142 54 3MB
German Pages 259 [501] Year 2006
Hartmut Bmunschneider
Stmtegien ftir die Berufung im Zivilprozess
Strategien ftir die Berufung im Zivilprozess von
Hartmut Braunschneider Rechtsanwalt Overath
2007
oUs
Vertag
Dr.OttoSchmidt Köln
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 10: 3-504-47094-1 ISBN 13: 978-3-504-47094-4 © 2007 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Umschlaggestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP Wendt-Media Text-Processing GmbH, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Altusried-Krugzell Printed in Germany
Vorwort Wenn ich als Anwalt eine Berufung durchzuführen habe, interessieren mich prozessual zunächst nur vier Fragen: Ich will wissen,
• • • •
was ich zu schreiben habe (Stoff), wo ich es zu schreiben habe (Aufbau der Schriftsätze), wie ich es zu schreiben habe (Formulierungen), und wann ich es zu schreiben habe (Timing der Einreichung).
Dabei orientiere ich mich am Ziel meines Berufungsverfahrens. Soweit der Mandant erstinstanzlich gesiegt hat, will ich dies aufrecht erhalten; hat er verloren, will ich nunmehr gewinnen. Die Wege, die zu diesen Zielen führen, sind die Strategien. Die Methoden auf diesen Wegen sind die Taktiken. Häufig gibt es mehr als eine Strategie. Der erstinstanzlich siegreiche Beklagte mag sich als Berufungsbeklagter z.B. einmal damit begnügen wollen, die Zulässigkeit und Begründetheit der Berufung zu bekämpfen. Er mag sich ein andermal aber auch dazu entschließen, den Berufungskläger darüber hinaus durch eine Anschlussberufung unter zusätzlichen Druck zu setzen. Manchmal erweist es sich auch während eines laufenden Berufungsverfahrens als sinnvoll, die Strategie zu wechseln (zum Beispiel als Reaktion auf die Ergebnisse einer Beweisaufnahme), gelegentlich auch mehrfach. Als Interessenvertreter meines Mandanten habe ich diesem jedenfalls den sichersten Weg mindestens zu zeigen und zu empfehlen. Soweit es mehrere Wege gibt, muss ich es meinem Mandanten aber auch ermöglichen, nach Beratung selbst die Wahl zu treffen (BGH v. 29.4.2003 - IX ZR 54/02, ProzRB 2003, 257). Sonst treffen mich die Risiken der Anwaltshaftung. Sind die Interessen des Mandanten hinreichend gewahrt, darf auch der Blick auf die möglichst optimale Gestaltung der Anwaltsvergütung nicht fehlen. Dazu ist insbesondere von Bedeutung, wann ich welche Tätigkeit entfalte und wie ich dies dem Mandanten kommuniziere. Es wäre schade, wenn man zwar gut arbeitet, dabei aber weniger bekommt als möglich wäre. Dass ich den Fall dann materiell-rechtlich zutreffend ausloten muss, ist selbstverständlich. Das reicht aber oft nicht mehr. Ich muss das materielle Recht ja auch prozessual durchsetzen. Für eine solche Durchsetzung, mehr noch für ein optimales Ergebnis benötige ich eine (möglichst vollständige) Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung zum Berufungsrecht. V
Vorwort
Diese Voraussetzungen dürften spätestens nach der ZPO-Reform zum 1.1.2002 bei den allermeisten Anwälten nicht mehr gegeben sein. Die Rechtsprechung hat das neue Berufungsrecht in bislang über 400 höchstund obergerichtlichen Entscheidungen ausgeformt, teilweise ungeschriebene Tatbestandsmerkmale formuliert, teilweise Möglichkeiten neben dem Gesetz eröffnet. Das überschaut nur noch der Spezialisierte. Das vorliegende Buch kümmert sich um die bis hierhin beschriebenen Gegenstände.
• Es ist aus anwaltlicher Perspektive für Anwälte geschrieben. Es folgt im Gang seiner Darstellung damit auch dem Gang anwaltlicher Tätigkeit. Den Gedanken, ein gesondertes Ablaufschema an den Anfang zu setzen, habe ich nach Erstellung der Inhaltsübersicht wieder verworfen. Die Inhaltsübersicht ist das Schema.
• Das Buch versteht den Anwalt als Interessenvertreter, der bewusst einseitig (aber natürlich nicht unfair) handelt. Ausgewogene Zurückhaltung gehört deshalb auch nicht zu den Anliegen dieses Buches.
• Anwälte haben wenig Zeit. Das ist im Umfang des Buches berücksichtigt. Die möglichst vollständige Aufnahme der veröffentlichten Rechtsprechung war unabdingbar. Der Literaturapparat dagegen wurde auf ein Minimum reduziert.
• Anwälte müssen Schwerpunkte setzen. Das Buch greift dies auf, indem es die Themenfelder am stärksten behandelt, in denen die Rechtsprechung aktiv war. Anwälte machen gelegentlich Fehler oder übersehen etwas. Da bin ich leider keine Ausnahme. Wenn Ihnen also bei der Lektüre etwas auffällt, was Sie für falsch oder ergänzungsbedürftig halten, wäre ich für einen kurzen Hinweis dankbar, gerne auch per E-Mail ([email protected]). Overath, im Oktober 2006
VI
Hartmut Braunschneider
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V XI
Rz. Seite
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statthaftigkeit der Berufung . . . . . . . . 3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO
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1 1 8 16
1 1 3 5
I. Bestimmung des zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . .
17 18
6 6
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57
18
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61 78 80
19 23 24
. .
105 157
30 41
II. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 164 171 176 206 281
44 44 45 46 52 73
III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
82
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 4. Berufung zum LG und zum OLG? . . . . . . . . . . . . . . 5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? . . . . . . . . . 6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
1. 2. 3. 4. 5.
Fristdauer und -beginn im Normalfall . . Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fristen und PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
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IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile . . . . . 344 1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO . . . . 2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . 3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt . .
345
91 91
461 119 537 138
VII
Inhaltsübersicht Rz. Seite
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile . . . . . 541 140 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . 2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO . . .
541 140 545 141
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . 546 142 1. 2. 3. 4.
Verspätung innerhalb der ersten Instanz . . . Verspätung aufgrund des Instanzwechsels . Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz Folgen von Präklusion für Streithelfer . . . .
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546 550 551 554
142 143 143 144
VII. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 145 1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . 3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung 4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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556 145
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559 146 565 147
.
570 147
.
573 148
VIII. Berufungsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 175 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eindeutige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO . . . . . . . .
... ...
680 175 680 175
...
683 176
... ...
684 176 685 176
IX. Berufungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 177 1. 2. 3. 4. 5.
Hinweise vor der Entscheidung . . . . . . . . . . . Verwerfungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO . Berufungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO . . .
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. . . . .
690 693 695 713 779
177 178 178 181 195
X. Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 197 1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . 2. Was ist eine Anschlussberufung? . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
783 197 791 198
Inhaltsübersicht Rz. Seite
3. 4. 5. 6.
Ziele einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . Nachteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anforderungen an die Begründung . . . . . . . . . . . . .
.. .. ..
827 206 832 207 838 208
..
846 210
.. ..
854 212 856 212
XI. Gebühren und Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 214 1. 2. 3. 4.
PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebühren des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . Kostengrundentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
... ... ...
864 214 870 215 879 217
...
888 220
...
889 220
XII. Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 221 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
IX
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V VII
Rz. Seite
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
1. Anwaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fristenprüfung bei Handaktenvorlage zur Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortbestand ursprünglich vorhandener Vertretungsmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . .
....... .......
1 1
1 1
.......
4
1
.......
7
2
. . . . . . .
8 8 9 10 12 13 14
3 3 3 3 4 4 5
...
15
5
3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO . . . . . . . . . . . .
16
5
I. Bestimmung des zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . ... ... ...
17 18 19 22
6 6 6 9
... ...
23 25
10 11
. . . . .
. . . . .
26 30 31 35 36
11 12 13 14 14
...
38
15
2. Statthaftigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zur Urteilsergänzung . . . . . . . . . . . c) (Zweites) Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . d) Kostenmischentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nichturteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abänderung der vorläufigen Vollstreckbarkeit . g) Vorbehaltsloses Erbringen der Urteilsleistung vor Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) OLG als richtige Adresse . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streit bei Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . c) OLG als falsche Adresse in WEG-Sachen nach dem FGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) OLG als falsche Adresse bei inländischer GbR e) Nachprüfung durch Rechtsmittelgericht/ Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Falsch eingelegt: Fristprobleme … . . . . . . . . . . g) … und kaum Wiedereinsetzungschancen . . . . h) Taktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wohnsitz: Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wohnsitz: Deutschland – Ausland – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XI
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite
cc) Hochwahrscheinlich: Berufung zum unzuständigen Gericht . . . . . . . . . . . dd) Fast aussichtslos: Wiedereinsetzung . ee) Rechtsmissbrauch? . . . . . . . . . . . . . . ff) Anwendungsmöglichkeiten . . . . . . .
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42 44 47 52
15 16 17 17
2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
18
3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht „ausdrücklich“ ist nicht genug . . . . . . . . . c) Wann darf das AmtsG „ausdrücklich“ schreiben? d) Was, wenn das AmtsG fälschlich ausdrückt? . . .
. . . . .
61 62 64 68 75
19 20 20 20 22
4. Berufung zum LG und zum OLG? . . . . . . . . . . . . . . .
78
23
5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? . . . . a) Prüfungspflicht des Empfängers . . . . . . . . . . aa) Fürsorge vs. Funktionsfähigkeit . . . . . . bb) BVerfG: Vorrang der Fürsorge bei Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiterleitungspflicht nach Prüfung . . . . . . . c) Folgen von Fristversäumnis . . . . . . . . . . . . . aa) Vertrauen in fristgerechte Weiterleitung bb) Bei Enttäuschung: Wiedereinsetzung . . cc) Wie zeitig ist „so zeitig“? . . . . . . . . . . .
..... ..... .....
80 82 83
24 25 25
. . . . . .
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85 90 94 94 95 96
26 27 27 27 28 28
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105 105
30 30
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106 107
30 30
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108
30
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109
31
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110 111 113
31 31 32
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114
32
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6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besetzungen: Originär und obligatorisch . . . . . . . aa) Originär: der Einzelrichter, § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Originär: die Kammer, § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO cc) Obligatorisch: die Kammer, § 348 Abs. 3 ZPO – Übernahme nach Vorlage . . . . . . . . . . dd) Obligatorisch: der Einzelrichter, § 348a Abs. 1 ZPO – Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Und dann doch wieder: die Kammer, § 348a Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwei Fehler, vier Ursachen . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für den gesetzlichen Richter . . . . aa) Drei scheinbar irrelevante Fehler im obligatorischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite
(1) BVerfG zum rechtlichen Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Inhalt des rechtlichen Gehörs … . . (c) … und die Art seiner Verletzung . . . . . (d) Vorrang fachgerichtlicher Kontrolle … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) … wenn es noch eine Abhilfemöglichkeit gibt . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Eine (!) Kontrollinstanz reicht aus . . . . (2) Übertragung auf den gesetzlichen Richter . (a) Kann der gesetzliche Richter „entscheidungserheblich“ sein? . . . . . (b) Irrelevanz der Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenz: außerordentliche Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Willkürerfordernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Nicht hilfreiche Kriterien . . . . . . . . . . (b) Hilfreiche Argumentation . . . . . . . . . . (aa) Offensichtlichkeit eines Zuständigkeitsmangels … . . . . . . (bb) … erst für den Anwalt … . . . . . . . (cc) … dann für das Gericht . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis zu den Grenzen der Unüberprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehler im originären Bereich sind rügbar . . . . . (1) Einzelrichter entscheidet als Kammer . . . . (2) Vorsichtshalber: explizite Besetzungsrüge . c) Zuständigkeit in Ablehnungsfällen . . . . . . . . . . . .
115
32
116 120 121
32 33 33
122
33
126 127 129
34 34 35
130
35
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36
134 141 143 144
36 37 38 38
145 146 148
39 39 39
150 151 152 155 156
40 40 40 41 41
157 157
41 41
159
42
160
42
II. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
44
7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit nur als Anknüpfungspunkt . . . . . . . b) Keine Anwendung auf fehlende internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkung fehlerhafter Zuständigkeitsannahme auf Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Fristdauer und -beginn im Normalfall . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn bei Urteilsergänzung . . . . . . . . . . . . . .
164 165
44 44 XIII
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite
b) Fristbeginn bei Urteilsberichtigung . . . . . . . . . . . . c) Fristbeginn bei vom Original abweichender zugestellter Ausfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
44
170
45
2. Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überhaupt keine Zustellung: Blindberufung? . . . . b) Zustellung nach mehr als fünf Monaten, 10 Tage vor Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 171
45 45
173
46
3. Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestens zwei Monate . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlängerungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . aa) Verlängerung bis zu einem Monat, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . (1) Angabe eines Datums . . . . . . . . . . . (2) Angabe des Aktenzeichens . . . . . . . (3) Angabe eines erheblichen Grundes . (4) Beginn der Verlängerung . . . . . . . . . bb) Weitere Verlängerungsmöglichkeit bei Einwilligung des Gegners, § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwerfung wegen Fristsäumnis . . . . . . . . .
..... ..... .....
176 177 184
46 46 48
. . . . .
. . . . .
189 191 196 197 198
49 49 50 50 50
..... .....
199 205
50 51
. . . .
206 207 215 218
52 53 55 55
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221
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227
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228 229
58 58
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230 235
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238
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4. Fristen und PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungseinlegung . . b) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungsbegründung c) Berufungsfristsäumnisse bei PKH-Bescheidung . aa) PKH nach Ablauf von 2 Monaten (Begründungsfristablauf) i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeit für Nachholung versäumter Handlungen, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO . (a) Arme Partei steht schlechter da als bemittelte Partei . . . . . . . . . . . . . . . (b) Korrektur durch Rechtsprechung . . . (c) Sonderfall: Überlegungszeitraum nach PKH-Versagung vor Ablauf der Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Neuregelung durch das 1. JuMoG . . (2) Bestimmung des Hindernisses, § 234 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt – alle Fristen versäumt . . . (b) Variante 2: Berufung eingelegt – Begründungsfrist versäumt . . . . . . . XIV
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(3) Was will das Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Umsetzung und Gleichbehandlung . . . (b) In der Gesetzesbegründung Fehlendes . (c) Vermischtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) PKH vor Ablauf von 2 Monaten i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO (Begründungsfristablauf) . . . . (1) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt . (a) Entscheidung des BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Begründung ohne Einlegung? . . . . . . . . (c) Verlängerung ohne Einlegung? . . . . . . . (d) Ohne Einlegung nie Verlängerung . . . . (2) Variante 2: Berufung eingelegt . . . . . . . . . . (a) So oder so: In jedem Fall Verlängerungsantrag stellen . . . . . . . . . (b) PKH-Beschluss in der Verlängerungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfall: Wiedereinsetzungsantrag vor PKH-Bescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH) . . . . . . a) Fehlende Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bezeichnungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versäumte Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . aa) Falsche Fristberechnung bei Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Absendung unterblieben . . . . . . . . . . . . . cc) Umgang mit Fristenkalender . . . . . . . . . dd) Vergessen nur mündlicher Anweisungen ee) Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Einzelweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fehler bei E-Mail-Verwendung . . . . . . . . gg) Darlegungsumfang für fehlendes Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Versäumte Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . aa) Unkenntnis vom Beginn der Frist . . . . . . bb) Unmöglichkeit der Akteneinsicht . . . . . . cc) Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kurzfrist-Mandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Abstürzende Textdatei . . . . . . . . . . . . . . ff) Falscher Telefax-Adressat . . . . . . . . . . . . gg) Papierstau im Gerichtsfax . . . . . . . . . . . . e) Verschulden bei Stufenbevollmächtigung . . .
242 244 245 247
61 61 62 62
259 260
66 66
260 263 266 270 271
66 67 67 68 69
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281 285 287 290
73 73 74 74
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290 291 292 297
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298 299
77 77
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301 302 302 304 307 309 310 311 313 315
78 78 78 78 79 79 80 80 80 81
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XV
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f) Rechtsbeschwerde gegen Versagung der Wiedereinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316
III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
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319 320 321 325
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328 329 332 333 336 338
86 86 87 87 89 89
IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile . . . . . 344
91
a) b) c) d)
Wurde überhaupt angefochten (= eingelegt)? . Nicht postulationsfähiger Berufungsführer . . Was wird angefochten? . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer ist Berufungsführer? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strenge Anforderungen, aber keine unnötigen Erschwerungen . . . . . . . . . . . bb) Erstinstanzliches Urteil beschwert beide Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berufung ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Falsche Parteibezeichnungen . . . . . . . . . ee) Selektive Berufungseinlegung . . . . . . . . . e) Wer ist Berufungsgegner? . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vertretungsmacht trotz Kollision . . . . . . . . . g) Mehrfacheinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO . . a) Der Sachantrag nach § 528 S. 2 ZPO . . . . . . . . . aa) Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erstinstanzlich nicht beschiedene Hilfsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teilanträge und Teilrechtskraft . . . . . . . . . . dd) Übersehene Berufungsanträge . . . . . . . . . . . b) Der Sachantrag nach § 712 ZPO . . . . . . . . . . . . c) Der Sachantrag nach § 718 ZPO . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensanträge nach § 538 Abs. 2 ZPO? . . . . e) Möglichst wenig Bezugnahmen . . . . . . . . . . . . . f) Beschwer und Beschwerdegegenstand – Umfang der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Beschwer: mehr gewollt als verlangt . bb) Klageerhöhung in der Berufung . . . . . . . . . . cc) Erweiterung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer . . . . . . . . . . . . . . g) Ziel der Anfechtung (Abänderung) . . . . . . . . . . . aa) Völlig neue Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Was alles nicht geht … . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI
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345 348 349
91 92 92
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355 356 359 360 362 363 368
93 93 94 94 94 94 95
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371 379 380
96 98 98
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381 98 383 99 384 99 390 101 394 102
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dd) Entscheidender Zeitpunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . ee) … und was geht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sinn solchen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Neue Schlussrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . hh) Einschränkung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rücknahme: Billiger, aber immer noch teuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Alternativen zur Rücknahme . . . . . . . . . (a) Kleiner ist feiner . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zu spät wird billiger . . . . . . . . . . . . . (c) Schlecht wird billiger . . . . . . . . . . . . . (d) Mehr kostet weniger als Weniger . . . . (3) Vorsichtsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . ii) Die möglichen Variationen im Umfang des Berufungsangriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vollständiges Scheitern in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) (Nur) Teilweises Scheitern in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Der anfänglich teilweise, später volle Angriff (1) Alles eine Frage der Kosten . . . . . . . . . . . (2) Enge Voraussetzungen für spätere Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ausreichender Rügeumfang . . . . . . . . . . (4) Unzureichender Rügeumfang . . . . . . . . . 2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO . . . . . . . . . . . . a) Rechtsverletzung (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alte-Tatsachen-Fehler (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tatsachenfeststellung i.S.v. § 529 ZPO … . . bb) … ist nicht nur Tatsachenfeststellung i.S.v. § 559 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) … sondern auch Parteivorbringen i.S.v. § 559 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unrichtigkeit … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) … und Unvollständigkeit … . . . . . . . . . . . . ff) … folgen regelmäßig aus Verfahrensfehlern
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401 402 403 406
103 103 103 104
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407 104
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407 410 410 414 416 422 423
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426 110
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430 110
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431 111
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440 113
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443 114 451 115 451 115
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455 116 457 116 458 117
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461 467 475 477
104 105 105 106 107 109 109
119 120 122 123
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481 123
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484 486 487 488
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125 125 125 126 XVII
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gg) hh) ii) jj) kk)
Auswahl für das Berufungsgericht . . . . . . . . Konkrete Anhaltspunkte … . . . . . . . . . . . . … führen zu Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zusammenspiel von nicht berücksichtigem Schriftsatzvortrag und Tatbestand . . . ll) Untauglicher Rettungsversuch . . . . . . . . . . mm) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . nn) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neue-Tatsachen-Fehler (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . d) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mehrere Fehler gleichzeitig . . . . . . . . . . . . . . . .
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490 491 493 494
126 126 127 127
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498 510 512 514 516 525 532
128 130 130 132 133 136 137
3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt . .
537 138
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile . . . . . 541 140 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO . . . . . . . .
541 140
2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
545 141
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . 546 142 1. Verspätung innerhalb der ersten Instanz . . . . . . . . . . .
546 142
2. Verspätung aufgrund des Instanzwechsels . . . . . . . . .
550 143
3. Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz . . . . . . . .
551 143
4. Folgen von Präklusion für Streithelfer . . . . . . . . . . . .
554 144
VII. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 145
XVIII
1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
556 145
2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . .
559 146
3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565 147
4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
570 147
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5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweiswürdigungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Neues, zu berücksichtigendes Vorbringen . . . ff) Konsequenzen neuer Tatsachenfeststellung . b) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO – allgemein . aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel . . . . (1) Vortrag aus erster Instanz . . . . . . . . . . . . (2) Unberücksichtigtes . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Späteres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Neue Schlussrechnung . . . . . . . . . . . (b) Neue Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . (c) Entstehung vs. Schaffung neuer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Einrede der Verjährung . . . . . . . . . . . (e) Vortrag in der Berufung beigetretener Streithelferin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Ortsübliche vs. vereinbarte Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neues neben § 531 Abs. 2 ZPO? . . . . . . . . . . (1) Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) OLG-Rechtsprechung/KG-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Klärung durch den BGH: Es geht . . . . . . . cc) Neues nach Zurückverweisung . . . . . . . . . . . dd) Neues im Arbeitsgerichtsprozess . . . . . . . . . c) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO . . . . . . aa) Zusätzliches ungeschriebenes Merkmal . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unvollständiges Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) (Un-)Erheblichkeit von Bestreiten . . . . . . (3) Neue Gegenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . d) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO . . . . . . aa) Hauptanwendungsbereich: unterlassene Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unvollständiger Hinweis zum nötigen weiteren Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . .
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573 578 578 582 585 586 589 591 592 594 595 597 600 600 601
148 149 149 150 151 151 151 152 152 153 153 153 154 154 155
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603 155 607 156
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608 156
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609 156 610 157 611 157
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613 615 620 621 622 623 625
158 159 160 160 161 161 161
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625 626 627 629
161 162 162 162
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630 162 632 163
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632 163 XIX
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(2) Kein Hinweis zur nicht hinreichenden Substantiierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Hinweispflicht zu alternativen Antragsbegründungen . . . . . . . . . . . . . . (4) Keine Hinweispflicht zu Nebenforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Sachverständige – Ergänzungsgutachten und Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO . . . . . aa) Nachlässigkeit = einfache Fahrlässigkeit . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parteigutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Partei in Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erstinstanzlicher Vortrag von Patienten (4) Einrede der beschränkten Erbenhaftung (5) Erstinstanzlicher Verzicht auf Zeugen . (6) Erstinstanzlich nicht benannte Zeugen zu neuem Sachvortrag . . . . . . . . . . . . . . (7) Erstinstanzlich zurückgehaltener Vortrag – „Prozesstaktik“ . . . . . . . . . . . (8) Im einstweiligen Verfügungsverfahren . f) Fehlerhafte Nichtzulassung entgegen § 531 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) § 533 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Klageänderungen: § 264 Nr. 2 und 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) (Nicht ausreichende) Sachdienlichkeit . (2) Fehlende Einwilligung in Übergang von Rücktritt auf Minderung . . . . . . . . . . . . (3) Zulässigkeit entgegen § 533 ZPO bei Abweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eventualklagehäufung mit Berufungserwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Erweiterung auf weiteren (akzessorisch haftenden) Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . (6) Gewillkürter Wechsel auf anderen Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Wechsel von Zahlungs- auf Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Wechsel von positivem Interesse auf negatives Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Wechsel des Leistungsempfängers . . . . .
XX
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633 163
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634 163
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635 164
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636 637 637 639 639 641 642 645 646
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164 164 164 165 165 165 165 166 166
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648 167 649 167
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650 167 653 168
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654 168 659 169 661 169
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663 170
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665 170
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666 171
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668 171
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669 172
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670 172 671 172
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(10) Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstandes . . . . . . cc) Widerklage und Hilfswiderklage . . . dd) Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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672 673 677 678
173 173 173 174
VIII. Berufungsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 175 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
680 175
2. Eindeutige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
680 175
3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
683 176
4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
684 176
5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO . . . . . . . . . . .
685 176
IX. Berufungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 177 1. Hinweise vor der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .
690 177
2. Verwerfungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693 178
3. Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Offensichtlichkeit der Unbegründetheit . . . . bb) Kein Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlängerung der Stellungnahmefrist restriktiver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erfolgsaussichten einer Klageerweiterung irrelevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Klageänderung/Widerklage . . . . . . . . . . . . . . ff) § 522 Abs. 2 und § 538 ZPO . . . . . . . . . . . . . gg) Berufungseinlegung durch mehrere Parteien . hh) Teilzurückweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit mit EMRK und Verfassung . . . . . . c) Rechtsmittel gegen den Beschluss . . . . . . . . . . . . d) Anwendbarkeit auf Entschädigungsverfahren . . .
. . . .
695 696 696 697
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698 179
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699 700 703 704 705 706 708 712
179 180 180 180 180 180 181 181
4. Berufungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlerhaft, aber zutreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Horizontales (Teil-)Versäumnisurteil, § 539 ZPO c) Protokollurteil, § 540 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatsächliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . .
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713 713 715 718 719 720
181 181 182 182 182 183
178 178 178 179
XXI
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cc) Berufungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Widerspruchsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen ohne Begründung/Abweichen ohne Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Urteil im Verhandlungstermin . . . . . . . . . . . . gg) Altfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zurückverweisung, § 538 Abs. 2 ZPO, vs. Selbstentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz: Selbstentscheidung durch das Berufungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahme: Zurückverweisung nach Ermessenausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Zurückverweisung bei Endentscheidungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einzelfälle zu § 538 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . (1) (Keine) Verfahrensfehler, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vom Anwalt übersehene Gesichtspunkte/Nebenforderungen . . . . . . . . . (b) Nicht verwertete Alternativgutachten/ Gegenzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Nicht hinzugezogener Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen . . . . . . (f) Nicht berücksichtigter Beweisantrag bei ausbleibendem Kostenvorschuss . . (g) Verdeckte Änderung vorher bekanntgegebener Einschätzungen . . . (h) Nichtanhörung betroffener Kinder in Sorgerechtsverfahren . . . . . . . . . . . (i) Verspätungszurückweisung ohne Klärung einer Verzögerung . . . . . . . . . (j) Übergangener Sachvortrag . . . . . . . . . (k) Überraschung! – Beweiserhebung ohne jede Verwertung . . . . . . . . . . . . . (l) Überraschung! – Nicht erörterte Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . (m) Bindung an Einzelrichterverweisungsbeschluss – Kammerentscheidung . . . (n) Entscheidung trotz Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . XXII
723 183 725 184 727 184 730 184 734 185 735 185 735 185 736 185 741 186 742 187 742 187 742 187 744 187 750 188 751 188 752 189 753 189 754 190 755 190 756 190 757 191 759 191 760 191 762 191 763 192
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e) f)
(o) Keine absoluten Berufungsgründe: Verkündungsfehler ohne Relevanz . (2) Nachverfahren, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 . (3) Teilurteil, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 . . . . . . Wertfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Anwendung des § 537 ZPO auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils . Zulassung der Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . Zulassungsfreie Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
764 767 768 775
192 193 193 194
.. .. ..
776 195 777 195 778 195
5. Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO . . . . . . . . .
779 195
g) h)
X. Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 197 1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . .
783 197
2. Was ist eine Anschlussberufung? . . . . . . . . . . a) Bis zur ZPO-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ab der ZPO-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nur noch unselbständige Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine selbständige Anschlussberufung mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Alternativ: Selbständige Berufung . . . . c) Ab dem 1. JuMoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Änderung des Fristablaufes . . . . . . . . . bb) Ausschluss des Fristablaufes . . . . . . . . cc) Verbleibende Probleme . . . . . . . . . . . .
...... ...... ......
791 198 794 199 798 200
......
798 200
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803 812 814 815 819 820
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201 202 203 203 204 205
3. Ziele einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
827 206
4. Vorteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikoerhöhung für den Hauptberufungsführer . . . b) Kuchen vergrößern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
832 207 832 207 836 208
5. Nachteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . a) Niederlage mit dem Gegenangriff . . . . . . . . b) Kostenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kosten beim Hauptberufungsführer . . . bb) Kosten beim Anschlussberufungsführer c) Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
838 838 839 841 842 843
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. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
208 208 209 209 209 210
6. Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . .
846 210
7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
854 212 XXIII
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8. Anforderungen an die Begründung a) Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsänderungen . . . . . . . . .
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856 858 860 863
212 212 213 213
XI. Gebühren und Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 214 1. PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) PKH für den Berufungskläger . . . . . . . . . . . . . . . . . b) PKH für den Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . .
864 214 865 214 869 214
2. Gebühren des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit . . . . . . . . . b) Richtiger Zeitpunkt für die Sachantragstellung . c) Höhe in den Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . d) Auftragserteilung nach Berufungsrücknahme . .
. . . . .
. . . . .
870 870 872 877 878
215 215 215 217 217
3. Kostengrundentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . a) Zu Lasten der obsiegenden Partei, § 97 ZPO b) Kosten von Anschlussrechtsmitteln . . . . . . c) Höhe von Vergleichsgebühren . . . . . . . . . . . d) Übereinstimmende Erledigungserklärungen e) Kostenmischentscheidungen . . . . . . . . . . . . f) Quotenänderungen und Verzinsungsbeginn g) Unterschiedliche Prozessergebnisse von Gesamtschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtsmittelrücknahme, Vergleich und Rückfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
879 879 880 882 883 884 885
217 217 217 218 218 218 219
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886 219
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887 219
4. Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
888 220
5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
889 220
XII. Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 221 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIV
223
Vorbemerkungen 1. Anwaltspflichten a) Beratungsumfang Will eine Partei nach (teilweisem) Verlust der ersten Instanz in die Berufung, sind aus Beratersicht drei Konstellationen zu unterscheiden:
1
– Der Anwalt hat das Verfahren schon in erster Instanz geführt und soll es auch in zweiter Instanz weiter führen. – Der um Rat gefragte Anwalt hat nur die erste Instanz geführt, will (4-Augen-Prinzip) oder kann (keine OLG-Zulassung) die zweite Instanz aber nicht führen. – Der gefragte Anwalt soll erstmalig und nur zweitinstanzlich tätig werden. Die erste und die letzte Variante sind vergütungsrechtlich interessant, 2 die zweite Variante ist mehr arbeitsaufwändig und gefährlich als lukrativ. Das OLG Schleswig hat die Beratungspflichten des Anwaltes nämlich so konkretisiert: Die Beratung über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels müsse stets Chancen und Risiken des Rechtsmittels umfassen und abwägen und auch die Kostenrisiken berücksichtigen. All dies sei dem Mandanten darzustellen, damit dieser eine vernünftige Entscheidung treffen könne, ob er die Risiken eingehen wolle.1 Die möglichen Berufungsziele des Mandanten müssten mit den Anträgen und dem Vortrag in erster Instanz abgestimmt sein, ggf. müssen besondere Erwägungen zu § 533 ZPO gemacht werden.2
Û
Praxistipp: Führt der Anwalt die Berufung nicht selbst, sollte er sich 3 darauf beschränken, der Partei das erstinstanzliche Urteil zu erläutern, und die Beurteilung der Erfolgsaussichten dem Kollegen (und dessen Haftung) zu überlassen, der die Berufung führen soll.
b) Fristenprüfung bei Handaktenvorlage zur Berufungseinlegung Wenn dem Rechtsanwalt die Handakten zur Anfertigung der Berufungs- 4 schrift vorgelegt werden, muss er auch prüfen, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert ist. Tut er dies nicht, scheidet eine Wiedereinsetzung aus.3 1 OLG Schleswig v. 30.6.2004 – 11 U 47/03, OLGR Schleswig 2004, 540. 2 OLG Schleswig v. 30.6.2004 – 11 U 47/03, OLGR Schleswig 2004, 540. 3 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 77/04, MDR 2005, 1128 als Bestätigung von BGH v. 1.12.2004 – XII ZB 164/03, MDR 2005, 468. Dahinter steckt eine ständige Recht-
1
Vorbemerkungen
Auf der anderen Seite gilt nach dem IV. Zivilsenat: Ist die Frist zur Berufungsbegründung richtig errechnet und deren Eintragung im Fristenkalender des Anwaltsbüros in der Handakte als erledigt notiert, muss der Anwalt die Eintragung im Fristenkalender nicht noch persönlich überprüfen.4 5
Entsprechend hat der Rechtsanwalt, dem die Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt wird und der sich sodann entschließt, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, aus diesem Anlass zu prüfen, ob diese Frist richtig errechnet und im Fristkalender eingetragen ist. Lässt sich dabei erkennen, dass die Berufungsfrist bereits abgelaufen ist, so beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit diesem Zeitpunkt und nicht erst mit einem späteren gerichtlichen Hinweis auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist.5 Im Kern geht es darum: Werden die Akten anlässlich einer fristgebundenen Handlung vorgelegt, müssen alle Fristeintragungen vom Anwalt geprüft werden.
6
Û
Praxistipp: Erfolgreich kann ein Wiedereinsetzungsantrag in solchen Konstellationen also nur dann sein, wenn der Anwalt vorträgt, dass er bei der Einlegung die Fristen geprüft und das zutreffende Datum als korrekte Eintragung für den Ablauf der Begründungsfrist vorgefunden hat. Dieser Eintrag hätte dann – nach der Prüfung durch den Anwalt – von der zuverlässigen (etc.) Angestellten versehentlich geändert worden sein müssen. Über deren Motivation für die Änderung sollten dann allerdings auch einige sinntragende Sätze geschrieben werden.
c) Fortbestand ursprünglich vorhandener Vertretungsmacht? 7
Ein anwaltlicher Prozessbevollmächtigter, der Berufung einlegt, nachdem das Vermögen seiner Partei unter vorläufige Insolvenzverwaltung durch einen sog. starken Verwalter gestellt worden ist, handelt hierbei, sofern keine Notgeschäftsführung vorliegt, ohne ausreichende Vertretungsbefugnis.6 Das hat für den Anwalt höchst unangenehme Konsequenzen: Nimmt der nämlich anschließend das Rechtsmittel zurück, so sind ihm entsprechend §§ 179, 180 BGB bzw. nach dem sog. Veranlasserprinzip die Kosten der unzulässigen Berufung (jedenfalls) dann aufzuerlegen, wenn feststeht sprechung: BGH v. 11.2.2004 – XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696; BGH v. 21.4.2004 – XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183f.; BGH v. 25.3.1985 – II ZB 2/85,VersR 1985, 552; BGH v. 16.3.2000 – VII ZR 320/99, HFR 2001, 297 und BGH v. 5.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437. 4 BGH v. 14.6.2006 – IV ZB 18/05. 5 OLG Zweibrücken v. 13.3.2006 – 2 UF 201/05, OLGR Zweibrücken 2006, 645. 6 OLG Bamberg v. 8.2.2006 – 4 U 5/06, OLGR Bamberg 2006, 275.
2
Statthaftigkeit der Berufung
oder zumindest nicht ausgeräumt ist, dass der Parteivertreter bei Berufungseinlegung die Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts kannte bzw. eine etwaige Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht, und der Anwalt entsprechend § 89 Abs. 1 S. 3 ZPO Gelegenheit gehabt hatte, die Genehmigung des vorläufigen Verwalters beizubringen. Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht des Anwalts ergeht in diesem Fall analog § 516 Abs. 3 ZPO von Amts wegen. Die Unterbrechung des Verfahrens nach § 240 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen.
2. Statthaftigkeit der Berufung a) Mindestwert Ob eine Berufung überhaupt statthaft ist, ergibt sich grundsätzlich aus 8 § 511 ZPO. Die Probleme, die sich um die Erreichung des Mindestwertes für den Beschwerdegegenstand ergeben, werden weiter unten (Rz. 371 ff.) bei den Anträgen besprochen.7 b) Verhältnis zur Urteilsergänzung Bisweilen ergibt sich die Frage, ob ein Urteil mit einer Urteilsergänzung 9 oder einer Berufung korrigiert werden soll. Für den Fall, in dem das angefochtene Urteil der von dem Schuldner erhobenen Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses nicht durch Ausspruch eines entsprechenden Vorbehalts Rechnung getragen hat, steht nach Auffassung des OLG Schleswig die Möglichkeit, die Aufnahme eines solchen Vorbehalts im Wege der Urteilsergänzung zu erreichen, der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen.8 c) (Zweites) Versäumnisurteil Bei einem zweiten Versäumnisurteil gilt nach einer Entscheidung des OLG Rostock, dass über den Wortlaut des § 514 Abs. 2 ZPO hinaus die Berufung auch dann zulässig sein soll, wenn die Partei, gegen die das Versäumnisurteil ergangen sei, zwar säumig, die Säumnis jedoch unverschuldet war. Entgegen seinem engeren Wortlaut sei § 514 Abs. 2 ZPO auch nach der Prozessrechtsreform weiterhin dahin gehend auszulegen, dass beide der vorgenannten Fallgruppen (keine Säumnis/unverschuldete Säumnis) die Berufung rechtfertigen.9
7 Ab Rz. 371. 8 OLG Schleswig v. 22.9.2004 – 9 U 79/03, MDR 2005, 350. 9 OLG Rostock v. 28.4.2006 – 3 U 163/05, OLGR Rostock 2006, 628; Aktenzeichen des BGH: X ARZ 177/06.
3
10
Vorbemerkungen
Das KG entschied, dass die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil bereits dann statthaft sei, wenn der Berufungskläger einen nach § 514 Abs. 2 ZPO zulässigen Berufungsgrund schlüssig vortrage. Soweit dem zweiten Versäumnisurteil ein Vollstreckungsbescheid vorausgegangen sei, könne die Berufung auf die Verletzung der in § 700 Abs. 6 ZPO normierten Prüfungspflicht gestützt werden.10 11 Die Berufung gegen ein Urteil, das den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil als unzulässig verworfen hat, ist unzulässig, wenn sie (ohne Angriff gegen die Feststellung der Säumnis) allein damit begründet wird, die titulierte Forderung bestehe in der Sache nicht.11 d) Kostenmischentscheidung 12 Soll eine Kostenmischentscheidung im Urteil angegriffen werden, die teils gem. § 91a ZPO, teils nach den sonstigen Kostenregelungen ergeht, ist nach dem OLG Rostock eine (trotz § 91a Abs. 2 ZPO einheitliche!) Berufung zulässig, wenn der Berufungskläger das Urteil auch zur Hauptsache angreift.12 Soweit nach der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache Gegenstand der Berufung auch der auf § 91a ZPO beruhende Teil der Kostenentscheidung sei, soll für diesen Berufungsangriff ein gesonderter Streitwert festzusetzen sein, der sich nach dem Kosteninteresse richte. e) Nichturteil 13 Ein „Nicht“-Urteil wird nach Ansicht des OLG Rostock gesprochen, wenn bei einem am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten Urteil die Urteilsformel nicht schriftlich vorliege. Nicht ausreichend sei insofern, dass der beabsichtigte Urteilstenor im Verhandlungsprotokoll aufgeführt und das Protokoll durch den Vorsitzenden gezeichnet worden sei. Dies ersetzte eine Unterzeichnung durch die erkennenden Richter nicht. Bei einem nicht verkündeten und nicht (innerhalb der Frist von 5 Monaten) abgesetzten Urteil handele es sich um ein rechtlich nicht existentes Scheinurteil, dass auch nicht Gegenstand einer die Berufungsfrist des § 517 ZPO in Lauf setzenden wirksamen Zustellung sein könne. Gleichwohl sei gegen ein solches Nichturteil die Einlegung des bei wirksamer Verkündung und Absetzung der Entscheidung statthaften Rechtsmittels – hier der Berufung – zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen.
10 KG v. 10.3.2006 – 7 U 20/06, KGR Berlin 2006, 588. 11 OLG Zweibrücken v. 15.7.2003 – 4 U 31/03, OLGR Zweibrücken 2004, 45. 12 OLG Rostock v. 26.5.2003 – 3 U 85/02, OLGR Rostock 2003, 388.
4
Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO
f) Abänderung der vorläufigen Vollstreckbarkeit Für eine Berufung mit dem alleinigen Ziel einer Abänderung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.13
14
g) Vorbehaltsloses Erbringen der Urteilsleistung vor Berufungseinlegung Nach einer Entscheidung des OLG Köln14 fehlt es an einer Beschwer, 15 wenn die verurteilte Partei nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und vor Einlegung eines Rechtsmittels die Urteilsleistung vorbehaltlos erbringt und ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung nicht zumindest hilfsweise weiterverfolgt. In diesen Fällen sei von einer materiellen Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen auszugehen, so dass ein rechtsschutzwürdiges Interesse der verurteilten Partei an der Beseitigung des Urteilsausspruches nicht mehr bestehe. Anders liege es, wenn der Schuldner lediglich unter Vorbehalt oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet habe. Ob dies oder eine vorbehaltlose Leistung anzunehmen sei, richte sich nach den dem Leistungsempfänger erkennbaren Umständen des Einzelfalles Zwar könne ein Rechtsstreit auch nach Erlass eines Urteils in der Hauptsache für erledigt erklärt werden. Insbesondere sei auch die Rechtsmitteleinlegung zum Zweck der Erklärung der Erledigung in der höheren Instanz zulässig. Voraussetzung sei jedoch die Zulässigkeit des Rechtsmittels, wozu eben auch die Beschwer in der erforderlichen Höhe gehörte. Die Verteidigung im konkreten Fall richtete sich nicht gegen den Klageanspruch an sich, sondern lediglich gegen die Belastung mit den Prozesskosten. Da damit von einer vorbehaltlosen Leistung auszugehen sei, fehle es an der erforderlichen Beschwer. Diese könne auch nicht in der Belastung mit den Kosten des ersten Rechtszuges liegen. Insofern wäre der richtige Rechtsbehelf die sofortige Beschwerde nach § 99 Abs. 2 ZPO gewesen.
3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO Soweit auf das Recht der Berufung verzichtet wurde, ist eine dennoch 16 eingelegte Berufung unzulässig. Inhalt und Tragweite eines ggü. dem Gericht erklärten Rechtsmittelverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist. Dies gilt auch dann wenn die Verfahrensbeteiligten die Verzichtserklärung übereinstimmend in einem anderen Sinne aufgefasst haben sollten.15 13 OLG Köln v. 31.3.2005 – 20 U 32/05, OLGR Köln 2005, 646. 14 OLG Köln v. 17.12.2003 – 24 U 152/03, OLGR Köln 2004, 181. 15 OLG Frankfurt v. 9.11.2005 – 3 UF 151/05, OLGR Frankfurt 2006, 561.
5
I. Bestimmung des zuständigen Gerichts 17 Die Auswahl des richtigen Berufungsgerichtes ist im Normalfall unproblematisch. Wenn ein Verfahren vor dem Amtsgericht beginnt (§§ 23–23c GVG), geht die Berufung zum Landgericht (§ 72 GVG). Beginnt das Verfahren vor dem Landgericht (§ 71 GVG), geht die Berufung zum Oberlandesgericht. Von diesen Normalfällen gibt es aber Ausnahmen. Namentlich § 119 GVG hat nach der Reform eine besondere Bedeutung bekommen.
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 18 Das gilt besonders für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG. Die Oberlandesgerichte sind nunmehr zuständig für Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes hatte. Das betrifft damit auch alle Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte. Die Rechtsprechung ist inzwischen ausdifferenziert. a) OLG als richtige Adresse 19 § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG begründet zwar eine von den allgemeinen Vorschriften abweichende Zuständigkeitsregelung und ist deshalb als Ausnahmevorschrift eng auszulegen,16 er findet aber Anwendung – unabhängig von der Anwendung internationalen Rechts im Einzelfall17 – wenn ein ausländisches Versicherungsunternehmen beim Amtsgericht seiner unselbständigen Zweigniederlassung in der Bundesrepublik verklagt wird18
16 OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR Oldenburg 2003, 374. 17 BGH v. 19.2.2003 – IV ZB 31/02, MDR 2003, 707 = ProzRB 2003, 214; OLG Köln v. 17.3.2004 – 16 U 22/04, OLGR Köln 2004, 274. 18 OLG Köln v. 17.3.2004 – 16 U 22/04, OLGR Köln 2004, 274: „Bei Beteiligung der deutschen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens ist nur dann das Landgericht für die Entscheidung über das Rechtsmittel nach § 72 GVG zuständig, wenn es sich bei dieser Niederlassung um eine Tochtergesellschaft im Sinne einer deutschen juristischen Person handelt (vgl. OLG Frankfurt v. 25.9.2003 – 1 U 209/03)“; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 15; OLG Celle v. 21.5.2004 – 11 U 7/04, OLGR Celle 2004, 540.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
– auf Mietstreitigkeiten,19 – im selbständigen Beweisverfahren,20 – bei Streitwertbeschwerden,21 – auf Fälle einfacher Streitgenossenschaft,22 – auch wenn nur ein Teil der Streitgenossen auf Beklagtenseite keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat (ist einheitlich nur das OLG für das Berufungsverfahren zuständig).23 – Vgl. aber unten, wenn fälschlich Streitgenossenschaft angenommen wurde, in Wirklichkeit aber eine GbR Partei war. – Die Rücknahme der Berufung gegen den einzigen Streitgenossen mit Wohnsitz im Ausland hat jedenfalls dann keinen Einfluss auf die Berufungszuständigkeit, wenn sie erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt.24 – Die spätere Verlegung eines bei Rechtshängigkeit deutschen Wohnsitzes in das Ausland führt nicht zu einer Zuständigkeit des OLG.25 – Das gilt auch dann, wenn eine erst nach Rechtshängigkeit in das Ausland verzogene Partei später aus dem Ausland heraus eine Widerklage erhebt.26 Den Sonderfall der Exterritorialität hat der BGH so entschieden: Für die 20 Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil eines Amtsgerichts in einem Wohnraummietprozess ist nicht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG das Oberlandesgericht zuständig, wenn die beklagten Mieter bei Eintritt der Rechtshängigkeit zwar ihren Wohnsitz im Ausland hatten, dort jedoch das Recht der Exterritorialität genossen und demzufolge gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 ZPO den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes behalten haben.27 Für eine BGB-Gesellschaft (GbR) gilt nach einer Entscheidung des OLG 21 Düsseldorf28 folgende Differenzierung: – Klagen mehrere Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft eine Gesamthandsforderung ein, seien nicht die Gesellschafter als Kläger im Rubrum aufzuführen, sondern die GbR sei selbst Klägerin. 19 BGH v. 15.7.2003 – VIII ZB 30/03, MDR 2003 1367; ihm folgend: OLG Düsseldorf v. 16.10.2003 – 10 U 46/03. 20 OLG Köln, Beschl. v. 28.5.2004 – 16 W 8/04, OLGR Köln, 2004, 316. 21 OLG Frankfurt v. 12.3.2004 – 1 W 17/04. 22 BGH v. 13.5.2003 – VI ZR 430/02, MDR 2003, 1194 = ProzRB 2003, 299. 23 OLG Köln v. 27.9.2002 – 16 U 67/02, ProzRB 2003, 216. 24 BGH v. 13.5.2003 – VI ZR 430/02, MDR 2003, 1194 = ProzRB 2003, 299. 25 BGH v. 3.5.2006 – VIII ZB 88/05, BGHReport 2006, 1050. 26 BGH v. 3.5.2006 – VIII ZB 88/05, BGHReport 2006, 1050. 27 BGH v. 1.3.2006 – VIII ZB 28/05, 2006, 809. 28 OLG Düsseldorf v. 7.7.2005 – I-10 U 202/04, OLGR Düsseldorf 2006, 331.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
– Ob für die Berufung über eine Entscheidung des AG nach § 119 GVG Abs. 1 Nr. 1b GVG das OLG zuständig sei, richte sich in diesem Fall nicht nach dem ausländischen allgemeinen Gerichtsstand eines der Gesellschafter, sondern gem. § 17 ZPO nach dem allgemeinen Gerichtsstand der klagenden BGB-Gesellschaft. Nach der neuen Rechtsprechung des BGH besitze die (Außen-)GbR Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründe. Das bedeute, dass sie in der jeweiligen Zusammensetzung der Gesellschafter Vertragspartner werden könne und dass ihre Stellung als Vertragspartner durch einen Gesellschafterwechsel nicht berührt werde. In diesem Rahmen sei sie im Zivilprozess parteifähig, könne also als Gesellschaft klagen und verklagt werden. Machten die Gesellschafter einer GbR als notwendige Streitgenossen eine Gesamthandsforderung geltend, sei trotz äußerlich unrichtiger Bezeichnung grundsätzlich das Rechtssubjekt als Partei anzusehen, das durch die fehlerhafte Bezeichnung nach deren objektivem Sinn betroffen sei.29 Diese Grundsätze gälten auch, wenn sich die klagende Partei selbst fehlerhaft bezeichnet habe. Die fehlerhafte Parteibezeichnung sei durch Rubrumsberichtigung der tatsächlichen Rechtslage anzupassen, d.h. von den ursprünglich klagenden Gesellschaftern auf die Gesellschaft zu berichtigen.30 Bei Unsicherheiten soll Folgendes gelten: – Hat einer von mehreren beklagten Streitgenossen seinen Wohnsitz im Ausland und kann der Kläger nicht sicher abschätzen, ob die Beklagten eine GbR bilden, so sei die Berufung in Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes in jedem Fall zulässig, wenn der Kläger sie sowohl zum OLG als auch zum LG einlege, die Berufung beim LG aber zurücknehme, weil das OLG auf Nachfrage mitgeteilt habe, es sei zuständig. – Dies müsse erst recht dann gelten, wenn als Kläger bezeichnete Gesellschafter die von ihnen bei dem zuständigen LG fristgerecht eingelegte Berufung auf dessen unzutreffenden Hinweis, dass OLG sei gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zuständig, zurückgenommen und – fristgerecht – erst im Anschluss hieran die Berufung zum OLG eingelegt haben.
29 Ob das mit der folgend dargestellten Entscheidung des BGH v. 8.3.2004 – II ZR 175/02, BGHReport 2004, 1118 in Einklang zu bringen ist, ist zweifelhaft. Während hier aber aus dem Gesamtkontext ersichtlich war, dass – objektiv – die GbR gemeint war, sollten – wenn auch fehlerhaft – in der BGH-Entscheidung die Gesellschafter gemeint sein. 30 Unter Bezug auf BGH v. 12.10.1987 – II ZR 21/87, MDR 1988, 560 = NJW 1988, 1585 und BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 324/01, BGHReport 2004, 160 = MDR 2004, 330; NZM 2003, 235; WPM 2003, 795.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
Das Meistbegünstigungsprinzip komme (u.a.) immer dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit, das einzulegende Rechtsmittel betreffend, bestehe, sofern diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruhe. Eine solche Fallgestaltung liege vor, wenn zum einen das AG versäumt habe, die tatsächlich klagende BGB-Gesellschaft im Rubrum des angefochtenen Urteils als Klägerin auszuweisen und das LG zum anderen seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint habe. Das OLG Rostock stellte im Übrigen fest, dass im Aktivprozess der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur die Gesellschaft, nicht ein Gesellschafter Berufung gegen ein Urteil einlegen könne.31 Dem ist der II. Zivilsenat in der Revision entgegengetreten.32 Die Parteistellung für das Rechtsmittelverfahren werde durch den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, die zum Vorteil oder Nachteil einer bestimmten Partei ergehe, begründet. Zur Einlegung der Berufung sei darum derjenige berechtigt, gegen den sich das Urteil richte. Handele es sich um eine subjektive Klagehäufung, könne jeder durch das Urteil beschwerte Streitgenosse unabhängig von den übrigen Streitgenossen Berufung einlegen. Das Urteil der ersten Instanz weise die Parteistellung nicht der GbR, sondern den einzelnen Gesellschaftern zu. Darum richte sich die durch das klageabweisende Urteil begründete Beschwer gegen Gesellschafter und nicht gegen die Gesellschaft. Als Streitgenosse, dessen Klagebegehren der Erfolg versagt bliebe, könne dem Gesellschafter die Rechtsmittelbefugnis nicht abgesprochen werden. Die Rechtsmittelbefugnis des Gesellschafters werde nicht durch die neuere Rechtsprechung, wonach die Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig sei, berührt. Die Parteistellung werde durch Urteilsausspruch und -inhalt ohne Rücksicht auf die Beteiligung an dem materiellen Rechtsverhältnis erworben. Für die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses sei es ohne Bedeutung, ob die Gesellschafter die „richtigen“ Kläger seien. Der nach materiellem Recht unberechtigte Gesellschafter sei also gleichwohl rechtsmittelbefugt. b) Streit bei Zwangsvollstreckung Ob § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG in Zwangsvollstreckungssachen Anwendung findet, wird nicht einheitlich beurteilt. – Verneint wurde dies vom OLG Oldenburg mit der Begründung, für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG sei – neben dem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland – zusätzlich erforderlich, dass eine Streitigkeit über An31 OLG Rostock v. 6.5.2002 – 3 U 146/01, OLGR Rostock 2002, 423. 32 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 175/02, BGHReport 2004, 1118.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
sprüche vorliegt, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden. Diese Voraussetzung sei sicher für das Erkenntnisverfahren gegeben. Im Zwangsvollstreckungsverfahren gehe es hingegen nicht um das Recht einer Partei, von der anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 BGB), sondern um die Durchsetzung des erkannten Rechts zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers unter Mithilfe des Staates: also um einen Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat, der von dem privatrechtlichen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner zu unterscheiden sei.33 – Das OLG Stuttgart argumentiert mit demselben Ziel anders: Auch wenn der Schuldner seinen Wohnsitz im Ausland habe, bestimme sich in Zwangsvollstreckungsverfahren das Beschwerdegericht nicht nach § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG, weil die deutschen Vollstreckungsorgane deutsches Zwangsvollstreckungsrecht anwendeten und deshalb in Zwangsvollstreckungsverfahren generell ein rechtlicher Auslandsbezug fehle.34 – Bejahend dagegen das OLG Köln. Zu den Ansprüchen i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG gehöre auch der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat. Eine solche weite Auslegung der Vorschrift diene der Vermeidung weiterer Unsicherheiten über das zuständige Beschwerdegericht und sei deshalb im Interesse der Rechtssicherheit und der Bestimmtheit der Berufungszuständigkeit geboten.35 – Unentschieden das OLG Frankfurt im Kontext einer Beschwerde im Rahmen einer einstweiligen Verfügung.36 c) OLG als falsche Adresse in WEG-Sachen nach dem FGG 23 Keine Beschwerdezuständigkeit entsprechend § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG soll es nach einer Entscheidung des OLG Stuttgart bei FGG-Sachen zum WEG geben.37 Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung der Beschwerdezuständigkeit in § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nur eine Neuregelung für Verfahren nach der ZPO und nicht auch eine Neuregelung der Beschwerdezuständigkeit in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vornehmen wollen. Letztere sei gem. § 19 Abs. 2 FGG 33 OLG Oldenburg v. 4.9.2003 – 5 AR 44/03, OLGR Oldenburg 2004, 47 = MDR 2004, 534. Bereits vorher OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR Oldenburg 2003, 374: Kein Fall des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG, wenn die Gläubigerin aufgrund eines vorliegenden Titels die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, somit eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung begehrt. 34 OLG Stuttgart v. 23.6.2005 – 8 W 246/05, OLGR Stuttgart 2005, 676. 35 OLG Köln v. 2.4.2004 – 16 W 9/04, OLGR 2004, 293. 36 OLG Frankfurt v. 17.12.2004 – 21 W 42/04, OLGR Frankfurt 2005, 605. 37 OLG Stuttgart v. 6.2.2006 – 8 W 589/05, OLGR Stuttgart 2006, 287.
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umfassend den LG zugewiesen. Für eine erweiternde Auslegung des Begriffs „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten“ auch auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestehe danach keine Veranlassung. In dieselbe Richtung geht eine Entscheidung des OLG Düsseldorf.38 In Wohnungseigentumssachen, die eine Beschlussanfechtung zum Gegenstand haben, sei das LG auch dann zur Entscheidung über die Erstbeschwerde berufen, wenn ein Beteiligter seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland habe.
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In solchen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen es nur Beteiligte, nicht aber Parteien im Sinne der ZPO gebe, seien materiell beteiligt die Wohnungseigentümer und der Verwalter (§ 43 Abs. 4 Nr. 2 WEG). Auch im Beschlussanfechtungsverfahren nach § 43 Abs. 4 Nr. 2 WEG gehe es nicht um die Entscheidung einer Streitigkeit über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, sondern um die Frage der (Fort-)Geltung der im Eigentümerbeschluss zum Ausdruck kommenden Willensbildung der Gemeinschaft. Es sei zu bedenken, dass Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG darin lägen, Rechtssicherheit zu gewähren, weil das Gericht bei allgemeinem Gerichtsstand im Ausland regelmäßig die Bestimmungen des internationalen Privatrechts anzuwenden habe, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zugrunde lege. Dass sich für ein deutsches Gericht in WEGVerfahren der Beschlussanfechtung die Frage nach der Anwendung materiellen ausländischen Rechts stelle, dürfte kaum denkbar sein. d) OLG als falsche Adresse bei inländischer GbR Zur inländischen GbR bei ausländischem Wohnsitz eines oder aller ihrer Gesellschafter, vgl. oben.
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e) Nachprüfung durch Rechtsmittelgericht/Beweislast Soweit das Amtsgericht unangegriffen von einem inländischen bzw. ausländischen Gerichtsstand einer Partei ausgegangen ist, ist dies im Berufungsverfahren regelmäßig zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen.39
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Der nach dem Inhalt der Klageschrift gegebene inländische Gerichtsstand 27 einer Prozesspartei ist im Verfahren vor dem Amtsgericht dabei auch dann „unangegriffen geblieben“, wenn die eine Partei die dazu vorgetragenen Tatsachen zwar bestritten hat, sich bei Zugrundelegung ihrer Dar-
38 OLG Düsseldorf v. 3.2.2006 – I-3 Wx 230/05. 39 BGH v. 28.1.2004 – VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828 = ProzRB 2004, 192.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
stellung aber gleichfalls ein inländischer Gerichtsstand der anderen Partei ergäbe.40 28 Ist in erster Instanz streitig geblieben, ob eine Partei im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte, ohne dass das erstinstanzliche Gericht Feststellungen dazu getroffen hat, obliegt dem Berufungsführer, der an seinem bestrittenen Vorbringen dazu festhält, die Beweislast für die funktionelle Zuständigkeit des von ihm angerufenen Berufungsgerichts. 29 Schließt sich der Berufungsführer dem erstinstanzlich bestrittenen Vorbringen seines Gegners zu einem Gerichtsstand im Inland oder Ausland an und legt er – gestützt darauf – Berufung zum Landgericht oder zum Oberlandesgericht ein, ist es dem Gegner verwehrt, diesen Vortrag in der Berufungsinstanz zu ändern.41 f) Falsch eingelegt: Fristprobleme … 30 Legt man zum falschen Gericht Berufung ein (was im Normalfall bedeutet, dass vom Amtsgericht kommend zum Landgericht Berufung eingelegt wird), – wird durch die Einlegung des Rechtsmittels beim Landgericht die Berufungsfrist nicht gewahrt;42 – kann der Rechtsanwalt nicht erwarten, dass seine Berufungsschrift umgehend darauf geprüft wird, ob möglicherweise die Zuständigkeit eines anderen Gerichts besteht;43 – es besteht nämlich keine generelle Fürsorgepflicht44 des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen und vorher mit der Sache noch nicht befassten Gerichts, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern;45 – ist das zuständige Oberlandesgericht selbst nach Verweisung vom Landgericht nicht davon entbunden, die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen46 (und dabei die Fristsäumnis festzustellen).
40 BGH v. 1.3.2006 – VIII ZB 28/05, BGHReport 2005, 1013. 41 BGH v. 28.3.2006 – VIII ZB 100/04, BGHReport 2006, 925. 42 BGH v. 19.2.2003 – IV ZB 31/02, MDR 2003, 707 = ProzRB 2003, 214; OLG Frankfurt v. 30.4.2004 – 26 U 70/03, OLGR Frankfurt 2004, 270. 43 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, OLGR Düsseldorf 2003, 91. 44 Vgl. zur Fürsorgepflicht sogleich noch bei den Einlegungsalternativen. 45 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 204, 1311. 46 OLG Köln v. 28.10.2002 – 16 U 69/02, OLGR Köln 2003, 125 = NJW-RR 2003, 864.
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g) … und kaum Wiedereinsetzungschancen Wiedereinsetzung ist in solchen Fällen schwerlich zu erlangen, denn
31
– einem Rechtsanwalt müssen die bei der Zuständigkeit für Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile mit Auslandsbezug durch das Zivilprozessreformgesetz geschaffenen Änderungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1b und c GVG) bekannt sein;47 – und der Berufungskläger kann seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht darauf stützen, das Landgericht habe die Akten fristwahrend dem Oberlandesgericht übersenden müssen, wenn die Berufung als Blattberufung erst am vorletzten Tag der Berufungsfrist beim – bis dahin mit der Sache nicht befassten – Landgericht einging;48 – die Wiedereinsetzung kommt wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung der Berufungsschrift allenfalls dann in Betracht, wenn die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch erwartet werden konnte,49 denn – ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten wirkt sich nur dann nicht mehr aus, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann.50 – Das ist nach einer Entscheidung des KG51 bei einer Berufungseinlegung beim nicht vorbefassten Gericht erst dann zu erwarten, wenn diesem Gericht die Sachakten vorliegen. Darauf, dass das angefochtene Urteil beigefügt war und sich aus dessen Tenor und dem Berufungsschriftsatz für eine Partei eine Anschrift im Ausland ergibt, kommt es nicht an. § 119 Abs. 1 Ziff. 1b) GVG stellt auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage ab; diese Prüfung ist erst nach Vorlage der Sachakten möglich.
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Praxistipp: Dem KG hatten sogar zwei Wochen vor Einlegungsfristablauf nicht genügt, eben weil das nicht vorbefasste angerufene Landgericht keine Kenntnis der Sachakten und deshalb keine Veranlassung zur Annahme hatte, es sei nicht zuständig. Diese Argumentation dürfte dann nicht mehr tragend sein, wenn nicht nur das angefochtene Urteil beigefügt wird, sondern auch ein Doppel der zugestellten Klageschrift.
47 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, ProzRB 2003, 215; OLG Frankfurt v. 3.5.2005 – 9 U 22/05, OLGR Frankfurt 2005, 844; OLG Hamm v. 12.9.2005 – 30 U 134/05, OLGR Hamm 2005, 729. 48 OLG Celle v. 10.2.2004 – 3 U 15/04, OLGR Celle 2004, 368. 49 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, OLGR Düsseldorf 2003, 91. 50 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 2004, 1311. 51 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
33 Einen Sonderfall bildete schließlich noch folgende Konstellation: Der Rechtsanwalt einer Partei hatte infolge unrichtiger Beurteilung der Rechtslage in einem Falle des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG zunächst Berufung beim LG eingelegt, war dann kurz vor Ablauf der Berufungsfrist auf die von der seinigen abweichenden Auffassung des LG hingewiesen worden, legte aber dann erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim OLG Berufung ein, weil vorher eine positive Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung für diese erneute Berufung nicht zu erreichen war. Die verzögerte Deckungszusage ermöglichte nach Ansicht des OLG Köln keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Berufungseinlegung.52 34
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Praxistipp: Wenn ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt werden soll, dann (diesmal) beim richtigen Gericht. Das OLG Jena weist in einer Entscheidung darauf hin, dass die Frist des § 234 (Abs. 1) ZPO nur dadurch gewahrt werde, dass der Wiedereinsetzungsantrag und die versäumten Rechtshandlungen gem. §§ 236 Abs. 1, 237, 519 Abs. 1 ZPO bei dem Gericht angebracht würden, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zustehe.53
h) Taktische Konsequenzen 35 Wer um diese Zusammenhänge frühzeitig (idealerweise schon vor der Klageerhebung) weiß, kann planen. aa) Wohnsitz: Ausland 36 Beispiel: Denkbar ist, dass ein Deutscher, der mit einem anderen Deutschen in Deutschland einen Autounfall produziert, der aber zugleich seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat, Klage auf Schadensersatz erhebt.
Einerlei, wer verliert und wer gewinnt, muss die Berufung zum Oberlandesgericht. Es gibt hier zwar den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, § 32 ZPO. Dieser ist aber kein ausschließlicher Gerichtsstand.54 Es handelt sich um einen Wahlgerichtsstand nach § 35 ZPO.55 Der allgemeine Gerichtsstand nach § 12 ZPO ist bei natürlichen Personen gem. § 13 ZPO der Wohnsitz. Und der ist in der vorliegenden Konstellation im Ausland. 37 Damit liegen die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG vor. Die Besonderheit für die Prozesstaktik ist nun eine doppelte:
52 53 54 55
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OLG Köln v. 17.11.2004 – 16 U 82/04, MDR 2005, 890. OLG Jena v. 22.9.2005 – 4 U 800/05, OLGR Jena 2006, 28. Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rz. 6. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 32 Rz. 18.
§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
– Zum einen wissen die allermeisten Anwaltskollegen gar nicht um die Existenz dieser Vorschrift, obwohl sich die Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen langsam häuft (s.o.). – Zum anderen nutzt bei geschickter Vorgehensweise auch das Wissen nichts, wenn die Anwaltskollegen nicht außergewöhnlich sorgfältig arbeiten. bb) Wohnsitz: Deutschland – Ausland – Deutschland Angenommen, der Geschädigte aus dem o.a. Unfallbeispiel wohnt im 38 Zeitpunkt des Unfalls gar nicht im Ausland, sondern in Deutschland. Weiter angenommen, der Geschädigte wechselt – aus welcher Motivation heraus auch immer – für einen gewissen Übergangszeitraum, in den auch die Zustellung der Klageschrift fällt, seinen Wohnsitz in das Ausland. Angenommen zuletzt, der Geschädigte wechselt daran anschließend seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland. Dann ist all dies in den Gerichtsakten an zweierlei Stelle dokumentiert: Einmal in der Klageschrift, denn dort ist ja der Auslandswohnsitz des Klägers angegeben. Ein andermal in einer kurzen Mitteilung etwas später im Laufe des Verfahrens, welche dem Gericht mitteilt, dass der Kläger seinen Wohnsitz nunmehr unter anderer Adresse habe. Der Klägeranwalt, der die hier dargestellte Problematik im Auge hat, wird 39 das entsprechende Schreiben an das Gericht „unauffällig“ formulieren. Er wird es vermeiden, das Gericht – und damit den Gegner – dadurch auf die Problematik hinzuweisen, dass er die alte Auslandadresse überhaupt erwähnt. Er formuliert schlicht:
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Formulierungsvorschlag: „Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger seit dem 1.3.2003 eine neue Anschrift hat. Diese Anschrift lautet: …“
Üblichem Vorgehen würde es entsprechen, wenn sich danach sowohl Ge- 41 richt wie auch Beklagter (oder Beklagtenvertreter) in den jeweiligen Stammdaten die neue Adresse notieren und der alten im Folgenden gar keine Beachtung mehr schenken. cc) Hochwahrscheinlich: Berufung zum unzuständigen Gericht Wenn jetzt der Kläger in erster Instanz gewinnt, mag der Beklagte in Be- 42 rufung gehen.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
– War er vorher anwaltlich vertreten, kann es sein, dass der Anwalt sich an die allererste Adresse des Klägers erinnert, dies mit § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG verknüpft und folgerichtig die Berufung zum OLG einlegt. Wahrscheinlich ist das aber nicht. – War er vorher nicht anwaltlich vertreten oder hat er zwischen den Instanzen den Anwalt gewechselt, kennt der neue Anwalt bei der Mandatierung die Klageschrift noch nicht. Völlig üblich war es bislang, das angefochtene Urteil vom Mandanten zu verlangen, um die nötigen Angaben für die Berufungseinlegung zur Verfügung zu haben, und die ganzen Details im Rahmen der Berufungsbegründung zu sichten. Im Urteil aber steht nur die – jetzt ja wieder – deutsche Adresse des Klägers. Das Urteil gibt also nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass es wegen § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zum OLG gehen müsste. Der Beklagtenanwalt wird die Berufung deshalb konsequent falsch beim Landgericht einlegen. 43 Der Klägeranwalt, der um die Zusammenhänge weiß, kann sich zuerst entspannt zurücklehnen und sich dann nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist von einem Monat auf den Hinweis beschränken, dass die Berufung beim falschen Gericht eingereicht wurde. dd) Fast aussichtslos: Wiedereinsetzung 44 Der Beklagtenanwalt wird dann noch versuchen, Wiedereinsetzung zu erreichen. Das wird aber in aller Regel scheitern (s.o.) 45 Eine Verpflichtung des Landgerichtes, bei dem die Berufung fälschlicherweise eingelegt wurde, zu kontrollieren, ob es das zuständige Berufungsgericht ist, kann allenfalls dann angenommen werden, wenn dem Landgericht dafür genügend Zeit bleibt (auch dazu bereits oben). Das ist aber in der Mehrzahl der Fälle nicht so. Bekanntermaßen werden die meisten Berufungen am letzten Tage der Berufungsfrist oder allenfalls kurz vorher eingelegt. Selbst wenn dies unter Beifügung einer Ausfertigung des angegriffenen amtsgerichtlichen Urteils geschieht, ergibt sich alleine daraus für das Landgericht kein Anhaltspunkt dafür, dass es unzuständig sein könnte.56 Der Pfiff besteht ja gerade darin, dass im Urteil die deutsche Adresse des Klägers steht. 46
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Praxistipp: Es ist damit inzwischen zwingend, dass der Anwalt, bevor er eine Berufung vom Amtsgericht zum Landgericht einlegt, die Klageschrift daraufhin kontrolliert haben muss, ob eine der Parteien zum Zeitpunkt der Klagezustellung ihren Wohnsitz im Ausland hatte. Zu-
56 So inzwischen auch das KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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sätzlich kann er dem Einlegungsschriftsatz ein Doppel der Klageschrift beifügen. ee) Rechtsmissbrauch? Es bleibt die Frage, ob der Anwalt, der darauf „reingefallen“ ist, dass vor und nach der Klagezustellung der Wohnsitz wechselte, den Einwand des Rechtsmissbrauches erheben kann.57
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Damit ist allerdings zugleich die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob 48 das taktierende Gestalten im Prozess missbräuchlich sein kann. Angesichts dessen, dass der BGH selbst schon Anwälte haftbar gemacht hat, die nicht (richtig) taktierten, ist diese grundsätzliche Frage aus Sicht des Praktikers ebenso grundsätzlich zu verneinen. Es mag Ausnahmen geben, namentlich solche, in denen das taktierende Element überhaupt nicht erkennbar ist. Um eine solche Ausnahme geht es in der dargestellten Konstellation allerdings auch dann nicht, wenn der Klägeranwalt dem Kläger gerade im Hinblick auf die rechtliche Regelung zu den Wohnsitzwechseln geraten hat. Der „Reinfall“ des Berufungsklägers ist letztlich allein darin begründet, dass er vor Einlegung seiner Berufung die Klageschrift nicht mit der nötigen Sorgfalt gewürdigt oder sie erst gar nicht zur Kenntnis genommen hat.
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Abgesehen davon dürfte bei entsprechend formulierter Erwiderung des Berufungsbeklagten ohnehin erst gar nicht der Eindruck entstehen, dass hier taktiert wurde.
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Formulierungsvorschlag:
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„Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klagezustellung seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte (vgl. die Adresse in der Klageschrift). Das Landgericht ist damit für die Berufung gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG nicht zuständig.“ ff) Anwendungsmöglichkeiten Die Relevanz dieser Vorgehensweise erscheint im Übrigen zunächst ein- 52 mal gering. Immerhin funktioniert all das nur, wenn die erste Instanz ein Amtsgericht ist. In erster Instanz sind Amtsgerichte aber nur bei Gegenstandswerten bis 5.000 Euro zuständig. Dieser Gedanke ist allerdings in zweierlei Hinsicht falsch: 57 E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 580, spricht vornehmer von „Instanzenzug lässt sich leicht manipulieren“.
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53 Einmal gilt die Streitwertgrenze ja nur für den Normalfall des § 23 Nr. 1 GVG. Gerade § 23 Nr. 2a GVG enthält aber durchaus sehr kostenträchtige Erweiterungen für mietrechtliche Verhältnisse. 54 Zum zweiten besteht auch die Möglichkeit, im Einvernehmen mit der Gegenseite eine Teilklage zu erheben und deren Ausgang für die gesamte Summe verbindlich zu machen. Diese Möglichkeit kann insbesondere genutzt werden, wenn auf der Beklagtenseite eine Versicherung steht, die kein personalisiertes Interesse daran hat, dass dem Kläger schon durch die Klageeinreichung möglichst hohe Kosten entstehen. 55 Beispiel: Im Rahmen eines Brandes entstehen in einem Bekleidungsgeschäft Schäden in Höhe von 100.000 Euro. Die Versicherung ist der Auffassung, es handele sich um den Ausschlussfall der Eigenbrandstiftung. Der Klägeranwalt vereinbart mit der Versicherung, dass die Frage im Rahmen einer Teilklage über 5.000 Euro geklärt werden soll. Das Ergebnis des Prozesses soll für den Gesamtanspruch verbindlich sein. Dies soll auch für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten gelten.
Für den Klägeranwalt ist dieses Vorgehen auch nicht etwa unter gebührenrechtlichen Aspekten nachteilig. Es entsteht jedenfalls die Geschäftsgebühr aus dem vollen Wert von 100.000 Euro (mindestens 1,3). Nur bei der Terminsgebühr ist an den geringeren Wert anzuknüpfen. Auf der anderen Seite dürfte aber die – außergerichtliche – Vereinbarung zwischen den Parteien, den Ausgang des Rechtsstreites für die Gesamtforderung zur Basis zu machen, den Regelungsgehalt eines Vergleiches haben. Insoweit fällt natürlich noch eine Einigungsgebühr an58 (wohl aber nur über den nicht einzuklagenden Wert von 95.000 Euro, dafür aber in Höhe von 1,5 – außergerichtlich). 56
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Praxistipp: In den Fällen des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG kann der Anwalt letztlich nur dann das zuständige Berufungsgericht ermitteln, wenn er sich vom Mandanten nicht nur das erstinstanzliche Amtsgerichtsurteil zeigen lässt, sondern auch die (zugestellte) Klageschrift.59
2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht 57 Bei Familiensachen, die vom Familiengericht (§ 23b GVG) entschieden wurden (§ 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG) geht es gleichfalls sofort vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht. Das gilt auch, wenn eine Familiensache nach dem FGG vorliegt, also eine solche, die nicht im Verbund mit einer 58 Die Situation entspricht dem Fall, in dem eine Abhängigkeit von einem Schiedsgutachten hergestellt wird, vgl. N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., VV 1000 Rz. 115. 59 Und nicht nur – wie gelegentlich auf Klägerseite festzustellen – Entwürfe des erstinstanzlichen Bevollmächtigten.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts
Ehesache steht. Hier ordnet § 64 Abs. 3 S. 1 FGG an, dass die Beschwerde zum Oberlandesgericht geht. Interessant wird es, wenn eine Familiensache beim Amtsgericht nicht 58 von der speziellen Abteilung hierfür (also von einem Familiengericht im formellen Sinne), sondern von einer allgemeinen Abteilung behandelt und entschieden wurde. Nach dem Grundsatz der formalen Anknüpfung60 ist dann das OLG nicht für die Berufung zuständig (es muss folglich zum Landgericht Berufung eingelegt werden).61 Umgekehrt gilt dies dann auch: Wenn also das Amtsgericht als Familiengericht entschieden hat, obwohl dieses gar nicht als solches handeln durfte.62 Dann ist das OLG gleichwohl zuständig. Auf der anderen Seite ist in Zweifelsfällen das sog. Meistbegünstigungs- 59 prinzip anzuwenden. Behandelt also etwa eine allgemeine Abteilung einen Fall, der dann im Urteil – ohne die explizite Nennung Familiengericht – explizit als Familiensache gekennzeichnet wird (oder in dem das Aktenzeichen auf eine Familiensache hindeutet), muss man es dem Rechtsmittelführer überlassen, wohin er sich mit seiner Berufung wendet.63 Es ist dann entsprechend § 281 ZPO64 ggf. zu verweisen.
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Praxistipp: Das Meistbegünstigungsprinzip ist aber kein Beliebigkeitsprinzip. Wenn man sich einmal für eine Möglichkeit entschieden hat (z.B. für den Weg zum OLG), dann muss man die Berufung genau so einlegen, wie sie dort einzulegen ist, also im Beispiel insbesondere durch einen bei einem OLG zugelassenen Rechtsanwalt.
60
3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG enthält eine eigentümliche Formulierung. Wenn 61 das Amtsgericht ausländisches Recht angewandt und dies in den Entscheidungsgründen ausdrücklich festgestellt hat, geht die Berufung gleichfalls vom Amtsgericht an das Oberlandesgericht. Die Anwendung allein genügt also nicht, hinzukommen muss eine ausdrückliche Feststellung.
60 Gummer in Zöller, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 5. 61 Das war unter einer früheren Fassung des GVG anders. Die Rechtsprechung aus dieser Zeit darf deshalb nur unter Berücksichtigung des heutigen Wortlautes verwertet werden. Namentlich gilt das für die grundsätzliche Entscheidung des BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182. 62 Vgl. den Fall des OLG Stuttgart, v. 17.3.2003 – 17 UF 259/02, OLGR Stuttgart 2003, 466. 63 BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182, dort Leitsatz b). 64 BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182 (192).
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
a) Nicht ausländisches Recht 62 Vorweg ist festzuhalten, was alles nicht ausländisches Recht ist: – das europäische Gemeinschaftsrecht – das Völkerrecht und – das sonstige in Deutschland geltende internationale Recht (z.B. das UN-Kaufrecht).65 63 Als ausländisches Recht im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG bleibt danach nur das Recht ausländischer Staaten. b) Nicht „ausdrücklich“ ist nicht genug 64 Ausdrückliche Anwendung des ausländischen Rechts liegt nicht vor, wenn das Amtsgericht das ausländische Recht nicht angewandt hat, obwohl es das nach Meinung des Berufungsgerichtes hätte tun müssen. Ausdrückliche Anwendung liegt weiter nicht vor, wenn ausländisches Recht zur Rechtsfindung lediglich herangezogen wurde, dies aber in den Entscheidungsgründen nicht in Distanzierung zu dieser Tätigkeit gesondert festgestellt wird. 65 Idealerweise formuliert das Amtsgericht so: „Es wurde ausländisches Recht angewendet.“ 66 Es soll aber auch reichen, wenn sich die Heranziehung des ausländischen Rechts aus der Formulierung der Entscheidungsgründe ergibt („beruht auf“; „Anspruchsgrundlage ist …“).66 67
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Praxistipp: Für den Anwalt, der bei der Führung des Rechtsstreites ja im Normalfall merken sollte, dass ausländisches Recht eine Rolle spielt, bietet es sich an, das Gericht unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG um eine Stellungnahme zu bitten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht bei der Abfassung der Entscheidungsgründe diesen Punkt beachtet. Namentlich dann, wenn das Gericht dann aber trotz dieses Hinweises nichts Ausdrückliches zur Anwendung ausländischen Rechtes sagt, wird der Weg zum Landgericht risikolos zu beschreiten sein.
c) Wann darf das AmtsG „ausdrücklich“ schreiben? 68 Es bleibt allerdings die Frage, in welchen Fällen das Amtsgericht zu der eben genannten Formulierung (Rz. 65) greifen kann und sollte. 65 So die Begründung zur Beschlussempfehlung und zum Bericht des Rechtsausschusses vom 15.5.2001, BT-Drucks. 14/6036, S. 119 (über die Internetseiten des Deutschen Bundestages zu beziehen). 66 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts
(Ausländisches) Recht wird ja z.B. auch dann angewandt, wenn etwa ein 69 (nach ausländischem Recht normierter) Anspruch geprüft und das Vorliegen seiner Voraussetzungen verneint wird. Zugleich mag ein nach deutschem Recht gegebener alternativer Anspruch gegeben sein. Es wird weiter angewandt, wenn ein nach deutschem Recht normierter 70 Anspruch von Voraussetzungen abhängt, die nach ausländischem Recht anders sind als nach deutschem Recht. Ist z.B. die Haftung eines Beklagten vom Alter abhängig und die Haftungsaltersgrenze nach ausländischem Recht eine andere (dem Kläger günstigere) als nach deutschem Recht, kommt es auf das ausländische Recht an, wenn der Beklagte nur nach dessen Voraussetzungen haftet, nicht aber nach denen des deutschen Rechtes. Es kommt aber nicht darauf an, wenn der Beklagte nach den Voraussetzungen beider Rechtssysteme haftet, weil er für beide Systeme alt genug ist. Die Frage, die sich aus diesen Überlegungen herleitet, ist damit die, ob 71 das – angewendete – ausländische Recht zur Entscheidung des Gerichts in erheblicher Weise beigetragen hat. Und wenn man das verneint, stellt sich die weitere Frage, ob denn derartige Entscheidungserheblichkeit überhaupt eine Notwendigkeit für die geforderte Formulierung des Amtsgerichts ist. Gummer67 bejaht dies unter drei Aspekten.
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– Er weist zunächst auf die sonst gegebenen Möglichkeiten missbräuchlicher Ausnutzung hin. Käme es auf Entscheidungserheblichkeit nicht an, könnte eine Partei mit der beliebigen Rechtsbehauptung, ausländisches Recht sei einschlägig, das Amtsgericht dahin bringen, sich damit zu befassen, und diese Befassung alleine führte dann schon zur OLG-Zuständigkeit. – Daneben sei § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG als Ausnahme von § 72 GVG eng auszulegen.68 – Im Übrigen spreche auch der Umstand dafür, dass der Gesetzgeber die Anwendung des deutschen IPR noch nicht als Auslöser für die OLGZuständigkeit hat ausreichen lassen.69 67 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16; Wolf in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband 2. Aufl., § 119 GVG Rz 9 („muss als einer der tragenden Entscheidungsgründe herangezogen sein“); Hüßtege in Thomas/ Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 119 GVG Rz. 13 („die Hauptfrage“). Dagegen aber z.B. Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 119 GVG Rz. 3 („ausländisches Recht in einer Nebenfrage“) 68 Das liest man gelegentlich auch im Zusammenhang mit den anderen Fällen, so z.B. für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG bei OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR 2003, 374. Auch dort allerdings ohne Begründung. 69 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16. Bei den Übrigen fehlt es an einer solchen Begründung.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
73 Alle drei Argumente sind nicht überzeugend. Soweit eine Partei in missbräuchlicher Weise die Anwendung ausländischen Rechtes ohne jede Substanz schlicht behauptet, steht es dem Amtsgericht frei, darauf einzugehen. Hält das Amtsgericht aber dafür, dass Anlass zur Beschäftigung besteht, können Missbrauch und Beliebigkeit so schlimm nicht sein. Dass etwas eng auszulegen ist, gibt keinen Hinweis darauf, bis wohin eng geht. Das Gesetz selbst fordert nur eine Anwendung, nicht dagegen Entscheidungserheblichkeit. Hätte der Gesetzgeber Entscheidungserheblichkeit gewollt,70 hätte es nahe gelegen, die gängige Formulierung des Beruhens (wie z.B. in § 545 ZPO) zu verwenden. Der Hinweis auf deutsches IPR geht schon deshalb fehl, weil es sich dabei eben um deutsches Recht handelt. 74 BGH-Entscheidungen hierzu sind bislang – soweit ersichtlich – noch nicht veröffentlicht.71 Aus der OLG-Rechtsprechung ist auf eine Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahre 2002 hinzuweisen, die einen Sonderfall betraf72: Das Amtsgericht hatte die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der ZPO beurteilt, eine Vorfrage hierzu aber nach ausländischem Recht. Das reichte dem OLG Hamm für § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG nicht. d) Was, wenn das AmtsG fälschlich ausdrückt? 75 Aber wenn man – mit der wohl überwiegenden Meinung – ein Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit schließlich bejaht, stellt sich zuletzt die Frage, was man macht, wenn das Amtsgericht trotz nur entscheidungsunerheblicher Anwendung ausländischen Rechts gleichwohl formuliert: „Es wurde ausländisches Recht angewendet.“ 76 Diese Frage ist am Einfachsten zu beantworten. Im Bereich des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG gilt offensichtlich das Prinzip der formalen Anknüpfung.73 Konsequenterweise darf es keine Rolle spielen, ob das Amtsgericht ausländisches Recht tatsächlich in entscheidungserheblicher Wei70 Was genau der Gesetzgeber hier gewollt hat, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Zwar heißt es dort – von diversen Quellen später gern zitiert –: „Die Bestimmung ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst eng gefasst.“ (BT-Drucks. 14/6036, S. 119). Das wird dann aber nur mit einigen Negativbeispielen erläutert, zu denen die mangelnde Entscheidungserheblichkeit nicht zählt. 71 Eine Anfang Mai 2006 auf der Internetseite des BGH zu § 119 GVG durchgeführte Suche zeigt nur vier Fundstellen zu § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG. Die Recherche auf www.zr-report.de fördert noch einige Fundstellen mehr zu Tage, aber nur eine OLG-Entscheidung zu Nr. 1c. 72 OLG Hamm v. 23.5.2002 – 15 W 195–197/02, OLGR Hamm 2002, 426. 73 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 5 und 17.
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Berufung zum LG und zum OLG?
se angewendet hat. Sobald es dies (ausdrücklich) in seine Entscheidung hineinschreibt, ist die Zuständigkeit des OLG gegeben. Wenn man so will, ist den Amtsgerichten damit nunmehr in manchen 77 Fällen eine Möglichkeit in die Hand gegeben, selbst zu bestimmen, wohin eine Berufung gegen ihre Entscheidungen geht.
4. Berufung zum LG und zum OLG? Was nun, wenn der Anwalt sich bei all dem nicht sicher ist, wohin seine Berufung denn nun gehen muss?
78
Eine (fast) sichere Lösung wäre, die Berufung dann eben beim LG und beim OLG einzureichen. Eines der beiden ist ja dann auf jeden Fall ganz sicher beim (objektiv) zuständigen Gericht gelandet. Diese Lösung hat unter Kostenaspekten aber den entscheidenden Nachteil, dass die andere Berufung ebenso (fast) sicher an der Zuständigkeitshürde scheitern wird. Bestellt sich dann noch schnell für beide Verfahren ein Kollege auf der Gegenseite, können beachtliche Kosten anfallen. Zwei Besonderheiten können in dieser Konstellation allerdings auftauchen:
• Einmal ist es möglich, dass beide angerufenen Gerichte sich für zuständig halten. Wenn die Berufungen bei beiden Gerichten gleichzeitig eingegangen sind (Nachtbriefkasten und entsprechende Eingangsstempel) hilft einem dann auch der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit nichts.74 Nachdem der Berufungsführer es wegen der Parteimaxime aber in der Hand hat, eine Berufung (weiter) zu führen oder dies zu lassen, kann er jederzeit eine der beiden Berufungen zurücknehmen. Soweit beide Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklären, liegt ein Fall des § 36 Nr. 5 ZPO75 vor. Eine rechtskräftige Zuständigkeitserklärung setzt ein entsprechendes (Zwischen-)Urteil voraus.76 In diesem Fall kann auch eine Zuständigkeitsbestimmung herbeigeführt werden. Berufungsrücknahme ist natürlich gleichwohl auch in solchen Fällen noch möglich. Nach einer Zuständigkeitsbestimmung sieht dies 74 So wurde z.B. im Fall von OLG Brandenburg v. 16.11.2005 – 4 U 5/05, OLGR Brandenburg 2006, 624 argumentiert. 75 § 36 ZPO gilt nicht nur für die örtliche, sondern – entsprechend – auch für die sachliche (vgl. z.B. BGH v. 16.2.1984 – I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155 [157]) und funktionelle Zuständigkeit (z.B. BGH v. 15.2.1978 – IV ARZ 15/78, NJW 1978, 891 und BGH v. 25.11.1977 – I ARZ 584/77, NJW 1978, 427). Ausdrücklich bejahend für Streitfragen im Instanzenzug: Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 30. 76 Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 21.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
naturgemäß anders aus, denn dann bleibt ja nur noch ein zuständiges Gericht übrig.
• Zum anderen ist auch denkbar, dass beide angerufenen Gerichte sich für unzuständig halten. Soweit beide Gerichte sich rechtskräftig für unzuständig erklären, liegt ein Fall des § 36 Nr. 6 ZPO vor. Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung setzt ein entsprechendes (Prozess-)Urteil oder einen entsprechenden Beschluss voraus.77 Rechtskraft liegt wie immer erst nach Unanfechtbarkeit vor. Im Rahmen von Rechtsmittelfristen kann man also versuchen, die entsprechende Entscheidung mit den vorgesehenen Rechtsmitteln zu kippen. Das wird in den hier besprochenen Fällen (Zweifel über die Zuständigkeit eines Gerichts im Berufungsverfahren) aber regelmäßig völlig witzlos sein. Es steht ja gegen ein (Berufungs-) Prozessurteil nur die Revision oder die Nichtzulassungsbeschwerde offen.78 Erst nach Rechtskraft kann dann eine Zuständigkeitsbestimmung herbeigeführt werden.
5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? 80 Als Ausweg bietet es sich an, die Berufung beim Amtsgericht einzulegen. Dieses ist nun offenkundig unzuständig. Ein Antrag nach § 281 ZPO, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, hilft hierbei aber nicht weiter, denn § 281 ZPO soll nicht den Fall der funktionellen Unzuständigkeit erfassen.79 81 Helfen könnte aber eine Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung. Diese sieht für den Fall eines Fehlers in der Adressierung80 eine Pflicht des 77 Zu weiteren Unzuständigkeitserklärungsformen vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 24. 78 Über Gegenvorstellungen (ggf. nach § 321a ZPO n.F. analog) zu reden, macht aktuell wenig Sinn. Hier ist die inzwischen durch das Anhörungsrügengesetz eingeleitete Umsetzung der BVerfG-Entscheidung zur Notwendigkeit fachgerichtlicher Abhilfe (BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02) erst mal abzuwarten. (Dass diese Umsetzung sich nur mit den Problemen einer Verletzung rechtlichen Gehörs beschäftigt, die anderen Justizgrundrechte [gesetzlicher Richter] aber außer Acht lässt, sei nur am Rande erwähnt.) Eine Verfassungsbeschwerde hindert nicht die Rechtskraft. 79 BGH v. 10.7.1996 – XII ZB 90/95, FamRZ 1996, 1544; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rz. 4. 80 Dazu OLG Zweibrücken v. 10.8.2004 – 4 U 139/04, MDR 2005, 591: Der Rechtsanwalt, der einer Berufungsschrift unterzeichnet, muss diese persönlich auf ihre richtige Adressierung überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn die Rechtsmittelschrift in automatisierter Weise durch Verwendung eines Computerprogramms erstellt worden ist.
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Berufung zum vorbefassten Amtsgericht?
Empfängers zur Weiterleitung vor. Erfolgt die Weiterleitung nicht innerhalb einer vom Absender einzuhaltenden Frist, ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Daran ist zunächst zweierlei wichtig: a) Prüfungspflicht des Empfängers Einmal hat das empfangende Gericht81 eine Prüfungspflicht. Eingehende Schriftsätze sind darauf zu prüfen, ob das empfangende Gericht dafür überhaupt zuständig ist. Hier ist zu unterscheiden
82
• zwischen den Fällen, in denen der Schriftsatz (hier die Berufungseinlegung) an einen Adressaten gerichtet ist, aber bei einem anderen landet; Beispiel: Die an das OLG adressierte Berufung wird versehentlich an das LG geschickt (häufiger Fehler bei Faxverwendung).
• denen, in denen der Adressat selbst der falsche ist und mit der Sache gar nichts zu tun hatte und/oder hat; Beispiel: Die Berufung wird nicht an das – zuständige – Landgericht, sondern an das Landesarbeitsgericht adressiert.
• und denen, in denen der Adressat selbst zwar der falsche ist, aber mit der Sache schon Kontakt hatte. Beispiel: Die Berufung wird nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Ausgangsgericht adressiert.
aa) Fürsorge vs. Funktionsfähigkeit Zwei Aspekte streiten in solchen Fällen miteinander: die richterliche Fürsorge von Verfassungs wegen als eine Form der fairen Verfahrensgestaltung und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, die vor Überlastung geschützt werden muss. Je dichter der tatsächliche Empfänger an der Sache dran war, umso mehr ist er verpflichtet.
83
Das BVerfG hat die hier interessierende Konstellation des Eingangs beim Ausgangsgericht statt beim Rechtsmittelgericht im Jahre 1995 grundsätzlich entschieden.82
84
Bevor diese Entscheidung nun dargestellt wird, scheint mir aber der Hinweis wichtig, dass – ungeachtet der offensichtlich allgemeingültig gehal81 Insgesamt geht es nicht nur um Gerichte, die etwas empfangen, sondern (auch) um Behörden, also allgemein um staatliche Stellen. 82 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (Leitsatz 2), [3175].
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
tenen Ausführungen des BVerfG – der dort konkret entschiedene Fall eine Abweichung von der hier aufgeworfenen Möglichkeit enthielt. In der Entscheidung des BVerfG war nämlich die Berufung bereits bei einem zuständigen Berufungsgericht eingelegt und (lediglich) die fristgebundene Berufungsbegründung an das Ausgangsgericht adressiert worden. Das hat auf die Argumentation keinen Einfluss, sollte aber im Auge behalten werden, weil die Einbeziehung der BVerfG-Entscheidung von manchen Gerichten vielleicht mit dem Hinweis auf einen anders gearteten Ausgangsfall gekontert wird. bb) BVerfG: Vorrang der Fürsorge bei Vorbefassung 85 Das BVerfG stellt fest, dass es eine Abwägung zwischen den Belangen der Partei und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege geben müsse. Diese falle aber jedenfalls dann zugunsten des Rechtssuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig sei, jedoch vorher selbst mit dem Verfahren befasst war. 86 Die während der Befassung bestehende Fürsorgepflicht des Gerichts habe sich danach in eine nachwirkende Fürsorgepflicht umgewandelt.83 Das Gericht sei regelmäßig verpflichtet, einer Partei, die sich über die Rechtsmittelmöglichkeiten und -erfordernisse nicht im Klaren sei, auf Anfrage darüber Auskunft zu erteilen. 87
Û
Praxistipp: Das könnte der Anwalt sich zu Nutze machen, indem er in Zweifelsfällen unmittelbar nach Urteilszustellung beim Amtsgericht unter Hinweis auf die entsprechende BVerfG-Entscheidung um Auskunft über das richtige Rechtsmittelgericht nachsucht. Ob eine Falschauskunft des Amtsgerichtes ein Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzungsvorschriften ausschließt, ist damit aber noch nicht geklärt.
88 Es ist dabei aber an die Entscheidung des BVerfG vom 12.8.2002 zu erinnern, die postuliert: „Rechtskenntnis und -anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Fehler der Richter sind – soweit möglich – im Instanzenzug zu korrigieren. Soweit dies aus Gründen des Prozessrechts ausscheidet, greift grundsätzlich nicht im Sinne eines Auffangtatbestandes die Anwaltshaftung ein. Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte. Nach der Zivilprozessordnung treffen die Gerichte Hinweisund Belehrungspflichten. (…) Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legiti83 Das Gegenstück gibt es aber nicht, BGH v. 29.11.1999 – NotZ 10/99: Wird in Notarverwaltungssachen die sofortige Beschwerde gemäß § 111 Abs. 4 BNotO vom Notar bei dem für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Bundesgerichtshof eingelegt, so trifft diesen keine „vorbeugende Fürsorgepflicht“, die Beschwerdeschrift außerhalb des normalen Geschäftsgangs an das insoweit zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
26
Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? miert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden.“84
Nimmt man das ernst, dürfte im Befolgen richterlicher Auskunft kein 89 Verschulden mehr zu sehen sein. b) Weiterleitungspflicht nach Prüfung Das BVerfG sieht es auch noch im Rahmen des Angemessenen, das Ausgangsgericht für verpflichtet zu halten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Rahmen des ordentlichen Geschäftganges an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten.85
90
Ob die dafür gegebene Begründung (dem Ausgangsgericht sei die Zustän- 91 digkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt und daher verursache die Ermittlung des richtigen Adressanten selbst dann keinen besonderen Aufwand, wenn er in dem Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein sollte) in den Problemkonstellationen des § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG trägt, kann man durchaus bezweifeln. In der Praxis kann sich das Amtsgericht aber nicht herausreden. Das Amtsgericht muss also weiterleiten. Nun ist dreierlei möglich:
92
– Das Amtsgericht leitet rechtzeitig (innerhalb der Berufungseinlegungsfrist) an das richtige Gericht weiter. Dann ist alles in Ordnung. – Das Amtsgericht leitet innerhalb der Frist weiter, aber an das falsche Gericht. Von dort kommt die Sache irgendwann nach Aufklärung zum richtigen Gericht. Dann ist die Frist natürlich längst verstrichen. – Das Amtsgericht leitet nicht innerhalb der Frist weiter, egal, an wen. Die Fürsorgepflicht führt nicht dazu, dass das Ausgangsgericht für die Entgegennahme von Rechtsmittelschriftsätzen zuständig wird. Die Einreichung beim Ausgangsgericht wahrt demnach keine Fristen.86 Was zu spät beim – richtigen – Berufungsgericht ankommt, ist zu spät.
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c) Folgen von Fristversäumnis aa) Vertrauen in fristgerechte Weiterleitung Das Vertrauen des Rechtssuchenden, sein Schreiben werde im ordentli- 94 chen Geschäftsgang weitergeleitet, ist allerdings schützenswert. Wird deshalb ein Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befassten Gericht eingereicht, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittel84 BverfG v. 12.8.2002 – 1 BvR 399/02, MDR 2002, 1339. 85 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 86 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175).
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
gericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelbericht eingeht.87 bb) Bei Enttäuschung: Wiedereinsetzung 95 Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, aus welchen Gründen fehlerhaft eingereicht wurde. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichtes wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus.88 cc) Wie zeitig ist „so zeitig“? 96 Die Rechtsprechung war bislang mit der Angabe von Zeiträumen zurückhaltend. Klar war nur, dass der letzte Tag jedenfalls nicht ausreichen soll.89 Der ordentliche Geschäftsgang, der den Maßstab liefert, enthält nicht die Pflicht, noch schnell ein Fax an das richtige Gericht zu senden. 97 Der BGH formulierte zunächst, Wiedereinsetzung käme nur in Betracht, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne.90 98 Dem OLG Dresden waren vier Arbeitstage nicht ausreichend.91 Das ist einsichtig. Wenn am Abend des ersten Arbeitstages der falsch adressierte Schriftsatz per Fax oder Nachtbriefkasten eingeht, dann am nächsten Tag erst von der Postverteilung auf die Geschäftsstelle kommt, dem Richter vorgelegt werden muss, um dann an das richtige Gericht verschickt zu werden, sind vier Tage ersichtlich nicht genug. 99 Überlange Postlaufzeiten müssen aber nicht berücksichtigt werden.92 87 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 88 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 89 Dazu OLG Zweibrücken v. 10.8.2004 – 4 U 139/04, MDR 2005, 591: Geht die Berufung erst am Tag des Ablaufs der Berufungsfrist bei einem unzuständigen Gericht ein, so kann die Partei nicht damit rechnen, noch innerhalb der Berufungsfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hingewiesen zu werden. Die Partei kann auch nicht erwarten, dass das angegangene unzuständige Gericht alles daransetzt, die unzulässige Berufung noch am Tage ihres Eingangs per Telefax an das zuständige Berufungsgericht weiterzuleiten. 90 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 2004, 1311. 91 OLG Dresden v. 28.1.1998 – 10 U 3495/97, OLGR 1998, 110. 92 BVerfG v. 25.9.2000 – 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1567 (1567) = MDR 2001, 48.
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Berufung zum vorbefassten Amtsgericht?
Das OLG Dresden hatte in den Entscheidungsgründen errechnet, dass 100 auch fünf Arbeitstage konkret nicht ausreichend gewesen wären,93 kommt also zu einem absoluten Minimum von sechs Tagen. Nimmt man den siebten Tag hinzu, ist die Normalwahrscheinlichkeit gegeben, dass auch der nur einmal wöchentlich erscheinende Amtsrichter den Vorgang bearbeiten kann. Dem Bundesverfassungsgericht genügten in einer Entscheidung aus 2005 neun Tage (mit einem Wochenende dazwischen).94
101
Zwischenzeitlich hat sich aber der II. Zivilsenat auf einen Zeitraum festgelegt. Dem Berufungskläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn während eines Zeitraums von fünf Arbeitstagen versäumt werde, den versehentlich bei dem Landgericht95 eingereichten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
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Es könne – auch bei der bekanntermaßen stark belasteten und personell 103 nicht immer hinreichend ausgestatteten Justiz – nicht hingenommen werden, dass eine auch binnen fünf Arbeitstagen nicht bewirkte Weiterleitung eines Schriftsatzes von einem Landgericht zu einem Oberlandesgericht als eine Verfahrensweise qualifiziert werde, die „einem ordentlichen Geschäftsgang“ entspreche.96
Û
Praxistipp: Auf der sicheren Seite ist man also dann, wenn man fünf 104 Arbeitstage (also 7 Wochentage) einplant. – Nochmals betont: Das gilt nur, wenn der Schriftsatz beim schon vorbefassten Gericht eingereicht wird! Geht es dagegen um eine Berufungseinlegung beim nicht vorbefassten Gericht, dann ist die Erkenntnis der Unzuständigkeit erst zu erwarten, wenn diesem Gericht die Sachakten vorliegen.97 Das können dann durchaus auch mehr als zwei Wochen sein! Vgl. hierzu den weiter oben beschriebenen Praxistipp: (Auch) Kopie der zugestellten Klageschrift dem Berufungseinlegungsschriftsatz beifügen.
93 OLG Dresden v. 28.1.1998 – 10 U 3495/97, OLGR 1998, 110 (111). 94 BVerfG v. 17.3.2005 – 1 BvR 950/04. 95 Es ging nicht um einen Fall von § 119 GVG, sondern um eine „normale“ Berufung. 96 BGH v. 3.7.2006 – II ZB 24/05. 97 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06. Das OLG Frankfurt v. 3.5.2005 – 9 U 22/05, OLGR Frankfurt 2005, 844, formuliert noch härter: „Diese Fürsorgepflicht kann jedoch nur von einem Gericht verlangt werden, bei dem das Verfahren anhängig war, weil ihm in diesem Fall die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt ist und die Ermittlung des „richtigen“ Adressaten keinen besonderen Aufwand verursacht.“
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz a) Besetzungen: Originär und obligatorisch 105
Die Besetzung einer landgerichtlichen Kammer hat nicht nur Bedeutung für die Qualität der landgerichtlichen Arbeit. Von ihr hängt auch ab, wer in der Berufungsinstanz entscheidet. Nach § 526 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann in der Berufungsinstanz nämlich nur dann ein Einzelrichter entscheiden, wenn (u.a.) die Voraussetzung erfüllt ist, dass auch in der ersten Instanz ein Einzelrichter entschieden hat. Interessant wird das natürlich nur, wenn die erste Instanz vor dem Landgericht stattfand. aa) Originär: der Einzelrichter, § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO
106
Erstinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht werden grundsätzlich von einer Kammer behandelt und in der Besetzung eines Vorsitzenden und zweier Beisitzer entschieden, § 75 GVG. Dieser Grundsatz ist allerdings durch die ZPO-Reform und dem damit geänderten § 348 ZPO nicht mehr wirklich einer. Nach § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet jetzt vielmehr grundsätzlich die Kammer durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter. § 348 Abs. 1 ZPO begründet damit eine originäre Einzelrichterzuständigkeit.98 bb) Originär: die Kammer, § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO
107
Ausnahmen davon (originäre Kammerzuständigkeit) sind in § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO vorgesehen, wobei dessen Nr. 1 den Richter auf Probe von der Einzelrichtertätigkeit ausnimmt, wenn dieser noch nicht mindestens ein Jahr lang geschäftsverteilungsplanmäßig Zivilrechtsprechungsaufgaben wahrgenommen hatte, und die Nr. 2 auf elf bestimmte Kammerzuständigkeiten nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichtes abstellt. Bei Zweifeln entscheidet die Kammer (§ 348 Abs. 2 ZPO). cc) Obligatorisch: die Kammer, § 348 Abs. 3 ZPO – Übernahme nach Vorlage
108
Der Einzelrichter kann der Kammer einen Rechtsstreit unter den Voraussetzungen des Abs. 3 zur Übernahme vorlegen (obligatorische Kammer98 Der Begriff Zuständigkeit wird hier für die Tätigkeit des einzelnen Richters (oder des gesamten Kollegiums) innerhalb der Kammer benutzt. Das entspricht der Terminologie des Gesetzes (vgl. § 348a Abs. 1 Eingangssatz). Wie der Vergleich von § 545 Abs. 2 zu § 547 Nr. 1 ZPO aber zeigt, geht es in der Sache mehr um Besetzung als um Zuständigkeit (im Sinne örtlicher, sachlicher, funktionaler Zuständigkeit).
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
zuständigkeit). Die Kammer wiederum übernimmt unter den Voraussetzungen von Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2. Was sie bei Nr. 3 tun muss, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Richtigerweise muss sie übernehmen, sonst machte Nr. 3 keinen besonderen Sinn. dd) Obligatorisch: der Einzelrichter, § 348a Abs. 1 ZPO – Übertragung Soweit an sich die Kammer zuständig wäre (§ 348 Abs. 2 ZPO) kann sie dennoch die Sache an den Einzelrichter übertragen, wenn die (sämtlich negativ formulierten) Voraussetzungen des § 348a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO vorliegen.
109
ee) Und dann doch wieder: die Kammer, § 348a Abs. 2 ZPO Der Einzelrichter kann den Ball dann nur noch zurückgeben, wenn sich etwas Wesentliches ändert und daraus bestimmte Folgen resultieren (Abs. 2 Nr. 1) bzw. wenn die Parteien dies übereinstimmend beantragen. Dann legt der Einzelrichter vor und die Kammer übernimmt den Rechtsstreit.
110
ff) Zwei Fehler, vier Ursachen Das ist nun alles nicht besonders übersichtlich. Es ist aber bei all dem 111 auch noch eine Reihe von Fehlern denkbar. Grob unterteilen kann man so: – der Einzelrichter behandelt eine Sache, die an sich der Kammer gehört; – die Kammer behandelt eine Sache, die an sich dem Einzelrichter gehört.99 Das kann jeweils passiert sein, weil
112
– die originäre Zuständigkeit falsch beurteilt wurde (§ 348 Abs. 1 oder 2 ZPO) – eine Vorlage zu Unrecht unterblieb oder erfolgte (§§ 348 Abs. 3 S. 1, 348a Abs. 2 ZPO) – eine Übernahme zu Unrecht unterblieb oder erfolgte oder (§ 348 Abs. 3 S. 2, 348a Abs. 3 ZPO) – eine Übertragung zu Unrecht unterblieb oder erfolgte (§ 348a Abs. 1 ZPO). 99 Z.B. OLG Frankfurt a.M. v. 11.4.2003 – 2 U 20/02, OLGR 2003, 340: Das Gericht, an das wegen örtlicher Zuständigkeit verwiesen wird, ist an den Einzelrichterbeschluss des verweisenden Gerichts gebunden. Eine Entscheidung durch die Kammer ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
b) Konsequenzen für den gesetzlichen Richter 113
Die Frage, wer einen Rechtsstreit entscheidet, ist eine solche des gesetzlichen Richters. Der Anspruch auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter gehört in den Bereich der Justizgrundrechte (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Soweit damit aus einem der vier Gründe „der Falsche“ entscheidet, ist das (Grund-)Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. aa) Drei scheinbar irrelevante Fehler im obligatorischen Bereich
114
Für eine Berufung sind drei Ursachen gleichwohl schon kraft (einfachen) Gesetzes irrelevant: Auf (fehlerhaft erfolgte oder unterlassene) Übertragungen, Vorlagen oder Übernahmen kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden (§§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO). Nachdem einfaches Recht (die ZPO) aber verfassungsrechtliche Grundsätze nicht aushebeln kann, hindert dies – wenn überhaupt – nur die Geltendmachung dieses Fehlers im Rechtsmittelverfahren. Es gibt also zunächst einmal scheinbar keinen Rechtsweg gegen diese Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. (1) BVerfG zum rechtlichen Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG100
115
Offen bleibt (wie stets) die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. Normalerweise müsste man jetzt resignierend die Achseln zucken, denn die Erfolgsquote bei Verfassungsbeschwerden ist bekanntermaßen mehr als gering. Auf der anderen Seite zeigt das Bundesverfassungsgericht aber gelegentlich auch immer wieder Anwandlungen von (Sach-)Gerechtigkeit, zuletzt namentlich bei der strukturell parallelen Frage nach dem rechtlichen Gehör. Auch dort war ja die Frage zu beantworten, ob es gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten wirklich keinen Rechtsweg geben kann. Und angesichts dessen, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter auch ein Verfahrensgrundrecht ist, muss diese Entscheidung im vorliegenden Kontext ebenfalls interessieren. Die tragenden Erwägungen des Plenums waren dort die folgenden: (a) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch
116
Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG.
100 BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = ProzRB 2003, 210.
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Rechtsschutz wie er aus Art. 19 117 Abs. 4 GG garantiert wird und dem aus einem allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Im Kerngehalt sind die beiden gleich, es gibt aber Unterschiede bei den Anwendungsbereichen. Der in Art. 19 Abs. 4 GG benutzte Begriff der öffentlichen Gewalt erfasst 118 nicht die rechtsprechende Gewalt. Gemeint ist dort (nur) die vollziehende Gewalt, mag diese auch gelegentlich durch Gerichte ausgeübt werden (z.B. Justizverwaltungsakte). Art. 19 Abs. 4 GG nutzt insoweit also nichts. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch schützt dagegen auch bei (erstmaliger) Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. Art. 19 Abs. 4 GG steht insoweit nicht etwa als abschließende Regelung entgegen (mit anderen Worten: Art. 19 Abs. 4 GG schadet insoweit auch nichts).
119
(b) Der Inhalt des rechtlichen Gehörs … Art. 103 Abs. 1 GG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der 120 Rechtsschutzgarantie. Diese sichert den Zugang zum Verfahren, während Art. 103 Abs. 1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zielt: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen. (c) … und die Art seiner Verletzung Wird Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, so geschieht dieser Fehler unabhängig 121 von dem Anlass, der zur Einleitung des Gerichtsverfahrens geführt hat, und damit von den für den Ausgangskonflikt maßgebenden Rechtsnormen. Die Anrufung des Gerichts zielt auf die Kontrolle der Beachtung dieser Normen (also der Normen des Ausgangskonfliktes). Das Verfahrensgrundrecht dagegen enthält nicht etwa dafür einen Maßstab, wohl aber für die Rechtmäßigkeit des richterlichen Verhaltens bei der Verfahrensdurchführung. (d) Vorrang fachgerichtlicher Kontrolle … Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von gericht- 122 lichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch die Fachgerichte erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Effektivität des Rechtsschutzes. Dieses Ziel wird am wirkungsvollsten durch eine möglichst sach- und zeitnahe Behebung von Gehörsverstößen erreicht, die von den Fachgerichten ohne weitere Umwege geleistet werden kann. 33
Bestimmung des zuständigen Gerichts
123
Das Bundesverfassungsgericht stellt dann fest, dass die Sicherung der Verfahrensgrundrechte instanzunabhängig ist. Der Justizgewährungsanspruch sichert Rechtsschutz gegen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz, also auch dann, wenn das Verfahrensgrundrecht erstmalig in einem Rechtsmittelverfahren verletzt wird.
124
Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nämlich nicht allein deshalb, weil eine Partei schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Hat die Partei sich in einer Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vorgetragen, was mit Blick auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt.
125
Zentrale Schlussfolgerung des Bundesverfassungsgerichtes: Gibt es gegen diese neue und eigenständige Verletzung keinen Rechtsschutz, bleibt die Beachtung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG kontrollfrei. Das darf nicht sein. (e) … wenn es noch eine Abhilfemöglichkeit gibt
126
Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das (mindestens: auch) zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts aber erst in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. (f) Eine (!) Kontrollinstanz reicht aus
127
Stets aber genügt die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Begeht das Rechtsbehelfsgericht einen Fehler im Zuge der Überprüfung, ob Art. 103 Abs. 1 GG bei der vorangegangenen gerichtlichen Verfahrensdurchführung beachtet worden ist, führt dies nicht zur erneuten Eröffnung des Rechtswegs. Auch hier gilt, dass ein Risiko fehlerhafter Überprüfung hinzunehmen sei. Das gebotene Mindestmaß an Rechtsschutz ist jedenfalls gewahrt. Danach darf das Gebot der Rechtssicherheit Vorrang haben, das seine Grundlage auch im Rechtsstaatsprinzip hat. 34
Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Daher ist ein endloser Rechtsweg auch dann nicht zu erwarten, wenn Rechtsschutz gegen die Verletzung des Verfahrensgrundrechts in einer Rechtsbehelfsinstanz eingeräumt wird. – Soweit das BVerfG.
128
(2) Übertragung auf den gesetzlichen Richter Man kann diese Argumentation ihrer Einordnung unter den Verstoß gegen den Grundsatz vom rechtlichen Gehör entkleiden. Man kann sie für den Oberbegriff nehmen, den das rechtliche Gehör mit dem gesetzlichen Richter gemein hat. Dieser Oberbegriff ist der des Verfahrensgrundrechtes. Man kann dann feststellen, dass (fast) all das, was speziell für das rechtliche Gehör gesagt wurde, auch auf Verfahrensgrundrechte insgesamt passt.
129
– Es muss einen Rechtsweg gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten geben. – Verletzungen dürfen nicht kontrollfrei bleiben. – Zur Kontrolle sind die Fachgerichte berufen. (a) Kann der gesetzliche Richter „entscheidungserheblich“ sein? Was auf den ersten Blick nicht (ganz) passt, ist die vom Bundesverfas- 130 sungsgericht postulierte Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensgrundrechtsverstoßes. Die Garantie des gesetzlichen Richters hat aber eine andere Zielrichtung als die des rechtlichen Gehörs, welche dahin geht, wirklich gehört zu werden (substantiell anzukommen). Das Plenum des Bundesverfassungsgerichtes hat schon 1997 festgestellt,101 dass es beim gesetzlichen Richter im Wesentlichen darum geht, dieser Gefahr vorzubeugen: Die Justiz solle nicht durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt werden. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung soll gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden.102
131
Vertrauenssicherung und Wahrung von Unabhängigkeit kann aber nur 132 dann erfolgen, wenn die Regeln des gesetzlichen Richters strikt, also völlig unabhängig von Manipulationen im Einzelfall, gelten. Wie sollte der Rechtssuchende im Zweifelsfall auch darlegen oder gar beweisen, dass ein anderer Richter als der, der seinen Fall entschied, anders entschieden hätte?
101 BVerfG v. 8.4.1997 – 1 PBvU 1/95, NJW 1997, 1497 = MDR 1997, 679. 102 BVerfG v. 8.4.1997 – 1 PBvU 1/95, NJW 1997, 1497 (1498) = MDR 1997, 679.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
(b) Irrelevanz der Entscheidungserheblichkeit 133
Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensgrundrechtsverstoßes wird man also entweder überhaupt nicht fordern oder aber als immer gegeben ansehen können. Diese Bewertung wird durch § 547 Nr. 1 ZPO bestätigt: Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. (3) Konsequenz: außerordentliche Rechtsmittel
134
Nach all dem müssen drei nach dem Gesetz (so) gar nicht gegebene Rechtsmittel gleichwohl erwogen werden: – Die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten gleichwohl (auch103) zur Begründung einer Berufung verwendet werden;104 – die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten gleichwohl zur Begründung einer Gegenvorstellung verwendet werden; – die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten (wenn sie auf fehlerhaftem Beschluss beruhen) gleichwohl zur Begründung einer außerordentlichen Beschwerde verwendet werden.105
135
Auf der Linie des Bundesverfassungsgerichtes wird wohl eher die zweite Lösung liegen. Insbesondere, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einerseits eine Frist auf den 31.12.2004 gegeben hatte, bis zu deren Ablauf er gesetzliche Kontrollregelungen zu schaffen hatte, andererseits aber deutlich gesagt hat, dass ohne eine solche Regelung danach das Verfahren bei dem Gericht fortzusetzen wäre, dessen Entscheidung angegriffen wird. Hierfür wäre binnen 14 Tagen ein Antrag zu stellen.
136
Das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz), durch das § 321a ZPO geändert wurde, gilt seit dem 1.1.2005.106
103 Damit sind wesentlich die Fälle gemeint, in denen ohnehin (also wegen anderer Gründe) Berufung eingelegt wird. 104 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66 für den Fall „schlichter Nichtanwendung der Zuständigkeitsnormen“. 105 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66; E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 571. 106 Das Anhörungsrügengesetz beschränkt sich aber auf die Fälle der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist damit auf die Verletzung des Grundsatzes vom gesetzlichen Richter ohne weiteres nicht anwendbar. Übersicht über Inhalt und
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Man kann nicht allzu viel falsch machen, wenn man diese Vorgaben auch zur Richtschnur des eigenen Verhaltens macht. Der BGH andererseits hat im Bereich der Rechtsbeschwerde einen Son- 137 derfall entschieden (Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung durch einen Einzelrichter statt durch das Kollegium = unterlassene Übertragung, vgl. § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO).107 In diesem Kontext formuliert er für § 568 S. 3 ZPO, der den §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO vom Regelungsgehalt her entspricht: „Es kann nicht Sinn des § 568 S. 3 ZPO sein, bei der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter eine andernfalls nur im Wege der Verfassungsbeschwerde mögliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auszuschließen.“108
Setzt man diese Linie um, wäre die Verletzung im Wege der Berufung zu prüfen. Angesichts dessen, dass der Weg zum Rechtsbeschwerdegericht aber gerade erst wegen der (verfahrensgrundrechtsverletzenden) Zulassung durch den Einzelrichter eröffnet war, scheint mir das strukturell derzeit nicht verallgemeinerungsfähig und für die Fälle, in denen nicht ohnehin aus anderen Gründen Berufung eingelegt wird, die Gegenvorstellung vorzugswürdig.
138
Aber selbst wenn Berufung eingelegt werden soll, kann eine Gegenvorstellung nicht schaden. Das Ergebnis der dabei investierten Arbeit kann in die Berufungsbegründung problemlos übernommen werden.
139
Im Falle eines Scheiterns sollte man dann aber so oder so auch bereit sein, den Weg zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
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(4) Willkürerfordernis? Nun ist häufig zu lesen, dass die Verletzung des gesetzlichen Richters nur dann eine Anfechtung zulasse, wenn sie auf Willkür109 beruhe und (deshalb) eine entsprechende Entscheidung nicht mehr verständlich oder
Problempunkte des Gesetzes bei Becker, ProzRB 2004, 343. Kritisch dazu auch Nassal, ZRP 2004, 164. 107 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, MDR 2003, 588 = ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627. 108 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, MDR 2003, 588 = ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627 (628). 109 Das wird auch im Zusammenhang mit Verweisungsbeschlüssen diskutiert, vgl. in jüngerer Zeit etwa BGH v. 10.9.2002 – X ARZ 217/02, MDR 2002, 1446 = ProzRB 2003, 2; aber auch BGH v. 9.7.2002 – X ARZ 110/02, BGHReport 2003, 44 = ProzRB 2002, 66: „Ein Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer ‚ganz überwiegenden‘ oder ‚fast einhelligen‘ Rechtsauffassung abweicht.“
37
141
Bestimmung des zuständigen Gerichts
offensichtlich unhaltbar sei.110 Dies geht zurück auf eine grundlegende Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1954. Dort hatte das BVerfG festgestellt: 142
„Keineswegs kann jede irrtümliche Überschreitung der den Rechtsinstanzen gezogenen Grenzen bereits (…) ausreichen. Durch einen error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen.“111 „Von Willkür kann aber nur die Rede sein, wenn die Entscheidung sich bei der Anwendung und Auslegung von Zuständigkeitsnormen (…) so weit von dem diese Normen beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass die Gerichtsentscheidung nicht mehr zu rechtfertigen ist.“112
(a) Nicht hilfreiche Kriterien 143
Hilfreich ist beides nicht. – Zum einen liegt überhaupt kein Fehler vor, wenn Anwendung und Auslegung so waren, dass die Gerichtsentscheidung (doch noch) zu rechtfertigen war. Wenn etwas der (Zuständigkeits-)Norm gerecht (ge)fertigt ist, kann es ja nicht fehlerhaft sein. – Zum anderen kann eine offensichtlich unhaltbare Entscheidung nicht deshalb der Anfechtung entzogen sein, weil der Richter sich dabei geirrt hat.113 Abgesehen davon, dass die (Un-)Haltbarkeit sich nicht an den intellektuellen Möglichkeiten des irrenden Gerichtes festmachen lassen kann, stellt sich sofort die weitere Frage, ob denn nicht offensichtlich unhaltbare (aber gleichwohl unhaltbare) Entscheidungen Bestand haben sollen. Die Bezeichnung „unhaltbar“ lässt dies nicht gerade angeraten erscheinen. (b) Hilfreiche Argumentation
144
Hilfreich ist es aber auch nicht, nur über die Kriterien zu meckern. In der Praxis muss man sich darauf einrichten, an den Formulierungen des BVerfG gemessen zu werden. Am Besten also, man geht damit selbst in die Offensive. Dabei lässt sich wie folgt argumentieren:
110 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66. Formulierung wortgleich mit BVerfG v. 13.10.1970 – 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198 (207); dagegen aber (für die örtliche Zuständigkeit) selbst unter dem Willküraspekt: Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 513 Rz. 10. 111 BVerfG v. 26.2.1954 – 1 BvR 537/53, BVerfGE 3, 359 (364/365). 112 BVerfG v. 13.10.1970 – 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198 (207). 113 Das BVerfG formuliert das ja auch vorsichtig so, dass „nicht jede irrtümliche Überschreitung“ ausreicht. Es gibt also einige, die ausreichen, und einige, die nicht ausreichen.
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
(aa) Offensichtlichkeit eines Zuständigkeitsmangels … Die Offensichtlichkeit einer unhaltbaren Zuständigkeitsentscheidung kann sich grundsätzlich nicht aus der Sicht des entscheidenden Gerichts ergeben. Niemand wird diesem Gericht ohne weiteres unterstellen wollen, es treffe offen sehend eine falsche Entscheidung.
145
(bb) … erst für den Anwalt … Den Zuständigkeitsmangel muss demnach zunächst mal ein anderer be- 146 merken. Dieser andere ist der Anwalt, für dessen Mandanten die Aufdeckung des Zuständigkeitsmangels einen Vorteil bringen könnte. Dabei kann als Erfahrung gelten, dass es für den Mandanten grundsätzlich von Vorteil ist, wenn ein Kollegium statt eines Einzelrichters entscheidet.114 Das Kollegialprinzip ermöglicht innenkontrollierte Entscheidungen, die auf verschiedenen Wahrnehmungen beruhen. Fehler eines Einzelnen können im Kollegium korrigiert werden.115
147
(cc) … dann für das Gericht Nachdem es dem Anwalt offensichtlich geworden ist, hängt es vom Stand des Verfahrens ab.
148
– Soweit er auf die Entscheidung des Ausgangsgerichtes noch Einfluss nehmen kann, muss er diesem die Informationen vermitteln, aus welchen der Zuständigkeitsmangel folgt, und zugleich den Mangel als nunmehr offensichtlich kennzeichnen.116 – Soweit das Ausgangsgericht den Zuständigkeitsfehler aber bereits begangen hat, muss dem dann angerufenen Gericht der Mangel als bei der Entscheidung des Ausgangsgerichtes offensichtlich unterbreitet werden. In beiden Fällen ist damit der Boden für ein erfolgreiches Rechtsmittel be- 149 reitet. – Das Ausgangsgericht weiß jetzt nachweisbar um den Mangel und muss sich bei seiner Entscheidung schon beachtlich Mühe geben, um daran vorbei zu kommen.117 Bleibt es bei seiner fehlerhaften Zustän114 Vertiefte Begründung hierzu bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 524–528. 115 Sieht man den Mandanten dagegen durch die falsche Zuständigkeitsbeurteilung bevorzugt, gibt es unter diesem Aspekt keinen Handlungsbedarf. 116 Das Gericht hat dann die Gelegenheit, sein Gesicht zu wahren. 117 Vgl. etwa OLG Frankfurt a.M. v. 21.5.2002 – AR 4/02, OLGR Frankfurt 2002, 218 = ProzRB 2002, 4: „Ein Verweisungsbeschluss, der von einer seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegenden und somit herrschenden Rechtsauffassung ohne eine substantielle und in der Sache tragende Be-
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
digkeitsbeurteilung, muss es sich die Offensichtlichkeit seines Fehlers vorhalten lassen. – Das zweitinstanzlich angerufene Gericht weiß jetzt auch um den Mangel. Da es ihn offen sichtet, muss es ihn auch als offensichtlich akzeptieren. Die Entscheidung des Ausgangsgerichtes kann es unter Zuständigkeitsaspekten dann nur noch retten, wenn es einen Weg findet, dem Ausgangsgericht zu attestieren, dieses habe nicht sehen können, was es selbst jetzt sieht. Es liegt am Anwalt, den Fehler so darzustellen, dass er unübersehbar wirkt. (5) Zwischenergebnis zu den Grenzen der Unüberprüfbarkeit118 150
Auch in den Fällen, in denen es scheinbar keine Möglichkeit gibt, bleibt dem Anwalt einiges, um Fehler zu korrigieren. Dabei ist noch kurz festzuhalten, dass hier nicht inhaltlich diskutiert wird, was denn alles im Einzelnen ein Fehler ist. Es geht hier nur darum, aufzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten dem Anwalt gegeben sind, wenn er einen Fehler gefunden hat. bb) Fehler im originären Bereich sind rügbar
151
Ist mit dem Vorstehenden die Frage nach der Behandlung von Fehlern bei Übertragung, Vorlage und Übernahme (also die Fälle des obligatorischen Bereiches) angesprochen, bleibt abschließend die Frage, wie es sich mit Fehlern im originären Bereich verhält. (1) Einzelrichter entscheidet als Kammer
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Ausgangspunkt ist, dass der Einzelrichter nicht statt der Kammer entscheidet, sondern als Kammer.119 Fehler die beim Ausfüllen des Begriffes Kammer gemacht werden (Einzelrichter oder Komplettbesetzung) berühren damit nicht die Zuständigkeit, sondern die Besetzung der Kammer.120 Insoweit liegt bei einer fehlerhaften Besetzung auch kein Fall des § 513 Abs. 2 ZPO vor.121 Die Kammer hat nicht etwa fehlerhaft angenommen,
118 119 120 121
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gründung abweicht, ist geeignet, den Parteien den gesetzlichen Richter zu versagen. Ein solcher Beschluss kann aus rechtsstaatlichen Gründen nicht als verbindlich hingenommen werden.“ Formulierung nach Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 513 Rz. 21. Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 348 Rz. 23. BGH v. 11.2.2003 – VIII ZB 56/02, MDR 2003, 645 = BGHReport 2003, 638 (640). Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 348a Rz. 23; anders aber Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 65.
Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
sie sei zuständig, wo sie gar nicht zuständig war. Sie war zuständig, aber eben nicht in dieser Besetzung.122 § 513 Abs. 2 ZPO schließt damit die Begründung fehlerhafter Besetzung 153 nicht aus. Zugleich liegen die Voraussetzungen der §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO nicht vor. Diese sind damit ebenfalls kein Hindernis für eine Berufung. Für den Revisionsbereich findet sich die Parallelkonstruktion in § 545 Abs. 2 ZPO einerseits (= erweiterte Fassung des § 513 Abs. 2 ZPO) und in §§ 546, 547 Nr. 1 ZPO andererseits.
154
(2) Vorsichtshalber: explizite Besetzungsrüge Dass eine Besetzungsrüge in manchen Fällen entbehrlich geworden und 155 ein solcher Fehler von Amts wegen zu berücksichtigen ist,123 sollte den Anwalt nach dem Grundsatz des sichersten Weges nicht darauf verzichten lassen, den Fehler gleichwohl zu rügen. c) Zuständigkeit in Ablehnungsfällen Für die Entscheidung über das gegen einen Einzelrichter am OLG gerichtete Ablehnungsgesuch ist nach einer Entscheidung des KG der Senat in voller Besetzung zuständig.
156
Eine Freundschaft zwischen dem Prozessbevollmächtigten einer Partei und dem abgelehnten Richter ist für das KG kein Grund, eine Voreingenommenheit anzunehmen. Derartiges sei lediglich im Rahmen der Gesamtwertung der zur Begründung des Ablehnungsgesuchs vorgebrachten Umstände zu berücksichtigen. Eine Voreingenommenheit des abgelehnten Richters könne nicht allein daraus entnommen werden, dass er sich in einer angespannten Verhandlungssituation einer saloppen, umgangssprachlichen Formulierung bediene.124
7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO a) Zuständigkeit nur als Anknüpfungspunkt Eine wesentlich zu Fragen eines (nicht) vorangegangenen (zweiten) 157 Schlichtungsverfahrens nach Klageerweiterung ergangene Entscheidung des BGH stellt zu § 513 Abs. 2 ZPO klarstellend fest, dass dieser das Beru122 Denkbar ist allerdings auch, dass die Kammer – gleich in welcher Fehl-Besetzung – zusätzlich gar nicht zuständig war. 123 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627 (628). 124 KG v. 9.3.2006 – 21 U 4/05, KGR Berlin 2006, 545.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
fungsgericht zwar hindere, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 281 ZPO an ein anderes erstinstanzliches Gericht zu verweisen. 158
§ 513 Abs. 2 ZPO schränke aber nicht die Nachprüfung der Anwendung von Normen ein, die anderen Zwecken als der Festlegung des zuständigen Gerichts dienten und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpften.125 In concreto ging es dabei um die Normen des Schlichtungsverfahrens (BadWürttSchlG), die an die Zuständigkeit des Amtsgerichtes anknüpften. b) Keine Anwendung auf fehlende internationale Zuständigkeit
159
§ 513 Abs. 2 S. 2 ZPO gilt nur für die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit. Dagegen kann nach einer Entscheidung des OLG Braunschweig wegen der Bedeutung der internationalen Zuständigkeit, die über das Internationale Privatrecht des Gerichtsstandes auch das anwendbare Recht steuert, das Fehlen der internationalen Zuständigkeit in der Berufungsinstanz auch dann gerügt werden, wenn das Erstgericht sie unzutreffend angenommen hat.126 c) Auswirkung fehlerhafter Zuständigkeitsannahme auf Revision
160
Die Revision kann nach einer Entscheidung des Kartellsenates des BGH nicht darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe.127
161
Das ergebe sich aus dem Regelungskonzept des ZPO-Reformgesetzes. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO sollte die Nachprüfung der Zuständigkeit des vorinstanzlichen Gerichts durch das Rechtsmittelgericht nicht ausgeweitet, sondern im Gegenteil im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung der Rechtsmittelgerichte deutlich eingeschränkt und damit zugleich vermieden werden, dass die von dem vorinstanzlichen Gericht geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird. § 513 Abs. 2 ZPO schließe deshalb die Nachprüfung der vom Gericht erster Instanz angenommenen Zuständigkeit durch das Berufungsgericht nicht mehr nur für den Fall einer in erster Instanz schuldhaft versäumten Rüge (so die frühere Rechtslage), sondern generell aus. Entsprechendes gelte für § 545 Abs. 2 ZPO.
125 BGH v. 22.10.2004 – V ZR 47/04, MDR 2005, 265. 126 KG v. 30.5.2005 – 26 U 14/04, KGR Berlin 2006, 672; OLG Braunschweig v. 4.7.2005 – 7 U 105/04, OLGR Braunschweig 2006, 68. 127 BGH v. 22.2.2005 – KZR 28/03, BGHReport 2005, 870.
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Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
Es sei auch kein Grund erkennbar, der dafür sprechen könnte, die Ent- 162 scheidung des Berufungsgerichts über seine Zuständigkeit einer weitergehenden Kontrolle zu unterwerfen als die entsprechende Entscheidung des Gerichts erster Instanz. In Anbetracht dessen hält es der Kartellsenat des BGH für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber mit dem ZPO-Reformgesetz die bis zu dessen Inkrafttreten bestehende Beschränkung der Möglichkeit, in der Revisionsinstanz die Unzuständigkeit des Berufungsgerichts zu rügen, beseitigen und die positive Entscheidung des Berufungsgerichts über seine Zuständigkeit einer unbeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterwerfen wollte. Der Senat versteht die Verweisung des § 565 ZPO n.F. vielmehr dahin, dass zu den für die Berufungsinstanz geltenden und auf die Revision entsprechend anzuwendenden Vorschriften über „die Rügen der Unzulässigkeit der Klage“ auch die Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO zu zählen ist.
Û
Praxistipp: Rügen, welche die Zuständigkeit des Berufungsgerichts be- 163 treffen, sind nunmehr jedenfalls im Hinblick auf die Revision nicht mehr erforderlich. Sie sind allerdings nach wie vor wegen der Möglichkeit der Verfristung nach Einlegung beim falschen Gericht von Bedeutung.
43
II. Fristen 1. Fristdauer und -beginn im Normalfall 164
Die Einlegungsfrist beträgt einen Monat, die Begründungsfrist zwei Monate. Wann die Einlegungsfrist beginnt, steht in § 517 ZPO, wann die Begründungsfrist beginnt, ergibt sich aus § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Fristen laufen in beiden Fällen ab der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. Die Darlegungs- und Beweislast für den Fristbeginn liegen beim Berufungskläger. Das gilt nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt z.B. dann, wenn er sich gegen die drohende Verwerfung seiner Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist wendet, indem er behauptet, der Datumsstempelabdruck neben der Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten auf dem Empfangsbekenntnis, mit dem dieser den Erhalt des angefochtenen Urteils bestätigt, stamme nicht aus dessen Kanzlei; tatsächlich sei das Urteil erst später zugestellt worden.128 a) Fristbeginn bei Urteilsergänzung
165
Bei einer Urteilsergänzung (§ 321 ZPO) beginnt aber schon nach dem Gesetz mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem (§ 518 ZPO). b) Fristbeginn bei Urteilsberichtigung
166
Für den Fall einer Urteilsberichtigung (§ 319 ZPO) fehlt es an einer vergleichbaren Regelung.
167
Der BGH entschied in Fortsetzung seiner Rechtsprechung zu § 516 ZPO a.F.,129 dass eine spätere Berichtigung des Urteilstenors grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rechtsmittelfrist habe, wenn sie durch einen Berichtigungsbeschluss gem. § 319 ZPO erfolge. § 518 ZPO sei nicht anwendbar.130
168
Nur ausnahmsweise sei dies anders. Durch den Verweis auf BGH v. 17.1.1991 – VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228, 230 f., wird deutlich, dass da-
128 OLG Frankfurt v. 31.8.2005 – 9 U 56/05, OLGR Frankfurt 2006, 264. 129 Z.B. BGH v. 9.12.1983 – V ZR 21/83, BGHZ 89, 184 ff. = MDR 1984, 387. 130 BGH v. 24.6.2003 – VI ZB 10/03, MDR 2003 1128 = ProzRB 2003, 358.
44
Einlegungsfrist
mit die Fälle gemeint sind, in denen erst die berichtigte Urteilsfassung zweifelsfrei erkennen lässt, gegen wen das Rechtsmittel zu richten ist.131 Eine ebenfalls theoretisch mögliche Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung scheiterte in concreto daran, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Ergänzungsurteils nicht vorgelegen hatten. Dieses hätte nach § 321 ZPO nämlich nur auf Antrag einer Partei und aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen dürfen.
169
c) Fristbeginn bei vom Original abweichender zugestellter Ausfertigung Auch wenn einer Prozesspartei eine vom verkündeten Originalurteil abweichende Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, läuft nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates die fünfmonatige Berufungsfrist des § 517 Halbs. 2 ZPO. Allerdings sei das Versäumnis der Berufungsfrist für die Prozesspartei schuldlos, der eine fehlerhafte, für sie günstigere Urteilsausfertigung zugestellt worden sei, wenn sie gegen das erst später bekannt gewordene, für sie ungünstigere Originalurteil vorgehen wolle. Dann stehe auch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen.132
170
2. Einlegungsfrist a) Überhaupt keine Zustellung: Blindberufung? Problematisch wird es, wenn es nie zu einer Zustellung eines Urteils gekommen ist, die Parteien gleichwohl annehmen müssen, es sei ein Urteil verkündet worden, es aber keine Anhaltspunkte dafür gibt, wann dies geschehen sein könnte. Muss eine Blindberufung eingelegt werden?
171
Der BGH entschied zunächst, dass der Beginn der Rechtsmittelfrist spä- 172 testens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung nicht dadurch gehindert werde, dass die betroffene Partei von dem konkreten Verkündungstermin keine Kenntnis hätte.133 Er hilft aber über den Weg der Wiedereinsetzung: Gelänge es dem Anwalt einer Partei nämlich trotz mehrfacher, auch schriftlicher Anfragen nicht, von dem Gericht zu erfahren, ob, gegebenenfalls wann und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden sei, so beruht die Versäumung der 131 So BGH v. 17.1.1991 – VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228, insbesondere in Leitsatz b). 132 BGH v. 7.7.2004 – XII ZB 12/03, MDR 2004, 1437. 133 BGH v. 18.11.2003 – LwZB 1/03, MDR 2004, 406, Leitsatz.1. – Es bestand Kenntnis, dass ein Verkündungstermin anberaumt war, nur keine genau darüber, wann. Das ist abzugrenzen von dem Fall, in dem überhaupt keine Kenntnis von der Anberaumung eines Verkündungstermins besteht (z.B. mangels Ladung der Partei und mangels Zustellung eines Terminprotokolls).
45
Fristen
Rechtsmittelfrist auch dann nicht auf dem Verschulden des Anwalts, wenn die absolute Frist des § 517 ZPO abgelaufen sei. Es sei der Partei nicht zuzumuten, fristwahrend ein Rechtsmittel gegen eine zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt auch immer ergangene Entscheidung einzulegen.134 b) Zustellung nach mehr als fünf Monaten, 10 Tage vor Fristablauf 173
Schärfer aber wenig später der XII. Zivilsenat: Es liege eine schuldhafte Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen ein vor mehr als fünf Monaten verkündetes Urteil vor, wenn dem Rechtsanwalt zwar kein Verkündungsprotokoll zugegangen sei und auch wiederholte Nachfragen nach dem Ergebnis des Verkündungstermins erfolglos blieben, ihm aber eine Ausfertigung des verkündeten Urteils, aus der sich auch das Verkündungsdatum ergäbe, zehn Tage vor Ablauf dieser Frist zugestellt worden sei, und er dennoch nicht innerhalb der Frist Berufung eingelegt habe.135
174
Spätestens bei Entgegennahme eines solchen Urteils nämlich müsse der Anwalt erkennen, wann verkündet worden und welche Berufungsfrist nach § 517 2. Var. ZPO deshalb zu beachten gewesen sei. Ein Irrtum oder eine Nachlässigkeit über den Ablauf dieser Frist schließe eine Wiedereinsetzung aus. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte die Frist zur Einlegung der Berufung nämlich noch ohne weiteres gewahrt werden können.
175
Die Zustellung des (eine aktienrechtliche Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage [§§ 246, 249 AktG]) abweisenden Urteils an den Kläger setzt die Berufungsfrist (§ 517 Halbs. 1 ZPO) auch für einen dem Rechtsstreit bisher nicht beigetretenen streitgenössischen Nebenintervenienten des Klägers in Lauf.136
3. Begründungsfrist 176
Die Berufungsbegründungsfrist beginnt anders als früher gleichzeitig mit der Berufungseinlegungsfrist. Sie ist damit vollständig vom Zeitpunkt der Einlegung selbst abgekoppelt. a) Mindestens zwei Monate
177
Sie beträgt mindestens zwei Monate (mehr kann es sein, wenn das Fristende auf Feiertage etc. fällt) und beginnt frühestens mit Zustellung des 134 BGH v. 18.11.2003 – LwZB 1/03, Leits. 2, MDR 2004, 406 = BGHReport 2004, 324 FamRZ 2004, 264. 135 BGH v. 23.2.2005 – XII ZB 110/03, MDR 2005, 948. 136 BGH, Beschl. v. 8.11.2004 – II ZB 41/03, MDR 2005, 409.
46
Begründungsfrist
Urteils, § 520 Abs. 2 S. 1 Var. 1 ZPO, spätestens aber fünf Monate nach Verkündung, § 520 Abs. 2 S. 1 Var. 2 ZPO. Der XII. Zivilsenat hatte einen Fall zu entscheiden, in dem zwar ein kon- 178 kreter Verkündungstermin feststand, in welchem ein Urteil auch verkündet wurde, wonach aber weder ein Urteil noch ein Verkündungsprotokoll zugestellt wurden.137 Der Berufungsführer hatte nach Ablauf von fünf Monaten vorsorglich innerhalb der folgenden Einmonatsfrist Berufung eingelegt, „zur Vermeidung der Fristversäumung (…).“ Anträge und Begründung würden nach Vorlage der Entscheidung folgen. Dies geschah dann rund vier Monate später, wobei die vollständige Ausfertigung erst mehr als sieben Monate nach der Verkündung (also außerhalb der Begründungsfrist) zugestellt worden war. Eine Wiedereinsetzung war nach Ansicht des BGH gar nicht nötig. Es genüge, wenn die fristgerecht eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers im Wege der Auslegung eindeutig ergäben, wieweit das Urteil angefochten werden solle.
179
Der Hinweis des Beklagten, das anzufechtende Urteil sei „noch nicht zu- 180 gestellt oder sonstwie bekannt gegeben“ und die Einlegung der Berufung sei erforderlich, um die Fünfmonatsfrist zu wahren, lasse hinreichend deutlich erkennen, dass das Urteil, welchen Inhalt es auch immer haben möge, in dem Umfang angefochten werde, in dem es ihn beschwere, um es nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen. Der Hinweis auf spätere Anträge und Begründung ändere daran nichts, weil er auch bedeuten könne, dass der Beklagte sich lediglich vorbehalte, die Anfechtung später zu beschränken und sich insoweit mit den Entscheidungsgründen auseinander zu setzen.138 Eine spätere Entscheidung des VIII. Zivilsenates mahnt aber zur Vor- 181 sicht.139 Im dort entschiedenen Fall war das Urteil v. 8.7.2003 kurz darauf nur abgekürzt zugestellt worden. Der Unterlegene hatte unter dem 7.8.2003 Berufung eingelegt und sich auf ein „zugestelltes“ (erster entscheidender Unterschied zum vorangehenden Fall!) Urteil bezogen. In vollständiger Form wurde das Urteil erst am 30.12.2003 zugestellt. Die Fünfmonatsfrist war aber schon am 8.12.2003 abgelaufen, die Begründungsfrist begann folglich zu diesem Zeitpunkt und endete ihrerseits (schon) am 8.2.2004 – und nicht, wie der Berufungskläger berechnete, erst am 28.2.2004. Anders als im Fall zuvor (zweiter entscheidender Unterschied) stand dem Berufungskläger schon innerhalb des Laufes der Begründungsfrist (wenn auch erst 22 Tage nach deren Beginn) die vollständige Ausfertigung zur 137 BGH v. 15.10.2003 – XII ZB 102/02, BGHReport 2004, 49. 138 BGH v. 15.10.2003 – XII ZB 102/02, BGHReport 2004, 49. 139 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 115/04, MDR 2005, 1127.
47
182
Fristen
Verfügung. Er hätte deshalb innerhalb der Berufungsbegründungsfrist die Berufung sachlich begründen oder zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist stellen können.140 183
Die fehlende Unterschrift eines Richters, der bei der Entscheidung mitgewirkt hat, kann im Übrigen nicht mehr nachgeholt werden, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils abgelaufen ist.141 b) Verlängerungsmöglichkeiten
184
Versäumte Notfristen (§ 517 ZPO) oder versäumte Fristen zur Begründung eines Rechtsmittels (§ 520 Abs. 2 ZPO) können unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 233 ff. ZPO durch eine Wiedereinsetzung gerettet werden.
185
Allerdings nahm die ältere Rechtsprechung hier eine Art Subsidiarität an. Sie fordert, dass der Anwalt nach Möglichkeit Wiedereinsetzungsanträge dadurch vermeiden muss, dass er zulässige Verlängerungsanträge stellt.142
186
Die jüngere Rechtsprechung hat das entschärft: Die Berufungsbegründungsfrist ist nach der Rechtslage seit Inkrafttreten der ZPO-Reform zum 1.1.2002 nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger, der zwar keine Verlängerung der Begründungsfrist, innerhalb der Begründungsfrist aber Prozesskostenhilfe beantragt hatte, die Berufungsbegründung nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat.143
187
Das hat aber auch Grenzen. Insbesondere für die hierfür relevanten PKHKonstellationen (dazu weiter unten ausführlicher) stellt der BGH das Folgende fest:
188
Falls die arme Partei im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nur die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels, nicht aber auch die Frist zu seiner Begründung versäumt hat, kann sie nicht darauf verwiesen werden, innerhalb von zwei Werktagen einen Antrag zur Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu stellen.144 (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275, 3276; v. 25.9.2003 – III ZB 84/02, NJW 2003, 3782). 140 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 115/04, MDR 2005, 1127. 141 BGH v. 27.1.2006 – V ZR 243/04, BGHReport 2006, 931. 142 BGH v. 19.12.1962 – VIII ZR 258/62, BGHZ 38, 376 (379) unter Hinweis auf die RG-Rechtsprechung. 143 BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 34/04, MDR 2005, 1430: – Bitte beachten: Dann muss innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist sofort die Begründung nachgeholt werden, ein Verlängerungsantrag reicht dann nicht mehr! 144 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376.
48
Begründungsfrist
aa) Verlängerung bis zu einem Monat, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO Dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist zur Begründung um bis zu einem Monat verlängern kann, wenn entweder keine Verzögerung eintritt oder der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt, ergibt sich aus dem Gesetz, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO. Dass dazu ein Antrag erforderlich ist, ebenfalls (S. 2). Wie genau dieser Antrag auszusehen hat, aber nicht.
189
Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erfordert nach einer 190 Entscheidung des VI. Zivilsenates jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist.145 (In concreto wurde über den Verlängerungsantrag nicht entschieden, weil das Empfangsbekenntnis nicht vorlag.) Stelle sich bei der (späteren) Prüfung der Zulässigkeit heraus, dass die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt sei, sei die Berufung unabhängig davon, ob die Begründungsfrist verlängert worden sei, als unzulässig zu verwerfen. (1) Angabe eines Datums Das Gesetz legt nur die Obergrenze der Verlängerung fest. Im Übrigen wird Ermessen eingeräumt („kann […] verlängert werden“).
191
Gleichwohl wies das OLG Frankfurt einen Verlängerungsantrag mit der Begründung ab,146 es lasse sich auch im Wege der Auslegung nicht entnehmen, bis zu welchem Datum verlängert werden solle.
192
Es wäre verfehlt, bei fehlender Fristbestimmung als Auffangtatbestand 193 stets eine Verlängerung von einem Monat als beantragt anzusehen. Wie das Gesetz zu erkennen gebe („um bis zu einem Monat“, § 520 Abs. 2 ZPO), sei die Monatsfrist eine Obergrenze, die möglichst nicht ausgeschöpft werden solle, wenn dazu keine Rechtfertigung vorliege. Dem sei zu entnehmen, dass auch die Einwilligung des Gegners oder erhebliche Gründe einen bestimmten Verlängerungszeitraum tragen müssten. Auf welche Weise das Gesetz dem OLG Frankfurt zu erkennen gegeben hat, dass die Obergrenze „möglichst nicht ausgeschöpft werden solle“, lässt sich den veröffentlichten Teilen der Entscheidung nicht entnehmen.
194
Die Entscheidung ist zwar – soweit ersichtlich – vereinzelt geblieben, gleichwohl sollte sie jedenfalls und mindestens im Bereich des OLG Frankfurt berücksichtigt werden. Generell gilt der zuletzt vom OLG Düsseldorf festgestellte Grundsatz, 195 dass ein Rechtsanwalt ohne konkrete Anhaltspunkte die an einem Berufungsgericht vereinzelt geübte, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Rechtspraxis zur Verlängerung von Berufungsbegrün145 BGH v. 15.3.2005 – VI ZB 83/04, MDR 2005, 944. 146 OLG Frankfurt v. 27.9.2002 – 5 U 65/02, MDR 2003, 471.
49
Fristen
dungsfristen nicht zu kennen braucht.147 Spätestens seit der Veröffentlichung der Entscheidung gibt es aber solche konkreten Anhaltspunkte. (2) Angabe des Aktenzeichens 196
Wenn der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ein falsches Aktenzeichen enthält, ist das Berufungsgericht gehalten, im Wege der Auslegung zu ermitteln, um welches Verfahren es geht. Das gilt auch dann, wenn das fälschlich angegebene Verfahren vor dem Berufungsgericht (zusätzlich) geführt wird. Das Gesetz schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO – die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind – die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist.148 (3) Angabe eines erheblichen Grundes
197
Das Bemühen einer GmbH, die die Kosten der Berufung nicht aufbringen kann, um eine Prozessfinanzierung durch einen Dritten, ist nach dem OLG Rostock kein erheblicher Grund, der die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtfertigt.149 (4) Beginn der Verlängerung
198
Wird die Frist zur Begründung der Berufung oder Revision um einen bestimmten Zeitraum verlängert und fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (Bestätigung von BGHZ 21, 43, 44).150 bb) Weitere Verlängerungsmöglichkeit bei Einwilligung des Gegners, § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO
199
Anders als nach altem Recht bedarf es zu einer zweiten Verlängerung, mit der insgesamt mehr als ein Monat Verlängerung gewährt wird, der Einwilligung des Gegners. Ein Spielraum des Vorsitzenden, auch ohne diese Einwilligung die Verlängerung zu gewähren, besteht dabei nicht.151 147 OLG Düsseldorf v. 19.1.2004 – I-24 U 194/03, MDR 2004, 659 = OLGR Düsseldorf 2004, 219 (220). 148 BGH v. 10.6.2003 – VIII ZB 126/02, MDR 2003, 1434. 149 OLG Rostock v. 16.12.2005 – 3 U 150/05, OLGR Rostock 2006, 552. 150 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 198/04, BGHReport 2006, 390. 151 OLG Zweibrücken v. 6.6.2003 – 2 UF 38/03, MDR 2003, 1197.
50
Begründungsfrist
In concreto (die Regelung war im entschiedenen Fall noch neu) half das OLG Zweibrücken noch mit einer Wiedereinsetzung. Diese dürfte heute (wegen § 85 Abs. 2 ZPO) nicht mehr gewährt werden. Der Berufungsführer kann nach neuem Recht grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ihm ohne Einwilligung des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bewilligt wird.152
200
Hat der Vorsitzende die Berufungsbegründungsfrist aber im behaupteten 201 Einverständnis des gegnerischen Prozessbevollmächtigten verlängert, so ist diese Verfügung auch dann wirksam, wenn das vom Antragsteller infolge eines Missverständnisses irrtümlich angenommene Einverständnis des Gegners in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.153 Die Einwilligung des Berufungsbeklagten in die Verlängerung der Beru- 202 fungsbegründungsfrist bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden.154 Das Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung der Beru- 203 fungsbegründungsfrist ist aber nach einer Entscheidung des XI. Zivilsenates nicht gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die ihm gegenüber erklärte, gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners in dem Verlängerungsantrag nicht erwähnt.155 Der XII. Zivilsenat schwächt das etwas ab. Die nach § 520 Abs. 2 Satz 2 204 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners in die Verlängerung der Begründungsfrist müsse, wenn der Gegner sie nicht selbst gegenüber dem Gericht erkläre, in dem Fristverlängerungsantrag im Regelfall ausdrücklich dargelegt werden. Ausnahmsweise reiche aber auch eine konkludente Darlegung aus, etwa wenn sich die Einwilligung des Gegners zweifelsfrei aus dem Zusammenhang des Antrags mit bereits zuvor gestellten Verlängerungsanträgen ergebe.156 c) Verwerfung wegen Fristsäumnis Vor der Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen der Versäumung 205 der Berufungsbegründungsfrist ist dem Berufungskläger rechtliches Gehör zu gewähren. Gewährt das Berufungsgericht dann Wiedereinsetzung
152 153 154 155 156
BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 121/03, MDR 2004, 765. BGH v. 18.11.2003 – VIII ZB 37/03, MDR 2004, 589 = ProzRB 2004, 161. BGH v. 9.11.2004 – XI ZB 6/04, MDR 2005, 408. BGH v. 22.3.2005 – XI ZB 36/04, MDR 2005, 1129. BGH v. 12.4.2006 – XII ZB 74/05.
51
Fristen
in den vorigen Stand, kann das Verfahren der Rechtsbeschwerde, in dem dieser Verstoß gerügt wurde, für erledigt erklärt werden.157
4. Fristen und PKH 206
Wird für die Berufungsinstanz die Gewährung von PKH angestrebt, so sind mehrere Varianten möglich. – Es wird zunächst noch gar keine Berufung eingelegt, aber innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO ein PKH-Antrag gestellt.158 – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO Berufung eingelegt unter der Bedingung, dass einem gleichzeitig gestellten PKH-Antrag stattgegeben wird. – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und gleichzeitig ein PKH-Antrag gestellt. – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und erst später, aber vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 1 S. 1 ZPO, ein PKH-Antrag gestellt.159 – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und erst später, aber vor Ablauf einer verlängerten Begründungsfrist ein PKH-Antrag gestellt. – Zu dieser Konstellation entschied der II. Zivilsenat: „Einer mittellosen Partei darf nicht deshalb die Wiedereinsetzung in den vorgen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung versagt werden, weil sie das PKH-Gesuch erst kurz vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist eingereicht hat. Das gilt auch dann, wenn das Gesuch erst nach einem Mandatswechsel durch den neuen Prozessbevollmächtigten gestellt wird und dieser seine weitere Tätigkeit von der Gewährung der PKH abhängig gemacht hat.“160
157 BGH v. 13.7.2005 – XII ZB 80/05, BGHReport 2005, 1470. 158 Hier ist BGH v. 31.8.2005 – XII ZB 116/05 zu beachten: Dem Antrag auf PKH zur Durchführung eines Berufungsverfahrens sind innerhalb der Berufungsfrist neben der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch entsprechende Belege beizufügen. [Aber:] Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur teilweise aufbringen kann, ist die Fristversäumung auch dann unverschuldet, wenn der vollständige Antrag auf Bewilligung von PKH nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist, sondern bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO eingegangen ist, und die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden beruht. 159 Bei den beiden letzten Konstellationen ist die Priorität von Verlängerungsanträgen zu beachten. Dazu oben ab Rz. 185 ff. 160 BGH v. 27.9.2004 – II ZB 17/03, MDR 2005, 229.
52
Fristen und PKH
Als Ergebnis ist dann jeweils denkbar, dass dem PKH-Antrag stattgegeben oder dass dieser abgelehnt wird. a) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungseinlegung Die Berufung darf nur unbedingt eingelegt werden. Eine bedingte Berufungseinlegung ist deshalb von vorneherein unwirksam.161 Der PKH-Antrag, der erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist beschieden wird, muss deshalb abgewiesen werden. Das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg (mehr).162
207
Fragen von Wiedereinsetzung stellen sich erst gar nicht, weil die vorzunehmende Handlung ja in der Frist vorgenommen wurde – nur eben unwirksam. Der Unwirksamkeitsgrund (die Bedingung) führt aber zu einem Verschulden im Sinne des § 233 ZPO.
208
Für einen Sonderfall hat der BGH dies aber eingeschränkt: Wiedereinset- 209 zung kommt nach Ablauf der Einlegungsfrist unter Rücknahme des PKHGesuches (nur) dann in Betracht, wenn innerhalb der Berufungsfrist ein vollständiges PKH-Gesuch vorlag.163 Weil man davon ausgehen kann, dass dies den meisten Anwälten be- 210 kannt ist, geht die Rechtsprechung mit der Annahme einer bedingten Berufungseinlegung sehr zurückhaltend um. Zunächst wird versucht, den eingereichten Schriftsätzen etwas Sinnvolleres zu entnehmen. Hierzu bedient man sich – wie üblich – der Auslegung.164 Die für die Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Grundsätze gelten auch für die Auslegung von Prozesserklärungen.165 Wenn ein Schriftsatz den gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungs- 211 schrift genügt, kann er nur dann als eine bedingte Berufung verstanden werden, wenn sich dies aus den Umständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt.166
161 BGH v. 20.7.2005 – XII ZB 31/05: Eine Berufung, deren Einlegung (nicht: Durchführung) unter der Bedingung der Gewährung von PKH erfolgt, ist unzulässig (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 19.5.2004 – XII ZB 25/04, FamRZ 2004, 1553). – Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, wohl aber aus dem Gebot der Rechtsklarheit für Gegner und Verfahrensablauf, vgl. Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. Aktualisierungsband, § 519 Rz. 40. 162 Vor Ablauf der Frist könnte es natürlich noch einmal unbedingt eingelegt werden. 163 BGH v. 20.7.2005 – XII ZB 31/05, BGHReport 2005, 1468. 164 BGH v. 24.6.1999 – IX ZB 30/99, NJW 1999, 2823 = MDR 1999, 1159. 165 OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548. 166 BGH v. 31.5.1995 – VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 (2564) = MDR 1996, 522.
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Fristen
Unbedingt eingelegt ist eine Berufung danach dann, wenn ihr die Bitte beigefügt ist, – sie „zunächst zu den Akten zu nehmen“,167 – sie „erst nach Gewährung der gleichzeitig beantragten PKH in den Geschäftsgang zu nehmen“.168 Unbedingt eingelegt ist sie auch dann, wenn – die „Durchführung des Rechtsmittels von der Gewährung von PKH abhängig gemacht“ wird.169 212
Die beiden letztgenannten Fälle sind nach der Rechtsprechung so zu verstehen, dass der Berufungskläger sich bei Versagung der PKH die Rücknahme des Rechtsmittels vorbehält.
213
Nicht unbedingt, aber auch nicht bedingt ist es, wenn – die Berufung nur „als Entwurf beigefügt“ wird170, bzw. – die Berufung zur Erörterung des PKH-Antrages („lt. anliegendem Schriftsatz“) beigegeben wird.171 – Geht gleichzeitig mit einem mit „Berufung“ überschriebenen Schriftsatz ein PKH-Gesuch ein, in dem dieser Schriftsatz ausdrücklich als „Entwurf“ bezeichnet wird, und erklärt der Berufungskläger weiter, die Berufungseinlegung von einer Entscheidung über seinen PKH-Antrag abhängig machen zu wollen, dann ist der mit „Berufung“ überschriebene Schriftsatz nicht als unbedingte Berufungseinlegung auszulegen.172 Die Berufung ist dann noch gar nicht eingelegt worden (entspricht der hier unter 1. dargestellten Konstellation).
214
Û
167 168 169 170 171 172
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Praxistipp: Die Rechtsprechung rettet gelegentlich großzügig an sich völlig klar bedingt gestellte Anträge im Wege der Auslegung. Darauf kann man sich aber nicht verlassen. Es empfiehlt sich deshalb, eindeutig zu formulieren. Wenn man wirklich gleichzeitig – unbedingt – Berufung einlegen und PKH beantragen will (die folgend unter 3. dargestellte Variante), kann man das auch explizit sagen. Wenn man mit dem PKH-Antrag die Berufungsaussichten erst mal durchtesten will (die unter 1. dargestellte Variante), sollte erst gar kein Schriftsatz beigefügt werden, der Missverständnisse verursachen kann.
BGH v. 16.12.1987 – IVb ZB 161/87, NJW 1988, 2046 (2048). BGH v. 29.5.1952 – IV ZR 224/51, NJW 1995, 880. BGH v. 31.5.1995 – VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 (2564). BGH Beschl. v. 14.2.2001 – XII ZB 192/99, BGHReport 2001, 481. BAG v. 17.3.1960 – 1 AZB 5/60, AP ArbGG 1953 § 64 Nr. 21. OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548.
Fristen und PKH
b) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungsbegründung Ein mit „Berufungsbegründung“ überschriebener Schriftsatz genügt nach 215 Meinung des XII. Zivilsenates den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 ZPO regelmäßig auch dann, wenn darin „zunächst“ Prozesskostenhilfe beantragt und der Berufungsantrag mit den Worten „Nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe werde ich beantragen, …“ angekündigt wird.173 Zugrunde lag eine merkwürdige Konstellation: Der Berufungsführer hatte 216 rechtzeitig Berufung eingelegt. Er hatte auch rechtzeitig innerhalb der verlängerten Begründungsfrist PKH beantragt. Dies hätte zunächst genügt, alle Fristen zu wahren. Nach Zustellung des Beschlusses über die (hier erfolgte) PKH-Bewilligung174 wäre dem Berufungsführer dann noch ein Monat geblieben, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und seine Berufung zu begründen (§ 234 Abs. 1 S. 2 ZPO). Der Berufungsführer unternahm aber (zunächst) gar nichts mehr. Das war aus seiner (vom XII. Zivilsenat bestätigten) Sicht auch nicht nötig, weil er glaubte, die Berufung bereits begründet zu haben. Er hatte einmal den PKH-Antrag mit der Überschrift „Berufungsbegründung“ versehen, zum Zweiten spezifizierte Anträge angekündigt, bzw. später auf erfolgte Anträge Bezug genommen, zum Dritten auch alle sonstigen formellen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung eingehalten. Problematisch war nur die völlig unnötige Verquickung zweier Prozesshandlungen (PKH-Antrag und Berufungsbegründung) in einem Schriftsatz und die (vom BGH als temporär angesehene) Verknüpfung dieser beiden Prozesshandlungen („Nach der Bewilligung der PKH werde ich beantragen …“). Der BGH half dem Berufungsführer in Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung hierzu, indem er die schweren Folgen einer bedingten Begründung (= unzulässige Begründung) als Ausgangspunkt dafür nahm, nur ausdrückliche und zweifelsfrei auf Bedingtheit gerichtete Erklärungen auch als solche zu werten.
217
Zweifelhafte Formulierungen sind damit letztlich immer zugunsten des Berufungsführers zu entscheiden. c) Berufungsfristsäumnisse bei PKH-Bescheidung Grundsätzlich gilt: Berufungen werden vor den Landgerichten oder den 218 Oberlandesgerichten durchgeführt. Dort besteht Anwaltszwang, § 78 Abs. 1 ZPO. Also unterliegen auch Einlegung und Begründung einer Berufung dem Anwaltszwang, genauso wie eventuelle Verlängerungsanträge. Einen Anwalt kann sich aber nicht jeder leisten. Die nötigen Voraus173 BGH v. 21.12.2005 – XII ZB 33/05, BGHReport 2006, 446. 174 Und Beiordnung, vgl. BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239!
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Fristen
setzungen hierfür unterstellt, kann der Berufungsführer jedoch PKH erhalten, § 114 ZPO. 219
Dies setzt einen darauf gerichteten Antrag voraus (§ 117 ZPO), ein Verfahren, in dem dieser Antrag geprüft wird (§ 118) ZPO, und einen Beschluss, mit dem über den Antrag entschieden (§ 127 Abs. 1 S. 1 ZPO) und – in Verfahren mit Anwaltszwang – ein Anwalt beigeordnet wird (§ 121 Abs. 1, 5 ZPO). Zuletzt muss der Beschluss zugestellt werden (Ablehnungen und Ratenzahlungsbewilligungen ohnehin schon wegen § 329 Abs. 3 ZPO, einfache Bewilligungen wegen § 329 Abs. 2 S. 2 Var. 2 ZPO – Beginn einer Wiedereinsetzungsfrist). All dies kostet Zeit. Nun ist es häufig so, dass die Zustellung des PKH-Beschlusses später als einen Monat,175 zwei Monate176 oder gar drei Monate177 nach der Zustellung des anzufechtenden Urteils178 erfolgt.
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Drei Monate nach Beginn der Einlegungsfrist sind dann alle berufungsrelevanten Fristen abgelaufen. Das soll zunächst Ausgangslage sein. aa) PKH nach Ablauf von 2 Monaten (Begründungsfristablauf) i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO
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Weil es sich bei der Einlegungsfrist um eine Notfrist handelt (§ 517 ZPO), ist nach § 233 ZPO grundsätzlich Wiedereinsetzung möglich. Das gilt auch für die Frist zur Begründung der Berufung, denn diese ist in § 233 ZPO namentlich aufgeführt. Die Unfähigkeit, eine Berufung aus eigenen Mitteln zu finanzieren, bzw. die Unkenntnis darüber, ob der Staat diese Unfähigkeit über PKH ausgleicht, wird als ein von der Partei unverschuldetes Hindernis179 verstanden, die nötigen Schritte einzuleiten. Dabei ist klar, dass der Antrag auf Bewilligung von PKH innerhalb der dann jeweils versäumten Frist zur Einlegung bzw. zur Begründung gestellt sein muss.
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Gemäß § 234 muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer bestimmten Frist erfolgen. Als absolute Grenze gibt es die Jahresfrist des 175 Die Frist zur Einlegung der Berufung, § 517 ZPO. 176 Die „normale“ Frist zur Begründung der Berufung, § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO. 177 Die nach § 520 Abs. 2 S. 3, S. 2 ZPO verlängerte Frist zur Begründung der Berufung. Der Sonderfall der nochmaligen Verlängerung mit Einwilligung des Gegners wird hier als praktisch irrelevant vernachlässigt. 178 Bzw. nach Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, §§ 517 Var. 2, 520 Abs. 2 S. 1 Var. 2 ZPO. 179 Jedenfalls dann, wenn schließlich PKH bewillig wird. Bei PKH-Versagung sieht die Sache komplizierter aus. Ist die Partei vermögend, wird Verschulden nur dann verneint, wenn der Antragsteller „vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages mangels Bedürftigkeit rechnen musste“, fehlt es an der Erfolgsaussicht, ist dies dem Antragsteller nicht als Verschulden zuzurechnen, für beides: BGH v. 24.6.1999 – IX ZB 30/99, NJW 1999, 2823; weiter: BGH v. 31.8.2005 – XII ZB 116/05. Details bei Braunschneider, ProzRB 2003, 367 und Rz. 158, 230, 866.
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Fristen und PKH
§ 234 Abs. 3 ZPO, gleich, ob dann das Hindernis behoben ist oder nicht.180 Der Antrag muss dabei inhaltlich nicht nur auf Wiedereinsetzung gerich- 223 tet sein, sondern auch (all!) die Tatsachen beinhalten, welche die Wiedereinsetzung begründen sollen, § 236 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO.
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Praxistipp: Das wird oft und gerne übersehen, weil die Regelung des 224 § 236 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO („bei der Antragstellung oder im Verfahren“) fälschlich auch auf die Darlegung der Tatsachen bezogen wird, statt richtigerweise nur auf die Glaubhaftmachung dieser Tatsachen. Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) muss also nicht schon mit dem Antrag geschehen, sie kann auch „im Verfahren“ erfolgen, es spart aber erneute Beschäftigung, wenn man es direkt macht.
Im Kontext mit PKH-Fällen ist diese Voraussetzung aber nicht sonderlich problematisch. Es genügt die Erwähnung, dass vor der Zustellung des PKH-Beschlusses Einlegung oder Begründung der Berufung nicht möglich waren. Wichtiger ist, dass innerhalb der Antragsfrist auch die versäumte Handlung nachgeholt werden muss, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO.
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Die Form des Antrages richtet sich nach der Form der versäumten Pro- 226 zesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Das bedeutet regelmäßig Schriftform, in Anwaltsprozessen ist § 78 ZPO auch für die Wiedereinsetzung beachtlich.181 (1) Zeit für Nachholung versäumter Handlungen, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO Was für die Einlegung der Berufung völlig unproblematisch ist, stellt sich 227 für die Begründung als weitaus schwieriger dar. Zu Ungereimtheiten führte insbesondere, wenn man die versäumte Berufungsbegründung innerhalb von zwei Wochen182 nach Zustellung des PKH-Beschlusses verlangte.
180 So ganz absolut ist die Grenze aber auch nicht. So lässt die Rechtsprechung die einjährige Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht gelten, wenn das Gericht über die rechtzeitig beantragte PKH erst nach Ablauf dieser Frist entschieden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 12.6.1973 – VI ZR 121/73 – NJW 1973, 1373 unter Hinweis auf BVerfG v. 6.6.1967 – 1 BvR 282/65, NJW 1967, 1267), und gewährt Wiedereinsetzung auch gegen die Versäumung von Fristen, die nicht zu den in § 233 ZPO bezeichneten Notfristen und Rechtsmittelfristen gehören (dazu das BVerfG aaO NJW 1967, 1267 [1268]). 181 Greger in Zöller, 26. Aufl., § 236 Rz. 2. 182 So die bis zum 1.9.2004 unterschiedslos geltende Frist.
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Fristen
(a) Arme Partei steht schlechter da als bemittelte Partei 228
Die arme Partei hätte dann nämlich definitiv weniger Zeit für ihre Begründung als die bemittelte Partei. Dieser stehen ja nach Zustellung des anzufechtenden Urteils zwei Monate für die Begründung zur Verfügung (wenn man die erste Verlängerung miteinbezieht, sogar drei Monate). Nimmt man an, dass die erstinstanzlich unterlegene Partei einen Monat183 braucht, um einen Anwalt zu finden, der dann für sie die Berufung durchführt, bleibt diesem immer noch rund184 ein Monat für die Begründung (mit Verlängerung rund zwei Monate). (b) Korrektur durch Rechtsprechung
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Die Rechtsprechung hat die Ungereimtheiten mit verschiedenen Lösungsansätzen korrigiert. Angesetzt wurde am Ereignis, mit welchem die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen beginnt und an der Dauer der Frist selbst.185 (c) Sonderfall: Überlegungszeitraum nach PKH-Versagung vor Ablauf der Einlegungsfrist
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Soweit eine Frist versäumt wurde und danach ein die PKH versagender Beschluss ergeht, sollte nach einer älteren Entscheidung des BGH ein Überlegungszeitraum von (mindestens) drei Werktagen bestehen, in welchem die Partei sich darüber klar werden kann, ob sie das Rechtsmittel trotzdem durchführen will.186 Erst danach soll die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO beginnen.187
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Dagegen richtet sich das OLG Bremen. Die Auffassung, dem PKH-Antragsteller stehe für die Überlegung, ob er nach Versagung von PKH für 183 Wenn sie länger braucht, kann sie es auch direkt sein lassen, denn dann ist die Einlegungsfrist des § 517 ZPO verstrichen. 184 Je nach Endzeitpunkt (Feiertage, Wochenende) von Einlegungs- und Begründungsfrist auch mal mehr oder weniger, vgl. Braunschneider, ProzRB 2003, 366. 185 Einzelheiten bei Braunschneider, MDR 2004, 1045; ders., ProzRB 2003, 366. 186 BGH v. 28.11.1984 – IVb ZB 119/84, NJW 1986, 257 (259). Der BGH hatte dort aber einen Fall zu entscheiden, in dem ein ablehnender PKH-Beschluss drei Tage vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist zugestellt wurde. In diesem Kontext meinte er, dass diese Zeit nicht ausreiche, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen. Anschließend war dann die Einlegungsfrist versäumt und es musste erstmals über Wiedereinsetzung nachgedacht werden. 187 Zuletzt noch einmal OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548: „Die 2-wöchige Frist beginnt dann spätestens nach einer kurzen Überlegungsfrist von etwa 3 Tagen (Fortführung von BGH v. 26.4.2001 – IX ZB 25/01, MDR 2001, 1007 = BGHReport 2001, 852 = NJW 2001, 2262 [2263]).“ – Spätestens?
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die Durchführung der Berufung das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen wolle, eine zusätzliche Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen zu, die vor Beginn der Frist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO laufen soll, sei mit § 234 Abs. 2 ZPO nicht vereinbar. Auch nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung gelte eine sol- 232 che zusätzliche Überlegungsfrist für den Berufungsführer jedenfalls nur, um zu entscheiden, ob das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchgeführt werden solle. Sei diese Entscheidung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO im positiven Sinne getroffen, sei das Rechtsmittel auch innerhalb derselben Frist zu begründen.188 Zu Recht führt Feiber in diesem Zusammenhang aus, dass der Wunsch 233 einer Partei, gern noch ein paar Tage zu überlegen, keine Verhinderung im Sinne des § 233 ZPO darstelle.189 Es ist auch nicht wirklich ersichtlich, warum eine Partei während der Laufzeit eines PKH-Gesuchs nicht darüber nachdenken kann, was sie macht, wenn es abgelehnt wird.
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Praxistipp: Je kürzer vor Ablauf der Einlegungsfrist der PKH-Antrag 234 gestellt wird, umso unwahrscheinlicher ist es aber, dass der PKH-Beschluss noch innerhalb der Frist ergeht. Und unabhängig von den Bedenken an dieser Rechtsprechung wird man in der Praxis im Rahmen der Drei-Werktage-Frist den zusätzlichen Spielraum der Zwei-Wochen-Frist des § 234 ZPO nutzen können. Dass die Begrenzung auf drei Werktage im Grenzbereich die Verlockung großzügiger Datierung des Empfangsbekenntnisses mit sich bringt, dürfte gewiss sein.
(d) Neuregelung durch das 1. JuMoG Schließlich hat sich der Gesetzgeber des Problems angenommen. Das 1. JuMoG wurde am 30.8.2004 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht190 und trat deshalb zum 1.9.2004 in Kraft (Art. 14 S. 1 JuMoG). Mit seinem Art. 1 Nr. 7 wurde § 234 ZPO dahin geändert, dass der frühere Abs. 1 zu Abs. 1 S. 1 und diesem ein neuer S. 2 angefügt wurde.191
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Nach S. 2 beträgt die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den 236 vorigen Stand nunmehr einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung (…) einzuhalten. Die übrigen Vorschriften des Wiedereinsetzungsrechtes bleiben unverändert.
188 189 190 191
OLG Bremen v. 6.11.2002 – 1 U 58/02a, OLGR Bremen 2003, 237. Feiber in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., § 233 Rz. 44. BGBl. I 2004, 2198. Ausführlich zur Rechtslage bis zur ZPO-Reform und zur Rechtslage danach bis zum 1. JuMoG, vgl. Braunschneider, MDR 2004, 1045; ders., ProzRB 2003, 366.
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Fristen
(2) Bestimmung des Hindernisses, § 234 Abs. 2 ZPO 237
Im Hinblick auf § 234 Abs. 2 ZPO, nach dem die (jetzt einen Monat dauernde) Frist wie bisher mit der Behebung des Hindernisses beginnt, stellt sich aber die Frage, welches Hindernis konkret behoben sein muss. In Abhängigkeit vom Verfahrensstand sind verschiedene Antworten möglich. (a) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt – alle Fristen versäumt
238
Wurde die Berufung noch nicht eingelegt, kann das Hindernis für die Berufungsbegründung wie eben gezeigt in den Finanzierungsproblemen der Partei liegen. Diese sind frühestens nach Zustellung des PKH-Beschlusses beseitigt. Der BGH geht (für den Fall, dass dies auseinander fällt) sogar davon aus, dass auch die PKH-Bewilligung nicht ausreiche, sondern erst die Beiordnung eines Rechtsanwaltes das Hindernis der Armut beseitige.192 (Der beigeordnete Anwalt muss dann aber natürlich auch im Rahmen eines Anwaltsvertrages für die bedürftige Partei tätig werden.193)
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Praxistipp: Nach einer Entscheidung des OLG Zweibrücken194 kann auf die Finanzierungsprobleme schon dann keine Rücksicht mehr genommen werden, wenn auch nur teilweise PKH bewilligt wurde. Für die Einlegung der Berufung reiche dies. Über den Umfang von PKH könne man (Gegenvorstellung) später noch streiten. Der Umfang des Berufungsangriffes müsse ja auch nicht bereits mit der Einlegung angegeben werden (sondern erst mit der Begründung).
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Das Hindernis kann aber auch die fehlende Einlegung sein, denn ohne eine eingelegte Berufung macht eine darauf zu beziehende Begründung keinen Sinn. Dieses Hindernis ist beseitigt, wenn mit der Wiedereinsetzung die Einlegung erfolgt.
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Das Hindernis kann schließlich in der Unkenntnis darüber liegen, ob einem Wiedereinsetzungsantrag mit Berufungseinlegung stattgegeben wird. Dieses Hindernis ist beseitigt, wenn ein – stattgebender – Beschluss zur Wiedereinsetzung zugestellt wird. 192 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. In diesem Sinne auch OLG Karlsruhe v. 27.8.2004 – 16 W 1/04, OLGR Karlsruhe 2004, 552: Die Wiedereinsetzungsfrist nach versäumter Berufungsfrist beginnt für die der PKH bedürftige Partei mit der Mitteilung der Bewilligung der PKH und der Beiordnung eines Rechtsanwalts. 193 OLG Karlsruhe v. 27.8.2004 – 16 W 1/04, OLGR Karlsruhe 2004, 552: Der Antrag auf Abschluss eines Anwaltsvertrages für den Berufungsrechtszug kann von dem Rechtsanwalt auch dadurch angenommen werden, dass er gegenüber dem Berufungsgericht tätig wird, und sei es unter Bezeichnung des Rechtsstreites durch Anzeige der Verlegung seines Kanzleisitzes. 194 OLG Zweibrücken v. 28.7.2005 – 6 UF 110/04, OLGR Zweibrücken 2005, 843.
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Fristen und PKH
(b) Variante 2: Berufung eingelegt – Begründungsfrist versäumt Wurde die Berufung bereits eingelegt, schwinden die Optionen. Hindernis 241 kann dann nämlich nur noch die Ungewissheit über die Finanzierung des Rechtsmittels sein. Und diese ist ja mit der Zustellung des Bewilligungsbeschlusses beseitigt. Entsprechend entschied der III. Zivilsenat, dass in diesen Fällen (nur) die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat zur Verfügung stünde, innerhalb deren die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei.195 (3) Was will das Gesetz? Während demnach im Falle bereits erfolgter Einlegung keine Auswahl be- 242 steht und die Handhabung des Gesetzes keine Schwierigkeiten macht, sieht das bei noch nicht erfolgter Einlegung ganz anders aus. Hier bleibt die Frage, welche von den aufgezeigten drei Möglichkeiten die richtige ist. Der Gesetzeswortlaut196 gibt für die Antwort nichts her. Klassischer Aus- 243 legung gemäß sind dann teleologische Betrachtungen vorzunehmen.197 (a) Umsetzung und Gleichbehandlung Die Gesetzesbegründung meint:
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„Die Änderung setzt damit eine Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von PKH um (BAG NJW 1984, 941; BVerwG v. 17.4.2002 – 3 B 137/01).“198
Kurz vorher heißt es in der Begründung: „Durch die Änderung soll insbesondere sichergestellt werden, dass einem Rechtsmittelführer, dem PKH nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, einen Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibt, so dass er nicht schlechter gestellt wird als die vermögende Partei.“
195 BGH v. 29.6.2006 – III ZA 7/06. 196 (Einzel-)Wortsinn und grammatikalische Auslegung. 197 Der Sinn und Zweck des Gesetzes im Ganzen ist zu erfassen und daraus der Sinn der Einzelvorschrift abzuleiten. Das geschieht mittels systematischer Aspekte (Stellung der Einzelvorschrift im Gesetz und Stellung des Gesetzes in der Rechtsordnung). Hilfsmittel hierbei sind die historische Methode (geschichtliche Entwicklung der Einzelvorschrift und ähnliche Gesetze) und die genetische Methode (Entstehungsgeschichte des Gesetzes). Letzteres bietet sich hier an. 198 BT-Drucks. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 17/18.
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Fristen
(b) In der Gesetzesbegründung Fehlendes 245
Dass diese Begründung die Wirklichkeit nur unvollständig erfasst, erschließt sich ohne weiteres. Denn was soll danach passieren, wenn dem Rechtsmittelführer, der schon Berufung eingelegt,199 aber noch nicht begründet hat, PKH z.B. zwei, drei oder sieben Tage vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt wird?200 Dem Rechtsmittelführer hilft die neue Wiedereinsetzungsfrist dann grundsätzlich nicht, denn es liegt ja mangels Fristsäumnis (noch) keine Wiedereinsetzungssituation vor.
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Wer überlegt, dass dann eben noch auf die Schnelle ein Verlängerungsantrag gestellt werden könne, mag Folgendes bedenken: Nach der Rechtsprechung besteht ein Subsidiaritätsverhältnis zwischen Wiedereinsetzung und Verlängerungsanträgen.201 Wer nicht über Verlängerungsanträge Fristsäumnis vermeidet, dem wird in aller Regel keine Wiedereinsetzung gewährt. Die Karte Verlängerungsantrag liegt deshalb häufig schon längst auf dem Tisch. Und deshalb jetzt: Was soll passieren, wenn dem Rechtsmittelführer, der Berufung eingelegt und eine erste Verlängerung um einen Monat schon beantragt und bekommen, der aber noch nicht begründet hat, PKH z.B. zwei, drei oder sieben Tage vor Ablauf der verlängerten Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt wird? – Dazu unten mehr. (c) Vermischtes
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Die Gesetzesbegründung mengt aber auch zu Trennendes durcheinander. Sie unterscheidet nicht, ob nur die Begründungsfrist versäumt wurde (PKH also vor, gleichzeitig mit oder nach einer fristgerechten Einlegung beantragt wurde) oder auch die Einlegungsfrist.
248
Genau solch doppelte Fristsäumnis war aber Gegenstand der in der Gesetzesbegründung zitierten „Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen“. Beide Entscheidungen gingen ausdrücklich davon aus, dass der eine Monat zur Begründung mit
199 Wenn noch keine Berufung eingelegt wurde, kann man für den Zeitpunkt der PKH-Gewährung noch nicht vom Rechtsmittelführer sprechen. Es handelt sich dann nur um einen Antragsteller (im Hinblick auf die PKH). 200 Im Fall von BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, ProzRB 2004, 239, in dem weder Berufung eingelegt, noch Begründung erfolgt waren, blieben noch genau zwei Werktage bis zum Ablauf der Begründungsfrist. Hier meinte der BGH, die Partei könne nicht darauf verwiesen werden, innerhalb von zwei Werktagen einen Antrag zur Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu stellen. Ausdrücklich offen gelassen wurde, wie zu verfahren gewesen wäre, wenn noch eine Woche Zeit verblieben wäre. Zu dieser Entscheidung mehr unter 2.a) aa). 201 BGH v. 19.12.1962 – VIII ZR 258/62, BGHZ 38, 376 (379).
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der Zustellung des Beschlusses über die Wiedereinsetzung in das Rechtsmittel beginnt (welches also originär jeweils noch nicht eingelegt war). Wenn man dem Gesetzgeber insoweit nicht einfach unterstellen will, er 249 habe die von ihm in Bezug genommene Rechtsprechung entweder nicht gelesen oder nicht verstanden, dann muss er wohl jedenfalls für die Fälle, in denen es nicht nur an einer fristgerechten Begründung, sondern schon an einer fristgerechten Einlegung mangelt, den Beginn der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO mit der Zustellung des Wiedereinsetzungsbeschlusses für die Einlegung gewollt haben. Das sieht nun neuerdings das KG anders.
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Es meint, die Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO, nach der im Wiedereinsetzungsverfahren die Frist zur Begründung der Berufung ein Monat betrage, sei nach ihrem Wortsinne auszulegen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Neuregelung bestünden nicht.202 Soweit das die Dauer von einem Monat angeht, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Das ergibt sich in der Tat aus dem Wortlaut. Das KG grenzt sich damit im Übrigen ausdrücklich vom OLG München ab, welches kurz zuvor noch beschlossen hatte, der armen Partei stehe, unabhängig davon, ob die Entscheidung über die Bewilligung von PKH vor oder nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ergehe, zur Begründung der Berufung eine Frist von zwei Monaten ab Zugang der PKH-Entscheidung zu. Unstatthafte Rechtsbehelfe gegen die PKH-Entscheidung sollten den Fristlauf nicht beeinflussen. Eine arme Partei, der keine PKH bewilligt werde, erhalte keine zur Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten hinzukommende Bedenkzeit darüber, ob sie das Verfahren auf eigene Kosten durchführen könne und wolle.203 Die Frist zur Begründung der Berufung beginnt nach dem KG aber nicht 251 erst mit der Zustellung der Wiedereinsetzungsentscheidung über die Versäumung der Berufungsfrist, sondern bereits mit – auch formloser – Mitteilung der Prozesskostenhilfeentscheidung an die Partei, einem von ihr benannten Vertreter oder an den Prozessbevollmächtigten, wenn im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugleich ein Prozessbevollmächtigter beigeordnet werde.204 Das KG begründet das damit, dass sich § 234 Abs. 2 ZPO (Beginn mit Behebung des Hindernisses) systematisch auf § 234 Abs. 1 ZPO beziehe, folglich sowohl die Frist zur Einlegung wie auch die zur Begründung regele. Auch dagegen lässt sich nichts sagen. Danach allerdings begeht das KG einen Denkfehler. Es meint nämlich, dass der Gesetzgeber – hätte er 202 KG v. 30.5.2006 – 4 U 116/05. 203 OLG München v. 21.3.2006 – 1 U 4589/05, OLGR München 2006, 535. 204 KG v. 30.5.2006 – 4 U 116/05.
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einen unterschiedlichen Fristbeginn für die Wiedereinsetzungsanträge zur Einlegung und zur Begründung gewollt – den § 234 Abs. 2 ZPO hätte ergänzen müssen. Eine solche Ergänzung hätte dann bestimmen müssen, dass die Frist nach § 234 Abs. 1 S. 2 (Begründung versäumt), nicht mit dem Tage beginnt, an dem das Hindernis behoben sei, sondern mit dem Tag der Zustellung des die Wiedereinsetzung (in die Einlegung) bewilligenden Beschlusses. 252
Was das KG missverstanden hat, ist der Auslegungsbezugspunkt. Es geht nicht um § 234 Abs. 1 ZPO. Es geht um § 234 Abs. 2 ZPO und dort um das Gesetzesmerkmal „Hindernis“. Das KG geht hier schlicht davon aus, dass es um ein Hindernis gehe, „einen Rechtsanwalt mit der Ausarbeitung der Berufungsbegründung zu beauftragen“. Das ist nicht nur zu kurz formuliert (es geht in Wirklichkeit um die Finanzierung), sondern auch ohne wirkliche Auswahl nur behauptet. Die anderen – oben näher erläuterten – Hindernisse sieht das KG nicht einmal als Möglichkeit (eines Hindernisses). Ohne Begründung bleibt letztlich nämlich, warum das KG einfach meint, der Gesetzgeber sei der Rechtsprechung hinsichtlich des Fristbeginns nicht gefolgt, wo dieser doch zugleich in der Gesetzesbegründung zwei Entscheidungen nennt, welche die Frist zur Begründung mit der Zustellung des die Wiedereinsetzung bewilligenden Beschlusses beginnen lassen. Noch einmal zur Erinnerung – die Gesetzesbegründung (vom KG sogar zitiert) formuliert: „Die Änderung setzt damit eine Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von PKH um (BAG NJW 1984, 941; BVerwG v. 17.4.2002 – 3 B 137/01).“205
Das KG hat ein Vorverständnis davon, was (allein!) ein Hindernis sein darf. Aus diesem Vorverständnis heraus interpretiert es § 234 Abs. 2 ZPO und biegt sich den Willen des Gesetzgebers – trotz dessen anders lautender Begründung – so zurecht, dass es für seine Lösung die Formulierung wählt: „Der Wille des Gesetzgebers und der Wortlaut der Regelung sind demnach eindeutig.“
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Praxistipp: Die Entscheidung des KG ist mit der dort vorgenommenen Argumentation nicht haltbar. Gleichwohl hat man sich im Zuständigkeitsbereich des KG daran zu orientieren.
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Für die übrigen Fälle (nur fristgerechte Begründung versäumt), bleibt ohnehin nur ein Beginn der Monatsfrist mit der Zustellung des Beschlusses über die PKH.
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Das hat der BGH in Abkehr von verschiedenen Gedankenmodellen, die er in 2003 erwogen hatte,206 inzwischen klargestellt: Der Lauf der Beru205 BT-Drucks. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 17/18. 206 BGH v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275.
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Fristen und PKH
fungsbegründungsfrist beginne auch dann nach Maßgabe des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wenn der Rechtsmittelführer wegen Kostenarmut um Prozesskostenhilfe nachsucht und deshalb an der Einhaltung dieser Frist gehindert sei. Seit dem Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) stehe ihm in diesen Fällen nach Wegfall des Hindernisses die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat zur Verfügung, innerhalb deren die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei.207 Diese Entscheidung enthält trotz ähnlich klingender Argumentation im entscheidenden Punkt keine Übereinstimmung mit der vorher dargestellten Entscheidung des KG. In der Entscheidung des BGH war die Berufung bereits eingelegt. Es stand also überhaupt nicht zur Debatte, ob die Wiedereinsetzung in eine gleichfalls versäumte Einlegung zum Anknüpfungspunkt für eine Wiedereinsetzung in eine versäumte Begründung sein könnte.
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Praxistipp: Es ist nach dem offenkundig, dass in PKH-Fällen die frist- 256 gerechte Einlegung der Berufung den nach Bewilligung entstehenden zeitlichen Spielraum erheblich einengt. Sofern es nicht anderweitige Gründe208 gibt, die für ein solches Vorgehen sprechen, sollte stets nur PKH beantragt werden.
Dieser Ansatz birgt aber auch ein nicht unbeträchtliches Risiko. Der 257 flüchtige Leser mag aus der Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO und dem Umstand, dass es ja (aber nur: auch!) an der Begründung mangelt, entnehmen, dass er nunmehr für seinen Antrag einen Monat Zeit hätte. Das stimmt wie gerade dargelegt aber nicht (immer). Denn der Monat gilt nur für die Begründung. Die Einlegung dagegen muss innerhalb von zwei Wochen nachgeholt werden.
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Praxistipp: Wer isoliert PKH beantragt und die Einlegung später nach- 258 holen will, sollte sich deutlich die Zweiwochenregelung in der Akte vermerken.
207 BGH v. 29.6.2006 – III ZA 7/06. 208 Unter vergütungsrechtlichen Aspekten ist die Einlegung der Berufung natürlich vorteilhaft. Die Vergütung richtet sich dann nämlich nach Nr. 3200 VV RVG. Es gibt eine 1,6 Gebühr. (Die gleichzeitig entstandene Gebühr Nr. 3335 VV RVG verschwindet darin, Nr. 3335 [2] VV RVG). Eine Ermäßigung, Nr. 3201 VV RVG, kommt nicht in Betracht, nachdem das Rechtsmittel eingelegt wurde. – Bei einem reinen PKH-Verfahren ohne Einlegung gilt dagegen Nr. 3335 VV RVG pur. Es gibt also grundsätzlich nur eine 1,0 Gebühr. Dabei bleibt es insbesondere auch dann, wenn der Mandant nach der PKH-Entscheidung die Berufung nicht mehr einlegen mag (namentlich wohl bei Ablehnung wegen mangelnder Erfolgsaussicht).
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Fristen
bb) PKH vor Ablauf von 2 Monaten i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO (Begründungsfristablauf) 259
Es bleibt die Frage, was in den Fällen zu geschehen hat, in denen PKH vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist bewilligt wurde (inkl. Beiordnung und Zustellung der Beschlüsse). (1) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt (a) Entscheidung des BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03
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Der IX. Zivilsenat entschied, dass eine Partei, die im Zeitpunkt der Zustellung der PKH-Bewilligung die Rechtsmittelbegründungsfrist (ohne Verlängerung) noch nicht versäumt habe, grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn sie auch diese Frist bereits versäumt hätte. Andernfalls hinge der Zeitraum, der ihr zur Einreichung der Rechtsmittelbegründung zur Verfügung stünde, und das Maß an Anstrengungen, welche die Partei zur Fristwahrung auf sich nehmen müsste, von dem zufälligen und von der Partei nicht beeinflussbaren Umstand ab, ob über ihr PKH-Gesuch vor oder nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist entschieden werde.209 Das klingt zunächst nicht schlecht. Wenn schon die Partei, welche die Begründungsfrist versäumt hat, mindestens einen Monat ab Zustellung der PKH-Bewilligung Zeit für die Begründung bekommt, dann kann es nicht richtig sein, wenn der weniger Säumige ein geringeres Maß bekäme.
261
Eine Verallgemeinerung dieser Entscheidung dürfte aber wohl nicht gelingen. Es ging im konkreten Fall nämlich um eine Partei, die erstinstanzlich (vor dem LG) von einer Anwältin vertreten war, welche vor der nächsten Instanz (dem KG) nicht postulationsfähig war. So gesehen war die Partei für die Berufungsinstanz also überhaupt noch nicht anwaltlich vertreten. Man hätte der Partei deshalb ansinnen müssen, in der ihr nach der Zustellung des PKH-Beschlusses verbleibenden Zeit – konkret: zwei Werktage – einen Prozessbevollmächtigten zu finden, der bereit gewesen wäre, sich beiordnen zu lassen und einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, wofür er sich einen zumindest summarischen Überblick über den Verfahrensstand hätte verschaffen müssen. Das mochte der Senat der Partei nicht zumuten.210 209 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. 210 Und eigentlich war das „Geplänkel“ um den Zweitagesrest und um den Verlängerungsantrag auch gar nicht nötig, denn der Senat weist selbst darauf hin, dass das Hindernis der Armut noch gar nicht beseitigt war, weil es noch an der Beiordnung eines Anwaltes fehlte (BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, Entscheidungsumbruch S. 8, MDR 2004, 1376). Als dieses Hindernis dann durch Beiordnung beseitigt war, waren alle Fristen längst verstrichen.
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Fristen und PKH
Unklar bleibt in der Entscheidung, wie das gesetzlich zu legitimieren sein 262 soll. Die in Bezug genommene verfassungskonforme Auslegung des § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO für die Fälle, in denen bei PKH-Bewilligung alle Fristen bereits verstrichen sind, hilft nicht wirklich, denn darauf will sich der Senat ja nicht stützen.211 Wenn der Senat darüber mit der Bemerkung „Diese Unterschiede sind jedoch grundsätzlich nicht erheblich.“ hinweggeht, ist das nicht besonders hilfreich. Die Argumentation des Senates lässt es jedoch zu, die dann durch schlichtes Nichttätigwerden in den letzten beiden Werktagen der auslaufenden Frist letztlich doch eingetretene Säumnis als unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO anzusehen. Das ist in anderem Zusammenhang hilfreich.212 (b) Begründung ohne Einlegung? Überzeugender (und vor allem: verallgemeinerungsfähiger) wird das Ergebnis aber, wenn man bedenkt, dass die Verlängerung einer Frist zur Begründung einer Berufung eigentlich voraussetzt, dass überhaupt eine Berufung eingelegt worden ist. War sie aber noch nicht.
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Und wenn man jetzt hinzunimmt, dass im Hinblick auf diese versäumte 264 Einlegungsfrist mindestens die zwei Wochen des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO zur Verfügung stehen, um im Kontext eines Wiedereinsetzungsantrages die Einlegungserklärung nachzuholen, ergibt sich die paradoxe Situation, dass bei einer Zustellung des PKH-Beschlusses (inkl. Beiordnung) jedenfalls in den letzten 13 Tagen der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO die „Begründungsfrist“ ablaufen könnte, bevor die Einlegung am letzten Tag der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt. Auf den Punkt formuliert: Kann man die Begründung eines Rechtsmittels 265 verlangen, das noch gar nicht eingelegt wurde und das – unter Berücksichtigung der Wiedereinlegungsfristen – auch noch gar nicht eingelegt werden musste? (c) Verlängerung ohne Einlegung? Kann man – spezifischer – verlangen, dass sich jemand um die Verlänge- 266 rung einer Frist für die Begründung eines Rechtsmittels bemüht, das noch gar nicht eingelegt wurde?213 211 Obwohl er genau das hätte tun können (und eigentlich müssen), vgl. vorstehende Fn. 212 Weiter unten beim Fall einer PKH-Bewilligung während einer laufenden, schon verlängerten Berufungsbegründungsfrist, Rz. 279. 213 Das OLG Schleswig v. 22.4.2004 – 15 UF 38/04 formuliert die Antwort so: „Die Begründung eines noch gar nicht eingelegten Rechtsmittels oder auch nur der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist vor Einlegung des Rechtsmittels entspricht nicht unserem Rechtsmittelsystem“.
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Fristen
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Bei der Beantwortung dieser Frage kann man sich nicht damit bescheiden, auf die Fiktionswirkung der Wiedereinsetzung zu verweisen. Natürlich wirkt die mit dem Wiedereinsetzungsantrag erfolgte Berufungseinlegung nach der Wiedereinsetzung so, als sei die Einlegung rechtzeitig erfolgt (also innerhalb des ersten Monats). Das ändert aber nichts daran, dass sie real nicht rechtzeitig, sondern erst nach mehr als zwei Monaten erfolgte. Und zu jedem beliebigen Zeitpunkt dieser zwei Monate gab es keine Berufungseinlegung und keinen Berufungsführer.
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Allgemein muss man daraus folgern, dass die Zustellung eines PKH-Beschlusses innerhalb eines Grenzbereiches von 13 Tagen vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO nie die Annahme einer Verpflichtung zur Stellung eines Verlängerungsantrages nach sich ziehen kann. Aber auch bei einer früheren Zustellung des PKH-Beschlusses ändert sich daran nichts. Denn selbst wenn diese Zustellung z.B. einen Tag nach Ablauf der Einlegungsfrist214 erfolgte, also rund einen Monat vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO, selbst wenn dann binnen 14 Tagen Wiedereinsetzung beantragt und als bis dahin versäumte Handlung die Einlegung vorgenommen werden würde, wäre noch nicht wirksam eingelegt. Nachdem die ursprüngliche Einlegungsfrist (§ 517 ZPO) ja versäumt wurde, bedarf es zur Wirksamkeit der Einlegung erst eines Wiedereinsetzungsbeschlusses. Und dieser wird wohl kaum binnen des dann verbleibenden Restmonats ergehen und zugestellt werden.
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Praxistipp: Wenn man all den möglichen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen will, verzichtet man auf die Einlegung und stellt den PKHAntrag erst kurz vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist. Die Wahrscheinlichkeit, dann so zeitnah einen PKH-Beschluss zu bekommen, dass man auf einen anschließend eingelegten Wiedereinsetzungsantrag mit Einlegung noch während der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO einen Wiedereinsetzungsbeschluss bekommt, ist so gering, dass man sie vernachlässigen kann. – Zur Verlockung durch die Möglichkeiten der Empfangsbekenntnisse s.u.
(d) Ohne Einlegung nie Verlängerung 270
Insgesamt ergibt sich damit das Ergebnis, dass (bei allen wahrscheinlichen Abläufen) in der Konstellation, in der keine Berufung eingelegt und isoliert PKH beantragt wurde, nie ein Verlängerungsantrag zu stellen ist. 214 In extremen Ausnahmefällen kam es auch schon mal zu einer noch früheren Zustellung eines PKH-Beschlusses. BGH v. 28.11.1984 – IVb ZB 119/84, NJW 1986, 257, behandelte den Fall, dass die Zustellung (eines ablehnenden PKHBeschlusses) drei Tage vor Ablauf der Einlegungsfrist erfolgte. Vgl. hierzu den folgenden Beraterhinweis und die Ausführungen oben ab Rz. 230 ff.
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(2) Variante 2: Berufung eingelegt Anders – und bis auf eine Ausnahme viel einfacher – sieht die Lage aus, 271 wenn schon Berufung eingelegt wurde. Hier gibt es einen Rechtsmittelführer, hier gibt es auch genau so zu benennende Begründungsfristen. Hier gibt es wegen des Anwaltszwanges auch schon einen anwaltlichen Vertreter und es muss keiner gesucht werden, wenn der PKH-Beschluss zugestellt wird. (a) So oder so: In jedem Fall Verlängerungsantrag stellen Droht die Begründungsfrist abzulaufen, muss der Rechtsmittelführer nach einer Entscheidung des OLG Köln einen Verlängerungsantrag stellen.215 Lege eine Partei unbedingt Berufung ein, wolle sie diese aber innerhalb der Berufungsbegründungsfrist noch nicht begründen, sondern die Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch abwarten, so könne und müsse ihr Prozessbevollmächtigter grundsätzlich durch einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dafür sorgen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig werde. Versäume es der Prozessbevollmächtigte, den Verlängerungsantrag zu stellen, so könne eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. Es spielt dabei an sich gar keine Rolle, ob der PKH-Beschluss schon zugestellt wurde oder nicht. – Ist er noch nicht zugestellt, wird die Frist schon deswegen verlängert werden. Wiedereinsetzungsfragen stellen sich noch nicht, denn es wurde noch keine Frist versäumt. – Ist er schon in der Begründungsfrist zugestellt worden, wird es die Verlängerung gleichwohl geben, weil dann problemlos damit argumentiert werden kann, dass noch keine hinreichende Zeit für die Bearbeitung zur Verfügung gestanden hatte. Da zum Kreis der zur Begründung nötigen erheblichen Gründe sowohl die Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts216 wie auch Terminschwierigkeiten für die Besprechungen 215 OLG Köln v. 4.2.2002 – 11 U 153/01, OLGR 2002, 186; im selben Sinne OLG Zweibrücken v. 5.2.2004 – 6 UF 27/03, OLGR 2004, 283, allerdings mit Hinweis auf eine Besonderheit: „Etwas anderes gilt nur, wenn der Auftrag der Partei an den Anwalt – in Kenntnis der rechtlichen Folgen – ausdrücklich nicht die Stellung eines Verlängerungsantrages umfasste bzw. wenn der Anwalt der Partei gegenüber unzweifelhaft zum Ausdruck bringt, dass er mit der Rechtsmitteleinlegung und der Stellung des Prozesskostenhilfeantrages seine Tätigkeit als beendet ansieht und es ablehnt, die Einhaltung der Begründungsfrist weiter zu überwachen.“ 216 BVerfG v. 28.2.1989 – 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 (377).
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272
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mit der Mandantschaft217 gehören, sollte es in der Praxis keine Probleme mit dem Antrag nach § 520 Abs. 2 S. 3, 2 ZPO geben. Wiedereinsetzungsfragen stellen sich auch hier nicht. Etwas entschärft worden ist die Lage danach durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenates: Die Berufungsbegründungsfrist soll nach der Rechtslage seit Inkrafttreten der ZPO-Reform zum 1.1.2002 nicht schuldhaft versäumt sein, wenn der Berufungskläger, der zwar keine Verlängerung der Begründungsfrist, innerhalb der Begründungsfrist aber Prozesskostenhilfe beantragt hätte, die Berufungsbegründung nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt habe.218 (b) PKH-Beschluss in der Verlängerungsfrist 273
Spannend wird es aber während des Laufes der Verlängerungsfrist. Wird der PKH-Beschluss hier nicht zugestellt (sondern später), ist die Angelegenheit unproblematisch. Dann ist die (verlängerte) Begründungsfrist versäumt und es muss Wiedereinsetzung beantragt werden. Für diesen Fall gibt es nach § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO in der Fassung des 1. JuMoG einen Monat Zeit. Wird der PKH-Beschluss aber in der Verlängerungsfrist zugestellt, bekommt der Rechtsmittelführer nach der derzeitigen Rechtslage ein echtes Problem. Die Begründungsfrist ist noch nicht verstrichen, Wiedereinsetzung scheidet damit aus. Nachdem die Verlängerungsfrist maximal einen Monat beträgt, verbleibt dem Rechtsmittelführer dann an sich nur noch die Differenz zwischen diesem Monat und der bereits abgelaufenen Frist. In diesem Differenzzeitraum müsste er die Berufung begründen. Im negativen Extremfall kann diese Differenz weniger als einen Tag ausmachen, im positiven kann es der volle Monat abzüglich eines Tages sein.
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Es ist offensichtlich, dass das Differenzfrist-Ergebnis nicht in Ordnung ist. Der Gesetzgeber ist sowohl bei der Fristbestimmung in § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO wie auch bei der Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO davon
Praxistipp: Es ist nicht auszuschließen, dass es Anwälte gibt, die jedenfalls kurz vor Ablauf einer solchen Verlängerungsfrist mit dem Gedanken spielen, die Datierung auf dem Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) so zu wählen, dass die aufgezeigten Schwierigkeiten nicht auftauchen.
217 BGH v. 1.8.2001 – VIII ZB 24/01, NJW 2001, 3552. 218 BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 34/04, MDR 2005, 1430. Bitte beachten: Dann muss sofort die Begründung nachgeholt werden, ein Verlängerungsantrag reicht dann nicht mehr!
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ausgegangen, dass Rechtsmittelführern mindestens ein Monat Zeit zur Verfügung steht. In fast allen Fällen ist ihm dies auch gelungen. Angesichts dessen, dass eine zeitliche Ungleichbehandlung der aufgezeig- 276 ten Konstellation keine sachliche Rechtfertigung findet, muss das Ergebnis (zur Erreichung von Verfassungskonformität – Art. 3 Abs. 1 GG) korrigiert werden. Im Ergebnis muss die Korrektur dazu führen, dass auch dieser Rechtsmittelführer mindestens einen Monat Zeit für die Begründung hat. Hier passt dann der oben dargestellte Gedanke des IX. Zivilsenates.219 Die genaue rechtstechnische Ausformung muss die Rechtsprechung vor- 277 nehmen.220 Möglich wären Eingriffe bei den Fristenregelungen des § 520 Abs. 2 ZPO (Verlängerungslösung) und solche bei der Wiedereinsetzung. Erstere könnten von Amts wegen vorgenommen werden, letztere wären an einen Antrag gebunden. Angesichts dessen, dass es das Berufungsgericht ist, welches über den 278 PKH-Antrag entscheidet, und dass eben dieses Berufungsgericht aus den Akten entnehmen kann, dass sich der Berufungsführer schon in der verlängerten Frist befindet, wäre denkbar, dass dieses Berufungsgericht mit der Zustellung des PKH-Beschlusses zugleich eine (weitere) Verlängerung der Begründungsfrist auf einen Monat nach Zustellung des PKH-Beschlusses verfügt. Selbst wenn diese Beschlüsse dann wegen irgendwelcher Verzögerungen erst nach dem Ablauf der erstmals verlängerten Frist zugestellt würden, wäre nichts passiert. Reicht der Berufungsführer innerhalb der Frist ohne weiteres die Begründung ein, geschieht dies entweder in Gemäßheit der Verlängerungsverfügung oder im Sinne von § 236 Abs. 2 S. 2 ZPO. Eine Wiedereinsetzungslösung kann davon ausgehen, dass es kein Ver- 279 schulden des Berufungsführers darstellt, dass dieser nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet hat. Einem Antrag nach §§ 233, 236 ZPO wäre damit stattzugeben. Nimmt man die Restlaufzeit der ersten Verlängerungsfrist mit in die Berechnung auf, hätte der Berufungsführer einen mehr oder weniger großen Vorteil. d) Sonderfall: Wiedereinsetzungsantrag vor PKH-Bescheidung – Über eine besondere Konstellation hatte das OLG Köln zu befinden. Es könne durchaus sein, dass auch bereits vor der Bekanntgabe der Ent-
219 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. 220 Argumentativ auf der Linie einer Wiedereinsetzungslösung lag schon vor der Schaffung des 1. JuMoG das OLG Schleswig v. 22.4.2004 – 15 UF 38/04, OLGR 2004, 452.
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Fristen
scheidung über das Prozesskostenhilfegesuch der Antragsteller gehalten sei, Wiedereinsetzung zu beantragen.221 – Dies sei zunächst unproblematisch dann der Fall, wenn ein im Zeitpunkt des Fristablaufs tatsächlich mittelloser Antragsteller nachträglich Vermögen erlange, das ihn in die Lage versetze, die Prozesskosten selbst aufzubringen. Mit dem Ende der Mittellosigkeit sei auch das Hindernis i.S.d. § 234 Abs. 2 ZPO behoben. – Das Weiterbestehen des durch die – behauptete – Bedürftigkeit einer Partei begründeten, der Fristwahrung entgegenstehenden Hindernisses sei aber auch von dem Zeitpunkt an nicht mehr unverschuldet, in dem die Partei es schuldhaft unterlasse, eine ihr im Prozesskostenhilfeverfahren vom Gericht gemachte Auflage zu erfüllen oder eine Anregung des Gerichts zu befolgen, ihr bisher nicht ausreichend begründetes Prozesskostenhilfegesuch zu ergänzen. In diesen Fällen beginne die Wiedereinsetzungsfrist bereits mit Ablauf der zur Erfüllung der Auflagen gesetzten Frist. Selbst wenn der Antragsteller tatsächlich noch bedürftig sein sollte, könne in diesem Fall das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden, wenn und soweit er hätte erkennen müssen, dass ohne die Erfüllung bzw. die ordnungsgemäße Erfüllung einer ihm gemachten Auflage die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht kam. – Entsprechendes müsse gelten, wenn die Auflage formal zwar erfüllt werde, der Antragsteller sich aber aufgrund der nun gemachten Angaben nicht mehr darauf verlassen könne, dass das Gericht auf dieser Grundlage die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe als gegeben ansehe. Wenn beispielsweise ein Antragsteller in einem Verfahren, in dem die voraussichtlichen Prozesskosten 5.000 Euro betragen, auf die ihm gemachte Auflage, zu einer von dem Prozessgegner behaupteten Erbschaft Stellung zu nehmen, ohne nähere Erläuterung mitteile, einen Betrag i.H.v. 10.000 Euro geerbt zu haben, möge er die Auflage erfüllt haben. Er könne jedoch nunmehr nicht mehr darauf vertrauen, dass ihm Prozesskostenhilfe bewilligt werde, selbst wenn der Summe von 10.000 Euro Nachlassverbindlichkeiten in einer entsprechenden Höhe gegenüberstünden, der Antragsteller dies dem Gericht jedoch nicht mitgeteilt habe. Eine andere Beurteilung sei nur dann angezeigt, wenn einem Antragsteller im Prozesskostenhilfeverfahren – zunächst – unbefristete Auflagen gemacht werden. Dann beginne die Frist, wenn nicht schon vorher die Mittellosigkeit entfalle, nicht vor Zustellung des Prozesskostenhilfe verweigernden Beschlusses oder mit Ablauf einer gesetzten Nachfrist.
221 OLG Köln v. 12.3.2004 – 2 U 24/03, OLGR Köln 2004, 377.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
5. Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH) Wiedereinsetzungsanträge machen im Berufungsrecht Sinn bei versäumter Einlegungsfrist (Notfrist) oder bei versäumter Begründungsfrist. Aus der Vielzahl der Entscheidungen werden nur die dargestellt, die einen expliziten Bezug zum Berufungsrecht haben. Dabei sind die Fälle zu unterscheiden, in denen innerhalb der jeweiligen Frist etwas (aber nichts Hinreichendes) abgeschickt worden ist, von denen, in denen innerhalb der Fristen gar nichts zum Gericht gelangte.
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Bevor das Berufungsgericht aber über einen (hilfsweisen) Wiedereinsetzungsantrag entscheidet, muss es klären, ob überhaupt eine der in § 233 ZPO genannten Fristen versäumt wurde.222
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Dass es grundsätzlich keine Wiedereinsetzung gibt, wenn in Unkenntnis 283 der Regelung des § 119 GVG die Berufung zum falschen Gericht erfolgt,223 wurde oben schon dargelegt. Im Übrigen wird in den Entscheidungen die Rechtsprechung fortgesetzt, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt.
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a) Fehlende Unterschrift Wenn ein Rechtsanwalt die (konkrete) Anweisung erteilt hat, die von 285 ihm in Gegenwart seiner Büroangestellten unterzeichnete Rechtsmittelschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu senden, die Angestellte aber aufgrund einer Verwechslung eine nicht unterzeichnete Abschrift übermittelt, ist Wiedereinsetzung zu gewähren.224 Bei einem Anwaltswechsel in der Berufungsinstanz, der stattfindet, wenn die Berufung durch den früheren Prozessbevollmächtigten vermeintlich längst frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist, und bei dem sich dann nachträglich herausstellt, dass die Berufungsschrift nicht unterzeichnet gewesen war, ist der übernehmende Anwalt jedenfalls dann nicht verpflichtet, die Gerichtsakte auf ordnungsgemäße Einlegung und Begründung zu prüfen, wenn der Mangel dem Berufungsgericht selbst nicht aufgefallen ist und dieses das Verfahren weiter betrieben hat.225
222 BGH v. 27.5.2003 – VI ZB 77/02, MDR 2003, 1193. 223 OLG Celle v. 10.2.2004 – 3 U 15/04, OLGR 2004, 368; OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, ProzRB 2003, 215, OLGR 2003, 91. 224 BGH v. 11.2.2003 – VI ZB 38/02, MDR 2003, 709 = ProzRB 2003, 213. 225 BGH v. 26.9.2002 – III ZB 44/02, MDR 2003, 42 = ProzRB 2003, 41.
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Fristen
b) Bezeichnungsfehler 287
Wiedereinsetzung wird gewährt, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten die Anweisung erteilt hat, den Namen des Berufungsklägers in der von ihm unterzeichneten Rechtsmittelschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Angestellte den Schriftsatz aber unverändert absendet.226
288
Keine Wiedereinsetzung wegen Büroversehens gibt es nach dem OLG München aber, wenn der Anwalt einen Berufungsschriftsatz ungeprüft unterzeichnet und weitergeleitet hat, in welchem der Berufungsführer so verwechselt wurde, dass ausdrücklich namens einer ausgeschiedenen Partei, die der Anwalt als Drittwiderbeklagte neben der Klägerin anwaltlich bereits in erster Instanz vertreten hatte, Berufung einlegt wurde. Hier kommt auch eine Rubrumsberichtigung nicht in Betracht.227
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Nach ständiger Rechtsprechung trifft den in der Vorinstanz aufgetretenen Prozessbevollmächtigten bei Erteilung eines schriftlichen Rechtsmittelauftrags die Pflicht zur eigenverantwortlichen Überprüfung der für die Einlegung des Rechtsmittels notwendigen Förmlichkeiten. Entscheidend hierfür ist, dass sich der Rechtsmittelanwalt insoweit auf seine Angaben verlassen muss, weil ihm – solange keine Handakten vorliegen – die notwendige anwaltliche Überprüfung der Förmlichkeiten nicht möglich ist. Wenn danach dem aktuellen Anwalt vom vorigen Anwalt der Rechtsmittelkläger falsch bezeichnet wird, ist keine Wiedereinsetzung möglich.228 c) Versäumte Einlegungsfrist aa) Falsche Fristberechnung bei Nebenintervention
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Eine Rechtsmitteleinlegung durch einen Nebenintervenienten ist grundsätzlich nur so lange möglich, wie die Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei läuft. Für die Fristberechnung kommt es also zunächst auf die Zustellung an die Hauptpartei an. Der Zeitpunkt der Zustellung an den Nebenintervenienten ist nur dann maßgebend, wenn es sich um eine streitgenössische Nebenintervention handelte, mithin der Nebenintervenient gem. § 69 ZPO als Streitgenosse der Hauptpartei gälte. Eine streitgenössische Nebenintervention setzt aber voraus, dass nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder des Prozessrechts die Rechtskraft der in dem Hauptprozess erlassenen Entscheidung auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu dem Gegner von Wirksamkeit ist. Das ist der Fall, wenn zwischen dem Streit226 BGH v. 9.12.2003 – VI ZB 26/03, MDR 2004, 477. 227 OLG München v. 25.1.2006 – 7 U 5103/05, OLGR München 2006, 241. 228 BGH v. 7.4.2004 – XII ZR 253/03, MDR 2004, 1074 = BGHReport 2004, 1195.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
helfer und dem Gegner der von ihm unterstützten Hauptpartei ein Rechtsverhältnis besteht, auf das sich die Rechtskraft der Entscheidung auswirkt. Hingegen genügt es nicht, dass Rechte oder Verbindlichkeiten der Parteien bedingt oder in anderer Weise mittelbar von der Entscheidung des Hauptprozesses abhängig sind. Demzufolge fällt die Nebenintervention eines subsidiär Verpflichteten im Prozess des Gläubigers mit dem Primärschuldner nicht unter § 69 ZPO. Denn es liegt keine Rechtskrafterstreckung vor, sondern ggf. eine besondere Art von Tatbestandswirkung. Diese rechtfertigt keine über § 67 ZPO hinausgehenden prozessualen Befugnisse des Streithelfers. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach dem OLG Frankfurt nicht in Betracht, wenn die Versäumung der Berufungsfrist auf der fälschlichen Annahme einer streitgenössischen Nebenintervention beruht.229 bb) Absendung unterblieben Wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten mündlich die Anweisung erteilt hat, die Berufungsschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Absendung jedoch im Laufe des Tages in Vergessenheit gerät und unterbleibt, gibt es keine Wiedereinsetzung. Um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, hätte der Anwalt die klare und präzise Anweisung erteilen müssen, die Berufungsbegründung umgehend, jedenfalls aber noch am Vormittag abzusenden. Sah er davon ab, gereicht ihm zum Verschulden, dass er keine Vorkehrungen dagegen getroffen hat, die Ausführung seiner Anweisung auf andere Weise sicherzustellen oder zu kontrollieren.230
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cc) Umgang mit Fristenkalender Notfristen im Fristenkalender dürfen bei Übermittlung eines Schriftsat- 292 zes per Fax erst nach Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden. Geschieht dies vorher, scheidet Wiedereinsetzung aus.231 Es besteht eine Verpflichtung des Rechtsanwalts, die Notierung sowohl 293 der Berufungs- als auch der Berufungsbegründungsfrist zu prüfen, wenn ihm die Handakte zu einer Besprechung mit seinem Mandanten vorgelegt worden ist, in deren Verlauf der Mandant ihn beauftragt, Berufung einzulegen, und im Anschluss an die er die Berufungsschrift diktiert.232 229 230 231 232
OLG Frankfurt v. 7.2.2005 – 21 U 105/04, OLGR Frankfurt, 2005, 641. BGH v. 22.6.2004 – VI ZB 10/04, MDR 2004, 1375. BGH v. 21.7.2004 – XII ZB 27/03, MDR 2004, 1433. BGH v. 1.12.2004 – XII ZB 164/03, MDR 2005, 468.
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Fristen
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Das Berufungsgericht verstößt aber gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO, wenn es davon ausgeht, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten keine Vorfristen notiert werden, ohne dem Prozessbevollmächtigten, der hierzu nicht vorgetragen hatte, weil es nach seinem Vorbringen darauf nicht ankam, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.233
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Der Rechtsanwalt hat durch seine Büroorganisation dafür Sorge zu tragen, dass Fristen erst dann im Fristenbuch als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der fristgebundene Schriftsatz zumindest postfertig gemacht ist. Die – noch nicht ausgeschöpfte – Berufungsbegründungsfrist darf nicht schon mit der Einreichung des Fristverlängerungsantrags, sondern erst nach Bewilligung der Fristverlängerung im Fristenkalender gelöscht werden.234
296
Ein besonderes Problem wirft die absolute Einlegungsfrist auf, welche fünf Monate nach Verkündung beginnt. Insbesondere dann, wenn das Urteil nur wenige Tage vor Ablauf dieser Frist zugestellt wird, können sich vorab auf Fünfmonatsbasis berechnete Fristen als gefährliche Fallen erweisen. Entsprechend entschied das OLG Hamburg, dass die nach der Einlegung eines Rechtsmittels innerhalb der absoluten Berufungsfrist des § 517 2. Alt. ZPO veranlasste Berechnung weiterer Fristen erkennbar vorläufiger Natur sei. Werde den Parteien innerhalb der 5 Monatsfrist noch ein vollständig begründetes Urteil zugestellt, so komme es für die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an. Dementsprechend seien die zuvor notierten (vorläufigen) Fristen zu löschen und durch neu berechnete Fristen zu ersetzen. Eine Organisation von Geschäftsabläufen in einer Rechtsanwaltskanzlei, die diesem Umstand nicht durch eindeutige Anweisungen Rechnung trage, beruhe auf einem anwaltlich zu vertretenden Mangel. Dieses Organisationsverschulden werde auch nicht gegenstandslos, wenn eine Kanzleimitarbeiterin bei einer späteren Fristenkontrolle nicht erkenne, dass die eingetragene Frist unzutreffend lang bemessen sei.235 dd) Vergessen nur mündlicher Anweisungen
297
Die Rechtsprechung zur Notwendigkeit zusätzlicher organisatorischer Vorkehrungen gegen ein Vergessen nur mündlich erteilter Anweisungen ist nach einer Entscheidung des IV. Zivilsenates nicht auf Fälle der Eintragung des Ablaufs einer Rechtsmittelfrist beschränkt. Zwar gelte sie 233 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05. 234 BGH v. 26.6.2006 – II ZB 26/05. 235 OLG Hamburg v. 11.11.2004 – 5 U 3/04, OLGR Hamburg 2005, 484.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
nur für besonders wichtige Vorgänge; dazu sei aber auch die Absendung eines Schriftsatzes gerechnet worden, durch den die Berufungsbegründungsfrist gewahrt werden sollte. Konkret sollte diese Frist zwar noch nicht endgültig durch Vorlage der Berufungsbegründung eingehalten, sondern zunächst gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO verlängert werden. Voraussetzung dafür sei der Eingang des Verlängerungsantrags vor Fristablauf; ohne diesen könne die abgelaufene Frist nicht mehr verlängert werden. Damit sei der rechtzeitige Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht nicht weniger wichtig als die richtige Berechnung des Fristendes.236 ee) Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Einzelweisungen In einer Anwaltskanzlei müssen (allgemeine) organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine (konkrete) mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung deshalb unterbleibt. Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht, ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen.237
298
ff) Fehler bei E-Mail-Verwendung Der Mandant, der seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ei- 299 nen Rechtsmittelauftrag mit E-Mail zuleitet, handelt schuldhaft, wenn die E-Mail-Nachricht den Rechtsanwalt wegen eines Eingabefehlers nicht erreicht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsfrist ist in einem solchen Fall nicht zu gewähren. Auch bei einer korrekten Adressierung der E-Mail-Nachricht darf der 300 Mandant nicht wegen der Absendung der E-Mail allein auf deren ordnungsgemäßen Zugang beim Adressaten vertrauen. Vielmehr handelt nur derjenige nicht schuldhaft im Sinne des § 233 ZPO, der zusätzliche Kontrollmaßnahmen vornimmt, für die die Anforderungen allerdings nicht zu hoch angesetzt werden dürfen.238
236 BGH v. 14.6.2006 – IV ZB 36/05. 237 BGH v. 4.11.2003 – VI ZB 50/03, MDR 2004, 478. 238 OLG Düsseldorf v. 4.10.2002 – 23 U 92/02, OLGR Düsseldorf 2003, 32 = NJW 2003, 833.
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Fristen
gg) Darlegungsumfang für fehlendes Verschulden 301
Die Partei hat ihr fehlendes Verschulden an der Nichteinhaltung einer Frist durch eine aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe darzulegen.239 d) Versäumte Begründungsfrist aa) Unkenntnis vom Beginn der Frist
302
Wird die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist auf die Unkenntnis vom wahren Zeitpunkt der Berufungseinlegung gestützt, so muss zur Wahrung der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO240 dargelegt werden, warum nicht bereits vor Zugang der gerichtlichen Mitteilung über den Zeitpunkt der Berufungseinlegung der wahre Zeitpunkt hätte erkannt werden können.241 (Es handelte sich um einen Fall des § 111 Abs. 2 S. 2 PatG, nach dem die Berufung in einer Frist von einem Monat zu begründen ist, die mit der Einlegung der Berufung beginnt.)
303
Eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil ein Prozessbevollmächtigter erst am Tage ihres Ablaufs das Fehlen einer an das Berufungsgericht „mit der Bitte um Rückgabe“ übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils bemerkt hat und deshalb keine Begründung anfertigen kann, ist regelmäßig nicht unverschuldet i.S. von § 233 ZPO.242 bb) Unmöglichkeit der Akteneinsicht
304
Im Zusammenhang mit einer Revision bzw. einer Nichtzulassungsbeschwerde entschied der BGH über Verhinderung und Verschulden bei unmöglicher Akteneinsicht. Die Begründung dürfte sich auf die Berufung übertragen lassen.
305
Danach sei der Revisionsführer bzw. der Führer einer Nichtzulassungsbeschwerde (= Rechtsmittelführer) verhindert, die Frist zur Begründung der Revision bzw. der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten, wenn und solange seinem Prozessbevollmächtigten vor Ablauf der Frist die Prozessakten nicht oder nicht vollständig zur Einsichtnahme zur Verfügung stünden.
239 BGH v. 14.3.2005 – II ZB 31/03, MDR 2005, 944. 240 Seit den zum 1.9.2004 wirksamen Änderungen durch das 1. JuMoG gelten differenziertere Fristen, vgl. § 234 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ZPO. 241 BGH v. 16.9.2003 – X ZR 37/03, MDR 2004, 349 = ProzRB 2004, 96 (Kramer). 242 BGH v. 17.5.2004 – II ZB 14/03, MDR 2004, 1195.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
Das Hindernis sei aber nicht unverschuldet, wenn die Möglichkeit zu 306 rechtzeitiger und vollständiger Akteneinsicht vor Fristablauf dadurch vereitelt worden sei, dass der Beschwerde- bzw. Revisionsführer es aufgrund eines eigenen oder eines ihm zuzurechnenden Verschuldens seines Verkehrsanwaltes unterlassen hat, seinem Prozessbevollmächtigten rechtzeitig den diesem zustehenden Gebührenvorschuss zu leisten.243 cc) Erkrankungen Bei einem auf Erkrankung des Prozessbevollmächtigten gestützten Wie- 307 dereinsetzungsantrag muss das Gericht eine anwaltliche Versicherung nicht ungeprüft hinnehmen, sondern hat sie daraufhin zu prüfen und zu würdigen, ob ihr Inhalt in Anbetracht der sonstigen Umstände des Einzelfalls überwiegend wahrscheinlich ist. Unklarheiten gehen zu Lasten des Klägers, weil er gemäß § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO das Fehlen eines (ihm zuzurechnenden) Verschuldens seines Anwalts an der Fristversäumung darzulegen und glaubhaft zu machen hat. Bleibt die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung offen, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.244 Wer meint, er könne erhöhte Plausibilität bewirken, indem er darauf hinweist, dass er ähnliche Erkrankungen schon öfter hatte, stellt selbst eine andere Falle auf. Ist ein Rechtsanwalt nämlich infolge vorhersehbarer Erkrankungen (in concreto: öfters auftretende Sehstörungen) gehindert, fristwahrende Schriftsätze zu fertigen, muss er nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates durch Bestellung eines Vertreters für deren Erledigung sorgen oder zumindest in anderer Weise sicherstellen, dass rechtzeitig Fristverlängerung beantragt werden kann.245
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dd) Kurzfrist-Mandate Ein Rechtsanwalt, der das Mandat nur vier Tage vor Ablauf der Beru- 309 fungsbegründungsfrist erhält, beachtet die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht, wenn er die Akten, ohne die sofortige Rückgabe anzuordnen, noch in den Geschäftsgang gibt, obwohl zu diesem Zeitpunkt die in seinem Büro praktizierte einwöchige Vorfrist bereits abgelaufen ist.246
243 BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 10/04, MDR 2004, 1433. 244 BGH v. 17.5.2004 – II ZB 14/03, OLGR 2004, 1381 = MDR 2004, 1195 = FamRZ 2004, 1550. 245 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 145/05, BGHReport 2006, 1050. 246 LAG Köln v. 25.10.2002 – 11 Sa 534/02.
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Fristen
ee) Abstürzende Textdatei 310
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann aber auch dann gewährt werden, wenn nur eine erkennbar unvollständige Berufungsbegründung vorliegt und eine ergänzende Begründung beabsichtigt ist. Stürzt eine Textdatei, die die Berufungsbegründung enthält, knapp eine Stunde vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unverschuldet ab, rechtfertigt dies eine Wiedereinsetzung.247 ff) Falscher Telefax-Adressat
311
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen Übermittlung des Schriftsatzes an das falsche Gericht mit Telefax erfordert die Darlegung, welche Anweisungen zur Prüfung der in einem Schriftsatz angegebenen Faxnummer des Empfängers bestanden, wenn diese Nummer zur Übermittlung verwendet wurde, aber fehlerhaft war.248
312
Ein Verschulden des Rechtsanwaltes kann auch darin liegen, dass dieser trotz sehr weit fortgeschrittener Zeit (23:30 Fristablauftag) nicht sogleich einschreitet, wenn die Übertragung an die angegebene (falsche) Telefaxnummer scheitert. Wenn der Rechtsanwalt weiß, dass die Übermittlung – wenn überhaupt – nur knapp vor Fristablauf eingehen kann, muss er alle Fehlermöglichkeiten in seine Überlegungen einbeziehen und deswegen auch die eingegebene Telefaxnummer sogleich erneut kontrollieren. Dabei kann er alsbald die fehlerhafte Eingabe feststellen. Wenn ein Rechtsanwalt die Frist zur Berufungsbegründung bewusst bis zuletzt ausnutzt, beschweren die dadurch begründeten besonderen Sorgfaltsanforderungen den Mandanten nicht in unzumutbarer Weise.249 gg) Papierstau im Gerichtsfax
313
Wird eine per Telekopie übermittelte Berufungsbegründung infolge eines Papierstaus im gerichtlichen Empfangsgerät ohne die von dem Prozessbevollmächtigten unterschriebene Seite empfangen, so ist dadurch die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt. In diesem Fall ist der betroffenen Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.250
247 OLG Celle v. 30.6.2003 – 14 U 49/03, OLGR Celle 2004, 353 = NJW 2003, 3497. 248 BGH v. 1.3.2005 – VI ZB 65/04, MDR 2005, 947. 249 BGH v. 2.8.2006 – XII ZB 84/06. 250 BGH v. 23.11.2004 – XI ZB 4/04, MDR 2005, 526 = BGHReport 2005, 459 = FamRZ 2005, 434.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
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Praxistipp: In diesem Fall war die entscheidende Seite schon nicht empfangen worden. Anders verhält es sich, wenn alles empfangen wurde251 und nur der Ausdruck wegen eines Papierstaus nicht möglich war oder aufgrund besonderer Einstellungen erst später (zu spät, also in der Regel: nach Mitternacht) erfolgte.
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e) Verschulden bei Stufenbevollmächtigung Wiedereinsetzung wird nur gewährt, wenn die Partei ohne ihr Verschul- 315 den an der Fristeinhaltung verhindert war. Bestellt der Prozessbevollmächtigte einer Partei für diese einen Bevollmächtigten für die höhere Instanz, so enthält die Erteilung der Instanzvollmacht nach Auffassung des XII. Zivilsenates zugleich – gegebenenfalls stillschweigend – die Begründung eines Vertragsverhältnisses zur Partei. Das Verschulden des auf diese Weise beauftragten Anwalts, der das Mandat angenommen hat, ist der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.252 f) Rechtsbeschwerde gegen Versagung der Wiedereinsetzung Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.253
251 Hierzu BGH v. 25.4.2006 – IV ZB 20/05: Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind. – Genau gegenteilig noch: OLG Hamm v. 25.2.2005 – 20 U 98/04, OLGR Hamm 2005, 281. 252 BGH v. 15.3.2006 – XII ZR 138/01, BGHReport 2006, 1054. 253 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05.
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III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO 317
Man sollte an sich meinen, dass die Einreichung einer Berufungsschrift keine besonderen Anforderungen stellt. Zwingende Bestandteile des § 519 Abs. 2 ZPO sind ja nur die Benennung des angefochtenen Urteils und die Erklärung, dass Berufung eingelegt wird. Nimmt man dann noch § 519 Abs. 3 ZPO hinzu, wonach mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden soll, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. In der Praxis sieht das aber anders aus.
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Praxistipp: Weiter oben wurde beschrieben, das die Einlegung beim (wegen § 119 GVG) unzuständigen Gericht dann mit einer Wiedereinsetzung gerettet werden kann, wenn das unzuständige Gericht für eine rechtzeitige Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang hätte sorgen können. Dem KG254 hatten aber sogar zwei Wochen vor Einlegungsfristablauf nicht genügt, weil das nicht vorbefasste angerufene Landgericht keine Kenntnis der Sachakten und deshalb keine Veranlassung zur Annahme hatte, es sei nicht zuständig. Diese Argumentation dürfte dann nicht mehr tragend sein, wenn nicht nur das angefochtene Urteil beigefügt wird, sondern auch ein Doppel der zugestellten Klageschrift.
Auch hier monieren Gerichte gelegentlich, dass das, was unter dem Schriftsatz steht, keine Unterschrift sein soll. Der VIII. Zivilsenat hat dies zum Anlass genommen, noch einmal das Wesentliche hierzu zusammenzufassen: Als Unterschrift i.S.v. § 130 Nr. 6 ZPO sei ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift bestehendes Gebilde zu fordern, das nicht lesbar zu sein brauche. Erforderlich, aber auch genügend sei das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweise, die die Nachahmung erschwerten, der sich als Wiedergabe eines Namens darstelle und der die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lasse, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet sei. Unter diesen Voraussetzungen könne selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insb. von Bedeutung sei, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibe. In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften 254 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229 = WuM 2006, 57, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
ein und derselben Person aufwiesen, sei jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert sei, bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen. Denn Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses sei die äußere Dokumentation der vom Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift durch den Anwalt, die gewährleistet sei, wenn feststehe, dass die Unterschrift von dem Anwalt stamme.255 Die Herkunft eines Schriftsatzes und die Übernahme der Verantwortung unterliegen nach einer Entscheidung des OLG Naumburg auch dann keinem Zweifel, wenn der Beglaubigungsvermerk auf der beglaubigten Abschrift einer nicht unterzeichneten Urschrift unterschrieben worden sei. Diese Unterschrift decke dann zugleich auch die Urschrift inhaltlich.256 Kurz vorher hatte noch der VI. Zivilsenat festgestellt, dass eine beglaubigte Abschrift der Berufungsbegründung, die der Rechtsanwalt unterzeichnet habe, die fehlende Unterschrift auf der gleichzeitig bei Gericht eingereichten Urschrift nur ersetzen könne, wenn zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel möglich sei, dass der Schriftsatz von dem Unterschriftleistenden herrühre.257 a) Wurde überhaupt angefochten (= eingelegt)? Ein Schriftsatz, in dem ein postulationsfähiger Rechtsanwalt innerhalb 319 der Berufungsfrist unter Angabe der Parteien und des bereits für die Berufungsinstanz vergebenen Aktenzeichens (nur) die Vertretung des Berufungsklägers, der zuvor eine von ihm selbst unterzeichnete Berufungsschrift eingereicht hat, anzeigt, sowie die Einreichung einer Berufungsbegründung ankündigt, genügt den Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO.258 b) Nicht postulationsfähiger Berufungsführer Wegen des jedenfalls im zweiten Rechtszug bestehenden Anwaltszwanges genügt ein Schreiben durch einen nichtanwaltlichen Berufungsführer nicht. Eine Pflicht des Amtsgerichts zum Hinweis auf den Anwaltszwang für ein Rechtsmittel besteht aber auch nicht nach Eingang einer privatschriftlichen Beschwerde gegen ein Urteil.259 255 256 257 258
BGH v. 27.9.2005 – VIII ZB 105/04, BGHReport 2006, 117. OLG Naumburg v. 27.1.2005 – 4 U 176/03, OLGR Naumburg 2005, 604. BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 9/04, BGHReport 2004, 1447. BGH v. 23.6.2005 – I ZB 15/05, BGHReport 2005, 1414 = MDR 2005, 110 (112). 259 BGH v. 13.9.2005 – VI ZB 19/05, BGHReport 2006, 50 = FamRZ 2005, 2062 = MDR 2006, 286.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
c) Was wird angefochten? 321
Soweit es die Identifizierung des Anfechtungsgegenstandes angeht, macht der BGH es dem Berufungsführer trotzdem leicht. In der Berufungsschrift müsse das angefochtene Urteil mindestens hinsichtlich des Gerichts und des Aktenzeichens richtig bezeichnet werden.260
322
Was aber passiert, wenn alles richtig angegeben, aber das Aktenzeichen falsch mitgeteilt wurde? – In einem vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Berufungsführer statt 24 C 262/03 versehentlich 24 C 263/03 geschrieben. Der XII. Zivilsenat stellt darauf ab, dass prozessuale Formvorschriften kein Selbstzweck seien. Dies gelte um so mehr, als § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO selbst nicht bestimme, in welcher Weise das angefochtene Urteil in der Berufungsschrift zu bezeichnen sei, möge auch die in Rechtsprechung und Literatur unumstrittene Forderung nach Mitteilung des Aktenzeichens aus guten Gründen in aller Regel unverzichtbar sein. Sie verfolge einen zweifachen Zweck: – Zum einen solle sie dem Rechtsmittelgericht eine rasche und unkomplizierte Anforderung der erstinstanzlichen Akten ermöglichen, ohne dass das Gericht erster Instanz die richtigen Akten erst anhand eines Prozessregisters ermitteln müsse. Dies diene lediglich der Erleichterung des Geschäftsgangs und würde für sich allein bei einem Verstoß eine so drastische Folge wie die Verwerfung des Rechtsmittels nicht rechtfertigen können. – Zum anderen diene sie – ebenso wie die weiteren zu fordernden Angaben – der eindeutigen Bezeichnung des angefochtenen Urteils. Sie sei aber insofern redundant, als das angefochtene Urteil im Regelfall bereits anhand der anderen Angaben eindeutig zu identifizieren sei, sofern nicht ohnehin gemäß § 519 Abs. 3 ZPO der sicherere Weg der Beifügung des angefochtenen Urteils gewählt würde.
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Lediglich dann, wenn dasselbe Gericht in mehreren Rechtsstreitigkeiten derselben Parteien am selben Tag mehrere Urteile verkündet habe, erweise sie sich als unverzichtbar.
324
Dem stehe nicht entgegen, dass das Berufungsgericht bei Eingang der Berufungsschrift nicht erkennen könne, ob das angegebene Aktenzeichen falsch sei. Soweit der BGH entschieden habe, dass der fehlerhaften Angabe des Aktenzeichens jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung zukomme, wenn der Fehler offensichtlich sei und das Berufungsgericht ihn sogleich erkenne,261 habe er die Frage, ob ein falsches und als solches 260 BGH v. 24.4.2003 – III ZB 94/02, MDR 2003, 948 = ProzRB 2003, 269 (Kieserling). 261 BGH v. 25.2.1993 – VII ZB 22/92, NJW 1993, 1719f. = MDR 1994, 98.
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nicht zu erkennendes Aktenzeichen stets zur Unzulässigkeit führt, ausdrücklich offen gelassen. Auch der Senatsbeschluss vom 13.1.1999262 besage nur, dass eine falsche Angabe des Aktenzeichens, die nicht offensichtlich sei, die Berufung in der Regel – mithin nicht notwendigerweise immer – fehlerhaft mache.263 d) Wer ist Berufungsführer? Problematisch ist aber offenkundig häufig, für wen der Anwalt eigentlich in die Berufung gehen will, wer also Berufungsführer sein soll.
325
aa) Strenge Anforderungen, aber keine unnötigen Erschwerungen Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelfüh- 326 rers grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Diese Grundsätze bedeuten nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates, dass bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein müsse. Dies heiße jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie könne auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei seien, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richteten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses. Im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffne, müssten zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein. Schon im Hinblick darauf, dass die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien es verböten, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren, dürfe die Zulässigkeit einer Berufung aber nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Bezeichnungen der Parteien des Berufungsverfahrens scheitern, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweili-
262 BGH v. 13.1.1999 – XII ZB 140/98, BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 Urteilsbezeichnung 8. 263 BGH v. 11.1.2006 – XII ZB 27/04, BGHReport 2006, 675.
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gen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen ließen.264 bb) Erstinstanzliches Urteil beschwert beide Parteien 327
Insbesondere, wenn durch ein Urteil beide Parteien beschwert sind, ist es nicht selbstverständlich, wem eine eingelegte Berufung zuzuordnen ist. Die Berufung ist daher unzulässig, wenn die Person des Berufungsklägers bis Ablauf der Berufungsfrist nicht zweifelsfrei feststeht.265 Das soll sogar für den Fall gelten, in dem für die erstinstanzlich unterlegene Partei zunächst ein Rechtsanwalt, dessen fehlende Postulationsfähigkeit nicht erkennbar war, eine Berufung und danach ein anderer Rechtsanwalt eine weitere Berufung eingelegt hat. Für die von dem anderen Rechtsanwalt eingelegte weitere Berufung könne nicht ohne weiteres angenommen werden, dass jene für dieselbe Partei erfolgen solle.266 cc) Berufung ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügungen
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Der V. Zivilsenat des BGH verwarf eine Rechtsbeschwerde als unzulässig. In einem Berufungseinlegungsschriftsatz waren lediglich die Nachnamen der Parteien ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügung des angefochtenen Urteils, sowie die Erklärung enthalten, für die Klägerin Berufung einzulegen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung unzulässig sei, weil es an einer ordnungsgemäßen Bezeichnung des Berufungsführers in der Berufungsschrift fehle, sei in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sei auch nicht im Hinblick auf die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Namentlich sei nicht zu beanstanden, dass eine Konkretisierung bis zum Ablauf der Einlegungsfrist verlangt werde.267 dd) Falsche Parteibezeichnungen
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Wird in der Berufungsschrift eine Partei fälschlich als Klägerin und Berufungsführerin bezeichnet, so ist nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates268 bei den gebotenen strengen Anforderungen an eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers regelmäßig davon auszugehen, dass die so bezeichnete Partei der Rechtsmittelführer ist, wenn sich nicht aus anderen Umständen Gegenteiliges mit der erforderlichen Klarheit ergibt.
264 265 266 267 268
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BGH v. 19.2.2002 – VI ZR 394/00, BGHReport 2002, 518. OLG Brandenburg v. 16.4.2004 – 7 U 250/03, MDR 2004, 1438. OLG Brandenburg v. 16.4.2004 – 7 U 250/03, MDR 2004, 1438. BGH v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, MDR 2003, 46. BGH v. 13.1.2004 – VI ZB 53/03, MDR 2004, 703.
Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
Der VI. Senat stellt andererseits aber auch klar, dass trotz unrichtiger Par- 330 teibezeichnung die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden dürfe, wenn bei dem Berufungsgericht keine vernünftigen Zweifel über die Person des Rechtsmittelklägers aufkommen könnten.269 Der II. Zivilsenat ergänzt das dahin, dass die Bezeichnung einer Partei als 331 Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig sei. Entscheidend sei, welchen Sinn die Erklärung aus der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners habe. Demgemäß sei bei einer dem Wortlaut nach unrichtigen Bezeichnung grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Prozesserklärung als Partei gemeint sei.270 ee) Selektive Berufungseinlegung In einem vom XI. Zivilsenat entschiedenen Fall271 war gegen ein Urteil, 332 das dem Kläger und der (personenverschiedenen) Drittwiderbeklagten zugestellt worden war, unter Vorlage des angefochtenen Urteils Berufung eingelegt worden. In der Berufungsschrift, die im Eingang den Kläger als Berufungskläger und die Beklagte als Berufungsbeklagte bezeichnet, hieß es, „namens und im Auftrag des Berufungsklägers“ werde Berufung eingelegt, die zunächst nur zur Fristwahrung diene. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten und Widerklägerin wurden aufgefordert, sich noch nicht zu legitimieren, bis „der Kläger und Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagte entschieden“ hätten, ob sie die Berufung durchführten oder nicht. Erst in dem nach Ablauf der Einlegungsfrist eingegangenem Berufungsbegründungsschriftsatz wurde ausgeführt, die Berufung sei auch für die Drittwiderbeklagte eingelegt worden. Das reichte dem XI. Zivilsenat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zur eindeutigen Bezeichnung des Rechtsmittelführers nicht aus. e) Wer ist Berufungsgegner? Der IV. Zivilsenat hat zur richtigen (bzw. vollständigen) Bezeichnung der 333 Berufungsgegner festgestellt, dass zwar nach § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO das angefochtene Urteil so bestimmt bezeichnet sein müsse, dass sich das angerufene Gericht noch innerhalb der Berufungsfrist über dessen Identität Gewissheit verschaffen könne. Dazu gehöre auch die Bezeichnung der Partei, gegen die sich das Rechtsmittel richte. In concreto war der Beklagte gegen ein Urteil in die Berufung gegangen, welches die Klage gegen ihn zugesprochen und seine Widerklage abgewiesen hatte. Das Berufungsgericht hatte gemeint, der Beklagte habe gegen die Klägerin als Testa269 BGH v. 20.1.2004 – VI ZB 68/03, MDR 2004, 643. 270 BGH v. 15.5.2006 – II ZB 5/05, BGHReport 2006, 1049. 271 BGH v. 22.11.2005 – XI ZB 43/04, BGHReport 2006, 322 = NJW-RR 2006, 284.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
mentsvollstreckerin (so geschehen) und gegen die Klägerin als Erbin schreiben müssen (das ergab sich nur aus dem erstinstanzlichen Urteil). 334
Der IV. Zivilsenat meinte allerdings, ein Rechtsmittel dürfe nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Angaben scheitern, wenn für Gericht und Prozessgegner das wirklich Gewollte zutage trete. Nicht jede Ungenauigkeit, die eine Berufungsschrift bei einzelnen Angaben enthalte, führe zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Fehlerhafte oder unvollständige Angaben schadeten nicht, wenn aufgrund der sonstigen Umstände nicht zweifelhaft bleibe, welches Urteil angefochten werde und in welchem Umfang dies der Fall sei. Den unvollständigen Angaben komme jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, wenn der Rechtsmittelführer in der Berufungsschrift auf die beigefügte Ablichtung der angefochtenen Entscheidung verweise. Es werde spätestens dadurch hinreichend deutlich erkennbar, dass sich das Rechtsmittel gegen das beigefügte Urteil richtet.272
335
Strenger aber der V. Zivilsenat für den Fall einer Unklarheit über die Berufungsbeklagtenseite: Werde in der Berufungsschrift ein gegnerischer (einfacher) Streitgenosse als Berufungsbeklagter bezeichnet, der andere dagegen nicht, sei das Rechtsmittel gegenüber dem Nichtbezeichneten unzulässig, wenn Zweifel an seiner Inanspruchnahme als Rechtsmittelbeklagter verblieben. Bei der Prüfung, ob das Rechtsmittel auch gegen einen nicht als Berufungsbeklagten bezeichneten Streitgenossen eingelegt sei, habe das Berufungsgericht, wenn rechtlich beide Möglichkeiten infrage kämen, nicht darauf abzustellen, welche aus der Sicht des Rechtsmittelklägers die zweckmäßigere sei. Eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gerichts zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten schließe nicht das Gebot ein, die Interessen der nachlässigen Partei zulasten des Gegners zu wahren; im Zweifel sei derjenigen Auslegung einer prozessualen Erklärung der Vorzug zu geben, die den Belangen der Partei, der kein Normverstoß anzulasten sei, gerecht werde.273 Eine kurz darauf ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf sieht das aber etwas anders: Eine uneingeschränkt eingelegte Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil richte sich im Zweifel gegen alle erfolgreichen Streitgenossen. Sei nur der an erster Stelle des Urteilsrubrums stehende Streitgenosse als Berufungsbeklagter genannt, so sei das Urteil auch ge-
272 BGH v. 24.5.2006 – IV ZB 47/05, MDR 2003, 1434, in diesem Sinne schon vorher z.B. OLG Hamburg v. 24.3.2005 – 1 Kart-U 2/04, OLGR Hamburg 2006, 456. 273 BGH v. 11.7.2003 – V ZR 233/01, BGHReport 2003, 1154.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
genüber den anderen angefochten, außer wenn die Berufungsschrift eine Beschränkung erkennen lasse.274 f) Vertretungsmacht trotz Kollision Namentlich in überörtlichen Sozietäten gibt es – besonders bei Wechsel 336 im Mitgliederbestand – Probleme, nachzuhalten, ob der bei einem einzelnen Sozietätsmitglied um Vertretung Anfragende nicht in einem früheren Verfahrensstand auf der Gegenseite war. Nötig wäre ein gemeinsamer, über alle Mitglieder gehender Informationspool zur Kollisionsprüfung. Legt dann ein zuvor (über die Sozietätszurechnung) für die Gegenseite tä- 337 tiger Rechtsanwalt aufgrund einer ihm erteilten Prozessvollmacht Berufung ein, so ist zwar der dieser Vollmacht zugrunde liegende Anwaltsvertrag nichtig. Die Vollmacht bleibt davon aber unberührt, und die Berufung ist wirksam eingelegt.275 g) Mehrfacheinlegung Auch die mehrfache Einlegung einer Berufung führt nicht zu einer Vervielfachung der Berufungsverfahren, sondern zu einem einheitlichen Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist. Das ist jedenfalls dann ständige Rechtsprechung, wenn die mehrfache Einlegung bei demselben Gericht erfolgt.
338
Nach einer Entscheidung des BGH soll das aber auch bei Einreichung der Berufungsschriften bei verschiedenen Gerichten gelten, jedenfalls dann, wenn die Berufungen nach Verweisung ein und demselben Gericht zur Entscheidung vorliegen.276
339
Û
Praxistipp: Ob der BGH genauso entscheiden würde, wenn es keine 340 Verweisung gibt, wenn also verschiedene Gerichte mit den eingelegten Berufungen befasst sind, ist angesichts der Einschränkung „jedenfalls dann“ nicht sicher.277
Das OLG Brandburg hat eine solche Konstellation aufgrund des Einwandes doppelter Rechtshängigkeit zwischenzeitlich entschieden.278 Es sei bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes von der Einheitlichkeit des Rechtsmittels geboten, auch bei dem Vorliegen jeweils identischer Rechtsmittelschriften bei zwei verschiedenen Berufungsgerichten, 274 OLG Düsseldorf v. 16.10.2003 – I-10 U 46/03, OLGR Düsseldorf 2004, 315. 275 OLG Brandenburg v. 28.1.2003 – 2 U 14/02, ProzRB 2003, 358 (Teubel) = MDR 2003/1042. 276 BGH v. 15.2.2005 – XI ZR 171/04, MDR 2005, 824. 277 Vgl. hierzu auch die Ausführungen oben ab Rz. 78 ff. 278 OLG Brandenburg v. 16.11.2005 – 4 U 5/05, OLGR Brandenburg 2006, 624.
