produkte wird somit das Problem mangelnder Kundenorientierung einiger auf Zeit setzender Wettbewerber offenkundig. Dieses Manko fuhrt beispielsweise auch zu der paradoxen Situation, daß Entscheidungsprozesse der Konsumenten langsamer verlaufen, als die Innovationszyklen der Hersteller erfordern (vgl. o. V., 1989, 55). Käufe werden somit nicht getätigt, weil potentielle Erwerber das begehrte Produkt auf dem Markt nicht mehr vorfinden. Ähnlich wirkt das sogenannte "Leapfrogging-Behavior". Hier überspringen gewissermaßen Bedarfsträger bewußt und freiwillig das gegenwärtig am Markt verfügbare neueste Produkt und verschieben den Kauf, bis eine Produktgeneration verfügbar ist, die sich durch verbesserte Leistungsfähigkeit auszeichnet (vgl. Pohl, 1996, 247). Der ursprünglichen Intention diametral entgegenstehend führt der Geschwindigkeitswettbewerb in solch einem Falle also nicht zum Kauf, sondern zu dessen Verhinderung. Über die erwähnten Aspekte hinaus zieht ein schneller Generationenwechsel von Produkten auch aus Umweltgesichtspunkten Kritik auf sich. Während ökologiegerechte Erzeugnisse durch Kriterien wie Haltbarkeit, lange Nutzungsdauer und Reparaturfähigkeit gekennzeichnet sind, gebietet der Innovationswettbewerb rasche Obsoleszenz und damit eine Substitution an sich noch fünktionsfähiger Güter (vgl. Bitzer, 1991, 308 f.). Dies erscheint vor allem insofern problematisch, als Natur und Wirtschaft weder Rohstoffe schnell genug zu reproduzieren noch den entstehenden Abfall zügig wiederzuverwerten im Stande sind (vgl. Rifkin, 1988, 22). Wenn alle Unternehmen nach der Maxime ,je schneller, desto besser" verfahren, ist es dem einzelnen Anbieter nicht mehr möglich, sich in dieser Hinsicht von seinen Konkurrenten abzuheben. Die Waffe wird stumpf. Aus der Aufforderung des mächtigen Miti an die heimischen Unternehmen, die ProduktLebenszyklen zu verlängern (vgl. o. V., 1993, 23), kann man ableiten, daß in Japan der Zeitwettbewerb bereits ein selbstzerstörerisches Ausmaß erreicht hat. In der Tat gibt es zahlreiche Hinweise darauf, daß dort bei vielen Unternehmen ein Umdenken eingesetzt hat. So strecken die Automobilhersteller in diesem Land ihre Zyklen von vier auf fünf Jahre, bei gleichzeitiger Reduktion der Variantenvielfalt. Neue Modelle bei Fernsehapparaten kommen statt nach zwölf nun nach vierzehn Monaten auf den Markt (vgl. o. V., 1993, 23).

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(2) Die Zeit als Differenzierungschance. Ein Anbieter, dem es gelingt, seine Durchlaufsowie Lieferzeit zu verkürzen, profitiert zum einen von geringeren Lagerbeständen, einem höheren Lagerumschlag und einer mit all dem einhergehenden niedrigeren Kapitalbindung, zum anderen sinken die sogenannten Lager-Handlingkosten (vgl. Bitzer, 1991, 96). Eine bessere Ressourcennutzung folgt darüber hinaus auch aus kürzeren Lernzyklen der Mitarbeiter. Haben sich diese überdies noch dem Total Quality Management verschrieben, resultiert daraus eine bessere Qualität der Produkte bei gleichzeitiger Senkung, wenn nicht gar Vermeidung von Nacharbeitungskosten (vgl. Holzwarth, 1993, 10). Hinzu kommt der Vorteil, daß die Durchlaufzeit oftmals negativ mit der Produktivität von Arbeit und Kapital korreliert ist. All dies erhöht auch die Reaktionsgeschwindigkeit eines Unternehmens, was wiederum insofern eine Reduktion von Planungsrisiken impliziert, als z.B. langfristige Absatzprognosen als Basis der Ressourcenbedarfs- und Produktionsplanung an Bedeutung verlieren (vgl. Bitzer, 1991, 98 u. 104). Daß hohe Unternehmensreagibilität zudem ein beträchtliches Maß an Kundennähe bedeutet, liegt auf der Hand. Positiv zu Buche schlagen auch Preisaufschläge, die Abnehmer beispielsweise als Gegenleistung für eine schnellere Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Leistung zu zahlen bereit sind. Dies setzt u.a. das Vorhandensein eines ausreichend großen, wirtschaftlich interessanten zeitsensiblen Käufersegments voraus. Einige Anbieter vermitteln dabei bereits auf kommunikativer Ebene mit Hilfe der Namensgebung ihr Anliegen, Kunden Zeitvorteile zukommen zu lassen. Beispiele hierfür bilden Schnellimbiß, Fast-FoodRestaurant, Pizza Express, 1-Stunden-Bilder-Service, Federal Express, Sofort-Reparatur, Crash-Kurs, Instant-Kaffee, 5-Minuten-Terrine oder auch Sekundenkleber. Insbesondere Dienstleistungsunternehmen sind sich dessen bewußt, daß sich ihre Schnelligkeit nicht nur auf die eigentliche Leistungserstellung, sondern in ganz erheblichem Maße auch auf die von Nachfragern in Kauf zu nehmende Transfer-, Abwicklungs- und Wartezeit bezieht. Während ersterer beispielsweise Fahrten zum Anbieter sowie die Suche nach einem Parkplatz subsumiert werden, rechnet man der Abwicklungszeit das Ansetzen von Terminen, das Ausfüllen von Formularen, die Übergabe und Übernahme von eingebrachten Objekten oder auch das Auschecken im Hotel zu (vgl. Stauss, 1991, 82). Wartezeit fällt an, wenn, soweit erkennbar, eine Leistung noch nicht oder nicht mehr erbracht wird, der Kunde aber dennoch zugegen sein muß. Vielen Unternehmen bietet sich eine nahezu grenzenlose Vielfalt an Möglichkeiten, die sich für Konsumenten im Rahmen eines Kaufentscheidungsprozesses ergebende Zeitspanne erheblich zu verkürzen und dadurch deren Stimmung zu heben. Dabei ist beispielsweise an eine raschere Zusendung angeforderter Prospekte, die Bereitstellung eines ausreichenden Stabes an Personal bei der Beratung vor Ort sowie das Einrichten von "Express-Lines" für solche Leute, die nur wenige Produkte erwerben wollen, zu denken. Während die niederländische Supermarktkette Hoogvliet Kunden die Waren schenkt, sobald mehr als zwei Personen an der Kasse stehen, schreibt die Community National Bank in New Jersey, USA, Betroffenen im Falle einer mehr als funfminütigen Wartezeit fünf Dollar gut (vgl. Brinkmann/Peill, 1996, 285).

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Sofern eine Beschleunigung von Prozessen aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist, ergibt sich die Notwendigkeit, Betroffenen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Man muß sie dazu in irgendeiner Form beschäftigen, sie frühzeitig in den Leistungsprozeß einbeziehen und ihnen die Angst, vergessen oder auf andere Art und Weise zeitlich benachteiligt zu werden, nehmen. Zumindest aber sollte man ihnen reinen Wein einschenken, was den Grund für die Verzögerung und deren Dauer betrifft (vgl. ausfuhrlich hierzu Maister, 1986, 113 ff.). Wer hätte beispielsweise kein Verständnis dafür, daß sich ein Arzt zuerst um einen Notfall kümmern muß ? Nicht immer ist eine Straffung von Prozessen bzw. Schnelligkeit erwünscht, häufig muß sie sogar vermieden werden. Wie Abbildung 2 illustriert, geht es Patienten bei einem Arztbesuch weder darum, schnell abgefertigt, noch darum, stundenlang hingehalten zu werden. Vielmehr hegen sie den Wunsch, in angemessener Zeit behandelt zu werden.

Abb. 2: Zufriedenheit mit der Dauer einer ärztlichen Behandlung Quelle: in Anlehnung an Stauss, 1991, 84.

Schnelligkeit wirkt auch dann kontraproduktiv, wenn wie bei Freizeitvergnügen die ausgedehnte Inanspruchnahme einer Leistung Erlebnisqualität besitzt. Die im Rahmen eines Besuchs von Theater-, Kino- oder Sportveranstaltungen verbrachte Zeit beurteilt ein Nachfrager weniger nach Kosten als nach dem wahrgenommenen Nutzen. Manchmal wird dabei sogar Warten als Erlebnis empfunden. So fördert z.B. eine lange Lieferzeit bei Luxusfahrzeugen das Image von Exklusivität und löst beim Besteller Vorfreude aus. Das stundenlange Anstehen, um Tickets für ein Konzert einer umschwärmten Rockband zu erlangen, führt bei den Wartenden nicht selten zu einem Bewußtsein, einer besonderen Gemeinschaft anzugehören. Zu einer Zeit, in der der Zeitwettbewerb noch ohne Bedeutung war, bemerkte Goethe, daß die Postkutschen zu schnell führen, als daß man eine Landschaft wirklich wahr- und aufnehmen könne (vgl. Fülgraff, 1994, 51). Daß das Streben nach Langsamkeit und Bedächtigkeit eine Renaissance erlebt, kommt eindrucksvoll in der wachsenden Zahl von Anhängern einer Bewegung zum Ausdruck, die sich selbst als Zeitrebellen bezeichnen und dem „Reißwolf der Geschwindigkeit" (Barth, 1989) zu entkommen trachten. Der

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Umstand, daß eine solche Denkhaltung nicht allein Schwärmern eigen ist, sondern tiefgreifende ökonomische Konsequenzen haben kann, läßt es geraten erscheinen, darüber nicht lediglich zu lächeln.

2.2 Das Timing von Maßnahmen Häufig ist für den Erfolg einer Maßnahme weniger wichtig, mit welcher Geschwindigkeit, sondern vielmehr wann genau diese erbracht wird. Dies mußte auch Volkswagen erfahren, als es 1994 die Produktion des damaligen VW-Polos lange vor der Verfügbarkeit des Nachfolgemodells einstellte. Das Malheur führte in einigen Ländern zu beträchtlichen Marktanteilsverlusten. Das Timing von Maßnahmen läßt sich vor allem durch Kommunikations- und Informationstechnologie verbessern, allen voran durch Database-Marketing, das eine Ansprache der Kunden bei Eintreten von Bedarf erlaubt. Diesen Vorteil macht sich z.B. das japanische Handelsunternehmen Daiichi zunutze (vgl. Stalk/Webber, 1993, 96 f.). Kurz vor Ablauf der für alle Produkte gewährten dreijährigen Garantiefrist setzt sich ein Mitarbeiter des Unternehmens mit dem Käufer in Verbindung, um diesem eine kostenlose technische Überprüfung des erworbenen Gerätes anzubieten. Willigt letzterer ein, erhält er kurz darauf Besuch von einem Techniker, der sich bei dieser Gelegenheit auch die übrigen im Haushalt befindlichen Geräte ansieht. Es nimmt nicht wunder, daß sich der Kunde kurz danach mit Angeboten bezüglich solcher Güter konfrontiert sieht, die der Erneuerung bedürfen. Auch der Einsatz von Scannertechnologie bzw. eines hierauf basierenden Warenwirtschaftssystems trägt dazu bei, die Wahrscheinlichkeit der Wahl eines günstigen Augenblickes für Marketing-Maßnahmen zu erhöhen. So registriert man beispielsweise in den japanischen Filialen der Handelskette Seven-Eleven die im Tagesverlauf schwankenden Fast-Food-Bedürfiiisse und stellt sich dank eines ausgefeilten Logistiksystems bewußt darauf ein (vgl. Gerling, 1996, 10 f.). Davon profitiert zudem die Personaleinsatzplanung. Technischer Unterstützung bedarf auch die Just in time-Belieferung; denn ein systemgerechter, reibungsloser Material- und Informationsfluß stellt eine Conditio sine qua non für deren erfolgreiche Durchführung dar. Das Ausmaß des Erfolges dieses vor allem in der Automobilbranche verbreiteten Konzeptes hängt dabei davon ab, inwieweit es einem Zulieferer gelingt, just zum Zeitpunkt des Kundenbedarfs Waren in richtiger Qualität und Quantität vor Ort für die sich anschließende Weiterverarbeitung bereitzustellen. Nur bei Erfüllung dieser Voraussetzungen kommt der Abnehmer der Güter in den Genuß einer Senkung der Lagerbestände sowie einer Reduktion der Durchlaufzeit. Auch hier öffnet sich also nur für einen kurzen Zeitraum ein "Strategisches Fenster" (vgl. Abell, 1978). Bedenklich erscheint die Just in time-Belieferung allerdings in ökologischer Hinsicht; denn das Streben der Hersteller nach niedrigen Lagerbeständen bedingt eine hohe Lieferfrequenz. Da jeweils nur kleine Losgößen befördert werden, erweist sich der unter Um-

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weltgesichtspunkten vorteilhafte Transport per Bahn im Vergleich zu dem auf der Straße als die wirtschaftlich schlechtere Alternative (vgl. Miller, 1991, 212 f.). Eher auf Flexibilität, Aktualität und Schnelligkeit zielt in zeitlicher Hinsicht das namensverwandte Just in time-Publishing ab (vgl. hierzu Ohlwein/Schellhase, 1996, 82 f.). Dieses von McGraw-Hill, R R. Donnelley & Sons Co. und Eastman Kodak im Frühjahr 1990 in den USA eingeführte Verfahren ermöglicht Verlagen eine individuelle, spezifischen Erfordernissen von Dozenten Rechnung tragende Produktion von Lehrbüchern. Letztere können bei Zusammenstellung eines eigenen Buches neben einer vom Verlag verwalteten Datenbank, die eine Fülle von Zeitschriftenartikeln, Abschnitten oder Kapiteln aus Lehrbüchern etc. enthält, auch auf eigene, aktuelle Materialien zurückgreifen. Sie profitieren dank schneller Produktion und direktem Vertrieb zudem beispielsweise von der Verfügbarkeit einer Auflage in Kursstärke innerhalb von fünf bis zehn Tagen. Deutsche Verlage hingegen benötigen für die Transformation eines fertigen Manuskripts in ein marktfähiges Buch leicht bis zu acht Monate. Das vor allem von Flug- und Hotelgesellschaften betriebene Yield-Management dient der Steigerung der Auslastung vorhandener Anlagen, um dadurch zusätzliche Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Wenn sich z.B. abzeichnet, daß weniger "Normalzahler" als erhofft einen bestimmten Flug gebucht haben, stockt das betroffene Unternehmen das Kontingent für "Billigflieger" auf. Bei dieser Verschiebung imaginärer Trennwände kommt es ganz entscheidend darauf an, weder zu früh noch zu spät am Markt zu agieren, um so möglichst hohe Deckungsbeiträge zu erzielen.

2.3 Die Zeit als Ersatzvariable für Kundenpflege Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit bedarf eines Umdenkens der Unternehmen von der Transaktions- zur Beziehungsorientierung, was dem Phänomen automatisch eine zeitliche Dimension verleiht. Bei einer etablierten Beziehung zu einem Abnehmer bewegen sich Werbeaufwand und Transaktionskosten auf einem deutlich niedrigeren Niveau als bei der ständigen Gewinnung von neuen Abnehmern (vgl. Dichtl/Peter, 1996, 15 f.). Zusätzlich profitiert ein Unternehmen, dem es gelingt, Kundenloyalität zu erzielen, häufig neben einer besseren Kenntnis seiner Klientel von positiver Mund-zu-Mund-Werbung und einer im Zeitablauf auch wertmäßig wachsenden Zahl an Wiederkäufen (vgl. Reichheld/Sasser, 1993, 313). Abbildung 3 spiegelt die Zunahme des Wertes eines Kundens für ein Kreditkartenunternehmen in Abhängigkeit von der Zeit wider. Neuere Konzepte wie das von der Boston Consulting Group propagierte Segment of one-Management erheben ob derartiger Vorteile die Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung zum Credo (vgl. dazu Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, 1997, 85). So wird jeder Kunde als ein Segment für sich betrachtet, und zwar im Sinne einer „Sache fürs Leben".

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Abb. 3: Kundenwert im Zeitablauf am Beispiel eines Kreditkartenunternehmens Quelle: in Anlehnung an Reichheld/Sasser, 1993, 314. Es geht dabei z.B. nicht nur um den nächsten und übernächsten Kauf von Windeln, den eine Mutter tätigt, sondern um das gesamte Geschäftsvolumen, das von der Geburt bis zu jenem Zeitpunkt zustande kommt, da das Baby „aus den Windeln" ist. Man gelangt dabei leicht zu Beträgen in der Größenordnung von mehreren Tausend DM. Wenn jemand gar einer Automarke ein Leben lang treu bleibt, bringt er es beispielsweise bei 10 Fahrzeugen durchaus auf 300.000 D M (zu konstanten Preisen), die er dem Hersteller „wert" ist. Die Beispiele belegen, daß es sich lohnt, die langfristige über die kurzfristige Perspektive zu stellen, die im Marketing immer noch vorherrscht. Maßnahmen der Kundenbindung können ökonomischer, sozialer, technischer und juristischer Natur sein (vgl. dazu Nieschlag/Dichtl/Hörschgen, 1997, 125 f.). Deutlich auf finanzielle Anreize ausgelegt ist beispielsweise das Programm „Miles & More" der Deutschen Lufthansa, mit dem diese Vielflieger durch Gratisflüge oder andere Vergünstigungen bei der Stange zu halten trachtet. Dagegen zielt die Schaffung bzw. Unterhaltung eines Kundenclubs eher auf eine emotionale Verbundenheit der Klientel mit dem Unternehmen. Eine Abwanderung von Abnehmern zur Konkurrenz wird oft auch mittels technischer Vorkehrungen wie z.B. der Einführung von Baukastensystemen verhindert. Der juristische Weg schließlich konkretisiert sich in Verträgen, die Geschäftspartner auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen für einige Zeit aneinanderschmieden.

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Die Zeitlosigkeit des Optimalitätsstrebens als Illusion

Finanzierungs-, Investitions-, Marketingtheorie und andere Disziplinen der Betriebswirtschaftslehre leiten ihre Daseinsberechtigung davon ab, daß sie die Wirklichkeit einfangen und beschreiben, Ursache-Wirkung-Beziehungen aufdecken und zeigen, wie sich bestimmte Probleme am zweckmäßigsten lösen lassen. Kein Teilbereich ist insbesondere auf das letztgenannte Anliegen so fixiert wie das Operations Research (vgl. Dichtl,

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1995a, 7). Hier wird permanent optimiert, wobei weniger der Weg zum Ziel als die Dimensionen des Ergebnisses zählen. Immer häufiger erweist sich dieses Bemühen freilich als fruchtloses Unterfangen. Noch während einer Maschine der letzte Schliff gegeben wird, arbeiten deren Konstrukteure schon am Folgemodell, das noch besser werden wird. Der Preis, den man heute für goldrichtig hält, muß morgen geändert werden, weil ihn ein maßgeblicher Wettbewerber unterbietet. Die vermeintlich vorbildliche Organisation des Produktionsprozesses bricht zusammen, sobald die Nachfrage eine ganz andere Erzeugnisstruktur verlangt. Der Glaube, ein Problem, das sich im Wirtschaftsalltag stellt, ein für allemal und gar noch „bestmöglich" bewältigen zu können, entpuppt sich als Illusion. Nichts ist auf Dauer optimal. Der Qualitätsstandard, den wir an einem Tag erreichen, muß bereits am nächsten übertroffen werden. Und die Kostensenkung, die unter größten Anstrengungen erzielt wurde, reicht noch immer nicht für die Erhaltung unserer Wettbewerbsfähigkeit aus. Angesichts des immer rascheren technologischen Wandels, der permanenten Veränderung der Umweltbedingungen, denen Unternehmen unterliegen, und der Ausweitung der Märkte auf der einen, der unablässigen Anhebung des Ausbildungsniveaus der Mitarbeiter und der Revolutionierung des Informationswesens auf der anderen Seite ist die Zeit für ein Umdenken reif: weg von der Zeitpunkt-, hin zur Zeitraumbezogenheit, weg von der Ergebnis-, hin zur Prozeßorientierung. Nicht daß man sich nicht länger für Optima interessierte, doch können diese nur Peilpunkte verkörpern, die, noch ehe man sie erreicht, durch neue ersetzt werden. Es geht somit nicht darum, einmal oder ab und zu Höchstleistungen zu erbringen, sondern darum, Flexibilität zu gewährleisten und im übrigen dafür zu sorgen, daß sich kein Mitarbeiter jemals mit dem Erreichten zufriedengibt. Im Gefolge des angedeuteten Perspektivenwechsels kam es zu Phänomenen wie Total Quality Management, Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß und Benchmarking. Alle Methoden sind vorgangsbezogen und zeichnen sich dadurch aus, daß jeder einzelne Mitarbeiter in die Pflicht genommen wird. Dadurch werden Verharren durch Überwinden, Teilnahmslosigkeit durch Betroffenheit, fehlender Einsatz durch Engagement ersetzt. Gleichzeitig wird bei jedem Betroffenen das Bewußtsein um die Zeitgebundenheit und die Kostenträchtigkeit von Prozessen geschärft. Nirgends indessen kommt das Prozeßhafte so deutlich zum Ausdruck wie beim Monitoring. Wörtlich übersetzt bedeutet dies: abhören, überwachen, am Ball bleiben. Wer sich dazu nicht geeigneter Instrumente bedienen kann, erkennt nicht, wann im Wettbewerb die Seiten gewechselt werden und ab welchem Zeitpunkt in die jeweils andere Richtung gespielt wird. Ein Unternehmen, das sich so verhält, verläßt sich auf seine Fortune und fordert sein Schicksal heraus.

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Innovatives Risikomanagement zwischen finanzwirtschaftlicher Finalität und bilanzieller Kausalität von Wolfgang Eisele

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Unternehmensstrategie: Risikoabsicherung*

Vor allem die erhöhten Volatilitäten auf den Märkten der Finanzprodukte sind als Hauptursache für die gestiegene Bedeutung eines institutionalisierten Management finanzieller Risiken auszumachen. Damit korrespondiert der in den letzten Jahren stark gewachsene Bedarf an einem Instrumentarium, das eine nach individuellen Erwartungen und spezifischen Risikopräferenzen zielgerichtete Übernahme bzw. Kompensation von Risiken zuläßt. Insbesondere die als Finanzinnovationen gekennzeichneten Derivate, und darunter vor allem die Handelsobjekte Futures, Optionen und Swaps, weisen für den Zeitraum von 1990 bis 1994 Wachstumsraten von bis zu knapp 300% auf (vgl. BIZ, 1995, 201). Dreiviertel aller international agierenden Industrieunternehmen setzen heute Finanzinnovationen zur Risikosteuerung ein (vgl. Price Waterhouse, 1995, 2). Derivate dienen der Optimierung der Risiko-Rendite-Beziehung durch gezielte Disposition von Risikopositionen; ihr Einsatz kann daher auch als strategische Option zur Sicherung langfristiger Ertragserzielung verstanden werden. Das eröffnet zugleich eine spezielle Dimension der Umsetzung finanzieller Unternehmensstrategien. Zentrales Anliegen eines strategisch ausgerichteten Derivateneinsatzes ist bei Nichtbanken das Ziel der Risikokompensation (Hedging). Die marktpreisrisikobezogenen Geschäfte der Industrieunternehmen (Devisenkurs-, Zins-, Rohstoffpreisrisiko) sind fast ausschließlich Sicherungsgeschäfte. Dies belegen aktuelle Untersuchungen der größten Unternehmen (ohne Kreditinstitute) in Deutschland (vgl. Gebhardt, 1995, 612; 1997, 391). Demgegenüber gehen international nur etwa 1 % der großen Unternehmen gezielt handelsgeschäftliche Risikopositionen ein, die unabhängig von den zugrundeliegenden Geschäftsrisiken sind (vgl. Price Waterhouse, 1995, 8). Somit trägt die überwiegende Mehrzahl der Industrieunternehmen der durch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz erhobenen Forderung Rechnung, Derivate grundsätzlich nur mit der Zielsetzung der Risikoabsicherung einzusetzen (vgl. Höfner/Klein, 1995, 173). Gleichwohl hat die dementsprechend avisierte Verwendung derivativer Instrumente durch unsachgemäßen Einsatz in einigen prominenten Fällen (z.B. Metallgesellschaft, Balsam, Sumitomo) zu existenzbedrohenden Verlusten geführt, die das Vertrauen in die Eignung dieser Finanzinstrumente zur Risikoreduktion spürbar erschüttert haben. Global wird in diesem Meinem Mitarbeiter, Herrn Dipl.-Kfm. U. Wolff, danke ich sehr für die Unterstützung bei der Anfertigung dieses Beitrags.

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Zusammenhang zudem immer wieder vor den möglichen Schocks gewarnt, denen sich die internationalen Kapitalmärkte der hochgezüchteten Derivativprodukte (Derivate von Derivaten) wegen trotz aller Anstrengungen zur Verbesserung interner wie externer Kontrollsysteme ausgesetzt sehen. Derivate sind per se nicht risikoträchtiger einzustufen als die ihnen zugrunde liegenden originären Finanzinstrumente (Kassaposition; Primärposition) selbst; sie repräsentieren unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein geringeres Risikopotential. Das setzt allerdings den sachgemäß-kontrollierten Umgang mit denselben voraus, was zugleich den Blick dafür schärft, daß die Produktinnovation „Derivat" nicht nur eine gezielte Risikosteuerung zuläßt, sondern zwingend der begleitenden Prozeßinnovation bedarf, die ein solides Risikomanagement mittels Risikocontrolling fordert (vgl. dazu auch Höfner/Klein, 1995, 191).1 Damit wendet sich die Diskussion zugleich dem eigentlichen Kern der Problematik zu: Derivative Instrumente dürfen nicht isoliert betrachtet werden, vielmehr ist ihr ziel- und sachgerechter Einsatz in das Zentrum des Interesses und der Beurteilung zu stellen. Und in der Tat findet sich gerade auf diesem Gebiet ein nach wie vor beträchtlicher Handlungsbedarf, wie nicht nur durch die spektakulären Fälle aufgedeckten Risiko-Mißmanagement der jüngeren Vergangenheit belegt wird. Vielmehr kennzeichnet auch die Tatsache, daß noch nicht einmal die Hälfte der Unternehmen, die Derivate einsetzen, über ein anerkanntes Kontrollsystem verfugen, und etwa ein Drittel der Unternehmen gar auf selbstentwickelte Tabellenkalkulationen vertraut (vgl. o.V., 1996, 17), den offenbar eklatanten Nachholbedarf („ein auffälliges Defizit", Bea, 1997, 44) auf dem Gebiet des Risikomanagement.2 Für die Praxis ist demnach derzeit eine als unzureichend zu kennzeichnende Vorsorge gegenüber den Anforderungen einer finanzwirtschaftlichen Risikoabsicherung zu konstatieren. Im folgenden soll daher untersucht werden, wie ein solches, auf Absicherung bestehender oder geplanter Positionen ausgerichtetes Risikomanagement aufgebaut sein sollte und welche Informationsbedürfnisse externer wie interner Adressaten in diesem Kontext zu befriedigen sind. Besonderes Augenmerk wird dabei der Zusammenhang zwischen finanzorientiertem Risikomanagement und externer Rechnungslegung erfahren, da Konflikte zwischen der auf intern-finale Informationsbedürfnisse zugeschnittenen finanzwirtschaftlichen Betrachtungsweise und der den rechtlichen Rahmenbedingungen verpflichteten bilanziell-kausalen Sichtweise anzunehmen sind. Eine dergestalt vermutete Beeinträchtigung eines sachgerechten Risikomanagement durch die spezifisch deutschen Rechnungslegungs-

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In die gleiche Richtung zielt die aktuelle aufsichtsrechtliche Diskussion als Reaktion auf die in den letzten Jahren so stürmisch verlaufene Entwicklung der gehandelten Derivatvolumen: Durch eine sinngemäße Anwendung der Mindestanforderungen des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen (BÄK) vom 23.10.1995 wird auf dem Wege der Deduktion von Grundsätzen ordnungsmäßigen Devisen- und Derivativmanagements versucht, die Anforderungen an ein Derivativmanagement bei Industrieunternehmen zu definieren (vgl. dazu: C&L Deutsche Revision, 1996, 16). Der diesbezügliche Nachholbedarf wird auch durch den am 26. November 1996 vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) bestätigt: Durch Änderung des § 93 Abs. 1 AktG verpflichtet dieser die Vorstandsmitglieder zur Einrichtung eines der Abschlußprüfung zu unterwerfenden internen Kontrollsystems zur Früherkennung und Überwachung risikobehafteter Geschäfte.

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normen wird zudem in jüngster Zeit auch in der amerikanischen Literatur, angeregt durch die fallierenden Hedging-Aktivitäten der Metallgesellschaft, diskutiert (vgl. Culp/Miller, 1995, 12).

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Finanzwirtschaftliche Konzeption

2.1 Merkmalsausprägungen Zur Beschreibung eines innovativen, auf derivative Finanzinstrumente bezogenen Risikomanagement ist es zunächst erforderlich, dessen kennzeichnende Merkmale herauszuarbeiten, um eine Abgrenzung gegenüber dem traditionellen Umgang mit finanziellen Risiken zu erreichen. Ursache einer veränderten Einstellung zum Risiko ist zunächst die ausgeprägte Dynamik, welche die Entwicklung an den internationalen Finanzmärkten der letzten Jahre kennzeichnet und das Geschäftsumfeld für Unternehmen vor allem einem gewachsenen Risikogehalt überantwortet. Steigende Volumina und erhöhte Volatilitäten, zurückgehende Margen und sinkende Reaktionszeiten haben die Komplexität risikobedingten Handelns in einem Maße erhöht, daß nur entsprechend dimensionierte Management-InformationsSysteme, welche zeitnah anfallende Informationen aufbereiten und zu Entscheidungsparametern verdichten, zur Problembewältigung taugen. Risikomanagement ist folglich als Prozeß zu verstehen, der mit angepaßter Methodik Risiken steuert und gleichzeitig kontrolliert. Definiert man Finanzinnovationen als „neue, bisher an den Geld-, Kredit- und Kapitalmärkten ... nicht verfugbare Anlage- oder Finanzierungsinstrumente, Märkte oder Prozesse" (Tebroke, 1995, Sp. 711), so ist modernes Risikomanagement als Prozeßinnovation zu charakterisieren.3 Andererseits ist aber gerade ein solches, prozeßgeleitetes Informationssystem nicht ohne die wesentlichen Neuerungen im Bereich der theoretischen Bewertung finanzieller Instrumente (z.B. Optionspreistheorie) denkbar. Aufbauend auf derartigen Bewertungsmodellen, die ebenfalls als Finanzinnovationen zu kennzeichnen sind (vgl. Ramsler, 1993, 430), ist es die Aufgabe des Risikomanagement, neuartige Verfahren der aggregierten Risikoquantifizierung zu entwerfen, welche die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen überhaupt erst ermöglichen. Insofern kann Risikomanagement auch als Bewertungsinnovation bezeichnet werden. Die systematische Steuerung der finanziellen Risikoposition soll daher im folgenden aus diesen beiden Blickwinkeln heraus betrachtet werden.

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Der Begriff „Innovation" ist im finanziellen Sektor bisher nicht allgemeingültig abgegrenzt. So werden beispielsweise auch die seit langem bekannten Termingeschäfte (z.B. „Futures") allgemein als Finanzinnovationen bezeichnet. Ebenso kann der Innovationscharakter in der Kombination oder Separation bekannter Instrumente, Märkte oder Prozesse liegen.

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2.2

Risikomanagement als Prozeßinnovation

Prozeßanalyse verlangt zunächst nach phasentypischer Kennzeichnung und Abgrenzung einzelner Prozeßelemente. So setzt ein effizientes Risikomanagement zunächst eine präzise Identifikation der vorhandenen Risiken voraus, wobei stets eine vollständige Dokumentation aller Positionen sowohl im Bereich herkömmlicher Finanztitel als auch derivativer Instrumente zugrunde liegen muß. Daran anschließend sind diese finanziellen Risiken zu quantifizieren (Risikomessung, -bewertung), um auf diese Weise die notwendige Voraussetzung für eine rationale Steuerung und Kontrolle der Risiken zu schaffen. Die Literatur verwendet im Rahmen der Risikoidentifikation verschiedene Klassifikationen, um finanzwirtschaftliche Risiken zu systematisieren. Häufig werden diese inhaltlich den folgenden Risikoarten zugeordnet (vgl. Buschmann, 1992, 723): Marktrisiko, betriebliches Risiko und Erfüllungsrisiko. Unter Erfüllungsrisiko ist die Gefahr des Ausfalls des Marktpartners zu verstehen, wobei üblicherweise weiter differenziert wird nach Bonitäts- und Länderrisiko. Auf eine eingehendere Strukturierung dieser Risikoart soll allerdings an dieser Stelle ebenso verzichtet werden wie auf die genaue Beschreibung des betrieblichen Risikos, welches insbesondere organisatorische oder technische Gefahren, aber auch rechtliche oder steuerliche Risiken einbezieht Im folgenden wird ausschließlich das Marktrisiko als Ausdruck für die Gefahr schwankender Marktparameter zum Betrachtungsgegenstand gemacht. Relevante Parameter stellen in diesem Kontext insbesondere Änderungen der Zinsen (Zinsänderungsrisiko), der Wechselkurse (Währungsrisiko) oder der sonstigen Preise (Aktienkurse, Rohstoffpreise etc.) dar. Aufgabe der Risikoidentifikation ist somit die Dokumentation spezifischer Informationen bezüglich der Risikobeschreibung einzelner Finanzinstrumente oder spezieller Marktsegmente.4 Dabei ist auf die genaue Beschreibung der Einsatzmöglichkeiten eines Instruments ebenso Wert zu legen wie auf die Festlegung der wirksamen Marktparameter oder die Aufzeichnung spezifischer Besonderheiten, wie z.B. spezieller Abwicklungsmodalitäten, zu achten ist (vgl. Scharpf/Epperlein, 1995, 213). In der Phase der Risikoidentifikation ist daraufhin festzulegen, welche Risiken verstärkt zu untersuchen sind und welche aufgrund ihrer eher geringen Bedeutung vernachlässigt werden können. Wesentliche weitere Aufgabe im Rahmen der Risikoidentifikation ist schließlich die Definition und verbindliche Zuordnung von Verantwortlichkeiten. Hierzu ist insbesondere zu klären, welche Instanz die Verantwortung für den Handel, die Abwicklung, die Risikoüberwachung und die Festlegung von Limiten innehat (vgl. Buschmann, 1992, 724). Die Risikoidentifikation insgesamt ist demnach „keine einmalige, sondern eine dauernde prozeßbegleitende Aufgabe" (Scharpf/Epperlein, 1995, 212), da ständig neue Risiken auftreten oder zunächst als vernachlässigbar angenommene Risiken virulent werden können. Auf einer genauen Festlegung der relevanten Risiken aufbauend sind diese im Rahmen der Risikoquantifizierung näher zu analysieren, um eine Vergleichbarkeit zwischen den 4

Die Bedeutung der Dokumentation als Voraussetzung der Prüfbarkeit zu etablierender Überwachungssysteme wird auch in der Stellungnahme des IDW zum Referentenentwurf eines KonTraG deutlich (vgl. IDW, 1997, 5).

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verschiedenen Positionen herstellen zu können. Zudem ist eine objektive Bewertung der Risiken notwendig, um die Relation zwischen eingegangenem Risiko und erwartetem Ertrag fixieren zu können (vgl. Buschmann, 1992, 724). Die Quantifizierung erfolgt dabei im Rahmen einer modellgestützten Erwartungswertberechnung, da die Bewertung von Risikopositionen stets von zukünftigen Entwicklungen und somit von unsicheren Daten abhängig ist.5 Die Objektivität der Bewertung hängt damit wesentlich von dem zugrundeliegenden Modell ab, das stets auf seine Aktualität hin zu prüfen und ggf. zu überarbeiten ist. Die Risikosteuerung hat schließlich die Aufgabe, „erkannte und bewertete Risiken im Einklang mit der Geschäftspolitik und der Risikostrategie zu vermeiden, zu minimieren oder zu reduzieren" (Scharpf/Epperlein, 1995, 219). Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Festlegung von Risikolimiten zu, deren Überschreitung entsprechende Gegenmaßnahmen auslöst, wie beispielsweise die Glattstellung einer Position oder den Abschluß weiterer Sicherungsgeschäfte. Die Veränderung einer einzelnen Position durch Risikokompensation wird als Mikro-Hedging, die Absicherung eines Portfolios mehrerer Finanzinstrumente als Makro-Hedging bezeichnet (vgl. dazu unter 3.3 .2). Die Entscheidung zwischen Mikro-Hedging durch geschlossene Einzelpositionen und MakroHedging, das instrumenten-, laufzeit- oder währungsübergreifend ausgelegt sein kann, erfolgt dabei in Abhängigkeit vom Umfang der Finanztransaktionen (vgl. Baxmann/W eichsler, 1993, 13). Die Einhaltung der vorgegebenen Risikolimite ist im Rahmen einer strikten Funktionstrennung zwischen handelnden und beurteilenden Personen (Risiko-Controller) zu überprüfen. Dabei ist vor allem auf die fachliche Qualifikation aller beteiligten Stellen besonderer Wert zu legen. Darüber hinaus sind konkrete Verfahren der Überwachung und Kontrolle zu definieren. So werden im Rahmen der Ergebniskontrolle die ermittelten Risiken, die sich nach dem Ergreifen von Steuerungsmaßnahmen ergeben haben, mit Sollvorgaben verglichen (vgl. Bea/Haas, 1995, 203). Weiterhin sollte eine derartige Ergebniskontrolle durch Gegenüberstellung von erreichter und angestrebter Performance ergänzt werden. Angesichts der dynamischen Marktentwicklung im Bereich der Finanzinstrumente und der Innovationen bedarf Risikomessung zusätzlich regelmäßig der Verfahrenskontrolle. Diese kann sich auf alle im Prozeß des Risikomanagement angewandten Vorgehensweisen beziehen. So ist der Prozeß der Dokumentation durchgeführter Geschäfte ebenso Gegenstand der Verfahrenskontrollen wie beispielsweise die eingesetzten Bewertungsmodelle und die diesen zugrundeliegenden Daten und Parameter. Nur auf Basis eines dergestalt durchgängigen Risikomanagementprozesses können derivative Finanzinstrumente dazu verhelfen, die strategischen Chancen zu nutzen, die in der Gestaltung der betrieblichen Risikoposition liegen. Die Komplexität der Aufgaben und insbesondere die Dynamik der zu beobachtenden Marktparameter erfordern dabei ein systematisches und zeitnahes Vorgehen. In Verbindung mit einer adäquaten Ausbildung

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Auf geeignete Methoden, die einer weitgehenden Annäherung an das Ziel der Objektivität dienen, wird im Rahmen der Untersuchung der Bewertungsinnovationen eingegangen (Abschnitt 2.3).

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der verantwortlichen Mitarbeiter stellt ein solcher Prozeß des Risikomanagement die notwendige Voraussetzung für eine zielgerichtete Risikopolitik dar.

2.3 Risikomanagement als Bewertungsinnovation Die vollständige Quantifizierung von Transaktionsergebnissen und Marktrisiken setzt zunächst eine korrekte und vollständige Bestandsführung sämtlicher Positionen voraus. Daraufhin sind diese Positionen mittels adäquater, innovativer Verfahren zu bewerten, um schließlich eine sachgerechte Herleitung der Risikoposition zu ermöglichen. Ausgangspunkt der Quantifizierung von finanziellen Risiken ist dabei regelmäßig die Marktbewertung. Kennzeichnendes Merkmal der als Bewertungsinnovationen zu bezeichnenden Quantifizierungsmethoden ist insbesondere die Aggregation mehrerer Finanzinstrumente zu einer Hedge-Position, wie sie im Rahmen der Risikokompensation notwendig ist. (1) Marktbewertung. Das finanzwirtschaftlich orientierte Risikomanagement ist „im Gegensatz zu dem für das externe Rechnungswesen typischen Nominalwertprinzip" am Marktwertansatz orientiert (Rudolph, 1993, 123). Dieser erscheint zum Zwecke einer effizienten Kontrolle der finanziellen Positionen zwingend, da der den derivativen Instrumenten immanenten Preisdynamik nur durch eine kontinuierliche Bewertung entsprochen werden kann. Angesichts der Hebelwirkung derivativer Produkte ist zumindest eine tägliche Marktbewertung vorzunehmen, wobei eine Bewertung in Echtzeit anzustreben ist (vgl. Scharpf/Epperlein, 1995, 217). Folgerichtig sind somit alle Positionen einschließlich der in einem Sicherungszusammenhang stehenden - der Marktbewertung zu unterziehen. Um die Grundlage für eine realitätsnahe Quantifizierung der Marktpreisrisiken zu schaffen, sind auch diejenigen Instrumente, für die keine ausreichend aussagefähigen Marktpreise vorliegen, möglichst marktgerecht zu bewerten. Dies können sowohl die außerbörslichen Over-the-Counter- (OTC-) Produkte sein, wie auch Finanzinstrumente, deren Marktliquidität nicht ausreicht, um gegebenenfalls eine Eindeckung oder einen Verkauf ohne maßgebliche Beeinflussung des Preises zu gewährleisten.6 Um hier möglichst objektive Werte zu ermitteln, muß auf konsistente und einheitliche Verfahren der modellgestützten Bewertung (Marking-to-Model) zurückgegriffen werden. Theoretischer Hintergrund dieser Modelle ist dabei das Barwertkonzept, das durch Abzinsen der zukünftigen Zahlungen auf den Bewertungszeitpunkt marktnahe Werte der Finanzinstrumente ableitet. Durch die Verwendung einheitlicher Marktparameter (Zinsstrukturkurven, Volatilitäten etc.) und anerkannter, laufend auf ihre Signifikanz hin überprüfter Modelle (Asset Pricing Models) kann eine weitgehende, gleichwohl jedoch keineswegs vollkommene Objektivität hergeleitet werden. So existieren beispielsweise im Bereich der Optionspreisbe6

Die Marktliquidität ist dabei stets in Relation zur Marktmacht der absichernden Institution zu sehen. So können umfangreiche Transaktionen großer Unternehmungen selbst in äußerst liquiden Märkten kurzfristig zu außerordentlichen Kursbewegungen fuhren.

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Stimmung verschiedene Modelle (eine Übersicht gibt z.B. Buschmann, 1992, 725) zur Barwertbestimmung. Dabei sind die Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Bewertungsmodelle laufend empirisch zu testen, da die theoretisch ermittelten Preise erheblich von den Marktpreisen abweichen können.7 Diese Unsicherheit liegt schon darin begründet, daß im Bereich der Bewertung von Derivaten die zukünftigen Volatilitäten der zugrundeliegenden Instrumente eine wesentliche Rolle spielen. Naturgemäß kann aber aus Vergangenheitsdaten nicht ohne Einschränkung auf zukünftige Marktentwicklungen geschlossen werden. Es bleibt also festzuhalten: Notwendige Bedingung einer rationalen und objektiv nachvollziehbaren Überwachung von Finanzpositionen ist die zeitnahe Bewertung zu Marktpreisen. Da nicht für alle Instrumente eine hinreichende Marktbewertung möglich ist, sind Modellableitungen erforderlich, wenngleich deren Ergebnisse nur eine Annäherung an den Idealfall zeitgleicher Marktbewertung widerspiegeln können. Auf der Grundlage dieser Bewertungsergebnisse kann dann der Marktwert der gesamten finanziellen Position näherungsweise ermittelt und somit die Grundlage für die Bestimmung der Risikoposition geschaffen werden. (2) Risikomessung. Neben der täglichen Marktwertberechnung sind zur Risikoeinschätzung auch prospektive Marktwertänderungsrechnungen durchzufuhren, die zu einer Quantifizierung des potentiellen Risikos verhelfen. In der Regel erfolgt dies mittels wahrscheinlichkeitstheoretischer Szenarioanalysen, die auf der Grundlage historischer Daten Aussagen über mögliche zukünftige Verluste zulassen (vgl. Scharpf/Epperlein, 1995, 219). Zielsetzung dieser Analysen ist die Berechnung einer Kennzahl, die den mit hoher Wahrscheinlichkeit maximal eintretenden Verlust einer Position innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts angibt. Die Länge dieses Zeithorizonts, die häufig zwischen einem Tag und einer Woche gewählt wird, hängt dabei davon ab, wie schnell auf ungünstig verlaufende Entwicklungen absichernd reagiert werden kann. Eine solche, als „Value-at-Risk" (oder Money-at-Risk) bezeichnete Risikoberechnung setzt voraus, daß die relative Preisänderung der Risikoposition proportional zur Änderung des Marktrisikofaktors (z.B. Zinsen, Wechselkurse) ist. Diese Proportionalität kann dann durch die Sensitivität S als lineare Empfindlichkeit des Marktwertes V in Reaktion auf Veränderungen des zugrundeliegenden Marktrisikofaktors F ausgedrückt werden. Die Risikokennzahl ergibt sich somit aus dem Marktwert wie folgt: VaR = V • S • AF Zur Berechnung der zu prognostizierenden Veränderung des Marktrisikofaktors (AF) innerhalb des festgelegten Zeithorizonts wird auf dessen vergangene Volatilität zurück7

Die Modellbildung wird durch einige weitgehend unerforschte Zusammenhänge zusätzlich erschwert. So werden derzeit üblicherweise die Preise von Derivaten aus den Marktpreisen der Underlyings und ihrer Einflußfaktoren abgeleitet. Eine eventuelle Rückkopplung zwischen Preisbewegung des Derivats und des Underlying wurde dagegen bisher kaum untersucht, obwohl diese angesichts der Volumina der gehandelten Derivate durchaus anzunehmen ist.

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gegriffen. Dabei besteht neben der zwangsläufigen Prognoseunsicherheit auch Ungewißheit darüber, welche Bezugsperiode (Stützperiode) zur Bestimmung der zukünftigen Streuung heranzuziehen ist. Es sollte in Abhängigkeit von dem gewählten Zeithorizont eine mittlere Stützperiode von etwa einem halben Jahr gewählt werden, da bei sehr langen Stützperioden (> 2 Jahre) systematische Änderungen des Marktrisikos erst verspätet erkannt (vgl. hierzu z.B. Bürger, 1995, 247) und bei sehr kurzen Stützperioden (30 Tage) eventuell auftretende kurzfristige Schwankungen der Volatilität überinterpretiert werden. Um zu erreichen, daß sich der Marktrisikofaktor mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger verändert als angenommen und somit maximal der berechnete Verlust eintritt, ist die zu erwartende Streuung mit einem Faktor a zu multiplizieren. Zum Beispiel ist - unter Annahme einer Normalverteilung - bezüglich des zu verwendenden Streuungsparameters CT bei einem angestrebten Konfidenzniveau von 99% ein Faktor a = 2,326 zu wählen (vgl. zur Anwendung der Normalverteilung z.B. Bamberg/Baur, 1996, 108 ff.; Deutsch, 1996, 129). Es ergibt sich in diesem Fall also für die maximal zu erwartende Veränderung des Marktrisikofaktors: AF = 2,326 CT. Unabhängig davon, daß die als „hoch" definierte Wahrscheinlichkeit des NichtÜberschreitens des ermittelten Maximalverlusts theoretisch nicht genau bestimmbar ist, sollte in der Praxis zumindest ein Faktor a = 2, der ein Konfidenzniveau von über 97,5% gewährleistet, eingehalten werden. Jedenfalls verbleibt aber eine gewisse Irrtumswahrscheinlichkeit, daß der tatsächliche Verlust gleichwohl die gemäß Value-at-Risk-Konzept prognostizierte Kennzahl übersteigt. Zur Bestimmung der möglichen negativen Änderung des Marktwertes einer finanziellen Position ist aber nicht nur die Prognose der Änderung des Marktrisikofaktors, sondern auch die genaue Kenntnis der Sensitivität der Position notwendig. Es müssen also Modelle existieren, mit deren Hilfe der Wert einzelner Finanzinstrumente aus den diesen zugrundeliegenden Risikofaktoren hergeleitet werden kann. Umgekehrt bedeutet dies, daß Instrumente, für die keine Mechanismen zur Preisfindung bekannt sind, „als nicht verstanden gelten" müssen (Deutsch, 1996, 128) und daher nicht eingesetzt werden dürfen. Im relativ einfachen Fall der Sensitivitätsanalyse von Rentenpapieren, deren weitgehend sichere Zahlungsstruktur eine Berechnung der Zinsänderungssensitivität erleichtert, kann als Sensitivitätsmaß S die modifizierte Duration verwendet werden. Zur Berechnung der Sensitivitäten von Derivaten muß aufgrund der Unsicherheit der zu erwartenden Zahlungen auf Bewertungsmodelle zurückgegriffen werden, aus denen durch Simulation die Sensitivität prognostiziert wird. Insgesamt bildet das Value-at-Risk-Konzept die wesentliche Grundlage für die Steuerung von Marktpreisrisiken, indem auf der Basis statistischer Methoden die künftigen Änderungsrisiken quantitativ erfaßt werden können. Festzuhalten ist aber auch, daß nun in noch ausgeprägterer Weise als bereits bei der Marktwertbestimmung auf mathematische Modelle und Prognosemethoden zurückgegriffen werden muß, die zwar bestmögliche Ergebnisse herzuleiten ermöglichen, nicht aber exakte und objektiv begründbare Risikovolumina errechnen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch nochmals an die Unsicherheit bezüglich der Prognosequalität vergangener Volatilitäten, bezüglich der Wahl

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der Stützperiode, nach der diese Volatilitäten berechnet werden und bezüglich der vorauszusetzenden Kenntnis der Wirkung von Marktpreisänderungen der Risikofaktoren auf den Wert einzelner Finanzinstrumente. Insbesondere im Bereich der Wirkungsanalyse dieser Marktrisikofaktoren kann eine systematische Änderung der Marktsituation die Prognosequalität der Modelle nachhaltig beeinträchtigen. Durch eine stetige Überarbeitung der verwendeten Modelle im Hinblick auf ihre Aussageobjektivität im Vergleich zu den tatsächlich eingetretenen Wertschwankungen kann insgesamt eine optimale, wenngleich nicht uneingeschränkt exakte Risikomessung auf Basis des Value-at-Risk erfolgen.

2.4 Zielkonkurrenz Die innovativen Merkmale des finanzwirtschaftlichen Risikomanagement liegen insbesondere in der Kombination finanzwirtschaftlicher Methoden und Modelle. So verwendet die Prozeßinnovation Risikomanagement ebenso einzelne Bestandteile klassischer Risikopolitik wie auch die Bewertungsinnovation auf vorhandene Theorien und Bewertungsmodelle aufbaut. Und auch die hier vorgenommene Separation von „Prozeß" und „Bewertung" erweist sich als aufs engste verbunden und durch gegenseitige Beeinflussung gekennzeichnet. Somit werden qualitative und quantitative Merkmale im finanzwirtschaftlichen Risikomanagement integriert und bedingen damit gleichermaßen dessen Effizienz. Als Beispiel für eine solche unmittelbare Interdependenz zwischen qualitativen Faktoren und modellgestützten Berechnungen kann die im Rahmen der Risikomessung notwendige Festlegung des Zeithorizontes dienen, über dessen Dauer hinweg das potentiell eintretende Risiko errechnet werden soll. Es ist unmittelbar plausibel, daß eine Veränderung auf Tagesbasis zu einer deutlich geringeren Risikokennzahl fuhrt als eine mögliche Veränderung auf Basis einer Wochenfrist. Die Bestimmung dieses Zeithorizonts, für den das Risiko zu berechnen ist, hängt aber von der eher qualitativen Variablen des Ausbildungsstandes der beschäftigten Mitarbeiter ab, da diese innerhalb des festgelegten Zeitraumes für eine Absicherung sorgen müssen. Es besitzt also ein nicht uneingeschränkt objektiv meßbares Merkmal einen unmittelbaren Einfluß auf die quantitative Berechnung des Value-at-Risk. Dementsprechend existiert grundsätzlich kein objektiv „richtiges" Verfahren der Risikomessung mit theoretisch ermittelbaren „richtigen" Parameterfestlegungen, vielmehr können die zugrundegelegten statistischen und mathematischen Bewertungsmodelle nur dann optimal angewendet werden, wenn eine reibungsfreie Integration in den gesamten Prozeß des Risikomanagement gelingt. Festzuhalten bleibt somit auch, daß aufgrund dieser notwendigen Einbeziehung qualitativer Merkmale in die zunächst weitgehend quantitativ geprägten Modelle die Nachvollziehbarkeit und Objektivierbarkeit, die ohnehin aufgrund der Zukunftsorientierung schwer fällt, eingeschränkt ist. Die integrierte Konzeption des Risikomanagement ist daher regelmäßig sowohl in bezug auf quantitative wie auch qualitative Methoden anhand der erzielten Ergebnisse und der eingetretenen Entwicklung auf seine Prognosequalität hin zu prüfen und ständig zu verbessern. Ein letztendlich „richtiges" Konzept finanzwirtschaftlich orientierten Risiko-

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management kann es aufgrund der dynamischen und komplexen Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten somit allenfalls im Sinne eines steten Wandels geben. Angesichts dieser nur eingeschränkt erreichbaren Objektivität der ermittelbaren Risikomaße und der unabdingbaren Notwendigkeit der ständigen prozeßorientierten Überprüfung derselben steht innovatives finanzwirtschaftliches Risikomanagement naturgemäß im Gegensatz zu den Anforderungen der Rechnungslegung. Da die enge Verzahnung von prozessualer Auslegung und zukunftsorientierter Bewertung eine isolierte und nachvollziehbare Bewertung von Sicherungszusammenhängen nahezu unmöglich macht, ist ein Konflikt mit der vergangenheitsorientierten, dem Objektivierungspostulat verpflichteten bilanziellen Abbildung geradezu vorgegeben. Dementsprechend erweist sich die gegenwärtige „Diskrepanz zwischen finanzwirtschaftlichem Steuerungs-Know-how und handelsrechtlichen Bestimmungen" (Baxmann/Weichsler, 1993, 13) als eigenständiges Problem- und Konfliktfeld. Konflikte zwischen wirtschaftlicher Finalität und bilanzieller Kausalität sind bekanntlich nicht neu; diese können aber, falls gesetzliche Rechnungslegungserfordernisse im Gegensatz zu den Voraussetzungen eines rationalen Risikomanagement stehen, durchaus negative Folgen für die Problemadäquanz der betrieblichen Risikosteuerung haben. Angesichts der Bedeutung eines die finanzwirtschaftlichen Erfordernisse angemessen berücksichtigenden Risikomanagement wäre eine diese Anforderungen nicht aufgreifende Rechnungslegung allerdings äußerst kritisch zu beurteilen. Ausgehend von den Zielen der Rechnungslegung soll daher im folgenden der Konflikt zwischen den beiden konkurrierenden Betrachtungsweisen näher untersucht werden.

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Risikomanagement und Rechnungslegung

3.1 Rechnungslegungsziele Die allgemeinen Vorschriften, die den handelsrechtlichen Jahresabschluß betreffen, sind in den §§ 238-263 HGB niedergelegt. Danach sind alle Kaufleute i.S. des HGB verpflichtet, Geschäftsbücher nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) zu fuhren, anhand derer die Lage ihres Vermögens und die Lage des Unternehmens (§ 238 HGB) ersichtlich wird. Weiterhin ist für das Ende eines jeden Geschäftsjahres ein Jahresabschluß zu erstellen, der sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten zu enthalten hat (§ 246 Abs. 1 HGB). Insgesamt hat der Jahresabschluß der in § 264 Abs. 2 HGB festgelegten Generalnorm zu genügen, die „ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage" fordert. Eine solche Vorgabe ist naturgemäß nicht Selbstzweck, sondern „hat ausschließlich instrumentalen Charakter zur Erfüllung bestimmter Aufgaben, die sich aus den Anforderungen der Bilanzempfänger an die Bilanz herleiten" (Eisele, 1993, 306). Damit ist als Funktion des Jahresabschlusses insbesondere die Regelung von Informationsinteressen

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und Zahlungsbemessungsinteressen der Unternehmensbeteiligten festzustellen. Als Unternehmensbeteiligte werden dabei regelmäßig die Unternehmensführung, die Anteilseigner, die Gläubiger, der Fiskus, die Arbeitnehmer und die interessierte Öffentlichkeit angeführt. Angesichts der unterschiedlichen und teilweise sogar entgegengesetzten Interessen der Unternehmensbeteiligten läßt sich keine operationale Zielsetzung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses bestimmen, vielmehr soll ein Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen erreicht werden. Dieser beinhaltet insbesondere in bezug auf die Ermittlung des ausschüttungsfähigen Gewinns die Zielsetzung, den Schutz der Gläubiger mit den Rechten der Eigentümer in Einklang zu bringen. Jedenfalls kann aber die Norm des § 264 Abs. 2 HGB nicht zur Lösung dieses Zielkonflikts herangezogen werden, da einerseits die Auslegung der Begriffe „Ertrag" und „Vermögen" unpräzise erfolgt, andererseits der Verweis auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) eine Zirkeldefinition beinhaltet, indem diese wiederum von den Zwecken der Rechnungslegung abhängig sind (so auch Coenenberg, 1994, 10). Die angelsächsische Generalnorm des „True and Fair View" kann somit in Deutschland nicht als übergeordnetes Ziel angesehen werden; vielmehr besitzen weitere, dem Ziel des Gläubigerschutzes unmittelbar verpflichtete Normen zentrale Bedeutung. Dies wird bei den folgenden Überlegungen zu berücksichtigen sein.

3.2 Rechnungslegungspostulate Derivate erweisen sich „grundsätzlich als schwebende Geschäfte mit jeweils spezifischer Risikostruktur, weshalb sie auch als außer bilanzielle Geschäfte ... bezeichnet werden" (Eilenberger, 1995, 126). Diese Kennzeichnung darf allerdings nicht dahingehend mißverstanden werden, daß der Einsatz von Derivaten bilanzunwirksam sei; vielmehr kommt diesen Finanzinstrumenten zunehmend Bedeutung im Rahmen der Bilanzierung zu. Es existieren sowohl für die Bilanzierung einzelner Derivate als auch bezüglich der Abbildung von Sicherungszusammenhängen keine expliziten Regelungen im HGB. Demgemäß ist hierzu auf die grundsätzlichen Regelungen der §§ 246 ff. HGB, in denen die allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften kodifiziert sind, zurückzugreifen. Von zentraler Bedeutung sind dabei insbesondere die folgenden Postulate bzw. Normvorgaben: • Vollständigkeit/Verrechnungsverbot (§ 246 HGB) • Rückstellung für drohende Verluste (§ 249 HGB) • Einzelbewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) • Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) Entsprechend ihrer Allgemeingültigkeit haben diese Grundsätze dafür zu sorgen, daß identisch zu beurteilende Sachverhalte in allen Unternehmungen und allen Branchen gleich abzubilden sind, die Kausalität zwischen Postulat und daraus resultierender Hand-

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lungsanweisung hinsichtlich Bilanzansatz, Bilanzausweis und Bewertung also gewahrt ist. Unmittelbare Ausprägungen des allgemeinen Vorsichtsprinzips sind insbesondere das Realisations- und das Imparitätsprinzip. So sind nach § 252 Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbsatz HGB nur Gewinne am Abschlußstichtag ausweisbar, die durch einen Umsatz realisiert sind. Vor der Leistungserbringung sind die bezogenen bzw. gefertigten Güter erfolgsneutral mit den Anschafiungs- bzw. Herstellungskosten anzusetzen. Ergänzt wird diese Bestimmung durch das Imparitätsprinzip des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, nach dem „negative Erfolgsbeiträge, soweit sie im abzuschließenden Geschäftsjahr verursacht sind, bereits in der abzuschließenden Periode antizipiert werden müssen" (Baetge, 1996, 90). Konkretisiert wird das Imparitätsprinzip insbesondere durch den Grundsatz, daß für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften Rückstellungen zu bilden sind (§ 249 HGB). Unmittelbar mit dem Imparitätsprinzip verbunden ist der Grundsatz der Einzelbewertung, der eine Verrechnung unrealisierter Gewinne mit drohenden Verlusten durch eine gemeinsame Bewertung unterschiedlicher Objekte verhindert. Abhängig von der Differenzierung der Bewertungsobjekte konkretisiert der Einzelbewertungsgrundsatz somit die Konsequenzen des Imparitätsprinzips. Da nicht unmittelbar erkennbar ist, wie differenziert eine solche Abgrenzung der Vermögensgegenstände zu erfolgen hat, richtet sich die Entscheidung, ob ein Bewertungsobjekt einzeln zu bewerten ist, nach h.M. in der Handelsbilanz nach dem Bewertungskriterium der selbständigen Verwertungsfähigkeit (vgl. Kupsch, 1992, 341 f.).

3.3 Bewertungskonflikte und Lösungskonzepte (1) Einzelbewertungsprinzip. Bezogen auf Hedging-Maßnahmen im Rahmen des finanzwirtschaftlichen Risikomanagement fuhrt eine strenge Anwendung des Grundsatzes der Einzelbewertung dazu, daß bilanziell ein Verlust auszuweisen ist, welcher weder in der Gegenwart eintritt, noch in der Zukunft eintreten wird. Dies liegt darin begründet, daß bei imparitätischer Bewertung von Grund- und Sicherungsgeschäften, welche notwendigerweise eine gegenläufige Wertentwicklung aufweisen, stets ein Verlust auszuweisen wäre. So darf beispielsweise ein unrealisierter Gewinn beim Grundgeschäft nicht ausgewiesen werden, während der dann erwartungsgemäß beim Sicherungsgeschäft unrealisierte Verlust die Bildung einer Rückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 oder eine außerplanmäßige Abschreibung nach § 253 Abs. 3 HGB erforderlich macht. Der hier implizit unterstellte Idealfall einer perfekten Risikoabsicherung durch uneingeschränkt gegenläufige Finanzinstrumente zeitigt somit negative Wirkung mit Blick auf den bilanziellen Gewinnausweis. Diese Konsequenz der Abbildung kaufmännischen Handelns in der Rechnungslegung stößt in den letzten Jahren sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch der Bilanzierungspraxis zunehmend auf Kritik. Dabei wird nach h.M. regelmäßig aus Sicht des True and Fair View-Prinzips argumentiert, das „als Abbild der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung ... hierzulande zunehmend an Gewicht" gewinnt (Scharpf, 1995, 184). In

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der Tat ist es zu einer „Koalition zwischen den Verfechtern einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise und den Fürsprechern eines im deutschen Bilanzrecht bei der Gewinnermittlung mehr oder weniger einflußlosen True and Fair View gekommen" (Prahl/Naumann, 1994, 2), die eine Bilanzierung ablehnt, welche eine begründete finanzwirtschaftliche Maßnahme durch einen nicht eintretenden Verlustausweis abbildet. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die argumentative Orientierung am True and Fair View-Prinzip in Deutschland nicht allein als ausschlaggebend für die Herausbildung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung angesehen werden kann. Vielmehr muß - gerade in bezug auf Regelungen wie Imparitätsprinzip und Einzelbewertungsgrundsatz, welche vor allem in Zusammenhang mit dem ausgeprägten Gläubigerschutzziel der deutschen Rechnungslegung zu sehen sind - vor allem geprüft werden, inwieweit eine solche bilanzielle Behandlung mit dem Ziel des Gläubigerschutzes übereinstimmt. Erst die in der bisherigen Auseinandersetzung kaum erwähnte Tatsache, daß auch aus Gläubigersicht ein solcher antizipativer, wenngleich nicht eintretender Verlustausweis unbefriedigend ist, kann für die bilanzielle Behandlung dieses Sachverhaltes ausschlaggebend sein. Zunächst ist festzustellen, daß eine im Zweifelsfall zu niedrige Bewertung aufgrund des Imparitätsprinzips im Sinne des allgemeinen Vorsichtsprinzips mit dem Ziel des Gläubigerschutzes konform geht. Konflikte entstehen erst dann, wenn die Unternehmensleitung aufgrund der erzwungenen Verlustantizipation dazu bewogen wird, finanzwirtschaftlich gebotene Risikomanagementmaßnahmen zu unterlassen. Ein solcher Verzicht könnte gleichwohl ökonomisch als zweckmäßig erscheinen, da die negative Ergebnisbeeinflussung über die Ausschüttungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses eventuell negative Auswirkungen auf die Umsetzung der Ausschüttungsstrategie der Unternehmung besitzt Finanzwirtschaftliches Risikomanagement würde somit Unternehmensleitung und Eigentümer in ihrem Handlungsspielraum einengen, weshalb ein Verzicht oder ein deutlich reduzierter Einsatz desselben als zielgerecht erscheinen kann. Einer solchen Argumentation wäre allerdings zugleich die Aufforderung zu unnötiger Risikoübernahme eigen: Eben weil Gläubigerschutz und Vorsichtsprinzip verbunden sind, darf vorsichtiges Management aufgrund der Zielsetzung des Gläubigerschutzes nicht sanktioniert werden. Eine im Zweifelsfall niedrigere, d.h. vorsichtigere Bewertung vermag dann die Nachteile einer Sanktionierung von Risikomanagementmaßnahmen nicht zu kompensieren, weshalb eine imparitätische Erfolgsminderung als kontraproduktiv anzusehen ist. Der umgekehrte Fall einer ungewollten Anregung des Management zum Einsatz von Hedging-Maßnahmen könnte in der möglichen Gestaltung des Ergebnisausweises durch die Unternehmensleitung liegen. So ist in volatilen Märkten durch gezieltes Aufbauen von Positionen, die in einem Sicherungszusammenhang stehen, jederzeit ein Ausweis von Verlusten durch imparitätische Bewertung und eine spätere Gewinnvereinnahmung durch Verkauf der Positionen möglich. Eine solche Manipulation der Bilanzinformationen ist jedoch sowohl aus Gläubiger- wie auch aus Anteilseignersicht abzulehnen, da sie die ex-

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post-Kontrolle auf Basis des Jahresabschlusses im Rahmen der Agency-Beziehung zwischen Kapitalgeber und Unternehmensleitung erschwert Somit ist ein imparitätischer Verlustausweis, der zwangsläufig durch die Bilanzierung von perfekten Sicherungszusammenhängen entsteht, nicht nur aus Sicht des anteilseignerorientierten True and Fair View abzulehnen, sondern ebenso aus Sicht des Gläubigerschutzes. Eine imparitätische Einzelbewertung von perfekten Sicherungszusammenhängen wäre dementsprechend nicht konform mit den Zielen der Rechnungslegung und darüber hinaus kontraproduktiv bezüglich der Förderung eines finanzwirtschaftlich begründeten Risikomanagement. Es muß demnach ein „ordnungsmäßiger" Weg gefunden werden, um eine ökonomisch sinnvolle Abbildung von Sicherungszusammenhängen in der Bilanz zu gewährleisten. (2) Bewertungseinheiten. Ein Ansatz zur Lösung dieser Problematik wird in der Bildung von Bewertungseinheiten gesehen. Diese fassen Aktiva und Passiva sowie schwebende Geschäfte, die in einem Sicherungszusammenhang stehen, zu einer Gesamtheit zusammen, die dann als Gegenstand der Einzelbewertung angesehen wird. Durch diese Verknüpfung wird die Verrechnung fiktiver Verluste des einen Geschäftes mit den unrealisierten Gewinnen des zugehörigen anderen Geschäftes ermöglicht. Selbstverständlich kann die Verrechnung maximal nur bis zur Höhe der fiktiven Verluste erfolgen, so daß für die Bewertungseinheit nach wie vor das Verbot des Ausweises unrealisierter Gewinne eingehalten wird. Im umgekehrten Fall erfolgt die Verlustberücksichtigung nur insoweit, als der fiktive Verlust den Gewinn übersteigt (vgl. Scharpf, 1995, 186). Eine derartige Bildung von Bewertungseinheiten als Lösungsansatz für - implizit unterstellte - ideale Sicherungsmaßnahmen ist heute weitgehend unstrittig (vgl. z.B. Prahl/Naumann, 1994, 2). Ihre Zulässigkeit wird zudem auch durch die Einfuhrung des Bankbilanzrichtlinie-Gesetzes und den 1990 in Kraft getretenen § 340h HGB begründet, aufgrund dessen eine solche Verfahrensweise auch im Rahmen der GoB kaum mehr als unzulässig angesehen werden kann (vgl. Benne, 1991, 2605). Fraglich ist allerdings, auf welche Weise die in der Realität regelmäßig nicht idealtypischen Sicherungen mit dem Konzept der Bewertungseinheit vereinbart werden können. Aufgrund der bisherigen Diskussion kann gleichwohl der folgende Katalog von Mindestanforderungen an das Bestehen von nahezu perfekten Sicherungszusammenhängen abgeleitet werden, die als Bewertungseinheiten angesehen und folglich auch als solche bilanziert werden können (vgl. z.B. Kupsch, 1992, 347; ScharpffLuz, 1996, 206f): • Die Identität der Entstehungsursachen (Zins-AVährungs- oder sonstiges Preisrisiko) für die Gewinnerwartung und das Verlustrisiko muß gegeben sein. • Erwartete Gewinne/Verluste müssen sich zeitlich und betragsmäßig entsprechen. • Die Hedge-Position ist genau zu definieren, zu dokumentieren und gesondert zu buchen, zudem ist die Durchhalteabsicht sicherzustellen und zu dokumentieren.

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• Eine hohe Wahrscheinlichkeit, sog. „Quasisicherheit (Zielke, 1994, 527), der Risikoreduktion muß aufgrund einer hohen negativen Korrelation beider Instrumente nachprüfbar sein. • Die Geschäfte dürfen nur geringen, nicht unterschiedlichen Bonitätsrisiken unterliegen. Ergänzend zu diesen Kriterien ist ein konsequentes finanzwirtschaftliches Risikomanagement im Sinne des oben beschriebenen Prozesses Voraussetzung für die Zulässigkeit der Bildung bilanzieller Bewertungseinheiten. Konkretisiert man die obigen Anforderungen, so geht aus ihnen implizit hervor, daß der Nachweis allenfalls für konkret aufeinander abgestimmte Sicherungszusammenhänge im Rahmen von Mikro-Hedges zweifelsfrei geführt werden kann. Dementsprechend ist nach h.M. die Bildung von Bewertungseinheiten auch nur auf Basis von Mikro-Hedges zulässig. Selbst dann bleiben aber noch wesentliche Fragen offen. So ist die „Sicherstellung der Durchhalteabsicht" bisher nicht ausreichend konkretisiert, obwohl dieser im Hinblick auf die bilanziellen Auswirkungen erhebliche Bedeutung zukommt. Es kann jedenfalls keine Absicherung über die gesamte Laufzeit der zu sichernden Position gefordert werden, da auch eine Absicherung innerhalb eines bestimmten Intervalls ökonomisch rational sein kann (vgl. Brackert/Prahl/Naumann, 1995, 547). Wenn Sicherungszusammenhänge aber jederzeit wieder aufgelöst werden können, so sind sie kaum von Spekulationsgeschäften unterscheidbar. Auch die Dokumentation und gesonderte Buchung von Sicherungszusammenhängen ist nicht geklärt, da bisher nicht festgelegt ist, inwieweit diese unmittelbar bei Abschluß des Sicherungsgeschäftes oder erst zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages erfolgen muß. Ebenso ist die Feststellung von Bonitätsrisiken und ihre Abstimmung zwischen Grundund Sicherungsgeschäft kaum praktisch umsetzbar, wenn man die Internationalität der Kapitalmärkte und die Vielzahl der Kontrahenten in die Überlegung miteinbezieht. Letztlich ist auch die hohe Wahrscheinlichkeit der Risikoreduktion nur eine vage Formulierung, da weder feststeht, wie eine solche „Quasisicherheit" objektiviert werden kann, noch die grundsätzliche Eignung vergangenheitsbezogener Korrelationen zu Prognosezwecken zweifelsfrei ist (vgl. Abschn. 2.3.2). Werden nun die Anforderungen relativiert, indem von „Durchhaltewahrscheinlichkeit" gesprochen (vgl. Scharpf, 1995, 192) und die „hohe" negative Korrelation nach h.M. auf willkürliche -0,6 bis -0,85 eingeschränkt wird (vgl. Gebhardt, 1996, 573), dann ist damit dem in der Realität üblichen imperfekten Charakter der Mikro-Hedge Rechnung getragen. Bedeutet doch z.B. die idealerweise erforderliche Korrelation von -1, daß „sogar eine Absicherung in Form von Mikro-Hedges faktisch unmöglich" würde (vgl. Scharpf, 1995, 195). Eine solche Relativierung ist jedoch äußerst vorsichtig vorzunehmen, ebenso wie auch obige Bedenken bezüglich der Interpretation des Kriterienkataloges im Zweifelsfall zu einer strengen Auslegung führen sollten. Es sei daran erinnert, daß nur durch implizite Unterstellung eines idealen Hedge argumentativ eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einzelbewertung belegt werden kann. Entsprechend können nur tat-

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sächlich annähernd ideale Sicherungszusammenhänge zu einer Bewertungseinheit zusammengefaßt werden, welche streng ausgelegten Anforderungen entsprechen. Bei Makro-Hedges, die im Rahmen des globalen Risikomanagement auf Gesamtunternehmensebene das insgesamt eingegangene Zinsänderungs-AVährungs- oder sonstige Preisrisiko begrenzen, ist das einzelne abzusichernde Geschäft dagegen nicht bestimmbar. Vielmehr ergibt sich eine Gesamtposition aus mehreren Grundgeschäften, die im Rahmen einer übergreifenden Sicherungsstrategie durch eine größere Anzahl von Instrumenten abgesichert werden. Ob solche Absicherungsgeschäfte ebenfalls im Rahmen von Bewertungseinheiten abgebildet werden können, ist umstritten. Nach den Befürwortern ist eine Abbildung akzeptabel, die auf die Bewertung von übergreifend ausgerichteten Sicherungsinstrumenten verzichtet, da zu vermuten sei, daß den erwarteten Verlusten gleichhohe unrealisierte Gewinne gegenüberstünden (vgl. z.B. Brackert/Prahl/Naumann, 1995, 552f.; Bertsch/Kärcher, 1996, 659f.). Eine solche Vorgehensweise, die sich mangels objektiv nachweisbarer Zusammenhänge letzten Endes auf eine Absicherungsvermutung verläßt, ist nachdrücklich abzulehnen. Die Quantifizierung einer Risikoposition auf Unternehmensebene ist schwierig und vor allem objektiv kaum kontrollierbar (vgl. Steiner/TebrokeAVallmeier, 1995, 538). Auch ist der unterstellte Gleichlauf von Gewinnchance und Verlustrisiko kaum nachweisbar, wodurch unrealisierte Gewinne unzulässigerweise zur Kompensation eingesetzt werden könnten, die in keinem Zusammenhang mit den zugerechneten Verlusten stehen (vgl. Zielke, 1994, 517f.). Insgesamt kann die Bewertungseinheit also in engen Grenzen als gangbarer Lösungsansatz angesehen werden, obwohl gegen den Einzelbewertungsgrundsatz auf der Basis einer eigenständigen Verwertungsfähigkeit verstoßen wird. Aufgrund der strengen Bedingungen, die zur Rechtfertigung von Bewertungseinheiten bei formaler Einhaltung der Einzelbewertung notwendig sind, bleibt gleichwohl ein bedeutender Problembereich ungelöst: Die Abbildung der häufig angewandten, übergreifenden Makro-Hedges, die als konsequente Fortentwicklung der früher meist angewandten Mikro-Hedges begriffen werden können (vgl. Brackert/Prahl/Naumann, 1995, 552), gelingt nicht ohne eine m.E. zu weitgehende Interpretation der handelsrechtlichen Grundsätze. Das Konzept der Bewertungseinheit kann daher nicht als umfassender Lösungsansatz der im Rahmen des Risikomanagement identifizierten Probleme angesehen werden. (3) Hedge Accounting. Während sich die Diskussion in Deutschland maßgeblich dem Konzept der Bewertungseinheit widmet, steht im internationalen Kontext der Ansatz des „Hedge Accounting"8 im Vordergrund der Auseinandersetzung. „Hedge Accounting ist eine spezifische Vorgehensweise, die sicherstellt, daß Wertänderungen von Grund- und Sicherungsgeschäften von dem Beginn des Sicherungszusammenhanges an in der gleichen Periode oder von mehreren Perioden kompensiert werden. Hedge Accounting fuhrt zu einer symmetrischen Bilanzierung zwischen der gesicherten Der Begriff „Hedge Accounting" wird üblicherweise auf die aus dem angloamerikanischen Bereich stammenden Lösungsansätze bezogen. Der ebenfalls teilweise angetroffenen Verwendung als allgemeiner Überbegriff für die Abbildung von Sicherungszusammenhängen wird hier nicht gefolgt.

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Position und dem Sicherungsinstrument, indem sowohl Gewinne (Verluste) der gesicherten Position als auch Verluste (Gewinne) des Sicherungsinstruments entweder laufend vereinnahmt oder abgegrenzt werden" (Morris, 1991/1992, 41).9 Im Gegensatz zu der Bildung von Bewertungseinheiten, bei der eine gemeinsame Bewertung der Instrumente insofern erfolgt, da Gewinne (Verluste) des einen Instrumentes als Bewertungsdeterminanten des anderen Geschäftes dienen, werden Grund- und Sicherungsgeschäft im Rahmen des Hedge Accounting isoliert voneinander bewertet. Der Einzelbewertungsgrundsatz bleibt also uneingeschränkt gewahrt. Der Zusammenhang beider Geschäfte spiegelt sich vielmehr in der zwingend identischen Vorgehensweise der Bewertung wider. Als Kriterien, die für die Anwendung des Hedge-Accounting maßgeblich sind, werden in der Regel den Kriterien für die Bildung von Bewertungseinheiten entsprechende Voraussetzungen genannt (vgl. z.B. Morris, 1991/1992, 49): • Einsatz zur Reduktion eines spezifischen Risikos • Sicherungsgeschäft ist Grundgeschäft zugeordnet • Hohe Wahrscheinlichkeit der Risikoreduktion durch das Sicherungsgeschäft Allerdings werden diese Voraussetzungen nicht der deutschen Diskussion entsprechend detailliert diskutiert, was darin begründet ist, daß im Rahmen des Hedge Accounting der Einzelbewertungsgrundsatz nicht aufgelöst wird und daher aus dieser Sicht auch keine so strengen Anforderungen zu stellen sind. Zudem sind die angloamerikanischen Rechnungslegungsgrundsätze ohnehin stärker am True and Fair View-Prinzip orientiert, so daß ein Versuch der Abbildung des wirtschaftlichen Zusammenhangs leichter fällt als in Deutschland. Zielsetzung des Hedge Accounting ist es, die Ergebniswirkungen über die gesamte Laufzeit des Sicherungszusammenhanges zu kompensieren. Sofern eine laufende Vereinnahmung durch Bewertung zu Marktpreisen zulässig ist, kann der „Mark-to-Market approach" als Bewertungsmethode des Hedge Accounting angewendet werden (vgl. Göttgens, 1995, 151). Ist eine solche Loslösung vom Anschaffüngskostenprinzip nicht möglich, so werden im Rahmen des ,£>eferral Approach" (Abgrenzungsmethode) beide in einem Sicherungszusammenhang stehenden Positionen strikt zu Anschaffungskosten bewertet und die erfolgten Wertänderungen abgegrenzt. Aufgrund seiner zunehmenden internationalen Bedeutung und der praktischen Relevanz durch die Verwendung im Risikomanagement wird im folgenden vor allem auf den Mark-to-Market-Ansatz eingegangen. Nach dem Konzept der Marktbewertung werden durch die sofortige Vereinnahmung unrealisierter Gewinne und Verluste aus dem Einsatz von Finanzinstrumenten im Rahmen des Risikomanagement Sicherungszusammenhänge, welche sich in gegenläufigen Ergebnisbeiträgen niederschlagen, automatisch berücksichtigt (vgl. Steiner/Tebroke/ Wallmeier, 1995, 539). Das Konstrukt einer „Bewertungseinheit" erübrigt sich somit von alleine. Ebenso schlagen sich auch möglicherweise auftretende Ineffizienzen des Risiko9

Übersetzung d. Verf.

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management unmittelbar erfolgswirksam in der Bilanz nieder (vgl. Göttgens, 1995, 154), was zu einem realitätsgerechten Ausweis fuhrt. Durch die Marktbewertung gelingt weiterhin eine uneingeschränkt objektivierbare Abbildung des Sicherungszusammenhangs, der aufgrund der Einhaltung des Einzelbewertungsgrundsatzes keinen Manipulationsmöglichkeiten - wie bei der Bildung von Bewertungseinheiten der Fall - unterliegt. Ein besonderer Vorteil der Marktbewertung liegt aber darin begründet, daß durch die laufende Vereinnahmung eine objektive Periodenabgrenzung gelingt, da Gewinne und Verluste jedenfalls in der Periode ausgewiesen werden, in der sie entstehen. Hedge Accounting trägt damit der dynamischen Sichtweise des Risikomanagement Rechnung, während die Bildung von Bewertungseinheiten einen eher statischen Charakter besitzt. Das Hedge Accounting auf Basis des Mark-to-Market Ansatzes übernimmt den bevorzugten Wertmaßstab der internen Risikosteuerung und Performance-Messung und gewährleistet somit die notwendige Voraussetzung für eine sinnvolle Verknüpfung von internem und externem Rechnungswesen (vgl. Prahl/Naumann, 1992, 717). Dies ist insbesondere angesichts der enormen Komplexität der für ein effizientes Risikomanagement erforderlichen Konzeption des Rechnungswesens ein erheblicher Vorteil: Zwei konkurrierende Rechnungssysteme, die sämtliche Geschäftsvorgänge doppelt zu erfassen hätten (einerseits gemäß wirtschaftlichem Sachverhalt, andererseits aus buchhalterischbilanzieller Sicht), verursachten eine deutlich zusätzliche Belastung der Unternehmen, wobei zudem fraglich bleibt, ob eine solche doppelte Abbildung überhaupt unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu rechtfertigen ist. Ein der wirtschaftlichen Sichtweise entsprechender Mark-to-Market-Ansatz besäße aufgrund seiner Übereinstimmung mit der internen Vorgehensweise demgegenüber den Vorteil, den Einsatz von Risikomanagementmaßnahmen gerade nicht in unnötiger Weise zu sanktionieren. Entgegenzuhalten ist dem Hedge Accounting auf Basis des Mark-to-Market-Ansatzes die Durchbrechung des Realisationsprinzips, weil ein Wertzuwachs erfolgswirksam erfaßt wird, obwohl seine spätere Vereinnahmung noch nicht sicher feststeht (vgl. Steiner/Tebroke/Wallmeier, 1995, 539). Die Begründung für eine solche Vereinnahmung fällt bei ausreichend liquiden Märkten nicht schwer, da jederzeit eine Gewinnrealisierung durch Verkauf gewährleistet ist. Diese könnte sogar (unter Abstraktion von Transaktionskosten) tatsächlich durch Verkauf und sofortige Wiedereindeckung simuliert werden Das Realisationsprinzip würde somit einer Reinterpretation in dem Sinne unterworfen, daß „nicht nur realisierte, sondern auch problemlos realisierbare Wertänderungen ... erfolgswirksam ausgewiesen werden" (Gebhardt, 1996, 583). Dieser Fall ist allerdings dann nicht möglich, wenn entweder die Markttiefe nicht ausreicht und durch den Verkauf ein Einfluß auf den Marktpreis möglich ist oder aber, wie bei OTC-Produkten, kein börslicher Marktpreis10 existiert. Der Bilanzierende ist in letzterem Fall auf das „Adarking-to-Modef1 angewiesen, indem, wie bei interner Berechnung der Fall, marktnahe Werte aus der Entwicklung der preisbestimmenden Risikofaktoren abgeleitet werden. Da diese Werte nicht präzise die reali10

Die Existenz einer Börsennotierung ist aber schon aufgrund der anzustrebenden Objektivierbarkeit zu fordern.

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sierbaren Preise bestimmen können, ist hierbei ebenso wie bei weniger liquiden Märkten ein Risikoabschlag anzurechnen. Praktische Relevanz für die deutsche Bilanzierung besitzt das marktorientierte Hedge Accounting bisher kaum, da eine Marktbewertung in Deutschland unzulässig ist. Obwohl die Diskussion des Mark-to-Market durch die für Banken verbindliche Methode der Währungsumrechnung (§ 340h HGB) neu belebt wurde, die „lediglich eine Variante des 'Mark-to-Market' hedge accounting" darstellt (Göttgens, 1995, 155), muß weiterhin von der Möglichkeit der Bilanzierung nach Marktwerten abgesehen werden. Diese Vorgehensweise ist insbesondere deswegen auch zukünftig unzulässig, da der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, im Rahmen des Art. 36 Abs. 2 der EG-Bilanzrichtlinie die Marktbewertung börsennotierter Wertpapiere gesetzlich vorzuschreiben (vgl. Steiner/Tebroke/Wallmeier, 1995, 540).

3.4 Konsequenzen und Ausblick Angesichts der eingeschränkten Anwendbarkeit des Konzepts der Bewertungseinheit und der gegenwärtigen Unzulässigkeit des Mark-to-Market Hedge Accounting existiert in Deutschland kein allgemein akzeptierter Lösungsansatz im Umgang mit Sicherungsgeschäften, die derivative Produkte einschließen. Eine befriedigende Abbildung gelingt lediglich von Sicherungszusammenhängen verknüpfter Einzelgeschäfte (Mikro-Hedges) mit perfekt negativer Korrelation. Über die Bildung von Bewertungseinheiten aus nicht perfekten Sicherungszusammenhängen besteht Uneinigkeit, insbesondere sind imperfekte Makro-Bewertungseinheiten m.E. mit dem geltenden Recht auch nicht vereinbar. Gerade für Sicherungszusammenhänge „mit nicht perfekt negativer Korrelation, welche außerhalb des Währungsbereichs nicht etwa die Ausnahme, sondern die Regel in der betrieblichen Absicherungspraxis darstellen" (Prahl, 1995, 232), existieren derzeit keine stringenten Lösungsansätze. Bietet aber das geltende Recht keine Möglichkeit zu einer mit den Bilanzzwecken konformen Abbildung effizienter Risikomanagementmaßnahmen, so ist eine unzureichende Information der Jahresabschlußadressaten über die Risiken aus Sicherungsgeschäften mit derivativen Produkten zu vermerken. Eine ökonomische Analyse des Bilanzrechts ist daher gefordert, Reformvorschläge bereitzustellen, die den materiellen Kriterien des Risikomanagement angemessen Rechnung tragen. Denn solange die Aufhebung des anschaftungskostenorientierten Imparitätsprinzips in Deutschland nicht in Betracht kommt, wird sich die Diskussion auch zukünftig auf die Weiterentwicklung des Konzepts der Bewertungseinheiten stützen müssen, das allerdings - wie gezeigt - rasch in Konflikt mit eben den grundsätzlichen Regelungen gerät, die dieses einzuhalten vorgibt. Ungeachtet dieser kritisch zu beurteilenden Perspektive ist aber insbesondere in Deutschland die nach wie vor ablehnende Haltung gegenüber der Marktbewertung grundlegend zu überdenken. Auch die Aufrechterhaltung des Imparitätsprinzips sollte in diesem Zusammenhang überprüft werden, da sein Nutzen in Bezug auf die Bewertung von Risikomanagementmaßnahmen ohnehin angesichts der ihm beizumessenden beträchtlichen Nachteile wegen fraglich ist (vgl. Steiner/Tebroke/Wallmeier, 1995, 542).

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Unmittelbar mit diesem Vorschlag - der insbesondere den Vorteil für sich in Anspruch nehmen kann, Probleme der „Zurechnungswillkür" (Prahl/Naumann, 1992, 709) bei der Bildung von Bewertungseinheiten durch die Aufrechterhaltung des Einzelbewertungsprinzips zu beseitigen - ist zugleich aber die Akzeptanz interner Modelle zur Preisermittlung verbunden. Dieses Marking-to-Model ist insbesondere aufgrund der häufigen Verwendung von OTC-Produkten notwendig; ihre Nachteile könnten durch einen Risikoabschlag, der sich auf Value-at-Risk-Berechnungen stützt, gemindert werden. Im Umgang mit einer solchen Modellorientierung ist die öffentlich-rechtliche Sphäre ohnehin bereits gespalten. So soll im Rahmen der durch Übernahme der EU-Kapitaladäquanzrichtlinie notwendig gewordenen Novellierung des für die Eigenkapitalunterlegung von Banken maßgeblichen Grundsatzes I eine Unterlegung von Marktpreisrisiken beschlossen werden. Dabei werden auch „bä.vkinteme Risikosteuerungsmodelle für Zwecke der Ermittlung der Eigenkapitalerfordernisse ... angewandt werden können" (Meister/Oechler, 1996, 127f). Eine weitergehende Anerkennung interner Bewertungsmodelle zur Ermittlung marktnaher Bewertungen, die unter bestimmten Bedingungen wie quantitativen Mindestparametern und qualitativen Mindesterfordernissen (vgl. Meister/Oechler, 1996, 127) angewandt werden können, kann auch für die Rechnungslegung eine sinnvolle Lösung darstellen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, einen gangbaren Weg zu finden, um damit der Bilanzierungspraxis die notwendige Sicherheit und gleichzeitige Flexibilität im Umgang mit innovativen Sachverhalten zu geben. Eine derartig normativ abgesicherte Flexibilisierung könnte nicht zuletzt auch dazu beitragen, die zwischen internationaler und deutscher Bilanzierung bestehenden Diskrepanzen überbrücken zu helfen. Schließlich fordern die sich auf den Finanzmärkten abzeichnenden Globalisierungsbestrebungen in den letzten Jahren zunehmend eine international anerkannte Rechnungslegung, die sich in „International Accounting Standards" manifestiert. Sonderwege im deutschen Bilanzrecht können mithin zu Nachteilen deutscher Unternehmungen bei internationalen Finanzierungsaktivitäten fuhren. Vor diesem Hintergrund werden Anpassungen bewährter Rechnungslegungsgrundsätze an neue Sachverhalte und folglich Zwänge zu mehr Anwendungsflexibilität (vgl. Eisele/Knobloch, 1993, 623) im Rahmen der bilanziellen Abbildung ohnehin die Entwicklung der unmittelbaren Zukunft prägen. Dem Einsatz derivativer Finanzinstrumente im finanzwirtschaftlichen Risikomanagement kommt im Rahmen dieses globalen Harmonisierungsprozesses Schrittmacherfünktion zu, die es zu nutzen gilt. Aber nicht nur der Gesetzgeber ist gefordert, flexibel auf die Anforderungen innovativer Verfahrensweisen des Risikomanagement zu reagieren; vielmehr ist von Bilanzierungspraxis und Wissenschaft eine eingehendere Beschäftigung mit der Ausprägung von „Grundsätzen ordnungsmäßigen Risikomanagement" zu fordern als dies bisher der Fall war. Diese müssen sich entsprechend der Bedeutung des Prozeßcharakters des Risikomanagement und der zugrundeliegenden Bewertungsinnovationen wegen insbesondere mit diesen beiden Sachverhalten auseinandersetzen. Auch wird sich die Jahresabschlußprüfung als delegierter Kontrollauftrag der Jahresabschlußadressaten vermehrt mit

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„Verfahrens- und Systemprüfungen im internen Unternehmensbereich" (Steiner, 1995, 247) zu befassen haben. Eine umfassende System- bzw. Prozeßprüfung hat demgemäß die Konzeption des Risikomanagementprozesses auch aus qualitativer Sicht zu analysieren, während eine Verfahrensprüfung im Sinne einer Effizienzkontrolle der angewandten Bewertungsmethoden insbesondere die statistische Performancemessung zu hinterfragen hat. Insgesamt besteht angesichts der Gefahren, welche mit einem innovativen Risikomanagement verbunden sind, gegenwärtig eine gesetzliche und konzeptionelle Unterversorgung. Es ist daher eine intensive Methodendiskussion zu fordern, die sich sowohl auf die finanzwirtschaftlichen Verfahren und deren Prüfung als auch auf die Überarbeitung deutscher Bilanzierungsgrundsätze beziehen muß. Nur durch eine sachgerechte Integration von internen und externen Methoden wird dabei längerfristig eine der Dynamik der Finanzmärkte angepaßte konzeptionelle Ausgestaltung und Abbildung des Risikomanagement zu gewährleisten sein.

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II. Instrumente des Strategischen Management

Prozeßorientierung der Kostenrechnung von Marceil Schweitzer

1

Historische Wurzeln der Prozeßorientierung in der Kostenrechnung

In betriebswirtschaftlichen Aussagensystemen ist gegenwärtig eine deutliche Prozeßorientierimg zu beobachten. Beispielsweise tritt sie bei der Neugestaltung ganzer Unternehmungsprozesse (Business Reengineering), bei Verschlankungskonzepten (Lean Production), bei Rationalisierungsmaßnahmen (Continuous Improvement, Kaizen), bei der Qualitätssicherung (Total Quality Management) und bei der Neustrukturierung von Fertigungstiefe sowie Logistik auf (vgl. Bea/Schnaitmann, 1995, 278). Ihre wesentlichen Merkmale sind eine (1)

Wiederbelebung der Ablauforganisation,

(2)

strikte Marktorientierung,

(3)

Besinnung auf effiziente und effektive Strukturen in Potentialen, Programmen und Prozessen,

(4)

Orientierung der Organisation, Planung, Steuerung und Unternehmungsrechnung am Wertschöpfungsprozeß,

(5)

Reduktion der Komplexität im Management sowie

(6)

Verbesserung der Wirtschaftlichkeit auf Dauer.

Auch auf dem Gebiet der Kostenrechnung wird der Gedanke der Prozeßorientierung aufgegriffen. In der deutschen Literatur zum Gebiet der Kostenrechnung ist aber die Idee, die Kostenartenrechnung durch eine Kostenprozeßrechnung mit der Kostenträgerrechnung zu verbinden, keineswegs neu. Bereits 1899 hat Eugen Schmalenbach in seinem Aufsatz „Buchführung und Kalkulation im Fabrikgeschäft" (Schmalenbach, 1899) auf die Möglichkeit hingewiesen, Leistungserstellungsprozesse zu definieren und über diese den Kostenträgern Kosten zuzurechnen. Später haben Hessenmüller (1964) und Böhrs (1973) auf die gleiche Verfahrensweise hingewiesen. Jedoch sind diese Hinweise nicht fortgeführt und zu einem systematischen sowie umfassenden Rechnungsansatz ausgearbeitet worden. Auch in den USA gab es bereits vor ca. 40 Jahren einen Ansatz im Marketing zur Prozeßorientierung von Longman/Schiff (1955). Unabhängig von dieser Vorgeschichte haben die Amerikaner Johnson/Kaplan (1987) und Cooper/Kaplan (1988a. u. 1988b) mit Bezug auf Miller/Vollmann (1986) das Rechnungskonzept des „Activity-Based Costing" entwickelt und zur Anwendung gebracht. Im deutschsprachigen Bereich haben insbesondere Horváth u. a. (Horväth/Mayer, 1989, Horváth u. a., 1993; Horväth/Gaiser, 1994) sowie Müller (1996) diese Anregung aufgenommen und

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Marceil Schweitzer

modifiziert. Die Diskussion über die Bedeutung dieses Rechnungsansatzes hat zu Auseinandersetzungen zwischen Fachvertretern in mehreren Ländern geführt. Gegenwärtig gibt es auf der einen Seite das Lager der Befürworter dieses Rechnungsansatzes (Coenenberg/Fischer, 1991; Horväth u. a., 1993; Ziegler, 1992) auf der anderen Seite das Lager der Kritiker (Friedl, 1991 und 1994; Glaser, 1992, 1993 und 1995; Kloock, 1992 und 1995; Küting/Lorson, 1991 und 1993; Lorson 1992; Schweitzer/Küpper, 1995; Seicht, 1992), die sich bislang unversöhnlich gegenüberstehen. Da die wissenschaftliche Diskussion über dieses neue Rechnungssystem noch nicht abgeschlossen ist, soll hier eine systematische Analyse des Ansatzes vorgenommen werden, um Schlüsse für die Weiterentwicklung der Kosten- und Erlösrechnung ziehen zu können. Kloock (1992, 184 ff. und 237 ff.) unterscheidet in der Prozeßkostenrechnung die Varianten Activity-Based Costing, Prozeßvollkostenrechnung und Prozeßteilkostenrechnung. In diesem Beitrag wird nur die ursprüngliche Form der Prozeßkostenrechnung, das Activity-Based Costing, einer Analyse unterzogen. Weitere Beispiele für eine Prozeßorientierung der Kostenrechnung, wie die „prozeßorientierte Kostenrechnung" für flexible Fertigungssysteme nach Knoop (1987), die „prozeßkonforme Grenzplankostenrechnung" nach Müller (1993, 2. Aufl. 1996) sowie die „Ressourcenorientierte Prozeßkostenrechnung" nach Eversheim/Schuh/Caesar (1990), bleiben unberücksichtigt.

2

Kennzeichnung prozeßorientierter Kostenrechnungen

2.1 Entscheidungsgegenstände prozeßorientierter Kostenrechnungen In der Betriebswirtschaftslehre beziehen sich wirtschaftliche Entscheidungen auf Potentiale, Programme und Prozesse. Potentiale finden ihren Ausdruck in Leistungskapazitäten, die den Handlungsrahmen für die Erstellung von Dienstleistungs-, Fertigungs- und Absatzprogrammen darstellen. Diese Programme verkörpern das Sachziel einer Unternehmung, das durch eine Fülle von Prozessen zu realisieren ist. Das Formalziel nach Wirtschaftlichkeit bezieht sich auf alle drei Entscheidungsgegenstände. Es soll sicherstellen, daß die Unternehmungsführung durch ihre planenden und steuernden Entscheidungen über Potentiale, Programme und Prozesse eine gewünschte Wirtschaftlichkeit erreicht. Potentiale, Programme und Prozesse sind eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Es gibt kein wirtschaftliches Handeln, welches eine dieser drei Komponenten vernachlässigen bzw. ausklammern darf. Konkret bedeutet dies, daß z. B. eine Potentialplanung zukünftig mögliche Programme (Programmkorridore bzw. -Spektren) und Prozesse antizipativ berücksichtigen muß. Das gleiche gilt für eine Programmplanung. Ohne die Berücksichtigung vorhandener bzw. geplanter Potentiale und möglicher Herstellungsprozesse ist sie nicht effektiv. Vergleichbares gilt für die Prozeßplanung, da diese sich stets im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten eines gegebenen

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bzw. geplanten Potentials und Programms vollziehen muß. Zur vollständigen Erfassung dieser Wechselbeziehungen müssen Potentiale, Programme und Prozesse simultan geplant werden. Um Entscheidungen über Potentiale, Programme und Prozesse optimal treffen zu können, benötigt man entscheidungsrelevante Informationen. Die Art dieser Informationen hängt von der Art der gewählten Zielvorstellung(en) und von den Bedingungen des Entscheidungsproblems ab. Geht man davon aus, daß das dominierende Ziel einer Unternehmung der Periodenerfolg ist und daß man diesen durch Erlöse und Kosten messen kann (vgl. Bea, 1993b, 3700), stellt sich die Frage, welche Kosten- und Erlösinformationen für die erwähnten Entscheidungen relevant sind. Die Entscheidungsrelevanz impliziert, daß mit Hilfe dieser Informationen sowohl die Potentiale als auch die Programme und Prozesse zieloptimal gestaltet werden können. Plant man beispielsweise sukzessiv vorab ein optimales Potential, müssen die nachfolgende Programmplanung mit ihrer Optimalkonstellation auf das Potentialoptimum und die anschließende Prozeßplanung auf das Programmoptimum ausgerichtet werden. Ein System der Kosten- und Erlösrechnung, das relevante Informationen für die anstehenden Entscheidungen in diesem dreistufigen Planungs- und Steuerungsprozeß bereitstellen soll, muß der Anforderung genügen, durch seine Informationen die Optima dieser drei Stufen zu koordinieren. Es ist unverkennbar, daß die Kosten- und Erlösrechnung das beschriebene Koordinationsproblem bisher an der operativen Programmoptimierung orientiert hat. Dies bedeutet, daß die zieloptimale Gestaltung des Fertigungs- und Absatzprogramms die Grundorientierung darstellt. Wählt man diesen Standpunkt, ergibt sich die Fragestellung, wie eine gesamtzieloptimale Koordination von der Potentialplanung bis zur Prozeßplanung herbeigeführt werden kann. Da jedes Sachgut bzw. jede Dienstleistung durch einen Herstellungsprozeß entsteht, ist es folgerichtig, mit der Gewinnung entscheidungsrelevanter Informationen beim Herstellungsprozeß zu beginnen. Für diesen Ansatzpunkt ist jedoch Voraussetzung, daß zwischen einem Produkt und seinem Herstellungsprozeß eindeutige Beziehungen bestehen. Insbesondere sollen die Einsatzgüterverbräuche, die in einen Herstellungsprozeß eingehen, mit dem Ergebnis des Prozesses, also dem absatzreifen Produkt, durch eine empirisch gut fundierte Input-Output-Beziehung eindeutig verknüpft sein. Nur in diesem Falle lassen sich Kosteninformationen herleiten, die für Produkt- und Programmentscheidungen relevant sind. Wenn in den bisherigen Ausfuhrungen von „Produkt" gesprochen wird, ist stets ein materielles oder immaterielles Gut gemeint, das als Ausbringungsgut entweder im Markt abgesetzt oder unternehmungsintern wieder eingesetzt wird. Es ist jedoch erforderlich, zur Herstellung von Ausbringungsgütern (direkten Leistungen) eine Fülle von Vorleistungen (indirekten Leistungen) zu erbringen. Zu diesen Vorleistungen zählen unter anderem alle Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions-, Arbeitsvorbereitungs-, Beschaffiings-, Lager-, Transportleistungen u. a., wobei diese Vorleistungen durch eine relative Nähe zum Herstellungsprozeß gekennzeichnet sind. Es lassen sich daher herstellungsnahe und herstellungsferne Vorleistungen unterscheiden. Die besondere Eigenschaft dieser

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Vorleistungen liegt darin, daß sie nicht im Markt verwertet werden, sondern unternehmungsintern in einer komplexen und vernetzten Form die eigentliche Ausbringungsleistung (Ausbringungsgut) vorbereiten und begleiten. Für die Kostenrechnung ergibt sich bei dieser Verknüpfung von Vor- und Endleistungen die Frage, für welche Produkt- und Programmentscheidung welche Kosteninformationen relevant sind und wie diese berechnet bzw. prognostiziert werden. Direkte und indirekte Leistungen werden zusammen als vom Markt induzierte primäre Leistungen angesehen, während alle Verwaltungsaufgaben als betriebsintern induzierte sekundäre Leistungen zur Berechnung, Sicherung, Erhaltung und Betreuung der primären Leistungen zu verstehen sind (vgl. Kosiol, 1962, 58 ff.). Eine fortschreitende Differenzierung der Absatzprogramme und die damit verbundene Zunahme des trägerbezogenen Gemeinkostenblocks (der Produkt-Gemeinkosten) in den letzten Jahren (vgl. Bea, 1993a, 1279) werfen die Frage auf, ob eine mehr oder weniger differenzierte stellenbezogene Gemeinkostenverrechnung mittels steigender Gemeinkostenzuschlagssätze, insbesondere für den Bereich der Vorleistungen, den Anforderungen an verursachungsgerechte und entscheidungsrelevante Kosten- und Erlösinformationen genügen kann. Die Antwort, die auf diese Frage vom amerikanischen Ansatz des Activity-Based Costing und vom deutschen Ansatz der Prozeßkostenrechnung gegeben wird, liegt in einer Prozeßorientierung der Kostenrechnung. Dies bedeutet, daß nicht nur für den direkten, sondern in gleicher Weise für den indirekten Leistungsbereich die Prozeßstrukturen der Leistungserstellung in umfassender Form bei der Kostenermittlung und Kostenzurechnung berücksichtigt werden sollen. Da bisher der indirekte Leistungsbereich ein Defizit in der Prozeßorientierung aufweist, wenden sich die genannten Ansätze in diesem Bereich differenzierten Prozeßanalysen zu und ersetzen das kostenrechnerische Phasenschema: „Kostenartenrechnung, Kostenstellenrechnung, Kostenträgerrechnung" durch das Phasenschema: „Kostenartenrechnung, Kostenprozeßrechnung, Kostenträgerrechnung". Die Kostenstellenrechnung behält bei dieser Umorientierung der Kostenrechnung lediglich eine untergeordnete Aufgabe.

2.2 Begriff und Rechnungsziele prozeßorientierter Kostenrechnungen Der Prozeßkostenrechnung (Aktivitätskostenrechnung, Vorgangskostenrechnung, aktivitätsorientierte Kostenrechnung) liegt die Behauptung zugrunde, daß die Gemeinkosten des indirekten Bereichs nur mittelbar durch die Produktionsmenge und unmittelbar durch Aktivitäten (Prozesse) verursacht werden, die zum Erreichen des Sachziels der Unternehmung ausgeführt werden (vgl. Johnson/Kaplan, 1987; Cooper/Kaplan, 1988a, 1988b und 1991). Für eine Prozeßkostenrechnung läßt sich folgende Definition formulieren: Eine Prozeßkostenrechnung ist ein Rechnungssystem, in welchem Gemeinkosten über quantitative Einflußgrößen/Bezugsgrößen (Driver) als Maßausdruck für die Vorgangs(aktivitäts)mengen auf Träger verrechnet werden (vgl. Schweitzer/ Küpper, 1995, 323).

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Als Rechnungsziele einer Prozeßkostenrechnung werden genannt (vgl. Horväth/Mayer, 1989, 216; Franz, 1990, 115 f.; Friedl, 1994, 143 f. und 1995, 104 f.; Schweitzer/Küpper, 1995, 323 ff): (1)

Detaillierte kostenmäßige Abbildung des Unternehmungsprozesses (insbesondere im indirekten Leistungsbereich),

(2)

Bereitstellung von Kosteninformationen für mittel- und langfristige Planungen,

(3)

Bereitstellung von Informationen für die Steuerung bzw. Kontrolle der Wirtschaftlichkeit im indirekten Bereich.

Die Rechnungsziele 2 und 3 setzen voraus, daß das Rechnungsziel 1 vorab erfüllt wird, d. h., daß die detaillierte, strukturgleiche Abbildung aller Teilprozesse des Unternehmungsprozesses quantitativ gelingt, welche sich im direkten und indirekten Leistungsbereich vollziehen. Diese Abbildung setzt wiederum voraus, daß für den indirekten Leistungsbereich die Kosten präzise erfaßt werden können und die Verteilung der realisierten bzw. zukünftigen Kosten verursachungsgerecht auf Prozesse, Kostenträger bzw. andere Bezugsobjekte vorgenommen werden kann. Soll das Rechnungsziel 2 der Unterstützung einer mittel- und langfristigen Planung verfolgt werden, muß die Prozeßkostenrechnung als Prognosekostenrechnung ausgestaltet werden. Die Befürworter der Prozeßkostenrechnung gehen davon aus, daß durch diese in erster Linie entscheidungsrelevante Informationen für die mittel- und langfristige Programm- und Preispolitik sowie für die Produktgestaltung hergeleitet werden können. Hier stellen die Produktkosten diejenige Größe dar, um welche sich die Gesamtkosten mittel- bis langfristig ändern, wenn das betreffende Produkt aus dem Produktionsprogramm entfernt bzw. in dieses neu aufgenommen wird. Dabei wird erkannt, daß mit der traditionellen Zuschlagskalkulation bei Fertigung von Massenprodukten und komplexen Varianten mit kleinen Losgrößen in der Regel das Massenprodukt mit Gemeinkostenanteilen belastet wird, die nach der Ressourceninanspruchnahme den Varianten zugerechnet werden müßten. Diese Kostenverzerrungen sollen u. a. mit Hilfe der Prozeßkostenrechnung vermieden werden. Unter demselben Blickwinkel wird für die Preispolitik gefordert, daß Varianten, die hohe Gemeinkostenanteile „verursachen", vom Absatzmarkt mit höheren Verkaufspreisen bedacht werden müssen. Auch mittel- und langfristige Entscheidungen über Eigenfertigung und Fremdbezug sollen durch die Prozeßkostenrechnung präziser als bisher unterstützt werden (vgl. Cooper/Kaplan, 1991). Das gleiche gilt für die kostenorientierte Unterstützung der Konstruktion. Hier soll nicht nur erfaßt werden, welche Wirkungen die Produktgestaltung auf die Material- und Fertigungslöhne hat, sondern es soll auch gezeigt werden, welche Einsparungen im indirekten Leistungsbereich erreicht werden können, wenn vorgesehen wird, daß z. B. bevorzugt Norm- und Wiederholteile verwendet werden sowie die Anzahl an Produktteilen und Arbeitsgängen reduziert wird. Die gekennzeichneten Anwendungen der Prozeßkostenrechnungsinformationen machen deutlich, daß durch sie unterschiedliche Entscheidungen gestützt werden sollen. Vom Ansatz her ist es von Bedeutung, für jede spezifische Entscheidung die zugehörigen Kosteneinflußgrößen zu bestimmen und von diesen auf die Kostenbezugs-

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großen zu schließen. Die programmorientierte Prozeßkostenrechnung ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, daß sie für die Planung des Produktions- und Absatzprogramms konzipiert ist. Soll sie auch in den Dienst der mittel- und langfristigen Planung anderer Problembereiche (als der Programmplanung) gestellt werden, müssen nach dem Entsprechungsprinzip zwischen Entscheidung und Rechnungsansatz (vgl Schweitzer, 1992, 186 f.) einzelne Komponenten des Ansatzes problembezogen umgestaltet werden. Das Rechnungsziel 3 Steuerung bzw. Kontrolle der Wirtschaftlichkeit (und Verhaltenssteuerung) im indirekten Leistungsbereich umfaßt neben der Veranlassung und Sicherung die Kernaufgabe der Ergebniskontrolle. Letztere beruht zum einen auf kostenmäßigen Soll-Ist-Vergleichen. Ergebnisse dieser Kostenkontrolle sollen die informatorische Grundlage für eine wirkungsvolle Kostensteuerung im indirekten Leistungsbereich bereitstellen. Die Kontrolle soll zum anderen auch Informationen liefern, durch welche das Arbeits- bzw. Entscheidungsverhalten der Mitarbeiter in den einzelnen Bereichen beeinflußt werden kann. Zum Erreichen beider Ziele kann die Prozeßkostenrechnung als Standardkostenrechnung gestaltet werden.

2.3 Komponenten einer Prozeßkostenrechnung (1) Abgrenzung von Prozessen. Eine Grundannahme der Prozeßkostenrechnung besagt, daß Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs unmittelbar durch Prozesse und nur mittelbar durch Produkte verursacht werden. Die Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs werden daher in der Prozeßkostenrechnung nicht über stellenbezogene Kalkulationsbezugsgrößen auf Produkte (Kostenträger) verrechnet, sondern so weit wie möglich über die jeweilige Prozeßmenge, die vom Produkt beansprucht wird. Die Kostenstellenrechnung der traditionellen Kostenrechnung wird in der Prozeßkostenrechnung deshalb durch eine Prozeßstruktur(-hierarchie) zu einer Kostenprozeßrechnung erweitert. Kostenstellen werden als Abrechnungsbezirke zwar gebildet, sie spielen jedoch in der Kostenprozeßrechnung eine untergeordnete Rolle. Ein Prozeß als Objekt der Kostenzurechnung läßt sich wie folgt definieren (vgl. auch Bea, 1995, 38 f.; Franz, 1992, 1504): Ein Prozeß umfaßt eine geordnete Folge von Aktivitäten (Vorgängen, Tätigkeiten, Arbeitsgängen), die sich auf ein bestimmtes Arbeitsobjekt bezieht und bei erneutem Arbeitsvollzug an einem weiteren Arbeitsobjekt identisch wiederholt wird. Grundlage für die Bildung von Prozessen ist eine detaillierte Tätigkeitsanalyse. Die in dieser Analyse festgestellten Tätigkeiten werden in einem zweiten Schritt zu Prozessen zusammengefaßt. Für den direkten Leistungsbereich erfolgt diese Analyse nach einer Prozeßverdichtung in der Arbeits-, Zeit- bzw. Arbeitsfolgeplanung. Sie findet dort ihren Niederschlag in Arbeitsplänen, Transportplänen u. a. Des weiteren werden für jeden Prozeß durch Schlüsselung zugehörige Gemeinkostenpools abgegrenzt. Für die Prozeß-

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kostenrechnung ist kennzeichnend, daß die prozeßbezogen anfallenden Kosten jeweils nur mit einer einzigen Kalkulationsbezugsgröße auf den jeweiligen Kostenträger verrechnet werden. Das setzt voraus, daß nur solche Tätigkeiten zu einem Prozeß zusammengefaßt werden, von welchen mit Gewißheit feststeht, daß ihre Kosten von derselben Kosteneinflußgröße abhängen. In diesem Sinne umfaßt ein Prozeß stets Tätigkeiten, die durch ein und dieselbe Kosteneinflußgröße verursacht werden. Bei der programmorientierten Prozeßkostenrechnung, die das Rechnungsziel „Bereitstellung von Kosteninformationen für die mittel- und langfristige Produkt- und Programmplanung" verfolgt, hängen diese Kosteneinflußgrößen sehr eng mit dem Produkt als Kostenträger zusammen. Hier können einzelne Produktteile und ganze Produkte als Kostenträger berücksichtigt werden. Deshalb muß in diesem Rechnungsansatz die Abhängigkeit der Kosten von produkt- und programmbezogenen Merkmalen abgebildet werden. Als Kosteneinflußgrößen können beispielsweise die Variantenzahl, die Produktionsmenge und die Produktkomplexität auftreten. In der programmorientierten Prozeßkostenrechnung sollen folgerichtig relevante Kosteninformationen nur für diejenigen produkt- und programmbezogenen Entscheidungen bereitgestellt werden, deren Entscheidungsvariablen in einer möglichst engen Beziehung zu den genannten Kosteneinflußgrößen stehen (2) Kennzeichnung von Prozeßbezugsgrößen. Von den Vertretern der Prozeßkostenrechnung wird unterstellt, daß Gemeinkosten, welche im indirekten Leistungsbereich einzelnen Prozessen verursachungsgerecht zugeordnet werden, letztlich auch den Kostenträgern verursachungsgerecht zugeordnet werden können. Dies bedeutet, daß ein Kostenträger, für den ein bestimmter Prozeß mehrfach durchgeführt wird, genau in Höhe dieser Prozeßbeanspruchung mit Kosten belastet werden muß. Die Größe, welche die Wiederholung eines Prozesses mißt, heißt Prozeßbezugsgröße (Cost Driver). Für eine verusachungsgerechte Zurechnung abgegrenzter Gemeinkosten auf Kostenträger muß gefordert werden, daß zwischen der auftretenden Kosteneinflußgröße und der definierten Prozeßbezugsgröße eine fünktionale Beziehung besteht. Die Prozeßbezugsgröße und die Kosteneinflußgröße eines Prozesses sind identisch, wenn die Kosteneinflußgröße durch die Prozeßmenge direkt erfaßt werden kann. Diese enge Interpretation verursachungsgerechter Kostenzurechnung folgt dem direkten Verursachungsprinzip (Identitätsprinzip). Denkbar sind auch die schwächeren Interpretationen als indirektes Verursachungsprinzip, Beanspruchungsprinzip oder Einwirkungsprinzip (vgl. Kloock, 1995, 138 ff ), nach welchen die dargestellten Abhängigkeitsverhältnisse immer mehr abnehmen. In den jeweils gebildeten Prozessen darf keine heterogene Kostenverursachung auftreten. Für jeden einzelnen Prozeß muß daher eine unabhängige Prozeßbezugsgröße definiert werden, die zu einer einvariabligen Kostenfunktion führt. Außerdem geht man vereinfachend davon aus, daß jede Prozeßwiederholung identisch und die zugehörende Kostenfünktion linear ist. Soweit kosteneinflußgrößenunabhängige Gemeinkosten auftreten, sind diese nicht entscheidungsrelevant. Für sie wird keine Prozeßbezugsgröße definiert, und sie können den Kostenträgern auch nicht "verursachungsgerecht" zugerechnet werden.

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(3) Struktur einer Prozeßkostenkalkulation. Um zu einer Prozeßkostenkalkulation zu gelangen (vgl. Abb. 1), die produktbezogen entscheidungsrelevante Kosten ermitteln (messen) soll, ist im indirekten Leistungsbereich für jeden einflußgrößenabhängigen Prozeß k ein Prozeßkostensatz fk zu berechnen. Er drückt die Gemeinkostenanteile des Prozesses k aus, die für eine Einheit der Prozeßbezugsgröße yk in allen tangierten Stellen entstehen. Da der größte Teil der Prozeßkosten kurzfristig den Charakter fixer Gemeinkosten besitzt, handelt es sich bei der Berechnung der Prozeßkostensätze vor allem um die Ermittlung anteiliger Fixkosten (Nutzkosten) pro Einheit der Prozeßbezugsgröße. In der Kostenrechnung nennt man diese Vorgehensweise eine Fixkostenproportionalisierung in bezug auf yt, die einer verursachungsgerechten Kostenzurechnung in vollem Umfange widerspricht. Will man für einen Kostenträger j die entscheidungsrelevanten Stückkosten kalkulieren, dürfen diesem Kostenträger nur die Kosten einflußgrößenabhängiger Prozesse zugerechnet werden, deren Höhe von der Ausprägung der jeweiligen Entscheidungsvariablen abhängt. Die Kosten einflußgrößenunabhängiger Prozesse können in einer programmbezogenen Variante der Prozeßkostenrechnung einem Produkt weder mittel- noch langfristig verursachungsgerecht zugerechnet werden. Schließlich benötigt man, um Prozeßkosten verursachungsgerecht auf eine Produktart zurechnen zu können, Prozeßkoeffizienten (Xjk, die ausdrücken, wie viele Prozeßbezugsgrößeneinheiten (Prozeßwiederholungen) des Prozesses k erforderlich sind, um eine Einheit der betrachteten Produktart j zu bearbeiten. Ein Prozeßkoeffizient postuliert eine präzise und empirisch gut bestätigte Beziehung zwischen der Prozeßbezugsgröße und der Produkteinheit. Vergleichbar den Produktionskoeffizienten in der Produktionstheorie (hier aij bzw. aik) ist für jede unabhängige Prozeßbezugsgröße k und für jedes Produkt j ein besonderer Prozeßkoeffizient ocjk zu definieren. Die Stückkosten Sj eines Kostenträgers j werden in diesem Rechnungskonzept ermittelt, indem zu seinen variablen Kosten vj die anteiligen Prozeßkosten (Prozeßkostensatz • Prozeßkoeffizient) über alle involvierten einflußgrößenabhängigen Prozesse sowie die restlichen Fixkostenanteile des direkten und indirekten Bereichs addiert werden.

Nur wenn die Prozeßkosten aller einflußgrößenabhängigen Prozesse von programmorientierten Kosteneinflußgrößen abhängig sind, kann diese Ermittlung der Stückkosten für das betrachtete Programm als verursachungsgerecht betrachtet werden. Alle Gemeinkosten, die den Produkten im Programm auf diese Weise nicht zugerechnet werden können, weil sie sich auf einflußgrößenunabhängige Prozesse beziehen, sind am Ende der Abrechnungsperiode direkt in die Periodenerfolgsrechnung zu übernehmen. Werden diese restlichen Gemeinkosten durch Schlüsselung den Produkten dennoch zugerechnet, führen sie zu Kostenverzerrungen, die sowohl dem Verursachungs- als auch dem Relevanzprinzip widersprechen.

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Darstellung und Würdigung des Activity-Based Costing

3.1 Kennzeichnung des Activity-Based Costing Die ursprüngliche Form der Prozeßkostenrechnung ist das Activity-Based Costing. In ihm ist überraschend, daß Entscheidungen, die durch relevante Kosteninformationen unterstützt werden sollen, bei der Abgrenzung und Auswahl der Prozeßbezugsgrößen keine Rolle spielen. Das läßt erkennen, daß dieser Rechnungsansatz nicht dem Entsprechungsprinzip zwischen Rechnung und Entscheidung folgt. Die Vertreter des ActivityBased Costing ziehen sich letztlich auf das Ressourcenmanagement bei Orientierung am Fertigungs- und Absatzprogramm als Rechnungsziel zurück (vgl. Cooper/Kaplan, 1988a, 1988b und 1991, 87 ff.), dies jedoch, nachdem die Grundstruktur des Rechnungsansatzes bereits festgelegt wurde. Dabei werden die verfolgten Rechnungsziele keineswegs eindeutig formuliert. Die Vertreter unterstellen, daß diese Rechnung (1)

unmittelbar zu höheren Erträgen verhelfen soll (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 87),

(2)

zu einem klaren Bild davon fuhren soll, wie durch Produkte, Kunden usw. Einnahmen- und Ausgabenströme entstehen (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 87),

(3)

Wege zeigen soll, wie der Bedarf an Ressourcen gesenkt werden kann (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 88),

(4)

erkennen läßt, „welche Aktivitäten mit welchem Unternehmensteil in Verbindung stehen und wie sie mit dem Entstehen von Einnahmen und dem Verbrauch von Ressourcen verknüpft sind" (Cooper/Kaplan, 1991, 88),

(5)

Gewinnvergleiche zwischen Kunden, Produktlinien, Verkaufsbezirken usw. ermöglicht (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 93),

(6)

den Managern zeigen soll, wie sie die Preisgestaltung verbessern können (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 93),

(7)

Kapazitätsplanungen unterstützen kann (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 93 f.).

Präzise Zielsetzungen formuliert dagegen Glaser (1992, 276): (1)

„Optimierung der Prozeßstruktur und des Ressourceneinsatzes in den Gemeinkostenbereichen,

(2)

Optimierung des Absatz- bzw. Produktionsprogramms in Verbindung mit adäquaten Produktgestaltungsmaßnahmen und angemessenen Preisfestsetzungen."

Nach den Vorstellungen der Vertreter dieses Rechnungsansatzes wird für jeden abgegrenzten Prozeß k (vgl. Abb. 1) unter Verwendung von Schlüsselgrößen über alle tan-

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gierten Stellen ein Kostenpool Kk gebildet, der Gemeinkosten umfaßt, welche für den betrachteten Prozeß in der Abrechnungsperiode „entstehen". Die Kostenpools werden in der Prozeßkostenkalkulation unter Verwendung der Prozeßbezugsgrößen und Prozeßkoeffizienten auf die einzelnen Produkte verrechnet. In diesem Ansatz wird ein großer Teil der Gesamtkosten auf die Kostenträger verrechnet. Lediglich die Leerkosten sowie die Forschungs- und Entwicklungskosten sind bei dieser Zurechnung ausgenommen, was von Gormly/Wells (1995, 53 f.) kritisch hinterfragt wird. Seiner Struktur nach ist damit das Activity-Based Costing eine Art Vollkostenrechnung (vgl. Kloock, 1992, 186 ff.; Seicht, 1992, 252 f.). Konzeptionell liegt der Prozeßkalkulation im Activity-Based Costing eine Hierarchie von Prozessen mit vier Ebenen zugrunde. Diese umfassen stückbezogene, losgrößenbezogene, produktbezogene und bereitschaftsbezogene Prozesse. Während die Kosten der drei ersten Ebenen über Prozeßbezugsgrößen auf die Produkte verrechnet werden, geschieht dies mit den Kosten der vierten Ebene prozeßunabhängig über die Wertschöpfung als Hilfsgröße. Da es sich beim Activity-Based Costing um eine programmorientierte Variante der Prozeßkostenrechnung handelt, bietet es sich an, den Einblick in die Struktur dieser Rechnung dadurch zu vertiefen, daß ein einfaches simultanes Planungsmodell für die Fertigungs- und Absatzprogrammplanung formuliert wird (vgl. Abb. 1). An diesem Modell kann erläutert werden, wie die Prozeßkostenrechnung mit der Programmplanung zusammenhängt. Es kann auch gezeigt werden, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede im Prozeßdenken für den direkten und für den indirekten Leistungsbereich bestehen. Außerdem sollen die Aufgaben der Prozeßbezugsgrößen und Prozeßkoeffizienten erläutert werden. Letztlich geht es darum zu klären, ob in einem derartigen Planungsmodell Prozeßkosten verursachungsgerecht und entscheidungsrelevant ermittelt werden können. Das einfache Planungsmodell der Abbildung 1 erfaßt in getrennten Feldern die m Prozesse des direkten und die p Prozesse des indirekten Leistungsbereichs. Im direkten Leistungsbereich werden die Prozesse in den Stellen 1 bis n und im indirekten Leistungsbereich in den Stellen n+1 bis z vollzogen. Jede Stelle verfügt über eine (Leistungs-) Kapazität, welche durch die Größen bi bis bn bzw. b„+i bis bz ausgedrückt wird. Außerdem können die Kapazitäten aller Stellen in Höhe von ± Ab, bei Bedarf verändert (angepaßt) werden. Strenggenommen müßte für alle Variablen ± Ab¡ Ganzahligkeit (Maschinen, Personen) gefordert werden. Für den direkten Leistungsbereich stellt jeder Spaltenvektor j (j = 1 bis m) mit den Produktionskoeffizienten a¡j (i = 1 bis n) einen direkten Prozeß (Fertigungsprozeß) dar, dessen Einflußgröße (Prozeßbezugsgröße) die Fertigungsmenge xj ist. Ein Fertigungsprozeß kann sich maximal über n Stellen erstrecken, so daß der zugehörige Spaltenvektor n Elemente enthält. Die Kapazität der Stelle i wird nach der Ungleichung (1) m X a i j ' x j ^ fy ± Ab, j=l

(1)

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auf die m Fertigungsprozesse verteilt. Im indirekten Leistungsbereich stellt analog jeder Spaltenvektor k (k = 1 bis p) mit den (Produktions-)Koeffizienten a& (i = n+1 bis z) einen indirekten Prozeß mit der Einflußgröße (Prozeßbezugsgröße) yk dar, wobei sich jeder dieser Prozesse maximal über z - n Stellen erstrecken kann. In dem Planungsmodell wird vereinfachend nicht zwischen stück-, produkt- und losgrößenbezogenen Prozessen unterschieden. Für die Verteilung der Stellenkapazitäten auf die indirekten Prozesse gilt die Ungleichung (2):

ì>ik k=l

(2)

Yk £ b i ± A b i .