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341
Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
die sich nur durch die Adressierung unterschieden, im Ergebnis von der Zulässigkeit der Berufung bei dem „richtigen“ Berufungsgericht auszugehen. Einer Partei stehe gegen ein erstinstanzliches Urteil nur ein (1) Rechtsmittel zu. Dabei sei jedoch zu unterscheiden zwischen dem Rechtsmittel als solchem, dem einzelnen Rechtsmittelschriftsatz und dem durch ihn eingeleiteten Verfahren. Das Rechtsmittel könne auch dann weiter verfolgt werden, wenn das zunächst eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verworfen worden sei. Anerkannt sei weiter, dass in den Fällen, in denen die Partei von dem Rechtsmittel mehrmals Gebrauch mache, bevor über dasselbe in anderer Form schon früher eingelegte Rechtsmittel entschieden sei, durch das Rechtsmittelgericht über diese Rechtsmittel eine einheitliche Entscheidung ergehe, da es sich um dasselbe Rechtsmittel handele. Das Berufungsgericht habe zu prüfen, ob eines der in verschiedener Form eingelegten Rechtsmittel zu einer sachlichen Überprüfung des Urteils führen könne. Genüge im Ergebnis dieser Prüfung auch nur eine der Rechtsmittelschriften den gesetzlichen Zulässigkeitserfordernissen, so komme es auf die Zulässigkeit der übrigen nicht mehr an. Vor diesem Hintergrund könne es keinen über die Zulässigkeit einer Berufung entscheidenden Unterschied machen, ob sich die unterschiedlichen Rechtsmittelschriften von vornherein in einer „Hand“ befänden, durch einen fehlerhaften Verweisungsbeschluss in eine „Hand“ gelangt seien oder bei zwei verschiedenen Gerichten eingegangen seien und das eine Verfahren (LG) im Hinblick auf die von dem Gesetzgeber mit dem ZPO-RG neu geschaffene Zuständigkeitsregelung und das hierdurch ausgelöste Verfahren vor dem OLG ruhe. Wäre für eine solche Konstellation nicht von einer einheitlichen Berufung, sondern von zwei gesonderten Rechtsmittelverfahren auszugehen, hätte die zeitlich zuerst eingelegte Berufung bei der dann gebotenen unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung der Regelung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO Vorrang. 342
Haben Hauptpartei und Streithelfer Berufung eingelegt, so handelt es sich gleichwohl nur um ein einheitliches Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist.279
343
Legt ein Prozessbevollmächtigter Berufung ein und bezeichnet er im Rubrum als Prozessbevollmächtigten ausschließlich sich selbst, so liegt darin noch nicht die (konkludente) Anzeige, dass die Prozessvollmacht eines früher tätig gewordenen Prozessbevollmächtigten, der seinerseits bereits Berufung eingelegt hat, erloschen ist.280 279 BGH v. 24.1.2006 – VI ZB 49/05, BGHReport 2006, 670. 280 OLG Bremen v. 13.1.2006 – 4 U 37/05, OLGR Bremen 2006, 418 (gegen BSG v. 26.7.1989 – 11 RAr 31/88, MDR 1990, 366 [367] = NJW 1990, 600).
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IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Die zwingenden Bestandteile der Berufungsbegründung sind in § 520 Abs. 3 ZPO enthalten. Fakultatives findet sich in § 520 Abs. 4 ZPO.
344
1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten.
345
Der Streitgegenstand eines Berufungsverfahrens bestimmt sich nach den 346 Anträgen, die gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Parteivortrags auszulegen sind.281 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO erfordert nach Auffassung des VIII. Zivilsenates allerdings nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Vielmehr soll es ausreichen, wenn die innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergäben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden solle. Dafür genüge grundsätzlich auch ein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag.282 Nachdem die Berufung das erstinstanzliche Urteil angreift (Anfechtungs- 347 teil), sollte dieses auch im Antrag erscheinen. Und nachdem der Angriff (mindestens in Höhe des Mindestbeschwerdegegenstandes) etwas mit dem ursprünglich in erster Instanz verfolgten Begehren zu tun haben muss (Abänderungsteil, dazu weiter unten mehr), sollte auch das im Antrag auftauchen. – Nach § 528 S. 2 ZPO ist vom Berufungsgericht soweit abzuändern, wie Abänderung beantragt wird. Die Abänderung muss in der Sache bezeichnet werden. Dieser Antrag ist damit ein Sachantrag. – Das gilt auch für einen eventuellen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO. – Nach § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO dagegen darf das Berufungsgericht auf Antrag das Urteil aufheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen. (Für § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO bedarf es des Antrags nicht: S. 3) Dieser Antrag richtet sich – ohne sachlichen Gehalt – allein auf das Verfahren. Er ist also ein Verfahrensantrag.
281 BGH v. 20.7.2005 – XII ZR 155/04, BGHReport 2005, 1469. 282 BGH v. 22.3.2006 – VIII ZR 212/04, BGHReport 2006, 990.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
a) Der Sachantrag nach § 528 S. 2 ZPO 348
Grundsätzlich soll das Berufungsgericht selbst entscheiden, § 538 Abs. 1 ZPO. Die Aufhebung und Zurückverweisung soll Ausnahme bleiben. aa) Formulierungen
349
Angesichts dessen, sollte zunächst immer ein dahin zielender Sachantrag gestellt werden.
350
Formulierungsvorschlag (gut): Es wird der Sachantrag gestellt, wie folgt zu entscheiden: Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird die Klage abgewiesen. oder Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger 20.000 Euro nebst Zins in Höhe von 8 Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 1.3.2004 zu zahlen.
351
Was immer wieder zu lesen ist, aber gleichwohl vermieden werden sollte, ist die Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Antrag.
352
Formulierungsvorschlag (schlecht): wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen. oder das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Antrag aus der Klageschrift zu erkennen.
353
Das ist zwar zulässig, aber mit unnötigen Risiken behaftet. Gemeint ist zunächst natürlich nicht wirklich der Antrag aus der Klageschrift, sondern der in der letzten mündlichen Verhandlung gestellte Antrag. Dieser kann mit dem Antrag aus der Klageschrift identisch sein, muss es aber nicht. Welcher Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt wurde, ergibt sich nach Lektüre des entsprechenden Protokolls möglicherweise erst aus (bisweilen) umfangreichen Aktenverweisen.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
354
Beispiel: Klägervertreter stellt Antrag aus dem Schriftsatz vom …, Blatt … d.A., sowie aus dem Schriftsatz vom …, Blatt … d.A. – etc.
Besser ist damit in jedem Fall die konkrete Ausformulierung. Sie bietet einmal den Vorzug der Prüfung, ob nichts vergessen wurde, und überlässt es zum anderen nicht dem Berufungsgericht, – fehlerträchtig – herauszufinden, was denn nun genau beantragt wurde. bb) Erstinstanzlich nicht beschiedene Hilfsanträge Legt der Beklagte gegen seine Verurteilung nach dem Hauptantrag Berufung ein, so ist allein dadurch auch der nicht beschiedene Hilfsantrag des Klägers Gegenstand des Berufungsverfahrens.283
355
cc) Teilanträge und Teilrechtskraft In Abweichung von der Rechtsprechung des BGH284 entscheidet das OLG 356 Karlsruhe: „Greift die Beklagte ein Urteil, das in falscher Besetzung ergangen ist, mit der Berufung nur teilweise an, so verfällt nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil des landgerichtlichen Urteils nicht der Aufhebung, wenn er selbstständig beurteilbar ist. Eine Aufhebung des Urteils auch insoweit würde gegen § 528 ZPO verstoßen und die obsiegende Klägerin ohne Not der Gefahr von Nachteilen in der Vollstreckung aussetzen, obwohl die Beklagte diesen Teil des Urteils akzeptiert.“285
In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des OLG Oldenburg:
357
„Obsiegt der Kläger im ersten Rechtszug teilweise und greift nur er das Urteil mit der Berufung an, wird nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil rechtskräftig, wenn dieser Teil weder vom Berufungskläger noch vom Berufungsbeklagten noch angefochten werden kann.“286
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Praxistipp: Praktisch dürfte die Umsetzung auf Schwierigkeiten sto- 358 ßen. Bis zur letzten mündlichen Verhandlung kann der Berufungsführer ja – im Rahmen seiner fristgerecht eingereichten Begründung – seine Anträge nach Belieben erweitern. Ob eine Erweiterung stattfindet, steht damit – ebenso wie die Frage, ob die Erweiterung zulässig ist – letztlich erst nach der letzten mündlichen Verhandlung fest.
283 BGH v. 20.9.2004 – II ZR 264/02, MDR 2005, 162. 284 BGH v. 19.10.1988, IVb ZR 10/88, NJW 1989, 229 (230) = MDR 1989, 242. 285 OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 26/03, OLGR Karlsruhe 2004, 511; das Aktenzeichen des BGH lautet: X ARZ 195/04. 286 OLG Oldenburg v. 22.6.2004 – 1 U 3/04, MDR 2004, 1199.
93
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
dd) Übersehene Berufungsanträge 359
Zur Frage der übersehenen Berufungsanträge vgl. unten Rz. 779 ff. b) Der Sachantrag nach § 712 ZPO
360
Der XII. Zivilsenat hatte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde über die Einstellung der Zwangsvollstreckung zu befinden. Er entschied, dass eine solche Einstellung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Betracht komme, wenn der Schuldner es versäumt habe, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm ein solcher Antrag möglich und zumutbar gewesen wäre.287 Bei einem solchen Schutzantrag des Schuldners nach § 712 ZPO handele es sich um einen Sachantrag, der in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müsse. Ein im Berufungsverfahren gestellter Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil einstweilen einzustellen, ersetze einen Schutzantrag nach § 712 ZPO nicht.288
361
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Praxistipp: Der Anwalt des erstinstanzlich unterlegenen Schuldners sollte also nicht nur die aktuelle Lage im Auge behalten (§§ 719 Abs. 1, 707 ZPO), sondern auch den möglichen weiteren Fortgang des Rechtsstreites (§ 712 ZPO).
c) Der Sachantrag nach § 718 ZPO 362
Beschränkt der verurteilte Beklagte seine Berufung auf einen Teilbetrag, kann der Kläger die gebotene Reduzierung der Sicherheitsleistung im Verfahren nach § 718 Abs. 1 ZPO erreichen. Versäumt der Gläubiger einen derartigen Antrag, sind Avalzinsen nur insoweit notwendige Vollstreckungskosten als sie für die im Berufungsverfahren noch streitige Restforderung zzgl. Kosten angefallen sind.289 d) Verfahrensanträge nach § 538 Abs. 2 ZPO?
363
Soweit das Berufungsgericht zu der Auffassung kommt, dass die Voraussetzung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 7 ZPO vorliegen, wird es nach Ermessensgebrauch dafür halten, aufzuheben und zurückzuverweisen. Dazu bedarf es aber bei Nr. 1 bis 6 eines Antrages. Ob man einen solchen vorrangig oder mindestens „hilfsweise“ stellen sollte, ist zweifelhaft. 287 Im Anschluss an BGH v. 22.4 2004 – XII ZR 16/04, GuT 2004, 129. 288 BGH v. 6.6.2006 – XII ZR 80/06, BGHReport 2006, 1055, im Anschluss an BGH v. 2.10.2002 – XII ZR 173/02, FamRZ 2003, 598. 289 OLG Koblenz v. 8.3.2004 – 14 W 184/04, MDR 2004, 835 = Rpfleger 2004, 509.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
Stellt man ihn nicht, muss das Berufungsgericht selbst entscheiden. 364 Stellt man ihn aber, bekommt das Ausgangsgericht den Rechtsstreit wieder. Kommt man nun vom Landgericht und dort von einem Einzelrichter (§ 348 ZPO)290 und ist man mit etwas Glück beim Senat gelandet, sollte man die dort gebündelte Kompetenz nicht leichtfertig verspielen.291 Anderes muss man aber dann überlegen, wenn man neue Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen will. Diese sind in der Berufungsinstanz wegen §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO nur erschwert geltend zu machen. Nach einer Zurückverweisung aber wird die erste Instanz einfach nur fortgesetzt. In der Konsequenz ist ein neuer Vortrag nach § 296 ZPO nur ausgeschlossen, wenn er zu einer Verzögerung führt.292
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365
Praxistipp: Im Zweifel sollte man keinen Aufhebungs- und Zurück- 366 verweisungsantrag stellen. Der Neigung mancher Gerichte, die Parteien zu einem solchen doch noch zu bewegen,293 sollte man durch ausdrückliche Erklärung entgegensteuern. Ist aber aus irgendeinem Grunde doch mal ein solcher Antrag nötig, kann man sicher sein, dass das Berufungsgericht bei der Formulierung behilflich sein wird.
Bei dem „hilfsweise“ nur für den Fall einer nachteiligen Bescheidung des 367 Sachantrags gestellten Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung handelt es sich nicht um einen echten Hilfsantrag.294 Wird der Sachantrag nämlich positiv beschieden, bedeutet das für den Kläger als Berufungskläger, dass seinem Klageantrag (jetzt) stattgegeben wird. Für den Beklagten als Berufungskläger bedeutet positive Bescheidung, dass die Klage gegen ihn (jetzt) abgewiesen wird. In beiden Fällen muss (End-)Entscheidungsreife vorgelegen haben und in diesem Fall darf das Berufungsgericht ohnehin nicht zurückverweisen,295 weil das vom Ermessen nicht mehr gedeckt wäre – egal, ob mit oder ohne Antrag. e) Möglichst wenig Bezugnahmen Die Berufungsgründe müssen in der Begründungsschrift selbst enthalten sein. Bezugnahmen sind grundsätzlich unzulässig. Je vollständiger eine 290 Zum Einzelrichter und den damit zusammen hängenden Problemen, vgl. Braunschneider, Der richtige Richter, ProzRB 2004, 51 und oben Rz. 105 ff. 291 In diesem Sinne auch E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 987. 292 Darauf weist zu Recht Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, 2003, Rz. 312 am Ende, hin. 293 So schafft das OLG Saarbrücken (v. 18.2.2003 – 1 U 653/02-155, OLGR Saarbrücken 2003, 142) alle denkbaren Hindernisse aus dem Weg: „Ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO kann noch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in der mündlichen Verhandlung und hilfsweise neben einem Sachantrag gestellt werden.“ 294 OLG Düsseldorf v. 29.7.2003 – I-24 U 64/03, OLGR Düsseldorf 2004, 138. 295 Zu den sachlichen Inhalten des § 538 ZPO, vgl. weiter unten ab Rz. 735 ff.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
Verweisung ist, umso weniger wird sie anerkannt, je mehr sie nur ergänzt ist, umso eher kann sie zulässig sein. Ausnahmen werden dennoch ziemlich restriktiv gehandhabt. Anerkannt wurden vollständige Verweisungen – auf die bereits vorliegende Begründung eines Streitgenossen; – auf die Begründung eines vorab gestellten Antrags auf Gewährung von PKH; – auf die Begründung eines vorab gestellten Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung. 369
Ergänzende Bezugnahmen sind unzulässig, wenn sie pauschal erfolgen („gesamtes Vorbringen in erster Instanz“). Das Mindeste, was eine Bezugnahme enthalten sollte, ist das Datum des in Bezug genommenen Schriftsatzes, eine Kurzbezeichnung und die Blattzahl der Gerichtsakte.296
370
Formulierungsvorschlag: Im Übrigen wird wegen der Umstände des Nachbesserungsversuches auf den Klägerschriftsatz vom 1.3.2004 verwiesen (Bl. 83 und 84 d. GA). f) Beschwer und Beschwerdegegenstand – Umfang der Anfechtung
371
Der Berufungsantrag muss erkennen lassen, welchen Teil der für ihn nachteiligen Entscheidung des Ausgangsgerichtes (Beschwer) der Berufungsführer angreift (Beschwerdegegenstand). Ohne Beschwer kann es demnach keinen Beschwerdegegenstand geben.
372
Weil die Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil angefallen sein muss, bleiben neue, vor dem Berufungsgericht im Wege der Klageerweiterung geltend gemachte Ansprüche bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes unberücksichtigt.297
373
Grundsätzlich gilt zum Verhältnis von Beschwer und Beschwerdegegenstand: – Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich erst auf der Grundlage des in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags entschieden werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die Berufungssumme erreicht.
296 Eine Fülle möglicher und unmöglicher weiterer Formen von Bezugnahmen findet sich bei Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, 2003, Rz. 325. 297 OLG Rostock v. 5.4.2004 – 7 U 136/03, OLGR Rostock 2004, 454.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
– Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die Berufungssumme unterschreitet, kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist. Das gilt auch für den Fall, dass die Berufung zugleich mit ihrer Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird.298
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Praxistipp: Der Anwalt kann auf diese Weise mit geringerem Kosten- 374 risiko die Auffassung des Berufungsgerichts testen. Das gilt allerdings immer nur, wenn spätere Erweiterungen von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt sind!299 – Eine (soweit ersichtlich) ungeklärte Frage ist es aber, ob der Anwalt nach dem Grundsatz des sichersten Weges nicht sogar so vorgehen (oder jedenfalls den Mandanten über diese Möglichkeit belehren) muss.
Der Wert des Beschwerdegegenstands erhöht sich aber nicht über den Be- 375 trag der Verurteilung hinaus, wenn der Beklagte, der mit dem Rechtsmittel seinen Antrag auf Klagabweisung weiterverfolgen will, neben anderen Einwendungen auch mit einem hilfsweise geltend gemachten Zurückbehaltungsrecht ohne Erfolg geblieben war.300 Anders als bei einer Hilfsaufrechnung (§ 322 Abs. 2 ZPO) wird einem Be- 376 klagten, der ein Zurückbehaltungsrecht ohne Erfolg geltend macht, die Gegenforderung nicht rechtskräftig aberkannt. Für die Beschwer des unterlegenen Beklagten, der sich auch aus anderen Gründen gegen seine Verurteilung in der Vorinstanz wendet, also mit dem Zurückbehaltungsrecht nicht nur eine im Übrigen hingenommene Verurteilung unter einen Zug-um-Zug-Vorbehalt gestellt wissen möchte, kommt es auf den Wert des hilfsweise geltend gemachten Gegenanspruchs nicht an. Vielmehr ist es grundsätzlich unerheblich, welche und wie viele Einwendungen ein Beklagter gegenüber dem Klageanspruch ohne Erfolg erhoben hat. Für die Wertberechnung i.S.v. § 511 ZPO sind nach einer Entscheidung 377 des OLG Brandenburg Klage- und Widerklageforderung abweichend vom Wortlaut des § 5 ZPO zusammenzurechnen.301 Problematisch sind im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand oft die Anträge im Rahmen einer Schmerzensgeldklage.
298 299 300 301
BGH, Beschl. v. 9.11.2004 – VIII ZB 36/04, MDR 2005, 409. Einzelheiten bei Braunschneider, ProzRB 2004, 199 ff. und Rz. 451 ff. BGH v. 1.12.2004 – IV ZR 1/04, MDR 2005, 345. OLG Brandenburg v. 7.5.2003 – 14 U 123/02, OLGR Brandenburg 2004, 63. Es ging um einen Verkehrsunfall, nach dem die Parteien sich wechselseitig auf Schadensersatz (wider-)verklagt hatten.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
aa) Keine Beschwer: mehr gewollt als verlangt 379
Hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt302 und hat das Gericht ihm ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist er durch dieses Urteil nicht beschwert und kann es nicht mit dem alleinigen Ziel eines höheren Schmerzensgeldes anfechten.303 bb) Klageerhöhung in der Berufung
380
Für den Berufungsführer, der mit der nötigen Beschwer weniger bekommen als er erstinstanzlich an Schmerzensgeld mindestens verlangt hat, könnte die mit der Berufung (auch304) vorgenommene Erhöhung der erstinstanzlichen Forderung zu einem Verjährungsproblem führen. Der BGH hilft hier weiter: Hat der Geschädigte in erster Instanz ohne Angabe einer Obergrenze im Rahmen seines unbezifferten Leistungsantrags ein Schmerzensgeld in einer bestimmten Größenordnung begehrt und erhöht er seine Angaben zur Größenordnung des Schmerzensgeldes im Berufungsrechtszug, soll der die ursprüngliche Größenordnung übersteigende Betrag nicht verjährt sein, weil dies keine Änderung des Streitgegenstandes darstelle.305 cc) Erweiterung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer
381
Taktische Gründe kann es geben, Anträge in ihrem Umfang zu erweitern oder einzuschränken. Dabei ist aber Vorsicht geboten. Greift die erstinstanzlich unterlegene Partei ihre Verurteilung zunächst nur teilweise an, so kann sie nach einer Entscheidung des OLG Celle nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ihre Berufung in zulässiger Weise nicht mehr auf den zunächst nicht angegriffenen Teil der Verurteilung erstrecken, wenn es sich hierbei um einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes handelt.306
382
In dieselbe Richtung entschied das OLG Koblenz: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht zur Ergänzung einer innerhalb der Beru302 „Einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag, wenigstens aber 4.000 Euro…“. 303 BGH v. 30.3.2004 – VI ZR 25/03, MDR 2004, 1077 = ProzRB 2004, 212 (Kieserling). 304 Wenn der Berufungsführer in erster Instanz alles bekommen hätte, was er dort verlangt hatte, wäre die Berufung jedenfalls mangels Beschwer unzulässig, vgl. die vorstehende Entscheidung. 305 BGH v. 10.10.2002 – III ZR 205/01, MDR 2003, 26 = ProzRB 2003, 116 (Burgermeister). 306 OLG Celle v. 13.6.2002 – 11 U 281/01, OLGR Celle 2002, 290, ProzRB 2003, 38 (Kramer).
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
fungsbegründungsfrist wirksam eingereichten, jedoch inhaltlich unzureichenden Berufungsbegründung gewährt werden. Dies gelte sowohl für den Fall, dass eine umfassende Anfechtung hinsichtlich eines abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes nicht zureichend begründet werde, als auch für den Fall, wenn eine zunächst beschränkte Anfechtung durch Nachschieben eines neuen, nicht bereits von der ursprünglichen Begründung erfassten Berufungsgrundes erweitert werden solle.307 Ergänzt werden kann das mit einer Entscheidung des OLG München noch dahin, dass auch die vergessene Begründung eines mit der Berufung weiter verfolgten Widerklageantrages nicht über eine Wiedereinsetzung nachgeholt werden kann.308 g) Ziel der Anfechtung (Abänderung) Die Berufungsinstanz dient in erster Linie der Fehlerkontrolle und -kor- 383 rektur. Die Berufung muss deshalb mindestens auch das Ziel verfolgen, die erstinstanzliche Beschwer (ganz oder teilweise) zu beseitigen.309 Dass sie daneben zusätzlich dem Ziel dienen kann, prozesswirtschaftlich sinnvoll eigentlich Berufungsfremdes zu integrieren, ändert daran nichts. (Die ZPO-Reform hat dieses prozesswirtschaftlich Sinnvolle allerdings auf das beschränkt, was jedenfalls tatsächlich schon in erster Instanz festgestellt wurde.) aa) Völlig neue Ziele Wer merkt, dass er mit seinem erstinstanzlichen Begehren schlechte Karten hat, könnte ansonsten auf die Idee kommen, das Verfahren in zweiter Instanz mit ausgewechseltem Vortrag und Angriff zu gewinnen.
384
Beispiel:
385
Mit einer Klage wird ein Schadensersatzanspruch nach einem Fahrradunfall in Höhe von 1.000 Euro geltend gemacht. Das erstinstanzliche Gericht verneint ein Verschulden des Beklagten und weist den Anspruch ab. Der Kläger trägt daraufhin in zweiter Instanz vor, dass ihm der Beklagte ohnehin aus – längst fälligem – Darlehen noch 1.000 Euro schulde und will die Berufung nunmehr hierauf stützen. Zum Unfall sagt der Kläger nichts mehr.
Vom Antrag her stimmen erste und zweite Instanz überein („Zahlung von 1.000 Euro“). Der Streitgegenstand wird aber nicht nur durch den Antrag, sondern auch durch den dazu gehörigen Lebenssachverhalt bestimmt.310 Die Auswechslung des Lebenssachverhaltes führt daher zur 307 308 309 310
OLG Koblenz v. 28.12.2004 – 11 UF 825/03, OLGR Koblenz 2005, 870. OLG München v. 12.7.2004 – 6 U 2297/04, OLGR München 2004, 441. BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) = MDR 1994, 1145. So im Zusammenhang mit Klageänderungen (aber auch im Übrigen ständige Rechtsprechung) z.B. BGH v. 29.6.2006 – III ZB 36/06; BGH v. 20.3.2000 – II ZR 250/99, NJW 2000, 1958.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
Änderung des Streitgegenstandes. Das ist rechtlich eine Klageänderung (Details zu den Fragen um eine Klageänderung ab Rz. 654). 386
Nun kann ein Kläger natürlich grundsätzlich auch seine Klage ändern. Die ZPO sieht das in § 263 ZPO (und in den §§ 264, 267 und 268) für die erste Instanz auch vor. § 525 S. 1 ZPO erklärt diese Vorschriften dem Grunde nach auch für im Berufungsverfahren anwendbar. § 533 ZPO ist allerdings insoweit eine Spezialregelung im Sinne von § 525 S. 1 ZPO.311
387
Einerlei, ob man nun eine Sachdienlichkeit bejahen würde (und damit die ohnehin fast nie erteilte Einwilligung der Gegenseite nicht mehr braucht), fehlte es vorliegend aber daran, dass der neue Anspruch nicht auf alte Tatsachen im Sinne von § 529 ZPO gestützt werden kann (§ 533 Nr. 2 ZPO). Das Erstgericht hat dazu nämlich nichts festgestellt.
388
Das kann aber auch mal anders sein: Beispiel: Mit einer Klage wird ein Schadensersatzanspruch nach einem Haftpflichtfall in Höhe von 1.000 Euro geltend gemacht. Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm der Beklagte im Rahmen eines (genau beschriebenen) Vertragsschlusses über ein drei Monate später fällig werdendes Darlehen in seiner Wohnung eine Vase umgeworfen und zerstört hat. Das erstinstanzliche Gericht verneint unter exakter Wiedergabe allen Klägervorbringens im Tatbestand ein Verschulden des Beklagten und weist den Anspruch ab. Der Kläger trägt daraufhin in zweiter Instanz vor, dass ihm der Beklagte ohnehin aus dem schon erstinstanzlich längst fälligen Darlehen noch 1.000 Euro schulde und will die Berufung nunmehr hierauf stützen. Zur Vase sagt der Kläger nichts mehr.
Hier scheitert es jedenfalls nicht an fehlender Tatsachenfeststellung i.S.v. §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO. Der Kläger wird aber nicht in der Lage sein, für seinen neuen Antrag einen Berufungsgrund nach §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO vorzutragen. Nachdem er in der ersten Instanz einen anderen Angriff312 verfolgt hat, kann das Gericht in Bezug auf den jetzigen Angriff gar keinen Fehler gemacht haben.313 389
Beispiel: Mit der Entscheidung über den geltend gemachten Haftpflichtanspruch sagt das Gericht nichts (Rechtliches) über den nicht geltend gemachten Darlehensan311 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 533 Rz. 4. 312 Zur Differenzierung zwischen Angriff und Angriffsmittel, vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 133 (134). 313 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) formulierte die Konsequenzen zum alten Recht so: „Da die Klageerweiterung in zweiter Instanz um bisher dem Gericht nicht unterbreitete Ansprüche keine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils ist, findet die Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO keine Anwendung.“ Dort gab es aber nur eine Erweiterung und keine komplette Auswechselung. Im selben Sinne wie hier: Gaier, NJW 2001, 3289 (3299) mit umfangreichen Nachweisen.
100
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO spruch. Tatsachenfeststellungen in Bezug auf einen Darlehensanspruch gibt es gar nicht,314 es kann daher auch keine Zweifel an Richtigkeit oder Vollständigkeit geben. Die Geltendmachung eines neuen Antrages ist kein Angriffsmittel, die Frage einer Neuheit stellt sich demnach gar nicht.
Wie eingangs gesagt, dient die Berufungsinstanz aber in erster Linie der Fehlerkontrolle und -korrektur und die Berufung muss genau deshalb mindestens auch das Ziel verfolgen, die erstinstanzliche Beschwer (ganz oder teilweise) zu beseitigen.315 bb) Was alles nicht geht … Es reicht demnach nicht, für einen Streitgegenstand beschwert zu sein, aber nur einen anderen weiterzuverfolgen.
390
Es reicht auch nicht aus, sich zunächst (unter zulässiger, aber sachlich aussichtsloser Begründung) mit dem ursprünglichen Antrag gegen das insoweit beschwerende Urteil zu wenden, um dann später im Verfahren diesen Antrag völlig fallen zu lassen und einen neuen zu nehmen.316 Eine zunächst zulässige Berufung wird deshalb unzulässig, wenn der Be- 391 rufungskläger nach Wegfall der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil (im konkreten Fall: durch Abschluss eines Vergleichs) mit der Berufung nur noch eine Erweiterung der Klage in zweiter Instanz verfolgt. Auf die Zulässigkeit der Klageerweiterung als solcher kommt es dann nicht mehr an.317 Es reicht zuletzt nicht aus, einen neuen (klageändernden) Antrag als 392 Hauptantrag und den alten Antrag als Hilfsantrag zu stellen.318 Über den Hilfsantrag wird ja nur dann entschieden, wenn der Hauptantrag unbegründet ist. Schon die Zulässigkeit des Hauptantrages aber könnte nur im Hinblick auf die Zulässigkeit des Hilfsantrages bejaht werden.319 Im Ergebnis verliert man bei solcher Antragstellung den Hauptantrag we- 393 gen fehlender Zulässigkeit und den Hilfsantrag wegen fehlender Begründetheit. Man verliert also alles.
314 Die Tatsachenfeststellungen haben einen anderen, am gestellten Antrag ausgerichteten Bezug, mögen sie auch Informationen enthalten, welche für den neuen Antrag nützlich sind. 315 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) = MDR 1994, 1145. 316 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 533 Rz. 11. 317 BGH v. 30.11.2005 – XII ZR 112/03, BGHReport 2006, 451 = FamRZ 2006, 402. 318 So aber Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 299 a.E. 319 Unter Abweichung von älterer, anders lautender Rechtsprechung: BGH v. 11.10.2000 – VIII ZR 321/99, NJW 2001, 2260 MDR 2001, 408.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
cc) Einzelfälle 394
Der VII. Zivilsenat des BGH entschied, dass die Berufung gegen ein Prozessurteil, mit welchem die Zahlungsklage einer Partei, die über eine vollstreckbare Urkunde verfügte, abgewiesen wurde, unzulässig sei, wenn mit dieser Berufung allein ein Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO verfolgt werde.320
395
Eine Berufung, mit welcher der in erster Instanz erhobene Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiter verfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird, ist auch nach Auffassung des OLG Brandenburg unzulässig. Dies gelte auch dann, wenn die Berufung allein mit dem Ziel einer subjektiven Klageänderung erfolge.321
396
Das OLG Düsseldorf konkretisiert das für den Fall des Übergangs vom Anspruch auf Mängelbeseitigung gem. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. zu den Gewährleistungsansprüchen gem. den §§ 634, 635 BGB a.F.322 Dies stelle eine Klageänderung dar, da die Ansprüche unterschiedlicher rechtlicher Natur seien und damit verschiedene Streitgegenstände bildeten.
397
Das OLG Saarbrücken entschied ähnlich im Bereich des Kaufrechts: Die Berufung sei unzulässig, wenn der Berufungsführer in der Berufungsinstanz anstelle des in der ersten Instanz abgewiesenen Wandlungsbegehrens die Minderung des Kaufpreises erstrebe.323
398
Das OLG Rostock entschied, dass die Ersetzung einer erstinstanzlich wegen eines vertraglichen Verbotes nicht durchgreifenden Aufrechnung durch die Erhebung der Widerklage zum Wegfall der Beschwer führt.324 Das erstinstanzliche Urteil werde nicht mehr im Hinblick auf das nicht zuerkannte Erlöschen des Anspruchs angegriffen.
399
In einem vom OLG Köln entschiedenen Fall, hinderte die Abweisung der Klage auf Darlehensrückzahlung wegen Unwirksamkeit der vom Darlehensgeber ausgesprochenen Kündigung (hier: eines Verbraucherkredits) keine neue Klage, mit der geltend gemacht wird, das Darlehensverhältnis sei durch erneute Kündigung nunmehr beendet. Eine allein auf die erneute Kündigung gestützte Berufung sei aber unzulässig, ohne dass es auf die
320 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 81/02, MDR 2004, 225 = ProzRB 2004, 37 (Kramer). 321 OLG Brandenburg v. 5.3.2002 – 6 U 175/01, MDR 2001, 1087 = ProzRB 2003, 12 (Reichling). 322 OLG Düsseldorf v. 10.7.2003 – I-5 U 162/02, OLGR Düsseldorf 2004, 370. 323 OLG Saarbrücken v. 20.6.2005 – 4 U 105/05-94, OLGR Saarbrücken 2005, 677. 324 OLG Rostock v. 3.3.2004 – 3 U 267/03, OLGR Rostock 2004, 262.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine zweitinstanzliche Klageänderung ankomme.325 Etwas exotisch ist ein Urteil des OLG München: Werde eine erstinstanz- 400 lich ausschließlich auf ein Gebrauchsmuster gestützte Verletzungsklage erstmals in der Berufungsinstanz auf ein paralleles Patent gestützt, dessen Erteilung nach Erlass des Ersturteils bekannt gemacht wurde, entfalle die (noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung erforderliche) Beschwer nicht dadurch, dass die Klage aus dem Gebrauchsmuster nach dessen Löschung im Laufe des zweiten Rechtszuges zurückgenommen werde. Die Berufung bleibe vielmehr zulässig, da das im Wesentlichen bereits in erster Instanz verfolgte Rechtsschutzziel weder aufgegeben noch anderweitig erreicht worden sei.326 dd) Entscheidender Zeitpunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung Entscheidender Zeitpunkt ist dabei der Schluss der mündlichen Verhand- 401 lung vor dem Berufungsgericht. Dient das mit der Berufung verfolgte Begehren dann nicht mehr (auch) der Beseitigung der in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.327 ee) … und was geht. Was alleine möglich ist, ist die Stellung des ursprünglichen Antrages als Hauptantrag und die Stellung des neuen Antrages als (klageändernder) Hilfsantrag. Dabei sind dann die Voraussetzungen des § 533 ZPO zu beachten.
402
Im Ergebnis verliert man hier zwar den (zulässigen) Hauptantrag (wegen fehlender Begründetheit), danach hilft er aber dem Hilfsantrag über die Zulässigkeitshürde und man kann diesen begründet gewinnen. ff) Sinn solchen Vorgehens Aber was bringt das? Von den Kosten her nicht viel, denn § 97 Abs. 1 und 403 2 ZPO geben dem Berufungsgericht genügend Spielraum, dem Berufungskläger alle Kosten aufzuerlegen. Und wenn der Beklagte und Berufungsbeklagte den neuen Anspruch gleichfalls für gegeben hält, kann er über § 93 ZPO auch den Rest zu Fall bringen. Hinzu kommt, dass bei Durchführung mit neuem, aber betragsmäßig gleichem Antrag mehr Kosten entstehen als bei einer Rücknahme (für die Gegenseite und für die Ver325 OLG Köln v. 14.7.2004 – 13 U 204/03, OLGR Köln 2004, 403. 326 OLG München v. 22.12.2005 – 6 U 4351/02, OLGR München 2006, 533. 327 BGH v. 15.3.2002 – V ZR 39/01, MDR 2002, 1085 = ProzRB 2002, 10 (Burgermeister).
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
fahrens- und Urteilskosten. Zu den Alternativen zur Rücknahme im Übrigen, vgl. direkt im Anschluss). 404
Den Verlust einer Instanz kann der Kläger in der beschriebenen Konstellation dagegen gut verkraften, der Beklagte muss dies, weil es in § 533 ZPO so vorgesehen ist.
405
Mit Sinn behaftet ist derartiges Vorgehen also wohl allenfalls dann, wenn dem Berufungskläger daran gelegen ist, nicht sein Gesicht zu verlieren, weil er eine Berufung verloren hat. gg) Neue Schlussrechnungen
406
Der Streitgegenstand einer Werklohnklage ändert sich aber nicht dadurch, dass eine neue Schlussrechnung vorgelegt wird.328 Es geht deshalb weiter um das erstinstanzlich verfolgte Begehren. Die mit der Berufung vorgenommene Erweiterung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO wegen einer weitergehenden Schlussrechnungsforderung ist also keine Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO.329 hh) Einschränkung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer (1) Rücknahme: Billiger, aber immer noch teuer
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Es gibt Fälle, in denen zur Fristwahrung Berufung eingelegt werden muss, ohne dass man als Anwalt die Gelegenheit hat, sich mit den Erfolgsaussichten zu beschäftigen.330 Der üblichen Bitte an die Gegenseite, dort bis zur Klärung der Frage, ob die Berufung auch tatsächlich durchgeführt wird, keine Bestellung vorzunehmen, muss diese nicht nachkommen.
408
Man kann sich tatsächlich auch die Frage stellen, ob man als Gegenanwalt einer solchen Bitte überhaupt nachkommen sollte. Begünstigt wird dadurch ja alleine die berufungseinlegende Seite, weil sie bei ihren Überlegungen keinem Kostendruck ausgesetzt ist. Je üblicher es wird, dass einer Berufungseinlegung sofort eine Bestellung auf der Gegenseite folgt, die auch bei anschließender Nichtdurchführung ohne Antragstel328 BGH v. 18.12.2003 – VII ZR 124/02, BGHReport 2004, 620 = MDR 2004, 587 = ProzRB 2004, 125 (Moehren); BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64 (Deichfuß). 329 BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 138/04 (im Anschluss an BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295). 330 Namentlich, wenn die Mandanten erstmals für das Berufungsverfahren zum Anwalt kommen oder diesen hierfür wechseln, gerne auch nur wenige Tage vor Ablauf der Einlegungsfrist, und außer dem Urteil nichts mit sich führen. Dass dies zu haftungsrelevanten Fehlern bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts führen kann, wurde schon oben bei Rz. 46 erläutert.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
lung zu bezahlen ist (unter der Geltung der BRAGO mit 13/20, nach dem RVG mit 1,1, sofern nur ein Berufungsgegner vorhanden ist), umso eher wird man diesen Kostenfaktor bei der Einlegung einer Berufung überlegen. Unterstellt, die Prüfung der Berufungsaussichten ergibt ein so schlechtes 409 Ergebnis, dass man mit dem Mandanten zur Ansicht gelangt, es sei besser, die Berufung nicht durchzuführen, liegt es zunächst nahe, die Berufung einfach zurückzunehmen. Die Gerichtsgebühren ermäßigen sich dann. Hat sich nun aber schon jemand auf der Gegenseite bestellt, sind dessen Kosten mit einzurechnen. Gerade bei sehr hohen Streitwerten kann das richtig ins Geld gehen. Beispiel: Mit einer Klage sei ein Pflichtteilsanspruch über 280.000 Euro geltend gemacht worden. Die Klage wurde vollständig abgewiesen. Zur Fristwahrung wurde Berufung eingelegt. Sofort bestellt sich für den Beklagten und Berufungsbeklagten ein Anwalt. Wird nun nach Prüfung der Erfolgsaussichten die Berufung zurückgenommen, bevor die Schrift zur Begründung bei Gericht eingegangen ist, ergeben sich folgende Kosten (alle Anwaltskosten ohne USt und Pauschalen): Klägeranwalt 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt 1,1 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
2.387,00 Euro
Gericht 1,0 Verfahrensgebühr,331 begünstigt von KV-GKG Nr. 1220 auf 1221
1.906,00 Euro
zusammen also:
7.765,00 Euro
(2) Alternativen zur Rücknahme (a) Kleiner ist feiner Angesichts dessen, dass der Beschwerdegegenstand der Berufung (und an 410 dem hängen die Kosten) aber durch die Anträge bestimmt wird (§ 14 Abs. 1 S. 1 GKG), kann man auf die Idee kommen, vor der Rücknahme zunächst einfach einen niedrigen („kleinen“) Antrag zu stellen und erst dann zurückzunehmen. Beispiel: Statt der vollen 280.000 Euro wird nur noch ein Antrag über 2.800 Euro gestellt.
Auf diese Idee sind in der Tat schon Anwälte gekommen. Sie mussten sich aber frühzeitig vom Großen Senat für Zivilsachen sagen lassen, dass es als rechtsmissbräuchlich empfunden wird, allein und evident aus Kos331 Nach dem GKG i.d.F. vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718), zuletzt geändert durch Artikel 12f des Gesetzes vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) (1. JuMoG). – Vorher ging die Ermäßigung auf 0,5.
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411
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
tengründen einen geringen Antrag zu stellen. Der Gegenstandswert wurde in diesen Fällen dann auf die volle Höhe der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil festgesetzt: „Ein eingeschränkter Rechtsmittelantrag des Rechtsmittelklägers ist bei der Streitwertberechnung im Rechtsmittelverfahren gemäß § 14 Abs. 1 GKG dann nicht zu berücksichtigen, wenn er offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist.“332
Es sei nicht Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 GKG, einem Rechtsmittelkläger, der sein Rechtsmittel überhaupt nicht mehr durchführen wolle, zu einer Verringerung der Kostenlast zu verhelfen, welche über die im Gesetz für die Rechtsmittelrücknahme vorgesehene Kostenermäßigung nach dem KV GKG hinausgehe.333 Beim Beispiel: Der Gegenstandswert lag damit bei 280.000 Euro.
412
Die Literatur kommentiert das so: „Viel zu verlieren hat der Berufungskläger bei dem Versuch, den Streitwert zunächst gering zu halten, aber nicht: Gelingt dies nicht, wird – wie ohne Beschränkung auch – der volle Wert der Beschwer zugrunde gelegt.“334
Das klingt nicht besonders motivierend. 413
Nun mag aber ein findiger Anwalt auch einmal etwas anderes probieren. Er könnte sich vornehmen, nicht das Geld, sondern die Gerechtigkeit in den Vordergrund zu stellen. Er sollte dieses Anliegen dann noch in geeigneter Weise im Berufungsverfahren nachvollziehbar kommunizieren.335 (Auch) er würde dann nur einen kleinen Teil der Beschwer zum Beschwerdegegenstand machen (z.B. 2.800 Euro), den aber durchziehen. Nimmt er seine eigene (interne!) Erfolgsprognose ernst, wird er dabei natürlich scheitern. Wie viel das kostet, hängt davon ab, an welcher Stelle er scheitert und wie viel er vorher dafür unternimmt. (b) Zu spät wird billiger
414
Strategisch möglich wäre, dass er im Rahmen der Berufungsbegründungsfrist zunächst nur eine Fristverlängerung beantragt. Die bekommt er. Dann stellt er kurz vor Fristablauf den „kleinen“ Sachantrag, behält sich 332 333 334 335
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BGH v. 14.2.1978 – GSZ 1/77, BGHZ 70, 365 (Leitsatz). BGH v. 14.2.1978 – GSZ 1/77, BGHZ 70, 365 (369). Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 212 a.E. Das OLG Hamburg v. 20.10.2004 – 5 U 153/04, OLGR Hamburg 2005, 181, etwa formuliert: „Beschränkt der Berufungsführer seinen Berufungsantrag in der Begründungsfrist ohne nachvollziehbare Angabe von Gründen unzulässigerweise auf die Kosten und nimmt einen Tag nach der Beschränkung seine Berufung zurück, so ist die Beschränkung des Antrags als missbräuchlich anzusehen mit der Folge, dass sich der Streitwert nach der Beschwer durch die erstinstanzliche Verurteilung richtet.“
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
die Begründung und eventuelle Weiterungen ausdrücklich vor, beantragt dabei eine weitere (also die zweite) Fristverlängerung und bittet zugleich das Gericht, die Zustimmung des Gegners hierzu einzuholen. Es wird sich aber weder das Gericht zum Handlanger des Berufungsführers machen wollen, noch wird der Berufungsgegner zustimmen. Die Berufung ist damit ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist begründet worden ist (§ 522 Abs. 1 S. 2, S. 1 ZPO). Bei einer so klaren Sachlage wird das Berufungsgericht regelmäßig durch Beschluss entscheiden (§ 522 Abs. 1 S. 3 ZPO). Eine kostenträchtige Stellungnahme der Gegenseite gibt es in diesem Fall nicht. Es bleibt dort bei der 1,1 Gebühr (Nr. 3201 VV RVG).336 Für das Gericht entsteht eine 4,0 Verfahrensgebühr (Nr. 1220 KV GKG). Ermäßigungstatbestände (Nrn. 1221 bis 1223 KV GKG) liegen nicht vor. (Nach altem GKG galt: Die Verfahrensgebühr lag bei 1,5. Ein Verwer- 415 fungsbeschluss löste keine weitere Gebühr aus.337 Ein Verwerfungsurteil löste demgegenüber eine Urteilsgebühr aus, je nachdem, ob es eine Begründung enthielt oder nicht, eine 1,5-fache oder eine 3-fache.) (c) Schlecht wird billiger Strategisch möglich ist auch, dass unter Stellung des „kleinen“ Antrages 416 sofort eine Begründung abgeliefert wird, welche sich in einer phrasenhaften Anhäufung beschränkt, in der dem Erstgericht Rechtsfehler und insgesamt fehlerhafte und/oder einseitige Beweiswürdigung, etc. vorgeworfen werden. Hier wird das Berufungsgericht aller Wahrscheinlichkeit nach einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen. Nimmt die Gegenseite in diesem Zusammenhang Stellung und stellt ihrerseits Zurückweisungsantrag, fällt dort eine 1,6 Gebühr an. Für das Gericht entsteht eine 4,0 Verfahrensgebühr (Nr. 1220 KV GKG). Ermäßigungstatbestände (Nrn. 1221 bis 1223 KV GKG) liegen nicht vor. (Nach altem GKG galt: Es entstand eine 1,5 Verfahrensgebühr und die 1,5 oder 3,0 Entscheidungsgebühr Gerichtsgebühren [Nrn. 1227 oder 1226 KV-GKG]).
417
In solchen Fällen ist es auch möglich, dass das Gericht schon aus erzieherischen Gründen auf ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO verzichtet und Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Dort mag der Anwalt aber vielleicht gar nicht auftreten, er lässt Versäumnisurteil gegen sich ergehen und legt dagegen keinen Einspruch ein. Hier entstehen für die Gegenseite die 1,6 und die 0,5 Gebühr. Für das Gericht entsteht wieder die 4,0 Verfahrensgebühr.
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336 N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., VV 3201 Rz. 24. 337 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 522 Rz. 37.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
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Û
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Alle Gebühren (der Gegenseite und des Gerichtes) in diesen Varianten entstehen aber auf der Basis des durch den Antrag bestimmten Gegenstandswertes, im Beispiel also auf der Basis von 2.800 Euro. Ein Rechtsmissbrauch wie in den Fällen der Antragssenkung zum Zwecke der Rücknahme liegt nicht vor, denn das Verfahren soll ja durchgeführt werden. Es scheitert eben nur an alltäglichen Fehlern (Fristsäumnis, unsaubere Begründung). Für den Berufungsführer bleibt es bei der Prozessgebühr aus der vollen Summe.
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Rechnerisch sieht es dann so aus:
Praxistipp: Wer an weiteren taktischen Varianten interessiert ist, kann sich die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung bei versäumten Berufungsbegründungsfristen vielleicht mal unter einem etwas anderen Blickwinkel ansehen. Namentlich die dort genannten Fälle, in denen es keine Wiedereinsetzung gab, eröffnen ungeahnte Möglichkeiten. Aber immer beachten: Anders als üblich muss der „kleine“ Antrag schon vor der vermasselten Begründung fristgerecht (!) gestellt worden sein.
Beispiel – verfristet eingereichte Begründung: Klägeranwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro Beklagtenanwalt (von 3200 auf 3201 VV RVG) 1,1 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also: Beispiel – nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesene Berufung: Klägeranwalt (3200 VV) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro 207,90 Euro 356,00 Euro 4.035,90 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt (von 3200 auf 3201 VV RVG) 1,1 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro (oder auch 1,6 – s. Text) Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also:
356,00 Euro 4.035,90 Euro
Beispiel – nach VU zurückgewiesene Berufung: Klägeranwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro Beklagtenanwalt (von 3202 auf 3203 VV RVG) 0,5 Terminsgebühr aus 2.800 Euro
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207,90 Euro
302,40 Euro 94,50 Euro
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also:
356,00 Euro 4.224,90 Euro
(d) Mehr kostet weniger als Weniger Jetzt ist es keine große Kunst mehr, auszurechnen, dass alle Varianten, in denen man weiter macht (Mehr), erheblich günstiger sind als die schlichte Rücknahme (Weniger).
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Dort waren es 7.765,00 Euro Gesamtkosten (zzgl. USt und Pauschalen), hier sind es zwischen 4.035,90 Euro und 4.224,90 Euro. (3) Vorsichtsmaßnahmen Es versteht sich, dass man den „kleinen“ Antrag stets mit Blick auf die 423 Streitwertsprünge festlegt. Es versteht sich auch, dass man ihn nicht unbedingt in exakter Quote der Beschwer festlegt, wenn es eine irgendwie geartete anderweitige Plausibilität gibt. Es versteht sich weiter, dass man sich vom Mindestwert von 600 Euro gehörig fernhält, um keine unliebsamen Vermutungen aufkommen zu lassen.338 Es versteht sich zuletzt, dass man mit dem Mandanten offen redet. Und 424 das bedeutet, dass man ihm alles vorrechnet, dass man ihm klarmacht, dass es hier um ein taktisches Vorgehen handelt und dass derartiges immer mit Risiken behaftet ist. Das muss schriftlich geschehen und am Besten vom Mandanten bestätigt werden (mit Einverstanden-Vermerk zurückschicken lassen), sonst könnte ein böswilliger Mandant auf Regressideen kommen. Das bedeutet aber auch, dass man zunächst mal dafür Sorge zu tragen hat, dass die eigene Prozessgebühr/Verfahrensgebühr aus der vollen Summe vorschussweise auf dem eigenen Konto landet. Gut vorstellbar ist es ja in der Praxis, dass der Mandant den schlauen An- 425 walt noch übertrumpfen will, indem er zu guter Letzt behauptet, er selbst habe ohnehin immer (!) schon nur den „kleinen“ Antrag stellen wollen. Und demgemäß will er dann auch die Prozessgebühr/Verfahrensgebühr nur aus diesem kleinen Streitwert zahlen.
338 Lehrreich OLG Koblenz v. 22.12.2004 – 5 U 1332/04: Ein erheblich eingeschränkter Berufungsantrag ist für den Streitwert nicht maßgeblich, wenn die Reduzierung des Begehrens deutlich macht, dass statt einer Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts nur noch eine Reduzierung der Kostenlast erstrebt wird.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
ii) Die möglichen Variationen im Umfang des Berufungsangriffs 426
Es macht grundsätzlich einen Unterschied, ob man als Kläger erstinstanzlich unterliegt oder als Beklagter. Der Kläger verliert erst dann, wenn es keine einzige Anspruchsgrundlage gibt, welche sein Begehren stützt, der Beklagte schon dann, wenn es nur eine einzige Anspruchsgrundlage gibt, welche ihn verpflichtet. Um eine Klage abzuweisen, muss ein Erstgericht damit prinzipiell mehr tun, als um sie zuzusprechen.
427
Der unterlegene Kläger muss dann folglich für seine Berufung nur das Vorliegen der Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage vortragen,339 mag er auch mit dem Vortrag zu mehreren Anspruchsgrundlagen seine Gewinnchancen erhöhen, während der unterlegene Beklagte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen aller vom Erstgericht angenommenen Anspruchsgrundlagen darzulegen hat. Dabei wird der unterlegene Kläger aber eine große Auswahl haben (denn das Erstgericht muss ja alle möglichen Ansprüche prüfen und verneinen), der unterlegene Beklagte dagegen nur eine kleine (im relationstechnisch idealen Fall: eine Anspruchsgrundlage).
428
Für die Angriffe selbst kommt hinzu, dass das Maximum dessen, was der Beklagte im Normalfall verlangen wird, die Zurückweisung des Klageanspruchs ist. Das setzt sich in der Berufung fort. Der Kläger hingegen mag durchaus auf die Idee kommen, es nicht dabei zu belassen, was er erstinstanzlich gefordert hat. Insoweit könnte er mit seinem Berufungsangriff auch über den erstinstanzlichen Angriff hinausgehen.
429
Die für den Beklagten daneben eigentlich immer noch gegebene Möglichkeit, auch seinen Angriff über den Weg einer Widerklage zu erweitern, ist durch die Neureglung des § 533 ZPO (und dort namentlich dessen Nr. 2) ziemlich erschwert. (1) Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger
430
Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger gibt es zwölf grundsätzlich sinnvolle Varianten im Umfang des Berufungsangriffes. Dabei ist es strukturell einerlei, ob man erstinstanzlich voll gescheitert (so die folgenden Beispiele) oder ob man nur mit einem Teil unterlegen ist.
339 Das hat nichts mit der unzulässigen Beschränkung von Rechtsmitteln auf eine von mehreren konkurrierenden Anspruchsgrundlagen zu tun, wie sie Gegenstand von BGH v. 7.7.1983 – III ZR 119/82, NJW 1984, 615 war. Dort ging es um die Zulassung des Rechtsmittels durch das vorentscheidende Gericht. Hier geht es um das Verhalten des Berufungsklägers.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
(a) Vollständiges Scheitern in erster Instanz
• Man greift das erstinstanzliche Urteil voll an und verfolgt das erst- 431 instanzliche Begehren unverändert voll weiter. Beispiel 1: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil nur teilweise an und verfolgt das 432 erstinstanzliche Begehren dauerhaft nur teilweise weiter.340
Beispiel 2: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich nur teilweise an, er- 433 weitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt das erstinstanzliche Begehren danach vollständig weiter. Beispiel 3: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst nur) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt 434 den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter.341 Beispiel 4: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann (nur noch) eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro.
340 Hier ist zu bedenken, ob ein (Rechtsmittel- oder Anspruchs-)Verzicht oder eine Klagerücknahme vorliegen oder lediglich ein beschränkter Antrag. Die h.M. nimmt eine Antragsbeschränkung an, Gummer/Heßler in Zöller, 26. Aufl., § 520 Rz. 29. 341 Das ist eine teilweise Berufungsrücknahme. Es ist zu beachten, dass der Rest noch den Mindestwert der Beschwer abdeckt, bzw. sich im Rahmen einer Zulassung hält.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
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• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, erweitert ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren wieder voll weiter.342 Beispiel 5: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann (zunächst nur noch) eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (10.000 Euro).
436
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich teilweise an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, beschränkt ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 6: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst nur) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (5.000 Euro).
437
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens noch und verfolgt danach mehr als das erstinstanzliche Begehren. Beispiel 7: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. In der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 15.000 Euro.
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• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, verändert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt danach (nur noch) anderes als das erstinstanzliche Begehren. Beispiel 8: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur 342 Für die Revision formuliert von BGH v. 6.10.1987 – VI ZR 155/86, MDR 1988, 217/218. Es gilt aber in gleicher Weise für die Berufung, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 43 (dort in Fn. 144).
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Zahlung von 10.000 Euro unter Beibehaltung des Vortrages zum zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Im weiteren Verlauf wird dann ein Herausgabeantrag gestellt und auf einen völlig neuen Lebenssachverhalt gestützt.
Die beiden zuletzt genannten Möglichkeiten kann man sich natürlich 439 auch noch so vorstellen, dass das erstinstanzliche Urteil anfangs nur teilweise angegriffen wird und die Erweiterung oder Veränderung des Angriffs erfolgt (Möglichkeiten 9 und 10). Schließlich ist auch noch denkbar, dass sofort mehr oder anderes verlangt wird als in erster Instanz (Möglichkeiten 11 und 12). (b) (Nur) Teilweises Scheitern in erster Instanz All das, was gerade zum Falle vollständigen Scheiterns in erster Instanz 440 gesagt wurde, gilt auch für den Fall einer teilweisen Niederlage. Allerdings gibt es in diesem Fall eine Besonderheit beim Antrag zu beachten. Das Urteil der ersten Instanz soll hier ja nur in dem Teil abgeändert werden, in welchem der Kläger unterlegen ist. Im Antrag sollte also die „teilweise Abänderung“ des Urteils verlangt werden. Das ist zunächst nur eine Marginalie. Es lädt aber zu Missverständnissen ein, wenn der Kläger den verbliebenen Rest seines erstinstanzlichen Begehrens danach nur noch teilweise weiterverfolgen will. Beispiel: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz in Höhe von 2.000 Euro durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Kläger die teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro.
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Hier ist nicht deutlich, ob der Verurteilungsantrag den Abänderungsantrag umfassen soll, der Kläger also insgesamt noch 5.000 Euro haben will, oder ob der Verurteilungsantrag neben den Abänderungsantrag treten soll, der Kläger demnach insgesamt noch 7.000 Euro haben will. Um das zu vermeiden, sollte klar formuliert werden:
442
Formulierungsvorschlag: Es wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger über die bereits zugesprochenen 2.000 Euro hinaus weitere 5.000 Euro, insgesamt also 7.000 Euro, zu zahlen.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
(2) Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten 443
Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten gibt es nur sechs grundsätzlich sinnvolle Varianten im Umfang des Berufungsangriffes.
444
• Man greift das erstinstanzliche Urteil voll an und verfolgt die Klageabweisung unverändert voll weiter. Beispiel 1: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
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• Man greift das erstinstanzliche Urteil teilweise an und verfolgt die Klageabweisung nur teilweise weiter. Beispiel 2: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
446
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich nur teilweise an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt die Klageabweisung danach vollständig weiter. Beispiel 3: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung (zunächst nur) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die vollständige Klageabweisung.
447
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt die Klageabweisung danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 4: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die Klageabweisung (nur noch) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde.
448
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, erweitert ihn aber schließlich wieder und verfolgt das erstinstanzliche Begehren (die Klageabweisung) letztlich wieder voll weiter.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Beispiel 5: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die Klageabweisung (nur noch) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (vollständige Klageabweisung).
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich teilweise an, erwei- 449 tert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, beschränkt ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 6: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er vollständige Klageabweisung. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (Klageabweisung mehr als 5.000 Euro).
Die für den Kläger sinnvollen Varianten Mehr oder Anderes machen für 450 den Beklagten keinen Sinn. Mehr oder anderes als Abweisung kann er (ohne Widerklage) nicht erreichen. jj) Der anfänglich teilweise, später volle Angriff (1) Alles eine Frage der Kosten Wer hoch anfängt und maximal angreift und dann später runter geht, ist 451 jedenfalls mit den hohen Kosten des Anfangs belastet und kann von Absenkungen erst ab dem Augenblick der Absenkung profitieren. Für die Konstellation, in der eine Berufung eigentlich überhaupt nicht mehr Erfolg versprechend aussieht, wurden weiter oben bereits Hinweise zum strategischen Vorgehen gegeben. Entscheidend war, zunächst überhaupt keinen Antrag zu stellen, dann nur noch einen niedrigen, dabei aber unbedingt die Durchführung ernsthaft zu wollen.343
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Es liegt daher aus Kostengründen nahe, den umgekehrten Weg zu probie- 453 ren: Erst mal klein anfangen und – wenn es gut aussieht – nachlegen. Das Problem dabei besteht darin, dass man nicht beliebig nachlegen kann, weil das Gesetz für die Antragstellung grundsätzlich eine zeitliche Grenze vorgibt: § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO fordert die Berufungsbegründung inner343 Dazu ab Rz. 407.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
halb von zwei Monaten ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Und § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO beschreibt die Berufungsanträge als zwingenden Bestandteil eben dieser Begründung. 454
Daraus folgt, dass die Anträge eben innerhalb der Zweimonatsfrist gestellt sein müssen. Innerhalb dieser Frist können sie auch problemlos erweitert werden.344 (2) Enge Voraussetzungen für spätere Erweiterungen
455
Nach Ablauf der Zweimonatsfrist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht sind Änderungen nur noch unter engen Voraussetzungen möglich.
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Sie müssen sich im Rahmen der ursprünglichen Berufungsgründe halten, welche innerhalb der Frist vorgetragen wurden. Der BGH formulierte das so: „Eine Erweiterung der Anträge in der mündlichen Verhandlung ist zulässig. Zwar muss die Begründung eine Erklärung darüber enthalten, wieweit das Urteil angefochten wird. Dies Erfordernis ist aber nur formal; die in der Begründungsschrift enthaltenen Anträge tragen nur vorläufigen Charakter und können in der mündlichen Verhandlung noch geändert, insbesondere noch erweitert werden. Nach der Rechtsprechung muss sich jedoch die Erweiterung der Anträge in der mündliche Verhandlung in dem Bereich des Anspruchs halten, der den Gegenstand der Begründung bildet und zwar gilt dies nicht nur für Verfahrensrügen, sondern auch für Rügen der Verletzung materiellen Rechts.“345
(3) Ausreichender Rügeumfang 457
Unproblematisch ist es nun, wenn sich das Verfahren auf einen einzigen Streitgegenstand beschränkt, der teilbar ist, und wenn der gerügte Fehler des Erstgerichtes sich nicht auf einen Teil beschränkt. Beispiel: Der Kläger ist mit einem in Höhe von 10.000 Euro geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach einem Autounfall (§ 823 Abs. 1 BGB) voll unterlegen, weil 344 Nicht aber – kostenlos – beliebig begrenzt. Schon gestellte Anträge bewirken, dass spätere Begrenzungen auch schon innerhalb der Begründungsfrist (!) als Rücknahmen angesehen werden, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 42. Differenzierter aber Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 307 und 308. 345 BGH v. 22.12.1953 – V ZR 6/51, BGHZ 12, 52 (67/68) formuliert das für die Revision. Es gilt aber in gleicher Weise für die Berufung, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 43 (dort in Fn. 146), Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 520 Rz. 19. Für Anschlussberufungen formulierte BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (270) re Sp.: „Voraussetzung für die Zulassung der Erweiterung ist freilich (…), dass sich der Erweiterungsantrag im Rahmen der schriftlich vorgetragenen Anschließungsgründe hält.“
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO das Erstgericht die Beteiligung des Beklagten unter Übergehung eines Beweisangebotes des Klägers nicht als erwiesen angesehen hat. Schadenspositionen waren: Reparaturkosten (5.000), Nutzungsausfall (1.500), Heilungskosten (500), Schmerzensgeld (3.000).
Der Kläger und Berufungskläger wird nun das Ersturteil angreifen und sich dabei in seiner Begründung auf die Mängel in der Tatsachenfeststellung, namentlich auf die nicht durchgeführte Beweisaufnahme beziehen. Das füllt den Berufungsgrund des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO.346 Der Kläger kann dabei seinen Antrag zunächst beschränken (z.B. auf den Nutzungsausfall), er muss lediglich die Mindestbeschwer von 600 Euro erreichen (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Diskussion darüber, ob bei der Erreichung der Mindestbeschwer auch spätere Erweiterungen im Antrag zu berücksichtigen sind, kann man an dieser Stelle getrost außer Acht lassen. Wenn das Berufungsgericht erst einmal einen Verwerfungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 2, S. 3 ZPO erlassen hat, gibt es keine Antragserweiterung mehr. Danach kann der Kläger abwarten, wie sich das Berufungsgericht verhält. Teilt es die Auffassung, dass (erstinstanzlich) eine Beweisaufnahme hätte erfolgen müssen und holt es diese dann nach,347 kann der Kläger im Anschluss (§§ 279 Abs. 3, 285 Abs. 1, 370 Abs. 1 ZPO) anhand des Ergebnisses und insbesondere in Kenntnis der Würdigung durch das Gericht348 (§ 279 Abs. 3 ZPO) entscheiden, ob er seinen Antrag nunmehr auf alle Schadenspositionen erweitert. Seine Berufungsbegründung rügte Fehler der ersten Instanz, die sich auf den Bereich der Haftungsbegründung des § 823 Abs. 1 BGB auswirkten. Alle darauf basierenden Folgen (Haftungsumfang) halten sich damit „in dem Bereich des Anspruchs, der den Gegenstand der Begründung bildet“. (4) Unzureichender Rügeumfang Nicht ausreichend wäre es demgemäß, wenn sich das Verfahren zwar auf 458 einen einzigen Streitgegenstand beschränkt, der teilbar ist, wenn der gerügte Fehler des Erstgerichtes sich aber nur auf einen Teil beschränkt, der Berufungsantrag später jedoch um einen anderen Teil erweitert würde. Beispiel: Der Kläger ist mit einem in Höhe von 10.000 Euro geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach einem Autounfall (§ 823 Abs. 1 BGB) voll unterlegen, weil das Erstgericht die Schadenshöhe falsch bewertet hatte. Unter Übergehung eines 346 Zur Formulierung der Begründung bei übergangenem Beweisangebot, vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 105/106 und Rz. 513 ff. 347 Wozu es verpflichtet ist, § 538 Abs. 1 ZPO, wenn die Beweisaufnahme nicht die Voraussetzungen von § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO erfüllt, was aber zusätzlich einen Zurückverweisungsantrag einer Partei bedingt. 348 Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 279 Rz. 5.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Beweisangebotes des Klägers wurden Reparaturkosten (5.000) nicht anerkannt, weil deren Höhe angeblich nicht substantiiert vorgetragen worden sei, das geltend gemachte Schmerzensgeld (5.000) wird trotz eines Aktenblattverweises im Tatbestand des Urteils völlig übersehen.
Greift der Kläger nun das Ersturteil an und beschränkt seinen Berufungsantrag auf 5.000 Euro, stellt sich zunächst schon die Frage, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Möglich wäre ja die alleinige Weiterverfolgung der Reparaturkosten ebenso wie diejenige des Schmerzensgeldes. Möglich wäre aber auch jede beliebige Kombination von Teilbeträgen beider. Helfen kann bei der Bewertung die Berufungsbegründung. Verhält sich diese nur zur Substantiierung und zur Übergehung eines Beweisangebotes, wird sich der Antrag wohl auf die Reparaturkosten beziehen. Stellt die Begründung allein auf das Übersehen eines Vortrages ab, geht es wohl um das Schmerzensgeld. Geht die Begründung auf beides ein, wird eine Kombination vorliegen. Ist keine nähere Aufteilung erfolgt, muss der Kläger und Berufungskläger vom Berufungsgericht darauf hingewiesen werden, (§ 525 S. 1 ZPO349), § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO a.E.350 Benennt der Kläger aber nur einen der beiden Fehler (Substantiierung und Übergehung des Beweisangebotes einerseits, Übersehen von Tatsachen andererseits), hätte eine Beschränkung fatale Folgen, wenn später eine Erweiterung angestrebt wird. Das eine trägt nicht das andere und umgekehrt. Die spätere Erweiterung wäre damit unzulässig, weil die zu ihrer Begründung nötige Fehlerrüge außerhalb der Begründungsfrist erhoben werden müsste. 459
Nicht ausreichend wäre es weiter, wenn sich das Verfahren auf zwei (oder mehr) Streitgegenstände bezöge, mit der Berufung (innerhalb der Begründungsfrist) aber nur Fehler des Erstgerichtes gerügt würden, die sich auf einen Streitgegenstand beschränkten, der Berufungsantrag später jedoch um den anderen erweitert würde.351 349 Die Vorschriften des ersten Buches (§§ 1 – 252 ZPO) gelten ohnehin unmittelbar. Der Verweis aus § 525 ZPO ist demnach grundsätzlich entbehrlich. Er kann aber bei manchem Richter sinnvoll sein. 350 BGH v. 15.3.1956 – II ZB 19/55, BGHZ 20, 219 stellt fest, dass der Aufteilungsmangel nicht zur Unzulässigkeit, wohl aber – soweit er nicht behoben wird – zur Unbegründetheit führt. BGH, Urt. v. 1.7.1975 – VI ZR 251/74, NJW 1975, 2013 erklärt eine Berufung jedenfalls insoweit für zulässig, als klar ist, dass ein bestimmter Teil gewollt ist, mögen auch im übrigen die Anträge unklar sein. 351 OLG Zweibrücken v. 11.10.2005 – 5 U 10/05, OLGR Zweibrücken 2006, 154: Die beiden Haftungstatbestände wegen ärztlicher Behandlungsfehler und wegen Aufklärungsmängeln sind wesensverschieden und nicht austauschbar. Sie bilden unterschiedliche Streitgegenstände. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Streitgegenstand nur insoweit, als die erste Instanz über ihn entschieden hat und in zweiter Instanz eine Abänderung dieser Entscheidung
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Das lässt sich dann auch nicht mehr reparieren. Das OLG Koblenz ent- 460 schied, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht zur Ergänzung einer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist wirksam eingereichten, jedoch inhaltlich unzureichenden Berufungsbegründung gewährt werden. Dies gelte sowohl für den Fall, dass eine umfassende Anfechtung hinsichtlich eines abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes nicht zureichend begründet werde, als auch für den Fall, wenn eine zunächst beschränkte Anfechtung durch Nachschieben eines neuen, nicht bereits von der ursprünglichen Begründung erfassten Berufungsgrundes erweitert werden solle.352
2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO Eine Berufung kann erfolgreich nur führen, wer vorträgt, dass das ange- 461 griffene Urteil falsch ist. Nachdem jedes Urteil auf einer tatsächlichen Grundlage eine Rechtsbewertung vornimmt, kommt als Begründung für die Falschheit entweder ein Fehler in der Tatsachengrundlage oder ein Fehler in der Rechtsbewertung (Rechtsverletzung) in Betracht oder beides. Im Gesetz hat das in § 513 Abs. 1 ZPO seinen Niederschlag gefunden. Wie diese Fehler in das Berufungsverfahren eingeführt werden müssen, ist in § 520 ZPO geregelt. Was in § 513 Abs. 1 ZPO noch in aller Kürze beschrieben ist, wird in § 520 ZPO stark differenziert. Dabei werden z.T. anders lautende Begriffe mit gleicher Bedeutung verwandt.
462
Was in § 513 Abs. 1 ZPO als „Tatsache“ bezeichnet wird, taucht in § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO als (neues) „Angriffs- und Verteidigungsmittel“ auf, in § 529 Abs. 1 Nr. 2 wieder als (neue) „Tatsache“ und in § 531 Abs. 2 dann wieder als (neues) „Angriffs- und Verteidigungsmittel“. Bedeutung haben diese Differenzierungen aber nicht.353
463
beantragt ist. Bei mehreren prozessualen Ansprüchen ist deshalb eine Berufungsbegründung für jeden Anspruch nötig. Wendet sich der Kläger mit seiner Berufung allein gegen die Ausführungen der Zivilkammer betreffend die ärztliche Risikoaufklärung, sind sein erstinstanzlicher Vortrag hinsichtlich eines ärztlichen Behandlungsfehlers und die dahin gehenden Ausführungen der Zivilkammer in dem angefochtenen klageabweisenden Urteil einer Überprüfung durch das Berufungsgericht entzogen. 352 OLG Koblenz v. 28.12.2004 – 11 UF 825/03, OLGR Koblenz 2005, 870. 353 Der Angriff eines Klägers auf einen Beklagten liegt im Klageantrag. (Und umgekehrt in einem Widerklageantrag). Angriffsreduzierungen oder -erweiterungen werden im Wege von (Wider-)Klageänderungen durchgeführt. Die Verteidigung eines (Wider-)Beklagten liegt in den Anträgen auf Abweisung einer Klage oder auf Zurückweisung eines Rechtsmittels. Mittel für das eine wie das andere ist alles, was für (Angriff) oder gegen (Verteidigung) den (Wider-)Klageantrag vorgetragen wird, wesentlich also das Behaupten, Bestreiten und Beweisen von Tatsachen.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
464
Für die Zulässigkeit der Berufung genügt es, wenn einer der drei Fälle von Nr. 2 bis Nr. 4 als einschlägig bezeichnet wird – solange dies nur das gesamte Urteil im angefochtenen Umfang in Frage stellt (es schadet aber natürlich auch nicht, wenn man mehrere Fälle findet). Ob sich das als einschlägig Bezeichnete bei späterer Begründetheitsprüfung auch tatsächlich als einschlägig erweist, ist dabei nicht von Bedeutung.
465
Soweit ein (1) Grund in zulässiger Weise bezeichnet wurde, ist das Berufungsgericht im Übrigen in den von § 529 Abs. 2 gezogenen Grenzen frei, im Rahmen der Begründetheitsprüfung auch Weiteres zu prüfen.
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Eine Begründung der Berufung wird aber nicht schon mit einem Schriftsatz bezweckt, wenn der Berufungskläger zwar einzelne Rügen erhebt, sich aber ausdrücklich die weitere Prüfung vorbehält, ob das Rechtsmittel überhaupt durchgeführt wird.354 a) Rechtsverletzung (Nr. 2)
467
Bezeichnet werden müssen die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Der Verweis in § 513 Abs. 1 auf § 546 ZPO klärt, dass Recht verletzt ist, wenn eine Norm entweder gar nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
468
Zu § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO stellte der VIII. Zivilsenat355 fest, dass der Berufungskläger diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen habe, die er als unzutreffend ansehe, und dazu die Gründe anzugeben habe, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Dieses Erfordernis begründe sich daraus, dass die Berufungsbegründung erkennen lassen solle, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig halte.
469
Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit sei somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsklägers in Frage stellten.
470
Besondere formale Anforderungen würden nicht gestellt. Es werde weitgehend an den bisherigen Rechtszustand angeknüpft, wobei die Anforderungen an die Darlegung der Rechtsverletzung und ihrer Entscheidungserheblichkeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 14/4722 S. 95) sogar noch etwas herabgesetzt worden seien.
354 BGH v. 14.3.2005 – II ZB 31/03, MDR 2005, 944. 355 BGH v. 21.5.2003 – VIII ZB 133/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 971.
120
Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Der III. Zivilsenat356 führt kurz danach zur selben Vorschrift aus, dass 471 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO nur wenig hinter den heutigen Voraussetzungen einer Revisionsbegründung nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a ZPO zurückbleibe, die dem Revisionskläger zusätzlich lediglich die „bestimmte“ Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt, abverlangte. Wie dort sei deshalb – insoweit in Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht – die auf den Streitfall zugeschnittene Darlegung notwendig, in welchen Punkten und aus welchen materiellrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig halte. Eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung setze nicht voraus, dass die inhaltlich als verletzt gerügten Normen konkret benannt seien oder dass die rechtlichen Angriffe eindeutig von der – nicht notwendigen, aber auch nicht schädlichen – Wiederholung des Sachverhalts abgesetzt würden. Der XII. Zivilsenat357 stellt unter Hinweis auf die nach altem Recht gel- 472 tenden Mindestanforderungen noch fest: Wurden nur Rechtsausführungen angegriffen, dann musste die eigene Rechtsansicht dargelegt werden. Es reichte nicht aus, die Auffassung des Erstrichters als falsch oder die Anwendung einer bestimmten Vorschrift als irrig zu rügen. Auch wenn der XII. Zivilsenat dazu nichts ausdrücklich sagt, dürfte sich daran nichts geändert haben.358 Der Fall der Nichtanwendung einer Norm (§ 546 ZPO) ist tendenziell ein- 473 facher zu beschreiben, denn man muss ja nur sagen, dass etwas hätte geschehen müssen. Es geht nur um die Entscheidung zwischen Ja und Nein. Bei falscher Anwendung dagegen sind diverse Zwischenstufen möglich.
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Formulierungsvorschlag: (Einstieg, allgemein:) Das angefochtene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung i.S.d. §§ 513 Abs. 1, 546, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. (Einstieg, konkret:) Das Landgericht hat die Norm des § 144 BGB übersehen. (Darstellung der Umstände:) Das Landgericht hat den kaufvertraglichen Zahlungsanspruch des Klägers wegen einer vom Beklagten erklärten Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung verneint und die Klage deshalb abgewiesen. Es hat dabei übersehen, dass das Rechtsgeschäft zwischen den Parteien durch die vom Kläger nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund durchgeführte Entgegennahme und Nutzung des Kaufgegenstandes bestätigt 356 BGH v. 26.6.2003 – III ZB 71/02, MDR 2002, 1246 = BGHReport 2003, 1031. 357 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 358 Er spricht nur davon, dass die Anforderungen nicht gestiegen sind. Ob es Auswirkungen der Formulierung in der Gesetzesbegründung („sogar noch etwas herabgesetzt“) gibt, ist nicht erkennbar.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
wurde. Die Anfechtung ist danach gemäß § 144 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. (Darstellung der Erheblichkeit:) Hätte das Landgericht danach den Rechtsstreit unter Berücksichtigung des § 144 Abs. 1 BGB und dem daraus folgenden Ausschluss einer Anfechtung entschieden, hätte es dem Klageanspruch stattgeben müssen. Andere Umstände, welche den Klageanspruch hätten zu Fall bringen können, gab es nicht. Der Rechtsstreit beruht demnach auf der fehlerhaften Nichtanwendung einer Rechtsnorm. b) Alte-Tatsachen-Fehler (Nr. 3) 475
Nr. 3 kümmert sich um Tatsachen, die – angeblich oder wirklich – bereits in der ersten Instanz Gegenstand des Verfahrens waren. Insoweit werden sie hier als alte Tatsachen benannt. Demgegenüber geht es bei § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO um neue Tatsachen. Der bei einer Falschbehandlung von in erster Instanz eingebrachten Tatsachen zu führende Vortrag ergibt sich aus (§ 513 Abs. 1 Var. 2 i.V.m.) § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO.
476
Bezeichnet werden müssen danach die konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel begründen an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil und die deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Darzulegen sind also (1) die vom Ausgangsgericht festgestellten Tatsachen (das ist das Parteivorbringen und die als wahr oder unwahr festgestellte Tatsachen in Urteil (Tatbestand und/oder Gründe) und Protokoll, ggf. nach vorrangiger Berichtigung des Tatbestandes); (2) die wirklichen Tatsachen (entspricht der Darlegung einer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Urteils); (3) die konkreten Anhaltspunkte, welche Zweifel begründen; (4) die Erheblichkeit der Abweichung. Das funktioniert aber nur, wenn das angefochtene Urteil überhaupt irgendwelche Tatsachenfeststellungen enthält. Wo diese getroffen wurden, ist dabei nicht so wichtig. Es kann sich um den Tatbestand handeln oder um die Entscheidungsgründe. Z.B. ist auch die Berücksichtigung einer nur in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils niedergelegten Datumsangabe als „festgestellte Tatsache“ i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach einer Entscheidung des OLG Bremen zulässig.359
359 OLG Bremen v. 20.10.2005 – 2 U 9/2005, OLGR Bremen 2006, 60.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
aa) Tatsachenfeststellung i.S.v. § 529 ZPO … Tatsachen werden im Zivilprozess aber zunächst einmal wegen der Dis- 477 positions- und Beibringungsmaxime von den Parteien vorgetragen und deshalb eigentlich gar nicht (vom Gericht als Eigenes) festgestellt, sondern lediglich (als Fremdes) dargestellt (§ 313 Abs. 2 ZPO). Andererseits wählt das Gericht nach § 313 Abs. 2 ZPO die Art seiner (knappen) Darstellung nach dem wesentlichen Inhalt des Parteivortrages aus. Insoweit lässt sich beim Urteil auch von einer Feststellung (des wesentlichen Inhaltes) von Tatsachen sprechen. Liest man nun aus dem Revisionsrecht § 559 ZPO, der das Parallelstück 478 zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Berufungsrecht bildet, findet sich Beachtliches. Während nämlich § 559 Abs. 1 ZPO das Parteivorbringen (wie es sich aus Berufungsurteil oder Sitzungsprotokoll ergibt) erwähnt und § 559 Abs. 2 ZPO die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung, spricht § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur von festgestellten Tatsachen. Die Feststellung über (Un-)Wahrheiten kann nach der Kommentierung 479 auf Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO), freier Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO), Geständnis (§ 288 ZPO), Offenkundigkeit (§ 291 ZPO), gesetzlicher Vermutung (§ 292 ZPO), auf Auslegungsregeln beruhen.360 Die Feststellung muss eindeutig, darf nicht widersprüchlich sein.361 Wie auch immer: Die Feststellung in diesem Sinne ist ersichtlich etwas anderes als das schlichte Parteivorbringen (und dessen Darlegung). Wenn nun § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (und damit auch § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 480 ZPO) mit dem Begriff der Feststellung dasselbe meinte wie § 559 Abs. 2 ZPO, dann müsste man den Schluss ziehen, dass es im Berufungsverfahren nur um Feststellungen von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung ginge, während es im Revisionsverfahren darüber hinaus auch noch auf das Parteivorbringen ankäme. bb) … ist nicht nur Tatsachenfeststellung i.S.v. § 559 Abs. 2 ZPO Dass dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Zum einen wäre nicht einsichtig, dass das Revisionsgericht als im Instanzenzug späteres Gericht mehr Tatsachen berücksichtigen könnte als das im Instanzenzug frühere Berufungsgericht.
360 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 559 Rz. 11; Reichold in Thomas/Putzo, 25. Aufl., § 559 Rz. 15; noch mehr Beispiele bei Wenzel in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 559 Rz. 8. 361 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 559 Rz. 11; Reichold in Thomas/Putzo, 25. Aufl., § 559 Rz. 17.
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481
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil führt eine Beweisaufnahme durch und stellt die Wahrheit einer Behauptung des Klägers fest. Im Tatbestand des Urteils wird für das Parteivorbringen nach einigen dürren Sätzen auf diverse, mit Blattzahlen gekennzeichnete Schriftsätze verwiesen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Das Berufungsgericht dürfte dann für seine Entscheidung nur das Ergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigen. Es müsste in seinem Urteil die tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz in Bezug nehmen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), im Übrigen kann es eine Pauschalverweisung auf die (in der Berufungsinstanz) gewechselten Schriftsätze vornehmen.362 Selbst ohne eine solche Verweisung nimmt die (Revisions-)Rechtsprechung an, dass durch die Stellung der Anträge und das anschließende Verhandeln der gesamte bis zum Termin angefallene Akteninhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Berufung gewesen ist.363 Nach der Rechtsprechung364 reicht das, um zum Parteivorbringen zu werden, es wird aber von der Literatur365 eine konkretere Bezugnahme gefordert.366 Das Revisionsgericht müsste sich anschließend wieder auch mit dem entsprechenden Parteivorbringen auseinandersetzen. 482
Zum zweiten wäre auch nicht nachvollziehbar, warum das zweitinstanzliche Gericht von weniger Tatsachen ausgehen müsste als das erstinstanzliche in Tatbestand und Gründen zugrunde gelegt hat. Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil führt eine Beweisaufnahme durch und stellt die Wahrheit einer Behauptung des Klägers fest. Es entscheidet aufgrund der Feststellungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und aufgrund des übrigen Parteivorbringens. Das Berufungsgericht dürfte für seine Entscheidung nur das Ergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigen.
483
Zum dritten könnte das Berufungsgericht überhaupt keine Tatsachen mehr berücksichtigen, wenn die erste Instanz einfach keine Wahrheiten oder Unwahrheiten festgestellt, sondern schlicht anhand des Parteivorbringens entschieden hätte. Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil verurteilt den Beklagten ohne Beweisaufnahme. Es entscheidet aufgrund des Parteivorbringens, nach dem es z.B. „jedenfalls“ die Verjährung eines Anspruchs annimmt, ohne dass es sich um die zwischen den Parteien 362 Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 540 Rz. 10. 363 BGH v. 16.6.1992 – XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148 (Leits. 3) (2149). 364 In diesem Sinne BGH v. 9.2.1990 – V ZR 149/88, NJW 1990, 2755: „Vorbringen unterliegt revisionsrechtlicher Beurteilung, da der Tatbestand des Berufungsurteils auf die Schriftsätze Bezug nimmt (…)“. 365 So Wenzel in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 559 Rz. 3. 366 Es versteht sich, dass vorsorglich immer auf konkrete Schriftsätze Bezug zu nehmen und dafür Sorge zu tragen ist, dass das im Protokoll auch so vermerkt wird.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO streitige und unter Beweis gestellte Tatsache der Anspruchsbegründung kümmert,367 auf welche es aber im Tatbestand durch Schriftsatzverweis Bezug genommen hat.
Das Berufungsgericht hätte, wenn es keine Verjährung annimmt, für seine Entscheidung keine festgestellten Tatsachen, die es berücksichtigen könnte. cc) … sondern auch Parteivorbringen i.S.v. § 559 Abs. 1 ZPO Daraus folgt, dass mit den festgestellten Tatsachen i.S.v. § 529 Abs. 1 484 Nr. 1 ZPO auch das Parteivorbringen gemeint ist, einerlei ob streitig oder unstreitig. Das lädt aber zugleich zu dem Missverständnis ein, dass das Berufungs- 485 gericht auch alles, was die Parteien im Laufe der ersten Instanz in irgendwelchen Schriftsätzen dem Gericht zur Kenntnis gebracht haben, berücksichtigen muss. Dem ist natürlich nicht so. Nicht nur bei § 559 Abs. 1 ZPO, sondern auch im Berufungsrecht muss es sich um ein Parteivorbringen handeln, das sich entweder aus dem Urteil (Tatbestand oder Entscheidungsgründe) oder aus dem Sitzungsprotokoll ersehen lässt. Nur dieses Parteivorbringen (und die im technischen Sinne festgestellten Tatsachen) lassen sich anschließend daraufhin prüfen, ob sie vom erstinstanzlichen Gericht unrichtig oder unvollständig festgestellt wurden. Das wird aber inzwischen nicht mehr einheitlich beurteilt.368 dd) Unrichtigkeit … Unrichtig ist eine Feststellung, wenn zugrunde gelegte Tatsachen nicht 486 von den Parteien vorgetragen wurden, wenn unstreitige Tatsachen als streitig oder streitige Tatsachen als unstreitig behandelt wurden, wenn eine Beweiswürdigung unter Verstoß gegen die dafür geltenden Grundsätze (§ 286 ZPO) erfolgte. ee) … und Unvollständigkeit … Unvollständig ist eine Feststellung, wenn Vorbringen der Partei(en) über- 487 gangen wird, offenkundige Tatsachen nicht berücksichtigt, vorgetragene Tatsachen zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen, angebotene Beweise nicht erhoben oder gebotene Schätzungen (§ 287 ZPO) nicht durchgeführt werden.
367 Standardbeispiel z.B. bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 850. 368 Vgl. dazu ausführlich unten ab Rz. 498.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
ff) … folgen regelmäßig aus Verfahrensfehlern 488
Soweit damit Unrichtigkeit und Unvollständigkeit auf Verfahrensfehlern beruhen, könnte man auch an den Berufungsgrund der (Verfahrens-) Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1 Var. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO) denken.
489
Wenn man die Fehlertypen möglichst scharf voneinander trennen will, kann man dies gut anhand ihrer Auswirkungen machen.
• Ist das rechtliche Ergebnis eines Urteils (nur) deshalb objektiv falsch, weil das Gericht von falscher Tatsachenbasis ausging, ist es aber – unter Annahme eben dieser Tatsachen – in sich „richtig“, und hält man dafür, dass das Gericht bei richtiger Tatsachenbasis auch zu einem rechtlich objektiv richtigem Urteil käme, liegt der Schwerpunkt im Tatsachenfehlerbereich. Man kann hier auch sagen, dass die Verfahrens-Rechtsverletzung dem Tatsachenfehler nur voraus ging und deshalb dieser Tatsachenfehler das anzugreifende Endprodukt darstellt.
• Ist dagegen das rechtliche Ergebnis eines Urteils (auch) deshalb objektiv falsch, weil das Gericht – einerlei, ob auf zutreffender oder unzutreffender Tatsachenbasis – das Recht fehlerhaft angewandt hat, liegt der Schwerpunkt im Rechtsfehlerbereich. Man kann hier auch sagen, dass eine Verfahrens-Rechtsverletzung dem Tatsachenfehler nicht nur vorausging, sondern eine weitere Rechtsverletzung ihm auch folgte und deshalb diese Rechtsverletzung das anzugreifende Endprodukt darstellt. gg) Auswahl für das Berufungsgericht 490
Liegt also eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung vor, steht dem Anwalt dem Grunde nach sowohl die Rüge nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, wie auch die nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO offen. Und wenn man als Anwalt zwei Möglichkeiten hat, etwas anzugreifen, dann sollte man auch beide nutzen. Natürlich kann das Berufungsgericht auch von sich aus eine Rüge nach Nr. 2 dazu nutzen, einen Grund nach Nr. 3 zu prüfen und umgekehrt. Aber es ist sicher nie schädlich, einem Gericht die der eigenen Berufung günstigen Optionen möglichst weitgehend aufbereitet zur Auswahl zu stellen. hh) Konkrete Anhaltspunkte …
491
An irgendetwas muss man nun die behauptete Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Feststellungen anknüpfen. Dieses Irgendetwas müssen nach dem Gesetz konkrete Anhaltspunkte sein. Konkret ist nur das, was auf den Einzelfall bezogen ist. Es reicht demnach nicht aus, abstrakt, theoretisch oder pauschal zu argumentieren. 126
Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil stellt im Rahmen einer Verkehrsunfallsache zugunsten des Beklagten eine Sichtbehinderung wegen Nebels fest. Hier genügt es nicht, allgemein etwas zum Thema Nebel oder zum Thema Sichtbehinderung vorzutragen. Die Ausführungen müssen sich auf die konkreten Nebelverhältnisse, auf die Sichtmöglichkeiten dieses Beklagten, an der Stelle, an welcher er sich befand, beziehen.
Anhaltspunkte sind weniger als ein kompletter Nachweis der Unrichtig- 492 keit oder Unvollständigkeit. Sie liegen bereits dann vor, wenn es äußere (tatsächliche, rechtliche oder logische) Umstände gibt, die bei objektiver Bewertung geeignet sind, die Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachengrundlage in Frage zu stellen. Das muss man im Zusammenhang mit den Zweifeln sehen. ii) … führen zu Zweifeln Zweifel ist ein Wort aus dem mittelhoch- und dem althochdeutschen Sprachgebrauch. Es besteht aus den Teilen „Zwei“ und „Falten“369 und bedeutet ursprünglich, dass es im Hinblick auf einen Gegenstand zwei Möglichkeiten einer (bewertenden) Behandlung gibt.
493
Im Zusammenhang mit §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bedeutet dies, dass Zweifel vorliegen, wenn die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen richtig oder unrichtig, vollständig oder unvollständig sein können. Die Möglichkeit, dass es das eine oder das andere sein kann, reicht, um Zweifel anzunehmen. jj) Beispiele Ist im Tatbestand festgestelltes Vorbringen in den Gründen übergangen worden, beruht das Urteil auf einem unvollständigen Sachverhalt.
494
Das gilt auch für widersprüchliche Feststellungen im angefochtenen Ur- 495 teil: Ist Vortrag der Parteien im Tatbestand als streitig dargestellt, wird er aber in den Entscheidungsgründen als unstreitig behandelt, gebietet das eine erneute Feststellung. Hat das Gericht den Vortrag einer Partei nicht oder nicht richtig oder nicht vollständig zur Kenntnis genommen, sind die konkreten Anhaltspunkte am Verfahrensablauf festzumachen.
496
Das gilt auch, wenn Beweise nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erhoben oder gewürdigt wurden.
497
369 Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Gleichbedeutend mit zweifaltig, ist zwiefältig und damit auch zwiefach, also letztlich: zweifach.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
kk) Das Zusammenspiel von nicht berücksichtigtem Schriftsatzvortrag und Tatbestand 498
Eine Unvollständigkeit kann sich aber nicht daraus ergeben, dass die festgestellten Tatsachen vom Inhalt der erstinstanzlichen Schriftsätze abweichen. Nur der Tatbestand eines Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen, § 314 S. 1 ZPO. Und dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden, § 314 S. 2 ZPO. Der Tatbestand beweist demnach, dass die Parteien etwas mündlich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses vorgetragen haben. Er beweist aber auch, dass die Parteien etwas nicht vorgetragen haben. Als Schlagwort dient hier stets die negative Beweiskraft des Tatbestandes.
499
Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht aber durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden. Vorher eingereichte Schriftsätze sind durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung Beweis erbringt, überholt. Dabei sollte man bedenken, dass die Einreichung eines Schriftsatzes noch keinen Vortrag darstellt, sondern nur dessen Ankündigung. Zum Vortrag wird der Inhalt erst in der mündlichen Verhandlung, dort in der Regel durch Bezugnahme (§ 137 Abs. 3 S. 1 ZPO).370
500
Bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des Parteivorbringens im Urteilstatbestand sind jedenfalls die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich.371
501
Die Beweiskraft des Tatbestandes kann nur dann entfallen, wenn er in sich widersprüchlich ist, was auch dann der Fall sein kann, wenn es einen Widerspruch zwischen dem Tatbestand und den in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen gibt (dazu bereits gerade).
502
Enthält das Sitzungsprotokoll über den strittigen Punkt überhaupt nichts, dann liegt kein Widerspruch vor und der Tatbestand ist nicht entkräftet.
503
Wenn man etwas gegen die Richtigkeit des Tatbestandes einzuwenden hat, dann muss man es im Verfahren nach § 320 ZPO tun.372 Hierfür gibt 370 Anderes gilt natürlich, wenn es gar keine mündliche Verhandlung gibt, namentlich in den Fällen der Säumnis nach § 276 Abs. 1 und 2 ZPO mit der Folge des § 331 Abs. 3 ZPO. 371 BGH v. 2.2.1999 – VI ZR 25/98, MDR 1999, 545 = BGHZ 140, 335 (339). 372 Das KG v. 9.9.2003 – 7 U 213/03, KGR Berlin 2004, 220 formuliert das so: Gemäß § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO sind in der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte dafür vorzutragen, warum die Feststellungen des Erstgerichts unrichtig sind, um zu einer Neufeststellung zu kommen. Ausschlaggebend dafür ist der Tatbestand des angefochtenen Urteils, an den das Berufungsgericht gebunden ist. Fehler bei der Sachverhaltsdarstellung müssen zunächst mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag korrigiert werden. Dass bestimm-
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
es allerdings nur die kurze Frist von zwei Wochen gemäß § 320 Abs. 2 ZPO. Der Berufungsbeteiligte muss also vor der Berufung dafür sorgen, dass er 504 sich auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils stützen kann. Das kann er aber nur mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag erreichen. Insoweit ist § 320 ZPO eine der Regelung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgehende Spezialregelung.373 Über diese Grundsätze herrschte bislang Konsens.374
505
Nun aber hat der V. Zivilsenat anders entschieden. In einem obiter dictum, das (gleichwohl) als Leitsatz formuliert wurde, heißt es: Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative Beweiskraft zu.375 Erläutert wird dies damit, dass mit der Antragstellung und der mündli- 506 chen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden sei und sich der Prozessstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten ergebe. Eine Begründung hierfür enthält die Entscheidung nicht, nur einen Verweis auf eine Entscheidung des IV. Zivilsenates.376 Dort stellte sich die Sache aber ganz anders dar. Die Entscheidung des IV. 507 Zivilsenates verzichtete nämlich zum einen auf die entscheidende Wendung „im Zweifel“ und behandelte zum anderen den Fall, dass im dortigen Tatbestand „auf die in erster wie in zweiter Instanz gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen“ wurde. Wörtlich heißt es dann dort: „Jedenfalls über diese Bezugnahme ist das Klägervorbringen zu dem gem. § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigenden Inhalt der Verhandlung geworden.“ Gleichwohl bedurfte es im konkreten Fall des V. Zivilsenates weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage war für die Entscheidung des konkreten Falles nicht entscheidungserheblich.
373 374 375 376
te Angriffs- und Verteidigungsmittel übergangen worden sind, kann nur durch das Sitzungsprotokoll oder den Tatbestand des angefochtenen Urteils nachgewiesen werden (vgl. § 559 Abs. 1 ZPO). Burgermeister, ProzRB 2003, 212. BGH v. 25.5.1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463; BGH v. 27.5.1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; BGH v. 3.11.1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, (886); BGH v. 16.5.1990, IV ZR 64/89, MDR 1991, 36. BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 244 (Braunschneider). Konkret auf BGH v. 28.11.2001 – IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
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Am Rande sei bemerkt, dass es angesichts dessen befremdet, wenn ein Mitglied eben dieses V. Zivilsenates in einem Aufsatzbeitrag377 die nunmehr angeblich grundsätzliche Nutzbarkeit allen Schriftsatzvortrages als Tatsache i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als durch den BGH abgeklärt bezeichnet („Der BGH hat die […] Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft des Urteilstatbestandes nunmehr auch ausdrücklich aufgegeben.“378), ohne deutlich zu machen, dass es sich zunächst mal nur um ein obiter dictum dieses einen Zivilsenates handelt, dem er angehört. ll) Untauglicher Rettungsversuch
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Was im Übrigen nicht funktioniert, ist der Versuch, die Berufung noch damit zu retten, dass man vom Tatsachenfehler auf den Rechtsfehler ausweicht.379 Dass Tatsachenfehler in aller Regel mit verfahrensrechtlichen Fehlern einhergehen (aus ihnen folgen), wurde oben bereits dargestellt. Die Begründung wäre dann sinngemäß, dass das Gericht schriftsätzliches Vorbringen rechtsfehlerhaft (z.B. entgegen § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO) nicht berücksichtigt habe.
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Aber ob überhaupt ein Verfahrens-Rechtsfehler vorliegt, muss ebenfalls anhand des Tatbestandes, der Gründe und des Protokolls beurteilt werden. Und wenn dort nichts von der mit der Berufung als übergangen behaupteten Bezugnahme zu lesen ist, dann hat es auch keine gegeben. Und dann liegt natürlich auch kein Rechtsfehler vor. mm) Formulierungsvorschlag
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Man könnte nun wieder mit der Darstellung des Berufungsgrundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO ziemlich locker umgehen, weil die Zulässigkeitshürden nicht sonderlich hoch sind. Wie aber dort ebenfalls schon festgestellt wurde, hilft das letztlich nicht weiter, denn es besteht immer das Risiko, über § 522 Abs. 2 ZPO zu verlieren. Die folgenden Formulierungsvorschläge gehen deshalb so gründlich in die Tiefe, wie es dem Problem angemessen ist. Es spricht für die Praxis im Übrigen nichts dagegen, die folgend in Klammern gesetzten Hinweise
377 Gaier, NJW 2004, 2041 ff. – Gaier ist inzwischen (am 15.10.2004) zum Richter in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt worden. Er hat damit die Nachfolge von Renate Jaeger angetreten, die zum 1.11.2004 zur Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte berufen worden war. 378 Gaier, NJW 2004, 2041 (2044). 379 So aber OLG Saarbrücken v. 18.2.2003 – 1 U 635/02-155, OLGR Saarbrücken 2003, 142 = ProzRB 2003, 211 (mit Anm. Burgermeister): „Eine Korrektur der Tatsachengrundlage bei rechtsfehlerhafter Erfassung durch das Erstgericht ist dem Berufungsgericht schon nach § 513 ZPO erlaubt“.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
(ab der Tatsachenfeststellung) in bereinigter Formulierung als Überschriften zu verwenden.
513
Formulierungsvorschlag: (Einstieg, allgemein:) Das angefochtene Urteil ist abzuändern, weil nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, §§ 513 Abs. 1 Var. 2, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. (Einstieg, konkret:) Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen sind unvollständig. Eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht ist geboten. (Darlegung der Tatsachenfeststellung:) Das Landgericht hat zu der zwischen den Parteien streitigen Frage des Vertragsschlusses nur den vom Kläger benannten Zeugen A, nicht aber die vom Beklagten nach § 373 ZPO zum gleichen Thema benannte Zeugin B vernommen. Es hat nach der Würdigung der Aussage des Zeugen A festgestellt, dass die Klägerbehauptung über das Zustandekommen eines Kaufvertrages der Wahrheit entsprach. (Darlegung des Fehlertyps Unvollständigkeit:) Die Beweiserhebung und damit die Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit von entscheidungserheblichen tatsächlichen Behauptungen waren damit unvollständig.380 (Darlegung der wirklichen Tatsachen:) Tatsächlich hatte der Beklagte sich noch nicht vertraglich binden wollen und dies auch genau so geäußert. Dies hätte die Zeugin B, wie mit dem Beweisangebot dargelegt,381 bekundet.382 (Darlegung der konkreten Anhaltspunkte für Unvollständigkeit:) Im angefochtenen Urteil heißt es dazu,383 dies beruhe darauf, dass es sich bei der Zeugin B um die Ehefrau des Beklagten handele. Dieser könne auch dann nicht geglaubt werden, wenn sie den Vortrag des Beklagten bestätigte. Das Landgericht hat damit eine antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen, welche unzulässig ist.384 380 Unvollständigkeit liegt vor, wenn angebotene Beweise nicht erhoben wurden. Demgegenüber wäre die fehlerhafte Würdigung (vollständig) erhobener Beweise ein Fall der Unrichtigkeit. Denkbar ist natürlich auch eine fehlerhafte Würdigung unvollständiger Beweise. Dann läge beides vor. 381 Die Darlegung und das Beweisangebot sind bis hierhin nur eine Behauptung. Dass beides in einem Schriftsatz auftauchte, reicht nicht (s.o.). 382 Natürlich weiß niemand, was die Zeugin tatsächlich bekundet hätte. Die Möglichkeit, dass sie es gesagt hätte, ist aber ausreichend. 383 Wenn Darlegung und Beweisangebot als Faktum im Urteil selbst auftauchen, ergeben sich die konkreten Anhaltspunkte für die Unvollständigkeit schon aus eben diesem Urteil 384 Für „normale“ Verfahren wohl unstrittig, vgl. E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Rz. 151–174. Besonderheiten bei PKH und Indizienbeweis (sekundär tatsächliche Umstände sollen das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmales vermitteln).
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
(Darlegung der Zweifel:) Hätte das Landgericht die unzulässige Beweisantizipation unterlassen, den angebotenen Beweis erhoben und fachgerecht gewürdigt, hätte jedenfalls die Möglichkeit eines anderen, vollständigeren Beweisergebnisses bestanden. Insoweit begründen die konkreten Anhaltspunkte auch Zweifel an der Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung. (Darstellung der Erheblichkeit des Fehlers:) Hätte das Landgericht den Rechtsstreit unter Berücksichtigung dieser Aussage, ggf. auch unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung entschieden, hätte es die Klage abweisen müssen. Die Entstehung eines Anspruchs ist von dem zu beweisen, der sich auf diesen Anspruch beruft. Soweit die Beweismittel den Vortrag des Beklagten bestätigen, ist die Entstehung nicht bewiesen. Aber auch, wenn die Beweisaufnahme weder zugunsten der einen noch der anderen Seite zu bewerten wäre, läge ein Fall des non liquet vor, der hier zum Nachteil des Anspruchstellers gereichen würde. Der Rechtsstreit beruht demnach auch auf der fehlerhaften Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. nn) Konsequenzen 514
Was aus all dem deutlich wird: In der ersten Instanz wird die Grundlage für eine erfolgreiche Berufung gelegt. Dabei muss man sich vorrangig an die triviale Erkenntnis halten, dass auch wirklich alle Tatsachen, welche im Verfahren eine Rolle spielen, in die erste Instanz eingeführt werden. Die entsprechenden Schriftsätze sind aber offensichtlich nur die halbe Miete. Man muss auch dafür sorgen, dass die Schriftsätze zum Parteivortrag werden. Dazu muss man wissen, wie das geht.
515
Û
Praxistipp: Als sichersten Weg kann man folgendes Vorgehen wählen: 1. Für den Termin zur mündlichen Verhandlung wird die Akte daraufhin durchgesehen, welche Schriftsätze relevante Tatsachen enthalten, die ins Urteil müssen. Die Daten dieser Schriftsätze werden notiert, ab einer bestimmten Menge tunlich zweifach (s. auch 5.). 2. Im Termin zur mündlichen Verhandlung achtet man darauf, dass im Protokoll der Satz vermerkt wird: „(Kläger/Beklagten-)Vertreter bezieht sich zur Begründung seines Vorbringens namentlich auch385 auf die Schriftsätze vom … (es folgen die Daten der Schriftsätze)“. Man kann dem Gericht dies schmackhaft machen, indem man es einmal auf § 314 S. 2 ZPO hinweist, zum zweiten anmerkt,
385 Die Formulierung „namentlich auch“ ist wichtig. Durch das „namentlich“ erfolgt eine Konkretisierung, welche sich aber durch das „auch“ nicht auf die genannten Schriftsätze beschränkt. In gewisser Weise hat man damit – zusätzlich! – noch eine (ja gelegentlich als unwirksam angesehene) Pauschalverweisung.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
man wolle allen Beteiligten die Arbeit nach § 320 ZPO ersparen, zum dritten die Notiz mit den notierten Daten überreicht, welche das Gericht dann einfach abdiktieren kann. 3. Wenn man etwas mehr Druck aufbauen möchte, kann man darauf hinweisen, dass man schon wegen § 559 Abs. 1 ZPO analog so vorgehen müsse. Es ist nicht wirklich damit zu rechnen, dass ein erstinstanzliches Gericht weiß, was das bedeuten soll, aber der Wortlaut der Vorschrift „Vorbringen (…) aus (…) dem Sitzungsprotokoll ersichtlich“ ist schon mächtig. 4. Nutzt das alles nichts, muss man einen Antrag nach § 160 Abs. 4 S. 1 ZPO stellen, der „die Aufnahme der Bezugnahme zur Begründung meines Vorbringens namentlich auch auf die Schriftsätze vom … (es folgen die Daten der Schriftsätze) in das Protokoll“ umfasst. Den kann das Gericht dann zwar durch Beschluss ablehnen, dieser Ablehnungsbeschluss aber, der den Inhalt des Antrages wiedergeben muss, kommt dann wieder ins Protokoll. 5. Es empfiehlt sich, bei der Vorbereitung (oben Nr. 1) vorsorglich schon einen Protokollergänzungsantrag vorzubereiten. Es macht ja letztlich keinen Unterschied, ob die Daten der wichtigen Schriftsätze nur auf einen Notizzettel geschrieben oder auch gleich in einen Antrag hineinkopiert werden. Wer mag, kann auch einen Blankoantrag vorbereiten, der dann nur um das Aktenzeichen, den Spruchkörper und die Daten ergänzt wird. c) Neue-Tatsachen-Fehler (Nr. 4) Ob ein Mittel neu ist oder in erster Instanz schon eingeführt war, be- 516 stimmt sich alleine nach dem, was das Gericht erster Instanz an Tatsachen festgestellt hat. Festgestellt wurden Tatsachen immer dann, wenn sie Eingang in das erstinstanzliche Urteil gefunden haben, einerlei, ob dort im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen. Es spielt auch keine Rolle, ob die Feststellung ausdrücklich oder durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze erfolgt. Wegen § 314 ZPO lässt sich zur Not auch aus dem Protokoll noch ableiten, ob etwas in erster Instanz vorgetragen wurde. Neu ist natürlich unproblematisch all das, was überhaupt erst nach der 517 letzten mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz entstanden ist.386 Beispiel: Der Beklagte findet nach der Entwicklung seiner Urlaubsphotos unter den Photos auch solche, welche ein angeblich zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ihn beschädigtes Kfz zu eben diesem Zeitpunkt als unbeschädigt zeigen.
386 Sog. „echte Noven“ oder auch „nova producta“. Alle, die vorher entstanden sind, nennt man demgemäß „unechte Noven“ oder auch „nova reperta“.
133
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
518
Neu ist aber auch, was im Laufe der ersten Instanz nicht wirksam vorgebracht wurde oder aber zwar zunächst wirksam vorgebracht, aber vor Schluss der ersten Instanz wieder fallen gelassen wurde. Beispiel: Der Kläger hat erstinstanzlich drei Zeugen für den Ablauf eines Verkehrsunfalls benannt. Im Laufe der Beweisaufnahme erklärt er nach der Vernehmung von zwei Zeugen im Vertrauen auf Andeutungen des Gerichts, er verzichte auf den dritten Zeugen.
Zweitinstanzlich benennt der Kläger diesen Zeugen (erneut). 519
Neu sind auch Tatsachenvorträge und Beweisantritte, die in erster Instanz zwar schon einmal gebracht wurden, sich dort aber auf andere Behauptungen bezogen. Beispiel: Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, ein Zeuge habe die wochenlangen Vertragsverhandlungen mitbekommen und dabei zur Kenntnis genommen, dass (Behauptung alt:) sich der Kläger noch gar nicht habe binden wollen.
Der Kläger trägt zweitinstanzlich vor, dieser Zeuge habe die wochenlangen Vertragsverhandlungen mitbekommen und dabei zur Kenntnis genommen, dass (Behauptung neu:) der Kläger jedenfalls noch im Laufe dieser Zeit eine Anfechtungserklärung ausgesprochen habe. 520
Neu ist zuletzt auch das, was zwar an sich erstinstanzlich vorgetragen wurde, vom Gericht aber entweder gar nicht in das Protokoll, in den Tatbestand oder in die Entscheidungsgründe des Urteils aufgenommen wurde oder aber falsch. Beispiel: Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, ein Gewährleistungsanspruch sei verjährt.387 Hierüber wurde auch in der mündlichen Verhandlung gesprochen. Es wurde aber weder protokolliert, noch findet sich an irgendeiner Stelle ein Hinweis im Urteil. Einen Verweis nach § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO enthält das Urteil nicht.
387 Dass es auch im neuen Recht riskant ist, eine solche Einrede für die Berufung „aufzusparen“, kann man bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 793, nachlesen. Vgl. hierzu auch zunächst OLG Düsseldorf v. 26.2.2004 – I-10 U 103/03: „Versäumt der Mieter sich bereits erstinstanzlich auf die Verjährung zu berufen, ist die erstmals in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO präkludiert.“ Und dann BGH v. 21.12.2005 – X ZR 165/04, BGHReport 2006, 599: „Hat sich der Schuldner nicht bereits außergerichtlich auf Verjährung berufen, muss dem Umstand, dass bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Verjährung eingetreten ist, grundsätzlich durch Erhebung der Einrede in dieser Instanz Rechnung getragen werden. Mit der erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Verjährungseinrede ist der Beklagte ausgeschlossen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO vorliegen (Abgrenzung zu BGHZ 161, 138).“
134
Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Was diese Konstellation so problematisch macht, ist das Zusammenspiel der einfachen Fahrlässigkeit des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO mit der hier nicht nur möglichen, sondern zwingend gebotenen Tatbestandskorrektur nach § 320 ZPO (dazu unten mehr). Der Vortrag, der zu führen ist, wenn erst in zweiter Instanz eingebrachte 521 Tatsachen das Urteil falsch werden lassen, ergibt sich aus (§ 513 Abs. 1 Var. 2 i.V.m.) § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO. Bezeichnet werden müssen danach aus der Sicht des Berufungsführers 522 zum ersten die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, sowie zum zweiten die Tatsachen, aufgrund derer diese neuen Mittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind.388 – Es bedarf also einer gesonderten Zulassung neuer Mittel (= Tatsachen) und diese ist nur in den drei Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO möglich. Darzulegen sind folglich (1) die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel bzw. die neuen Tatsachen; (2) die Tatsachen, aufgrund derer dieses Neue zuzulassen ist (= Darlegung eines Falles aus § 531 Abs. 2); (3) Erheblichkeit des Neuen, sowie (a) § 531 Abs. 2 Nr. 1 – ein Gesichtspunkt der vom erstinstanzlichen Gericht (erkennbar) übersehen wurde, und/oder – ein Gesichtspunkt, der vom erstinstanzlichen Gericht gesehen, aber für unerheblich gehalten wurde; – eine Verbindung zwischen dem Neuen und dem Gesichtspunkt („betreffen“); – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Beeinflussung des Sachvortrages der Partei und damit Mitursächlichkeit für die Verlagerung des Parteivorbringens in das Berufungsverfahren.389 (b) § 531 Abs. 2 Nr. 2 – ein Verfahrensmangel im ersten Rechtszug und – eine Verbindung zwischen der erstinstanzlichen Nichtgeltendmachung des nun Neuen und dem Verfahrensmangel („infolge“)
388 § 529 Abs. 1 Nr. 2 formuliert dies für die Sicht des Berufungsgerichtes als „neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist“. 389 BGH v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, MDR 2004, 678; hierzu noch einmal Rz. 623.
135
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
(c) § 531 Abs. 2 Nr. 3 – fehlende Nachlässigkeit bezüglich der erstinstanzlichen Nichtgeltendmachung des nun Neuen. 523
Û
524
Es bedarf also einer gesonderten Zulassung neuer Mittel (= Tatsachen) und diese ist nur in den drei Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO möglich.
Praxistipp: Gerade das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal bietet beachtliche Haftungsrisiken. Mangels ordnungsgemäßer Darlegung kann es hier dazu kommen, dass das Berufungsgericht die Berufung schon nach § 522 Abs. 1 ZPO verwirft. Nachgeschobene Begründungsteile sind dann in aller Regel verfristet.
d) Allgemeine Anforderungen 525
Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig ist. Formularmäßige Sätze und allgemeine Redewendungen genügen nicht.390
526
Weder die Schlüssigkeit noch auch nur die Vertretbarkeit der Begründung sind Zulässigkeitsvoraussetzungen.391 Dass die Ausführungen in der sonst formell ordnungsgemäßen Berufungsbegründung tatsächlich oder rechtlich neben der Sache liegen, macht die Berufung nicht unzulässig.
527
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen (Beweisangebote) übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.392
528
Û
529
Hat der Berufungskläger seinen Sachvortrag in der Berufungsinstanz nicht beschränkt, so sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in den Tatbestand des angefochtenen Urteils eingegangen sind, durch die auch stillschweigend mögliche Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil vorgetragen; ihre ausdrückliche Wiederholung ist entbehrlich.393
Praxistipp: Auch wenn es nicht erforderlich ist: Die genaue Benennung von erstinstanzlich angebotenen Beweismitteln unter Angabe der jeweiligen Fundorte in den Akten prüft die eigene Begründung.
390 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 391 BGH v. 21.5.2003 – VIII ZB 133/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 971; BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968; BGH v. 26.6.2003 – III ZB 71/02, MDR 2003, 1246 = BGHReport 2003, 1031. 392 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 393 BGH v. 25.11.2003 – X ZR 159/00, MDR 2004, 829.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Û
Praxistipp: Auch hier gilt, dass es keine Sicherheit gibt, dass das Berufungsgericht alles findet, was in den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils eingegangen ist. Gerade angesichts der Segnungen moderner Textverarbeitung ist es ein sicherer Weg, die relevanten Angriffs- und Verteidigungsmittel noch einmal darzulegen.
530
Im Kontext aller drei Berufungsgründe stellte der XII. Zivilsenat fest, dass 531 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO gegenüber § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsgründe konkretisierten, was der verstärkten Funktionsdifferenzierung zwischen erster und zweiter Instanz Rechnung trage. Die Ausrichtung der Begründung am jeweiligen Berufungsangriff bedeute aber keine qualitative Erhöhung, sondern lediglich eine Präzisierung der Berufungsanforderungen, soweit es die Zulässigkeit der Berufung betreffe. Eine Verschärfung könne weder dem Gesetzestext noch den Materialien entnommen werden. Eher sei das Gegenteil der Fall.394 e) Mehrere Fehler gleichzeitig Manchmal kommt es vor, dass die erste Instanz eine Klage aus mehreren, voneinander unabhängigen rechtlichen Erwägungen abweist, auch wenn es nur um einen prozessualen Anspruch geht.
532
In solchen Fällen muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Sie hat daher für jede der Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig.395 Dies erweiternd entschied der I. Zivilsenat, dass es sich um zwei Streit- 533 gegenstände handele, wenn der Kläger sein Unterlassungsbegehren sowohl auf Wiederholungsgefahr wegen der behaupteten Verletzungshandlung als auch auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen des Beklagten bei der Rechtsverteidigung im gerichtlichen Verfahren stütze. Weise die erste Instanz die Klage insgesamt ab, so müsse die Berufungsbegründung, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil insgesamt anfechten wolle, für jeden dieser beiden prozessualen Ansprüche den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO genügen.396 Das gilt aber nur, wenn es wirklich um tragende Erwägungen geht. Ein in 534 den Entscheidungsgründen gegebener „Hinweis“, dem sich nicht ohne weiteres entnehmen lässt, weshalb die Klage (zum Teil) ebenfalls unbegründet sein könnte, stellt in der Regel keine die Klageabweisung tragen-
394 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 395 BGH v. 27.11.2003 – IX ZR 250/00, MDR 2004, 405. 396 BGH v. 26.1.2006 – I ZR 121/03, BGHReport 2006, 797.
137
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
de Erwägung dar. So etwas muss mit der Berufungsbegründung also nicht selbständig angegriffen werden.397 535
Eine ähnliche Konstellation hatte auch der II. Zivilsenat zu entscheiden. Dort hatte das Ausgangsgericht eine bestimmte Auffassung zu einer Haftungsfrage im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Feststellungsklage ausdrücklich lediglich „unterstellt“. Eine solche unterstellte Auffassung muss mit einer Berufungsbegründung nicht angegriffen werden.398
536
Û
Praxistipp: Ist man sich unsicher, ob etwas schon trägt oder noch ein Hinweis ist, sollte nach dem Grundsatz des sichersten Weges vorsorglich ein Angriff erfolgen.
3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt 537
Ein mittels Blankounterschrift des Rechtsanwalts weisungsgemäß erstellter bestimmender Schriftsatz erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse nur, wenn der Anwalt den Inhalt des Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen kann. An einer solchen Festlegung fehlt es, wenn der Entwurf einer Berufungsbegründung nach stichwortartig fixierten Vorgaben des Anwalts durch einen Referendar inhaltlich überarbeitet wird, ohne dass der Anwalt die endgültige Fassung der Berufungsbegründung kennt.399
538
Der VIII. Zivilsenat führte (unter Berufung auf die Rechtsprechung des V. Zivilsenates400) in einem Rechtsstreit mit eigentümlichem Schriftsatzverlauf – im Kontext einer Berufungsbegründung, aber gültig auch für eine Berufungseinlegung – das Folgende aus: Als bestimmender Schriftsatz müsse die Berufungsbegründung grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterzeichnung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt stelle keine bloße Formalität dar; sie sei äußerer Ausdruck für die vom Gesetz geforderte Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt.
539
Da sich das Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift begnüge, ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet habe und die Verantwortung für dessen Inhalt tragen wolle, bestehe zwar für ein Berufungsgericht in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt 397 398 399 400
138
BGH v. 18.12.2003 – I ZR 195/01, MDR 2004, 768. BGH v. 14.11.2005 – II ZR 16/04, BGHReport 2006, 452. BGH v. 23.6.2005 – V ZB 45/04, MDR 2005, 1427 = NJW 2005, 2709. Vgl. vorstehende Fn.
Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt
den Prozessstoff tatsächlich durchgearbeitet habe. Dies gelte aber nicht, wenn nach den Umständen außer Zweifel stehe, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen unterschrieben habe. So lag es im konkreten Fall. Es passte die letzte – unterschriebene – Seite des Begründungsschriftsat- 540 zes vom Sinn her nicht zu den vorigen, es gab Unterschiede im Erscheinungsbild und in der sprachlichen Diktion zwischen den ersten beiden Seiten und der letzten Seite. Der Schriftsatz wurde auch nicht von der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten, sondern kurz vor Mitternacht vom Telefaxgerät des Beklagten übermittelt. Der Beklagte hatte die ihm vom Berufungsgericht eingeräumte Möglichkeit, die Auffälligkeiten des Schriftsatzes zu erklären, nicht wahrgenommen.401
401 BGH v. 22.11.2005 – VIII ZB 40/05, BGHReport 2006, 395 = FamRZ 2006, 408.
139
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO 541
Noch zum alten Recht ergangen, gleichwohl relevant ist eine Entscheidung des OLG Karlsruhe: Der Berufungsführer, der zur Erteilung einer Auskunft und Abrechnung verurteilt wurde, muss den Aufwand an Zeit und Kosten zur Erfüllung des titulierten Anspruchs substantiiert dartun, um den Anforderungen an die Darlegung der Überschreitung der Berufungssumme zu genügen.402 Das OLG Brandenburg formuliert später, dass die Beschwer bei einer Berufung gegen ein einer Auskunftsklage stattgebendes Urteil sich nach dem konkreten Aufwand bemesse, den der Beklagte betreiben müsse, um seine ausgeurteilte Verpflichtung zur Auskunftserteilung erfüllen zu können.403
542
In dieselbe Richtung geht eine jüngere Entscheidung des VIII. Zivilsenates. Dort war die Klage eines Vermieters auf Beseitigung einer durch den Mieter errichteten Satellitenempfangsantenne abgewiesen worden. In solchen Fällen richtet sich die Beschwer des Vermieters nach dem Wertverlust, den er durch eine von der Satellitenempfangsantenne verursachte Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet.404
543
Im Hinblick auf vom Kläger verlangte eidesstattliche Versicherungen gilt: Der Beschwerdewert richtet sich nach dem Interesse des Klägers an der eidesstattlichen Versicherung. Der Aufwand für die eidesstattliche Versicherung ist nur dann maßgeblich, wenn es auf das Abwehrinteresse des Beklagten ankommt.405
544
Für eine Berufung, die den nach Anrechnung des Kindergeldes identischen Zahlbetrag lediglich auf der Grundlage eines höheren Tabellensatzes (hier: 128 % statt 114 % des Regelbetrages) erstrebt, kann nach dem OLG Celle Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, da es mangels Erreichens der Berufungs-/Erwachsenheitssumme an hinreichender Erfolgsaussicht fehle und die Rechtsverfolgung mutwillig erscheine.406
402 403 404 405 406
140
OLG Karlsruhe v. 13.12.2001 – 7 U 167/01, ProzRB 2002, 71 (Burgermeister). OLG Brandenburg v. 27.4.2004 – 6 U 62/03, OLGR Brandenburg 2005, 87. BGH v. 17.5.2006 – VIII ZB 31/05, FamRZ 2006, 408 = BGHReport 2006, 395. KG v. 3.3.2006 – 7 U 122/05, KGR Berlin 2006, 680. OLG Celle v. 7.2.2005 – 10 UF 21/05, OLGR Celle 2005, 330.
Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter
2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO Angesichts dessen, dass Kollegialgerichte in der Regel mit höherem Richtigkeitspotential arbeiten als Einzelrichter, sollte versucht werden, die Voraussetzungen des § 526 Abs. 1 Nr. 2 ZPO darzulegen, um eine Übertragung auf den Einzelrichter zu verhindern.
141
545
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz Verspätungsprobleme kann es auf drei Ebenen geben:
1. Verspätung innerhalb der ersten Instanz 546
Man kann innerhalb der ersten Instanz mit (neuem) Vortrag ausgeschlossen sein (= horizontale Präklusion I). – Diesen Fall regelt § 296 ZPO. Für die Aufrechterhaltung dieser Präklusion wird in § 531 Abs. 1 ZPO gesorgt.407 Das ist auch nötig, denn wegen des Ausschlusses in erster Instanz sind diese Mittel dort gar nicht eingegangen und gelten deshalb für die Berufung als neuer Vortrag.
547
Soweit ein Beweismittel im Berufungsverfahren zu mehreren selbständigen Beweisthemen beantragt wird, ist für jedes Beweisthema einzeln zu prüfen, ob das Beweismittel nach § 531 ZPO als verspätet ausgeschlossen oder zurückzuweisen ist. Das gilt nicht nur für im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesene Beweismittel (§ 531 Abs. 1 ZPO), sondern auch für die Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO, da es nach beiden Vorschriften nicht darauf ankommt, ob die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.408
548
Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn dies nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt, § 296 Abs. 1 ZPO. Für den Beginn und damit auch den Ablauf der richterlichen Frist zur Stellungnahme kommt es darauf an, ob die Frist nach mündlicher Verhandlung in einer verkündeten Entscheidung gesetzt wird oder ob sie in einem nicht verkündeten Beschluss oder einer nicht verkündeten richterlichen Verfügung enthalten ist. Sind der Beschluss oder die Verfügung mit der Fristsetzung nicht verkündet worden, sind sie nach § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO zuzustellen; erst mit der Zustellung beginnt der Lauf der Frist, § 221 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO. Wird eine Frist zur Stellungnahme auf einen gerichtlichen Hinweis nach mündlicher Verhandlung dagegen in einem verkündeten Beschluss gesetzt, so beginnt der Lauf der Frist nicht erst mit Zugang des Protokolls, sondern 407 Dabei ist durch die Formulierung „zu Recht zurückgewiesen“ ein breites Streitfeld eröffnet. Insbesondere Verfahrensmängel in erster Instanz können sich als Unanwendbarkeitsgrund für § 531 Abs. 1 ZPO erweisen, Schumann/ Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 466. 408 OLG Köln v. 23.3.2005 – 11 U 191/02, OLGR Köln 2005, 250.
142
Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz
nach §§ 329 Abs. 1, 312, 221 Halbs. 2 ZPO mit dieser Verkündung und unabhängig davon, ob der Adressat davon tatsächlich Kenntnis genommen hat.409 Das Verbot, Präklusionsgründe in der nächsten Instanz auszuwechseln, gilt im Übrigen unterschiedslos, einerlei, ob den Gerichten bei der Entscheidung über die Zurückweisung ein Ermessen eingeräumt oder die Zurückweisung bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend ist.410
549
2. Verspätung aufgrund des Instanzwechsels Man kann aufgrund des Instanzwechsels mit neuem Vortrag ausgeschlos- 550 sen sein (= vertikale Präklusion). – Diesen Fall regeln §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO (dazu weiter unten ab Rz. 592).
3. Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz Und man kann auch innerhalb der Berufungsinstanz mit neuem Vortrag ausgeschlossen sein (= horizontale Präklusion II). – Diesen Fall regelt grundsätzlich § 530 ZPO. Abweichungen für Rügen der Unzulässigkeit der Klage gibt es in § 532 ZPO, für Verfahrensrügen in § 534 ZPO, für Zugeständnisse in § 535 ZPO.