Während im direkten Leistungsbereich die Entscheidungsvariablen x, Produktmengen darstellen, drücken im indirekten Leistungsbereich die Variablen yk Prozeßmengen bzw. -Wiederholungen aus. Strenggenommen müßte für beide Variablenarten Ganzzahligkeit gefordert werden. Die Gesamtkosten K der beiden Leistungsbereiche, d. h. der primären bei Ausklammerung der sekundären Leistungsbereiche, ergeben sich nach (3):

K =

m Xvj U=1

X

J + Fdir

f +

P X f k - y k + Flnd U=i

(3)

In Gleichung (3) stellen Vj die stückvariablen Kosten des Produkts j und Fair die gesamten fixen Gemeinkosten des direkten Bereichs dar, während fk die anteiligen (proportionalisierten) fixen Gemeinkosten der Prozeßbezugsgrößeneinheit (des Drivers) yk und F^d die restlichen (nicht proportionalisierten) unternehmungsbezogenen fixen Gemeinkosten des indirekten Bereichs sind. Die Stückkosten Sj lassen sich nach Gleichung (4) mit Kj als anteilige Gesamtkosten für j berechnen:

s

j=

K x

J j

= v

j

+

Fdir x

j

Ji

+

v * I f k « j k + k=l

Find X

J

(4)

J

Mit Fair j wird in (4) der auf die Produktart j aufgespaltene (geschlüsselte) Fixkostenanteil des direkten Bereichs, mit 0Cjk der Prozeßkoeffizient des Prozesses k für das Produkt j und mit Fi„d j der (geschlüsselte) Anteil unternehmungsbezogener Fixkosten des indirekten Bereichs für Produktart j bezeichnet. Für die Zurechnung der Fixkosten Fdir j und F;„dj werden weder Prozesse noch Prozeßbezugsgrößen formuliert. Bei der Kalkulation der Stückkosten Sj werden hier beide Größen vereinfachend in bezug auf xj proportionalisiert.

Prozeßorientierung der Kostenrechnung

97

3.2 Anwendungsbedingungen des Activity-Based Costing Die Würdigung der Prozeßkostenrechnung, speziell des Activity-Based Costing, soll unter dem Aspekt vorgenommen werden, welchen Beitrag diese Rechnung zur Unterstützung ihrer Ziele erbringt. Zur Fundierung dieser Würdigung werden zunächst die wichtigsten Anwendungsbedingungen formuliert, auf welchen dieses Rechnungskonzept basiert. Diese Anwendungsbedingungen beziehen sich betont auf den indirekten Leistungsbereich (vgl. Friedl, 1991, 46 ff. und 1994, 158; Pfohl/Stölzle, 1991, 85): (1)

Im indirekten Leistungsbereich können Prozesse mit ihren Produktionskoeffizienten a¡k definiert und präzise abgegrenzt werden. Für jeden dieser Prozesse kann eine Prozeßbezugsgröße yk eindeutig bestimmt werden, welche die zugehörige Prozeßmenge quantitativ mißt.

(2)

Für die gebildeten Prozesse können anteilige fixe Gemeinkosten fk prozeßbezogen erfaßt bzw. geplant werden. Im Zweifelsfall existieren Verteilungsschlüssel, nach welchen den Prozessen restliche Gemeinkosten verursachungsgerecht zugeordnet werden können.

(3)

Zwischen der Prozeßbezugsgröße und der Einflußgröße des betrachteten Prozesses besteht eine funktionale Beziehung, die auch Identität sein kann.

(4)

Die Beziehung zwischen einer Prozeßbezugsgröße yk und den Prozeßkosten f k ist proportional.

(5)

Der Einsatzgüterverbrauch im indirekten Leistungsbereich hängt von produktund programmbezogenen Merkmalen (Einflußgrößen) ab, die isoliert bzw. kombiniert festgestellt werden können (Einflußgrößen: Produktionsmenge, Variantenzahl, Produktkomplexität).

(6)

Für jedes relevante Produktmerkmal und für jede Produktart können eindeutig merkmalspezifische, konstante Prozeßkoeffizienten a j k bestimmt werden.

Die Anwendungsbedingungen (1) bis (4) stellen allgemeine Anwendungsbedingungen einer Prozeßkostenrechnung dar. Die weiteren Bedingungen (5) bis (6) beziehen sich zusätzlich auf die programmorientierte Variante dieser Rechnung. Die sechs Anwendungsbedingungen sind zum einen als Voraussetzungen zu interpretieren, unter welchen die Prozeßkostenrechnung nach Meinung ihrer Befürworter verursachungsgerechte Kosteninformationen generiert. Kosteninformationen der Prozeßkostenrechnung sind fur praktische Entscheidungen zum anderen nur dann brauchbar, wenn sie die reale Struktur eines Entscheidungsproblems möglichst exakt widerspiegeln, d. h. wenn sie entscheidungsrelevant sind. Eine Beurteilung der Aussagefähigkeit der Prozeßkostenrechnung kann daher vorgenommen werden, wenn unter Berücksichtigung der formulierten Anwendungsbedingungen überprüft wird, ob die hergeleiteten Kosteninformationen den zentralen Rechnungszielen dieser Kostenrechnung genügen (vgl. Friedl, 1995, 104 ff.; Schweitzer/Küpper, 1995, 351 ff).

98

Marceli

Schweitzer

3.3 Aussagefähigkeit des Activity-Based Costing (1) Erreichen des Abbildungsziels. Was das Abbildungsziel des Unternehmungsprozesses angeht, insbesondere der Leistungsprozesse im indirekten Leistungsbereich, ist als Prüfkriterium für die Aussagekraft das Verursachungsprinzip heranzuziehen. Die Abgrenzung von Prozessen in Abhängigkeit von (ganzzahligen) Prozeßbezugsgrößen bedeutet produktionstheoretisch, die Einsatzgütermengen eines Prozesses in Abhängigkeit von der jeweiligen Prozeßbezugsgröße auszudrücken. Durch den Aufbau einer Hierarchie von Prozessen (vgl. Abschnitt 3.1) wird diese Abhängigkeit zweckmäßig differenziert. In der Regel werden im jeweiligen Prozeß konstante Produktionskoeffizienten a^ unterstellt, womit Leontief-Transformationsfunktionen zur Anwendung gelangen. Allerdings kann in diesem Zusammenhang die Linearität dieser Transformationsfunktionen empirisch nicht begründet werden. Sie stellt vielmehr eine ad hoc-Annahme (Setzung) dar. Auch für das Ausklammern der Einsatzgütermengen für Forschung und Entwicklung gibt es keine empirische Begründung (vgl. Gormly/Wells, 1995, 54). Der Prozeßkostensatz fk stellt Stückgemeinkosten pro Einheit einer Prozeßbezugsgröße dar. Diese Stückgemeinkosten haben den Charakter von Nutzkosten. Bei der Umrechnung fixer Kosten in Leerkosten bzw. Nutzkosten wird auch eine lineare Funktion unterstellt. Die Linearität dieser Funktion kann empirisch ebenfalls nicht bestätigt werden, so daß es sich bei der Ermittlung von Prozeßkostensätzen um fiktive Rechnungsgrößen handelt, für welche es keine empirisch fundierte Erklärung gibt. Sollte sich außerdem herausstellen, daß für diese Prozeßkostensätze keinerlei Beziehung zu einer Entscheidungsvariablen eines Entscheidungsmodells hergestellt werden kann, besitzen die ermittelten Prozeßkostensätze keine Entscheidungsrelevanz. Die für den Übergang von den Prozeßkostensätzen auf die Produkteinheit erforderlichen Prozeßkoeffizienten ajk stellen ebenfalls Produktionskoeffizienten dar, die als geschätzte konstante Größen angenommen werden. Sie drücken eine lineare Beziehung zwischen Prozeßmenge und Kostenträger (Produkt) aus. Auf diese Weise wird erneut eine Leontief-Transformationsfunktion unterstellt, die zwar plausibel ist, deren Prozeßkoeffizienten als Schätzgrößen bzw. globale Durchschnittsgrößen jedoch wiederum nur fiktiven Charakter haben. Im Ergebnis werden über einen geschätzten Prozeßkoeffizienten fiktive Nutzkosten als proportionalisierte fixe Gemeinkosten den Kostenträgern zugerechnet. Diese Zurechnung genügt jedoch in keiner ihrer Komponenten dem Verursachungsprinzip (vgl. auch Kloock, 1992, 185; Seicht, 1992, 251 ff. und 266). Zur kritischen Analyse der Proportionalisierungsschritte in Prozeßkostenrechnungen sei auf Glaser (1992, 279 ff. und 287 f.) sowie Küting/Lorson (1993, 33) verwiesen.

(2) Erreichen der Planungsziele. Neben dem Abbildungsziel verfolgt die Prozeßkostenrechnung auch Planungsziele. Bei den Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs handelt es sich in erster Linie um fixe Produktgemeinkosten der bereitgestellten Potentialgüter. Diese fixen Kosten sind von Produkt- und Programmvariablen nur indirekt ab-

Prozeßorientierung

der Kostenrechnung

99

hängig. Als direkte Einflußgrößen treten hier vielmehr Personal- und Investitionsdeterminanten auf. Nur in bezug auf diese (ganzzahligen) Einstellungs- bzw. Entlassungsdeterminanten und Investitions- bzw. Desinvestitionsdeterminanten sind fixe Gemeinkosten im Zeitablauf variierbar. Als Prüfkriterium für die Aussagekraft der hergeleiteten Kosteninformationen ist hier deren Zielbezug bzw. Entscheidungsrelevanz heranzuziehen (vgl. Friedl, 1995, 107 f., 111 f. und 112; Glaser, 1995, 115 ff. und 120 ff ). Da sich die Prozeßkostenrechnung hauptsächlich mit dem Zurechnen fixer Gemeinkosten auf Prozesse und Produkte befaßt und diese Kosten kurzfristig kaum beeinflußt werden können, sind die Kosteninformationen der Prozeßkostenrechnung für die kurzfristige Programmplanung und damit für kurzfristige Entscheidungen ungeeignet. Es ist daher die Frage zu beantworten, ob die Kosteninformationen der Prozeßkostenrechnung für mittel- und langfristige Planungen (Entscheidungen) eine höhere Aussagefähigkeit besitzen. Die wichtigsten Gemeinkostenkategorien des indirekten Leistungsbereichs (Personalkosten) sind nach allen bisherigen Erfahrungen kurzfristig als fix zu betrachten. Kurzfristig ausgewiesene Kostenänderungen sind daher auf eine geänderte Beschäftigung (Prozeßwiederholungen) zurückzuführen und können sich nur auf variable Gemeinkosten beziehen, die den Charakter von Prozeß-Einzelkosten haben. Strukturelle Kostenänderungen können dagegen nur mittels Potentialentscheidungen erreicht werden, durch welche Kapazitäten der Stellen im Zeitablauf an den veränderten Bedarf angepaßt werden. Die zugehörigen Entscheidungsvariablen sind daher in mittel- und langfristiger Sicht alle zeitlich determiniert und ganzzahlig. Ihre zeitliche Variabilität drückt die Zeitpunkt- oder periodenbezogene Auf- und Abbaufähigkeit der Prozeß-Gemeinkosten aus. Hier spielen Bindungsfristen der eingesetzten Potentiale eine besondere Rolle. Im Zeitablauf durchgeführte Anpassungen des Potentials ziehen zeitlich differenzierte Fixkostenänderungen nach sich. Sie erfolgen in diskreten Schüben, die ihren Niederschlag in Fixkostensprüngen finden. Zur Struktur und Beeinflußbarkeit fixer Kosten im Zeitablauf gehen Cooper/Kaplan von der wirklichkeitsfremden und vordergründigen Vorstellung aus, daß Kosten „eigentlich" weder variabel noch fix sind. Letztlich sind sie nach der Vorstellung beider Autoren nur dann fix, wenn Manager nichts tun, um diese Kosten zu senken (vgl. Cooper/Kaplan, 1991, 94, Horväth/Mayer, 1989, 216). Horngren (1992, 292) nennt diese Vorstellung zurückhaltend eine „Übertreibung". Eine präzise, fallbezogene Untersuchung der Beeinflußbarkeit von Ressourcen und fixen Kosten im Zeitablauf fuhren Cooper/Kaplan jedoch nicht durch (vgl. zu den Möglichkeiten des Kostenmanagements Reiß/Corsten, 1992, 1484 ff ). Sie sagen vielmehr sehr allgemein, daß prozeßorientierte Kosteninformationen eine „Richtschnur" für das Erkennen von Entscheidungsbedarf darstellen. Theoretisch fundierte kostenmäßige Konsequenzen einer Entscheidung können jedoch nach einer derartigen Richtschnur nicht vorausberechnet werden. Nach ihrem bisherigen Entwicklungsstand ist die Prozeßkostenrechnung daher nicht in der Lage, die angesprochenen Ganzzahligkeits-, Fristigkeits- und Prognoseprobleme angemessen zu lösen und damit für die anstehenden mittel- und langfristigen Entscheidungen relevante Informationen bereitzustellen. Kloock (1992, 239) zeigt, daß ermittelte Prozeßvollkosten für eine strategische, langfristige Planung nur dann relevant sein können, wenn diese Kosten im Zeitab-

100

Marceil Schweitzer

lauf konstant bleiben und für alle zukünftigen Perioden einer Strategieplanung als repräsentativ zu betrachten sind. Beide Annahmen sind jedoch als unrealistisch einzuschätzen (vgl. auch Küpper 1991, 390; Glaser, 1992, 287 f.). Horngren (1992, 292) nennt derartige Prozeß-Vollkosten (product costs) eine Simplifikation, welche für die anstehenden Entscheidungen andere Einflußgrößen sowie Wechselbeziehungen zwischen Produkten und Kosten ignoriert. Es gibt unter den Befürwortern jedoch auch Vertreter, die einige Schwächen des Rechnungssystems einräumen (vgl. Rau/Rüd, 1991, 14 f.), jedoch vom Ansatz her das System verteidigen und zur Anwendung empfehlen. Die erörterten Strukturschwächen der Prozeßkostenrechnung werden durch eine Modellanalyse von Schneeweiß/Steinbach (1996) weitgehend bestätigt. Mittels eines Vergleichs zwischen einer (nicht approximativen) Optimalplanung und einer (stark approximierenden) Prozeßkostenrechnung wird für Entscheidungen über Kapazitäten und Produktionsprogramme sowie über Eigenfertigung/Fremdbezug durch Modellrechnungen mit relativer Wirklichkeitsnähe gezeigt, unter welchen Bedingungen die Prozeßkostenrechnung zu Fehlentscheidungen fuhrt. Als wichtigste Parameter werden in dieser Modellanalyse die Anpassungsgeschwindigkeit der Stellenkapazitäten und deren Anpassungskosten untersucht. Das Ergebnis lautet, daß bei geringer Anpassungsgeschwindigkeit und hohen Kapazitätsveränderungskosten Entscheidungen auf der Basis von Prozeßkosten zu deutlich schlechteren Gewinnbeiträgen führen als das Optimalmodell (vgl. Schneeweiß/Steinbach, 1996, 19 f.). Lediglich unter den Annahmen sehr hoher Anpassungsgeschwindigkeit und sehr niedriger Kapazitätsveränderungskosten, die jedoch beide wirklichkeitsfern sind, liefert die Prozeßkostenrechnung brauchbare Ergebnisse. Obwohl das formulierte Optimalmodell in seiner gesamten Struktur realitätsnäher formuliert ist als das stark vereinfachende Modell der Prozeßkostenrechnung, betrachten Schneeweiß/Steinbach (1996, 24) die von ihnen gefundenen Resultate als vorläufig, sie raten jedoch dringend die Formulierung eines umfassenderen Modells als das der Prozeßkostenrechnung an. Bei entsprechender Parameteranpassung könnten dann, so wird vermutet, „Prozeßkosten" in Lenkpreise übergehen und für die anstehenden Entscheidungen bzw. Planungen konsistente entscheidungsrelevante Informationen liefern (vgl. Schneeweiß, 1993, 1025 ff.). Zur Lenkpreisproblematik im Zusammenhang mit einer prozeßorientierten Kostenbudgetierung sei auf Troßmann (1992, 536) verwiesen.

(3) Erreichen der Steuerungsziele. Neben den Rechnungszielen der Abbildung und Planung verfolgt die Prozeßkostenrechnung auch Steuerungsziele. Letztere umfassen eine Steuerung der Wirtschaftlichkeit und eine Verhaltenssteuerung der Mitarbeiter. Die Steuerung der Wirtschaftlichkeit ist in ihrem Kern eine Überwachung der Kostensituation. D. h., sie ist eine Ergebniskontrolle (Soll-Ist-Vergleich) vorgegebener (geplanter) Kosten und als solche eine Kontrolle der Wirtschaftlichkeit. Für die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit im Sinne eines Soll-Ist-Vergleichs ist davon auszugehen, daß bei kurzfristiger Betrachtung die Gemeinkosten des indirekten Leistungsbereichs zum größten Teil fix sind. Voraussetzungen für einen aussagefähigen Soll-Ist-Vergleich sind das Auftreten identischer Prozeßwiederholungen, d. h. das Realisieren homogener Prozesse über die

Prozeßorientierung

der Kostenrechnung

101

jeweils tangierten Stellen (vgl. Scherrer, 1994, 598), und die Ableitbarkeit aussagefahiger Sollkosten (Küting/Lorson, 1993, 33). Kostenabweichungen, die in einer Kostenkontrolle festgestellt werden, können sich auf die variablen oder fixen Gemeinkosten beziehen und auf die Abweichung der tatsächlichen von der geplanten Prozeßmenge zurückgeführt werden. Bei den variablen Prozeß-Gemeinkosten ergibt sich eine Verbrauchsabweichung. Die restliche Abweichung ist in bezug auf die fixen Prozeß-Gemeinkosten eine Beschäftigungsabweichung und gibt mit dem Ausweis der Leerkosten an, in welchem Umfang die Kapazitäten durch Prozeßwiederholungen nicht genutzt und damit die geplanten fixen Gemeinkosten kalkulatorisch nicht verrechnet wurden. Vertreter der Prozeßkostenrechnung leiten daraus ab, daß die Prozeßkostenrechnung ein geeignetes Instrument zur Sicherung eines effizienten Ressourcenverbrauchs sei (Cooper/Kaplan, 1991, 87 ff ). In der Tat bringt ein fortlaufender Ausweis von Leerkosten zum Ausdruck, daß die geplante Prozeßmenge und damit die Kapazität des betrachteten indirekten Leistungsbereichs zu hoch ist. Wird eine niedrige Beschäftigung mittel- bis langfristig als gleichbleibend erwartet, drücken die ausgewiesenen Leerkosten mittel- bis langfristig einen möglichen Kapazitätsabbau aus. Dieses Bild ändert sich, sobald diese Leerkosten wegen eines anderweitigen Stellenengpasses auftreten und dieser Engpaß wegen Programmänderungen von der bisherigen in eine andere Stelle wandert. Allgemein ist zu sagen, daß nicht die Unterbeschäftigung vergangener Perioden für einen Kapazitätsabbau maßgebend ist, sondern nur der geplante Kapazitätsbedarf zukünftiger Perioden. Der Kapazitätsbedarf zukünftiger Perioden wird jedoch nicht über Kosteninformationen vergangener Perioden, sondern über mengenmäßige Personalbedarfs- und Anlagenbedarfsprognosen in Abhängigkeit vom zukünftigen (prognostizierten oder optimierten) Produktionsprogramm vorausberechnet. Kapazitive Anpassungen sind außerdem in der Regel nur mittel- bis langfristig bei Hinnahme von Anpassungskosten durchführbar. Lediglich bei Entscheidungen über den Aufbau bzw. Abbau von Überstunden oder Kurzarbeitszeiten im indirekten Leistungsbereich liegt ein kurzfristiges Kapazitätsproblem vor, für dessen Lösung man aber keine Leerkosteninformationen, sondern Stundenbedarfsprognosen benötigt. Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß eine kurzfristige Kontrolle der Wirtschaftlichkeit mittels Informationen aus der Prozeßkostenrechnung kein geeignetes Instrument zur Sicherung eines effizienten Ressourcenverbrauchs ist (vgl. Glaser, 1992, 288). Für eine mittel- bzw. langfristige Kostenkontrolle müßten zugehörige mittel- bzw. langfristige Soll-Prozeßkosten unter Berücksichtigung aller Engpässe, Kapazitätsveränderungen und deren Anpassungskosten geplant und laufend mit den zugehörigen IstProzeßkosten im Zeitablauf verglichen werden. In diesem längerfristigen Betrachtungszusammenhang kann der Soll-Ist-Vergleich von Prozeßkosten (schwache) Informationen über die Wirtschaftlichkeit der Kapazitätsauslastung oder über ablaufbedingte Kostenschwerpunkte (vgl. Franz, 1990, 128 und 1991, 539) liefern. Auch der Vergleich von Prozeßkostensätzen verschiedener Abteilungen, Sparten und Unternehmungen hat für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im indirekten Leistungsbereich geringe Aussagekraft. Ein derartiger Ist-Ist-Vergleich enthält als Betriebsvergleich alle Mängel, die dem letzteren angelastet werden können (vgl. Küting/Lorson, 1991, 1424). Ansonsten kann eine Standardkostenrechnung auf Prozeßbasis für die kurzfristige Wirtschaftlichkeitskontrolle

102

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der Prozesse (und Stellen) dieselbe Aussagekraft haben wie eine herkömmliche Standardkostenrechnung auf Stellenbasis (vgl. Scherrer, 1994, 601 f.). Zweckmäßiger wäre es allerdings, eine derartige Kontrollrechnung als Grenzplankostenrechnung auf Prozeßbasis einzurichten (vgl. Kloock, 1992, 240 ff. und 1995, 150 f.; Küting/Lorson, 1993, 34 f. sowie Lorson, 1992, 11), um zu zeigen, daß sich diese Wirtschaftlichkeitskontrolle stellenübergreifend auf die variablen Produkt-Gemeinkosten bzw. Prozeß-Einzelkosten bezieht. Auf dieser Basis wäre auch eine kostenorientierte Verhaltenssteuerung der Prozeßverantwortlichen (und der Stellenverantwortlichen) möglich.

3.4 Zusammenfassende Würdigung Es kann zusammenfassend gesagt werden, daß die Prozeßkostenrechnung in der Form des Activity-Based Costing für kurzfristige Kostenkontrollen bedeutungslos ist. Eine Kontrolle der Mengenkomponenten von Prozeßkosten liefert hier zuverlässigere Informationen (vgl. Scherrer, 1994, 602). Für mittel- und langfristige Kostenkontrollen wäre die Berücksichtigung zeitlich determinierter Programm- und Potentialänderungen erforderlich. Dies leistet die Prozeßkostenrechnung im gegenwärtigen Entwicklungsstadium jedoch nicht (vgl. Schweitzer/Friedl, 1994, 83 ff). Eine entsprechende Weiterentwicklung der Prozeßkostenrechnung ist allerdings denkbar. Mittel- bis langfristig können im indirekten Leistungsbereich systematische Prozeßanalysen und Leerkostenausweise für eine Kostenpolitik durchaus Bedeutung haben. Um in diesem Zusammenhang eine wirkungsvolle Kostenpolitik betreiben zu können, muß in die Prozeßkostenrechnung eine größere Zahl von Kosteneinflußgrößen (Kostenbezugsgrößen) und Nebenbedingungen (vgl. Schneeweiß/Steinbach, 1996, 9 f.) eingeführt werden, so daß die Spielräume für mögliche Anpassungsmaßnahmen und deren Kosten präzisiert werden. Mittel- bis langfristig ist es von besonderer Bedeutung, herauszufinden, wie einzelne Prozesse selbst rationalisiert werden können. Für den konkreten Rationalisierungsfall muß durch spezielle Analysen herausgearbeitet werden, welche Struktur die Prozesse besitzen und welches Anpassungspotential in den Prozessen und Stellen vorhanden ist.

(1) Stellenbezogen müssen folgende Fragen beantwortet werden: •

Durch welche Stellen (Abteilungen, Bereiche) läuft jeder Prozeß und welche Ausprägung haben seine Produktionskoeffizienten?



Wie viele Prozesse laufen durch ein und dieselbe Stelle?



Welche Stellen können zusammengefaßt oder unterteilt werden?



Welche Stellen sollen neu hinzukommen oder aufgelöst werden?



Welche Stellenhierarchie ist erforderlich?

Prozeßorientierung der Kostenrechnung

103



In welchen Stellen müssen Kapazitätsveränderungen vorgenommen werden?



In welchen Schüben und Zeiträumen können Stellenkapazitäten mit welchen Anpassungskosten verändert werden?



Welche Prozesse werden durch eine Veränderung der Stellenkapazität wie betroffen?



Wie wirkt sich eine Kapazitätsveränderung von Stellen im direkten Leistungsbereich auf die Stellenkapazitäten im indirekten Leistungsbereich aus?

(2) Prozeßbezogen müssen folgende Fragen beantwortet werden: •

Welche Arten von Prozessen und Prozeßbezugsgrößen sind zu unterscheiden? - Unterscheidung nach der Produktnähe der Prozesse: * Herstellprozesse, * Vor- und Nachleistungsprozesse, * Investitions- und Finanzierungsprozesse, * Verwaltungsprozesse. - Unterscheidung nach der Hierarchie der Prozesse: * stückbezogene Prozesse, * losgrößenbezogene Prozesse, * produktbezogene Prozesse, * unternehmungsbezogene Prozesse. - Unterscheidung nach der Abbaubarkeit der Prozesse: * Kernprozesse, * Hilfsprozesse, * Innovationsprozesse (einschl. Lern- und Fortbildungsprozesse).



Welche Prozesse lassen sich zu neuen (identisch wiederholbaren) Hauptprozessen zusammenfassen oder in solche Teilprozesse aufspalten?



Welche Prozesse können um welche Komponenten mit welchen Anpassungskosten verkürzt oder verlängert werden?



Wie wirken sich Prozeßveränderungen auf die Stellenkapazität und die Stellenbildung aus?



Welche Programmänderungen (Programmtiefe, Programmbreite bzw. Programmdichte) ziehen welche Prozeß- und Stellenänderungen nach sich?



Stellen alle Prozeßbezugsgrößen unabhängige Größen dar?

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Welche Prozeßbezugsgrößen (mit zugehörigen Prozessen) können überhaupt gebildet werden (Produktdriver, Prozeßdriver, Investitionsdriver, Finanzierungsdriver u. a.)?



Werden einzelne Prozesse bzw. Prozeßketten durch Prozeßbezugsgrößen definiert, schrittweise identifiziert oder sich selbst strukturierend erzeugt?



Hängen die Zusammensetzung und die hierarchische Struktur von Prozeßketten vom gestellten Entscheidungsproblem ab?



Wie wirken sich Änderungen von Produktionskoeffizienten, Prozeßbezugsgrößen und Prozeßkoeffizienten auf Kosteninformationen aus?



Wie wirkt sich die Ganzzahligkeit von Prozeßbezugsgrößen, Produkten, Prozeßkoeffizienten und Kapazitätsveränderungen auf die Kosteninformationen aus?

Wird nach diesen Überlegungen gefragt, welchen Erkenntnisbeitrag die Prozeßorientierung im Sinne des Activity-Based Costing zur Gestaltung von Kostenrechnungssystemen leistet, können folgende Antworten gegeben werden: (1) Die Entwicklung dieser Rechnung mag aus der Sicht des amerikanischen Entwicklungsstandes der Kostenrechnung eine wesentliche Neuerung sein, aus der Sicht des deutschen Entwicklungsstandes erweist sie sich dagegen als theoretisch unfundiert, lückenhaft und inkonsistent. (2) Diese Rechnung verstößt in wissenschaftlich nicht zu vertretender Form gegen die zentralen Rechnungsgrundsätze des Entsprechungsprinzips, des Verursachungsprinzips und des Relevanzprinzips. (3) Positiv ist die Anregung zu bewerten, auch im indirekten Leistungsbereich Prozesse (Teilprozesse, Hauptprozesse, Prozeßketten, Prozeßhierarchien) systematisch zu erforschen und ihre Input-Output-Beziehungen zu Potentialen und Programmen zu analysieren. (4) Die mengenmäßigen und zeitlichen Ergebnisse der prozessualen Input-OutputAnalysen versprechen eine verbesserte Koordination der Prozeß- und Kapazitätsplanung im indirekten Leistungsbereich. Organisatorisch können sie eine Verknüpfung der Ablauforganisation (Prozeßstrukturierung) mit der Aufbauorganisation (Potentialstrukturierung) leisten. (5) Die Schwächen dieser Rechnung geben Anlaß, über Flexibilitäts- und Komplexitätsprobleme in Potentialen, Programmen und Prozessen in bezug auf die Lösung von Entscheidungsproblemen mittels Kosteninformationen erneut nachzudenken. Dies gilt besonders für die Bedeutung geschlüsselter und proportionalisierter fixer Gemeinkosten bei Entscheidungen verschiedener Art.

Prozeßorientierung

der Kostenrechnung

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(6) Prozeßorientierte Kostenrechnungsansätze können nur grobe Approximationen komplexer, simultaner Optimierungsmodelle über Potential-, Programm- und Prozeßentscheidungen (-planungen) sein. (7) Auch nach der Würdigung des Activity-Based Costing ist die Frage offen, welche Struktur Kostenrechnungssysteme mit einer Prozeßorientierung haben müssen, um die Funktion einer zielführenden Unterstützung der jeweils anstehenden Entscheidungen zu erfüllen.

4

Schlußbemerkungen

Für die Weiterentwicklung bzw. den Ausbau zu einer entscheidungsorientierten Prozeßkostenrechnung liegt die zentrale Anforderung im Entsprechungsprinzip zwischen Entscheidung und Rechnungsansatz. Nach diesem Postulat beginnt die Entwicklung eines Kostenrechnungssystems mit der Analyse der Entscheidungsprozesse, die durch dieses System informatorisch unterstützt werden sollen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die jeweilige Entscheidung potential-, programm- oder prozeßbezogen ist. Die bisherigen Erfahrungen mit anderen Kostenrechnungssystemen sprechen dafür, daß nicht alle entscheidungsrelevanten Informationen durch ein einziges Kostenrechnungssystem hergeleitet werden können. Auch die Prozeßkostenrechnung wird nicht zu einem derartigen Allzwecksystem entwickelt werden können. Soweit die anstehenden Entscheidungen überhaupt nach Kosteninformationen verlangen, muß das zugehörige Kostenrechnungssystem durch dieselben Hypothesen fundiert werden, welche im Entscheidungsproblem (bzw. -modell) die theoretischen Beziehungszusammenhänge abbilden. In welchem Umfang dann die Struktur des Kostenrechnungssystems durch Reduktionen und Relaxationen vereinfacht werden darf, um noch entscheidungsrelevante Informationen für das jeweilige Entscheidungsproblem zu liefern, bedarf umfassender und systematischer Modellanalysen. Gerade unter dem Aspekt der theoretischen Fundierung hat die Prozeßkostenrechnung in der Form des Activity-Based Costing ihre besonderen Schwächen. Um auch dem Verursachungsprinzip besser zu genügen als andere Systeme der Vollkostenrechnung, reicht es auf keinen Fall, für die wichtigsten Relationen und Daten Plausibilitätsannahmen und Schätzgrößen zu unterstellen sowie mehrfach empirisch unbegründete Fixkostenproportionalisierungen vorzunehmen. Vielmehr müssen empirisch fundierte Gesetzmäßigkeiten gefunden werden, auf welche die verwendeten Kostenfunktionen zurückgeführt werden können. Auch Fragen der mehrdimensionalen Kostenauflösung sowie der Auf- bzw. Abbaufähigkeit fixer Kosten im indirekten Leistungsbereich, sowohl in dimensionaler als auch in zeitlicher Hinsicht, sind bisher noch nicht angemessen beantwortet worden.

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Marceil Schweitzer

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Marceli

Schweitzer

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Information Systems for the Strategic Management of Complex Corporate Groups von Kuno Rechkemmer The objective of strategic management activities in the enterprise is to secure long-term success and thus the realization of the strategic fit. The design of the subsystems and potential fields of enterprise and their coordination with the environment of the enterprise require subtle knowledge both of internal and external facts and trends. The gathering of suitable information thus becomes a key function of strategic management. Bea/Haas, 1995, 231

1

Introduction

For strategic management of complex corporate groups, like Daimler-Benz, IBM or Nestlé, obtaining suitable information is of central importance and critical to success. The demands placed on information systems by the top managers responsible for making strategic decisions are in keeping with this. In this respect, innovations in the area of information and communication technology now increasingly open up new possibilities. With the aid of these new techniques, top managers - as frequently portrayed - are supposed to be able to develop their strategic thoughts interactively with the computer in the form of manmachine communication (see a.o. Arthur D. Little, 1992; Bullinger et. al., 1992, 1993, 1994; Frackmann, 1996; Gates, 1996). In the lines of development of the relevant research, this vision of "strategic management via computer" has a long tradition (see a.o. LeavittAVhisler, 1958; Mertens/Kress, 1970, Rockart/DeLong, 1989). Nonetheless, to this day it has remained the exception for top managers of complex groups to work "hands on" with computers, let alone develop strategic programs with them. What are the causes? Is the potential of the computer still so unfamiliar to them, as is often assumed? This paper is to put a different view up for discussion. Its premises are as follows: Top managers of complex corporate groups like Daimler-Benz AG, IBM or Nestlé - in the following referred to as top managers - generally belong to one or more top-level organizations of their enterprises, for example the board of management of their corporate group, the board of management or management body of a majority- owned corporate group, the board of management or management body of an important subsidiary or second-tier subsidiary, or the supervisory bodies of im-

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Kuno Rechkemmer

portant subsidiaries, second-tier subsidiaries or other affiliates (see Bleicher/Leberl/Paul, 1989). To cope with the tasks they face in their positions, top managers are dependent on the support of large organizational apparatuses (lines, staffs, etc.) - in the following referred to as information machineries (borrowing from the term "machinery of government", common in governmental science). Without these "machineries" top managers basically would be unable to function. The organizational apparatuses of top managers must be considered the real competition of the computer at this top level. If, to this day, top managers personally work with computers only in exceptional instances, then this competitive relationship is one of the central influences. In the following, computers with which top managers work hands-on are referred to as top management information systems. With this in mind, we distinguish two categories of information systems below: (1) information machineries and (2) top management information systems. The purpose of this paper is to bring out the general characteristics of the supply of information to top managers by their information machineries and thus to make a new attempt to the subject of "information systems for the strategic management of complex corporate groups." The analysis is based, on the one hand, on the practical experience of the author, which ranges from the function of assistant to a management board member to the assumption of managerial duties in the area of information management. On the other hand, the analysis borrows from the findings of governmental science. This by no means is intended to present the specifics of bureaucracies as an example for private enterprises. Rather, the underlying idea is that in regard to the structure and operation of information machineries in complex organizations (states or complex corporate groups) typical patterns apply, which result from the limitations on people in dealing with complexity. In other words: we believe, that it is possible, and instructive, to draw analogies between governmental and top management solutions in the context of our subject. Consequently, we first describe the information machinery of a member of government, taking the Chancellor of the Federal Republic of Germany as our example. The information machineries of top managers are then discussed basing on this description.

2

Information Machineries of Members of Government

What is the information machinery of a member of government made up of and how does it operate? Basis of the following description, which uses the example of the Chancellor of the Federal Republic of Germany, are the Standing Orders of the Federal Cabinet of

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the Federal Republic of Germany (GOBReg), as amended up to and including July 1988; (see also Bartelsperger/Boldt/Umbach, 1979; Blank, 1970; Brauswetter, 1976; Carstens, 1971; Echtler, 1973; Ellwein, 1967, 1968, 1968a, 1983; Haungs, 1986, 1989; Hennis, 1964, 1965; Jäger, 1988; Kissinger, 1979; König, 1990; Schmidt, 1987, Schwarz, 1989, Seemann, 1971) The starting point of our description is the governmental system of the Federal Republic of Germany as shown in Figure 1, which at the same time is interpreted, from the viewpoint of the Federal Chancellor, as the basic structure of the Chancellor's information machinery.

Figure 1:

The Governmental System of the Federal Republic of Germany (see Bartelsperger/Boldt/Umbach, 1979, 61)

Federal Chancellery ~

Federal Chancellor



Personal staff

Federal Cabinet

Cabinet committees

Interministerial coordinating bodies

Federal ministries

Though almost every Chancellor of the Federal Republic of Germany has had his own style of managing this structure, the processes within this system are nonetheless highly

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regulated: The Basic Law of the Federal Republic of Germany (Art. 65) specifies three basic principles: the Federal Chancellor determines the policy guidelines ("chancellor principle"); the ministers are responsible for managing their own portfolios, operating within these guidelines ("principle of departmental responsibility"); the Federal Chancellor and the ministers consult and decide as a collegiate body within the framework of the Cabinet ("principle of government by committee"). On this basis the Standing Orders of the Federal Cabinet (GOBReg), which are approved by the Federal President, determine the further details of collaboration, as for example (§§15ff): "What" the Cabinet, and thus the Federal Chancellor, who chairs this cabinet as first among equals, is to be informed about and in what form. That all matters submitted to the Cabinet are to be discussed in advance among the ministries involved. That items which could not be resolved in these consultations are to be presented with a proposal for a solution, including a brief statement of reasons. That differences of opinion among federal ministers must only be submitted to the Federal Chancellor if a personal attempt to reach agreement is unsuccessful. Apart from the ministries and the Cabinet, the Federal Chancellery and the personal staff of the Federal Chancellor must be considered essential elements of his information machinery. The Federal Chancellery simultaneously functions as control center of government activity. Applied to the governmental systems of other countries, its position would be about comparable with the Executive Office of the U.S. President, the Cabinet Office in Britain, or the Office of the President of the Council of Ministers in France. It is the secretariat of the Cabinet; it coordinates the work of the ministries and supplies the Federal Chancellor with the information that is important to him. In its secretarial function it prepares the Cabinet meetings: queries the ministries concerning planned bills; examines the drafts as to whether they are ripe for decision; lays down the agenda in agreement with the Federal Chancellor (what is not on the agenda cannot be decided upon in Cabinet); invites the ministers to the meeting, makes a record of the meeting and transmits the adopted minutes to the Cabinet members for action. In its coordinating function it tries to harmonize the activities of the individual departments as early as possible, for example by taking part in the meetings of department heads in the ministries. In its informational function it collects and filters the relevant information of the day and passes it on to the Chancellor through his personal staff. It handles letters addressed to the Chancellor by outsiders, either passing them on to other units or

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preparing its own comments, it sums up the proposals to the Cabinet from the ministries, outlining a problem, pointing out contradictory arguments, making recommendations for action, and so on. The personal staff of the Federal Chancellor (secretaries, assistants, etc.) compiles the information (reports, notes, correspondence, other documents) required by the Chancellor to prepare himself or to perform certain activities, submitting them to him in good time. Additionally, the staff is responsible for other secretarial business: first handling of incoming mail, advance clarification of requests presented orally (by phone or in personal conversation), drafting and coordination of speeches, managing of the appointment calendar, organization of travel, discussions, meetings, and so forth. Furthermore, it handles tasks in the nature of personal briefing, where appropriate together with other members of the governmental system. The Federal Chancellor may first let himself be informed about a matter during such briefings and then begin to ask specific questions, to get a better grasp of the relevant aspects of the subject, from his point of view, or to, in a sense, internalize the subject matter to make it a part of his mental model (see Senge, 1994) so that he can then state his views with the necessary assurance and conviction in decisive discussions with outsiders. In this connection the following description, which deals with the methods of work of U.S. President Clinton, may be illuminating: "Clinton ... needs to 'internalize' important decisions, putting together policy proposals, ideas, opinion polls, advice from aides, views of outside experts and comments from everyday people in a kind of cerebral Mixmaster. 'Early on, no one understood this', says a veteran of Clinton's campaign. But a whole lot of things have to happen before it becomes his policy. He needs to think that he has been through a thorough analysis. He has to hear the good options, the bad options, the difficult options, the crazy ideas and the traditional ideas, so that by the time he makes his case to the American people, he knows it fully, he's internalized it. ... Clinton went through this process last year on the budget, NAFTA and health care, holding as many as 30 meetings with key advisors on each subject. Clinton took copious notes in those sessions, always asked the best questions, sometimes taking an opposing view when his advisors had reached consensus." (o. V., 1994, 16) As for decision-making on this level, Kissinger (1979, 48) describes this as follows: "Prior to my work as advisor to Kennedy, like most people of the academic fraternity I had believed the decision-making process is mainly an intellectual affair, and all one needs to do is go into the office of the President and convince him of the correctness of one's own view. But I found out very soon that this conception is as dangerously immature as it is common. It is a fact that in our system the President has the authority to make final decisions, he has a greater freedom of decision than the heads of government of all other major countries, including probably even the Soviet Union. But the work schedule of a President is so hectic that he has only little time for abstract considerations. Almost everyone who approaches

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him up comes with a request that involves their own interests or those of third parties, and usually these requests are very plausible-otherwise these people would not make it to the Oval Office. Therefore, one of the most difficult tasks of the President is to pick out the convincing arguments from a great many arguments. But he does not find them himself; they are worked out at lower levels. Consequently, during his term of office a President increasingly bases his decisions on the confidence which he has in his advisors, except in extremely critical situations." Apparently, the decision makers at this top level, in keeping with Schumpeter (1987), act mainly as final deciders and not as "developers or preparers of decisions." That is the task of their information machinery. This is the place where matters are agreed internally and made ready for decision. Without the support of such machineries, in complex systems it would simply be impossible for final deciders at the top level to discharge their responsibilities.

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Information Machineries of Top Managers

Top managers - like the members of a government - have to cope with very great complexities. For them, too, the extensive support of information machineries is indispensable in this context. The central elements and processes of both systems are to be regarded as largely identical. Starting from figure 1, the analogies shown in figure 2 can be drawn for a stock company under German law:

Figure 2:

Governmental System versus Top Management System

Federal Chancellor

Chairman of Board of Management

Federal Cabinet

Board of Management

Minister/Ministry

Member of Board of Management

Federal Chancellery

Central Secretariat Personal

Personal Staff

Personal Staff

On the top-management-side, the prescriptions of the Basic Law and the Standing Orders that have been described for government are incorporated in the following form:

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The place of the Basic Law is taken by the national corporate or top- echelon constitution. Two models must be distinguished internationally, the one-tier model, as is applied in the Anglo-Saxon area, and the multitier model, as in Germany and France, for example. In the singletier model there is one supreme organ. It performs the functions both of supervision and of management. In the multitier model the two functions are separate (example: supervisory board and board of management of a German stock company). With Bleicher/Leberl/Paul (1989), in regard to the "collegiality of top management" the two models must be differentiated into a directorial and a collegiate variant: Directorial forms of work are automatically implemented when the supreme authority is invested in only one person. The collegiate form of top management is realized in its purest form when the members are equal and they make decisions based on the principle of unanimity or majority (see Bleicher/Leberl/Paul, 1989, 2). The German model, for example, is collegial, which corresponds on the government side with the chancellor principle, the principle of departmental responsibility and the principle of government by committee. In contrast, the American model, with the strong position of the Chief Executive Officer, has directorial character, which corresponds with the governmental system there. The processes within the top-level system of the enterprise are highly regulated, as they are on the government side. The prescriptions of the top-echelon constitution are generally complemented here by various internal regulations (rules of internal procedure, etc.). These internal regulations may partly manifest the prescriptions of the top-echelon constitution (see Figure 3), but partly also make the top-echelon organization first able to function at all by formally specifying items such as the convening of meetings, agenda, chair, voting procedure, minority opinion, keeping of minutes, speaking time, reporting, conduct of business between meetings (see Gabler Wirtschaftslexikon, 1988, 2088). The control center of the top-level organizations of complex enterprises is - in analogy to the Federal Chancellery above - the central secretariat, which is usually directly subordinated to the chairman of the top-level organization. The core duties of this secretariat include the preparation, support and review of the meetings of "its" top-level organization: it queries the personal staffs of the members of this body concerning current contributions or projects, examines materials submitted for the agenda items as to whether they are complete and ready for decision; it makes proposals for the agenda to the chairman, takes the minutes of meetings and transmits the adopted minutes to the members for further action; it monitors the taking of action and draws timely attention to agenda items which have been postponed or which must be handled in steps. In the context of enterprises, too, we must assume normally that no draft is placed on the agenda of a top-level organization that has not been coordinated and agreed with all departments involved in advance. In the course of this coordinating process, the information machineries of the members of the top-level organization work together closely to bring the opinion of their unit into the decision-making process and to bring about a solution that is supported by all. For the information machineries of the top managers it is very important to be informed as early as possible about the business on the agenda. The earlier this happens, the more time they have to initiate or compile necessary state-

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ments, recommendations, comments and so on which appear necessary from the viewpoint of "their" top managers, within their units. For them, the central secretariat is the most important unit to talk with under this aspect, since they can find out from it the business that will be dealt with. Figure 3

Excerpts from the Rules of Procedure of the Board of Management of Daimler-Benz AG (Management Organization, last amended 1989)

- The business of the enterprise is jointly conducted by the Board of Management (collegial principle). Irrespective of overall responsibility, every Board of Management member manages his portfolio under his own responsibility. - Unanimity must be striven for by the Board of Management in making decisions. However, the Board of Management can decide by simple majority of its members. - If, on fundamental or essential issues, joint consultation does not resolve differences of opinion, the Chairman of the Board of Management must exhaust all options to bring about a uniform decision. If this does not produce results, the matter must be submitted by the Chairman of the Board of Management to the Chairman of the Supervisory Board, who decides the aspects under which it will be rediscussed by the Board of Management. - Matters which must be coordinated and agreed shall be determined by the Board of Management. If, in a matter which is subject to coordination and agreement, no understanding can be reached between functional Board of Management members and corporate unit, then the Board of Management decides. Matters requiring agreement include: - conclusion of plant agreements which possibly affect other group companies or which are of fundamental significance - management staff planning and filling of positions of senior executives - principles of data processing policy, especially DP standards and structures, etc.. - The Board of Management can reserve the right of approval to itself in particularly important matters involving the corporate units. Matters requiring approval include: - operative (medium- and short-term) and strategic planning of subgroups and of corporate units or business segments - research programs and research budgets - substantial changes to business units, from the viewpoint of the group, as well as to product or production programs - other measures and transactions of extraordinary scope or fundamental significance. - Information and coordination are based on mutual trust. - Every member of the Board of Management must inform his Board colleagues about matters pertaining to their task areas and agree with them on how to handle the matters. - Comprehensive mutual provision of information is part of the compulsory reporting system to be established for the group, but beyond that also includes data, facts and pointers, the knowledge of which can be of essential importance for the fulfillment of current tasks.

At the meeting of the top-level organ, usually the head of the central secretariat records the reports of the members, as they present their items of the agenda, as well as the subsequent discussion and resolutions. Before the minutes are adopted at the next meeting, he or she agrees the draft text in advance with the meeting's participants. Parallel to this, he or she words the decisions, which may be of considerable strategic importance, in the

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form of action to be taken, limited to the essentials. These are then promptly distributed to the members of the body to ensure the speediest possible implementation of the adopted decisions. Furthermore, for top managers, like members of government, it is indispensable to have the support of a personal staff. This staff can be composed of several secretaries, assistants or other persons responsible for special tasks (speech writers, public relations workers, etc.). Its duties include handling external and internal "mail" (letters, notes, reports, strategy papers, etc.): the staff either answers them itself or passes them on to the pertinent departments within the company; it submits the rest to the top manager, partly summarizing and commenting on the contents and partly making proposals for handling and drafting replies, the staff clarifies requests made orally - by phone or in personal conversation - in advance, as far as possible, it coordinates appointments for meetings, prepares them, and provides the top manager the necessary materials/information in good time for such meetings. As for incoming mail, it also sees to it that this is made available to the top manager at an opportune moment. If top managers do not have sufficient time during the day, the material is handed to them in the evening for the drive home from the office or to some other destination. If they are traveling, urgent documents are faxed to them and, if possible, other documents are brought to them by subordinates or colleagues who join them during the trip. The same applies when top managers arrive from a journey at the airport, for instance, and are picked up by their driver, or when they make a stopover on a journey and can be reached in some way, either by having a driver deliver the mail to them personally or having an employee wait for them at the airport to hand them the most important items of incoming mail. Similar to the way it provides them the mail, the personal staff also directly controls the supply of other information to them. It arranges appointments for discussions and meetings, keeps the phone list, organizes travel and travel programs, and so forth. Requests brought forward from outside the enterprise, by mail or phone, are noted and are either brought to the attention of them or "headed off." Anyone who has tried, for example as a student, to reach a top manager by phone, is familiar with the procedure. If top managers are interested in an exchange, he or she either takes up contact directly or has his or her secretariat schedule an appointment. The secretarial business is frequently managed by the personal assistant to the top manager. His or her activities can range from more operative duties all the way to the duties of a deputy. If the top manager himself is not the chairman of the top-level organization, coordination with the central secretariat is one of the chief duties of the assistant. As already noted above, the includes having oneself informed early on of the agendas of pending meetings or providing notice of agenda items coming from one's own unit; it means, in reference to items which concern the unit, initiating and putting together comments, statements, recommendations, etc., within the unit; finally, all materials must be provided to the top manager in a single folder for his preparation in good time for the meeting.

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Additional duties include the personal briefing of the top manager in the above form, together with other direct subordinates of the top manager (department or section heads) where appropriate. All in all, requirements are placed on the members of the staffs and lines in the direct environment of a top manager which go beyond what is normal in quantitative and qualitative respect. The pressure on this group of people is great. Despite their usually very high qualifications, the tasks which they are required to handle demand great efforts due to their scope and importance. The constellation "central secretariat/personal staff' can exist in several forms within complex corporate groups. This will generally be the constellation if, for instance, a top manager belongs to several top-level organizations down a line; for example, he or she is a member of the "upper" and chairman of the "lower" (let us say, member of the board of management of the parent company of the group and chairman of the board of management of a major group subsidiary abroad). In reference to the function as member of the board of management of the parent company, the personal staff of the top manager works together with the central secretariat of the parent company. In his or her function as chairman of the board of management of the group subsidiary, his or her personal staff will either simultaneously exercise the function of the central secretariat of the subsidiary, or he or she is additionally assigned an organizationally separate central secretariat in this function. The personal staffs of the members of the board of management of the subsidiary, in turn, cooperate closely with the respective central secretariat but naturally also amongst each other. In principle, such constellations within an enterprise can apply equally to correspondingly organized product units, divisions, etc., which do not legally constitute separate companies. As one can see, every top manager has his or her information machinery which supplies him or her with strategic information to fill his or her needs - in queen bee fashion, so to speak - day and night and all over the world if necessary. One of the tasks critical to his or her success is to organize and control this information machinery in the best possible way. This requires leadership and personal commitment, in the sense of the executive sponsor of Rocket/DeLong (1988), particularly since scope for action in this area is not unrestricted in practice and compromises must be made in respect to budget, structures, people, etc. A forward-pointing solution might be for top managers to delegate some of this management task to the head of a unit reporting directly to them and to make other staff sections (Strategic Planning, Controlling, Economics, Public Relations, etc.) report to this unit head. In the hierarchy, the head of this unit could either be placed on the level directly below the top manager, or, if the position of his superior permits, could himself belong to the group of top managers. (For comparison, the head of the Federal Chancellery of the Federal Republic of Germany enjoyed the status of a state secretary in earlier legislative periods, and more recently that of a minister.) Many and varied requirements are made of the competence and acceptance of the head of a unit like this: absolute loyalty to the top manager and the enterprise, the ability to

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manage apparatuses, wide-ranging skills and knowledge, diplomatic skill and imperviousness to scheming. He should have the right "feel" for the essential moods and trends inside and outside the enterprise, be able to put himself in the position of his superior and report all important matters to him without smothering him with details. Moreover, in the worst of cases he must be willing and able to push through the interests of the top manager against the resistance of the apparatus. This can require considerable staying power in a complex organization (see a.o. Carstens, 1971, 191 ff).

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Conclusions

In regard to the top management processes of complex corporate groups typical patterns apply, which result from the general limitations on people in dealing with complexity. With respect to "information machineries" and "top management information systems" the following becomes obvious in the context above: (1)

In performing their duties, top managers are dependent on the assistance of powerful "information machineries" (staff, lines etc.) which supply them with relevant information according to their needs - day and night and all over the world if necessary. Top managers are incapable of functioning without such machineries.

(2)

These information machineries are to be seen as the real competition for top management information systems. In the light of this competition, the vision of "strategic management via computer" may lead to misunderstandings as far as "top managers" are concerned and should perhaps be defined more precisely when used in the specific context of this group.

(3)

Even though the potential of top management information systems is minor compared with the power of information machineries and the vision of "strategic management via computer" needs to be refined as far as "top managers" are concerned, it does not inevitably mean that there is no place for hands-on computer work in top-level management. The crucial importance of the information factor on that level and the frequent problems of managing this factor in practice, there, rather indicate, that it may be worthwhile to analyze the true potential of these systems for that level in further detail.

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Strategische Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen von Wolfgang Nuber

1

Einleitung

Während die Literatur zur strategischen Planung zunehmend unübersehbar wird, werden Problemstellungen der strategischen Kontrolle noch deutlich zurückhaltender diskutiert, obwohl in der Literatur stets auf den engen inneren Zusammenhang von Planung und Kontrolle hingewiesen wird. Nimmt man den vielfach zitierten Satz „Planung ohne Kontrolle ist sinnlos, Kontrolle ohne Planung unmöglich" 1 ernst, so bedeutet dies, daß jede - und damit auch die strategische - Planung einer Überprüfung unterzogen werden muß. Anhand eines einfachen Beispiels zu den Auswirkungen des Falls der Mauer im Jahre 1989 läßt sich dies verdeutlichen. Gehen wir davon aus, daß ein Unternehmen im Jahr 1989 im Rahmen seiner strategischen Planung für die nächsten 5 Jahre eine Umsatzsteigerung von 20 % vorgegeben hat. Quasi über Nacht kamen nun zu den 60 Millionen Bundesbürgern weitere 16 Millionen und damit auch ca. 25 % neue potentielle Käufer hinzu, d. h. der Markt vergrößerte sich innerhalb eines Jahres um 25 %. Es liegt auf der Hand, daß dadurch die ursprüngliche strategische Planung obsolet geworden ist. An diesem Punkt setzt die strategische Kontrolle an. Sie hinterfragt die Prämissen der strategischen Planung. Implizite Annahme in unserem Beispiel war, daß das Marktvolumen und das Käuferpotential in diesen 5 Jahren ungefähr gleich bleibt und sich eben nicht um 1/4 ausdehnt. Diese Annahme war aber nach dem Fall der Mauer nicht mehr zutreffend. Solche Prämissenänderungen müssen durch ein strategisches Kontrollsystem rechtzeitig erkannt werden und möglichst frühzeitig zu einer Revision der strategischen Planung fuhren. Im folgenden Abschnitt soll erläutert werden, was eine strategische Prämissenkontrolle im einzelnen beinhaltet, welche weiteren Aufgaben strategischer Kontrolle sich abgrenzen lassen und welche Bestandteile ein geschlossenes strategisches Kontrollsystem enthalten sollte. Anschließend wird eine Fragestellung aufgegriffen, welche in der Literatur zum strategischen Management wenig Beachtung gefunden hat: Analysiert werden soll (in den Abschnitten 3 und 4), wie sich ein strategisches Kontrollsystem an die spezifischen Bedingungen mittelständischer Unternehmungen anpassen läßt. Hierzu wird zunächst (in Abschnitt 3) das von Mintzberg entwickelte Modell von Organisationstypen vorgestellt, welches als theoretischer Bezugsrahmen für die weiteren Ausführungen die1

Vgl. z. B. Schweitzer, 1993, 89; Horväth, 1990, 160; Gaulhofer, 1988, 208; Pfohl. 1981, 17. Häufig wird dabei auf Wild, 1974, 44 verwiesen.

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Wolfgang Nuber

nen soll. Abschließend werden (in Abschnitt 4) einzelne Merkmale eines für mittelständische Unternehmungen geeigneten strategischen Kontrollsystems vorgestellt.

2

Aufgaben und Elemente eines strategischen Kontroi Isystems

In der betriebswirtschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl von Kontrollbegriffen, die sich teilweise wesentlich unterscheiden und auch zu unterschiedlichen Abgrenzungen (strategischer) Kontrollaufgaben fuhren. 2 Einigkeit besteht lediglich darüber, daß Kontrolle im Kern einen Vergleich von zwei oder mehreren Objekten beinhaltet, die mindestens ein gemeinsames Merkmal haben und von denen eines die Funktion der normativen und eines die der empirischen Größe wahrnimmt. Meist handelt es sich dabei um einen Soll-Ist-Vergleich zwischen einer Sollgröße und einer realisierten Größe (Ist). 3 Während sich die Kontrolle im engeren Sinne auf die Durchfuhrung eines derartigen Soll-Ist-Vergleichs beschränkt, kann dieser enge Kontrollbegriff in zwei Richtungen erweitert werden: Kontrolle im weiteren Sinne kann einerseits alle sinnvollen Vergleiche zwischen Soll-, Wird- und Ist- Größen beinhalten, andererseits neben der Durchfuhrung eines Vergleichs auch die Analyse von Abweichungen und im weitesten Sinne sogar die Planung, Entscheidung und Durchfuhrung von Korrekturmaßnahmen zur Beseitigung der Abweichungen umfassen.

In dieser Arbeit wird von folgendem Kontrollbegriff ausgegangen: Kontrolle beinhaltet als systematischer, zielgerichteter, informationsverarbeitender Prozeß die Durchführung eines Vergleichs zwischen (mindestens) zwei Kontrollgrößen, von denen eine normativen Charakter hat und damit als Beurteilungsmaßstab für die empirische Größe dient, die Ermittlung und Analyse von relevanten Abweichungen zwischen diesen Größen sowie die Weitergabe der Kontrollergebnisse und die Empfehlung von Korrekturentscheidungen. 4 Das Treffen von Korrekturentscheidungen fällt dagegen nicht mehr unter die Kontrolle, um eine möglichst überschneidungsfreie Abgrenzung zur Planung zu erreichen.

2

3 4

Eine zusammenfassende Literaturübersicht findet sich bei Siegwart/Menzl, 1978, 114 ff. Hinzu kommt eine Fülle von Über- und Unterbegriffen, wie z. B. Revision, Überwachung, Prüfung, Controlling, Audit etc., die häufig in gleicher oder ähnlicher Bedeutung verwendet werden; vgl. hierzu z. B. Reiß, 1983, 3. Vgl. Schweitzer, 1991, 87. Vgl. die Definitionen bei Pfohl, 1981, 59; Zettelmeyer, 1984, 78 und Horväth/Reichmann, 1993, 351 sowie die etwas engere Abgrenzung bei Schweitzer, 1991, 88, der die Korrekturempfehlungen nicht explizit mit einbezieht.

Strategische Kontrolle

127

2.1 Defizite der traditionellen Kontrollauffassung im strategischen Kontext In der traditionellen Managementlehre ist Kontrolle als reiner Soll-Ist-Vergleich angelegt, wobei sowohl die Kontrollstandards als auch die Kontrollobjekte und die Kontrollzeitpunkte von der Planung festgelegt und vorgegeben werden. Die traditionelle Kontrolle überprüft erst nach Abschluß des Realisationsprozesses als feedback-Kontrolle, ob die geplanten Ziele erreicht worden sind und koppelt diese Informationen anschließend an die Planung zurück. Alle Informationen werden also erst ex-post und damit nach Abschluß der Implementation der Planung gewonnen und für etwaige Korrekturmaßnahmen an die strategische Planung weitergeleitet. Für strategische Kontrollaufgaben eignet sich diese traditionelle Kontrollauffassung, bei der die Kontrolle der strategischen Planung als der dominanten Managementfunktion nachgeordnet ist, nicht. Insbesondere die Feedback-Orientierung der Kontrolle weist aus zwei Gründen erhebliche Defizite auf: 5 (1) Die Feedback-Kontrolle erfolgt erst nach Ausfuhrung der Pläne. Das fuhrt dazu, daß solche Kontrollinformationen, die auf die Notwendigkeit einer Strategierevision hinweisen, unter Umständen zu spät kommen, um rechtzeitig Umsteuerungsmaßnahmen einleiten zu können. (2) Die Feedback-Kontrolle ist nicht in der Lage, die Notwendigkeit von Zielrevisionen zu signalisieren, da sie die Standards aus der Planung als gegeben und nicht hinterfragbar betrachtet. Eine Überprüfung der Richtigkeit der Planung und des ihr zugrunde liegenden Selektionsprozesses ist damit nicht möglich. Ziel einer strategischen Kontrolle muß es aber sein, Mängel in der Komplexitätshandhabung durch die strategische Planung und daraus möglicherweise entstehende Bedrohungen aufgrund der bestehenden strategischen Handlungsorientierung zu identifizieren und Veränderungsnotwendigkeiten der Strategie rechtzeitig zu signalisieren. Daher ist im strategischen Kontext eine möglichst frühzeitig einsetzende Überprüfung der strategischen Pläne erforderlich, um diese, wenn notwendig, schnell an geänderte Bedingungen anpassen zu können. Die strategische Kontrolle darf sich demnach auch nicht nur auf die Überwachung der Realisation strategischer Pläne beziehen, sondern muß sich auch auf die Überwachung ihrer (Erstellungs-)Grundlagen erstrecken. Erst wenn die strategische Kontrolle die von der Planung gelieferte Problemdefinition nicht mehr kritiklos übernimmt, sondern prinzipiell eine plankritisierende und plananregende Wirkung entfaltet, wird sie im Rahmen der

5

Vgl. im folgenden Hasselberg, 1989, 43 und Steinmann/Hasselberg, 1989, 203 f. Zu weiteren Defiziten traditioneller Kontrollen vgl. Goold, 1991, 70 sowie Horovitz, 1979, 2.

128

Wolfgang Nuber

strategischen Unternehmensfiihrung zu einer eigenständigen Führungsfunktion und befreit sich von der Funktion eines „Erfüllungsgehilfen" der Planung.6

2.2 Grundmodell einer strategischen Kontrolle Wenn die strategische Kontrolle7 eine aktive Steuerungsaufgabe im Rahmen der strategischen Unternehmensführung übernehmen soll, muß sie in ein kompensatorisches Verhältnis zur Planung treten: Sie darf nicht durch die strategische Planung vorherbestimmt werden und darf sich nicht ausschließlich auf die vorgegebenen Kontrollstandards (Prämissen und Zwischenziele) aus der strategischen Planung beschränken, sondern muß aktiv nach neuen kontrollrelevanten Informationen suchen, die die bestehenden Strategien in Frage stellen könnten. Soll die strategische Kontrolle also den strategischen Planungsprozeß kritisch absichern, muß sie an allen Phasen strategischer Planung ansetzen.8 Da die Ursachen von Abweichungen ferner möglichst frühzeitig erkannt werden sollten, erscheint für die strategische Kontrolle eine feedforward-Orientierung angebracht. Eine solche vorwärts gerichtete Kontrolle läßt Abweichungen bereits vor ihrem Eintreten erkennen und sehr frühzeitig mögliche Abweichungsursachen deutlich werden. Dies bedeutet für strategische Steuerungsaufgaben einen erheblichen Zeitgewinn. Die mit einer solchen kompensatorischen Funktion verbundenen vielfältigen Aufgaben einer strategischen Kontrolle können nicht durch eine einzige Kontrollart abgedeckt werden. Ein strategisches Kontrollsystem benötigt deshalb mehrere, an unterschiedlichen Phasen der strategischen Planung und unterschiedlichen Kontrollobjekten ansetzende Kontrollarten9 (vgl. dazu auch Abbildung 1): (1) Die Durchführungskontrolle überwacht ab der Phase der Strategieimplementation die beabsichtigten Wirkungen und unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Strategien. Sie beurteilt, ob Abweichungen von den ex-ante festgelegten Zwischenzielen (Meilensteinen) strategisch relevant sind bzw. auf eine Gefährdung des strategischen Kurses hindeuten und daher eine Strategieänderung erforderlich machen und beinhaltet sowohl eine Ergebnis- als auch eine Planfortschrittskontrolle. Damit kommt sie der traditionellen Kontrolle am nächsten. (2) Die Prämissenkontrolle beginnt bereits in der Phase der Strategieformulierung. Sie überprüft fortlaufend die gesetzten strategischen Planannahmen über die Entwicklung der (externen) Umwelt und der (internen) Ressourcensituation. Die Hauptaufgabe der Prämissenkontrolle besteht darin, im Licht aktueller Umweltentwicklungen 6 7

8

9

Vgl. Ohland, 1988, 175. Zur strategischen Kontrolle vgl. auch Schreyögg/Steinmann, 1985, 391 ff.; Pfohl, 1988, 801 ff. sowie Bea/Haas, 1995, 208 ff. Zum strategischen Management vgl. auch Henzler, 1988, 1285 ff.; zu empirischen Untersuchungsergebnissen zum Stand der strategischen Planung vgl. Kreikebaum/Grimm, 1986, 857 ff. Vgl. Kötzle, 1993, 223.

Strategische Kontrolle

129

kritisch zu hinterfragen, ob die gesetzten kritischen Annahmen weiterhin zutreffen. So muß sie z. B. die Annahme „es gibt keine Substitutionsprodukte" stets kritisch hinterfragen. (3) Die strategische Überwachung übernimmt ebenfalls ab der Phase der Strategieformulierung quasi als Auffangnetz für die anderen beiden Kontrollarten die Aufgabe einer kontinuierlichen und prinzipiell ungerichteten Beobachtung der externen und internen Umwelt. Damit sollen vor allem bisher vernachlässigte oder unvorhergesehene Ereignisse erfaßt werden, die zu einer Bedrohung der Strategie fuhren können. Aufgrund des prinzipiell ungerichteten Charakters und der prinzipiellen Offenheit hinsichtlich der Informationsaufnahme können für die strategische Überwachung exante keine Kontrollmaßstäbe festgelegt werden. Nicht ex-ante festlegbar sind insbesondere die Beobachtungsbereiche der strategischen Überwachung. Sie ist allerdings insoweit ebenfalls gerichtet, als sie von einem Bezugspunkt, nämlich dem Prämissenkranz der strategischen Planung, ausgehen muß. (4) Auch das gesamte strategische Kontrollsystem selbst ist kontrollbedürftig. Dazu ist eine Metakontrolle erforderlich, die in regelmäßigen Abständen Aufbau- und Ablaufstrukturen des strategischen Kontrollsystems überprüft. 10 Aufgabe der Metakontrolle ist es dabei insbesondere zu überprüfen, ob das strategische Kontrollsystem unternehmensgerecht gebildet und implementiert ist. Sie soll verhindern, daß sich im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens unangemessene strategische Kontrollstrukturen herausbilden. Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, kann die strategische Kontrollfünktion nicht durch eine einzelne Kontrollart erfüllt werden, sondern bedarf des abgestimmten Einsatzes der vier Kontrollarten strategische Prämissenkontrolle, strategische Durchführungskontrolle und strategische Überwachung sowie als Komplement der Metakontrolle. Während die ersten drei Kontrollarten in der Lage sind, das mit der strategischen Planung notwendigerweise verbundene hohe Selektionsrisiko zu kompensieren, soll die Metakontrolle das strategische Kontrollsystem selbst kontrollieren und somit bestehende Unzulänglichkeiten und Mängel aufdecken. Abbildung 1 zeigt das aufeinander abgestimmte Zusammenwirken der vier Kontrollarten im strategischen Kontrollprozeß (erweitertes Dreistufen-Modell). Da es bei der inhaltlichen Konzeptionalisierung eines strategischen Kontrollsystems stets darum geht, „zwischen der erforderlichen Anpassung an die Komplexität und Unsicherheit der externen und internen Umwelt einerseits und der notwendigen Formalisierung von Indikatoren und Kontrollprozeduren andererseits einen Ausgleich zu schaffen,"11 beschränkt sich dieses Grundmodell trotz der umfangreichen Aufgaben, die die strategische Kontrolle zu

10 11

Vgl. hierzu auch Kötzle/Leibfarth, 1995, 39 f. Kreikebaum, 1993, 61.

130

Wolfgang Nub er

leisten hat, auf wenige entscheidende Kontrollarten. 12 Zum einen soll dadurch die Flexibilität des strategischen Kontrollprozesses nicht gefährdet, zum anderen sollen die Kontrollbeteiligten nicht überfordert und damit demotiviert werden.

Abb. 1: Die strategischen Kontrollarten im Rahmen des erweiterten Drei-Stufen-Modells strategischer Kontrolle (dargestellt am strategischen Kontrollprozeß) Quelle: Steinmann/Schreyögg (1991), S. 203 (modifiziert).

12

Dagegen werden insbesondere von Zettelmeyer, 1984, 220 ff. und Hahn, 1992, 651 ff. eine Fülle weiterer Kontrollarten für die strategische Kontrolle vorgeschlagen.

Strategische Kontrolle

3

131

Grundmodell einer strategischen Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen

Die bisher vorgestellten Überlegungen sollten generelle Anforderungen für die Gestaltung der strategischen Kontrolle aufzeigen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß Systeme und Strukturen einer Unternehmung und damit auch das strategische Kontrollsystem an die spezifischen Bedingungen einer Unternehmung angepaßt werden müssen. Für den Einsatz der strategischen Kontrolle in mittelständischen Unternehmen bedarf es demnach einer situationsspezifischen Anpassung. In den folgenden Ausfuhrungen soll deshalb untersucht werden, welche Modifizierungen am Grundmodell eines strategischen Kontrollsystems vorgenommen werden müssen, um die strategischen Kontrollaufgaben in mittelständischen Unternehmen bestmöglich zu erfüllen. Standen hierbei bislang vor allem inhaltliche, aufgabenbezogene Gesichtspunkte im Vordergrund, soll nunmehr verstärkt auch auf organisatorische Aspekte eingegangen werden. Für eine solche kontextspezifische Konkretisierung der strategischen Kontrolle wird ein typologischer Ansatz zugrundegelegt. Dieser Ansatz 13 ist als Mittelweg zwischen einem generalistischen Ansatz (Stichwort: "one best way") einerseits und der extremen Ausprägung situativer Ansätze andererseits anzusehen, deren Grundhypothese "it all depends" lautet. Mit einer Typologie läßt sich die Vielzahl von Anwendungssituationen in überschaubare Gruppen ordnen. Als theoretischer Bezugsrahmen für eine situationsspezifische Differenzierung des strategischen Kontrollsystems erscheint der Konfigurationsansatz von Mintzberg 14 aufgrund seiner Realitätsnähe und der ganzheitlichen Sichtweite besonders geeignet. In diesem Ansatz werden zum einen relativ viele Kriterien bzw. Einflußfaktoren zur Unterscheidung der einzelnen Typen herangezogen, was zu einer hohen Realitätsnähe fuhrt, und zum anderen nicht nur Teilaspekte einer Unternehmenskonfiguration herausgegriffen, was zu einer gesamtunternehmensbezogenen, ganzheitlichen Sichtweise der Unternehmung beiträgt. Darüber hinaus bietet der Ansatz von Mintzberg auch ausreichende Anknüpfungspunkte für die organisatorische Gestaltung der strategischen Kontrolle, da er nicht einseitig die jeweils verfolgte Strategie in den Mittelpunkt der Unterscheidung stellt. Aus diesen Gründen wird der Ansatz von Mintzberg nachfolgend als Basis für eine kontextspezifische Anpassung des Grundmodells strategischer Kontrolle an die Bedingungen in mittelständischen Unternehmungen herangezogen. Hierbei ist insbesondere die ganzheitliche Perspektive Mintzbergs hervorzuheben, die auch die Interdependenzen einzelner Konfigurationselemente erkennen läßt. 13 14

Zu der Einordnung der typologischen Ansätze vgl. insbesondere Amshoff, 1993, 105 ff. Vgl. dazu Mintzberg, 1979 und Mintzberg, 1992.

132

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3.1 Die Mintzberg'sche Typologie als konzeptioneller Bezugsrahmen Auf der Grundlage von persönlichen Beobachtungen und Forschungsergebnissen kommt Henry Mintzberg zu einer Typisierung von Unternehmen, die durch eine bestimmte Konstellation unterschiedlicher Kontextfaktoren, Strukturvariablen und Strategien gekennzeichnet ist. Mintzbergs Grundhypothese lautet, daß innerhalb der Grundgesamtheit von Unternehmen (statische) Konfigurationstypen abgrenzbar und iür diese Konfigurationstypen ausreichend präzise Erklärungsmodelle ableitbar sind.15 Demnach streben Unternehmen nach einer Abstimmung zwischen Kontextfaktoren, Strategie und Strukturvariablen, d. h. nach einer konsistenten und damit tragfähigen Unternehmenskonfiguration. Nach Mintzberg besteht jede Organisation aus fünf Grundbausteinen (vgl. Abb. 2). Die Basis jedes Unternehmens bildet der betriebliche Kern, worunter die an der Durchführung des Betriebsprozesses beteiligten Mitarbeiter zusammengefaßt werden. Zwischen diesem operativen Kern und der strategischen Spitze, der obersten Unternehmensleitung, die die Unternehmung gestaltet und das Gesamtsystem überblickt, ist als Bindeglied in der Haupthierarchielinie die mittlere Linie, das Mittel-Management, positioniert. Die Technostruktur umfaßt im wesentlichen Stäbe in Bereichen wie der strategischen Planung, der Produktionsplanung, des Rechnungswesens etc. Die Mitarbeiter der unterstützenden Einheiten nehmen überwiegend interne Dienstleistungs- und Unterstützungsfunktionen (wie Rechtsberatung, Öffentlichkeitsarbeit, Kantine etc.)16 wahr. Mintzbergs Hauptthese lautet nun, daß sich fünf verschiedene Konfigurationstypen abgrenzen lassen, die sich vor allem unterscheiden in17 • der Bedeutung der fünf Grundbausteine der Unternehmung, • der Ausprägung der Kontextsituation, insbesondere des Grades an Dynamik18 und Komplexität19 der Unternehmensumwelt sowie 15

16

17 18

19

Dem teilweise erhobenen Vorwurf einer Idealisierung der Unternehmensrealität durch die Reduktion der Einzelfallkomplexität auf wenige allgemein gehaltene Gruppen (vgl. z.B. Niemeier, 1986, 225), wobei durch die Einteilung in "Idealtypen" die Möglichkeit, die angestrebte Effizienz auf andere Weise zu erreichen, ausgeschlossen werde, und dieser Ansatz deshalb nur erste grundlegende Einsichten vermitteln könne, kann mit dem Argument begegnet werden, daß erst die Kenntnis der Idealbedingungen für das Management die Basis bildet, auf der Lösungen für reale Einzelfälle hergeleitet werden können (vgl. Miles/Snow, 1978, 100). In einigen Darstellungen findet sich als sechster Bestandteil noch die Ideologie, die die Unternehmenskultur widerspiegelt; vgl. z.B. Mintzberg, 1991, 91. Vgl. dazu ausführlich Nuber, 1995, 275 ff. Dynamisch ist eine Umwelt, wenn sie ein hohes Maß an Veränderlichkeit der relevanten Umweltmerkmale im Zeitablauf beinhaltet. Kennzeichen für eine dynamische Umwelt sind z. B. unerwartete Änderungen in den Verbrauchergewohnheiten oder im Angebot der Konkurrenten. Komplex ist eine Umwelt, wenn die Unternehmung eine Fülle von anspruchsvollen Kenntnissen über die Umwelt (Kunden, Produkte etc.) besitzen muß, um in dieser Umwelt bestehen zu können.

Strategische Kontrolle



133

des vorherrschenden Koordinationsmechanismuses.

Abb. 2: Die fünf Grundbausteine der Organisation Quelle: Mintzberg (1979), S. 20 sowie Mintzberg (1992), S. 28.

Diese fünf Konfigurationen charakterisiert Mintzberg folgendermaßen: • Die unternehmerische Organisation, schen Spitze dominiert wird.

die bei einer einfachen Struktur von der strategi-

• Die Maschinen-Organisation, in der die Technostruktur mit ihrem Hang zur Standardisierung und Rationalisierung dominiert. • Die Organisation der Professionals operativen Kerns von Fachleuten. •

mit einer Dominanz des stark dezentralisierten

Die divisionalisierte Organisation oder diversifizierte Organisation, bei der die mittlere Linie weitgehend autonom mehrere marktorientierte Einheiten (Divisionen) fuhrt, die nur lose unter einer zentralen strategischen Spitze miteinander verkoppelt sind.

• Die Adhokratie oder innovative Organisation mit einer äußerst dezentralisierten, sich laufend ändernden Struktur, bei der sich die Spezialisten der unterstützenden Einheiten in Projektgruppen gegenseitig abstimmen.

134

Wolfgang Nuber

KonfigurationsBezeichnung

Konfiguration

wichtigster Grundbaustein WIÈÈÊÈ^BIsBÈÈÈK^ der Organisation

unternehmerische Organisation

J>

c L

v

strategische Spitze

persönliche Weisung

Technostruktur

Standardisierung des Arbeitsprozesses

operativer Kern

Standardisierung von Fähigkeiten und Kenntnissen

mittlere Linie

Standardisierung der Arbeitsprodukte

unterstützende Einheiten

gegenseitige Abstimmung

J

A

MaschinenOrganisation

professionelle Organisation V.

J

divisionalisierte Organisation / è & â â \

Adhokratie (

r

^

vorrangiger Koordinationsmechanismus

S

)

Abb. 3: Überblick über strukturelle Idealtypen nach Mintzberg Quelle: Mintzberg (1992), S. 207 und Barth-Renz (1992), S. 73.

Strategische

Kontrolle

135

In Abbildung 3 sind diese fünf Konfigurationen zusammenfassend dargestellt. Neben einer graphischen Veranschaulichung des jeweiligen Konfigurationstyps, bei der der jeweils dominierende Grundbaustein besonders betont wird, enthält die Übersicht auch den jeweils im Vordergrund stehenden Koordinationsmechanismus. Angesichts unseres Untersuchungsziels - dem Entwurf eines für mittelständische Unternehmen geeigneten Kontrollsystems - soll der erste Konfigurationstyp, die unternehmerische Organisation, näher erläutert werden. 20

3.2 Die unternehmerische Organisation als mittelständische Unternehmenskonfiguration Die unternehmerische Organisation21 ist geprägt durch eine einfache, flexible und damit organische Struktur, die meist aus einer Person an der Unternehmensspitze und einer Gruppe von Ausführenden besteht. Häufig besitzt sie keinen oder nur einen sehr kleinen Stab und kommt mit sehr wenigen Hierarchieebenen aus. Geprägt wird die unternehmerische Konfiguration durch die strategische Spitze, den (Eigentümer-)Unternehmer mit einer starken Persönlichkeit und klaren Zielen, der (fast) die gesamte Macht ausübt und die Ausführung der Unternehmensaktivitäten direkt durch persönliche Weisungen überwacht. 22 Daher erfolgt auch die Kommunikation weitgehend informell auf direktem Weg zwischen Führungsspitze und Organisationsmitgliedern. Durch die starke Zentralisation der Machtbefugnisse auf den Unternehmer verläuft der Entscheidungsprozeß sehr flexibel und erlaubt schnelle Reaktionen. Die Strategiebildung sowie innovative unternehmerische Anstöße sind ausschließlich Chefsache und erfolgen eher intuitiv denn analytisch. Die so entstehende Strategie spiegelt meist die implizite Vision, die Ideen des Unternehmers und seine Überzeugungen wieder und wird nur sel20

21

22

Es existiert bis heute keine allgemein anerkannte Definition des Mittelstandes. In den nachfolgenden Ausführungen wird das typisch deutsche Phänomen des mittelständischen Unternehmens der Einfachheit halber mit der unternehmerischen Konfiguration von Mintzberg gleichgesetzt. Die herausragende Stellung der mittelständischen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht die Tatsache, daß nach der Arbeitsstättenzählung des Statistischen Bundesamtes 99 % aller Unternehmen Klein- und Mittelbetriebe sind; vgl. Statistisches Bundesamt, 1973. An dieser Zahl hat sich seither nichts Wesentliches geändert. Zu den verschiedenen Definitionen des Begriffs „Mittelstand" vgl. Gantzel, 1962, 293 ff., Langen, 1978, 26; Hamer, 1987, 11 ff. und Marwede, 1983, 4 f. Zu unterschiedlichen Abgrenzungskriterien vgl. insbesondere Poeßl, 1990, 5 ff. und Pfohl/Kellerwessel, 1990, ff. Teilweise bezeichnet Mintzberg diesen Konfigurationstyp auch als Einfachstruktur (simple structure). Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen Mintzberg, 1992, 213 ff. sowie Mintzberg, 1991, 127 ff, wobei jeweils ein Kapitel die Einfachstruktur behandelt. Entscheidend für eine unternehmerische Organisation ist eine (häufig aus nur einer Person bestehende) strategische Spitze in der Unternehmung. Da es keine Rolle spielt, ob es sich dabei um einen Eigentümer-Unternehmer oder einen angestellten Unternehmer, d.h. einen vom Inhaber beauftragten Geschäftsführer handelt, wird auf diesen Unterschied im folgenden nicht näher eingegangen, sondern nur der übergreifende Begriff "Unternehmer" oder "Unternehmensleiter" verwendet; vgl. Horväth, 1977, 3. Zum (Pionier-)Unternehmer vgl. auch Ott, 1996, 225 f.

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ten schriftlich formuliert. Da die Ergebnisse der Strategiebildung nicht in einen formalen, schriftlich festgelegten und detaillierten strategischen Plan überfuhrt werden und die Strategie meist nur wenigen Organisationsmitgliedern (und diesen meist nur in Bruchstücken) bekannt ist, können die Einzelheiten der Strategie vom Unternehmer auch erst im Laufe der Umsetzung konkretisiert werden. Da der Unternehmensleiter durch seine persönliche Aufsicht über die Strategieimplementation diesen Prozeß ohne großen Aufwand ändern kann, läßt sich bei veränderten Umweltbedingungen die Strategie aufgrund des Lernprozesses einer einzigen Person flexibel an die neue Situation anpassen. Solange das Unternehmen einfach und überschaubar bleibt und von einer einzigen Person überblickt werden kann, vermag der unternehmerische Ansatz beeindruckende Erfolge aufzuweisen, da bei keinem anderen Ansatz eine Strategie klarer und vollständiger entworfen werden kann und dennoch die Flexibilität erhalten bleibt, bei Bedarf kurzfristig aufgrund von neuartigen Kontrollinformationen die Strategie zu ändern. 23 Die Umwelt der unternehmerischen Organisation ist meist einfach und dynamisch zugleich. 24 Sie muß relativ einfach sein, damit eine Person an der Spitze die gesamte Entscheidungsmacht und Strategiebildung auf sich konzentrieren kann. Daher zieht es die Führung meist vor, in bekannten Nischen zu bleiben (z. B. durch eine Konzentration auf den heimischen, regionalen Markt). Zugleich ist die Umwelt meist dynamisch, d.h. die künftige Entwicklung der Umwelt ist nur bedingt prognostizierbar, was eine flexible und organische Struktur erforderlich macht. Besonders häufig bildet sich der unternehmerische Organisationstyp in den Gründungsjahren eines Unternehmens heraus, 25 in denen die Unternehmung typischerweise als Einzelunternehmung geführt wird. Während schnell wachsende Unternehmen aufgrund geänderter Anforderungen relativ bald einen Quantensprung in eine andere Konfiguration vollziehen, verharren andere (dauerhaft mittelständische) Unternehmen auch über längere Zeit oder gar Generationen in der unternehmerischen Form, für die eine informelle Kommunikation weiterhin angemessen und effektiv bleibt. Da bei der unternehmerischen Organisation alle Entscheidungen hinsichtlich der Strategie und der operativen Aktivitäten beim Unternehmer liegen, ergibt sich zwar eine hohe Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeit bei strategischen Reaktionen. Diese Zentralisation der Entscheidungsmacht kann aber gleichzeitig zu erheblichen Schwierigkeiten fuhren. So kann der Unternehmer derart in operative Probleme verstrickt sein, daß er die strategischen Überlegungen aus den Augen verliert. Umgekehrt mag er sich vielleicht für seine strategischen Möglichkeiten so begeistern, daß er dabei die Routinevorgänge vernachlässigt und somit der gesamten Unternehmung schadet. Hinzu kommt, daß die unternehmerische Organisation durch die starke Abhängigkeit von einer dynamischen Per23

24 25

Vgl. Mintzberg, 1991, 134. Dies zeigt sich insbesondere darin, daß einige der größten Unternehmenserfolge mit dem unternehmerischen Ansatz erzielt wurden, z.B. die Entwicklung des Automobils sowie die Wiederbelebung der schweizerischen Uhrenindustrie durch N. Hayek. Vgl. dazu und zum folgenden Mintzberg, 1992, 216 ff. sowie Mintzberg, 1991, 128 ff. Praktische Beispiele für eine solche unternehmerische Organisation sind Pionierunternehmen mit visionären Gründern wie Nixdorf oder Grundig sowie lokale Hersteller, die feste regionale Größen sind.

Strategische

Kontrolle

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sönlichkeit an der Spitze leichter verwundbar ist als andere Unternehmen. Selbst ein guter Unternehmensleiter kann zu einem Risiko für die Unternehmung werden, wenn er sich einem dringend notwendigen Wandel widersetzt. Aufgrund fehlender Anpassungsmittel wird dann die große Stärke des Unternehmens, die in der Vision der Führungspersönlichkeit und der schnellen Reaktionsfähigkeit liegt, plötzlich zum Hauptproblem. Auch ist die Unternehmung hinsichtlich ihrer strategischen Alternativen eingeschränkt und besitzt teilweise nur begrenzte Wachstumschancen, da einerseits die Strategie ausschließlich auf den Zielen und dem Wissen der strategischen Spitze basiert und andererseits die Führungsspitze bei einer zunehmenden Zahl von Beschäftigten und höheren Anforderungen durch den Ausbau der Produktionskapazitäten an die Grenzen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten stößt. 26 Diese Abhängigkeit der unternehmerischen Organisation von der Vision, den Fähigkeiten, der Erfahrung und schließlich auch der Gesundheit 27 des Unternehmers, macht sie gleichzeitig auch zu einer risikobehafteten Konfiguration, was die Notwendigkeit 28 einer strategischen Kontrolle deutlich hervortreten läßt. Außerdem stellen eine bei anhaltendem unternehmerischem Erfolg zwangsläufig eintretende Vergrößerung des Unternehmens, eine zunehmende Dynamik der Umweltsituation, mit der auch mittelständische Unternehmen konfrontiert sind,29 sowie die Tatsache, daß kleinere Unternehmen von plötzlichen Änderungen in der Bedingungskonstellation aufgrund der geringen Produktvielfalt und den damit verbundenen fehlenden Ausweichmöglichkeiten auf andere Märkte stärker und schneller in ihrer Existenz bedroht sind, erhöhte Anforderungen an die Leitung mittelständischer Unternehmen. Dadurch werden auch die Führer von Mittelbetrieben zunehmend gezwungen, ihr unternehmerisches Fingerspitzengefühl, ihre bislang sehr erfolgreiche Intuition durch formalisierte Führungssysteme (für die strategische Planung und die strategische Kontrolle) zu ergänzen. 30

26 27

28

29

30

Vgl. Greiner, 1982, 26 f. Vgl. dazu das eingängige und zugleich drastische Beispiel von Mintzberg, 1992, 219. eine Herzattacke kann den wichtigsten Koordinationsmechanismus, den Unternehmenschef, buchstäblich ausschalten. Dies wird nicht zuletzt auch an dem gerade in den letzten Jahren deutlich zu beobachtenden Trend ersichtlich, wonach über Jahre florierende mittelständische Familienunternehmen von Großunternehmen aufgekauft werden (z. B. Westfalia Separator durch GEA AG, Dornier durch Daimler Benz AG). Das gilt auch für die nach Mintzberg in einer einfachen Umwelt angesiedelte unternehmerische Organisation. Die angeführten Entwicklungstendenzen sowie die Globalisierung der Märkte, die wachsende Innovationsgeschwindigkeit, die wachsende gegenseitige Abhängigkeit der Zulieferer und Produzenten durch "lean management" stellen an alle Unternehmen erhöhte Anforderungen bezüglich Anpassungsfähigkeit, Reaktionsbereitschaft und Flexibilität; vgl. dazu auch Koch, 1980, 2. Vgl. Kosmider, 1991, 49. Die hohe Zahl an Insolvenzen gerade im Bereich der Mittel- und Kleinunternehmen ist nach empirischen Untersuchungen häufig auf Lücken und Mängel im Führungsinstrumentarium zurückzuführen; vgl. Kosmider, 1991, 2.

138 Wolfgang Nuber 4

Ausprägung der strategischen Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen

4.1 Ausprägung der Kontrollarten Wenn die Strategiebildung bei der unternehmerischen Organisation ausschließlich durch den Unternehmer erfolgt und den einzelnen Organisationsmitgliedern kaum kommuniziert wird, ist auch die strategische Kontrolle nicht von den Mitarbeitern durchführbar, sondern ausschließlich "Chefsache". Da auch Stabsexperten in solchen Unternehmen weitgehend fehlen, übt der Unternehmensleiter zwangsläufig die gesamte Kontrolle über alle wichtigen Entscheidungen und damit auch die gesamte strategische Kontrolle aus. Aufgrund seiner genauen und detaillierten Kenntnisse des Unternehmens, der Branche und der Wettbewerbssituation kann eine solche persönliche strategische Kontrolle sehr effektiv sein. Auch ist diese Person an der Spitze, die wichtige Kenntnisse in sich vereint und die volle Verantwortung trägt, durch eine ständige und genaue Eigenkontrolle jederzeit in der Lage, die Strategie sehr kurzfristig zu ändern und die Vision mit dem eigenen Lernprozeß abzugleichen, ohne Kollegen, Vorgesetzte oder Untergebene von der Richtigkeit der Anpassung überzeugen zu müssen. Damit wird auch die strategische Kontrolle eher implizit ablaufen. Der Einsatz eines formalen und institutionalisierten strategischen Kontrollsystems wird sogar häufig durch den Unternehmer abgelehnt. Gleichzeitig erscheint es nicht erstrebenswert, die Mehrzahl der Organisationsmitglieder an der strategischen (Planung und) Kontrolle zu beteiligen und diese damit zu formalisieren. 31 Der Charakter der unternehmerischen Organisation würde dadurch völlig verändert, ihre Flexibilität möglicherweise eingeschränkt und damit letztlich die interne Konsistenz der Struktur in Frage gestellt. Wenn keine (schriftlich) formulierten Strategiepläne vorliegen und demzufolge auch keine Prämissen und Meilensteine der Strategie explizit festgelegt sind, erweist sich sowohl eine (formale) strategische Prämissenkontrolle als auch eine (formale) strategische Durchfuhrungskontrolle in der unternehmerischen Organisation als nicht anwendbar. Gleiches gilt für die Metakontrolle der Kontrollstrukturen und -systeme. Dies bedeutet letztendlich, daß sich die strategische Kontrolle bei der unternehmerischen Organisation (nahezu) ausschließlich auf die Kontrollart strategische Überwachung konzentrieren muß. Dieser kommt damit als alleiniger Kontrollart die gesamte Kompensationsfünktion der strategischen Kontrolle zu.

31

Ahnliche Überlegungen finden sich zur Gestaltung des strategischen Controlling in mittelständischen Unternehmen bei Menzl, 1992, 121 ff. Zur organisatorischen Umsetzung der strategischen Kontrolle vgl. auch Steinmann/Schreyögg, 1986, 747 ff.

Strategische

Kontrolle

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4.2 Instrumenteneinsatz Die strategische Überwachung muß angesichts ihres grundsätzlich nach allen Richtungen offenen, im Prinzip ungerichteten Charakters versuchen, unerwartete Bedrohungen aus den Bereichen der weiteren Unternehmensumwelt, der Branchenumwelt sowie der Unternehmenssituation möglichst frühzeitig zu erfassen. Allerdings erscheint wenn nicht generell, dann doch zumindest für die unternehmerische Organisation aus Praktikabilitätsgründen eine gewisse inhaltliche Vorstrukturierung angemessen, da der Unternehmensleiter bei einer völlig ungerichteten Erfassung von Informationen mit strategischem Bedrohungsgehalt hinsichtlich Informationsbeschaffung, -Verarbeitung und -auswertung völlig überfordert wäre. Für eine solche inhaltliche Vorstrukturierung bietet sich insbesondere der Einsatz von Checklisten an. 32 Abbildung 4 enthält beispielhaft für ein mittelständisches Molkereiunternehmen einige Hinweise auf mögliche Bedrohungen in den unterschiedlichsten Bereichen, die mit einer solchen Checkliste erfaßt werden könnten. Diese Aufzählung soll keinesfalls als abschließende Liste verstanden werden, durch die "die potentiell unendliche Fülle der Geschehensmöglichkeiten"33 auf einige wenige reduziert wird. Sie kann dem Unternehmer jedoch als Instrument dienen, um seine Sensibilität für grundsätzlich mögliche Bedrohungen, die vielleicht auch außerhalb seines alltäglichen Horizonts liegen, anhand von Beispielen zu erhöhen. Insgesamt muß die strategische Kontrolle in mittelständischen Unternehmungen weniger auf einen umfassenden Instrumenteneinsatz als vielmehr auf eine Systematisierung des strategischen (Kontroll-)Denkprozesses anhand einer exemplarischen Checkliste abzielen, um dem Unternehmer die Zusammenhänge und Wirkungen der verschiedenen kontrollrelevanten Einflußfaktoren zu verdeutlichen und seine Bereitschaft zur strategischen Kontrolle zu fördern.

32

33

Anderer Ansicht ist Hasselberg, der eine inhaltliche Vorstrukturierung der strategischen Überwachung aufgrund ihres ungerichteten Charakters grundsätzlich ablehnt. Dennoch stellt auch er eine Liste mit möglichen Bedrohungen auf; vgl. Hasselberg, 1989, 277 und 289 f.; Vgl. allgemein zu Frühwarnsystemen auch Krystek, 1990, 419 ff. und Krystek/Müller-Stewens, 1992, 337 ff. Hasselberg, 1989, 290.

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1. Ungerichtete Überwachung der generellen Umwelt auf Strategiebedrohungen - Änderung der Gesetzgebung (wie Vorschriften zur Herstellung von Milch und Milchprodukten, Änderung von Hygieneanforderungen, Kennzeichnungsvorschriften - Änderungen der Agrarpolitik • Agrarpolitik (z. B. Begrenzung der Milcherzeugungsmengen durch die Milchquotenregelung oder mögliche Abwanderungen der Milcherzeugung nach einem Wegfall der Produktionsmengenbegrenzung an begünstigte Standorte) • Marktveränderungen als Folge von plötzlichen Änderungen in der Marktlenkung (z. B. Einschränkung von Exportmöglichkeiten in Drittländer durch Verringerung der Exportmengen als Folge von GATT-Beschlüssen) Veränderte Marktbedingungen durch Veränderungen der Beihilfenpolitik (z. B. Beihilfen für Butter zur Verarbeitung in Backwaren oder Eiskrem oder für Magermilchpulver in Milchaustauschern) • Umweltpolitik (z. B. über die Verpackungsverordnung ergeben sich gravierende Gebührenveränderungen für den grünen Punkt) - Verstärktes Umweltbewußtsein (Gesellschaft) - Energiepreisentwicklung (Gesamtwirtschaft) - Neueste Entwicklungen bei den Herstellungsverfahren (Technologie) - Verändertes Verbraucherverhalten durch Auftreten von möglichen Gesundheitsgefährdungen (BSE) oder durch neue wissenschaftliche Theorien (Cholesterinhypothese) 2. Ungerichtete Überwachung der Aufgabenumwelt bzw. der engeren Umwelt - Neue, bisher ausgeblendete Prämissen werden relevant und gefährden den Wettbewerbsvorteil • Bisher als wenig bedrohlich eingeschätzte, in anderen Segmenten tätige Molkereien treten in das eigene Marktsegment ein • Verstärktes Vordringen von Handelsmarken erhöht die Austauschbarkeit der Hersteller im Handel • Durch den europäischen Binnenmarkt konkurrieren die Molkereien nicht mehr nur national, sondern europaweit, d.h. es ergibt sich eine Änderung der Konkurrenzsituation • Eine bisher nicht erkannte Schwäche der Unternehmung (z.B. mangelndes EDV-Know-how oder Qualitätsmängel) bedroht den Wettbewerbsvorteil - Annahmen über die Kundenstruktur und die Kaufkriterien der Kunden ändern sich Möglichst umfassende Sortimente und bundesweite Belieferungen von Handelsketten schwinden in der Bedeutung Die Nachfrage nach Niedrigpreisprodukten steigt Verändertes Einkaufsverhalten (z. B. niedrigpreisige Discounter gewinnen immer mehr Marktanteile) 3. Ungerichtete Überwachung der Implementation der Strategie - Plötzliche und unerwartete Störungen erschweren die Implementation • Vertragskündigungen durch wichtige Handelspartner oder Lieferanten Unerwartete Kostensteigerung beim Einsatz EDV-technischer Konzepte oder bei der Zentralisierung von Unternehmensfunktionen • Rezepturveränderungen von weiterverarbeitenden Großkunden Abb. 4: Checkliste möglicher Inhalte der strategischen Überwachung - dargestellt am Beispiel einer Unternehmung aus dem Bereich der Milchwirtschaft Quelle: Eigener Entwurf in Anlehnung an Hasselberg (1989), S. 290 und S. 284.

Strategische Kontrolle

141

4.3 Unterstützung durch externe Beratung Die Zentrierung der wichtigsten Aufgaben auf die Unternehmerpersönlichkeit führt dazu, daß die mittelständische Unternehmung zumeist eine überschaubare Organisationsstruktur mit nur wenigen hierarchischen Ebenen und somit auch nur sehr wenigen Führungskräften aufweist. 34 Dies ermöglicht zwar das bereits erwähnte hohe Maß an Flexibilität, doch besteht dadurch auch eine große Abhängigkeit des Betriebs von dem "Alleskönner" 3 5 an der Spitze. Diese Anhäufung verschiedenartiger, von einer einzigen Stelle zu erfüllender Führungsfünktionen kann jedoch dazu führen, daß wichtige, aber als nicht so dringend angesehene strategische Aufgaben zugunsten operativer Aufgaben vernachlässigt werden, da von den langfristig ausgerichteten Aufgaben zunächst keine unmittelbar sichtbaren Auswirkungen auf das Unternehmensgeschehen ausgehen. 36 Um das Risiko der Vernachlässigung strategischer (Kontroll-)Aufgaben durch den Unternehmer zu verhindern bzw. zu begrenzen, bieten sich grundsätzlich zwei Alternativen, entweder die Führungsspitze zu verbreitern und einen Teil der Aufgaben an andere Führungskräfte zu delegieren oder die Hilfe von Außenstehenden in Anspruch zu nehmen. 37 Für die strategische Kontrolle erscheint nur die zweite Alternative sinnvoll, da •

es in der unternehmerischen Unternehmung meist an geeigneten, für strategische Aufgaben qualifizierten Führungskräften mangelt und meist auch die Bereitschaft des Unternehmensleiters fehlt, wichtige Aufgaben an Mitarbeiter zu delegieren,



qualifizierter Führungsnachwuchs und/oder Stabsexperten meist nicht vorhanden sind und auch die Neueinstellung entsprechender Spezialisten aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten nicht empfehlenswert erscheint,



bei einer geringen Unternehmensgröße der Aufgabenumfang für die Errichtung einer speziellen strategischen Kontrollstelle nicht ausreicht und die Kosten für die Errichtung und Unterhaltung eines eigenen (formalen) strategischen Kontrollsystems zu hoch wären 3 8 und

34

Zur Organisation mittelständischer Betriebe vgl. ausfuhrlich Kayser, 1990, 80 ff. Simon, 1980, 298. Vgl. dazu das Gresham'sche Gesetz sowie Kellerwessel, 1982, 148. Verstärkt wird dies häufig noch durch den teilweise sehr ausgeprägten Zug des Unternehmers, wesentliche Daten für sich behalten zu wollen (vgl. Gaulhofer, 1988, 132) und ein autoritäres Führungsverhalten. Vgl. dazu Gaulhofer, 1988, 52 und Richter, 1979, 127 ff. sowie zu den personellen Führungshilfen insbesondere Steiner, 1978, 660. Vgl. Amshoff, 1993, 300. Damit sprechen i. d. R. auch wirtschaftliche Gründe für einen externen Berater.

35 36

37

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• in mittelständischen Unternehmen alle wichtigen planenden und kontrollierenden Tätigkeiten beim Chef liegen und somit eine Planungs- und Kontrollmentalität bei den Mitarbeitern häufig fehlt und auch nicht zwingend notwendig ist. 39 Zu berücksichtigen ist jedoch, daß die Führungspersönlichkeit - bedingt durch Vorurteile - häufig der strategischen Planung und Kontrolle sowie ihren Verfahren eher ablehnend gegenübersteht. Diese Ablehnung ist von einem externen Berater wohl leichter abzubauen bzw. zu überwinden, 40 als von einer eigenen Führungskraft, die als "Prophet im eigenen Lande" kaum anerkannt würde. Da dem externen Berater eher das Image eines Experten zugesprochen wird, ist zu erwarten, daß er einen höheren Einfluß auf den Unternehmer geltend machen kann. Dennoch bleiben unbestreitbare Nachteile: die fehlenden Kenntnisse über betriebsindividuelle Probleme und Personen, die fehlende Vertrautheit mit der internen Organisation und die Gefahr möglicher Diskretionsgefährdungen. 41 Der externe Berater kann basierend auf seinen Erfahrungen bei anderen Unternehmungen und aufgrund seiner Unabhängigkeit die Führungspersönlichkeit eher von der Notwendigkeit einer strategischen Kontrolle und von deren Bedeutung für strategische Entscheidungen überzeugen, als der Berater aus dem eigenen Hause, dem die dazu erforderliche Unabhängigkeit fehlt. Nachteilig für einen unternehmensinternen Berater ist möglicherweise auch seine Einbindung in bestehende politische Strukturen, während im Gegensatz dazu ein neutraler Ratgeber unabhängig vom internen Machtgefüge agieren kann. Neben den allgemeinen Vorteilen einer Unternehmensberatung für ein mittelständisches Unternehmen, 42 wie der zusätzlichen Nutzung von kreativem Potential, der Förderung der Innovationskraft, dem möglichen Austausch von Fachkompetenz zwischen Berater und Unternehmer, der Möglichkeit, Methoden und Verfahren einsetzen zu können, die bereits in anderen Unternehmen erprobt wurden, und somit der Chance, einen Großteil negativer Erfahrungen nicht im eigenen Unternehmen machen zu müssen, der Objektivität des Beraters durch seine unparteiische und neutrale Stellung und der Freistellung von Managementkapazitäten des Unternehmers für andere Aufgaben, verspricht der Einsatz eines externen Beraters im Rahmen der strategischen Kontrolle vor allem hinsichtlich des die strategische Kontrolle dominierenden Informationsaspekts ganz entscheidende Vorteile. 43 Die Informationssituation kleinerer und mittlerer Unternehmen ist aufgrund der Konzentration der Informationen auf eine geringe Anzahl von Personen durch kurze und direkte Informationswege gekennzeichnet, die einen nicht formalisierten und damit schnellen und 39 40 41

42

43

Vgl. zu den Problemen einer solchen Situation z. B. Kötzle, 1996, 361 sowie Kötzle, 1984, 346 ff. Vgl. Gaulhofer, 1988, 165. Weitere Nachteile sind die mögliche Interessenkollision mit anderen Beratungsaufträgen und der Honoraraufwand. Vgl. zu den Vorteilen Matsche/Kolf, 1980, 606; Bartling, 1985, 35 ff.; Eschenröder, 1985, 204 ff. sowie Dörler, 1988, 269 f. Da der Berater dem Unternehmer vor allem zusätzliche Informationen erschließen soll, wird dieser Aspekt abschließend ausführlich behandelt. Die folgenden Ausfuhrungen zu den Informationsaktivitäten orientieren sich v. a. an Kosmider, 1991, 46 ff.

Strategische Kontrolle

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direkten Informationsaustausch innerhalb der Führungsebene ermöglichen. Dagegen erweist es sich bei der Informationsbeschaffung in der unternehmerischen Organisation als problematisch, die für die strategische Kontrolle relevanten externen Informationen (möglichst frühzeitig) zu erhalten und diese auch als solche wahrzunehmen. Aufgrund der unmittelbaren Marktnähe des Unternehmensleiters fließen diesem die Informationen über Umweltentwicklungen direkt oder auf schnellstem Wege zu. Aus der Vielzahl der eingehenden Informationen vermag dieser jedoch trotz seines langjährigen und breiten Erfahrungshorizontes die Strategie- und kontrollrelevanten Informationen oft nur unzureichend herauszufiltern.44 Da ferner die Zeit für die Beschaffüng und Bewertung möglicherweise strategiebedrohlicher Informationen fehlt, findet eine strategische Kontrolle entweder nur sehr rudimentär (im Kopf des Unternehmers) oder überhaupt nicht statt. Hinzu kommt eine natürliche Abneigung bei den Unternehmern, eine selbst gewählte Strategie ohne Zwang in Frage zu stellen. Da die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Anpassung der Strategie um so größer ist, je mehr entscheidungsrelevante Informationen dem Entscheidungsträger zufließen, 45 kann ein externer Berater mit dem Auftrag, den Unternehmensleiter über kontrollrelevante Entwicklungen oder Änderungen in der Unternehmensumwelt möglichst umgehend zu informieren, diese Defizite mildern. Erfolgversprechend ist eine solche Zusammenarbeit vor allem dann, wenn sie langfristig angelegt ist. Dadurch kann sich einerseits der Berater profünde Kenntnisse über den jeweiligen Betrieb und dessen Branche aneignen;46 andererseits kann der Unternehmer im Laufe der Zeit ein Vertrauensverhältnis zu "seinem" Berater für strategische Kontrollfragen aufbauen. 47 Dabei kann der Berater durchaus verschiedene Rollen einnehmen. Häufig wird der erstmalige Einsatz des Beraters in Krisensituationen, wie Schrumpfüngs- oder Sanierungsphasen erfolgen. Hier übernimmt der Berater die Funktion des Krisenmanagers oder Problemlösers. Darüber hinaus kann er als eine Art "Stabsstelle des Management" 48 auch

44

45 46

47

48

Damit kann dem häufig vorgebrachten Argument, daß die langjährige Erfahrung der Unternehmensfuhrung die Möglichkeit bietet, auf explizite Informationsbeschaffung zu verzichten bzw. diese zu vereinfachen und verkürzen, nicht gefolgt werden; vgl. dazu Kellerwessel, 1984, 90. Zum Problem des Informationswesens in kleineren Unternehmen vgl. auch Berthel/Moews, 1970, 52; Gaydoul, 1980, 162 ff ; Günzel, 1975, 191 flf. sowie Hofmeister/Süegler, 1986. Vgl. Gaulhofer, 1988, 121. Nur bei einer langfristigen Zusammenarbeit "lohnt" es sich für einen Berater, vertiefte Branchenkenntnisse zu erwerben. Das Dauerberatungsverhältnis kann dabei sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und in einem Dauerberatungsvertrag im Detail geregelt werden; vgl. zur Gestaltung von Beratungsverträgen Gabele, 1990, 392 f. Je nach Bedarf kann der Umfang der vom Berater wahrzunehmenden strategischen Informations- und Kontrollaufgaben sowie die Anzahl der Stunden oder Tage pro Monat festgelegt werden, an denen der Berater dem Unternehmer für ein Beratungsgespräch zur Verfügung steht; vgl. dazu Poeßl, 1990, 68. Bartling, 1985, 64.

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einen Beitrag zu verstärktem konzeptionellen und strategischen Arbeiten des Unternehmers leisten. 49 Sofern der Berater über fundierte Kenntnisse bezüglich Funktionsweise und Handhabung der Instrumente der strategischen Kontrolle verfugt und aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit zunehmend auch Wissen über die Besonderheiten des Unternehmens und Kenntnisse über die Branche erworben hat, hilft er damit dem Unternehmensleiter trotz der Vielzahl der täglich anfallenden Informationen durch eine der strategischen Kontrolle adäquate Selektion der Daten, auch in Zukunft aus möglicherweise heranrückenden Problemen aufgrund der großen Flexibilität der unternehmerischen Organisation eine Chance zu machen. 50

4.4 Unterstützung durch Beiräte und berufsständische Organisationen Eine weitere Möglichkeit zur Unterstützung des Unternehmers bei der umfassenden Wahrnehmung von strategischen Kontrollaufgaben bildet die Schaffung eines Beirats, der im Rahmen seiner Beratungs- und Unterstützungsaufgaben fur den Unternehmer auch (Teil-) Aufgaben der strategischen Überwachung übernimmt. 51 Dieser Beirat könnte sich beispielsweise aus einem (bereits engagierten) Unternehmensberater für strategische Kontrollfragen, einem Wirtschaftsprüfer, einem Bankenvertreter, Vertretern von Fachverbänden sowie einem Hochschullehrer zusammensetzen. Der strategische (Kontroll-) Beirat sollte allerdings nur wenige, maximal fünf bis sieben Mitglieder umfassen, um auch hier die Koordination und Kommunikation (wie in der unternehmerischen Organisation üblich) möglichst einfach und informell gestalten zu können. Zwar ist es sicherlich nicht immer einfach, geeignete Personen zu finden, und die Einbindung von hochqualifizierten Personen ist für den Mittelständler auch mit spürbaren Kosten verbunden. Ein so zusammengesetzter Beirat kann dem mittelständischen Unternehmer jedoch umfangreiche Informationen aus den jeweiligen Sachgebieten und aus dem Blickwinkel der Aufgabenbereiche verschiedener Mitglieder verschaffen. Damit können dem Unternehmer auf schnellem und direktem Wege Informationen zur Verfügung gestellt werden, die auf die jeweilige Situation des Unternehmens zugeschnitten sind. Bei der Tätigkeit dieses Beirats steht die frühzeitige Erfassung von strategiebedrohlichen Informationen sowie deren Bewertung und damit der Informationsaspekt und der

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Vgl. Gushurst, 1990, 161 ff., der dem externen Berater noch weitere mögliche Rollen, wie Prozeßberater, Interventionist, neutraler Dritter, Trainer der Mitarbeiter etc. zuweist. Zur Rolle des Entwicklungspraktikers oder "Change Agent" vgl. Lippitt/Lippitt, 1977, 105 ff. Zu "paradigmatischen Beispielen" der Unternehmensberatung vgl. die ausführliche Übersicht bei Gabele, 1990, 380 ff. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß er vom Nutzen der strategischen Kontrolle überzeugt ist und sich rechtzeitig mit der nötigen Energie mit eventuellen Strategieanpassungen auseinandersetzt. Bea/Scheurer, 1994, 2145 ff., weisen diese Aufgaben zum Teil dem Aufsichtsrat zu.

Strategische Kontrolle

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Beratungsaspekt im Vordergrund, während alle wesentlichen Entscheidungsbefugnisse nach wie vor bei der strategischen Spitze verbleiben. 52 Kommen wir auf unser Beispiel einer milchwirtschaftlichen Unternehmung zurück. Da bei diesem Unternehmen der Rohstoffeinkauf Milch bei den vertraglich an das Unternehmen gebundenen Landwirten ein wichtiger strategischer Erfolgsfaktor ist, bietet sich die (zusätzliche) Bildung eines Beirates mit bäuerlichen Vertretern an. Dieses Gremium kann dem Unternehmer Informationen aus erster Hand über das Geschehen an der Basis bei den Milchlieferanten verschaffen und somit gewährleisten, daß unerwartete Entwicklungen auf der Erzeugerseite der Führungsspitze der Molkerei schnell und direkt bekannt werden und die Belange der Milchlieferanten dadurch besser berücksichtigt werden können. So können die Reaktionen der Landwirte auf geschäftspolitische Entscheidungen der Molkerei, wie z. B. die Milchpreisgestaltung, Qualitätsanforderungen und die Höhe der Kapitaleinlage der bäuerlichen Lieferanten (bei Genossenschaften), sehr rasch an die Unternehmensspitze im Sinne einer feedforward-Information weitergegeben werden. Da dieser bäuerliche Beirat eine Mittlerrolle zwischen Untemehmensfiihrung und Milchlieferanten einnimmt, ist es sinnvoll, eine größere Anzahl von Vertretern aufzunehmen, die flächendeckend das Einzugsgebiet der Molkerei repräsentieren, um die Kommunikation möglichst lückenlos zu gewährleisten. Ein solcher bäuerlicher Beirat kann allerdings nur einen kleinen Teilbereich des Informationsbedarfes des mittelständischen Unternehmens abdecken, nämlich die strategierelevanten Informationen auf der Rohstoflfseite. Eine weitere vergleichsweise einfache und kostengünstige Möglichkeit, an Informationen außerhalb des Unternehmens und außerhalb der unmittelbaren Geschäftskontakte des Unternehmers heranzukommen, ist die Mitgliedschaft in berufsständischen Organisationen und Verbänden, welche die Interessen der milchwirtschaftlichen Unternehmen und ihrer bäuerlichen Milchlieferanten vertreten. Beispiele hierfür sind der Milchindustrieverband und der Deutsche Raiffeisenverband. Solche Verbände können bestimmte Aufgaben einer Stabsabteilung übernehmen und den Unternehmer beispielsweise frühzeitig über welt-agrarpolitische Veränderungen oder bevorstehende Gesetzesänderungen informieren. In der Regel werden von diesen Verbänden Rundschreiben mit für die Mitgliedsunternehmen relevanten Informationen herausgegeben. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, ohne zusätzliche Kosten eine direkte telefonische oder persönliche Beratung durch Spezialisten dieser Institutionen in Anspruch zu nehmen. Beispiele hierfür sind. •

Außenhandel und Veränderungen, die durch neue GATT-Regelungen hervorgerufen werden.

52

Vgl. Zettelmeyer, 1984, 257, der daneben betont, daß durch die gegenseitige Information der Mitglieder die Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen und richügen Problemdefinition, insbesondere Problemerkenntnis, erhöht wird.

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Agrarpolitische Fragen zur Milch-Garantiemengenregelung (Milchquote).



Rechtliche Fragen, wie die Kennzeichnung von Produkten, neue Bestimmungen bei Produktionsverfahren.



Qualitäts- und Hygienevorschriften, die in unregelmäßigen Zeitabständen Veränderungen unterworfen sind.



Verpackungsfragen, insbesondere die ständigen, häufig sehr abrupten Veränderungen im Zusammenhang mit dem Grünen Punkt.

Diese Informationsquelle gewährleistet für alle Mitgliedsunternehmen gleichzeitig und in gleichem Ausmaß frühzeitige Informationen, die sich der Unternehmensleiter in dieser Fülle alleine gar nicht beschaffen könnte. Wie sensibel der Unternehmer diese Informationen im Rahmen seiner strategischen Überwachung aufnimmt und verarbeitet und wie rechtzeitig er entsprechende Reaktionsmaßnahmen einleitet, entscheidet darüber, ob aus diesen Informationen ein Wettbewerbsvorsprung gegenüber der Branche erwachsen kann. Eine besondere Rolle kommt bei genossenschaftlich organisierten mittelständischen Molkereien dem Genossenschaftsverband zu. Dieser fuhrt in der Regel die Jahresabschlußprüfung in genossenschaftlichen Unternehmen durch. Da alle genossenschaftlichen Unternehmen im Verbandsgebiet der Pflichtprüfung durch den Genossenschaftsverband unterliegen, werden diesem zwangsläufig alle wesentlichen Daten der Unternehmen einer Branche bekannt. Daraus erarbeitet der Verband häufig kumulierte Berichte über wesentliche Produktions- und Unternehmenskennziffern der Mitglieder und Durchschnittswerte der Milchauszahlungsleistungen der Molkereien an die Milchlieferanten, die sich für das einzelne Unternehmen hervorragend zum Benchmarking eignen. Problematisch ist dabei allerdings, daß, obwohl die Verbandsprüfer zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, wichtige und wettbewerbsrelevante Informationen zu anderen Unternehmen durchdringen. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die strategische Überwachung durch den Unternehmensleiter haben daneben persönliche Kontakte zu Berufskollegen, die nach Möglichkeit nicht als unmittelbare Konkurrenzunternehmen auftreten sollten. Im Rahmen von Verbandsveranstaltungen und milchwirtschaftlichen Tagungen können solche Kontakte geknüpft werden. Im persönlichen Gespräch mit Kollegen können dabei wichtige Sachverhalte oder Entwicklungen angesprochen und diskutiert werden. Auch hier ist es wichtig, daß Vertrauensverhältnisse erwachsen, um nicht einer gezielten Fehlinformation durch Kollegen „aufzusitzen". Bei milchwirtschaftlichen Tagungen (Weihenstephaner Herbsttagung) oder Messen (Grüne Woche, Intermopro, Anuga, D L G Food-Tec etc.) ergeben sich auch persönliche Kontakte zu den Herstellern von Fertigungsanlagen und Verpackungsmaschinen sowie anderen Zulieferern (z. B. Fruchthersteller), die oft auch spezielle Informationen über Marktveränderungen aus ihrer Sicht geben können. Häufig haben gerade Maschinenher-

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steller oder Zulieferer einen hervorragenden Branchenüberblick und sind frühzeitig über Neuinvestitionen bzw. technologische Veränderungen in der Branche informiert, dies kann der Unternehmer als Information fur die strategische Kontrolle verwerten.

5

Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich für eine großen- und konfigurationsgerechte Bewältigung der strategischen Kontrollaufgaben in mittelständischen Unternehmungen festhalten, daß es in der unternehmerischen Organisation aufgrund der fehlenden Formalisierung der strategischen Planung und Kontrolle i. d. R. nicht möglich ist, die strategische Kontrollaufgabe einem oder mehreren Mitarbeitern im Unternehmen zuzuordnen. 53 Da eine formale strategische Planung und damit auch eine strategische Kontrolle "the weakest area in most small companies" 54 darstellen und - wenn überhaupt - meist nur in den Gedanken des Unternehmers ohne schriftliche Niederlegung existieren55, und die strategische Kontrolle als Managementaufgabe deshalb innerhalb des Unternehmens nicht delegiert werden kann, kommt es in der unternehmerischen Organisation auch nicht auf ein formalisiertes, perfekt konstruiertes und reibungslos durchgeführtes strategisches Kontrollsystem an. Vielmehr bietet sich insbesondere bei Klein- und Mittelbetrieben die Hinzuziehung eines externen Beraters und/oder Beirats für die strategische Kontrolle in besonderer Weise an. Dies schafft dem Unternehmer Entlastung von Teilen der Führungsaufgaben, ohne daß er Entscheidungsbefügnisse delegieren und damit teilen muß. 56 Durch diese Lösung bleibt die Zentrierung auf die Position des Unternehmers und dessen Motivationsgefüge als für die unternehmerische Konfiguration entscheidendem Erfolgsfaktor erhalten. Abbildung 5 soll einen zusammenfassenden Überblick über die wesentlichen Merkmale der unternehmerischen Organisation und die wichtigsten Elemente eines konfigurationsgerechten strategischen Kontrollsystems vermitteln.

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56

Vgl. Gaulhofer, 1988, 301. Jain, 1980, 166. Häufig fürchten sich die Unternehmer bereits vor dem Wort Planung, da sie dahinter eine Aufblähung des ungeliebten Wasserkopfes der Verwaltung vermuten; vgl. Vogt, 1976, 180. Empirische Befunde zeigen, daß das Ausmaß der Delegation in mittelständischen Betrieben in der Regel sehr gering ist; vgl. z.B. Steiner, 1980, 146.

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Unternehmerische Organisation/ mittelständische Unternehmen Vorrangiger Koordinationsmechanismus



Persönliche Weisung

Wichtigster Organisationsteil



Strategische Spitze

Wesentliche Gestaltu ngsparameter

• •

Zentralisation Organische Struktur (einfach, informell, flexibel)

Situative Faktoren: . Alter und Größe . technisches System . Umwelt . Macht

• • • •

Jung und klein Unkompliziertes technisches System Einfach und dynamisch Starke Führung, manchmal charismatisch-autoritär

Praktische Beispiele

• • •

Mittelständische Molkerei mit regionaler Bedeutung Einzelhandelsgeschäft mittlerer Größe Pionierunternehmen, "lokale Hersteller"

Strategiebildung



Oft visionärer Prozeß beim Unternehmer, meist emergent

Wesentliche Aspekte des strategi- • schen Kontrollsystems • • • • •

Konzentration auf die Kontrollart strategische Überwachung Keine Prämissenkontrolle, keine Durchführungskontrolle und keine Metakontrolle Geringer Instrumenteneinsatz, z. B. Checklisten Einsatz eines externen Beraters zur Unterstützung/Entlastung des Unternehmers Bildung eines Beirates oder mehrerer Beiräte (z.B. Erzeugerbeirat) Bewußter Rückgriff auf berufsständische Organisationen zur Informationsgewinnung für strategische Kontrollzwecke

Abb. 5: Merkmale und strategisches Kontrollsystem der unternehmerischen Organisation

Strategische Kontrolle

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III. Anwendungskonzepte des Strategischen Management für Dienstleistungsunternehmen

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg Ansatz einer Bewertung für Kerngeschäftsfelder deutscher Finanzinstitute in Luxemburg von Bernhard Früh

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Problemstellung und Vorgehensweise

Die beeindruckende Entwicklung des Finanzplatzes Luxemburg wurde in vielen Veröffentlichungen dokumentiert (z.B.: Als, 1995, 207 ff; Wagner, 1995, 249 ff; Trausch, 1995). Besonders für den Zeitraum ab Anfang der 70er Jahre wurden dabei mit einer Reihe von Indikatoren der Erfolg und implizit auch die Stärke des Finanzzentrums dargelegt. Die Anzahl der in Luxemburg ansässigen Banken erhöhte sich von 14 in 1970 auf aktuell 221. Diese Institute wiesen per Ende 1996 eine in 1996er DEM ausgedrückte Bilanzsumme von rund DEM 935 Mrd. aus, gegenüber DEM 11 Mrd. in 1970 (IML, 1997, 24 ff). Auch im Bereich der Fondsindustrie kann auf eine besondere Wachstumsentwicklung hingewiesen werden. Die Anzahl der in Luxemburg domizilierten Fonds stieg von 102 in 1970 auf 1.353 per Mitte 1996, das von diesen Fonds verwaltete Nettovolumen, ausgedrückt in 1996er DEM, von DEM 4 Mrd. auf DEM 566 Mrd. (IML, 1997, 33, ALFI, 1996, 17ff). Diese Entwicklung und damit die Stärke des Finanzplatzes Luxemburg wurde einem Bündel von positiven Aspekten bzw. relativen Vorteilen zugeschrieben. Es waren dies vor allem: der sog. Mindestreservevorteil; ein günstiges Umfeld für Unternehmenssteuern; ein striktes Bankgeheimnis; die Kapitalverkehrsfreiheit; der soziale Friede, die Mehrsprachigkeit des Bankpersonals; die zentrale Lage des Landes; die hohe Flexibilität bei Bankgeschäften infolge relativ geringer Regulierung im Vergleich zu Wettbewerbern; die der Fondsindustrie förderlichen rechtlichen/aufsichtsrechtlichen Regelungen besonders im Zusammenhang mit der zügigen Umsetzung der entsprechenden EG-Richtlinie; eine strenge, jedoch pragmatisch operierende Bankenaufsicht. Die fortschreitenden Harmonisierungsbemühungen innerhalb der EU, die internationale Deregulierung der Finanzmärkte, aber auch die sich verbessernden Rahmenbedingungen alternativer internationaler Standorte für vergleichbare Finanzgeschäfte ließen jedoch Bedenken bzgl. der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit des Bankplatzes Luxemburg aufkommen. Diese Bedenken wurden im Laufe der vergangenen zwei Jahre auch immer deutlicher öffentlich artikuliert und diskutiert (z. B. Knackstedt, 1996; ABBL, 1996, 25 ff; Storck, 1996, 325 ff; Juncker, 1996; Werner, 1996; Thiel, 1996a, 3; Thiel, 1996b, B2; Roos, 1996, B5; Meyers, 1996). In der Regel setzten die Ausführungen an einer

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Mehrzahl singulärer förderlicher bzw. belastender Einzelaspekte an. Systematische Aufarbeitungen der einzelnen Standortfaktoren im Hinblick auf ihre Relevanz für unterschiedliche Geschäftsfelder der Finanzinstitute in Luxemburg sind eher die Ausnahme. Sehr umfänglich wurde das Eurokreditgeschäft bearbeitet (Storck, 1996a). Auch das Privatkundengeschäft in einem Vergleich zwischen Luxemburg und der Schweiz war Gegenstand einer Untersuchung (Bode, 1994). Eine umfassendere Analyse des Finanzplatzes bzgl. der zukünftigen Attraktivität basiert im wesentlichen auf Meinungsumfragen unter Geschäftsleitern von Banken in Luxemburg (ABBL/Arthur Andersen, 1993). Wenngleich auch bei letzterer Studie Aussagen über die zukünftige Attraktivität des Bankplatzes abgeleitet werden, so stellen die Ergebnisse doch in erster Linie eine Art Stimmungsumfrage dar, ein Meinungsbild von unmittelbar betroffenen Personen, das letztlich auch nur einen Teilaspekt bei der Analyse der Wettbewerbsfähigkeit abdecken kann. Erst eine aktuell erstellte Studie derselben Gesellschaft, die auf Meinungsumfragen bei einer Reihe Luxemburger Finanzinstitute aufbaut, leitet unter Zuhilfenahme von Scoringmethoden Aussagen zur relativen Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs als Finanzplatz ab und enthält eine umfassende Bewertung der vorherrschenden Rahmenbedingungen (Woodruff, 1997). Die vorliegende Abhandlung will in Ergänzung zu den oben angeführten Untersuchungen die strategischen Positionierungen einzelner Geschäftsfelder deutscher Finanzinstitute in Luxemburg herausarbeiten. Unter Finanzinstituten werden dabei sowohl Banken als auch Fondsmanagementgesellschaften zusammengefaßt. Die Eingrenzung auf die deutschen Institute erscheint insoweit gerechtfertigt, als sich bei dieser Gruppe die Kerndienstleistungspalette noch vergleichsweise homogen darstellt, die abgeleiteten Aussagen gleichwohl eine maßgebliche Bedeutung auch für den gesamten Finanzplatz haben. Die deutschen Institute haben den Finanzplatz in seiner Entwicklung wesentlich mitgeprägt. Ende 1995 stellten 33 deutsche Tochterbanken und 37 Niederlassungen rund 32 % aller Banken in Luxemburg. Der Anteil der deutschen Institute an der Bilanzsumme aller Banken belief sich auf 47 % (Bundrock, 1996, 1). In der Fondsindustrie waren zu Ende 1995 328 Fonds, und damit rund 25 % aller in Luxemburg domizilierten Fonds deutscher Provenienz zuzurechnen. Der Wert des Nettofondsvolumens, das dieser Gruppe zuzuordnen war, beträgt rund 29 % (ALFI, 1996, 32 ff.). Das relative Gewicht und die relative Bedeutung der Finanzinstitute deutscher Provenienz für den Finanzplatz Luxemburg - aber auch die z. T. mit gleichen oder ähnlichen Begründungen initiierten Geschäftsfelder von Finanzinstituten anderer Herkunft - lassen in der Tendenz eine Verallgemeinerung der Aussagen zu, die für die deutsche Gruppe abgeleitet werden. Im folgenden werden zuerst die in die Analyse einbezogenen Kerngeschäftsfelder skizziert. Anschließend werden die am Finanzplatz Luxemburg diese Geschäftsfelder berührenden umfeldbedingten und unternehmensbedingten strategischen Faktoren im Hinblick auf ihre jeweilige Förderungswirkung bewertet. Aus diesen Ergebnissen werden die strategischen Positionierungen der Kerngeschäftsfelder bestimmt. Ziel ist es, Aussagen zur relativen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Luxemburg im Hinblick auf die

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untersuchten Geschäftsfelder abzuleiten. Die Bewertung der Geschäftsfelder erfolgt mit Hilfe von Portfoliotabellen (Bea/Haas, 1995, 121 ff.; Lange, 1981, 45 ff ).