551
Verspätetes Bestreiten erst in der Berufungsbegründung verzögert die Er- 552 ledigung des Rechtsstreits nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates jedenfalls dann nicht, wenn zwischen dem Eingang der Verspätungsrüge und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ein Zeitraum von fünf Monaten liegt und das Berufungsgericht während dieser Zeit einen Sachverständigen zur Erstattung des mündlichen Gutachtens laden kann, um die Klärung einer inhaltlich begrenzten Frage im Termin zur mündlichen Verhandlung herbeizuführen.411 Der VII. Zivilsenat entscheidet:
553
Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist auch nach dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses gemäß §§ 530, 296 ZPO nur dann zulässig, wenn die Zulassung zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde und die Verspätung nicht entschuldigt ist.412
409 410 411 412
KG v. 8.1.2004 – 12 U 292/02, KGR Berlin 2004, 268. BGH v. 22.2.2006 – IV ZR 56/05, BGHReport 2006, 930. BGH v. 23.9.2003 – VI ZR 395/02, ProzRB 2004, 95. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 16/03, MDR 2005, 706.
143
Präklusion in der Berufungsinstanz
4. Folgen von Präklusion für Streithelfer 554
Der Streithelfer kann nach einer Entscheidung des KG nicht weitergehende Rechte haben als die Partei, die er unterstützt, auch wenn ihm erst in der Berufungsinstanz der Streit verkündet worden ist. Bei der Präklusion verspäteten Vorbringens sei stets auf die Hauptpartei abzustellen; der Streithelfer müsse eine ggü. der Hauptpartei begründete Präklusion hinnehmen.413
413 KG v. 9.9.2003 – 7 U 213/03, KGR Berlin 2004, 220.
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VII. Prüfungsumfang Soweit die Berufungsbegründung ordnungsgemäß und die Berufung daher 555 (auch) unter diesem Aspekt zulässig ist, kann das Berufungsgericht mit der inhaltlichen Prüfung beginnen. Was es dabei alles prüfen darf, regeln die §§ 528 ff. ZPO.
1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO Geprüft wird zunächst nur im Rahmen der Berufungsanträge, § 528 S. 1 556 ZPO.414 Eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung zum Nachteil des Antragstellers (reformatio in peius) ist nur möglich, wenn der Antragsteller einen verschlechternden Antrag gestellt hat. Das dürfte selten vorkommen.415 Greift ein Beklagter ein Urteil, das in falscher Besetzung ergangen ist, mit der Berufung aber nur teilweise an, so verfällt nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil des erstinstanzlichen Urteils nicht der Aufhebung, wenn er selbstständig beurteilbar ist. Eine Aufhebung des Urteils auch insoweit würde gegen § 528 ZPO verstoßen und die obsiegende Klägerin ohne Not der Gefahr von Nachteilen in der Vollstreckung aussetzen, obwohl die Beklagte diesen Teil des Urteils akzeptiert.416
557
Das Verbot der Schlechterstellung im Berufungsverfahren, § 528 S. 2 558 ZPO, steht der Abweisung einer Klage im Berufungsverfahren als endgültig unbegründet auch dann nicht entgegen, wenn das LG die Klage noch als derzeit unbegründet abgewiesen hat.417
414 Einzelheiten zur Differenzierung zwischen Sach- und Verfahrensanträgen, namentlich zur Regel, dass das Berufungsgericht selbst entscheiden, § 538 Abs. 1 ZPO, und Aufhebung und Zurückverweisung Ausnahme bleiben sollen, bei Braunschneider, ProzRB 2004, 72, 75 f. und oben ab Rz. 348. 415 Das wäre ein Angriff gegen eine Begünstigung. Jedenfalls isoliert fehlt es einem solchen Angriff an der notwendigen Beschwer. Nur, wenn zugleich eine Belastung angegriffen würde, käme auch die (teilweise) Beseitigung einer fehlerhaften Begünstigung in Betracht. So etwas hat Relevanz im Unterhaltsrecht, wo es sich lohnen kann, Fairness nach „hinten“ (Vergangenheit) zu zeigen, um ein Mehr nach „vorne“ (Zukunft) zu bekommen. 416 OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 26/03; n. rkr., OLGR Karlsruhe 2004, 511 – Abweichung von BGH v. 19.10.1988 – IVb ZR 10/88, MDR 1989, 242 = NJW 1989, 229 (230). 417 OLG Düsseldorf v. 10.6.2003 – 23 U 68/02, OLGR Düsseldorf 2003, 449.
145
Prüfungsumfang
2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO 559
Danach ist das Berufungsgericht aber nicht mehr an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO, abgesehen von dem Fall, dass es um einen verzichtbaren Verfahrensmangel418 geht: Dieser muss geltend gemacht werden, § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO.
560
Ein besonderes Problem entsteht, wenn das Erstgericht (z.B. durch Übergehung von Parteivorbringen) einen verzichtbaren Verfahrensfehler begangen und dies (kausal) zu einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung geführt hat.
561
Keine Schwierigkeiten gibt es dabei zunächst, wenn dieser Verfahrensmangel nach §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 529 Abs. 2 S. 1 ZPO gerügt würde. Keine Schwierigkeiten gibt es auch dann, wenn diese fehlerhafte Tatsachenfeststellung nach § 520 Abs. 3 S. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gerügt würde. Schwierigkeiten gibt es aber, wenn der Berufungsführer nur einen ganz andern (evtl. vermeintlichen) Fehler gerügt hat und das Berufungsgericht bei der Prüfung dieses Fehlers auf die anderen stößt.
562
Der gerügte (andere oder vermeintliche) Fehler hilft nicht im Hinblick auf die fehlerhafte Tatsachenfeststellung, der kausale Verfahrensfehler war nicht gerügt und darf deshalb nicht berücksichtigt werden, ist aber Bindeglied zum gleichfalls nicht gerügten Tatsachenfehler.
563
In § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO sieht der BGH hier kein Hindernis. Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliege dem Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils und dies ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.419
564
Das ist richtig. Findet sich ein Fehler des Erstgerichts, der nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Neufeststellung gebietet, muss diese erfolgen. Findet sich darin oder daneben zusätzlich noch ein Verfahrens-Fehler, der nach § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO verzichtbar wäre, ändert dies am Gebot der Neufeststellung nichts. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein Mehr an Fehlern zu einem Weniger an Prüfung führen würde
418 Unverzichtbar sind nur solche, die für das Funktionieren des Rechtsschutzes unerlässlich sind, Gummer/Heßler in Zöller, 26. Aufl., § 529 Rz. 13. 419 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 213 ff. und 244.
146
Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung
3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung Wenn eine Norm entweder gar nicht oder nicht richtig angewendet wor- 565 den ist, gibt es keine Bindung des Berufungsgerichtes. In Betracht kommt aber auch die fehlerhafte Auslegung eines Vertrages. Inwieweit die erstinstanzliche Auslegung eines Vertrages in der Berufung überprüft werden kann, war eine Weile umstritten.
566
Das KG vertrat die Auffassung, das Berufungsgericht prüfe nach §§ 513, 567 546 ZPO – wie ein Revisionsgericht – die erstinstanzliche Auslegung eines Vertrages nur darauf, ob gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften beachtet seien. Eine Auslegung, die diesen Anforderungen gerecht werde und auf einer vertretbaren Gewichtung beruhe, bedeute – ungeachtet anderer Auslegungsmöglichkeiten – keine Rechtsverletzung im Sinne eines Rechtsanwendungsfehlers. Etwas anderes gelte dann, wenn die Auslegung des Erstgerichts den Grundsatz der interessegerechten Auslegung nicht beachte und eine Abrede nicht auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückführe.420 Der BGH entschied danach aber, dass die Kontrolle der Auslegung einer Individualvereinbarung nach § 513 ZPO durch das Berufungsgericht nicht auf eine Prüfung der Vertretbarkeit beschränkt sei. Wenn das Berufungsgericht die Auslegung nicht für sachlich überzeugend halte, habe es die Auslegung selbst vorzunehmen.421
568
Das Berufungsgericht hat zudem die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen.422
569
4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung Billigt das Berufungsgericht in einem Urteil, mit dem es das erstinstanzliche Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufhebt und die Sache zurück420 KG v. 10.11.2003 – 22 U 216/03, MDR 2004, 647; KG v. 24.5.2004 – 12 U 328/02, MDR 2004, 988; in diesem Sinne auch schon OLG Celle v. 1.8.2002 – 2 U 57/02, ProzRB 2003, 13 und BayObLG v. 4.2.2004 – 2 Z BR 228/03. 421 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 164/03, MDR 2004, 1434. 422 BGH v. 28.3.2006 – VI ZR 46/05, BGHReport 2006, 843, gegen diverse obergerichtliche Vorentscheidungen, z.B. OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 219/02, OLGR Karlsruhe 2004, 398; in Einklang mit anderen obergerichtlichen Entscheidungen, z.B. OLG Brandenburg v. 28.9.2004 – 1 U 14/04, OLGR Brandenburg 2005, 68.
147
570
Prüfungsumfang
verweist, die materiell-rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch die Vorinstanz, ist es an diese Beurteilung im erneuten Berufungsverfahren nicht gebunden (Abgrenzung zu BGH v. 23.6.1992 – XI ZR 227/91, NJW 1992, 2831, 2832 = MDR 1992, 1180). 571
Nimmt das Berufungsgericht eine solche Bindung irrtümlich an und verschließt sich daher weiteren Ausführungen einer Partei zur rechtlichen Beurteilung, liegt darin regelmäßig ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs.
572
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs oder ähnlich schwerwiegende, eine Zulassung an sich erfordernde Verfahrensfehler des Berufungsgerichts rechtfertigen die Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht nicht, wenn die rechtliche Überprüfung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt, dass das Berufungsurteil im Ergebnis aus anderen Gründen richtig ist (Fortführung von BGH v. 18.7.2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205 ff. = MDR 2004, 48).423
5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen 573
Im Bereich der Tatsachenrekonstruktion muss sich das Berufungsgericht zunächst an das halten, was die erste Instanz festgestellt hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
574
Festgestellte Tatsachen sind dabei nicht nur die vom Ausgangsgericht getroffenen Feststellungen von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung, sondern auch solche, die das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat, sei es, weil sie offenkundig oder gerichtsbekannt (§ 291 ZPO), ausdrücklich zugestanden (§ 288 ZPO) oder unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen Vermutungen oder Beweis- und Auslegungsregeln ergeben hatten.424
575
Voraussetzung ist lediglich, dass diese Feststellungen im Urteil (Tatbestand oder Entscheidungsgründe) oder in einem Protokoll dokumentiert sind.
576
Û
Praxistipp: Der V. Zivilsenat hat in einem obiter dictum erklärt, dass dem Tatbestand für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen keine negative Beweiskraft dahin zukäme.425 Das weicht von der bisher einhelligen Rechtsprechung ab und ist mit äußerster Vorsicht zu genie-
423 BGH v. 10.8.2005 – XII ZR 97/02, MDR 2005, 1241. 424 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, ProzRB 2004, 240 ff. = MDR 2004, 1077 und ab Rz. 477. 425 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 244.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
ßen. Sicherer ist der Weg über richtige Anträge während des Verfahrens und Tatbestandsberichtigungsanträge danach.426 Andere Tatsachen dürfen nur dann im Wege einer erneuten Feststellung 577 berücksichtigt werden, wenn die Ausgangsfeststellungen entweder im Hinblick auf Richtigkeit oder Vollständigkeit konkret bezweifelt werden können oder wenn diese anderen Tatsachen schlicht neu sind. Den ersten Fall regelt § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, den zweiten regeln §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO. a) § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aa) Zweifel Der Rechtsausschuss des Bundestages hat das so beschrieben: Zweifel lie- 578 gen schon dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt.427 Der VI. Zivilsenat des BGH hat dies in seine Entscheidungen übernommen.428 Der VIII. Zivilsenat429 präzisiert im Hinblick auf erstinstanzliche Beweis- 579 erhebung: Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen könnten sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdige als das Gericht der Vorinstanz.430 Wenn sich das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermöge, so sei es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung, die es aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht für richtig halte, nicht gebunden, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nach der gesetzlichen Neuregelung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Für die Bindung des Berufungsgerichts an die Tatsachenfeststellung des 580 erstinstanzlichen Gerichts genüge es – im Gegensatz zur revisionsrechtlichen Regelung (§ 559 Abs. 2 ZPO) – somit nicht, dass die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung keine Verfahrensfehler aufweise; auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen seien für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkre426 Vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 244/255 und 102, 106, oben Rz. 498 ff. 427 BT-Drucks. 14/6036, S. 159. 428 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184; BGH v. 15.7.2003 – VI ZR 361/02, Entscheidungsumbruch, S. 7, MDR 2003, 1414. Vgl. auch die Ausführungen oben zu den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Begründung. 429 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945. 430 Dazu auch BGH v. 2.11.2005 – IV ZR 57/05: wenn daraus andere Schlüsse gezogen werden könnten.
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Prüfungsumfang
te Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig seien.431 581
Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich die Zweifel ergeben, wurden in der jüngeren Rechtsprechung vor allem in fünf Bereichen gesehen: – bei Sachverständigengutachten, – bei Beweiswürdigungsfehlern, – bei Verfahrensfehlern, – bei zuzulassendem neuen Vorbringen, – bei Klageantragsänderungen. bb) Sachverständigengutachten
582
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens können sich nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates aus dem Gutachten oder der Person des Gutachters ergeben, insbesondere wenn das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist, wenn der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig war, sich die Tatsachengrundlage durch zulässigen neuen Sachvortrag geändert hat oder wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten zur Beantwortung der Sachverständigenfrage gibt.432
583
Derselbe Senat meinte später, dass Rechtsfehler der ersten Instanz, die dazu führten, dass zwar ein Gutachten eingeholt werde, dieses sich aber nicht mit allen entscheidungserheblichen Punkten befasste, Zweifel begründeten. Diese wiederum erforderten eine Vervollständigung des Gutachtens von Amts wegen.433
584
Hat das Erstgericht dem rechtzeitig gestellten Antrag einer Partei auf erstmalige mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen, kann die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nach Ansicht des VI. Zivilsenates entfallen. Sei dies der Fall, müsse das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag auf Ladung des Sachverständigen stattgeben.434
431 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945, unter Berufung auf BVerfG v. 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03. 432 BGH v. 15.7.2003 – VI ZR 361/02, Entscheidungsumbruch, S. 7, MDR 2003, 1414. 433 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 230/03, ProzRB 2004, 269 = MDR 2004, 1313. 434 BGH v. 10.5.2005 – VI ZR 245/04, MDR 2005, 1308.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
cc) Beweiswürdigungsfehler Widersprüche in der Beweiswürdigung von Zeugenaussagen durch das 585 Erstgericht können Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen und eine erneute Beweisaufnahme gebieten.435 dd) Verfahrensfehler Verfahrensfehler, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sach- 586 verhalts unterlaufen sind, können Zweifel begründen.436 Ein Rügeanlass im Berufungsverfahren soll nach einer Entscheidung des 587 OLG Koblenz im Allgemeinen aber nicht vorliegen, wenn geltend gemacht werde, ein Richter der Vorinstanz hätte wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können, wenn der Grund dafür früher bekannt gewesen wäre. Das Ablehnungsverfahren bilde ein abschließendes Regelungssystem. § 529 Abs. 1 ZPO ermögliche es, Gründe für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Urteilsfeststellungen aufzugreifen, die ihre Wurzel im Verfahren haben. Es sei jedoch kein Grund zur Besorgnis der Befangenheit des Richters der Vorinstanz, wenn dieser unter Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen eine Partei erstattet, sofern er die Verdachts- und Entlastungsumstände abgewogen habe. Erst recht sei der bloße Hinweis auf eine solche Vorgehensmöglichkeit kein Ablehnungsgrund.437 Dass dem Berufungsgericht auch bei einem nicht gerügten Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils obliegt,438 wurde oben schon erläutert (bei § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO).
588
ee) Neues, zu berücksichtigendes Vorbringen Neues Vorbringen, das nach § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist, kann zu Zweifeln im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO führen.439 Der VI. Zivilsenat formulierte das später so: Zweifelhaft können die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auch durch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel werden, soweit sie in der Berufungsinstanz gemäß 435 KG v. 21.11.2005 – 12 U 214/04, KGR Berlin 2006, 349. 436 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184; BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 437 OLG Koblenz v. 10.4.2006 – 12 U 309/05, OLGR Koblenz 2006, 714. 438 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 439 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184 = NJW 2004, 2825; BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077 = NJW 2004, 2152.
151
589
Prüfungsumfang
§ 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen sind, etwa weil ihre Geltendmachung in erster Instanz ohne Verschulden der Partei (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO) unterblieben ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 159, 245, 251 ff. und BGHZ 158, 295, 301).440 590
Die dem vorangegangene Berufungsentscheidung des OLG Schleswig formulierte dies umgekehrt: Neues Vorbringen, welches gemäß § 531 ZPO nicht zuzulassen sei, könne auch kein konkreter Anhaltspunkt sein, der Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung im Sinne des § 529 Abs. 1 ZPO begründe und deshalb eine erneute Feststellung gebiete.441 ff) Konsequenzen neuer Tatsachenfeststellung
591
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie vor der ZPO-Reform.442 b) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO – allgemein
592
Zur Anwendbarkeit der Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO im baulandgerichtlichen Berufungsverfahren nimmt der III. Zivilsenat Stellung.443 In Baulandverfahren bestehe zwar die (begrenzte) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes. Aufgrund der sonstigen Verweisung des § 221 Abs. 1 BauGB auf die ZPO sei aber § 531 Abs. 2 ZPO als grundsätzlich anwendbar anzusehen. Anders wäre es, wenn eine Regelung wie die in § 531 Abs. 2 ZPO in einer Verfahrensordnung, für die allgemein der Untersuchungsgrundsatz gelte, als „systemwidrig“ angesehen werden müsste. Dies lasse sich jedoch mit Blick auf die im Verwaltungsprozess bereits geltenden Präklusionsmöglichkeiten nicht sagen.
593
Soweit ein Beweismittel im Berufungsverfahren zu mehreren selbständigen Beweisthemen beantragt wird, ist für jedes Beweisthema einzeln zu prüfen, ob das Beweismittel nach § 531 ZPO als verspätet ausgeschlossen oder zurückzuweisen ist. Das gilt nicht nur für im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesene Beweismittel (§ 531 Abs. 1 ZPO), sondern auch für die Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO, da es nach beiden Vor440 BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04, NJW 2006, 152 = BGHReport 2006, als Folgeentscheidung zu OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04. 441 OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04, OLGR Schleswig 2005, 8, als Vorentscheidung zu BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04. 442 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. Konkret ging es dann um die Grundsätze der Glaubwürdigkeitsbeurteilung. 443 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 372/03, BGHReport 2005, 424 = NJW 2005, 898.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
schriften nicht darauf ankommt, ob die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.444 aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel In Abgrenzung zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist es wichtig, die neuen von 594 den alten Angriffs- und Verteidigungsmitteln abzugrenzen. (1) Vortrag aus erster Instanz Vorbringen in der Berufung zu einer erstinstanzlich nicht ausdrücklich 595 erwähnten, von Amts wegen zu berücksichtigenden Anspruchsgrundlage ist kein neues Angriffsmittel, wenn sich deren Voraussetzungen bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag ergeben.445 Soweit es erstinstanzlich allgemeinen Vortrag angeht, der in zweiter In- 596 stanz konkretisiert wird, hängt die Neuheit davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn das Vorbringen einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.446 (2) Unberücksichtigtes In den Anwendungsbereich des § 531 Abs. 1 ZPO fällt nach dem OLG 597 Düsseldorf auch das Vorbringen in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, einem Schriftsatz, der die Grenzen des § 283 ZPO überschreitet, oder zwar nachgelassen ist, aber verspätet eingeht und deshalb nach § 296a ZPO unberücksichtigt bleibt. Derartiges neues Vorbringen bleibe im Berufungsrechtszug ausgeschlossen, sofern nicht einer der Zulassungsgründe des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliege. § 156 ZPO gebe dem Gericht einen Ermessensspielraum und schreibe nur in Ausnahmefällen eine Verpflichtung zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung vor. Ein solcher Fall sei gegeben, wenn sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung aus neuem Vorbringen ergebe, dass die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts oder zur Erteilung von Hinweisen bestand, und darüber hinaus, wenn durch Versäumnisse des Gerichts oder durch andere Umstände im Verfahren bis
444 OLG Köln v. 23.3.2005 – 11 U 191/02, OLGR Köln 2005, 250. 445 BGH v. 26.6.2003 – VII ZR 281/02, MDR 2003, 1286 = ProzRB 2003, 293, ähnlich: OLG Celle v. 12.5.2004 – 9 U 189/03; n. rkr., OLGR Celle 2004, 616. 446 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184.
153
Prüfungsumfang
zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine vollständige und sachgerechte Erklärung unterbliebe.447 598
Ähnlich das OLG Saarbrücken: Das Gericht ist nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, wenn eine Partei ein ihr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegendes Gutachten erst innerhalb der Spruchfrist einreicht. Vom Erstgericht in Anwendung von § 296a ZPO nicht berücksichtigtes Vorbringen kann in der Berufungsinstanz nur nach Maßgabe von § 531 Abs. 2 ZPO geltend gemacht werden.448
599
Angesichts dieser Folgen meint das OLG Schleswig, dass das erstinstanzliche Gericht, wenn es einen verspäteten Sachvortrag aus Rechtsgründen für unerheblich halte, diesen in Anbetracht der Präklusionsfolgen für die Berufungsinstanz (§ 531 Abs. 1 ZPO) nicht zugleich als verspätet (§ 296 ZPO) zurückweisen dürfe.449 (3) Späteres (a) Neue Schlussrechnung
600
Nach einer Entscheidung des VII. Zivilsenates handelt es sich nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften, wenn eine Partei im Laufe des Verfahrens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch erst schafft (neue Schlussrechnung) und alsdann in den Prozess einführt.450 – Das ist nicht überzeugend. Eine neue Schlussrechnung ist eine neue Tatsache, auch wenn es weiter um denselben Streitgegenstand geht.451 Näher liegt es, hierin einen Fall des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zu sehen. Die neue Schlussrechnung konnte im ersten Rechtszug gar nicht geltend gemacht werden, weil es sie dort noch nicht gab.452
447 OLG Düsseldorf v. 13.11.2003 – 5 U 161/02, OLGR Düsseldorf 2004, 394. 448 OLG Saarbrücken v. 5.2.2003 – 1 U 569/02-137, OLGR Saarbrücken 2003, 179. 449 OLG Schleswig v. 29.1.2004 – 5 U 102/03; n. rkr., OLGR Schleswig 2004, 236. 450 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64. 451 Genauso OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222: „Eine erst nach Beendigung des erstinstanzlichen Rechtsstreits erstellte und mit der Berufungsbegründung vorgelegte (neue) Schlussrechnung stellt ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO dar, welches nur unter den dort genannten Voraussetzungen zuzulassen ist.“ 452 So etwas gehört damit zu den „echten Noven“ oder auch „nova producta“. – Anders aber das OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222 und das OLG Karlsruhe v. 24.3.2004 – 7 U 230/03 (s.u.).
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(b) Neue Beweismittel Hierzu gilt allgemein: Die Berücksichtigung von Beweismitteln, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aufgefunden wurden oder entstanden sind, ist auch nach neuem Recht im Berufungsrechtszug möglich.453
601
Nachlässigkeit wäre damit ausgeschlossen, denn sie könnte sich nur auf 602 die Einbringung bestehender Tatsachen beziehen, nicht aber auf Schaffung noch nicht bestehender. (c) Entstehung vs. Schaffung neuer Tatsachen Dagegen allerdings argumentiert das OLG Karlsruhe, das Angriffs- oder 603 Verteidigungsvorbringen einer Partei könnte nach Sinn und Zweck des § 531 ZPO auch dann nicht zugelassen werden, wenn die Voraussetzungen für die Geltendmachung zwar erst im Berufungsrechtszug entstanden seien, die Partei diese Voraussetzungen aber bereits im Rechtszug hätte schaffen können und dies in einer den Vorwurf der Nachlässigkeit rechtfertigenden Art und Weise versäumt habe.454 In dieselbe Richtung geht eine Entscheidung des OLG Brandenburg: 604 Nachlässig i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO handele der Auftragnehmer auch dann, wenn er die in seinem Einflussbereich liegende Schaffung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen wie z.B. die Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung als Fälligkeitsvoraussetzung erst nach Beendigung der ersten Instanz herbeiführe.455 Der BGH hatte demgegenüber in einer früheren Entscheidung formuliert, 605 dass die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften die Partei anhalten sollen, zu einem bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen. Sie hätten nicht den Zweck, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken.456 Eine Entscheidung des OLG Celle stellt im Übrigen fest, dass der Kläger 606 im Verfahren über die Berufung des Beklagten nicht nach §§ 529, 531 ZPO gehindert sei, sich auf den erst nach Schluss der ersten Instanz erklärten Rücktritt vom Vertrag zu berufen.457
453 OLG Zweibrücken v. 29.8.2002 – 4 U 52/02, OLGReport Zweibrücken 2003, 34. 454 OLG Karlsruhe v. 24.3.2004 – 7 U 230/03, OLGR Karlsruhe 2004, 309. 455 OLG Brandenburg v. 25.11.2004 – 12 U 47/04, OLGR Brandenburg 2005, 21. 456 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64. 457 OLG Celle v. 13.5.2004 – 4 U 220/03, OLGR Celle 2004, 498.
155
Prüfungsumfang
(d) Einrede der Verjährung 607
Die Einrede der Verjährung kann auch noch in 2. Instanz erhoben werden, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen unstreitig sind.458 § 97 Abs. 2 ZPO ist dann in der Regel anwendbar.459 Das OLG Karlsruhe sieht insoweit als Voraussetzung, dass die tatsächlichen Grundlagen nicht streitig sind und die Zulassung daher nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt.460 In einer früheren Entscheidung hatte es konkreter formuliert, dass der zugrunde liegende Sachverhalt unstreitig sein müsse und bei Zulassung keine Beweisaufnahme erforderlich werde.461 Die entgegenstehende Entscheidung des OLG Frankfurt (Eine erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Verjährungseinrede ist ein neues Verteidigungsmittel, welches nach § 531 Abs. 2 ZPO ohne Rücksicht auf die Frage der Verzögerung des Rechtsstreits nicht zugelassen werden kann.462) dürfte in dieser Undifferenziertheit überholt sein. (e) Vortrag in der Berufung beigetretener Streithelferin
608
Der Ausschluss neuen Vorbringens kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Streithelferin sich erst nach ihrem Beitritt im Berufungsrechtszug auf neuen Vortrag beruft. Diese hat den Rechtsstreit in der Lage anzunehmen, wie sie ihn bei ihrem Beitritt vorfindet.463 (f) Ortsübliche vs. vereinbarte Vergütung
609
Macht der Vermieter in der Berufungsinstanz Nutzungsentschädigung in Höhe eines ortsüblichen Mietzinses geltend, handelt es sich hierbei um ein neues Angriffsmittel i.S.v. § 531 ZPO, wenn er in erster Instanz Nutzungsentschädigung in Höhe des vereinbarten Mietzinses gemacht hat.464
458 BGH v. 19.10.2005 – IV ZR 89/05, MDR 2006, 150 = BGHReport 2006, 225 im Zusammenhang mit § 12 Abs. 3 VVG. Das OLG Stuttgart führt das fort: OLG Stuttgart v. 11.4.2006 – 6 U 172/05, n. rkr., OLGR Stuttgart 2006, 556 (Aktenzeichen beim BGH XI ZR 145/06). Außerdem: OLG Naumburg v. 24.3.2005 – 2 U 129/04, n. rkr., OLGR Naumburg 2006, 141. 459 OLG Celle v. 25.7.2006 – 16 U 23/06. 460 OLG Karlsruhe v. 21.2.2006 – 17 U 63/05, n. rkr., OLGR Karlsruhe 2006, 526. 461 OLG Karlsruhe v. 4.11.2004 – 19 U 216/03, OLGR Karlsruhe 2005, 42. 462 OLG Frankfurt a.M. v. 8.12.2003 – 1 U 115/03, OLGR Frankfurt 2004, 249. 463 OLG Karlsruhe v. 25.1.2006 – 7 U 48/05, OLGR Karlsruhe 2006, 490. 464 KG v. 13.10.2003 – 8 U 254/02, KGR Berlin 2004, 62.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
bb) Neues neben § 531 Abs. 2 ZPO? In manchen Konstellationen ist es fraglich, ob das Berufungsgericht neue 610 Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen darf. Das gilt insbesondere für unstreitigen Vortrag. (1) Literaturmeinungen Hier wird insbesondere von der Literatur vertreten, solche unstreitigen Tatsachen müssten berücksichtigt werden. Der Ansatz dazu stammt aus dem früheren Berufungsrecht, in dem es für die Berücksichtigung neuen Vorbringens auch auf Verzögerungsaspekte ankam. Da solche Verzögerungen bei Unstreitigkeit insoweit nicht auftreten konnten, war unstreitiges neues Vorbringen eben stets zu berücksichtigen.465 – Verzögerungsaspekte innerhalb der Berufungsinstanz spielen heute aber überhaupt keine Rolle mehr. Die Berücksichtigung unstreitiger neuer Tatsachen muss also anders begründet werden. – Es wird darauf verwiesen, bei unstreitig (gewordenem) Vortrag handle es sich entweder nicht mehr um ein „Angriffs- und Verteidigungsmittel“ im Sinne von § 531 ZPO, – oder es wird der Aspekt der materiellen Gerechtigkeit hervorgehoben, welcher den Vorrang vor Verfahrensprinzipien haben müsse, weil das Gericht ansonsten sehenden Auges auf einer falschen tatsächlichen Grundlage entscheiden müsste.466 – Bisweilen wird gesagt, es würden keine Interessen des Gegners, der die Behauptung zugesteht, verletzt und – in manchen Fällen könne auch eine verzögernde neue Tatsachenfeststellung (Beweisaufnahme) entfallen.467 – Nur die Berücksichtigung soll dem übereinstimmenden Willen beider Parteien entsprechen.468
465 Es gab aber auch im früheren Berufungsrecht mit § 528 Abs. 3 ZPO a.F. (der dem heutigen § 531 Abs. 1 ZPO entspricht) eine Präklusionsbestimmung, die auf das Erfordernis einer Verzögerung verzichtete und für die gleichwohl anerkannt war, dass in der Berufungsinstanz unstreitig gewordener Tatsachenvortrag Berücksichtigung finden musste (BGH v. 31.1.1980 – VII ZR 96/79, BGHZ 76, 133, 141). 466 Aspekte z.B. bei Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 475. 467 Aspekte z.B. bei Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 377. 468 E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 797.
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Prüfungsumfang
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Das ist alles nicht besonders überzeugend. – Auch unstreitige Tatsachen (egal ob alt oder neu) unterstützen den Angriff oder die Verteidigung und sind demgemäß auch entsprechende Mittel hierfür. – Die materielle Gerechtigkeit hat mit einer Unstreitigkeit nichts zu tun. Zunächst gibt es keinerlei Gewähr dafür, dass ein nicht bestrittener oder gar zugestandener Vortrag materiell richtig ist. Es kann viele Gründe geben, auch einen falschen Vortrag nicht zu bestreiten oder zuzugestehen. Alsdann kümmert es auch in der ersten Instanz niemanden, wenn z.B. ein Geständnis nach § 288 Abs. 1 ZPO falsch ist, selbst, wenn es bewusst falsch ist. Eine Ausnahme wird nur bei offenkundiger Unwahrheit gemacht (wegen § 291 ZPO).469 – Dass keine Interessen des Gegners verletzt werden, der eine Behauptung zugesteht, mag sein, lässt sich auch noch um den übereinstimmenden Willen der Parteien ergänzen, berücksichtigt aber nicht, dass es bei der Durchführung von Verfahren nicht nur um die Interessen einer oder aller Parteien geht, sondern auch um die Auswirkungen auf die Rechtspflege. Und spätestens in diesem Zusammenhang wird es dann wieder bedeutungsvoll, dass der Gesetzgeber die Durchführung des Berufungsverfahrens eng begrenzen wollte. – Wie durch die Zulassung neuer (unstreitiger) Tatsachen eine Beweisaufnahme vermieden werden kann,470 wird von Oberheim nicht weiter erläutert. Die zuzulassenden neuen Tatsachen bedürfen wegen ihrer Unstreitigkeit ohnehin keines Beweises. Es muss also noch andere, alte oder nach § 531 Abs. 2 ZPO ohnehin zuzulassende neue Tatsachen geben, die zwar streitig sind, die aber nicht durch Beweiserhebung festgestellt werden müssen, wenn die Lage durch die unstreitigen Tatsachen bereits geklärt würde. Das klingt reichlich kompliziert. Man könnte die Zulassung neuer unstreitiger Tatsachen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO aber für genau diese Konstellation akzeptieren, wenn sie entsprechend dargelegt wird. Immerhin wird dann ja auch dem Anliegen der Begrenzung des Berufungsverfahrens gedient. Der BGH hat im Übrigen zwischenzeitlich genau umgekehrt entschieden (dazu sogleich). (2) OLG-Rechtsprechung/KG-Rechtsprechung
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In der Rechtsprechung der OLG wurde auch zum neuen Recht alles vertreten. Von der generellen uneingeschränkten Zulassung unstreitigen
469 Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 288 Rz. 7. 470 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 377.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
neuen Tatsachenvortrages,471 über die generelle Ablehnung solcher Zulassung,472 bis zur Differenzierung danach ob bei Nichtzulassung die Entscheidung des Berufungsgerichts evident unrichtig wäre,473 ging das Spektrum. Das KG etwa entschied, die Vorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO hindere den 614 Beklagten nicht, in erster Instanz bestrittenes Vorbringen des Klägers nach Vorlage von Belegen im Berufungsverfahren unstreitig zu stellen. Stelle der Beklagte die vom Kläger bereits erstinstanzlich vorgetragene und von ihm bestrittene Vollmacht nach Vorlage der Vollmachtsurkunde im Berufungsverfahren unstreitig, so habe das Gericht diese nunmehr unstreitige Tatsache seiner Entscheidung zu Grunde zu legen, ohne durch § 531 Abs. 2 ZPO daran gehindert zu sein.474 (3) Klärung durch den BGH: Es geht. Höchstrichterliche Entscheidung hierzu liegt inzwischen vor. Der XI. Zi- 615 vilsenat meinte, neuer, unstreitiger Tatsachenvortrag sei in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen; dies gelte selbst dann, wenn dadurch eine Beweisaufnahme erforderlich werde.475 Das wurde wenig später noch ergänzt durch eine Entscheidung des II. Zivilsenates: Eine im Berufungsrechtszug erstmals erhobene Widerklage sei zulässig, wenn der Gegner einwilligt und das Begehren auf unstreitigem Sachvortrag beruhe.476 Der BGH477 hatte schon zuvor einen Fall entschieden, in dem vom Berufungsgericht neues unstreitiges Vorbringen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen worden war. Dies hielt der BGH für nicht revisibel. Durchgreifende Rechtsmittel würden eine ökonomische Verfahrensgestaltung noch mehr verfehlen, als es ein möglicher Fehler täte. Prüfungsfähig sei nur die – jetzt vom IX. Zivilsenat entschiedene – Variante, 471 Zuletzt: OLG Rostock v. 11.7.2006 – 4 U 128/04, n. rkr.; OLG Frankfurt a.M. v. 18.11.2004 – 26 U 28/04, OLGR Frankfurt 2005, 558; OLG Nürnberg v. 7.5.2003 – 13 U 615/03, MDR 2003, 1133; OLG Celle v. 11.12.2003 – 14 U 23/03, OLGR Celle 2004, 233: „Im Fall unstr. neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz neigt der Senat dazu, § 531 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden.“, anders aber der 6. Zivilsenat des OLG Celle, vgl. folgende Fn. 472 OLG Oldenburg v. 4.9.2002 – 2 U 149/02, MDR 2003, 48; OLG Celle v. 8.5.2003 – 6 U 208/02, OLGR Celle 2003, 303 (307), anders aber der 14. Zivilsenat des OLG Celle, vgl. vorstehende Fn. 473 OLG Schleswig v. 19.5.2004 – 9 U 63/03, OLGR Schleswig 2005, 120; OLG Karlsruhe v. 13.1.2004 – 17 U 71/03, MDR 2004, 1020; OLG Köln v. 22.12.2003 – 5 U 127/03, MDR 2004, 833; OLG Hamm v. 10.2.2003 – 18 U 93/02, MDR 2003, 650 = NJW 2003, 2325 f.; in Erwägung gezogen auch von OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – 23 U 222/02. 474 KG v. 5.7.2004 – 12 U 146/03, MDR 2004, 1438. 475 BGH v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, MDR 2005, 527. 476 BGH v. 6.12.2004 – II ZR 394/02, MDR 2005, 588. 477 BGH v. 22.1.2004 – V ZR 187/03, MDR 2004, 700 = ProzRB 2004, 124.
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in der Vorbringen neben § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen worden sei.478 617
In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des VIII. Zivilsenates zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser entschied, dass im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen sei, ob das Berufungsgericht im Falle einer erneuten Tatsachenfeststellung die Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO beachtet habe.479
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Zu bedenken ist, dass die neuen unstreitigen Tatsachen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO jedenfalls nicht als Begründungsteil im Rahmen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO für eine Berufung ausreichen können. Zum einen wird dort explizit auf § 531 Abs. 2 ZPO abgestellt. Zum anderen aber kann es in der Berufungsbegründung noch gar nicht feststehen, ob die Gegenseite einiges oder alles bestreiten wird oder nicht. – Beschränkt sich der Berufungsführer daher auf solche neuen (bis dahin: angeblich unstreitige) Tatsachen, wird seine Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO schon als unzulässig verworfen.
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Ungeklärt ist, ob das Berufungsgericht die Unstreitigkeit einer neuen Tatsache ermitteln muss, indem es vor einer Entscheidung eine Erwiderung des Berufungsbeklagten einholt. cc) Neues nach Zurückverweisung
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Das Berufungsgericht darf auch nach einer Zurückverweisung der Sache neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen. Ist von dem Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 531 Abs. 2 ZPO zugelassener Tatsachenvortrag (Ausgangsvortrag) unschlüssig, muss das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung ergänzendes, zur Schlüssigkeit des Ausgangsvortrags führendes Parteivorbringen auch dann unberücksichtigt lassen, wenn die Partei vor der Zurückverweisung keine Gelegenheit erhalten hatte, ihren Ausgangsvortrag zu ergänzen.480 dd) Neues im Arbeitsgerichtsprozess
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Zur Begründung der Berufung gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts braucht der Berufungskläger nicht gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO, § 67 Abs. 6 S. 1 ArbGG Tatsachen darzulegen, aufgrund deren seine Angriffund Verteidigungsmittel zuzulassen sind, weil der dort in Bezug genommene § 531 Abs. 2 ZPO im Arbeitsgerichtsprozess durch die spezielle 478 BGH v. 22.1.2004 – V ZR 187/03, MDR 2004, 700 = ProzRB 2004, 124, S. 6 des Entscheidungsumbruchs. 479 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945. 480 BGH v. 2.4.2004 – V ZR 107/03, MDR 2004, 866.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
Vorschrift des § 67 ArbGG verdrängt wird, der weiterhin auch schuldhaft verspätetes Vorbringen zulässt, sofern dieses die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.481 c) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Betrachtung des Rechtsstreites materiell-rechtlich nachlässig handelt, darf dies nicht zum Nachteil einer Partei führen.
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aa) Zusätzliches ungeschriebenes Merkmal Was dabei grundsätzlich zu prüfen ist, wurde schon oben im Rahmen der 623 Darlegungspflicht des Berufungsführers erläutert.482 Dort wurde auch schon darauf hingewiesen, dass der BGH die Anforderungen noch erweitert hat. Es ist erforderlich, den Tatbestand des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO um ein weiteres, ungeschriebenes Merkmal zu ergänzen: Die (objektiv fehlerhafte) Rechtsansicht des Gerichts muss den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflusst haben und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben ist, (mit-)ursächlich dafür geworden sein, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert.483 Nicht zurückgewiesen werden darf neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, das einen Gesichtspunkt betrifft, der von dem Gericht des ersten Rechtszugs für unerheblich gehalten und dessen Zurückhaltung durch das erstinstanzliche Verfahren veranlasst worden sei, § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.484
624
bb) Einzelfälle (1) Unvollständiges Sachverständigengutachten Eine materiell-rechtliche Nachlässigkeit stellt es nach dem VI. Zivilsenat 625 dar, wenn rechtsfehlerhaft ein unvollständiges Sachverständigengutachten eingeholt wurde, welches eine Vervollständigung von Amts wegen erfordert.485 Bei dieser Sachlage ist ein Antrag auf Anhörung des Gutachters in der Berufungsinstanz gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen.486
481 482 483 484 485
LAG Berlin v. 11.4.2003 – 6 Sa 2262/02. Ab Rz. 522. BGH v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, MDR 2004, 678. BGH v. 23.9.2004 – VII ZR 173/03, MDR 2005, 206. Die Bedeutung dieser Konstellation für § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wurde oben erläutert. 486 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 230/03, MDR 2004, 1313.
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(2) (Un-)Erheblichkeit von Bestreiten 626
Neue Beweismittel, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht vorgebracht werden, sind gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, wenn das Erstgericht die Beweisbedürftigkeit der Behauptung aus dem Grunde verneint hat, weil es das Bestreiten des Gegners als unerheblich angesehen hat, und das Berufungsgericht abweichend davon das Bestreiten als erheblich ansieht.487 (3) Neue Gegenrechte
627
Zu den neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die zuzulassen sind, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen vom Erstgericht übersehenen oder erkennbar für unerheblich gehaltenen Gesichtspunkt stützt, gehört auch die Geltendmachung neuer Gegenrechte. Ob es der Partei möglich gewesen wäre, das Gegenrecht bereits in erster Instanz vorzubringen, ist unerheblich. Die Parteien sollen nicht gezwungen sein, in erster Instanz vorsorglich auch solche Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus erkennbar unerheblich sind.
628
Ein bislang unberücksichtigter Nichtigkeitsgrund – hier: Formunwirksamkeit – stellt auch dann einen (durch das Berufungsgericht aufgeworfenen) neuen rechtlichen Gesichtspunkt dar, wenn die Wirksamkeit des Vertrages zuvor (vom Erstgericht) unter einem anderen Aspekt – hier: Sittenwidrigkeit – in Zweifel gezogen worden ist.488 d) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
629
Wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Betrachtung des Rechtsstreites verfahrensrechtlich nachlässig handelt, darf auch dies nicht zum Nachteil einer Partei führen. Hier fordert das Gesetz aber mehr als in Nr. 1, nämlich eine Verbindung zwischen dem Verfahrensfehler und dem unterbliebenen Vortrag des Mittels („infolge“). Es muss demnach so sein, dass der Vortrag unterblieben ist, weil es einen Verfahrensfehler gab. Es spielt demgegenüber keine Rolle, ob oder dass der Vortrag trotz des Verfahrensfehlers hätte erfolgen können. aa) Hauptanwendungsbereich: unterlassene Hinweise
630
§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, dass nach § 139 ZPO gebotene Hinweise des erstinstanzlichen Gerichts unterblieben
487 OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222. 488 BGH v. 30.6.2006 – V ZR 148/05.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
sind, die zu entsprechendem Vorbringen in erster Instanz Anlass gegeben hätten.489 Die Dokumentation des Hinweises im Tatbestand des Urteils soll nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe ausreichen, um den Anforderungen des § 139 Abs. 4 ZPO zu genügen.490
631
Das ist mehr als bedenklich, weil sich eine solche Dokumentation ja nur auf einen zeitlich (möglicherweise weit) zurückliegenden Vorgang beziehen kann. Jeder Hinweis macht nur Sinn, wenn ihm eine Reaktion folgen könnte. Bei der Abfassung des Tatbestandes ist dies nicht mehr der Fall. Letztlich wird das zu einer Einladung an das Gedächtnis des Urteilsverfassers zu prüfen, ob er nicht doch noch irgendwo (vielleicht in einer länger dauernden mündlichen Verhandlung) einen Hinweis gegeben hatte, der über § 139 Abs. 4 und § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zur Berufungsfestigkeit des Urteils führen könnte. bb) Einzelfälle (1) Unvollständiger Hinweis zum nötigen weiteren Vorbringen Entsprechend entschied dann der VII. Zivilsenat: Ein Sachvortrag kann in 632 der Berufungsinstanz nicht zurückgewiesen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht aufgrund eines unvollständigen gerichtlichen Hinweises den Eindruck erweckt hat, weiteres Vorbringen sei nicht erforderlich.491 (2) Kein Hinweis zur nicht hinreichenden Substantiierung Der V. Zivilsenat ergänzt dies um den Fall, dass im Urteil des erstinstanz- 633 lichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden ist, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war.492 (3) Keine Hinweispflicht zu alternativen Antragsbegründungen Allerdings ist das Gericht in Ausübung der ihm in § 139 Abs. 1 ZPO über- 634 tragenen Prozessleitung nicht gehalten, die Partei auf eine andere, nicht
489 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077; BGH v. 19.2.2004, III ZR 147/03, MDR 2004, 678 = ProzRB 2004, 157. 490 OLG Karlsruhe v. 25.1.2006 – 7 U 48/05, OLGR Karlsruhe 2006, 490. 491 BGH v. 14.10.2004 – VII ZR 180/03, MDR 2005, 161. 492 BGH v. 9.6.2005 – V ZR 271/04, MDR 2005, 1365.
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im Rahmen des bisherigen Vorbringens liegende tatsächliche Begründung ihres Klageantrags hinzulenken.493 (4) Keine Hinweispflicht zu Nebenforderungen 635
Es soll nach dem OLG Schleswig auch keine Hinweispflicht des Gerichts bei Nebenforderungen geben.494 (5) Sachverständige – Ergänzungsgutachten und Befragungen
636
Das OLG Saarbrücken äußerte sich dazu, wann die Ablehnung einer mündlichen Gutachtenserläuterung (nicht) verfahrensfehlerhaft sei. Werde ein Antrag auf mündliche Gutachtenerläuterung erst nach Einholung eines oder mehrerer schriftlicher Ergänzungsgutachten gestellt, seien an dessen Begründung strenge Anforderungen zu stellen. Es genüge nicht, dass die Partei allgemein angebe, in welche Richtung sie im Rahmen der Anhörung eine weitere Abklärung herbeizuführen wünsche. Die Partei müsse vernünftige Gründe angeben, weshalb trotz der Gutachtenergänzungen objektiv weiterer Klärungs- und Erläuterungsbedarf bestehe.495 e) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aa) Nachlässigkeit = einfache Fahrlässigkeit
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Hat das Gericht erstinstanzlich insoweit keine Fehler gemacht, die es gebieten, neue Mittel zuzulassen, bleibt die Möglichkeit, dass eine Partei einfach von sich aus Neues einbringt. Das ist ihr nur unter der Voraussetzung gestattet, dass die Nichtgeltendmachung in erster Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Genau das muss sie deshalb darlegen.
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Der V. Zivilsenat stellt fest, dass § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO die Berücksichtigung solcher tatsächlichen Umstände in der Berufungsinstanz ausschließt, die in erster Instanz nicht vorgebracht wurden, obwohl sie und ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.496 – Das ist nichts anderes als einfache Fahrlässigkeit.
493 OLG Saarbrücken v. 14.12.2004 – 4 U 706/03-128, OLGR Saarbrücken 2005, 228. 494 OLG Schleswig v. 12.8.2004 – 7 U 10/04, OLGR Schleswig 2005, 99. 495 OLG Saarbrücken v. 25.2.2004 – 1 U 422/03-108, n. rkr., OLGR Saarbrücken 2004, 379. Aktenzeichen des BGH: VI ZR 104/04. 496 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
bb) Einzelfälle (1) Parteigutachten Bei einem Parteigutachten, mit welchem in der Berufung ein im ersten 639 Rechtszug eingeholtes gerichtliches Gutachten angegriffen wird, handelt es sich um ein neues, nach Auffassung des OLG Schleswig nicht zulassungsfähiges Angriffsmittel, wenn das Gutachten auch bereits im ersten Rechtszug hätte eingeholt werden können (§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).497 Diese Entscheidung hat der BGH später aufgehoben. Eine Partei sei (auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses) grundsätzlich nicht verpflichtet, Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten bereits in erster Instanz auf ein Privatgutachten oder auf sachverständigen Rat zu stützen, wenn ihr Vortrag fachspezifische Fragen betrifft und eine besondere Sachkunde erfordert (Fortführung Senatsurteil BGHZ 159, 245).498 Zweifelhaft ist, ob damit auch eine Entscheidung des KG499 anders beur- 640 teilt werden müsste, welches meinte, der Berufungskläger sei auch mit Beanstandungen gegen ein Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, wenn er sie erstinstanzlich hätte geltend machen können; denn Beanstandungen eines Sachverständigengutachtens zählten zu den neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln. Man wird dies wohl danach differenzieren müssen, ob solche Einwendungen die vom BGH angesprochenen fachspezifische Fragen betreffen und eine besondere Sachkunde erfordern (dann keine Präklusion) oder ob die Einwendungen auch ohne dies hätten erfolgen können (dann Präklusion). (2) Partei in Strafhaft Im ersten Rechtszug nicht geltend gemachte Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im Berufungsverfahren nicht allein deshalb mangels Nachlässigkeit der Partei i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen, weil sich der Beklagte vier Monate in Strafhaft befand.500
641
(3) Erstinstanzlicher Vortrag von Patienten Auch unter Berücksichtigung der reduzierten Darlegungslast des Patienten im Arzthaftungsprozess ist zumindest zu erwarten, dass der Patient vorträgt, mit welchen Beschwerden er sich beim Arzt vorgestellt hat. Wird dies in erster Instanz unterlassen, ist dies in der Regel nachlässig
497 498 499 500
OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04, OLGR Schleswig 2005, 8. BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04, BGHReport 2006, 192 = NJW 2006, 152. KG v. 21.10.2004 – 12 U 22/04, KGR Berlin 2005, 123. KG v. 15.8.2005 – 12 U 121/04, KGR Berlin 2005, 989.
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und steht einer Berücksichtigung neuen Vorbringens – sofern bestritten – in zweiter Instanz gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO entgegen.501 643
Möglichen psychoreaktiven Unfallfolgen muss das Gericht auch dann nicht von Amts wegen nachgehen, wenn dafür im orthopädischen Gutachten Vermutungen geäußert werden, sondern nur dann, wenn der Kläger Derartiges ausdrücklich behauptet und seinen Anspruch unter Beweisantritt darauf stützt. War dem Kläger aufgrund fachärztlicher Behandlung bereits in erster Instanz eine ärztlich diagnostizierte unfallbedingte reaktive Depression bekannt, kann ein erst im Berufungsverfahren gestellter Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie zum Beweise der Richtigkeit einer entsprechenden Behauptung nicht zugelassen werden (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).502
644
Ein Patient, der den im ersten Rechtszug erhobenen Vorwurf unzureichender Aufklärung über eine Behandlungsalternative fallen lässt, ist mit der neuen Behauptung, er habe über eine andere Behandlungsalternative aufgeklärt werden müssen, nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.503 (4) Einrede der beschränkten Erbenhaftung
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Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung kann nicht mehr erstmalig in zweiter Instanz erhoben werden.504 (5) Erstinstanzlicher Verzicht auf Zeugen
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Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass die durchgeführte Beweisaufnahme deswegen unzutreffend und lückenhaft ist, weil das Erstgericht eine Zeugin nicht vernommen hat, auf die der Berufungskläger in Kenntnis der gesamten Prozesssituation für die erste Instanz verzichtet hat, nachdem sie zum Beweisaufnahmetermin entschuldigt nicht erschienen war.505 (6) Erstinstanzlich nicht benannte Zeugen zu neuem Sachvortrag
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Neuem Sachvortrag und Beweisanträgen auf Vernehmung von Zeugen muss das Berufungsgericht nicht nachgehen, wenn der Berufungskläger nach seinem eigenen Vorbringen schon erstinstanzlich Kenntnis von den Vorgängen selbst und von dem Wissen der Zeugen um die Vorgänge hatte. 501 502 503 504 505
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OLG Düsseldorf v. 17.3.2005 – I-8 U 123/04, OLGR Düsseldorf 2006, 42. KG v. 13.10.2005 – 12 U 296/03, KGR Berlin 2006, 216. OLG Karlsruhe v. 9.3.2005 – 7 U 27/04, OLGR Karlsruhe 2005, 375. OLG Hamm v. 15.11.2005 – 27 U 88/05, OLGR Hamm 2006, 379. OLG Köln v. 14.12.2004 – 4 U 24/04, OLGR Köln 2005, 99.
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
Dann beruht die Nichtgeltendmachung dieses Vortrages bereits in erster Instanz auf (grober) Nachlässigkeit.506 (7) Erstinstanzlich zurückgehaltener Vortrag – „Prozesstaktik“ Vortrag, der aus prozesstaktischen Erwägungen zurückgehalten wurde, 648 um erst einmal abzuwarten, wie sich das Gericht zu dem schon vorgebrachten Prozessstoff stellt, ist nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Wer sehenden Auges seine Einkommensverhältnisse nicht offen legt, obwohl gerade daraus ein Anspruch hergeleitet werden soll, geht das Risiko ein, erst im Berufungsrechtszug zu obsiegen und dort zur Höhe des Anspruchs aufgrund der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mehr vortragen zu können.507 (8) Im einstweiligen Verfügungsverfahren Aufgrund der Besonderheiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens 649 muss es nicht nachlässig sein, Vortrag erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorzubringen. Manchmal kann es einem Beklagten nicht zugemutet werden, sich erst mittels eines Sachverständigen hinreichend über die Mängel kundig zu machen und dann Widerspruch gegen einen Verfügungsbeschluss einzulegen. Ist der Widerspruch aber eingelegt und hat das Erstgericht eine zügige Verfahrensweise, dann bleibt keine Möglichkeit, für einen im Interesse beider Parteien wenigstens einigermaßen substantiierten Vortrag ein schriftliches Sachverständigengutachten so rechtzeitig einzuholen, dass es noch vor dem Verhandlungstermin erster Instanz vorliegt.508 f) Fehlerhafte Nichtzulassung entgegen § 531 Abs. 2 ZPO Der V. Zivilsenat klärte, dass das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, recht- 650 liches Gehör zu gewähren, jedenfalls dann verletzt sei, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zur Verhandlung zulasse (vgl. BVerfG, NJW 2000, 945, 946 – zur Präklusion). Ein solcher Fehler liege vor, wenn im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden sei, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung 506 OLG Köln v. 17.1.2006 – 9 U 60/05, n. rkr., OLGR Köln 2006, 531, Aktenzeichen des BGH: IV ZR 40/06; OLG Schleswig v. 17.2.2005 – 7 U 168/03, OLGR Schleswig 2005, 717. 507 OLG Karlsruhe v. 14.7.2004 – 7 U 18/03, OLGR Karlsruhe 2004, 421. 508 OLG Stuttgart v. 25.1.2005 – 6 U 175/04, OLGR Stuttgart 2005, 223.
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Prüfungsumfang
gegeben wäre, und das Berufungsgericht auch das neue, nunmehr substantiierte Vorbringen unter Hinweis auf § 531 Abs. 2 ZPO zurückweise. 651
Werde ein solcher Verfahrensfehler in einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, könne das Berufungsurteil im Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.509
652
Es bleibt nach dieser Entscheidung aber die Frage offen, welches sachliche Kriterium eine offensichtlich fehlerhafte Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO fordern könnte, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu begründen. Die Gehörsverletzung kann schwerlich davon abhängen, ob jeder sofort darauf kommen kann (Offensichtlichkeit) oder ob es eines gewissen Nachdenkens bedarf. g) § 533 ZPO
653
Eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung oder Widerklage schließt die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht aus.510 aa) Keine Klageänderungen: § 264 Nr. 2 und 3 ZPO
654
Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz nicht als Klageänderung anzusehen; § 533 ZPO findet auf sie keine Anwendung.
655
Das Berufungsgericht darf seiner rechtlichen Beurteilung eines nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO geänderten Klageantrags nicht nur die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag festgestellten Tatsachen zugrunde legen, sondern auf den gesamten erstinstanzlichen Prozessstoff zurückgreifen. Wenn es dabei aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auf Tatsachen ankommt, die in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt worden sind, bestehen Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die das Berufungsgericht zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten.511
509 BGH v. 9.6.2005 – V ZR 271/04, MDR 2005, 1365. 510 OLG Nürnberg v. 24.2.2003 – 13 U 3187/02, OLGR Nürnberg 2003, 242; OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. 511 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077. Dem hat sich der VII. Zivilsenat (BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 138/04, BGHReport 2006, 643) so angeschlossen: Die mit der Berufung vorgenommene Erweiterung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO wegen einer weitergehenden Schlussrechnungsforderung ist keine Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO. Im Hinblick auf neue Tatsachen gilt: Auch neuer Vortrag der Parteien ist jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als er die Klageerweiterung betrifft.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
In Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung512 entscheidet der BGH für Architekten nunmehr so:
656
Verfolgt der Architekt mit der Berufung nicht mehr seine Abschlags-, sondern eine Teilschlussforderung, so ist das gemäß § 264 Nr. 3 ZPO nicht als eine Änderung der Klage anzusehen.513
Derselbe Senat erweitert das später dahin, dass wenn ein Unternehmer mit der Berufung hilfsweise zu seiner Abschlagsforderung den Schlussrechnungsbetrag geltend macht, ohne dass eine spätere Veränderung eingetreten ist, auch dies gemäß § 264 Nr. 1 ZPO nicht als eine Änderung der Klage anzusehen sei.514
657
Eine Klageänderung liegt auch dann nicht vor, wenn der Berufungskläger 658 die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt, und dabei den geltend gemachten Anspruch nicht mehr (wie erstinstanzlich) auf den Gewinn eines Preisausschreibens stützt, sondern in der zweiten Instanz eine vertragliche Grundlage für seinen Anspruch annimmt.515 Bei gleich bleibendem Lebenssachverhalt und gleich bleibendem Antrag ist die Auswechselung der Anspruchsgrundlage ohne Belang. bb) Klageänderung Eine Klageänderung im Berufungsrechtszug i.S.v. § 533 ZPO setzt ein zu- 659 lässiges Rechtsmittel voraus. Eine Klägerin als Berufungsbeklagte kann nur im Wege der Anschlussberufung i.S.v. § 524 ZPO eine Klageänderung erreichen.516 Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung befasst sich das Berufungs- 660 gericht nicht mit der in der Berufungsinstanz durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger erweiterten Klage; es prüft insb. nicht deren Erfolgsaussicht. Mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung wirkungslos.517 (1) (Nicht ausreichende) Sachdienlichkeit Der Austausch des Klagegrundes stellt eine Klageänderung dar, die im Be- 661 rufungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig ist. An der erforderlichen Sachdienlichkeit der Klageänderung fehlt es im
512 513 514 515 516 517
BGH v. 5.11.1998 – VII ZR 191/97, BauR 1999, 267 = MDR 1999, 221. BGH v. 11.11.2004 – VII ZR 128/03 = MDR 2005, 502. BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 191/04, BGHReport 2006, 392. BGH v. 29.6.2006 – III ZB 36/06. OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51. OLG Rostock v. 12.6.2003 – 3 U 96/03, OLGR Rostock 2003, 355.
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Prüfungsumfang
Regelfall dann, wenn die Zulassung der Klageänderung das Berufungsgericht zur Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffes nötigen würde.518 662
Eine nach dem Gesetzeswortlaut selbstverständliche Voraussetzung war dem KG eine Entscheidung wert: Auch wenn eine Klageänderung im Berufungsverfahren (hier: Umstellung einer Klage im Wege der Prozessstandschaft in Klage aus abgetretenem Recht) nach § 533 Abs. 1 ZPO als sachdienlich anzusehen ist, kann das neue Vorbringen (Tatsache der Abtretung) nur zugelassen werden, wenn dies nach § 531 Abs. 2 ZPO möglich ist.519 (2) Fehlende Einwilligung in Übergang von Rücktritt auf Minderung
663
Der Übergang zur Minderung in der Berufung bei abgewiesener Rücktrittsklage ist keine zulässige Klageänderung nach § 533 ZPO n.F. und führt bei Nichteinwilligung des Gegners zur Verwerfung (§ 522 Abs. 1 ZPO n.F.).520 (3) Zulässigkeit entgegen § 533 ZPO bei Abweisung
664
Jedenfalls dann, wenn über einen in zweiter Instanz eingeführten neuen Streitgegenstand auf der Grundlage des nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO n.F. zulässigen Prozessstoff dem Grunde nach verhandelt und – nämlich durch Klageabweisung – entschieden werden kann, ist eine Klageänderung entgegen des Wortlauts des § 533 ZPO n.F. zulässig, unabhängig davon, ob der Kläger seine geänderte Klage darüber hinaus auch auf neues Sachvorbringen zur Anspruchshöhe stützt, was nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO n.F. zugelassen werden darf.521 (4) Eventualklagehäufung mit Berufungserwiderung
665
Eine mit der Berufungserwiderung erfolgte Eventualklagehäufung, durch die die Klageforderung hilfsweise auf einen neuen Streitgegenstand gestützt werden soll (hier: abgetretene Forderung), ist einer Klageänderung gem. § 533 ZPO gleichzustellen.522
518 OLG Saarbrücken v. 14.12.2004 – 4 U 706/03-128, OLGR Saarbrücken 2005, 228. 519 KG v. 13.3.2006 – 12 U 11/05, KGR Berlin 2006, 504. 520 OLG Jena v. 21.10.2003 – 4 U 631/03, OLGR Jena 2004, 126. 521 OLG Naumburg v. 25.9.2003 – 1 U 29/03, OLGR Naumburg 2004, 62. 522 OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, n. rkr., OLGR Celle 2006, 321.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(5) Erweiterung auf weiteren (akzessorisch haftenden) Beklagten Die Erweiterung der Klage durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger auf einen weiteren Beklagten ist nach einer Entscheidung des OLG Rostock in der Berufungsinstanz zulässig, soweit sie nicht auf neues, gem. § 531 ZPO ausgeschlossenes Vorbringen gestützt wird.523
666
Es ging dabei um eine Ausdehnung auf einen ohnehin akzessorisch haftenden Gesellschafter einer GbR. Das OLG Rostock knüpfte an die Rechtsprechung aus der Zeit vor der ZPO-Reform an524 und formulierte, die Ausdehnung des Rechtsstreites auf einen weiteren Beklagten in der Berufungsinstanz sei zuzulassen, wenn der neue Beklagte zustimme oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich sei. Die ZPOReform lasse diese Grundsätze unberührt. Trotz der Beschränkung des Prüfungsumfanges des Berufungsgerichts blieben die Klageänderung, die Aufrechnungserklärung und die Widerklage in der Berufungsinstanz unter den besonderen Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig. Gemäß § 533 ZPO analog sei als weitere Voraussetzung bei einer Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten neben der Frage der rechtsmissbräuchlichen Zustimmungsverweigerung zu prüfen, ob die Klageerweiterung auf Tatsachen gestützt werden könne, die das Berufungsgericht nach § 529 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen habe. Der neue Beklagte könne sich gegen seine Inanspruchnahme allerdings auch mit neuen persönlichen Einwendungen wehren. Dieses Vorbringen sei gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zu berücksichtigen, da es wegen der erst in der Berufungsinstanz erfolgten Klageerweiterung nicht auf einer Nachlässigkeit beruhe. Damit drohe keine Schlechterstellung des neuen Beklagten.
667
(6) Gewillkürter Wechsel auf anderen Beklagten Der gewillkürte Wechsel des Beklagten im Berufungsverfahren ist grundsätzlich nur mit Zustimmung des alten und des neuen Beklagten zulässig. Verweigern der alte und/oder der neue Beklagte die Zustimmung, so kann das unter besonderen Voraussetzungen rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich sein. Ein solcher Fall des Rechtsmissbrauchs liegt vor, wenn der bisherige Beklagte seine Parteifähigkeit verloren hat und der Grund dafür im Einflussbereich des neuen Beklagten liegt, für den zudem der gesamte bisherige Prozessstoff Geltung behält.525
523 OLG Rostock v. 1.11.2004 – 3 U 166/03, OLGR Rostock 2005, 126. 524 BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 ff. 525 OLG Bamberg v. 10.4.2002 – 3 U 192/00, OLGR Bamberg 2002, 444.
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Prüfungsumfang
(7) Wechsel von Zahlungs- auf Feststellungsklage 669
Zuwendungen der Schwiegereltern zu dem Erwerb einer Immobilie können nach dem Scheitern der Ehe nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einem Ausgleichsanspruch führen, wenn ein güterrechtlicher Ausgleich im Wege des Zugewinnausgleichs nicht in Betracht kommt. Ist Zahlungsklage erhoben worden, so kann auch in der Berufung noch hilfsweise Klage auf Feststellung des Bestehens des Anspruchs dem Grunde nach erhoben werden.526 (8) Wechsel von positivem Interesse auf negatives Interesse
670
Verlangt der Käufer von der Beklagten erstinstanzlich den Ersatz des Nichterfüllungsschadens wegen der Nichtgewährung eines Sanierungsdarlehens, zweitinstanzlich aber den Schaden wegen eines Beratungsmangels, da die beklagte Bank ihn vor diesem Anlageobjekt nicht gewarnt habe, so liegt eine unzulässige Klageänderung vor.527 (9) Wechsel des Leistungsempfängers
671
Soweit klagende Wohnungseigentümer, die erstinstanzlich obsiegt haben, als Berufungsbeklagte (in Aufrechterhaltung des erstinstanzlichen Hilfsantrages) zweitinstanzlich Zahlung nicht an sich, sondern an die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangen, ist das zunächst eine Klageänderung. (Materiell sind Wohnungseigentümer Mitgläubiger i.S.v. § 432 BGB, wenn ein Kostenvorschuss für die zur Beseitigung eines Baumangels erforderlichen Aufwendungen geltend gemacht werden soll; mithin können einzelne Wohnungseigentümer nur Zahlung an die Gemeinschaft verlangen.) Diese Klageänderung ist ohne Einwilligung zulässig, da sachdienlich; auch muss der neue Vortrag der Kläger nach §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO (Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft und Name des Verwalters) berücksichtigt werden, da er zum einen nicht bestritten worden ist und er zum anderen aufgrund einer anderen Rechtsansicht des Senats erforderlich wurde.528
526 OLG Brandenburg v. 21.7.2004 – 7 U 185/03. 527 OLG Frankfurt a.M. v. 24.3.2004 – 13 U 203/02. 528 OLG Dresden v. 17.3.2005 – 4 U 2065/04, OLGR Dresden 2005, 895.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(10) Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstandes Neue, vor dem Berufungsgericht im Wege der Klageerweiterung geltend 672 gemachte Ansprüche bleiben bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes unberücksichtigt.529 cc) Widerklage und Hilfswiderklage Eine erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Widerklage ist zulässig, wenn der Gegner einwilligt und das Begehren auf unstreitigem Sachvortrag beruht.530
673
Û
674
Praxistipp: Die erste Voraussetzung ergibt sich ohnehin direkt aus dem Gesetz (§ 533 Nr. 1 ZPO). Die zweite dagegen ist die konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung zu § 531 Abs. 2 ZPO.531
Eine Widerklage, die in erster Instanz nach dem Schluss der mündlichen 675 Verhandlung eingereicht und als unzulässig abgewiesen wurde und mit der Berufung weiterverfolgt wird, ist im Berufungsverfahren neu erhoben und nur zulässig, wenn sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.532 Eine in zweiter Instanz erhobene Hilfswiderklage ist nicht zuzulassen, 676 wenn ihr Gegenstand nur äußerlich in Beziehung zu dem Streitstoff der Klage steht, die materielle Rechtslage aber durchweg von anderen Aspekten als denen abhängt, die die Beurteilung der Klage tragen.533 dd) Drittwiderklage Nach § 533 ZPO ist die Zulässigkeit einer in zweiter Instanz neu erhobe- 677 nen Widerklage von der Einwilligung des Gegners, ersatzweise von einer Bejahung der Sachdienlichkeit durch das Gericht abhängig. Darüber hinaus ist Voraussetzung, dass zur Entscheidung keine nicht für den bisherigen Prozessstoff nach § 529 ZPO ohnehin zur berücksichtigenden Tatsachen zugrunde gelegt werden müssen. Gleiches gilt insoweit für die Drittwiderklage.534
529 530 531 532 533 534
OLG Rostock v. 5.4.2004 – 7 U 136/03, OLGR Rostock 2004, 454. BGH v. 6.12.2004 – II ZR 394/02, MDR 2005, 588. BGH v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, MDR 2005, 527. OLG Stuttgart v. 23.4.2003 – 14 U 42/02, OLGR Stuttgart 2003, 395. OLG Frankfurt a.M. v. 7.10.2005 – 24 U 71/05. OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2006 – 9 U 56/04.
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Prüfungsumfang
ee) Aufrechnung 678
Die erstmalige Aufrechnung mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung in zweiter Instanz ist dann nicht sachdienlich i.S.v. § 533 Nr. 1 ZPO, wenn die Wirksamkeit der Aufrechnung aus Gründen in Frage steht, die durch die Rechtskraft nicht bereits entschieden sind, und deshalb die Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffs durch das Berufungsgericht erforderlich wird.535
535 OLG Hamm v. 9.11.2004 – 27 U 61/04, OLGR Hamm 2005, 94.
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VIII. Berufungsrücknahme 1. Zeitpunkt Der Berufungskläger kann seine Berufung auch noch nach der Verkündung eines Versäumnisurteils zurücknehmen, wenn gegen dieses Urteil zulässig Einspruch eingelegt worden ist.536
679
Nach der Zustellung des Beschlusses über die Verwerfung der Berufung als unzulässig kann nach dem OLG Celle die Rücknahme der Berufung nicht mehr wirksam erklärt werden.537
2. Eindeutige Erklärung Die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme setzt nach einer Entscheidung des IV. Zivilsenates voraus, dass sie, wenn auch nicht unbedingt ausdrücklich, so doch eindeutig erklärt wird. Der Rechtsmittelführer müsse klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er das Verfahren nicht mehr fortsetzen und ohne Entscheidung des Rechtsmittelgerichts beenden wolle.538
680
Wenn ein Prozessbevollmächtigter namens zweier Berufungsklägerinnen „Berufung“ einlegt und unter Wiederholung der in der Berufungsschrift – in Übereinstimmung mit dem Rubrum der angefochtenen Entscheidung – zutreffend wiedergegebenen beiden Parteibezeichnungen – Klägerin und Drittwiderbeklagte – auch für beide das Rechtsmittel zurücknimmt, lässt bereits die Angabe der Parteibezeichnungen beider Rechtsmittelführer an der gebotenen Klarheit keine Zweifel aufkommen, dass auch die Rücknahmeerklärung auf beide Rechtsmittel zu beziehen ist.
681
Für eine irrtümliche Bezeichnung der Drittwiderbeklagten auch als „Klä- 682 gerin“ sei einem solchen Rücknahmeschriftsatz nichts zu entnehmen. Erst recht wäre ein solcher Irrtum für Rechtsmittelgegner und Gericht nicht „ganz offensichtlich“ gewesen. Nur in solchen Fällen könne nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aber in Betracht kommen, eine Rücknahme als unwirksam zu behandeln.539
536 537 538 539
BGH v. 30.3.2006 – III ZB 123/05, BGHReport 2006, 870. OLG Celle v. 14.4.2004 – 4 U 50/04, OLGR Celle 2004, 336. BGH v. 15.3.2006 – IV ZB 38/05, BGHReport 2006, 928. BGH v. 15.3.2006 – IV ZB 38/05, BGHReport 2006, 928.
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Berufungsrücknahme
3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung 683
Haben zwei Prozessbevollmächtigte einer Partei unabhängig voneinander Berufung wegen desselben Anspruchs eingelegt und nimmt einer von ihnen „die Berufung“ ohne weitere Einschränkung zurück, so bewirkt dies den Verlust des Rechtsmittels insgesamt.540
4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung 684
Die verjährungshemmende Wirkung einer zweitinstanzlichen Streitverkündung entfällt nicht dadurch, dass der Berufungsführer sein Rechtsmittel später zurücknimmt. Die Dauer der Hemmung richtet sich nach § 204 Abs. 2 BGB.541
5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO 685
Der Ablauf der Berufungsfrist lässt das Rechtsschutzbedürfnis an der Verlustigerklärung gem. § 516 Abs. 3 ZPO trotz eingetretener Rechtskraft des Urteils nicht entfallen. Diese Erklärung dient in erster Linie der Erleichterung der Prüfung bei Erteilung des Rechtskraftzeugnisses und der sich daraus ergebenen Vorteile für den inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts. Der Verlustigkeitsbeschluss schneidet dem Rechtsmittelkläger die Möglichkeit ab, seine Rechtsmittelrücknahme und deren Ordnungsmäßigkeit in Zweifel zu ziehen.542
686
Die in einem außergerichtlichen Vergleich enthaltene abweichende Kostenregelung für das Berufungsverfahren nach Zurücknahme der Berufung geht der Kostenfolge des § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO allerdings vor.543
687
Führt die Rücknahme des Rechtsmittels gegen ein Grundurteil zu einer Entscheidung nach § 516 Abs. 3 ZPO und schon zu einer entsprechenden Kostenfestsetzung, erfordert die in einem dann erst nachfolgenden Vergleich vereinbarte umfassende Kostenaufhebung die Rückfestsetzung, sofern nicht ausdrücklich vereinbart wird, dass der Vergleich bereits festgesetzte Kosten unberührt lässt.544
540 541 542 543 544
176
OLG Bremen v. 13.1.2006 – 4 U 37/05, OLGR Bremen 2006, 418. OLG Koblenz v. 6.4.2006 – 5 U 531/05. OLG Frankfurt v. 18.7.2005 – 4 U 101/05, OLGR Frankfurt 2006, 265. OLG Frankfurt v. 23.10.2003 – 5 U 187/03, OLGR Frankfurt 2004, 272. OLG Koblenz v. 1.9.2005 – 14 W 562/05.
IX. Berufungsentscheidung Die Berufung kann mangels Zulässigkeit verworfen werden, § 522 Abs. 1 ZPO. Sie kann nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Das geschieht regelmäßig durch Beschluss.
688
Sie kann nach § 538 Abs. 1 ZPO zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils führen. Und sie kann nach § 538 Abs. 2 ZPO unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht führen.
689
1. Hinweise vor der Entscheidung Jedenfalls darf das Berufungsgericht seine das erstinstanzliche Urteil än- 690 dernde Entscheidung auf eine von diesem abweichende und von einer Partei in erster Instanz lediglich am Rande in Betracht gezogene Vertragsauslegung nur stützen, wenn es die Parteien darauf zuvor unmissverständlich hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.545 Wenn das Rechtsmittelgericht im Hinblick auf das Fehlen einer Prozessvoraussetzung (hier: ordnungsgemäße Vertretung einer Partei) eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung der Rechtslage vornehmen will, bedarf es eines rechtzeitigen Hinweises. Diese Hinweispflicht entfällt grundsätzlich auch dann nicht, wenn sich aus einem Vorprozess eine bestimmte Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts erschließen lässt.546 Es verletzt den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör, wenn das 691 Berufungsgericht nach mündlicher Verhandlung zunächst die Bestimmung eines neuen Termins „von Amts wegen“ ankündigt, die Berufung jedoch anschließend durch Beschluss nach § 519b Abs. 2 ZPO a.F. verwirft, ohne zuvor auf die Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung hinzuweisen.547 Soweit eine Partei das Berufungsgericht nicht mehr für unparteilich hält 692 (etwa wegen eines vom Berufungsgericht erteilten Hinweis an die Gegenseite), kann sie dies im Revisionsverfahren nicht mehr zum Gegenstand einer Verfahrensrüge machen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht aus § 42 Abs. 2 ZPO nach § 43 ZPO durch Antragstellung oder weitere Einlassung in die Verhandlung verloren hat.548 545 546 547 548
BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/02, BGHReport 2005, 302. BGH v. 15.3.2006 – IV ZR 32/05, BGHReport 2006, 991. BGH v. 28.6.2006 – XII ZB 9/04. BGH v. 7.12.2005 – XII ZR 94/03, BGHReport 2006, 302, FamRB 2006, 76 = FamRZ 2006, 261.
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Berufungsentscheidung
2. Verwerfungsbeschluss 693
Nach der Zustellung des Beschlusses über die Verwerfung der Berufung als unzulässig kann nach dem OLG Celle die Rücknahme der Berufung nicht mehr wirksam erklärt werden.549
694
Soweit gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts die Rechtsbeschwerde geführt werden soll, gilt: – Die Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die belegen sollen, dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt war, wenn sie in der Berufungsinstanz nicht vorgetragen worden sind.550 – Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist auch dann zulässig, wenn die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist.551 Die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO gilt dort nicht.552 – Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.553
3. Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO 695
Mit einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO kann die Berufung nur als unbegründet zurückgewiesen werden. § 522 Abs. 3 ZPO schränkt die durch § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO eröffnete Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss nicht ein.554 a) Voraussetzungen aa) Offensichtlichkeit der Unbegründetheit
696
Der Gesetzgeber hat die Erforderlichkeit einer „offensichtlichen“ Unbegründetheit der Berufung als Voraussetzung für die einstimmige Zurückweisung gerade nicht in das Gesetz übernommen, die Zurückweisung der 549 OLG Celle v. 14.4.2004 – 4 U 50/04, OLGR Celle 2004, 336. 550 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 40/03, MDR 2004, 107 = NJW 2004, 71 = FamRZ 2004, 180. 551 BGH v. 4.9.2002 – VIII ZB 23/02, MDR 2002, 1446. 552 BGH v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, MDR 2003, 46. 553 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05, BGHReport 2006, 1119. 554 BGH v. 20.6.2006 – VI ZB 75/05.
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Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO
Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die fehlende Erfolgsaussicht besonders deutlich ins Auge springt.555 bb) Kein Ermessen § 522 Abs. 2 ZPO eröffnet keinen Ermessensspielraum. Es besteht ledig- 697 lich ein Beurteilungsspielraum für die Frage, ob die Voraussetzungen für das Beschlussverfahren vorliegen. Das Berufungsgericht muss von dem Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO Gebrauch machen, wenn es nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage einstimmig der Ansicht ist, dass die Tatbestandsmerkmale dieser Norm im konkreten Fall erfüllt sind.556 cc) Verlängerung der Stellungnahmefrist restriktiver Das OLG Rostock hat entschieden, dass die zur Verlängerung der Frist 698 für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) höchstrichterlich entwickelte „Vertrauensrechtsprechung“ auf den Antrag zur Verlängerung der nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmten Stellungnahmefrist keine uneingeschränkte Anwendung finde. Im Anwendungsbereich des § 522 Abs. 2 ZPO seien die eine Fristverlängerung rechtfertigenden „erheblichen Gründe“ restriktiver zu beurteilen. Ein Vertrauen auf eine Verlängerung der Stellungnahmefrist (§ 522 Abs. 2 S. 2 ZPO) sei nicht gerechtfertigt, wenn die gerichtlich auf einen Monat bestimmte Frist zugleich mit dem Hinweis verbunden werde, dass eine Fristverlängerung grundsätzlich nicht gewährt werden könne, der Berufungsführer aber erst am letzten Tag des Fristablaufs eine Verlängerung beantrage, ohne eingehend zu den „erheblichen Gründen“ vorzutragen.557 dd) Erfolgsaussichten einer Klageerweiterung irrelevant Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung befasst sich das Berufungs- 699 gericht nicht mit der in der Berufungsinstanz durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger erweiterten Klage; es prüft insb. nicht deren Erfolgsaussicht. Mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung wirkungslos.558
555 556 557 558
KG v. 10.11.2003 – 22 U 216/03, MDR 2004, 647. KG v. 2.11.2004 – 7 U 50/04, KGR Berlin 2005, 109. OLG Rostock v. 27.5.2003 – 6 U 43/03, OLGR Rostock 2004, 127. OLG Rostock v. 12.6.2003 – 3 U 96/03, OLGR Rostock 2003, 355.
179
Berufungsentscheidung
ee) Klageänderung/Widerklage 700
Eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung oder Widerklage schließt nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht aus.559
701
Gleichlautend das OLG Köln, welches ergänzt, dass gleichfalls nichts entgegenstehe, wenn das LG eine Erbauseinandersetzungsklage als unzulässig abgewiesen habe, während sie tatsächlich unbegründet sei.560
702
Mit der Zurückweisung einer Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO wird eine zugleich erhobene (neue) Widerklage wirkungslos.561 ff) § 522 Abs. 2 und § 538 ZPO
703
Hat das Berufungsgericht trotz wesentlicher Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens gem. § 538 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden, kann dies auch durch einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO geschehen, wenn die Berufung gleichwohl in der Sache aussichtslos ist.562 gg) Berufungseinlegung durch mehrere Parteien
704
Eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zulässig, auch wenn mehrere Parteien Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt haben und das Berufungsgericht nur eines der Rechtsmittel als unbegründet erachtet.563 hh) Teilzurückweisung
705
Bei Vorliegen der gem. § 301 ZPO für ein Teilurteil erforderlichen Voraussetzungen kann eine Berufung auch teilweise durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden.564 b) Vereinbarkeit mit EMRK und Verfassung
706
Aus Art. 6 EMRK ergibt sich nicht die unbedingte Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz in jedem Fall; eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn nur über die Zulässigkeit verhandelt wird, die sachlichen Angriffe des Rechtsmittelführers für 559 560 561 562 563
OLG Nürnberg v. 24.2.2003 – 13 U 3187/02, OLGR Nürnberg 2003, 242. OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Karlsruhe v. 28.1.2003 – 1 U 105/02, MDR 2003, 144 = OLGR Karlsruhe 2003, 144. 564 OLG Köln v. 3.3.2004 – 2 U 118/03.
180
Berufungsurteil
die Entscheidung ohne Bedeutung sind oder die Angriffe des Berufungsführers angemessen auf der Grundlage des Inhalts der Akten behandelt werden können.565 § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO ist nicht verfassungswidrig.566
707
c) Rechtsmittel gegen den Beschluss Vor dem Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes war nach vereinzelter Meinung gegenüber einem die Berufung zurückweisenden Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO in analoger Anwendung des § 321a ZPO die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör statthaft.567
708
Mit Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes gibt es in § 321a ZPO auch einen Rechtsbehelf gegen den Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO.
709
Die Rechtsbeschwerde bleibt unstatthaft, auch wenn sie in dem Be- 710 schluss zugelassen worden ist, durch den das Berufungsgericht die Rüge nach § 321a ZPO gegen einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen hat.568 Es besteht aber – wie immer – die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben.
711
d) Anwendbarkeit auf Entschädigungsverfahren Die Vorschriften der Zivilprozessordnung sind im Verfahren vor den Ent- 712 schädigungsgerichten in ihrer jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden (dynamische Verweisung). Die Berufung kann auch im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten durch unanfechtbaren Beschluss zurückgewiesen werden.569
4. Berufungsurteil a) Fehlerhaft aber zutreffend Eine Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen das Grundrecht auf 713 rechtliches Gehör, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des Vorbringens zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
565 566 567 568 569
OLG Celle v. 6.6.2002 – 2 U 31/02, ProzRB 2003, 146. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. BGH v. 6.10.2004 – XII ZB 137/03, BGHReport 2005, 127. BGH v. 6.7.2006 – IX ZB 261/04.
181
Berufungsentscheidung
714
Der Verfahrensfehler führt nicht zur Zulassung der Revision, wenn sich das Berufungsurteil aufgrund umfassender revisionsrechtlicher Überprüfung aus anderen Gründen als zutreffend erweist.570 b) Horizontales (Teil-)Versäumnisurteil, § 539 ZPO
715
Wenn das Familiengericht einer Klage auf nachehelichen Unterhalt teilweise stattgibt, der Beklagte dann mit der Berufung die vollständige Abweisung begehrt, die Klägerin mit einer Anschlussberufung den restlichen Unterhalt, ist fraglich, wie zu entscheiden ist, wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dann nur den Antrag auf Abweisung der Berufung, aber keinen Antrag zu ihrer Anschlussberufung stellt. Soweit der Beklagte darauf die Zurückweisung der Anschlussberufung durch Versäumnisurteil beantragt (horizontales Teilversäumnisurteil), ist dem nach Auffassung des OLG Koblenz stattzugeben.571
716
Das OLG Frankfurt stellte klar, unter welchen Voraussetzungen Teilversäumnis- und Teilurteil bei Säumnis des Klägers und Berufungsbeklagten ergehen dürfe.572 Infolge der Berufungsbeklagtensäumnis sei gemäß § 539 Abs. 2 S. 1 ZPO nur das tatsächliche Vorbringen des Beklagten als zugestanden anzusehen, für Rechtsfragen gelte diese Geständnisfiktion nicht.
717
Auf diese Weise kann es in Abhängigkeit vom Berufungsklägervortrag zur (teilweisen) Zurückweisung der Berufung des Beklagten durch kontradiktorisches Urteil („unechtes Versäumnisurteil“) kommen, zur (teilweisen) Abweisung der Klage durch (echtes) Versäumnisurteil und (bei wesentlichen Verfahrensfehlern) zur (teilweisen) Zurückverweisung der Sache. Über das letzte kann nicht durch Versäumnisurteil entschieden werden, da die Entscheidung darüber, ob ein Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist, keine durch Versäumnisurteil zu treffende Sachentscheidung ist. c) Protokollurteil, § 540 ZPO
718
§ 540 ZPO regelt Erleichterungen für die Abfassung eines Berufungsurteils. Einige OLG haben es sich aber etwas zu leicht gemacht. aa) Allgemein
719
Findet gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde statt, muss aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand 570 BGH v. 18.7.2003 – V ZR 187/02, ProzRB 2004, 12 = MDR 2004, 48. 571 OLG Koblenz v. 21.7.2004 – 9 UF 133/04, OLGR Koblenz 2005, 17 mit Auseinandersetzung zur (scheinbar) gegenteiligen Meinung des BGH. 572 OLG Frankfurt a.M. v. 15.8.2003 – 2 U 139/02, OLGR Frankfurt 2003, 484.
182
Berufungsurteil
das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen.573 bb) Tatsächliche Grundlagen Ein Berufungsurteil, das keine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthält (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), unterliegt im Revisionsverfahren grundsätzlich von Amts wegen der Aufhebung und Zurückverweisung.574
720
Die Gründe eines Berufungsurteils müssen tatbestandliche Elemente, 721 welche die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung zweifelsfrei erkennen lassen, enthalten, weil andernfalls eine revisionsrechtliche Prüfung nicht möglich ist.575 Eine der seltenen OLG-Entscheidungen in diesem Bereich kommt vom 722 OLG Frankfurt: Vollständigkeit ist keine Anforderung an den Tatbestandsteil des zweitinstanzlichen Urteils. Die Auswahl der für erwähnenswert zu erachtenden tatbestandlichen Aspekte ist originäre Aufgabe des erkennenden Richters. Die Gehörsrüge ist nicht statthaft, soweit die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet ist.576 cc) Berufungsanträge Die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils kann sich nach einer Entscheidung des XI. Zivilsenates nicht auf den in zweiter Instanz gestellten Berufungsantrag erstrecken. Dieser ist auch nach neuem Recht in das Berufungsurteil aufzunehmen. Enthält das Berufungsurteil keine wörtliche Wiedergabe des Berufungsantrags, so muss es wenigstens erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat.577
723
In diesem Sinne auch der V. Zivilsenat: Zu dem aus dem Sitzungspro- 724 tokoll ersichtlichen Parteivorbringen, das ebenfalls der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, gehören nicht die von den Parteien im Berufungsverfahren gestellten Anträge. Sie müssen sich aus dem Berufungsurteil ergeben.578 573 BGH v. 30.9.2003 – VI ZR 438/02, MDR 2004, 289. 574 BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 122/03, ProzRB 2004, 158 = MDR 2004, 464. 575 BGH v. 6.6.2003 – V ZR 392/02, MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273; BGH v. 8.2.2006 – XII ZR 57/03, BGHReport 2006, 872. 576 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2006 – 24 U 198/02, OLGR Frankfurt 2006, 646. 577 BGH v. 13.1.2004 – XI ZR 5/03, MDR 2004, 704. 578 BGH v. 14.1.2005 – V ZR 99/04, MDR 2004, 705.
183
Berufungsentscheidung
dd) Widerspruchsfreiheit 725
Macht das Berufungsgericht von der Möglichkeit Gebrauch, anstelle eines eigenen Tatbestandes auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug zu nehmen und diesem nur eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen beizufügen, so dürfen sich bei einer Zusammenschau seiner eigenen Darstellungen und der tatsächlichen Feststellungen aus dem Urteil der Vorinstanz keine Widersprüche ergeben. Ist wegen eines solchen Widerspruchs eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht möglich, so ist das Berufungsurteil von Amts wegen aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.579
726
Nimmt das Berufungsgericht im Tatbestand auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug und geht es in seinen weiteren Ausführungen von entscheidungserheblichen Tatsachen aus, die im Widerspruch zum Tatbestand des angefochtenen Urteils stehen, ohne diese Abweichung zu erläutern, ist das Revisionsgericht an solche Tatsachen nicht gebunden. Das angefochtene Urteil ist dann schon deshalb aufzuheben, weil sein Tatbestand keine verlässliche Beurteilungsgrundlage für das Revisionsgericht bildet.580 ee) Folgen ohne Begründung/Abweichen ohne Begründung
727
Ist der Parteivortrag im Berufungsverfahren ergänzt worden und hielt das Berufungsgericht eine weitere Beweisaufnahme für erforderlich, muss es im Urteil eine kurze Begründung dafür geben, weshalb es dem erstinstanzlichen Urteil in vollem Umfang folgt.581
728
Bei einem Berufungsurteil müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung auch im Falle des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der in ihm enthaltenen Bezugnahmen so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist.
729
Insbesondere bei Teilabweichungen von der Entscheidung erster Instanz muss eine Darstellung der aufgrund der Beweisaufnahme getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die erste Instanz und etwaige Änderungen oder Ergänzungen im Berufungsverfahren erfolgen.582 ff) Urteil im Verhandlungstermin
730
Die Regelung des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO, die es für im Verhandlungstermin verkündete Urteile erlaubt, die erforderlichen Darlegungen in das Protokoll aufzunehmen, setzt die Mindestanforderungen des § 540 Abs. 1 579 580 581 582
184
BGH v. 7.11.2003 – V ZR 141/03, ProzRB 2004, 162 = MDR 2004, 391. BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 381/03, MDR 2005, 1044. BGH v. 30.9.2003 – VI ZR 438/02, MDR 2004, 289. BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 362/03, MDR 2005, 346.
Berufungsurteil
S. 1 Nr. 1 ZPO in Bezug auf tatbestandliche Darstellung und Wiedergabe der Berufungsanträge nicht herab.583 Auch das sogenannte Protokollurteil nach § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO muss 731 nicht sogleich im Anschluss an die mündliche Verhandlung über die Berufung, über die in dem Urteil entschieden wird, verkündet werden; möglich ist auch die Verkündung am Schluss der Sitzung, nachdem das Berufungsgericht noch andere Sachen verhandelt hat. Bei dem Erlass eines Protokollurteils muss das Sitzungsprotokoll neben den übrigen Angaben nach § 160 ZPO die Urteilsformel, die Darlegungen nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO und die Verkündung des Urteils enthalten.
732
Der Protokollinhalt nach § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO bildet die für die revisi- 733 onsrechtliche Überprüfung des Protokollurteils nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage; er hat insoweit dieselbe Funktion wie die Bezugnahmen und Darlegungen nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO in einem Berufungsurteil, das in einem späteren Termin verkündet wird.584 gg) Altfälle Für Altfälle und damit nur noch für eine begrenzte Dauer interessant, ist eine Entscheidung des BGH, mit welcher bei Berufungsurteilen nach altem Recht, für die Revision nach neuem Recht zu führen ist, Tatbestands- und Berufungsantragswiedergabe verlangt werden.585
734
d) Zurückverweisung, § 538 Abs. 2 ZPO, vs. Selbstentscheidung aa) Grundsatz: Selbstentscheidung durch das Berufungsgericht Grundsätzlich hat das Berufungsgericht selbst zu entscheiden, § 538 735 Abs. 1 ZPO. Ansonsten kann es – neben der Ausnahme nach § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO – nur auf Antrag mindestens einer Partei, die Sache zurückverweisen, § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO. bb) Ausnahme: Zurückverweisung nach Ermessenausübung Das Berufungsgericht hat sich nach Auffassung des VII. Zivilsenates da- 736 mit auseinander zu setzen, dass es nach § 538 Abs. 1 ZPO die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden hat. Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO und der eigenen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht gemäß 583 BGH v. 10.2.2004 – VI ZR 94/03, ProzRB 2004, 191 = MDR 2004, 826. 584 BGH v. 6.2.2004 – V ZR 249/03, MDR 2004, 827. 585 BGH v. 13.8.2003 – XII ZR 303/02, MDR 2004, 44.
185
Berufungsentscheidung
§ 538 Abs. 1 ZPO stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. 737
Dabei habe es zu erwägen, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits und zu weiteren Nachteilen führe und dies den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen könne. Wenn sich das Berufungsgericht gleichwohl für eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO entscheide, müsse es nicht nur im Fall des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, sondern auch bei einem Fall des § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO zur Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens erkennen lassen, dass es den maßgeblichen Gesichtspunkt der Prozessökonomie in Betracht gezogen habe Eine bloß formelhafte Erwähnung der Ermessensausübung durch das Berufungsgericht lasse nicht erkennen, dass diese den vorgenannten Anforderungen genüge.586
738
Das wurde vom X. Zivilsenat (allerdings im Kontext mit dem vor der ZPO-Reform geltenden § 539 ZPO a.F.) genauso gesehen.587
739
Wenn es nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zurückverweisen will, ist das Berufungsgericht gehalten, nachprüfbar darzulegen, inwieweit eine noch ausstehende Beweisaufnahme so aufwendig oder umfangreich ist, dass es gerechtfertigt ist, die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.588
740
Eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten dazu einholen muss, inwieweit ein Mangel eines Bauwerks durch den Unternehmer verursacht worden ist.589 cc) Keine Zurückverweisung bei Endentscheidungsreife
741
Bereits vorher entschied der II. Zivilsenat, das Berufungsgericht dürfe die Sache nicht gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO an die Vorinstanz zurückverweisen, wenn der Rechtsstreit ohne weitere Verhandlung zur Endentscheidung – durch Abweisung der Klage als unzulässig – reif ist.590
586 587 588 589 590
186
BGH v. 10.3.2005 – VII ZR 220/03, MDR 2005, 921. BGH v. 1.2.2005 – X ZR 112/02, MDR 2005, 1096. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 270/03, MDR 2005, 645. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 270/03, MDR 2005, 645. BGH v. 28.2.2005 – II ZR 220/03, FamRZ 2005, 882, BGHReport 2005, 914.
Berufungsurteil
dd) Einzelfälle zu § 538 Abs. 1 ZPO (1) (Keine) Verfahrensfehler, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (a) Vom Anwalt übersehene Gesichtspunkte/Nebenforderungen Ein Gericht ist nicht bereits deshalb zur Erteilung eines gerichtlichen 742 Hinweises verpflichtet, weil eine – anwaltlich vertretene – Partei hierum gebeten hat. Von einem Übersehen eines Gesichtspunktes i.S.d. § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO kann nicht ausgegangen werden, wenn einer Partei die Problematik einer bestimmten Rechtsfrage bewusst ist, sie aber an ihrem von dem Prozessgegner abweichenden Rechtsstandpunkt festhält. Die Partei darf sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht ihrer Rechtsauffassung folgt, es sei denn, dass das Gericht diesen Eindruck hervorgerufen hat.591 Es gibt keine Hinweispflicht des Gerichts bei Nebenforderungen.592
743
(b) Nicht verwertete Alternativgutachten/Gegenzeugen Es stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der auf Antrag zur Zurückverweisung führen kann, wenn das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung auf ein Privatgutachten stützt, ohne ein gerichtliches Gutachten einzuholen, obwohl unstreitig ein weiteres Gutachten vorliegt, das in wesentlichen Punkten zu anderen Ergebnissen kommt als das verwertete Privatgutachten.593
744
Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt 745 auch vor, wenn das Erstgericht zwar einen von den Beklagten benannten Zeugen vernimmt und darauf die Abweisung der Klage stützt, jedoch die vom Kläger rechtzeitig benannten und ebenfalls erschienenen drei Gegenzeugen nicht hört.594 Im Zivilprozess haben die Parteien nach einer Entscheidung des OLG Koblenz Anspruch auf eine unmittelbare Beweisaufnahme. Bei Streit über Anlass und Verlauf einer tätlichen Auseinandersetzung dürfe dieses Recht nicht durch die bloße Verwertung von Strafakten unterlaufen oder ausgehöhlt werden.
746
Das gelte namentlich, weil entgegen den Anträgen der Parteien weder der 747 Sohn des Klägers noch dessen Freund als Zeuge gehört worden seien und auch die vom Kläger gewünschte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Geschehensablauf unterblieben sei. Zwar stehe außer Frage, dass die Beweisergebnisse anderer gerichtlicher Verfahren urkunden591 592 593 594
OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. OLG Schleswig v. 12.8.2004 – 7 U 10/04, OLGR Schleswig 2005, 99. OLG Hamburg v. 17.3.2004 – 14 U 160/03, OLGR Hamburg 2005, 216. KG v. 28.2.2005 – 12 U 36/04, KGR Berlin 2005, 479.
187
Berufungsentscheidung
beweislich in einen Zivilprozess eingeführt werden könnten. Aber das berühre nicht den Anspruch der Parteien darauf, dass zum maßgeblichen Sachverhalt Zeugen befragt und Sachverständige gehört werden. 748
Der Urkundenbeweis sei nicht dazu da, das grundlegende Recht auf eine unmittelbare Beweisaufnahme zu verkürzen. Der persönliche Eindruck, den ein Zeuge mache, oder die Antworten, die er oder ein Sachverständiger auf die konkreten Fragestellungen des Prozesses gäben, böten eine höhere Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit, als sie allein durch anderweitige Niederschriften vermittelt werden könne. Die persönliche Einvernahme der beiden im Raum stehenden Zeugen sei konkret um so mehr geboten gewesen, als sich das Strafurteil aus dem Jahr 2003, auf dass das LG hauptsächlich abgehoben habe, mit auf die Darstellung des Klägers und damit einer Partei des hiesigen Rechtsstreits gründete, die zivilprozessual grundsätzlich nicht als Beweismittel zur Verfügung stehe.
749
Dabei komme noch hinzu, dass die zur strafrechtlichen Beurteilung herangezogenen Aussagenprotokolle im Hinblick auf das Verhalten des Beklagten Schilderungen enthalten hätten, die von einander abwichen.595 (c) Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe
750
Gemäß § 375 Abs. 1 ZPO setzt eine Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe (u.a.) voraus, dass von vornherein anzunehmen ist, das Prozessgericht werde das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß würdigen können. Erweist sich eine solche Annahme im Nachhinein als nicht gerechtfertigt, so ist die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht zu wiederholen. Im konkreten Fall stand jedenfalls nach dem Ergebnis der Rechtshilfevernehmung fest, dass die streitentscheidende Kammer keine Beweiswürdigung vornehmen durfte, ohne einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gewonnen zu haben. Wenn das LG, nachdem es die Beweisaufnahme ersuchten Gerichten übertragen, sich mit dem auf diese Weise erzielten Beweisergebnis gleichwohl begnügt hat, ist das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt (§§ 355, 375, 398 Abs. 1 ZPO).596 (d) Nicht hinzugezogener Sachverständiger
751
Im Arzthaftungsprozess darf das Gericht nur maßvolle Anforderungen an die Darlegungs- und Substantiierungslast des klagenden Patienten stellen, da diesem typischerweise die nötige medizinische Fachkenntnis fehlt. Es muss den Sachverhalt „von Amts wegen“ aufklären. Auch darf
595 OLG Koblenz v. 3.11.2005 – 5 U 452/05, OLGR Koblenz 2006, 106. 596 OLG Frankfurt a.M. v. 7.10.2004 – 6 U 81/04, OLGR Frankfurt 2005, 321.
188
Berufungsurteil
das Gericht den medizinischen Sorgfaltsmaßstab nicht ohne gutachterliche Beratung durch einen medizinischen Sachverständigen festlegen. Verkennt das erstinstanzliche Gericht diese besonderen prozessualen Grundsätze für Arzthaftungssachen und entscheidet es über die Klage ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen, so liegt darin ein wesentlicher Verfahrensmangel. Dieser kann – sofern eine Partei dies beantragt – gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung einschließlich des ihr zugrunde liegenden Verfahrens und zur Zurückweisung der Sache an das Gericht der ersten Instanz führen.597 (e) Unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen Die unkritische Übernahme von Bewertungen eines gerichtlich bestell- 752 ten Sachverständigen (hier zum Aufmaß und zum Einheitspreis als Grundlage der Bewertung einer Werkleistung) und die Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs durch das erstinstanzliche Gericht, indem es sich nicht mit den detaillierten Einwendungen der unterliegenden Partei gegen die Feststellungen des Gutachters auseinander setzt, führen zur Aufhebung und Zurückverweisung des erstinstanzlichen Urteils.598 (f) Nicht berücksichtigter Beweisantrag bei ausbleibendem Kostenvorschuss Hat das Gericht einen Klageerweiterungsschriftsatz zugestellt, muss es das darin enthaltene Vorbringen auch dann berücksichtigen, wenn die klagende Partei den für die Erweiterung angeforderten Gerichtskostenvorschuss nicht eingezahlt hat. Die Nichtzahlung des Gerichtskostenvorschusses für ein Sachverständigengutachten führt nicht zum Beweismittelausschluss, sondern allenfalls – nach den Grundsätzen des Verspätungsrechts – zur Zurückweisung des Beweisantrages. Eine 7 Wochen verspätete Einzahlung des Vorschusses verzögert den Rechtsstreit nicht i.S.d. § 296 Abs. 2 ZPO, wenn bei rechtzeitiger Zahlung ohnehin ein zeitaufwendiges Mängelbegutachtungsverfahren hätte in Gang gesetzt werden müssen. Eine Partei, die während des Rechtsstreits erfolglos die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Gegners betreibt und mit Rücksicht auf das daraus ersichtliche Kostenrisiko von der Einzahlung weiterer Gerichtskostenvorschüsse vorerst absieht, handelt nicht grob fahrlässig.599
597 OLG Brandenburg v. 5.4.2005 – 1 U 34/04, OLGR Brandenburg 2005, 489. 598 OLG Frankfurt a.M. v. 7.3.2006 – 9 U 30/04. 599 OLG Rostock v. 26.6.2003 – 7 U 152/02, OLGR Rostock 2004, 176.
189
753
Berufungsentscheidung
(g) Verdeckte Änderung vorher bekanntgegebener Einschätzungen 754
Rückt das Gericht von einer zuvor durch prozessleitende Maßnahmen zum Ausdruck gekommenen Einschätzung ab, so entspricht es dem Gebot des fairen Verfahrens, die Parteien rechtzeitig vor Schluss der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Einschätzung hinzuweisen (§ 139 Abs. 2 ZPO). Damit die Parteien der geänderten prozessualen Situation Rechnung tragen können, kann es im Einzelfall geboten sein, die mündliche Verhandlung zu vertagen.600 (h) Nichtanhörung betroffener Kinder in Sorgerechtsverfahren
755
Die Nichtanhörung des betroffenen Kindes im Sorgerechtsverfahren ist i.d.R. ein schwerer Verfahrensmangel, der es auch nach der Neuregelung des § 538 ZPO rechtfertigt, den ergangenen Beschluss nach dem freien Ermessen des Beschwerdegerichts ohne Rüge oder besonderen Antrag eines Beteiligten aufzuheben und zur erneuten.601 (i) Verspätungszurückweisung ohne Klärung einer Verzögerung
756
Solange nicht feststeht, ob verspäteter Tatsachenvortrag streitig und beweisbedürftig ist, scheidet § 296 Abs. 1 ZPO aus. Erst eine konkrete Erwiderung des Gegners erlaubt die Prüfung, ob verspäteter Vortrag verzögert und deshalb zurückzuweisen ist. Wenn sich die von dem neuen Vorbringen überraschte Partei nicht sogleich substantiiert erklären kann, hat sie die Möglichkeit, die Bewilligung einer Erwiderungsfrist zu beantragen (§ 283 ZPO). Die durch verspätetes Vorbringen veranlasste Notwendigkeit, eine Erklärungsfrist nach § 283 ZPO zu gewähren, bedeutet für sich keine Verzögerung des Rechtsstreits i.S.v. § 296 ZPO, die eine Zurückweisung rechtfertigen würde. Die sofortige Zurückweisung ohne vorherige Anregung einer Schriftsatzfrist nach § 283 ZPO stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 139 ZPO) dar. Dieser Verfahrensfehler wird nicht dadurch geheilt, dass sich aus dem nachgereichten Vorbringen des Beklagten in der Berufungsinstanz ergibt, dass auch bei richtigem Vorgehen nach § 283 ZPO eine Zurückweisung der Klagebegründung als verspätet erfolgt wäre.602
600 OLG Saarbrücken v. 10.12.2003 – 5 U 259/03-29, OLGR Saarbrücken 2004, 248. 601 OLG Köln v. 29.10.2003 – 26 UF 161/03, OLGR Köln 2004, 52. 602 OLG Karlsruhe v. 28.10.2003 – 17 U 59/02, OLGR Karlsruhe 2004, 86.
190
Berufungsurteil
(j) Übergangener Sachvortrag Übergeht das Gericht Sachvortrag einer Partei, ohne dass dafür eine gesetzliche Grundlage ersichtlich ist, stellt dies einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar, der auch nach neuem Berufungsrecht die Zurückverweisung des Rechtsstreits rechtfertigt.603
757
Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kommt dann in Be- 758 tracht, wenn das rechtliche Gehör einer Partei verletzt worden ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Behauptung einer Partei nicht berücksichtigt wird, weil sie sich als „Schutzbehauptung“ darstelle.604 (k) Überraschung! – Beweiserhebung ohne jede Verwertung Es handelt sich um eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentschei- 759 dung, wenn das Gericht auf der Grundlage des Parteivorbringens zunächst Beweis erhebt, sodann aber das Vorbringen – ohne Hinweis nach § 139 ZPO – als unsubstantiiert unberücksichtigt lässt. Regelmäßig macht sich eine Partei ihr günstige Ergebnisse der Beweisaufnahme zu Eigen.605 (l) Überraschung! – Nicht erörterte Entscheidungsgrundlage Will das Erstgericht seine Entscheidung auf eine von den Parteien nicht 760 ausdrücklich vorgetragene Klausel des Mietvertrages (hier: Kleinreparaturklausel) stützen, hat es der davon rechtlich benachteiligten Partei einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.606 Wenn das Erstgericht die Vergütungsklage eines Auftragnehmers mangels Fälligkeit sowie wegen Fehlens einer prüfbaren Abrechnung als derzeit unbegründet abgewiesen hat, ohne diese Gesichtspunkte (spätestens) in der mündlichen Verhandlung – einem frühen ersten Termin – ausreichend erörtert zu haben, unterliegt dies der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.607
761
(m) Bindung an Einzelrichterverweisungsbeschluss – Kammerentscheidung Das Gericht, an das wegen örtlicher Zuständigkeit verwiesen wird, ist an 762 den Einzelrichterbeschluss des verweisenden Gerichts gebunden. Eine
603 OLG Karlsruhe v. 26.6.2002 – 7 U 16/02, OLGR Karlsruhe 2002, 363. 604 KG v. 10.3.2005 – 8 U 122/04, KGR Berlin 2005, 603. 605 OLG Saarbrücken v. 18.6.2003 – 1 U 167/03-41, OLGR Saarbrücken 2003, 330. 606 OLG Düsseldorf v. 20.12.2005 – I-24 U 68/05. 607 OLG Bamberg v. 15.12.2003 – 4 U 92/03, OLGR Bamberg 2004, 124.
191
Berufungsentscheidung
Entscheidung durch die Kammer ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.608 (n) Entscheidung trotz Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung 763
Ist der Rechtsstreit wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochen, darf nach dem OLG Oldenburg eine Entscheidung nur im Falle der ordnungsgemäßen Aufnahme des Rechtsstreits ergehen. Im Falle der Entscheidung trotz Unterbrechung kann das Berufungsgericht den Rechtsstreit analog § 538 Abs. 2 ZPO an das LG zurückverweisen.609 Nahezu gleichlautend wenig später das OLG Hamburg: Hat das Gericht die Rechtsfolge der Unterbrechung des Verfahrens wegen der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen des verklagten Schuldners (§§ 240, 249 ZPO) außer Acht gelassen, so ist auch der Insolvenzschuldner befugt, die ergangene Entscheidung mit Hilfe des gesetzlichen Rechtsmittels zu beseitigen. Auf das Rechtsmittel der Berufung ist ein solches Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit in analoger Anwendung von § 538 Abs. 2 ZPO an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.610 (o) Keine absoluten Berufungsgründe: Verkündungsfehler ohne Relevanz
764
Die fehlende Unterschrift eines Richters, der bei der Entscheidung mitgewirkt hat, kann nicht mehr nachgeholt werden, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils abgelaufen ist.611 Fehlt eine solche Unterschrift ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, § 547 Nr. 6 ZPO. Die absoluten Revisionsgründe enthalten Kausalitätsvermutungen für die in ihnen beschriebenen Fälle.
765
Über § 513 ZPO gilt § 546 ZPO und damit auch die Regelung des § 547 ZPO. Das sieht das KG allerdings anders: § 513 ZPO verweise lediglich auf § 546 ZPO, nicht jedoch auch auf § 547 ZPO; diese Vorschrift sei als Ausnahmetatbestand auch nicht analogiefähig. Die ZPO sehe für das Berufungsverfahren – anders als in § 547 ZPO für die Revision – keine absoluten Berufungsgründe vor. Selbst wenn das angefochtene Urteil in vollständiger Fassung prozessordnungswidrig erst später als 5 Monate nach seiner Verkündung zugestellt werde (wesentlicher Verfahrensmangel),
608 609 610 611
192
OLG Frankfurt a.M. v. 11.4.2003 – 2 U 20/02, OLGR Frankfurt 2003, 340. OLG Oldenburg v. 22.2.2005 – 2 U 97/04, OLGR Oldenburg 2005, 289. OLG Hamburg v. 7.6.2005 – 9 U 167/03, OLGR Hamburg 2005, 765. BGH v. 27.1.2006 – V ZR 243/04.
Berufungsurteil
könne der Rechtsstreit nicht allein deshalb an das Erstgericht zurückgewiesen werden, weil die Entscheidung nicht darauf beruhe.612 Überzeugend ist das nicht. Warum ein Rechtsverstoß, der so schwerwie- 766 gend ist, dass für die Revision auf einen Nachweis des Beruhens verzichtet wird, in der Berufung mehr Nachweisaufwand erfordern sollte, ist nicht nachvollziehbar.613 (2) Nachverfahren, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Hat das Erstgericht eine – (unter dem Gesichtspunkt der vertraglichen 767 Einstandspflicht) nach Grund und Höhe unbestrittene – Klageforderung zugesprochen, ohne die Aufrechnung des Beklagten mit Gegenansprüchen in gleicher Höhe zuzulassen, so kann das Berufungsgericht, wenn es das vom Erstgericht angenommene Zulassungshindernis verneint, aber die aufgerechneten Gegenforderungen nicht für spruchreif hält, Vorbehaltsurteil erlassen und in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 ZPO den Rechtsstreit wegen des Nachverfahrens an die erste Instanz zurückverweisen.614 (3) Teilurteil, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Die Besonderheit der Fälle von Nr. 7 liegt darin, dass hier gemäß § 538 Abs. 3 S. 3 ZPO eine Zurückweisung auch ohne Antrag erfolgen kann.
768
Wird aufgrund desselben Schadensereignisses sowohl ein Zahlungsantrag 769 als auch ein Feststellungsantrag bezüglich künftiger Schäden gestellt und ist der Zahlungsantrag hinsichtlich des Grundes entscheidungsreif, so darf über diesen durch (Teil-)Grundurteil nur entschieden werden, wenn gleichzeitig über den Feststellungsantrag durch Teilurteil entschieden wird. Ist dies noch nicht möglich, so hat auch Entscheidung über den Zahlungsantrag dem Grunde nach zu unterbleiben. Im Falle eines Verstoßes hiergegen kann das Berufungsgericht auch ohne den Antrag einer Partei das Urteil aufheben und den Rechtsstreit zurückverweisen.615
612 KG v. 10.7.2006 – 12 U 217/05. 613 Dass damit angesichts von § 538 ZPO noch nichts über das Ergebnis der Berufungsentscheidung gesagt ist, steht auf einem anderen Blatt, vgl. auch MünchKomm-Rimmelspacher, 2. Aufl., § 513 Rz. 13 a.E. 614 OLG Bamberg v. 24.5.2004 – 4 U 208/03, OLGR Bamberg 2004, 363 in Abgrenzung zu OLG Düsseldorf v. 19.12.2000 – 21 U 38/00, OLGReport Düsseldorf 2001, 109 = NJW-RR 2001, 882 (885). 615 OLG Saarbrücken v. 16.3.2004 – 3 U 499/03-43, OLGR Saarbrücken 2004, 414.
193
Berufungsentscheidung
770
Macht ein Patient im Arzthaftungsprozess sowohl einen Schmerzensgeld- als auch einen Feststellungsanspruch geltend, ist ein (Teil-)Grundurteil ausschließlich über den Schmerzensgeldanspruch unzulässig.616
771
Das Gericht darf nicht durch Teilurteil entscheiden, wenn es dabei auf mangelnde Substanz des Vortrages abstellt, obwohl der Rechtsstreit wegen einer weiter gehenden Klageforderung fortzusetzen ist. Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und das Urteil nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der Beklagten die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen.617
772
Erlässt das LG über die erste Stufe einer Klage ein stattgebendes Teilurteil, kann das Berufungsgericht aber auch die gesamte Klage abweisen, soweit es schon die erste Stufe für unbegründet hält und die weiteren Stufen der Klage vom Erfolg der ersten Stufe abhängen.618
773
Wenn das LG ein unzulässiges Teil-Grund-Urteil betreffend den Zahlungsantrag erlassen hat, indem es über den Feststellungsantrag nicht entschieden hat, kann das Berufungsgericht die Entscheidung über den beim LG anhängig gebliebenen Feststellungsantrag an sich ziehen.619
774
Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn es durch das über den Rest ergehende Schlussurteil noch berührt werden kann, mithin die Gefahr widersprechender Entscheidungen gegeben ist. Bei mehrfacher Begründung eines Klageanspruchs ist die Klage im Berufungsverfahren unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht schon deshalb abzuweisen, weil ein einzelner Grund nicht durchgreift. Vielmehr müssen sämtliche weiteren Klagegründe rechtlich gewürdigt werden. Wenn dabei Erwägungen anzustellen sind, die noch Gegenstand des weiterlaufenden Verfahrens in der ersten Instanz sind, ist das Teilurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.620 e) Wertfestsetzung
775
In einem Berufungsurteil, das auf eine nach dem 31.12.2001 geschlossene mündliche Verhandlung ergeht, ist eine Beschwer nicht festzusetzen. Geschieht dies dennoch, ist das Revisionsgericht daran nicht gebunden.621
616 OLG München v. 12.1.2006 – 1 U 3633/05; n. rkr., OLGR München 2006, 341. 617 KG v. 3.3.2006 – 7 U 28/05. 618 OLG Frankfurt a.M. v. 1.6.2005 – 9 U 36/04, OLGR Frankfurt 2006, 79. 619 OLG Hamburg v. 12.3.2003 – 14 U 172/02, OLGR Hamburg 2004, 350. 620 OLG Hamm v. 22.11.2004 – 5 U 80/04, OLGR Hamm 2005, 76. 621 BGH v. 13.10.2004 – XII ZR 110/02, MDR 2005, 228.
194
Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO
f) Keine Anwendung des § 537 ZPO auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils § 537 ZPO ist auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils we- 776 der unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.622 g) Zulassung der Rechtsbeschwerde Die (irrtümliche) Zulassung einer ohnehin kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde (im Fall des § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO) entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und entfaltet deshalb auch keine Bindungswirkung für das Rechtsbeschwerdegericht. Mit der Begründung der Rechtsbeschwerde sind deshalb die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO darzulegen.623
777
h) Zulassungsfreie Revision Geht das Berufungsgericht dagegen irrtümlich von einer zulassungsfreien Revision aus, entscheidet der Bundesgerichtshof im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde über die Zulassung der Revision.624
778
5. Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO Hat das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Berufung ver- 779 sehentlich einen Berufungsantrag übergangen, so kann das Versehen nur durch eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO korrigiert werden, die innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO beantragt werden muss. (In concreto waren drei getrennte Berufungen gegen drei Urteile auf drei getrennte Klagen zu einer Berufung verbunden worden. Im Hinblick auf eine der drei wurde eine Entscheidung versäumt.) Mit Ablauf der Frist entfällt die Rechtshängigkeit der Klage, soweit diese Gegenstand des übergangenen Berufungsantrags gewesen ist. Zugleich entfällt hinsichtlich des übergangenen Antrags die Anhängigkeit der Berufung, und das Urteil der ersten Instanz, gegen das sie sich richtete, wird wirkungslos.625 Ein übergangener Antrag, dessen Rechtshängigkeit durch Ablauf der Frist 780 nach § 321 Abs. 2 ZPO entfallen ist, kann in der zweiten Instanz nur dann durch Klageerweiterung wieder in den Prozess eingeführt werden,
622 OLG Braunschweig v. 17.2.2006 – 3 U 204/05, OLGR Braunschweig 2006, 415. 623 BGH v. 23.2.2005 – XII ZB 110/03, MDR 2005, 948. 624 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 37/05, BGHReport 2006, 807. 625 BGH v. 16.2.2005 – VIII ZR 133/04, MDR 2005, 1069.
195
Berufungsentscheidung
wenn der Rechtsstreit wegen anderer Teile des Prozessstoffs (noch) in der Berufungsinstanz anhängig ist. 781
Ist das nicht (mehr) der Fall, scheidet eine Wiedereinführung des übergangenen Antrags durch Klageerweiterung in zweiter Instanz aus, denn dies setzt eine zulässige, noch anhängige Berufung voraus; die Erweiterung kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein.626
626 BGH v. 16.2.2005 – VIII ZR 133/04, MDR 2005, 1069.
196
X. Anschlussberufung Die Anschlussberufung ist nach der ZPO-Reform eine gering geschätzte taktische Variante geworden. Das lag auch an den seitdem sehr eng gesetzten Fristen. Der Gesetzgeber hat mit dem 1. JuMoG und der Neufassung des § 524 Abs. 2 ZPO eine Öffnung vorgenommen, die wieder mehr Spielraum bietet.
782
1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten Wer ein Verfahren in erster Instanz ganz oder teilweise gewonnen hat, 783 sieht sich gelegentlich einer Berufung des Gegners gegenüber. Wie man sich dann zu verhalten hat, hängt davon ab, wieweit man selbst (auch) verloren hat und was man will. Hat man in Höhe von mehr als 600 Euro verloren (Beschwer) und will man auch mindestens in Höhe von 600,01 Euro noch gewinnen (Beschwerdegegenstand), steht der Weg zu einer eigenen Berufung offen, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das wäre ein Angriff.
784
Hat man weniger oder gar nicht verloren, scheidet eine eigene Berufung aus.627
785
Will man in diesen Fällen nur den Bestand des erstinstanzlichen Urteils 786 sichern, bedarf es keines besonderen Angriffes. Es genügt der Antrag auf Zurückweisung628 der Berufung. Das wäre eine Verteidigung. Auf rechtlicher Ebene wird man dazu Rechtsausführungen machen (wenn 787 der Berufungsführer sich auf den Grund der Rechtsverletzung stützt, §§ 513 Abs. 1 Var. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 546 ZPO629), auf tatsächlicher Ebene werden die bisherigen Verteidigungsmittel wiederholt, ggf. auch neue Verteidigungsmittel eingebracht (wenn der Berufungsführer sich auf den Grund der fehlerhaften Tatsachenfeststellung stützt, §§ 513 Abs. 1 Var. 2, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 und 4, 529 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO).630 627 Den Sonderfall des § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann man als praktisch irrelevant vernachlässigen. 628 Wenn der Berufungsbeklagte die Berufung schon für unzulässig hält, sollte er Verwerfung beantragen, vgl. Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 498. 629 Allerdings gibt es auch im Bereich fehlerhafter Tatsachenfeststellung diverse Möglichkeiten, Rechtsausführungen sinnvoll unterzubringen, namentlich bei § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. 630 Die – nachdem das Gericht des ersten Rechtszuges sie wegen des zusprechenden Urteils erkennbar für unerheblich gehalten hat – stets zuzulassen sind, § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
197
Anschlussberufung
788
Û
789
Will man aber entweder noch den Betrag unter der Beschwerdegegenstandsgrenze oder (stattdessen oder zusätzlich) noch mehr und/oder anderes, kommt die Anschlussberufung in Betracht. Auch sie ist ein Angriff.
790
Denkbar sind daneben noch Erledigungssituationen und Vergleiche. Diese sind weder Angriff noch Verteidigung. Sie führen gleichwohl zur Beendigung des Verfahrens.632
Praxistipp: Wer nur sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt (und vertieft), muss aber Acht geben, dass er damit auch das Vorbringen des Berufungsführers voll abdeckt. Gerade wenn dieser Neues einbringt, wird das regelmäßig nicht der Fall sein.631
2. Was ist eine Anschlussberufung? 791
Die Anschlussberufung nach geltendem Recht ist jedenfalls keine Berufung im eigentlichen Sinne, sie ist kein Rechtsmittel.633 Sie ist lediglich eine Antragstellung innerhalb einer fremden Berufung. Sie gibt dem Berufungsbeklagten eine Möglichkeit, ohne Einlegung eines Rechtsmittels mehr zu erreichen als Verwerfung oder Zurückweisung der Hauptberufung. Sie durchbricht zudem die Bindung des Berufungsgerichtes alleine an einen Antrag, nämlich den des Hauptberufungsführers, § 528 S. 2 ZPO.
792
So kann z.B. eine Klägerin als Berufungsbeklagte nur im Wege der Anschlussberufung i.S.v. § 524 ZPO eine Klageänderung erreichen.634
793
Die Anschlussberufung muss deshalb wesentlichen Anforderungen einer Berufung auch nicht genügen: – Sie muss nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt werden. – Sie bedarf keiner Berufungsbeschwer.635 (Eine vorhandene Beschwer schadet allerdings auch nicht.) Es muss mit dem Antrag nichts verfolgt werden, was schon erstinstanzlich verfolgt wurde.636 – Sie kann deshalb auch (nur) genutzt werden, um bei erstinstanzlich vollem Sieg z.B. die Klage zu erweitern. 631 Darauf weist zu Recht Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 503, hin. 632 Die Möglichkeit einer Verspätung oder Säumnis des Berufungsbeklagten soll nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. 633 BGH (GS) v. 17.12.1951 – GSZ 2/51, BGHZ 4, 229 (233). 634 OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51. 635 Wohl aber irgendeiner Beschwer. Wer gar nicht mehr erreichen kann als erstinstanzlich erkannt wurde, dem fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, vgl. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 923. 636 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
198
Was ist eine Anschlussberufung?
– Sie kann in begrenztem Umfang auch hilfsweise und damit (innerprozessual) bedingt eingelegt werden. a) Bis zur ZPO-Reform Vor dem 1.1.2002 gab es zwei verschiedene Formen von Anschlussberu- 794 fungen: – Eine, die eingelegt werden konnte, wenn der Berufungsbeklagte selbst schon auf die Durchführung der Berufung verzichtet hatte oder wenn die Berufungsfrist verstrichen war, § 521 Abs. 1 ZPO a.F.; sie hieß unselbständige Anschlussberufung und verlor ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wurde, § 521 Abs. 2 ZPO a.F. Diese Anschlussberufung unterlag keinerlei zeitlichen Grenzen und konnte deshalb auch noch in der mündlichen Verhandlung eingelegt werden.637 – Eine andere, mit der sich der Berufungsbeklagte innerhalb der Berufungsfrist der Berufung des Berufungsklägers angeschlossen hatte, § 522 Abs. 2 ZPO a.F.; sie hieß selbständige Anschlussberufung. Sie wurde, solange die vom Berufungskläger eingelegte Berufung nicht zurückgenommen oder verworfen war, so behandelt wie eine unselbständige Anschlussberufung. Nur und erst wenn die Berufung selbst zurückgenommen oder verworfen 795 wurde, behandelte man sie, als sei sie unabhängig von der Berufung eingelegt worden. Die Anschlussberufung musste durch einen beim Berufungsgericht ein- 796 zureichenden Schriftsatz erfolgen, § 522a Abs. 1 ZPO a.F., mündliche Erklärung zur Protokoll genügte nicht.638 Sie musste vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begründet werden oder – wenn sie erst nach deren Ablauf eingelegt wurde – in der Anschlussschrift selbst. Die Anschlussschrift muss von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterzeichnet sein, §§ 524 Abs. 3 S. 2, 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Im Extremfall reichte damit ein Schriftsatz mit Begründung, der in der mündlichen Verhandlung überreicht wurde.
637 BGH v. 16.5.1962 – VIII ZR 48/62, BGHZ 37, 131 (133). 638 Das gilt auch heute noch, vgl. z.B. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 337.