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Kerngeschäftsfelder

Als Kerngeschäftsfelder deutscher Finanzinstitute in Luxemburg werden betrachtet: das Eurokreditgeschäft, das Fondsgeschäft einschließlich Depotbankgeschäft, das Handelsgeschäft und das Vermögensanlagegeschäft. Während die Geschäftsfelder der Fondsmanagementgesellschaften damit vollständig erfaßt sind, gibt es bei den Banken eine Reihe von weiteren Geschäftsaktivitäten, die hier nicht abgedeckt werden. Gleichwohl dürften die nicht erfaßten Geschäftsfelder bis dato in der Regel bei den betroffenen Banken eher von geringerer Bedeutung sein. Für die Betrachtung vernachlässigt werden die unterschiedliche relative Bedeutung der Geschäftsbereiche bei den jeweiligen Instituten sowie institutsindividuelle Geschäftsusancen.

2.1 Eurokreditgeschäft Luxemburg entwickelt sich insbesondere seit Beginn der 70er Jahre zu einem besonderen Euromarktzentnim und hat diesen Markt maßgeblich mitbegründet und -gestaltet (Storck, 1995a). Gemessen an den Fremdwährungsforderungen nimmt Luxemburg aktuell in der Bedeutung nach London und Paris in Europa den dritten Rang ein, weltweit den sechsten Rang. Besondere Bedeutung hatte Luxemburg als Eurokreditzentrum für die DEM. Die Entscheidung vieler deutscher Banken, Kredite ex Luxemburg auszureichen, war maßgeblich beeinflußt von dem Bestreben bzw. der konkurrenzbedingten Notwendigkeit, die Mindestreserveregelung im Heimatmarkt zu umgehen. In Luxemburg gibt es eine solche Regelung nicht, woraus sich in der Vergangenheit erhebliche Zinsvorteile bzw. Konditionsspielräume ergaben. Die schrittweise Neuordnung der Mindestreserveregelung Deutschlands ließ jedoch diesen Standortfaktor an relativer Bedeutung verlieren. Zinsvorteile ergeben sich aktuell nur noch zeitweise und in geringerem Umfang, wobei auch diese Vorteile nur in Höhe von ca. 5 Basispunkten mindestreservebedingt, häufig stärker jedoch beeinflußt sind durch die höhere Volatilität der Euromarktsätze im Vergleich zu Domestic-Sätzen infolge der unterschiedlichen Größe der Märkte. Positiv, auch im Sinne von aufwandsreduzierend, erwies sich, daß in Luxemburg keine den Vorschriften des deutschen KWG vergleichbare stringente Regelungen etwa bzgl. LiquiditätskoefFizienten, Eigenkapitalanforderungen oder Großkreditgrenzen existierten. Förderlich wirkten sich auch die geringen Anforderungen an die unternehmensinterne Infrastruktur für das Eurokreditgeschäft aus. Da die Geschäftsakquisition in der Regel bei der deutschen Muttergesellschaft verblieb, waren die Zahl der erforderlichen Mitarbeiter wie auch die Anforderungen an die Bankfazilitäten überschaubar.

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Lediglich spekuliert werden kann darüber, ob die Entscheidungen deutscher Banken für den Standort Luxemburg im Hinblick auf das Eurokreditgeschäft auch von Standortfaktoren wie räumliche Nähe zum Heimatmarkt mitgetragen waren. Eine größere Bedeutung hatte sicherlich das zumindest im Vergleich zu Deutschland günstigere steuerliche Umfeld, beginnend bei den besonderen steuerlichen Förderungsmaßnahmen in der Phase des Unternehmensaufbaus und der geringeren Ertragsbesteuerung bis hin zu einer Reihe von vorteilhaften steuerlichen Regelungen zur Optimierung der Ergebnissteuerung. Diese steuerlichen Regelungen waren bei den zu bewältigenden Problemen mit Schuldnern Lateinamerikas, aber auch später mit Schuldnern Osteuropas durch die Verfügbarkeit großzügiger Gestaltungsspielräume bei der Bildung von Länderwertberichtigungen sehr hilfreich, insbesondere aufgrund eines weiteren positiven Aspektes Luxemburgs: der Nähe zu staatlichen bzw. behördlichen Entscheidungsträgern und deren pragmatischem Commitment zum Wohlergehen des Finanzsektors.

2.2 Handelsgeschäft Die deutschen Banken in Luxemburg verstanden sich bislang vorrangig als Kreditinstitute, in späteren Phasen mit einem verstärkten Vermögensanlagegeschäft auch als Investmentbanken, jedoch kaum als Handelsbanken. Keine der Banken weist die Organisationsstruktur einer klassischen Handelsbank auf, obwohl die Bankinstitute in diversen Märkten, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, Handels- wie auch Salesgeschäfte betreiben. Die bedeutendste Stellung bei den Handelsaktivitäten nimmt der Geldhandel ein. Dieser war in der Anfangszeit vor allem bestimmt durch die aktivgesteuerte Liquiditätsaufnahme der Banken, d. h. die Refinanzierung des Eurokreditgeschäftes. Die Refinanzierungsaktivitäten konzentrierten sich, auch gefördert durch die Abwesenheit stringenter Liquiditätsvorschriften und die relativ höhere Liquidität im kurzfristigen Laufzeitbereich, auf das kurze Marktende, den Eurogeldmarkt. Es entwickelte sich eine hohe Expertise im Zinsbindungsmanagement bei der Liquiditätsaufnahme bzw. Liquiditätsplazierung an den internationalen Eurogeldmärkten im Kontext der Refinanzierung von mittel- und langfristigen internationalen Konsortialkrediten wie auch besonders im Zusammenhang mit aus dem Konzern heraus vermittelten kurzfristigen Euroanlagen und Eurokrediten. In der Regel war der Geldhandel einer Bank mit der kompletten Treasury-Funktion betraut. Währungsbezogen stand bei den deutschen Banken in Luxemburg das DEM-Geschäft im Vordergrund. Eine zunehmende Internationalisierung und Marktliberalisierung, aber auch die Verfügbarkeit derivativer Marktinstrumente, brachten jedoch auch Geschäft und damit Expertise in anderen Währungsmärkten. Fristentransformationsgeschäfte in mehreren Währungen wurden bei den meisten Banken zur Regel. Geändert hat sich im Laufe der Zeit lediglich, daß bei vielen Instituten der Geldhandel nicht mehr durch das Kreditgeschäft aktivgesteuert, sondern, bedingt durch die stark gewachsenen bilanzwirksamen Einlagen aus dem Vermögensanlagegeschäft, passivgesteuert ist. Aus dieser Passivsteuerung erklärt sich auch das Asset-Swap-Geschäft bei den deutschen Banken in Luxemburg, das zumindest in einer ersten Phase als „Kreditersatzgeschäft"

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angesehen wurde. Wie im klassischen Geldhandel hatte aber auch hier der Handelsaspekt, im Sinne von kurzfristigem Positionshandel, weniger Bedeutung. Die Eigenanlage stand meist im Vordergrund. Aber auch einen klassischen Wertpapierhandel haben die Banken in Luxemburg entwikkelt. In den Anfängen ließ sich dies noch am ehesten aus dem Bemühen nach Geschäftsdiversifizierung erklären, zumal der gesamte weltweite Finanzmarkt durch die zunehmende Verbriefung von Forderungen eine Umgestaltung erfuhr. An die Erfolge Londons knüpfte Luxemburg jedoch niemals an. Internationales Neuemissionsgeschäft und die daraus induzierten Primär- und Sekundärmarkt-Wertpapierhandelsaktivitäten haben in Luxemburg nur marginal Fuß gefaßt. Abseits vom internationalen Neuemissionsgeschäft und abseits einer marktaktiven Zentralbank konzentrierten sich die Wertpapierhandelsaktivitäten deutscher Banken in Luxemburg auf eine eher untergeordnete Beteiligung im internationalen Rentengeschäft. Unterstützt wurde dies durch die Nachfrage von im Laufe der Zeit in Luxemburg betriebenen Fondsmanagementgesellschaften sowie durch das Wertpapierauftragsgeschäft aus dem in den letzten Jahren besonders gewachsenen Vermögensanlagegeschäft. Eine Market-maker-Funktion haben die Handelsstellen in Luxemburg in den großen Märkten kaum wahrgenommen. Eher wurde bei einzelnen Handelsstellen eine Nischenstrategie verfolgt. So kann Luxemburg etwa darauf verweisen, maßgeblich an der Entwicklung einer Reihe von Euro-Wertpapiermärkten, wie etwa dem Matador-Markt oder dem Euroescudo-Markt, beteiligt gewesen zu sein. Wenngleich auch die Bedeutung der Handelsaktivitäten von Institut zu Institut sich unterschiedlich darstellt, so haben sich gleichwohl keine großen international vergleichbaren Handelseinheiten herausgebildet. Soweit Handel betrieben wird, stehen Geldhandel und Rentenhandel im Vordergrund. Devisenhandel und Derivatehandel finden sich nur bei wenigen Instituten. Der Aktienhandel bleibt auf das Auftragsgeschäft beschränkt.

2.3 Fondsgeschäft Das Fondsgeschäft in Luxemburg trat Mitte der 80er Jahre in eine bislang anhaltende Wachstumsphase ein, deren Wachstumsraten sich erst in der jüngsten Vergangenheit ermäßigten. Als Anstoß flir diese Entwicklung gilt die schon 1983 erfolgte Verabschiedung eines Investmentfondsgesetzes. Das Gesetz enthielt Regelungen zu vertragsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen von Fonds. Die im Vergleich zu anderen EG-Partnerstaaten zügige Umsetzung der 1985 verabschiedeten EG-Richtlinie über die „Organismen flir gemeinsame Anlagen" in nationales Luxemburger Recht in 1988 (Bourse de Luxembourg, 1991) sicherte einen besonderen Wettbewerbsvorsprung. Einige der Regelungen dieser Fondsgesetzgebung erwiesen sich in der Vergangenheit als besonders vertriebsfördernd. Der wohl wesentlichste Aspekt war die grundsätzliche Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Vertriebs innerhalb der EG bzw. EU flir bestimmte in Luxemburg domizilierte Fonds. Luxemburg bot den vergleichsweise besten strategischen Ausgangspunkt flir die Penetration des gesamten EU-Marktes.

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Dies wurde auch von deutschen Gesellschaften gerne aufgenommen. Die Luxemburger Fondsgesetzgebung ermöglichte den Fondsgesellschaften aber auch einen vergleichsweise weiten Gestaltungsspielraum in der Fondskonzeption, der gesellschaftsrechtlichen Fondsgestaltung wie auch in der Anlagepolitik. Wegen ihrer vertriebsfördernden Wirkung sollten besondere Erwähnung finden: die großzügige Nutzung von Derivaten; die z. T. damit verbundene Möglichkeit, Fonds mit Anlagegarantiekonzeptionen zu offerieren; Umbrella-Konstruktionen; Währungsfonds; die frühzeitige Verfügbarkeit von geldmarktorientierten Fondskonzepten. Da nach geltender Regelung für in Luxemburg domizilierte Fonds die Depotbankfunktion ebenfalls in Luxemburg wahrzunehmen ist, ergab sich am Finanzplatz mit der Entwicklung des Fondsgeschäftes die parallele positive Entwicklung des Depotbankgeschäftes für die Banken. So nehmen denn auch i. d. R. die jeweiligen deutschen Banken in Luxemburg die Depotbankfunktion für Fonds der jeweils zum Bankkonzern bzw. zur Bankgruppe gehörenden Fondsmanagementgesellschaften wahr.

2.4 Vermögensanlagegeschäft Das Vermögensanlagegeschäft bei deutschen Finanzinstituten in Luxemburg umfaßt in einer ersten Form die Anlage von Liquidität am Geldmarkt bei Banken, die sogenannte Eurogeldanlage. Dieses Geschäft geht bis zu den Anfängen des Euromarktes zurück. Aus durch den Euromarkt bedingten Konditionsvorteilen legten und legen private, vor allem aber institutionelle Investoren Liquidität bei Banken in Luxemburg an. Die Anlagen, in der Regel von Großanlegern im Rahmen ihrer Liquiditätssteuerung, trugen maßgeblich zur Refinanzierung des Eurokreditgeschäftes der Eurobanken bei. Anlagekunden der deutschen Banken in Luxemburg waren vor allem deutsche Kunden, vermittelt aus dem Kundenstamm der jeweiligen deutschen Mutterbank bzw. der jeweiligen Bankorganisation im Falle der Sparkassenorganisation und des genossenschaftlichen Verbundes. Mit der Einführung von Vorabsteuererhebungsverfahren in Deutschland, zuerst des Quellensteuerverfahrens und nach dessen Aufgabe des Zinsabschlagsteuerverfahrens, konnten durch die Nutzung des Euromarktes der durch diese Steuererhebungsverfahren verursachte Zinsnachteil bzw. der Aufwand einer alternativen Berücksichtigung der erwarteten Kapitalerträge im Zuge der Körperschaftsteuervorauszahlung vermieden werden. Dieser Aspekt steht um so mehr im Vordergrund, als der mindestreservebedingte Konditionsvorteil sich verringert hat. Daneben sind die Banken zur Refinanzierung von Eurokreditgeschäften in Währung traditionell stark engagiert bei Währungseinlagen von Kunden. Geschäfte in Währung waren häufig und sind in Einzelfällen noch aktuell bei den grundsätzlich mit einem Multi-Währungs-Buchungs-System ausgestatteten Eurobanken verarbeitungstechnisch einfacher darstellbar als bei den jeweiligen Banken, Bankfilialen etc. in Deutschland. Neben diesen Eurogeldmarktanlagen beinhaltet der Bereich Vermögensanlage auch die umfassendere Betreuung privater wie auch institutioneller Kunden bei der Anlage in allen Anlageinstrumenten der internationalen Geld-, Devisen-, Renten-, Aktien- und Derivatemärkte. Wenn sich auch die Grenzen zwischenzeitlich etwas verwischt haben, so liegt

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dennoch bei der Vor-Ort-Depotbetreuung der Marktfocus bei Fondsmanagementgesellschaften bzw. bei den zu diesen gehörenden Instituten i d.R. bei Depotvermögen unter TDEM 100, während die Banken ihren Schwerpunkt auf die Vermögensberatung und die Vermögensverwaltung von größenordnungsmäßig darüberliegenden Anlagevolumina legen. Wenngleich naturgemäß keine Daten über die Kundenstruktur für die Gesamtheit der betrachteten Finanzinstitute öffentlich verfügbar sind, so kann doch davon ausgegangen werden, daß die Klientel sich weitgehend aus deutschen Kunden zusammensetzt und i.d.R. nur ein geringer Anteil der Kunden aus anderen Ländern stammt. Die ersten Ansätze dieser klassischen Vermögensbetreuung gehen schon in die 70er Jahre zurück und fallen mit in die Bemühungen der Eurobanken, die Geschäftsbasis zu diversifizieren. Erst 1979 jedoch kam es zu einer Förderung dieses Teilgeschäftsbereiches durch ein Steuerentlastungspaket der Luxemburger Regierung. Die Mehrwertsteuer auf Gold wurde abgeschafft, ebenso die 5 %ige Kuponsteuer auf Anleihezinsen sowie die Stempelsteuer auf Depositenzertifikate. Diese steuerlichen Regelungen haben auch heute noch Bestand: Für Devisenausländer aus Luxemburger Sicht sind in Luxemburg keinerlei Steuern auf Kapitalvermögen oder Kapitalerträge fällig. Es werden auch, mit Ausnahme einer Quellensteuer auf Dividenden von Aktien Luxemburger Gesellschaften, keine weiteren luxemburgspezifischen Vorabsteuererhebungsverfahren wirksam. Dies enthebt den jeweiligen ausländischen Anleger nicht der Pflicht, seine Kapitalvermögen und Kapitalvermögenserträge in seinem steuerlichen Wohnsitzland zu deklarieren. Damit stellt sich die steuerliche Behandlung eines Devisenausländers grundsätzlich genauso dar wie etwa in Deutschland. Auch dort wird für Devisenausländer keine Steuer auf Kapitalvermögen oder auf Kapitalerträge fällig; ebensowenig wird das bei Steuerinländern praktizierte Zinsabschlagsteuerverfahren wirksam. Eine weitere Stärkung der Rahmenbedingungen für diesen Teilgeschäftsbereich erfolgte durch eine gesetzliche Regelung des Berufsgeheimnisses im Finanzsektor. Aktuell ist die berufliche Schweigepflicht des Bankiers im Bankengesetz vom 5. April 1993 geregelt (Memorial, 1993, 470). Danach ist die Weitergabe von kundenbezogenen Informationen unter Strafandrohung grundsätzlich untersagt (KPMG, 1996, 18). Vermögensanleger wissen ihr legitimes Bedürfnis auf Schutz der Privatsphäre gewahrt durch ein Bankgeheimnis, das mit dem fast legendär zu nennenden Schweizer Bankgeheimnis grundsätzlich gleichzustellen ist ( Bode, 1994). Dieses hier skizzierte Umfeld dürfte für den massiven Zustrom deutscher Vermögensanlagekunden ab 1988 maßgeblich gewesen sein. Ausschlaggebend für die Neuorientierung der Kunden waren jedoch die Einführung des Quellensteuerverfahrens 1988 und des Zinsabschlagsteuerverfahrens 1992 durch den deutschen Gesetzgeber. Diesem Kundenzustrom grundsätzlich Steuerflucht zu unterstellen, ist sicherlich nicht berechtigt, da die genannten gesetzlichen Maßnahmen auch zu erheblicher Verunsicherung bei Anlagekunden in Deutschland geführt haben. Die kundeninduzierte Verlagerung von Geschäftsvolumen von Banken in Deutschland ins Ausland und damit auch nach Luxemburg veranlaßte die Banken, bei ihren jeweiligen Luxemburger Dependancen entsprechende Fazilitäten für das publikumintensive Privatkundengeschäft auf- bzw. auszubauen. Damit konnte

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dieses Geschäftsvolumen wenigstens im eigenen Konzern bzw. der eigenen Bankengruppe gehalten werden und ging nicht an Auslandsbanken verloren. Für die Banken in Luxemburg erwies sich diese Entwicklung als Basis für ein weiteres Wachstum und bewirkte über den Zustrom bilanzwirksamer Kundeneinlagen eine Verbilligung der Refinanzierung, teilweise gar eine Passivsteuerung der Banken.

3

Umfeldbedingte strategische Faktoren

Bei der Skizzierung der jeweiligen Geschäftsfelder wurde auf wesentliche, für bestimmte Geschäftsfelder besonders förderliche Rahmenbedingungen hingewiesen. Solche Rahmenbedingungen sind Marktbarrieren (Porter, 1980, 7), die als strategische Faktoren bei förderlicher Wirkung Geschäftsbereiche an einen bestimmten Standort ziehen bzw. einer Abwanderung entgegenwirken. Bei belastender Wirkung unterstützen sie die Geschäftsverlagerung von diesem Standort bzw. verhindern oder erschweren eine Geschäftszuwanderung. Sie sind relative Standortaspekte, d.h. sie sind in ihren Ausprägungen vor dem Hintergrund von alternativen Standorten zu bewerten. Im folgenden werden für die genannten Geschäftsfelder in Luxemburg die umfeldbedingten strategischen Faktoren betrachtet, d.h. solche Aspekte, die die Perspektiven der Kerngeschäftsfelder und damit die strategische Positionierung dieser Felder mitberühren, ihrerseits jedoch nicht bzw. nicht unmittelbar durch die Finanzinstitute selbst beeinflußt werden können. Es sind dies: Unternehmensbesteuerung, Betriebskosten, Marktordnungsbestimmungen, aufsichtsrechtliche Bestimmungen, das Image des Finanzplatzes und die geographische Lage. Bei der Betrachtung unberücksichtigt bleiben Rahmenbedingungen wie sozialer und politischer Friede, Kapitalverkehrsfreiheit oder ein geordnetes Bankenwesen etc., da sie für internationales Finanzgeschäft als Mindestbedingungen der grundsätzlichen Qualifizierung eines Standortes angesehen werden. Die Faktoren werden in zwei Dimensionen bewertet und entsprechend in ein Diagramm mit einer jeweils in drei Felder aufgegliederten horizontalen und vertikalen Achse eingeordnet. Der Begriff Stabilität eines Faktors soll zum Ausdruck bringen, ob dieser Faktor leicht (Stabilität schwach) oder schwer (Stabilität hoch) zu verändern ist. Die Bewertung bestimmt die Lage des Faktors in den Feldern auf der vertikalen Achse des Diagramms. Die Positionierung des Faktors in den Feldern der horizontalen Achse wird bestimmt durch die Einflußwirkung auf den jeweiligen Geschäftsbereich. Diese kann tendenziell förderlich, neutral oder belastend sein. Um zu ermitteln, ob unter Beachtung beider Dimensionen eines umfeldbedingten Faktors dieser insgesamt betrachtet ein schwaches, neutrales oder starkes strategisches Argument für den Standort darstellt, wird das gesamte zweidimensionale Diagramm in drei Felder unterteilt (vgl. Abbildung 1). Faktoren, deren Bewertung eine Positionierung in Feld 3 ergibt, stellen ein starkes strategisches Argument dar. Faktoren in Feld 2 stellen ein neutrales, in Feld 1 ein schwaches strategisches Argument dar.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

165

Die Bewertung der genannten Faktoren und auch die oben beschriebene PortfolioPositionierung erfolgt auf der Basis der aktuellen Situation des Finanzplatzes. Mittels Pfeilen wird gegebenenfalls die Positionsbewegung des Faktors angezeigt, die sich vor dem Hintergrund absehbarer Veränderungen abzeichnet.

\

Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich

Stabilität

schwach

\

neutral

belastend

2

mittel

hoch

3

1

Abb. 3-1: Portfoliotabelle 1 = schwaches Argument 2 = neutrales Argument 3 = starkes Argument

3.1 Unternehmensbesteuerung Aus unternehmenssteuerlicher Sicht war Luxemburg in der Vergangenheit bekannt als ein Land mit relativ vorteilhaftem steuerlichen Umfeld. Diese Bewertung ergab sich für deutsche Finanzinstitute beim Vergleich der Ertragsteuersätze in Luxemburg und in Deutschland, unter Berücksichtigung der Gewinnthesaurierung. Um Aussagen über die Unternehmensbesteuerung der Finanzinstitute in Luxemburg als strategischen Faktor abzuleiten, wird auf einen steuerlichen Vergleich von Luxemburg mit einer Reihe von in den diversen Geschäftsfeldern mitkonkurrierenden Finanzplätzen zurückgegriffen. Tabelle 1 vergleicht für eine Modellbank die jeweilige, aktuell geltende Ertrag- und Vermögensteuerbelastung, ausgedrückt als prozentualer Anteil am Vorsteuergewinn. Auch diese Vergleichsrechnung arbeitet mit einer Vielzahl von Annahmen, die dem konkreten Einzelfall nicht vollumfänglich gerecht werden können. Völlig unberücksichtigt bleiben die an den einzelnen Finanzplätzen steuerlich zulässigen Möglichkeiten der Ergebnissteuerung. Gleichwohl erscheint der obige Modellvergleich grundsätzlich ausreichend, um Bewertungsaussagen mit hinreichender Gültigkeit ableiten zu können.

166

Bernhard Früh

Tabelle 1: Gesamtsteuervergleich 1997 Luxemburg

Frankfurt

41,8

58,4

Zürich 38,4

Dublin (IFSC) 10,0

London 31,0

Modellbank: Eigenkapital DEM 100 Mio.; Einheitswert ohne Gewinnberücksichtigung: 100; Eigenmittel- zu Fremdmittelergebnisse 1:1; Eigenmittelverzinsung 10 %; Gewinnthesaurierung. Berechnung: WGZ-Bank Luxembourg S.A.

Nach den ermittelten Vergleichsdaten erweist sich die Unternehmensbesteuerung als ein strategischer Faktor mit neutraler bis belastender Wirkung. Zwar liegt die Steuerbelastung deutlich unter der in Deutschland, jedoch gibt es für jedes betrachtete Geschäftsfeld mindestens einen aktuell konkurrierenden alternativen Finanzplatz mit einer geringeren Unternehmenssteuerbelastung. Hinsichtlich der Stabilität ist der Faktor als schwach einzustufen, da steuerliche Regelungen politisch motiviert auch kurzfristig abänderbar sind. Erschwerend kommt hinzu, daß die relative Faktorwirkung der steuerlichen Gesetzgebung von mehreren konkurrierenden Gesetzgebern determiniert wird. Beide Faktordimensionen zusammenfassend ergibt sich für alle Geschäftsfelder mit der Unternehmensbesteuerung ein gerade noch neutrales strategisches Argument. Werden aktuell diskutierte Änderungen in der Unternehmensbesteuerung berücksichtigt, wird diese Bewertung nur unmaßgeblich verändert. Die in Deutschland in Rede stehende Aufhebung der Gewerbekapitalsteuer, die Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes auf 35 % und des Solidaritätszuschlages auf 5,5 % (I.d.W., 1997) würde den Abstand Luxemburgs zu Deutschland verringern. Dies gilt auch bei Betrachtung der für Luxemburg avisierten steuerlichen Entlastungsmaßnahmen. Diese führten bei Reduktion des Körperschaftsteuersatzes auf 30 % und einer bedingten Anrechnung der Vermögensteuer auf die Körperschaftsteuerschuld zu einer Gesamtsteuerbelastung ab 1998 von 37,5 % des Vorsteuergewinns (C&L, 1997b). Damit wird zwar die aktuelle Wirkung des Faktors relativ verbessert; die Maßnahmen sind jedoch nicht geeignet, die strategische Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zu unterstützen.

3.2 Betriebskosten Einen weiteren strategischen Faktor stellen die standortspezifischen Betriebskosten dar, d. h. Sachkosten und Personalkosten im Vergleich zu alternativen Finanzplätzen. Zu beiden Kostenarten sind keine verallgemeinerbaren empirischen Vergleichsdaten direkt verfügbar, sieht man von der ABBL-Auftragsstudie über Gehälter von Bankangestellten (Hay, 1995) einmal ab. Auch diese spezielle Studie zeigt bei der Datenerfassungs- und Auswertungsmethodik die engen Grenzen quantitativer Kostenvergleiche, so daß auch hiervon lediglich grundsätzliche Tendenzaussagen mit einem gewissen Allgemeingültigkeitsgehalt ableitbar sind. Für den hier verfolgten Zweck wird es gleichwohl als

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

167

ausreichend erachtet, auf besondere, die Kosten bzw. die Kostenentwicklung bestimmende Elemente abzustellen. Dies erscheint sinnvoller als etwa ein quantitativer Vergleich auf der Basis von Modellfinanzinstituten, der kaum Aussagen mit einem gewissen Verallgemeinerungsgrad zuließe.

Wirkung für das Geschäftsfeld

\

förderlich

neutral

belastend

schwach

\a

TO CO

mittel

hoch

3 Abb. 3-2:

1

Unternehmensbesteuerung ^ ^ alle Geschäftsfelder

Da ausreichender Wettbewerb bei Anbietern von für den Betrieb der Geschäftsfelder erforderlichen Gütern und Dienstleistungen besteht und auch keine besonderen Handelshemmnisse bei einem grenzüberschreitenden Bezug dieser Güter und Dienstleistungen vorliegen, gibt es keinen plausiblen Grund, für das Betreiben der Geschäftsfelder in Luxemburg eine gewichtige strukturelle Benachteiligung oder Bevorzugung des Platzes Luxemburg im Vergleich zu anderen europäischen Finanzzentren anzunehmen. Verallgemeinerbare standortspezifische Unterschiede bei Immobilienkosten lassen sich ebenfalls nicht feststellen. Mithin spricht dies für eine neutrale Wirkung des strategischen Faktors „Betriebskosten". Diese Bewertung ändert sich jedoch, betrachtet man auch die Personalkosten Auch eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse der oben erwähnten Gehältervergleichsstudie zeigt, daß für den Zeitpunkt der Datenerhebung die untersuchten stellenspezifischen Gehälter für Angestellte in Luxemburg immer im obersten Drittel der verglichenen Standorte angesiedelt waren. Diese Aussage dürfte auf die gesamten Personalkosten übertragbar sein und sich auch bei Berücksichtigung von standortspezifischen Lohnnebenkosten und einer Sicherheitstoleranz für wechselkursbedingte Änderungen in den Kostenvergleichsdaten bestätigen. Die in der besagten Studie ermittelten hohen Gehälter für Angestellte in Luxemburg erklären sich natürlich auch aus dem schnellen Wachstum des Finanzplatzes - insbesondere in den personalintensiven Geschäftsfeldern - während der letzten zehn

168

Bernhard Früh

Jahre. Sie sind jedoch auch begründet in gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen am Finanzplatz Luxemburg. So stellt Luxemburg mit der gesetzlichen Bindung der Gehälter an den Lebenshaltungsindex unter den internationalen Finanzplätzen ein Unikum dar. Wenn dann darüber hinaus tarifVertragliche Regelungen gelten, die automatisch jährliche Gehaltserhöhungen mindestens bei einzelnen Mitarbeitern jedes Finanzinstituts sicherstellen, ist in jedem Falle eine jährliche reale Lohnkostensteigerung gegeben. Lediglich durch Personalabbau bzw. -umbau wäre dem gegenzusteuern. Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich

neutral

belastend

2 Stabilität

schwach

mittel

hoch

3

1

Abb. 3-3: Betriebskosten ^ ^ alle Geschäftsfelder

In der Gesamtsicht wird dem Faktor „Betriebskosten" eine neutrale bis belastende Wirkung bei allen Geschäftsfeldern zugeordnet. Die Stabilität des Faktors wird als neutral bis schwach angesehen, da die Finanzinstitute durch ihre individuellen wie auch kollektiven Verhandlungsmöglichkeiten Einfluß auf die Betriebskosten nehmen können. Gleichwohl zeigen die Beharrlichkeit des Gesetzgebers bei der Gehaltsindexierung, aber auch die Durchsetzungserfolge der Tarifpartner eher an, daß für die absehbare Zukunft nicht von einer kosten- bzw. kostenentwicklungsdämpfenden Strukturveränderung auszugehen ist. Das strategische Argument „Betriebskosten" erweist sich somit unter Berücksichtigung von Faktorstabilität und Faktorwirkung als neutral bis schwach.

3.3 Marktordnungsbestimmungen Durch hoheitliche Eingriffe in die Märkte, i.d.R. im Kontext protektionistischer, marktliberalisierender oder schlicht steueraufkommensmaximierender Bestrebungen, werden standortspezifische Marktbarrieren mit geprägt. Der bisherige Erfolg Luxemburger Finanzinstitute, insbesondere der deutschen Institute, gründete in erheblichem Maße auf dem Zugang zu Märkten, die bestimmt sind durch zwischenstaatliche Marktregulierungsunterschiede.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

169

Ob dabei der Standort Luxemburg von der „Überregulierung" anderer Staaten profitiert oder diese Marktzugänge aus De-Regulierungsmaßnahmen Luxemburgs resultieren, ist allenfalls im Hinblick auf die Beurteilung der Stabilität des strategischen Faktors „Marktordnungsbestimmungen" von einer gewissen Relevanz. In beiden Fällen handelt es sich um politisch bedingte strategische Faktoren, die, da grundsätzlich veränderbar, als schwach einzustufen sind. Wenn eine Änderung nicht einmal in der Entscheidungshoheit des Luxemburger Gesetzgebers liegt, wird die geringe Stabilität des Faktors besonders deutlich. Da es im Zuge der Weiterentwicklung der EU erklärtes politisches Ziel ist, solche Regulierungsunterschiede zu harmonisieren, nimmt mit zunehmender Harmonisierung die Stabilität des Faktors tendenziell zu. Die deutschen Banken in Luxemburg verdanken ihre Existenz in vielfacher Hinsicht den Euromarktvorteilen, insbesondere resultierend aus der unterschiedlichen Reagibilität von Inlandsmarkt und Euromarkt sowie aus der Vermeidung der im DEM-Inlandsmarkt geltenden Mindestreserveregelungen. Der mindestreservebedingte Vorteil kommt nach diversen Reduzierungen der Mindestreservesätze in Deutschland nur noch zeitweise und marginal zum Tragen. Er wird gemäß den Bestimmungen der Maastrichter Verträge über die Europäische Union gänzlich entfallen, da Luxemburg als Mitglied der europäischen Währungsunion per Definition für die Währung der Währungsunion und damit für einen großen Teil der bisherigen nationalen europäischen Währungen keinen Eurobankplatz mehr darstellen wird. Im Gegenteil, der aktuell in seiner Wirkung neutral bis förderlich einzustufende Euromarktcharakter wird infolge der Währungsgleichschaltung nicht nur neutralisiert; er kann sich, je nachdem wie das in den Maastrichter Verträgen vorgesehene Instrument der Mindestreserve (Rat der Europäischen Gemeinschaften, 1992, § 19) letztlich zum Einsatz kommt, auch als belastend gestalten, mit der Folge, daß Geschäfte in den Euromarkt außerhalb des Währungsunionsgebietes abwandern. Für das Vermögensanlagegeschäft gelten die Aussagen über die Nutzung bzw. den Verlust des Euromarktcharakters Luxemburgs analog. Gleichwohl greift in diesem Geschäftsfeld mit der im DEM-Inlandsmarkt geltenden Zinsabschlagsteuer indirekt eine ausländische Marktordnungsbestimmung als geschäftstragendes Element und macht die Marktordnungsbestimmungen insgesamt zu einem starken strategischen Argument. Eine wie auch immer geartete Egalisierung der Zinsertragsbesteuerung bzw. eines Vorabsteuererhebungsverfahrens in Luxemburg unter Berücksichtigung des Devisenausländerstatus würde den strategischen Faktor neutralisieren, d.h. die deutschen Institute in Luxemburg unmittelbar dem vollen Wettbewerbsdruck des Gesamtmarktes, einschließlich dem der jeweiligen Mutterhäuser, aussetzen. Die wahrscheinliche Folge wäre ein erheblicher Verlust von Passivmitteln. Im Handelsgeschäft sind keine besonderen Marktordnungsbestimmungen erkennbar, die den Standort Luxemburg bevorteilen oder benachteiligen. Der strategische Faktor erweist sich als neutral. Dies gilt grundsätzlich auch im Hinblick auf währungsunionsbedingte Geschäftsausfälle mit der Herausforderung, nach Geschäftskompensationsmöglichkeiten zu suchen. Dieser Problematik werden sich jedoch alle europäischen Finanz-

170

Bernhard Früh

Zentren, wenn auch in unterschiedlichem, hier nicht qualifizierbarem Ausmaß, zu stellen haben. '^N.

Wirkung für das Geschäftsfeld

\

förderlich 1

schwach Stabilität

neutral

belastend

2

mittel

hoch 3 Abb. 3-4:

1

Marktordnungsbestimmungen Eurokreditgeschäft Vermögensanlagegeschäft

Hingegen profitiert das Fondsgeschäft in Luxemburg bis dato im Bereich der Depotbankfunktion von einer Marktordnungsbestimmung. Die Regelung, daß die Depotbankfunktion für in Luxemburg domizilierte Fonds in Luxemburg wahrgenommen werden muß, beschert den deutschen Banken in Luxemburg im Hinblick auf die Fonds der jeweiligen Bankengruppe einen nahezu vollkommenen bankgruppeninternen und -externen Wettbewerbsschutz. Allein schon die auf EU-Ebene formulierten Bestrebungen, hier eine Deregulierung herbeizufuhren und im Hinblick auf die erkennbare Forderung internationaler Finanzinstitute mit Fonds in Luxemburg nach grenzüberschreitender Allokation der Geschäftstätigkeiten wird diese Marktbarriere nicht mehr lange aufrecht erhalten bleiben. Der strategische Faktor würde dann neutralisiert werden.

3.4 Aufsichtsrechtliche Bestimmungen In der Vergangenheit haben die Finanzinstitute in Luxemburg Unterschiede in der aufsichtsrechtlichen Reglementierung der Geschäftsausübung vorteilhaft für sich nutzen können. Erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an die lange Zeit im Vergleich zu Deutschland weniger restriktiven Eigenmittelanforderungen an Banken, an Liquiditätsvorschriften oder Regelungen betreffend Großkreditgeschäfte. Luxemburg stellte in der Konsequenz eine preiswertere Operationsplattform zur Verfügung.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

171

Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich



schwach Stabilität

neutral

belastend

2

mittel

hoch

1

3 Abb. 3-5:

Marktordnungsbestimmungen ^ ^ Handelsgeschäft Fondsgeschäft

Im Zuge der weltweiten Deregulierungstendenzen im Finanzsektor, aber auch im Zuge von internationalen Harmonisierungsbemühungen, insbesondere innerhalb der Europäischen Union, haben sich die relativen Unterschiede und die daraus resultierenden Vorteile am Finanzplatz Luxemburg zwischenzeitlich deutlich reduziert. So hat auch Luxemburg Empfehlungen der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in nationale Regelungen umgesetzt. Die aktuell geltenden Bestimmungen für die Eigenmittelunterlegung von Ausfallrisiken und Marktrisiken folgen dem internationalen Standard nach den Cooke-Richtlinien bzw. den Kapitaladäquanzrichtlinien. Finanzinstitute in Luxemburg können damit für ihr Aktivgeschäft auf keine relativen Vorteile in der Eigenmittelunterlegung mehr verweisen. Die Harmonisierung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen an den wesentlichen europäischen Finanzplätzen wird mit zunehmender Dynamik weitergeführt. Dies bedeutet im Einzelfall, daß Luxemburg sich aktiv den Regelungen anderer Finanzplätze angleicht, andere Finanzplätze sich durch Deregulierungsmaßnahmen den in Luxemburg schon geltenden Bestimmungen annähern, oder daß neu zu regulierende Tatbestände, wie etwa Mindestanforderungen an Handelsgeschäfte, Verbraucherschutzgesetzgebung oder Wertpapierhandelsrichtlinien weitgehend im zeitlichen Gleichklang umgesetzt werden. Hieraus leitet sich auch die Stabilität des strategischen Faktors „Aufsichtsrechtliche Bestimmungen" ab. Die Stabilität ist als schwach einzustufen, da die Veränderung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen politisch gewünscht ist und in ihrer relativen Standortwirkung nicht alleine dem Entscheidungsbereich Luxemburgs obliegt. Der Prozeß der Harmonisierung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen ist jedoch noch nicht abgeschlossen, so daß - wenn auch im historischen Vergleich geringere - Unterschiede an den europäischen Finanzplätzen bestehen bleiben.

172

Bernhard Früh

Beim Eurokreditgeschäft folgen die Regelungen an den Finanzplätzen mit lediglich marginalen materiellen Unterschieden einem EU-einheitlichen Modell. Eine Ausnahme bildet lediglich Deutschland, dessen im KWG festgelegten Grundsätze eine geringere Flexibilität bei der Kreditvergabe festschreiben und damit die Operationsbasis verteuern. Insoweit sind die Bedingungen Luxemburgs im Vergleich zu Deutschland günstiger, weisen aber keine Besonderheiten zu anderen europäischen Hauptkonkurrenten und damit auch nicht mehr die Freiheitsgrade früherer Regelungen auf. Die Wirkung des Faktors wird folglich als neutral eingestuft. Das Vermögensanlagegeschäft wird in bedeutendem Umfang vom Berufsgeheimnis getragen, das den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen zuzuordnen ist. Dieses erweist sich in seiner Ausgestaltung für die Vermögensbetreuung als besonders förderlich, solange Luxemburg die Glaubwürdigkeit bewahren kann, die Qualität des Berufsgeheimnisses nicht zur Disposition zu stellen. Nachteilig, insbesondere im Hinblick auf die deutsche Klientel, wirkt sich das Einlagensicherungssystem Luxemburgs aus. Es erreicht nicht die Qualität des in Deutschland vorherrschenden Systems. Für Kundeneinlagen juristischer Personen fehlte bislang gar ein Sicherungssystem. Während im Privatkundengeschäft die Sicherungsfazilitäten wenig relevant sind und deshalb auch kaum thematisiert werden, stellt sich dies für Anlagen juristischer Personen häufig anders dar. Bislang können sich die Banken jedoch behelfen, indem solche Einlagen über gesellschaftsrechtlich unselbständige Niederlassungen aufgenommen werden, wodurch ein Zugang zum Einlagensicherungssystem der deutschen Hauptniederlassung besteht. Diese Möglichkeit des Importierens des deutschen Sicherungssystems wird jedoch dann beschränkt sein, wenn in Deutschland die EU-Richtlinie über Einlagensicherungssysteme in nationales Recht umgesetzt wird. Aktuell und hinsichtlich der hohen Bedeutung des vorteiligen Berufsgeheimnisses sind die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen bei der Vermögensanlage als starkes strategisches Argument für Luxemburg zu werten. Eine Abschwächung erfährt dieses Argument zukünftig für den Teilbereich Geldmarktanlagen, wenn für bestimmte Anleger die Sicherung über das deutsche Sicherungssystem nicht mehr besteht. Im Fondsgeschäft offeriert Luxemburg mit der in nationales Recht umgesetzten EGFondsrichtlinie nach wie vor ein als liberal und fortschrittlich geltendes Umfeld, zu dem andere Finanzplätze sukzessive aufschließen. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen erweisen sich als förderlicher strategischer Faktor für das Fondsgeschäft, auch wenn andere Finanzplätze, wie etwa Irland, Bedingungen anbieten, die denen Luxemburgs grundsätzlich gleichkommen (Parkhouse, 1995). Bis dato fällt im Vergleich hierzu Deutschland deutlich ab. Aber auch hier sind mit dem Richtlinienbegleitgesetz zur Änderung des KAGG und mit dem dritten Finanzmarktförderungsgesetz Regelungen in Vorbereitung (C&L, 1996; C&L, 1997a), die einige Vorteile Luxemburgs in Bälde im Heimatmarkt der deutschen Finanzinstitute egalisieren und damit die förderliche Wirkung des Faktors „aufsichtsrechtliche Bestimmungen" teilweise neutralisieren werden.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

173

Das Handelsgeschäft in Luxemburg zieht aktuell wie auch in der Vergangenheit keine besonderen Vorteile aus aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, sieht man von den in Umsetzungsvorbereitungen befindlichen Meldebestimmungen ab, die denen des Wertpapierhandelsgesetzes in Deutschland vergleichbar sind. Andererseits resultieren aus den bestehenden Regelungen auch keine relativen Belastungen, so daß für dieses Geschäftsfeld der betrachtete strategische Faktor ein neutrales Argument darstellt. Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich

belastend

neutral 2

Stabilität

schwach

mittel

hoch 1

3 Abb. 3-6: Aufsichtsrechtliche

Bestimmungen

Eurokreditgeschäft ^ ^

Vermögensanlagegeschäft

3.5 Image des Finanzplatzes Daß dem Faktor „Image des Finanzplatzes" eine geschäftsbeeinflussende Bedeutung zukommt, ist zuerst einmal eine Hypothese, deren empirische Bestätigung zu untersuchen wäre. Daß das Image eines Finanzplatzes gleichwohl offensichtlich eine Bedeutung für die Nachfrage nach von einem bestimmten Finanzplatz angebotenen Produkten/Dienstleistungen hat, scheint plausibel vor dem Hintergrund der Nachfragewirkung von Markennamen im Handelsbereich, aber auch im Hinblick auf beobachtbares Nachfrageverhalten im Finanzdienstleistungsbereich. So profitiert etwa die Schweiz nach wie vor von dem landläufigen Ruf eines „safe heaven". Auch zu beobachtende Kundenreaktionen, insbesondere auf negative Presseberichterstattung über den Finanzplatz Luxemburg in den vergangenen drei Jahren, stützen die Hypothese, daß das Image eines Finanzplatzes ein strategisches Moment darstellt. Wichtig für das Image eines Finanzplatzes ist nicht nur die Existenz, sondern vor allem auch die subjektive Wahrnehmung von Faktoren, welche dieses Image prägen.

174

Bernhard Früh

Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich



schwach Stabilität

neutral

belastend

2

mittel

hoch

1

3 Abb. 3-7: Aufsichtsrechtliche

Bestimmungen

^ ^ Handelsgeschäft Fondsgeschäft

Auch wenn bislang keine empirischen Untersuchungen über diese Thematik verfugbar sind, so hat doch offensichtlich das Image des Finanzplatzes Luxemburg bei einer Reihe von Analysten in Deutschland in der jüngeren Zeit Schaden genommen. Ausschlaggebend dürften zumindest anfänglich die Presseberichterstattungen zu Steuerfahndungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Verdacht von Steuerverkürzungen deutscher Anleger unter Nutzung des Finanzplatzes Luxemburg gewesen sein. Die publizitätswirksamen Berichterstattungen und Kommentare tendierten häufig dazu, den Focus bzgl. des Finanzplatzes auf das Privatkundengeschäft zu reduzieren und negative Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Diese Tendenz in der Berichterstattung - um Objektivität wenig bemühte Recherchen - fuhrt zu einer immer weitergehenden Diskreditierung. Zu Beginn wirkte sich dies in einer allgemeinen Verunsicherung deutscher Vermögensanlagekunden bei deutschen Banken in Luxemburg aus. Die beobachtbare Abwanderung von Kunden von deutschen Banken in Luxemburg zu nichtdeutschen Banken in Luxemburg deutet darauf hin, daß vorerst noch nicht das Image des Finanzplatzes selbst gelitten hat. Gleichwohl erreichen in einem derart gestalteten Umfeld einer Verunsicherung Nachrichten über Einzelvorkommnisse von kriminellen Tatbeständen, die den Finanzplatz Luxemburg direkt oder indirekt berühren, eine besonders starke negative Wirkung. Grundsätzliche Zweifel an der Qualität des Finanzplatzes, etwa im Zusammenhang mit der Durchsetzungskraft Luxemburgs bei den EU-Harmonisierungsbemühungen oder im Zusammenhang mit der Einführung der Währungsunion, werden unreflektiert formuliert und verbreitet, und letztlich wird damit der Niedergang des Finanzplatzes als Ganzes proklamiert.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

^ ^ X ^

175

Wirkung für das Geschäftsfeld förderlich

neutral

belastend

2 Stabilität

schwach

mittel

hoch

3

1

Abb. 3-8: Image des

Finanzplatzes

Eurokredit-/Handels-/Fondsgeschäft | j j | Vermögensanlagegeschäft

Als Ergebnis lassen sich für die deutschen Banken in Luxemburg infolge der Verunsicherung und der daraus resultierenden Neuorientierung der Kunden im besten Falle stagnierende Wachstumsaussichten im traditionellen Vermögensanlagegeschäft prognostizieren. Aber auch in den jeweiligen Mutterhäusern hat sich die Einstellung zu Luxemburg negativ verändert. Daß Geschäftszuordnungen und Geschäftsvermittlungen sowie die in der Vergangenheit zuvorkommende Unterstützung in allen Geschäftsbereichen erneut überdacht werden, liegt sicherlich an objektiven Veränderungen in den relativen Rahmenbedingungen. Daß bei sämtlichen derartigen Überlegungen ein zusätzlicher Vorbehalt zu überwinden ist, liegt mit am aktuell negativ beeinflußten Image des Finanzplat-

Welche Stabilität dem strategischen Faktor „Image" zuzuordnen ist, dürfte davon abhängen, ob dieses Image z. Zt. positiv oder negativ ist. Denn ein guter Ruf kann schnell ruiniert sein, während es schwierig ist, einen guten Namen aufzubauen oder gar einen negativen Ruf ins Positive umzukehren. Insoweit wird dem Faktor eine mittlere bis hohe Stabilität zugeordnet, die sich bei einem unterstellten zukünftig verbesserten Image in Richtung auf eine schwache Stabilität verändern kann. Die relative Bedeutung für die einzelnen Geschäftsfelder stellt sich unterschiedlich dar. Während für die Off-shore-Geschäftsbereiche Eurokreditgeschäft, Handelsgeschäft und Fondsgeschäft die relative Bedeutung des Faktors neutral/belastend ist, muß die belastende Wirkung beim Vermögensanlagegeschäft als deutlich stärker angesehen werden. Denn bei den Off-shore-Geschäftsaktivitäten spielt das konzerninterne Image die maßgebliche Rolle, während beim Vermögensanlagegeschäft zusätzlich das Image bei den Kunden mit berücksichtigt werden muß.

176

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3.6 Geographische Lage Die geographische Lage Luxemburgs ist im Gegensatz zu anderen strategischen Faktoren ein Momentum, dessen relative Stabilität, da unveränderbar, am höchsten ist. Hinsichtlich der Bedeutung für die jeweiligen Kerngeschäftsfelder ist jedoch zu differenzieren. Eurokreditgeschäft, Handelsgeschäft und Fondsgeschäft sind in der bislang in Luxemburg betriebenen Form als klassische Off-shore-Geschäftsfelder finanzplatzunabhängigBeim Vermögensanlagegeschäft, und hier insbesondere bei der Vermögensbetreuung, ist die geographische Lage ein starkes strategisches Argument von hoher förderlicher Bedeutung. Die Kundenbetreuung ist, trotz vielfältiger Mittel zur Ermöglichung des Distanzbanking, in erheblichem Umfange mit Vor-Ort-Betreuung in Luxemburg verbunden, so daß dem Aufwand der Kundenreisetätigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Dies dürfte auch mit ausschlaggebend sein für die tendenziell höhere Kundenkonzentration im Westen Deutschlands im Vergleich etwa zum Bereich Süddeutschland. Die zentrale Lage Luxemburgs unterstützt jedoch über das Argument Erreichbarkeit auch Vermögensbetreuungsgeschäft für Kunden aus Nordfrankreich, Belgien und Niederlande. Mit der fortschreitenden Verbesserung der Kundenkommunikationsmittel und der verbesserten Kundenakzeptanz etwa von Informationsnetzen wie dem Internet für Vermögensanlagegeschäfte dürfte jedoch zukünftig die relative Bedeutung der physischen Erreichbarkeit eines Bankplatzes zurückgehen.

Abb. 3-9: Geographische Lage l i f i Vermögensanlagegeschäft

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

4

177

Unternehmensbedingte Faktoren

Im Mittelpunkt der Betrachtung standen bislang umfeldbedingte strategische Faktoren, d.h. Aspekte, die die strategische Positionierung und die Perspektiven von Kerngeschäftsfeldern beeinflussen, ihrerseits jedoch nicht bzw. nicht unmittelbar durch die Finanzinstitute beeinflußt werden können. Im folgenden sind solche Faktoren zu betrachten, die die strategische Positionierung und die Perspektiven ebenfalls tangieren, jedoch in den Unternehmen unmittelbar begründet sind. Als solche maßgeblichen Faktoren werden diskutiert: die Durchsetzung der Finanzinstitutslobby; die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen vor Ort; die Marktzugangsmöglichkeiten zur Geschäftsakquisition, die interne Infrastruktur einschließlich des verfügbaren Know-hows; die Bankplatzremanenz. Auch für die jeweiligen unternehmensbedingten Faktoren soll abgeleitet werden, ob sie im Hinblick auf die Sicherung bzw. die Weiterentwicklung der Geschäftsfelder starke, neutrale oder schwache strategische Argumente darstellen.

4.1 Durchsetzung der Finanzinstitutslobby Unter „Durchsetzung der Finanzinstitutslobby" sind die Möglichkeiten zu verstehen, umfeldbedingte strategische Faktoren am Finanzplatz im Sinne der Sicherung und Weiterentwicklung der Geschäftsfelder zu beeinflussen. Die hohe Bedeutung des Finanzsektors für das Großherzogtum sollte grundsätzlich zu eine/ eher positiven Bewertung bzgl. der Durchsetzungskraft der Finanzdienstleister führen. So wird geschätzt, daß aktuell über 30 % des gesamten Steueraufkommens durch die ansässigen Finanzinstitute sowie deren Angestellte aufgebracht werden (ABBL, 1996). Mithin sind die öffentlichen Haushalte maßgeblich vom Wohlergehen des Finanzsektors abhängig. Mit über 20.000 Beschäftigten hat der Finanzsektor einen Anteil von rund 9,5 % an der Gesamtbeschäftigung des Landes, so daß auch unter diesem Aspekt eine hohe Abhängigkeit besteht. Wollte man die Bedeutung des Finanzsektors für das Land umfänglich würdigen, so wären auch Wirtschaftsbereiche zu untersuchen, die direkt oder indirekt von der Präsenz und der Kaufkraft der Finanzinstitute und deren Angestellten profitieren, wie z. B. Informationsdienstleister, Rechtsberatungsgesellschaften, Wirtschaftsprüfergesellschaften, Notare, Gebäude-/Sicherungsservicegesellschaften, Hotellerie, lokale Gastronomie, etc.. Gleichwohl geht eine de facto große Bedeutung des Finanzsektors nicht notwendigerweise einher mit einer entsprechenden Akzeptanz von Finanzsektorbelangen auf Seiten der Lobbyingzielgruppen. Einem in der Vergangenheit beeindruckend gewachsenen Finanzsektor mit einer inzwischen großen Anzahl von Einzelinstituten sowie zunehmend vielfältiger und komplexer gewordenen Arbeitsbereichen der Finanzinstitute steht eine nunmehr auch personell und institutionell komplexere und notwendigerweise in ihrem Charakter häufig behördlicher agierende Staatsseite gegenüber. Die Fähigkeit der staatlichen Stellen, auf Finanzsektor-

178

Bernhard Früh

belange einzugehen, wird ferner im Vergleich zu früheren Jahren durch zusätzliche Aspekte beeinträchtigt. Politische Momente etwa im Kontext von EU-Harmonisierungsbemühungen oder von Maßnahmen zu einer besseren Erfassung und Kontrolle internationaler Finanzaktivitäten fördern einen gewissen Konfrontationsbedarf bei der Durchsetzung entsprechender Maßnahmen. Dies gilt besonders dann, wenn diese Maßnahmen seitens der Finanzinstitute als zusätzliche Erschwernisse gewertet werden. Darüber hinaus sieht sich die Regierung Luxemburgs mit Forderungen des Finanzsektors konfrontiert, die mit Verweis auf konkurrierende Finanzplätze in der Sache begründet, jedoch politisch gegenüber den Wählern nur schwer vermittelbar sind. Hier ist auch die Frage zu stellen, ob der Finanzsektor im Großherzogtum selbst noch von dem gleichen positiven Öffentlichkeitsbild der Vergangenheit getragen wird. Die positive wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die weitere Diversifizierung der Wirtschaft, die erst in den letzten Jahren deutlich sichtbare „Wohlstandspräsenz" der Banken sowie negative, durch den Finanzsektor bedingte Öffentlichkeitsbilder Luxemburgs in benachbarten Ländern sind einzelne herausgegriffene Momente, die die Hypothese unterstützen können, daß weder in der breiten Öffentlichkeit noch bei staatlichen Entscheidungsträgern gegenwärtig eine zielstrebige und nachhaltige Unterstützung des Finanzsektors erwartet werden kann. Institutionell agieren die Finanzinstitute bzgl. eines Lobbying im wesentlichen über drei Schienen: Die Fondsgesellschaften deutscher Provenienz sind über ihre Vertreter in der Association Luxembourgeoise de Fonds d'Investissement (ALFI), der internationalen Verbandsorganisation für die in Luxemburg ansässige Fondsindustrie, organisiert und so in der Lage, ihre Belange zu artikulieren. Analog sind die deutschen Bankinstitute in Luxemburg über ihren Vertreter sowie über einzelne Arbeitsgruppenmitglieder vertreten in der Association de Banques et Banquiers, Luxembourg (ABBL), dem internationalen Verband der Banken in Luxemburg. Darüber hinaus sind es vornehmlich informelle Verbindungen von einzelnen Vertretern der Finanzinstitute zu Regierungsmitgliedern, Parteien und Behörden etc., über die Interessen kommuniziert werden. Es kann davon ausgegangen werden, daß die häufig beschriebene Flexibilität im Kontakt mit staatlichen Stellen und die kurzen Wege zu staatlichen Entscheidungsträgern vornehmlich dieser informellen Kommunikationsebene zuzuordnen sind. Eine solche Form der Interessenübermittlung und -Vertretung war in früheren Phasen der Entwicklung des Finanzplatzes, bei einer geringen Zahl von Finanzinstituten und weniger komplexen Kommunikationsstrukturen, einfacher. Aktuell kann kaum erwartet werden, daß noch in gleichem Umfang ein Lobbying in dieser Form vorgetragen werden kann. Vielen Vertretern, vor allem von erst in den letzten Jahren in Luxemburg domizilierten Instituten, dürften die hierzu erforderlichen informellen Kontakte nicht bzw. noch nicht in ausreichendem Umfang verfügbar sein. Die Verbände haben einen maßgeblichen Anteil am konstruktiven Dialog mit Regierungsstellen, Aufsichtsbehörden, Parteien und Gewerkschaften. Ihrer Arbeit sind nicht nur die günstigen Rahmenbedingungen für Finanzgeschäfte in der Vergangenheit mit

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

179

zuzurechnen, sondern auch die aktuellen Erfolge etwa bzgl. der Steuerentlastungsmaßnahmen oder der Einigung auf tarifvertragliche Regelungen. Gleichwohl sind die Ergebnisse dieser Bemühungen bislang noch deutlich von dem entfernt, was aus Sicht des Finanzsektors als adäquate konkurrenzfähige Infrastruktur für vielerlei Finanzgeschäfte erforderlich wäre. Insoweit konnten bislang weder öffentliche Artikulation noch entsprechende Ergebnisse eine hohe Durchsetzungskraft eines dezidierten Lobbying erkennen lassen. Einige wenige Aspekte der Verbandsstrukturen verdeutlichen aber auch, daß die Verbände häufig gar nicht in der Lage sind, eine einheitliche Interessenvertretung für den Finanzsektor umfassend zu leisten. Nicht nur ist mit der Banque et Caisse d'Epargne de l'Etat, einem staatseigenen, für den Bankplatz bedeutenden Institut, ein maßgeblicher Platzakteur nicht formal über die Verbandsebene vertreten, sondern es sind auch die Interessen bzw. Interessenschwerpunkte der einzelnen Mitgliedsinstitute teilweise divergierend. Letzteres gilt sowohl beim Vergleich der nationalen Mitgliedsgruppen wie auch bzgl. der Institute innerhalb einzelner nationaler Gruppen. Auch die Finanzinstitute deutscher Provenienz waren bislang trotz ihrer bedeutenden Repräsentanz unter den Mitgliedern der Verbände eher zurückhaltend im Lancieren von Forderungen hinsichtlich der Einleitung und Umsetzung von Maßnahmen. Zusammenfassend ergibt sich bzgl. der Durchsetzungskraft der Finanzmarktlobby als strategischem Faktor: Die Bedeutung des Finanzsektors für das Großherzogtum ist allein keine hinreichende Bedingung für eine hohe Durchsetzungskraft der Finanzinstitutslobby. Defizite in der Übermittlung der Finanzsektorbelange sowie Defizite in der aktuellen Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit bei den Lobbyingzielgruppen neutralisieren die Förderwirkung. Insoweit wird dem strategischen Faktor „Durchsetzungskraft" lediglich der Charakter eines neutralen Argumentes zugewiesen.