199
797
Anschlussberufung
b) Ab der ZPO-Reform aa) Nur noch unselbständige Anschlussberufung 798
Nach der ZPO-Reform639 ist nur noch die unselbständige Anschlussberufung im Gesetz geregelt, § 524 ZPO. Sie kann eingelegt werden, wenn der Berufungsbeklagte selbst schon auf die Durchführung der Berufung verzichtet hatte oder wenn die Berufungsfrist verstrichen war, § 524 Abs. 2 S. 1 ZPO. Sie verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wurde, § 524 Abs. 4 ZPO. – Insoweit (bis auf die Zurückweisung durch Beschluss) zunächst nichts Neues.
799
Die besondere Veränderung, die durch die ZPO-Reform eingetreten war, lag einmal in der zeitlichen Begrenzung durch § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO: Die Anschlussberufung war jetzt nur noch zulässig bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift.
800
Nach altem Recht konnte die Hauptberufung zudem ohne Einwilligung des Berufungsbeklagen nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden, § 515 Abs. 1 ZPO a.F. Danach war der Anschlussberufungsführer geschützt. – Nach neuem Recht bedarf es keiner Einwilligung mehr, § 516 ZPO.
801
Zum anderen muss auch nach dem Wortlaut des neuen Rechts die Begründung direkt in der Anschlussschrift erfolgen, § 524 Abs. 3 S. 1 ZPO.
802
Û
Praxistipp: Aus dem Verweis auf § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO ergibt sich aber, dass das anders gemeint ist. Diese Vorschrift unterscheidet nämlich zwischen zwei Schriftsätzen: der Einlegungsschrift und der Begründungsschrift. Einlegung und Begründung können wegen des Verweises, der sonst keinen Sinn machte, deshalb auch bei der Anschlussberufung körperlich auseinander fallen, wenn nur die Begründung innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO erfolgt.640
639 Sonderfall im Patentnichtigkeitsverfahren. BGH v. 7.6.2005 – X ZR 174/04, GRUR 2005, 888 = BGHReport 2005, 1473: Die Anschlussberufung kann im Patentnichtigkeitsverfahren weiterhin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben werden (so schon BGHZ 17, 305, 307 – Schlafwagen); die abweichenden Vorschriften der Zivilprozessordnung in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses gelten insoweit nicht. Jedoch ist die Anschlussberufung dann, wenn sie vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingelegt wird, entsprechend der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses geltenden Regelung in § 522a Abs. 2 ZPO bis zum Ablauf dieser Frist zu begründen. 640 So auch: Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 938; Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 342; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 371.
200
Was ist eine Anschlussberufung?
bb) Keine selbständige Anschlussberufung mehr Die selbständige Anschlussberufung gibt es nicht mehr. In der Sache hat 803 sich nur insoweit nichts geändert, als es dem Berufungsbeklagen natürlich freisteht, schon innerhalb der Berufungsfrist eine Anschlussberufung einzulegen.641 Wenn dann aber die Berufung aus den Gründen des § 524 Abs. 4 ZPO wegfällt, wird die Anschlussberufung nicht mehr so behandelt, als sei sie unabhängig von der Berufung eingelegt worden. Sie verliert dann ihre Wirkung. Was aber passiert, wenn ein Berufungskläger gleichwohl innerhalb der Be- 804 rufungsfrist des § 517 ZPO eine „selbständige Anschlussberufung“ einlegt? Das OLG Frankfurt642 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem die Kläger 805 (kurz nach der ZPO-Reform) genau dies getan hatten und später vortrugen, beim Diktat und bei Unterschrift des Schriftsatzes sei dem Prozessbevollmächtigten ein Irrtum unterlaufen. Er habe das als Berufung beabsichtigte Rechtsmittel nur versehentlich statt als „selbstständige Berufung“ als „selbstständige Anschlussberufung“ bezeichnet. Weil eine Berufung beabsichtigt gewesen sei, sei das Rechtsmittel nicht begründet gewesen. Der Schriftsatz nehme auch ausdrücklich auf die Zustellung des Urteils Bezug, was bei einer Anschlussberufung überflüssig sei. Zudem enthielte der Schriftsatz im Vorspann noch den Hinweis „Original zur Fristwahrung per Fax“, was bei einer Anschlussberufung zu diesem Zeitpunkt völlig sinnlos sei. Das OLG Frankfurt lässt eine Auslegung des Schriftsatzes als Berufung 806 daran scheitern, dass sich diesem ein eindeutiger Wille, ein Rechtsmittel unabhängig vom Schicksal der Berufung des Gegners einlegen zu wollen, nicht entnehmen lasse. Habe eine Partei ihr Angriffsmittel ausdrücklich als Anschlussberufung bezeichnet, so sei es auch dann als solche zu behandeln, wenn es in offener Berufungsfrist eingelegt sei. Wolle der Berufungsbeklagte sich die Berufung unabhängig vom Rechtsmittel des Gegners erhalten, so sei er gehalten, selbst Berufung einzulegen. Der Schriftsatz enthalte keinen Hinweis darauf, dass entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung etwas anderes gemeint wäre. Dass die Kläger die Rechtsfolgen nicht bedacht hätten, gehe zu ihren Lasten und könne nicht im Wege der Auslegung korrigiert werden. Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben.643
807
Der verwendete Begriff der „selbständigen Anschlussberufung“ sei dem neuen Zivilprozessrecht fremd. Da die Kläger die „selbständige An641 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947. 642 OLG Frankfurt v. 28.11.2002 – 19 U 133/02, OLGR Frankfurt 2003, 35 = MDR 2003, 594. 643 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947.
201
Anschlussberufung
schlussberufung“ innerhalb der für sie laufenden Berufungsfrist eingelegt hätten, sei im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche der beiden Möglichkeiten (Anschlussberufung oder selbständige Berufung) sie gewählt hätten. Dabei sei der Auslegungsgrundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt sei, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und der recht verstandenen Interessenlage entspreche.644 808
Dem Umstand, dass der Rechtsmittelschriftsatz der Kläger die ausdrückliche Bezeichnung „Anschlussberufung“ enthalte, komme keine entscheidende Bedeutung zu. Dieses Wortlautargument verliere schon durch das beigefügte Eigenschaftswort an Überzeugungskraft, das auf ein selbständiges, also gerade nicht von der gegnerischen Berufung abhängiges Rechtsmittel hinweise. Unterstützt wird dieser Hinweis durch den Vermerk „Original zur Fristwahrung per Fax …“, der dem Schriftsatz vorangestellt ist. Für eine Anschlussberufung wäre er ohne Bedeutung. Die hierfür zu beachtende Frist nach § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO hätte noch nicht einmal zu laufen begonnen. Bedeutung käme diesem Vermerk allein vor dem Hintergrund einer selbständigen Berufung zu, deren Frist am Einreichungstag ablief.
809
Û
810
Wer sich anschließen will, sollte das genauso sagen und am Besten ausdrücklich auf § 524 ZPO Bezug nehmen. Dann kann es insoweit keine Zweifel mehr geben.
811
Wer selbständig Berufung einlegen will, sollte jede Bezugnahme auf eine schon anderweitig eingelegte Berufung vermeiden. Er sollte seine eigenen Berufungsanträge an die erste Stelle rücken und die Zurückweisungsanträge im Hinblick auf die Berufung der Gegenseite erst in der Folge bringen. Zur Vermeidung jedweden Missverständnisses kommt auch ein erläuternder Satz „Die Berufung soll nicht als Anschlussberufung behandelt werden.“ in Betracht.
Praxistipp: Die Entscheidung des BGH hilft dem unklar Formulierenden. Besser ist es gleichwohl, eine klare Entscheidung zu treffen und diese dann klar zu kommunizieren.
cc) Alternativ: Selbständige Berufung 812
Alternativ kann der Berufungskläger – soweit die Voraussetzungen des § 511 ZPO vorliegen – innerhalb der Berufungsfrist auch eine selbständige Berufung einlegen645 und sich insoweit lediglich faktisch im Gebrauch eines Rechtsmittels dem Berufungskläger „anschließen“.
644 BGH v. 18.6.1996 – VI ZR 325/95, MDR 1997, 94 = NJW-RR 1996, 1210 (1211) m.w.N. 645 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947.
202
Was ist eine Anschlussberufung?
Aus dem Verweis des § 524 Abs. 3 S. 2 auf § 519 Abs. 2 (und dort Nr. 2) 813 folgt aber, dass der Berufungsbeklagte sich erklären muss, was er einlegt. Wenn es eine Anschlussberufung sein soll, dann sollte646 er das – wie gerade dargestellt – auch genauso sagen. c) Ab dem 1. JuMoG Das 1. JuMoG647 hat § 524 Abs. 2 ZPO geändert und ergänzt. Satz 2 dieser 814 Vorschrift wurde dahin geändert, dass nunmehr die Anschließung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig ist. aa) Änderung des Fristablaufes Damit wurde eine bislang stark kritisierte Unstimmigkeit beseitigt. Es 815 konnte nämlich vorkommen, dass das Berufungsgericht eine Berufungsbegründung an den Berufungsbeklagten zur Berufungserwiderung weiterleitete. Wegen des Umfangs der Sache wurde eine Frist hierzu z.B. von zwei Monaten gesetzt. Möglich waren und sind im Übrigen auch noch – mehrfache – Verlängerungen der Erwiderungsfrist. Nach der Rechtsänderung durch die ZPO-Reform hätte der Berufungsbeklagte sich aber gleichwohl binnen eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift entscheiden müssen, ob er eine Anschlussberufung einlegen wollte. Eine Verlängerungsmöglichkeit für die Begründung der Anschlussberufung war nicht vorgesehen.
816
Diese Diskrepanz entfällt jetzt. Es gibt jetzt immer so viel Zeit, wie der 817 Berufungsbeklagte (ggf. nach Verlängerung) für die Berufungserwiderung erhält. Noch vor dem 1. JuMoG stellte das OLG Hamm fest, dass es dahingestellt bleiben könne, ob eine streitgegenstandsverändernde Anschlussberufung in bestimmten Fällen aus verfassungsrechtlichen Gründen unbefristet als zulässig erachtet werden könne. Das Gebot der Waffengleichheit erfordere es jedenfalls nicht, dem Berufungsbeklagten eine Möglichkeit der Klageänderung zu eröffnen, der in erster Instanz aus Nachlässigkeit einen unbegründeten Anspruch geltend gemacht habe und nach Aufklärung seines Irrtums in der Berufungsbegründung nicht innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO die Klage entsprechend änderte.648 646 Zwingend ist das allerdings nicht, BGH v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, BGHZ 109, 179 (187): „Ein Anschlussrechtsmittel braucht (…) nicht als solches bezeichnet zu sein.“ 647 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) 648 OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51.
203
Anschlussberufung
818
Die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung wird im Übrigen grundsätzlich eher ablehnend gesehen.649 Im Zusammenhang mit einer PKH-Konstellation hat der 2. Senat des OLG Zweibrücken aber anders geurteilt: Der dortigen Antragstellerin wurde nach Ablehnung von PKH für die Anschlussberufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zwar werde die von ihr zu wahrende Frist des § 524 Abs. 2 ZPO nicht als Notfrist bezeichnet. Ebenso wenig sei sie in § 233 ZPO aufgeführt. Es gebe aber nach Ansicht des Senats keinen Grund, in dieser Frage die Anschlussberufung anders als die Berufung zu behandeln. Wenn eine Anschließungsfrist versäumt werde, seien die Wiedereinsetzungsvorschriften entsprechend anzuwenden.650 Der 5. Senat des OLG Zweibrücken hat dann wenig später noch entschieden, dass eine Anschlussberufung auch nach Ablauf der Anschließungsfrist noch in zulässiger Weise eingelegt werden könne, wenn aufgrund eingetretener Veränderungen zugunsten des sich Anschließenden die Voraussetzungen einer Abänderungsklage vorlägen.651 Klar äußert sich auch das OLG Karlsruhe: Bei Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung ist grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO möglich.652 bb) Ausschluss des Fristablaufes
819
Ein weiteres Problem wurde durch die Einfügung des Satz 3 beseitigt. Dieser enthält eine Ausnahme für die Fristgebundenheit der Anschlussberufung für den Fall wiederkehrender Leistungen. Gerade in den Fällen des § 323 Abs. 3 ZPO konnte die Fristgebundenheit zu erheblichen Ungerechtigkeiten führen. Beispiel: Im Laufe eines Unterhaltsverfahrens erhöht sich das Einkommen des erstinstanzlich unterlegenen Verpflichteten. Dieser legt Berufung ein. Wenn Fristen für eine Anschlussberufung verstreichen würden, könnten zweitinstanzliche Anpassungen durch eine (möglichst späte) Rücknahme der Berufung durch den Verpflichteten unmöglich gemacht werden. Eine danach durchgeführte Abänderungsklage nach § 323 Abs. 3 ZPO hat die dort beschriebenen zeitlichen Nachteile.653
Diese Ungerechtigkeit gibt es jetzt nicht mehr. 649 Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 338. 650 OLG Zweibrücken v. 27.6.2003 – 2 UF 151/02, OLGR Zweibrücken 2003, 452. Ähnlich – mit Betonung des Aspektes der Waffengleichheit: OLG Celle v. 12.7.2002 – 16 U 98/02, OLGR Celle 2002, 239. 651 OLG Zweibrücken v. 18.11.2003 – 5 UF 200/02, OLGR Zweibrücken 2004, 156. 652 OLG Karlsruhe v. 21.10.2004 – 7 U 169/03, OLGR Karlsruhe 2005, 443. 653 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 364; dieses und weitere Beispiele im Unterhaltskontext auch bei Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 950.
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Was ist eine Anschlussberufung?
cc) Verbleibende Probleme Alles ist damit aber noch nicht beseitigt. Der Fristausschluss gilt nur für 820 wiederkehrende Leistungen und die Fristverlängerung nutzt nichts, wenn erst nach der Berufungserwiderung erfolgende Beweisaufnahmen eine Anschlussberufung „eigentlich“ notwendig machten. Und selbst eine fristgerecht und sinnvoll eingelegte Anschlussberufung kann durch die freieren Rücknahmemöglichkeiten noch zu Lasten der materiellen Gerechtigkeit zunichte gemacht werden. 821
Beispiel 1: Ein geschädigter Kläger verklagte den Beklagten auf Zahlung von 20.000 Euro und obsiegt in dieser Höhe. Der Beklagte legt dagegen Berufung ein. Der Kläger beantragt Zurückweisung und begründet. Danach wird Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Dieses hält einen Schaden von mindestens 30.000 Euro für gegeben.
Der Beklagte wird die Berufung nun zurücknehmen, um die Verurteilung 822 in geringerer Höhe rechtskräftig werden zu lassen. Er kann dies – soweit das Urteil noch nicht verkündet ist – auch noch nach der mündlichen Verhandlung machen und die dort gewonnenen Informationen einbeziehen.654 Eine Nachforderung durch den Kläger in einem neuen Verfahren hätte nur dann Erfolgsaussicht, wenn die erste Klage als verdeckte Teilklage behandelt würde.655 Unter der Rechtslage vor der ZPO-Reform war in solcher Lage die Anschlussberufung noch möglich (und erfolgreich). Die Hauptberufung konnte auch nicht mehr einseitig zurückgenommen werden, weil vor der Beweiserhebung schon eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte.
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Beispiel 2:
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Ein geschädigter Kläger verklagte den Beklagten auf Zahlung von 20.000 Euro. Er bewirkt nur eine Verurteilung über 15.000 Euro und legt dagegen Berufung ein. Der Kläger beantragt Zurückweisung und begründet. Danach wird Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Dieses hält einen Schaden von höchstens 10.000 Euro für gegeben.
Nun wird der Kläger die Berufung zurücknehmen, um die Verurteilung in größerer Höhe rechtskräftig werden zu lassen. Selbst eine fristgerecht eingelegte Anschlussberufung verliert damit ihre Wirksamkeit, § 524 Abs. 4 ZPO.656 Auch hier konnte unter der alten Rechtslage die Anschlussberufung noch 825 (erfolgreich) eingelegt und die Hauptberufung (wegen der vorherigen 654 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 376. 655 Dazu und zu weiteren Problemen, die sich dann noch auftun, Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 949. 656 Beispiel nach Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 949.
205
Anschlussberufung
mündlichen Verhandlung) nicht mehr einseitig zurückgenommen werden. 826
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die zeitliche Grenze vor der letzten mündlichen Verhandlung zu Ungereimtheiten führen kann, wenn eine Anschlussberufung sinnvollerweise Änderungen in das Verfahren einbringen könnte, die nach § 264 Nr. 3 ZPO bei einer Klage stets zulässig wären, hier aber an der Frist scheitern.657
3. Ziele einer Anschlussberufung 827
Die Ziele einer Anschlussberufung können sehr unterschiedlich sein. Unter anderem658 kommen in Betracht: – Klageerweiterung (aber nicht: Parteierweiterung);659 – Widerklage; – Übergang vom Feststellungsanspruch zum Zahlungsanspruch; – Geltendmachung eines (vergessenen oder höheren) Verzugszinses; – Anfechtung der Kostenentscheidung; – Anfechtung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit; – Wiedereinführung eines Hilfsantrages, nachdem erstinstanzlich der Hauptantrag erfolgreich war.660
828
Nicht nötig ist das aber, für den Fall, dass der im ersten Rechtszug erfolgreiche Kläger in der Berufungsinstanz seinen Antrag dahin anpasst, dass er statt des ursprünglich geforderten Kostenvorschusses nunmehr Kostenerstattung geltend macht. Dies ist jedenfalls dann ohne Anschlussberufung zulässig, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung den im angefochtenen Urteil zuerkannten Betrag nicht übersteigt.661 657 Dazu ausführlich Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 368–370. 658 Weitere Beispiele bei Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 362–364. 659 OLG Düsseldorf v. 25.8.2005 – I-2 U 52/04, OLGR Düsseldorf 2006, 285: Eine Anschlussberufung liegt vor, wenn der Berufungsbeklagte ohne eigenes Rechtsmittel in der Berufungsinstanz mehr erreichen will als nur die Verwerfung oder Zurückweisung der gegnerischen Hauptberufung. Sie kann konkludent eingelegt werden, indem der Berufungsbeklagte eine Abänderung des angefochtenen Urteils beantragt. Sie kann auch mit dem Ziel einer Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO eingelegt werden, ihr Gegenstand muss keine Klageänderung i.S.d. §§ 533, 263 ZPO sein. 660 Dazu Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 506. 661 BGH v. 12.1.2006 – VII ZR 73/04, BGHReport 2006, 638.
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Vorteile einer Anschlussberufung
Eine Anschlussberufung ist nach einer Entscheidung des OLG Dresden für 829 eine Klageänderung auch dann nicht erforderlich, wenn klagende Wohnungseigentümer zweitinstanzlich Zahlung nicht an sich, sondern an die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangten. In diesem Fall ginge es den Klägern nicht um mehr als um die Abwehr der Berufung. Dies habe der BGH für den Fall der Abtretung entschieden: Würde im Falle der Abtretung einer streitbefangenen Forderung der Antrag dergestalt modifiziert, dass nunmehr an den Zessionar gezahlt werden solle, so bleibe die vom Beklagten zu erbringende Leistung nach Art und Umfang dieselbe.662 Nichts anderes könne für Mitgläubiger gelten, die ihre Klage von der Zahlung an sich auf Zahlung an alle Mitgläubiger gemeinschaftlich umstellten.663 Zu beachten ist, dass auch im Rahmen einer Anschlussberufung § 533 ZPO gilt,664 was angesichts dessen, dass Gegner eher selten einwilligen, das Vorliegen von Sachdienlichkeit und eine Tatsachenbasis voraussetzt, die das Berufungsgericht ohnehin zugrunde legen muss.
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Stellt allerdings der erstinstanzlich obsiegende Kläger (nur) seinen Feststellungsantrag im Berufungsrechtszug teilweise auf Zahlung um, so ist darin eine Anschlussberufung zu sehen, die, da in dieser Antragsumstellung gem. § 264 Nr. 2 ZPO keine Klageänderung liegt, nicht den für die Klageänderung im Berufungsverfahren in § 533 ZPO aufgestellten besonderen Erfordernissen unterliegt.665
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4. Vorteile einer Anschlussberufung a) Risikoerhöhung für den Hauptberufungsführer Gibt es nur einen, der Berufung einlegt, kann dieser wegen § 528 S. 2 832 ZPO in der Hauptsache nur gewinnen. Verliert er die Berufungsinstanz hat er zwar die Kosten zu tragen, was er erstinstanzlich schon gewonnen hat, verbleibt ihm aber in jedem Fall. Der Gegenangriff durch eine unselbständige Anschlussberufung erhöht 833 damit zunächst das Risiko des Hauptberufungsführers. Dies allein mag den Hauptberufungsführer vielleicht schon nachdenklich werden lassen, ob er seine Berufung nicht lieber zurücknimmt. Die Anschlussberufung muss er dann wegen § 524 Abs. 4 ZPO nicht mehr fürchten. Als Kosten der Rücknahme, § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO, fallen ihm danach allerdings auch die Kosten der Anschlussberufung zur Last.666 662 663 664 665 666
BGH, ZIP 1978, 314. OLG Dresden v. 17.3.2005 – 4 U 2065/04, OLGR Dresden 2005, 895. Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 507. OLG Hamburg v. 5.11.2004 – 1 U 47/04; n. rkr., OLGR Hamburg 2005, 226. Die Kosten einer zulässig eingelegten Anschlussberufung sind grundsätzlich dem Berufungskläger aufzuerlegen, wenn dieser die Berufung nach einem
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Anschlussberufung
834
Û
835
Im Zusammenhang mit einer Anschlussbeschwerde differenzierte das OLG Hamburg für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Wohnungseigentumssachen demgegenüber so: Nehme der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel zurück und mache er damit die zulässige unselbständige Anschlussbeschwerde wirkungslos, so fielen ihm die gesamten Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zur Last. Dagegen könne die Entscheidung des Beschwerdegerichts, dass trotz Rücknahme des Hauptrechtsmittels eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Gegners unterbleibe, der Billigkeit entsprechen.669
Praxistipp: Hiervon werden aber Ausnahmen gemacht, wenn die Hauptberufung schon vor der Anschließung wieder zurückgenommen wurde.667 Um zumindest diesem Sonderfall668 zu entgehen, sollte dem Anwalt vor Absendung der Anschlussberufungseinlegung ein Anruf auf der Geschäftsstelle Pflicht sein.
b) Kuchen vergrößern 836
Der Gegenangriff schafft zugleich eine größere Verfügungsmasse für eine vergleichsweise Regelung. Will ein normaler Berufungsbeklagter etwas nachgeben, so kann er dies nur über Abstriche am schon erzielten erstinstanzlichen Ergebnis tun. Mehr hat er ja nicht. Steht demgegenüber noch ein durch die Anschlussberufung geschaffenes Potential im Raum, lässt sich auch davon nachgeben, ohne dass die erstinstanzliche Position geschmälert werden müsste.
837
In diesem Sinne ist die Anschlussberufung eine der Möglichkeiten, die in der Verhandlungstheorie gerne als „Vergrößerung des Kuchens, bevor man ihn teilt“ beschrieben werden.
5. Nachteile einer Anschlussberufung a) Niederlage mit dem Gegenangriff 838
Nachteilig ist, dass der Gegenangriff das Kostenrisiko grundsätzlich (auch) für den Berufungsbeklagten vergrößert. Der Kostenstreitwert in der zweiten Instanz erhöht sich. Wenn der Gegenangriff erfolglos bleibt, Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zurücknimmt und die Anschlussberufung dadurch ihre Wirkung verliert, BGH v. 7.2.2006 – XI ZB 9/05. 667 BGH v. 23.6.1955 – II ZR 18/55, BGHZ 17, 398 (zur insoweit gleichgelagerten Anschlussrevision). 668 Ein weiterer sollte nach altem Recht gelten, wenn die Rücknahme bei einer von vorneherein unzulässigen Hauptberufung erfolgt, BGHZ 4, 240. Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., Rz. 43, meinen, dass dies auch unter dem aktuellen Recht gelte. 669 OLG Hamburg v. 22.4.2003 – 2 Wx 98/01, OLGR Hamburg 2004, 295.
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Nachteile einer Anschlussberufung
führt dies (in Abhängigkeit davon, wie der Hauptangriff ausgeht) mindestens zu einer Kostenquote (§§ 92, 97 ZPO). b) Kostenverteilung Weitere Gefahren lauern in § 522 Abs. 1 und 2 ZPO. Wenn das Berufungs- 839 gericht die Hauptberufung verwirft oder zurückweist, verliert die Anschlussberufung nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Für die Kostenfolge hängt es grundsätzlich davon ab, warum die Anschlussberufung ihre Wirkung verliert.
840
aa) Kosten beim Hauptberufungsführer – Bei Rücknahme der Hauptberufung trägt der Hauptberufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung.670
841
– Bei Unzulässigwerden der Hauptberufung aufgrund verspäteter Begründung durch den Hauptberufungsführer, hat dieser ebenfalls die Kosten der Anschlussberufung zu tragen. bb) Kosten beim Anschlussberufungsführer – War die Hauptberufung von Anfang an unzulässig und wird sie deshalb nach § 522 Abs. 1 ZPO verworfen, hat der Anschlussberufungsführer die Kosten seiner Anschlussberufung zu tragen.671 – War die Hauptberufung unbegründet und wird sie deshalb nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, hat ebenfalls der Anschlussberufungsführer die Kosten seiner Anschlussberufung zu tragen. Das ist allerdings strittig.672 670 BGH v. 26.1.2005 – XII ZB 163/04, MDR 2005, 704: Verliert ein zulässig erhobenes Anschlussrechtsmittel seine Wirkung durch Rücknahme des Rechtsmittels, sind dem Rechtsmittelkläger im Regelfall auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen; BGH v. 7.2.2006 – XI ZB 9/05: Die Kosten einer zulässig eingelegten Anschlussberufung sind grundsätzlich dem Berufungskläger aufzuerlegen, wenn dieser die Berufung nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zurücknimmt und die Anschlussberufung dadurch ihre Wirkung verliert. 671 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 472; differenzierend: Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 344; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 383. 672 Wie hier: Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 472; a.A. Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 383; Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 344. Die dort zitierte BGH-Entscheidung BGHZ 4, 229 (243) behandelt aber den anders gelagerten Fall der Berufungsrücknahme; Ludwig, MDR 2003, 670 und danach auch OLG Köln v. 23.8.2004 – 11 U 196/03, ProzRB 2005, Heft 1 m.w.N. Differen-
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Anschlussberufung
– War die Anschlussberufung selbst unzulässig oder unbegründet, hat deren Kosten der Anschlussberufungsführer zu tragen (analog § 97 ZPO).673 c) Gegenmaßnahmen 843
Namentlich die beiden Fälle des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO sind also für den Anschlussberufungsführer gefährlich. Hier kann er sich aber den Umstand zunutze machen, dass es sich bei der Anschlussberufung nicht um ein Rechtsmittel, sondern nur um einen Antrag innerhalb eines fremden Rechtsmittels handelt.
844
Dieser Antrag darf nach allgemeiner Auffassung – innerhalb der Grenze der Innerprozessualität – unter eine Bedingung gestellt werden. Als erlaubte Bedingungen gelten die Anknüpfungen daran, dass das Berufungsgericht die Hauptberufung nicht nach § 522 Abs.1 ZPO verwirft und nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.674
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Praxistipp: Die Einlegung der Anschlussberufung hat in diesen Fällen hilfsweise für den Fall zu erfolgen, dass die Hauptberufung Erfolg hat.675 Soweit dies mangels Zulässigkeit oder Begründetheit nicht der Fall ist, verursacht der Hilfsantrag keine Kosten (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG = § 19 Abs. 1 S. 2 GKG a.F.). – Denkbar sind aber auch weitere innerprozessuale Bedingungen, wie etwa die bestimmte Beurteilung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage durch das Gericht.676
6. Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO 846
Ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO muss beim Hauptberufungsführer eine von zwei möglichen Reaktionen auslösen:
673 674
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zierend das OLG Karlsruhe v. 30.3.2004 – 14 U 63/02, OLGR Karlsruhe 2004, 335: Wird die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, so hat der Berufungskläger die Kosten der Anschließung, die damit ihre Wirkung verliert, jedenfalls dann nicht zu tragen, wenn die Anschließung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand unbegründet war. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 345: anteilig. OLG Düsseldorf v. 25.8.2005 – I-2 U 52/04, OLGR Düsseldorf 2006, 285: Eine Anschließung zum Zwecke der Klageerweiterung ist auch zulässig, wenn sie an eine Bedingung geknüpft ist und nur für den Fall wirksam wird, dass die Hauptberufung Erfolg hat. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 341; Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 516. BGH v. 10.11.1983 – VII ZR 72/83, NJW 1984, 1240/1241 = MDR 1984, 569.
Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO
– Entweder muss er sich zum Inhalt des Hinweises äußern, um das Verfahren doch noch in seinem Sinne zu beeinflussen. – Oder er muss erwägen, welche Form der Niederlage ihm (und damit dem Mandanten) die kostengünstigste werden wird. Aktiv die Rücknahme der Berufung vornehmen oder passiv den angekündigten Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO hinnehmen. Äußerung, Rücknahme und Hinnahme sind in Abhängigkeit von der Fall- 847 lage akzeptable Reaktionsformen. Soweit allerdings keine Äußerung erfolgt, sind Rücknahme oder Hinnahme mit dem Mandanten vorher (wenn mündlich, auf jeden Fall direkt danach auch schriftlich!) zu erörtern. Hier besteht nämlich Haftungsgefahr.
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Mit der Rücknahme verringern sich die Verfahrensgebühren von 4,0 849 (GKG Nr. 1220) auf 2,0 (GKG Nr. 1222). Eine Ermäßigung auf 1,0 (GKG Nr. 1221) scheidet dagegen aus, weil in diesem Stadium schon die Schrift zur Begründung des Rechtsmittels bei Gericht eingegangen ist. Durch die Hinnahme des Beschlusses dagegen entstehen die vollen 4,0 Gebühren.
850
Gleichwohl kann die Hinnahme dennoch vorteilhaft sein, wenn eine An- 851 schlussberufung im Raume steht und der Anschlussberufungsführer versäumt hat, die oben näher beschriebene Bedingung mitaufzunehmen. Das ist ein Rechenexempel, bei dem die 2,0 Verfahrensgebühren, die bei der Rücknahme gespart werden, mit den Mehrkosten, die entstehen, wenn die Kosten der Anschlussberufung hinzukommen, zu verrechnen sind. Im Hinblick darauf könnte sich ein Berufungsbeklagter sogar motiviert 852 sehen, den Hauptberufungsführer durch Einlegung einer Anschlussberufung noch zusätzlich unter Druck zu setzen, wenn das Gericht einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO schon gegeben hat, bevor die Anschließungsfrist abgelaufen ist.677 Wegen des Kostenrisikos für den Anschlussberufungsführer findet sich aber für diese Situation auch der ausdrückliche Hinweis, eine Anschließung solle „in keinem Fall mehr erfolgen“.678
677 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 365, meinen, dass darin (aber nicht in der Regel) ein Missbrauch der Anschlussberufung gesehen werden könnte. 678 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
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Anschlussberufung
7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung 854
Wenn eine selbständige Berufung als Rechtsmittel unzulässig ist, aber ohne weiteres den Anforderungen an eine Anschlussberufung genügt, soll das Gericht sie auch als solche zu behandeln haben.679 Voraussetzung ist damit also stets, dass neben der – nunmehr unzulässigen – selbständigen Berufung noch eine wirksame (jetzt Haupt-)Berufung der anderen Seite vorliegt.
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Beispiel: Der Berufungsführer versäumt die Einlegungsfrist, aber nicht die des § 524 Abs. 2 ZPO. Der Berufungsführer versäumt die Begründungsfrist, aber nicht die des § 524 Abs. 2 ZPO.
Es fehlt an der nötigen Beschwer, bzw. dem Antrag an der nötigen Höhe für den Beschwerdegegenstand.
8. Anforderungen an die Begründung 856
Die Anschlussschrift (bzw. wenn Einlegung und Begründung innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO getrennt erfolgen: die Begründungsschrift) muss Berufungsanträge und deren Begründung enthalten, §§ 524 Abs. 3 S. 2, 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.
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Der Zulässigkeit einer klageerweiternden Anschlussberufung steht nicht entgegen, dass die Klägerinnen und Berufungsbeklagten nicht ausdrücklich den Berufungserwiderungsschriftsatz als Anschlussberufung bezeichnet haben. Es ist insoweit ausreichend, dass dem Schriftsatz und den in ihm enthaltenen Anträgen das nur im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels mögliche Begehren der Erweiterung ihrer Klage „unter Abänderung des Urteils“ zu entnehmen ist.680 a) Anträge
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Die Stellung eines Zurückweisungs- oder Verwerfungsantrages im Hinblick auf die Hauptberufung genügt für eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht. Es muss ein neues Prozessziel verfolgt werden.681
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Das kann ausnahmsweise anders sein, wenn der mit der Anschlussberufung geführte Angriff eine Klageabweisung in der Sache statt einer solchen durch eine Hilfsaufrechnung begehrt, welche ja auch dies nur zur Zurückweisung der Hauptberufung führen würde. Hier muss der An-
679 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 373. 680 OLG Hamburg v. 23.11.2005 – 5 U 68/05; n. rkr. 681 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
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Anforderungen an die Begründung
schließende den Willen zur Erweiterung des Streitgegenstandes in der Berufung deutlich machen.682 b) Begründung Nur soweit mit der Anschlussbegründung das erstinstanzliche Urteil an- 860 gefochten wird, gelten die in § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO aufgeführten Anforderungen an die Begründung (Darlegung von Rechtsverletzung und Tatsachenfehlern). Bei neuen Anträgen ist darauf naturgemäß keine Rücksicht zu neh- 861 men,683 denn dazu konnte das angefochtene Urteil sich ja nicht verhalten. Das soll in gleicher Weise gelten, wenn sich die Anschlussberufung auf 862 einen Punkt bezieht, der den Parteien nach Umfang und Bedeutung bereits bekannt ist.684 c) Antragsänderungen Wie bei der Hauptberufung auch, ist es grundsätzlich möglich, Anschlussberufungsanträge zu verändern. Für eine Rücknahme ergibt sich dies von selbst. Für eine Erweiterung ist das jedenfalls in der Konstellation anerkannt, in welcher sich die Erweiterung im Rahmen der schriftlich vorgetragenen Anschließungsgründe hält.685
682 BGH v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, NJW 1990, 447 = MDR 1990, 325. 683 Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 343. 684 BGH v. 3.2.1954 – VI ZR 40/53, NJW 1954, 600; BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (Leitsatz 1 zur Erweiterung eines Anschlussberufungsantrages); beide in Bezug genommen durch BGH v. 9.3.1995 – IX ZR 143/94, NJW 1995, 1360 (1361). 685 BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (Leitsatz 1); Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 338. Zum neuen Recht: BGH v. 6.7.2005 – XII ZR 293/02: Auch nach der seit dem 1.1.2002 geltenden Rechtslage kann die Anschlussberufung nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO erweitert werden, soweit die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichte Anschlussberufungsbegründung gedeckt ist.
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XI. Gebühren und Kostenfragen 1. PKH 864
Die Zusammenhänge zwischen PKH-Antrag, PKH-Beschluss, Einlegungs- und Begründungsfristen sowie Wiedereinsetzung wurden oben erläutert. Hier geht es nur um allgemeine PKH-Fragen. a) PKH für den Berufungskläger
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Die Bewilligung von PKH für den Berufungskläger setzt eine Begründung des Antrags voraus, aus der – sei es auch in laienhafter Darstellung – erkennbar ist, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden soll.686
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Die Verwerfung einer Berufung mangels ordnungsgemäßer Begründung und gleichzeitige Versagung von PKH für das Berufungsverfahren ist unzulässig.687
867
Wird einer Partei, der in 1. Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt war, in 2. Instanz PKH nur mit Ratenzahlung bewilligt, berechtigt dies den Rechtspfleger der 1. Instanz nicht, allein deshalb auch für die 1. Instanz Ratenzahlung anzuordnen. Eine Änderung der PKH-Bewilligung ist nur unter den Voraussetzungen des § 120 Abs. 4 ZPO zulässig.688
868
Wenn Berufung in vollem Umfang eingelegt und damit die Berufungssumme erreicht wird, ist hinsichtlich des Erfolg versprechenden Teils dieser Berufung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn alleine dieser Erfolg versprechende Teil die Berufungssumme nicht erreicht.689 b) PKH für den Berufungsbeklagten
869
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen ein Rechtsmittel kommt erst dann in Betracht, wenn dieses begründet worden und zulässig ist.690
686 687 688 689 690
214
OLG Schleswig v. 21.1.2004 – 7 U 30/03, OLGR Schleswig 2004, 266. BGH v. 3.12.2003 – VIII ZB 80/03, MDR 2004, 588. OLG Stuttgart v. 6.6.2002 – 8 WF 96/2000, MDR 2002, 1396. OLG Karlsruhe v. 1.6.2006 – 2 UF 163/05, OLG Karlsruhe 2006, 676. OLG Saarbrücken v. 3.5.2002 – 6 UF 135/01 (PKH), OLGR Saarbrücken 2002, 377.
Gebühren des Berufungsbeklagten
2. Gebühren des Berufungsbeklagten a) Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit Auch wenn in Berufungseinlegungen oft textbausteinmäßig die Bitte zu lesen ist, die Berufung erfolge lediglich fristwahrend und für die Gegenseite möge sich zunächst noch kein Anwalt bestellen, geschieht in der Praxis häufig genau dies. Ein Anwalt bestellt sich für den Berufungsbeklagten. Gelegentlich wird in dieser Bestellung zugleich der Antrag gestellt, die Berufung möge zurückgewiesen werden.
870
Das wirft Fragen auf über die Höhe der dabei entstehenden Gebühren 871 und deren Ersatzfähigkeit. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Innenverhältnis des Berufungsbeklagten und seines Vertreters und dem Außenverhältnis zwischen den Parteien und der Notwendigkeit der entstandenen Kosten. Das Herbeiführen nicht notwendiger und damit nicht erstattungsfähiger Kosten dürfte aber regelmäßig auch im Innenverhältnis eine Pflichtverletzung darstellen. Diese führt dann über einen Schadensersatzpflicht des Anwalts, bzw. einen gleichlautenden Freistellungsanspruch des Mandanten zur Leistungsfreiheit des Mandanten insoweit. b) Richtiger Zeitpunkt für die Sachantragstellung Stellt der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels und vor 872 einer Entscheidung des Gerichts über dessen mögliche Zurückweisung durch Beschluss einen Sachantrag, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren notwendige Kosten der Rechtsverteidigung691 (vgl. aber auch folgend zu § 522 Abs. 2 ZPO). Beantragt der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Zu- 873 rückweisung der Berufung dagegen, bevor die Berufung begründet worden ist, so ist dem Berufungsbeklagten (trotzdem) nur die halbe Prozessgebühr (bzw. heute: 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG) zu erstatten.692 Problematisch kann es werden, wenn der Antrag vor der Berufungs- 874 begründung gestellt wurde, diese später erfolgte, die Berufung dann aber 691 BGH v. 9.10.2003 – VII ZB 17/03, MDR 2004, 115 = ProzRB 2004, 29. 692 BGH, v. 3.6.2003 – VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115: Hat eine Partei gegen ein erstinstanzliches Urteil Berufung (nur) zur Fristwahrung eingelegt und nimmt sie ihr Rechtsmittel, bevor sie es begründet hat, innerhalb der Begründungsfrist zurück, so kann die Gegenpartei die zweite Hälfte der anwaltlichen Prozessgebühr die durch ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung entstanden ist, nicht gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattet verlangen; OLG Köln v. 3.4.2003 – 26 WF 66/03, OLGR Köln 2003, 223 zur BRAGO, OLG Oldenburg v. 8.11.2005 – 2 WF 204/05, OLGR Oldenburg 2006, 422 zum RVG: Bei Zurücknahme einer Berufung innerhalb der Begründungsfrist kann die gegnerische Partei bei Stellung eines Antrags auf Zurückweisung (nur) eine 1,1fache Gebühr nach Nr. 3201 RVG-VV erstattet verlangen.
215
Gebühren und Kostenfragen
zurückgenommen wird, ohne dass der Berufungsbeklagte dem Gericht gegenüber noch etwas unternimmt. Nach Auffassung des OLG München soll auch dann nur eine 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG notwendig gewesen sein.693 875
Ein weiteres Problem entsteht, wenn der Antrag vor der Berufungsbegründung gestellt wurde, diese innerhalb der Begründungsfrist nicht erfolgte, und der Berufungsbeklagte dann die Verwerfung der Berufung beantragt. Nach Meinung des OLG Stuttgart ist dann die volle 1,6 Gebühr aus Nr. 3200 VV RVG zu erstatten.694 Nach Auffassung des KG dagegen soll auch dann nur eine ermäßigte Gebühr (die Entscheidung hatte noch BRAGO-Gebühren zu behandeln) notwendig gewesen sein.695 Das KG begründet das so, dass der Antrag auf Zurückweisung einer Berufung in diesem Stadium des Verfahrens noch keinen tatsächlichen Gehalt habe. Erst wenn das Rechtsmittel begründet worden sei, könne sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag das Verfahren aus objektiver Sicht fördern.
876
Û
Praxistipp: Entscheidend kann damit einmal der Zeitpunkt des Sachantrages sein. Ein zu früh gestellter Antrag sollte jedenfalls nach der Begründung des Rechtsmittels noch einmal gestellt werden. Mag man dem zu früh gestellten Antrag die Notwendigkeit absprechen (und dies später aufrecht erhalten), lässt sich das für den erneut gestellten Antrag auf keinen Fall mehr sagen. Erfolgt keine Begründung, sollte vorsorglich nach Ablauf der Begründungsfrist ein Verwerfungsantrag gestellt werden.
693 OLG München v. 18.7.2005 – 11 W 1911/05, OLGR München 2006, 78 = AGS 2005, 520: Beantragt der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Zurückweisung der Berufung, bevor diese begründet worden ist, so ist dem Berufungsbeklagten auch dann nur die ermäßigte Gebühr gem. der Nr. 3201 RVG-VV zu erstatten, wenn das Rechtsmittel anschließend begründet und nach einem Hinweis des Berufungsgerichts zurückgenommen wird, ohne dass der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten dem Berufungsgericht ggü. eine weitere Tätigkeit entfaltet hat. 694 OLG Stuttgart, v. 22.2.2005 – 8 W 70/05, OLGR Stuttgart 2005, 488 = AGS 2005, 575: Wird eine zur Fristwahrung eingelegte Berufung nicht begründet, sind die durch den nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag auf Verwerfung der Berufung entstehenden Anwaltsgebühren notwendige Kosten der Rechtsverteidigung. 695 KG v. 2.12.2005 – 1 W 434/04, KGR Berlin 2006, 230 = AGS 2005, 522: Wird eine Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen, ist dem Berufungsbeklagten auch dann nur eine halbe Prozessgebühr zu erstatten, wenn er bereits die Zurückweisung der Berufung beantragt hat.
216
Kostengrundentscheidungen
c) Höhe in den Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO Strittig ist, in welcher Höhe Anwaltsvergütungen zu erstatten sind, wenn das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO beendet wird.
877
Hierzu meint das OLG Oldenburg: Anwaltskosten des Berufungsbeklagten sind bei Verfahrensbeendigung nach § 522 Abs. 2 ZPO regelmäßig nur in Höhe einer 13/20 Gebühr zu erstatten (a.A. OLG Celle v. 17.12.2002 – 8 W 389/02, OLGR Celle 2003, 113 f.).696 Das OLG Koblenz entschied, die Kosten eines Antrags auf Zurückweisung der Berufung seien nicht erstattungsfähig, wenn ein gerichtlicher Hinweis vorausgegangen sei, aus dem sich zweifelsfrei ergebe, dass das Rechtsmittel unzulässig sei.697 d) Auftragserteilung nach Berufungsrücknahme Die Kosten des Berufungsbeklagten sind nach dem OLG Koblenz erstattungsfähig, wenn ihm bei Erteilung des Auftrags an den Berufungsanwalt nicht bekannt war oder bekannt sein musste, dass das Rechtsmittel bereits zurückgenommen wurde. Es sei auch nicht Aufgabe des Gerichts, eine Rechtsmittelrücknahme telefonisch dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten mitzuteilen.698
878
3. Kostengrundentscheidungen a) Zu Lasten der obsiegenden Partei, § 97 ZPO Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens können der obsiegenden Partei 879 nach § 97 Abs. 2 ZPO auch dann auferlegt werden, wenn nicht sicher feststeht, dass das Rechtsmittel ohne das neue Vorbringen erfolglos gewesen wäre.699 b) Kosten von Anschlussrechtsmitteln Verliert ein zulässig erhobenes Anschlussrechtsmittel seine Wirkung 880 durch Rücknahme des Rechtsmittels, sind dem Rechtsmittelkläger nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates des BGH im Regelfall auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen (dazu schon oben bei der Anschlussberufung).700
696 697 698 699 700
OLG Oldenburg v. 8.5.2003 – 2 W 26/03, MDR 2004, 626. OLG Koblenz v. 11.5.2006 – 14 W 278/06, OLGR Koblenz 2006, 792. OLG Koblenz v. 1.12.2004 – 14 W 800/04. BGH v. 2.3.2005 – VIII ZR 174/04, MDR 2005, 916. BGH v. 26.1.2005 – XII ZB 163/04, MDR 2005, 704.
217
Gebühren und Kostenfragen
881
Wird die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen, so trägt nach Auffassung des OLG Köln der Berufungskläger grundsätzlich auch die Kosten der durch die Zurückweisung der Berufung wirkungslos werdenden Anschlussberufung.701 c) Höhe von Vergleichsgebühren
882
Noch zur Rechtslage unter der Geltung der BRAGO und in Abkehr von der eigenen, früheren Rechtsprechung702 entschied das OLG Schleswig: Werden anlässlich eines Berufungsverfahrens nicht anhängige Ansprüche mitverglichen, so löst dies lediglich eine 15/10-Vergleichsgebühr aus, die nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO zu erhöhen ist.703 d) Übereinstimmende Erledigungserklärungen
883
Nach übereinstimmender Erledigung in der Hauptsache ergeht Kostenentscheidung nach § 91a ZPO. Gegen diese ist unter den Voraussetzungen von § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben, wenn der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO von 600 Euro übersteigt. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber den von der Rechtsprechung schon früher vertretenen Grundsatz, dass der Instanzenzug für die Anfechtung einer Nebenentscheidung nicht weiter gehen kann als derjenige in der Hauptsache, ausdrücklich im Gesetz verankert. e) Kostenmischentscheidungen
884
Dies gilt entsprechend für Fälle der so genannten Kostenmischentscheidung, in denen die Parteien den Rechtsstreit nur zum Teil in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und über die Kosten deshalb lediglich hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils nach § 91a ZPO, im Übrigen nach den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere also den §§ 91, 92 ZPO, zu entscheiden ist. Mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist dann nur der Teil der Kostenentscheidung, der auf § 91a ZPO beruht. Auf dieser Grundlage entschied der BGH, dass bei der Prüfung der Frage, ob der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme übersteigt, grundsätzlich auf das voraussichtliche Unterliegen einer Partei abzustellen sei, von dem das Gericht bei seinem Kostenausspruch ausgegangen sei und das deshalb die Höhe der hypothetischen Beschwer in der Hauptsache und damit die Obergrenze für den Wert des Beschwerdegegenstandes im 701 OLG Köln v. 23.8.2004 – 11 U 196/03, OLGR Köln 2004, 397. 702 OLG Schleswig v. 15.1.2001 – 9 W 163/01, OLGReport 2002, 130 = SchlHA 2002, 122f. = MDR 2002, 421 = Rpfleger 2002, 331. 703 OLG Schleswig v. 30.8.2004 – 9 W 141/04, OLGR Schleswig 2004, 510.
218
Kostengrundentscheidungen
Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimme. Nur dadurch sei sichergestellt, dass der Instanzenzug für die Anfechtung der Kostenentscheidung mit demjenigen für die (hypothetische) Anfechtung der Hauptsache übereinstimme.704 f) Quotenänderungen und Verzinsungsbeginn Bei einer Änderung der Kostenquote im Berufungsverfahren ist derjenige 885 Betrag der erstinstanzlichen Kosten, der sowohl nach der erst- wie nach der zweitinstanzlichen Kostengrundentscheidung zu erstatten ist, seit dem Eingang des (ursprünglichen) Kostenfestsetzungsantrags zu verzinsen.705 g) Unterschiedliche Prozessergebnisse von Gesamtschuldnern Wenn einer von zwei Gesamtschuldnern in zweiter Instanz obsiegt und 886 das erstinstanzliche Urteil bezüglich des anderen Gesamtschuldners, der in erster Instanz unterlegen ist, rechtskräftig geworden ist, muss eine Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung auch zu Gunsten dieses anderen erfolgen.706 h) Rechtsmittelrücknahme, Vergleich und Rückfestsetzung Führt die Rücknahme des Rechtsmittels gegen ein Grundurteil zu einer 887 Entscheidung nach § 516 Abs. 3 ZPO und einer entsprechenden Kostenfestsetzung, erfordert die in einem nachfolgenden Vergleich vereinbarte umfassende Kostenaufhebung die Rückfestsetzung, sofern nicht ausdrücklich vereinbart wird, dass der Vergleich bereits festgesetzte Kosten unberührt lässt.707 Ähnlich schon vorher das OLG Frankfurt: Die in einem außergerichtlichen Vergleich enthaltene abweichende Kostenregelung für das Berufungsverfahren nach Zurücknahme der Berufung geht der Kostenfolge des § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO vor.708
704 705 706 707 708
BGH v. 29.7.2003 – VIII ZB 55/03, MDR 2004, 45. BGH v. 20.12.2005 – X ZB 7/05, BGHReport 2006, 546. OLG Frankfurt v. 2.9.2005 – 2 U 32/01, OLGR Frankfurt 2006, 416. OLG Koblenz v. 1.9.2005 – 14 W 562/05. OLG Frankfurt v. 23.10.2003 – 5 U 187/03, OLGR Frankfurt 2004, 272.
219
Gebühren und Kostenfragen
4. Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts 888
Eine fehlerhafte Kostenentscheidung des Berufungsgerichts kann in dem die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluss vom Revisionsgericht nicht von Amts wegen korrigiert werden.709
5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde 889
Betraut im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Rechtsmittelgegner einen nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt mit einer Einzeltätigkeit, die auf eine Rücknahme der Beschwerde zielt, und sieht er von der Beauftragung eines postulationsfähigen Rechtsanwalts ab, sind die Kosten des beauftragten Rechtsanwalts nach Maßgabe des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten. Ob es dann um „sonstige Einzeltätigkeiten“ nach Nr. 3403 VV oder um Verfahrensgebühren geht, hängt vom Auftrag ab. Der III. Zivilsenat hat offengelassen, ob ein vor dem BGH nicht postulationsfähiger Rechtsanwalt überhaupt gebührenwirksam einen vollständigen Verfahrensauftrag erhalten kann.710
890
Û
Praxistipp: Auch wenn die Zahl der erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerden (ganz) langsam ansteigt, ist festzustellen, dass sich schneller als mit einer Bestellung auf Seiten des Beschwerdegegners gar kein Geld verdienen lässt. Es versteht sich, dass man dem Mandanten die Gebühren nicht gut kommunizieren kann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich ist. Dann muss für den Mandanten ja ein bei dem BGH zugelassener Rechtsanwalt tätig werden, der (erneut) Gebühren beanspruchen kann.
709 BGH v. 28.3.2006 – XI ZR 388/04, BGHReport 2006, 872. 710 BGH v. 4.5.2006 – III ZB 120/05, BGHReport 2006, 1068.
220
XII. Spezialfälle Das Berufungsgericht ist an die Beurteilung der Verwechslungsgefahr und der Zeichenähnlichkeit als einer ihrer Faktoren im Revisionsurteil nach § 565 Abs. 2 ZPO gebunden, wenn die der Prüfung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen sich nicht verändert haben.711
891
Die nach Verkündung des Berufungsurteils erfolgte Löschung des Ge- 892 schmacksmusters im Musterregister ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen.712
711 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 66/02, BGHReport 2005, 169. 712 BGH v. 15.7.2004 – I ZR 142/01, BGHReport 2005, 178.
221
Vorwort Wenn ich als Anwalt eine Berufung durchzuführen habe, interessieren mich prozessual zunächst nur vier Fragen: Ich will wissen,
• • • •
was ich zu schreiben habe (Stoff), wo ich es zu schreiben habe (Aufbau der Schriftsätze), wie ich es zu schreiben habe (Formulierungen), und wann ich es zu schreiben habe (Timing der Einreichung).
Dabei orientiere ich mich am Ziel meines Berufungsverfahrens. Soweit der Mandant erstinstanzlich gesiegt hat, will ich dies aufrecht erhalten; hat er verloren, will ich nunmehr gewinnen. Die Wege, die zu diesen Zielen führen, sind die Strategien. Die Methoden auf diesen Wegen sind die Taktiken. Häufig gibt es mehr als eine Strategie. Der erstinstanzlich siegreiche Beklagte mag sich als Berufungsbeklagter z.B. einmal damit begnügen wollen, die Zulässigkeit und Begründetheit der Berufung zu bekämpfen. Er mag sich ein andermal aber auch dazu entschließen, den Berufungskläger darüber hinaus durch eine Anschlussberufung unter zusätzlichen Druck zu setzen. Manchmal erweist es sich auch während eines laufenden Berufungsverfahrens als sinnvoll, die Strategie zu wechseln (zum Beispiel als Reaktion auf die Ergebnisse einer Beweisaufnahme), gelegentlich auch mehrfach. Als Interessenvertreter meines Mandanten habe ich diesem jedenfalls den sichersten Weg mindestens zu zeigen und zu empfehlen. Soweit es mehrere Wege gibt, muss ich es meinem Mandanten aber auch ermöglichen, nach Beratung selbst die Wahl zu treffen (BGH v. 29.4.2003 - IX ZR 54/02, ProzRB 2003, 257). Sonst treffen mich die Risiken der Anwaltshaftung. Sind die Interessen des Mandanten hinreichend gewahrt, darf auch der Blick auf die möglichst optimale Gestaltung der Anwaltsvergütung nicht fehlen. Dazu ist insbesondere von Bedeutung, wann ich welche Tätigkeit entfalte und wie ich dies dem Mandanten kommuniziere. Es wäre schade, wenn man zwar gut arbeitet, dabei aber weniger bekommt als möglich wäre. Dass ich den Fall dann materiell-rechtlich zutreffend ausloten muss, ist selbstverständlich. Das reicht aber oft nicht mehr. Ich muss das materielle Recht ja auch prozessual durchsetzen. Für eine solche Durchsetzung, mehr noch für ein optimales Ergebnis benötige ich eine (möglichst vollständige) Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung zum Berufungsrecht. V
Vorwort
Diese Voraussetzungen dürften spätestens nach der ZPO-Reform zum 1.1.2002 bei den allermeisten Anwälten nicht mehr gegeben sein. Die Rechtsprechung hat das neue Berufungsrecht in bislang über 400 höchstund obergerichtlichen Entscheidungen ausgeformt, teilweise ungeschriebene Tatbestandsmerkmale formuliert, teilweise Möglichkeiten neben dem Gesetz eröffnet. Das überschaut nur noch der Spezialisierte. Das vorliegende Buch kümmert sich um die bis hierhin beschriebenen Gegenstände.
• Es ist aus anwaltlicher Perspektive für Anwälte geschrieben. Es folgt im Gang seiner Darstellung damit auch dem Gang anwaltlicher Tätigkeit. Den Gedanken, ein gesondertes Ablaufschema an den Anfang zu setzen, habe ich nach Erstellung der Inhaltsübersicht wieder verworfen. Die Inhaltsübersicht ist das Schema.
• Das Buch versteht den Anwalt als Interessenvertreter, der bewusst einseitig (aber natürlich nicht unfair) handelt. Ausgewogene Zurückhaltung gehört deshalb auch nicht zu den Anliegen dieses Buches.
• Anwälte haben wenig Zeit. Das ist im Umfang des Buches berücksichtigt. Die möglichst vollständige Aufnahme der veröffentlichten Rechtsprechung war unabdingbar. Der Literaturapparat dagegen wurde auf ein Minimum reduziert.
• Anwälte müssen Schwerpunkte setzen. Das Buch greift dies auf, indem es die Themenfelder am stärksten behandelt, in denen die Rechtsprechung aktiv war. Anwälte machen gelegentlich Fehler oder übersehen etwas. Da bin ich leider keine Ausnahme. Wenn Ihnen also bei der Lektüre etwas auffällt, was Sie für falsch oder ergänzungsbedürftig halten, wäre ich für einen kurzen Hinweis dankbar, gerne auch per E-Mail ([email protected]). Overath, im Oktober 2006
VI
Hartmut Braunschneider
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V XI
Rz. Seite
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statthaftigkeit der Berufung . . . . . . . . 3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO
. . . .
. . . .
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1 1 8 16
1 1 3 5
I. Bestimmung des zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . .
17 18
6 6
.
57
18
. . .
61 78 80
19 23 24
. .
105 157
30 41
II. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 164 171 176 206 281
44 44 45 46 52 73
III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
82
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 4. Berufung zum LG und zum OLG? . . . . . . . . . . . . . . 5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? . . . . . . . . . 6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
1. 2. 3. 4. 5.
Fristdauer und -beginn im Normalfall . . Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fristen und PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
. . . . .
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IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile . . . . . 344 1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO . . . . 2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO . . . . . . . . . . . . . 3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt . .
345
91 91
461 119 537 138
VII
Inhaltsübersicht Rz. Seite
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile . . . . . 541 140 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . 2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO . . .
541 140 545 141
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . 546 142 1. 2. 3. 4.
Verspätung innerhalb der ersten Instanz . . . Verspätung aufgrund des Instanzwechsels . Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz Folgen von Präklusion für Streithelfer . . . .
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546 550 551 554
142 143 143 144
VII. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 145 1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . 3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung 4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
556 145
. .
559 146 565 147
.
570 147
.
573 148
VIII. Berufungsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 175 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eindeutige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO . . . . . . . .
... ...
680 175 680 175
...
683 176
... ...
684 176 685 176
IX. Berufungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 177 1. 2. 3. 4. 5.
Hinweise vor der Entscheidung . . . . . . . . . . . Verwerfungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO . Berufungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO . . .
. . . . .
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
. . . . .
690 693 695 713 779
177 178 178 181 195
X. Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 197 1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . 2. Was ist eine Anschlussberufung? . . . . . . . . . . . . . . . . VIII
783 197 791 198
Inhaltsübersicht Rz. Seite
3. 4. 5. 6.
Ziele einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . Nachteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anforderungen an die Begründung . . . . . . . . . . . . .
.. .. ..
827 206 832 207 838 208
..
846 210
.. ..
854 212 856 212
XI. Gebühren und Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 214 1. 2. 3. 4.
PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebühren des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . Kostengrundentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
... ... ...
864 214 870 215 879 217
...
888 220
...
889 220
XII. Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 221 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
IX
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V VII
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Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
1. Anwaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fristenprüfung bei Handaktenvorlage zur Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fortbestand ursprünglich vorhandener Vertretungsmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . .
....... .......
1 1
1 1
.......
4
1
.......
7
2
. . . . . . .
8 8 9 10 12 13 14
3 3 3 3 4 4 5
...
15
5
3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO . . . . . . . . . . . .
16
5
I. Bestimmung des zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . ... ... ...
17 18 19 22
6 6 6 9
... ...
23 25
10 11
. . . . .
. . . . .
26 30 31 35 36
11 12 13 14 14
...
38
15
2. Statthaftigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zur Urteilsergänzung . . . . . . . . . . . c) (Zweites) Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . . d) Kostenmischentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nichturteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abänderung der vorläufigen Vollstreckbarkeit . g) Vorbehaltsloses Erbringen der Urteilsleistung vor Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) OLG als richtige Adresse . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streit bei Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . c) OLG als falsche Adresse in WEG-Sachen nach dem FGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) OLG als falsche Adresse bei inländischer GbR e) Nachprüfung durch Rechtsmittelgericht/ Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Falsch eingelegt: Fristprobleme … . . . . . . . . . . g) … und kaum Wiedereinsetzungschancen . . . . h) Taktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wohnsitz: Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wohnsitz: Deutschland – Ausland – Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . .
XI
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cc) Hochwahrscheinlich: Berufung zum unzuständigen Gericht . . . . . . . . . . . dd) Fast aussichtslos: Wiedereinsetzung . ee) Rechtsmissbrauch? . . . . . . . . . . . . . . ff) Anwendungsmöglichkeiten . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
42 44 47 52
15 16 17 17
2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
18
3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht „ausdrücklich“ ist nicht genug . . . . . . . . . c) Wann darf das AmtsG „ausdrücklich“ schreiben? d) Was, wenn das AmtsG fälschlich ausdrückt? . . .
. . . . .
61 62 64 68 75
19 20 20 20 22
4. Berufung zum LG und zum OLG? . . . . . . . . . . . . . . .
78
23
5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? . . . . a) Prüfungspflicht des Empfängers . . . . . . . . . . aa) Fürsorge vs. Funktionsfähigkeit . . . . . . bb) BVerfG: Vorrang der Fürsorge bei Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiterleitungspflicht nach Prüfung . . . . . . . c) Folgen von Fristversäumnis . . . . . . . . . . . . . aa) Vertrauen in fristgerechte Weiterleitung bb) Bei Enttäuschung: Wiedereinsetzung . . cc) Wie zeitig ist „so zeitig“? . . . . . . . . . . .
..... ..... .....
80 82 83
24 25 25
. . . . . .
. . . . . .
85 90 94 94 95 96
26 27 27 27 28 28
. .
105 105
30 30
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106 107
30 30
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110 111 113
31 31 32
.
114
32
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. . . .
. . . . . .
. . . .
. . . . . .
6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besetzungen: Originär und obligatorisch . . . . . . . aa) Originär: der Einzelrichter, § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Originär: die Kammer, § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO cc) Obligatorisch: die Kammer, § 348 Abs. 3 ZPO – Übernahme nach Vorlage . . . . . . . . . . dd) Obligatorisch: der Einzelrichter, § 348a Abs. 1 ZPO – Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Und dann doch wieder: die Kammer, § 348a Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwei Fehler, vier Ursachen . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für den gesetzlichen Richter . . . . aa) Drei scheinbar irrelevante Fehler im obligatorischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII
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(1) BVerfG zum rechtlichen Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Der Inhalt des rechtlichen Gehörs … . . (c) … und die Art seiner Verletzung . . . . . (d) Vorrang fachgerichtlicher Kontrolle … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) … wenn es noch eine Abhilfemöglichkeit gibt . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Eine (!) Kontrollinstanz reicht aus . . . . (2) Übertragung auf den gesetzlichen Richter . (a) Kann der gesetzliche Richter „entscheidungserheblich“ sein? . . . . . (b) Irrelevanz der Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenz: außerordentliche Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Willkürerfordernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Nicht hilfreiche Kriterien . . . . . . . . . . (b) Hilfreiche Argumentation . . . . . . . . . . (aa) Offensichtlichkeit eines Zuständigkeitsmangels … . . . . . . (bb) … erst für den Anwalt … . . . . . . . (cc) … dann für das Gericht . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis zu den Grenzen der Unüberprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehler im originären Bereich sind rügbar . . . . . (1) Einzelrichter entscheidet als Kammer . . . . (2) Vorsichtshalber: explizite Besetzungsrüge . c) Zuständigkeit in Ablehnungsfällen . . . . . . . . . . . .
115
32
116 120 121
32 33 33
122
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34 34 35
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36 37 38 38
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150 151 152 155 156
40 40 40 41 41
157 157
41 41
159
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160
42
II. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
44
7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit nur als Anknüpfungspunkt . . . . . . . b) Keine Anwendung auf fehlende internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkung fehlerhafter Zuständigkeitsannahme auf Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Fristdauer und -beginn im Normalfall . . . . . . . . . . . . a) Fristbeginn bei Urteilsergänzung . . . . . . . . . . . . . .
164 165
44 44 XIII
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b) Fristbeginn bei Urteilsberichtigung . . . . . . . . . . . . c) Fristbeginn bei vom Original abweichender zugestellter Ausfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
44
170
45
2. Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überhaupt keine Zustellung: Blindberufung? . . . . b) Zustellung nach mehr als fünf Monaten, 10 Tage vor Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 171
45 45
173
46
3. Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mindestens zwei Monate . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlängerungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . aa) Verlängerung bis zu einem Monat, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . (1) Angabe eines Datums . . . . . . . . . . . (2) Angabe des Aktenzeichens . . . . . . . (3) Angabe eines erheblichen Grundes . (4) Beginn der Verlängerung . . . . . . . . . bb) Weitere Verlängerungsmöglichkeit bei Einwilligung des Gegners, § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwerfung wegen Fristsäumnis . . . . . . . . .
..... ..... .....
176 177 184
46 46 48
. . . . .
. . . . .
189 191 196 197 198
49 49 50 50 50
..... .....
199 205
50 51
. . . .
206 207 215 218
52 53 55 55
..
221
56
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227
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.. ..
228 229
58 58
.. ..
230 235
58 59
..
237
60
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238
60
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241
61
. . . . .
. . . . .
4. Fristen und PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungseinlegung . . b) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungsbegründung c) Berufungsfristsäumnisse bei PKH-Bescheidung . aa) PKH nach Ablauf von 2 Monaten (Begründungsfristablauf) i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeit für Nachholung versäumter Handlungen, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO . (a) Arme Partei steht schlechter da als bemittelte Partei . . . . . . . . . . . . . . . (b) Korrektur durch Rechtsprechung . . . (c) Sonderfall: Überlegungszeitraum nach PKH-Versagung vor Ablauf der Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Neuregelung durch das 1. JuMoG . . (2) Bestimmung des Hindernisses, § 234 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt – alle Fristen versäumt . . . (b) Variante 2: Berufung eingelegt – Begründungsfrist versäumt . . . . . . . XIV
. . . . .
. . . .
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(3) Was will das Gesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Umsetzung und Gleichbehandlung . . . (b) In der Gesetzesbegründung Fehlendes . (c) Vermischtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) PKH vor Ablauf von 2 Monaten i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO (Begründungsfristablauf) . . . . (1) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt . (a) Entscheidung des BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Begründung ohne Einlegung? . . . . . . . . (c) Verlängerung ohne Einlegung? . . . . . . . (d) Ohne Einlegung nie Verlängerung . . . . (2) Variante 2: Berufung eingelegt . . . . . . . . . . (a) So oder so: In jedem Fall Verlängerungsantrag stellen . . . . . . . . . (b) PKH-Beschluss in der Verlängerungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfall: Wiedereinsetzungsantrag vor PKH-Bescheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH) . . . . . . a) Fehlende Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bezeichnungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versäumte Einlegungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . aa) Falsche Fristberechnung bei Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Absendung unterblieben . . . . . . . . . . . . . cc) Umgang mit Fristenkalender . . . . . . . . . dd) Vergessen nur mündlicher Anweisungen ee) Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Einzelweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fehler bei E-Mail-Verwendung . . . . . . . . gg) Darlegungsumfang für fehlendes Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Versäumte Begründungsfrist . . . . . . . . . . . . . aa) Unkenntnis vom Beginn der Frist . . . . . . bb) Unmöglichkeit der Akteneinsicht . . . . . . cc) Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kurzfrist-Mandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Abstürzende Textdatei . . . . . . . . . . . . . . ff) Falscher Telefax-Adressat . . . . . . . . . . . . gg) Papierstau im Gerichtsfax . . . . . . . . . . . . e) Verschulden bei Stufenbevollmächtigung . . .
242 244 245 247
61 61 62 62
259 260
66 66
260 263 266 270 271
66 67 67 68 69
272
69
273
70
280
71
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. . . .
. . . .
. . . .
281 285 287 290
73 73 74 74
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
290 291 292 297
74 75 75 76
.... ....
298 299
77 77
. . . . . . . . . .
301 302 302 304 307 309 310 311 313 315
78 78 78 78 79 79 80 80 80 81
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. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
XV
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f) Rechtsbeschwerde gegen Versagung der Wiedereinsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316
III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
81
. . . .
319 320 321 325
82 83 83 84 85
....
326
85
....
327
86
. . . . . .
328 329 332 333 336 338
86 86 87 87 89 89
IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile . . . . . 344
91
a) b) c) d)
Wurde überhaupt angefochten (= eingelegt)? . Nicht postulationsfähiger Berufungsführer . . Was wird angefochten? . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer ist Berufungsführer? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strenge Anforderungen, aber keine unnötigen Erschwerungen . . . . . . . . . . . bb) Erstinstanzliches Urteil beschwert beide Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berufung ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Falsche Parteibezeichnungen . . . . . . . . . ee) Selektive Berufungseinlegung . . . . . . . . . e) Wer ist Berufungsgegner? . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vertretungsmacht trotz Kollision . . . . . . . . . g) Mehrfacheinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . . . .
1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO . . a) Der Sachantrag nach § 528 S. 2 ZPO . . . . . . . . . aa) Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erstinstanzlich nicht beschiedene Hilfsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teilanträge und Teilrechtskraft . . . . . . . . . . dd) Übersehene Berufungsanträge . . . . . . . . . . . b) Der Sachantrag nach § 712 ZPO . . . . . . . . . . . . c) Der Sachantrag nach § 718 ZPO . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensanträge nach § 538 Abs. 2 ZPO? . . . . e) Möglichst wenig Bezugnahmen . . . . . . . . . . . . . f) Beschwer und Beschwerdegegenstand – Umfang der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Beschwer: mehr gewollt als verlangt . bb) Klageerhöhung in der Berufung . . . . . . . . . . cc) Erweiterung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer . . . . . . . . . . . . . . g) Ziel der Anfechtung (Abänderung) . . . . . . . . . . . aa) Völlig neue Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Was alles nicht geht … . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI
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345 348 349
91 92 92
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. . . . . . .
355 356 359 360 362 363 368
93 93 94 94 94 94 95
.. .. ..
371 379 380
96 98 98
. . . . .
381 98 383 99 384 99 390 101 394 102
. . . . .
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dd) Entscheidender Zeitpunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . ee) … und was geht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sinn solchen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Neue Schlussrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . hh) Einschränkung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rücknahme: Billiger, aber immer noch teuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Alternativen zur Rücknahme . . . . . . . . . (a) Kleiner ist feiner . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zu spät wird billiger . . . . . . . . . . . . . (c) Schlecht wird billiger . . . . . . . . . . . . . (d) Mehr kostet weniger als Weniger . . . . (3) Vorsichtsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . ii) Die möglichen Variationen im Umfang des Berufungsangriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vollständiges Scheitern in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) (Nur) Teilweises Scheitern in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Der anfänglich teilweise, später volle Angriff (1) Alles eine Frage der Kosten . . . . . . . . . . . (2) Enge Voraussetzungen für spätere Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ausreichender Rügeumfang . . . . . . . . . . (4) Unzureichender Rügeumfang . . . . . . . . . 2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO . . . . . . . . . . . . a) Rechtsverletzung (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alte-Tatsachen-Fehler (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tatsachenfeststellung i.S.v. § 529 ZPO … . . bb) … ist nicht nur Tatsachenfeststellung i.S.v. § 559 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) … sondern auch Parteivorbringen i.S.v. § 559 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unrichtigkeit … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) … und Unvollständigkeit … . . . . . . . . . . . . ff) … folgen regelmäßig aus Verfahrensfehlern
. . . .
. . . .
401 402 403 406
103 103 103 104
.
407 104
. . . . . . .
407 410 410 414 416 422 423
.
426 110
.
430 110
.
431 111
.
440 113
. . .
443 114 451 115 451 115
. . .
455 116 457 116 458 117
. . . .
461 467 475 477
104 105 105 106 107 109 109
119 120 122 123
..
481 123
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484 486 487 488
. . . .
125 125 125 126 XVII
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gg) hh) ii) jj) kk)
Auswahl für das Berufungsgericht . . . . . . . . Konkrete Anhaltspunkte … . . . . . . . . . . . . … führen zu Zweifeln . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zusammenspiel von nicht berücksichtigem Schriftsatzvortrag und Tatbestand . . . ll) Untauglicher Rettungsversuch . . . . . . . . . . mm) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . nn) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Neue-Tatsachen-Fehler (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . d) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mehrere Fehler gleichzeitig . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
490 491 493 494
126 126 127 127
. . . . . . .
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498 510 512 514 516 525 532
128 130 130 132 133 136 137
3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt . .
537 138
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile . . . . . 541 140 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO . . . . . . . .
541 140
2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
545 141
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . 546 142 1. Verspätung innerhalb der ersten Instanz . . . . . . . . . . .
546 142
2. Verspätung aufgrund des Instanzwechsels . . . . . . . . .
550 143
3. Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz . . . . . . . .
551 143
4. Folgen von Präklusion für Streithelfer . . . . . . . . . . . .
554 144
VII. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 145
XVIII
1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
556 145
2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . .
559 146
3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565 147
4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
570 147
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5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweiswürdigungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Neues, zu berücksichtigendes Vorbringen . . . ff) Konsequenzen neuer Tatsachenfeststellung . b) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO – allgemein . aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel . . . . (1) Vortrag aus erster Instanz . . . . . . . . . . . . (2) Unberücksichtigtes . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Späteres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Neue Schlussrechnung . . . . . . . . . . . (b) Neue Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . (c) Entstehung vs. Schaffung neuer Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Einrede der Verjährung . . . . . . . . . . . (e) Vortrag in der Berufung beigetretener Streithelferin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Ortsübliche vs. vereinbarte Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neues neben § 531 Abs. 2 ZPO? . . . . . . . . . . (1) Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) OLG-Rechtsprechung/KG-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Klärung durch den BGH: Es geht . . . . . . . cc) Neues nach Zurückverweisung . . . . . . . . . . . dd) Neues im Arbeitsgerichtsprozess . . . . . . . . . c) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO . . . . . . aa) Zusätzliches ungeschriebenes Merkmal . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unvollständiges Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) (Un-)Erheblichkeit von Bestreiten . . . . . . (3) Neue Gegenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . d) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO . . . . . . aa) Hauptanwendungsbereich: unterlassene Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unvollständiger Hinweis zum nötigen weiteren Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . .
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573 578 578 582 585 586 589 591 592 594 595 597 600 600 601
148 149 149 150 151 151 151 152 152 153 153 153 154 154 155
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603 155 607 156
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608 156
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609 156 610 157 611 157
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613 615 620 621 622 623 625
158 159 160 160 161 161 161
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625 626 627 629
161 162 162 162
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630 162 632 163
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632 163 XIX
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(2) Kein Hinweis zur nicht hinreichenden Substantiierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Hinweispflicht zu alternativen Antragsbegründungen . . . . . . . . . . . . . . (4) Keine Hinweispflicht zu Nebenforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Sachverständige – Ergänzungsgutachten und Befragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO . . . . . aa) Nachlässigkeit = einfache Fahrlässigkeit . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parteigutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Partei in Strafhaft . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erstinstanzlicher Vortrag von Patienten (4) Einrede der beschränkten Erbenhaftung (5) Erstinstanzlicher Verzicht auf Zeugen . (6) Erstinstanzlich nicht benannte Zeugen zu neuem Sachvortrag . . . . . . . . . . . . . . (7) Erstinstanzlich zurückgehaltener Vortrag – „Prozesstaktik“ . . . . . . . . . . . (8) Im einstweiligen Verfügungsverfahren . f) Fehlerhafte Nichtzulassung entgegen § 531 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) § 533 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Klageänderungen: § 264 Nr. 2 und 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) (Nicht ausreichende) Sachdienlichkeit . (2) Fehlende Einwilligung in Übergang von Rücktritt auf Minderung . . . . . . . . . . . . (3) Zulässigkeit entgegen § 533 ZPO bei Abweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eventualklagehäufung mit Berufungserwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Erweiterung auf weiteren (akzessorisch haftenden) Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . (6) Gewillkürter Wechsel auf anderen Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Wechsel von Zahlungs- auf Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Wechsel von positivem Interesse auf negatives Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Wechsel des Leistungsempfängers . . . . .
XX
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633 163
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634 163
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635 164
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636 637 637 639 639 641 642 645 646
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164 164 164 165 165 165 165 166 166
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647 166
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648 167 649 167
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654 168 659 169 661 169
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666 171
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668 171
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669 172
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670 172 671 172
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(10) Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstandes . . . . . . cc) Widerklage und Hilfswiderklage . . . dd) Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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672 673 677 678
173 173 173 174
VIII. Berufungsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 175 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
680 175
2. Eindeutige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
680 175
3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
683 176
4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
684 176
5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO . . . . . . . . . . .
685 176
IX. Berufungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688 177 1. Hinweise vor der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .
690 177
2. Verwerfungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693 178
3. Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Offensichtlichkeit der Unbegründetheit . . . . bb) Kein Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlängerung der Stellungnahmefrist restriktiver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erfolgsaussichten einer Klageerweiterung irrelevant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Klageänderung/Widerklage . . . . . . . . . . . . . . ff) § 522 Abs. 2 und § 538 ZPO . . . . . . . . . . . . . gg) Berufungseinlegung durch mehrere Parteien . hh) Teilzurückweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit mit EMRK und Verfassung . . . . . . c) Rechtsmittel gegen den Beschluss . . . . . . . . . . . . d) Anwendbarkeit auf Entschädigungsverfahren . . .
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695 696 696 697
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698 179
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699 700 703 704 705 706 708 712
179 180 180 180 180 180 181 181
4. Berufungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlerhaft, aber zutreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Horizontales (Teil-)Versäumnisurteil, § 539 ZPO c) Protokollurteil, § 540 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatsächliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . .
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713 713 715 718 719 720
181 181 182 182 182 183
178 178 178 179
XXI
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cc) Berufungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Widerspruchsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen ohne Begründung/Abweichen ohne Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Urteil im Verhandlungstermin . . . . . . . . . . . . gg) Altfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zurückverweisung, § 538 Abs. 2 ZPO, vs. Selbstentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz: Selbstentscheidung durch das Berufungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahme: Zurückverweisung nach Ermessenausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Zurückverweisung bei Endentscheidungsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einzelfälle zu § 538 Abs. 1 ZPO . . . . . . . . . . . (1) (Keine) Verfahrensfehler, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vom Anwalt übersehene Gesichtspunkte/Nebenforderungen . . . . . . . . . (b) Nicht verwertete Alternativgutachten/ Gegenzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Nicht hinzugezogener Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen . . . . . . (f) Nicht berücksichtigter Beweisantrag bei ausbleibendem Kostenvorschuss . . (g) Verdeckte Änderung vorher bekanntgegebener Einschätzungen . . . (h) Nichtanhörung betroffener Kinder in Sorgerechtsverfahren . . . . . . . . . . . (i) Verspätungszurückweisung ohne Klärung einer Verzögerung . . . . . . . . . (j) Übergangener Sachvortrag . . . . . . . . . (k) Überraschung! – Beweiserhebung ohne jede Verwertung . . . . . . . . . . . . . (l) Überraschung! – Nicht erörterte Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . (m) Bindung an Einzelrichterverweisungsbeschluss – Kammerentscheidung . . . (n) Entscheidung trotz Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . XXII
723 183 725 184 727 184 730 184 734 185 735 185 735 185 736 185 741 186 742 187 742 187 742 187 744 187 750 188 751 188 752 189 753 189 754 190 755 190 756 190 757 191 759 191 760 191 762 191 763 192
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e) f)
(o) Keine absoluten Berufungsgründe: Verkündungsfehler ohne Relevanz . (2) Nachverfahren, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 . (3) Teilurteil, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 . . . . . . Wertfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Anwendung des § 537 ZPO auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils . Zulassung der Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . Zulassungsfreie Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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764 767 768 775
192 193 193 194
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776 195 777 195 778 195
5. Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO . . . . . . . . .
779 195
g) h)
X. Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 197 1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . .
783 197
2. Was ist eine Anschlussberufung? . . . . . . . . . . a) Bis zur ZPO-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ab der ZPO-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nur noch unselbständige Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine selbständige Anschlussberufung mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Alternativ: Selbständige Berufung . . . . c) Ab dem 1. JuMoG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Änderung des Fristablaufes . . . . . . . . . bb) Ausschluss des Fristablaufes . . . . . . . . cc) Verbleibende Probleme . . . . . . . . . . . .
...... ...... ......
791 198 794 199 798 200
......
798 200
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803 812 814 815 819 820
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201 202 203 203 204 205
3. Ziele einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
827 206
4. Vorteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikoerhöhung für den Hauptberufungsführer . . . b) Kuchen vergrößern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
832 207 832 207 836 208
5. Nachteile einer Anschlussberufung . . . . . . . . . a) Niederlage mit dem Gegenangriff . . . . . . . . b) Kostenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kosten beim Hauptberufungsführer . . . bb) Kosten beim Anschlussberufungsführer c) Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
838 838 839 841 842 843
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208 208 209 209 209 210
6. Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . .
846 210
7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
854 212 XXIII
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8. Anforderungen an die Begründung a) Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsänderungen . . . . . . . . .
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856 858 860 863
212 212 213 213
XI. Gebühren und Kostenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864 214 1. PKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) PKH für den Berufungskläger . . . . . . . . . . . . . . . . . b) PKH für den Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . .
864 214 865 214 869 214
2. Gebühren des Berufungsbeklagten . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit . . . . . . . . . b) Richtiger Zeitpunkt für die Sachantragstellung . c) Höhe in den Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO . . . . . d) Auftragserteilung nach Berufungsrücknahme . .
. . . . .
. . . . .
870 870 872 877 878
215 215 215 217 217
3. Kostengrundentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . a) Zu Lasten der obsiegenden Partei, § 97 ZPO b) Kosten von Anschlussrechtsmitteln . . . . . . c) Höhe von Vergleichsgebühren . . . . . . . . . . . d) Übereinstimmende Erledigungserklärungen e) Kostenmischentscheidungen . . . . . . . . . . . . f) Quotenänderungen und Verzinsungsbeginn g) Unterschiedliche Prozessergebnisse von Gesamtschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtsmittelrücknahme, Vergleich und Rückfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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879 879 880 882 883 884 885
217 217 217 218 218 218 219
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. . . . . . .
. . . . . . .
.....
886 219
.....
887 219
4. Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
888 220
5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
889 220
XII. Spezialfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 221 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIV
223
Vorbemerkungen 1. Anwaltspflichten a) Beratungsumfang Will eine Partei nach (teilweisem) Verlust der ersten Instanz in die Berufung, sind aus Beratersicht drei Konstellationen zu unterscheiden:
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– Der Anwalt hat das Verfahren schon in erster Instanz geführt und soll es auch in zweiter Instanz weiter führen. – Der um Rat gefragte Anwalt hat nur die erste Instanz geführt, will (4-Augen-Prinzip) oder kann (keine OLG-Zulassung) die zweite Instanz aber nicht führen. – Der gefragte Anwalt soll erstmalig und nur zweitinstanzlich tätig werden. Die erste und die letzte Variante sind vergütungsrechtlich interessant, 2 die zweite Variante ist mehr arbeitsaufwändig und gefährlich als lukrativ. Das OLG Schleswig hat die Beratungspflichten des Anwaltes nämlich so konkretisiert: Die Beratung über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels müsse stets Chancen und Risiken des Rechtsmittels umfassen und abwägen und auch die Kostenrisiken berücksichtigen. All dies sei dem Mandanten darzustellen, damit dieser eine vernünftige Entscheidung treffen könne, ob er die Risiken eingehen wolle.1 Die möglichen Berufungsziele des Mandanten müssten mit den Anträgen und dem Vortrag in erster Instanz abgestimmt sein, ggf. müssen besondere Erwägungen zu § 533 ZPO gemacht werden.2
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Praxistipp: Führt der Anwalt die Berufung nicht selbst, sollte er sich 3 darauf beschränken, der Partei das erstinstanzliche Urteil zu erläutern, und die Beurteilung der Erfolgsaussichten dem Kollegen (und dessen Haftung) zu überlassen, der die Berufung führen soll.
b) Fristenprüfung bei Handaktenvorlage zur Berufungseinlegung Wenn dem Rechtsanwalt die Handakten zur Anfertigung der Berufungs- 4 schrift vorgelegt werden, muss er auch prüfen, ob die Berufungsbegründungsfrist richtig notiert ist. Tut er dies nicht, scheidet eine Wiedereinsetzung aus.3 1 OLG Schleswig v. 30.6.2004 – 11 U 47/03, OLGR Schleswig 2004, 540. 2 OLG Schleswig v. 30.6.2004 – 11 U 47/03, OLGR Schleswig 2004, 540. 3 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 77/04, MDR 2005, 1128 als Bestätigung von BGH v. 1.12.2004 – XII ZB 164/03, MDR 2005, 468. Dahinter steckt eine ständige Recht-
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Vorbemerkungen
Auf der anderen Seite gilt nach dem IV. Zivilsenat: Ist die Frist zur Berufungsbegründung richtig errechnet und deren Eintragung im Fristenkalender des Anwaltsbüros in der Handakte als erledigt notiert, muss der Anwalt die Eintragung im Fristenkalender nicht noch persönlich überprüfen.4 5
Entsprechend hat der Rechtsanwalt, dem die Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt wird und der sich sodann entschließt, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, aus diesem Anlass zu prüfen, ob diese Frist richtig errechnet und im Fristkalender eingetragen ist. Lässt sich dabei erkennen, dass die Berufungsfrist bereits abgelaufen ist, so beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit diesem Zeitpunkt und nicht erst mit einem späteren gerichtlichen Hinweis auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist.5 Im Kern geht es darum: Werden die Akten anlässlich einer fristgebundenen Handlung vorgelegt, müssen alle Fristeintragungen vom Anwalt geprüft werden.
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Praxistipp: Erfolgreich kann ein Wiedereinsetzungsantrag in solchen Konstellationen also nur dann sein, wenn der Anwalt vorträgt, dass er bei der Einlegung die Fristen geprüft und das zutreffende Datum als korrekte Eintragung für den Ablauf der Begründungsfrist vorgefunden hat. Dieser Eintrag hätte dann – nach der Prüfung durch den Anwalt – von der zuverlässigen (etc.) Angestellten versehentlich geändert worden sein müssen. Über deren Motivation für die Änderung sollten dann allerdings auch einige sinntragende Sätze geschrieben werden.
c) Fortbestand ursprünglich vorhandener Vertretungsmacht? 7
Ein anwaltlicher Prozessbevollmächtigter, der Berufung einlegt, nachdem das Vermögen seiner Partei unter vorläufige Insolvenzverwaltung durch einen sog. starken Verwalter gestellt worden ist, handelt hierbei, sofern keine Notgeschäftsführung vorliegt, ohne ausreichende Vertretungsbefugnis.6 Das hat für den Anwalt höchst unangenehme Konsequenzen: Nimmt der nämlich anschließend das Rechtsmittel zurück, so sind ihm entsprechend §§ 179, 180 BGB bzw. nach dem sog. Veranlasserprinzip die Kosten der unzulässigen Berufung (jedenfalls) dann aufzuerlegen, wenn feststeht sprechung: BGH v. 11.2.2004 – XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696; BGH v. 21.4.2004 – XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183f.; BGH v. 25.3.1985 – II ZB 2/85,VersR 1985, 552; BGH v. 16.3.2000 – VII ZR 320/99, HFR 2001, 297 und BGH v. 5.11.2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437. 4 BGH v. 14.6.2006 – IV ZB 18/05. 5 OLG Zweibrücken v. 13.3.2006 – 2 UF 201/05, OLGR Zweibrücken 2006, 645. 6 OLG Bamberg v. 8.2.2006 – 4 U 5/06, OLGR Bamberg 2006, 275.
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Statthaftigkeit der Berufung
oder zumindest nicht ausgeräumt ist, dass der Parteivertreter bei Berufungseinlegung die Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts kannte bzw. eine etwaige Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht, und der Anwalt entsprechend § 89 Abs. 1 S. 3 ZPO Gelegenheit gehabt hatte, die Genehmigung des vorläufigen Verwalters beizubringen. Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht des Anwalts ergeht in diesem Fall analog § 516 Abs. 3 ZPO von Amts wegen. Die Unterbrechung des Verfahrens nach § 240 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen.
2. Statthaftigkeit der Berufung a) Mindestwert Ob eine Berufung überhaupt statthaft ist, ergibt sich grundsätzlich aus 8 § 511 ZPO. Die Probleme, die sich um die Erreichung des Mindestwertes für den Beschwerdegegenstand ergeben, werden weiter unten (Rz. 371 ff.) bei den Anträgen besprochen.7 b) Verhältnis zur Urteilsergänzung Bisweilen ergibt sich die Frage, ob ein Urteil mit einer Urteilsergänzung 9 oder einer Berufung korrigiert werden soll. Für den Fall, in dem das angefochtene Urteil der von dem Schuldner erhobenen Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses nicht durch Ausspruch eines entsprechenden Vorbehalts Rechnung getragen hat, steht nach Auffassung des OLG Schleswig die Möglichkeit, die Aufnahme eines solchen Vorbehalts im Wege der Urteilsergänzung zu erreichen, der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen.8 c) (Zweites) Versäumnisurteil Bei einem zweiten Versäumnisurteil gilt nach einer Entscheidung des OLG Rostock, dass über den Wortlaut des § 514 Abs. 2 ZPO hinaus die Berufung auch dann zulässig sein soll, wenn die Partei, gegen die das Versäumnisurteil ergangen sei, zwar säumig, die Säumnis jedoch unverschuldet war. Entgegen seinem engeren Wortlaut sei § 514 Abs. 2 ZPO auch nach der Prozessrechtsreform weiterhin dahin gehend auszulegen, dass beide der vorgenannten Fallgruppen (keine Säumnis/unverschuldete Säumnis) die Berufung rechtfertigen.9
7 Ab Rz. 371. 8 OLG Schleswig v. 22.9.2004 – 9 U 79/03, MDR 2005, 350. 9 OLG Rostock v. 28.4.2006 – 3 U 163/05, OLGR Rostock 2006, 628; Aktenzeichen des BGH: X ARZ 177/06.
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Vorbemerkungen
Das KG entschied, dass die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil bereits dann statthaft sei, wenn der Berufungskläger einen nach § 514 Abs. 2 ZPO zulässigen Berufungsgrund schlüssig vortrage. Soweit dem zweiten Versäumnisurteil ein Vollstreckungsbescheid vorausgegangen sei, könne die Berufung auf die Verletzung der in § 700 Abs. 6 ZPO normierten Prüfungspflicht gestützt werden.10 11 Die Berufung gegen ein Urteil, das den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil als unzulässig verworfen hat, ist unzulässig, wenn sie (ohne Angriff gegen die Feststellung der Säumnis) allein damit begründet wird, die titulierte Forderung bestehe in der Sache nicht.11 d) Kostenmischentscheidung 12 Soll eine Kostenmischentscheidung im Urteil angegriffen werden, die teils gem. § 91a ZPO, teils nach den sonstigen Kostenregelungen ergeht, ist nach dem OLG Rostock eine (trotz § 91a Abs. 2 ZPO einheitliche!) Berufung zulässig, wenn der Berufungskläger das Urteil auch zur Hauptsache angreift.12 Soweit nach der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache Gegenstand der Berufung auch der auf § 91a ZPO beruhende Teil der Kostenentscheidung sei, soll für diesen Berufungsangriff ein gesonderter Streitwert festzusetzen sein, der sich nach dem Kosteninteresse richte. e) Nichturteil 13 Ein „Nicht“-Urteil wird nach Ansicht des OLG Rostock gesprochen, wenn bei einem am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten Urteil die Urteilsformel nicht schriftlich vorliege. Nicht ausreichend sei insofern, dass der beabsichtigte Urteilstenor im Verhandlungsprotokoll aufgeführt und das Protokoll durch den Vorsitzenden gezeichnet worden sei. Dies ersetzte eine Unterzeichnung durch die erkennenden Richter nicht. Bei einem nicht verkündeten und nicht (innerhalb der Frist von 5 Monaten) abgesetzten Urteil handele es sich um ein rechtlich nicht existentes Scheinurteil, dass auch nicht Gegenstand einer die Berufungsfrist des § 517 ZPO in Lauf setzenden wirksamen Zustellung sein könne. Gleichwohl sei gegen ein solches Nichturteil die Einlegung des bei wirksamer Verkündung und Absetzung der Entscheidung statthaften Rechtsmittels – hier der Berufung – zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen.
10 KG v. 10.3.2006 – 7 U 20/06, KGR Berlin 2006, 588. 11 OLG Zweibrücken v. 15.7.2003 – 4 U 31/03, OLGR Zweibrücken 2004, 45. 12 OLG Rostock v. 26.5.2003 – 3 U 85/02, OLGR Rostock 2003, 388.
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Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO
f) Abänderung der vorläufigen Vollstreckbarkeit Für eine Berufung mit dem alleinigen Ziel einer Abänderung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.13
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g) Vorbehaltsloses Erbringen der Urteilsleistung vor Berufungseinlegung Nach einer Entscheidung des OLG Köln14 fehlt es an einer Beschwer, 15 wenn die verurteilte Partei nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und vor Einlegung eines Rechtsmittels die Urteilsleistung vorbehaltlos erbringt und ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung nicht zumindest hilfsweise weiterverfolgt. In diesen Fällen sei von einer materiellen Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen auszugehen, so dass ein rechtsschutzwürdiges Interesse der verurteilten Partei an der Beseitigung des Urteilsausspruches nicht mehr bestehe. Anders liege es, wenn der Schuldner lediglich unter Vorbehalt oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet habe. Ob dies oder eine vorbehaltlose Leistung anzunehmen sei, richte sich nach den dem Leistungsempfänger erkennbaren Umständen des Einzelfalles Zwar könne ein Rechtsstreit auch nach Erlass eines Urteils in der Hauptsache für erledigt erklärt werden. Insbesondere sei auch die Rechtsmitteleinlegung zum Zweck der Erklärung der Erledigung in der höheren Instanz zulässig. Voraussetzung sei jedoch die Zulässigkeit des Rechtsmittels, wozu eben auch die Beschwer in der erforderlichen Höhe gehörte. Die Verteidigung im konkreten Fall richtete sich nicht gegen den Klageanspruch an sich, sondern lediglich gegen die Belastung mit den Prozesskosten. Da damit von einer vorbehaltlosen Leistung auszugehen sei, fehle es an der erforderlichen Beschwer. Diese könne auch nicht in der Belastung mit den Kosten des ersten Rechtszuges liegen. Insofern wäre der richtige Rechtsbehelf die sofortige Beschwerde nach § 99 Abs. 2 ZPO gewesen.
3. Kein Rechtsmittelverzicht, § 515 ZPO Soweit auf das Recht der Berufung verzichtet wurde, ist eine dennoch 16 eingelegte Berufung unzulässig. Inhalt und Tragweite eines ggü. dem Gericht erklärten Rechtsmittelverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist. Dies gilt auch dann wenn die Verfahrensbeteiligten die Verzichtserklärung übereinstimmend in einem anderen Sinne aufgefasst haben sollten.15 13 OLG Köln v. 31.3.2005 – 20 U 32/05, OLGR Köln 2005, 646. 14 OLG Köln v. 17.12.2003 – 24 U 152/03, OLGR Köln 2004, 181. 15 OLG Frankfurt v. 9.11.2005 – 3 UF 151/05, OLGR Frankfurt 2006, 561.
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I. Bestimmung des zuständigen Gerichts 17 Die Auswahl des richtigen Berufungsgerichtes ist im Normalfall unproblematisch. Wenn ein Verfahren vor dem Amtsgericht beginnt (§§ 23–23c GVG), geht die Berufung zum Landgericht (§ 72 GVG). Beginnt das Verfahren vor dem Landgericht (§ 71 GVG), geht die Berufung zum Oberlandesgericht. Von diesen Normalfällen gibt es aber Ausnahmen. Namentlich § 119 GVG hat nach der Reform eine besondere Bedeutung bekommen.
1. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 18 Das gilt besonders für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG. Die Oberlandesgerichte sind nunmehr zuständig für Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes hatte. Das betrifft damit auch alle Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte. Die Rechtsprechung ist inzwischen ausdifferenziert. a) OLG als richtige Adresse 19 § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG begründet zwar eine von den allgemeinen Vorschriften abweichende Zuständigkeitsregelung und ist deshalb als Ausnahmevorschrift eng auszulegen,16 er findet aber Anwendung – unabhängig von der Anwendung internationalen Rechts im Einzelfall17 – wenn ein ausländisches Versicherungsunternehmen beim Amtsgericht seiner unselbständigen Zweigniederlassung in der Bundesrepublik verklagt wird18
16 OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR Oldenburg 2003, 374. 17 BGH v. 19.2.2003 – IV ZB 31/02, MDR 2003, 707 = ProzRB 2003, 214; OLG Köln v. 17.3.2004 – 16 U 22/04, OLGR Köln 2004, 274. 18 OLG Köln v. 17.3.2004 – 16 U 22/04, OLGR Köln 2004, 274: „Bei Beteiligung der deutschen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens ist nur dann das Landgericht für die Entscheidung über das Rechtsmittel nach § 72 GVG zuständig, wenn es sich bei dieser Niederlassung um eine Tochtergesellschaft im Sinne einer deutschen juristischen Person handelt (vgl. OLG Frankfurt v. 25.9.2003 – 1 U 209/03)“; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 15; OLG Celle v. 21.5.2004 – 11 U 7/04, OLGR Celle 2004, 540.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
– auf Mietstreitigkeiten,19 – im selbständigen Beweisverfahren,20 – bei Streitwertbeschwerden,21 – auf Fälle einfacher Streitgenossenschaft,22 – auch wenn nur ein Teil der Streitgenossen auf Beklagtenseite keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat (ist einheitlich nur das OLG für das Berufungsverfahren zuständig).23 – Vgl. aber unten, wenn fälschlich Streitgenossenschaft angenommen wurde, in Wirklichkeit aber eine GbR Partei war. – Die Rücknahme der Berufung gegen den einzigen Streitgenossen mit Wohnsitz im Ausland hat jedenfalls dann keinen Einfluss auf die Berufungszuständigkeit, wenn sie erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt.24 – Die spätere Verlegung eines bei Rechtshängigkeit deutschen Wohnsitzes in das Ausland führt nicht zu einer Zuständigkeit des OLG.25 – Das gilt auch dann, wenn eine erst nach Rechtshängigkeit in das Ausland verzogene Partei später aus dem Ausland heraus eine Widerklage erhebt.26 Den Sonderfall der Exterritorialität hat der BGH so entschieden: Für die 20 Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil eines Amtsgerichts in einem Wohnraummietprozess ist nicht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG das Oberlandesgericht zuständig, wenn die beklagten Mieter bei Eintritt der Rechtshängigkeit zwar ihren Wohnsitz im Ausland hatten, dort jedoch das Recht der Exterritorialität genossen und demzufolge gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 ZPO den Gerichtsstand ihres letzten inländischen Wohnsitzes behalten haben.27 Für eine BGB-Gesellschaft (GbR) gilt nach einer Entscheidung des OLG 21 Düsseldorf28 folgende Differenzierung: – Klagen mehrere Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft eine Gesamthandsforderung ein, seien nicht die Gesellschafter als Kläger im Rubrum aufzuführen, sondern die GbR sei selbst Klägerin. 19 BGH v. 15.7.2003 – VIII ZB 30/03, MDR 2003 1367; ihm folgend: OLG Düsseldorf v. 16.10.2003 – 10 U 46/03. 20 OLG Köln, Beschl. v. 28.5.2004 – 16 W 8/04, OLGR Köln, 2004, 316. 21 OLG Frankfurt v. 12.3.2004 – 1 W 17/04. 22 BGH v. 13.5.2003 – VI ZR 430/02, MDR 2003, 1194 = ProzRB 2003, 299. 23 OLG Köln v. 27.9.2002 – 16 U 67/02, ProzRB 2003, 216. 24 BGH v. 13.5.2003 – VI ZR 430/02, MDR 2003, 1194 = ProzRB 2003, 299. 25 BGH v. 3.5.2006 – VIII ZB 88/05, BGHReport 2006, 1050. 26 BGH v. 3.5.2006 – VIII ZB 88/05, BGHReport 2006, 1050. 27 BGH v. 1.3.2006 – VIII ZB 28/05, 2006, 809. 28 OLG Düsseldorf v. 7.7.2005 – I-10 U 202/04, OLGR Düsseldorf 2006, 331.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
– Ob für die Berufung über eine Entscheidung des AG nach § 119 GVG Abs. 1 Nr. 1b GVG das OLG zuständig sei, richte sich in diesem Fall nicht nach dem ausländischen allgemeinen Gerichtsstand eines der Gesellschafter, sondern gem. § 17 ZPO nach dem allgemeinen Gerichtsstand der klagenden BGB-Gesellschaft. Nach der neuen Rechtsprechung des BGH besitze die (Außen-)GbR Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründe. Das bedeute, dass sie in der jeweiligen Zusammensetzung der Gesellschafter Vertragspartner werden könne und dass ihre Stellung als Vertragspartner durch einen Gesellschafterwechsel nicht berührt werde. In diesem Rahmen sei sie im Zivilprozess parteifähig, könne also als Gesellschaft klagen und verklagt werden. Machten die Gesellschafter einer GbR als notwendige Streitgenossen eine Gesamthandsforderung geltend, sei trotz äußerlich unrichtiger Bezeichnung grundsätzlich das Rechtssubjekt als Partei anzusehen, das durch die fehlerhafte Bezeichnung nach deren objektivem Sinn betroffen sei.29 Diese Grundsätze gälten auch, wenn sich die klagende Partei selbst fehlerhaft bezeichnet habe. Die fehlerhafte Parteibezeichnung sei durch Rubrumsberichtigung der tatsächlichen Rechtslage anzupassen, d.h. von den ursprünglich klagenden Gesellschaftern auf die Gesellschaft zu berichtigen.30 Bei Unsicherheiten soll Folgendes gelten: – Hat einer von mehreren beklagten Streitgenossen seinen Wohnsitz im Ausland und kann der Kläger nicht sicher abschätzen, ob die Beklagten eine GbR bilden, so sei die Berufung in Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes in jedem Fall zulässig, wenn der Kläger sie sowohl zum OLG als auch zum LG einlege, die Berufung beim LG aber zurücknehme, weil das OLG auf Nachfrage mitgeteilt habe, es sei zuständig. – Dies müsse erst recht dann gelten, wenn als Kläger bezeichnete Gesellschafter die von ihnen bei dem zuständigen LG fristgerecht eingelegte Berufung auf dessen unzutreffenden Hinweis, dass OLG sei gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zuständig, zurückgenommen und – fristgerecht – erst im Anschluss hieran die Berufung zum OLG eingelegt haben.
29 Ob das mit der folgend dargestellten Entscheidung des BGH v. 8.3.2004 – II ZR 175/02, BGHReport 2004, 1118 in Einklang zu bringen ist, ist zweifelhaft. Während hier aber aus dem Gesamtkontext ersichtlich war, dass – objektiv – die GbR gemeint war, sollten – wenn auch fehlerhaft – in der BGH-Entscheidung die Gesellschafter gemeint sein. 30 Unter Bezug auf BGH v. 12.10.1987 – II ZR 21/87, MDR 1988, 560 = NJW 1988, 1585 und BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 324/01, BGHReport 2004, 160 = MDR 2004, 330; NZM 2003, 235; WPM 2003, 795.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
Das Meistbegünstigungsprinzip komme (u.a.) immer dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit, das einzulegende Rechtsmittel betreffend, bestehe, sofern diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruhe. Eine solche Fallgestaltung liege vor, wenn zum einen das AG versäumt habe, die tatsächlich klagende BGB-Gesellschaft im Rubrum des angefochtenen Urteils als Klägerin auszuweisen und das LG zum anderen seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint habe. Das OLG Rostock stellte im Übrigen fest, dass im Aktivprozess der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur die Gesellschaft, nicht ein Gesellschafter Berufung gegen ein Urteil einlegen könne.31 Dem ist der II. Zivilsenat in der Revision entgegengetreten.32 Die Parteistellung für das Rechtsmittelverfahren werde durch den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, die zum Vorteil oder Nachteil einer bestimmten Partei ergehe, begründet. Zur Einlegung der Berufung sei darum derjenige berechtigt, gegen den sich das Urteil richte. Handele es sich um eine subjektive Klagehäufung, könne jeder durch das Urteil beschwerte Streitgenosse unabhängig von den übrigen Streitgenossen Berufung einlegen. Das Urteil der ersten Instanz weise die Parteistellung nicht der GbR, sondern den einzelnen Gesellschaftern zu. Darum richte sich die durch das klageabweisende Urteil begründete Beschwer gegen Gesellschafter und nicht gegen die Gesellschaft. Als Streitgenosse, dessen Klagebegehren der Erfolg versagt bliebe, könne dem Gesellschafter die Rechtsmittelbefugnis nicht abgesprochen werden. Die Rechtsmittelbefugnis des Gesellschafters werde nicht durch die neuere Rechtsprechung, wonach die Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig sei, berührt. Die Parteistellung werde durch Urteilsausspruch und -inhalt ohne Rücksicht auf die Beteiligung an dem materiellen Rechtsverhältnis erworben. Für die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses sei es ohne Bedeutung, ob die Gesellschafter die „richtigen“ Kläger seien. Der nach materiellem Recht unberechtigte Gesellschafter sei also gleichwohl rechtsmittelbefugt. b) Streit bei Zwangsvollstreckung Ob § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG in Zwangsvollstreckungssachen Anwendung findet, wird nicht einheitlich beurteilt. – Verneint wurde dies vom OLG Oldenburg mit der Begründung, für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG sei – neben dem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland – zusätzlich erforderlich, dass eine Streitigkeit über An31 OLG Rostock v. 6.5.2002 – 3 U 146/01, OLGR Rostock 2002, 423. 32 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 175/02, BGHReport 2004, 1118.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
sprüche vorliegt, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden. Diese Voraussetzung sei sicher für das Erkenntnisverfahren gegeben. Im Zwangsvollstreckungsverfahren gehe es hingegen nicht um das Recht einer Partei, von der anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 BGB), sondern um die Durchsetzung des erkannten Rechts zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers unter Mithilfe des Staates: also um einen Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat, der von dem privatrechtlichen Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner zu unterscheiden sei.33 – Das OLG Stuttgart argumentiert mit demselben Ziel anders: Auch wenn der Schuldner seinen Wohnsitz im Ausland habe, bestimme sich in Zwangsvollstreckungsverfahren das Beschwerdegericht nicht nach § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG, weil die deutschen Vollstreckungsorgane deutsches Zwangsvollstreckungsrecht anwendeten und deshalb in Zwangsvollstreckungsverfahren generell ein rechtlicher Auslandsbezug fehle.34 – Bejahend dagegen das OLG Köln. Zu den Ansprüchen i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG gehöre auch der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat. Eine solche weite Auslegung der Vorschrift diene der Vermeidung weiterer Unsicherheiten über das zuständige Beschwerdegericht und sei deshalb im Interesse der Rechtssicherheit und der Bestimmtheit der Berufungszuständigkeit geboten.35 – Unentschieden das OLG Frankfurt im Kontext einer Beschwerde im Rahmen einer einstweiligen Verfügung.36 c) OLG als falsche Adresse in WEG-Sachen nach dem FGG 23 Keine Beschwerdezuständigkeit entsprechend § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG soll es nach einer Entscheidung des OLG Stuttgart bei FGG-Sachen zum WEG geben.37 Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung der Beschwerdezuständigkeit in § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten nur eine Neuregelung für Verfahren nach der ZPO und nicht auch eine Neuregelung der Beschwerdezuständigkeit in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vornehmen wollen. Letztere sei gem. § 19 Abs. 2 FGG 33 OLG Oldenburg v. 4.9.2003 – 5 AR 44/03, OLGR Oldenburg 2004, 47 = MDR 2004, 534. Bereits vorher OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR Oldenburg 2003, 374: Kein Fall des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG, wenn die Gläubigerin aufgrund eines vorliegenden Titels die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, somit eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung begehrt. 34 OLG Stuttgart v. 23.6.2005 – 8 W 246/05, OLGR Stuttgart 2005, 676. 35 OLG Köln v. 2.4.2004 – 16 W 9/04, OLGR 2004, 293. 36 OLG Frankfurt v. 17.12.2004 – 21 W 42/04, OLGR Frankfurt 2005, 605. 37 OLG Stuttgart v. 6.2.2006 – 8 W 589/05, OLGR Stuttgart 2006, 287.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
umfassend den LG zugewiesen. Für eine erweiternde Auslegung des Begriffs „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten“ auch auf Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestehe danach keine Veranlassung. In dieselbe Richtung geht eine Entscheidung des OLG Düsseldorf.38 In Wohnungseigentumssachen, die eine Beschlussanfechtung zum Gegenstand haben, sei das LG auch dann zur Entscheidung über die Erstbeschwerde berufen, wenn ein Beteiligter seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland habe.
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In solchen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen es nur Beteiligte, nicht aber Parteien im Sinne der ZPO gebe, seien materiell beteiligt die Wohnungseigentümer und der Verwalter (§ 43 Abs. 4 Nr. 2 WEG). Auch im Beschlussanfechtungsverfahren nach § 43 Abs. 4 Nr. 2 WEG gehe es nicht um die Entscheidung einer Streitigkeit über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, sondern um die Frage der (Fort-)Geltung der im Eigentümerbeschluss zum Ausdruck kommenden Willensbildung der Gemeinschaft. Es sei zu bedenken, dass Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG darin lägen, Rechtssicherheit zu gewähren, weil das Gericht bei allgemeinem Gerichtsstand im Ausland regelmäßig die Bestimmungen des internationalen Privatrechts anzuwenden habe, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zugrunde lege. Dass sich für ein deutsches Gericht in WEGVerfahren der Beschlussanfechtung die Frage nach der Anwendung materiellen ausländischen Rechts stelle, dürfte kaum denkbar sein. d) OLG als falsche Adresse bei inländischer GbR Zur inländischen GbR bei ausländischem Wohnsitz eines oder aller ihrer Gesellschafter, vgl. oben.
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e) Nachprüfung durch Rechtsmittelgericht/Beweislast Soweit das Amtsgericht unangegriffen von einem inländischen bzw. ausländischen Gerichtsstand einer Partei ausgegangen ist, ist dies im Berufungsverfahren regelmäßig zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen.39
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Der nach dem Inhalt der Klageschrift gegebene inländische Gerichtsstand 27 einer Prozesspartei ist im Verfahren vor dem Amtsgericht dabei auch dann „unangegriffen geblieben“, wenn die eine Partei die dazu vorgetragenen Tatsachen zwar bestritten hat, sich bei Zugrundelegung ihrer Dar-
38 OLG Düsseldorf v. 3.2.2006 – I-3 Wx 230/05. 39 BGH v. 28.1.2004 – VIII ZB 66/03, MDR 2004, 828 = ProzRB 2004, 192.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
stellung aber gleichfalls ein inländischer Gerichtsstand der anderen Partei ergäbe.40 28 Ist in erster Instanz streitig geblieben, ob eine Partei im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte, ohne dass das erstinstanzliche Gericht Feststellungen dazu getroffen hat, obliegt dem Berufungsführer, der an seinem bestrittenen Vorbringen dazu festhält, die Beweislast für die funktionelle Zuständigkeit des von ihm angerufenen Berufungsgerichts. 29 Schließt sich der Berufungsführer dem erstinstanzlich bestrittenen Vorbringen seines Gegners zu einem Gerichtsstand im Inland oder Ausland an und legt er – gestützt darauf – Berufung zum Landgericht oder zum Oberlandesgericht ein, ist es dem Gegner verwehrt, diesen Vortrag in der Berufungsinstanz zu ändern.41 f) Falsch eingelegt: Fristprobleme … 30 Legt man zum falschen Gericht Berufung ein (was im Normalfall bedeutet, dass vom Amtsgericht kommend zum Landgericht Berufung eingelegt wird), – wird durch die Einlegung des Rechtsmittels beim Landgericht die Berufungsfrist nicht gewahrt;42 – kann der Rechtsanwalt nicht erwarten, dass seine Berufungsschrift umgehend darauf geprüft wird, ob möglicherweise die Zuständigkeit eines anderen Gerichts besteht;43 – es besteht nämlich keine generelle Fürsorgepflicht44 des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen und vorher mit der Sache noch nicht befassten Gerichts, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern;45 – ist das zuständige Oberlandesgericht selbst nach Verweisung vom Landgericht nicht davon entbunden, die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen46 (und dabei die Fristsäumnis festzustellen).
40 BGH v. 1.3.2006 – VIII ZB 28/05, BGHReport 2005, 1013. 41 BGH v. 28.3.2006 – VIII ZB 100/04, BGHReport 2006, 925. 42 BGH v. 19.2.2003 – IV ZB 31/02, MDR 2003, 707 = ProzRB 2003, 214; OLG Frankfurt v. 30.4.2004 – 26 U 70/03, OLGR Frankfurt 2004, 270. 43 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, OLGR Düsseldorf 2003, 91. 44 Vgl. zur Fürsorgepflicht sogleich noch bei den Einlegungsalternativen. 45 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 204, 1311. 46 OLG Köln v. 28.10.2002 – 16 U 69/02, OLGR Köln 2003, 125 = NJW-RR 2003, 864.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
g) … und kaum Wiedereinsetzungschancen Wiedereinsetzung ist in solchen Fällen schwerlich zu erlangen, denn
31
– einem Rechtsanwalt müssen die bei der Zuständigkeit für Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile mit Auslandsbezug durch das Zivilprozessreformgesetz geschaffenen Änderungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1b und c GVG) bekannt sein;47 – und der Berufungskläger kann seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht darauf stützen, das Landgericht habe die Akten fristwahrend dem Oberlandesgericht übersenden müssen, wenn die Berufung als Blattberufung erst am vorletzten Tag der Berufungsfrist beim – bis dahin mit der Sache nicht befassten – Landgericht einging;48 – die Wiedereinsetzung kommt wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung der Berufungsschrift allenfalls dann in Betracht, wenn die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch erwartet werden konnte,49 denn – ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten wirkt sich nur dann nicht mehr aus, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann.50 – Das ist nach einer Entscheidung des KG51 bei einer Berufungseinlegung beim nicht vorbefassten Gericht erst dann zu erwarten, wenn diesem Gericht die Sachakten vorliegen. Darauf, dass das angefochtene Urteil beigefügt war und sich aus dessen Tenor und dem Berufungsschriftsatz für eine Partei eine Anschrift im Ausland ergibt, kommt es nicht an. § 119 Abs. 1 Ziff. 1b) GVG stellt auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage ab; diese Prüfung ist erst nach Vorlage der Sachakten möglich.
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Praxistipp: Dem KG hatten sogar zwei Wochen vor Einlegungsfristablauf nicht genügt, eben weil das nicht vorbefasste angerufene Landgericht keine Kenntnis der Sachakten und deshalb keine Veranlassung zur Annahme hatte, es sei nicht zuständig. Diese Argumentation dürfte dann nicht mehr tragend sein, wenn nicht nur das angefochtene Urteil beigefügt wird, sondern auch ein Doppel der zugestellten Klageschrift.
47 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, ProzRB 2003, 215; OLG Frankfurt v. 3.5.2005 – 9 U 22/05, OLGR Frankfurt 2005, 844; OLG Hamm v. 12.9.2005 – 30 U 134/05, OLGR Hamm 2005, 729. 48 OLG Celle v. 10.2.2004 – 3 U 15/04, OLGR Celle 2004, 368. 49 OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, OLGR Düsseldorf 2003, 91. 50 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 2004, 1311. 51 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
33 Einen Sonderfall bildete schließlich noch folgende Konstellation: Der Rechtsanwalt einer Partei hatte infolge unrichtiger Beurteilung der Rechtslage in einem Falle des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG zunächst Berufung beim LG eingelegt, war dann kurz vor Ablauf der Berufungsfrist auf die von der seinigen abweichenden Auffassung des LG hingewiesen worden, legte aber dann erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim OLG Berufung ein, weil vorher eine positive Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung für diese erneute Berufung nicht zu erreichen war. Die verzögerte Deckungszusage ermöglichte nach Ansicht des OLG Köln keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Berufungseinlegung.52 34
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Praxistipp: Wenn ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt werden soll, dann (diesmal) beim richtigen Gericht. Das OLG Jena weist in einer Entscheidung darauf hin, dass die Frist des § 234 (Abs. 1) ZPO nur dadurch gewahrt werde, dass der Wiedereinsetzungsantrag und die versäumten Rechtshandlungen gem. §§ 236 Abs. 1, 237, 519 Abs. 1 ZPO bei dem Gericht angebracht würden, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zustehe.53
h) Taktische Konsequenzen 35 Wer um diese Zusammenhänge frühzeitig (idealerweise schon vor der Klageerhebung) weiß, kann planen. aa) Wohnsitz: Ausland 36 Beispiel: Denkbar ist, dass ein Deutscher, der mit einem anderen Deutschen in Deutschland einen Autounfall produziert, der aber zugleich seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat, Klage auf Schadensersatz erhebt.
Einerlei, wer verliert und wer gewinnt, muss die Berufung zum Oberlandesgericht. Es gibt hier zwar den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, § 32 ZPO. Dieser ist aber kein ausschließlicher Gerichtsstand.54 Es handelt sich um einen Wahlgerichtsstand nach § 35 ZPO.55 Der allgemeine Gerichtsstand nach § 12 ZPO ist bei natürlichen Personen gem. § 13 ZPO der Wohnsitz. Und der ist in der vorliegenden Konstellation im Ausland. 37 Damit liegen die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG vor. Die Besonderheit für die Prozesstaktik ist nun eine doppelte:
52 53 54 55
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OLG Köln v. 17.11.2004 – 16 U 82/04, MDR 2005, 890. OLG Jena v. 22.9.2005 – 4 U 800/05, OLGR Jena 2006, 28. Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 32 Rz. 6. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 32 Rz. 18.
§ 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG
– Zum einen wissen die allermeisten Anwaltskollegen gar nicht um die Existenz dieser Vorschrift, obwohl sich die Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen langsam häuft (s.o.). – Zum anderen nutzt bei geschickter Vorgehensweise auch das Wissen nichts, wenn die Anwaltskollegen nicht außergewöhnlich sorgfältig arbeiten. bb) Wohnsitz: Deutschland – Ausland – Deutschland Angenommen, der Geschädigte aus dem o.a. Unfallbeispiel wohnt im 38 Zeitpunkt des Unfalls gar nicht im Ausland, sondern in Deutschland. Weiter angenommen, der Geschädigte wechselt – aus welcher Motivation heraus auch immer – für einen gewissen Übergangszeitraum, in den auch die Zustellung der Klageschrift fällt, seinen Wohnsitz in das Ausland. Angenommen zuletzt, der Geschädigte wechselt daran anschließend seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland. Dann ist all dies in den Gerichtsakten an zweierlei Stelle dokumentiert: Einmal in der Klageschrift, denn dort ist ja der Auslandswohnsitz des Klägers angegeben. Ein andermal in einer kurzen Mitteilung etwas später im Laufe des Verfahrens, welche dem Gericht mitteilt, dass der Kläger seinen Wohnsitz nunmehr unter anderer Adresse habe. Der Klägeranwalt, der die hier dargestellte Problematik im Auge hat, wird 39 das entsprechende Schreiben an das Gericht „unauffällig“ formulieren. Er wird es vermeiden, das Gericht – und damit den Gegner – dadurch auf die Problematik hinzuweisen, dass er die alte Auslandadresse überhaupt erwähnt. Er formuliert schlicht:
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Formulierungsvorschlag: „Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger seit dem 1.3.2003 eine neue Anschrift hat. Diese Anschrift lautet: …“
Üblichem Vorgehen würde es entsprechen, wenn sich danach sowohl Ge- 41 richt wie auch Beklagter (oder Beklagtenvertreter) in den jeweiligen Stammdaten die neue Adresse notieren und der alten im Folgenden gar keine Beachtung mehr schenken. cc) Hochwahrscheinlich: Berufung zum unzuständigen Gericht Wenn jetzt der Kläger in erster Instanz gewinnt, mag der Beklagte in Be- 42 rufung gehen.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
– War er vorher anwaltlich vertreten, kann es sein, dass der Anwalt sich an die allererste Adresse des Klägers erinnert, dies mit § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG verknüpft und folgerichtig die Berufung zum OLG einlegt. Wahrscheinlich ist das aber nicht. – War er vorher nicht anwaltlich vertreten oder hat er zwischen den Instanzen den Anwalt gewechselt, kennt der neue Anwalt bei der Mandatierung die Klageschrift noch nicht. Völlig üblich war es bislang, das angefochtene Urteil vom Mandanten zu verlangen, um die nötigen Angaben für die Berufungseinlegung zur Verfügung zu haben, und die ganzen Details im Rahmen der Berufungsbegründung zu sichten. Im Urteil aber steht nur die – jetzt ja wieder – deutsche Adresse des Klägers. Das Urteil gibt also nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass es wegen § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG zum OLG gehen müsste. Der Beklagtenanwalt wird die Berufung deshalb konsequent falsch beim Landgericht einlegen. 43 Der Klägeranwalt, der um die Zusammenhänge weiß, kann sich zuerst entspannt zurücklehnen und sich dann nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist von einem Monat auf den Hinweis beschränken, dass die Berufung beim falschen Gericht eingereicht wurde. dd) Fast aussichtslos: Wiedereinsetzung 44 Der Beklagtenanwalt wird dann noch versuchen, Wiedereinsetzung zu erreichen. Das wird aber in aller Regel scheitern (s.o.) 45 Eine Verpflichtung des Landgerichtes, bei dem die Berufung fälschlicherweise eingelegt wurde, zu kontrollieren, ob es das zuständige Berufungsgericht ist, kann allenfalls dann angenommen werden, wenn dem Landgericht dafür genügend Zeit bleibt (auch dazu bereits oben). Das ist aber in der Mehrzahl der Fälle nicht so. Bekanntermaßen werden die meisten Berufungen am letzten Tage der Berufungsfrist oder allenfalls kurz vorher eingelegt. Selbst wenn dies unter Beifügung einer Ausfertigung des angegriffenen amtsgerichtlichen Urteils geschieht, ergibt sich alleine daraus für das Landgericht kein Anhaltspunkt dafür, dass es unzuständig sein könnte.56 Der Pfiff besteht ja gerade darin, dass im Urteil die deutsche Adresse des Klägers steht. 46
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Praxistipp: Es ist damit inzwischen zwingend, dass der Anwalt, bevor er eine Berufung vom Amtsgericht zum Landgericht einlegt, die Klageschrift daraufhin kontrolliert haben muss, ob eine der Parteien zum Zeitpunkt der Klagezustellung ihren Wohnsitz im Ausland hatte. Zu-
56 So inzwischen auch das KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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sätzlich kann er dem Einlegungsschriftsatz ein Doppel der Klageschrift beifügen. ee) Rechtsmissbrauch? Es bleibt die Frage, ob der Anwalt, der darauf „reingefallen“ ist, dass vor und nach der Klagezustellung der Wohnsitz wechselte, den Einwand des Rechtsmissbrauches erheben kann.57
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Damit ist allerdings zugleich die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob 48 das taktierende Gestalten im Prozess missbräuchlich sein kann. Angesichts dessen, dass der BGH selbst schon Anwälte haftbar gemacht hat, die nicht (richtig) taktierten, ist diese grundsätzliche Frage aus Sicht des Praktikers ebenso grundsätzlich zu verneinen. Es mag Ausnahmen geben, namentlich solche, in denen das taktierende Element überhaupt nicht erkennbar ist. Um eine solche Ausnahme geht es in der dargestellten Konstellation allerdings auch dann nicht, wenn der Klägeranwalt dem Kläger gerade im Hinblick auf die rechtliche Regelung zu den Wohnsitzwechseln geraten hat. Der „Reinfall“ des Berufungsklägers ist letztlich allein darin begründet, dass er vor Einlegung seiner Berufung die Klageschrift nicht mit der nötigen Sorgfalt gewürdigt oder sie erst gar nicht zur Kenntnis genommen hat.
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Abgesehen davon dürfte bei entsprechend formulierter Erwiderung des Berufungsbeklagten ohnehin erst gar nicht der Eindruck entstehen, dass hier taktiert wurde.
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Formulierungsvorschlag:
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„Es wird darauf hingewiesen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Klagezustellung seinen allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hatte (vgl. die Adresse in der Klageschrift). Das Landgericht ist damit für die Berufung gem. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG nicht zuständig.“ ff) Anwendungsmöglichkeiten Die Relevanz dieser Vorgehensweise erscheint im Übrigen zunächst ein- 52 mal gering. Immerhin funktioniert all das nur, wenn die erste Instanz ein Amtsgericht ist. In erster Instanz sind Amtsgerichte aber nur bei Gegenstandswerten bis 5.000 Euro zuständig. Dieser Gedanke ist allerdings in zweierlei Hinsicht falsch: 57 E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 580, spricht vornehmer von „Instanzenzug lässt sich leicht manipulieren“.
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53 Einmal gilt die Streitwertgrenze ja nur für den Normalfall des § 23 Nr. 1 GVG. Gerade § 23 Nr. 2a GVG enthält aber durchaus sehr kostenträchtige Erweiterungen für mietrechtliche Verhältnisse. 54 Zum zweiten besteht auch die Möglichkeit, im Einvernehmen mit der Gegenseite eine Teilklage zu erheben und deren Ausgang für die gesamte Summe verbindlich zu machen. Diese Möglichkeit kann insbesondere genutzt werden, wenn auf der Beklagtenseite eine Versicherung steht, die kein personalisiertes Interesse daran hat, dass dem Kläger schon durch die Klageeinreichung möglichst hohe Kosten entstehen. 55 Beispiel: Im Rahmen eines Brandes entstehen in einem Bekleidungsgeschäft Schäden in Höhe von 100.000 Euro. Die Versicherung ist der Auffassung, es handele sich um den Ausschlussfall der Eigenbrandstiftung. Der Klägeranwalt vereinbart mit der Versicherung, dass die Frage im Rahmen einer Teilklage über 5.000 Euro geklärt werden soll. Das Ergebnis des Prozesses soll für den Gesamtanspruch verbindlich sein. Dies soll auch für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten gelten.