Strategischer Charakter des Faktors

schwach

1

neutral

2

Abb. 4-1: Durchsetzung der Finanzinstitutslobby ^ ^

alle Geschäftsfelder

stark

3

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Bernhard Früh

4.2 Entscheidungsfreiheit Unter diesem Aspekt ist die Entscheidungsdominanz der Finanzinstitute vor Ort bei strategischen Entscheidungen bzgl. der Aufnahme, Erweiterung, Reduzierung oder Schließung von Geschäftsfeldern zu untersuchen. Der Betrachtung dieses strategischen Faktors liegt die Hypothese zugrunde, daß eine positive Korrelation besteht zwischen der Entscheidungsfreiheit der Geschäftsleiter vor Ort und der Stärke dieses strategischen Faktors. Bei den untersuchten Finanzinstituten handelt es sich fast ausschließlich um konzernbeherrschte Unternehmen. D.h. diese Unternehmen sind entweder gesellschaftsrechtlich unselbständige Niederlassungen deutscher Finanzinstitute oder von deutschen Finanzinstituten direkt und/oder indirekt beherrschte Tochtergesellschaften. Niederlassungen unterliegen direkt dem Entscheidungseinfluß der Hauptniederlassung in Deutschland. Bei den Tochtergesellschaften ist in der Regel der Verwaltungsrat von Vertretern der Muttergesellschaft dominiert. Die Verwaltungsratsmitglieder sind ihrerseits meist Mitglieder des Konzernvorstandes, aus deren Mitte auch die Position des Verwaltungsratsvorsitzenden besetzt wird. Schon institutionell sind damit maßgebliche Entscheidungen der Geschäftsleitungen der Luxemburger Tochtergesellschaften bzw. Niederlassungen abstimmungsbedürftig. Selbst im theoretischen Zweifelsfalle werden Konzerninteressen vor Luxemburger Eigeninteressen stehen. Strategische Geschäftsfeldentscheidungen können von Vertretern der Luxemburger Konzerninstitute angeregt und argumentativ vertreten werden, dürften jedoch in der Regel grundsätzlich in den Mutterhäusern entschieden werden. Dort obliegen entscheidungsvorbereitende Arbeiten meist Stabsabteilungen der jeweiligen Konzerne. Bei Entscheidungen über Geschäftsfeldallokationen innerhalb der jeweiligen Bankgruppe steht ganz besonders in Zeiten hohen Wettbewerbsdrucks die strategische Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund. Dabei wird insbesondere bei Off-shore-Geschäftsaktivitäten das Wettbewerbsumfeld vorbehaltlos geprüft. Die Bedingungen der einzelnen Finanzplätze werden im Hinblick auf den globalen Wettbewerb transparent offengelegt. Gastlandbelange, hier die Belange Luxemburgs, treten in den Hintergrund im Vergleich zu ökonomischen Entscheidungskriterien. In solchen Entscheidungsprozessen kommt den Vertretern der Luxemburger Konzerneinheiten verstärkt die Rolle des Beraters bzw. des Finanzplatzpromotors zu. Diese Funktion des Promotors stellt sich den Vertretern der Luxemburger Konzerneinheiten als permanente Aufgabe. Denn naturgemäß werden Überlegungen zur Überprüfung von Geschäftsfeldallokationen betreffend den Finanzplatz Luxemburg nicht ausschließlich durch die Vertreter der Luxemburger Konzerneinheiten angestoßen. Anderweitige Anstöße innerhalb eines Konzerns bzw. einer Finanzinstitutsgruppe zur Überprüfung der Geschäftsfeldallokationen können vielfältig sein. Betrachtet man die skizzierten Argumente, so ist die Entscheidungsfreiheit der Vertreter der Luxemburger Konzerneinheiten tendenziell als begrenzt einzustufen. Das strategische

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

181

Argument „Entscheidungsfreiheit" wird folglich als eher schwach bei den klassischen Off-shore-Geschäftsfeldern eingestuft, als schwach bis neutral beim Vermögensanlagegeschäft, da letzteres im Bereich der klassischen Vermögensbetreuung als Onshore-Geschäft gilt. Strategischer Charakter des Faktors

schwach

1

neutral

2

stark

3

Abb. 4-2: Entscheidungsfreiheit Eurokredit-/Handels-/Fondsgeschäft ^ ^

Vermögensanlagegeschäft

4.3 Marktzugang Unter dem Faktor „Marktzugang" wird betrachtet, ob und ggf. inwieweit die betrachteten Finanzinstitute aktiv Zugang zum jeweiligen Marktpotential haben. Es wird also gefragt, ob zum Zwecke der Geschäftsfeldsicherung bzw. -erweiterung Marktbarrieren zur Marktpenetration hinreichend niedrig sind. Eine Analyse der Entwicklung der Geschäftsfelder zeigt, daß die deutschen Finanzinstitute in Luxemburg im wesentlichen vom Zutragsgeschäft getragen waren. Dies bedeutet, daß, von wenigen Instituten abgesehen, keine Vertriebs- bzw. Akquisitionshoheit besteht, sondern die Luxemburger Institute vornehmlich als Produkt-/Dienstleistungslieferanten genutzt werden. Die Primärvertriebsverantwortung im Sinne der Geschäftsakquisition liegt i.d.R. in anderen Teilen der Konzerne und Bankgruppen. Die Luxemburger Einheiten agieren als subsidäre Anbieter. So erfolgt der Vertrieb von Krediten über die künden- bzw. marktgebietsverantwortliche Filiale bei den Filialbanken. Analoges gilt für den Sparkassensektor wie auch für die genossenschaftliche Verbundorganisation. Den jeweiligen zur Bankgruppe gehörenden Luxemburger Instituten kommt meist nur die Funktion einer komplementären Kundenbetreuung zu. Eine direkte Kundenansprache durch die Luxemburger Institute ohne entsprechende Einschaltung bzw. das Wohlwollen der jeweiligen künden- bzw. gebietsverantwortlichen Filiale, Sparkasse oder Bank ist weitgehend ausgeschlossen. Auch im Bereich der Fondsindustrie liegt die Vertriebshoheit nicht bei den Luxemburger Fondsgesellschaften. Es besteht meist kein direkter Kundenkontakt beim Produktvertrieb. Die Fondsmanagementgesellschaften unterstützen die Vertriebsbemühungen der

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in den jeweiligen Konzernen und Bankgruppen zuständigen kundennahen Vertriebseinheiten durch Marketingaktivitäten. Soweit Fondsmanagementgesellschaften oder von diesen abhängige Gesellschaften in Luxemburg selbst Kundendepots vor Ort betreuen, sind diese i.d.R. durch Konzernmitarbeiter im jeweiligen Vertriebsgebiet vermittelt. Bei der Liquiditätsanlage institutioneller Kunden bei einem Luxemburger Institut erfolgt die Kundenakquisition ebenfalls meist nicht ex Luxemburg. Kundenbeziehungen in diesem Bereich sind letztlich, auch wenn sie sich mit der Zeit in gewissem Umfange verselbständigt haben, von der wohlwollenden Duldung der marktverantwortlichen Vertriebsstelle in Deutschland abhängig. Auch bei der privaten Vermögensbetreuung agieren die Luxemburger Institute als subsidiäre Dienstleistungsanbieter. Eine Kundenansprache, etwa über Anzeigenkampagnen, wird von marktzuständigen Konzernstellen in Deutschland toleriert. Eine weitere Akquisitionstätigkeit ist jedoch nur in dem Umfange geduldet, als die Luxemburger Konzerneinheit damit nicht in Konkurrenz zur marktgebietsverantwortlichen Filiale, Sparkasse oder Bank tritt. Eine Verweisung eines an Auslandsbetreuung interessierten Kunden durch einen Kundenberater in Deutschland an das zur Bankgruppe gehörende Luxemburger Institut zur Vermeidung der Abwanderung der Kundenvermögenswerte aus der Bankgruppe kann unter der aktuellen steuerfahndungsbedingten Verunsicherungssituation nicht mehr unterstellt werden. Allein schon von seiten der Kunden, die Interesse an Vermögensbetreuung in Luxemburg haben, wird man sich kaum noch an den örtlichen Kundenbetreuer in Deutschland, sondern eher unmittelbar an ein nicht-deutsches Finanzinstitut in Luxemburg wenden. Für das Eurokreditgeschäft, die Fondsbranche sowie das Geschäftsfeld Vermögensanlage gilt, daß der Marktzugang meist nur über Dritte und damit für den Endkunden nur mittelbar ex Luxemburg gesteuert werden kann. Die Akquisitionsmöglichkeit ist dabei mindestens vom Wohlwollen Dritter in der eigenen Bankgruppe abhängig. Der Faktor „Marktzugang" stellt für diese Geschäftsfelder deshalb ein schwaches strategisches Argument dar. Lediglich im Bereich Handelsgeschäfte ist dieser strategische Faktor ein tendenziell neutrales Argument, da es im Vergleich zu anderen Geschäftsfeldern nicht in gleichem Umfange mit einer institutionellen Marktbarriere belastet ist. Gleichwohl setzt sich auch in diesem Bereich zunehmend eine stringentere Konzeption zur Betreuung von Handelspartnern durch, insbesondere soweit es sich um Endplazierungsadressen handelt. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise eine systematische Schlechterstellung der Luxemburger Finanzinstitute als Handelsadressen.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

183

Strategischer Charakter des Faktors

O schwach

1

neutral

2

starle

3

Abb. 4-3: Marktzugang ^ ^

Handelsgeschäft übrige Geschäftsfelder

4.4 Know-how und interne Infrastruktur Das bei Luxemburger Finanzinstituten für die betrachteten Geschäftsfelder verfugbare Know-how im Sinne von Geschäftskenntnis und -erfahrung sowie auch die erforderliche interne Infrastruktur werden als neutrales bis starkes strategisches Argument gewertet. Die bedeutende Stellung Luxemburgs im Eurokreditgeschäft, maßgeblich mitgetragen von den deutschen Finanzinstituten, bedurfte eines besonderen Know-hows bei der Gestaltung der Kreditfazilitäten, der juristischen Vertragsgestaltung und der Kreditadministration. Seit den Anfängen des Euromarktes waren Luxemburger Institute maßgeblich beteiligt an der Entwicklung kundenangepaßter Kreditfazilitäten. Sie können auf ein großes M a ß an Erfahrung im Bereich der Kreditsyndizierung zurückgreifen. Know-how und unterstützende Technik waren selbst bei der Handhabung notwendiger Umschuldungen förderliche Faktoren. Im weiten Bereich der Handelsaktivitäten finden sich in Luxemburg nicht nur Händler, die auf besondere Märkte spezialisiert sind. Die Finanzinstitute verfügen über eine große Zahl von Generalisten, die sich adäquat in internationalen Geld-, Renten-, Devisen- und Derivatemärkten bewegen. Dabei ist die Dominanz eines speziellen einzelnen Währungsmarktes meist nicht gegeben, da man sich in Luxemburg traditionell, bedingt durch die internationale Ausrichtung der anderen Geschäftsfeldaktivitäten, parallel in allen internationalen Märkten bewegte. Die technische Infrastruktur für die Geschäftsbuchführung, das Erfolgs- und Risikocontrolling waren und sind in den übersichtlichen Luxemburger Dependencen schneller umfänglich umsetzbar als bei den großen Mutterinstituten. Sie sind mit Multiwährungsbuchungssystemen ausgestattet, was nicht immer in gleicher Weise für die Muttergesellschaften in Deutschland gilt. Der beachtliche Erfolg von in Luxemburg beheimateten Investmentfonds deutscher Gesellschaften liegt sicherlich nicht nur an Vertriebsaktivitäten, sondern auch am professionellen Management der Fondsanlagen und der Arbeit der Depotbanken. Dies wird auch

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nicht dadurch geschmälert, daß einige der Fonds im Management von anderen Stellen des jeweiligen Konzerns bzw. der jeweiligen Bankengruppe außerhalb Luxemburgs gesteuert werden. Die Luxemburger Fondsmanagementgesellschaften können auch in vielen Fällen die Erfolge von Produktneuentwicklungen im europäischen Fondsgeschäft für sich reklamieren. Strategischer Charakter des Faktors

schwach

1

neutral

2

stark

3

Abb. 4-4: Know-how und interne Infrastruktur ^ ^ alle Geschäftsfelder

Im Bereich der Vermögensanlage stehen den institutionellen Kunden professionelle, direkt am Markt operierende Geld- und Devisenhändler zur Verfügung, bei der privaten Vermögensbetreuung in internationalen Märkten erfahrene Vermögensberater und -Verwalter. Die Luxemburger Institute können den Service einer Privatbank offerieren. Die Kundenberater verfügen i.d.R. über Kenntnisse in mehreren Sprachen, beherrschen kundenbezogene Anlagestrategien und -modelle. Durch die Nähe zu Handelsabteilungen arbeiten sie auch sehr marktnahe. Zielgruppe ist der international orientierte, aufgeklärte Kunde. Entsprechend speziell darauf abgestellt ist auch die interne Infrastruktur: repräsentative Räumlichkeiten in angepaßtem Ambiente für den Kundenempfang; das Reporting in der vom Kunden gewünschten Referenzwährung und Sprache; eine moderne und leistungsfähige informationstechnische Unterstützung; der Umgang in der vom Kunden erwarteten Vertraulichkeit; die Erfahrungen und Fazilitäten für Distanzbanking, aber auch die Flexibilisierung der Beratungszeiten, die es bei einzelnen Instituten ermöglichen, sich auch in den Abendstunden oder an Samstagen beraten zu lassen.

4.5 Finanzplatzremanenz Als letzter unternehmensbedingter strategischer Faktor soll das Commitment zum Finanzplatz mit in die Betrachtung einbezogen werden. Finanzinstitute haben im Großherzogtum eine zuvorkommende Behandlung erfahren, was grundsätzlich ein hohes Commitment des Finanzsektors zu Luxemburg fördern sollte. Eine unbürokratische und schnelle Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen erwies sich für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors so wertvoll wie die Rahmenbedingungen selbst.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

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Gleichwohl werden bei strategischen Entscheidungen aktuelle und zukünftige Finanzplatzkonstellationen als maßgebliche Kriterien im Vordergrund stehen, Aspekte der Vergangenheit hingegen von geringerer Bedeutung sein. Dies wird besonders offensichtlich bei Entscheidungen über Geschäftsfelder, die - wie das Eurokreditgeschäft, das Handelsgeschäft und das Fondsgeschäft - als Off-shore-Geschäftsfelder nicht an eine bestimmte Lokalität wegen der Kundenpräsenz gebunden sind. Das Commitment zum Finanzplatz reduziert sich letztlich auf die Frage nach der Aufgabe von getätigten Investitionen und den Aufwendungen im Zusammenhang mit einer möglichen Abwicklung eines Geschäftsfeldes. Wenn auch aktuell schwer vorstellbar, so liegen doch die Aufgabe bzw. Teilaufgabe von erst in den letzten Jahren errichteten Bankgebäuden oder die Erstellung von Sozialplänen zur Freisetzung von Arbeitskräften grundsätzlich im Bereich des Möglichen. Der Finanzplatz Luxemburg ist für die Träger strategischer Entscheidungen der hier betrachteten Institute kein Heimatmarkt. Mithin dürfte bei strategischen Entscheidungen von einer im Vergleich zum Heimatmarkt geringeren gesellschaftlichen Verpflichtung, einer geringeren Identifikation mit Luxemburg und seinen Belangen auszugehen sein. Ökonomische Aspekte werden in ihrem Gewicht andere Entscheidungsaspekte deutlich dominieren. Auch eine produkt- bzw. dienstleistungsbezogene Identifikation zu Luxemburg gibt es bei den betriebenen OfF-shore-Geschäften nur in geringem Umfange. Selbst die in Luxemburg domizilierten Fonds werden i.d.R. nicht als „Luxemburger" Fonds vermarktet, sondern vornehmlich als DEKA-Fonds, Union-Fonds, DIT-Fonds, DBIM-Fonds etc., also unter dem Label der jeweiligen Fondsmanagementgesellschaft. Gleichwohl lassen sich natürlich einmal in Luxemburg domizilierte Fonds nur schwerlich an andere Finanzplätze verlagern, wenngleich dies grundsätzlich möglich ist. Die Frage nach dem optimalen Finanzplatz stellt sich vor allem bei neuen Fonds. Die Finanzplatzremanenz erweist sich somit für Eurokreditgeschäft und Handelsgeschäft als ein eher schwaches strategisches Argument. Dies gilt auch im Vermögensanlagegeschäft für den Teilbereich Liquiditätsgeldmarktanlage institutioneller Kunden. Lediglich im zweiten Teilbereich, der Vermögensbetreuung, ist die Vor-Ort-Präsenz der Kundenklientel ein starkes Argument. In der Zusammenfassung wird dem Faktor Bankplatzremanenz bzgl. des Geschäftsbereiches Vermögensanlage ein neutraler bis starker Charakter zugeordnet. Diesen Charakter hat der Faktor auch bzgl. des Fondsgeschäftes vor dem Hintergrund der Remanenz der bestehenden Fonds

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Strategischer Charakter des Faktors

O schwach

1

neutral

2

stark

3

Finanzplatzremanenz

Abb. 4-5: ^^

Eurokredit-/Handelsgeschäft Vermögensanlage-/Fondsgeschäft

5

Strategische Positionsmatrix

Bislang sind die individuellen umfeldbedingten wie auch unternehmensbedingten strategischen Faktoren im Hinblick auf die jeweiligen Geschäftsfelder bewertet worden. Nunmehr werden für die jeweiligen Geschäftsfelder diese Individualbewertungen in einer Portfolio-Matrix zusammengefaßt, um eine Gesamtaussage über die strategische Stärke des Finanzplatzes Luxemburg für die Kerngeschäftsfelder deutscher Finanzinstitute in Luxemburg abzuleiten. Hierzu werden in einem ersten Schritt je Geschäftsfeld die Bewertungen der einzelnen umfeldbedingten strategische Faktoren aggregiert. Tabelle 5.1 zeigt noch einmal in der Übersicht die jeweils abgeleiteten Bewertungen, wobei gemäß der verwendeten Portfoliotabelle einem schwachen strategischen Argument ein Punkt zugeordnet wird, einem neutralen zwei Punkte und einem starken drei Punkte. Zwischenergebnisse werden entsprechend mit halben Punkten berücksichtigt. Die vergebenen Punkte korrespondieren mit den Nummern der Felder der Portfoliotabellen, in denen die Positionierung der jeweiligen Einzelbewertungen ermittelt wurde. Die Bewertungen je Geschäftsfeld werden aggregiert durch Bildung eines einfachen Durchschnittes. Dadurch wird entscheidungstheoretisch mangels Kenntnis allgemein konsensfähiger relativer Gewichte der jeweiligen strategischen Faktoren unterstellt, daß den Faktoren eine relativ gleiche Bedeutung bei der Beurteilung des jeweiligen Geschäftsfeldes zukommt.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

187

Tab. 5.1: Bewertung der Geschäfte nach umfeldbedingten Faktoren Geschäftsfelder bedingte strategische Faktoren Unternehmensbesteuerung Betriebskosten Marktordnungsbedingungen Aufsichtsrechtliche Bestimmungen Image des Finanzplatzes Geographische Lage Gesamtbewertung

Eurokreditgeschäft

2 1,5 2 2 1

1,7

Handelsgeschäft

Fondsgeschäft

2 1,5 2 2 1



1,7

2 1,5 3 3 1 ^

-



2,1

Vermögensanlagegeschäft 2 1,5 3 3 1 3 2,3

Tabelle 5.2 zeigt in der Übersicht die abgeleiteten Bewertungen für die unternehmensbedingten strategischen Faktoren. Die Aggregation erfolgt wie bei den umfeldbedingten Faktoren. Tab. 5.2: Bewertung der Geschäfte nach unternehmensbedingten Faktoren Geschäftsfelder Unter-

Eurokreditgeschäft

Handelsgeschäft

Fondsgeschäft

Vermögensanlagegeschäft

strategische Faktoren Durchsetzung der Finanzinstitutslobby Entscheidungsfreiheit Marktzugang Know-how und interne Infrastruktur Finanzplatzremanenz

2

2

2

2

1 1 2,5 1

1 2 2,5 1

1 1 2,5 2,5

1,5 1 2,5 2,5

Gesamtbewertung

1,5

1,7

1,8

1,9

In einem zweiten Schritt werden nunmehr die Geschäftsfelder in dem zweidimensionalen Portfoliodiagramm der Abb. 5.1 positioniert. Dabei werden in der Horizontalen die ermittelten Positionen berücksichtigt, die sich in der obigen Zusammenfassung der umfeldbedingten strategischen Faktoren für die jeweiligen Geschäftsfelder ergeben haben. In der Vertikalen werden analog die ermittelten Positionen der unternehmensbedingten strategischen Faktoren abgebildet. Die je Geschäftsfeld ermittelten Werte für die umfeldbedingten und unternehmensbedingten Faktoren bestimmen damit die strategische Positionierung der Geschäftsfelder in dieser Positionsmatrix. Das für die Ermittlung der strategischen Positionierung verwendete Modell geht davon aus, daß sich die Positionierung eines Geschäftsfeldes, und damit die strategische Stärke der Geschäftsfeldbetreibung ex Luxemburg, aus umfeldbedingten und unternehmensbe-

188

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dingten Faktoren bestimmt. Die schwarz gekennzeichnete linke obere Ecke des Diagramms zeigt solche Kombinationsmöglichkeiten der umfeld- und unternehmensbedingten Faktoren, die für Geschäftsfelder aus strategischer Sicht als gefährdet anzusehen sind. Eine Positionierung in diesem Feld legt eine Desinvestitionsstrategie nahe. Die grau gekennzeichnete rechte untere Ecke des Diagramms enthält die Faktorkombinationen, die eine ungefährdete Positionierung anzeigen. Die ermittelten Positionierungen der Geschäftsfelder gemäß den nach aktuellen Bedingungen bewerteten strategischen Faktoren sind im Diagramm als Kreisflächen gekennzeichnet. Die jeweils zugehörigen Pfeile deuten die Positionsveränderung an, die sich ergibt, wenn sich die der jeweiligen Geschäftsfeldpositionierung zugrundeliegenden strategischen Faktoren in der zur Zeit absehbaren Weise ändern. A u f solche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Veränderungen wurde bei der Ableitung der Einzelfaktorbewertungen hingewiesen.

Abb. 5-1: Strategische Positionsmatrix Eurokreditgeschäft Vermögensanlagegeschäft ^ ^

Handelsgeschäft

r

gefährdete Kombinationen ungefährdete Kombinationen

Fondsgeschäft Die Bewertungsergebnisse zeigen, daß keines der Geschäftsfelder sich mehr im ungefährdeten Bereich befindet, jedoch auch noch keines in einer akut gefährdeten strategischen Position. Die Geschäftsfelder sind „stuck in the middle", mithin in einer strategisch

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

189

unbequemen Position, die nach unmittelbarer Verbesserung strategischer Faktoren verlangt, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Kostenreduzierung und Produktneuentwicklungen sind geboten. Die ermittelten zukünftigen Positionsbewegungen deuten an, daß sich das strategische Umfeld negativ verändert und das Eurokreditgeschäft wie auch das Handelsgeschäft in den bzw. knapp an den gefährdeten strategischen Bereich manövriert werden. Der Rückzug einzelner Finanzinstitute aus diesen Geschäftsfeldern ex Luxemburg bzw. eine Aktivitätsreduzierung in Form einer Teilverlagerung von Altgeschäften und/oder Umlenkung von Neugeschäften sind zu erwarten. Insofern besteht für Luxemburg dringender Handlungsbedarf, vor allem auch, weil die zukünftigen, negativeren Geschäftsfeldpositionierungen schon innerhalb der kommenden zwei Jahre zu erwarten sind.

6

Würdigung und Ausblick

Die vorliegende Ermittlung der strategischen Positionierungen der Geschäftsfelder deutscher Banken in Luxemburg lädt zu kritischen Einwendungen ein. Sicherlich kann in Zweifel gezogen werden, ob die Definition der Geschäftsfelder für die Bewertung richtig gewählt wurde, zumal die Ausgestaltung dieser Geschäftsfelder von Institut zu Institut in gewissem Umfange variiert. Ein treffliches Feld für Einwendungen bietet das den Portfoliotabellen und der Nutzwertanalyse zugrunde liegende Entscheidungsträgermodell (Früh, 1984, 187 ff.) generell wie auch in der hier vorliegenden konkreten Ausgestaltung. Kritik kann ferner an der Berücksichtigung und der Definition der strategischen Faktoren ansetzen. Gleiches gilt für die Bewertungen der strategischen Faktoren, da hier die Meinungen infolge institutsindividueller Situationen, aber auch wegen unterschiedlicher Wertesysteme der Beurteilenden, divergieren können. Und letztlich verbleibt die Frage, ob die in der Bewertungsaggregation unterstellte gleiche relative Bedeutung der strategischen Faktoren nicht zu maßgeblichen Verfälschungen der Ergebnisse fuhrt. Eine derartige Kritik mag im Einzelfalle ihre Berechtigung haben. Gleichwohl nimmt die Abhandlung für sich in Anspruch, mit einer für derartig schlecht strukturierte Probleme hinreichenden Gültigkeit korrekte und auch bei leicht abgeänderten Bewertungsergebnissen bei den einzelnen Faktoren hinlänglich stabile Gesamttendenzaussagen abgeleitet zu haben. Geschäftsfeldtypisierungen und Abstraktionen in der Bewertungsableitung werden bewußt im Interesse einer Generalisierung der Aussagen akzeptiert. Unabhängig hiervon legt das verwendete Modell das Zusammenspiel einer Vielzahl von Einzelaspekten offen und ist durch seine Transparenz als Instrument anderen individuellen Bewertungen zugänglich. Die hier aufgezeigten, eher bedenklich stimmenden Ergebnisse hinsichtlich der Stärke des Finanzplatzes für die benannten Kerngeschäftsfelder der ansässigen Finanzinstitute deutscher Provenienz, und in der Konsequenz auch für die Gesamtheit der Finanzinstitute, sind keine neuen Erkenntnisse. Die anstehenden Herausforderungen für den Finanzplatz haben sich seit längerem abgezeichnet und sind von den Akteuren des Finanzplatzes sehr wohl erkannt. Erste Ansätze, wie sich einzelne Finanzinstitute in ihrer jeweiligen besonderen Situation auf diese Veränderungen einstellen, sind erkennbar. Auf staatlicher wie auch auf Verbandsseite fühlt man sich in die Pflicht genommen. Überlegungen zu

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Steuerentlastungspaketen und sonstigen gesetzlichen Vorhaben zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zeigen dies. Und in der Tat verdeutlichen auch die Ableitungen der Geschäftsfeldpositionierungen, daß es einer konzertierten Aktion der Akteure und einer positiven Veränderung einer Vielzahl von Aspekten bedarf, um dem negativen Veränderungsmomentum der strategischen Positionierung einzelner Geschäftsfelder entgegenzuwirken oder neue Geschäftsfelder strategisch sicher zu positionieren. Hierzu läßt sich auch eine ganze Reihe von Ansätzen für den Luxemburger Finanzplatz skizzieren, deren Umsetzung jedoch Anforderungen an eine Vielzahl von Akteuren stellen wird: • Entwicklung von Formen und Infrastrukturen im Bereich des Distanzbanking, inklusive Entwicklung distanzbankfähiger Produkte und Dienstleistungen, Vertriebs- und Reportingformen. •

Spezialisierungen auf arbeitsteilige instituts- und grenzübergreifende Finanzgeschäftsabwicklung, Buchhaltung und Reporting einschließlich der Schaffung angepaßter Infrastrukturen für entsprechendes Outsourcing.

• Verbesserung des Finanzplatzimages konzern- bzw. bankgruppenintern und bzgl. anderer Imagezielgruppen innerhalb und außerhalb Luxemburgs. • Auf- bzw. Ausbau grenzüberschreitender regionaler Retailgeschäftsbankaktivitäten, ggf. verbunden mit neuen Formen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens mit regional näheren Filialen oder Banken der jeweiligen Konzerne bzw. Bankgruppen. • Abschaffung der bestehenden Gehaltserhöhungsautomatik und Entwicklung leistungsorientierter tarifvertraglicher Regelungen. • Absenkung der Unternehmenssteuerbelastung auf das Niveau Londons in einer sichtbaren und leicht vermittelbaren Form. • Entwicklung von Infrastrukturen zur Optimierung des Lobbying. •

Spezialisierung auf Fremdwährungsgeschäftsaktivitäten für Vermittlungsgeschäfte aus dem jeweiligen Konzern bzw. der jeweiligen Bankengruppe.

• Aufbau von Ausbildungszentren, vom Fachlehrgang bis zur Hochschule für Finanzdienstleistungswesen und angrenzende Bereiche. • Entwicklung, Test und Vermarktung standardisierter und fungibler Vermögensanlage-, Vorsorge- und sonstiger kapitalbezogener Risikoabdeckungskonzepte sowie Makeln entsprechender verbriefter Formen.

Strategische Positionierung des Finanzplatzes Luxemburg

191

Sind die Finanzinstitute in Luxemburg auch aktuell in der Lage, wiederum respektable Ergebnisse vorzuweisen, so widerspricht dies nicht den mäßigen strategischen Positionen ihrer Kerngeschäftsfelder. Es muß angenommen werden, daß die guten Ergebnisse in erheblichem Umfange aus Geschäftsaktivitäten stammen, die zu Zeiten einer früheren besseren strategischen Positionierung aufgebaut wurden. Sie sind auch vor dem Hintergrund des z. Z. noch vorherrschenden positiven Zinsumfeldes zu bewerten. Die Ergebnisse der aktuellen strategischen Positionierungen werden sich erst in einigen Jahren auswirken, die der aktuell zu berücksichtigenden zukünftigen Positionierungen naturgemäß noch später.

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Impulse für ein erfolgreiches Management öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen von Hermann Fünfgeld und Martin Gläser

In den letzten 15 Jahren sind zahlreiche Anläufe unternommen worden, das Management der öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien analytisch zu durchdringen und fiir dessen Weiterentwicklung konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. Dabei sind vorrangig die in Tabelle 1 bis 3 genannten Lehrstühle und Einrichtungen (in alphabetischer Reihenfolge) zu nennen. Tab. 1 :

Wirtschaftswissenschaftliche Lehrstühle mit rundfunkökonomischen Forschungsschwerpunkten

Lehrstuhl Prof. Dr. Franz Xaver Bea Prof. Dr. Peter Eichhorn Prof. Dr. Florian H. Fleck

Prof. Dr. Günther Sieben Prof. Dr. Hans Raffee Prof. Dr. Jürgen Weber

Tab. 2:

Universität Universität Tübingen Universität Mannheim Universität Fribourg/Schweiz mit dem Fribourger Arbeitskreis für Ökonomie des Rundfunks (FAR). Prof. Fleck verstarb im Jahr 1990. Den Vorsitz des FAR hat heute inne: Prof. Dr. Hanns Abele mit dem „Institut für Rundfunkökonomie" Universität Köln Universität Mannheim Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung Vallendar

Institutionen mit rundfunkökonomischen Forschungsschwerpunkten

Institution Redaktion Media Perspektiven (ARD Werbung Frankfurt am Main)

Referenzperson Prof. Dr. Marie Luise Kiefer Dr. Christa-Maria Ridder

Prognos AG Basel

Prof. Dr. Klaus Schrape

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin

besonders Dr. Wolfgang Seufert

Institut für Organisation, Universität München

Prof. Dr. Dr. Karl Heinz Weigand

Öffentliche und private Rundfunkunternehmen

publizierende Fachleute

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Hermann Fünfgeld und Martin Gläser

Tab. 3:

Lehrstühle für Kommunikations- und Publikationswissenschaft mit rundfunkökonomischen Forschungsbeiträgen

Lehrstuhl Prof. Dr. Margot Berghaus Prof. Dr. Jürgen Heinrich Prof. Dr. Otfried Jarren Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber Prof. Dr. Manfred Knoche

Prof. Prof. Prof. Prof. Prof.

Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

Gerd G. Kopper Claudia Mast Stephan Ruß-Mohl Dr. Michael Schenk Jan Tonnemacher

Universität Universität Mannheim Universität Dortmund Universität Hamburg, künftig Universität Zürich, mit dem Hans-Bredow-Institut Universität Hamburg Universität Salzburg als Leiter des Arbeitskreises Medienökonomie der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) Universität Dortmund Universität Hohenheim Freie Universität Berlin Universität Hohenheim Katholische Universität Eichstätt

In der Reihe der - nicht vollständig aufgelisteten - Akteure nimmt Prof. Bea eine besondere Rolle ein. Die Frage der spezifischen Management-Aufgabe im öffentlichrechtlichen Rundfunk hat sein besonderes Interesse gefunden. Dies veranlaßte ihn, ein eigenes Forschungskonzept zu entwickeln. Am Thema arbeitet er bis heute.

1

Management öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten als Forschungsprojekt

Es begann im Orwell-Jahr 1984, als der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Planung und Organisation, der Universität Tübingen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) überzeugen konnte, ein umfangreiches Forschungsprojekt zum Thema Management öffentlicher Rundfunkanstalten aufzulegen. Als Partner in der Praxis gewann man u.a. den Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart. Dabei waren die vorliegenden Ansätze zur Kosten- und Finanzanalyse in Rundfunkanstalten recht heterogen und nicht immer tragfähig. Sie stammten im übrigen sowohl von Insidern wie auch von Außenstehenden, von Wissenschaftlern, Rechnungshöfen, Wirtschaftsprüfern, Sachverständigen aus den Parlamenten, von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) u.a. Projektleiter am Lehrstuhl war seinerzeit Dr. Alfred Kötzle, heute Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Controlling, an der EuropaUniversität Viadrina Frankfurt (Oder). Die Arbeiten verliefen überaus fruchtbar. Es entstanden neben Fachaufsätzen, öffentlichen Diskussionen, Expertisen und gutachterlichen Äußerungen insgesamt fünf Disserta-

Management

von Rundfunkunternehmen

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tionen, die heute allesamt als Standardwerke gelten können, und an denen bei einer Befassung mit dem Thema Rundfunkmanagement niemand mehr vorbeigehen kann. 1 Es sei angemerkt, daß die hier genannten Absolventen - nicht selten (un-)sanft getrieben durch den bekannt hohen Anspruch des „Lehrmeisters" - heute allesamt verantwortungsvolle Positionen bekleiden. Alle Projektmitarbeiter/innen haben ihren Weg zum Medienbereich gefunden und konnten dort ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgreich umsetzen. Prof. Bea selbst verdankte seiner Medienkompetenz die ehrenvolle Einbindung in die medienökonomischen Debatten im politischen Bereich, insbesondere dadurch, daß er in einen speziellen Sachverständigenkreis der Medienpolitik, in die KEF (mit heute 16 Sachverständigen) berufen wurde. Diese Kommission beeinflußt maßgeblich die finanziellen Rahmenbedingungen von ARD und ZDF und schafft die entscheidenden Voraussetzungen für die Gebührenfindung. Die KEF legte zuletzt im Dezember 1995 ihren 10. Bericht vor. Sie hat die Aufgabe, den von den Rundfunkanstalten angemeldeten Finanzbedarf fachlich zu prüfen und zu ermitteln. Dabei soll die KEF insbesondere überprüfen, ob der auf den Programmentscheidungen beruhende Finanzbedarf der Rundfunkanstalten im Einklang mit den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit steht: fürwahr eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe für den sachkundigen Wirtschaftsprofessor Bea!

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Was heißt Management von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten?

Eines der zentralen Lehrbücher der Betriebswirtschaftslehre wird von Bea, Dichtl und Schweitzer herausgegeben (Bea et al., 1993). Konsequent werden dort die Führungsbzw. Managementaufgaben (z.B. Planung und Kontrolle) von den operativen Aufgaben der Optimierung des Leistungsprozesses (z.B. Beschaffung, Produktion, Marketing, Finanzierung) unterschieden. Führung bzw. Management stellt den sog. „dispositiven Faktor" dar, der die Vorgänge der Leistungserstellung zielorientiert steuern soll. Leitvorstellung ist die Herbeiführung und Erhaltung eines güterwirtschaftlichen und finanziellen Gleichgewichts. In einer „weiten Sicht der Dinge" kann man die Rolle von Management im Unternehmen anhand Schaubild 1 verdeutlichen (Gläser, 1996, 15).

Im einzelnen sind dies (in der Reihenfolge des Erscheinens): - Oliver Fix: Organisation des Rundfunks. Wiesbaden 1988; - Wolfgang Brandt: Strategien für Rundfiinkanstalten. Frankfurt am Main u.a. 1989; - Maria Barth-Renz: Planungs- und Kontrollsysteme öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Frankfurt am Main 1992; - Ottmar Schneck: Finanzmanagement von Rundfunkanstalten. Frankfurt am Main 1993; - Jürgen Schuster: Rundfunkmarkeüng: Entwicklung einer strategischen Marketingkonzeption für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Konstanz 1995.

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-I Führungssystem

Normatives bzw. Wertesystem

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Personalführungssvstem

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-|AusfUhningssystem~)—^ Ressourcen

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Organisationssystem

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Kontrollsystem

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Planungssystem

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t

Produktion

Informationsversorgungssystem

Produkte

Schaubild 1: Das Führungssystem der Unternehmung

Zentrale Instrumente einer wirksamen Unternehmensfuhrung sind demnach die Teilsysteme Normatives Management und Informationssystem, die als Basissysteme gelten können, sowie das Planungs- und Kontrollsystem (PK-System), das Organisationssystem und das Personalfiihrungssystem als die unmittelbaren Steuerungssysteme. Um alle Teilsysteme auf die Ziele des Unternehmens auszurichten, ist eine Gesamt-Koordination erforderlich, die vom Controllingsystem zu leisten ist. Im genannten Werk von Bea et al. werden besonders die Funktionen der Planung und Kontrolle, der Organisation und der Information betont. Nachfolgend seien einige besonders bedeutsame Elemente eines effizienten Managementsystems für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten im Lichte der Arbeiten von Prof. Bea näher beleuchtet.

Normatives Management: Wie beeinflußt man die Unternehmenskultur? Ein wichtiges Arbeitsgebiet von Prof. Bea ist das Normative Management. Neben den „harten" operativen Themen, die zu bearbeiten er sich freilich nicht scheut, widmet sich Bea immer wieder auch der Unternehmenskultur. Nach Bea versteht man unter Unternehmenskultur „die Gesamtheit der im Laufe der Zeit in einer Unternehmung entstandenen, gewachsenen und akzeptierten Werte und Normen, die über bestimmte Denk- und Verhaltensmuster das Entscheiden und Handeln der Mitglieder in der Unternehmung prägen" (Bea, 1996, 357). Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß von den gelebten

Management von Rundfunkunternehmen

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Werten und Normen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, d.h. von dem „Bündel von emotional gewonnenen verhaltensbeeinflussenden Wertvorstellungen" (ebd.) ganz wesentlich der Erfolg eines Unternehmens abhängt. Mit der Unternehmenskultur liegt ein wesentlicher Baustein dessen vor, was man mit Bleicher (1994) als „Normatives Management" bezeichnen kann. Ein wichtiges Ziel für jedes Management eines Unternehmens ist es daher, seine „Kultur" möglichst genau zu erfassen, zu analysieren und positiv im Hinblick auf die Unternehmensziele zu beeinflussen. Was liegt näher, als diese Kriterien auf ein dem Kulturauftrag besonders verpflichtetes Dienstleistungsunternehmen anzuwenden? Der Spannungsbogen zwischen dem Kultur- und Wirtschaftsunternehmen wird nämlich gerade hier besonders signifikant wahrgenommen. Nach Bea lassen sich für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Reihe von nachdenkenswerten Tendenzaussagen machen (Bea, 1996, 357 f.): (1) Es liegt eine Binnenorientierung vor, aufgrund derer die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter auf die internen Abstimmungsvorgänge fokussiert ist, die Beschäftigung mit Kundenproblemen an Spezialabteilungen delegiert ist, die Veränderungen im Umfeld eher spät erkannt werden und nur mühsam das organisatorische Gefiige durchdringen können sowie eine reaktive Einstellung vorherrscht. (2) Im Hinblick auf Innovationen ist man eher defensiv eingestellt, was die Suche nach regelgebundener Sicherheit, Gleichgewichtsstreben, Risikovermeidung, die Orientierung an Formalien und ein Bewahrungsstreben zur Folge hat. (3) Die strategische Spitze nimmt ihre Weisungskompetenz bei den Entscheidungen über das Leistungsprogramm nicht ausgeprägt wahr; eine typische Erscheinung der „professional bureaucracy" in der Organisations-Typologie nach Mintzberg (vgl. auch die Ausfuhrungen unten zur Organisationsstruktur öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten). Alles in allem konstatiert Bea, daß die Unternehmenskultur bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen eine Art „Immunisierungsstrategie" begünstigt, sich diese Unternehmen demnach gegenüber Kritik von außen immunisieren - vorrangig unter Berufung auf Begriffe wie „Programmautonomie", „kultureller Auftrag" oder „Programmqualität". Betont würden vorrangig die eigenen traditionellen Stärken und eine „gewisse Ferne von den Marktgesetzen". Es gibt Verantwortliche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die sich dieser Kritik bewußt sind, sie respektieren, sie aber nicht widerspruchslos hinnehmen. Sie respektieren zwar die speziellen publizistischen und ökonomischen Konkurrenzbedingungen und sind auch bereit, sich diesen zu stellen, lehnen aber eine unmodifizierte und unreflektierte Übernahme marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien flir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab. Diese Einstellung bereitet der Führung der Rundfunkanstalten Probleme. Deshalb tun sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angesichts dieses Befundes schwer. So wird von den Verantwortlichen bei ARD und ZDF das Problem einer eher

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passiven Grundhaltung mittlerweile klar gesehen. Deutliche Korrekturen in Richtung einer Aktivierung und Zukunftsorientierung sind festzustellen. Beispielhaft sei hier nur auf das engagierte ARD-Konzept „Vernetzen statt Versparten" hingewiesen. Ein ähnliches progressives Konzept ist bei der Erstellung der Leistungs- und Finanzplanung bei ARD und ZDF festzustellen.

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Über die Verbesserung der Planung und Kontrolle im öffentlichen Rundfunk

In der schon zitierten neueren Untersuchung weist Bea darauf hin, daß vor allem der Planungsprozeß bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besondere Probleme bereite (vgl. hier und im folgenden Bea, 1996, 357). Zum einen sei zu beachten, daß das Leistungsprogramm, ähnlich wie bei staatlichen Universitäten, Theatern und Museen, einem vorgegebenen Auftrag folge und besondere Merkmale aufweise: Die angebotenen Güter seien überwiegend immateriell und stellten nicht selten Unikate dar, das Angebot decke einen Bedarf, den man (schützend) als Kulturgut, speziell als „Grundversorgung" bezeichne, eine Bewertung der Leistungen finde nicht über den Preis statt, und es fehlten quantitative sowie einheitliche Maßgrößen (wie z.B. Gewinn oder ROI), um die Wirtschaftlichkeit der Leistung bzw. Produktion hinsichtlich Umfang und Zusammensetzung zu beurteilen. Zum anderen müsse man einräumen, daß es den Rundfunkanstalten schwer falle, ein ökonomisch konsistentes Zielsystem, etwa in Form von allgemein vergleichbaren Kennziffern, zu entwickeln. Die Identifikation von Problembereichen mit Hilfe von Kontrollen bzw. Soll-Ist-Abweichungen sei schwierig. Bewährte Entscheidungstechniken wie die Investitionsrechnung ließen sich oft nicht sinnvoll anwenden. Schließlich sei eine an Erfolgsindikatoren orientierte Planung mit Hilfe eindeutiger Anreiz- und Sanktionsmechanismen erschwert. Auf diese prinzipiellen Schwierigkeiten mit angemessenen Planungskonzepten zu antworten, stellt eine hohe Hürde für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dar. Bea selbst hat mit seinen Überlegungen schon frühzeitig diese Diskussion befruchtet, wobei er insbesondere betonte, daß das Planungs- und Kontrollsystem auf klare Strategien ausgerichtet werden müsse. Das Feld des strategischen Management sieht Bea als so fundamental an, daß es seine Arbeiten wie einen roten Faden durchzieht und er diesem Thema in jüngerer Zeit ein eigenes Werk gewidmet hat (Bea/Haas, 1995). Der Strategiefrage kommt für Bea offensichtlich eine Schlüsselrolle für das Verständnis und für die Gestaltung der Unternehmensabläufe zu. Auf die öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten bezogen hat demnach die Frage eine zentrale Bedeutung, wie man die Planung und Kontrolle strategiegerecht ausgestalten kann. Eine Antwort hierauf findet sich u.a. in den Forschungsergebnissen von Barth-

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Renz (1992). Die Autorin betont die hohe Bedeutung der veränderten Umweltsituation für die Ausgestaltung eines integrierten Planungs- und Kontrollsystems und befaßt sich in differenzierter Weise mit den Erfolgspotentialen von Rundfunkanstalten. Sie unterscheidet zwischen zukunftsorientierten strategischen Geschäftsfeldern (innovative „Prospektorprodukte" für neue Märkte) und einem eher bewahrenden Bereich (Konzentration auf lange eingeführte Markenprodukte als „Verteidiger") in Rundfünkanstalten, für die jeweils unterschiedliche Planungs- und Kontrollsysteme zu konzipieren sind. Dieser Ansatz steht in enger Verbindung zu den Arbeiten von Brandt (1989). Er hatte im Rahmen des genannten Forschungsprojektes schon früh eine Methodik für eine strategische Analyse der öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten entwickelt und diese anhand einer empirischen Untersuchung auf das Fernsehen angewandt. Die Studie erbrachte folgende Ergebnisse: (1) Befund: Der öffentliche Rundfunk in Deutschland steht vor einer tendenziell sehr hohen Umweltkomplexität und -dynamik und sieht sich einem erheblichen Bedrohungspotential ausgesetzt. Er hat aber auch Chancen. Ein besonderes Problem ist die Zielbildung und -formulierung, die sich komplex und schwierig gestaltet. Es besteht ein Spannungsfeld zwischen politischer Planung und strategischer Marktplanung. Wettbewerbs- und politische Strategien können sich überlagern. Insgesamt gesehen konstatiert Brandt mittel- bis langfristig eine gravierende Wettbewerbsschwäche sowie eine strategische Entwicklungslücke der Rundfünkanstalten. (2) Strategische Optionen: Es gibt angesichts eines sich verändernden Fernsehmarktes und angesichts der eigenen Stärken und Schwächen ein breites Spektrum an strategischen Handlungsmöglichkeiten. Dieses Spektrum reicht von einer „Verkümmerungsspirale" bis zu einer aktiv nach vorn gerichteten „Konzernstrategie". (3) Empfehlung: Brandt sieht die Gefahr, daß langfristig die Existenz des öffentlichrechtlichen Rundfünksystems mit seiner Leistungsvielfalt in Frage gestellt sein könnte. Er empfiehlt, eine „strategische Vision" zu entwickeln und auf eine konzernähnliche Kooperations- und Koordinationsstrategie zu bauen. Eine solche strategische Neuorientierung sollte mit einer konsequenten Anpassung der Organisation einhergehen, die sich vor allem in einer fünktionalen Zentralisierung wichtiger Aufgabenbereiche manifestiert. Auf diese Weise sollen anstaltsspezifische Eigeninteressen reduziert und die jeweiligen Stärken bei den Programminhalten zur Geltung kommen. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Arbeiten des Lehrstuhls Bea haben die Rundfünkanstalten schon früh versucht, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren und das öffentlich-rechtliche Rundfünksystem wettbewerbsfähig zu machen. Insbesondere haben sie Maßnahmen ergriffen, um ihre Planungs- und Kontrollsysteme den neuen Anforderungen anzupassen. Sie haben beispielsweise viel Energie darauf verwendet, ihre Controlling-

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Systeme zu verbessern (z.B. Kennzahlen-Management, dezentrale Budgetierungssysteme; vgl. z.B. Lehmann, 1987; Maier, 1987; Gläser, 1996). Sie stehen, was die ARD betrifft, auch vor großen Strukturveränderungen, derzeit vornehmlich im Südwesten. Die Arbeiten aus dem „Hause Bea" haben einen Anstoß gegeben, die schwierigen Fragen eines „geplanten organisatorischen Wandels", vor dem die öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten stehen, rechtzeitig und mit dem nötigen Weitblick anzugehen (vgl. u.a. Fünfgeld, 1985; Sieben et al„ 1988; Fünfgeld, 1994).

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Wie entwickelt man das Rundfunk-Unternehmen zu einer „lernenden" Organisation?

Das Forschungsprojekt brachte gerade zum Gesichtspunkt der lernenden Organisation wesentliche neue Erkenntnisse. In der Arbeit von Fix (1988) werden im Rahmen einer „theoretischen Exploration" die Kriterien für einen erfolgreichen geplanten organisatorischen Wandel von Rundfunkanstalten herausgearbeitet. Den theoretischen Bezugsrahmen seiner Arbeit leitet Fix aus den Arbeiten von Mintzberg ab. Dieser hatte sieben grundsätzliche Strukturtypen von Organisationen herausgestellt, die je nach der Situation, in der sich ein Unternehmen befindet, als Grundmuster der Organisationsgestaltung dienen (situativer Ansatz der Organisationstheorie, vgl. auch Bea/Haas, 1995, 391 ff ): (1) Einfache Struktur (Simple Structure): Dominanter Baustein ist die strategische Spitze des Unternehmens, die eine straffe und flexible zentrale Koordination praktiziert, verbunden mit einer direkten vertikalen Überwachung. Diese Struktur eignet sich für kleine, meist funktional gegliederte Unternehmen mit einer begrenzten Zahl von Mitarbeitern (z.B. kleinere Handwerksbetriebe). (2) Industrielle Bürokratie (Machine Bureaucracy): Hier dominiert nicht die strategische Spitze, sondern die sog. „Technostruktur", die über die Standardisierung der Arbeit die Abläufe koordiniert. Diese Struktur steht bei Unternehmen im Vordergrund, die einfacher zu handhabende Produktions- und Dienstleistungsaufgaben der Massenproduktion zu bewältigen haben. Beispiele sind Post und Bahn oder Fast-FoodKetten. (3) Expertokratie (Professional Bureaucracy): Zentraler Baustein dieses Organisationstyps ist der sog. „operative Kern", bestehend aus den Fachexperten, die für die Erfüllung der Kernaufgabe des Unternehmens verantwortlich zeichnen. Der dominante Koordinationsmechanismus ist die Standardisierung ihrer Fertigkeiten, also des Wissens dieser Experten. Der strategischen Spitze kommt eine eher moderierende Funktion zu, die Technostruktur steht weit im Hintergrund, allerdings sind in großem Umfang „Hilfsstäbe" zur Unterstützung der Experten erforderlich. Beispiele für diesen Typ sind Universitäten, Krankenhäuser, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

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(4) Divisionalisierung (Divisionalized Form): Eine herausragende Bedeutung in dieser Organisationsform hat die sog. „Mittlere Linie", über die das Gesamtunternehmen in kleinere Einheiten mit mehr Marktnähe zerlegt bzw. divisionalisiert wird. Beispiele sind Großunternehmen mit Spartenorganisation nach Produkten oder Regionen, wie z.B. die Robert Bosch GmbH. (5) Adhocratie (Adhocracy): Dieser Organisationstyp eignet sich für Branchen, in denen in besonderer Weise Flexibilität und Innovationsfähigkeit gefordert sind. Beispiele sind Luft- und Raumfahrtunternehmen, Filmgesellschaften, Beratungsgesellschaften oder Werbeagenturen. Hier dominieren die Hilfsstäbe und der operative Kern, die in wecselseitiger Abstimmung in der Lage sind, die hoch dynamische Umwelt zu meistern. (6) Missionarische Organisation (Missionary Organization): Diese Unternehmensform ist gekennzeichnet durch die Dominanz ihrer Ideologie im Sinne tief verwurzelter traditioneller Werte und Normen. Die Ideologie ist so stark, daß alle übrigen Elemente der Struktur ihre Ausrichtung an ihr erfahren. Basis der Koordination ist, die richtigen Organisationsmitglieder auszuwählen, zu sozialisieren und zu indoktrinieren. (7) Politische Organisation (Political Organization): In dieser Struktur dominiert der Machtaspekt. Interessenpolitik bis hin zu Intrigen bestimmen die Koordination. In den Untersuchungen der Bea-Forschungsgruppe hat sich gezeigt, daß der öffentlichrechtliche Rundfunk am ehesten dem dritten Strukturtyp, also der Expertokratie bzw. Professional Bureaucracy, zugeordnet werden kann. Allerdings gilt es, zwischen Programmbetrieb und Produktionsbetrieb zu unterscheiden und auch Aspekte der Adhocratie (Strukturtyp 5) einfließen zu lassen (vgl. speziell hierzu Fix, 1988, 148): Expertokratie (Typ 3) herrscht im Programmbetrieb vor sowie in der Produktion bei der älteren „Schiene" der Filmproduktion, die sich stark an journalistischen und perfektionistischen Herstellungskriterien orientiert. Demgegenüber steht der technisch jüngere elektronische Produktionsbetrieb mit seiner innovativen Ausrichtung eher unter dem Leitstern der Adhocratie (Typ 5). Die Erkenntnisse, die im Forschungsprojekt zum Thema der Organisation vermittelt wurden, stellen eine wichtige Hilfe für das Bemühen dar, die öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten zu Organisationen weiterzuentwickeln, in denen der Begriff Flexibilität kein Fremdwort ist. In den Studien wurde deutlich, daß ein strategisches Denkmodell für eine Rundfünkanstalt an den organisatorischen Grundbedingungen ansetzen muß, um erfolgreich zu sein. Bei den Rundfünkanstalten sind derzeit nachhaltige Bemühungen erkennbar, zu besseren und flexibleren Organisationsformen zu kommen (vgl. z.B den Bericht von Ehlers, 1997). Herauszustellen sind die folgenden Ansätze: (1) Abflachung von Hierarchien, um aufwendige Dienstwege und bürokratisches Denken und Handeln abzubauen.

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(2) Integration der Planungen, besonders von Programm- und Produktionsplanung. (3) Dezentrale Budgetverantwortung in Verbindung mit einer stärkeren Betonung der Projektstruktur. (4) Vereinfachung der Entscheidungsprozesse durch organisatorische Verbesserungen. (5) Veränderung von kleinteiligen, starren Aufteilungen in Fachredaktionen. (6) Förderung eines Denkens in internen Märkten, auf denen die produzierenden oder serviceleistenden Bereiche ihre Leistungen den Programmbereichen anbieten. Schaffung von Strukturen, die dieses Denken fördern. (7) Abbau der vertikalen Kommunikation und damit Abbau der Überlastung der Führungsstellen mit Koordinations- und Kontrollaufgaben. Schaffung von dezentralen Strukturen mit einem hohen Maß an Selbststeuerung. Freilich ist festzustellen, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erst am Anfang eines vermutlich längeren Weges stehen, auf dem sie den organisatorischen Wandel mit großem Nachdruck voranbringen.

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Controlling als Koordination des Führungssystems öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten

Wie ist es möglich, die Gesamtsteuerung des Rundfunkunternehmens zu verbessern? Wichtig ist es, einzelne Managementbausteine wie das Organisationssystem oder etwa auch die Funktionen der Produktion oder des Marketing von Rundfunkleistungen im einzelnen unter die Lupe zu nehmen und nach Verbesserungen Ausschau zu halten. Ebenso wichtig ist aber auch die zielorientierte Koordination des gesamten Managementsystems. Das jetzt schon als klassisch zu bezeichnende Instrument, das diese Gesamtkoordination des Führungssystems im Hinblick auf die Unternehmensziele leisten soll und kann, ist das Controlling (vgl. Gläser, 1996, 10 ff. mit weiteren Nachweisen). Controlling soll sein (ebd., 13): (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Registrator interner und externer Strukturen und Entwicklungen. Interner „Service Provider". Navigator. Interne Unternehmensberatung. Innovator. Instrument der internen Koordination.

Controlling kann an einzelnen Aspekten ansetzen und in diesem engeren Rahmen die Koordinationsaufgabe zu erfüllen suchen (z.B. Marketing-Controlling, Finanz-

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Controlling); es soll vor allem aber auch im o.g. Sinne die Gesamtkoordination anstreben. Hierfür können die folgenden Instrumente einen wichtigen Beitrag leisten (vgl. z.B. Küpper, 1995): (1) Systeme der Budgetvorgabe: Das Controlling basiert bei diesem Ansatz vorrangig auf dem Planungssystem. Angestrebt wird eine dezentrale Budgetierung. (2) Kennzahlensysteme: Das Controlling ist im Informationssystem verankert und hat eine an den Bedürfnissen des Management orientierte, exzellente Informationsversorgung zum Ziel. (3) Zielsysteme: Das Controlling baut auf den Grundsätzen eines wirkungsvollen Personalführungssystems auf und folgt beispielsweise dem Konzept des „Managements by Objectives". (4) Verrechnungs- und Lenkungspreissysteme: Im Vordergrund steht der Gedanke des internen Marktes, den es zu steuern gilt. Im Rahmen der Forschungsarbeiten ist unter Beas Leitung auch ein beachtlicher Beitrag zu einem verbesserten Controlling bei den öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten geleistet worden. In einer wichtigen Veröffentlichung ist z.B. schon früh auf die Notwendigkeit von Indikatorenkonzepten zur Messung der Sachzielerfüllung überzeugend hingewiesen worden (vgl. Bea/Kötzle/Barth, 1985). Diese Arbeit kann als ein Baustein zur Entwicklung einer besseren, d.h. zielorientierteren Steuerung der Rundfünkanstalten verstanden werden. Schon damals wurde betont, wie wichtig es ist, mit klar definierten Kennzahlen an die Steuerungsaufgabe heranzugehen. Als wichtige Kennzahlen wurden herausgestellt: (1) Sendeminutenkosten: Als am Input orientierter Leistungsindikator verwendbar, wenn Input und Output in einem streng technologischen Zusammenhang stehen. (2) Potentielles Empfangsvolumen: Entspricht dem theoretisch möglichen Nutzungspotential, das sich aus dem Produkt von produzierten Sendeminuten und der Anzahl der Personen, die Zugang zu einem Fernseh- oder Radiogerät haben, errechnet. Diese Kennzahl kann nur als ergänzender Indikator herangezogen werden. (3) Kontaktvolumen: Entspricht dem tatsächlich in Anspruch genommenen Nutzungspotential und ist insofern ein echter Outputindikator. Die Validität dieser Größe kann erhöht werden, wenn man sie zielgruppenspezifisch relativiert. (4) Nutzenvolumen: Dieser Indikator berücksichtigt zusätzlich die Kundenzufriedenzeit abbildende qualitative Faktoren, wie sie aus Wirkungsanalysen mehr oder weniger präzise abgeleitet werden können.

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Erstrebenswert sei es, die Steuerung besonders nach der Relation Nutzenvolumen zu Gesamtkosten sowie Nutzenvolumen zu Kontaktvolumen vorzunehmen. Hierzu werden interessante Detailvorschläge entwickelt, deren Anwendung bzw. Umsetzung in den Funkhäusern jedoch noch auf sich warten läßt. An dieser Stelle sei angemerkt, daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den letzten Jahren einige beachtliche Anstrengungen genau in der vom Bea-Team vorgezeichneten Richtung unternommen haben. Seit kurzer Zeit gibt es beispielsweise innerhalb der ARD eine Empfehlung, den Erfolg von Sendungen nach einem nachvollziehbaren System von „Programmwert-Kennziffern" zu messen (vgl. Gläser, 1996, 53 f.). In diesem Zusammenhang ist z. B. geplant, für das Fernsehen ein System zu entwickeln, das den Programmauftrag, die quantitative Leistung und die Kosten von Sendungen in einem überschaubaren Gesamtsystem abbildet. Diskutiert wird ein System mit den folgenden vier Indikatoren: (1) (2) (3) (4)

Quantitativer Zuschauererfolg. Qualitativer Erfolg der Sendung. Verwertungspotential der Sendung. Kosten der Sendung.

Der Grundgedanke dieses Konzeptes ist es, durch „objektiv" nachvollziehbare Kriterien einen Schritt in Richtung einer konsequent zielorientierten Steuerung des gesamten Fernsehunternehmens zu gehen.

Dank und Anerkennung für Prof. Franz Xaver Bea Die Arbeiten und das Engagement von Prof. Bea haben einen maßgeblichen Impuls für die Entwicklung des Verständnisses der Medienökonomie, speziell der Rundfunkökonomie, gesetzt. Bea hat es mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verstanden, entscheidende Fragen aufzugreifen, die den Verantwortlichen auf lange Sicht eine große Hilfe zur Lösung ihrer Probleme bieten können. Desweiteren hat er Wege aufgezeigt, wie die virulenten Fragen nach einer klaren betriebswirtschaftlichen Methodik zu bearbeiten sind. Schließlich hat er Anstöße geboten und Methoden entwickelt, um konstruktive Verbesserungen aufzuzeigen. Die wenigen vorstehenden Hinweise sind ein komprimierter und bei weitem nicht vollständiger Versuch einer Würdigung. Sie sind gleichwohl ausreichend, um ein Zeugnis von dem beeindruckenden Impuls abzulegen, den der zu ehrende Hochschullehrer gegeben hat. Viele Fachexperten in den Rundfunkanstalten, eine Vielzahl interessierter Beteiligter innerhalb und außerhalb des Rundfunks, die rundfunkpolitischen Entscheidungsträger sowie die Fachvertreter aus der Wissenschaft, um nur einige beteiligte Kreise zu nennen, haben von dem rundfunkspezifischen Werk von Prof. Dr. Franz Xaver Bea profitiert. Herrn Professor Bea gebührt hierfür Dank, seinem Werk höchste Anerkennung!

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Es wäre zu wünschen, wenn sein Werk dazu beitragen könnte, bestehende Spannungen zwischen den kulturellen Leistungsträgern auf der einen Seite, die politischen und gesellschaftlichen Auflagen unterliegen, und den Ökonomen auf der anderen Seite abzubauen und beiden zu einem gegenseitigen Verständnis zu verhelfen. Das Thema ist zu wichtig, als daß es auf einem Nebengleis geparkt werden dürfte; Professor Bea hat dazu beigetragen, daß es auf den richtigen Weg kommt.