Für den Klägeranwalt ist dieses Vorgehen auch nicht etwa unter gebührenrechtlichen Aspekten nachteilig. Es entsteht jedenfalls die Geschäftsgebühr aus dem vollen Wert von 100.000 Euro (mindestens 1,3). Nur bei der Terminsgebühr ist an den geringeren Wert anzuknüpfen. Auf der anderen Seite dürfte aber die – außergerichtliche – Vereinbarung zwischen den Parteien, den Ausgang des Rechtsstreites für die Gesamtforderung zur Basis zu machen, den Regelungsgehalt eines Vergleiches haben. Insoweit fällt natürlich noch eine Einigungsgebühr an58 (wohl aber nur über den nicht einzuklagenden Wert von 95.000 Euro, dafür aber in Höhe von 1,5 – außergerichtlich). 56
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Praxistipp: In den Fällen des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG kann der Anwalt letztlich nur dann das zuständige Berufungsgericht ermitteln, wenn er sich vom Mandanten nicht nur das erstinstanzliche Amtsgerichtsurteil zeigen lässt, sondern auch die (zugestellte) Klageschrift.59
2. § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG: Familiensachen vom Familiengericht 57 Bei Familiensachen, die vom Familiengericht (§ 23b GVG) entschieden wurden (§ 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG) geht es gleichfalls sofort vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht. Das gilt auch, wenn eine Familiensache nach dem FGG vorliegt, also eine solche, die nicht im Verbund mit einer 58 Die Situation entspricht dem Fall, in dem eine Abhängigkeit von einem Schiedsgutachten hergestellt wird, vgl. N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., VV 1000 Rz. 115. 59 Und nicht nur – wie gelegentlich auf Klägerseite festzustellen – Entwürfe des erstinstanzlichen Bevollmächtigten.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts
Ehesache steht. Hier ordnet § 64 Abs. 3 S. 1 FGG an, dass die Beschwerde zum Oberlandesgericht geht. Interessant wird es, wenn eine Familiensache beim Amtsgericht nicht 58 von der speziellen Abteilung hierfür (also von einem Familiengericht im formellen Sinne), sondern von einer allgemeinen Abteilung behandelt und entschieden wurde. Nach dem Grundsatz der formalen Anknüpfung60 ist dann das OLG nicht für die Berufung zuständig (es muss folglich zum Landgericht Berufung eingelegt werden).61 Umgekehrt gilt dies dann auch: Wenn also das Amtsgericht als Familiengericht entschieden hat, obwohl dieses gar nicht als solches handeln durfte.62 Dann ist das OLG gleichwohl zuständig. Auf der anderen Seite ist in Zweifelsfällen das sog. Meistbegünstigungs- 59 prinzip anzuwenden. Behandelt also etwa eine allgemeine Abteilung einen Fall, der dann im Urteil – ohne die explizite Nennung Familiengericht – explizit als Familiensache gekennzeichnet wird (oder in dem das Aktenzeichen auf eine Familiensache hindeutet), muss man es dem Rechtsmittelführer überlassen, wohin er sich mit seiner Berufung wendet.63 Es ist dann entsprechend § 281 ZPO64 ggf. zu verweisen.
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Praxistipp: Das Meistbegünstigungsprinzip ist aber kein Beliebigkeitsprinzip. Wenn man sich einmal für eine Möglichkeit entschieden hat (z.B. für den Weg zum OLG), dann muss man die Berufung genau so einlegen, wie sie dort einzulegen ist, also im Beispiel insbesondere durch einen bei einem OLG zugelassenen Rechtsanwalt.
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3. § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG enthält eine eigentümliche Formulierung. Wenn 61 das Amtsgericht ausländisches Recht angewandt und dies in den Entscheidungsgründen ausdrücklich festgestellt hat, geht die Berufung gleichfalls vom Amtsgericht an das Oberlandesgericht. Die Anwendung allein genügt also nicht, hinzukommen muss eine ausdrückliche Feststellung.
60 Gummer in Zöller, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 5. 61 Das war unter einer früheren Fassung des GVG anders. Die Rechtsprechung aus dieser Zeit darf deshalb nur unter Berücksichtigung des heutigen Wortlautes verwertet werden. Namentlich gilt das für die grundsätzliche Entscheidung des BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182. 62 Vgl. den Fall des OLG Stuttgart, v. 17.3.2003 – 17 UF 259/02, OLGR Stuttgart 2003, 466. 63 BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182, dort Leitsatz b). 64 BGH v. 4.10.1978 – IV ZB 84/77, BGHZ 72, 182 (192).
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
a) Nicht ausländisches Recht 62 Vorweg ist festzuhalten, was alles nicht ausländisches Recht ist: – das europäische Gemeinschaftsrecht – das Völkerrecht und – das sonstige in Deutschland geltende internationale Recht (z.B. das UN-Kaufrecht).65 63 Als ausländisches Recht im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG bleibt danach nur das Recht ausländischer Staaten. b) Nicht „ausdrücklich“ ist nicht genug 64 Ausdrückliche Anwendung des ausländischen Rechts liegt nicht vor, wenn das Amtsgericht das ausländische Recht nicht angewandt hat, obwohl es das nach Meinung des Berufungsgerichtes hätte tun müssen. Ausdrückliche Anwendung liegt weiter nicht vor, wenn ausländisches Recht zur Rechtsfindung lediglich herangezogen wurde, dies aber in den Entscheidungsgründen nicht in Distanzierung zu dieser Tätigkeit gesondert festgestellt wird. 65 Idealerweise formuliert das Amtsgericht so: „Es wurde ausländisches Recht angewendet.“ 66 Es soll aber auch reichen, wenn sich die Heranziehung des ausländischen Rechts aus der Formulierung der Entscheidungsgründe ergibt („beruht auf“; „Anspruchsgrundlage ist …“).66 67
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Praxistipp: Für den Anwalt, der bei der Führung des Rechtsstreites ja im Normalfall merken sollte, dass ausländisches Recht eine Rolle spielt, bietet es sich an, das Gericht unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG um eine Stellungnahme zu bitten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht bei der Abfassung der Entscheidungsgründe diesen Punkt beachtet. Namentlich dann, wenn das Gericht dann aber trotz dieses Hinweises nichts Ausdrückliches zur Anwendung ausländischen Rechtes sagt, wird der Weg zum Landgericht risikolos zu beschreiten sein.
c) Wann darf das AmtsG „ausdrücklich“ schreiben? 68 Es bleibt allerdings die Frage, in welchen Fällen das Amtsgericht zu der eben genannten Formulierung (Rz. 65) greifen kann und sollte. 65 So die Begründung zur Beschlussempfehlung und zum Bericht des Rechtsausschusses vom 15.5.2001, BT-Drucks. 14/6036, S. 119 (über die Internetseiten des Deutschen Bundestages zu beziehen). 66 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16.
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§ 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG: Die „ausdrückliche“ Anwendung ausländischen Rechts
(Ausländisches) Recht wird ja z.B. auch dann angewandt, wenn etwa ein 69 (nach ausländischem Recht normierter) Anspruch geprüft und das Vorliegen seiner Voraussetzungen verneint wird. Zugleich mag ein nach deutschem Recht gegebener alternativer Anspruch gegeben sein. Es wird weiter angewandt, wenn ein nach deutschem Recht normierter 70 Anspruch von Voraussetzungen abhängt, die nach ausländischem Recht anders sind als nach deutschem Recht. Ist z.B. die Haftung eines Beklagten vom Alter abhängig und die Haftungsaltersgrenze nach ausländischem Recht eine andere (dem Kläger günstigere) als nach deutschem Recht, kommt es auf das ausländische Recht an, wenn der Beklagte nur nach dessen Voraussetzungen haftet, nicht aber nach denen des deutschen Rechtes. Es kommt aber nicht darauf an, wenn der Beklagte nach den Voraussetzungen beider Rechtssysteme haftet, weil er für beide Systeme alt genug ist. Die Frage, die sich aus diesen Überlegungen herleitet, ist damit die, ob 71 das – angewendete – ausländische Recht zur Entscheidung des Gerichts in erheblicher Weise beigetragen hat. Und wenn man das verneint, stellt sich die weitere Frage, ob denn derartige Entscheidungserheblichkeit überhaupt eine Notwendigkeit für die geforderte Formulierung des Amtsgerichts ist. Gummer67 bejaht dies unter drei Aspekten.
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– Er weist zunächst auf die sonst gegebenen Möglichkeiten missbräuchlicher Ausnutzung hin. Käme es auf Entscheidungserheblichkeit nicht an, könnte eine Partei mit der beliebigen Rechtsbehauptung, ausländisches Recht sei einschlägig, das Amtsgericht dahin bringen, sich damit zu befassen, und diese Befassung alleine führte dann schon zur OLG-Zuständigkeit. – Daneben sei § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG als Ausnahme von § 72 GVG eng auszulegen.68 – Im Übrigen spreche auch der Umstand dafür, dass der Gesetzgeber die Anwendung des deutschen IPR noch nicht als Auslöser für die OLGZuständigkeit hat ausreichen lassen.69 67 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16; Wolf in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband 2. Aufl., § 119 GVG Rz 9 („muss als einer der tragenden Entscheidungsgründe herangezogen sein“); Hüßtege in Thomas/ Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 119 GVG Rz. 13 („die Hauptfrage“). Dagegen aber z.B. Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 119 GVG Rz. 3 („ausländisches Recht in einer Nebenfrage“) 68 Das liest man gelegentlich auch im Zusammenhang mit den anderen Fällen, so z.B. für § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG bei OLG Oldenburg v. 24.6.2003 – 2 W 38/03, OLGR 2003, 374. Auch dort allerdings ohne Begründung. 69 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 16. Bei den Übrigen fehlt es an einer solchen Begründung.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
73 Alle drei Argumente sind nicht überzeugend. Soweit eine Partei in missbräuchlicher Weise die Anwendung ausländischen Rechtes ohne jede Substanz schlicht behauptet, steht es dem Amtsgericht frei, darauf einzugehen. Hält das Amtsgericht aber dafür, dass Anlass zur Beschäftigung besteht, können Missbrauch und Beliebigkeit so schlimm nicht sein. Dass etwas eng auszulegen ist, gibt keinen Hinweis darauf, bis wohin eng geht. Das Gesetz selbst fordert nur eine Anwendung, nicht dagegen Entscheidungserheblichkeit. Hätte der Gesetzgeber Entscheidungserheblichkeit gewollt,70 hätte es nahe gelegen, die gängige Formulierung des Beruhens (wie z.B. in § 545 ZPO) zu verwenden. Der Hinweis auf deutsches IPR geht schon deshalb fehl, weil es sich dabei eben um deutsches Recht handelt. 74 BGH-Entscheidungen hierzu sind bislang – soweit ersichtlich – noch nicht veröffentlicht.71 Aus der OLG-Rechtsprechung ist auf eine Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahre 2002 hinzuweisen, die einen Sonderfall betraf72: Das Amtsgericht hatte die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der ZPO beurteilt, eine Vorfrage hierzu aber nach ausländischem Recht. Das reichte dem OLG Hamm für § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG nicht. d) Was, wenn das AmtsG fälschlich ausdrückt? 75 Aber wenn man – mit der wohl überwiegenden Meinung – ein Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit schließlich bejaht, stellt sich zuletzt die Frage, was man macht, wenn das Amtsgericht trotz nur entscheidungsunerheblicher Anwendung ausländischen Rechts gleichwohl formuliert: „Es wurde ausländisches Recht angewendet.“ 76 Diese Frage ist am Einfachsten zu beantworten. Im Bereich des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG gilt offensichtlich das Prinzip der formalen Anknüpfung.73 Konsequenterweise darf es keine Rolle spielen, ob das Amtsgericht ausländisches Recht tatsächlich in entscheidungserheblicher Wei70 Was genau der Gesetzgeber hier gewollt hat, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Zwar heißt es dort – von diversen Quellen später gern zitiert –: „Die Bestimmung ist im Interesse der Rechtssicherheit bewusst eng gefasst.“ (BT-Drucks. 14/6036, S. 119). Das wird dann aber nur mit einigen Negativbeispielen erläutert, zu denen die mangelnde Entscheidungserheblichkeit nicht zählt. 71 Eine Anfang Mai 2006 auf der Internetseite des BGH zu § 119 GVG durchgeführte Suche zeigt nur vier Fundstellen zu § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG. Die Recherche auf www.zr-report.de fördert noch einige Fundstellen mehr zu Tage, aber nur eine OLG-Entscheidung zu Nr. 1c. 72 OLG Hamm v. 23.5.2002 – 15 W 195–197/02, OLGR Hamm 2002, 426. 73 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rz. 5 und 17.
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Berufung zum LG und zum OLG?
se angewendet hat. Sobald es dies (ausdrücklich) in seine Entscheidung hineinschreibt, ist die Zuständigkeit des OLG gegeben. Wenn man so will, ist den Amtsgerichten damit nunmehr in manchen 77 Fällen eine Möglichkeit in die Hand gegeben, selbst zu bestimmen, wohin eine Berufung gegen ihre Entscheidungen geht.
4. Berufung zum LG und zum OLG? Was nun, wenn der Anwalt sich bei all dem nicht sicher ist, wohin seine Berufung denn nun gehen muss?
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Eine (fast) sichere Lösung wäre, die Berufung dann eben beim LG und beim OLG einzureichen. Eines der beiden ist ja dann auf jeden Fall ganz sicher beim (objektiv) zuständigen Gericht gelandet. Diese Lösung hat unter Kostenaspekten aber den entscheidenden Nachteil, dass die andere Berufung ebenso (fast) sicher an der Zuständigkeitshürde scheitern wird. Bestellt sich dann noch schnell für beide Verfahren ein Kollege auf der Gegenseite, können beachtliche Kosten anfallen. Zwei Besonderheiten können in dieser Konstellation allerdings auftauchen:
• Einmal ist es möglich, dass beide angerufenen Gerichte sich für zuständig halten. Wenn die Berufungen bei beiden Gerichten gleichzeitig eingegangen sind (Nachtbriefkasten und entsprechende Eingangsstempel) hilft einem dann auch der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit nichts.74 Nachdem der Berufungsführer es wegen der Parteimaxime aber in der Hand hat, eine Berufung (weiter) zu führen oder dies zu lassen, kann er jederzeit eine der beiden Berufungen zurücknehmen. Soweit beide Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklären, liegt ein Fall des § 36 Nr. 5 ZPO75 vor. Eine rechtskräftige Zuständigkeitserklärung setzt ein entsprechendes (Zwischen-)Urteil voraus.76 In diesem Fall kann auch eine Zuständigkeitsbestimmung herbeigeführt werden. Berufungsrücknahme ist natürlich gleichwohl auch in solchen Fällen noch möglich. Nach einer Zuständigkeitsbestimmung sieht dies 74 So wurde z.B. im Fall von OLG Brandenburg v. 16.11.2005 – 4 U 5/05, OLGR Brandenburg 2006, 624 argumentiert. 75 § 36 ZPO gilt nicht nur für die örtliche, sondern – entsprechend – auch für die sachliche (vgl. z.B. BGH v. 16.2.1984 – I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155 [157]) und funktionelle Zuständigkeit (z.B. BGH v. 15.2.1978 – IV ARZ 15/78, NJW 1978, 891 und BGH v. 25.11.1977 – I ARZ 584/77, NJW 1978, 427). Ausdrücklich bejahend für Streitfragen im Instanzenzug: Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 30. 76 Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 21.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
naturgemäß anders aus, denn dann bleibt ja nur noch ein zuständiges Gericht übrig.
• Zum anderen ist auch denkbar, dass beide angerufenen Gerichte sich für unzuständig halten. Soweit beide Gerichte sich rechtskräftig für unzuständig erklären, liegt ein Fall des § 36 Nr. 6 ZPO vor. Eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung setzt ein entsprechendes (Prozess-)Urteil oder einen entsprechenden Beschluss voraus.77 Rechtskraft liegt wie immer erst nach Unanfechtbarkeit vor. Im Rahmen von Rechtsmittelfristen kann man also versuchen, die entsprechende Entscheidung mit den vorgesehenen Rechtsmitteln zu kippen. Das wird in den hier besprochenen Fällen (Zweifel über die Zuständigkeit eines Gerichts im Berufungsverfahren) aber regelmäßig völlig witzlos sein. Es steht ja gegen ein (Berufungs-) Prozessurteil nur die Revision oder die Nichtzulassungsbeschwerde offen.78 Erst nach Rechtskraft kann dann eine Zuständigkeitsbestimmung herbeigeführt werden.
5. Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? 80 Als Ausweg bietet es sich an, die Berufung beim Amtsgericht einzulegen. Dieses ist nun offenkundig unzuständig. Ein Antrag nach § 281 ZPO, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen, hilft hierbei aber nicht weiter, denn § 281 ZPO soll nicht den Fall der funktionellen Unzuständigkeit erfassen.79 81 Helfen könnte aber eine Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung. Diese sieht für den Fall eines Fehlers in der Adressierung80 eine Pflicht des 77 Zu weiteren Unzuständigkeitserklärungsformen vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 36 Rz. 24. 78 Über Gegenvorstellungen (ggf. nach § 321a ZPO n.F. analog) zu reden, macht aktuell wenig Sinn. Hier ist die inzwischen durch das Anhörungsrügengesetz eingeleitete Umsetzung der BVerfG-Entscheidung zur Notwendigkeit fachgerichtlicher Abhilfe (BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02) erst mal abzuwarten. (Dass diese Umsetzung sich nur mit den Problemen einer Verletzung rechtlichen Gehörs beschäftigt, die anderen Justizgrundrechte [gesetzlicher Richter] aber außer Acht lässt, sei nur am Rande erwähnt.) Eine Verfassungsbeschwerde hindert nicht die Rechtskraft. 79 BGH v. 10.7.1996 – XII ZB 90/95, FamRZ 1996, 1544; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rz. 4. 80 Dazu OLG Zweibrücken v. 10.8.2004 – 4 U 139/04, MDR 2005, 591: Der Rechtsanwalt, der einer Berufungsschrift unterzeichnet, muss diese persönlich auf ihre richtige Adressierung überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn die Rechtsmittelschrift in automatisierter Weise durch Verwendung eines Computerprogramms erstellt worden ist.
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Berufung zum vorbefassten Amtsgericht?
Empfängers zur Weiterleitung vor. Erfolgt die Weiterleitung nicht innerhalb einer vom Absender einzuhaltenden Frist, ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Daran ist zunächst zweierlei wichtig: a) Prüfungspflicht des Empfängers Einmal hat das empfangende Gericht81 eine Prüfungspflicht. Eingehende Schriftsätze sind darauf zu prüfen, ob das empfangende Gericht dafür überhaupt zuständig ist. Hier ist zu unterscheiden
82
• zwischen den Fällen, in denen der Schriftsatz (hier die Berufungseinlegung) an einen Adressaten gerichtet ist, aber bei einem anderen landet; Beispiel: Die an das OLG adressierte Berufung wird versehentlich an das LG geschickt (häufiger Fehler bei Faxverwendung).
• denen, in denen der Adressat selbst der falsche ist und mit der Sache gar nichts zu tun hatte und/oder hat; Beispiel: Die Berufung wird nicht an das – zuständige – Landgericht, sondern an das Landesarbeitsgericht adressiert.
• und denen, in denen der Adressat selbst zwar der falsche ist, aber mit der Sache schon Kontakt hatte. Beispiel: Die Berufung wird nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Ausgangsgericht adressiert.
aa) Fürsorge vs. Funktionsfähigkeit Zwei Aspekte streiten in solchen Fällen miteinander: die richterliche Fürsorge von Verfassungs wegen als eine Form der fairen Verfahrensgestaltung und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, die vor Überlastung geschützt werden muss. Je dichter der tatsächliche Empfänger an der Sache dran war, umso mehr ist er verpflichtet.
83
Das BVerfG hat die hier interessierende Konstellation des Eingangs beim Ausgangsgericht statt beim Rechtsmittelgericht im Jahre 1995 grundsätzlich entschieden.82
84
Bevor diese Entscheidung nun dargestellt wird, scheint mir aber der Hinweis wichtig, dass – ungeachtet der offensichtlich allgemeingültig gehal81 Insgesamt geht es nicht nur um Gerichte, die etwas empfangen, sondern (auch) um Behörden, also allgemein um staatliche Stellen. 82 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (Leitsatz 2), [3175].
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
tenen Ausführungen des BVerfG – der dort konkret entschiedene Fall eine Abweichung von der hier aufgeworfenen Möglichkeit enthielt. In der Entscheidung des BVerfG war nämlich die Berufung bereits bei einem zuständigen Berufungsgericht eingelegt und (lediglich) die fristgebundene Berufungsbegründung an das Ausgangsgericht adressiert worden. Das hat auf die Argumentation keinen Einfluss, sollte aber im Auge behalten werden, weil die Einbeziehung der BVerfG-Entscheidung von manchen Gerichten vielleicht mit dem Hinweis auf einen anders gearteten Ausgangsfall gekontert wird. bb) BVerfG: Vorrang der Fürsorge bei Vorbefassung 85 Das BVerfG stellt fest, dass es eine Abwägung zwischen den Belangen der Partei und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege geben müsse. Diese falle aber jedenfalls dann zugunsten des Rechtssuchenden aus, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig sei, jedoch vorher selbst mit dem Verfahren befasst war. 86 Die während der Befassung bestehende Fürsorgepflicht des Gerichts habe sich danach in eine nachwirkende Fürsorgepflicht umgewandelt.83 Das Gericht sei regelmäßig verpflichtet, einer Partei, die sich über die Rechtsmittelmöglichkeiten und -erfordernisse nicht im Klaren sei, auf Anfrage darüber Auskunft zu erteilen. 87
Û
Praxistipp: Das könnte der Anwalt sich zu Nutze machen, indem er in Zweifelsfällen unmittelbar nach Urteilszustellung beim Amtsgericht unter Hinweis auf die entsprechende BVerfG-Entscheidung um Auskunft über das richtige Rechtsmittelgericht nachsucht. Ob eine Falschauskunft des Amtsgerichtes ein Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzungsvorschriften ausschließt, ist damit aber noch nicht geklärt.
88 Es ist dabei aber an die Entscheidung des BVerfG vom 12.8.2002 zu erinnern, die postuliert: „Rechtskenntnis und -anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Fehler der Richter sind – soweit möglich – im Instanzenzug zu korrigieren. Soweit dies aus Gründen des Prozessrechts ausscheidet, greift grundsätzlich nicht im Sinne eines Auffangtatbestandes die Anwaltshaftung ein. Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte. Nach der Zivilprozessordnung treffen die Gerichte Hinweisund Belehrungspflichten. (…) Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legiti83 Das Gegenstück gibt es aber nicht, BGH v. 29.11.1999 – NotZ 10/99: Wird in Notarverwaltungssachen die sofortige Beschwerde gemäß § 111 Abs. 4 BNotO vom Notar bei dem für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Bundesgerichtshof eingelegt, so trifft diesen keine „vorbeugende Fürsorgepflicht“, die Beschwerdeschrift außerhalb des normalen Geschäftsgangs an das insoweit zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
26
Berufung zum vorbefassten Amtsgericht? miert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden.“84
Nimmt man das ernst, dürfte im Befolgen richterlicher Auskunft kein 89 Verschulden mehr zu sehen sein. b) Weiterleitungspflicht nach Prüfung Das BVerfG sieht es auch noch im Rahmen des Angemessenen, das Ausgangsgericht für verpflichtet zu halten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im Rahmen des ordentlichen Geschäftganges an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten.85
90
Ob die dafür gegebene Begründung (dem Ausgangsgericht sei die Zustän- 91 digkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt und daher verursache die Ermittlung des richtigen Adressanten selbst dann keinen besonderen Aufwand, wenn er in dem Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein sollte) in den Problemkonstellationen des § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG trägt, kann man durchaus bezweifeln. In der Praxis kann sich das Amtsgericht aber nicht herausreden. Das Amtsgericht muss also weiterleiten. Nun ist dreierlei möglich:
92
– Das Amtsgericht leitet rechtzeitig (innerhalb der Berufungseinlegungsfrist) an das richtige Gericht weiter. Dann ist alles in Ordnung. – Das Amtsgericht leitet innerhalb der Frist weiter, aber an das falsche Gericht. Von dort kommt die Sache irgendwann nach Aufklärung zum richtigen Gericht. Dann ist die Frist natürlich längst verstrichen. – Das Amtsgericht leitet nicht innerhalb der Frist weiter, egal, an wen. Die Fürsorgepflicht führt nicht dazu, dass das Ausgangsgericht für die Entgegennahme von Rechtsmittelschriftsätzen zuständig wird. Die Einreichung beim Ausgangsgericht wahrt demnach keine Fristen.86 Was zu spät beim – richtigen – Berufungsgericht ankommt, ist zu spät.
93
c) Folgen von Fristversäumnis aa) Vertrauen in fristgerechte Weiterleitung Das Vertrauen des Rechtssuchenden, sein Schreiben werde im ordentli- 94 chen Geschäftsgang weitergeleitet, ist allerdings schützenswert. Wird deshalb ein Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befassten Gericht eingereicht, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittel84 BverfG v. 12.8.2002 – 1 BvR 399/02, MDR 2002, 1339. 85 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 86 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175).
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
gericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelbericht eingeht.87 bb) Bei Enttäuschung: Wiedereinsetzung 95 Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, aus welchen Gründen fehlerhaft eingereicht wurde. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichtes wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus.88 cc) Wie zeitig ist „so zeitig“? 96 Die Rechtsprechung war bislang mit der Angabe von Zeiträumen zurückhaltend. Klar war nur, dass der letzte Tag jedenfalls nicht ausreichen soll.89 Der ordentliche Geschäftsgang, der den Maßstab liefert, enthält nicht die Pflicht, noch schnell ein Fax an das richtige Gericht zu senden. 97 Der BGH formulierte zunächst, Wiedereinsetzung käme nur in Betracht, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne.90 98 Dem OLG Dresden waren vier Arbeitstage nicht ausreichend.91 Das ist einsichtig. Wenn am Abend des ersten Arbeitstages der falsch adressierte Schriftsatz per Fax oder Nachtbriefkasten eingeht, dann am nächsten Tag erst von der Postverteilung auf die Geschäftsstelle kommt, dem Richter vorgelegt werden muss, um dann an das richtige Gericht verschickt zu werden, sind vier Tage ersichtlich nicht genug. 99 Überlange Postlaufzeiten müssen aber nicht berücksichtigt werden.92 87 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 88 BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 (3175). 89 Dazu OLG Zweibrücken v. 10.8.2004 – 4 U 139/04, MDR 2005, 591: Geht die Berufung erst am Tag des Ablaufs der Berufungsfrist bei einem unzuständigen Gericht ein, so kann die Partei nicht damit rechnen, noch innerhalb der Berufungsfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hingewiesen zu werden. Die Partei kann auch nicht erwarten, dass das angegangene unzuständige Gericht alles daransetzt, die unzulässige Berufung noch am Tage ihres Eingangs per Telefax an das zuständige Berufungsgericht weiterzuleiten. 90 BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 75/03, MDR 2004, 1311. 91 OLG Dresden v. 28.1.1998 – 10 U 3495/97, OLGR 1998, 110. 92 BVerfG v. 25.9.2000 – 1 BvR 2104/99, NJW 2001, 1567 (1567) = MDR 2001, 48.
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Berufung zum vorbefassten Amtsgericht?
Das OLG Dresden hatte in den Entscheidungsgründen errechnet, dass 100 auch fünf Arbeitstage konkret nicht ausreichend gewesen wären,93 kommt also zu einem absoluten Minimum von sechs Tagen. Nimmt man den siebten Tag hinzu, ist die Normalwahrscheinlichkeit gegeben, dass auch der nur einmal wöchentlich erscheinende Amtsrichter den Vorgang bearbeiten kann. Dem Bundesverfassungsgericht genügten in einer Entscheidung aus 2005 neun Tage (mit einem Wochenende dazwischen).94
101
Zwischenzeitlich hat sich aber der II. Zivilsenat auf einen Zeitraum festgelegt. Dem Berufungskläger sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn während eines Zeitraums von fünf Arbeitstagen versäumt werde, den versehentlich bei dem Landgericht95 eingereichten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Oberlandesgericht weiterzuleiten.
102
Es könne – auch bei der bekanntermaßen stark belasteten und personell 103 nicht immer hinreichend ausgestatteten Justiz – nicht hingenommen werden, dass eine auch binnen fünf Arbeitstagen nicht bewirkte Weiterleitung eines Schriftsatzes von einem Landgericht zu einem Oberlandesgericht als eine Verfahrensweise qualifiziert werde, die „einem ordentlichen Geschäftsgang“ entspreche.96
Û
Praxistipp: Auf der sicheren Seite ist man also dann, wenn man fünf 104 Arbeitstage (also 7 Wochentage) einplant. – Nochmals betont: Das gilt nur, wenn der Schriftsatz beim schon vorbefassten Gericht eingereicht wird! Geht es dagegen um eine Berufungseinlegung beim nicht vorbefassten Gericht, dann ist die Erkenntnis der Unzuständigkeit erst zu erwarten, wenn diesem Gericht die Sachakten vorliegen.97 Das können dann durchaus auch mehr als zwei Wochen sein! Vgl. hierzu den weiter oben beschriebenen Praxistipp: (Auch) Kopie der zugestellten Klageschrift dem Berufungseinlegungsschriftsatz beifügen.
93 OLG Dresden v. 28.1.1998 – 10 U 3495/97, OLGR 1998, 110 (111). 94 BVerfG v. 17.3.2005 – 1 BvR 950/04. 95 Es ging nicht um einen Fall von § 119 GVG, sondern um eine „normale“ Berufung. 96 BGH v. 3.7.2006 – II ZB 24/05. 97 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06. Das OLG Frankfurt v. 3.5.2005 – 9 U 22/05, OLGR Frankfurt 2005, 844, formuliert noch härter: „Diese Fürsorgepflicht kann jedoch nur von einem Gericht verlangt werden, bei dem das Verfahren anhängig war, weil ihm in diesem Fall die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt ist und die Ermittlung des „richtigen“ Adressaten keinen besonderen Aufwand verursacht.“
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
6. Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz a) Besetzungen: Originär und obligatorisch 105
Die Besetzung einer landgerichtlichen Kammer hat nicht nur Bedeutung für die Qualität der landgerichtlichen Arbeit. Von ihr hängt auch ab, wer in der Berufungsinstanz entscheidet. Nach § 526 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann in der Berufungsinstanz nämlich nur dann ein Einzelrichter entscheiden, wenn (u.a.) die Voraussetzung erfüllt ist, dass auch in der ersten Instanz ein Einzelrichter entschieden hat. Interessant wird das natürlich nur, wenn die erste Instanz vor dem Landgericht stattfand. aa) Originär: der Einzelrichter, § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO
106
Erstinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht werden grundsätzlich von einer Kammer behandelt und in der Besetzung eines Vorsitzenden und zweier Beisitzer entschieden, § 75 GVG. Dieser Grundsatz ist allerdings durch die ZPO-Reform und dem damit geänderten § 348 ZPO nicht mehr wirklich einer. Nach § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet jetzt vielmehr grundsätzlich die Kammer durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter. § 348 Abs. 1 ZPO begründet damit eine originäre Einzelrichterzuständigkeit.98 bb) Originär: die Kammer, § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO
107
Ausnahmen davon (originäre Kammerzuständigkeit) sind in § 348 Abs. 1 S. 2 ZPO vorgesehen, wobei dessen Nr. 1 den Richter auf Probe von der Einzelrichtertätigkeit ausnimmt, wenn dieser noch nicht mindestens ein Jahr lang geschäftsverteilungsplanmäßig Zivilrechtsprechungsaufgaben wahrgenommen hatte, und die Nr. 2 auf elf bestimmte Kammerzuständigkeiten nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichtes abstellt. Bei Zweifeln entscheidet die Kammer (§ 348 Abs. 2 ZPO). cc) Obligatorisch: die Kammer, § 348 Abs. 3 ZPO – Übernahme nach Vorlage
108
Der Einzelrichter kann der Kammer einen Rechtsstreit unter den Voraussetzungen des Abs. 3 zur Übernahme vorlegen (obligatorische Kammer98 Der Begriff Zuständigkeit wird hier für die Tätigkeit des einzelnen Richters (oder des gesamten Kollegiums) innerhalb der Kammer benutzt. Das entspricht der Terminologie des Gesetzes (vgl. § 348a Abs. 1 Eingangssatz). Wie der Vergleich von § 545 Abs. 2 zu § 547 Nr. 1 ZPO aber zeigt, geht es in der Sache mehr um Besetzung als um Zuständigkeit (im Sinne örtlicher, sachlicher, funktionaler Zuständigkeit).
30
Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
zuständigkeit). Die Kammer wiederum übernimmt unter den Voraussetzungen von Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2. Was sie bei Nr. 3 tun muss, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Richtigerweise muss sie übernehmen, sonst machte Nr. 3 keinen besonderen Sinn. dd) Obligatorisch: der Einzelrichter, § 348a Abs. 1 ZPO – Übertragung Soweit an sich die Kammer zuständig wäre (§ 348 Abs. 2 ZPO) kann sie dennoch die Sache an den Einzelrichter übertragen, wenn die (sämtlich negativ formulierten) Voraussetzungen des § 348a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO vorliegen.
109
ee) Und dann doch wieder: die Kammer, § 348a Abs. 2 ZPO Der Einzelrichter kann den Ball dann nur noch zurückgeben, wenn sich etwas Wesentliches ändert und daraus bestimmte Folgen resultieren (Abs. 2 Nr. 1) bzw. wenn die Parteien dies übereinstimmend beantragen. Dann legt der Einzelrichter vor und die Kammer übernimmt den Rechtsstreit.
110
ff) Zwei Fehler, vier Ursachen Das ist nun alles nicht besonders übersichtlich. Es ist aber bei all dem 111 auch noch eine Reihe von Fehlern denkbar. Grob unterteilen kann man so: – der Einzelrichter behandelt eine Sache, die an sich der Kammer gehört; – die Kammer behandelt eine Sache, die an sich dem Einzelrichter gehört.99 Das kann jeweils passiert sein, weil
112
– die originäre Zuständigkeit falsch beurteilt wurde (§ 348 Abs. 1 oder 2 ZPO) – eine Vorlage zu Unrecht unterblieb oder erfolgte (§§ 348 Abs. 3 S. 1, 348a Abs. 2 ZPO) – eine Übernahme zu Unrecht unterblieb oder erfolgte oder (§ 348 Abs. 3 S. 2, 348a Abs. 3 ZPO) – eine Übertragung zu Unrecht unterblieb oder erfolgte (§ 348a Abs. 1 ZPO). 99 Z.B. OLG Frankfurt a.M. v. 11.4.2003 – 2 U 20/02, OLGR 2003, 340: Das Gericht, an das wegen örtlicher Zuständigkeit verwiesen wird, ist an den Einzelrichterbeschluss des verweisenden Gerichts gebunden. Eine Entscheidung durch die Kammer ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.
31
Bestimmung des zuständigen Gerichts
b) Konsequenzen für den gesetzlichen Richter 113
Die Frage, wer einen Rechtsstreit entscheidet, ist eine solche des gesetzlichen Richters. Der Anspruch auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter gehört in den Bereich der Justizgrundrechte (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Soweit damit aus einem der vier Gründe „der Falsche“ entscheidet, ist das (Grund-)Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. aa) Drei scheinbar irrelevante Fehler im obligatorischen Bereich
114
Für eine Berufung sind drei Ursachen gleichwohl schon kraft (einfachen) Gesetzes irrelevant: Auf (fehlerhaft erfolgte oder unterlassene) Übertragungen, Vorlagen oder Übernahmen kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden (§§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO). Nachdem einfaches Recht (die ZPO) aber verfassungsrechtliche Grundsätze nicht aushebeln kann, hindert dies – wenn überhaupt – nur die Geltendmachung dieses Fehlers im Rechtsmittelverfahren. Es gibt also zunächst einmal scheinbar keinen Rechtsweg gegen diese Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. (1) BVerfG zum rechtlichen Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG100
115
Offen bleibt (wie stets) die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. Normalerweise müsste man jetzt resignierend die Achseln zucken, denn die Erfolgsquote bei Verfassungsbeschwerden ist bekanntermaßen mehr als gering. Auf der anderen Seite zeigt das Bundesverfassungsgericht aber gelegentlich auch immer wieder Anwandlungen von (Sach-)Gerechtigkeit, zuletzt namentlich bei der strukturell parallelen Frage nach dem rechtlichen Gehör. Auch dort war ja die Frage zu beantworten, ob es gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten wirklich keinen Rechtsweg geben kann. Und angesichts dessen, dass das Recht auf den gesetzlichen Richter auch ein Verfahrensgrundrecht ist, muss diese Entscheidung im vorliegenden Kontext ebenfalls interessieren. Die tragenden Erwägungen des Plenums waren dort die folgenden: (a) Der allgemeine Justizgewährungsanspruch
116
Der Rechtsweg steht im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG.
100 BVerfG v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02, MDR 2003, 886 = ProzRB 2003, 210.
32
Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Rechtsschutz wie er aus Art. 19 117 Abs. 4 GG garantiert wird und dem aus einem allgemeinen Justizgewährungsanspruch. Im Kerngehalt sind die beiden gleich, es gibt aber Unterschiede bei den Anwendungsbereichen. Der in Art. 19 Abs. 4 GG benutzte Begriff der öffentlichen Gewalt erfasst 118 nicht die rechtsprechende Gewalt. Gemeint ist dort (nur) die vollziehende Gewalt, mag diese auch gelegentlich durch Gerichte ausgeübt werden (z.B. Justizverwaltungsakte). Art. 19 Abs. 4 GG nutzt insoweit also nichts. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch schützt dagegen auch bei (erstmaliger) Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht. Art. 19 Abs. 4 GG steht insoweit nicht etwa als abschließende Regelung entgegen (mit anderen Worten: Art. 19 Abs. 4 GG schadet insoweit auch nichts).
119
(b) Der Inhalt des rechtlichen Gehörs … Art. 103 Abs. 1 GG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der 120 Rechtsschutzgarantie. Diese sichert den Zugang zum Verfahren, während Art. 103 Abs. 1 GG auf einen angemessenen Ablauf des Verfahrens zielt: Wer bei Gericht formell ankommt, soll auch substantiell ankommen, also wirklich gehört werden. Wenn ein Gericht im Verfahren einen Gehörsverstoß begeht, vereitelt es die Möglichkeit, eine Rechtsverletzung vor Gericht effektiv geltend zu machen. (c) … und die Art seiner Verletzung Wird Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, so geschieht dieser Fehler unabhängig 121 von dem Anlass, der zur Einleitung des Gerichtsverfahrens geführt hat, und damit von den für den Ausgangskonflikt maßgebenden Rechtsnormen. Die Anrufung des Gerichts zielt auf die Kontrolle der Beachtung dieser Normen (also der Normen des Ausgangskonfliktes). Das Verfahrensgrundrecht dagegen enthält nicht etwa dafür einen Maßstab, wohl aber für die Rechtmäßigkeit des richterlichen Verhaltens bei der Verfahrensdurchführung. (d) Vorrang fachgerichtlicher Kontrolle … Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Prüfung von gericht- 122 lichen Gehörsverstößen und ihre Beseitigung in erster Linie durch die Fachgerichte erfolgen. Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Effektivität des Rechtsschutzes. Dieses Ziel wird am wirkungsvollsten durch eine möglichst sach- und zeitnahe Behebung von Gehörsverstößen erreicht, die von den Fachgerichten ohne weitere Umwege geleistet werden kann. 33
Bestimmung des zuständigen Gerichts
123
Das Bundesverfassungsgericht stellt dann fest, dass die Sicherung der Verfahrensgrundrechte instanzunabhängig ist. Der Justizgewährungsanspruch sichert Rechtsschutz gegen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz, also auch dann, wenn das Verfahrensgrundrecht erstmalig in einem Rechtsmittelverfahren verletzt wird.
124
Die Maßgeblichkeit der Rechtsschutzgarantie entfällt nämlich nicht allein deshalb, weil eine Partei schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit gehabt hat, sich zur Sache zu äußern. Hat die Partei sich in einer Instanz zur Sache geäußert und dabei alles vorgetragen, was mit Blick auf diese Instanz erheblich schien, können sich in einer weiteren Instanz auf Grund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben; deshalb muss die Partei in der Lage sein, ihren Sachvortrag auch darauf auszurichten. Wird ihr dies verwehrt, wird die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt.
125
Zentrale Schlussfolgerung des Bundesverfassungsgerichtes: Gibt es gegen diese neue und eigenständige Verletzung keinen Rechtsschutz, bleibt die Beachtung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG kontrollfrei. Das darf nicht sein. (e) … wenn es noch eine Abhilfemöglichkeit gibt
126
Ist noch ein Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung gegeben, das (mindestens: auch) zur Überprüfung der behaupteten Verletzung des Verfahrensgrundrechts führen kann, ist dem Anliegen der Justizgewährung hinreichend Rechnung getragen. Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts aber erst in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. (f) Eine (!) Kontrollinstanz reicht aus
127
Stets aber genügt die Möglichkeit, eine behauptete Rechtsverletzung bei einem gerichtlichen Verfahrenshandeln einer einmaligen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Begeht das Rechtsbehelfsgericht einen Fehler im Zuge der Überprüfung, ob Art. 103 Abs. 1 GG bei der vorangegangenen gerichtlichen Verfahrensdurchführung beachtet worden ist, führt dies nicht zur erneuten Eröffnung des Rechtswegs. Auch hier gilt, dass ein Risiko fehlerhafter Überprüfung hinzunehmen sei. Das gebotene Mindestmaß an Rechtsschutz ist jedenfalls gewahrt. Danach darf das Gebot der Rechtssicherheit Vorrang haben, das seine Grundlage auch im Rechtsstaatsprinzip hat. 34
Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Daher ist ein endloser Rechtsweg auch dann nicht zu erwarten, wenn Rechtsschutz gegen die Verletzung des Verfahrensgrundrechts in einer Rechtsbehelfsinstanz eingeräumt wird. – Soweit das BVerfG.
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(2) Übertragung auf den gesetzlichen Richter Man kann diese Argumentation ihrer Einordnung unter den Verstoß gegen den Grundsatz vom rechtlichen Gehör entkleiden. Man kann sie für den Oberbegriff nehmen, den das rechtliche Gehör mit dem gesetzlichen Richter gemein hat. Dieser Oberbegriff ist der des Verfahrensgrundrechtes. Man kann dann feststellen, dass (fast) all das, was speziell für das rechtliche Gehör gesagt wurde, auch auf Verfahrensgrundrechte insgesamt passt.
129
– Es muss einen Rechtsweg gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten geben. – Verletzungen dürfen nicht kontrollfrei bleiben. – Zur Kontrolle sind die Fachgerichte berufen. (a) Kann der gesetzliche Richter „entscheidungserheblich“ sein? Was auf den ersten Blick nicht (ganz) passt, ist die vom Bundesverfas- 130 sungsgericht postulierte Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensgrundrechtsverstoßes. Die Garantie des gesetzlichen Richters hat aber eine andere Zielrichtung als die des rechtlichen Gehörs, welche dahin geht, wirklich gehört zu werden (substantiell anzukommen). Das Plenum des Bundesverfassungsgerichtes hat schon 1997 festgestellt,101 dass es beim gesetzlichen Richter im Wesentlichen darum geht, dieser Gefahr vorzubeugen: Die Justiz solle nicht durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt werden. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung soll gewahrt und das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden.102
131
Vertrauenssicherung und Wahrung von Unabhängigkeit kann aber nur 132 dann erfolgen, wenn die Regeln des gesetzlichen Richters strikt, also völlig unabhängig von Manipulationen im Einzelfall, gelten. Wie sollte der Rechtssuchende im Zweifelsfall auch darlegen oder gar beweisen, dass ein anderer Richter als der, der seinen Fall entschied, anders entschieden hätte?
101 BVerfG v. 8.4.1997 – 1 PBvU 1/95, NJW 1997, 1497 = MDR 1997, 679. 102 BVerfG v. 8.4.1997 – 1 PBvU 1/95, NJW 1997, 1497 (1498) = MDR 1997, 679.
35
Bestimmung des zuständigen Gerichts
(b) Irrelevanz der Entscheidungserheblichkeit 133
Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensgrundrechtsverstoßes wird man also entweder überhaupt nicht fordern oder aber als immer gegeben ansehen können. Diese Bewertung wird durch § 547 Nr. 1 ZPO bestätigt: Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. (3) Konsequenz: außerordentliche Rechtsmittel
134
Nach all dem müssen drei nach dem Gesetz (so) gar nicht gegebene Rechtsmittel gleichwohl erwogen werden: – Die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten gleichwohl (auch103) zur Begründung einer Berufung verwendet werden;104 – die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten gleichwohl zur Begründung einer Gegenvorstellung verwendet werden; – die eigentlich nach §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO ausgeschlossenen Rügen könnten (wenn sie auf fehlerhaftem Beschluss beruhen) gleichwohl zur Begründung einer außerordentlichen Beschwerde verwendet werden.105
135
Auf der Linie des Bundesverfassungsgerichtes wird wohl eher die zweite Lösung liegen. Insbesondere, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einerseits eine Frist auf den 31.12.2004 gegeben hatte, bis zu deren Ablauf er gesetzliche Kontrollregelungen zu schaffen hatte, andererseits aber deutlich gesagt hat, dass ohne eine solche Regelung danach das Verfahren bei dem Gericht fortzusetzen wäre, dessen Entscheidung angegriffen wird. Hierfür wäre binnen 14 Tagen ein Antrag zu stellen.
136
Das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz), durch das § 321a ZPO geändert wurde, gilt seit dem 1.1.2005.106
103 Damit sind wesentlich die Fälle gemeint, in denen ohnehin (also wegen anderer Gründe) Berufung eingelegt wird. 104 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66 für den Fall „schlichter Nichtanwendung der Zuständigkeitsnormen“. 105 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66; E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 571. 106 Das Anhörungsrügengesetz beschränkt sich aber auf die Fälle der Verletzung rechtlichen Gehörs, ist damit auf die Verletzung des Grundsatzes vom gesetzlichen Richter ohne weiteres nicht anwendbar. Übersicht über Inhalt und
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
Man kann nicht allzu viel falsch machen, wenn man diese Vorgaben auch zur Richtschnur des eigenen Verhaltens macht. Der BGH andererseits hat im Bereich der Rechtsbeschwerde einen Son- 137 derfall entschieden (Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung durch einen Einzelrichter statt durch das Kollegium = unterlassene Übertragung, vgl. § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO).107 In diesem Kontext formuliert er für § 568 S. 3 ZPO, der den §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO vom Regelungsgehalt her entspricht: „Es kann nicht Sinn des § 568 S. 3 ZPO sein, bei der Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter eine andernfalls nur im Wege der Verfassungsbeschwerde mögliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auszuschließen.“108
Setzt man diese Linie um, wäre die Verletzung im Wege der Berufung zu prüfen. Angesichts dessen, dass der Weg zum Rechtsbeschwerdegericht aber gerade erst wegen der (verfahrensgrundrechtsverletzenden) Zulassung durch den Einzelrichter eröffnet war, scheint mir das strukturell derzeit nicht verallgemeinerungsfähig und für die Fälle, in denen nicht ohnehin aus anderen Gründen Berufung eingelegt wird, die Gegenvorstellung vorzugswürdig.
138
Aber selbst wenn Berufung eingelegt werden soll, kann eine Gegenvorstellung nicht schaden. Das Ergebnis der dabei investierten Arbeit kann in die Berufungsbegründung problemlos übernommen werden.
139
Im Falle eines Scheiterns sollte man dann aber so oder so auch bereit sein, den Weg zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
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(4) Willkürerfordernis? Nun ist häufig zu lesen, dass die Verletzung des gesetzlichen Richters nur dann eine Anfechtung zulasse, wenn sie auf Willkür109 beruhe und (deshalb) eine entsprechende Entscheidung nicht mehr verständlich oder
Problempunkte des Gesetzes bei Becker, ProzRB 2004, 343. Kritisch dazu auch Nassal, ZRP 2004, 164. 107 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, MDR 2003, 588 = ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627. 108 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, MDR 2003, 588 = ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627 (628). 109 Das wird auch im Zusammenhang mit Verweisungsbeschlüssen diskutiert, vgl. in jüngerer Zeit etwa BGH v. 10.9.2002 – X ARZ 217/02, MDR 2002, 1446 = ProzRB 2003, 2; aber auch BGH v. 9.7.2002 – X ARZ 110/02, BGHReport 2003, 44 = ProzRB 2002, 66: „Ein Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer ‚ganz überwiegenden‘ oder ‚fast einhelligen‘ Rechtsauffassung abweicht.“
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
offensichtlich unhaltbar sei.110 Dies geht zurück auf eine grundlegende Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1954. Dort hatte das BVerfG festgestellt: 142
„Keineswegs kann jede irrtümliche Überschreitung der den Rechtsinstanzen gezogenen Grenzen bereits (…) ausreichen. Durch einen error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen.“111 „Von Willkür kann aber nur die Rede sein, wenn die Entscheidung sich bei der Anwendung und Auslegung von Zuständigkeitsnormen (…) so weit von dem diese Normen beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass die Gerichtsentscheidung nicht mehr zu rechtfertigen ist.“112
(a) Nicht hilfreiche Kriterien 143
Hilfreich ist beides nicht. – Zum einen liegt überhaupt kein Fehler vor, wenn Anwendung und Auslegung so waren, dass die Gerichtsentscheidung (doch noch) zu rechtfertigen war. Wenn etwas der (Zuständigkeits-)Norm gerecht (ge)fertigt ist, kann es ja nicht fehlerhaft sein. – Zum anderen kann eine offensichtlich unhaltbare Entscheidung nicht deshalb der Anfechtung entzogen sein, weil der Richter sich dabei geirrt hat.113 Abgesehen davon, dass die (Un-)Haltbarkeit sich nicht an den intellektuellen Möglichkeiten des irrenden Gerichtes festmachen lassen kann, stellt sich sofort die weitere Frage, ob denn nicht offensichtlich unhaltbare (aber gleichwohl unhaltbare) Entscheidungen Bestand haben sollen. Die Bezeichnung „unhaltbar“ lässt dies nicht gerade angeraten erscheinen. (b) Hilfreiche Argumentation
144
Hilfreich ist es aber auch nicht, nur über die Kriterien zu meckern. In der Praxis muss man sich darauf einrichten, an den Formulierungen des BVerfG gemessen zu werden. Am Besten also, man geht damit selbst in die Offensive. Dabei lässt sich wie folgt argumentieren:
110 Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 66. Formulierung wortgleich mit BVerfG v. 13.10.1970 – 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198 (207); dagegen aber (für die örtliche Zuständigkeit) selbst unter dem Willküraspekt: Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 513 Rz. 10. 111 BVerfG v. 26.2.1954 – 1 BvR 537/53, BVerfGE 3, 359 (364/365). 112 BVerfG v. 13.10.1970 – 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198 (207). 113 Das BVerfG formuliert das ja auch vorsichtig so, dass „nicht jede irrtümliche Überschreitung“ ausreicht. Es gibt also einige, die ausreichen, und einige, die nicht ausreichen.
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Sonderproblem: Unzuständige Spruchkörper in der ersten Instanz
(aa) Offensichtlichkeit eines Zuständigkeitsmangels … Die Offensichtlichkeit einer unhaltbaren Zuständigkeitsentscheidung kann sich grundsätzlich nicht aus der Sicht des entscheidenden Gerichts ergeben. Niemand wird diesem Gericht ohne weiteres unterstellen wollen, es treffe offen sehend eine falsche Entscheidung.
145
(bb) … erst für den Anwalt … Den Zuständigkeitsmangel muss demnach zunächst mal ein anderer be- 146 merken. Dieser andere ist der Anwalt, für dessen Mandanten die Aufdeckung des Zuständigkeitsmangels einen Vorteil bringen könnte. Dabei kann als Erfahrung gelten, dass es für den Mandanten grundsätzlich von Vorteil ist, wenn ein Kollegium statt eines Einzelrichters entscheidet.114 Das Kollegialprinzip ermöglicht innenkontrollierte Entscheidungen, die auf verschiedenen Wahrnehmungen beruhen. Fehler eines Einzelnen können im Kollegium korrigiert werden.115
147
(cc) … dann für das Gericht Nachdem es dem Anwalt offensichtlich geworden ist, hängt es vom Stand des Verfahrens ab.
148
– Soweit er auf die Entscheidung des Ausgangsgerichtes noch Einfluss nehmen kann, muss er diesem die Informationen vermitteln, aus welchen der Zuständigkeitsmangel folgt, und zugleich den Mangel als nunmehr offensichtlich kennzeichnen.116 – Soweit das Ausgangsgericht den Zuständigkeitsfehler aber bereits begangen hat, muss dem dann angerufenen Gericht der Mangel als bei der Entscheidung des Ausgangsgerichtes offensichtlich unterbreitet werden. In beiden Fällen ist damit der Boden für ein erfolgreiches Rechtsmittel be- 149 reitet. – Das Ausgangsgericht weiß jetzt nachweisbar um den Mangel und muss sich bei seiner Entscheidung schon beachtlich Mühe geben, um daran vorbei zu kommen.117 Bleibt es bei seiner fehlerhaften Zustän114 Vertiefte Begründung hierzu bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 524–528. 115 Sieht man den Mandanten dagegen durch die falsche Zuständigkeitsbeurteilung bevorzugt, gibt es unter diesem Aspekt keinen Handlungsbedarf. 116 Das Gericht hat dann die Gelegenheit, sein Gesicht zu wahren. 117 Vgl. etwa OLG Frankfurt a.M. v. 21.5.2002 – AR 4/02, OLGR Frankfurt 2002, 218 = ProzRB 2002, 4: „Ein Verweisungsbeschluss, der von einer seit langem in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegenden und somit herrschenden Rechtsauffassung ohne eine substantielle und in der Sache tragende Be-
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
digkeitsbeurteilung, muss es sich die Offensichtlichkeit seines Fehlers vorhalten lassen. – Das zweitinstanzlich angerufene Gericht weiß jetzt auch um den Mangel. Da es ihn offen sichtet, muss es ihn auch als offensichtlich akzeptieren. Die Entscheidung des Ausgangsgerichtes kann es unter Zuständigkeitsaspekten dann nur noch retten, wenn es einen Weg findet, dem Ausgangsgericht zu attestieren, dieses habe nicht sehen können, was es selbst jetzt sieht. Es liegt am Anwalt, den Fehler so darzustellen, dass er unübersehbar wirkt. (5) Zwischenergebnis zu den Grenzen der Unüberprüfbarkeit118 150
Auch in den Fällen, in denen es scheinbar keine Möglichkeit gibt, bleibt dem Anwalt einiges, um Fehler zu korrigieren. Dabei ist noch kurz festzuhalten, dass hier nicht inhaltlich diskutiert wird, was denn alles im Einzelnen ein Fehler ist. Es geht hier nur darum, aufzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten dem Anwalt gegeben sind, wenn er einen Fehler gefunden hat. bb) Fehler im originären Bereich sind rügbar
151
Ist mit dem Vorstehenden die Frage nach der Behandlung von Fehlern bei Übertragung, Vorlage und Übernahme (also die Fälle des obligatorischen Bereiches) angesprochen, bleibt abschließend die Frage, wie es sich mit Fehlern im originären Bereich verhält. (1) Einzelrichter entscheidet als Kammer
152
Ausgangspunkt ist, dass der Einzelrichter nicht statt der Kammer entscheidet, sondern als Kammer.119 Fehler die beim Ausfüllen des Begriffes Kammer gemacht werden (Einzelrichter oder Komplettbesetzung) berühren damit nicht die Zuständigkeit, sondern die Besetzung der Kammer.120 Insoweit liegt bei einer fehlerhaften Besetzung auch kein Fall des § 513 Abs. 2 ZPO vor.121 Die Kammer hat nicht etwa fehlerhaft angenommen,
118 119 120 121
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gründung abweicht, ist geeignet, den Parteien den gesetzlichen Richter zu versagen. Ein solcher Beschluss kann aus rechtsstaatlichen Gründen nicht als verbindlich hingenommen werden.“ Formulierung nach Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 513 Rz. 21. Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 348 Rz. 23. BGH v. 11.2.2003 – VIII ZB 56/02, MDR 2003, 645 = BGHReport 2003, 638 (640). Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 348a Rz. 23; anders aber Deubner in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348a Rz. 65.
Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
sie sei zuständig, wo sie gar nicht zuständig war. Sie war zuständig, aber eben nicht in dieser Besetzung.122 § 513 Abs. 2 ZPO schließt damit die Begründung fehlerhafter Besetzung 153 nicht aus. Zugleich liegen die Voraussetzungen der §§ 348 Abs. 4, 348a Abs. 3 ZPO nicht vor. Diese sind damit ebenfalls kein Hindernis für eine Berufung. Für den Revisionsbereich findet sich die Parallelkonstruktion in § 545 Abs. 2 ZPO einerseits (= erweiterte Fassung des § 513 Abs. 2 ZPO) und in §§ 546, 547 Nr. 1 ZPO andererseits.
154
(2) Vorsichtshalber: explizite Besetzungsrüge Dass eine Besetzungsrüge in manchen Fällen entbehrlich geworden und 155 ein solcher Fehler von Amts wegen zu berücksichtigen ist,123 sollte den Anwalt nach dem Grundsatz des sichersten Weges nicht darauf verzichten lassen, den Fehler gleichwohl zu rügen. c) Zuständigkeit in Ablehnungsfällen Für die Entscheidung über das gegen einen Einzelrichter am OLG gerichtete Ablehnungsgesuch ist nach einer Entscheidung des KG der Senat in voller Besetzung zuständig.
156
Eine Freundschaft zwischen dem Prozessbevollmächtigten einer Partei und dem abgelehnten Richter ist für das KG kein Grund, eine Voreingenommenheit anzunehmen. Derartiges sei lediglich im Rahmen der Gesamtwertung der zur Begründung des Ablehnungsgesuchs vorgebrachten Umstände zu berücksichtigen. Eine Voreingenommenheit des abgelehnten Richters könne nicht allein daraus entnommen werden, dass er sich in einer angespannten Verhandlungssituation einer saloppen, umgangssprachlichen Formulierung bediene.124
7. Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO a) Zuständigkeit nur als Anknüpfungspunkt Eine wesentlich zu Fragen eines (nicht) vorangegangenen (zweiten) 157 Schlichtungsverfahrens nach Klageerweiterung ergangene Entscheidung des BGH stellt zu § 513 Abs. 2 ZPO klarstellend fest, dass dieser das Beru122 Denkbar ist allerdings auch, dass die Kammer – gleich in welcher Fehl-Besetzung – zusätzlich gar nicht zuständig war. 123 BGH v. 13.3.2003 – IX ZB 134/02, ProzRB 2003, 240 = BGHReport 2003, 627 (628). 124 KG v. 9.3.2006 – 21 U 4/05, KGR Berlin 2006, 545.
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Bestimmung des zuständigen Gerichts
fungsgericht zwar hindere, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils gemäß § 281 ZPO an ein anderes erstinstanzliches Gericht zu verweisen. 158
§ 513 Abs. 2 ZPO schränke aber nicht die Nachprüfung der Anwendung von Normen ein, die anderen Zwecken als der Festlegung des zuständigen Gerichts dienten und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpften.125 In concreto ging es dabei um die Normen des Schlichtungsverfahrens (BadWürttSchlG), die an die Zuständigkeit des Amtsgerichtes anknüpften. b) Keine Anwendung auf fehlende internationale Zuständigkeit
159
§ 513 Abs. 2 S. 2 ZPO gilt nur für die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit. Dagegen kann nach einer Entscheidung des OLG Braunschweig wegen der Bedeutung der internationalen Zuständigkeit, die über das Internationale Privatrecht des Gerichtsstandes auch das anwendbare Recht steuert, das Fehlen der internationalen Zuständigkeit in der Berufungsinstanz auch dann gerügt werden, wenn das Erstgericht sie unzutreffend angenommen hat.126 c) Auswirkung fehlerhafter Zuständigkeitsannahme auf Revision
160
Die Revision kann nach einer Entscheidung des Kartellsenates des BGH nicht darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe.127
161
Das ergebe sich aus dem Regelungskonzept des ZPO-Reformgesetzes. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 513 Abs. 2 und § 545 Abs. 2 ZPO sollte die Nachprüfung der Zuständigkeit des vorinstanzlichen Gerichts durch das Rechtsmittelgericht nicht ausgeweitet, sondern im Gegenteil im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Entlastung der Rechtsmittelgerichte deutlich eingeschränkt und damit zugleich vermieden werden, dass die von dem vorinstanzlichen Gericht geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird. § 513 Abs. 2 ZPO schließe deshalb die Nachprüfung der vom Gericht erster Instanz angenommenen Zuständigkeit durch das Berufungsgericht nicht mehr nur für den Fall einer in erster Instanz schuldhaft versäumten Rüge (so die frühere Rechtslage), sondern generell aus. Entsprechendes gelte für § 545 Abs. 2 ZPO.
125 BGH v. 22.10.2004 – V ZR 47/04, MDR 2005, 265. 126 KG v. 30.5.2005 – 26 U 14/04, KGR Berlin 2006, 672; OLG Braunschweig v. 4.7.2005 – 7 U 105/04, OLGR Braunschweig 2006, 68. 127 BGH v. 22.2.2005 – KZR 28/03, BGHReport 2005, 870.
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Probleme im Zusammenhang mit § 513 Abs. 2 ZPO
Es sei auch kein Grund erkennbar, der dafür sprechen könnte, die Ent- 162 scheidung des Berufungsgerichts über seine Zuständigkeit einer weitergehenden Kontrolle zu unterwerfen als die entsprechende Entscheidung des Gerichts erster Instanz. In Anbetracht dessen hält es der Kartellsenat des BGH für ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber mit dem ZPO-Reformgesetz die bis zu dessen Inkrafttreten bestehende Beschränkung der Möglichkeit, in der Revisionsinstanz die Unzuständigkeit des Berufungsgerichts zu rügen, beseitigen und die positive Entscheidung des Berufungsgerichts über seine Zuständigkeit einer unbeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterwerfen wollte. Der Senat versteht die Verweisung des § 565 ZPO n.F. vielmehr dahin, dass zu den für die Berufungsinstanz geltenden und auf die Revision entsprechend anzuwendenden Vorschriften über „die Rügen der Unzulässigkeit der Klage“ auch die Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO zu zählen ist.
Û
Praxistipp: Rügen, welche die Zuständigkeit des Berufungsgerichts be- 163 treffen, sind nunmehr jedenfalls im Hinblick auf die Revision nicht mehr erforderlich. Sie sind allerdings nach wie vor wegen der Möglichkeit der Verfristung nach Einlegung beim falschen Gericht von Bedeutung.
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II. Fristen 1. Fristdauer und -beginn im Normalfall 164
Die Einlegungsfrist beträgt einen Monat, die Begründungsfrist zwei Monate. Wann die Einlegungsfrist beginnt, steht in § 517 ZPO, wann die Begründungsfrist beginnt, ergibt sich aus § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Fristen laufen in beiden Fällen ab der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. Die Darlegungs- und Beweislast für den Fristbeginn liegen beim Berufungskläger. Das gilt nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt z.B. dann, wenn er sich gegen die drohende Verwerfung seiner Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist wendet, indem er behauptet, der Datumsstempelabdruck neben der Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten auf dem Empfangsbekenntnis, mit dem dieser den Erhalt des angefochtenen Urteils bestätigt, stamme nicht aus dessen Kanzlei; tatsächlich sei das Urteil erst später zugestellt worden.128 a) Fristbeginn bei Urteilsergänzung
165
Bei einer Urteilsergänzung (§ 321 ZPO) beginnt aber schon nach dem Gesetz mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist auch für die Berufung gegen das zuerst ergangene Urteil von neuem (§ 518 ZPO). b) Fristbeginn bei Urteilsberichtigung
166
Für den Fall einer Urteilsberichtigung (§ 319 ZPO) fehlt es an einer vergleichbaren Regelung.
167
Der BGH entschied in Fortsetzung seiner Rechtsprechung zu § 516 ZPO a.F.,129 dass eine spätere Berichtigung des Urteilstenors grundsätzlich keinen Einfluss auf die Rechtsmittelfrist habe, wenn sie durch einen Berichtigungsbeschluss gem. § 319 ZPO erfolge. § 518 ZPO sei nicht anwendbar.130
168
Nur ausnahmsweise sei dies anders. Durch den Verweis auf BGH v. 17.1.1991 – VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228, 230 f., wird deutlich, dass da-
128 OLG Frankfurt v. 31.8.2005 – 9 U 56/05, OLGR Frankfurt 2006, 264. 129 Z.B. BGH v. 9.12.1983 – V ZR 21/83, BGHZ 89, 184 ff. = MDR 1984, 387. 130 BGH v. 24.6.2003 – VI ZB 10/03, MDR 2003 1128 = ProzRB 2003, 358.
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Einlegungsfrist
mit die Fälle gemeint sind, in denen erst die berichtigte Urteilsfassung zweifelsfrei erkennen lässt, gegen wen das Rechtsmittel zu richten ist.131 Eine ebenfalls theoretisch mögliche Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung scheiterte in concreto daran, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Ergänzungsurteils nicht vorgelegen hatten. Dieses hätte nach § 321 ZPO nämlich nur auf Antrag einer Partei und aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen dürfen.
169
c) Fristbeginn bei vom Original abweichender zugestellter Ausfertigung Auch wenn einer Prozesspartei eine vom verkündeten Originalurteil abweichende Urteilsausfertigung zugestellt worden ist, läuft nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates die fünfmonatige Berufungsfrist des § 517 Halbs. 2 ZPO. Allerdings sei das Versäumnis der Berufungsfrist für die Prozesspartei schuldlos, der eine fehlerhafte, für sie günstigere Urteilsausfertigung zugestellt worden sei, wenn sie gegen das erst später bekannt gewordene, für sie ungünstigere Originalurteil vorgehen wolle. Dann stehe auch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen.132
170
2. Einlegungsfrist a) Überhaupt keine Zustellung: Blindberufung? Problematisch wird es, wenn es nie zu einer Zustellung eines Urteils gekommen ist, die Parteien gleichwohl annehmen müssen, es sei ein Urteil verkündet worden, es aber keine Anhaltspunkte dafür gibt, wann dies geschehen sein könnte. Muss eine Blindberufung eingelegt werden?
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Der BGH entschied zunächst, dass der Beginn der Rechtsmittelfrist spä- 172 testens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung nicht dadurch gehindert werde, dass die betroffene Partei von dem konkreten Verkündungstermin keine Kenntnis hätte.133 Er hilft aber über den Weg der Wiedereinsetzung: Gelänge es dem Anwalt einer Partei nämlich trotz mehrfacher, auch schriftlicher Anfragen nicht, von dem Gericht zu erfahren, ob, gegebenenfalls wann und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Entscheidung verkündet worden sei, so beruht die Versäumung der 131 So BGH v. 17.1.1991 – VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228, insbesondere in Leitsatz b). 132 BGH v. 7.7.2004 – XII ZB 12/03, MDR 2004, 1437. 133 BGH v. 18.11.2003 – LwZB 1/03, MDR 2004, 406, Leitsatz.1. – Es bestand Kenntnis, dass ein Verkündungstermin anberaumt war, nur keine genau darüber, wann. Das ist abzugrenzen von dem Fall, in dem überhaupt keine Kenntnis von der Anberaumung eines Verkündungstermins besteht (z.B. mangels Ladung der Partei und mangels Zustellung eines Terminprotokolls).
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Fristen
Rechtsmittelfrist auch dann nicht auf dem Verschulden des Anwalts, wenn die absolute Frist des § 517 ZPO abgelaufen sei. Es sei der Partei nicht zuzumuten, fristwahrend ein Rechtsmittel gegen eine zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Inhalt auch immer ergangene Entscheidung einzulegen.134 b) Zustellung nach mehr als fünf Monaten, 10 Tage vor Fristablauf 173
Schärfer aber wenig später der XII. Zivilsenat: Es liege eine schuldhafte Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen ein vor mehr als fünf Monaten verkündetes Urteil vor, wenn dem Rechtsanwalt zwar kein Verkündungsprotokoll zugegangen sei und auch wiederholte Nachfragen nach dem Ergebnis des Verkündungstermins erfolglos blieben, ihm aber eine Ausfertigung des verkündeten Urteils, aus der sich auch das Verkündungsdatum ergäbe, zehn Tage vor Ablauf dieser Frist zugestellt worden sei, und er dennoch nicht innerhalb der Frist Berufung eingelegt habe.135
174
Spätestens bei Entgegennahme eines solchen Urteils nämlich müsse der Anwalt erkennen, wann verkündet worden und welche Berufungsfrist nach § 517 2. Var. ZPO deshalb zu beachten gewesen sei. Ein Irrtum oder eine Nachlässigkeit über den Ablauf dieser Frist schließe eine Wiedereinsetzung aus. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte die Frist zur Einlegung der Berufung nämlich noch ohne weiteres gewahrt werden können.
175
Die Zustellung des (eine aktienrechtliche Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage [§§ 246, 249 AktG]) abweisenden Urteils an den Kläger setzt die Berufungsfrist (§ 517 Halbs. 1 ZPO) auch für einen dem Rechtsstreit bisher nicht beigetretenen streitgenössischen Nebenintervenienten des Klägers in Lauf.136
3. Begründungsfrist 176
Die Berufungsbegründungsfrist beginnt anders als früher gleichzeitig mit der Berufungseinlegungsfrist. Sie ist damit vollständig vom Zeitpunkt der Einlegung selbst abgekoppelt. a) Mindestens zwei Monate
177
Sie beträgt mindestens zwei Monate (mehr kann es sein, wenn das Fristende auf Feiertage etc. fällt) und beginnt frühestens mit Zustellung des 134 BGH v. 18.11.2003 – LwZB 1/03, Leits. 2, MDR 2004, 406 = BGHReport 2004, 324 FamRZ 2004, 264. 135 BGH v. 23.2.2005 – XII ZB 110/03, MDR 2005, 948. 136 BGH, Beschl. v. 8.11.2004 – II ZB 41/03, MDR 2005, 409.
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Begründungsfrist
Urteils, § 520 Abs. 2 S. 1 Var. 1 ZPO, spätestens aber fünf Monate nach Verkündung, § 520 Abs. 2 S. 1 Var. 2 ZPO. Der XII. Zivilsenat hatte einen Fall zu entscheiden, in dem zwar ein kon- 178 kreter Verkündungstermin feststand, in welchem ein Urteil auch verkündet wurde, wonach aber weder ein Urteil noch ein Verkündungsprotokoll zugestellt wurden.137 Der Berufungsführer hatte nach Ablauf von fünf Monaten vorsorglich innerhalb der folgenden Einmonatsfrist Berufung eingelegt, „zur Vermeidung der Fristversäumung (…).“ Anträge und Begründung würden nach Vorlage der Entscheidung folgen. Dies geschah dann rund vier Monate später, wobei die vollständige Ausfertigung erst mehr als sieben Monate nach der Verkündung (also außerhalb der Begründungsfrist) zugestellt worden war. Eine Wiedereinsetzung war nach Ansicht des BGH gar nicht nötig. Es genüge, wenn die fristgerecht eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers im Wege der Auslegung eindeutig ergäben, wieweit das Urteil angefochten werden solle.
179
Der Hinweis des Beklagten, das anzufechtende Urteil sei „noch nicht zu- 180 gestellt oder sonstwie bekannt gegeben“ und die Einlegung der Berufung sei erforderlich, um die Fünfmonatsfrist zu wahren, lasse hinreichend deutlich erkennen, dass das Urteil, welchen Inhalt es auch immer haben möge, in dem Umfang angefochten werde, in dem es ihn beschwere, um es nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen. Der Hinweis auf spätere Anträge und Begründung ändere daran nichts, weil er auch bedeuten könne, dass der Beklagte sich lediglich vorbehalte, die Anfechtung später zu beschränken und sich insoweit mit den Entscheidungsgründen auseinander zu setzen.138 Eine spätere Entscheidung des VIII. Zivilsenates mahnt aber zur Vor- 181 sicht.139 Im dort entschiedenen Fall war das Urteil v. 8.7.2003 kurz darauf nur abgekürzt zugestellt worden. Der Unterlegene hatte unter dem 7.8.2003 Berufung eingelegt und sich auf ein „zugestelltes“ (erster entscheidender Unterschied zum vorangehenden Fall!) Urteil bezogen. In vollständiger Form wurde das Urteil erst am 30.12.2003 zugestellt. Die Fünfmonatsfrist war aber schon am 8.12.2003 abgelaufen, die Begründungsfrist begann folglich zu diesem Zeitpunkt und endete ihrerseits (schon) am 8.2.2004 – und nicht, wie der Berufungskläger berechnete, erst am 28.2.2004. Anders als im Fall zuvor (zweiter entscheidender Unterschied) stand dem Berufungskläger schon innerhalb des Laufes der Begründungsfrist (wenn auch erst 22 Tage nach deren Beginn) die vollständige Ausfertigung zur 137 BGH v. 15.10.2003 – XII ZB 102/02, BGHReport 2004, 49. 138 BGH v. 15.10.2003 – XII ZB 102/02, BGHReport 2004, 49. 139 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 115/04, MDR 2005, 1127.
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182
Fristen
Verfügung. Er hätte deshalb innerhalb der Berufungsbegründungsfrist die Berufung sachlich begründen oder zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist stellen können.140 183
Die fehlende Unterschrift eines Richters, der bei der Entscheidung mitgewirkt hat, kann im Übrigen nicht mehr nachgeholt werden, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils abgelaufen ist.141 b) Verlängerungsmöglichkeiten
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Versäumte Notfristen (§ 517 ZPO) oder versäumte Fristen zur Begründung eines Rechtsmittels (§ 520 Abs. 2 ZPO) können unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 233 ff. ZPO durch eine Wiedereinsetzung gerettet werden.
185
Allerdings nahm die ältere Rechtsprechung hier eine Art Subsidiarität an. Sie fordert, dass der Anwalt nach Möglichkeit Wiedereinsetzungsanträge dadurch vermeiden muss, dass er zulässige Verlängerungsanträge stellt.142
186
Die jüngere Rechtsprechung hat das entschärft: Die Berufungsbegründungsfrist ist nach der Rechtslage seit Inkrafttreten der ZPO-Reform zum 1.1.2002 nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger, der zwar keine Verlängerung der Begründungsfrist, innerhalb der Begründungsfrist aber Prozesskostenhilfe beantragt hatte, die Berufungsbegründung nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat.143
187
Das hat aber auch Grenzen. Insbesondere für die hierfür relevanten PKHKonstellationen (dazu weiter unten ausführlicher) stellt der BGH das Folgende fest:
188
Falls die arme Partei im Zeitpunkt der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe nur die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels, nicht aber auch die Frist zu seiner Begründung versäumt hat, kann sie nicht darauf verwiesen werden, innerhalb von zwei Werktagen einen Antrag zur Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu stellen.144 (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275, 3276; v. 25.9.2003 – III ZB 84/02, NJW 2003, 3782). 140 BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 115/04, MDR 2005, 1127. 141 BGH v. 27.1.2006 – V ZR 243/04, BGHReport 2006, 931. 142 BGH v. 19.12.1962 – VIII ZR 258/62, BGHZ 38, 376 (379) unter Hinweis auf die RG-Rechtsprechung. 143 BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 34/04, MDR 2005, 1430: – Bitte beachten: Dann muss innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist sofort die Begründung nachgeholt werden, ein Verlängerungsantrag reicht dann nicht mehr! 144 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376.
48
Begründungsfrist
aa) Verlängerung bis zu einem Monat, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO Dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Frist zur Begründung um bis zu einem Monat verlängern kann, wenn entweder keine Verzögerung eintritt oder der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt, ergibt sich aus dem Gesetz, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO. Dass dazu ein Antrag erforderlich ist, ebenfalls (S. 2). Wie genau dieser Antrag auszusehen hat, aber nicht.
189
Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erfordert nach einer 190 Entscheidung des VI. Zivilsenates jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist.145 (In concreto wurde über den Verlängerungsantrag nicht entschieden, weil das Empfangsbekenntnis nicht vorlag.) Stelle sich bei der (späteren) Prüfung der Zulässigkeit heraus, dass die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt sei, sei die Berufung unabhängig davon, ob die Begründungsfrist verlängert worden sei, als unzulässig zu verwerfen. (1) Angabe eines Datums Das Gesetz legt nur die Obergrenze der Verlängerung fest. Im Übrigen wird Ermessen eingeräumt („kann […] verlängert werden“).
191
Gleichwohl wies das OLG Frankfurt einen Verlängerungsantrag mit der Begründung ab,146 es lasse sich auch im Wege der Auslegung nicht entnehmen, bis zu welchem Datum verlängert werden solle.
192
Es wäre verfehlt, bei fehlender Fristbestimmung als Auffangtatbestand 193 stets eine Verlängerung von einem Monat als beantragt anzusehen. Wie das Gesetz zu erkennen gebe („um bis zu einem Monat“, § 520 Abs. 2 ZPO), sei die Monatsfrist eine Obergrenze, die möglichst nicht ausgeschöpft werden solle, wenn dazu keine Rechtfertigung vorliege. Dem sei zu entnehmen, dass auch die Einwilligung des Gegners oder erhebliche Gründe einen bestimmten Verlängerungszeitraum tragen müssten. Auf welche Weise das Gesetz dem OLG Frankfurt zu erkennen gegeben hat, dass die Obergrenze „möglichst nicht ausgeschöpft werden solle“, lässt sich den veröffentlichten Teilen der Entscheidung nicht entnehmen.
194
Die Entscheidung ist zwar – soweit ersichtlich – vereinzelt geblieben, gleichwohl sollte sie jedenfalls und mindestens im Bereich des OLG Frankfurt berücksichtigt werden. Generell gilt der zuletzt vom OLG Düsseldorf festgestellte Grundsatz, 195 dass ein Rechtsanwalt ohne konkrete Anhaltspunkte die an einem Berufungsgericht vereinzelt geübte, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Rechtspraxis zur Verlängerung von Berufungsbegrün145 BGH v. 15.3.2005 – VI ZB 83/04, MDR 2005, 944. 146 OLG Frankfurt v. 27.9.2002 – 5 U 65/02, MDR 2003, 471.
49
Fristen
dungsfristen nicht zu kennen braucht.147 Spätestens seit der Veröffentlichung der Entscheidung gibt es aber solche konkreten Anhaltspunkte. (2) Angabe des Aktenzeichens 196
Wenn der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ein falsches Aktenzeichen enthält, ist das Berufungsgericht gehalten, im Wege der Auslegung zu ermitteln, um welches Verfahren es geht. Das gilt auch dann, wenn das fälschlich angegebene Verfahren vor dem Berufungsgericht (zusätzlich) geführt wird. Das Gesetz schreibt in den §§ 129 Abs. 1, 130 ZPO – die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind – die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist.148 (3) Angabe eines erheblichen Grundes
197
Das Bemühen einer GmbH, die die Kosten der Berufung nicht aufbringen kann, um eine Prozessfinanzierung durch einen Dritten, ist nach dem OLG Rostock kein erheblicher Grund, der die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtfertigt.149 (4) Beginn der Verlängerung
198
Wird die Frist zur Begründung der Berufung oder Revision um einen bestimmten Zeitraum verlängert und fällt der letzte Tag der ursprünglichen Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so beginnt der verlängerte Teil der Frist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (Bestätigung von BGHZ 21, 43, 44).150 bb) Weitere Verlängerungsmöglichkeit bei Einwilligung des Gegners, § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO
199
Anders als nach altem Recht bedarf es zu einer zweiten Verlängerung, mit der insgesamt mehr als ein Monat Verlängerung gewährt wird, der Einwilligung des Gegners. Ein Spielraum des Vorsitzenden, auch ohne diese Einwilligung die Verlängerung zu gewähren, besteht dabei nicht.151 147 OLG Düsseldorf v. 19.1.2004 – I-24 U 194/03, MDR 2004, 659 = OLGR Düsseldorf 2004, 219 (220). 148 BGH v. 10.6.2003 – VIII ZB 126/02, MDR 2003, 1434. 149 OLG Rostock v. 16.12.2005 – 3 U 150/05, OLGR Rostock 2006, 552. 150 BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 198/04, BGHReport 2006, 390. 151 OLG Zweibrücken v. 6.6.2003 – 2 UF 38/03, MDR 2003, 1197.
50
Begründungsfrist
In concreto (die Regelung war im entschiedenen Fall noch neu) half das OLG Zweibrücken noch mit einer Wiedereinsetzung. Diese dürfte heute (wegen § 85 Abs. 2 ZPO) nicht mehr gewährt werden. Der Berufungsführer kann nach neuem Recht grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ihm ohne Einwilligung des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bewilligt wird.152
200
Hat der Vorsitzende die Berufungsbegründungsfrist aber im behaupteten 201 Einverständnis des gegnerischen Prozessbevollmächtigten verlängert, so ist diese Verfügung auch dann wirksam, wenn das vom Antragsteller infolge eines Missverständnisses irrtümlich angenommene Einverständnis des Gegners in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.153 Die Einwilligung des Berufungsbeklagten in die Verlängerung der Beru- 202 fungsbegründungsfrist bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden.154 Das Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung der Beru- 203 fungsbegründungsfrist ist aber nach einer Entscheidung des XI. Zivilsenates nicht gerechtfertigt, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers die ihm gegenüber erklärte, gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners in dem Verlängerungsantrag nicht erwähnt.155 Der XII. Zivilsenat schwächt das etwas ab. Die nach § 520 Abs. 2 Satz 2 204 ZPO erforderliche Einwilligung des Gegners in die Verlängerung der Begründungsfrist müsse, wenn der Gegner sie nicht selbst gegenüber dem Gericht erkläre, in dem Fristverlängerungsantrag im Regelfall ausdrücklich dargelegt werden. Ausnahmsweise reiche aber auch eine konkludente Darlegung aus, etwa wenn sich die Einwilligung des Gegners zweifelsfrei aus dem Zusammenhang des Antrags mit bereits zuvor gestellten Verlängerungsanträgen ergebe.156 c) Verwerfung wegen Fristsäumnis Vor der Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen der Versäumung 205 der Berufungsbegründungsfrist ist dem Berufungskläger rechtliches Gehör zu gewähren. Gewährt das Berufungsgericht dann Wiedereinsetzung
152 153 154 155 156
BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 121/03, MDR 2004, 765. BGH v. 18.11.2003 – VIII ZB 37/03, MDR 2004, 589 = ProzRB 2004, 161. BGH v. 9.11.2004 – XI ZB 6/04, MDR 2005, 408. BGH v. 22.3.2005 – XI ZB 36/04, MDR 2005, 1129. BGH v. 12.4.2006 – XII ZB 74/05.
51
Fristen
in den vorigen Stand, kann das Verfahren der Rechtsbeschwerde, in dem dieser Verstoß gerügt wurde, für erledigt erklärt werden.157
4. Fristen und PKH 206
Wird für die Berufungsinstanz die Gewährung von PKH angestrebt, so sind mehrere Varianten möglich. – Es wird zunächst noch gar keine Berufung eingelegt, aber innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO ein PKH-Antrag gestellt.158 – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO Berufung eingelegt unter der Bedingung, dass einem gleichzeitig gestellten PKH-Antrag stattgegeben wird. – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und gleichzeitig ein PKH-Antrag gestellt. – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und erst später, aber vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 1 S. 1 ZPO, ein PKH-Antrag gestellt.159 – Es wird innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO (unbedingt) Berufung eingelegt und erst später, aber vor Ablauf einer verlängerten Begründungsfrist ein PKH-Antrag gestellt. – Zu dieser Konstellation entschied der II. Zivilsenat: „Einer mittellosen Partei darf nicht deshalb die Wiedereinsetzung in den vorgen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung versagt werden, weil sie das PKH-Gesuch erst kurz vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist eingereicht hat. Das gilt auch dann, wenn das Gesuch erst nach einem Mandatswechsel durch den neuen Prozessbevollmächtigten gestellt wird und dieser seine weitere Tätigkeit von der Gewährung der PKH abhängig gemacht hat.“160
157 BGH v. 13.7.2005 – XII ZB 80/05, BGHReport 2005, 1470. 158 Hier ist BGH v. 31.8.2005 – XII ZB 116/05 zu beachten: Dem Antrag auf PKH zur Durchführung eines Berufungsverfahrens sind innerhalb der Berufungsfrist neben der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch entsprechende Belege beizufügen. [Aber:] Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur teilweise aufbringen kann, ist die Fristversäumung auch dann unverschuldet, wenn der vollständige Antrag auf Bewilligung von PKH nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist, sondern bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO eingegangen ist, und die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden beruht. 159 Bei den beiden letzten Konstellationen ist die Priorität von Verlängerungsanträgen zu beachten. Dazu oben ab Rz. 185 ff. 160 BGH v. 27.9.2004 – II ZB 17/03, MDR 2005, 229.
52
Fristen und PKH
Als Ergebnis ist dann jeweils denkbar, dass dem PKH-Antrag stattgegeben oder dass dieser abgelehnt wird. a) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungseinlegung Die Berufung darf nur unbedingt eingelegt werden. Eine bedingte Berufungseinlegung ist deshalb von vorneherein unwirksam.161 Der PKH-Antrag, der erst nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist beschieden wird, muss deshalb abgewiesen werden. Das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg (mehr).162
207
Fragen von Wiedereinsetzung stellen sich erst gar nicht, weil die vorzunehmende Handlung ja in der Frist vorgenommen wurde – nur eben unwirksam. Der Unwirksamkeitsgrund (die Bedingung) führt aber zu einem Verschulden im Sinne des § 233 ZPO.
208
Für einen Sonderfall hat der BGH dies aber eingeschränkt: Wiedereinset- 209 zung kommt nach Ablauf der Einlegungsfrist unter Rücknahme des PKHGesuches (nur) dann in Betracht, wenn innerhalb der Berufungsfrist ein vollständiges PKH-Gesuch vorlag.163 Weil man davon ausgehen kann, dass dies den meisten Anwälten be- 210 kannt ist, geht die Rechtsprechung mit der Annahme einer bedingten Berufungseinlegung sehr zurückhaltend um. Zunächst wird versucht, den eingereichten Schriftsätzen etwas Sinnvolleres zu entnehmen. Hierzu bedient man sich – wie üblich – der Auslegung.164 Die für die Auslegung von Willenserklärungen entwickelten Grundsätze gelten auch für die Auslegung von Prozesserklärungen.165 Wenn ein Schriftsatz den gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungs- 211 schrift genügt, kann er nur dann als eine bedingte Berufung verstanden werden, wenn sich dies aus den Umständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt.166
161 BGH v. 20.7.2005 – XII ZB 31/05: Eine Berufung, deren Einlegung (nicht: Durchführung) unter der Bedingung der Gewährung von PKH erfolgt, ist unzulässig (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 19.5.2004 – XII ZB 25/04, FamRZ 2004, 1553). – Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, wohl aber aus dem Gebot der Rechtsklarheit für Gegner und Verfahrensablauf, vgl. Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl. Aktualisierungsband, § 519 Rz. 40. 162 Vor Ablauf der Frist könnte es natürlich noch einmal unbedingt eingelegt werden. 163 BGH v. 20.7.2005 – XII ZB 31/05, BGHReport 2005, 1468. 164 BGH v. 24.6.1999 – IX ZB 30/99, NJW 1999, 2823 = MDR 1999, 1159. 165 OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548. 166 BGH v. 31.5.1995 – VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 (2564) = MDR 1996, 522.
53
Fristen
Unbedingt eingelegt ist eine Berufung danach dann, wenn ihr die Bitte beigefügt ist, – sie „zunächst zu den Akten zu nehmen“,167 – sie „erst nach Gewährung der gleichzeitig beantragten PKH in den Geschäftsgang zu nehmen“.168 Unbedingt eingelegt ist sie auch dann, wenn – die „Durchführung des Rechtsmittels von der Gewährung von PKH abhängig gemacht“ wird.169 212
Die beiden letztgenannten Fälle sind nach der Rechtsprechung so zu verstehen, dass der Berufungskläger sich bei Versagung der PKH die Rücknahme des Rechtsmittels vorbehält.
213
Nicht unbedingt, aber auch nicht bedingt ist es, wenn – die Berufung nur „als Entwurf beigefügt“ wird170, bzw. – die Berufung zur Erörterung des PKH-Antrages („lt. anliegendem Schriftsatz“) beigegeben wird.171 – Geht gleichzeitig mit einem mit „Berufung“ überschriebenen Schriftsatz ein PKH-Gesuch ein, in dem dieser Schriftsatz ausdrücklich als „Entwurf“ bezeichnet wird, und erklärt der Berufungskläger weiter, die Berufungseinlegung von einer Entscheidung über seinen PKH-Antrag abhängig machen zu wollen, dann ist der mit „Berufung“ überschriebene Schriftsatz nicht als unbedingte Berufungseinlegung auszulegen.172 Die Berufung ist dann noch gar nicht eingelegt worden (entspricht der hier unter 1. dargestellten Konstellation).
214
Û
167 168 169 170 171 172
54
Praxistipp: Die Rechtsprechung rettet gelegentlich großzügig an sich völlig klar bedingt gestellte Anträge im Wege der Auslegung. Darauf kann man sich aber nicht verlassen. Es empfiehlt sich deshalb, eindeutig zu formulieren. Wenn man wirklich gleichzeitig – unbedingt – Berufung einlegen und PKH beantragen will (die folgend unter 3. dargestellte Variante), kann man das auch explizit sagen. Wenn man mit dem PKH-Antrag die Berufungsaussichten erst mal durchtesten will (die unter 1. dargestellte Variante), sollte erst gar kein Schriftsatz beigefügt werden, der Missverständnisse verursachen kann.
BGH v. 16.12.1987 – IVb ZB 161/87, NJW 1988, 2046 (2048). BGH v. 29.5.1952 – IV ZR 224/51, NJW 1995, 880. BGH v. 31.5.1995 – VIII ZR 267/94, NJW 1995, 2563 (2564). BGH Beschl. v. 14.2.2001 – XII ZB 192/99, BGHReport 2001, 481. BAG v. 17.3.1960 – 1 AZB 5/60, AP ArbGG 1953 § 64 Nr. 21. OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548.
Fristen und PKH
b) Sonderfall: PKH-bedingte Berufungsbegründung Ein mit „Berufungsbegründung“ überschriebener Schriftsatz genügt nach 215 Meinung des XII. Zivilsenates den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 ZPO regelmäßig auch dann, wenn darin „zunächst“ Prozesskostenhilfe beantragt und der Berufungsantrag mit den Worten „Nach der Bewilligung der Prozesskostenhilfe werde ich beantragen, …“ angekündigt wird.173 Zugrunde lag eine merkwürdige Konstellation: Der Berufungsführer hatte 216 rechtzeitig Berufung eingelegt. Er hatte auch rechtzeitig innerhalb der verlängerten Begründungsfrist PKH beantragt. Dies hätte zunächst genügt, alle Fristen zu wahren. Nach Zustellung des Beschlusses über die (hier erfolgte) PKH-Bewilligung174 wäre dem Berufungsführer dann noch ein Monat geblieben, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und seine Berufung zu begründen (§ 234 Abs. 1 S. 2 ZPO). Der Berufungsführer unternahm aber (zunächst) gar nichts mehr. Das war aus seiner (vom XII. Zivilsenat bestätigten) Sicht auch nicht nötig, weil er glaubte, die Berufung bereits begründet zu haben. Er hatte einmal den PKH-Antrag mit der Überschrift „Berufungsbegründung“ versehen, zum Zweiten spezifizierte Anträge angekündigt, bzw. später auf erfolgte Anträge Bezug genommen, zum Dritten auch alle sonstigen formellen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung eingehalten. Problematisch war nur die völlig unnötige Verquickung zweier Prozesshandlungen (PKH-Antrag und Berufungsbegründung) in einem Schriftsatz und die (vom BGH als temporär angesehene) Verknüpfung dieser beiden Prozesshandlungen („Nach der Bewilligung der PKH werde ich beantragen …“). Der BGH half dem Berufungsführer in Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung hierzu, indem er die schweren Folgen einer bedingten Begründung (= unzulässige Begründung) als Ausgangspunkt dafür nahm, nur ausdrückliche und zweifelsfrei auf Bedingtheit gerichtete Erklärungen auch als solche zu werten.
217
Zweifelhafte Formulierungen sind damit letztlich immer zugunsten des Berufungsführers zu entscheiden. c) Berufungsfristsäumnisse bei PKH-Bescheidung Grundsätzlich gilt: Berufungen werden vor den Landgerichten oder den 218 Oberlandesgerichten durchgeführt. Dort besteht Anwaltszwang, § 78 Abs. 1 ZPO. Also unterliegen auch Einlegung und Begründung einer Berufung dem Anwaltszwang, genauso wie eventuelle Verlängerungsanträge. Einen Anwalt kann sich aber nicht jeder leisten. Die nötigen Voraus173 BGH v. 21.12.2005 – XII ZB 33/05, BGHReport 2006, 446. 174 Und Beiordnung, vgl. BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239!
55
Fristen
setzungen hierfür unterstellt, kann der Berufungsführer jedoch PKH erhalten, § 114 ZPO. 219
Dies setzt einen darauf gerichteten Antrag voraus (§ 117 ZPO), ein Verfahren, in dem dieser Antrag geprüft wird (§ 118) ZPO, und einen Beschluss, mit dem über den Antrag entschieden (§ 127 Abs. 1 S. 1 ZPO) und – in Verfahren mit Anwaltszwang – ein Anwalt beigeordnet wird (§ 121 Abs. 1, 5 ZPO). Zuletzt muss der Beschluss zugestellt werden (Ablehnungen und Ratenzahlungsbewilligungen ohnehin schon wegen § 329 Abs. 3 ZPO, einfache Bewilligungen wegen § 329 Abs. 2 S. 2 Var. 2 ZPO – Beginn einer Wiedereinsetzungsfrist). All dies kostet Zeit. Nun ist es häufig so, dass die Zustellung des PKH-Beschlusses später als einen Monat,175 zwei Monate176 oder gar drei Monate177 nach der Zustellung des anzufechtenden Urteils178 erfolgt.
220
Drei Monate nach Beginn der Einlegungsfrist sind dann alle berufungsrelevanten Fristen abgelaufen. Das soll zunächst Ausgangslage sein. aa) PKH nach Ablauf von 2 Monaten (Begründungsfristablauf) i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO
221
Weil es sich bei der Einlegungsfrist um eine Notfrist handelt (§ 517 ZPO), ist nach § 233 ZPO grundsätzlich Wiedereinsetzung möglich. Das gilt auch für die Frist zur Begründung der Berufung, denn diese ist in § 233 ZPO namentlich aufgeführt. Die Unfähigkeit, eine Berufung aus eigenen Mitteln zu finanzieren, bzw. die Unkenntnis darüber, ob der Staat diese Unfähigkeit über PKH ausgleicht, wird als ein von der Partei unverschuldetes Hindernis179 verstanden, die nötigen Schritte einzuleiten. Dabei ist klar, dass der Antrag auf Bewilligung von PKH innerhalb der dann jeweils versäumten Frist zur Einlegung bzw. zur Begründung gestellt sein muss.
222
Gemäß § 234 muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer bestimmten Frist erfolgen. Als absolute Grenze gibt es die Jahresfrist des 175 Die Frist zur Einlegung der Berufung, § 517 ZPO. 176 Die „normale“ Frist zur Begründung der Berufung, § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO. 177 Die nach § 520 Abs. 2 S. 3, S. 2 ZPO verlängerte Frist zur Begründung der Berufung. Der Sonderfall der nochmaligen Verlängerung mit Einwilligung des Gegners wird hier als praktisch irrelevant vernachlässigt. 178 Bzw. nach Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, §§ 517 Var. 2, 520 Abs. 2 S. 1 Var. 2 ZPO. 179 Jedenfalls dann, wenn schließlich PKH bewillig wird. Bei PKH-Versagung sieht die Sache komplizierter aus. Ist die Partei vermögend, wird Verschulden nur dann verneint, wenn der Antragsteller „vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages mangels Bedürftigkeit rechnen musste“, fehlt es an der Erfolgsaussicht, ist dies dem Antragsteller nicht als Verschulden zuzurechnen, für beides: BGH v. 24.6.1999 – IX ZB 30/99, NJW 1999, 2823; weiter: BGH v. 31.8.2005 – XII ZB 116/05. Details bei Braunschneider, ProzRB 2003, 367 und Rz. 158, 230, 866.
56
Fristen und PKH
§ 234 Abs. 3 ZPO, gleich, ob dann das Hindernis behoben ist oder nicht.180 Der Antrag muss dabei inhaltlich nicht nur auf Wiedereinsetzung gerich- 223 tet sein, sondern auch (all!) die Tatsachen beinhalten, welche die Wiedereinsetzung begründen sollen, § 236 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO.
Û
Praxistipp: Das wird oft und gerne übersehen, weil die Regelung des 224 § 236 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO („bei der Antragstellung oder im Verfahren“) fälschlich auch auf die Darlegung der Tatsachen bezogen wird, statt richtigerweise nur auf die Glaubhaftmachung dieser Tatsachen. Die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) muss also nicht schon mit dem Antrag geschehen, sie kann auch „im Verfahren“ erfolgen, es spart aber erneute Beschäftigung, wenn man es direkt macht.
Im Kontext mit PKH-Fällen ist diese Voraussetzung aber nicht sonderlich problematisch. Es genügt die Erwähnung, dass vor der Zustellung des PKH-Beschlusses Einlegung oder Begründung der Berufung nicht möglich waren. Wichtiger ist, dass innerhalb der Antragsfrist auch die versäumte Handlung nachgeholt werden muss, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO.
225
Die Form des Antrages richtet sich nach der Form der versäumten Pro- 226 zesshandlung (§ 236 Abs. 1 ZPO). Das bedeutet regelmäßig Schriftform, in Anwaltsprozessen ist § 78 ZPO auch für die Wiedereinsetzung beachtlich.181 (1) Zeit für Nachholung versäumter Handlungen, § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO Was für die Einlegung der Berufung völlig unproblematisch ist, stellt sich 227 für die Begründung als weitaus schwieriger dar. Zu Ungereimtheiten führte insbesondere, wenn man die versäumte Berufungsbegründung innerhalb von zwei Wochen182 nach Zustellung des PKH-Beschlusses verlangte.
180 So ganz absolut ist die Grenze aber auch nicht. So lässt die Rechtsprechung die einjährige Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht gelten, wenn das Gericht über die rechtzeitig beantragte PKH erst nach Ablauf dieser Frist entschieden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 12.6.1973 – VI ZR 121/73 – NJW 1973, 1373 unter Hinweis auf BVerfG v. 6.6.1967 – 1 BvR 282/65, NJW 1967, 1267), und gewährt Wiedereinsetzung auch gegen die Versäumung von Fristen, die nicht zu den in § 233 ZPO bezeichneten Notfristen und Rechtsmittelfristen gehören (dazu das BVerfG aaO NJW 1967, 1267 [1268]). 181 Greger in Zöller, 26. Aufl., § 236 Rz. 2. 182 So die bis zum 1.9.2004 unterschiedslos geltende Frist.
57
Fristen
(a) Arme Partei steht schlechter da als bemittelte Partei 228
Die arme Partei hätte dann nämlich definitiv weniger Zeit für ihre Begründung als die bemittelte Partei. Dieser stehen ja nach Zustellung des anzufechtenden Urteils zwei Monate für die Begründung zur Verfügung (wenn man die erste Verlängerung miteinbezieht, sogar drei Monate). Nimmt man an, dass die erstinstanzlich unterlegene Partei einen Monat183 braucht, um einen Anwalt zu finden, der dann für sie die Berufung durchführt, bleibt diesem immer noch rund184 ein Monat für die Begründung (mit Verlängerung rund zwei Monate). (b) Korrektur durch Rechtsprechung
229
Die Rechtsprechung hat die Ungereimtheiten mit verschiedenen Lösungsansätzen korrigiert. Angesetzt wurde am Ereignis, mit welchem die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen beginnt und an der Dauer der Frist selbst.185 (c) Sonderfall: Überlegungszeitraum nach PKH-Versagung vor Ablauf der Einlegungsfrist
230
Soweit eine Frist versäumt wurde und danach ein die PKH versagender Beschluss ergeht, sollte nach einer älteren Entscheidung des BGH ein Überlegungszeitraum von (mindestens) drei Werktagen bestehen, in welchem die Partei sich darüber klar werden kann, ob sie das Rechtsmittel trotzdem durchführen will.186 Erst danach soll die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO beginnen.187
231
Dagegen richtet sich das OLG Bremen. Die Auffassung, dem PKH-Antragsteller stehe für die Überlegung, ob er nach Versagung von PKH für 183 Wenn sie länger braucht, kann sie es auch direkt sein lassen, denn dann ist die Einlegungsfrist des § 517 ZPO verstrichen. 184 Je nach Endzeitpunkt (Feiertage, Wochenende) von Einlegungs- und Begründungsfrist auch mal mehr oder weniger, vgl. Braunschneider, ProzRB 2003, 366. 185 Einzelheiten bei Braunschneider, MDR 2004, 1045; ders., ProzRB 2003, 366. 186 BGH v. 28.11.1984 – IVb ZB 119/84, NJW 1986, 257 (259). Der BGH hatte dort aber einen Fall zu entscheiden, in dem ein ablehnender PKH-Beschluss drei Tage vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist zugestellt wurde. In diesem Kontext meinte er, dass diese Zeit nicht ausreiche, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen. Anschließend war dann die Einlegungsfrist versäumt und es musste erstmals über Wiedereinsetzung nachgedacht werden. 187 Zuletzt noch einmal OLG Jena v. 20.2.2006 – 4 U 1079/05, OLGR Jena 2006, 548: „Die 2-wöchige Frist beginnt dann spätestens nach einer kurzen Überlegungsfrist von etwa 3 Tagen (Fortführung von BGH v. 26.4.2001 – IX ZB 25/01, MDR 2001, 1007 = BGHReport 2001, 852 = NJW 2001, 2262 [2263]).“ – Spätestens?
58
Fristen und PKH
die Durchführung der Berufung das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen wolle, eine zusätzliche Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen zu, die vor Beginn der Frist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO laufen soll, sei mit § 234 Abs. 2 ZPO nicht vereinbar. Auch nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung gelte eine sol- 232 che zusätzliche Überlegungsfrist für den Berufungsführer jedenfalls nur, um zu entscheiden, ob das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchgeführt werden solle. Sei diese Entscheidung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 (heute: Abs. 1 S. 1) ZPO im positiven Sinne getroffen, sei das Rechtsmittel auch innerhalb derselben Frist zu begründen.188 Zu Recht führt Feiber in diesem Zusammenhang aus, dass der Wunsch 233 einer Partei, gern noch ein paar Tage zu überlegen, keine Verhinderung im Sinne des § 233 ZPO darstelle.189 Es ist auch nicht wirklich ersichtlich, warum eine Partei während der Laufzeit eines PKH-Gesuchs nicht darüber nachdenken kann, was sie macht, wenn es abgelehnt wird.
Û
Praxistipp: Je kürzer vor Ablauf der Einlegungsfrist der PKH-Antrag 234 gestellt wird, umso unwahrscheinlicher ist es aber, dass der PKH-Beschluss noch innerhalb der Frist ergeht. Und unabhängig von den Bedenken an dieser Rechtsprechung wird man in der Praxis im Rahmen der Drei-Werktage-Frist den zusätzlichen Spielraum der Zwei-Wochen-Frist des § 234 ZPO nutzen können. Dass die Begrenzung auf drei Werktage im Grenzbereich die Verlockung großzügiger Datierung des Empfangsbekenntnisses mit sich bringt, dürfte gewiss sein.
(d) Neuregelung durch das 1. JuMoG Schließlich hat sich der Gesetzgeber des Problems angenommen. Das 1. JuMoG wurde am 30.8.2004 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht190 und trat deshalb zum 1.9.2004 in Kraft (Art. 14 S. 1 JuMoG). Mit seinem Art. 1 Nr. 7 wurde § 234 ZPO dahin geändert, dass der frühere Abs. 1 zu Abs. 1 S. 1 und diesem ein neuer S. 2 angefügt wurde.191
235
Nach S. 2 beträgt die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in den 236 vorigen Stand nunmehr einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung (…) einzuhalten. Die übrigen Vorschriften des Wiedereinsetzungsrechtes bleiben unverändert.
188 189 190 191
OLG Bremen v. 6.11.2002 – 1 U 58/02a, OLGR Bremen 2003, 237. Feiber in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., § 233 Rz. 44. BGBl. I 2004, 2198. Ausführlich zur Rechtslage bis zur ZPO-Reform und zur Rechtslage danach bis zum 1. JuMoG, vgl. Braunschneider, MDR 2004, 1045; ders., ProzRB 2003, 366.
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Fristen
(2) Bestimmung des Hindernisses, § 234 Abs. 2 ZPO 237
Im Hinblick auf § 234 Abs. 2 ZPO, nach dem die (jetzt einen Monat dauernde) Frist wie bisher mit der Behebung des Hindernisses beginnt, stellt sich aber die Frage, welches Hindernis konkret behoben sein muss. In Abhängigkeit vom Verfahrensstand sind verschiedene Antworten möglich. (a) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt – alle Fristen versäumt
238
Wurde die Berufung noch nicht eingelegt, kann das Hindernis für die Berufungsbegründung wie eben gezeigt in den Finanzierungsproblemen der Partei liegen. Diese sind frühestens nach Zustellung des PKH-Beschlusses beseitigt. Der BGH geht (für den Fall, dass dies auseinander fällt) sogar davon aus, dass auch die PKH-Bewilligung nicht ausreiche, sondern erst die Beiordnung eines Rechtsanwaltes das Hindernis der Armut beseitige.192 (Der beigeordnete Anwalt muss dann aber natürlich auch im Rahmen eines Anwaltsvertrages für die bedürftige Partei tätig werden.193)
Û
Praxistipp: Nach einer Entscheidung des OLG Zweibrücken194 kann auf die Finanzierungsprobleme schon dann keine Rücksicht mehr genommen werden, wenn auch nur teilweise PKH bewilligt wurde. Für die Einlegung der Berufung reiche dies. Über den Umfang von PKH könne man (Gegenvorstellung) später noch streiten. Der Umfang des Berufungsangriffes müsse ja auch nicht bereits mit der Einlegung angegeben werden (sondern erst mit der Begründung).
239
Das Hindernis kann aber auch die fehlende Einlegung sein, denn ohne eine eingelegte Berufung macht eine darauf zu beziehende Begründung keinen Sinn. Dieses Hindernis ist beseitigt, wenn mit der Wiedereinsetzung die Einlegung erfolgt.
240
Das Hindernis kann schließlich in der Unkenntnis darüber liegen, ob einem Wiedereinsetzungsantrag mit Berufungseinlegung stattgegeben wird. Dieses Hindernis ist beseitigt, wenn ein – stattgebender – Beschluss zur Wiedereinsetzung zugestellt wird. 192 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. In diesem Sinne auch OLG Karlsruhe v. 27.8.2004 – 16 W 1/04, OLGR Karlsruhe 2004, 552: Die Wiedereinsetzungsfrist nach versäumter Berufungsfrist beginnt für die der PKH bedürftige Partei mit der Mitteilung der Bewilligung der PKH und der Beiordnung eines Rechtsanwalts. 193 OLG Karlsruhe v. 27.8.2004 – 16 W 1/04, OLGR Karlsruhe 2004, 552: Der Antrag auf Abschluss eines Anwaltsvertrages für den Berufungsrechtszug kann von dem Rechtsanwalt auch dadurch angenommen werden, dass er gegenüber dem Berufungsgericht tätig wird, und sei es unter Bezeichnung des Rechtsstreites durch Anzeige der Verlegung seines Kanzleisitzes. 194 OLG Zweibrücken v. 28.7.2005 – 6 UF 110/04, OLGR Zweibrücken 2005, 843.
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Fristen und PKH
(b) Variante 2: Berufung eingelegt – Begründungsfrist versäumt Wurde die Berufung bereits eingelegt, schwinden die Optionen. Hindernis 241 kann dann nämlich nur noch die Ungewissheit über die Finanzierung des Rechtsmittels sein. Und diese ist ja mit der Zustellung des Bewilligungsbeschlusses beseitigt. Entsprechend entschied der III. Zivilsenat, dass in diesen Fällen (nur) die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat zur Verfügung stünde, innerhalb deren die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei.195 (3) Was will das Gesetz? Während demnach im Falle bereits erfolgter Einlegung keine Auswahl be- 242 steht und die Handhabung des Gesetzes keine Schwierigkeiten macht, sieht das bei noch nicht erfolgter Einlegung ganz anders aus. Hier bleibt die Frage, welche von den aufgezeigten drei Möglichkeiten die richtige ist. Der Gesetzeswortlaut196 gibt für die Antwort nichts her. Klassischer Aus- 243 legung gemäß sind dann teleologische Betrachtungen vorzunehmen.197 (a) Umsetzung und Gleichbehandlung Die Gesetzesbegründung meint:
244
„Die Änderung setzt damit eine Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von PKH um (BAG NJW 1984, 941; BVerwG v. 17.4.2002 – 3 B 137/01).“198
Kurz vorher heißt es in der Begründung: „Durch die Änderung soll insbesondere sichergestellt werden, dass einem Rechtsmittelführer, dem PKH nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, einen Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibt, so dass er nicht schlechter gestellt wird als die vermögende Partei.“
195 BGH v. 29.6.2006 – III ZA 7/06. 196 (Einzel-)Wortsinn und grammatikalische Auslegung. 197 Der Sinn und Zweck des Gesetzes im Ganzen ist zu erfassen und daraus der Sinn der Einzelvorschrift abzuleiten. Das geschieht mittels systematischer Aspekte (Stellung der Einzelvorschrift im Gesetz und Stellung des Gesetzes in der Rechtsordnung). Hilfsmittel hierbei sind die historische Methode (geschichtliche Entwicklung der Einzelvorschrift und ähnliche Gesetze) und die genetische Methode (Entstehungsgeschichte des Gesetzes). Letzteres bietet sich hier an. 198 BT-Drucks. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 17/18.
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Fristen
(b) In der Gesetzesbegründung Fehlendes 245
Dass diese Begründung die Wirklichkeit nur unvollständig erfasst, erschließt sich ohne weiteres. Denn was soll danach passieren, wenn dem Rechtsmittelführer, der schon Berufung eingelegt,199 aber noch nicht begründet hat, PKH z.B. zwei, drei oder sieben Tage vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt wird?200 Dem Rechtsmittelführer hilft die neue Wiedereinsetzungsfrist dann grundsätzlich nicht, denn es liegt ja mangels Fristsäumnis (noch) keine Wiedereinsetzungssituation vor.
246
Wer überlegt, dass dann eben noch auf die Schnelle ein Verlängerungsantrag gestellt werden könne, mag Folgendes bedenken: Nach der Rechtsprechung besteht ein Subsidiaritätsverhältnis zwischen Wiedereinsetzung und Verlängerungsanträgen.201 Wer nicht über Verlängerungsanträge Fristsäumnis vermeidet, dem wird in aller Regel keine Wiedereinsetzung gewährt. Die Karte Verlängerungsantrag liegt deshalb häufig schon längst auf dem Tisch. Und deshalb jetzt: Was soll passieren, wenn dem Rechtsmittelführer, der Berufung eingelegt und eine erste Verlängerung um einen Monat schon beantragt und bekommen, der aber noch nicht begründet hat, PKH z.B. zwei, drei oder sieben Tage vor Ablauf der verlängerten Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt wird? – Dazu unten mehr. (c) Vermischtes
247
Die Gesetzesbegründung mengt aber auch zu Trennendes durcheinander. Sie unterscheidet nicht, ob nur die Begründungsfrist versäumt wurde (PKH also vor, gleichzeitig mit oder nach einer fristgerechten Einlegung beantragt wurde) oder auch die Einlegungsfrist.
248
Genau solch doppelte Fristsäumnis war aber Gegenstand der in der Gesetzesbegründung zitierten „Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen“. Beide Entscheidungen gingen ausdrücklich davon aus, dass der eine Monat zur Begründung mit
199 Wenn noch keine Berufung eingelegt wurde, kann man für den Zeitpunkt der PKH-Gewährung noch nicht vom Rechtsmittelführer sprechen. Es handelt sich dann nur um einen Antragsteller (im Hinblick auf die PKH). 200 Im Fall von BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, ProzRB 2004, 239, in dem weder Berufung eingelegt, noch Begründung erfolgt waren, blieben noch genau zwei Werktage bis zum Ablauf der Begründungsfrist. Hier meinte der BGH, die Partei könne nicht darauf verwiesen werden, innerhalb von zwei Werktagen einen Antrag zur Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu stellen. Ausdrücklich offen gelassen wurde, wie zu verfahren gewesen wäre, wenn noch eine Woche Zeit verblieben wäre. Zu dieser Entscheidung mehr unter 2.a) aa). 201 BGH v. 19.12.1962 – VIII ZR 258/62, BGHZ 38, 376 (379).
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der Zustellung des Beschlusses über die Wiedereinsetzung in das Rechtsmittel beginnt (welches also originär jeweils noch nicht eingelegt war). Wenn man dem Gesetzgeber insoweit nicht einfach unterstellen will, er 249 habe die von ihm in Bezug genommene Rechtsprechung entweder nicht gelesen oder nicht verstanden, dann muss er wohl jedenfalls für die Fälle, in denen es nicht nur an einer fristgerechten Begründung, sondern schon an einer fristgerechten Einlegung mangelt, den Beginn der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO mit der Zustellung des Wiedereinsetzungsbeschlusses für die Einlegung gewollt haben. Das sieht nun neuerdings das KG anders.
250
Es meint, die Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO, nach der im Wiedereinsetzungsverfahren die Frist zur Begründung der Berufung ein Monat betrage, sei nach ihrem Wortsinne auszulegen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Neuregelung bestünden nicht.202 Soweit das die Dauer von einem Monat angeht, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Das ergibt sich in der Tat aus dem Wortlaut. Das KG grenzt sich damit im Übrigen ausdrücklich vom OLG München ab, welches kurz zuvor noch beschlossen hatte, der armen Partei stehe, unabhängig davon, ob die Entscheidung über die Bewilligung von PKH vor oder nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ergehe, zur Begründung der Berufung eine Frist von zwei Monaten ab Zugang der PKH-Entscheidung zu. Unstatthafte Rechtsbehelfe gegen die PKH-Entscheidung sollten den Fristlauf nicht beeinflussen. Eine arme Partei, der keine PKH bewilligt werde, erhalte keine zur Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten hinzukommende Bedenkzeit darüber, ob sie das Verfahren auf eigene Kosten durchführen könne und wolle.203 Die Frist zur Begründung der Berufung beginnt nach dem KG aber nicht 251 erst mit der Zustellung der Wiedereinsetzungsentscheidung über die Versäumung der Berufungsfrist, sondern bereits mit – auch formloser – Mitteilung der Prozesskostenhilfeentscheidung an die Partei, einem von ihr benannten Vertreter oder an den Prozessbevollmächtigten, wenn im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugleich ein Prozessbevollmächtigter beigeordnet werde.204 Das KG begründet das damit, dass sich § 234 Abs. 2 ZPO (Beginn mit Behebung des Hindernisses) systematisch auf § 234 Abs. 1 ZPO beziehe, folglich sowohl die Frist zur Einlegung wie auch die zur Begründung regele. Auch dagegen lässt sich nichts sagen. Danach allerdings begeht das KG einen Denkfehler. Es meint nämlich, dass der Gesetzgeber – hätte er 202 KG v. 30.5.2006 – 4 U 116/05. 203 OLG München v. 21.3.2006 – 1 U 4589/05, OLGR München 2006, 535. 204 KG v. 30.5.2006 – 4 U 116/05.
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einen unterschiedlichen Fristbeginn für die Wiedereinsetzungsanträge zur Einlegung und zur Begründung gewollt – den § 234 Abs. 2 ZPO hätte ergänzen müssen. Eine solche Ergänzung hätte dann bestimmen müssen, dass die Frist nach § 234 Abs. 1 S. 2 (Begründung versäumt), nicht mit dem Tage beginnt, an dem das Hindernis behoben sei, sondern mit dem Tag der Zustellung des die Wiedereinsetzung (in die Einlegung) bewilligenden Beschlusses. 252
Was das KG missverstanden hat, ist der Auslegungsbezugspunkt. Es geht nicht um § 234 Abs. 1 ZPO. Es geht um § 234 Abs. 2 ZPO und dort um das Gesetzesmerkmal „Hindernis“. Das KG geht hier schlicht davon aus, dass es um ein Hindernis gehe, „einen Rechtsanwalt mit der Ausarbeitung der Berufungsbegründung zu beauftragen“. Das ist nicht nur zu kurz formuliert (es geht in Wirklichkeit um die Finanzierung), sondern auch ohne wirkliche Auswahl nur behauptet. Die anderen – oben näher erläuterten – Hindernisse sieht das KG nicht einmal als Möglichkeit (eines Hindernisses). Ohne Begründung bleibt letztlich nämlich, warum das KG einfach meint, der Gesetzgeber sei der Rechtsprechung hinsichtlich des Fristbeginns nicht gefolgt, wo dieser doch zugleich in der Gesetzesbegründung zwei Entscheidungen nennt, welche die Frist zur Begründung mit der Zustellung des die Wiedereinsetzung bewilligenden Beschlusses beginnen lassen. Noch einmal zur Erinnerung – die Gesetzesbegründung (vom KG sogar zitiert) formuliert: „Die Änderung setzt damit eine Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von PKH um (BAG NJW 1984, 941; BVerwG v. 17.4.2002 – 3 B 137/01).“205
Das KG hat ein Vorverständnis davon, was (allein!) ein Hindernis sein darf. Aus diesem Vorverständnis heraus interpretiert es § 234 Abs. 2 ZPO und biegt sich den Willen des Gesetzgebers – trotz dessen anders lautender Begründung – so zurecht, dass es für seine Lösung die Formulierung wählt: „Der Wille des Gesetzgebers und der Wortlaut der Regelung sind demnach eindeutig.“
Û
Praxistipp: Die Entscheidung des KG ist mit der dort vorgenommenen Argumentation nicht haltbar. Gleichwohl hat man sich im Zuständigkeitsbereich des KG daran zu orientieren.
253
Für die übrigen Fälle (nur fristgerechte Begründung versäumt), bleibt ohnehin nur ein Beginn der Monatsfrist mit der Zustellung des Beschlusses über die PKH.
254
Das hat der BGH in Abkehr von verschiedenen Gedankenmodellen, die er in 2003 erwogen hatte,206 inzwischen klargestellt: Der Lauf der Beru205 BT-Drucks. 15/1508 v. 2.9.2003, S. 17/18. 206 BGH v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02, NJW 2003, 3275.
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fungsbegründungsfrist beginne auch dann nach Maßgabe des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wenn der Rechtsmittelführer wegen Kostenarmut um Prozesskostenhilfe nachsucht und deshalb an der Einhaltung dieser Frist gehindert sei. Seit dem Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) stehe ihm in diesen Fällen nach Wegfall des Hindernisses die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat zur Verfügung, innerhalb deren die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei.207 Diese Entscheidung enthält trotz ähnlich klingender Argumentation im entscheidenden Punkt keine Übereinstimmung mit der vorher dargestellten Entscheidung des KG. In der Entscheidung des BGH war die Berufung bereits eingelegt. Es stand also überhaupt nicht zur Debatte, ob die Wiedereinsetzung in eine gleichfalls versäumte Einlegung zum Anknüpfungspunkt für eine Wiedereinsetzung in eine versäumte Begründung sein könnte.
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255
Praxistipp: Es ist nach dem offenkundig, dass in PKH-Fällen die frist- 256 gerechte Einlegung der Berufung den nach Bewilligung entstehenden zeitlichen Spielraum erheblich einengt. Sofern es nicht anderweitige Gründe208 gibt, die für ein solches Vorgehen sprechen, sollte stets nur PKH beantragt werden.
Dieser Ansatz birgt aber auch ein nicht unbeträchtliches Risiko. Der 257 flüchtige Leser mag aus der Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO und dem Umstand, dass es ja (aber nur: auch!) an der Begründung mangelt, entnehmen, dass er nunmehr für seinen Antrag einen Monat Zeit hätte. Das stimmt wie gerade dargelegt aber nicht (immer). Denn der Monat gilt nur für die Begründung. Die Einlegung dagegen muss innerhalb von zwei Wochen nachgeholt werden.
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Praxistipp: Wer isoliert PKH beantragt und die Einlegung später nach- 258 holen will, sollte sich deutlich die Zweiwochenregelung in der Akte vermerken.
207 BGH v. 29.6.2006 – III ZA 7/06. 208 Unter vergütungsrechtlichen Aspekten ist die Einlegung der Berufung natürlich vorteilhaft. Die Vergütung richtet sich dann nämlich nach Nr. 3200 VV RVG. Es gibt eine 1,6 Gebühr. (Die gleichzeitig entstandene Gebühr Nr. 3335 VV RVG verschwindet darin, Nr. 3335 [2] VV RVG). Eine Ermäßigung, Nr. 3201 VV RVG, kommt nicht in Betracht, nachdem das Rechtsmittel eingelegt wurde. – Bei einem reinen PKH-Verfahren ohne Einlegung gilt dagegen Nr. 3335 VV RVG pur. Es gibt also grundsätzlich nur eine 1,0 Gebühr. Dabei bleibt es insbesondere auch dann, wenn der Mandant nach der PKH-Entscheidung die Berufung nicht mehr einlegen mag (namentlich wohl bei Ablehnung wegen mangelnder Erfolgsaussicht).
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Fristen
bb) PKH vor Ablauf von 2 Monaten i.S.v. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO (Begründungsfristablauf) 259
Es bleibt die Frage, was in den Fällen zu geschehen hat, in denen PKH vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist bewilligt wurde (inkl. Beiordnung und Zustellung der Beschlüsse). (1) Variante 1: Berufung noch nicht eingelegt (a) Entscheidung des BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03
260
Der IX. Zivilsenat entschied, dass eine Partei, die im Zeitpunkt der Zustellung der PKH-Bewilligung die Rechtsmittelbegründungsfrist (ohne Verlängerung) noch nicht versäumt habe, grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn sie auch diese Frist bereits versäumt hätte. Andernfalls hinge der Zeitraum, der ihr zur Einreichung der Rechtsmittelbegründung zur Verfügung stünde, und das Maß an Anstrengungen, welche die Partei zur Fristwahrung auf sich nehmen müsste, von dem zufälligen und von der Partei nicht beeinflussbaren Umstand ab, ob über ihr PKH-Gesuch vor oder nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist entschieden werde.209 Das klingt zunächst nicht schlecht. Wenn schon die Partei, welche die Begründungsfrist versäumt hat, mindestens einen Monat ab Zustellung der PKH-Bewilligung Zeit für die Begründung bekommt, dann kann es nicht richtig sein, wenn der weniger Säumige ein geringeres Maß bekäme.
261
Eine Verallgemeinerung dieser Entscheidung dürfte aber wohl nicht gelingen. Es ging im konkreten Fall nämlich um eine Partei, die erstinstanzlich (vor dem LG) von einer Anwältin vertreten war, welche vor der nächsten Instanz (dem KG) nicht postulationsfähig war. So gesehen war die Partei für die Berufungsinstanz also überhaupt noch nicht anwaltlich vertreten. Man hätte der Partei deshalb ansinnen müssen, in der ihr nach der Zustellung des PKH-Beschlusses verbleibenden Zeit – konkret: zwei Werktage – einen Prozessbevollmächtigten zu finden, der bereit gewesen wäre, sich beiordnen zu lassen und einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, wofür er sich einen zumindest summarischen Überblick über den Verfahrensstand hätte verschaffen müssen. Das mochte der Senat der Partei nicht zumuten.210 209 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. 210 Und eigentlich war das „Geplänkel“ um den Zweitagesrest und um den Verlängerungsantrag auch gar nicht nötig, denn der Senat weist selbst darauf hin, dass das Hindernis der Armut noch gar nicht beseitigt war, weil es noch an der Beiordnung eines Anwaltes fehlte (BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, Entscheidungsumbruch S. 8, MDR 2004, 1376). Als dieses Hindernis dann durch Beiordnung beseitigt war, waren alle Fristen längst verstrichen.
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Unklar bleibt in der Entscheidung, wie das gesetzlich zu legitimieren sein 262 soll. Die in Bezug genommene verfassungskonforme Auslegung des § 236 Abs. 2 S. 2 Halbs. 1 ZPO für die Fälle, in denen bei PKH-Bewilligung alle Fristen bereits verstrichen sind, hilft nicht wirklich, denn darauf will sich der Senat ja nicht stützen.211 Wenn der Senat darüber mit der Bemerkung „Diese Unterschiede sind jedoch grundsätzlich nicht erheblich.“ hinweggeht, ist das nicht besonders hilfreich. Die Argumentation des Senates lässt es jedoch zu, die dann durch schlichtes Nichttätigwerden in den letzten beiden Werktagen der auslaufenden Frist letztlich doch eingetretene Säumnis als unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO anzusehen. Das ist in anderem Zusammenhang hilfreich.212 (b) Begründung ohne Einlegung? Überzeugender (und vor allem: verallgemeinerungsfähiger) wird das Ergebnis aber, wenn man bedenkt, dass die Verlängerung einer Frist zur Begründung einer Berufung eigentlich voraussetzt, dass überhaupt eine Berufung eingelegt worden ist. War sie aber noch nicht.