Literatur Barth-Renz, Maria: Planungs- und Kontrollsysteme öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Frankfurt am Main 1992. Bea, Franz Xaver: Die Preisbildung bei Rundfunkanstalten. In: Zeitschrift für Organisation, 65. Jg. (1996), S. 356 - 359. Bea, Franz Xaver; Dichtl, Erwin; Schweitzer, Marceil: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. 3 Bände. 6. Aufl., Stuttgart, Jena 1993. Bea, Franz Xaver; Fix, Oliver; Kötzle, Alfred: Organisation des Rundfunks. In: Die Betriebswirtschaft, 49. Jg. (1989), S. 563 - 576. Bea, Franz Xaver; Haas, Jürgen: Strategisches Management. Stuttgart, Jena 1995 Bea, Franz Xaver; Kötzle, Alfred: Ursachen von Unternehmenskrisen und Maßnahmen zur Krisenvermeidung. In: Der Betrieb, 36. Jg. (1983), S. 565 - 571. Bea, Franz Xaver; Kötzle, Alfred, Barth, Maria: Ansätze für eine zielorientierte Unternehmensfiihrung in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. 8 (1985), S. 137 - 153. Bleicher, Kurt: Normatives Management. Politik, Verfassung und Philosophie des Unternehmens. Frankfurt, New York 1994. Brandt, Wolfgang: Strategien für Rundfunkanstalten. Frankfurt a. M. u.a. 1989. Brandt, Wolfgang; Fix, Oliver: Rundfunk im Strukturbruch. Neue Anforderungen an das Management öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. In: Media Perspektiven, o.Jg. (1985), S. 342 - 350. Ehlers, Renate: Organisationsprobleme in Rundfunkanstalten. In: Fünfgeld, Hermann; Mast, Claudia (Hrsg.): Massenkommunikation. Ergebnisse und Perspektiven (Gerhard Maletzke zum 75. Geburtstag). Opladen 1997, S. 281 - 294. Fix, Oliver: Organisation des Rundfunks. Wiesbaden 1988. Franke, Reimund; Kötzle, Alfred (Hrsg.): Controlling der Unternehmensbereiche. Zielorientierte Steuerung betrieblicher Funktionen. Frankfurt a. M. 1995

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Fünfgeld, Hermann: Zur Personalwirtschaft von öffentlich-rechtlichen Rundfiinkanstalten. In: Rundfunkökonomie, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Beiheft 5, Baden-Baden 1983, S. 62 - 79. Fünfgeld, Hermann: Strategische Planung in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. In: Lüder, Klaus (Hrsg.): Rundfunk im Umbruch: Stand und Entwicklung der finanziellen und wirtschaftlichen Situation der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Berlin 1985, S. 77 - 92. Fünfgeld, Hermann: Grenzen des Marketing als Managementaufgabe einer öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalt. In: Eichhorn, Peter; Raffée, Hans (Hrsg.): Management und Marketing von Rundfunkanstalten. Baden-Baden 1990, S. 55 -64. Fünfgeld, Hermann: Chancen und Risiken des interaktiven Fernsehens aus der Sicht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. In: Interaktives Fernsehen. 2. Veranstaltung zum Thema „Rundfunk-Marketing" an der Universität Mannheim am 26. April 1994, Dokumentation, S. 39 - 50. Fünfgeld, Hermann; Diemel, Egon; Gläser, Martin: Finanzplanung im Rundfunk - Geplante Defizite? Stuttgart 1981. Fünfgeld, Hermann; Gläser, Martin: Anmerkungen zur Finanzierung und zu den Leistungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. 7 (1984), S. 1 - 19. Gläser, Martin: Nachfrageorientierte Programmressourcen-Steuerung bei RundfunkUnternehmen. In: Fleck, Florian H. (Hrsg.): Planung, Aufsicht und Kontrolle von Rundfunk-Unternehmen. Stuttgart u.a. 1987, S. 23 - 48. Gläser, Martin : Controlling im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - ein Wolf im Schafspelz? In: Weber, Jürgen; Tylkowski, Otto (Hrsg.): Konzepte und Instrumente von Controlling-Systemen in öffentlichen Institutionen. Stuttgart 1990, S. 317 - 342. Gläser, Martin: Operatives Controlling im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In: Ebert, Günter (Hrsg.): Controlling, Managementfunktion und Führungskonzeption. Losebl.-Ausg., Landsberg/Lech 1990, 21. Nachlieferung 3/1996, S. 1 - 56. Gläser, Martin: Strategisches Controlling im Rundfunk, erscheint demnächst. Horváth, Péter: Controlling. 4. Aufl., München 1994. Kayser, Horst J.: Controlling für Rundfunkanstalten. Baden-Baden 1993. Kemmer, Paul: Zielkonzeption und Rechnungswesen von Rundfunkanstalten. BadenBaden 1986. Küpper, Hans-Ulrich: Controlling. Stuttgart 1995. Lehmann, Hans-Joachim: Controlling in Rundfunkanstalten mit Hilfe neuer Möglichkeiten der Datenverarbeitung. In: Fleck, Florian H. (Hrsg.): Planung, Aufsicht und Kontrolle von Rundfunk-Unternehmen. Stuttgart u.a. 1987, S. 93 - 109.

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Maier, Oskar: Planungsverfahren von heute für eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt - Ausblick auf Planungskriterien von morgen. In: Fleck, Florian H. (Hrsg.): Planung, Aufsicht und Kontrolle von Rundfunk-Unternehmen. Stuttgart u.a. 1987, S. 79 - 92. Schneck, Ottmar: Eigenkapitalausstattung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Bd. 13 (1990), S. 285 - 302. Schneck, Ottmar: Finanzmanagement von Rundfunkanstalten. Frankfurt a. M. 1993 Schuster, Jürgen: Rundfunkmarketing: Entwicklung einer strategischen Marketingkonzeption für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Konstanz 1995. Sieben, Günter; Ossadnik, Wolfgang; Wächter, Annette: Planung für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Baden-Baden 1988.

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen von Ottmar Schneck

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Notwendigkeit strategischer Planung in kirchlichen Organisationen

1.1 Orientierungskrise der Kirche Die katholische und evangelische Kirche Deutschlands sind jeweils komplexe Organisationen, deren Vielfalt sich in kirchlichen Schulen, Hochschulen, Akademien, Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern, Behindertenheimen, Beratungsstellen, eigenen Banken, Versicherungsgesellschaften, Buchverlagen, landwirtschaftlichen Betrieben, Reiseunternehmen bis hin zu Organisationen in der Entwicklungshilfe widerspiegelt. In 1995 waren in 13 329 katholischen und 18 216 evangelischen Pfarreien 28 bzw. 28,7 Mio. Mitglieder registriert. Im gleichen Jahr verzeichneten die beiden Kirchen 464.551 Taufen, 472 665 Trauungen und 667 443 Bestattungen. Diese bisher in Mitteleuropa kulturprägenden christlichen Kirchen sehen sich derzeit einer Konkurrenz vielfältiger anderer sinn- und wertstiftender Weltdeutungsangebote gegenüber. Der Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden, Pfingstgemeinden und die mennonitischen Gemeinden sind mitgliedsstarke christliche Denominationen. Neuapostolische Kirche, Zeugen Jehovas, Mormonen, Mun u.v.a. sind als mitgliederstarke Sekten ebenfalls in Deutschland tätig. Die multireligiöse Gesellschaft ist damit längst Realität. Gleichzeitig gefährden fundamentalistische Strömungen anderer Weltreligionen die Existenz der eigenen territorialen Ausbreitung. Die Mitglieder der christlichen Kirchen befinden sich angesichts der oft unklaren Position und Zukunft ihrer Institutionen in einer Orientierungskrise. Die Zahl der in der Institution Kirche zufriedenen Mitglieder sank nach einer Studie aus dem Jahr 1995 in den letzten Jahren auf unter 10 %. (vgl. Braun, 1995). Die Orientierungskrise drückt sich auch in vielfältigen Interpretationen von Kirche aus. Die Sichtweisen reichen von einer Gralshüterin wahrer Glaubenslehren bis hin zur Interpretation der Kirche als Servicecenter für soziale Wohltaten. Um die eigene Identität zu definieren und für seine Mitglieder Orientierung zu leisten, ist das Unternehmen Kirche aufgefordert, seine künftige Position zu definieren und zu planen. Planung ist ein systematischer Prozeß zur Erkennung und Lösung zukünftiger Probleme. Strategische Planung gibt darüber hinaus Auskunft, wie diese künftigen Probleme

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(Risiken) bewältigt werden können und ob es gegebenenfalls in der Zukunft neben den Risiken auch Chancen gibt, die eine Unternehmensentwicklung fördern. Darüber hinaus bezieht die strategische Planung bewußt die Unternehmensumwelt in die Problemanalyse ein (vgl. Bea/Haas, 1995, 10). In kirchlichen Organisationen finden sich zwar Ansätze der Planung im operativen Bereich, insbesondere der Finanz- und Personalplanung, bisher aber keine bzw. kaum Ansätze der strategischen Planung. Kirchliche Organisationen, wie die Caritas oder Diakonie, die konkrete Produkte wie beispielsweise die Pflege in Altersheimen, Heilbehandlungen in Krankenhäusern oder die Betreuung bestimmter Bevölkerungsgruppen anbieten und z.T. in einer Rechtsform des privaten Rechts ausgegliedert sind, scheinen hier in ihrer strategischen Ausrichtung weiter zu sein. Strategische Pläne sind hier ansatzweise zu finden, wenngleich die Bedenken um die Widerstände im Rahmen der Implementation strategischer Pläne auf Gesamtkirchenebene überwiegen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Strategiebildung erscheint dadurch vielen als unsinnig. Dort, wo weniger Bedenkenträger operieren, sind Öffnungen gegenüber neuartigen Sichtweisen feststellbar. So hat z.B. die Unternehmensberatung McKinsey 1995 in Form einer Spende an die evangelische Kirche eine Studie über eine evangelische Innenstadtgemeinde Münchens erstellt (o.V., 1996). Produktspektrum, Akzeptanz der Angebote, Mitgliedererwartungen und Mitarbeiterzufriedenheit wurden im Rahmen von Umfragen untersucht. Obgleich McKinsey angesichts der alarmierenden Resultate eindringlich davor warnt, sich in der Kirche noch länger Zeit für Reformen zu lassen, wurde letztlich weder ein weitergehender Beratungsauftrag erteilt, noch kirchenintern eine Diskussion über die Ergebnisse der Studie in Gang gesetzt. Die Notwendigkeit strategischer Planung in kirchlichen Organisationen wird von vielen Verantwortlichen der christlichen Kirchen noch nicht erkannt.

1.2 Hauptgründe für einen strategischen Ansatz Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Beratungsprojekt auf Diözesanebene der katholischen Kirche, bei dem versucht wurde, die Notwendigkeit und die Instrumente der strategischen Planung für kirchliche Organisationen darzustellen. Es wurde erkannt, daß Strategien unabdingbar sind, wenn das Unternehmen Kirche im Jahr 2010 nicht als „profillose Werte-GmbH" untergehen will. Zwei Hauptgründe für die Notwendigkeit einer strategischen Planung wurden herausgestellt: Strategien als Voraussetzung für motivierte Mitarbeiter und Strategien als Voraussetzung eines effizienten Mitteleinsatzes.

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

211

Informationen über künftige Handlungen sind Voraussetzung dafür, daß Mitarbeiter motiviert Leistungen erbringen. Mitarbeiter brauchen langfristige Orientierung, um ihr zutiefst menschliches Streben nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit der persönlichen Entwicklung befriedigen zu können. Nur wenn Mitarbeiter über Ziele eines Unternehmens informiert werden, kann von ihnen Innovationskraft und mitdenkendes Handeln erwartet werden. Gerade an dieser Orientierung fehlt es nach Umfragen vielen Mitarbeitern in kirchlichen Organisationen. Abgesehen von den in der Exegese ausgelegten theologischen Vorgaben eines christlichen Menschenbildes und Miteinander existieren für die vielen kirchlichen Laienmitarbeiter keine klaren strategischen Unternehmensziele. Wer „die Nachfolge Christi" als Strategie definiert, verkennt in einer aufgeklärten, entmystifizierten Zeit den Wunsch von Mitarbeitern einer Institution nach operationalen, verständlichen und klaren Zielvorgaben. Mitarbeiter lassen sich nicht ausschließlich mit Glaubenssätzen führen, sie verlangen nachprüfbare und motivierende Zielsetzungen. Daß diese Zielbildung schwierig ist, mag daran liegen, daß Begriffe wie Produkt, Marktanteil oder Marktwachstum im kirchlichen Bereich immer noch ungewöhnlich sind, obgleich das Unternehmen Kirche sehr wohl neben der Glaubensvermittlung eine Vielfalt an Produkten (z.B. Bildung, Pflege) erstellt und in zahlreichen Bereichen in Konkurrenz zu anderen Anbietern steht. Ohne Strategien ist auch der Einsatz von Mitarbeitern und Sachmitteln in einer Organisation zufällig. Effizienter Mitteleinsatz setzt Ziele voraus. Ohne Ziele ist eine spätere Kontrolle der Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns nicht möglich. Planung erst rechtfertigt Kontrolle und Controlling, deren Analyseergebnisse wiederum künftiges Handeln verbessern. Wenn der Bereich Kontrolle und Controlling in kirchlichen Organisationen bisher stattfand, so war dies mangels klarer Zielvorgaben reduziert auf eine die Sparsamkeit und Ordnungsmäßgikeit von Abläufen untersuchende interne Revision. Da aber selbst die betriebswirtschaftlich operierenden Aktionseinheiten häufig von Mitarbeitern mit theologischer oder sozialwissenschaftlicher Vorbildung besetzt sind, ist auch diese Form der Kontrolle bisher wenig effektiv. Neben den beiden genannten Argumenten für die Notwendigkeit einer strategischen Planung (Orientierungshilfe für Mitarbeiter, Effizienz des Mitteleinsatzes) lassen sich weitere Gründe bzw. Funktionen anführen, die aus der Theorie der strategischen Planung ableitbar sind. Die Stichworte Koordinationsfunktion, Informations- und Kommunikationsfünktion, Legitimationsfünktion sollen hier genügen (vgl. Bea/Haas, 1995, 67 f.) Auch wenn die Notwendigkeit einer strategischen Planung für kirchliche Organisationen vielfach begründbar ist, von Mitarbeitern gefordert und einigen Verantwortlichen der Kirche auch akzeptiert wird, so sind doch zahlreiche Widerstände gegen einen strategischen Ansatz zu beobachten.

212

2

Ottmar Schneck

Widerstände gegen Veränderungsprozesse in der Kirche

2.1 Zweifel an der Kirche als Unternehmen Die Hauptwiderstände gegen die Entwicklung einer strategischen Planung resultieren aus Bedenken gegenüber dem betriebswirtschaftlichen Ansatz an sich. Sie lassen sich als sachliche Widerstände im Gegensatz zu emotionalen Widerständen (vgl. Abschnitt 2.2.) bezeichnen, da mit sachlogischen Argumenten versucht wird, Kirche nicht als Unternehmen, sondern als Ort spirituellen Lebens zu definieren. Der Ausschluß betriebswirtschaftlichen Denkens wird häufig mit einem Selbstverständnis theologisch vorgebildeter Finanz- und Haushaltsverwalter in kirchlichen Organisationen begründet, das auf dem biblischen Bild eines „Haushalter Gottes" (1. Korinther 4,1; 1. Petrus 4,10) fußt. Einer der ersten, der Anfang der siebziger Jahre Kirchen zusammen mit anderen sozialen Institutionen wie z.B. Krankenhäusern oder Schulen untersuchte, war Philip Kotier. Er definierte die kirchliche Dienstleistung als Wert, den es analog zu Industrieprodukten zu vermarkten gelte (Kotler, 1984). Darauf aufbauend wurde die These von der Kirche als Dienstleistungsunternehmen im deutschsprachigen Raum vor allem von Karl Linke und Dietrich Heymann aufgegriffen (Linke, 1970; Heymann, 1971). Betriebe werden in der Betriebswirtschaftslehre als Einheiten definiert, die mit produzierten Gütern Bedürfnisse befriedigen, in einer Marktwirtschaft Entscheidungen dezentral und selbständig treffen und die damit verbundenen Risiken selbst tragen. All diese Merkmale treffen auch auf kirchliche Organisationen zu. Gemeinden, Diözesen, Landeskirchen, Altersheime, Diakonie oder Caritas sind abgrenzbare formale und organisatorische Einheiten, die versuchen, je nach Region, Bevölkerungsstruktur oder gesellschaftlichem Umfeld unterschiedlichste Bedürfnisse zu decken. Die Suche nach Lebenssinn, Trost, Hilfe oder sinnvoller Freizeitgestaltung werden durch kirchliche Dienste (Produkte) wie Verkündigung, Seelsorge, Beratung oder Pflege befriedigt. Die Leistungen werden freiwillig, d.h. selbständig erbracht und die eventuell eintretenden Risiken von den Mitgliedern der Körperschaften bzw. den Anteilseignern bei privaten Rechtsformen kirchlicher Organisationen getragen. Wem diese Zuordnung der Kirche als Unternehmen zu formal ist, sollte sich die Anzahl der Mitarbeiter in kirchlichen Organisationen vergegenwärtigen. In 1995 waren mehr als 500 000 Laienmitarbeiter hauptamtlich in der katholischen und evangelischen Kirche beschäftigt. Dies sind Krankenschwestern, Lehrer, Sozialpädagogen, Psychologen, EDVExperten, Verwaltungsangestellte, Erzieher, Künstler, Journalisten, Musiker und einige Ökonomen, den Klerus und die vielen freiwilligen Mitarbeiter nicht gezählt. Die Kirche ist somit auch einer der größten Arbeitgeber in der Bundesrepublik.

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

213

Die Kirche beschäftigt nicht nur eigene Mitarbeiter. Durch die hohen Ausgaben beim Bau und der Instandhaltung von Kirchen, Schulen, Pfarr- oder Gemeindehäusern werden auch viele Bau- und Ausrüstungsunternehmen beschäftigt. Von den 5 Mrd. DM Haushalt der Diözese Augsburg im Jahr 1995 waren 30 % derartige Bauausgaben. Die Kirche ist damit nicht nur Arbeitgeber, sondern ein bedeutender Teil der deutschen Wirtschaft. Wenn kirchliche Organisationen alle Merkmale von Betrieben erfüllen, gibt es keine rationalen Gründe gegen den Einbezug betriebswirtschaftlicher Instrumente. Dieser Einbezug erfolgt im übrigen derzeit bei vielen sogenannten Non-Profit-Organisationen wie z.B. öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Theatern oder Museen. Auch hier waren und sind Widerstände zu beobachten. Statt religiöser Bedenken werden hier kulturelle und künstlerische Freiheiten angemahnt, die wirtschaftliches Denken ausschließen sollen. Wie man aber bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sieht, kann der Druck durch private Konkurrenz sehr schnell zu einem effizienteren Wirtschaften und einer Reorganisation bisher aufwendiger Strukturen fuhren. Wo der Druck durch konkurrierende Anbieter noch nicht groß genug ist, muß die Notwendigkeit einer strategischen Planung durch eine Überzeugung von Bedenkenträgern erfolgen. Einige Mitarbeitervertretungen kirchlicher Organisationen versuchen dies durch vermehrte Schulung und Angebote betriebswirtschaftlicher Fortbildung für leitende Mitarbeiter. Doch auch in ihren Reihen und bei den Mitarbeitern sind Verunsicherungen gegenüber Veränderungsprozessen zu beobachten, die als Ergebnis strategischer Planung befürchtet werden.

2.2 Emotionale Verunsicherung bei Mitarbeitern Veränderungsprozesse in den Bereichen Strategie und Organisation bewirken stets auch emotionale Verunsicherungen bei den direkt und indirekt betroffenen Mitarbeitern. Diese rühren häufig von negativen Erfahrungen bereits durchlebter Veränderungsprozesse und dem grundsätzlichen, instinkthaften Mißtrauen von Menschen gegenüber Neuem her. Traditionelle Ansätze der strategischen Planung, bei denen Veränderungen stets mit Kostensenkungsprogrammen einhergingen, hinterlassen bei Mitarbeitern den Eindruck, Veränderungen führten stets zu einem Wegfall gewohnter Sachmittel und Kompetenzen oder gar des eigenen Arbeitsplatzes. Die von großen Unternehmensberatungen vielfach eingesetzte Gemeinkostenwertanalyse (GWA) begleitetete in den achtziger Jahren fast jeden strategischen Planungsprozeß und wurde so für Gewerkschaften wie Mitarbeiter zum Inbegriff für radikale Einsparungen. Entstehende Ängste wurden von Beratern und Vorständen z.T. instrumentalisiert, um angestrebte Personal- und Sachkostensenkungen von z.T. 30 - 40 % dadurch zu erreichen, daß Mitarbeiter sich gegenseitig kritisch in Frage stellten. Ängste wurden als psychologisches Problem einzelner und nicht als gruppendynamischer Prozeß verstanden, der zu erheblichen Transaktionskosten führen kann. Das Ergebnis waren häufig kurzfristige Kostensenkungen, denen keine langfristige Erfolgssteigerung gegenüberstand. Emotionale Widerstände, die im Gegensatz zu den vorhin

214

Ottmar Schneck

genannten sachlich begründeten Widerständen meist nicht artikuliert werden, stellen so eine Gefahr für den Erfolg des Veränderungsprozesses dar. Kognitiv dissonante Mitarbeiter, die zum Schein motiviert arbeiten, gegenüber Kunden dann aggressiv, unfreundlich oder apathisch auftreten, gefährden massiv den Erfolg einer strategischen Neuorientierung. Um emotionale Widerstände zu verhindern, sind möglichst viele Mitarbeiter rechtzeitig in den strategischen Planungsprozeß einzubeziehen. Die grundlegende Bereitschaft zu Veränderungen ist zu erhalten und zu schulen. Veränderungen sind als Chancen und nicht als Risiko darzustellen. Erst wenn der Mitarbeiter die Notwendigkeit von Veränderungen internalisiert, wird er auch aktiv daran teilnehmen und diese fördern.

3

Einsatz von Management-Techniken im Strategiebildungsprozeß

3.1 StärkeiWSchwächenprofil und Umweltanalyse Bei der Entwicklung einer Strategie lassen sich verschiedene Managementtechniken einsetzen. Zunächst kann zur Bestimmung der eigenen Ausgangssituation eine Stärken-/ Schwächenanalyse durchgeführt werden. Dabei können in Kreativitätssitzungen (z.B. Brainstorming, Synektik, Morphologie) die Werte der Kirchenleitung bewußt gemacht sowie Mitarbeiterfähigkeiten und -potentiale in den einzelnen Bereichen des Unternehmens verdeutlicht werden. Eine Gegenüberstellung der eigenen Potentiale zu potentiellen Konkurrenten (z.B. Sekten, anderen Religionen) führt dann zur Ableitung des Ausmaßes der eigenen Stärken und Schwächen. Ein Beispiel eines Stärken-/ Schwächenprofils ist in Abbildung 1 dargestellt. Nach einer Unternehmensanalyse zur Identifikation eigener Stärken und Schwächen kann im Rahmen einer Umweltanalyse das kirchliche Umfeld mittels einer Konkurrenz- oder Marktanalyse untersucht werden. Dabei müssen sowohl die ökonomischen, technologischen, sozio-kulturellen als auch die rechtlich-politischen Umfelder beleuchtet und deren Auswirkungen auf die eigene kirchliche Organisation untersucht werden. Konkurrenten werden in der Kirche bisher nur im weltanschaulichen Sinne, z.B. bei Sekten, systematisch analysiert. Eine Analyse aller konkurrierenden Institutionen und Unternehmen, die im Bereich der Seelsorge, Pflege, Heilung oder Betreuung und Schulung tätig sind, ist hingegen mehr als die Unterhaltung eines Sektenbeauftragten. Ein systematisches Benchmarking anderer Weltreligionen und Glaubensgemeinschaften untersucht deren Stärken und Schwächen, erforscht deren Entwicklungslinien und -potentiale und stellt die Gefahren durch deren Angebote für die eigenen Dienste dar.

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

Potentiale

215

Beurteilung schwach

stark

indifferent

Kirchenleitung - Unternehmenskultur und -philosophie - Ziele und erkennbare Strategien - System der Mitarbeitermotivation

i



x X

i

• X



X



Marketing -

Organisation einer Corporate Identity Standort Know-how Einführung neuer Kommunikationstechnologien

X

• •

X

:

X

• •

X



X

Mitarbeiter/Personal - Altersstruktur der Belegschaft - Ausbildungsstand - Qualifikation/ Motivation der Führungskräfte

x i

• X

i

• X •



X

Finanzen - Eigenkapitalausstattung - Finanzieller Überschuß - Möglichkeiten der Fremdfinanzierung

X •

• X



X i



X

X eigene Gemeinde • wichtige Konkurrenzeinrichtung Abb. 1: Beispiel für ein StärkerWSchwächenprofil S y s t e m a t i s c h e A n a l y s e n d e r B e d ü r f n i s s e d e r M i t g l i e d e r (clienting) i m S i n n e v o n K u n d e n k ö n n e n z u r O p t i m i e r u n g d e r P r o d u k t q u a l i t ä t u n d d e r K u n d e n n ä h e , s o f e r n d i e s ein strat e g i s c h e s Ziel sein soll, b e i t r a g e n . A l s b i s h e r einzigartig ist hier e i n e u m f a n g r e i c h e S t u d i e d e r B i s t ü m e r L i m b u r g , M a i n z u n d S p e y e r z u n e n n e n , die 1993 z u s a m m e n mit d e r B e r a t u n g s g e s e l l s c h a f t A B C F r a n k f u r t die W ü n s c h e u n d B e d ü r f n i s s e d e r G l ä u b i g e n u n t e r s u c h te. A m 2 6 . 8 . 1 9 9 4 w u r d e g a r f ü r einen T a g ein S e r v i c e t e l e f o n e i n g e r i c h t e t , bei d e m M i t -

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Ottmar Sehneck

arbeiter des Bistums Frage und Antwort standen (Lachmann, 1995). Sowohl die Studie als auch das Servicetelefon waren allerdings Einmalaktionen. Aus den Ergebnissen der Unternehmensanalyse (Stärken/Schwächen) einerseits und der Umfeldanalyse (Chancen/Risiken) andererseits sind Strategien abzuleiten. Eine sehr verbreitete und in der Praxis erfolgreich eingesetzte Managementtechnik zur Visualisierung eigener Stärken und Schwächen sowie externer Chancen und Risiken und zur Ableitung von Strategien hieraus ist die Portfoliotechnik.

3.2 Portfolioanalyse zur Positionsbestimmung Die Idee der Portfoliotechnik stammt aus der Finanzwirtschaft zur Abwägung von Gewinn-/Risiko-Relationen im Wertpapiergeschäft. In einer Matrix werden einerseits die Kapitalrendite und andererseits die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Rendite abgetragen. Danach wird eine optimale Mischung aus alternativen Anlageformen je nach Risikopräferenz des Entscheidungsträgers gesucht. Bei einem strategischen Portfolio soll ebenfalls eine optimale Mischung aus den sogenannten Strategischen Geschäftseinheiten (SGE) erstellt werden. Als SGE wird eine homogene Produkt-/Marktkombination verstanden, für die eine eigenständige Wettbewerbsstrategie definierbar ist. Diese SGE werden dann in einem zweidimensionalen Rahmen einer Matrix positioniert, bei der eine Dimension die Ergebnisse der Umweltanalyse darstellt und die andere Dimension Ergebnisse der Unternehmensanalyse agreggiert. Auf Gesamtkirchenebene können vier SGE definiert werden (vgl. Abbildung 2):

Strategische Geschäftseinheiten S G E 1:

Verkündigung/Seelsorge

(Gottesdienst, Messen, Rundfunk, Bibelkreise, christliche Literatur)

S G E 2:

Diakonie/Caritas/Beratung

(Altenhilfe, Familienberatung, Obdachlosenhilfe, Kindergarten, Krankenpflege)

S G E 3:

Entwicklungshilfe

(Brot für die Welt, Misereor, Adveniat)

S G E 4:

Freizeitgestaltung

(Pilgerreisen, Ausflüge, Vorträge, Kurse, Jugendbegegnung, Kirchenmusik)

Abb. 2: Strategische Geschäftseinheiten auf Gesamtkirchenebene

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

217

Das im folgenden verwendete Portfolioraster basiert auf dem Marktanteils-/ Marktwachstumsportfolio der Boston Consulting Group (BCG), bei dem die Stärken und Schwächen eines Unternehmens durch seinen Marktanteil ausgedrückt werden und die Dynamik der Umwelt im Marktwachstum abgebildet wird. SGE mit hohem Marktanteil und einem schnell wachsenden Markt werden als Stars bezeichnet. Bei hohem Wachstum, aber noch niedrigem Marktanteil handelt es sich um Fragezeichenprodukte (question mark). Arme Hunde (poor dog) sind SGE mit niedrigen Marktanteilen und Wachstumschancen, Cash-Kühe (cash cow) sind SGE mit einem hohen eigenen Marktanteil, aber wenig Chancen, daß dieser Markt sich weiter entwickelt. Werden die für die Gesamtkirche in Abbildung 2 vorgestellten SGE in der klassischen BCG-Matrix positioniert, so ist der in Abbildung 3 dargestellte IST-Zustand zu erkennen.

+

MW

M A - relativer M a r k t a n t e i l

M A

M W = M a r k t w a c h s t u m s rate

Abb. 3: IST-Portfolio nach Positionierung der SGE

Die Einnahmen, die durch die jeweilige Kreisfläche abgebildet werden, sind bei SGE 1, der Seelsorge, sehr gering. Den größten Anteil daran haben Übertragungsrechte und Literatureinnahmen. Der Martkanteil der katholischen und evangelischen Kirchen bei SGE 1 ist noch relativ groß, wobei das Marktwachstum als gering einzustufen ist. Immer mehr Menschen suchen Lebenssinn nicht im Seelenheil, sondern in materiellen Freiheiten. Diakonie und Caritas (SGE 2) leisten einen großen Beitrag zur Mittelherkunft der Kirchen. Der Anteil für Pflege, Beratung und Hilfeleistung wächst demographisch bedingt

218

Ottmar Sehneck

derzeit überproportional, und der Anteil der Kirchen an diesem Marktpotential ist noch relativ groß. Die Aktivitäten im Bereich der Entwicklungshilfe (SGE 3; z.B. Brot für die Welt) fuhren netto zu einem Mittelabfluß. Im Vergleich z.B mit dem Roten Kreuz, staatlicher Entwicklungshilfe oder den vielen privaten Hilfsorganisationen hat die Kirche hier einen geringen Marktanteil. Der Markt für derartige Hilfeleistungen wächst allerdings angesichts der weltweit zunehmenden Krisengebiete stark. Es gibt wohl keine Branche, der aktuell bessere Wachstumschancen prognostiziert werden als dem Freizeitbereich. Der kirchliche Anteil daran (SGE 4) mit Jugendlagern, Kinderfreizeiten oder Bildungsreisen ist dagegen sehr bescheiden. Hier dominieren private Anbieter für Erholung und Freizeit.

3.3 Ableitung von Strategien für Strategische Geschäftseinheiten Um aus der in Abbildung 3 vorgestellten Ausgangslage eine Strategie abzuleiten, sind nun die einzelnen SGE zu beleuchten; es ist zu fragen, ob deren Marktanteil, angesichts der prognostizierten künftigen Marktwachstumschancen auszubauen ist oder nicht. In Abbildung 4 ist eine denkbare künftige Positionierung der SGE und damit eine Strategie dargestellt.

+

MW

+

MA

-

MA ~ relativer Marktanteil M W = Marktwachstumsrate

A b b . 4: SOLL-Portfolio aufgrund veränderter strategischer Stroßrichtungen

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

219

Nach den in Abbildung 4 dokumentierten Überlegungen eines Leitungsteams auf Diözesanebene sollte SGE 3 (Entwicklungshilfe) ganz aufgegeben werden, zumal viele neue private Hilfsorganisationen derzeit entstehen. Vielfältige Marketinganstrengungen wären notwendig, um sich im Kampf um Spendengelder (fiind raising) gegenüber den privaten Nachfragern abzuheben. Zudem tragen Spendenaufrufe nicht zu einem positiven Image der Kirche als Dienstleister bei. Statt dessen ließen sich die freiwerdenden Mittel bei Aufgabe dieses Segments für das Halten der starken Position von SGE 1 (Seelsorge) einsetzen. Gerade hier kann die Einzigartigkeit der Kirche betont und die SGE mit neuen Produkten (reale Beispiele: Singlemesse Berlin, City-Kirche Düsseldorf, Skaterwallfahrt Mindelheim) angereichert werden SGE 1 läßt sich auch außerhalb der Messen und kirchlichen Räume, z.B. als Seelsorge in Betrieben, vorstellen. Die SGE 2 (Diakonie/Caritas) darf angesichts der ausgezeichneten Wachstumschancen nicht anderen Anbietern überlassen werden. Der hohe Umsatzträger Pflege und Heilbehandlungen, Beratung, Kinderbetreuung und Bildung muß gehalten bzw. zu einem Starprodukt für die Kirche ausgebaut werden. Zukunftssicherung durch rechtzeitige Akquisition junger Menschen für kirchliche Aufgaben kann gerade durch diese SGE erfolgen. Der Bereich Freizeit (SGE 4) muß differenziert betrachtet werden. Zielorientierte Freizeitangebote, z.B. für Familien oder Pilgerreisende, oder neue Angebote, wie z.B. Urlaub im Kloster, können weiterhin im heftig umkämpften Freizeitmarkt bestehen. Gegenüber den vielen Anbietern von Bildungs- und Erlebnisreisen kann allerdings SGE 4 nicht ausgebaut werden. Auch hier ließen sich freiwerdende Mittel bei Aufgabe der SGE verstärkt im Kernbereich Seelsorge einsetzen. Sollten SGE 4 und SGE 3 nicht gänzlich aufgegeben werden, so sind eventuell strategische Allianzen mit kompetenten Marktflihrern in den jeweiligen Segmenten vorteilhaft. Eventuell ließen sich bei SGE 4 auch Franchisemodelle realisieren, bei denen selbständige Betriebe eine kirchliche Bildungsidee oder bestimmte Freizeitgestaltungen in eigener Regie gegen Lizenzgebühr an die Kirche durchfuhren. Statt einer Diversifikation durch die Suche nach vielfältigen Möglichkeiten der Glaubensvermittlung und das Angebot unübersehbarer Dienstleistungen würde diese Strategie der „Konzentration auf Kernkompetenzen" zu einer stärkeren Profilierung und Identität der Kirche beitragen und gleichzeitig einen Beitrag für eine schlanke Organisation leisten. Nicht Aktionismus in jedem erdenklichen Feld menschlichen Miteinanders ist gefragt, sondern bewußte Planung künftigen Auftretens und Wirkens (Corporate Identity). Wo nötig ist durch strategische Allianzen, Netzwerke und Kooperationen der betreffenden SGE mit anderen Unternehmen eine Marktausweitung konkurrierender Unternehmen zu verhindern.

220

4

Ottmar Schneck

Zusammenfassung und Ausblick

Die Kirche befindet sich in einem gravierenden Strukturbruch. Menschen schaffen sich aus Bausteinen verschiedener Religionen im Sinne eines Synkretismus eigene Glaubensgebäude. Analog zur Konsumgüterindustrie, in der kaum noch klare Zielgruppenkonturen zu erkennen sind und Unternehmen im Rahmen nischenorientierter klarer strategischer Zielrichtungen zunehmend individuelle Produkt- und Problemlösungen anbieten, muß auch die Kirche sich auf Veränderungen einlassen und gleichzeitig ein klares strategisches Profil erarbeiten. Das Mitschwimmen im Angebot religionsfreundlicher, pluralistisch-unverbindlicher Heilsvermittler wird das Überleben weder der spirituellen Kirche noch des Unternehmens Kirche gewährleisten. Die Fassungslosigkeit und der Ärger von Kirchenverantwortlichen darüber, daß Kunden Produkte prüfen, Konkurrenzprodukte wahrnehmen und selbstbewußt Produktwünsche äußern, fuhren nicht weiter. Wenn ein Einzelhändler feststellt, daß 80 % seiner Kunden nicht mehr regelmäßig kommen, wird er kurzfristig Marketinganstrengungen unternehmen und langfristig seine Unternehmensstrategie überdenken. Dies muß auch für kirchliche Organisationen gelten. Management-Techniken sind einzusetzen und erprobte betriebswirtschaftliche Instrumente zu implementieren. In einer Unternehmensanalyse sind die eigenen Stärken und Schwächen kirchlicher Organisationen bewußt und offen zu beleuchten. In einer Umweltanalyse müssen Kundenbedürfnisse, Konkurrenten und die Gefahr durch Ersatzprodukte präzise untersucht werden. Erst mit Kenntnis dieser Daten kann ein eigenes strategisches Profil mit einer unverwechselbaren Position (unique selling proposition) erarbeitet und von den Mitarbeitern nach außen als Corporate Identity gelebt werden. Im operativen Bereich sind kreative Ideen zur Erschließung neuer Finanzquellen und der Imagewerbung, bewußte Gebäudebewirtschaftung (facility management) und eine Verschlankung der Organisation (lean management) anzudenken. Wer derart betriebswirtschaftlich handelt, versündigt sich nicht gegen Gottes Auftrag (vgl. 2.1.), sondern vermehrt die Optionen der Institution Kirche, an Profil und Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Letztlich ist noch auf einen aus Sicht mancher Kirchenverantwortlicher profanen Grund für den Einsatz des strategischen Instrumentariums hinzuweisen. Das Kirchensteueraufkommen und damit ein wesentlicher Finanzierungsteil der beiden großen Konfessionen betrug 1995 jeweils ca. 8 Mrd. DM. Sollte die Kirchensteuer 1999 mit der geplanten Steuerreform wegfallen und die Zahl der Mitglieder, wie in der eingangs erwähnten McKinsey-Studie ausgeführt, bis zum Jahr 2010 um weitere 20 % sinken, so wird es der Kirche nicht erspart bleiben, eine Überlebensstrategie zu entwickeln. Anstatt eines evolutionären, kontinuierlichen Veränderungsprozesses bliebe dann eventuell nur noch eine revolutionäre Neugestaltung. Ein dann sicher schmerzhafter und existenzgefährdender Veränderungsprozeß.

Strategische Planung in kirchlichen Organisationen

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Literatur Bea, F. X.: Planungstechniken. Unveröff. Manuskript, Tübingen o. J. Bea, F. X.; Haas, J.: Strategisches Management. Stuttgart 1995. Braun, P.: Ansatzpunkte des Marketing und Management in der Kirche. Stadtbergen 1995. Gärtner, H : Zwischen Management und Nächstenliebe, Zur Identität des kirchlichen Krankenhauses. Main 1994. Heymann, D : Kirche als Dienstleistungsbetrieb, o. O. 1971. Kloss, M.; Hinkel, N.: Betroffene beteiligen. Bd. 1: Organisationsentwicklung im Krankenhaus. Bd. 2: Organisationsentwicklung im Altenheim. Bd. 3: Organisationsentwicklung im Heilpädagogischen Zentrum. Waldbreitbach 1995. Klumpp, M.; Tuffentsammer, W.: Kirchenaustritte - Motive, Ursachen, Zusammenhänge. Stuttgart 1991. Kotler, P.: Social marketing. Stuttgart 1984. Lachmann, G.: Eine Kommunikationsanalyse auf Gemeindeebene. Frankfurt 1995. Linke, K.: Die Kirche - ein Dienstleistungsbetrieb, o. O. 1970. o. V.: McKinsey zur Lage der (evangelischen) Kirche in Deutschland. In: Unternehmen Kirche aktuell. Nr. 7, Stadtbergen 1996, S. 2 - 6. Pereis, H.-U. : Wie führe ich eine Kirchengemeinde? Bd. 1: Möglichkeiten des Managements. Bd. 2: Modelle des Marketing. Gütersloh 1991. Tremel, H. (Hrsg.): Öffentlichkeitsarbeit der Kirche. Frankfurt 1995. Schneck, O.: Business reengineering versus kaizen. In: Betrieb und Management, 1995, Heft 5, S. 1 - 13. Schneck, O.: Management-Techniken. 2. Aufl., Frankfurt 1996.

Komponenten einer strategischen Planung im Versicherungs-Vermittlungsunternehmen von Knut Kühlmann und Joachim Weber

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Unternehmerische Herausforderung des Vermittlers

Vorausschauendes gestaltendes Denken ist für Versicherer eine conditio sine qua non. Die Risikokalkulation, die auf dem Ausgleich im Kollektiv sowie im Verbund mit anderen Unternehmen aufbaut, erfordert in hohem Maße Weitblick und zukunftsgerichtetes Handeln. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß in Publikationen sowie in Fachtagungen der Versicherungswirtschaft die Funktion der Unternehmensplanung überwiegend mit Versicherungsunternehmen assoziiert wird (vgl. Fischer, 1995, 369; vgl. Schönberg u. Lerbs, 1989, 977). Übersehen wird dabei, daß die selbständigen Absatzmittler der Versicherungsbranche gleichfalls Unternehmen sind (vgl. Martens/Siemens, 1989, 673). Wenn diese auch sehr kleine unternehmerische Einheiten darstellen, so ist eine eigenständige Unternehmenssteuerung zur Zukunftssicherung für sie nicht minder wichtig. Im Mittelpunkt der herkömmlichen Agenturplanung steht überwiegend die Produktionsund Bestandsplanung. Auf sie beziehen sich in erster Linie die planerischen Aktivitäten. Mit den Produktions- und Bestandszielen verbinden die Vermittler in der Regel konkrete Vorstellungen über die Höhe der angestrebten Vermittlervergütung. Zugleich knüpfen sie mit ihrer primär umsatzorientierten Agenturplanung an die gleiche Leitgröße an, die auch im Vordergrund der Versicherer zur Absatzsteuerung steht. Ungeachtet der absatzpolitischen Erwartungen, die von außen an die Vermittler herangetragen werden, kommt den endogenen Ursachen für das Umsatzstreben vieler Vermittlerunternehmen eine dominierende Rolle zu. Sie liegen zum einen darin, daß viele Vermittler mit der Akquise wesentlich besser vertraut sind als mit den betriebswirtschaftlichen Grundlagen einer an langfristigen Erträgen ausgerichteten Unternehmenssteuerung. Zum anderen wird der gegenwärtige Ertrag aus der täglichen Akquisitionsarbeit vielfach höher eingeschätzt als zeitaufwendige Analysen zur Unternehmenssteuerung, deren Nutzen sich erst in der Zukunft erweist. Geprägt durch relativ stabile Marktbedingungen, die der Assekuranz in der Vergangenheit über Jahrzehnte hohe Prämiensteigerungen und damit verbunden wachsende Vermittlervergütungen bescherten (vgl. Kühlmann, 1996, 2 f.), beschränkt sich die Agenturplanung vieler Absatzmittler auf die Fortschreibung der erzielten Absatzergebnisse in die Zukunft. Die Hochrechnung der nach Sparten aufgefächerten Absatzwerte erfolgt dabei entweder in eigener Regie oder baut auf den von den Versicherungsgesellschaften als absatzpolitische Leitvorstellung erarbeiteten Eckwerten pro Agentur auf. An ihnen rieh-

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Knut Kühlmann und Joachim Weber

tet die Mehrzahl der Vermittler ihr Verhalten aus. Grundsatzfragen zur Unternehmensplanung, wie z.B.: • Wo stehe ich heute? • Wie soll es weitergehen? • Was will ich eigentlich erreichen? spielten in der Vergangenheit überwiegend eine untergeordnete Rolle. Ein größerer Bedarf zur Eigensteuerung wurde nicht gesehen; zumindest solange nicht, wie die Provisions- und Courtagesätze in nahezu allen Sparten den Erwartungen entsprachen. Auch die von den Ausschließlichkeitsvermittlern als rechtlich selbständige Unternehmer vielfach gehegten Vorbehalte gegen eine Fremdplanung durch die Versicherungsgesellschaften änderten nichts an der geübten Zurückhaltung gegenüber weitergehenden Planungsaktivitäten. Die zunehmende Dynamik und Komplexität der Umweltveränderungen, denen Versicherungsunternehmen ebenso wie Absatzmittler unterworfen sind, implizieren „eine rationale Durchdringung der Zukunft, also der Planbarkeit und Machbarkeit" (Bea / Haas, 1995, 10) mit einem Fokus nach außen wie nach innen. Für Versicherer wie Vermittler stellen die Umweltveränderungen zugleich Risiko und Chance dar. Die Versicherer begegnen in der Regel dieser Herausforderung. Im Rahmen ihrer Unternehmensplanung erwägen sie die Auswirkungen zukünftiger Markttrends sowie interne Entwicklungsmöglichkeiten zur strategischen Positionierung im Wettbewerb. Sie verhalten sich überwiegend kosten- und ertragsbewußt. Die Effizienz der einzelnen Vertriebswege ziehen sie dabei überwiegend in ihre Betrachtung mit ein. Die Fragestellung lautet: "Was müssen Versicherer für die Vermittlung einer Prämienmark bei den verschiedenen Vertriebswegen aufwenden, und wie ertragreich ist das von ihnen vermittelte Geschäft?" Es ist deshalb davon auszugehen, daß Verständnis und Förderung der Zusammenarbeit mit verschiedenen Absatzorganen vorrangig von deren Effizienz und Effektivität für das Versicherungsunternehmen geprägt sein werden. In diesem veränderten Wettbewerbsumfeld sind die Absatzmittler auch ihrerseits, d.h. nach innen gerichtet, angehalten, auf Effizienz und Effektivität zu achten. Eine Akquisition ohne Kenntnis der Kosten und Erträge je Kundensegment wird diesem Anspruch nicht gerecht. Zu einer ertragsorientierten Ausrichtung der Vertriebsaktivitäten gibt es keine betriebswirtschaftlich haltbare Alternative. Die Eigensteuerung des Vermittlers als Unternehmer erlangt unter den veränderten Umweltbedingungen einen neuen Stellenwert. Verkaufsgeschick und Talent im Umgang mit Menschen sind ohne Zweifel eine unabdingbare Voraussetzung für den Vermittlerberuf. Nicht minder wichtig ist jedoch ein solides kaufmännisches Wissen sowie ein betriebswirtschaftliches Grundverständnis zur erfolgreichen Agentursteuerung. Ohne Ertragskompaß geht die Orientierung angesichts der wachsenden Dynamik und Komplexität der Umfeldveränderungen rasch verloren. Nur wer ein Bild von der zukünftigen Stellung des Vermittlerunternehmens im Markt hat, vermag konsequent und zukunftsorientiert zu handeln. Selbstverständlich gilt es, das richtige Augenmaß zu finden. Keineswegs soll einer Planung das Wort geredet werden, die Vermittlerunternehmen Lasten aufbürdet, die in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen stehen. Andererseits sollte jedoch stets bedacht werden, daß eine pauschale Ablehnung der

Strategische Planung in der Versicherungsvermittlung

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Planung als anderes Extrem ebensowenig angebracht ist. Planung als gestaltendes Denken für die Zukunft ist, auch wenn damit die prinzipielle Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung letztendlich nicht beseitigt werden kann, immer noch vorteilhafter als adhoc-Entscheidungen. Nachfolgend sollen daher Grundzüge einer strategisch ausgerichteten Unternehmensplanung erörtert werden, die sowohl die begrenzten Kapazitäten der Absatzmittler berücksichtigt als auch dem Anspruch einer weitgehenden Ertragssteuerung gerecht wird.

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Komponenten der strategischen Planung

Die strategische Planung als informationsverarbeitender Prozeß wird in Anlehnung an Bea/Haas (1995, 49 ff.) in fünf Ablaufphasen bzw. Komponenten untergliedert: Zielbildung, Umweltanalyse, Unternehmensanalyse, Strategiewahl und Strategieimplementation (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Komponenten einer Marketingstrategie für Vermittlerbetriebe

226

Knut Kühlmann und Joachim Weber

Je nach der verfolgten strategischen Ausrichtung haben die einzelnen Komponenten ein unterschiedliches Gewicht. Die strategische Planung ist ein interdependenter Prozess. Die idealtypisch in Abbildung 1 aufgezeigte Abfolge ist nicht zwingend. „Man denke nur an die Frage, ob man zunächst Ziele braucht, damit man Probleme überhaupt erkennen kann, oder ob die Ziele sich aus der Problemerkennung ergeben." (Bea/Haas, 1995, 50). Im folgenden werden die einzelnen Planungsphasen entsprechend der schematisch aufgeführten Reihenfolge angesprochen. Dabei werden die vermittlerspezifischen Problemstellungen in den einzelnen Ablaufphasen aufgezeigt.

2.1 Zielbildung Am Anfang des Zielbildungsprozesses besteht zumindest in der Gründungsphase eine genaue Vorstellung über den unternehmerischen Grundauftrag und damit über den Zweck, der für die Umwelt erbracht werden soll. An diesem Rahmen sind die obersten Unternehmensziele auszurichten. Die ursprüngliche Leitvorstellung verliert jedoch häufig im Laufe der Zeit an Bedeutung, sei es, daß die Firmengründer in den Ruhestand gewechselt sind, sei es, daß es versäumt worden ist, die ursprüngliche Zweckbestimmung der sich wandelnden Umwelt anzupassen. Es ist deshalb angebracht, den strategischen Stellenwert des unternehmerischen Grundauftrags im Zeitablauf immer wieder neu zu überdenken. Bei der Gestaltung sowie bei der Überprüfung eines Leitbildes als allgemeinstem Teil der Unternehmenspolitik können die Grundlinien anhand von vier zentralen Komponenten bestimmt werden: (1) (2) (3) (4)

Identität und Grundaufgabe(n) Erfolgspotentiale/Wettbewerbsvorteile Marktstellung Wertvorstellungen über das grundsätzliche Verhalten nach außen und innen.

Im Rahmen der ersten Komponente stellen sich den Vermittlerunternehmen die Fragen: „Was ist unser Geschäft, wem wollen wir wodurch welchen Nutzen bringen?" Diese Fragen sind von außerordentlicher Tragweite, so einfach sie auch auf den ersten Blick erscheinen mögen. Eine produkt- sowie absatzfünktionsbezogene Aussage wie beispielsweise: "Wir sind Vermittler von Versicherungen" umreißt zwar das Tätigkeitsfeld i.w.S., der marketingpolitische Bezug zum Kunden als zentrale Größe im Wettbewerb fehlt jedoch. Der Hinweis auf die Art der Betätigung oder auf eine Produktkategorie gibt Mitarbeitern wie Kunden wenig Orientierung. Anders verhält es sich mit den in der Praxis immer häufiger anzutreffenden kundenbezogenen Formulierungen (vgl. Kotler/Bliemel, 1992, 54 ff). Sie setzen primär an den Bedürfnissen und Problemen der Kunden an und stellen dabei den Nutzen für den Kunden heraus, dem sich Unternehmen verschrieben haben (Produzenten von Aktenordnern und Ablagetaschen werben so z.B. nicht mehr mit

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dem Produktcharakter ihrer Erzeugnisse, sondern vielmehr mit deren Funktion für den Kunden, z.B. „Suche und finde mit Leitz"). Die Maklergesellschaft Marschollek, Lautenschläger und Partner AG (MLP), die sich unter anderem auf die Zielgruppe Ärzte und Zahnärzte spezialisiert hat, sieht in diesem Sinn ihre Funktion im Dienste ihrer Kunden. Das heißt, sie verfolgt ein konsequent ausgerichtetes Problemlösungsdenken (vgl. Lautenschläger/Török, 1996, 88 ff. u. Ziff. 9): Es beginnt mit Studienberatung, Sponsoring von Lehrbüchern, Unterstützung bei der Suche nach einer Assistentenstelle in einem Krankenhaus und setzt sich fort in Hilfestellungen zu Fragen der haftungsrechtlichen beruflichen Absicherung bis hin zu den daran anschließenden Problemen, die mit der Gründung bzw. der Übernahme einer bestehenden Praxis und ihrer betriebswirtschaftlichen Führung verbunden sind. Darüber hinaus widmet sich diese Maklergesellschaft dem Informationsbedarf der Ärzte. Sie hilft ihnen, den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen von Symposien zu verfolgen und berät sie bei der Vermögensanlage, der Alters- und Hinterbliebenenversorgung ebenso wie hinsichtlich der vorteilhaften Übergabe der Praxis aus Altersgründen an einen jüngeren Kollegen. Im Unternehmensleitbild von MLP ist dieser Beitrag für den Kunden mit der Formulierung: „Alles was die Zukunft von Ärzten und Zahnärzten sicherer macht" verankert. Diese kurze und einprägsame Formulierung spornt offenbar die Mitarbeiter an, weil sie erkennen, daß sie mit ihrer Arbeit dazu beitragen, die Lebensqualität ihrer Kunden zu verbessern. Den Kunden signalisiert die Maklergesellschaft damit eine weit über die Vermittlung von Versicherungen hinausgehende Kompetenz: Unterstützung des umworbenen Kundensegments bei dessen beruflichem Aufstieg. In engem Zusammenhang mit der Frage nach der Identität und den Grundaufgaben steht die zweite Komponente der Leitbildgestaltung, die Grundentscheidung, auf welchen Erfolgspotentialen bzw. Wettbewerbsvorteilen das Schwergewicht der unternehmerischen Aktivitäten liegen soll. Sie zielt darauf ab, eine Aussage darüber zu geben, wodurch sich ein Vermittlerunternehmen mit seiner Leistungspalette gegenüber dem Feld der anderen Wettbewerber auszeichnen will. In ein- und demselben Markt existieren in der Regel mehrere Erfolgsfaktoren, die zum Ziel fuhren können. Auf alle Faktoren gleichzeitig zu setzen, ist strategisch wenig sinnvoll. Mittelmäßige Leistungen wären wohl die Folge. Die Chance der Nutzung eines möglichen Vorteils zur Wettbewerbsprofilierung in immer enger werdenden Märkten wäre vertan. Im Rahmen der unternehmerischen Grundausrichtung steht deshalb die Frage im Vordergrund, auf welche Erfolgsfaktoren ein Vermittlerunternehmen setzen soll. In dem vorgestellten Kernsatz zum Leitbild von MLP ist diese Aussage implizit durch die Ausrichtung am Erfolg der Kunden enthalten. Die dritte Komponente der Leitbildausrichtung beinhaltet eine Grundaussage zur angestrebten Marktstellung sowie zur Entwicklung im Vergleich zum Gesamtmarkt oder zum nächstgrößten Wettbewerber (Benchmarking). In diesem Zusammenhang ist auch die Grundhaltung des Vermittlerunternehmens im Hinblick auf seine Unabhängigkeit gegenüber den vertretenen Unternehmen anzusprechen. Mit dem Status als Makler oder als Mehrfachvermittler kann so z.B. die Unabhängigkeit der Beratung als zusätzlicher Kundennutzen gegenüber dem breiten Feld der unternehmensgebundenen Vermittler herausgestellt werden.

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Knut Kühlmann und Joachim Weber

Die vierte Komponente der Leitbildorientierung umspannt die Einstellungen bezüglich des erforderlichen Verhaltens gegenüber den Mitarbeitern sowie gegenüber den Partnern, mit denen das Vermittlerunternehmen in der Außenwelt in Verbindung steht. Auch das Engagement sowie die Aufgeschlossenheit des Unternehmens gegenüber zentralen Aufgaben des öffentlichen Lebens, beispielsweise Spenden für Vereine, können zur positiven Grundeinstimmung der Öffentlichkeit gegenüber einem Unternehmen beitragen. Diese Grundsatzentscheidungen, die im Rahmen der angesprochenen vier Dimensionen getroffen werden, gilt es, in einem nächsten Schritt auf einen möglichst knappen und einprägsamen Nenner - zur Orientierung nach innen wie nach außen - zu bringen. Dabei ist herauszustellen, welche Kundenprobleme das Vermittlerunternehmen besser, schneller und preiswerter lösen kann als die Konkurrenz innerhalb und außerhalb des eigenen Vertriebsweges. Diese Kernfrage der Unternehmensidentität im weiteren Sinne ist so zu formulieren, daß einerseits konkret ersichtlich wird, worin der spezifische Nutzenvorteil für den Kunden besteht, daß andererseits aber zugleich genügend Freiraum für längerfristige Ansätze einer kundenorientierten Weiterentwicklung besteht. Dies ist in der Tat sehr schwierig. Nach der Bestimmung des Leitbildes folgt im Prozeß der Zielbildung die Festlegung der obersten Unternehmensziele. Sie operationalisieren die in der Zweckbestimmung niedergelegten, allgemein gehaltenen Leitvorstellungen. Dies bedeutet, daß die Ziele nach Inhalt, Ausmaß und zeitlichem Bezug eindeutig festgelegt und hierarchisch geordnet werden. Im Hinblick auf den Zielinhalt findet sich in der Praxis häufig das Streben nach einem bestimmten Einkommens- bzw. Gewinnniveau (vgl. Arnhofer, 1982, 49). Desgleichen ist in Vermittlerunternehmen das Streben nach Umsatz stark ausgeprägt. Es ist zum einen Ausdruck für ein Prestigestreben, das sich nach außen in einer herausgehobenen Marktstellung dokumentiert. Zum anderen wird mit ihm aber auch ein vermeintliches Streben nach Sicherheit und Unabhängigkeit assoziiert. Für die traditionelle Umsatzorientierung spricht insbesondere ihre leichte Handhabbarkeit und die problemlose Koordination mit den Vertriebserwartungen der vertretenen Unternehmen.

2.2 Umweltanalyse Die nachhaltige Veränderung der Unternehmensumwelt hat in strategischer Sicht zu einem Positionswechsel vom sogenannten Inside-out-Approach zum Outside-in-Approach geführt. Im Zuge dieser Entwicklung kommt der Umweltanalyse in folgenden Aufgaben eine wachsende Bedeutung zu (vgl. Bea/Haas, 1995, 72): (1) Sensibilisierung für Umweltimpulse, (2) Identifikation der relevanten Umweltsegmente und (3) Aufspüren von Chancen und Risiken aus der Umwelt. Ausgehend vom Outside-in-Approach ist erstens die Unternehmensumwelt im weiteren Sinne zu betrachten. Sie umfaßt im wesentlichen die wettbewerbsrechtlichen, die wirtschaftlichen sowie die technologischen Rahmenbedingungen. Es folgt in der Analyse der engere Kreis des Umfeldes, den ein Vermittlerunternehmen im Einklang mit seinen Leitbildvorstellungen als seinen relevanten Markt ansieht. Wie bereits dargelegt, wird

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eine singulär branchenorientierte Marktdefinition, der implizit der Inside-out-Approach zugrundeliegt, den wachsenden Anforderungen der Kunden immer weniger gerecht. Zugleich verwehrt eine solche Betrachtungsweise den Blick für zukünftige branchenfremde Wettbewerber. Beispielsweise wurde das Vordringen der Kreditinstitute in den Markt für Versicherungen aufgrund einer primär nach innen gerichteten Betrachtungsweise vieler Versicherungsunternehmen wie Vermittler erst relativ spät in seiner strategischen Dimension erfaßt. Bei einer produkt-/marktorientierten Betrachtung wird zu wenig berücksichtigt, daß Produkte und Technologien vergänglich sind, die Grundbedürfnisse der Märkte aber beständig. „Für einen Kutschenhersteller bedeutet die Erfindung des Autos das Ende" (Kotler/Bliemel, 1992, 71). Bei einer Ausrichtung auf die Nutzenfunktion für den Kunden, wie z.B. "Beförderung von Personen" bzw. "Beitrag zur Mobilität", würde ein Unternehmen dagegen frühzeitiger die Chance einer Umorientierung auf Kraftfahrzeuge vom Leitbild signalisiert bekommen und wohl auch wahrnehmen.

Veränderungstendenzen im Versicherungsmarkt



Globalisierung der Märkte



Verstärkte Konzentrationstendenzen bei Versicherungsunternehmen im internationalen Raum



Verbreitung der Angebotspalette und Verlust der Markttransparenz



Wachsender Margendruck im Zuge der Deregulierung



Fortschreitende Informationstechnologien



Verkürzung der Produktlebenszyklen



Trend zu größeren Vermittlerunternehmen



Trend zu kürzeren Vertragslaufzeiten



Umstrukturierung des Provisionssystems verbunden mit Provisionskürzungen



Belebung des Direktvertriebs



Wachsender Qualifizierungsbedarf der Vermittler



Stärkere Haftung gegenüber Kunden



Wachsendes Anspruchsdenkenden der Kunden

Abb. 2: Veränderungstendenzen im Versicherungsmarkt

Als relevanter Markt wird im folgenden die unmittelbare Umgebung eines Vermittlerunternehmens angesehen, und damit das breite Feld der Nachfrager und der Konkurrenten. Als Wettbewerber werden dabei nicht nur andere im Einzugsbereich liegende Vermittler angesprochen, sondern ebenso auch die mit ihrer Absatzpalette konkurrierenden brancheninternen wie -externen Anbieter von Finanzdienstleistungen. Zum engeren Kreis der

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Knut Kühlmann und Joachim Weber

relevanten Umwelt zählt schließlich noch der Beschaffüngsmarkt, d.h. für Absatzmittler in erster Linie der Personalmarkt. Wie sich der Kreis der äußeren Umwelt, als erste zu untersuchende Größe, verändert hat und welche Entwicklungen sich gegenwärtig abzeichnen, wird im folgenden kurz skizziert. Die Umwelt i.w.S., in die Vermittlerbetriebe eingebettet sind, hat sich nachhaltig verändert. Die hohen Steigerungsraten des Bruttosozialproduktes sind inzwischen abgelöst worden durch ein recht verhaltenes gesamtwirtschaftliches Wachstum (vgl. Kurtenbach/Kühlmann/Käßer-Pawelka, 1995, 5). Der Wandel in der Marktstruktur vollzieht sich heute schneller und tiefgreifender als früher. Neue in- und ausländische Wettbewerber drängen auf den Markt. Die herkömmlichen Branchengrenzen zwischen Banken und Versicherern verwischen zusehends. Seit der im Jahre 1994 erfolgten Einführung der Dienstleistungsfreiheit in der Versicherungswirtschaft erhält dieser Markt im Zuge fortschreitender Deregulierung weitere wettbewerbsstimulierende Impulse. Insbesondere die in Abbildung 2 angeführten Veränderungstendenzen (vgl. Kühlmann, 1996, Ziff. 2.4, 6) stellen für Versicherungsvermittlerunternehmen eine große Herausforderung dar. Zu diesen grundlegenden Veränderungen im Marktgeschehen in der weiteren Umwelt kommen noch die aus der Umwelt im engeren Sinne, d.h. aus dem Kreis der Nachfrager, der Konkurrenten und des Beschaffungsmarktes, hinzu. Das Feld der potentiellen Nachfrager in der jeweiligen Region wird im Rahmen der Marktanalyse in der Regel anhand von Basisdaten erfaßt und bewertet. Für den zumeist kleinräumigen Teilmarkt (Stadtteil-, Gemeinde-, Stadt- und Kreisebene) eines Vermittlers stellen die statistischen Ämter der Städte in ihren Jahrbüchern sowie die Marktforschungsinstitute mit ihren Untersuchungen zum kaufkraftwirksamen Nachfragepotential den Vermittlern wertvolle Informationen zur Verfügung. Zur Beurteilung der Marktsituation eignen sich dabei besonders die folgenden Daten (vgl. Jung, 1995, 207): •

Bevölkerungsstruktur - Anzahl / Entwicklung / Geburten - Geschlecht - Familienstand - Alter - Seniorenquote (Anteil Einwohner über 65 Jahre an der Gesamtbevölkerung) - Anzahl Haushalte - Anzahl der Personen pro Haushalt

• Berufsstruktur - Selbständige - Freiberufler - Angestellte / Arbeiter / Beamte - Sonstige (Schüler, Studenten, Ärzte, Rechtsanwälte, Handwerker, u.a.) • Wirtschaftskraft - Kaufkraft - Pkw-Dichte

Strategische Planung in der Versicherungsvermittlung

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• Allgemeine Informationen - Fläche in km2 - Bevölkerungsdichte - Anzahl Wohngebäude • Wirtschaftsstruktur - Anzahl der Betriebe und Aufteilung nach Branchen - Anzahl der Beschäftigten und Aufteilung nach Branchen - Gründungen / Abmeldungen In Verbindung mit den Angaben des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft z.B über den prozentualen Anteil einzelner Versicherungssparten in den Haushalten (vgl. o.V., 1996, 106) sowie über die durchschnittlichen Versicherungssummen und Prämiensätze kann der Absatzmittler grob das noch nicht ausgeschöpfte Marktpotential in seiner Region veranschlagen. Je nach der Stärke der konkurrierenden Absatzmittler im regionalen Teilmarkt und den eigenen potentiellen Fähigkeiten können mögliche Aktionsfelder ausgemacht werden. Die Analyse des Marktumfelds umfaßt neben der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung sowie dem Kreis der potentiellen Nachfrager auch die Konkurrenzanalyse. Ihre Aufgabe ist es, möglichst umfassende Informationen über den Kreis der relevanten Wettbewerber zu sammeln und zu bewerten. Von besonderer Bedeutung sind vor allem Daten über: • Anzahl und Struktur der Konkurrenten (Umsatz / Mitarbeiter / Finanzkraft) • Marktanteile • Marketingkonzept bzw. ersichtliche Aktionsschwerpunkte • Kompetenzschwerpunkte • Zusammenarbeit mit Anbietern von Finanzdienstleistungen. Die Ausrichtung des Blickfeldes auf die wichtigsten gegenwärtigen und künftigen Konkurrenten bildet den ersten Schritt der Konkurrenzanalyse. Bei der Auswahl sind auch potentielle zukünftige Konkurrenten mit zu berücksichtigen, die, sei es durch Zusammenschluß etablierter, sei es durch Vordringen branchenfremder Wettbewerber (Banken, Versandhäuser, Vermögensberater u.a.), im Versicherungsbereich zu größerer Wettbewerbsstärke gelangen können. Von zentraler Bedeutung im Rahmen der Konkurrenzanalyse und -prognose sind für Vermittler in erster Linie die folgenden vier Fragestellungen: (1) Welche Stategien können in Zukunft von konkurrierenden Vermittlerbetrieben erwartet werden ? (2) Auf welchen Prämissen beruhen die voraussichtlichen Strategien der Konkurrenten ? (3) Welche Strategien verfolgen die Konkurrenten heute und mit welchem Erfolg? (4) Über welche Stärken und Schwächen verfugen die Konkurrenten? Diese Fragen, die auf den Kern der Konkurrenzaktivitäten abzielen, sind leichter gestellt als beantwortet. Nur in den wenigsten Fällen können sie aus dem Stegreif heraus befrie-

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digend beantwortet werden. Der Vermittlerbetrieb ist hier auf Informationen angewiesen, die von langer Hand während des Jahres gezielt gesammelt worden sind. Es ist dabei weniger die Fülle als vielmehr der Mangel an Informationen, der Vermittlern zu schaffen macht. Deshalb kommt es darauf an, für den ausgewählten Kreis der Konkurrenten im engeren Umfeld systematisch die wenigen anfallenden Informationen zu erfassen. Als Informationsmaterial bieten sich beispielsweise an: • • • • • • •

Werbedrucksachen Zeitungsberichte Anzeigen in Zeitungen (Werbung/Personal) Vorträge sonstige Veröffentlichungen Hauszeitschriften und Geschäftsberichte der Versicherer Artikel in der Wirtschaftspresse.