263
Und wenn man jetzt hinzunimmt, dass im Hinblick auf diese versäumte 264 Einlegungsfrist mindestens die zwei Wochen des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO zur Verfügung stehen, um im Kontext eines Wiedereinsetzungsantrages die Einlegungserklärung nachzuholen, ergibt sich die paradoxe Situation, dass bei einer Zustellung des PKH-Beschlusses (inkl. Beiordnung) jedenfalls in den letzten 13 Tagen der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO die „Begründungsfrist“ ablaufen könnte, bevor die Einlegung am letzten Tag der Wiedereinsetzungsfrist erfolgt. Auf den Punkt formuliert: Kann man die Begründung eines Rechtsmittels 265 verlangen, das noch gar nicht eingelegt wurde und das – unter Berücksichtigung der Wiedereinlegungsfristen – auch noch gar nicht eingelegt werden musste? (c) Verlängerung ohne Einlegung? Kann man – spezifischer – verlangen, dass sich jemand um die Verlänge- 266 rung einer Frist für die Begründung eines Rechtsmittels bemüht, das noch gar nicht eingelegt wurde?213 211 Obwohl er genau das hätte tun können (und eigentlich müssen), vgl. vorstehende Fn. 212 Weiter unten beim Fall einer PKH-Bewilligung während einer laufenden, schon verlängerten Berufungsbegründungsfrist, Rz. 279. 213 Das OLG Schleswig v. 22.4.2004 – 15 UF 38/04 formuliert die Antwort so: „Die Begründung eines noch gar nicht eingelegten Rechtsmittels oder auch nur der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist vor Einlegung des Rechtsmittels entspricht nicht unserem Rechtsmittelsystem“.
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Bei der Beantwortung dieser Frage kann man sich nicht damit bescheiden, auf die Fiktionswirkung der Wiedereinsetzung zu verweisen. Natürlich wirkt die mit dem Wiedereinsetzungsantrag erfolgte Berufungseinlegung nach der Wiedereinsetzung so, als sei die Einlegung rechtzeitig erfolgt (also innerhalb des ersten Monats). Das ändert aber nichts daran, dass sie real nicht rechtzeitig, sondern erst nach mehr als zwei Monaten erfolgte. Und zu jedem beliebigen Zeitpunkt dieser zwei Monate gab es keine Berufungseinlegung und keinen Berufungsführer.
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Allgemein muss man daraus folgern, dass die Zustellung eines PKH-Beschlusses innerhalb eines Grenzbereiches von 13 Tagen vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO nie die Annahme einer Verpflichtung zur Stellung eines Verlängerungsantrages nach sich ziehen kann. Aber auch bei einer früheren Zustellung des PKH-Beschlusses ändert sich daran nichts. Denn selbst wenn diese Zustellung z.B. einen Tag nach Ablauf der Einlegungsfrist214 erfolgte, also rund einen Monat vor Ablauf der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO, selbst wenn dann binnen 14 Tagen Wiedereinsetzung beantragt und als bis dahin versäumte Handlung die Einlegung vorgenommen werden würde, wäre noch nicht wirksam eingelegt. Nachdem die ursprüngliche Einlegungsfrist (§ 517 ZPO) ja versäumt wurde, bedarf es zur Wirksamkeit der Einlegung erst eines Wiedereinsetzungsbeschlusses. Und dieser wird wohl kaum binnen des dann verbleibenden Restmonats ergehen und zugestellt werden.
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Praxistipp: Wenn man all den möglichen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen will, verzichtet man auf die Einlegung und stellt den PKHAntrag erst kurz vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist. Die Wahrscheinlichkeit, dann so zeitnah einen PKH-Beschluss zu bekommen, dass man auf einen anschließend eingelegten Wiedereinsetzungsantrag mit Einlegung noch während der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO einen Wiedereinsetzungsbeschluss bekommt, ist so gering, dass man sie vernachlässigen kann. – Zur Verlockung durch die Möglichkeiten der Empfangsbekenntnisse s.u.
(d) Ohne Einlegung nie Verlängerung 270
Insgesamt ergibt sich damit das Ergebnis, dass (bei allen wahrscheinlichen Abläufen) in der Konstellation, in der keine Berufung eingelegt und isoliert PKH beantragt wurde, nie ein Verlängerungsantrag zu stellen ist. 214 In extremen Ausnahmefällen kam es auch schon mal zu einer noch früheren Zustellung eines PKH-Beschlusses. BGH v. 28.11.1984 – IVb ZB 119/84, NJW 1986, 257, behandelte den Fall, dass die Zustellung (eines ablehnenden PKHBeschlusses) drei Tage vor Ablauf der Einlegungsfrist erfolgte. Vgl. hierzu den folgenden Beraterhinweis und die Ausführungen oben ab Rz. 230 ff.
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(2) Variante 2: Berufung eingelegt Anders – und bis auf eine Ausnahme viel einfacher – sieht die Lage aus, 271 wenn schon Berufung eingelegt wurde. Hier gibt es einen Rechtsmittelführer, hier gibt es auch genau so zu benennende Begründungsfristen. Hier gibt es wegen des Anwaltszwanges auch schon einen anwaltlichen Vertreter und es muss keiner gesucht werden, wenn der PKH-Beschluss zugestellt wird. (a) So oder so: In jedem Fall Verlängerungsantrag stellen Droht die Begründungsfrist abzulaufen, muss der Rechtsmittelführer nach einer Entscheidung des OLG Köln einen Verlängerungsantrag stellen.215 Lege eine Partei unbedingt Berufung ein, wolle sie diese aber innerhalb der Berufungsbegründungsfrist noch nicht begründen, sondern die Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch abwarten, so könne und müsse ihr Prozessbevollmächtigter grundsätzlich durch einen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dafür sorgen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht notwendig werde. Versäume es der Prozessbevollmächtigte, den Verlängerungsantrag zu stellen, so könne eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. Es spielt dabei an sich gar keine Rolle, ob der PKH-Beschluss schon zugestellt wurde oder nicht. – Ist er noch nicht zugestellt, wird die Frist schon deswegen verlängert werden. Wiedereinsetzungsfragen stellen sich noch nicht, denn es wurde noch keine Frist versäumt. – Ist er schon in der Begründungsfrist zugestellt worden, wird es die Verlängerung gleichwohl geben, weil dann problemlos damit argumentiert werden kann, dass noch keine hinreichende Zeit für die Bearbeitung zur Verfügung gestanden hatte. Da zum Kreis der zur Begründung nötigen erheblichen Gründe sowohl die Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts216 wie auch Terminschwierigkeiten für die Besprechungen 215 OLG Köln v. 4.2.2002 – 11 U 153/01, OLGR 2002, 186; im selben Sinne OLG Zweibrücken v. 5.2.2004 – 6 UF 27/03, OLGR 2004, 283, allerdings mit Hinweis auf eine Besonderheit: „Etwas anderes gilt nur, wenn der Auftrag der Partei an den Anwalt – in Kenntnis der rechtlichen Folgen – ausdrücklich nicht die Stellung eines Verlängerungsantrages umfasste bzw. wenn der Anwalt der Partei gegenüber unzweifelhaft zum Ausdruck bringt, dass er mit der Rechtsmitteleinlegung und der Stellung des Prozesskostenhilfeantrages seine Tätigkeit als beendet ansieht und es ablehnt, die Einhaltung der Begründungsfrist weiter zu überwachen.“ 216 BVerfG v. 28.2.1989 – 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 (377).
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Fristen
mit der Mandantschaft217 gehören, sollte es in der Praxis keine Probleme mit dem Antrag nach § 520 Abs. 2 S. 3, 2 ZPO geben. Wiedereinsetzungsfragen stellen sich auch hier nicht. Etwas entschärft worden ist die Lage danach durch eine Entscheidung des XII. Zivilsenates: Die Berufungsbegründungsfrist soll nach der Rechtslage seit Inkrafttreten der ZPO-Reform zum 1.1.2002 nicht schuldhaft versäumt sein, wenn der Berufungskläger, der zwar keine Verlängerung der Begründungsfrist, innerhalb der Begründungsfrist aber Prozesskostenhilfe beantragt hätte, die Berufungsbegründung nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt habe.218 (b) PKH-Beschluss in der Verlängerungsfrist 273
Spannend wird es aber während des Laufes der Verlängerungsfrist. Wird der PKH-Beschluss hier nicht zugestellt (sondern später), ist die Angelegenheit unproblematisch. Dann ist die (verlängerte) Begründungsfrist versäumt und es muss Wiedereinsetzung beantragt werden. Für diesen Fall gibt es nach § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO in der Fassung des 1. JuMoG einen Monat Zeit. Wird der PKH-Beschluss aber in der Verlängerungsfrist zugestellt, bekommt der Rechtsmittelführer nach der derzeitigen Rechtslage ein echtes Problem. Die Begründungsfrist ist noch nicht verstrichen, Wiedereinsetzung scheidet damit aus. Nachdem die Verlängerungsfrist maximal einen Monat beträgt, verbleibt dem Rechtsmittelführer dann an sich nur noch die Differenz zwischen diesem Monat und der bereits abgelaufenen Frist. In diesem Differenzzeitraum müsste er die Berufung begründen. Im negativen Extremfall kann diese Differenz weniger als einen Tag ausmachen, im positiven kann es der volle Monat abzüglich eines Tages sein.
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Es ist offensichtlich, dass das Differenzfrist-Ergebnis nicht in Ordnung ist. Der Gesetzgeber ist sowohl bei der Fristbestimmung in § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO wie auch bei der Neuregelung des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO davon
Praxistipp: Es ist nicht auszuschließen, dass es Anwälte gibt, die jedenfalls kurz vor Ablauf einer solchen Verlängerungsfrist mit dem Gedanken spielen, die Datierung auf dem Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) so zu wählen, dass die aufgezeigten Schwierigkeiten nicht auftauchen.
217 BGH v. 1.8.2001 – VIII ZB 24/01, NJW 2001, 3552. 218 BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 34/04, MDR 2005, 1430. Bitte beachten: Dann muss sofort die Begründung nachgeholt werden, ein Verlängerungsantrag reicht dann nicht mehr!
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Fristen und PKH
ausgegangen, dass Rechtsmittelführern mindestens ein Monat Zeit zur Verfügung steht. In fast allen Fällen ist ihm dies auch gelungen. Angesichts dessen, dass eine zeitliche Ungleichbehandlung der aufgezeig- 276 ten Konstellation keine sachliche Rechtfertigung findet, muss das Ergebnis (zur Erreichung von Verfassungskonformität – Art. 3 Abs. 1 GG) korrigiert werden. Im Ergebnis muss die Korrektur dazu führen, dass auch dieser Rechtsmittelführer mindestens einen Monat Zeit für die Begründung hat. Hier passt dann der oben dargestellte Gedanke des IX. Zivilsenates.219 Die genaue rechtstechnische Ausformung muss die Rechtsprechung vor- 277 nehmen.220 Möglich wären Eingriffe bei den Fristenregelungen des § 520 Abs. 2 ZPO (Verlängerungslösung) und solche bei der Wiedereinsetzung. Erstere könnten von Amts wegen vorgenommen werden, letztere wären an einen Antrag gebunden. Angesichts dessen, dass es das Berufungsgericht ist, welches über den 278 PKH-Antrag entscheidet, und dass eben dieses Berufungsgericht aus den Akten entnehmen kann, dass sich der Berufungsführer schon in der verlängerten Frist befindet, wäre denkbar, dass dieses Berufungsgericht mit der Zustellung des PKH-Beschlusses zugleich eine (weitere) Verlängerung der Begründungsfrist auf einen Monat nach Zustellung des PKH-Beschlusses verfügt. Selbst wenn diese Beschlüsse dann wegen irgendwelcher Verzögerungen erst nach dem Ablauf der erstmals verlängerten Frist zugestellt würden, wäre nichts passiert. Reicht der Berufungsführer innerhalb der Frist ohne weiteres die Begründung ein, geschieht dies entweder in Gemäßheit der Verlängerungsverfügung oder im Sinne von § 236 Abs. 2 S. 2 ZPO. Eine Wiedereinsetzungslösung kann davon ausgehen, dass es kein Ver- 279 schulden des Berufungsführers darstellt, dass dieser nicht innerhalb der verlängerten Frist begründet hat. Einem Antrag nach §§ 233, 236 ZPO wäre damit stattzugeben. Nimmt man die Restlaufzeit der ersten Verlängerungsfrist mit in die Berechnung auf, hätte der Berufungsführer einen mehr oder weniger großen Vorteil. d) Sonderfall: Wiedereinsetzungsantrag vor PKH-Bescheidung – Über eine besondere Konstellation hatte das OLG Köln zu befinden. Es könne durchaus sein, dass auch bereits vor der Bekanntgabe der Ent-
219 BGH v. 17.6.2004 – IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = ProzRB 2004, 239. 220 Argumentativ auf der Linie einer Wiedereinsetzungslösung lag schon vor der Schaffung des 1. JuMoG das OLG Schleswig v. 22.4.2004 – 15 UF 38/04, OLGR 2004, 452.
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Fristen
scheidung über das Prozesskostenhilfegesuch der Antragsteller gehalten sei, Wiedereinsetzung zu beantragen.221 – Dies sei zunächst unproblematisch dann der Fall, wenn ein im Zeitpunkt des Fristablaufs tatsächlich mittelloser Antragsteller nachträglich Vermögen erlange, das ihn in die Lage versetze, die Prozesskosten selbst aufzubringen. Mit dem Ende der Mittellosigkeit sei auch das Hindernis i.S.d. § 234 Abs. 2 ZPO behoben. – Das Weiterbestehen des durch die – behauptete – Bedürftigkeit einer Partei begründeten, der Fristwahrung entgegenstehenden Hindernisses sei aber auch von dem Zeitpunkt an nicht mehr unverschuldet, in dem die Partei es schuldhaft unterlasse, eine ihr im Prozesskostenhilfeverfahren vom Gericht gemachte Auflage zu erfüllen oder eine Anregung des Gerichts zu befolgen, ihr bisher nicht ausreichend begründetes Prozesskostenhilfegesuch zu ergänzen. In diesen Fällen beginne die Wiedereinsetzungsfrist bereits mit Ablauf der zur Erfüllung der Auflagen gesetzten Frist. Selbst wenn der Antragsteller tatsächlich noch bedürftig sein sollte, könne in diesem Fall das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden, wenn und soweit er hätte erkennen müssen, dass ohne die Erfüllung bzw. die ordnungsgemäße Erfüllung einer ihm gemachten Auflage die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht kam. – Entsprechendes müsse gelten, wenn die Auflage formal zwar erfüllt werde, der Antragsteller sich aber aufgrund der nun gemachten Angaben nicht mehr darauf verlassen könne, dass das Gericht auf dieser Grundlage die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe als gegeben ansehe. Wenn beispielsweise ein Antragsteller in einem Verfahren, in dem die voraussichtlichen Prozesskosten 5.000 Euro betragen, auf die ihm gemachte Auflage, zu einer von dem Prozessgegner behaupteten Erbschaft Stellung zu nehmen, ohne nähere Erläuterung mitteile, einen Betrag i.H.v. 10.000 Euro geerbt zu haben, möge er die Auflage erfüllt haben. Er könne jedoch nunmehr nicht mehr darauf vertrauen, dass ihm Prozesskostenhilfe bewilligt werde, selbst wenn der Summe von 10.000 Euro Nachlassverbindlichkeiten in einer entsprechenden Höhe gegenüberstünden, der Antragsteller dies dem Gericht jedoch nicht mitgeteilt habe. Eine andere Beurteilung sei nur dann angezeigt, wenn einem Antragsteller im Prozesskostenhilfeverfahren – zunächst – unbefristete Auflagen gemacht werden. Dann beginne die Frist, wenn nicht schon vorher die Mittellosigkeit entfalle, nicht vor Zustellung des Prozesskostenhilfe verweigernden Beschlusses oder mit Ablauf einer gesetzten Nachfrist.
221 OLG Köln v. 12.3.2004 – 2 U 24/03, OLGR Köln 2004, 377.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
5. Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH) Wiedereinsetzungsanträge machen im Berufungsrecht Sinn bei versäumter Einlegungsfrist (Notfrist) oder bei versäumter Begründungsfrist. Aus der Vielzahl der Entscheidungen werden nur die dargestellt, die einen expliziten Bezug zum Berufungsrecht haben. Dabei sind die Fälle zu unterscheiden, in denen innerhalb der jeweiligen Frist etwas (aber nichts Hinreichendes) abgeschickt worden ist, von denen, in denen innerhalb der Fristen gar nichts zum Gericht gelangte.
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Bevor das Berufungsgericht aber über einen (hilfsweisen) Wiedereinsetzungsantrag entscheidet, muss es klären, ob überhaupt eine der in § 233 ZPO genannten Fristen versäumt wurde.222
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Dass es grundsätzlich keine Wiedereinsetzung gibt, wenn in Unkenntnis 283 der Regelung des § 119 GVG die Berufung zum falschen Gericht erfolgt,223 wurde oben schon dargelegt. Im Übrigen wird in den Entscheidungen die Rechtsprechung fortgesetzt, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt.
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a) Fehlende Unterschrift Wenn ein Rechtsanwalt die (konkrete) Anweisung erteilt hat, die von 285 ihm in Gegenwart seiner Büroangestellten unterzeichnete Rechtsmittelschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu senden, die Angestellte aber aufgrund einer Verwechslung eine nicht unterzeichnete Abschrift übermittelt, ist Wiedereinsetzung zu gewähren.224 Bei einem Anwaltswechsel in der Berufungsinstanz, der stattfindet, wenn die Berufung durch den früheren Prozessbevollmächtigten vermeintlich längst frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist, und bei dem sich dann nachträglich herausstellt, dass die Berufungsschrift nicht unterzeichnet gewesen war, ist der übernehmende Anwalt jedenfalls dann nicht verpflichtet, die Gerichtsakte auf ordnungsgemäße Einlegung und Begründung zu prüfen, wenn der Mangel dem Berufungsgericht selbst nicht aufgefallen ist und dieses das Verfahren weiter betrieben hat.225
222 BGH v. 27.5.2003 – VI ZB 77/02, MDR 2003, 1193. 223 OLG Celle v. 10.2.2004 – 3 U 15/04, OLGR 2004, 368; OLG Düsseldorf v. 7.2.2003 – 14 U 216/02, ProzRB 2003, 215, OLGR 2003, 91. 224 BGH v. 11.2.2003 – VI ZB 38/02, MDR 2003, 709 = ProzRB 2003, 213. 225 BGH v. 26.9.2002 – III ZB 44/02, MDR 2003, 42 = ProzRB 2003, 41.
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Fristen
b) Bezeichnungsfehler 287
Wiedereinsetzung wird gewährt, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten die Anweisung erteilt hat, den Namen des Berufungsklägers in der von ihm unterzeichneten Rechtsmittelschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Angestellte den Schriftsatz aber unverändert absendet.226
288
Keine Wiedereinsetzung wegen Büroversehens gibt es nach dem OLG München aber, wenn der Anwalt einen Berufungsschriftsatz ungeprüft unterzeichnet und weitergeleitet hat, in welchem der Berufungsführer so verwechselt wurde, dass ausdrücklich namens einer ausgeschiedenen Partei, die der Anwalt als Drittwiderbeklagte neben der Klägerin anwaltlich bereits in erster Instanz vertreten hatte, Berufung einlegt wurde. Hier kommt auch eine Rubrumsberichtigung nicht in Betracht.227
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Nach ständiger Rechtsprechung trifft den in der Vorinstanz aufgetretenen Prozessbevollmächtigten bei Erteilung eines schriftlichen Rechtsmittelauftrags die Pflicht zur eigenverantwortlichen Überprüfung der für die Einlegung des Rechtsmittels notwendigen Förmlichkeiten. Entscheidend hierfür ist, dass sich der Rechtsmittelanwalt insoweit auf seine Angaben verlassen muss, weil ihm – solange keine Handakten vorliegen – die notwendige anwaltliche Überprüfung der Förmlichkeiten nicht möglich ist. Wenn danach dem aktuellen Anwalt vom vorigen Anwalt der Rechtsmittelkläger falsch bezeichnet wird, ist keine Wiedereinsetzung möglich.228 c) Versäumte Einlegungsfrist aa) Falsche Fristberechnung bei Nebenintervention
290
Eine Rechtsmitteleinlegung durch einen Nebenintervenienten ist grundsätzlich nur so lange möglich, wie die Rechtsmittelfrist für die Hauptpartei läuft. Für die Fristberechnung kommt es also zunächst auf die Zustellung an die Hauptpartei an. Der Zeitpunkt der Zustellung an den Nebenintervenienten ist nur dann maßgebend, wenn es sich um eine streitgenössische Nebenintervention handelte, mithin der Nebenintervenient gem. § 69 ZPO als Streitgenosse der Hauptpartei gälte. Eine streitgenössische Nebenintervention setzt aber voraus, dass nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder des Prozessrechts die Rechtskraft der in dem Hauptprozess erlassenen Entscheidung auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zu dem Gegner von Wirksamkeit ist. Das ist der Fall, wenn zwischen dem Streit226 BGH v. 9.12.2003 – VI ZB 26/03, MDR 2004, 477. 227 OLG München v. 25.1.2006 – 7 U 5103/05, OLGR München 2006, 241. 228 BGH v. 7.4.2004 – XII ZR 253/03, MDR 2004, 1074 = BGHReport 2004, 1195.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
helfer und dem Gegner der von ihm unterstützten Hauptpartei ein Rechtsverhältnis besteht, auf das sich die Rechtskraft der Entscheidung auswirkt. Hingegen genügt es nicht, dass Rechte oder Verbindlichkeiten der Parteien bedingt oder in anderer Weise mittelbar von der Entscheidung des Hauptprozesses abhängig sind. Demzufolge fällt die Nebenintervention eines subsidiär Verpflichteten im Prozess des Gläubigers mit dem Primärschuldner nicht unter § 69 ZPO. Denn es liegt keine Rechtskrafterstreckung vor, sondern ggf. eine besondere Art von Tatbestandswirkung. Diese rechtfertigt keine über § 67 ZPO hinausgehenden prozessualen Befugnisse des Streithelfers. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach dem OLG Frankfurt nicht in Betracht, wenn die Versäumung der Berufungsfrist auf der fälschlichen Annahme einer streitgenössischen Nebenintervention beruht.229 bb) Absendung unterblieben Wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten mündlich die Anweisung erteilt hat, die Berufungsschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Absendung jedoch im Laufe des Tages in Vergessenheit gerät und unterbleibt, gibt es keine Wiedereinsetzung. Um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, hätte der Anwalt die klare und präzise Anweisung erteilen müssen, die Berufungsbegründung umgehend, jedenfalls aber noch am Vormittag abzusenden. Sah er davon ab, gereicht ihm zum Verschulden, dass er keine Vorkehrungen dagegen getroffen hat, die Ausführung seiner Anweisung auf andere Weise sicherzustellen oder zu kontrollieren.230
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cc) Umgang mit Fristenkalender Notfristen im Fristenkalender dürfen bei Übermittlung eines Schriftsat- 292 zes per Fax erst nach Kontrolle des Sendeberichts gelöscht werden. Geschieht dies vorher, scheidet Wiedereinsetzung aus.231 Es besteht eine Verpflichtung des Rechtsanwalts, die Notierung sowohl 293 der Berufungs- als auch der Berufungsbegründungsfrist zu prüfen, wenn ihm die Handakte zu einer Besprechung mit seinem Mandanten vorgelegt worden ist, in deren Verlauf der Mandant ihn beauftragt, Berufung einzulegen, und im Anschluss an die er die Berufungsschrift diktiert.232 229 230 231 232
OLG Frankfurt v. 7.2.2005 – 21 U 105/04, OLGR Frankfurt, 2005, 641. BGH v. 22.6.2004 – VI ZB 10/04, MDR 2004, 1375. BGH v. 21.7.2004 – XII ZB 27/03, MDR 2004, 1433. BGH v. 1.12.2004 – XII ZB 164/03, MDR 2005, 468.
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Das Berufungsgericht verstößt aber gegen seine richterliche Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1 ZPO, wenn es davon ausgeht, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten keine Vorfristen notiert werden, ohne dem Prozessbevollmächtigten, der hierzu nicht vorgetragen hatte, weil es nach seinem Vorbringen darauf nicht ankam, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.233
295
Der Rechtsanwalt hat durch seine Büroorganisation dafür Sorge zu tragen, dass Fristen erst dann im Fristenbuch als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der fristgebundene Schriftsatz zumindest postfertig gemacht ist. Die – noch nicht ausgeschöpfte – Berufungsbegründungsfrist darf nicht schon mit der Einreichung des Fristverlängerungsantrags, sondern erst nach Bewilligung der Fristverlängerung im Fristenkalender gelöscht werden.234
296
Ein besonderes Problem wirft die absolute Einlegungsfrist auf, welche fünf Monate nach Verkündung beginnt. Insbesondere dann, wenn das Urteil nur wenige Tage vor Ablauf dieser Frist zugestellt wird, können sich vorab auf Fünfmonatsbasis berechnete Fristen als gefährliche Fallen erweisen. Entsprechend entschied das OLG Hamburg, dass die nach der Einlegung eines Rechtsmittels innerhalb der absoluten Berufungsfrist des § 517 2. Alt. ZPO veranlasste Berechnung weiterer Fristen erkennbar vorläufiger Natur sei. Werde den Parteien innerhalb der 5 Monatsfrist noch ein vollständig begründetes Urteil zugestellt, so komme es für die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an. Dementsprechend seien die zuvor notierten (vorläufigen) Fristen zu löschen und durch neu berechnete Fristen zu ersetzen. Eine Organisation von Geschäftsabläufen in einer Rechtsanwaltskanzlei, die diesem Umstand nicht durch eindeutige Anweisungen Rechnung trage, beruhe auf einem anwaltlich zu vertretenden Mangel. Dieses Organisationsverschulden werde auch nicht gegenstandslos, wenn eine Kanzleimitarbeiterin bei einer späteren Fristenkontrolle nicht erkenne, dass die eingetragene Frist unzutreffend lang bemessen sei.235 dd) Vergessen nur mündlicher Anweisungen
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Die Rechtsprechung zur Notwendigkeit zusätzlicher organisatorischer Vorkehrungen gegen ein Vergessen nur mündlich erteilter Anweisungen ist nach einer Entscheidung des IV. Zivilsenates nicht auf Fälle der Eintragung des Ablaufs einer Rechtsmittelfrist beschränkt. Zwar gelte sie 233 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05. 234 BGH v. 26.6.2006 – II ZB 26/05. 235 OLG Hamburg v. 11.11.2004 – 5 U 3/04, OLGR Hamburg 2005, 484.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
nur für besonders wichtige Vorgänge; dazu sei aber auch die Absendung eines Schriftsatzes gerechnet worden, durch den die Berufungsbegründungsfrist gewahrt werden sollte. Konkret sollte diese Frist zwar noch nicht endgültig durch Vorlage der Berufungsbegründung eingehalten, sondern zunächst gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO verlängert werden. Voraussetzung dafür sei der Eingang des Verlängerungsantrags vor Fristablauf; ohne diesen könne die abgelaufene Frist nicht mehr verlängert werden. Damit sei der rechtzeitige Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht nicht weniger wichtig als die richtige Berechnung des Fristendes.236 ee) Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Einzelweisungen In einer Anwaltskanzlei müssen (allgemeine) organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine (konkrete) mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung deshalb unterbleibt. Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht, ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen.237
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ff) Fehler bei E-Mail-Verwendung Der Mandant, der seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ei- 299 nen Rechtsmittelauftrag mit E-Mail zuleitet, handelt schuldhaft, wenn die E-Mail-Nachricht den Rechtsanwalt wegen eines Eingabefehlers nicht erreicht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsfrist ist in einem solchen Fall nicht zu gewähren. Auch bei einer korrekten Adressierung der E-Mail-Nachricht darf der 300 Mandant nicht wegen der Absendung der E-Mail allein auf deren ordnungsgemäßen Zugang beim Adressaten vertrauen. Vielmehr handelt nur derjenige nicht schuldhaft im Sinne des § 233 ZPO, der zusätzliche Kontrollmaßnahmen vornimmt, für die die Anforderungen allerdings nicht zu hoch angesetzt werden dürfen.238
236 BGH v. 14.6.2006 – IV ZB 36/05. 237 BGH v. 4.11.2003 – VI ZB 50/03, MDR 2004, 478. 238 OLG Düsseldorf v. 4.10.2002 – 23 U 92/02, OLGR Düsseldorf 2003, 32 = NJW 2003, 833.
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gg) Darlegungsumfang für fehlendes Verschulden 301
Die Partei hat ihr fehlendes Verschulden an der Nichteinhaltung einer Frist durch eine aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe darzulegen.239 d) Versäumte Begründungsfrist aa) Unkenntnis vom Beginn der Frist
302
Wird die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist auf die Unkenntnis vom wahren Zeitpunkt der Berufungseinlegung gestützt, so muss zur Wahrung der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO240 dargelegt werden, warum nicht bereits vor Zugang der gerichtlichen Mitteilung über den Zeitpunkt der Berufungseinlegung der wahre Zeitpunkt hätte erkannt werden können.241 (Es handelte sich um einen Fall des § 111 Abs. 2 S. 2 PatG, nach dem die Berufung in einer Frist von einem Monat zu begründen ist, die mit der Einlegung der Berufung beginnt.)
303
Eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil ein Prozessbevollmächtigter erst am Tage ihres Ablaufs das Fehlen einer an das Berufungsgericht „mit der Bitte um Rückgabe“ übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils bemerkt hat und deshalb keine Begründung anfertigen kann, ist regelmäßig nicht unverschuldet i.S. von § 233 ZPO.242 bb) Unmöglichkeit der Akteneinsicht
304
Im Zusammenhang mit einer Revision bzw. einer Nichtzulassungsbeschwerde entschied der BGH über Verhinderung und Verschulden bei unmöglicher Akteneinsicht. Die Begründung dürfte sich auf die Berufung übertragen lassen.
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Danach sei der Revisionsführer bzw. der Führer einer Nichtzulassungsbeschwerde (= Rechtsmittelführer) verhindert, die Frist zur Begründung der Revision bzw. der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten, wenn und solange seinem Prozessbevollmächtigten vor Ablauf der Frist die Prozessakten nicht oder nicht vollständig zur Einsichtnahme zur Verfügung stünden.
239 BGH v. 14.3.2005 – II ZB 31/03, MDR 2005, 944. 240 Seit den zum 1.9.2004 wirksamen Änderungen durch das 1. JuMoG gelten differenziertere Fristen, vgl. § 234 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ZPO. 241 BGH v. 16.9.2003 – X ZR 37/03, MDR 2004, 349 = ProzRB 2004, 96 (Kramer). 242 BGH v. 17.5.2004 – II ZB 14/03, MDR 2004, 1195.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
Das Hindernis sei aber nicht unverschuldet, wenn die Möglichkeit zu 306 rechtzeitiger und vollständiger Akteneinsicht vor Fristablauf dadurch vereitelt worden sei, dass der Beschwerde- bzw. Revisionsführer es aufgrund eines eigenen oder eines ihm zuzurechnenden Verschuldens seines Verkehrsanwaltes unterlassen hat, seinem Prozessbevollmächtigten rechtzeitig den diesem zustehenden Gebührenvorschuss zu leisten.243 cc) Erkrankungen Bei einem auf Erkrankung des Prozessbevollmächtigten gestützten Wie- 307 dereinsetzungsantrag muss das Gericht eine anwaltliche Versicherung nicht ungeprüft hinnehmen, sondern hat sie daraufhin zu prüfen und zu würdigen, ob ihr Inhalt in Anbetracht der sonstigen Umstände des Einzelfalls überwiegend wahrscheinlich ist. Unklarheiten gehen zu Lasten des Klägers, weil er gemäß § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO das Fehlen eines (ihm zuzurechnenden) Verschuldens seines Anwalts an der Fristversäumung darzulegen und glaubhaft zu machen hat. Bleibt die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung offen, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.244 Wer meint, er könne erhöhte Plausibilität bewirken, indem er darauf hinweist, dass er ähnliche Erkrankungen schon öfter hatte, stellt selbst eine andere Falle auf. Ist ein Rechtsanwalt nämlich infolge vorhersehbarer Erkrankungen (in concreto: öfters auftretende Sehstörungen) gehindert, fristwahrende Schriftsätze zu fertigen, muss er nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates durch Bestellung eines Vertreters für deren Erledigung sorgen oder zumindest in anderer Weise sicherstellen, dass rechtzeitig Fristverlängerung beantragt werden kann.245
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dd) Kurzfrist-Mandate Ein Rechtsanwalt, der das Mandat nur vier Tage vor Ablauf der Beru- 309 fungsbegründungsfrist erhält, beachtet die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht, wenn er die Akten, ohne die sofortige Rückgabe anzuordnen, noch in den Geschäftsgang gibt, obwohl zu diesem Zeitpunkt die in seinem Büro praktizierte einwöchige Vorfrist bereits abgelaufen ist.246
243 BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 10/04, MDR 2004, 1433. 244 BGH v. 17.5.2004 – II ZB 14/03, OLGR 2004, 1381 = MDR 2004, 1195 = FamRZ 2004, 1550. 245 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 145/05, BGHReport 2006, 1050. 246 LAG Köln v. 25.10.2002 – 11 Sa 534/02.
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ee) Abstürzende Textdatei 310
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann aber auch dann gewährt werden, wenn nur eine erkennbar unvollständige Berufungsbegründung vorliegt und eine ergänzende Begründung beabsichtigt ist. Stürzt eine Textdatei, die die Berufungsbegründung enthält, knapp eine Stunde vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unverschuldet ab, rechtfertigt dies eine Wiedereinsetzung.247 ff) Falscher Telefax-Adressat
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Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen Übermittlung des Schriftsatzes an das falsche Gericht mit Telefax erfordert die Darlegung, welche Anweisungen zur Prüfung der in einem Schriftsatz angegebenen Faxnummer des Empfängers bestanden, wenn diese Nummer zur Übermittlung verwendet wurde, aber fehlerhaft war.248
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Ein Verschulden des Rechtsanwaltes kann auch darin liegen, dass dieser trotz sehr weit fortgeschrittener Zeit (23:30 Fristablauftag) nicht sogleich einschreitet, wenn die Übertragung an die angegebene (falsche) Telefaxnummer scheitert. Wenn der Rechtsanwalt weiß, dass die Übermittlung – wenn überhaupt – nur knapp vor Fristablauf eingehen kann, muss er alle Fehlermöglichkeiten in seine Überlegungen einbeziehen und deswegen auch die eingegebene Telefaxnummer sogleich erneut kontrollieren. Dabei kann er alsbald die fehlerhafte Eingabe feststellen. Wenn ein Rechtsanwalt die Frist zur Berufungsbegründung bewusst bis zuletzt ausnutzt, beschweren die dadurch begründeten besonderen Sorgfaltsanforderungen den Mandanten nicht in unzumutbarer Weise.249 gg) Papierstau im Gerichtsfax
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Wird eine per Telekopie übermittelte Berufungsbegründung infolge eines Papierstaus im gerichtlichen Empfangsgerät ohne die von dem Prozessbevollmächtigten unterschriebene Seite empfangen, so ist dadurch die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt. In diesem Fall ist der betroffenen Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.250
247 OLG Celle v. 30.6.2003 – 14 U 49/03, OLGR Celle 2004, 353 = NJW 2003, 3497. 248 BGH v. 1.3.2005 – VI ZB 65/04, MDR 2005, 947. 249 BGH v. 2.8.2006 – XII ZB 84/06. 250 BGH v. 23.11.2004 – XI ZB 4/04, MDR 2005, 526 = BGHReport 2005, 459 = FamRZ 2005, 434.
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Wiedereinsetzung (unabhängig von PKH)
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Praxistipp: In diesem Fall war die entscheidende Seite schon nicht empfangen worden. Anders verhält es sich, wenn alles empfangen wurde251 und nur der Ausdruck wegen eines Papierstaus nicht möglich war oder aufgrund besonderer Einstellungen erst später (zu spät, also in der Regel: nach Mitternacht) erfolgte.
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e) Verschulden bei Stufenbevollmächtigung Wiedereinsetzung wird nur gewährt, wenn die Partei ohne ihr Verschul- 315 den an der Fristeinhaltung verhindert war. Bestellt der Prozessbevollmächtigte einer Partei für diese einen Bevollmächtigten für die höhere Instanz, so enthält die Erteilung der Instanzvollmacht nach Auffassung des XII. Zivilsenates zugleich – gegebenenfalls stillschweigend – die Begründung eines Vertragsverhältnisses zur Partei. Das Verschulden des auf diese Weise beauftragten Anwalts, der das Mandat angenommen hat, ist der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.252 f) Rechtsbeschwerde gegen Versagung der Wiedereinsetzung Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.253
251 Hierzu BGH v. 25.4.2006 – IV ZB 20/05: Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind. – Genau gegenteilig noch: OLG Hamm v. 25.2.2005 – 20 U 98/04, OLGR Hamm 2005, 281. 252 BGH v. 15.3.2006 – XII ZR 138/01, BGHReport 2006, 1054. 253 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05.
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III. Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO 317
Man sollte an sich meinen, dass die Einreichung einer Berufungsschrift keine besonderen Anforderungen stellt. Zwingende Bestandteile des § 519 Abs. 2 ZPO sind ja nur die Benennung des angefochtenen Urteils und die Erklärung, dass Berufung eingelegt wird. Nimmt man dann noch § 519 Abs. 3 ZPO hinzu, wonach mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden soll, kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen. In der Praxis sieht das aber anders aus.
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Praxistipp: Weiter oben wurde beschrieben, das die Einlegung beim (wegen § 119 GVG) unzuständigen Gericht dann mit einer Wiedereinsetzung gerettet werden kann, wenn das unzuständige Gericht für eine rechtzeitige Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang hätte sorgen können. Dem KG254 hatten aber sogar zwei Wochen vor Einlegungsfristablauf nicht genügt, weil das nicht vorbefasste angerufene Landgericht keine Kenntnis der Sachakten und deshalb keine Veranlassung zur Annahme hatte, es sei nicht zuständig. Diese Argumentation dürfte dann nicht mehr tragend sein, wenn nicht nur das angefochtene Urteil beigefügt wird, sondern auch ein Doppel der zugestellten Klageschrift.
Auch hier monieren Gerichte gelegentlich, dass das, was unter dem Schriftsatz steht, keine Unterschrift sein soll. Der VIII. Zivilsenat hat dies zum Anlass genommen, noch einmal das Wesentliche hierzu zusammenzufassen: Als Unterschrift i.S.v. § 130 Nr. 6 ZPO sei ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift bestehendes Gebilde zu fordern, das nicht lesbar zu sein brauche. Erforderlich, aber auch genügend sei das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweise, die die Nachahmung erschwerten, der sich als Wiedergabe eines Namens darstelle und der die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lasse, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet sei. Unter diesen Voraussetzungen könne selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insb. von Bedeutung sei, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibe. In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften 254 KG v. 5.12.2005 – 8 U 207/05, KGR Berlin 2006, 229 = WuM 2006, 57, Aktenzeichen beim BGH: VII ZB 4/06.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
ein und derselben Person aufwiesen, sei jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert sei, bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen. Denn Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses sei die äußere Dokumentation der vom Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift durch den Anwalt, die gewährleistet sei, wenn feststehe, dass die Unterschrift von dem Anwalt stamme.255 Die Herkunft eines Schriftsatzes und die Übernahme der Verantwortung unterliegen nach einer Entscheidung des OLG Naumburg auch dann keinem Zweifel, wenn der Beglaubigungsvermerk auf der beglaubigten Abschrift einer nicht unterzeichneten Urschrift unterschrieben worden sei. Diese Unterschrift decke dann zugleich auch die Urschrift inhaltlich.256 Kurz vorher hatte noch der VI. Zivilsenat festgestellt, dass eine beglaubigte Abschrift der Berufungsbegründung, die der Rechtsanwalt unterzeichnet habe, die fehlende Unterschrift auf der gleichzeitig bei Gericht eingereichten Urschrift nur ersetzen könne, wenn zum Zeitpunkt des Fristablaufs kein Zweifel möglich sei, dass der Schriftsatz von dem Unterschriftleistenden herrühre.257 a) Wurde überhaupt angefochten (= eingelegt)? Ein Schriftsatz, in dem ein postulationsfähiger Rechtsanwalt innerhalb 319 der Berufungsfrist unter Angabe der Parteien und des bereits für die Berufungsinstanz vergebenen Aktenzeichens (nur) die Vertretung des Berufungsklägers, der zuvor eine von ihm selbst unterzeichnete Berufungsschrift eingereicht hat, anzeigt, sowie die Einreichung einer Berufungsbegründung ankündigt, genügt den Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO.258 b) Nicht postulationsfähiger Berufungsführer Wegen des jedenfalls im zweiten Rechtszug bestehenden Anwaltszwanges genügt ein Schreiben durch einen nichtanwaltlichen Berufungsführer nicht. Eine Pflicht des Amtsgerichts zum Hinweis auf den Anwaltszwang für ein Rechtsmittel besteht aber auch nicht nach Eingang einer privatschriftlichen Beschwerde gegen ein Urteil.259 255 256 257 258
BGH v. 27.9.2005 – VIII ZB 105/04, BGHReport 2006, 117. OLG Naumburg v. 27.1.2005 – 4 U 176/03, OLGR Naumburg 2005, 604. BGH v. 15.6.2004 – VI ZB 9/04, BGHReport 2004, 1447. BGH v. 23.6.2005 – I ZB 15/05, BGHReport 2005, 1414 = MDR 2005, 110 (112). 259 BGH v. 13.9.2005 – VI ZB 19/05, BGHReport 2006, 50 = FamRZ 2005, 2062 = MDR 2006, 286.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
c) Was wird angefochten? 321
Soweit es die Identifizierung des Anfechtungsgegenstandes angeht, macht der BGH es dem Berufungsführer trotzdem leicht. In der Berufungsschrift müsse das angefochtene Urteil mindestens hinsichtlich des Gerichts und des Aktenzeichens richtig bezeichnet werden.260
322
Was aber passiert, wenn alles richtig angegeben, aber das Aktenzeichen falsch mitgeteilt wurde? – In einem vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fall hatte der Berufungsführer statt 24 C 262/03 versehentlich 24 C 263/03 geschrieben. Der XII. Zivilsenat stellt darauf ab, dass prozessuale Formvorschriften kein Selbstzweck seien. Dies gelte um so mehr, als § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO selbst nicht bestimme, in welcher Weise das angefochtene Urteil in der Berufungsschrift zu bezeichnen sei, möge auch die in Rechtsprechung und Literatur unumstrittene Forderung nach Mitteilung des Aktenzeichens aus guten Gründen in aller Regel unverzichtbar sein. Sie verfolge einen zweifachen Zweck: – Zum einen solle sie dem Rechtsmittelgericht eine rasche und unkomplizierte Anforderung der erstinstanzlichen Akten ermöglichen, ohne dass das Gericht erster Instanz die richtigen Akten erst anhand eines Prozessregisters ermitteln müsse. Dies diene lediglich der Erleichterung des Geschäftsgangs und würde für sich allein bei einem Verstoß eine so drastische Folge wie die Verwerfung des Rechtsmittels nicht rechtfertigen können. – Zum anderen diene sie – ebenso wie die weiteren zu fordernden Angaben – der eindeutigen Bezeichnung des angefochtenen Urteils. Sie sei aber insofern redundant, als das angefochtene Urteil im Regelfall bereits anhand der anderen Angaben eindeutig zu identifizieren sei, sofern nicht ohnehin gemäß § 519 Abs. 3 ZPO der sicherere Weg der Beifügung des angefochtenen Urteils gewählt würde.
323
Lediglich dann, wenn dasselbe Gericht in mehreren Rechtsstreitigkeiten derselben Parteien am selben Tag mehrere Urteile verkündet habe, erweise sie sich als unverzichtbar.
324
Dem stehe nicht entgegen, dass das Berufungsgericht bei Eingang der Berufungsschrift nicht erkennen könne, ob das angegebene Aktenzeichen falsch sei. Soweit der BGH entschieden habe, dass der fehlerhaften Angabe des Aktenzeichens jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung zukomme, wenn der Fehler offensichtlich sei und das Berufungsgericht ihn sogleich erkenne,261 habe er die Frage, ob ein falsches und als solches 260 BGH v. 24.4.2003 – III ZB 94/02, MDR 2003, 948 = ProzRB 2003, 269 (Kieserling). 261 BGH v. 25.2.1993 – VII ZB 22/92, NJW 1993, 1719f. = MDR 1994, 98.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
nicht zu erkennendes Aktenzeichen stets zur Unzulässigkeit führt, ausdrücklich offen gelassen. Auch der Senatsbeschluss vom 13.1.1999262 besage nur, dass eine falsche Angabe des Aktenzeichens, die nicht offensichtlich sei, die Berufung in der Regel – mithin nicht notwendigerweise immer – fehlerhaft mache.263 d) Wer ist Berufungsführer? Problematisch ist aber offenkundig häufig, für wen der Anwalt eigentlich in die Berufung gehen will, wer also Berufungsführer sein soll.
325
aa) Strenge Anforderungen, aber keine unnötigen Erschwerungen Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelfüh- 326 rers grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Diese Grundsätze bedeuten nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates, dass bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein müsse. Dies heiße jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie könne auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei seien, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richteten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses. Im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffne, müssten zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein. Schon im Hinblick darauf, dass die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien es verböten, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren, dürfe die Zulässigkeit einer Berufung aber nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Bezeichnungen der Parteien des Berufungsverfahrens scheitern, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweili-
262 BGH v. 13.1.1999 – XII ZB 140/98, BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 Urteilsbezeichnung 8. 263 BGH v. 11.1.2006 – XII ZB 27/04, BGHReport 2006, 675.
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Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
gen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen ließen.264 bb) Erstinstanzliches Urteil beschwert beide Parteien 327
Insbesondere, wenn durch ein Urteil beide Parteien beschwert sind, ist es nicht selbstverständlich, wem eine eingelegte Berufung zuzuordnen ist. Die Berufung ist daher unzulässig, wenn die Person des Berufungsklägers bis Ablauf der Berufungsfrist nicht zweifelsfrei feststeht.265 Das soll sogar für den Fall gelten, in dem für die erstinstanzlich unterlegene Partei zunächst ein Rechtsanwalt, dessen fehlende Postulationsfähigkeit nicht erkennbar war, eine Berufung und danach ein anderer Rechtsanwalt eine weitere Berufung eingelegt hat. Für die von dem anderen Rechtsanwalt eingelegte weitere Berufung könne nicht ohne weiteres angenommen werden, dass jene für dieselbe Partei erfolgen solle.266 cc) Berufung ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügungen
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Der V. Zivilsenat des BGH verwarf eine Rechtsbeschwerde als unzulässig. In einem Berufungseinlegungsschriftsatz waren lediglich die Nachnamen der Parteien ohne Parteibezeichnungen und ohne Beifügung des angefochtenen Urteils, sowie die Erklärung enthalten, für die Klägerin Berufung einzulegen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Berufung unzulässig sei, weil es an einer ordnungsgemäßen Bezeichnung des Berufungsführers in der Berufungsschrift fehle, sei in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sei auch nicht im Hinblick auf die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Namentlich sei nicht zu beanstanden, dass eine Konkretisierung bis zum Ablauf der Einlegungsfrist verlangt werde.267 dd) Falsche Parteibezeichnungen
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Wird in der Berufungsschrift eine Partei fälschlich als Klägerin und Berufungsführerin bezeichnet, so ist nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates268 bei den gebotenen strengen Anforderungen an eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers regelmäßig davon auszugehen, dass die so bezeichnete Partei der Rechtsmittelführer ist, wenn sich nicht aus anderen Umständen Gegenteiliges mit der erforderlichen Klarheit ergibt.
264 265 266 267 268
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BGH v. 19.2.2002 – VI ZR 394/00, BGHReport 2002, 518. OLG Brandenburg v. 16.4.2004 – 7 U 250/03, MDR 2004, 1438. OLG Brandenburg v. 16.4.2004 – 7 U 250/03, MDR 2004, 1438. BGH v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, MDR 2003, 46. BGH v. 13.1.2004 – VI ZB 53/03, MDR 2004, 703.
Einlegungsform: in einem Schriftsatz gemäß § 519 Abs. 1 ZPO
Der VI. Senat stellt andererseits aber auch klar, dass trotz unrichtiger Par- 330 teibezeichnung die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden dürfe, wenn bei dem Berufungsgericht keine vernünftigen Zweifel über die Person des Rechtsmittelklägers aufkommen könnten.269 Der II. Zivilsenat ergänzt das dahin, dass die Bezeichnung einer Partei als 331 Teil einer Prozesshandlung auslegungsfähig sei. Entscheidend sei, welchen Sinn die Erklärung aus der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners habe. Demgemäß sei bei einer dem Wortlaut nach unrichtigen Bezeichnung grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Prozesserklärung als Partei gemeint sei.270 ee) Selektive Berufungseinlegung In einem vom XI. Zivilsenat entschiedenen Fall271 war gegen ein Urteil, 332 das dem Kläger und der (personenverschiedenen) Drittwiderbeklagten zugestellt worden war, unter Vorlage des angefochtenen Urteils Berufung eingelegt worden. In der Berufungsschrift, die im Eingang den Kläger als Berufungskläger und die Beklagte als Berufungsbeklagte bezeichnet, hieß es, „namens und im Auftrag des Berufungsklägers“ werde Berufung eingelegt, die zunächst nur zur Fristwahrung diene. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten und Widerklägerin wurden aufgefordert, sich noch nicht zu legitimieren, bis „der Kläger und Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagte entschieden“ hätten, ob sie die Berufung durchführten oder nicht. Erst in dem nach Ablauf der Einlegungsfrist eingegangenem Berufungsbegründungsschriftsatz wurde ausgeführt, die Berufung sei auch für die Drittwiderbeklagte eingelegt worden. Das reichte dem XI. Zivilsenat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zur eindeutigen Bezeichnung des Rechtsmittelführers nicht aus. e) Wer ist Berufungsgegner? Der IV. Zivilsenat hat zur richtigen (bzw. vollständigen) Bezeichnung der 333 Berufungsgegner festgestellt, dass zwar nach § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO das angefochtene Urteil so bestimmt bezeichnet sein müsse, dass sich das angerufene Gericht noch innerhalb der Berufungsfrist über dessen Identität Gewissheit verschaffen könne. Dazu gehöre auch die Bezeichnung der Partei, gegen die sich das Rechtsmittel richte. In concreto war der Beklagte gegen ein Urteil in die Berufung gegangen, welches die Klage gegen ihn zugesprochen und seine Widerklage abgewiesen hatte. Das Berufungsgericht hatte gemeint, der Beklagte habe gegen die Klägerin als Testa269 BGH v. 20.1.2004 – VI ZB 68/03, MDR 2004, 643. 270 BGH v. 15.5.2006 – II ZB 5/05, BGHReport 2006, 1049. 271 BGH v. 22.11.2005 – XI ZB 43/04, BGHReport 2006, 322 = NJW-RR 2006, 284.
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mentsvollstreckerin (so geschehen) und gegen die Klägerin als Erbin schreiben müssen (das ergab sich nur aus dem erstinstanzlichen Urteil). 334
Der IV. Zivilsenat meinte allerdings, ein Rechtsmittel dürfe nicht an unvollständigen oder fehlerhaften Angaben scheitern, wenn für Gericht und Prozessgegner das wirklich Gewollte zutage trete. Nicht jede Ungenauigkeit, die eine Berufungsschrift bei einzelnen Angaben enthalte, führe zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Fehlerhafte oder unvollständige Angaben schadeten nicht, wenn aufgrund der sonstigen Umstände nicht zweifelhaft bleibe, welches Urteil angefochten werde und in welchem Umfang dies der Fall sei. Den unvollständigen Angaben komme jedenfalls dann keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, wenn der Rechtsmittelführer in der Berufungsschrift auf die beigefügte Ablichtung der angefochtenen Entscheidung verweise. Es werde spätestens dadurch hinreichend deutlich erkennbar, dass sich das Rechtsmittel gegen das beigefügte Urteil richtet.272
335
Strenger aber der V. Zivilsenat für den Fall einer Unklarheit über die Berufungsbeklagtenseite: Werde in der Berufungsschrift ein gegnerischer (einfacher) Streitgenosse als Berufungsbeklagter bezeichnet, der andere dagegen nicht, sei das Rechtsmittel gegenüber dem Nichtbezeichneten unzulässig, wenn Zweifel an seiner Inanspruchnahme als Rechtsmittelbeklagter verblieben. Bei der Prüfung, ob das Rechtsmittel auch gegen einen nicht als Berufungsbeklagten bezeichneten Streitgenossen eingelegt sei, habe das Berufungsgericht, wenn rechtlich beide Möglichkeiten infrage kämen, nicht darauf abzustellen, welche aus der Sicht des Rechtsmittelklägers die zweckmäßigere sei. Eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gerichts zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten schließe nicht das Gebot ein, die Interessen der nachlässigen Partei zulasten des Gegners zu wahren; im Zweifel sei derjenigen Auslegung einer prozessualen Erklärung der Vorzug zu geben, die den Belangen der Partei, der kein Normverstoß anzulasten sei, gerecht werde.273 Eine kurz darauf ergangene Entscheidung des OLG Düsseldorf sieht das aber etwas anders: Eine uneingeschränkt eingelegte Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil richte sich im Zweifel gegen alle erfolgreichen Streitgenossen. Sei nur der an erster Stelle des Urteilsrubrums stehende Streitgenosse als Berufungsbeklagter genannt, so sei das Urteil auch ge-
272 BGH v. 24.5.2006 – IV ZB 47/05, MDR 2003, 1434, in diesem Sinne schon vorher z.B. OLG Hamburg v. 24.3.2005 – 1 Kart-U 2/04, OLGR Hamburg 2006, 456. 273 BGH v. 11.7.2003 – V ZR 233/01, BGHReport 2003, 1154.
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genüber den anderen angefochten, außer wenn die Berufungsschrift eine Beschränkung erkennen lasse.274 f) Vertretungsmacht trotz Kollision Namentlich in überörtlichen Sozietäten gibt es – besonders bei Wechsel 336 im Mitgliederbestand – Probleme, nachzuhalten, ob der bei einem einzelnen Sozietätsmitglied um Vertretung Anfragende nicht in einem früheren Verfahrensstand auf der Gegenseite war. Nötig wäre ein gemeinsamer, über alle Mitglieder gehender Informationspool zur Kollisionsprüfung. Legt dann ein zuvor (über die Sozietätszurechnung) für die Gegenseite tä- 337 tiger Rechtsanwalt aufgrund einer ihm erteilten Prozessvollmacht Berufung ein, so ist zwar der dieser Vollmacht zugrunde liegende Anwaltsvertrag nichtig. Die Vollmacht bleibt davon aber unberührt, und die Berufung ist wirksam eingelegt.275 g) Mehrfacheinlegung Auch die mehrfache Einlegung einer Berufung führt nicht zu einer Vervielfachung der Berufungsverfahren, sondern zu einem einheitlichen Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist. Das ist jedenfalls dann ständige Rechtsprechung, wenn die mehrfache Einlegung bei demselben Gericht erfolgt.
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Nach einer Entscheidung des BGH soll das aber auch bei Einreichung der Berufungsschriften bei verschiedenen Gerichten gelten, jedenfalls dann, wenn die Berufungen nach Verweisung ein und demselben Gericht zur Entscheidung vorliegen.276
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Û
Praxistipp: Ob der BGH genauso entscheiden würde, wenn es keine 340 Verweisung gibt, wenn also verschiedene Gerichte mit den eingelegten Berufungen befasst sind, ist angesichts der Einschränkung „jedenfalls dann“ nicht sicher.277
Das OLG Brandburg hat eine solche Konstellation aufgrund des Einwandes doppelter Rechtshängigkeit zwischenzeitlich entschieden.278 Es sei bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes von der Einheitlichkeit des Rechtsmittels geboten, auch bei dem Vorliegen jeweils identischer Rechtsmittelschriften bei zwei verschiedenen Berufungsgerichten, 274 OLG Düsseldorf v. 16.10.2003 – I-10 U 46/03, OLGR Düsseldorf 2004, 315. 275 OLG Brandenburg v. 28.1.2003 – 2 U 14/02, ProzRB 2003, 358 (Teubel) = MDR 2003/1042. 276 BGH v. 15.2.2005 – XI ZR 171/04, MDR 2005, 824. 277 Vgl. hierzu auch die Ausführungen oben ab Rz. 78 ff. 278 OLG Brandenburg v. 16.11.2005 – 4 U 5/05, OLGR Brandenburg 2006, 624.
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die sich nur durch die Adressierung unterschieden, im Ergebnis von der Zulässigkeit der Berufung bei dem „richtigen“ Berufungsgericht auszugehen. Einer Partei stehe gegen ein erstinstanzliches Urteil nur ein (1) Rechtsmittel zu. Dabei sei jedoch zu unterscheiden zwischen dem Rechtsmittel als solchem, dem einzelnen Rechtsmittelschriftsatz und dem durch ihn eingeleiteten Verfahren. Das Rechtsmittel könne auch dann weiter verfolgt werden, wenn das zunächst eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verworfen worden sei. Anerkannt sei weiter, dass in den Fällen, in denen die Partei von dem Rechtsmittel mehrmals Gebrauch mache, bevor über dasselbe in anderer Form schon früher eingelegte Rechtsmittel entschieden sei, durch das Rechtsmittelgericht über diese Rechtsmittel eine einheitliche Entscheidung ergehe, da es sich um dasselbe Rechtsmittel handele. Das Berufungsgericht habe zu prüfen, ob eines der in verschiedener Form eingelegten Rechtsmittel zu einer sachlichen Überprüfung des Urteils führen könne. Genüge im Ergebnis dieser Prüfung auch nur eine der Rechtsmittelschriften den gesetzlichen Zulässigkeitserfordernissen, so komme es auf die Zulässigkeit der übrigen nicht mehr an. Vor diesem Hintergrund könne es keinen über die Zulässigkeit einer Berufung entscheidenden Unterschied machen, ob sich die unterschiedlichen Rechtsmittelschriften von vornherein in einer „Hand“ befänden, durch einen fehlerhaften Verweisungsbeschluss in eine „Hand“ gelangt seien oder bei zwei verschiedenen Gerichten eingegangen seien und das eine Verfahren (LG) im Hinblick auf die von dem Gesetzgeber mit dem ZPO-RG neu geschaffene Zuständigkeitsregelung und das hierdurch ausgelöste Verfahren vor dem OLG ruhe. Wäre für eine solche Konstellation nicht von einer einheitlichen Berufung, sondern von zwei gesonderten Rechtsmittelverfahren auszugehen, hätte die zeitlich zuerst eingelegte Berufung bei der dann gebotenen unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung der Regelung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO Vorrang. 342
Haben Hauptpartei und Streithelfer Berufung eingelegt, so handelt es sich gleichwohl nur um ein einheitliches Rechtsmittel, über das einheitlich zu entscheiden ist.279
343
Legt ein Prozessbevollmächtigter Berufung ein und bezeichnet er im Rubrum als Prozessbevollmächtigten ausschließlich sich selbst, so liegt darin noch nicht die (konkludente) Anzeige, dass die Prozessvollmacht eines früher tätig gewordenen Prozessbevollmächtigten, der seinerseits bereits Berufung eingelegt hat, erloschen ist.280 279 BGH v. 24.1.2006 – VI ZB 49/05, BGHReport 2006, 670. 280 OLG Bremen v. 13.1.2006 – 4 U 37/05, OLGR Bremen 2006, 418 (gegen BSG v. 26.7.1989 – 11 RAr 31/88, MDR 1990, 366 [367] = NJW 1990, 600).
90
IV. Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Die zwingenden Bestandteile der Berufungsbegründung sind in § 520 Abs. 3 ZPO enthalten. Fakultatives findet sich in § 520 Abs. 4 ZPO.
344
1. (Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten.
345
Der Streitgegenstand eines Berufungsverfahrens bestimmt sich nach den 346 Anträgen, die gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Parteivortrags auszulegen sind.281 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO erfordert nach Auffassung des VIII. Zivilsenates allerdings nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Vielmehr soll es ausreichen, wenn die innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergäben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden solle. Dafür genüge grundsätzlich auch ein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag.282 Nachdem die Berufung das erstinstanzliche Urteil angreift (Anfechtungs- 347 teil), sollte dieses auch im Antrag erscheinen. Und nachdem der Angriff (mindestens in Höhe des Mindestbeschwerdegegenstandes) etwas mit dem ursprünglich in erster Instanz verfolgten Begehren zu tun haben muss (Abänderungsteil, dazu weiter unten mehr), sollte auch das im Antrag auftauchen. – Nach § 528 S. 2 ZPO ist vom Berufungsgericht soweit abzuändern, wie Abänderung beantragt wird. Die Abänderung muss in der Sache bezeichnet werden. Dieser Antrag ist damit ein Sachantrag. – Das gilt auch für einen eventuellen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO. – Nach § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO dagegen darf das Berufungsgericht auf Antrag das Urteil aufheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen. (Für § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO bedarf es des Antrags nicht: S. 3) Dieser Antrag richtet sich – ohne sachlichen Gehalt – allein auf das Verfahren. Er ist also ein Verfahrensantrag.
281 BGH v. 20.7.2005 – XII ZR 155/04, BGHReport 2005, 1469. 282 BGH v. 22.3.2006 – VIII ZR 212/04, BGHReport 2006, 990.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
a) Der Sachantrag nach § 528 S. 2 ZPO 348
Grundsätzlich soll das Berufungsgericht selbst entscheiden, § 538 Abs. 1 ZPO. Die Aufhebung und Zurückverweisung soll Ausnahme bleiben. aa) Formulierungen
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Angesichts dessen, sollte zunächst immer ein dahin zielender Sachantrag gestellt werden.
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Formulierungsvorschlag (gut): Es wird der Sachantrag gestellt, wie folgt zu entscheiden: Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird die Klage abgewiesen. oder Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger 20.000 Euro nebst Zins in Höhe von 8 Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 1.3.2004 zu zahlen.
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Was immer wieder zu lesen ist, aber gleichwohl vermieden werden sollte, ist die Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Antrag.
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Formulierungsvorschlag (schlecht): wird beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen. oder das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Antrag aus der Klageschrift zu erkennen.
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Das ist zwar zulässig, aber mit unnötigen Risiken behaftet. Gemeint ist zunächst natürlich nicht wirklich der Antrag aus der Klageschrift, sondern der in der letzten mündlichen Verhandlung gestellte Antrag. Dieser kann mit dem Antrag aus der Klageschrift identisch sein, muss es aber nicht. Welcher Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt wurde, ergibt sich nach Lektüre des entsprechenden Protokolls möglicherweise erst aus (bisweilen) umfangreichen Aktenverweisen.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
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Beispiel: Klägervertreter stellt Antrag aus dem Schriftsatz vom …, Blatt … d.A., sowie aus dem Schriftsatz vom …, Blatt … d.A. – etc.
Besser ist damit in jedem Fall die konkrete Ausformulierung. Sie bietet einmal den Vorzug der Prüfung, ob nichts vergessen wurde, und überlässt es zum anderen nicht dem Berufungsgericht, – fehlerträchtig – herauszufinden, was denn nun genau beantragt wurde. bb) Erstinstanzlich nicht beschiedene Hilfsanträge Legt der Beklagte gegen seine Verurteilung nach dem Hauptantrag Berufung ein, so ist allein dadurch auch der nicht beschiedene Hilfsantrag des Klägers Gegenstand des Berufungsverfahrens.283
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cc) Teilanträge und Teilrechtskraft In Abweichung von der Rechtsprechung des BGH284 entscheidet das OLG 356 Karlsruhe: „Greift die Beklagte ein Urteil, das in falscher Besetzung ergangen ist, mit der Berufung nur teilweise an, so verfällt nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil des landgerichtlichen Urteils nicht der Aufhebung, wenn er selbstständig beurteilbar ist. Eine Aufhebung des Urteils auch insoweit würde gegen § 528 ZPO verstoßen und die obsiegende Klägerin ohne Not der Gefahr von Nachteilen in der Vollstreckung aussetzen, obwohl die Beklagte diesen Teil des Urteils akzeptiert.“285
In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des OLG Oldenburg:
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„Obsiegt der Kläger im ersten Rechtszug teilweise und greift nur er das Urteil mit der Berufung an, wird nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil rechtskräftig, wenn dieser Teil weder vom Berufungskläger noch vom Berufungsbeklagten noch angefochten werden kann.“286
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Praxistipp: Praktisch dürfte die Umsetzung auf Schwierigkeiten sto- 358 ßen. Bis zur letzten mündlichen Verhandlung kann der Berufungsführer ja – im Rahmen seiner fristgerecht eingereichten Begründung – seine Anträge nach Belieben erweitern. Ob eine Erweiterung stattfindet, steht damit – ebenso wie die Frage, ob die Erweiterung zulässig ist – letztlich erst nach der letzten mündlichen Verhandlung fest.
283 BGH v. 20.9.2004 – II ZR 264/02, MDR 2005, 162. 284 BGH v. 19.10.1988, IVb ZR 10/88, NJW 1989, 229 (230) = MDR 1989, 242. 285 OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 26/03, OLGR Karlsruhe 2004, 511; das Aktenzeichen des BGH lautet: X ARZ 195/04. 286 OLG Oldenburg v. 22.6.2004 – 1 U 3/04, MDR 2004, 1199.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
dd) Übersehene Berufungsanträge 359
Zur Frage der übersehenen Berufungsanträge vgl. unten Rz. 779 ff. b) Der Sachantrag nach § 712 ZPO
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Der XII. Zivilsenat hatte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde über die Einstellung der Zwangsvollstreckung zu befinden. Er entschied, dass eine solche Einstellung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Betracht komme, wenn der Schuldner es versäumt habe, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm ein solcher Antrag möglich und zumutbar gewesen wäre.287 Bei einem solchen Schutzantrag des Schuldners nach § 712 ZPO handele es sich um einen Sachantrag, der in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müsse. Ein im Berufungsverfahren gestellter Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil einstweilen einzustellen, ersetze einen Schutzantrag nach § 712 ZPO nicht.288
361
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Praxistipp: Der Anwalt des erstinstanzlich unterlegenen Schuldners sollte also nicht nur die aktuelle Lage im Auge behalten (§§ 719 Abs. 1, 707 ZPO), sondern auch den möglichen weiteren Fortgang des Rechtsstreites (§ 712 ZPO).
c) Der Sachantrag nach § 718 ZPO 362
Beschränkt der verurteilte Beklagte seine Berufung auf einen Teilbetrag, kann der Kläger die gebotene Reduzierung der Sicherheitsleistung im Verfahren nach § 718 Abs. 1 ZPO erreichen. Versäumt der Gläubiger einen derartigen Antrag, sind Avalzinsen nur insoweit notwendige Vollstreckungskosten als sie für die im Berufungsverfahren noch streitige Restforderung zzgl. Kosten angefallen sind.289 d) Verfahrensanträge nach § 538 Abs. 2 ZPO?
363
Soweit das Berufungsgericht zu der Auffassung kommt, dass die Voraussetzung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 7 ZPO vorliegen, wird es nach Ermessensgebrauch dafür halten, aufzuheben und zurückzuverweisen. Dazu bedarf es aber bei Nr. 1 bis 6 eines Antrages. Ob man einen solchen vorrangig oder mindestens „hilfsweise“ stellen sollte, ist zweifelhaft. 287 Im Anschluss an BGH v. 22.4 2004 – XII ZR 16/04, GuT 2004, 129. 288 BGH v. 6.6.2006 – XII ZR 80/06, BGHReport 2006, 1055, im Anschluss an BGH v. 2.10.2002 – XII ZR 173/02, FamRZ 2003, 598. 289 OLG Koblenz v. 8.3.2004 – 14 W 184/04, MDR 2004, 835 = Rpfleger 2004, 509.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
Stellt man ihn nicht, muss das Berufungsgericht selbst entscheiden. 364 Stellt man ihn aber, bekommt das Ausgangsgericht den Rechtsstreit wieder. Kommt man nun vom Landgericht und dort von einem Einzelrichter (§ 348 ZPO)290 und ist man mit etwas Glück beim Senat gelandet, sollte man die dort gebündelte Kompetenz nicht leichtfertig verspielen.291 Anderes muss man aber dann überlegen, wenn man neue Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen will. Diese sind in der Berufungsinstanz wegen §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO nur erschwert geltend zu machen. Nach einer Zurückverweisung aber wird die erste Instanz einfach nur fortgesetzt. In der Konsequenz ist ein neuer Vortrag nach § 296 ZPO nur ausgeschlossen, wenn er zu einer Verzögerung führt.292
Û
365
Praxistipp: Im Zweifel sollte man keinen Aufhebungs- und Zurück- 366 verweisungsantrag stellen. Der Neigung mancher Gerichte, die Parteien zu einem solchen doch noch zu bewegen,293 sollte man durch ausdrückliche Erklärung entgegensteuern. Ist aber aus irgendeinem Grunde doch mal ein solcher Antrag nötig, kann man sicher sein, dass das Berufungsgericht bei der Formulierung behilflich sein wird.
Bei dem „hilfsweise“ nur für den Fall einer nachteiligen Bescheidung des 367 Sachantrags gestellten Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung handelt es sich nicht um einen echten Hilfsantrag.294 Wird der Sachantrag nämlich positiv beschieden, bedeutet das für den Kläger als Berufungskläger, dass seinem Klageantrag (jetzt) stattgegeben wird. Für den Beklagten als Berufungskläger bedeutet positive Bescheidung, dass die Klage gegen ihn (jetzt) abgewiesen wird. In beiden Fällen muss (End-)Entscheidungsreife vorgelegen haben und in diesem Fall darf das Berufungsgericht ohnehin nicht zurückverweisen,295 weil das vom Ermessen nicht mehr gedeckt wäre – egal, ob mit oder ohne Antrag. e) Möglichst wenig Bezugnahmen Die Berufungsgründe müssen in der Begründungsschrift selbst enthalten sein. Bezugnahmen sind grundsätzlich unzulässig. Je vollständiger eine 290 Zum Einzelrichter und den damit zusammen hängenden Problemen, vgl. Braunschneider, Der richtige Richter, ProzRB 2004, 51 und oben Rz. 105 ff. 291 In diesem Sinne auch E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 987. 292 Darauf weist zu Recht Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, 2003, Rz. 312 am Ende, hin. 293 So schafft das OLG Saarbrücken (v. 18.2.2003 – 1 U 653/02-155, OLGR Saarbrücken 2003, 142) alle denkbaren Hindernisse aus dem Weg: „Ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO kann noch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in der mündlichen Verhandlung und hilfsweise neben einem Sachantrag gestellt werden.“ 294 OLG Düsseldorf v. 29.7.2003 – I-24 U 64/03, OLGR Düsseldorf 2004, 138. 295 Zu den sachlichen Inhalten des § 538 ZPO, vgl. weiter unten ab Rz. 735 ff.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
Verweisung ist, umso weniger wird sie anerkannt, je mehr sie nur ergänzt ist, umso eher kann sie zulässig sein. Ausnahmen werden dennoch ziemlich restriktiv gehandhabt. Anerkannt wurden vollständige Verweisungen – auf die bereits vorliegende Begründung eines Streitgenossen; – auf die Begründung eines vorab gestellten Antrags auf Gewährung von PKH; – auf die Begründung eines vorab gestellten Antrags auf Einstellung der Zwangsvollstreckung. 369
Ergänzende Bezugnahmen sind unzulässig, wenn sie pauschal erfolgen („gesamtes Vorbringen in erster Instanz“). Das Mindeste, was eine Bezugnahme enthalten sollte, ist das Datum des in Bezug genommenen Schriftsatzes, eine Kurzbezeichnung und die Blattzahl der Gerichtsakte.296
370
Formulierungsvorschlag: Im Übrigen wird wegen der Umstände des Nachbesserungsversuches auf den Klägerschriftsatz vom 1.3.2004 verwiesen (Bl. 83 und 84 d. GA). f) Beschwer und Beschwerdegegenstand – Umfang der Anfechtung
371
Der Berufungsantrag muss erkennen lassen, welchen Teil der für ihn nachteiligen Entscheidung des Ausgangsgerichtes (Beschwer) der Berufungsführer angreift (Beschwerdegegenstand). Ohne Beschwer kann es demnach keinen Beschwerdegegenstand geben.
372
Weil die Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil angefallen sein muss, bleiben neue, vor dem Berufungsgericht im Wege der Klageerweiterung geltend gemachte Ansprüche bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes unberücksichtigt.297
373
Grundsätzlich gilt zum Verhältnis von Beschwer und Beschwerdegegenstand: – Übersteigt die Beschwer der in erster Instanz unterlegenen Partei die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, so kann grundsätzlich erst auf der Grundlage des in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags entschieden werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die Berufungssumme erreicht.
296 Eine Fülle möglicher und unmöglicher weiterer Formen von Bezugnahmen findet sich bei Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, 2003, Rz. 325. 297 OLG Rostock v. 5.4.2004 – 7 U 136/03, OLGR Rostock 2004, 454.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
– Ein zunächst beschränkter Berufungsantrag, der die Berufungssumme unterschreitet, kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erweitert werden, soweit die Erweiterung von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt ist. Das gilt auch für den Fall, dass die Berufung zugleich mit ihrer Einlegung begründet und dabei ein Berufungsantrag angekündigt wird, mit dem die in erster Instanz abgewiesene Klage nur teilweise weiterverfolgt wird.298
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Praxistipp: Der Anwalt kann auf diese Weise mit geringerem Kosten- 374 risiko die Auffassung des Berufungsgerichts testen. Das gilt allerdings immer nur, wenn spätere Erweiterungen von der fristgerecht eingereichten Berufungsbegründung gedeckt sind!299 – Eine (soweit ersichtlich) ungeklärte Frage ist es aber, ob der Anwalt nach dem Grundsatz des sichersten Weges nicht sogar so vorgehen (oder jedenfalls den Mandanten über diese Möglichkeit belehren) muss.
Der Wert des Beschwerdegegenstands erhöht sich aber nicht über den Be- 375 trag der Verurteilung hinaus, wenn der Beklagte, der mit dem Rechtsmittel seinen Antrag auf Klagabweisung weiterverfolgen will, neben anderen Einwendungen auch mit einem hilfsweise geltend gemachten Zurückbehaltungsrecht ohne Erfolg geblieben war.300 Anders als bei einer Hilfsaufrechnung (§ 322 Abs. 2 ZPO) wird einem Be- 376 klagten, der ein Zurückbehaltungsrecht ohne Erfolg geltend macht, die Gegenforderung nicht rechtskräftig aberkannt. Für die Beschwer des unterlegenen Beklagten, der sich auch aus anderen Gründen gegen seine Verurteilung in der Vorinstanz wendet, also mit dem Zurückbehaltungsrecht nicht nur eine im Übrigen hingenommene Verurteilung unter einen Zug-um-Zug-Vorbehalt gestellt wissen möchte, kommt es auf den Wert des hilfsweise geltend gemachten Gegenanspruchs nicht an. Vielmehr ist es grundsätzlich unerheblich, welche und wie viele Einwendungen ein Beklagter gegenüber dem Klageanspruch ohne Erfolg erhoben hat. Für die Wertberechnung i.S.v. § 511 ZPO sind nach einer Entscheidung 377 des OLG Brandenburg Klage- und Widerklageforderung abweichend vom Wortlaut des § 5 ZPO zusammenzurechnen.301 Problematisch sind im Zusammenhang mit dem Beschwerdegegenstand oft die Anträge im Rahmen einer Schmerzensgeldklage.
298 299 300 301
BGH, Beschl. v. 9.11.2004 – VIII ZB 36/04, MDR 2005, 409. Einzelheiten bei Braunschneider, ProzRB 2004, 199 ff. und Rz. 451 ff. BGH v. 1.12.2004 – IV ZR 1/04, MDR 2005, 345. OLG Brandenburg v. 7.5.2003 – 14 U 123/02, OLGR Brandenburg 2004, 63. Es ging um einen Verkehrsunfall, nach dem die Parteien sich wechselseitig auf Schadensersatz (wider-)verklagt hatten.
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378
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
aa) Keine Beschwer: mehr gewollt als verlangt 379
Hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung verlangt302 und hat das Gericht ihm ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist er durch dieses Urteil nicht beschwert und kann es nicht mit dem alleinigen Ziel eines höheren Schmerzensgeldes anfechten.303 bb) Klageerhöhung in der Berufung
380
Für den Berufungsführer, der mit der nötigen Beschwer weniger bekommen als er erstinstanzlich an Schmerzensgeld mindestens verlangt hat, könnte die mit der Berufung (auch304) vorgenommene Erhöhung der erstinstanzlichen Forderung zu einem Verjährungsproblem führen. Der BGH hilft hier weiter: Hat der Geschädigte in erster Instanz ohne Angabe einer Obergrenze im Rahmen seines unbezifferten Leistungsantrags ein Schmerzensgeld in einer bestimmten Größenordnung begehrt und erhöht er seine Angaben zur Größenordnung des Schmerzensgeldes im Berufungsrechtszug, soll der die ursprüngliche Größenordnung übersteigende Betrag nicht verjährt sein, weil dies keine Änderung des Streitgegenstandes darstelle.305 cc) Erweiterung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer
381
Taktische Gründe kann es geben, Anträge in ihrem Umfang zu erweitern oder einzuschränken. Dabei ist aber Vorsicht geboten. Greift die erstinstanzlich unterlegene Partei ihre Verurteilung zunächst nur teilweise an, so kann sie nach einer Entscheidung des OLG Celle nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ihre Berufung in zulässiger Weise nicht mehr auf den zunächst nicht angegriffenen Teil der Verurteilung erstrecken, wenn es sich hierbei um einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes handelt.306
382
In dieselbe Richtung entschied das OLG Koblenz: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht zur Ergänzung einer innerhalb der Beru302 „Einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag, wenigstens aber 4.000 Euro…“. 303 BGH v. 30.3.2004 – VI ZR 25/03, MDR 2004, 1077 = ProzRB 2004, 212 (Kieserling). 304 Wenn der Berufungsführer in erster Instanz alles bekommen hätte, was er dort verlangt hatte, wäre die Berufung jedenfalls mangels Beschwer unzulässig, vgl. die vorstehende Entscheidung. 305 BGH v. 10.10.2002 – III ZR 205/01, MDR 2003, 26 = ProzRB 2003, 116 (Burgermeister). 306 OLG Celle v. 13.6.2002 – 11 U 281/01, OLGR Celle 2002, 290, ProzRB 2003, 38 (Kramer).
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
fungsbegründungsfrist wirksam eingereichten, jedoch inhaltlich unzureichenden Berufungsbegründung gewährt werden. Dies gelte sowohl für den Fall, dass eine umfassende Anfechtung hinsichtlich eines abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes nicht zureichend begründet werde, als auch für den Fall, wenn eine zunächst beschränkte Anfechtung durch Nachschieben eines neuen, nicht bereits von der ursprünglichen Begründung erfassten Berufungsgrundes erweitert werden solle.307 Ergänzt werden kann das mit einer Entscheidung des OLG München noch dahin, dass auch die vergessene Begründung eines mit der Berufung weiter verfolgten Widerklageantrages nicht über eine Wiedereinsetzung nachgeholt werden kann.308 g) Ziel der Anfechtung (Abänderung) Die Berufungsinstanz dient in erster Linie der Fehlerkontrolle und -kor- 383 rektur. Die Berufung muss deshalb mindestens auch das Ziel verfolgen, die erstinstanzliche Beschwer (ganz oder teilweise) zu beseitigen.309 Dass sie daneben zusätzlich dem Ziel dienen kann, prozesswirtschaftlich sinnvoll eigentlich Berufungsfremdes zu integrieren, ändert daran nichts. (Die ZPO-Reform hat dieses prozesswirtschaftlich Sinnvolle allerdings auf das beschränkt, was jedenfalls tatsächlich schon in erster Instanz festgestellt wurde.) aa) Völlig neue Ziele Wer merkt, dass er mit seinem erstinstanzlichen Begehren schlechte Karten hat, könnte ansonsten auf die Idee kommen, das Verfahren in zweiter Instanz mit ausgewechseltem Vortrag und Angriff zu gewinnen.
384
Beispiel:
385
Mit einer Klage wird ein Schadensersatzanspruch nach einem Fahrradunfall in Höhe von 1.000 Euro geltend gemacht. Das erstinstanzliche Gericht verneint ein Verschulden des Beklagten und weist den Anspruch ab. Der Kläger trägt daraufhin in zweiter Instanz vor, dass ihm der Beklagte ohnehin aus – längst fälligem – Darlehen noch 1.000 Euro schulde und will die Berufung nunmehr hierauf stützen. Zum Unfall sagt der Kläger nichts mehr.
Vom Antrag her stimmen erste und zweite Instanz überein („Zahlung von 1.000 Euro“). Der Streitgegenstand wird aber nicht nur durch den Antrag, sondern auch durch den dazu gehörigen Lebenssachverhalt bestimmt.310 Die Auswechslung des Lebenssachverhaltes führt daher zur 307 308 309 310
OLG Koblenz v. 28.12.2004 – 11 UF 825/03, OLGR Koblenz 2005, 870. OLG München v. 12.7.2004 – 6 U 2297/04, OLGR München 2004, 441. BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) = MDR 1994, 1145. So im Zusammenhang mit Klageänderungen (aber auch im Übrigen ständige Rechtsprechung) z.B. BGH v. 29.6.2006 – III ZB 36/06; BGH v. 20.3.2000 – II ZR 250/99, NJW 2000, 1958.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
Änderung des Streitgegenstandes. Das ist rechtlich eine Klageänderung (Details zu den Fragen um eine Klageänderung ab Rz. 654). 386
Nun kann ein Kläger natürlich grundsätzlich auch seine Klage ändern. Die ZPO sieht das in § 263 ZPO (und in den §§ 264, 267 und 268) für die erste Instanz auch vor. § 525 S. 1 ZPO erklärt diese Vorschriften dem Grunde nach auch für im Berufungsverfahren anwendbar. § 533 ZPO ist allerdings insoweit eine Spezialregelung im Sinne von § 525 S. 1 ZPO.311
387
Einerlei, ob man nun eine Sachdienlichkeit bejahen würde (und damit die ohnehin fast nie erteilte Einwilligung der Gegenseite nicht mehr braucht), fehlte es vorliegend aber daran, dass der neue Anspruch nicht auf alte Tatsachen im Sinne von § 529 ZPO gestützt werden kann (§ 533 Nr. 2 ZPO). Das Erstgericht hat dazu nämlich nichts festgestellt.
388
Das kann aber auch mal anders sein: Beispiel: Mit einer Klage wird ein Schadensersatzanspruch nach einem Haftpflichtfall in Höhe von 1.000 Euro geltend gemacht. Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm der Beklagte im Rahmen eines (genau beschriebenen) Vertragsschlusses über ein drei Monate später fällig werdendes Darlehen in seiner Wohnung eine Vase umgeworfen und zerstört hat. Das erstinstanzliche Gericht verneint unter exakter Wiedergabe allen Klägervorbringens im Tatbestand ein Verschulden des Beklagten und weist den Anspruch ab. Der Kläger trägt daraufhin in zweiter Instanz vor, dass ihm der Beklagte ohnehin aus dem schon erstinstanzlich längst fälligen Darlehen noch 1.000 Euro schulde und will die Berufung nunmehr hierauf stützen. Zur Vase sagt der Kläger nichts mehr.
Hier scheitert es jedenfalls nicht an fehlender Tatsachenfeststellung i.S.v. §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO. Der Kläger wird aber nicht in der Lage sein, für seinen neuen Antrag einen Berufungsgrund nach §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO vorzutragen. Nachdem er in der ersten Instanz einen anderen Angriff312 verfolgt hat, kann das Gericht in Bezug auf den jetzigen Angriff gar keinen Fehler gemacht haben.313 389
Beispiel: Mit der Entscheidung über den geltend gemachten Haftpflichtanspruch sagt das Gericht nichts (Rechtliches) über den nicht geltend gemachten Darlehensan311 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 533 Rz. 4. 312 Zur Differenzierung zwischen Angriff und Angriffsmittel, vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 133 (134). 313 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) formulierte die Konsequenzen zum alten Recht so: „Da die Klageerweiterung in zweiter Instanz um bisher dem Gericht nicht unterbreitete Ansprüche keine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils ist, findet die Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO keine Anwendung.“ Dort gab es aber nur eine Erweiterung und keine komplette Auswechselung. Im selben Sinne wie hier: Gaier, NJW 2001, 3289 (3299) mit umfangreichen Nachweisen.
100
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO spruch. Tatsachenfeststellungen in Bezug auf einen Darlehensanspruch gibt es gar nicht,314 es kann daher auch keine Zweifel an Richtigkeit oder Vollständigkeit geben. Die Geltendmachung eines neuen Antrages ist kein Angriffsmittel, die Frage einer Neuheit stellt sich demnach gar nicht.
Wie eingangs gesagt, dient die Berufungsinstanz aber in erster Linie der Fehlerkontrolle und -korrektur und die Berufung muss genau deshalb mindestens auch das Ziel verfolgen, die erstinstanzliche Beschwer (ganz oder teilweise) zu beseitigen.315 bb) Was alles nicht geht … Es reicht demnach nicht, für einen Streitgegenstand beschwert zu sein, aber nur einen anderen weiterzuverfolgen.
390
Es reicht auch nicht aus, sich zunächst (unter zulässiger, aber sachlich aussichtsloser Begründung) mit dem ursprünglichen Antrag gegen das insoweit beschwerende Urteil zu wenden, um dann später im Verfahren diesen Antrag völlig fallen zu lassen und einen neuen zu nehmen.316 Eine zunächst zulässige Berufung wird deshalb unzulässig, wenn der Be- 391 rufungskläger nach Wegfall der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil (im konkreten Fall: durch Abschluss eines Vergleichs) mit der Berufung nur noch eine Erweiterung der Klage in zweiter Instanz verfolgt. Auf die Zulässigkeit der Klageerweiterung als solcher kommt es dann nicht mehr an.317 Es reicht zuletzt nicht aus, einen neuen (klageändernden) Antrag als 392 Hauptantrag und den alten Antrag als Hilfsantrag zu stellen.318 Über den Hilfsantrag wird ja nur dann entschieden, wenn der Hauptantrag unbegründet ist. Schon die Zulässigkeit des Hauptantrages aber könnte nur im Hinblick auf die Zulässigkeit des Hilfsantrages bejaht werden.319 Im Ergebnis verliert man bei solcher Antragstellung den Hauptantrag we- 393 gen fehlender Zulässigkeit und den Hilfsantrag wegen fehlender Begründetheit. Man verliert also alles.
314 Die Tatsachenfeststellungen haben einen anderen, am gestellten Antrag ausgerichteten Bezug, mögen sie auch Informationen enthalten, welche für den neuen Antrag nützlich sind. 315 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944 (945) = MDR 1994, 1145. 316 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 533 Rz. 11. 317 BGH v. 30.11.2005 – XII ZR 112/03, BGHReport 2006, 451 = FamRZ 2006, 402. 318 So aber Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 299 a.E. 319 Unter Abweichung von älterer, anders lautender Rechtsprechung: BGH v. 11.10.2000 – VIII ZR 321/99, NJW 2001, 2260 MDR 2001, 408.
101
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
cc) Einzelfälle 394
Der VII. Zivilsenat des BGH entschied, dass die Berufung gegen ein Prozessurteil, mit welchem die Zahlungsklage einer Partei, die über eine vollstreckbare Urkunde verfügte, abgewiesen wurde, unzulässig sei, wenn mit dieser Berufung allein ein Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 731 ZPO verfolgt werde.320
395
Eine Berufung, mit welcher der in erster Instanz erhobene Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiter verfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird, ist auch nach Auffassung des OLG Brandenburg unzulässig. Dies gelte auch dann, wenn die Berufung allein mit dem Ziel einer subjektiven Klageänderung erfolge.321
396
Das OLG Düsseldorf konkretisiert das für den Fall des Übergangs vom Anspruch auf Mängelbeseitigung gem. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. zu den Gewährleistungsansprüchen gem. den §§ 634, 635 BGB a.F.322 Dies stelle eine Klageänderung dar, da die Ansprüche unterschiedlicher rechtlicher Natur seien und damit verschiedene Streitgegenstände bildeten.
397
Das OLG Saarbrücken entschied ähnlich im Bereich des Kaufrechts: Die Berufung sei unzulässig, wenn der Berufungsführer in der Berufungsinstanz anstelle des in der ersten Instanz abgewiesenen Wandlungsbegehrens die Minderung des Kaufpreises erstrebe.323
398
Das OLG Rostock entschied, dass die Ersetzung einer erstinstanzlich wegen eines vertraglichen Verbotes nicht durchgreifenden Aufrechnung durch die Erhebung der Widerklage zum Wegfall der Beschwer führt.324 Das erstinstanzliche Urteil werde nicht mehr im Hinblick auf das nicht zuerkannte Erlöschen des Anspruchs angegriffen.
399
In einem vom OLG Köln entschiedenen Fall, hinderte die Abweisung der Klage auf Darlehensrückzahlung wegen Unwirksamkeit der vom Darlehensgeber ausgesprochenen Kündigung (hier: eines Verbraucherkredits) keine neue Klage, mit der geltend gemacht wird, das Darlehensverhältnis sei durch erneute Kündigung nunmehr beendet. Eine allein auf die erneute Kündigung gestützte Berufung sei aber unzulässig, ohne dass es auf die
320 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 81/02, MDR 2004, 225 = ProzRB 2004, 37 (Kramer). 321 OLG Brandenburg v. 5.3.2002 – 6 U 175/01, MDR 2001, 1087 = ProzRB 2003, 12 (Reichling). 322 OLG Düsseldorf v. 10.7.2003 – I-5 U 162/02, OLGR Düsseldorf 2004, 370. 323 OLG Saarbrücken v. 20.6.2005 – 4 U 105/05-94, OLGR Saarbrücken 2005, 677. 324 OLG Rostock v. 3.3.2004 – 3 U 267/03, OLGR Rostock 2004, 262.
102
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine zweitinstanzliche Klageänderung ankomme.325 Etwas exotisch ist ein Urteil des OLG München: Werde eine erstinstanz- 400 lich ausschließlich auf ein Gebrauchsmuster gestützte Verletzungsklage erstmals in der Berufungsinstanz auf ein paralleles Patent gestützt, dessen Erteilung nach Erlass des Ersturteils bekannt gemacht wurde, entfalle die (noch bei Schluss der mündlichen Verhandlung erforderliche) Beschwer nicht dadurch, dass die Klage aus dem Gebrauchsmuster nach dessen Löschung im Laufe des zweiten Rechtszuges zurückgenommen werde. Die Berufung bleibe vielmehr zulässig, da das im Wesentlichen bereits in erster Instanz verfolgte Rechtsschutzziel weder aufgegeben noch anderweitig erreicht worden sei.326 dd) Entscheidender Zeitpunkt: Schluss der mündlichen Verhandlung Entscheidender Zeitpunkt ist dabei der Schluss der mündlichen Verhand- 401 lung vor dem Berufungsgericht. Dient das mit der Berufung verfolgte Begehren dann nicht mehr (auch) der Beseitigung der in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.327 ee) … und was geht. Was alleine möglich ist, ist die Stellung des ursprünglichen Antrages als Hauptantrag und die Stellung des neuen Antrages als (klageändernder) Hilfsantrag. Dabei sind dann die Voraussetzungen des § 533 ZPO zu beachten.
402
Im Ergebnis verliert man hier zwar den (zulässigen) Hauptantrag (wegen fehlender Begründetheit), danach hilft er aber dem Hilfsantrag über die Zulässigkeitshürde und man kann diesen begründet gewinnen. ff) Sinn solchen Vorgehens Aber was bringt das? Von den Kosten her nicht viel, denn § 97 Abs. 1 und 403 2 ZPO geben dem Berufungsgericht genügend Spielraum, dem Berufungskläger alle Kosten aufzuerlegen. Und wenn der Beklagte und Berufungsbeklagte den neuen Anspruch gleichfalls für gegeben hält, kann er über § 93 ZPO auch den Rest zu Fall bringen. Hinzu kommt, dass bei Durchführung mit neuem, aber betragsmäßig gleichem Antrag mehr Kosten entstehen als bei einer Rücknahme (für die Gegenseite und für die Ver325 OLG Köln v. 14.7.2004 – 13 U 204/03, OLGR Köln 2004, 403. 326 OLG München v. 22.12.2005 – 6 U 4351/02, OLGR München 2006, 533. 327 BGH v. 15.3.2002 – V ZR 39/01, MDR 2002, 1085 = ProzRB 2002, 10 (Burgermeister).
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
fahrens- und Urteilskosten. Zu den Alternativen zur Rücknahme im Übrigen, vgl. direkt im Anschluss). 404
Den Verlust einer Instanz kann der Kläger in der beschriebenen Konstellation dagegen gut verkraften, der Beklagte muss dies, weil es in § 533 ZPO so vorgesehen ist.
405
Mit Sinn behaftet ist derartiges Vorgehen also wohl allenfalls dann, wenn dem Berufungskläger daran gelegen ist, nicht sein Gesicht zu verlieren, weil er eine Berufung verloren hat. gg) Neue Schlussrechnungen
406
Der Streitgegenstand einer Werklohnklage ändert sich aber nicht dadurch, dass eine neue Schlussrechnung vorgelegt wird.328 Es geht deshalb weiter um das erstinstanzlich verfolgte Begehren. Die mit der Berufung vorgenommene Erweiterung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO wegen einer weitergehenden Schlussrechnungsforderung ist also keine Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO.329 hh) Einschränkung des Beschwerdegegenstandes im Rahmen der Beschwer (1) Rücknahme: Billiger, aber immer noch teuer
407
Es gibt Fälle, in denen zur Fristwahrung Berufung eingelegt werden muss, ohne dass man als Anwalt die Gelegenheit hat, sich mit den Erfolgsaussichten zu beschäftigen.330 Der üblichen Bitte an die Gegenseite, dort bis zur Klärung der Frage, ob die Berufung auch tatsächlich durchgeführt wird, keine Bestellung vorzunehmen, muss diese nicht nachkommen.
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Man kann sich tatsächlich auch die Frage stellen, ob man als Gegenanwalt einer solchen Bitte überhaupt nachkommen sollte. Begünstigt wird dadurch ja alleine die berufungseinlegende Seite, weil sie bei ihren Überlegungen keinem Kostendruck ausgesetzt ist. Je üblicher es wird, dass einer Berufungseinlegung sofort eine Bestellung auf der Gegenseite folgt, die auch bei anschließender Nichtdurchführung ohne Antragstel328 BGH v. 18.12.2003 – VII ZR 124/02, BGHReport 2004, 620 = MDR 2004, 587 = ProzRB 2004, 125 (Moehren); BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64 (Deichfuß). 329 BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 138/04 (im Anschluss an BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295). 330 Namentlich, wenn die Mandanten erstmals für das Berufungsverfahren zum Anwalt kommen oder diesen hierfür wechseln, gerne auch nur wenige Tage vor Ablauf der Einlegungsfrist, und außer dem Urteil nichts mit sich führen. Dass dies zu haftungsrelevanten Fehlern bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts führen kann, wurde schon oben bei Rz. 46 erläutert.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
lung zu bezahlen ist (unter der Geltung der BRAGO mit 13/20, nach dem RVG mit 1,1, sofern nur ein Berufungsgegner vorhanden ist), umso eher wird man diesen Kostenfaktor bei der Einlegung einer Berufung überlegen. Unterstellt, die Prüfung der Berufungsaussichten ergibt ein so schlechtes 409 Ergebnis, dass man mit dem Mandanten zur Ansicht gelangt, es sei besser, die Berufung nicht durchzuführen, liegt es zunächst nahe, die Berufung einfach zurückzunehmen. Die Gerichtsgebühren ermäßigen sich dann. Hat sich nun aber schon jemand auf der Gegenseite bestellt, sind dessen Kosten mit einzurechnen. Gerade bei sehr hohen Streitwerten kann das richtig ins Geld gehen. Beispiel: Mit einer Klage sei ein Pflichtteilsanspruch über 280.000 Euro geltend gemacht worden. Die Klage wurde vollständig abgewiesen. Zur Fristwahrung wurde Berufung eingelegt. Sofort bestellt sich für den Beklagten und Berufungsbeklagten ein Anwalt. Wird nun nach Prüfung der Erfolgsaussichten die Berufung zurückgenommen, bevor die Schrift zur Begründung bei Gericht eingegangen ist, ergeben sich folgende Kosten (alle Anwaltskosten ohne USt und Pauschalen): Klägeranwalt 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt 1,1 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
2.387,00 Euro
Gericht 1,0 Verfahrensgebühr,331 begünstigt von KV-GKG Nr. 1220 auf 1221
1.906,00 Euro
zusammen also:
7.765,00 Euro
(2) Alternativen zur Rücknahme (a) Kleiner ist feiner Angesichts dessen, dass der Beschwerdegegenstand der Berufung (und an 410 dem hängen die Kosten) aber durch die Anträge bestimmt wird (§ 14 Abs. 1 S. 1 GKG), kann man auf die Idee kommen, vor der Rücknahme zunächst einfach einen niedrigen („kleinen“) Antrag zu stellen und erst dann zurückzunehmen. Beispiel: Statt der vollen 280.000 Euro wird nur noch ein Antrag über 2.800 Euro gestellt.
Auf diese Idee sind in der Tat schon Anwälte gekommen. Sie mussten sich aber frühzeitig vom Großen Senat für Zivilsachen sagen lassen, dass es als rechtsmissbräuchlich empfunden wird, allein und evident aus Kos331 Nach dem GKG i.d.F. vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718), zuletzt geändert durch Artikel 12f des Gesetzes vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) (1. JuMoG). – Vorher ging die Ermäßigung auf 0,5.
105
411
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
tengründen einen geringen Antrag zu stellen. Der Gegenstandswert wurde in diesen Fällen dann auf die volle Höhe der Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil festgesetzt: „Ein eingeschränkter Rechtsmittelantrag des Rechtsmittelklägers ist bei der Streitwertberechnung im Rechtsmittelverfahren gemäß § 14 Abs. 1 GKG dann nicht zu berücksichtigen, wenn er offensichtlich nicht auf die Durchführung des Rechtsmittels gerichtet ist.“332
Es sei nicht Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 GKG, einem Rechtsmittelkläger, der sein Rechtsmittel überhaupt nicht mehr durchführen wolle, zu einer Verringerung der Kostenlast zu verhelfen, welche über die im Gesetz für die Rechtsmittelrücknahme vorgesehene Kostenermäßigung nach dem KV GKG hinausgehe.333 Beim Beispiel: Der Gegenstandswert lag damit bei 280.000 Euro.
412
Die Literatur kommentiert das so: „Viel zu verlieren hat der Berufungskläger bei dem Versuch, den Streitwert zunächst gering zu halten, aber nicht: Gelingt dies nicht, wird – wie ohne Beschränkung auch – der volle Wert der Beschwer zugrunde gelegt.“334
Das klingt nicht besonders motivierend. 413
Nun mag aber ein findiger Anwalt auch einmal etwas anderes probieren. Er könnte sich vornehmen, nicht das Geld, sondern die Gerechtigkeit in den Vordergrund zu stellen. Er sollte dieses Anliegen dann noch in geeigneter Weise im Berufungsverfahren nachvollziehbar kommunizieren.335 (Auch) er würde dann nur einen kleinen Teil der Beschwer zum Beschwerdegegenstand machen (z.B. 2.800 Euro), den aber durchziehen. Nimmt er seine eigene (interne!) Erfolgsprognose ernst, wird er dabei natürlich scheitern. Wie viel das kostet, hängt davon ab, an welcher Stelle er scheitert und wie viel er vorher dafür unternimmt. (b) Zu spät wird billiger
414
Strategisch möglich wäre, dass er im Rahmen der Berufungsbegründungsfrist zunächst nur eine Fristverlängerung beantragt. Die bekommt er. Dann stellt er kurz vor Fristablauf den „kleinen“ Sachantrag, behält sich 332 333 334 335
106
BGH v. 14.2.1978 – GSZ 1/77, BGHZ 70, 365 (Leitsatz). BGH v. 14.2.1978 – GSZ 1/77, BGHZ 70, 365 (369). Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 212 a.E. Das OLG Hamburg v. 20.10.2004 – 5 U 153/04, OLGR Hamburg 2005, 181, etwa formuliert: „Beschränkt der Berufungsführer seinen Berufungsantrag in der Begründungsfrist ohne nachvollziehbare Angabe von Gründen unzulässigerweise auf die Kosten und nimmt einen Tag nach der Beschränkung seine Berufung zurück, so ist die Beschränkung des Antrags als missbräuchlich anzusehen mit der Folge, dass sich der Streitwert nach der Beschwer durch die erstinstanzliche Verurteilung richtet.“
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
die Begründung und eventuelle Weiterungen ausdrücklich vor, beantragt dabei eine weitere (also die zweite) Fristverlängerung und bittet zugleich das Gericht, die Zustimmung des Gegners hierzu einzuholen. Es wird sich aber weder das Gericht zum Handlanger des Berufungsführers machen wollen, noch wird der Berufungsgegner zustimmen. Die Berufung ist damit ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist begründet worden ist (§ 522 Abs. 1 S. 2, S. 1 ZPO). Bei einer so klaren Sachlage wird das Berufungsgericht regelmäßig durch Beschluss entscheiden (§ 522 Abs. 1 S. 3 ZPO). Eine kostenträchtige Stellungnahme der Gegenseite gibt es in diesem Fall nicht. Es bleibt dort bei der 1,1 Gebühr (Nr. 3201 VV RVG).336 Für das Gericht entsteht eine 4,0 Verfahrensgebühr (Nr. 1220 KV GKG). Ermäßigungstatbestände (Nrn. 1221 bis 1223 KV GKG) liegen nicht vor. (Nach altem GKG galt: Die Verfahrensgebühr lag bei 1,5. Ein Verwer- 415 fungsbeschluss löste keine weitere Gebühr aus.337 Ein Verwerfungsurteil löste demgegenüber eine Urteilsgebühr aus, je nachdem, ob es eine Begründung enthielt oder nicht, eine 1,5-fache oder eine 3-fache.) (c) Schlecht wird billiger Strategisch möglich ist auch, dass unter Stellung des „kleinen“ Antrages 416 sofort eine Begründung abgeliefert wird, welche sich in einer phrasenhaften Anhäufung beschränkt, in der dem Erstgericht Rechtsfehler und insgesamt fehlerhafte und/oder einseitige Beweiswürdigung, etc. vorgeworfen werden. Hier wird das Berufungsgericht aller Wahrscheinlichkeit nach einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen. Nimmt die Gegenseite in diesem Zusammenhang Stellung und stellt ihrerseits Zurückweisungsantrag, fällt dort eine 1,6 Gebühr an. Für das Gericht entsteht eine 4,0 Verfahrensgebühr (Nr. 1220 KV GKG). Ermäßigungstatbestände (Nrn. 1221 bis 1223 KV GKG) liegen nicht vor. (Nach altem GKG galt: Es entstand eine 1,5 Verfahrensgebühr und die 1,5 oder 3,0 Entscheidungsgebühr Gerichtsgebühren [Nrn. 1227 oder 1226 KV-GKG]).
417
In solchen Fällen ist es auch möglich, dass das Gericht schon aus erzieherischen Gründen auf ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO verzichtet und Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Dort mag der Anwalt aber vielleicht gar nicht auftreten, er lässt Versäumnisurteil gegen sich ergehen und legt dagegen keinen Einspruch ein. Hier entstehen für die Gegenseite die 1,6 und die 0,5 Gebühr. Für das Gericht entsteht wieder die 4,0 Verfahrensgebühr.
418
336 N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., VV 3201 Rz. 24. 337 Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 522 Rz. 37.
107
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
419
Û
420
Alle Gebühren (der Gegenseite und des Gerichtes) in diesen Varianten entstehen aber auf der Basis des durch den Antrag bestimmten Gegenstandswertes, im Beispiel also auf der Basis von 2.800 Euro. Ein Rechtsmissbrauch wie in den Fällen der Antragssenkung zum Zwecke der Rücknahme liegt nicht vor, denn das Verfahren soll ja durchgeführt werden. Es scheitert eben nur an alltäglichen Fehlern (Fristsäumnis, unsaubere Begründung). Für den Berufungsführer bleibt es bei der Prozessgebühr aus der vollen Summe.
421
Rechnerisch sieht es dann so aus:
Praxistipp: Wer an weiteren taktischen Varianten interessiert ist, kann sich die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung bei versäumten Berufungsbegründungsfristen vielleicht mal unter einem etwas anderen Blickwinkel ansehen. Namentlich die dort genannten Fälle, in denen es keine Wiedereinsetzung gab, eröffnen ungeahnte Möglichkeiten. Aber immer beachten: Anders als üblich muss der „kleine“ Antrag schon vor der vermasselten Begründung fristgerecht (!) gestellt worden sein.
Beispiel – verfristet eingereichte Begründung: Klägeranwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro Beklagtenanwalt (von 3200 auf 3201 VV RVG) 1,1 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also: Beispiel – nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesene Berufung: Klägeranwalt (3200 VV) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro 207,90 Euro 356,00 Euro 4.035,90 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt (von 3200 auf 3201 VV RVG) 1,1 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro (oder auch 1,6 – s. Text) Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also:
356,00 Euro 4.035,90 Euro
Beispiel – nach VU zurückgewiesene Berufung: Klägeranwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 280.000 Euro
3.472,00 Euro
Beklagtenanwalt (3200 VV RVG) 1,6 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro Beklagtenanwalt (von 3202 auf 3203 VV RVG) 0,5 Terminsgebühr aus 2.800 Euro
108
207,90 Euro
302,40 Euro 94,50 Euro
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Gericht 4,0 Verfahrensgebühr aus 2.800 Euro zusammen also:
356,00 Euro 4.224,90 Euro
(d) Mehr kostet weniger als Weniger Jetzt ist es keine große Kunst mehr, auszurechnen, dass alle Varianten, in denen man weiter macht (Mehr), erheblich günstiger sind als die schlichte Rücknahme (Weniger).
422
Dort waren es 7.765,00 Euro Gesamtkosten (zzgl. USt und Pauschalen), hier sind es zwischen 4.035,90 Euro und 4.224,90 Euro. (3) Vorsichtsmaßnahmen Es versteht sich, dass man den „kleinen“ Antrag stets mit Blick auf die 423 Streitwertsprünge festlegt. Es versteht sich auch, dass man ihn nicht unbedingt in exakter Quote der Beschwer festlegt, wenn es eine irgendwie geartete anderweitige Plausibilität gibt. Es versteht sich weiter, dass man sich vom Mindestwert von 600 Euro gehörig fernhält, um keine unliebsamen Vermutungen aufkommen zu lassen.338 Es versteht sich zuletzt, dass man mit dem Mandanten offen redet. Und 424 das bedeutet, dass man ihm alles vorrechnet, dass man ihm klarmacht, dass es hier um ein taktisches Vorgehen handelt und dass derartiges immer mit Risiken behaftet ist. Das muss schriftlich geschehen und am Besten vom Mandanten bestätigt werden (mit Einverstanden-Vermerk zurückschicken lassen), sonst könnte ein böswilliger Mandant auf Regressideen kommen. Das bedeutet aber auch, dass man zunächst mal dafür Sorge zu tragen hat, dass die eigene Prozessgebühr/Verfahrensgebühr aus der vollen Summe vorschussweise auf dem eigenen Konto landet. Gut vorstellbar ist es ja in der Praxis, dass der Mandant den schlauen An- 425 walt noch übertrumpfen will, indem er zu guter Letzt behauptet, er selbst habe ohnehin immer (!) schon nur den „kleinen“ Antrag stellen wollen. Und demgemäß will er dann auch die Prozessgebühr/Verfahrensgebühr nur aus diesem kleinen Streitwert zahlen.
338 Lehrreich OLG Koblenz v. 22.12.2004 – 5 U 1332/04: Ein erheblich eingeschränkter Berufungsantrag ist für den Streitwert nicht maßgeblich, wenn die Reduzierung des Begehrens deutlich macht, dass statt einer Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts nur noch eine Reduzierung der Kostenlast erstrebt wird.
109
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
ii) Die möglichen Variationen im Umfang des Berufungsangriffs 426
Es macht grundsätzlich einen Unterschied, ob man als Kläger erstinstanzlich unterliegt oder als Beklagter. Der Kläger verliert erst dann, wenn es keine einzige Anspruchsgrundlage gibt, welche sein Begehren stützt, der Beklagte schon dann, wenn es nur eine einzige Anspruchsgrundlage gibt, welche ihn verpflichtet. Um eine Klage abzuweisen, muss ein Erstgericht damit prinzipiell mehr tun, als um sie zuzusprechen.
427
Der unterlegene Kläger muss dann folglich für seine Berufung nur das Vorliegen der Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage vortragen,339 mag er auch mit dem Vortrag zu mehreren Anspruchsgrundlagen seine Gewinnchancen erhöhen, während der unterlegene Beklagte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen aller vom Erstgericht angenommenen Anspruchsgrundlagen darzulegen hat. Dabei wird der unterlegene Kläger aber eine große Auswahl haben (denn das Erstgericht muss ja alle möglichen Ansprüche prüfen und verneinen), der unterlegene Beklagte dagegen nur eine kleine (im relationstechnisch idealen Fall: eine Anspruchsgrundlage).
428
Für die Angriffe selbst kommt hinzu, dass das Maximum dessen, was der Beklagte im Normalfall verlangen wird, die Zurückweisung des Klageanspruchs ist. Das setzt sich in der Berufung fort. Der Kläger hingegen mag durchaus auf die Idee kommen, es nicht dabei zu belassen, was er erstinstanzlich gefordert hat. Insoweit könnte er mit seinem Berufungsangriff auch über den erstinstanzlichen Angriff hinausgehen.
429
Die für den Beklagten daneben eigentlich immer noch gegebene Möglichkeit, auch seinen Angriff über den Weg einer Widerklage zu erweitern, ist durch die Neureglung des § 533 ZPO (und dort namentlich dessen Nr. 2) ziemlich erschwert. (1) Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger
430
Für den erstinstanzlich unterlegenen Kläger gibt es zwölf grundsätzlich sinnvolle Varianten im Umfang des Berufungsangriffes. Dabei ist es strukturell einerlei, ob man erstinstanzlich voll gescheitert (so die folgenden Beispiele) oder ob man nur mit einem Teil unterlegen ist.
339 Das hat nichts mit der unzulässigen Beschränkung von Rechtsmitteln auf eine von mehreren konkurrierenden Anspruchsgrundlagen zu tun, wie sie Gegenstand von BGH v. 7.7.1983 – III ZR 119/82, NJW 1984, 615 war. Dort ging es um die Zulassung des Rechtsmittels durch das vorentscheidende Gericht. Hier geht es um das Verhalten des Berufungsklägers.
110
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO
(a) Vollständiges Scheitern in erster Instanz
• Man greift das erstinstanzliche Urteil voll an und verfolgt das erst- 431 instanzliche Begehren unverändert voll weiter. Beispiel 1: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil nur teilweise an und verfolgt das 432 erstinstanzliche Begehren dauerhaft nur teilweise weiter.340
Beispiel 2: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich nur teilweise an, er- 433 weitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt das erstinstanzliche Begehren danach vollständig weiter. Beispiel 3: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst nur) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro.
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt 434 den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter.341 Beispiel 4: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann (nur noch) eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro.
340 Hier ist zu bedenken, ob ein (Rechtsmittel- oder Anspruchs-)Verzicht oder eine Klagerücknahme vorliegen oder lediglich ein beschränkter Antrag. Die h.M. nimmt eine Antragsbeschränkung an, Gummer/Heßler in Zöller, 26. Aufl., § 520 Rz. 29. 341 Das ist eine teilweise Berufungsrücknahme. Es ist zu beachten, dass der Rest noch den Mindestwert der Beschwer abdeckt, bzw. sich im Rahmen einer Zulassung hält.
111
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
435
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, erweitert ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren wieder voll weiter.342 Beispiel 5: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann (zunächst nur noch) eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (10.000 Euro).
436
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich teilweise an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, beschränkt ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 6: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst nur) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (5.000 Euro).
437
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens noch und verfolgt danach mehr als das erstinstanzliche Begehren. Beispiel 7: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10.000 Euro. In der mündlichen Verhandlung beantragt er dann eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 15.000 Euro.
438
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, verändert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt danach (nur noch) anderes als das erstinstanzliche Begehren. Beispiel 8: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll gescheitert. Mit der Berufungsbegründung verlangt er (zunächst) die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Verurteilung des Beklagten zur 342 Für die Revision formuliert von BGH v. 6.10.1987 – VI ZR 155/86, MDR 1988, 217/218. Es gilt aber in gleicher Weise für die Berufung, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 43 (dort in Fn. 144).
112
(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Zahlung von 10.000 Euro unter Beibehaltung des Vortrages zum zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Im weiteren Verlauf wird dann ein Herausgabeantrag gestellt und auf einen völlig neuen Lebenssachverhalt gestützt.
Die beiden zuletzt genannten Möglichkeiten kann man sich natürlich 439 auch noch so vorstellen, dass das erstinstanzliche Urteil anfangs nur teilweise angegriffen wird und die Erweiterung oder Veränderung des Angriffs erfolgt (Möglichkeiten 9 und 10). Schließlich ist auch noch denkbar, dass sofort mehr oder anderes verlangt wird als in erster Instanz (Möglichkeiten 11 und 12). (b) (Nur) Teilweises Scheitern in erster Instanz All das, was gerade zum Falle vollständigen Scheiterns in erster Instanz 440 gesagt wurde, gilt auch für den Fall einer teilweisen Niederlage. Allerdings gibt es in diesem Fall eine Besonderheit beim Antrag zu beachten. Das Urteil der ersten Instanz soll hier ja nur in dem Teil abgeändert werden, in welchem der Kläger unterlegen ist. Im Antrag sollte also die „teilweise Abänderung“ des Urteils verlangt werden. Das ist zunächst nur eine Marginalie. Es lädt aber zu Missverständnissen ein, wenn der Kläger den verbliebenen Rest seines erstinstanzlichen Begehrens danach nur noch teilweise weiterverfolgen will. Beispiel: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz in Höhe von 2.000 Euro durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Kläger die teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5.000 Euro.
441
Hier ist nicht deutlich, ob der Verurteilungsantrag den Abänderungsantrag umfassen soll, der Kläger also insgesamt noch 5.000 Euro haben will, oder ob der Verurteilungsantrag neben den Abänderungsantrag treten soll, der Kläger demnach insgesamt noch 7.000 Euro haben will. Um das zu vermeiden, sollte klar formuliert werden:
442
Formulierungsvorschlag: Es wird beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger über die bereits zugesprochenen 2.000 Euro hinaus weitere 5.000 Euro, insgesamt also 7.000 Euro, zu zahlen.
113
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
(2) Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten 443
Für den erstinstanzlich unterlegenen Beklagten gibt es nur sechs grundsätzlich sinnvolle Varianten im Umfang des Berufungsangriffes.
444
• Man greift das erstinstanzliche Urteil voll an und verfolgt die Klageabweisung unverändert voll weiter. Beispiel 1: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
445
• Man greift das erstinstanzliche Urteil teilweise an und verfolgt die Klageabweisung nur teilweise weiter. Beispiel 2: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Diesen Antrag stellt er dann auch in der mündlichen Verhandlung.
446
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich nur teilweise an, erweitert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt die Klageabweisung danach vollständig weiter. Beispiel 3: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung (zunächst nur) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die vollständige Klageabweisung.
447
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens und verfolgt die Klageabweisung danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 4: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die Klageabweisung (nur noch) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde.
448
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich voll an, beschränkt den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, erweitert ihn aber schließlich wieder und verfolgt das erstinstanzliche Begehren (die Klageabweisung) letztlich wieder voll weiter.
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO Beispiel 5: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er dann die Klageabweisung (nur noch) insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (vollständige Klageabweisung).
• Man greift das erstinstanzliche Urteil anfänglich teilweise an, erwei- 449 tert den Angriff dann im Laufe des Verfahrens, beschränkt ihn aber schließlich wieder und verfolgt letztlich das erstinstanzliche Begehren danach nur noch teilweise weiter. Beispiel 6: Der Kläger ist mit seinem Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro Schadensersatz voll durchgedrungen. Mit der Berufungsbegründung verlangt der Beklagte die Abänderung des angefochtenen Urteils zu einer Klageabweisung insoweit, als er zu einer Zahlung von mehr als 5.000 Euro verurteilt wurde. Nach den Darlegungen des Berufungsgerichtes in der mündlichen Verhandlung beantragt er vollständige Klageabweisung. Im Anschluss an eine danach stattfindende Beweisaufnahme stellt er aber wieder den ursprünglichen Antrag (Klageabweisung mehr als 5.000 Euro).
Die für den Kläger sinnvollen Varianten Mehr oder Anderes machen für 450 den Beklagten keinen Sinn. Mehr oder anderes als Abweisung kann er (ohne Widerklage) nicht erreichen. jj) Der anfänglich teilweise, später volle Angriff (1) Alles eine Frage der Kosten Wer hoch anfängt und maximal angreift und dann später runter geht, ist 451 jedenfalls mit den hohen Kosten des Anfangs belastet und kann von Absenkungen erst ab dem Augenblick der Absenkung profitieren. Für die Konstellation, in der eine Berufung eigentlich überhaupt nicht mehr Erfolg versprechend aussieht, wurden weiter oben bereits Hinweise zum strategischen Vorgehen gegeben. Entscheidend war, zunächst überhaupt keinen Antrag zu stellen, dann nur noch einen niedrigen, dabei aber unbedingt die Durchführung ernsthaft zu wollen.343
452
Es liegt daher aus Kostengründen nahe, den umgekehrten Weg zu probie- 453 ren: Erst mal klein anfangen und – wenn es gut aussieht – nachlegen. Das Problem dabei besteht darin, dass man nicht beliebig nachlegen kann, weil das Gesetz für die Antragstellung grundsätzlich eine zeitliche Grenze vorgibt: § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO fordert die Berufungsbegründung inner343 Dazu ab Rz. 407.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
halb von zwei Monaten ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Und § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO beschreibt die Berufungsanträge als zwingenden Bestandteil eben dieser Begründung. 454
Daraus folgt, dass die Anträge eben innerhalb der Zweimonatsfrist gestellt sein müssen. Innerhalb dieser Frist können sie auch problemlos erweitert werden.344 (2) Enge Voraussetzungen für spätere Erweiterungen
455
Nach Ablauf der Zweimonatsfrist bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht sind Änderungen nur noch unter engen Voraussetzungen möglich.
456
Sie müssen sich im Rahmen der ursprünglichen Berufungsgründe halten, welche innerhalb der Frist vorgetragen wurden. Der BGH formulierte das so: „Eine Erweiterung der Anträge in der mündlichen Verhandlung ist zulässig. Zwar muss die Begründung eine Erklärung darüber enthalten, wieweit das Urteil angefochten wird. Dies Erfordernis ist aber nur formal; die in der Begründungsschrift enthaltenen Anträge tragen nur vorläufigen Charakter und können in der mündlichen Verhandlung noch geändert, insbesondere noch erweitert werden. Nach der Rechtsprechung muss sich jedoch die Erweiterung der Anträge in der mündliche Verhandlung in dem Bereich des Anspruchs halten, der den Gegenstand der Begründung bildet und zwar gilt dies nicht nur für Verfahrensrügen, sondern auch für Rügen der Verletzung materiellen Rechts.“345
(3) Ausreichender Rügeumfang 457
Unproblematisch ist es nun, wenn sich das Verfahren auf einen einzigen Streitgegenstand beschränkt, der teilbar ist, und wenn der gerügte Fehler des Erstgerichtes sich nicht auf einen Teil beschränkt. Beispiel: Der Kläger ist mit einem in Höhe von 10.000 Euro geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach einem Autounfall (§ 823 Abs. 1 BGB) voll unterlegen, weil 344 Nicht aber – kostenlos – beliebig begrenzt. Schon gestellte Anträge bewirken, dass spätere Begrenzungen auch schon innerhalb der Begründungsfrist (!) als Rücknahmen angesehen werden, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 42. Differenzierter aber Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 307 und 308. 345 BGH v. 22.12.1953 – V ZR 6/51, BGHZ 12, 52 (67/68) formuliert das für die Revision. Es gilt aber in gleicher Weise für die Berufung, Rimmelspacher in MünchKomm.ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 520 Rz. 43 (dort in Fn. 146), Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 520 Rz. 19. Für Anschlussberufungen formulierte BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (270) re Sp.: „Voraussetzung für die Zulassung der Erweiterung ist freilich (…), dass sich der Erweiterungsantrag im Rahmen der schriftlich vorgetragenen Anschließungsgründe hält.“
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(Bestimmter) Antrag, § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO das Erstgericht die Beteiligung des Beklagten unter Übergehung eines Beweisangebotes des Klägers nicht als erwiesen angesehen hat. Schadenspositionen waren: Reparaturkosten (5.000), Nutzungsausfall (1.500), Heilungskosten (500), Schmerzensgeld (3.000).
Der Kläger und Berufungskläger wird nun das Ersturteil angreifen und sich dabei in seiner Begründung auf die Mängel in der Tatsachenfeststellung, namentlich auf die nicht durchgeführte Beweisaufnahme beziehen. Das füllt den Berufungsgrund des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO.346 Der Kläger kann dabei seinen Antrag zunächst beschränken (z.B. auf den Nutzungsausfall), er muss lediglich die Mindestbeschwer von 600 Euro erreichen (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Diskussion darüber, ob bei der Erreichung der Mindestbeschwer auch spätere Erweiterungen im Antrag zu berücksichtigen sind, kann man an dieser Stelle getrost außer Acht lassen. Wenn das Berufungsgericht erst einmal einen Verwerfungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 2, S. 3 ZPO erlassen hat, gibt es keine Antragserweiterung mehr. Danach kann der Kläger abwarten, wie sich das Berufungsgericht verhält. Teilt es die Auffassung, dass (erstinstanzlich) eine Beweisaufnahme hätte erfolgen müssen und holt es diese dann nach,347 kann der Kläger im Anschluss (§§ 279 Abs. 3, 285 Abs. 1, 370 Abs. 1 ZPO) anhand des Ergebnisses und insbesondere in Kenntnis der Würdigung durch das Gericht348 (§ 279 Abs. 3 ZPO) entscheiden, ob er seinen Antrag nunmehr auf alle Schadenspositionen erweitert. Seine Berufungsbegründung rügte Fehler der ersten Instanz, die sich auf den Bereich der Haftungsbegründung des § 823 Abs. 1 BGB auswirkten. Alle darauf basierenden Folgen (Haftungsumfang) halten sich damit „in dem Bereich des Anspruchs, der den Gegenstand der Begründung bildet“. (4) Unzureichender Rügeumfang Nicht ausreichend wäre es demgemäß, wenn sich das Verfahren zwar auf 458 einen einzigen Streitgegenstand beschränkt, der teilbar ist, wenn der gerügte Fehler des Erstgerichtes sich aber nur auf einen Teil beschränkt, der Berufungsantrag später jedoch um einen anderen Teil erweitert würde. Beispiel: Der Kläger ist mit einem in Höhe von 10.000 Euro geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach einem Autounfall (§ 823 Abs. 1 BGB) voll unterlegen, weil das Erstgericht die Schadenshöhe falsch bewertet hatte. Unter Übergehung eines 346 Zur Formulierung der Begründung bei übergangenem Beweisangebot, vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 105/106 und Rz. 513 ff. 347 Wozu es verpflichtet ist, § 538 Abs. 1 ZPO, wenn die Beweisaufnahme nicht die Voraussetzungen von § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO erfüllt, was aber zusätzlich einen Zurückverweisungsantrag einer Partei bedingt. 348 Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 279 Rz. 5.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Beweisangebotes des Klägers wurden Reparaturkosten (5.000) nicht anerkannt, weil deren Höhe angeblich nicht substantiiert vorgetragen worden sei, das geltend gemachte Schmerzensgeld (5.000) wird trotz eines Aktenblattverweises im Tatbestand des Urteils völlig übersehen.