Angesichts der zumeist begrenzten Möglichkeiten der Informationsbeschaffung aus allgemein zugänglichen Unterlagen kommt der laufenden Beobachtung der Konkurrenten, d.h. in erster Linie ihrem Auftreten und Verhalten in der Öffentlichkeit, eine besondere Bedeutung zu. Aktivitäten, wie beispielsweise die Einstellung weiterer Mitarbeiter, das Durchführen von Werbeaktionen oder der Umzug in neue Geschäftsräume sind Marktsignale, die auf ein bestimmtes Marktverhalten der Konkurrenten hinweisen. Solche beobachteten Verhaltensweisen sollten jeweils in einer Kurznotiz festgehalten werden. Für das Feld der engsten Konkurrenten empfiehlt es sich, die Stärken und Schwächen der konkurrierenden Absatzmittler anhand sogenannter Schlüsselfaktoren zu bewerten und in einem Polaritätenprofil graphisch abzubilden. Der Vergleich mit dem eigenen Profil signalisert dem Vermittler, inwieweit er sich von den betrachteten Wettbewerbern abhebt (vgl. Kühlmann, 1996, Ziff. 4, 9). Der Blick der Vermittlerunternehmen darf sich jedoch nicht nur auf die eigenen Reihen richten. Als Berater und Vermittler müssen sie ebenso die Palette der Produkte der konkurrierenden Absatzmittler im Visier haben. Mit zunehmender Produktdifferenzierung als Folge der Deregulierung wird diese Aufgabe die Vermittler zukünftig verstärkt beanspruchen. Hinweise erhalten sie vielfach von den vertretenen Anbietern von Finanzdienstleistungen. Sie stellen ihnen in der Regel Informationsunterlagen über die Vor- und Nachteile von Konkurrenzprodukten zur Verfügung. Zum engeren Kreis der Unternehmensumwelt gehört neben der Konkurrenz auch der Beschaffungsmarkt, mit dem Absatzmittler in Verbindung stehen. Vorrangig für Dienstleistungsunternehmen ist dabei der Personalmarkt. Qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und zu behalten ist angesichts der Konkurrenz der großen Versicherungsgesellschaften, die als potentielle Nachfrager auftreten, für Vermittlerunternehmen zumeist recht schwierig. Hinzu kommt, daß das vielfach negative Image der Versicherungswirtschaft, insbesondere bei Tätigkeiten im Außendienst, die Absatzmittler noch stärker trifft als die Versicherungsunternehmen selbst. Des weiteren scheinen die Entwicklungsperspektiven für Mitarbeiter in den Versicherungsgesellschaften aus subjektiver Sicht wesentlich besser und berechenbarer zu sein, als bei einer Tätigkeit im Vermittlerunternehmen.

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2.3 Unternehmensanalyse Aufbauend auf dem gewählten Outside-in-Approach schließt sich an die Analyse der Umwelt die Analyse der Potentiale des Unternehmens an (Stärken und Schwächen). Sie umfaßt bei Vermittlerunternehmen in erster Linie die Versicherungsbestandsanalyse sowie die Aufwands- und Ertragsanalyse. Die Untersuchung des Versicherungsbestandes mit seinen Kunden stellt in der Regel den Ausgangspunkt der Betrachtung dar. Größe und Zusammensetzung des Versicherungswie des Kundenbestandes geben Aufschluß über Schwer- und Schwachpunkte in der Sparten- und Kundenausrichtung. Wesentlich ist dabei die Information, welchen Anteil am Gesamtumsatz einzelne Zielgruppen haben, gemessen an ihrem prozentualen Gewicht im gesamten Kundenfeld. Bedeutsam neben der Bestandshöhe sowie -struktur sind auch die sie prägenden versicherungsspezifischen Bewegungsgrößen. Einen schematischen Überblick über einzelne Komponenten, die der Bestandsanalyse sowie der Bestandsplanung zugrundeliegen, gibt die Aufstellung in Abb. 3. Bestandsprämie zu Jahresbeginn + + + /-

+ /-

Neugeschäft aus Fremdakquisition Neugeschäft aus Bestandsakquisition Saldo aus Prämienveränderungen bestehender Verträge (z.B. durch Dynamikvereinbarungen, Gewährung von Treue-Rabatten, Einstufung in eine niedrigere Schadenfreiheitsklasse (SFR) in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung u.a.) Saldo aus Bestandsübertragungen durch Zuweisungen bzw. Abzug von Verträgen seitens der Versicherungsgesellschaft innerhalb ihrer Vermittlerschaft

-

Storno aus Neugeschäften

-

Storno aus Bestandsgeschäften

-

Sonstige Abgänge (z.B. auslaufende Verträge)

=

Bestandsprämie am Jahresende

Abb. 3: Bestandsanalyse und -planung

Erst der Einschluß solcher zentralen Größen in die Versicherungsbestandsanalyse erlaubt eine Aussage über die Ursachen der Bestandsveränderungen. Die Vielzahl der Versicherungssparten wird im Rahmen der Bestandsanalyse zu wenigen Hauptsparten aggregiert. Für diese werden allgemein die Prämie und die Stückzahl ausgewiesen. Ergänzt werden diese Hauptsparteninformationen noch durch eine Reihe von Kennzahlen, die, wie z.B. der Anteil der dynamisierten Verträge am dynamisierungsfähigen Bestand oder der Anteil der stornierten Verträge am Gesamtbestand, Aufschluß über die Qualität des Bestandes geben. Einen breiten Raum nimmt bei der Analyse auch die Verknüpfung von Bestands- und Kundendaten ein.

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Häufig verwandte Kennzahlen, die Einblick in die Intensität der Kundenverbindung geben, sind: Durchschnittliche Anzahl der Verträge pro Kunde (Vertragsdichte) Vertragsdichte, untergliedert nach Zugehörigkeit zu Altersgruppen Prozentualer Anteil der Versicherungsverträge der Kunden bei der Konkurrenz Prozentualer Anteil der Risiken aus Basissparte A, die auch in Alternativsparte B versichert sind (Bestandsausschöpfungsquote) • Prozentualer Anteil der insgesamt abgeschlossenen Verträge an den in einer Schlüsselsparte abgeschlossenen Verträgen (Cross-selling-Rate). • • • •

Parallel zur Analyse des Bestandes ist in einem weiteren Schritt das Neugeschäft, die sogenannte Bruttoproduktion, zu beurteilen. Wertvolle Einblicke erhält der Absatzmittler des weiteren, wenn er in seine Betrachtung die Entwicklung von Bestands- und Neugeschäftsgrößen der letzten Jahre miteinbezieht. Er erkennt dann zentrale Bestands- und Neugeschäftsveränderungen und sieht, in welchem Umfang das Neugeschäft bestandswirksam geworden ist. Ein hohes Neugeschäft ist so z.B. für ein Vermittlerunternehmen per saldo erst dann ein Erfolg, wenn ihm keine großen in seinem Einflußbereich liegenden Stornoabgänge gegenüberstehen. Die Unternehmensanalyse umfaßt neben der Kunden- und Bestandsanalyse die Untersuchung der Aufwands- und Ertragsstruktur. Im Rahmen der herkömmlichen Analyse werden die zentralen Aufwands- und Ertragsposten weiter aufgefächert, um bessere Anhaltspunkte für eine Beurteilung zu erhalten. Ebenso werden einzelne erfolgsrelevante Größen der Aufwands- wie der Ertragsseite zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Betrachtungsweise liegt insbesondere dem vom Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (bvk) initiierten jährlichen Betriebsvergleich zugrunde. Er zeigt dem Vermittler beispielsweise, inwieweit sein Kostensatz für Betriebsaufwendungen vom Durchschnitt anderer Betriebe mit vergleichbarer Bestandsgröße und -struktur abweicht. Im Rahmen der Analyse der Ertragsstruktur kann der Agenturinhaber erkennen, inwieweit seine Ertragsquellen über- bzw. unterdurchschnittlich ausgeprägt sind und inwieweit seine Provisionssätze dem Marktdurchschnitt entsprechen. Im Vordergrund der Betrachtung der erfolgsrelevanten Größen des Vermittlerunternehmens stehen insbesondere: • Provisionserträge • Personalaufwendungen • Aufwendungen für sachliche Betriebsmittel. Um einen besseren Einblick in die Ertragsquellen zu erhalten, werden die Provisionen allgemein nach ihrem Entstehungsgrund in Bestandspflegeprovisionen, Abschlußprovisionen und Bonifikationen sowie Zuschüsse aufgeteilt. Im Rahmen der herkömmlichen Analyse wird der Block der Personalaufwendungen untergliedert nach seiner Verwendung für Innendienst- oder Außendienstmitarbeiter. Ergänzend werden mitunter weitere Detailuntersuchungen über Rationalisierungspotentiale sowie über die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Außendienstkräften vorgenommen.

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Auch der Sammelposten „Sachliche Betriebsmittel", der u.a. diverse Aufwandsarten, wie z.B. Miete, Porto, Telekommunikationen, EDV, Kfz-Aufwendungen u.a. enthält, kann tiefer untergliedert und im Hinblick auf seine Steuerbarkeit weiter in fixe und variable Bestandteile aufgespaltet werden (vgl. Martens/Siemens, 1989, 367). So aufschlußreich auch die Analyse der Aufwands- und Ertragsstruktur sein mag, so sagt sie doch mangels Zurechnung von Aufwendungen und Erträgen zu Sparten und erst recht zu einzelnen Zielgruppen nichts über die Erfolgswirksamkeit einzelner Markt- bzw. Kundensegmente aus. Diese Information ist jedoch für eine erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung zur Sicherung der Überlebensfähigkeit unerläßlich. Aufbauend auf der Potentialanalyse des Unternehmens kann in einem weiteren Schritt durch eine Gegenüberstellung mit den Erkenntnissen aus der Konkurrenzanalyse ein sog. Stärken- und Schwächen-Profil des Vermittlerunternehmens abgeleitet werden. Es zeigt den Unternehmen markante Abweichungen gegenüber dem Feld der nächsten Wettbewerber auf. Die Chancen-Risiken-Analyse, die die Ergebnisse der Stärken-SchwächenAnalyse mit der Umweltanalyse verknüpft, signalisiert dem Vermittler die Erfolgschancen unterschiedlicher Strategieansätze. 2.4 Strategiewahl Nach der Erörterung der Instrumente der strategischen Situationsanalyse folgt nun die Analyse der Strategiewahl als weitere Grundkomponente des strategischen Entscheidungsprozesses. Die einzelnen Strategien stellen dabei eine Kombination der folgenden Strategieelemente dar (vgl. Kirsch/Müllerschön, 1996, 65): • • • • • •

Wahl des Marktfeldes und des Marktareals Art und Umfang der Marktbearbeitung Festlegung des Leistungsstrategie Festlegung der Wettbewerbsstrategie Festlegung der Kommunikationsstrategie Festlegung der Distributionsstrategien.

Welche Ausprägungen die einzelnen Teilstrategien aufweisen können und welchen Stellenwert diese für Absatzmittler in der Versicherungswirtschaft haben, wird in den nachfolgenden Abschnitten aufgezeigt. Aufbauend auf den Ergebnissen der Strategiefindung, d.h. der angestrebten strategischen Ausrichtung im Rahmen der einzelnen Dimensionen, erfolgt im nächsten Schritt die strategische Erfolgsplanung. Ihre Aufgabe ist es, anhand von Simulationen die möglichen Auswirkungen grundlegender Strategievarianten zu erkennen und diejenigen auszuwählen, die den obersten Zielen, den verfügbaren Ressourcen sowie dem Risikoprofil des Vermittlerunternehmens am besten gerecht werden. (1) Strategiefindung. Die Wahl des Marktfeldes gehört zu den grundlegenden Entscheidungen einer jeden Marketingstrategie. Wegen ihrer weitreichenden Folgen für die Sicherheit des Unternehmens ist es angebracht, die Basisentscheidung zur Frage: „Was ist unser Geschäft?" im Einklang mit der im Leitbild getroffenen Grundausrichtung vorzu-

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nehmen. Bei der Erörterung des Leitbildes wurde dargelegt, daß kundenbezogene Marktfelddefinitionen den herkömmlichen produkt- bzw. absatzmarktbezogenen Marktabgrenzungen überlegen sind. Nach Abell (1980, 16ff.) sollte ein Geschäftsfeld durch die folgenden drei Größen gekennzeichnet werden: • Kundengruppe (Wer hat das Bedürfnis?) • Kundennutzen ( Welches Bedürfnis hat der Kunde?) • Technologie (Wie wird das Kundenbedürfnis befriedigt?). Für Versicherungsgesellschaften wie auch für Vermittler können die beiden ersten Größen in den vier Feldern einer Entscheidungsmatrix dargestellt werden. Einen Überblick über die Entscheidungsfelder, anknüpfend an die beiden Grundsatzentscheidungen hinsichtlich des Grads der Kundenerschließung und des Umfangs der Befriedigung von Kundenbedürfhissen (nach Sicherheit im weiteren Sinne), gibt die Abbildung 4.

VersicherungsQbergreifender Nischenmarkt VersicherungsVersicherungsübergreifender KundenNischenmarkt gesamtmarkt herkömmlicher Versicherungsmarkt

'H

SS» ^kf

Grad der Kundenerschließung

Umfang der Befriedigung des Kundenbedürfnisses

Abb. 4: Strategische Marktfelder

Neben der Entscheidung, ob sich ein Absatzmittler allen Kunden zuwenden oder nur Kundennischen bearbeiten soll, steht die strategisch noch bedeutungsvollere Grundsatzentscheidung an, wie weit der Bogen der Kundenbedürfnisse gespannt werden soll, zu deren Lösung das Unternehmen beitragen will. Die Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen kann sehr weitreichend sein. Ein Beispiel dafür gibt das bereits oben erwähnte Maklerunternehmen MLP, welches seine Funktion für eine Zielgruppe mit „Alles was die Zukunft von Ärzten und Zahnärzten sicherer macht" umschreibt. Die Ausrichtung muß

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jedoch nicht stets so umfassend erfolgen. Grundsätzlich gilt es jedoch, sich in strategischer Sicht zu entscheiden, ob der Beitrag primär in der Vermittlung sicherheitsrelevanter Kundenbedürfnisse gesehen wird oder in übergreifenden Bedürfnisbereichen, sei es im Feld problemverwandter Formen der Geld- und Vermögensanlage einschließlich der Vermittlung von Immobilien, sei es im beruflichen Bereich der Kunden. Eine solche strategische Grundsatzfrage kann allerdings nur im Zusammenhang mit dem zielgruppenspezifischen Fähigkeitspotential des Vermittlerunternehmens sowie den eingegangenen handelsrechtlichen Vereinbarungen mit den vertretenen Finanzdienstleistern getroffen werden. Die dritte Größe zur Marktabgrenzung, die Technologie, ist flir Absatzmittler, ungeachtet der großen Fortschritte der Informationstechnologie, im Gegensatz zu Herstellern von Sachgütern weniger zur Charakterisierung ihres Marktfeldes geeignet. Lediglich insoweit, als ein Absatzmittler besondere Beratungs-, Akquisitions- und Servicesoftewareprogramme flir seine Kunden bereithält und/oder zentrale Funktionen des Versicherungsinnendienstes zur schnelleren Abwicklung unmittelbar im Vermittlerunternehmen wahrnimmt, ist über den Technologieeinsatz eine ergänzende Marktabgrenzung denkbar. In enger Verbindung mit der Wahl des Marktfeldes steht die Entscheidung der Vermittlerunternehmen über den räumlichen Einzugsbereich, in dem die unternehmerische Betätigung stattfinden soll. Je nach den Gegebenheiten kann sie lokal, regional, national oder international ausgerichtet sein. Beispielsweise gehen viele Maklerunternehmen ins deutschsprachige Ausland (z.B. nach Österreich). Einen Sonderfall der Marktabgrenzung bildet die Diversifikation. Bei ihr dehnt ein Unternehmen parallel zum angestammten Marktfeld seine Aktivitäten auf neue, außerhalb des bisherigen Geschäftsfeldes liegende Bereiche aus. Anlässe flir einen solchen Schritt sind vielfach die damit erzielbare breitere Streuung des Risikos der Abhängigkeit von einem einzelnen Marktfeld sowie größere Wachstumschancen im Vergleich zum angestammten Markt. Im Rahmen der Diversifikation wird allgemein zwischen der horizontalen, der vertikalen und der lateralen Diversifikation unterschieden. Kennzeichnend flir die horizontale Diversifikation ist, daß die Marktausweitung auf der gleichen Wirtschaftsstufe erfolgt. Dies bedeutet beispielsweise, daß ein Vermittler auf der Dienstleistungsstufe bleibt und sich zusätzlich als Immobilienmakler betätigt. Eine vertikale Diversifikation liegt dagegen dann vor, wenn in vor- oder nachgelagerte Wirtschaftsstufen vorgestoßen wird. Die Gründung der MLP Lebensversicherung AG stellt z.B. eine solche Form der vertikalen (vorgelagerten) Diversifikation eines Maklerunternehmens dar. Die laterale Diversifikation hebt sich insoweit von den beiden anderen Formen ab, als bei ihr die neuen Aktivitäten in keinem sachlichen Zusammenhang zum herkömmlichen Tätigkeitsbereich stehen (z.B. Textilhandel). Nach der Entscheidung über das Marktfeld sowie das Marktareal gilt es, im strategischen Planungsprozeß Art und Umfang der Marktbearbeitung festzulegen. Es ist zu bestimmen, ob der Gesamtmarkt mit einer einzigen Marketingstrategie angesprochen werden soll (undifferenzierte Marketingstrategie) oder ob eine differenzierte Vorgehensweise für

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Teilmärkte gewählt wird. Bei der differenzierten Marketingstrategie wird der Gesamtmarkt in einzelne möglichst homogene Teilmärkte (Marktsegmente) aufgespalten. Die Unternehmen haben sich dabei zu entscheiden, wie viele Segmente sie bearbeiten wollen. Sie können zum einen ihre Aktivitäten als Nischenanbieter auf einige wenige Teilsegmente beschränken (sog. partielle Marktabdeckung) und zum anderen mehrere Teilsegmente, im Grenzfall den gesamten aufgespaltenen Markt, mit verschiedenen Marketingstrategien (sog. Multisegmentstrategien) bedienen. Dem Konzept der Marktsegmentierung liegt die Vorstellung zugrunde, kundenindividuell ausgerichtete Strategien zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen. Eine solche Vorgehensweise empfiehlt sich allenfalls bei wenigen bedeutsamen Großkunden. Aus diesen Erwägungen heraus wird der relevante Markt im Rahmen der Marktsegmentierung in einzelne möglichst homogene Marktsegmente, in Cluster bzw. Gruppen von Abnehmern, unterteilt. Als homogen wird ein Marktsegment betrachtet, wenn sich die selektierten Kunden im Hinblick auf ihre Bedarfsstruktur und ihr Nachfrageverhalten weitestgehend ähnlich sind, sich jedoch nach außen hin deutlich von den anderen Kundengruppen abheben. Zur Abgrenzung von Teilmärkten wurden verschiedene Ansätze entwickelt. Vereinfachend kann das Spektrum der Segmentierungskriterien auf drei Gruppen zurückgeführt werden: (1) Soziodemographische Kriterien (Geschlecht, Alter, Familienstand, Beruf, Kraftfahrzeug-Besitz, soziale Schicht, Einkommen, Ausbildung u.a.) (2) Psychologische Kriterien (Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen und Nutzenerwartungen u.a.) (3) Verhaltenskriterien (Preisverhalten, Präferenzen gegenüber Unternehmen u.a.). Die soziodemographischen Kriterien gehören in der Versicherungswirtschaft zu den klassischen Kriterien. Durch Kombination verschiedener Merkmale, wie z.B. Alter, Beruf, Familienstand und Haushaltsgröße, können Kernzielgruppen gebildet werden. Auf die soziodemographischen Merkmale wird insbesondere deshalb gern zurückgegriffen, weil sie einerseits relativ leicht zu ermitteln sind und weil die versicherungsspezifischen Bedürfnisse andererseits mit ihnen eng korreliert sind. Ihr Aussagegehalt läßt sich in Verbindung mit dem Lebenszykluskonzept noch steigern. Diese Konzeption baut auf Gesetzmäßigkeiten im Nachfrageverhalten auf, die mit dem Kunden- bzw. Produktlebenszyklus zusammenhängen (vgl. Kurtenbach/Kühlmann/Käßer-Pawelka, 1995, 111). Diesen Vorteilen der soziodemographischen Segmentierungskriterien steht der Nachteil gegenüber, daß sie keine Aussagen über die Produktpräferenzen als kaufentscheidende Größe erlauben. Die psychologischen Kriterien setzen dagegen an dieser Stelle an. Sie bilden gewissermaßen die Fortführung der soziodemographischen Segmentierung, indem sie bei den subjektiv vom Kunden erlebten Eigenschaften einer Dienstleistung bzw. eines Sachproduktes ansetzen und deren Nutzenerwartungen miteinbeziehen. Dem Aussagegehalt dieser zweiten Gruppe von Segmentierungskriterien über die Nutzenvorstellungen der Kunden steht jedoch der nicht unbeachtliche Nachteil gegenüber, daß sie schwer zu erfassen sind. Hinzu kommt, daß Einstellungen und Motive im Zeitablauf einem Wandel unterworfen sind. Die dritte Gruppe der verhaltensrelevanten Kriterien zur Marktseg-

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mentierung zeichnet sich gegenüber den psychologischen Kriterien vor allem durch ihre leichtere Erfaßbarkeit aus. Beispielhaft genannt für diese Gruppe sei eine Segmentierung der Kunden nach der Dauer der Kundenbindung und/oder nach den getätigten Umsätzen. Mit beiden Kriterien wird im Bankensektor verstärkt gearbeitet. Die Vor- und Nachteile der erörterten Segmentierungsansätze haben zur Ausbildung eines ganzheitlichen Ansatzes, zu dem sog. Life-style-Konzept gefuhrt. Es stellt eine Kombination der drei Kriteriengruppen dar. Dabei geht es davon aus, daß der Lebensstil, d.h. die spezifische Orientierung einer Person oder einer Gruppe im Hinblick auf ihr Konsum-, Arbeits- und Freizeitverhalten, konkretere Anhaltspunkte über Dienstleistungs- bzw. Produktpräferenzen gibt. Als Teilmarkt ließe sich so z.B. die Gruppe der sog. "WOOPIES" (well off older people) oder die der sog. "SKIPPIES" (School kids with income purchasing power) grob umschreiben. Kritisch anzumerken ist jedoch auch bei diesem Ansatz, daß, abgesehen von dem Problem der Erfaßbarkeit, das Verhalten der sog. hybriden Kunden, d.h. der in ihrem Verhalten gespaltenen Kunden, nicht berücksichtigt wird. Unabdingbare Grundlage für jede Form der Marktsegmentierung ist ein solides, statistisch abgesichertes Fundament an Kerndaten über den relevanten Markt und das jeweilige Marktpotential sowie den spezifischen Kundenstamm des Absatzmittlers. Aufbauend auf dem Datenfundament einer strategischen Situationsanalyse gilt es dann abzuwägen, welche Segmente im Hinblick auf ihre Ergiebigkeit und ihre Entwicklungschancen die besten Möglichkeiten bieten. Das zielgruppenspezifische Know-how des Vermittlerunternehmens, seine Finanzkraft, sein Mitarbeiterpotential sowie die Eignung der vertretenen Dienstleistungspalette spielen dabei eine große Rolle. Angesichts der gegenüber Versicherungsunternehmen begrenzten Ressourcen, mit denen Vermittlerunternehmen zumeist aufwarten können, ist überwiegend eine partielle, d.h. eine auf wenige Zielgruppen beschränkte Teilmarktstrategie angezeigt. Eine strategische Entscheidung mit weitreichenden Folgen ist die Frage, welche Schwerpunkte in der Leistungsgestaltung gebildet werden sollen, mit anderen Worten, welche Leistungsinhalte primär im Vordergrund stehen sollen. Grundsätzlich lassen sich zwei Ansätze unterscheiden. Die Leistungsprofilierung kann zum einen über eine sogenannte Preis-Mengen-Strategie erfolgen, zum anderen über eine sogenannte Präferenzstrategie. Im Mittelpunkt der Preis-Mengen-Strategie steht dabei der Preis als herausragendes Leistungs- und Beurteilungskriterium. Je niedriger der Preis bei gleicher Leistungsqualität ist, desto größer werden im Rahmen dieser Strategie die Wettbewerbschancen eingestuft. Diese Marketingstrategie, die auf der Attraktivität eines niedrigen Preises in Verbindung mit einer hohen Markttransparenz der Kunden aufbaut, erfordert im zu vermittelnden Dienstleistungsprodukt ebenso wie im betrieblichen Ablauf des Vermittlerunternehmens einen hohen Standardisierungsgrad und, last but not least, den Status eines ungebundenen Vermittlers. In Abbildung 5 sind mit dieser Strategie für Vermittlerunternehmen verbundene Anforderungen aufgeführt.

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Das Gegenstück zu der primär preisorientierten Marketingstrategie bildet die Präferenzstrategie. Sie setzt an den nichtpreislichen Elementen, im wesentlichen am Service als Leistungskern, zur Wettbewerbsprofilierung an. Die marketingpolitischen Herausforderungen an die zu vermittelnden Dienstleistungen und an die speziellen produktbegleitenden sowie produktergänzenden Serviceleistungen sind bei dieser Ausrichtung allerdings ungleich größer als bei einer Preis-Mengen-Strategie. Andererseits eröffnet die Präferenzstrategie dem Absatzmittler mehr Chancen, sich gegenüber Mitwettbewerbern positiv im Markt abzuheben.

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Mehr Kunden) nutzen bei / gleichem Preis

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Sortiments/ gestaltung

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Hoher Beratungsservice mit maßgeschneiderten Diensüeistungen für höhere / mittlere Einkommen

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Individuelle Kundenausrichtung / anspruchsvolle Beratung und Betreuung durch Kundenfachmann

Wettbewerbsausrichtung

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Hohe Indentifikation Hohe Kündender Berater mit freundlichkeit, d.h. Kunden durch • Lfd. intensive BeFachberater, d.h. treuung u. Pflege Kunden- und Fachder KundenverKnow-How bindung • aktuelle Kundenauskünfte • Persönl. Ansprache • Abrechnungstechn. Sevice • Kundengruppenspezifischer Informationsdienst • Reibungslose u. prompte Bearbeitung aller Vertragsangelegenheiten Anspruchsvolle EDV-Unterstützung

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Mehr Kunden\ ) nutzen durch \ niedrigere Preise m

Beratungsarme Billig-PreisProdukte

Standardisierte Beratung / Lückenanalyse

Mengenorientierte Ausrichtung / EDV-Briefaktionen

Solide Kenntnisse in Standardsparten

Hoher Standardisierungsgrad von Verwaltung und Vertrieb durch EDV

Abb. 5: Strategische Ansatzpunkte zur Leistungsausrichtung

Zu diesen Wettbewerbern zählt das Feld der Konkurrenten aus den eigenen Reihen wie das der Direktversicherer, die ohne Einschaltung dezentraler Absatzorgane direkt an den Kunden herantreten und mit dem Preisvorteil werben, daß sie ohne kostenaufwendige Vermittlerdienste arbeiten. Die Entscheidung eines Vermittlerunternehmens, welche Leistungsstrategie im einzelnen verfolgt werden soll, hängt, abgesehen vom zielgruppenspezifischen Know-how sowie den finanziellen Ressourcen des Vermittlers und der generellen Eignung der zu vermittelnden Dienstleistungen, entscheidend von den eingegangenen rechtlichen Vereinbarungen mit den vertretenen Unternehmen ab.

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Im Gegensatz zur Leistungsstrategie, in deren Mittelpunkt die Kunden und ihre Bedürfnisse stehen, liegt der Fokus bei den Wettbewerbsstrategien auf dem Verhalten gegenüber den Konkurrenten im Markt. Nach der Stellung im Markt und dem Rollenverständnis gegenüber den Wettbewerbern unterscheiden Kotler/Bliemel (1992, 359 f.) die folgenden vier Grundformen eines Wettberbsverhaltens: (1) (2) (3) (4)

Marktfuhrer Herausforderer Mitläufer Nischenbesetzer.

Unternehmen, die von ihren Konkurrenten als Marktfuhrer angesehen werden, müssen damit rechnen, daß sie beispielsweise durch Zusammenschluß größerer Wettbewerber herausgefordert oder daß ihre strategischen Erfolgsfaktoren vom Marktfeld kopiert werden. Marktfuhrer sind deshalb ständig gefordert, Aktivitäten zur Positionsabsicherung bzw. -erweiterung zu unternehmen. Als besonders chancenreich erweist sich für sie eine Erweiterung des Gesamtmarktfeldes, weil sie bei dieser Ausrichtung gegenüber einer Verteidigung oder einer Erweiterung ihres Marktanteils als Marktfuhrer am meisten von einem erhöhten Absatzvolumen auf dem Gesamtmarkt profitieren. Unternehmen, die im Markt nach dem Marktfuhrer das Spitzenfeld bilden, können als Herausforder auf eine Angriffsstrategie, wie beispielsweise Direktangriff, Flankenangriff, UmzingelungsangrifF, oder auf eine Guerilla-Taktik setzen. Vermittlerunternehmen, die als Herausforderer antreten, sollten jedoch stets bedenken, daß sie mit dieser Konkurrenzstrategie unmittelbare Gegenreaktionen der Wettbewerber provozieren. Ihre Wettbewerbsvorteile müssen deshalb ebenso wie ihre Ressourcen stark ausgeprägt sein. Ganz anders verhält es sich dagegen bei der Mitläuferstrategie. Sie wird vielfach aufgegriffen, wenn die Chancen für einen Machtkampf mit dem Marktfuhrer oder mit dem nachgelagerten Spitzenfeld aufgrund geringer Wettbewerbsvorteile sowie eng begrenzter finanzieller Rahmenbedingungen wenig erfolgversprechend sind. Unter diesen Gegebenheiten ist es sinnvoller, die Fähigkeiten durch Nachahmung zentraler Erfolgsparameter der Konkurrenten darauf zu konzentrieren, aktiv an der Marktentwicklung teilzunehmen. Die Mitläuferstrategie ist somit keine „Laissez faire"-Strategie. Sie kann deshalb auch im Vergleich zum Marktfuhrer oder den unmittelbar danach angesiedelten größeren Unternehmen durchaus zu einer höheren Kapitalrendite fuhren (vgl. Kotler/Bliemel, 1992, 376). Die Nischenstrategie als Konkurrenzstrategie ist auf einen speziellen Teilmarkt fixiert, in dem wenig Aktivitäten der Konkurrenz erwartet werden. Durch Spezialisierung können sich auch kleine Nischenbesetzer erfolgreich im Markt behaupten. Zu beachten ist allerdings, daß Nischenbesetzer das Schicksal ihrer ausgewählten Marktnische teilen. Die Marktnischenwahl ist deshalb sehr sorgfältig im Hinblick auf das zukünftige Wachstumspotential der Nische sowie deren Anfälligkeit gegenüber Marktschwankungen vorzunehmen. Eine Ausrichtung auf eine einzige Marktnische stellt unter der wachsenden Dynamik und Komplexität der Umwelt ein erhebliches Risiko dar. Es ist deshalb i.d.R. vorteilhafter, das Risiko durch eine Mehr-Nischen-Strategie stärker einzudämmen.

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Während die bisher erörterten Marketingstrategien im wesentlichen auf das Marktfeld sowie die Leistungs- und Verhaltensdimensionen abzielten, ist die Kommunikationsstrategie auf die Leistungsdarstellung ausgerichtet Im Zeichen einer wachsenden Informationsüberlastung der Kunden sieht sich die Marktkommunikation wachsenden Anforderungen gegenüber, von der umworbenen Zielgruppe wahrgenommen zu werden (vgl. Kroeber-Riel, 1988, 182). Angesichts der nachlassenden Werbewirksamkeit ist eine integrierte, alle Instrumente umfassende Kommunikation für einen einheitlichen Auftritt im Markt, d.h. eine klare Corporate Identity-Strategie, unverzichtbar (vgl. Kroeber-Riel, 1993, 2 ff.). Dabei gilt es festzulegen, welche der folgenden strategischen Grundausrichtungen für eine Corporate Identity-Politik verfolgt werden soll: (1) Eigenständige Corporate Identity (2) Übernahme der Corporate Identity-Strategie der vertretenen Dienstleister (Versicherer) bei Ausschließlichkeitsvermittlern (3) Gemeinsame Corporate Identity-Strategie (Versicherer und Vermittler unter einem Dach). Die Entscheidung darüber, welche der drei Kommunikationsstrategien für ein Vermittlerunternehmen am vorteilhaftesten ist, hängt zum einen vom Grad der eingegangenen Vereinbarungen mit dem oder den vertretenen Unternehmen und zum anderen von der Attraktivität des vermittlerspezifischen Leistungsprofils ab. Die Rolle eines Auschließlichkeitsvermittlers ist so z.B. mit einer gänzlich vermittlerorientierten, eigenständigen Selbstdarstellung nicht vereinbar. Mehr Freiraum für einen eigenständigen kommunikationspolitischen Auftritt im Markt haben dagegen Mehrfachvermittler. Gänzlich frei in ihrer strategischen Ausrichtung sind Versicherungsmakler. Als "Bundesgenosse des Versicherungsnehmers" legen sie ihre Corporate Identity-Strategie in eigener Regie nach ihren individuellen Zielen fest. Sie sind somit durch ihren Grundauftrag der vorrangigen Wahrnehmung der Interessen der Versicherungsnehmer auf die Option einer eigenständigen Corporate Identity-Strategie fixiert. Diese sollte als Kernbotschaft den Wettbewerbsvorteil der Kunden durch die Unabhängigkeit gegenüber Versicherungsunternehmen herausstellen. Bei einem gemeinsamen Kommunikationsauftritt, wie dies insbesondere bei Ausschließlichkeitsvermittlern die Regel ist, sollte darauf geachtet werden, daß der Leitbildcharakter des Vermittlungsunternehmens zwar im Einklang mit der Corporate Identity-Politik des vertretenen Unternehmens steht, sich andererseits aber auch deutlich genug vom Kreis der Vermittler abhebt, die ebenfalls für die gleichen Unternehmen vermittelnd tätig sind. Die im schematischen Ablauf letzte Dimension der Strategiewahl bildet die Distributionsstrategie. In ihrem Mittelpunkt steht die Marketing-Entscheidung, welche Organe im Vermittlerunternehmen Absatzfunktionen übernehmen sollen. Wie in Abbildung 6 ausgewiesen wird, können je nach dem Grad der rechtlichen Weisungsgebundenheit sowie der Spezialisierung auf die Vertriebsfünktion vier Grundformen der Wahrnehmung von Vertriebsfunktionen im Vermittlerunternehmen unterschieden werden. In kleineren Vermittlerunternehmen erfolgt der Vertrieb zumeist über angestellte Mitarbeiter, die zugleich noch mit Innendienstaufgaben betraut sind. Größere Absatzmittlerunternehmen können sich dagegen die Vorteile einer stärkeren Arbeitsteilung durch den

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schwerpunktmäßigen Einsatz von Angestellten im Vertrieb erschließen. Häufig arbeiten Vermittlerunternehmen auch mit Untervertretern zusammen. Über sie erreichen sie oft neue Kundengruppen. Zugleich erreichen sie bei einem nach der Prämienhöhe gestaffelten Provisionssystem durch Einschaltung von Untervermittlern schneller höhere Provisionssätze. Rechtliche Abhängigkeit gegenüber Vermittlerunternehmen VertriebsSpezialisierung

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Angestellte Mitarbeiter

Selbständige Aussendienstmitarbeiter

Vertrieb als Teilfunktion

Angestellte im Innen- und Aussendienst

• nebenberufliche Vermittler • Kooperationspartner

Vertrieb als Hauptfunktion

Angestellte Im Aussendienst

hauptberufliche Untervertreter

Abb. 6: Grundformen der Wahrnehmung der Vertriebsfunktion

Während die Gruppe der nebenberuflichen Vermittler überwiegend die Funktion eines sog. „Türöffhers" wahrnimmt, d.h. zumeist noch ergänzender Verkaufsunterstützung bedarf, akquirieren hauptberufliche „Untervertreter" in eigener Regie. Neben dem bereits angesprochenen Vorteil höherer Provisionssätze durch Aufrücken in eine vorteilhaftere Provisionsstufe kann sich ein Vermittlerunternehmen durch hauptberuflich mit Akquisitionsaufgaben beauftragte Mitarbeiter zusätzlich die Vorteile einer größeren Spezialisierung und damit einer besseren Abschlußquote sowie einer stärkeren Kundenbindung erschließen. Zugleich wird die mit wachsendem EDV-Einsatz steigende Fixkostenbelastung durch die Verteilung auf ein höheres Prämienvolumen für den Vermittlerbetrieb leichter tragbar. Mitunter arbeiten Vermittler auch mit sog. Kooperationspartnern zusammen, d.h. mit Branchenkollegen, deren Vermittlungspalette sich gegenseitig ergänzt, oder mit branchenfremden Anbietern, die im sogenannten Annexvertrieb zu ihrem Grundsortiment noch zusätzlich Versicherungen vermitteln. Zu dieser Gruppe der hauptberuflichen selbständigen Vermittlungskräfte, die jedoch nur in Teilfunktion Vertrieb saufgaben wahrnehmen, gehören auch Kfz-Händler, die schwerpunktmäßig Kraftfahrzeugversicherungen vermitteln. Einen Sonderfall bildet schließlich noch die Auslagerung der Akquisitionsfunktion auf rechtlich eigenständige Unternehmen, sogenannte Vertriebsgesellschaften. Ihr Schwergewicht liegt überwiegend in der Vermittlung weniger zielgruppenspezifisch ausgelegter Versicherungspakete.

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(2) Strategische Erfolgsplanung. Der unternehmerische Erfolg der einzelnen strategischen Optionen hängt von zahlreichen unternehmensinternen wie -externen Gegebenheiten ab. Allgemeingültige Aussagen sind deshalb nicht möglich. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbsdrucks im immer enger werdenden deregulierten Markt wird den Vermittlerunternehmen eine zunehmend größere Erfolgsorientierung abverlangt. Es ist deshalb wichtig, daß Vermittlungsunternehmen über eine zielgruppenorientiert angelegte Erfolgsrechnung verfugen. Sie gründet auf den zur Umsetzung der gewählten Strategien erforderlichen Maßnahmen. Diese Maßnahmen beziehen sich insbesondere auf folgende Fragestellungen: • Welche Kunden-/Zielgruppen sollen verstärkt akquiriert werden (welche Alters- oder Berufsgruppen etc.)? • Welche Produkte sollen den verschiedenen Kundengruppen in welcher Reihenfolge und in welchen Zeitintervallen vermittelt werden? • Wie soll das zur Verfügung stehende Zeitpotential auf die Neukundenakquisition, die Betreuung von Bestandskunden sowie die Wahrnehmung von allgemeinen Verwaltungsaufgaben verteilt werden, und wie soll das Zeitpotential auf die einzelnen Kundengruppen zur Sicherung einer möglichst hohen Ertragsausschöpfung aufgeteilt werden? • Soll zusätzliches Personal eingesetzt werden, um die auf dem Markt bestehenden Akquisitionspotentiale angemessen auszuschöpfen? Eine den Interessen eines Vermittlerunternehmens angepaßte Erfolgsrechnung mit relativ schnell zu generierenden Informationen zur Entscheidungsfindung hinsichtlich der oben genannten Fragestellungen ist dabei unerläßlich. Eine Agenturerfolgsrechnung, bestehend aus einer strategischen Kostenrechnung sowie einer strategischen Erlösrechnung, ermöglicht Vermittlerunternehmen eine qualifizierte Analyse und Prognose des Erfolgs (vgl. Weber, 1992, 6 f.). Im Mittelpunkt eines solchen strategischen Agenturcontrolling steht die Koordination der Planung sowie der Kontrolle des Erfolgs in strategisch-langfristiger Sicht (vgl. Weber, 1997, Ziff. 7.2). In einem Kleinbetrieb, wie ihn die Mehrzahl der Vermittlerunternehmen repräsentiert, ist die angesprochene Controllingaufgabe selbstverständlich nicht einer eigens dafür eingestellten Person zu übertragen; sie ist vielmehr von den Agenturinhabern selbst wahrzunehmen oder externen Beratern zu übertragen (vgl. Horväth/Weber, 1990, 313 ff). Nachfolgend werden die zentralen Elemente einer Agenturerfolgsrechnung, die strategische Kostenrechnung und die strategische Erlösrechnung, skizziert. Im Rahmen einer strategisch ausgerichteten Kostenrechnung sind aus der Buchhaltung zuerst die Salden aller in der Agentur anfallenden Kostenarten zu entnehmen und in relevante Hauptkostenarten zu aggregieren. Der Anteil dieser Kostenarten an den Gesamteinnahmen einer Agentur ist sehr stark von deren Größe abhängig. Die Kostenanteile nehmen aber bei wachsender Agenturgröße in ihrer Höhe nicht unbedingt zu: Beispielsweise fällt der Reisekosten-, der Kfz-Kosten- und Mietkostenanteil an den gesamten Agenturkosten bei steigendem Prämienvolumen. Diesen Zusammenhang zeigt Abbildung 7 (basierend auf Zahlen des bvk in Bonn). Das unterschiedliche Verhalten einzelner Kostenarten ist deshalb in der strategischen Planung zu berücksichtigen.

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Die Beträge der einzelnen Kostenarten sind anteilig auf die verschiedenen Tätigkeitsfelder der Agentur zu verteilen. Dies sind in erster Linie: • Die Akquisition von neuen Kunden (Neukundengeschäft). • Die Akquisition im Bestand und die Betreuung von Kunden, die mindestens einen Vertrag bei der Agentur abgeschlossen haben (Bestandspflege). • Die internen Verwaltungsaufgaben, die nicht den beiden anderen Tätigkeitsfeldern zurechenbar sind. Daraus ergeben sich die periodenbezogenen Kosten einer Tätigkeitsart (vgl. Abbildung 9). Diese Kosten sind nun auf die verschiedenen vom Vermittlerunternehmen vertretenen Sparten (beispielsweise Lebens-, Kranken-, Kfz-Versicherung) zuzurechen. Eine derartige Zurechnung allein gibt jedoch noch keine hinreichenden Anhaltspunkte zur Erfolgssituation und zu den Chancen der Agentur. Es ist zusätzlich erforderlich, die Kosten auf verschiedene Kundengruppen (z.B. nach Alter, Berufsgruppe oder Geschlecht spezifiziert) zuzurechen. Das heißt, es muß ein Weg gefunden werden, wie sich beispielsweise die Kosten für die Akquisition eines Krankenversicherungsvertrags bei einer dreißigjährigen weiblichen Führungskraft im Rahmen des Neukundengeschäfts bestimmen lassen (vgl. Abb. 11 bis 13). Eine Möglichkeit hierzu stellt der Ansatz dar, die Kosten über den Zeitaufwand, der für einen solchen Vertragsabschluß entsteht, zu bestimmen (vgl. Abb. 11). Dabei kann wohl auf eine Unterscheidung in beschäftigungsfixe und beschäftigungsvariable Kosten verzichtet werden. Der Grund hierfür liegt zum einen darin, daß es sich hier um eine strategisch-langfristig orientierte Kostenrechnung mit einem Zeithorizont handelt, innerhalb dessen praktisch alle Kosten veränderlich sind. Zum anderen fallen in einer Agentur fast keine beschäftigungsvariablen Kosten an. Damit ist es gerechtfertigt, Vollkostensätze je Zeiteinheit (DM je Stunde) oder je Leistungseinheit (DM je Vetragsabschluß) zu bestimmen und diese als relevante Information heranzuziehen. Eine derart gestaltete Kostenzurechnung setzt eine entsprechende Zeitbedarfsanalyse voraus. Erst dann können die Kosten auf die einzelnen Zurechnungsobjekte verrechnet werden. Die Erfassung des Zeitbedarfs, aufgefächert nach den drei zentralen Tätigkeitsfeldern, stellt eine wichtige Schlüsselinformation dar. Dabei stellt sich allerdings das Problem, wie die zeitliche Verteilung hinreichend verursachungsgerecht ermittelt werden kann, ohne ein Vermittlerunternehmen mit zeitaufwendigen Verwaltungsaufgaben zu belasten, deren Aufwand in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu dem daraus resultierenden Nutzen steht. Ein praktikabler Weg, das heißt eine wirtschaftlich vertretbare Lösung, stellt die Vorgehensweise dar, die in Abbildung 11 aufgezeigt wird. In der Praxis kommt hier nur eine Schätzung in Frage, da genaue Aufzeichnungen über den Zeitbedarf in den Vermittlerunternehmen bislang nicht vorliegen und wohl auch nie vorliegen werden. Bei einer möglichst präzisen Erfassung der zur Erstellung der Agenturleistung effektiv eingesetzten Personalkapazität sind selbstverständlich auch unproduktive Zeiten (Krankheit, Aus- und Weiterbildung, Tagungen etc.) zu berücksichtigen. Die ermittelten, effektiv zur Leistungserstellung verfugbaren Stunden sind gleichzeitig auf die verschiedenen Kundengruppen (beispielsweise nach Alter, Berufsgruppe, Geschlecht spezifiziert) sowie auf verschiedene Sparten oder Produkte zu verteilen.

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Es ist zu beachten, daß die Kostenrechnung nicht nur auf der Grundlage von Vergangenheitszahlen vorzunehmen ist, da sie sonst auf der Stufe einer traditionellen Nachkalkulation stehen bleibt. Die Kostenrechnung ist auch als Vorschaurechnung durchzufuhren. Dabei ist zum einen abzuschätzen, wie sich die Kostensituation des Vermittlerunternehmens voraussichtlich entwickelt, wenn die strategische Ausrichtung nicht geändert wird. Zum anderen ist zu ermitteln, wie sich die Kosten bei alternativen strategischen Optionen voraussichtlich verändern werden. Die im Rahmen einer strategisch-langfristig ausgerichteten Kostenrechnung erforderlichen Überlegungen sind aber weit anspruchsvoller. Sie fordern Rechnungsansätze, die geeignet sind, die über die durchschnittliche Laufzeit eines Versicherungsvertrags (über alle Vertragsverlängerungen hinweg) oder über die gesamte Kundenbindungsdauer anfallenden Kosten zu bestimmen. Erst dann ist einigermaßen gewährleistet, daß ein Vermittler nicht nur die kurzfristig erzielbare Abschlußprovision eines Vertragsabschlusses ins Kalkül zieht. So kann ihm anhand der Kosten und der entsprechenden noch zu bestimmenden Provisionserlöse über die gesamte Kundenbindung hinweg gezeigt werden, wie sich ein über die gesamte Vertragslaufzeit verlustbringender Vertrag (beispielsweise Kfz-Versicherung bei Jugendlichen) über rentable Anschlußversicherungen (beispielsweise Lebensversicherungen) als vorteilhaft erweisen kann. Eine strategisch-langfristige Erfolgsrechnung sollte in der Lage sein, die Erfolgswirksamkeit der zentralen strategischen Aktivitäten abzuschätzen. Dies setzt aber voraus, daß eine geeignete Dokumentation der früheren Vertriebsaktivitäten sowie eine detaillierte Planung der mittel- und langfristig angestrebten Akquisitionsbemühungen vorliegt. Aus der Analyse der früheren Vertriebsaktivitäten ist der anfallende Aufwand zu ermitteln, der jeweils zur Betreuung und zur Akquisition eines Vertrags über dessen gesamte Laufzeit, über alle Verlängerungen hinweg, entstanden ist. Dabei ist wiederum ins Kalkül zu ziehen, daß jede Kundengruppe und jede Versicherungssparte einen unterschiedlichen Akquisitions- und Betreuungsaufwand je Vertrag verursacht. Diese vergangenheitsbezogene Analyse ist nun durch geeignete Abschätzungen der zu erwartenden Wirkungen strategischen Handelns auf die Aufwands- und Ertragsstruktur der Agentur zu projizieren. Die strategische Projektion der langfristigen Kostenkonsequenzen einer Agentur erfordert eine sorgfältige Aufbereitung der angestrebten Vertriebs- und Betreuungsaktivitäten. Dabei ist nach Kundengruppen, Produkten/Sparten, Perioden und Verträgen zu unterscheiden. Auf der Grundlage dieser Planung kann eine Abschätzung des zu erwartenden Aufwands der Agentur für Akquisition und/oder Betreuung neuer Kunden, neuer Einzelverträge sowie je Zeiteinheit vorgenommen werden. Mit diesem Ansatz der Bewertung der langfristigen Kundenverbindung wird das kurzfristig abschlußorientierte Produktionsdenken überwunden. Im Sinne der strategischen Ausrichtung am Ziel der Kundenorientierung folgt die Forderung nach einer Berechnung des Erfolgs einer Kundenbeziehung über die gesamte Kundenbindungsdauer hinweg.

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Bei der Ermittlung des kundenbezogenen Gewinnpotentials über die Gesamtdauer der Kundenverbindung sind folgende Größen zu berücksichtigen: • Geschätzte Kosten und Erlöse aus den bestehenden Verträgen • Gewinne aus sich anbahnenden, zukünftigen Verträgen • Gewinne aus der Dynamisierung von Verträgen • Mögliche Stornierungen von Verträgen durch die Kunden • Einsparungen aufgrund geringerer Verwaltungs- und Abschlußkosten bei Akquisition im Bestand • Gewinne aufgrund von Weiterempfehlungen. Dies erfordert eine Abschätzung des über die voraussichtliche Bindungsdauer eines Kunden (als Teil einer Kundengruppe) zu erwartenden Akquisitions- und Betreuungsaufwands. Ein einfaches Beispiel hierzu geben Abbildungen 11 bis 14. Dabei ist zu beachten, daß der Kunde über die Kundenbindungsdauer hinweg ein wechselndes Portfolio von Verträgen hält, die jeweils wiederum eine produktspezifische Gesamtlaufzeit über alle Vertragsverlängerungen hinweg aufweisen. Im Rahmen einer strategischen Erfolgsrechnung ist der dem langfristig zu erwartenden Agenturaufwand gegenüberstehende Erlös der Agentur zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, daß der Erfolg eines Vermittlerunternehmens, analog zu dessen Kostenstruktur, sehr stark von der Größe des Vermittlerbetriebes geprägt wird. Diesen Zusammenhang veranschaulicht Abbildung 8 (anhand von Zahlen des bvk, Bonn). Im Rahmen einer agenturspezifischen, strategisch-langfristig ausgerichteten Erlösrechnung ist zu versuchen, die zu erwartenden Provisionseinnahmen je Kunde, je Kundengruppe, je Vertrag, je Sparte und je Periode zu bestimmen. Dabei ergeben sich, analog zur strategischen Kostenabschätzung, Prognose- und Zurechnungsprobleme. Auch hier sind insbesondere Änderungen der Abschluß- und der Folgeprovisionen, der Stornoquoten sowie nachträglich von der vertretenen Versicherungsgesellschaft erhaltene Bonifikationen als in langfristiger Perspektive schwer planbare Größen zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 10). Auf der Grundlage der strategischen Erlös- und Kostenplanung kann nun der langfristige Erfolg je Zurechnungseinheit abgeschätzt werden (vgl. auch das vereinfachende Beispiel in den Abb. 11 bis 14). Hierbei sind insbesondere folgende Erfolgsarten von Bedeutung: •

Erfolg je Zeiteinheit einerAkquisitionsleistung (Jahre, Monate, Stunden): - Erfolg je Kundengruppe (über deren mittlere Bindungsdauer hinweg beurteilt und auf die jeweiligen Zeiteinheiten heruntergebrochen) nach Sparten gegliedert. - Erfolg je Sparte (über die mittlere Vertragslaufzeit hinweg beurteilt und auf die jeweiligen Zeiteinheiten heruntergebrochen) nach Kundengruppen gegliedert.

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• Erfolg je Vertrag (über dessen Gesamtlaufzeit inklusive Verlängerungen): - Erfolg je Kundengruppe (über deren mittlere Bindungsdauer hinweg beurteilt) nach Sparten gegliedert. - Erfolg je Sparte (über die mittlere Vertragslaufzeit hinweg beurteilt) nach Kundengruppen gegliedert. Mit diesen Werten je Zurechnungseinheit können strategisch orientierte Entscheidungen aus der Erfolgsrechnung abgeleitet werden: Ein Vermittlerunternehmen kann dieser Rechnung beispielsweise entnehmen, daß die Akquisition eines Krankenversicherungsvertrags bei einer dreißigjährigen weiblichen Angestellten im Rahmen des Neukundengeschäfts aus strategisch-langfristiger Sicht voraussichtlich ertragreicher ist als der Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages bei einem 40 Jahre alten Architekten. Wie eine solche Kundengruppenerfolgsrechnung ansatzweise ausgestaltet sein könnte, sollen die folgenden Abbildungen skizzieren. • In den Abbildungen 9 und 10 werden grundlegende Daten zur Kostenstruktur (nach Kostenarten und Tätigkeitsarten getrennt), zur Bestandsstruktur, zur Provisionsstruktur sowie zur Personalkapazität aufbereitet. • In Abbildung 11 wird eine zweidimensionale Strukturierung der Kunden-/ Zielgruppen vorgenommen. Es erfolgt hier eine Unterscheidung in Berufs-/ Tätigkeitsfelder sowie in Alters-/Familienstandsklassen der Kunden. Dabei wird auch die mittlere Vertragslaufzeit je Sparte und Kundengruppe sowie die mittlere Kundenbindungsdauer je Kundengruppe erfaßt. Gleichzeitig wird ermittelt, wieviele Vertragsverlängerungen je Sparte und Kundengruppe über die gesamte mögliche Kundenbindungsdauer hinweg möglich sind und ob auch eine entsprechende Provisionierung der Verlängerungsabschlüsse gegeben ist. • In Abbildung 11 werden der kundengruppenspezifische Zeitaufwand sowie die jeweils relevante Anzahl neu abgeschlossener oder im Bestand befindlicher Verträge festgehalten. Dabei wird nach Neukundengeschäft (Akquisition von neuen Kunden), Bestandskundengeschäft ( Akquisition weiterer Verträge bei Kunden im Bestand) sowie allgemeiner Büro- und Verwaltungstätigkeit unterschieden. Im Rahmen des Beispiels wird der Kosten- und Zeitaufwand für stornierte Verträge in vereinfachender Weise auf die dauerhaft im Bestand verbleibenden Verträge über alle Sparten und Kundengruppen gleichmäßig verteilt. Eine genauere Rechnung müßte kundengruppen- und spartenspezifische Stornoquoten berücksichtigen. Dies setzt aber auch die Möglichkeit der Vorhersage zukünftig zu erwartender Stornoquoten voraus, was aufgrund des suboptimalen Informationsstandes vieler Vermittlerbetriebe bislang als kaum realisierbar erscheint. • In den Abbildungen 12 und 13 wird der Erfolg je abgeschlossenem Versicherungsvertrag über die gesamte Kundenbindungsdauer bestimmt. Dabei wird die kundengruppen- und spartenspezifische Differenz zwischen den zu erwartenden Provisionseinnahmen und den entsprechenden Kosten zum Abschluß und zur Betreuung des Vertrages berechnet. Auch hier wird wiederum zwi-

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sehen Verträgen bei Neukunden und bei Bestandskunden unterschieden. Im Rahmen der Erfolgsermittlung werden die aufgrund von Dynamikvereinbarungen in den Verträgen zu erwartenden Provisionserträge gleichmäßig über alle im Bestand befindlichen Verträge (über alle Sparten und Kundengruppen) verteilt. Eine genauere Rechnung müßte kundengruppen- und spartenspezifische Dynamisierungsvereinbarungen berücksichtigen. Dies setzt aber wiederum detaillierte Kenntnisse agenturspezifischer Dynamisierungsvereinbarungen voraus, die aufgrund des auch in dieser Hinsicht unbefriedigenden Informationsstandes vieler Vermittlerbetriebe nur selten zu erwarten sind. •

In Abbildung 14 wird die Bestimmung des agenturspezifischen Erfolgsbeitrags einer Kundengruppe, unterschieden nach Alters-/Familienstandsklassen und Berufsständen, skizziert. Als Grundlage dient eine Erhebung darüber, welcher Berufsstand in welcher Altersphase in welcher Versicherungssparte welche Verträge zeichnet. Unter Einbezug möglicher Folgeverträge, die der Vermittler bei diesem Kunden in späteren Jahren typischerweise abschließen wird, kann ein kundengruppenspezifischer Erfolg für die Akquisition neuer Kunden abgeschätzt werden. Man verfugt damit ansatzweise über eine Möglichkeit, den Erfolg einer Kundenverbindung zu ermitteln.

Mit den für die gesamte Dauer einer Kundenverbindung ermittelten kundengruppenspezifischen Erfolgswerten je Vertrag und je Versicherungssparte liegen die Schlüsselinformationen zur erfolgsorientierten strategischen Ausrichtung eines Vermittlerunternehmens vor. Sie geben unter anderem Aufschluß über die folgenden zentralen Fragestellungen der Unternehmenssteuerung: • Welche Kundengruppen weisen über die gesamte Dauer der Kundenverbindung das größte Erfolgspotential auf? • Welche Bestandskundengruppen sollten mit welchen Produkten in welchen Altersklassen angesprochen werden? • Welche Neukundengruppen sollten in welcher Altersklasse mit welchen Produkten angesprochen werden? • Welche Produktionsanforderungen sollte ein neuer Außendienstmitarbeiter in Abhängigkeit von seiner geplanten Zielgruppenausrichtung erfüllen? Ungeachtet des strategischen Stellenwerts der skizzierten Unternehmensplanung als wertvollem Steuerungsinstrument sollte jedoch bei der Interpretation der einzelnen Erfolgswerte je Kundengruppe stets bedacht werden, daß sie zum Teil auf objektiven Daten aus der Praxis zum Teil aber auch auf Schätzungen und Annahmen über zukünftige Zustände und Ereignisse beruhen und die langfristigen Interdependenzen zwischen strategisch bedingten Änderungen und der Erfolgsrechnung kaum realitätsnah abgebildet werden können. Beispielsweise kann die langfristige konjunkturelle Entwicklung, die Änderung von politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen, die Besteuerung oder gar langfristige Erfolgswirkungen durch Weiterempfehlungen an potentielle Neukunden in ihrer Erfolgswirksamkeit für ein Vermittlerunternehmen nur über individuell geprägte Annahmen zur Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens beziehungsweise ihrer Veränderung in einer strategischen Erfolgsrechnung abgebildet werden. Mit einer strategischen Erfolgsrech-

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nung haben die Inhaber von Vermittlerunternehmen jedoch die Möglichkeit, in Form von Szenarien mögliche zukünftige Entwicklungen („worst case" und „best case") durchzuspielen und damit potentielle Bedrohungen und Chancen wertmäßig abzuschätzen. Auf dieser Grundlage ist es ihnen möglich, einen zielgerechten Weg einzuschlagen.

3

Schlußbemerkung

Parallel zur Dynamik und Komplexität des Marktes sowie angesichts steigender Vertriebs- und Verwaltungskosten, enger werdender Märkte bei verhaltenem wirtschaftlichen Wachstum, verbunden mit verstärktem Druck auf Prämien- und Provisionssätze, wird ein strategisches Controlling fur Vermittlerunternehmen immer wichtiger. Ausgehend vom Outside-in-Approach stehen nicht mehr die Produkte, sondern die Kunden im Mittelpunkt der strategischen Unternehmensplanung. Das herkömmliche Umsatzdenken wird im Rahmen des strategischen Controlling durch ein systematisches Ertragsdenken abgelöst. Die Kosten-Nutzen-Verhältnisse, die Erfolgsbeiträge aus den Kundenverbindungen über die Gesamtdauer der Kundenbeziehung, werden damit zum entscheidenden Erfolgskriterium des Planens und Handelns im Vermittlerunternehmen. Wenn mit der skizzierten Unternehmensplanung auch die prinzipielle Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung letztendlich nicht eliminiert werden kann, so ist sie doch entschieden vorteilhafter als ad-hoc-Entscheidungen, die aus der Hektik des Tagesgeschehens getroffen werden. Im Gegensatz zur strategischen Unternehmensplanung ist bei der ad-hocEntscheidungsfindung bereits ex ante ein Anpassungsbedarf vorprogrammiert.

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Strategische Planung in der Versicherungsvermittlung

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