Greift der Kläger nun das Ersturteil an und beschränkt seinen Berufungsantrag auf 5.000 Euro, stellt sich zunächst schon die Frage, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Möglich wäre ja die alleinige Weiterverfolgung der Reparaturkosten ebenso wie diejenige des Schmerzensgeldes. Möglich wäre aber auch jede beliebige Kombination von Teilbeträgen beider. Helfen kann bei der Bewertung die Berufungsbegründung. Verhält sich diese nur zur Substantiierung und zur Übergehung eines Beweisangebotes, wird sich der Antrag wohl auf die Reparaturkosten beziehen. Stellt die Begründung allein auf das Übersehen eines Vortrages ab, geht es wohl um das Schmerzensgeld. Geht die Begründung auf beides ein, wird eine Kombination vorliegen. Ist keine nähere Aufteilung erfolgt, muss der Kläger und Berufungskläger vom Berufungsgericht darauf hingewiesen werden, (§ 525 S. 1 ZPO349), § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO a.E.350 Benennt der Kläger aber nur einen der beiden Fehler (Substantiierung und Übergehung des Beweisangebotes einerseits, Übersehen von Tatsachen andererseits), hätte eine Beschränkung fatale Folgen, wenn später eine Erweiterung angestrebt wird. Das eine trägt nicht das andere und umgekehrt. Die spätere Erweiterung wäre damit unzulässig, weil die zu ihrer Begründung nötige Fehlerrüge außerhalb der Begründungsfrist erhoben werden müsste. 459
Nicht ausreichend wäre es weiter, wenn sich das Verfahren auf zwei (oder mehr) Streitgegenstände bezöge, mit der Berufung (innerhalb der Begründungsfrist) aber nur Fehler des Erstgerichtes gerügt würden, die sich auf einen Streitgegenstand beschränkten, der Berufungsantrag später jedoch um den anderen erweitert würde.351 349 Die Vorschriften des ersten Buches (§§ 1 – 252 ZPO) gelten ohnehin unmittelbar. Der Verweis aus § 525 ZPO ist demnach grundsätzlich entbehrlich. Er kann aber bei manchem Richter sinnvoll sein. 350 BGH v. 15.3.1956 – II ZB 19/55, BGHZ 20, 219 stellt fest, dass der Aufteilungsmangel nicht zur Unzulässigkeit, wohl aber – soweit er nicht behoben wird – zur Unbegründetheit führt. BGH, Urt. v. 1.7.1975 – VI ZR 251/74, NJW 1975, 2013 erklärt eine Berufung jedenfalls insoweit für zulässig, als klar ist, dass ein bestimmter Teil gewollt ist, mögen auch im übrigen die Anträge unklar sein. 351 OLG Zweibrücken v. 11.10.2005 – 5 U 10/05, OLGR Zweibrücken 2006, 154: Die beiden Haftungstatbestände wegen ärztlicher Behandlungsfehler und wegen Aufklärungsmängeln sind wesensverschieden und nicht austauschbar. Sie bilden unterschiedliche Streitgegenstände. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Streitgegenstand nur insoweit, als die erste Instanz über ihn entschieden hat und in zweiter Instanz eine Abänderung dieser Entscheidung
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Das lässt sich dann auch nicht mehr reparieren. Das OLG Koblenz ent- 460 schied, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht zur Ergänzung einer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist wirksam eingereichten, jedoch inhaltlich unzureichenden Berufungsbegründung gewährt werden. Dies gelte sowohl für den Fall, dass eine umfassende Anfechtung hinsichtlich eines abgrenzbaren Teils des Streitgegenstandes nicht zureichend begründet werde, als auch für den Fall, wenn eine zunächst beschränkte Anfechtung durch Nachschieben eines neuen, nicht bereits von der ursprünglichen Begründung erfassten Berufungsgrundes erweitert werden solle.352
2. Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO Eine Berufung kann erfolgreich nur führen, wer vorträgt, dass das ange- 461 griffene Urteil falsch ist. Nachdem jedes Urteil auf einer tatsächlichen Grundlage eine Rechtsbewertung vornimmt, kommt als Begründung für die Falschheit entweder ein Fehler in der Tatsachengrundlage oder ein Fehler in der Rechtsbewertung (Rechtsverletzung) in Betracht oder beides. Im Gesetz hat das in § 513 Abs. 1 ZPO seinen Niederschlag gefunden. Wie diese Fehler in das Berufungsverfahren eingeführt werden müssen, ist in § 520 ZPO geregelt. Was in § 513 Abs. 1 ZPO noch in aller Kürze beschrieben ist, wird in § 520 ZPO stark differenziert. Dabei werden z.T. anders lautende Begriffe mit gleicher Bedeutung verwandt.
462
Was in § 513 Abs. 1 ZPO als „Tatsache“ bezeichnet wird, taucht in § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO als (neues) „Angriffs- und Verteidigungsmittel“ auf, in § 529 Abs. 1 Nr. 2 wieder als (neue) „Tatsache“ und in § 531 Abs. 2 dann wieder als (neues) „Angriffs- und Verteidigungsmittel“. Bedeutung haben diese Differenzierungen aber nicht.353
463
beantragt ist. Bei mehreren prozessualen Ansprüchen ist deshalb eine Berufungsbegründung für jeden Anspruch nötig. Wendet sich der Kläger mit seiner Berufung allein gegen die Ausführungen der Zivilkammer betreffend die ärztliche Risikoaufklärung, sind sein erstinstanzlicher Vortrag hinsichtlich eines ärztlichen Behandlungsfehlers und die dahin gehenden Ausführungen der Zivilkammer in dem angefochtenen klageabweisenden Urteil einer Überprüfung durch das Berufungsgericht entzogen. 352 OLG Koblenz v. 28.12.2004 – 11 UF 825/03, OLGR Koblenz 2005, 870. 353 Der Angriff eines Klägers auf einen Beklagten liegt im Klageantrag. (Und umgekehrt in einem Widerklageantrag). Angriffsreduzierungen oder -erweiterungen werden im Wege von (Wider-)Klageänderungen durchgeführt. Die Verteidigung eines (Wider-)Beklagten liegt in den Anträgen auf Abweisung einer Klage oder auf Zurückweisung eines Rechtsmittels. Mittel für das eine wie das andere ist alles, was für (Angriff) oder gegen (Verteidigung) den (Wider-)Klageantrag vorgetragen wird, wesentlich also das Behaupten, Bestreiten und Beweisen von Tatsachen.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
464
Für die Zulässigkeit der Berufung genügt es, wenn einer der drei Fälle von Nr. 2 bis Nr. 4 als einschlägig bezeichnet wird – solange dies nur das gesamte Urteil im angefochtenen Umfang in Frage stellt (es schadet aber natürlich auch nicht, wenn man mehrere Fälle findet). Ob sich das als einschlägig Bezeichnete bei späterer Begründetheitsprüfung auch tatsächlich als einschlägig erweist, ist dabei nicht von Bedeutung.
465
Soweit ein (1) Grund in zulässiger Weise bezeichnet wurde, ist das Berufungsgericht im Übrigen in den von § 529 Abs. 2 gezogenen Grenzen frei, im Rahmen der Begründetheitsprüfung auch Weiteres zu prüfen.
466
Eine Begründung der Berufung wird aber nicht schon mit einem Schriftsatz bezweckt, wenn der Berufungskläger zwar einzelne Rügen erhebt, sich aber ausdrücklich die weitere Prüfung vorbehält, ob das Rechtsmittel überhaupt durchgeführt wird.354 a) Rechtsverletzung (Nr. 2)
467
Bezeichnet werden müssen die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Der Verweis in § 513 Abs. 1 auf § 546 ZPO klärt, dass Recht verletzt ist, wenn eine Norm entweder gar nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
468
Zu § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO stellte der VIII. Zivilsenat355 fest, dass der Berufungskläger diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen habe, die er als unzutreffend ansehe, und dazu die Gründe anzugeben habe, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Dieses Erfordernis begründe sich daraus, dass die Berufungsbegründung erkennen lassen solle, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig halte.
469
Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit sei somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsklägers in Frage stellten.
470
Besondere formale Anforderungen würden nicht gestellt. Es werde weitgehend an den bisherigen Rechtszustand angeknüpft, wobei die Anforderungen an die Darlegung der Rechtsverletzung und ihrer Entscheidungserheblichkeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 14/4722 S. 95) sogar noch etwas herabgesetzt worden seien.
354 BGH v. 14.3.2005 – II ZB 31/03, MDR 2005, 944. 355 BGH v. 21.5.2003 – VIII ZB 133/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 971.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Der III. Zivilsenat356 führt kurz danach zur selben Vorschrift aus, dass 471 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO nur wenig hinter den heutigen Voraussetzungen einer Revisionsbegründung nach § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a ZPO zurückbleibe, die dem Revisionskläger zusätzlich lediglich die „bestimmte“ Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt, abverlangte. Wie dort sei deshalb – insoweit in Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht – die auf den Streitfall zugeschnittene Darlegung notwendig, in welchen Punkten und aus welchen materiellrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig halte. Eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung setze nicht voraus, dass die inhaltlich als verletzt gerügten Normen konkret benannt seien oder dass die rechtlichen Angriffe eindeutig von der – nicht notwendigen, aber auch nicht schädlichen – Wiederholung des Sachverhalts abgesetzt würden. Der XII. Zivilsenat357 stellt unter Hinweis auf die nach altem Recht gel- 472 tenden Mindestanforderungen noch fest: Wurden nur Rechtsausführungen angegriffen, dann musste die eigene Rechtsansicht dargelegt werden. Es reichte nicht aus, die Auffassung des Erstrichters als falsch oder die Anwendung einer bestimmten Vorschrift als irrig zu rügen. Auch wenn der XII. Zivilsenat dazu nichts ausdrücklich sagt, dürfte sich daran nichts geändert haben.358 Der Fall der Nichtanwendung einer Norm (§ 546 ZPO) ist tendenziell ein- 473 facher zu beschreiben, denn man muss ja nur sagen, dass etwas hätte geschehen müssen. Es geht nur um die Entscheidung zwischen Ja und Nein. Bei falscher Anwendung dagegen sind diverse Zwischenstufen möglich.
474
Formulierungsvorschlag: (Einstieg, allgemein:) Das angefochtene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung i.S.d. §§ 513 Abs. 1, 546, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. (Einstieg, konkret:) Das Landgericht hat die Norm des § 144 BGB übersehen. (Darstellung der Umstände:) Das Landgericht hat den kaufvertraglichen Zahlungsanspruch des Klägers wegen einer vom Beklagten erklärten Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung verneint und die Klage deshalb abgewiesen. Es hat dabei übersehen, dass das Rechtsgeschäft zwischen den Parteien durch die vom Kläger nach Kenntnis vom Anfechtungsgrund durchgeführte Entgegennahme und Nutzung des Kaufgegenstandes bestätigt 356 BGH v. 26.6.2003 – III ZB 71/02, MDR 2002, 1246 = BGHReport 2003, 1031. 357 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 358 Er spricht nur davon, dass die Anforderungen nicht gestiegen sind. Ob es Auswirkungen der Formulierung in der Gesetzesbegründung („sogar noch etwas herabgesetzt“) gibt, ist nicht erkennbar.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
wurde. Die Anfechtung ist danach gemäß § 144 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. (Darstellung der Erheblichkeit:) Hätte das Landgericht danach den Rechtsstreit unter Berücksichtigung des § 144 Abs. 1 BGB und dem daraus folgenden Ausschluss einer Anfechtung entschieden, hätte es dem Klageanspruch stattgeben müssen. Andere Umstände, welche den Klageanspruch hätten zu Fall bringen können, gab es nicht. Der Rechtsstreit beruht demnach auf der fehlerhaften Nichtanwendung einer Rechtsnorm. b) Alte-Tatsachen-Fehler (Nr. 3) 475
Nr. 3 kümmert sich um Tatsachen, die – angeblich oder wirklich – bereits in der ersten Instanz Gegenstand des Verfahrens waren. Insoweit werden sie hier als alte Tatsachen benannt. Demgegenüber geht es bei § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO um neue Tatsachen. Der bei einer Falschbehandlung von in erster Instanz eingebrachten Tatsachen zu führende Vortrag ergibt sich aus (§ 513 Abs. 1 Var. 2 i.V.m.) § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO.
476
Bezeichnet werden müssen danach die konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel begründen an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil und die deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Darzulegen sind also (1) die vom Ausgangsgericht festgestellten Tatsachen (das ist das Parteivorbringen und die als wahr oder unwahr festgestellte Tatsachen in Urteil (Tatbestand und/oder Gründe) und Protokoll, ggf. nach vorrangiger Berichtigung des Tatbestandes); (2) die wirklichen Tatsachen (entspricht der Darlegung einer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Urteils); (3) die konkreten Anhaltspunkte, welche Zweifel begründen; (4) die Erheblichkeit der Abweichung. Das funktioniert aber nur, wenn das angefochtene Urteil überhaupt irgendwelche Tatsachenfeststellungen enthält. Wo diese getroffen wurden, ist dabei nicht so wichtig. Es kann sich um den Tatbestand handeln oder um die Entscheidungsgründe. Z.B. ist auch die Berücksichtigung einer nur in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils niedergelegten Datumsangabe als „festgestellte Tatsache“ i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach einer Entscheidung des OLG Bremen zulässig.359
359 OLG Bremen v. 20.10.2005 – 2 U 9/2005, OLGR Bremen 2006, 60.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
aa) Tatsachenfeststellung i.S.v. § 529 ZPO … Tatsachen werden im Zivilprozess aber zunächst einmal wegen der Dis- 477 positions- und Beibringungsmaxime von den Parteien vorgetragen und deshalb eigentlich gar nicht (vom Gericht als Eigenes) festgestellt, sondern lediglich (als Fremdes) dargestellt (§ 313 Abs. 2 ZPO). Andererseits wählt das Gericht nach § 313 Abs. 2 ZPO die Art seiner (knappen) Darstellung nach dem wesentlichen Inhalt des Parteivortrages aus. Insoweit lässt sich beim Urteil auch von einer Feststellung (des wesentlichen Inhaltes) von Tatsachen sprechen. Liest man nun aus dem Revisionsrecht § 559 ZPO, der das Parallelstück 478 zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Berufungsrecht bildet, findet sich Beachtliches. Während nämlich § 559 Abs. 1 ZPO das Parteivorbringen (wie es sich aus Berufungsurteil oder Sitzungsprotokoll ergibt) erwähnt und § 559 Abs. 2 ZPO die vom Berufungsgericht getroffene Feststellung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung, spricht § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur von festgestellten Tatsachen. Die Feststellung über (Un-)Wahrheiten kann nach der Kommentierung 479 auf Nichtbestreiten (§ 138 Abs. 3 ZPO), freier Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO), Geständnis (§ 288 ZPO), Offenkundigkeit (§ 291 ZPO), gesetzlicher Vermutung (§ 292 ZPO), auf Auslegungsregeln beruhen.360 Die Feststellung muss eindeutig, darf nicht widersprüchlich sein.361 Wie auch immer: Die Feststellung in diesem Sinne ist ersichtlich etwas anderes als das schlichte Parteivorbringen (und dessen Darlegung). Wenn nun § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (und damit auch § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 480 ZPO) mit dem Begriff der Feststellung dasselbe meinte wie § 559 Abs. 2 ZPO, dann müsste man den Schluss ziehen, dass es im Berufungsverfahren nur um Feststellungen von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung ginge, während es im Revisionsverfahren darüber hinaus auch noch auf das Parteivorbringen ankäme. bb) … ist nicht nur Tatsachenfeststellung i.S.v. § 559 Abs. 2 ZPO Dass dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Zum einen wäre nicht einsichtig, dass das Revisionsgericht als im Instanzenzug späteres Gericht mehr Tatsachen berücksichtigen könnte als das im Instanzenzug frühere Berufungsgericht.
360 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 559 Rz. 11; Reichold in Thomas/Putzo, 25. Aufl., § 559 Rz. 15; noch mehr Beispiele bei Wenzel in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 559 Rz. 8. 361 Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 559 Rz. 11; Reichold in Thomas/Putzo, 25. Aufl., § 559 Rz. 17.
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481
Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil führt eine Beweisaufnahme durch und stellt die Wahrheit einer Behauptung des Klägers fest. Im Tatbestand des Urteils wird für das Parteivorbringen nach einigen dürren Sätzen auf diverse, mit Blattzahlen gekennzeichnete Schriftsätze verwiesen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Das Berufungsgericht dürfte dann für seine Entscheidung nur das Ergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigen. Es müsste in seinem Urteil die tatsächlichen Feststellungen der ersten Instanz in Bezug nehmen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), im Übrigen kann es eine Pauschalverweisung auf die (in der Berufungsinstanz) gewechselten Schriftsätze vornehmen.362 Selbst ohne eine solche Verweisung nimmt die (Revisions-)Rechtsprechung an, dass durch die Stellung der Anträge und das anschließende Verhandeln der gesamte bis zum Termin angefallene Akteninhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Berufung gewesen ist.363 Nach der Rechtsprechung364 reicht das, um zum Parteivorbringen zu werden, es wird aber von der Literatur365 eine konkretere Bezugnahme gefordert.366 Das Revisionsgericht müsste sich anschließend wieder auch mit dem entsprechenden Parteivorbringen auseinandersetzen. 482
Zum zweiten wäre auch nicht nachvollziehbar, warum das zweitinstanzliche Gericht von weniger Tatsachen ausgehen müsste als das erstinstanzliche in Tatbestand und Gründen zugrunde gelegt hat. Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil führt eine Beweisaufnahme durch und stellt die Wahrheit einer Behauptung des Klägers fest. Es entscheidet aufgrund der Feststellungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und aufgrund des übrigen Parteivorbringens. Das Berufungsgericht dürfte für seine Entscheidung nur das Ergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigen.
483
Zum dritten könnte das Berufungsgericht überhaupt keine Tatsachen mehr berücksichtigen, wenn die erste Instanz einfach keine Wahrheiten oder Unwahrheiten festgestellt, sondern schlicht anhand des Parteivorbringens entschieden hätte. Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil verurteilt den Beklagten ohne Beweisaufnahme. Es entscheidet aufgrund des Parteivorbringens, nach dem es z.B. „jedenfalls“ die Verjährung eines Anspruchs annimmt, ohne dass es sich um die zwischen den Parteien 362 Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 540 Rz. 10. 363 BGH v. 16.6.1992 – XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148 (Leits. 3) (2149). 364 In diesem Sinne BGH v. 9.2.1990 – V ZR 149/88, NJW 1990, 2755: „Vorbringen unterliegt revisionsrechtlicher Beurteilung, da der Tatbestand des Berufungsurteils auf die Schriftsätze Bezug nimmt (…)“. 365 So Wenzel in MünchKomm.ZPO, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 559 Rz. 3. 366 Es versteht sich, dass vorsorglich immer auf konkrete Schriftsätze Bezug zu nehmen und dafür Sorge zu tragen ist, dass das im Protokoll auch so vermerkt wird.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO streitige und unter Beweis gestellte Tatsache der Anspruchsbegründung kümmert,367 auf welche es aber im Tatbestand durch Schriftsatzverweis Bezug genommen hat.
Das Berufungsgericht hätte, wenn es keine Verjährung annimmt, für seine Entscheidung keine festgestellten Tatsachen, die es berücksichtigen könnte. cc) … sondern auch Parteivorbringen i.S.v. § 559 Abs. 1 ZPO Daraus folgt, dass mit den festgestellten Tatsachen i.S.v. § 529 Abs. 1 484 Nr. 1 ZPO auch das Parteivorbringen gemeint ist, einerlei ob streitig oder unstreitig. Das lädt aber zugleich zu dem Missverständnis ein, dass das Berufungs- 485 gericht auch alles, was die Parteien im Laufe der ersten Instanz in irgendwelchen Schriftsätzen dem Gericht zur Kenntnis gebracht haben, berücksichtigen muss. Dem ist natürlich nicht so. Nicht nur bei § 559 Abs. 1 ZPO, sondern auch im Berufungsrecht muss es sich um ein Parteivorbringen handeln, das sich entweder aus dem Urteil (Tatbestand oder Entscheidungsgründe) oder aus dem Sitzungsprotokoll ersehen lässt. Nur dieses Parteivorbringen (und die im technischen Sinne festgestellten Tatsachen) lassen sich anschließend daraufhin prüfen, ob sie vom erstinstanzlichen Gericht unrichtig oder unvollständig festgestellt wurden. Das wird aber inzwischen nicht mehr einheitlich beurteilt.368 dd) Unrichtigkeit … Unrichtig ist eine Feststellung, wenn zugrunde gelegte Tatsachen nicht 486 von den Parteien vorgetragen wurden, wenn unstreitige Tatsachen als streitig oder streitige Tatsachen als unstreitig behandelt wurden, wenn eine Beweiswürdigung unter Verstoß gegen die dafür geltenden Grundsätze (§ 286 ZPO) erfolgte. ee) … und Unvollständigkeit … Unvollständig ist eine Feststellung, wenn Vorbringen der Partei(en) über- 487 gangen wird, offenkundige Tatsachen nicht berücksichtigt, vorgetragene Tatsachen zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen, angebotene Beweise nicht erhoben oder gebotene Schätzungen (§ 287 ZPO) nicht durchgeführt werden.
367 Standardbeispiel z.B. bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 850. 368 Vgl. dazu ausführlich unten ab Rz. 498.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
ff) … folgen regelmäßig aus Verfahrensfehlern 488
Soweit damit Unrichtigkeit und Unvollständigkeit auf Verfahrensfehlern beruhen, könnte man auch an den Berufungsgrund der (Verfahrens-) Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1 Var. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO) denken.
489
Wenn man die Fehlertypen möglichst scharf voneinander trennen will, kann man dies gut anhand ihrer Auswirkungen machen.
• Ist das rechtliche Ergebnis eines Urteils (nur) deshalb objektiv falsch, weil das Gericht von falscher Tatsachenbasis ausging, ist es aber – unter Annahme eben dieser Tatsachen – in sich „richtig“, und hält man dafür, dass das Gericht bei richtiger Tatsachenbasis auch zu einem rechtlich objektiv richtigem Urteil käme, liegt der Schwerpunkt im Tatsachenfehlerbereich. Man kann hier auch sagen, dass die Verfahrens-Rechtsverletzung dem Tatsachenfehler nur voraus ging und deshalb dieser Tatsachenfehler das anzugreifende Endprodukt darstellt.
• Ist dagegen das rechtliche Ergebnis eines Urteils (auch) deshalb objektiv falsch, weil das Gericht – einerlei, ob auf zutreffender oder unzutreffender Tatsachenbasis – das Recht fehlerhaft angewandt hat, liegt der Schwerpunkt im Rechtsfehlerbereich. Man kann hier auch sagen, dass eine Verfahrens-Rechtsverletzung dem Tatsachenfehler nicht nur vorausging, sondern eine weitere Rechtsverletzung ihm auch folgte und deshalb diese Rechtsverletzung das anzugreifende Endprodukt darstellt. gg) Auswahl für das Berufungsgericht 490
Liegt also eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung vor, steht dem Anwalt dem Grunde nach sowohl die Rüge nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, wie auch die nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO offen. Und wenn man als Anwalt zwei Möglichkeiten hat, etwas anzugreifen, dann sollte man auch beide nutzen. Natürlich kann das Berufungsgericht auch von sich aus eine Rüge nach Nr. 2 dazu nutzen, einen Grund nach Nr. 3 zu prüfen und umgekehrt. Aber es ist sicher nie schädlich, einem Gericht die der eigenen Berufung günstigen Optionen möglichst weitgehend aufbereitet zur Auswahl zu stellen. hh) Konkrete Anhaltspunkte …
491
An irgendetwas muss man nun die behauptete Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Feststellungen anknüpfen. Dieses Irgendetwas müssen nach dem Gesetz konkrete Anhaltspunkte sein. Konkret ist nur das, was auf den Einzelfall bezogen ist. Es reicht demnach nicht aus, abstrakt, theoretisch oder pauschal zu argumentieren. 126
Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO Beispiel: Das erstinstanzliche Urteil stellt im Rahmen einer Verkehrsunfallsache zugunsten des Beklagten eine Sichtbehinderung wegen Nebels fest. Hier genügt es nicht, allgemein etwas zum Thema Nebel oder zum Thema Sichtbehinderung vorzutragen. Die Ausführungen müssen sich auf die konkreten Nebelverhältnisse, auf die Sichtmöglichkeiten dieses Beklagten, an der Stelle, an welcher er sich befand, beziehen.
Anhaltspunkte sind weniger als ein kompletter Nachweis der Unrichtig- 492 keit oder Unvollständigkeit. Sie liegen bereits dann vor, wenn es äußere (tatsächliche, rechtliche oder logische) Umstände gibt, die bei objektiver Bewertung geeignet sind, die Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachengrundlage in Frage zu stellen. Das muss man im Zusammenhang mit den Zweifeln sehen. ii) … führen zu Zweifeln Zweifel ist ein Wort aus dem mittelhoch- und dem althochdeutschen Sprachgebrauch. Es besteht aus den Teilen „Zwei“ und „Falten“369 und bedeutet ursprünglich, dass es im Hinblick auf einen Gegenstand zwei Möglichkeiten einer (bewertenden) Behandlung gibt.
493
Im Zusammenhang mit §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bedeutet dies, dass Zweifel vorliegen, wenn die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen richtig oder unrichtig, vollständig oder unvollständig sein können. Die Möglichkeit, dass es das eine oder das andere sein kann, reicht, um Zweifel anzunehmen. jj) Beispiele Ist im Tatbestand festgestelltes Vorbringen in den Gründen übergangen worden, beruht das Urteil auf einem unvollständigen Sachverhalt.
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Das gilt auch für widersprüchliche Feststellungen im angefochtenen Ur- 495 teil: Ist Vortrag der Parteien im Tatbestand als streitig dargestellt, wird er aber in den Entscheidungsgründen als unstreitig behandelt, gebietet das eine erneute Feststellung. Hat das Gericht den Vortrag einer Partei nicht oder nicht richtig oder nicht vollständig zur Kenntnis genommen, sind die konkreten Anhaltspunkte am Verfahrensablauf festzumachen.
496
Das gilt auch, wenn Beweise nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erhoben oder gewürdigt wurden.
497
369 Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Gleichbedeutend mit zweifaltig, ist zwiefältig und damit auch zwiefach, also letztlich: zweifach.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
kk) Das Zusammenspiel von nicht berücksichtigtem Schriftsatzvortrag und Tatbestand 498
Eine Unvollständigkeit kann sich aber nicht daraus ergeben, dass die festgestellten Tatsachen vom Inhalt der erstinstanzlichen Schriftsätze abweichen. Nur der Tatbestand eines Urteils liefert Beweis für das mündliche Parteivorbringen, § 314 S. 1 ZPO. Und dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden, § 314 S. 2 ZPO. Der Tatbestand beweist demnach, dass die Parteien etwas mündlich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses vorgetragen haben. Er beweist aber auch, dass die Parteien etwas nicht vorgetragen haben. Als Schlagwort dient hier stets die negative Beweiskraft des Tatbestandes.
499
Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht aber durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden. Vorher eingereichte Schriftsätze sind durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung Beweis erbringt, überholt. Dabei sollte man bedenken, dass die Einreichung eines Schriftsatzes noch keinen Vortrag darstellt, sondern nur dessen Ankündigung. Zum Vortrag wird der Inhalt erst in der mündlichen Verhandlung, dort in der Regel durch Bezugnahme (§ 137 Abs. 3 S. 1 ZPO).370
500
Bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des Parteivorbringens im Urteilstatbestand sind jedenfalls die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich.371
501
Die Beweiskraft des Tatbestandes kann nur dann entfallen, wenn er in sich widersprüchlich ist, was auch dann der Fall sein kann, wenn es einen Widerspruch zwischen dem Tatbestand und den in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen gibt (dazu bereits gerade).
502
Enthält das Sitzungsprotokoll über den strittigen Punkt überhaupt nichts, dann liegt kein Widerspruch vor und der Tatbestand ist nicht entkräftet.
503
Wenn man etwas gegen die Richtigkeit des Tatbestandes einzuwenden hat, dann muss man es im Verfahren nach § 320 ZPO tun.372 Hierfür gibt 370 Anderes gilt natürlich, wenn es gar keine mündliche Verhandlung gibt, namentlich in den Fällen der Säumnis nach § 276 Abs. 1 und 2 ZPO mit der Folge des § 331 Abs. 3 ZPO. 371 BGH v. 2.2.1999 – VI ZR 25/98, MDR 1999, 545 = BGHZ 140, 335 (339). 372 Das KG v. 9.9.2003 – 7 U 213/03, KGR Berlin 2004, 220 formuliert das so: Gemäß § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO sind in der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte dafür vorzutragen, warum die Feststellungen des Erstgerichts unrichtig sind, um zu einer Neufeststellung zu kommen. Ausschlaggebend dafür ist der Tatbestand des angefochtenen Urteils, an den das Berufungsgericht gebunden ist. Fehler bei der Sachverhaltsdarstellung müssen zunächst mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag korrigiert werden. Dass bestimm-
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
es allerdings nur die kurze Frist von zwei Wochen gemäß § 320 Abs. 2 ZPO. Der Berufungsbeteiligte muss also vor der Berufung dafür sorgen, dass er 504 sich auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils stützen kann. Das kann er aber nur mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag erreichen. Insoweit ist § 320 ZPO eine der Regelung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgehende Spezialregelung.373 Über diese Grundsätze herrschte bislang Konsens.374
505
Nun aber hat der V. Zivilsenat anders entschieden. In einem obiter dictum, das (gleichwohl) als Leitsatz formuliert wurde, heißt es: Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative Beweiskraft zu.375 Erläutert wird dies damit, dass mit der Antragstellung und der mündli- 506 chen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden sei und sich der Prozessstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten ergebe. Eine Begründung hierfür enthält die Entscheidung nicht, nur einen Verweis auf eine Entscheidung des IV. Zivilsenates.376 Dort stellte sich die Sache aber ganz anders dar. Die Entscheidung des IV. 507 Zivilsenates verzichtete nämlich zum einen auf die entscheidende Wendung „im Zweifel“ und behandelte zum anderen den Fall, dass im dortigen Tatbestand „auf die in erster wie in zweiter Instanz gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen“ wurde. Wörtlich heißt es dann dort: „Jedenfalls über diese Bezugnahme ist das Klägervorbringen zu dem gem. § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigenden Inhalt der Verhandlung geworden.“ Gleichwohl bedurfte es im konkreten Fall des V. Zivilsenates weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage war für die Entscheidung des konkreten Falles nicht entscheidungserheblich.
373 374 375 376
te Angriffs- und Verteidigungsmittel übergangen worden sind, kann nur durch das Sitzungsprotokoll oder den Tatbestand des angefochtenen Urteils nachgewiesen werden (vgl. § 559 Abs. 1 ZPO). Burgermeister, ProzRB 2003, 212. BGH v. 25.5.1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463; BGH v. 27.5.1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; BGH v. 3.11.1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, (886); BGH v. 16.5.1990, IV ZR 64/89, MDR 1991, 36. BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 244 (Braunschneider). Konkret auf BGH v. 28.11.2001 – IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
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Am Rande sei bemerkt, dass es angesichts dessen befremdet, wenn ein Mitglied eben dieses V. Zivilsenates in einem Aufsatzbeitrag377 die nunmehr angeblich grundsätzliche Nutzbarkeit allen Schriftsatzvortrages als Tatsache i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als durch den BGH abgeklärt bezeichnet („Der BGH hat die […] Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft des Urteilstatbestandes nunmehr auch ausdrücklich aufgegeben.“378), ohne deutlich zu machen, dass es sich zunächst mal nur um ein obiter dictum dieses einen Zivilsenates handelt, dem er angehört. ll) Untauglicher Rettungsversuch
510
Was im Übrigen nicht funktioniert, ist der Versuch, die Berufung noch damit zu retten, dass man vom Tatsachenfehler auf den Rechtsfehler ausweicht.379 Dass Tatsachenfehler in aller Regel mit verfahrensrechtlichen Fehlern einhergehen (aus ihnen folgen), wurde oben bereits dargestellt. Die Begründung wäre dann sinngemäß, dass das Gericht schriftsätzliches Vorbringen rechtsfehlerhaft (z.B. entgegen § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO) nicht berücksichtigt habe.
511
Aber ob überhaupt ein Verfahrens-Rechtsfehler vorliegt, muss ebenfalls anhand des Tatbestandes, der Gründe und des Protokolls beurteilt werden. Und wenn dort nichts von der mit der Berufung als übergangen behaupteten Bezugnahme zu lesen ist, dann hat es auch keine gegeben. Und dann liegt natürlich auch kein Rechtsfehler vor. mm) Formulierungsvorschlag
512
Man könnte nun wieder mit der Darstellung des Berufungsgrundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO ziemlich locker umgehen, weil die Zulässigkeitshürden nicht sonderlich hoch sind. Wie aber dort ebenfalls schon festgestellt wurde, hilft das letztlich nicht weiter, denn es besteht immer das Risiko, über § 522 Abs. 2 ZPO zu verlieren. Die folgenden Formulierungsvorschläge gehen deshalb so gründlich in die Tiefe, wie es dem Problem angemessen ist. Es spricht für die Praxis im Übrigen nichts dagegen, die folgend in Klammern gesetzten Hinweise
377 Gaier, NJW 2004, 2041 ff. – Gaier ist inzwischen (am 15.10.2004) zum Richter in den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt worden. Er hat damit die Nachfolge von Renate Jaeger angetreten, die zum 1.11.2004 zur Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte berufen worden war. 378 Gaier, NJW 2004, 2041 (2044). 379 So aber OLG Saarbrücken v. 18.2.2003 – 1 U 635/02-155, OLGR Saarbrücken 2003, 142 = ProzRB 2003, 211 (mit Anm. Burgermeister): „Eine Korrektur der Tatsachengrundlage bei rechtsfehlerhafter Erfassung durch das Erstgericht ist dem Berufungsgericht schon nach § 513 ZPO erlaubt“.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
(ab der Tatsachenfeststellung) in bereinigter Formulierung als Überschriften zu verwenden.
513
Formulierungsvorschlag: (Einstieg, allgemein:) Das angefochtene Urteil ist abzuändern, weil nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, §§ 513 Abs. 1 Var. 2, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. (Einstieg, konkret:) Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen sind unvollständig. Eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht ist geboten. (Darlegung der Tatsachenfeststellung:) Das Landgericht hat zu der zwischen den Parteien streitigen Frage des Vertragsschlusses nur den vom Kläger benannten Zeugen A, nicht aber die vom Beklagten nach § 373 ZPO zum gleichen Thema benannte Zeugin B vernommen. Es hat nach der Würdigung der Aussage des Zeugen A festgestellt, dass die Klägerbehauptung über das Zustandekommen eines Kaufvertrages der Wahrheit entsprach. (Darlegung des Fehlertyps Unvollständigkeit:) Die Beweiserhebung und damit die Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit von entscheidungserheblichen tatsächlichen Behauptungen waren damit unvollständig.380 (Darlegung der wirklichen Tatsachen:) Tatsächlich hatte der Beklagte sich noch nicht vertraglich binden wollen und dies auch genau so geäußert. Dies hätte die Zeugin B, wie mit dem Beweisangebot dargelegt,381 bekundet.382 (Darlegung der konkreten Anhaltspunkte für Unvollständigkeit:) Im angefochtenen Urteil heißt es dazu,383 dies beruhe darauf, dass es sich bei der Zeugin B um die Ehefrau des Beklagten handele. Dieser könne auch dann nicht geglaubt werden, wenn sie den Vortrag des Beklagten bestätigte. Das Landgericht hat damit eine antizipierte Beweiswürdigung vorgenommen, welche unzulässig ist.384 380 Unvollständigkeit liegt vor, wenn angebotene Beweise nicht erhoben wurden. Demgegenüber wäre die fehlerhafte Würdigung (vollständig) erhobener Beweise ein Fall der Unrichtigkeit. Denkbar ist natürlich auch eine fehlerhafte Würdigung unvollständiger Beweise. Dann läge beides vor. 381 Die Darlegung und das Beweisangebot sind bis hierhin nur eine Behauptung. Dass beides in einem Schriftsatz auftauchte, reicht nicht (s.o.). 382 Natürlich weiß niemand, was die Zeugin tatsächlich bekundet hätte. Die Möglichkeit, dass sie es gesagt hätte, ist aber ausreichend. 383 Wenn Darlegung und Beweisangebot als Faktum im Urteil selbst auftauchen, ergeben sich die konkreten Anhaltspunkte für die Unvollständigkeit schon aus eben diesem Urteil 384 Für „normale“ Verfahren wohl unstrittig, vgl. E. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Rz. 151–174. Besonderheiten bei PKH und Indizienbeweis (sekundär tatsächliche Umstände sollen das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmales vermitteln).
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
(Darlegung der Zweifel:) Hätte das Landgericht die unzulässige Beweisantizipation unterlassen, den angebotenen Beweis erhoben und fachgerecht gewürdigt, hätte jedenfalls die Möglichkeit eines anderen, vollständigeren Beweisergebnisses bestanden. Insoweit begründen die konkreten Anhaltspunkte auch Zweifel an der Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung. (Darstellung der Erheblichkeit des Fehlers:) Hätte das Landgericht den Rechtsstreit unter Berücksichtigung dieser Aussage, ggf. auch unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung entschieden, hätte es die Klage abweisen müssen. Die Entstehung eines Anspruchs ist von dem zu beweisen, der sich auf diesen Anspruch beruft. Soweit die Beweismittel den Vortrag des Beklagten bestätigen, ist die Entstehung nicht bewiesen. Aber auch, wenn die Beweisaufnahme weder zugunsten der einen noch der anderen Seite zu bewerten wäre, läge ein Fall des non liquet vor, der hier zum Nachteil des Anspruchstellers gereichen würde. Der Rechtsstreit beruht demnach auch auf der fehlerhaften Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. nn) Konsequenzen 514
Was aus all dem deutlich wird: In der ersten Instanz wird die Grundlage für eine erfolgreiche Berufung gelegt. Dabei muss man sich vorrangig an die triviale Erkenntnis halten, dass auch wirklich alle Tatsachen, welche im Verfahren eine Rolle spielen, in die erste Instanz eingeführt werden. Die entsprechenden Schriftsätze sind aber offensichtlich nur die halbe Miete. Man muss auch dafür sorgen, dass die Schriftsätze zum Parteivortrag werden. Dazu muss man wissen, wie das geht.
515
Û
Praxistipp: Als sichersten Weg kann man folgendes Vorgehen wählen: 1. Für den Termin zur mündlichen Verhandlung wird die Akte daraufhin durchgesehen, welche Schriftsätze relevante Tatsachen enthalten, die ins Urteil müssen. Die Daten dieser Schriftsätze werden notiert, ab einer bestimmten Menge tunlich zweifach (s. auch 5.). 2. Im Termin zur mündlichen Verhandlung achtet man darauf, dass im Protokoll der Satz vermerkt wird: „(Kläger/Beklagten-)Vertreter bezieht sich zur Begründung seines Vorbringens namentlich auch385 auf die Schriftsätze vom … (es folgen die Daten der Schriftsätze)“. Man kann dem Gericht dies schmackhaft machen, indem man es einmal auf § 314 S. 2 ZPO hinweist, zum zweiten anmerkt,
385 Die Formulierung „namentlich auch“ ist wichtig. Durch das „namentlich“ erfolgt eine Konkretisierung, welche sich aber durch das „auch“ nicht auf die genannten Schriftsätze beschränkt. In gewisser Weise hat man damit – zusätzlich! – noch eine (ja gelegentlich als unwirksam angesehene) Pauschalverweisung.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
man wolle allen Beteiligten die Arbeit nach § 320 ZPO ersparen, zum dritten die Notiz mit den notierten Daten überreicht, welche das Gericht dann einfach abdiktieren kann. 3. Wenn man etwas mehr Druck aufbauen möchte, kann man darauf hinweisen, dass man schon wegen § 559 Abs. 1 ZPO analog so vorgehen müsse. Es ist nicht wirklich damit zu rechnen, dass ein erstinstanzliches Gericht weiß, was das bedeuten soll, aber der Wortlaut der Vorschrift „Vorbringen (…) aus (…) dem Sitzungsprotokoll ersichtlich“ ist schon mächtig. 4. Nutzt das alles nichts, muss man einen Antrag nach § 160 Abs. 4 S. 1 ZPO stellen, der „die Aufnahme der Bezugnahme zur Begründung meines Vorbringens namentlich auch auf die Schriftsätze vom … (es folgen die Daten der Schriftsätze) in das Protokoll“ umfasst. Den kann das Gericht dann zwar durch Beschluss ablehnen, dieser Ablehnungsbeschluss aber, der den Inhalt des Antrages wiedergeben muss, kommt dann wieder ins Protokoll. 5. Es empfiehlt sich, bei der Vorbereitung (oben Nr. 1) vorsorglich schon einen Protokollergänzungsantrag vorzubereiten. Es macht ja letztlich keinen Unterschied, ob die Daten der wichtigen Schriftsätze nur auf einen Notizzettel geschrieben oder auch gleich in einen Antrag hineinkopiert werden. Wer mag, kann auch einen Blankoantrag vorbereiten, der dann nur um das Aktenzeichen, den Spruchkörper und die Daten ergänzt wird. c) Neue-Tatsachen-Fehler (Nr. 4) Ob ein Mittel neu ist oder in erster Instanz schon eingeführt war, be- 516 stimmt sich alleine nach dem, was das Gericht erster Instanz an Tatsachen festgestellt hat. Festgestellt wurden Tatsachen immer dann, wenn sie Eingang in das erstinstanzliche Urteil gefunden haben, einerlei, ob dort im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen. Es spielt auch keine Rolle, ob die Feststellung ausdrücklich oder durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze erfolgt. Wegen § 314 ZPO lässt sich zur Not auch aus dem Protokoll noch ableiten, ob etwas in erster Instanz vorgetragen wurde. Neu ist natürlich unproblematisch all das, was überhaupt erst nach der 517 letzten mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz entstanden ist.386 Beispiel: Der Beklagte findet nach der Entwicklung seiner Urlaubsphotos unter den Photos auch solche, welche ein angeblich zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ihn beschädigtes Kfz zu eben diesem Zeitpunkt als unbeschädigt zeigen.
386 Sog. „echte Noven“ oder auch „nova producta“. Alle, die vorher entstanden sind, nennt man demgemäß „unechte Noven“ oder auch „nova reperta“.
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Neu ist aber auch, was im Laufe der ersten Instanz nicht wirksam vorgebracht wurde oder aber zwar zunächst wirksam vorgebracht, aber vor Schluss der ersten Instanz wieder fallen gelassen wurde. Beispiel: Der Kläger hat erstinstanzlich drei Zeugen für den Ablauf eines Verkehrsunfalls benannt. Im Laufe der Beweisaufnahme erklärt er nach der Vernehmung von zwei Zeugen im Vertrauen auf Andeutungen des Gerichts, er verzichte auf den dritten Zeugen.
Zweitinstanzlich benennt der Kläger diesen Zeugen (erneut). 519
Neu sind auch Tatsachenvorträge und Beweisantritte, die in erster Instanz zwar schon einmal gebracht wurden, sich dort aber auf andere Behauptungen bezogen. Beispiel: Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, ein Zeuge habe die wochenlangen Vertragsverhandlungen mitbekommen und dabei zur Kenntnis genommen, dass (Behauptung alt:) sich der Kläger noch gar nicht habe binden wollen.
Der Kläger trägt zweitinstanzlich vor, dieser Zeuge habe die wochenlangen Vertragsverhandlungen mitbekommen und dabei zur Kenntnis genommen, dass (Behauptung neu:) der Kläger jedenfalls noch im Laufe dieser Zeit eine Anfechtungserklärung ausgesprochen habe. 520
Neu ist zuletzt auch das, was zwar an sich erstinstanzlich vorgetragen wurde, vom Gericht aber entweder gar nicht in das Protokoll, in den Tatbestand oder in die Entscheidungsgründe des Urteils aufgenommen wurde oder aber falsch. Beispiel: Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, ein Gewährleistungsanspruch sei verjährt.387 Hierüber wurde auch in der mündlichen Verhandlung gesprochen. Es wurde aber weder protokolliert, noch findet sich an irgendeiner Stelle ein Hinweis im Urteil. Einen Verweis nach § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO enthält das Urteil nicht.
387 Dass es auch im neuen Recht riskant ist, eine solche Einrede für die Berufung „aufzusparen“, kann man bei E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 793, nachlesen. Vgl. hierzu auch zunächst OLG Düsseldorf v. 26.2.2004 – I-10 U 103/03: „Versäumt der Mieter sich bereits erstinstanzlich auf die Verjährung zu berufen, ist die erstmals in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO präkludiert.“ Und dann BGH v. 21.12.2005 – X ZR 165/04, BGHReport 2006, 599: „Hat sich der Schuldner nicht bereits außergerichtlich auf Verjährung berufen, muss dem Umstand, dass bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Verjährung eingetreten ist, grundsätzlich durch Erhebung der Einrede in dieser Instanz Rechnung getragen werden. Mit der erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Verjährungseinrede ist der Beklagte ausgeschlossen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO vorliegen (Abgrenzung zu BGHZ 161, 138).“
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
Was diese Konstellation so problematisch macht, ist das Zusammenspiel der einfachen Fahrlässigkeit des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO mit der hier nicht nur möglichen, sondern zwingend gebotenen Tatbestandskorrektur nach § 320 ZPO (dazu unten mehr). Der Vortrag, der zu führen ist, wenn erst in zweiter Instanz eingebrachte 521 Tatsachen das Urteil falsch werden lassen, ergibt sich aus (§ 513 Abs. 1 Var. 2 i.V.m.) § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO. Bezeichnet werden müssen danach aus der Sicht des Berufungsführers 522 zum ersten die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, sowie zum zweiten die Tatsachen, aufgrund derer diese neuen Mittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind.388 – Es bedarf also einer gesonderten Zulassung neuer Mittel (= Tatsachen) und diese ist nur in den drei Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO möglich. Darzulegen sind folglich (1) die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel bzw. die neuen Tatsachen; (2) die Tatsachen, aufgrund derer dieses Neue zuzulassen ist (= Darlegung eines Falles aus § 531 Abs. 2); (3) Erheblichkeit des Neuen, sowie (a) § 531 Abs. 2 Nr. 1 – ein Gesichtspunkt der vom erstinstanzlichen Gericht (erkennbar) übersehen wurde, und/oder – ein Gesichtspunkt, der vom erstinstanzlichen Gericht gesehen, aber für unerheblich gehalten wurde; – eine Verbindung zwischen dem Neuen und dem Gesichtspunkt („betreffen“); – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Beeinflussung des Sachvortrages der Partei und damit Mitursächlichkeit für die Verlagerung des Parteivorbringens in das Berufungsverfahren.389 (b) § 531 Abs. 2 Nr. 2 – ein Verfahrensmangel im ersten Rechtszug und – eine Verbindung zwischen der erstinstanzlichen Nichtgeltendmachung des nun Neuen und dem Verfahrensmangel („infolge“)
388 § 529 Abs. 1 Nr. 2 formuliert dies für die Sicht des Berufungsgerichtes als „neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist“. 389 BGH v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, MDR 2004, 678; hierzu noch einmal Rz. 623.
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(c) § 531 Abs. 2 Nr. 3 – fehlende Nachlässigkeit bezüglich der erstinstanzlichen Nichtgeltendmachung des nun Neuen. 523
Û
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Es bedarf also einer gesonderten Zulassung neuer Mittel (= Tatsachen) und diese ist nur in den drei Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO möglich.
Praxistipp: Gerade das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal bietet beachtliche Haftungsrisiken. Mangels ordnungsgemäßer Darlegung kann es hier dazu kommen, dass das Berufungsgericht die Berufung schon nach § 522 Abs. 1 ZPO verwirft. Nachgeschobene Begründungsteile sind dann in aller Regel verfristet.
d) Allgemeine Anforderungen 525
Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig ist. Formularmäßige Sätze und allgemeine Redewendungen genügen nicht.390
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Weder die Schlüssigkeit noch auch nur die Vertretbarkeit der Begründung sind Zulässigkeitsvoraussetzungen.391 Dass die Ausführungen in der sonst formell ordnungsgemäßen Berufungsbegründung tatsächlich oder rechtlich neben der Sache liegen, macht die Berufung nicht unzulässig.
527
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen (Beweisangebote) übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.392
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Hat der Berufungskläger seinen Sachvortrag in der Berufungsinstanz nicht beschränkt, so sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in den Tatbestand des angefochtenen Urteils eingegangen sind, durch die auch stillschweigend mögliche Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil vorgetragen; ihre ausdrückliche Wiederholung ist entbehrlich.393
Praxistipp: Auch wenn es nicht erforderlich ist: Die genaue Benennung von erstinstanzlich angebotenen Beweismitteln unter Angabe der jeweiligen Fundorte in den Akten prüft die eigene Begründung.
390 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 391 BGH v. 21.5.2003 – VIII ZB 133/02, MDR 2003, 1130 = BGHReport 2003, 971; BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968; BGH v. 26.6.2003 – III ZB 71/02, MDR 2003, 1246 = BGHReport 2003, 1031. 392 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 393 BGH v. 25.11.2003 – X ZR 159/00, MDR 2004, 829.
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Bezeichnung mindestens eines Grundes nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 oder 4 ZPO
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Praxistipp: Auch hier gilt, dass es keine Sicherheit gibt, dass das Berufungsgericht alles findet, was in den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils eingegangen ist. Gerade angesichts der Segnungen moderner Textverarbeitung ist es ein sicherer Weg, die relevanten Angriffs- und Verteidigungsmittel noch einmal darzulegen.
530
Im Kontext aller drei Berufungsgründe stellte der XII. Zivilsenat fest, dass 531 § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO gegenüber § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsgründe konkretisierten, was der verstärkten Funktionsdifferenzierung zwischen erster und zweiter Instanz Rechnung trage. Die Ausrichtung der Begründung am jeweiligen Berufungsangriff bedeute aber keine qualitative Erhöhung, sondern lediglich eine Präzisierung der Berufungsanforderungen, soweit es die Zulässigkeit der Berufung betreffe. Eine Verschärfung könne weder dem Gesetzestext noch den Materialien entnommen werden. Eher sei das Gegenteil der Fall.394 e) Mehrere Fehler gleichzeitig Manchmal kommt es vor, dass die erste Instanz eine Klage aus mehreren, voneinander unabhängigen rechtlichen Erwägungen abweist, auch wenn es nur um einen prozessualen Anspruch geht.
532
In solchen Fällen muss die Berufungsbegründung das Urteil in allen diesen Punkten angreifen. Sie hat daher für jede der Erwägungen darzulegen, warum sie die Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig.395 Dies erweiternd entschied der I. Zivilsenat, dass es sich um zwei Streit- 533 gegenstände handele, wenn der Kläger sein Unterlassungsbegehren sowohl auf Wiederholungsgefahr wegen der behaupteten Verletzungshandlung als auch auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen des Beklagten bei der Rechtsverteidigung im gerichtlichen Verfahren stütze. Weise die erste Instanz die Klage insgesamt ab, so müsse die Berufungsbegründung, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil insgesamt anfechten wolle, für jeden dieser beiden prozessualen Ansprüche den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO genügen.396 Das gilt aber nur, wenn es wirklich um tragende Erwägungen geht. Ein in 534 den Entscheidungsgründen gegebener „Hinweis“, dem sich nicht ohne weiteres entnehmen lässt, weshalb die Klage (zum Teil) ebenfalls unbegründet sein könnte, stellt in der Regel keine die Klageabweisung tragen-
394 BGH v. 28.5.2003 – XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968. 395 BGH v. 27.11.2003 – IX ZR 250/00, MDR 2004, 405. 396 BGH v. 26.1.2006 – I ZR 121/03, BGHReport 2006, 797.
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Begründungsinhalt – zwingende Bestandteile
de Erwägung dar. So etwas muss mit der Berufungsbegründung also nicht selbständig angegriffen werden.397 535
Eine ähnliche Konstellation hatte auch der II. Zivilsenat zu entscheiden. Dort hatte das Ausgangsgericht eine bestimmte Auffassung zu einer Haftungsfrage im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Feststellungsklage ausdrücklich lediglich „unterstellt“. Eine solche unterstellte Auffassung muss mit einer Berufungsbegründung nicht angegriffen werden.398
536
Û
Praxistipp: Ist man sich unsicher, ob etwas schon trägt oder noch ein Hinweis ist, sollte nach dem Grundsatz des sichersten Weges vorsorglich ein Angriff erfolgen.
3. Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt 537
Ein mittels Blankounterschrift des Rechtsanwalts weisungsgemäß erstellter bestimmender Schriftsatz erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse nur, wenn der Anwalt den Inhalt des Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen kann. An einer solchen Festlegung fehlt es, wenn der Entwurf einer Berufungsbegründung nach stichwortartig fixierten Vorgaben des Anwalts durch einen Referendar inhaltlich überarbeitet wird, ohne dass der Anwalt die endgültige Fassung der Berufungsbegründung kennt.399
538
Der VIII. Zivilsenat führte (unter Berufung auf die Rechtsprechung des V. Zivilsenates400) in einem Rechtsstreit mit eigentümlichem Schriftsatzverlauf – im Kontext einer Berufungsbegründung, aber gültig auch für eine Berufungseinlegung – das Folgende aus: Als bestimmender Schriftsatz müsse die Berufungsbegründung grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterzeichnung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt stelle keine bloße Formalität dar; sie sei äußerer Ausdruck für die vom Gesetz geforderte Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt.
539
Da sich das Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift begnüge, ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet habe und die Verantwortung für dessen Inhalt tragen wolle, bestehe zwar für ein Berufungsgericht in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt 397 398 399 400
138
BGH v. 18.12.2003 – I ZR 195/01, MDR 2004, 768. BGH v. 14.11.2005 – II ZR 16/04, BGHReport 2006, 452. BGH v. 23.6.2005 – V ZB 45/04, MDR 2005, 1427 = NJW 2005, 2709. Vgl. vorstehende Fn.
Erstellung durch postulationsfähigen Rechtsanwalt
den Prozessstoff tatsächlich durchgearbeitet habe. Dies gelte aber nicht, wenn nach den Umständen außer Zweifel stehe, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen unterschrieben habe. So lag es im konkreten Fall. Es passte die letzte – unterschriebene – Seite des Begründungsschriftsat- 540 zes vom Sinn her nicht zu den vorigen, es gab Unterschiede im Erscheinungsbild und in der sprachlichen Diktion zwischen den ersten beiden Seiten und der letzten Seite. Der Schriftsatz wurde auch nicht von der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten, sondern kurz vor Mitternacht vom Telefaxgerät des Beklagten übermittelt. Der Beklagte hatte die ihm vom Berufungsgericht eingeräumte Möglichkeit, die Auffälligkeiten des Schriftsatzes zu erklären, nicht wahrgenommen.401
401 BGH v. 22.11.2005 – VIII ZB 40/05, BGHReport 2006, 395 = FamRZ 2006, 408.
139
V. Begründungsinhalt – fakultative Bestandteile 1. Angabe des Wertes, § 520 Abs. 4 Nr. 1 ZPO 541
Noch zum alten Recht ergangen, gleichwohl relevant ist eine Entscheidung des OLG Karlsruhe: Der Berufungsführer, der zur Erteilung einer Auskunft und Abrechnung verurteilt wurde, muss den Aufwand an Zeit und Kosten zur Erfüllung des titulierten Anspruchs substantiiert dartun, um den Anforderungen an die Darlegung der Überschreitung der Berufungssumme zu genügen.402 Das OLG Brandenburg formuliert später, dass die Beschwer bei einer Berufung gegen ein einer Auskunftsklage stattgebendes Urteil sich nach dem konkreten Aufwand bemesse, den der Beklagte betreiben müsse, um seine ausgeurteilte Verpflichtung zur Auskunftserteilung erfüllen zu können.403
542
In dieselbe Richtung geht eine jüngere Entscheidung des VIII. Zivilsenates. Dort war die Klage eines Vermieters auf Beseitigung einer durch den Mieter errichteten Satellitenempfangsantenne abgewiesen worden. In solchen Fällen richtet sich die Beschwer des Vermieters nach dem Wertverlust, den er durch eine von der Satellitenempfangsantenne verursachte Beeinträchtigung der Substanz und/oder des optischen Gesamteindrucks seines Hauses erleidet.404
543
Im Hinblick auf vom Kläger verlangte eidesstattliche Versicherungen gilt: Der Beschwerdewert richtet sich nach dem Interesse des Klägers an der eidesstattlichen Versicherung. Der Aufwand für die eidesstattliche Versicherung ist nur dann maßgeblich, wenn es auf das Abwehrinteresse des Beklagten ankommt.405
544
Für eine Berufung, die den nach Anrechnung des Kindergeldes identischen Zahlbetrag lediglich auf der Grundlage eines höheren Tabellensatzes (hier: 128 % statt 114 % des Regelbetrages) erstrebt, kann nach dem OLG Celle Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, da es mangels Erreichens der Berufungs-/Erwachsenheitssumme an hinreichender Erfolgsaussicht fehle und die Rechtsverfolgung mutwillig erscheine.406
402 403 404 405 406
140
OLG Karlsruhe v. 13.12.2001 – 7 U 167/01, ProzRB 2002, 71 (Burgermeister). OLG Brandenburg v. 27.4.2004 – 6 U 62/03, OLGR Brandenburg 2005, 87. BGH v. 17.5.2006 – VIII ZB 31/05, FamRZ 2006, 408 = BGHReport 2006, 395. KG v. 3.3.2006 – 7 U 122/05, KGR Berlin 2006, 680. OLG Celle v. 7.2.2005 – 10 UF 21/05, OLGR Celle 2005, 330.
Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter
2. Äußerung zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter, § 520 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 526 Abs. 1 ZPO Angesichts dessen, dass Kollegialgerichte in der Regel mit höherem Richtigkeitspotential arbeiten als Einzelrichter, sollte versucht werden, die Voraussetzungen des § 526 Abs. 1 Nr. 2 ZPO darzulegen, um eine Übertragung auf den Einzelrichter zu verhindern.
141
545
VI. Präklusion in der Berufungsinstanz Verspätungsprobleme kann es auf drei Ebenen geben:
1. Verspätung innerhalb der ersten Instanz 546
Man kann innerhalb der ersten Instanz mit (neuem) Vortrag ausgeschlossen sein (= horizontale Präklusion I). – Diesen Fall regelt § 296 ZPO. Für die Aufrechterhaltung dieser Präklusion wird in § 531 Abs. 1 ZPO gesorgt.407 Das ist auch nötig, denn wegen des Ausschlusses in erster Instanz sind diese Mittel dort gar nicht eingegangen und gelten deshalb für die Berufung als neuer Vortrag.
547
Soweit ein Beweismittel im Berufungsverfahren zu mehreren selbständigen Beweisthemen beantragt wird, ist für jedes Beweisthema einzeln zu prüfen, ob das Beweismittel nach § 531 ZPO als verspätet ausgeschlossen oder zurückzuweisen ist. Das gilt nicht nur für im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesene Beweismittel (§ 531 Abs. 1 ZPO), sondern auch für die Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO, da es nach beiden Vorschriften nicht darauf ankommt, ob die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.408
548
Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn dies nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt, § 296 Abs. 1 ZPO. Für den Beginn und damit auch den Ablauf der richterlichen Frist zur Stellungnahme kommt es darauf an, ob die Frist nach mündlicher Verhandlung in einer verkündeten Entscheidung gesetzt wird oder ob sie in einem nicht verkündeten Beschluss oder einer nicht verkündeten richterlichen Verfügung enthalten ist. Sind der Beschluss oder die Verfügung mit der Fristsetzung nicht verkündet worden, sind sie nach § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO zuzustellen; erst mit der Zustellung beginnt der Lauf der Frist, § 221 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO. Wird eine Frist zur Stellungnahme auf einen gerichtlichen Hinweis nach mündlicher Verhandlung dagegen in einem verkündeten Beschluss gesetzt, so beginnt der Lauf der Frist nicht erst mit Zugang des Protokolls, sondern 407 Dabei ist durch die Formulierung „zu Recht zurückgewiesen“ ein breites Streitfeld eröffnet. Insbesondere Verfahrensmängel in erster Instanz können sich als Unanwendbarkeitsgrund für § 531 Abs. 1 ZPO erweisen, Schumann/ Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 466. 408 OLG Köln v. 23.3.2005 – 11 U 191/02, OLGR Köln 2005, 250.
142
Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz
nach §§ 329 Abs. 1, 312, 221 Halbs. 2 ZPO mit dieser Verkündung und unabhängig davon, ob der Adressat davon tatsächlich Kenntnis genommen hat.409 Das Verbot, Präklusionsgründe in der nächsten Instanz auszuwechseln, gilt im Übrigen unterschiedslos, einerlei, ob den Gerichten bei der Entscheidung über die Zurückweisung ein Ermessen eingeräumt oder die Zurückweisung bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend ist.410
549
2. Verspätung aufgrund des Instanzwechsels Man kann aufgrund des Instanzwechsels mit neuem Vortrag ausgeschlos- 550 sen sein (= vertikale Präklusion). – Diesen Fall regeln §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO (dazu weiter unten ab Rz. 592).
3. Verspätung innerhalb der Berufungsinstanz Und man kann auch innerhalb der Berufungsinstanz mit neuem Vortrag ausgeschlossen sein (= horizontale Präklusion II). – Diesen Fall regelt grundsätzlich § 530 ZPO. Abweichungen für Rügen der Unzulässigkeit der Klage gibt es in § 532 ZPO, für Verfahrensrügen in § 534 ZPO, für Zugeständnisse in § 535 ZPO.
551
Verspätetes Bestreiten erst in der Berufungsbegründung verzögert die Er- 552 ledigung des Rechtsstreits nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates jedenfalls dann nicht, wenn zwischen dem Eingang der Verspätungsrüge und dem Termin zur mündlichen Verhandlung ein Zeitraum von fünf Monaten liegt und das Berufungsgericht während dieser Zeit einen Sachverständigen zur Erstattung des mündlichen Gutachtens laden kann, um die Klärung einer inhaltlich begrenzten Frage im Termin zur mündlichen Verhandlung herbeizuführen.411 Der VII. Zivilsenat entscheidet:
553
Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens ist auch nach dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses gemäß §§ 530, 296 ZPO nur dann zulässig, wenn die Zulassung zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde und die Verspätung nicht entschuldigt ist.412
409 410 411 412
KG v. 8.1.2004 – 12 U 292/02, KGR Berlin 2004, 268. BGH v. 22.2.2006 – IV ZR 56/05, BGHReport 2006, 930. BGH v. 23.9.2003 – VI ZR 395/02, ProzRB 2004, 95. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 16/03, MDR 2005, 706.
143
Präklusion in der Berufungsinstanz
4. Folgen von Präklusion für Streithelfer 554
Der Streithelfer kann nach einer Entscheidung des KG nicht weitergehende Rechte haben als die Partei, die er unterstützt, auch wenn ihm erst in der Berufungsinstanz der Streit verkündet worden ist. Bei der Präklusion verspäteten Vorbringens sei stets auf die Hauptpartei abzustellen; der Streithelfer müsse eine ggü. der Hauptpartei begründete Präklusion hinnehmen.413
413 KG v. 9.9.2003 – 7 U 213/03, KGR Berlin 2004, 220.
144
VII. Prüfungsumfang Soweit die Berufungsbegründung ordnungsgemäß und die Berufung daher 555 (auch) unter diesem Aspekt zulässig ist, kann das Berufungsgericht mit der inhaltlichen Prüfung beginnen. Was es dabei alles prüfen darf, regeln die §§ 528 ff. ZPO.
1. Uneingeschränkte Bindung an Anträge des Berufungsführers, § 528 ZPO Geprüft wird zunächst nur im Rahmen der Berufungsanträge, § 528 S. 1 556 ZPO.414 Eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung zum Nachteil des Antragstellers (reformatio in peius) ist nur möglich, wenn der Antragsteller einen verschlechternden Antrag gestellt hat. Das dürfte selten vorkommen.415 Greift ein Beklagter ein Urteil, das in falscher Besetzung ergangen ist, mit der Berufung aber nur teilweise an, so verfällt nach neuem Berufungsrecht der nicht angegriffene Teil des erstinstanzlichen Urteils nicht der Aufhebung, wenn er selbstständig beurteilbar ist. Eine Aufhebung des Urteils auch insoweit würde gegen § 528 ZPO verstoßen und die obsiegende Klägerin ohne Not der Gefahr von Nachteilen in der Vollstreckung aussetzen, obwohl die Beklagte diesen Teil des Urteils akzeptiert.416
557
Das Verbot der Schlechterstellung im Berufungsverfahren, § 528 S. 2 558 ZPO, steht der Abweisung einer Klage im Berufungsverfahren als endgültig unbegründet auch dann nicht entgegen, wenn das LG die Klage noch als derzeit unbegründet abgewiesen hat.417
414 Einzelheiten zur Differenzierung zwischen Sach- und Verfahrensanträgen, namentlich zur Regel, dass das Berufungsgericht selbst entscheiden, § 538 Abs. 1 ZPO, und Aufhebung und Zurückverweisung Ausnahme bleiben sollen, bei Braunschneider, ProzRB 2004, 72, 75 f. und oben ab Rz. 348. 415 Das wäre ein Angriff gegen eine Begünstigung. Jedenfalls isoliert fehlt es einem solchen Angriff an der notwendigen Beschwer. Nur, wenn zugleich eine Belastung angegriffen würde, käme auch die (teilweise) Beseitigung einer fehlerhaften Begünstigung in Betracht. So etwas hat Relevanz im Unterhaltsrecht, wo es sich lohnen kann, Fairness nach „hinten“ (Vergangenheit) zu zeigen, um ein Mehr nach „vorne“ (Zukunft) zu bekommen. 416 OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 26/03; n. rkr., OLGR Karlsruhe 2004, 511 – Abweichung von BGH v. 19.10.1988 – IVb ZR 10/88, MDR 1989, 242 = NJW 1989, 229 (230). 417 OLG Düsseldorf v. 10.6.2003 – 23 U 68/02, OLGR Düsseldorf 2003, 449.
145
Prüfungsumfang
2. Eingeschränkte Bindung an Begründung des Berufungsführers, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO 559
Danach ist das Berufungsgericht aber nicht mehr an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden, § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO, abgesehen von dem Fall, dass es um einen verzichtbaren Verfahrensmangel418 geht: Dieser muss geltend gemacht werden, § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO.
560
Ein besonderes Problem entsteht, wenn das Erstgericht (z.B. durch Übergehung von Parteivorbringen) einen verzichtbaren Verfahrensfehler begangen und dies (kausal) zu einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung geführt hat.
561
Keine Schwierigkeiten gibt es dabei zunächst, wenn dieser Verfahrensmangel nach §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 529 Abs. 2 S. 1 ZPO gerügt würde. Keine Schwierigkeiten gibt es auch dann, wenn diese fehlerhafte Tatsachenfeststellung nach § 520 Abs. 3 S. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gerügt würde. Schwierigkeiten gibt es aber, wenn der Berufungsführer nur einen ganz andern (evtl. vermeintlichen) Fehler gerügt hat und das Berufungsgericht bei der Prüfung dieses Fehlers auf die anderen stößt.
562
Der gerügte (andere oder vermeintliche) Fehler hilft nicht im Hinblick auf die fehlerhafte Tatsachenfeststellung, der kausale Verfahrensfehler war nicht gerügt und darf deshalb nicht berücksichtigt werden, ist aber Bindeglied zum gleichfalls nicht gerügten Tatsachenfehler.
563
In § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO sieht der BGH hier kein Hindernis. Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliege dem Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils und dies ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.419
564
Das ist richtig. Findet sich ein Fehler des Erstgerichts, der nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Neufeststellung gebietet, muss diese erfolgen. Findet sich darin oder daneben zusätzlich noch ein Verfahrens-Fehler, der nach § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO verzichtbar wäre, ändert dies am Gebot der Neufeststellung nichts. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein Mehr an Fehlern zu einem Weniger an Prüfung führen würde
418 Unverzichtbar sind nur solche, die für das Funktionieren des Rechtsschutzes unerlässlich sind, Gummer/Heßler in Zöller, 26. Aufl., § 529 Rz. 13. 419 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 213 ff. und 244.
146
Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung
3. Keine Bindung an erstinstanzliche Rechtsauffassung Wenn eine Norm entweder gar nicht oder nicht richtig angewendet wor- 565 den ist, gibt es keine Bindung des Berufungsgerichtes. In Betracht kommt aber auch die fehlerhafte Auslegung eines Vertrages. Inwieweit die erstinstanzliche Auslegung eines Vertrages in der Berufung überprüft werden kann, war eine Weile umstritten.
566
Das KG vertrat die Auffassung, das Berufungsgericht prüfe nach §§ 513, 567 546 ZPO – wie ein Revisionsgericht – die erstinstanzliche Auslegung eines Vertrages nur darauf, ob gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften beachtet seien. Eine Auslegung, die diesen Anforderungen gerecht werde und auf einer vertretbaren Gewichtung beruhe, bedeute – ungeachtet anderer Auslegungsmöglichkeiten – keine Rechtsverletzung im Sinne eines Rechtsanwendungsfehlers. Etwas anderes gelte dann, wenn die Auslegung des Erstgerichts den Grundsatz der interessegerechten Auslegung nicht beachte und eine Abrede nicht auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückführe.420 Der BGH entschied danach aber, dass die Kontrolle der Auslegung einer Individualvereinbarung nach § 513 ZPO durch das Berufungsgericht nicht auf eine Prüfung der Vertretbarkeit beschränkt sei. Wenn das Berufungsgericht die Auslegung nicht für sachlich überzeugend halte, habe es die Auslegung selbst vorzunehmen.421
568
Das Berufungsgericht hat zudem die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Es darf sich nicht darauf beschränken, die Ermessensausübung der Vorinstanz auf Rechtsfehler zu überprüfen.422
569
4. Keine Bindung an eigene vorinstanzliche Rechtsauffassung Billigt das Berufungsgericht in einem Urteil, mit dem es das erstinstanzliche Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufhebt und die Sache zurück420 KG v. 10.11.2003 – 22 U 216/03, MDR 2004, 647; KG v. 24.5.2004 – 12 U 328/02, MDR 2004, 988; in diesem Sinne auch schon OLG Celle v. 1.8.2002 – 2 U 57/02, ProzRB 2003, 13 und BayObLG v. 4.2.2004 – 2 Z BR 228/03. 421 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 164/03, MDR 2004, 1434. 422 BGH v. 28.3.2006 – VI ZR 46/05, BGHReport 2006, 843, gegen diverse obergerichtliche Vorentscheidungen, z.B. OLG Karlsruhe v. 7.4.2004 – 7 U 219/02, OLGR Karlsruhe 2004, 398; in Einklang mit anderen obergerichtlichen Entscheidungen, z.B. OLG Brandenburg v. 28.9.2004 – 1 U 14/04, OLGR Brandenburg 2005, 68.
147
570
Prüfungsumfang
verweist, die materiell-rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch die Vorinstanz, ist es an diese Beurteilung im erneuten Berufungsverfahren nicht gebunden (Abgrenzung zu BGH v. 23.6.1992 – XI ZR 227/91, NJW 1992, 2831, 2832 = MDR 1992, 1180). 571
Nimmt das Berufungsgericht eine solche Bindung irrtümlich an und verschließt sich daher weiteren Ausführungen einer Partei zur rechtlichen Beurteilung, liegt darin regelmäßig ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs.
572
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs oder ähnlich schwerwiegende, eine Zulassung an sich erfordernde Verfahrensfehler des Berufungsgerichts rechtfertigen die Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht nicht, wenn die rechtliche Überprüfung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt, dass das Berufungsurteil im Ergebnis aus anderen Gründen richtig ist (Fortführung von BGH v. 18.7.2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205 ff. = MDR 2004, 48).423
5. Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen 573
Im Bereich der Tatsachenrekonstruktion muss sich das Berufungsgericht zunächst an das halten, was die erste Instanz festgestellt hat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
574
Festgestellte Tatsachen sind dabei nicht nur die vom Ausgangsgericht getroffenen Feststellungen von der Wahrheit oder Unwahrheit einer tatsächlichen Behauptung, sondern auch solche, die das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat, sei es, weil sie offenkundig oder gerichtsbekannt (§ 291 ZPO), ausdrücklich zugestanden (§ 288 ZPO) oder unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen Vermutungen oder Beweis- und Auslegungsregeln ergeben hatten.424
575
Voraussetzung ist lediglich, dass diese Feststellungen im Urteil (Tatbestand oder Entscheidungsgründe) oder in einem Protokoll dokumentiert sind.
576
Û
Praxistipp: Der V. Zivilsenat hat in einem obiter dictum erklärt, dass dem Tatbestand für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen keine negative Beweiskraft dahin zukäme.425 Das weicht von der bisher einhelligen Rechtsprechung ab und ist mit äußerster Vorsicht zu genie-
423 BGH v. 10.8.2005 – XII ZR 97/02, MDR 2005, 1241. 424 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, ProzRB 2004, 240 ff. = MDR 2004, 1077 und ab Rz. 477. 425 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, MDR 2004, 954 = ProzRB 2004, 244.
148
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
ßen. Sicherer ist der Weg über richtige Anträge während des Verfahrens und Tatbestandsberichtigungsanträge danach.426 Andere Tatsachen dürfen nur dann im Wege einer erneuten Feststellung 577 berücksichtigt werden, wenn die Ausgangsfeststellungen entweder im Hinblick auf Richtigkeit oder Vollständigkeit konkret bezweifelt werden können oder wenn diese anderen Tatsachen schlicht neu sind. Den ersten Fall regelt § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, den zweiten regeln §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO. a) § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aa) Zweifel Der Rechtsausschuss des Bundestages hat das so beschrieben: Zweifel lie- 578 gen schon dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt.427 Der VI. Zivilsenat des BGH hat dies in seine Entscheidungen übernommen.428 Der VIII. Zivilsenat429 präzisiert im Hinblick auf erstinstanzliche Beweis- 579 erhebung: Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen könnten sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdige als das Gericht der Vorinstanz.430 Wenn sich das Berufungsgericht von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht zu überzeugen vermöge, so sei es an die erstinstanzliche Beweiswürdigung, die es aufgrund konkreter Anhaltspunkte nicht für richtig halte, nicht gebunden, sondern zu einer erneuten Tatsachenfeststellung nach der gesetzlichen Neuregelung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Für die Bindung des Berufungsgerichts an die Tatsachenfeststellung des 580 erstinstanzlichen Gerichts genüge es – im Gegensatz zur revisionsrechtlichen Regelung (§ 559 Abs. 2 ZPO) – somit nicht, dass die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung keine Verfahrensfehler aufweise; auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen seien für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkre426 Vgl. Braunschneider, ProzRB 2004, 244/255 und 102, 106, oben Rz. 498 ff. 427 BT-Drucks. 14/6036, S. 159. 428 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184; BGH v. 15.7.2003 – VI ZR 361/02, Entscheidungsumbruch, S. 7, MDR 2003, 1414. Vgl. auch die Ausführungen oben zu den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Begründung. 429 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945. 430 Dazu auch BGH v. 2.11.2005 – IV ZR 57/05: wenn daraus andere Schlüsse gezogen werden könnten.
149
Prüfungsumfang
te Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig seien.431 581
Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich die Zweifel ergeben, wurden in der jüngeren Rechtsprechung vor allem in fünf Bereichen gesehen: – bei Sachverständigengutachten, – bei Beweiswürdigungsfehlern, – bei Verfahrensfehlern, – bei zuzulassendem neuen Vorbringen, – bei Klageantragsänderungen. bb) Sachverständigengutachten
582
Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens können sich nach einer Entscheidung des VI. Zivilsenates aus dem Gutachten oder der Person des Gutachters ergeben, insbesondere wenn das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist, wenn der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig war, sich die Tatsachengrundlage durch zulässigen neuen Sachvortrag geändert hat oder wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten zur Beantwortung der Sachverständigenfrage gibt.432
583
Derselbe Senat meinte später, dass Rechtsfehler der ersten Instanz, die dazu führten, dass zwar ein Gutachten eingeholt werde, dieses sich aber nicht mit allen entscheidungserheblichen Punkten befasste, Zweifel begründeten. Diese wiederum erforderten eine Vervollständigung des Gutachtens von Amts wegen.433
584
Hat das Erstgericht dem rechtzeitig gestellten Antrag einer Partei auf erstmalige mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen, kann die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nach Ansicht des VI. Zivilsenates entfallen. Sei dies der Fall, müsse das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag auf Ladung des Sachverständigen stattgeben.434
431 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945, unter Berufung auf BVerfG v. 22.11.2004 – 1 BvR 1935/03. 432 BGH v. 15.7.2003 – VI ZR 361/02, Entscheidungsumbruch, S. 7, MDR 2003, 1414. 433 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 230/03, ProzRB 2004, 269 = MDR 2004, 1313. 434 BGH v. 10.5.2005 – VI ZR 245/04, MDR 2005, 1308.
150
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
cc) Beweiswürdigungsfehler Widersprüche in der Beweiswürdigung von Zeugenaussagen durch das 585 Erstgericht können Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen und eine erneute Beweisaufnahme gebieten.435 dd) Verfahrensfehler Verfahrensfehler, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sach- 586 verhalts unterlaufen sind, können Zweifel begründen.436 Ein Rügeanlass im Berufungsverfahren soll nach einer Entscheidung des 587 OLG Koblenz im Allgemeinen aber nicht vorliegen, wenn geltend gemacht werde, ein Richter der Vorinstanz hätte wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können, wenn der Grund dafür früher bekannt gewesen wäre. Das Ablehnungsverfahren bilde ein abschließendes Regelungssystem. § 529 Abs. 1 ZPO ermögliche es, Gründe für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Urteilsfeststellungen aufzugreifen, die ihre Wurzel im Verfahren haben. Es sei jedoch kein Grund zur Besorgnis der Befangenheit des Richters der Vorinstanz, wenn dieser unter Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen eine Partei erstattet, sofern er die Verdachts- und Entlastungsumstände abgewogen habe. Erst recht sei der bloße Hinweis auf eine solche Vorgehensmöglichkeit kein Ablehnungsgrund.437 Dass dem Berufungsgericht auch bei einem nicht gerügten Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils obliegt,438 wurde oben schon erläutert (bei § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO).
588
ee) Neues, zu berücksichtigendes Vorbringen Neues Vorbringen, das nach § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist, kann zu Zweifeln im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO führen.439 Der VI. Zivilsenat formulierte das später so: Zweifelhaft können die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auch durch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel werden, soweit sie in der Berufungsinstanz gemäß 435 KG v. 21.11.2005 – 12 U 214/04, KGR Berlin 2006, 349. 436 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184; BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 437 OLG Koblenz v. 10.4.2006 – 12 U 309/05, OLGR Koblenz 2006, 714. 438 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. 439 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184 = NJW 2004, 2825; BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077 = NJW 2004, 2152.
151
589
Prüfungsumfang
§ 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen sind, etwa weil ihre Geltendmachung in erster Instanz ohne Verschulden der Partei (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO) unterblieben ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 159, 245, 251 ff. und BGHZ 158, 295, 301).440 590
Die dem vorangegangene Berufungsentscheidung des OLG Schleswig formulierte dies umgekehrt: Neues Vorbringen, welches gemäß § 531 ZPO nicht zuzulassen sei, könne auch kein konkreter Anhaltspunkt sein, der Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung im Sinne des § 529 Abs. 1 ZPO begründe und deshalb eine erneute Feststellung gebiete.441 ff) Konsequenzen neuer Tatsachenfeststellung
591
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie vor der ZPO-Reform.442 b) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO – allgemein
592
Zur Anwendbarkeit der Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO im baulandgerichtlichen Berufungsverfahren nimmt der III. Zivilsenat Stellung.443 In Baulandverfahren bestehe zwar die (begrenzte) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes. Aufgrund der sonstigen Verweisung des § 221 Abs. 1 BauGB auf die ZPO sei aber § 531 Abs. 2 ZPO als grundsätzlich anwendbar anzusehen. Anders wäre es, wenn eine Regelung wie die in § 531 Abs. 2 ZPO in einer Verfahrensordnung, für die allgemein der Untersuchungsgrundsatz gelte, als „systemwidrig“ angesehen werden müsste. Dies lasse sich jedoch mit Blick auf die im Verwaltungsprozess bereits geltenden Präklusionsmöglichkeiten nicht sagen.
593
Soweit ein Beweismittel im Berufungsverfahren zu mehreren selbständigen Beweisthemen beantragt wird, ist für jedes Beweisthema einzeln zu prüfen, ob das Beweismittel nach § 531 ZPO als verspätet ausgeschlossen oder zurückzuweisen ist. Das gilt nicht nur für im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesene Beweismittel (§ 531 Abs. 1 ZPO), sondern auch für die Zurückweisung nach § 531 Abs. 2 ZPO, da es nach beiden Vor440 BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04, NJW 2006, 152 = BGHReport 2006, als Folgeentscheidung zu OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04. 441 OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04, OLGR Schleswig 2005, 8, als Vorentscheidung zu BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04. 442 BGH v. 12.3.2004 – V ZR 257/03, ProzRB 2004, 213 ff. und 244 = MDR 2004, 954. Konkret ging es dann um die Grundsätze der Glaubwürdigkeitsbeurteilung. 443 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 372/03, BGHReport 2005, 424 = NJW 2005, 898.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
schriften nicht darauf ankommt, ob die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.444 aa) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel In Abgrenzung zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist es wichtig, die neuen von 594 den alten Angriffs- und Verteidigungsmitteln abzugrenzen. (1) Vortrag aus erster Instanz Vorbringen in der Berufung zu einer erstinstanzlich nicht ausdrücklich 595 erwähnten, von Amts wegen zu berücksichtigenden Anspruchsgrundlage ist kein neues Angriffsmittel, wenn sich deren Voraussetzungen bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag ergeben.445 Soweit es erstinstanzlich allgemeinen Vortrag angeht, der in zweiter In- 596 stanz konkretisiert wird, hängt die Neuheit davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn das Vorbringen einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.446 (2) Unberücksichtigtes In den Anwendungsbereich des § 531 Abs. 1 ZPO fällt nach dem OLG 597 Düsseldorf auch das Vorbringen in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, einem Schriftsatz, der die Grenzen des § 283 ZPO überschreitet, oder zwar nachgelassen ist, aber verspätet eingeht und deshalb nach § 296a ZPO unberücksichtigt bleibt. Derartiges neues Vorbringen bleibe im Berufungsrechtszug ausgeschlossen, sofern nicht einer der Zulassungsgründe des § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliege. § 156 ZPO gebe dem Gericht einen Ermessensspielraum und schreibe nur in Ausnahmefällen eine Verpflichtung zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung vor. Ein solcher Fall sei gegeben, wenn sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung aus neuem Vorbringen ergebe, dass die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts oder zur Erteilung von Hinweisen bestand, und darüber hinaus, wenn durch Versäumnisse des Gerichts oder durch andere Umstände im Verfahren bis
444 OLG Köln v. 23.3.2005 – 11 U 191/02, OLGR Köln 2005, 250. 445 BGH v. 26.6.2003 – VII ZR 281/02, MDR 2003, 1286 = ProzRB 2003, 293, ähnlich: OLG Celle v. 12.5.2004 – 9 U 189/03; n. rkr., OLGR Celle 2004, 616. 446 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 199/03, MDR 2004, 1184.
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Prüfungsumfang
zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine vollständige und sachgerechte Erklärung unterbliebe.447 598
Ähnlich das OLG Saarbrücken: Das Gericht ist nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, wenn eine Partei ein ihr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegendes Gutachten erst innerhalb der Spruchfrist einreicht. Vom Erstgericht in Anwendung von § 296a ZPO nicht berücksichtigtes Vorbringen kann in der Berufungsinstanz nur nach Maßgabe von § 531 Abs. 2 ZPO geltend gemacht werden.448
599
Angesichts dieser Folgen meint das OLG Schleswig, dass das erstinstanzliche Gericht, wenn es einen verspäteten Sachvortrag aus Rechtsgründen für unerheblich halte, diesen in Anbetracht der Präklusionsfolgen für die Berufungsinstanz (§ 531 Abs. 1 ZPO) nicht zugleich als verspätet (§ 296 ZPO) zurückweisen dürfe.449 (3) Späteres (a) Neue Schlussrechnung
600
Nach einer Entscheidung des VII. Zivilsenates handelt es sich nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften, wenn eine Partei im Laufe des Verfahrens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch erst schafft (neue Schlussrechnung) und alsdann in den Prozess einführt.450 – Das ist nicht überzeugend. Eine neue Schlussrechnung ist eine neue Tatsache, auch wenn es weiter um denselben Streitgegenstand geht.451 Näher liegt es, hierin einen Fall des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zu sehen. Die neue Schlussrechnung konnte im ersten Rechtszug gar nicht geltend gemacht werden, weil es sie dort noch nicht gab.452
447 OLG Düsseldorf v. 13.11.2003 – 5 U 161/02, OLGR Düsseldorf 2004, 394. 448 OLG Saarbrücken v. 5.2.2003 – 1 U 569/02-137, OLGR Saarbrücken 2003, 179. 449 OLG Schleswig v. 29.1.2004 – 5 U 102/03; n. rkr., OLGR Schleswig 2004, 236. 450 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64. 451 Genauso OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222: „Eine erst nach Beendigung des erstinstanzlichen Rechtsstreits erstellte und mit der Berufungsbegründung vorgelegte (neue) Schlussrechnung stellt ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO dar, welches nur unter den dort genannten Voraussetzungen zuzulassen ist.“ 452 So etwas gehört damit zu den „echten Noven“ oder auch „nova producta“. – Anders aber das OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222 und das OLG Karlsruhe v. 24.3.2004 – 7 U 230/03 (s.u.).
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(b) Neue Beweismittel Hierzu gilt allgemein: Die Berücksichtigung von Beweismitteln, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz aufgefunden wurden oder entstanden sind, ist auch nach neuem Recht im Berufungsrechtszug möglich.453
601
Nachlässigkeit wäre damit ausgeschlossen, denn sie könnte sich nur auf 602 die Einbringung bestehender Tatsachen beziehen, nicht aber auf Schaffung noch nicht bestehender. (c) Entstehung vs. Schaffung neuer Tatsachen Dagegen allerdings argumentiert das OLG Karlsruhe, das Angriffs- oder 603 Verteidigungsvorbringen einer Partei könnte nach Sinn und Zweck des § 531 ZPO auch dann nicht zugelassen werden, wenn die Voraussetzungen für die Geltendmachung zwar erst im Berufungsrechtszug entstanden seien, die Partei diese Voraussetzungen aber bereits im Rechtszug hätte schaffen können und dies in einer den Vorwurf der Nachlässigkeit rechtfertigenden Art und Weise versäumt habe.454 In dieselbe Richtung geht eine Entscheidung des OLG Brandenburg: 604 Nachlässig i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO handele der Auftragnehmer auch dann, wenn er die in seinem Einflussbereich liegende Schaffung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen wie z.B. die Erstellung einer prüffähigen Schlussrechnung als Fälligkeitsvoraussetzung erst nach Beendigung der ersten Instanz herbeiführe.455 Der BGH hatte demgegenüber in einer früheren Entscheidung formuliert, 605 dass die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften die Partei anhalten sollen, zu einem bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen. Sie hätten nicht den Zweck, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken.456 Eine Entscheidung des OLG Celle stellt im Übrigen fest, dass der Kläger 606 im Verfahren über die Berufung des Beklagten nicht nach §§ 529, 531 ZPO gehindert sei, sich auf den erst nach Schluss der ersten Instanz erklärten Rücktritt vom Vertrag zu berufen.457
453 OLG Zweibrücken v. 29.8.2002 – 4 U 52/02, OLGReport Zweibrücken 2003, 34. 454 OLG Karlsruhe v. 24.3.2004 – 7 U 230/03, OLGR Karlsruhe 2004, 309. 455 OLG Brandenburg v. 25.11.2004 – 12 U 47/04, OLGR Brandenburg 2005, 21. 456 BGH v. 9.10.2003 – VII ZR 335/02, MDR 2004, 148 = ProzRB 2004, 64. 457 OLG Celle v. 13.5.2004 – 4 U 220/03, OLGR Celle 2004, 498.
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Prüfungsumfang
(d) Einrede der Verjährung 607
Die Einrede der Verjährung kann auch noch in 2. Instanz erhoben werden, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen unstreitig sind.458 § 97 Abs. 2 ZPO ist dann in der Regel anwendbar.459 Das OLG Karlsruhe sieht insoweit als Voraussetzung, dass die tatsächlichen Grundlagen nicht streitig sind und die Zulassung daher nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt.460 In einer früheren Entscheidung hatte es konkreter formuliert, dass der zugrunde liegende Sachverhalt unstreitig sein müsse und bei Zulassung keine Beweisaufnahme erforderlich werde.461 Die entgegenstehende Entscheidung des OLG Frankfurt (Eine erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Verjährungseinrede ist ein neues Verteidigungsmittel, welches nach § 531 Abs. 2 ZPO ohne Rücksicht auf die Frage der Verzögerung des Rechtsstreits nicht zugelassen werden kann.462) dürfte in dieser Undifferenziertheit überholt sein. (e) Vortrag in der Berufung beigetretener Streithelferin
608
Der Ausschluss neuen Vorbringens kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Streithelferin sich erst nach ihrem Beitritt im Berufungsrechtszug auf neuen Vortrag beruft. Diese hat den Rechtsstreit in der Lage anzunehmen, wie sie ihn bei ihrem Beitritt vorfindet.463 (f) Ortsübliche vs. vereinbarte Vergütung
609
Macht der Vermieter in der Berufungsinstanz Nutzungsentschädigung in Höhe eines ortsüblichen Mietzinses geltend, handelt es sich hierbei um ein neues Angriffsmittel i.S.v. § 531 ZPO, wenn er in erster Instanz Nutzungsentschädigung in Höhe des vereinbarten Mietzinses gemacht hat.464
458 BGH v. 19.10.2005 – IV ZR 89/05, MDR 2006, 150 = BGHReport 2006, 225 im Zusammenhang mit § 12 Abs. 3 VVG. Das OLG Stuttgart führt das fort: OLG Stuttgart v. 11.4.2006 – 6 U 172/05, n. rkr., OLGR Stuttgart 2006, 556 (Aktenzeichen beim BGH XI ZR 145/06). Außerdem: OLG Naumburg v. 24.3.2005 – 2 U 129/04, n. rkr., OLGR Naumburg 2006, 141. 459 OLG Celle v. 25.7.2006 – 16 U 23/06. 460 OLG Karlsruhe v. 21.2.2006 – 17 U 63/05, n. rkr., OLGR Karlsruhe 2006, 526. 461 OLG Karlsruhe v. 4.11.2004 – 19 U 216/03, OLGR Karlsruhe 2005, 42. 462 OLG Frankfurt a.M. v. 8.12.2003 – 1 U 115/03, OLGR Frankfurt 2004, 249. 463 OLG Karlsruhe v. 25.1.2006 – 7 U 48/05, OLGR Karlsruhe 2006, 490. 464 KG v. 13.10.2003 – 8 U 254/02, KGR Berlin 2004, 62.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
bb) Neues neben § 531 Abs. 2 ZPO? In manchen Konstellationen ist es fraglich, ob das Berufungsgericht neue 610 Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen darf. Das gilt insbesondere für unstreitigen Vortrag. (1) Literaturmeinungen Hier wird insbesondere von der Literatur vertreten, solche unstreitigen Tatsachen müssten berücksichtigt werden. Der Ansatz dazu stammt aus dem früheren Berufungsrecht, in dem es für die Berücksichtigung neuen Vorbringens auch auf Verzögerungsaspekte ankam. Da solche Verzögerungen bei Unstreitigkeit insoweit nicht auftreten konnten, war unstreitiges neues Vorbringen eben stets zu berücksichtigen.465 – Verzögerungsaspekte innerhalb der Berufungsinstanz spielen heute aber überhaupt keine Rolle mehr. Die Berücksichtigung unstreitiger neuer Tatsachen muss also anders begründet werden. – Es wird darauf verwiesen, bei unstreitig (gewordenem) Vortrag handle es sich entweder nicht mehr um ein „Angriffs- und Verteidigungsmittel“ im Sinne von § 531 ZPO, – oder es wird der Aspekt der materiellen Gerechtigkeit hervorgehoben, welcher den Vorrang vor Verfahrensprinzipien haben müsse, weil das Gericht ansonsten sehenden Auges auf einer falschen tatsächlichen Grundlage entscheiden müsste.466 – Bisweilen wird gesagt, es würden keine Interessen des Gegners, der die Behauptung zugesteht, verletzt und – in manchen Fällen könne auch eine verzögernde neue Tatsachenfeststellung (Beweisaufnahme) entfallen.467 – Nur die Berücksichtigung soll dem übereinstimmenden Willen beider Parteien entsprechen.468
465 Es gab aber auch im früheren Berufungsrecht mit § 528 Abs. 3 ZPO a.F. (der dem heutigen § 531 Abs. 1 ZPO entspricht) eine Präklusionsbestimmung, die auf das Erfordernis einer Verzögerung verzichtete und für die gleichwohl anerkannt war, dass in der Berufungsinstanz unstreitig gewordener Tatsachenvortrag Berücksichtigung finden musste (BGH v. 31.1.1980 – VII ZR 96/79, BGHZ 76, 133, 141). 466 Aspekte z.B. bei Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 475. 467 Aspekte z.B. bei Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 377. 468 E. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 797.
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Prüfungsumfang
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Das ist alles nicht besonders überzeugend. – Auch unstreitige Tatsachen (egal ob alt oder neu) unterstützen den Angriff oder die Verteidigung und sind demgemäß auch entsprechende Mittel hierfür. – Die materielle Gerechtigkeit hat mit einer Unstreitigkeit nichts zu tun. Zunächst gibt es keinerlei Gewähr dafür, dass ein nicht bestrittener oder gar zugestandener Vortrag materiell richtig ist. Es kann viele Gründe geben, auch einen falschen Vortrag nicht zu bestreiten oder zuzugestehen. Alsdann kümmert es auch in der ersten Instanz niemanden, wenn z.B. ein Geständnis nach § 288 Abs. 1 ZPO falsch ist, selbst, wenn es bewusst falsch ist. Eine Ausnahme wird nur bei offenkundiger Unwahrheit gemacht (wegen § 291 ZPO).469 – Dass keine Interessen des Gegners verletzt werden, der eine Behauptung zugesteht, mag sein, lässt sich auch noch um den übereinstimmenden Willen der Parteien ergänzen, berücksichtigt aber nicht, dass es bei der Durchführung von Verfahren nicht nur um die Interessen einer oder aller Parteien geht, sondern auch um die Auswirkungen auf die Rechtspflege. Und spätestens in diesem Zusammenhang wird es dann wieder bedeutungsvoll, dass der Gesetzgeber die Durchführung des Berufungsverfahrens eng begrenzen wollte. – Wie durch die Zulassung neuer (unstreitiger) Tatsachen eine Beweisaufnahme vermieden werden kann,470 wird von Oberheim nicht weiter erläutert. Die zuzulassenden neuen Tatsachen bedürfen wegen ihrer Unstreitigkeit ohnehin keines Beweises. Es muss also noch andere, alte oder nach § 531 Abs. 2 ZPO ohnehin zuzulassende neue Tatsachen geben, die zwar streitig sind, die aber nicht durch Beweiserhebung festgestellt werden müssen, wenn die Lage durch die unstreitigen Tatsachen bereits geklärt würde. Das klingt reichlich kompliziert. Man könnte die Zulassung neuer unstreitiger Tatsachen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO aber für genau diese Konstellation akzeptieren, wenn sie entsprechend dargelegt wird. Immerhin wird dann ja auch dem Anliegen der Begrenzung des Berufungsverfahrens gedient. Der BGH hat im Übrigen zwischenzeitlich genau umgekehrt entschieden (dazu sogleich). (2) OLG-Rechtsprechung/KG-Rechtsprechung
613
In der Rechtsprechung der OLG wurde auch zum neuen Recht alles vertreten. Von der generellen uneingeschränkten Zulassung unstreitigen
469 Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 288 Rz. 7. 470 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 377.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
neuen Tatsachenvortrages,471 über die generelle Ablehnung solcher Zulassung,472 bis zur Differenzierung danach ob bei Nichtzulassung die Entscheidung des Berufungsgerichts evident unrichtig wäre,473 ging das Spektrum. Das KG etwa entschied, die Vorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO hindere den 614 Beklagten nicht, in erster Instanz bestrittenes Vorbringen des Klägers nach Vorlage von Belegen im Berufungsverfahren unstreitig zu stellen. Stelle der Beklagte die vom Kläger bereits erstinstanzlich vorgetragene und von ihm bestrittene Vollmacht nach Vorlage der Vollmachtsurkunde im Berufungsverfahren unstreitig, so habe das Gericht diese nunmehr unstreitige Tatsache seiner Entscheidung zu Grunde zu legen, ohne durch § 531 Abs. 2 ZPO daran gehindert zu sein.474 (3) Klärung durch den BGH: Es geht. Höchstrichterliche Entscheidung hierzu liegt inzwischen vor. Der XI. Zi- 615 vilsenat meinte, neuer, unstreitiger Tatsachenvortrag sei in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen; dies gelte selbst dann, wenn dadurch eine Beweisaufnahme erforderlich werde.475 Das wurde wenig später noch ergänzt durch eine Entscheidung des II. Zivilsenates: Eine im Berufungsrechtszug erstmals erhobene Widerklage sei zulässig, wenn der Gegner einwilligt und das Begehren auf unstreitigem Sachvortrag beruhe.476 Der BGH477 hatte schon zuvor einen Fall entschieden, in dem vom Berufungsgericht neues unstreitiges Vorbringen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen worden war. Dies hielt der BGH für nicht revisibel. Durchgreifende Rechtsmittel würden eine ökonomische Verfahrensgestaltung noch mehr verfehlen, als es ein möglicher Fehler täte. Prüfungsfähig sei nur die – jetzt vom IX. Zivilsenat entschiedene – Variante, 471 Zuletzt: OLG Rostock v. 11.7.2006 – 4 U 128/04, n. rkr.; OLG Frankfurt a.M. v. 18.11.2004 – 26 U 28/04, OLGR Frankfurt 2005, 558; OLG Nürnberg v. 7.5.2003 – 13 U 615/03, MDR 2003, 1133; OLG Celle v. 11.12.2003 – 14 U 23/03, OLGR Celle 2004, 233: „Im Fall unstr. neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz neigt der Senat dazu, § 531 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden.“, anders aber der 6. Zivilsenat des OLG Celle, vgl. folgende Fn. 472 OLG Oldenburg v. 4.9.2002 – 2 U 149/02, MDR 2003, 48; OLG Celle v. 8.5.2003 – 6 U 208/02, OLGR Celle 2003, 303 (307), anders aber der 14. Zivilsenat des OLG Celle, vgl. vorstehende Fn. 473 OLG Schleswig v. 19.5.2004 – 9 U 63/03, OLGR Schleswig 2005, 120; OLG Karlsruhe v. 13.1.2004 – 17 U 71/03, MDR 2004, 1020; OLG Köln v. 22.12.2003 – 5 U 127/03, MDR 2004, 833; OLG Hamm v. 10.2.2003 – 18 U 93/02, MDR 2003, 650 = NJW 2003, 2325 f.; in Erwägung gezogen auch von OLG Düsseldorf v. 14.10.2003 – 23 U 222/02. 474 KG v. 5.7.2004 – 12 U 146/03, MDR 2004, 1438. 475 BGH v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, MDR 2005, 527. 476 BGH v. 6.12.2004 – II ZR 394/02, MDR 2005, 588. 477 BGH v. 22.1.2004 – V ZR 187/03, MDR 2004, 700 = ProzRB 2004, 124.
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in der Vorbringen neben § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen worden sei.478 617
In die gleiche Richtung geht eine Entscheidung des VIII. Zivilsenates zu § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser entschied, dass im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen sei, ob das Berufungsgericht im Falle einer erneuten Tatsachenfeststellung die Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO beachtet habe.479
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Zu bedenken ist, dass die neuen unstreitigen Tatsachen neben den Fällen des § 531 Abs. 2 ZPO jedenfalls nicht als Begründungsteil im Rahmen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO für eine Berufung ausreichen können. Zum einen wird dort explizit auf § 531 Abs. 2 ZPO abgestellt. Zum anderen aber kann es in der Berufungsbegründung noch gar nicht feststehen, ob die Gegenseite einiges oder alles bestreiten wird oder nicht. – Beschränkt sich der Berufungsführer daher auf solche neuen (bis dahin: angeblich unstreitige) Tatsachen, wird seine Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO schon als unzulässig verworfen.
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Ungeklärt ist, ob das Berufungsgericht die Unstreitigkeit einer neuen Tatsache ermitteln muss, indem es vor einer Entscheidung eine Erwiderung des Berufungsbeklagten einholt. cc) Neues nach Zurückverweisung
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Das Berufungsgericht darf auch nach einer Zurückverweisung der Sache neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen. Ist von dem Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 531 Abs. 2 ZPO zugelassener Tatsachenvortrag (Ausgangsvortrag) unschlüssig, muss das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung ergänzendes, zur Schlüssigkeit des Ausgangsvortrags führendes Parteivorbringen auch dann unberücksichtigt lassen, wenn die Partei vor der Zurückverweisung keine Gelegenheit erhalten hatte, ihren Ausgangsvortrag zu ergänzen.480 dd) Neues im Arbeitsgerichtsprozess
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Zur Begründung der Berufung gegen das Urteil eines Arbeitsgerichts braucht der Berufungskläger nicht gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO, § 67 Abs. 6 S. 1 ArbGG Tatsachen darzulegen, aufgrund deren seine Angriffund Verteidigungsmittel zuzulassen sind, weil der dort in Bezug genommene § 531 Abs. 2 ZPO im Arbeitsgerichtsprozess durch die spezielle 478 BGH v. 22.1.2004 – V ZR 187/03, MDR 2004, 700 = ProzRB 2004, 124, S. 6 des Entscheidungsumbruchs. 479 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 266/03, MDR 2005, 945. 480 BGH v. 2.4.2004 – V ZR 107/03, MDR 2004, 866.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
Vorschrift des § 67 ArbGG verdrängt wird, der weiterhin auch schuldhaft verspätetes Vorbringen zulässt, sofern dieses die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.481 c) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Betrachtung des Rechtsstreites materiell-rechtlich nachlässig handelt, darf dies nicht zum Nachteil einer Partei führen.
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aa) Zusätzliches ungeschriebenes Merkmal Was dabei grundsätzlich zu prüfen ist, wurde schon oben im Rahmen der 623 Darlegungspflicht des Berufungsführers erläutert.482 Dort wurde auch schon darauf hingewiesen, dass der BGH die Anforderungen noch erweitert hat. Es ist erforderlich, den Tatbestand des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO um ein weiteres, ungeschriebenes Merkmal zu ergänzen: Die (objektiv fehlerhafte) Rechtsansicht des Gerichts muss den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflusst haben und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben ist, (mit-)ursächlich dafür geworden sein, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert.483 Nicht zurückgewiesen werden darf neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, das einen Gesichtspunkt betrifft, der von dem Gericht des ersten Rechtszugs für unerheblich gehalten und dessen Zurückhaltung durch das erstinstanzliche Verfahren veranlasst worden sei, § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.484
624
bb) Einzelfälle (1) Unvollständiges Sachverständigengutachten Eine materiell-rechtliche Nachlässigkeit stellt es nach dem VI. Zivilsenat 625 dar, wenn rechtsfehlerhaft ein unvollständiges Sachverständigengutachten eingeholt wurde, welches eine Vervollständigung von Amts wegen erfordert.485 Bei dieser Sachlage ist ein Antrag auf Anhörung des Gutachters in der Berufungsinstanz gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen.486
481 482 483 484 485
LAG Berlin v. 11.4.2003 – 6 Sa 2262/02. Ab Rz. 522. BGH v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, MDR 2004, 678. BGH v. 23.9.2004 – VII ZR 173/03, MDR 2005, 206. Die Bedeutung dieser Konstellation für § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wurde oben erläutert. 486 BGH v. 8.6.2004 – VI ZR 230/03, MDR 2004, 1313.
161
Prüfungsumfang
(2) (Un-)Erheblichkeit von Bestreiten 626
Neue Beweismittel, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Erstgericht vorgebracht werden, sind gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, wenn das Erstgericht die Beweisbedürftigkeit der Behauptung aus dem Grunde verneint hat, weil es das Bestreiten des Gegners als unerheblich angesehen hat, und das Berufungsgericht abweichend davon das Bestreiten als erheblich ansieht.487 (3) Neue Gegenrechte
627
Zu den neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die zuzulassen sind, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen vom Erstgericht übersehenen oder erkennbar für unerheblich gehaltenen Gesichtspunkt stützt, gehört auch die Geltendmachung neuer Gegenrechte. Ob es der Partei möglich gewesen wäre, das Gegenrecht bereits in erster Instanz vorzubringen, ist unerheblich. Die Parteien sollen nicht gezwungen sein, in erster Instanz vorsorglich auch solche Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus erkennbar unerheblich sind.
628
Ein bislang unberücksichtigter Nichtigkeitsgrund – hier: Formunwirksamkeit – stellt auch dann einen (durch das Berufungsgericht aufgeworfenen) neuen rechtlichen Gesichtspunkt dar, wenn die Wirksamkeit des Vertrages zuvor (vom Erstgericht) unter einem anderen Aspekt – hier: Sittenwidrigkeit – in Zweifel gezogen worden ist.488 d) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
629
Wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Betrachtung des Rechtsstreites verfahrensrechtlich nachlässig handelt, darf auch dies nicht zum Nachteil einer Partei führen. Hier fordert das Gesetz aber mehr als in Nr. 1, nämlich eine Verbindung zwischen dem Verfahrensfehler und dem unterbliebenen Vortrag des Mittels („infolge“). Es muss demnach so sein, dass der Vortrag unterblieben ist, weil es einen Verfahrensfehler gab. Es spielt demgegenüber keine Rolle, ob oder dass der Vortrag trotz des Verfahrensfehlers hätte erfolgen können. aa) Hauptanwendungsbereich: unterlassene Hinweise
630
§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, dass nach § 139 ZPO gebotene Hinweise des erstinstanzlichen Gerichts unterblieben
487 OLG Brandenburg v. 9.12.2004 – 12 U 120/04, OLGR Brandenburg 2005, 222. 488 BGH v. 30.6.2006 – V ZR 148/05.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
sind, die zu entsprechendem Vorbringen in erster Instanz Anlass gegeben hätten.489 Die Dokumentation des Hinweises im Tatbestand des Urteils soll nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe ausreichen, um den Anforderungen des § 139 Abs. 4 ZPO zu genügen.490
631
Das ist mehr als bedenklich, weil sich eine solche Dokumentation ja nur auf einen zeitlich (möglicherweise weit) zurückliegenden Vorgang beziehen kann. Jeder Hinweis macht nur Sinn, wenn ihm eine Reaktion folgen könnte. Bei der Abfassung des Tatbestandes ist dies nicht mehr der Fall. Letztlich wird das zu einer Einladung an das Gedächtnis des Urteilsverfassers zu prüfen, ob er nicht doch noch irgendwo (vielleicht in einer länger dauernden mündlichen Verhandlung) einen Hinweis gegeben hatte, der über § 139 Abs. 4 und § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zur Berufungsfestigkeit des Urteils führen könnte. bb) Einzelfälle (1) Unvollständiger Hinweis zum nötigen weiteren Vorbringen Entsprechend entschied dann der VII. Zivilsenat: Ein Sachvortrag kann in 632 der Berufungsinstanz nicht zurückgewiesen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht aufgrund eines unvollständigen gerichtlichen Hinweises den Eindruck erweckt hat, weiteres Vorbringen sei nicht erforderlich.491 (2) Kein Hinweis zur nicht hinreichenden Substantiierung Der V. Zivilsenat ergänzt dies um den Fall, dass im Urteil des erstinstanz- 633 lichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden ist, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war.492 (3) Keine Hinweispflicht zu alternativen Antragsbegründungen Allerdings ist das Gericht in Ausübung der ihm in § 139 Abs. 1 ZPO über- 634 tragenen Prozessleitung nicht gehalten, die Partei auf eine andere, nicht
489 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077; BGH v. 19.2.2004, III ZR 147/03, MDR 2004, 678 = ProzRB 2004, 157. 490 OLG Karlsruhe v. 25.1.2006 – 7 U 48/05, OLGR Karlsruhe 2006, 490. 491 BGH v. 14.10.2004 – VII ZR 180/03, MDR 2005, 161. 492 BGH v. 9.6.2005 – V ZR 271/04, MDR 2005, 1365.
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Prüfungsumfang
im Rahmen des bisherigen Vorbringens liegende tatsächliche Begründung ihres Klageantrags hinzulenken.493 (4) Keine Hinweispflicht zu Nebenforderungen 635
Es soll nach dem OLG Schleswig auch keine Hinweispflicht des Gerichts bei Nebenforderungen geben.494 (5) Sachverständige – Ergänzungsgutachten und Befragungen
636
Das OLG Saarbrücken äußerte sich dazu, wann die Ablehnung einer mündlichen Gutachtenserläuterung (nicht) verfahrensfehlerhaft sei. Werde ein Antrag auf mündliche Gutachtenerläuterung erst nach Einholung eines oder mehrerer schriftlicher Ergänzungsgutachten gestellt, seien an dessen Begründung strenge Anforderungen zu stellen. Es genüge nicht, dass die Partei allgemein angebe, in welche Richtung sie im Rahmen der Anhörung eine weitere Abklärung herbeizuführen wünsche. Die Partei müsse vernünftige Gründe angeben, weshalb trotz der Gutachtenergänzungen objektiv weiterer Klärungs- und Erläuterungsbedarf bestehe.495 e) §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aa) Nachlässigkeit = einfache Fahrlässigkeit
637
Hat das Gericht erstinstanzlich insoweit keine Fehler gemacht, die es gebieten, neue Mittel zuzulassen, bleibt die Möglichkeit, dass eine Partei einfach von sich aus Neues einbringt. Das ist ihr nur unter der Voraussetzung gestattet, dass die Nichtgeltendmachung in erster Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht. Genau das muss sie deshalb darlegen.
638
Der V. Zivilsenat stellt fest, dass § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO die Berücksichtigung solcher tatsächlichen Umstände in der Berufungsinstanz ausschließt, die in erster Instanz nicht vorgebracht wurden, obwohl sie und ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.496 – Das ist nichts anderes als einfache Fahrlässigkeit.
493 OLG Saarbrücken v. 14.12.2004 – 4 U 706/03-128, OLGR Saarbrücken 2005, 228. 494 OLG Schleswig v. 12.8.2004 – 7 U 10/04, OLGR Schleswig 2005, 99. 495 OLG Saarbrücken v. 25.2.2004 – 1 U 422/03-108, n. rkr., OLGR Saarbrücken 2004, 379. Aktenzeichen des BGH: VI ZR 104/04. 496 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
bb) Einzelfälle (1) Parteigutachten Bei einem Parteigutachten, mit welchem in der Berufung ein im ersten 639 Rechtszug eingeholtes gerichtliches Gutachten angegriffen wird, handelt es sich um ein neues, nach Auffassung des OLG Schleswig nicht zulassungsfähiges Angriffsmittel, wenn das Gutachten auch bereits im ersten Rechtszug hätte eingeholt werden können (§ 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).497 Diese Entscheidung hat der BGH später aufgehoben. Eine Partei sei (auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses) grundsätzlich nicht verpflichtet, Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten bereits in erster Instanz auf ein Privatgutachten oder auf sachverständigen Rat zu stützen, wenn ihr Vortrag fachspezifische Fragen betrifft und eine besondere Sachkunde erfordert (Fortführung Senatsurteil BGHZ 159, 245).498 Zweifelhaft ist, ob damit auch eine Entscheidung des KG499 anders beur- 640 teilt werden müsste, welches meinte, der Berufungskläger sei auch mit Beanstandungen gegen ein Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, wenn er sie erstinstanzlich hätte geltend machen können; denn Beanstandungen eines Sachverständigengutachtens zählten zu den neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln. Man wird dies wohl danach differenzieren müssen, ob solche Einwendungen die vom BGH angesprochenen fachspezifische Fragen betreffen und eine besondere Sachkunde erfordern (dann keine Präklusion) oder ob die Einwendungen auch ohne dies hätten erfolgen können (dann Präklusion). (2) Partei in Strafhaft Im ersten Rechtszug nicht geltend gemachte Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im Berufungsverfahren nicht allein deshalb mangels Nachlässigkeit der Partei i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen, weil sich der Beklagte vier Monate in Strafhaft befand.500
641
(3) Erstinstanzlicher Vortrag von Patienten Auch unter Berücksichtigung der reduzierten Darlegungslast des Patienten im Arzthaftungsprozess ist zumindest zu erwarten, dass der Patient vorträgt, mit welchen Beschwerden er sich beim Arzt vorgestellt hat. Wird dies in erster Instanz unterlassen, ist dies in der Regel nachlässig
497 498 499 500
OLG Schleswig v. 23.9.2004 – 7 U 31/04, OLGR Schleswig 2005, 8. BGH v. 18.10.2005 – VI ZR 270/04, BGHReport 2006, 192 = NJW 2006, 152. KG v. 21.10.2004 – 12 U 22/04, KGR Berlin 2005, 123. KG v. 15.8.2005 – 12 U 121/04, KGR Berlin 2005, 989.
165
642
Prüfungsumfang
und steht einer Berücksichtigung neuen Vorbringens – sofern bestritten – in zweiter Instanz gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO entgegen.501 643
Möglichen psychoreaktiven Unfallfolgen muss das Gericht auch dann nicht von Amts wegen nachgehen, wenn dafür im orthopädischen Gutachten Vermutungen geäußert werden, sondern nur dann, wenn der Kläger Derartiges ausdrücklich behauptet und seinen Anspruch unter Beweisantritt darauf stützt. War dem Kläger aufgrund fachärztlicher Behandlung bereits in erster Instanz eine ärztlich diagnostizierte unfallbedingte reaktive Depression bekannt, kann ein erst im Berufungsverfahren gestellter Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Psychiatrie zum Beweise der Richtigkeit einer entsprechenden Behauptung nicht zugelassen werden (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).502
644
Ein Patient, der den im ersten Rechtszug erhobenen Vorwurf unzureichender Aufklärung über eine Behandlungsalternative fallen lässt, ist mit der neuen Behauptung, er habe über eine andere Behandlungsalternative aufgeklärt werden müssen, nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.503 (4) Einrede der beschränkten Erbenhaftung
645
Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung kann nicht mehr erstmalig in zweiter Instanz erhoben werden.504 (5) Erstinstanzlicher Verzicht auf Zeugen
646
Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass die durchgeführte Beweisaufnahme deswegen unzutreffend und lückenhaft ist, weil das Erstgericht eine Zeugin nicht vernommen hat, auf die der Berufungskläger in Kenntnis der gesamten Prozesssituation für die erste Instanz verzichtet hat, nachdem sie zum Beweisaufnahmetermin entschuldigt nicht erschienen war.505 (6) Erstinstanzlich nicht benannte Zeugen zu neuem Sachvortrag
647
Neuem Sachvortrag und Beweisanträgen auf Vernehmung von Zeugen muss das Berufungsgericht nicht nachgehen, wenn der Berufungskläger nach seinem eigenen Vorbringen schon erstinstanzlich Kenntnis von den Vorgängen selbst und von dem Wissen der Zeugen um die Vorgänge hatte. 501 502 503 504 505
166
OLG Düsseldorf v. 17.3.2005 – I-8 U 123/04, OLGR Düsseldorf 2006, 42. KG v. 13.10.2005 – 12 U 296/03, KGR Berlin 2006, 216. OLG Karlsruhe v. 9.3.2005 – 7 U 27/04, OLGR Karlsruhe 2005, 375. OLG Hamm v. 15.11.2005 – 27 U 88/05, OLGR Hamm 2006, 379. OLG Köln v. 14.12.2004 – 4 U 24/04, OLGR Köln 2005, 99.
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
Dann beruht die Nichtgeltendmachung dieses Vortrages bereits in erster Instanz auf (grober) Nachlässigkeit.506 (7) Erstinstanzlich zurückgehaltener Vortrag – „Prozesstaktik“ Vortrag, der aus prozesstaktischen Erwägungen zurückgehalten wurde, 648 um erst einmal abzuwarten, wie sich das Gericht zu dem schon vorgebrachten Prozessstoff stellt, ist nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Wer sehenden Auges seine Einkommensverhältnisse nicht offen legt, obwohl gerade daraus ein Anspruch hergeleitet werden soll, geht das Risiko ein, erst im Berufungsrechtszug zu obsiegen und dort zur Höhe des Anspruchs aufgrund der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mehr vortragen zu können.507 (8) Im einstweiligen Verfügungsverfahren Aufgrund der Besonderheiten des einstweiligen Verfügungsverfahrens 649 muss es nicht nachlässig sein, Vortrag erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorzubringen. Manchmal kann es einem Beklagten nicht zugemutet werden, sich erst mittels eines Sachverständigen hinreichend über die Mängel kundig zu machen und dann Widerspruch gegen einen Verfügungsbeschluss einzulegen. Ist der Widerspruch aber eingelegt und hat das Erstgericht eine zügige Verfahrensweise, dann bleibt keine Möglichkeit, für einen im Interesse beider Parteien wenigstens einigermaßen substantiierten Vortrag ein schriftliches Sachverständigengutachten so rechtzeitig einzuholen, dass es noch vor dem Verhandlungstermin erster Instanz vorliegt.508 f) Fehlerhafte Nichtzulassung entgegen § 531 Abs. 2 ZPO Der V. Zivilsenat klärte, dass das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, recht- 650 liches Gehör zu gewähren, jedenfalls dann verletzt sei, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zur Verhandlung zulasse (vgl. BVerfG, NJW 2000, 945, 946 – zur Präklusion). Ein solcher Fehler liege vor, wenn im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden sei, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung 506 OLG Köln v. 17.1.2006 – 9 U 60/05, n. rkr., OLGR Köln 2006, 531, Aktenzeichen des BGH: IV ZR 40/06; OLG Schleswig v. 17.2.2005 – 7 U 168/03, OLGR Schleswig 2005, 717. 507 OLG Karlsruhe v. 14.7.2004 – 7 U 18/03, OLGR Karlsruhe 2004, 421. 508 OLG Stuttgart v. 25.1.2005 – 6 U 175/04, OLGR Stuttgart 2005, 223.
167
Prüfungsumfang
gegeben wäre, und das Berufungsgericht auch das neue, nunmehr substantiierte Vorbringen unter Hinweis auf § 531 Abs. 2 ZPO zurückweise. 651
Werde ein solcher Verfahrensfehler in einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, könne das Berufungsurteil im Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.509
652
Es bleibt nach dieser Entscheidung aber die Frage offen, welches sachliche Kriterium eine offensichtlich fehlerhafte Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO fordern könnte, um eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu begründen. Die Gehörsverletzung kann schwerlich davon abhängen, ob jeder sofort darauf kommen kann (Offensichtlichkeit) oder ob es eines gewissen Nachdenkens bedarf. g) § 533 ZPO
653
Eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung oder Widerklage schließt die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht aus.510 aa) Keine Klageänderungen: § 264 Nr. 2 und 3 ZPO
654
Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz nicht als Klageänderung anzusehen; § 533 ZPO findet auf sie keine Anwendung.
655
Das Berufungsgericht darf seiner rechtlichen Beurteilung eines nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO geänderten Klageantrags nicht nur die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag festgestellten Tatsachen zugrunde legen, sondern auf den gesamten erstinstanzlichen Prozessstoff zurückgreifen. Wenn es dabei aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auf Tatsachen ankommt, die in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt worden sind, bestehen Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die das Berufungsgericht zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten.511
509 BGH v. 9.6.2005 – V ZR 271/04, MDR 2005, 1365. 510 OLG Nürnberg v. 24.2.2003 – 13 U 3187/02, OLGR Nürnberg 2003, 242; OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. 511 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, MDR 2004, 1077. Dem hat sich der VII. Zivilsenat (BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 138/04, BGHReport 2006, 643) so angeschlossen: Die mit der Berufung vorgenommene Erweiterung des Klageantrags gemäß § 264 Nr. 2 ZPO wegen einer weitergehenden Schlussrechnungsforderung ist keine Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO. Im Hinblick auf neue Tatsachen gilt: Auch neuer Vortrag der Parteien ist jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als er die Klageerweiterung betrifft.
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Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
In Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung512 entscheidet der BGH für Architekten nunmehr so:
656
Verfolgt der Architekt mit der Berufung nicht mehr seine Abschlags-, sondern eine Teilschlussforderung, so ist das gemäß § 264 Nr. 3 ZPO nicht als eine Änderung der Klage anzusehen.513
Derselbe Senat erweitert das später dahin, dass wenn ein Unternehmer mit der Berufung hilfsweise zu seiner Abschlagsforderung den Schlussrechnungsbetrag geltend macht, ohne dass eine spätere Veränderung eingetreten ist, auch dies gemäß § 264 Nr. 1 ZPO nicht als eine Änderung der Klage anzusehen sei.514
657
Eine Klageänderung liegt auch dann nicht vor, wenn der Berufungskläger 658 die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt, und dabei den geltend gemachten Anspruch nicht mehr (wie erstinstanzlich) auf den Gewinn eines Preisausschreibens stützt, sondern in der zweiten Instanz eine vertragliche Grundlage für seinen Anspruch annimmt.515 Bei gleich bleibendem Lebenssachverhalt und gleich bleibendem Antrag ist die Auswechselung der Anspruchsgrundlage ohne Belang. bb) Klageänderung Eine Klageänderung im Berufungsrechtszug i.S.v. § 533 ZPO setzt ein zu- 659 lässiges Rechtsmittel voraus. Eine Klägerin als Berufungsbeklagte kann nur im Wege der Anschlussberufung i.S.v. § 524 ZPO eine Klageänderung erreichen.516 Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung befasst sich das Berufungs- 660 gericht nicht mit der in der Berufungsinstanz durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger erweiterten Klage; es prüft insb. nicht deren Erfolgsaussicht. Mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung wirkungslos.517 (1) (Nicht ausreichende) Sachdienlichkeit Der Austausch des Klagegrundes stellt eine Klageänderung dar, die im Be- 661 rufungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig ist. An der erforderlichen Sachdienlichkeit der Klageänderung fehlt es im
512 513 514 515 516 517
BGH v. 5.11.1998 – VII ZR 191/97, BauR 1999, 267 = MDR 1999, 221. BGH v. 11.11.2004 – VII ZR 128/03 = MDR 2005, 502. BGH v. 8.12.2005 – VII ZR 191/04, BGHReport 2006, 392. BGH v. 29.6.2006 – III ZB 36/06. OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51. OLG Rostock v. 12.6.2003 – 3 U 96/03, OLGR Rostock 2003, 355.
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Prüfungsumfang
Regelfall dann, wenn die Zulassung der Klageänderung das Berufungsgericht zur Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffes nötigen würde.518 662
Eine nach dem Gesetzeswortlaut selbstverständliche Voraussetzung war dem KG eine Entscheidung wert: Auch wenn eine Klageänderung im Berufungsverfahren (hier: Umstellung einer Klage im Wege der Prozessstandschaft in Klage aus abgetretenem Recht) nach § 533 Abs. 1 ZPO als sachdienlich anzusehen ist, kann das neue Vorbringen (Tatsache der Abtretung) nur zugelassen werden, wenn dies nach § 531 Abs. 2 ZPO möglich ist.519 (2) Fehlende Einwilligung in Übergang von Rücktritt auf Minderung
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Der Übergang zur Minderung in der Berufung bei abgewiesener Rücktrittsklage ist keine zulässige Klageänderung nach § 533 ZPO n.F. und führt bei Nichteinwilligung des Gegners zur Verwerfung (§ 522 Abs. 1 ZPO n.F.).520 (3) Zulässigkeit entgegen § 533 ZPO bei Abweisung
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Jedenfalls dann, wenn über einen in zweiter Instanz eingeführten neuen Streitgegenstand auf der Grundlage des nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO n.F. zulässigen Prozessstoff dem Grunde nach verhandelt und – nämlich durch Klageabweisung – entschieden werden kann, ist eine Klageänderung entgegen des Wortlauts des § 533 ZPO n.F. zulässig, unabhängig davon, ob der Kläger seine geänderte Klage darüber hinaus auch auf neues Sachvorbringen zur Anspruchshöhe stützt, was nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO n.F. zugelassen werden darf.521 (4) Eventualklagehäufung mit Berufungserwiderung
665
Eine mit der Berufungserwiderung erfolgte Eventualklagehäufung, durch die die Klageforderung hilfsweise auf einen neuen Streitgegenstand gestützt werden soll (hier: abgetretene Forderung), ist einer Klageänderung gem. § 533 ZPO gleichzustellen.522
518 OLG Saarbrücken v. 14.12.2004 – 4 U 706/03-128, OLGR Saarbrücken 2005, 228. 519 KG v. 13.3.2006 – 12 U 11/05, KGR Berlin 2006, 504. 520 OLG Jena v. 21.10.2003 – 4 U 631/03, OLGR Jena 2004, 126. 521 OLG Naumburg v. 25.9.2003 – 1 U 29/03, OLGR Naumburg 2004, 62. 522 OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, n. rkr., OLGR Celle 2006, 321.
170
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(5) Erweiterung auf weiteren (akzessorisch haftenden) Beklagten Die Erweiterung der Klage durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger auf einen weiteren Beklagten ist nach einer Entscheidung des OLG Rostock in der Berufungsinstanz zulässig, soweit sie nicht auf neues, gem. § 531 ZPO ausgeschlossenes Vorbringen gestützt wird.523
666
Es ging dabei um eine Ausdehnung auf einen ohnehin akzessorisch haftenden Gesellschafter einer GbR. Das OLG Rostock knüpfte an die Rechtsprechung aus der Zeit vor der ZPO-Reform an524 und formulierte, die Ausdehnung des Rechtsstreites auf einen weiteren Beklagten in der Berufungsinstanz sei zuzulassen, wenn der neue Beklagte zustimme oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich sei. Die ZPOReform lasse diese Grundsätze unberührt. Trotz der Beschränkung des Prüfungsumfanges des Berufungsgerichts blieben die Klageänderung, die Aufrechnungserklärung und die Widerklage in der Berufungsinstanz unter den besonderen Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig. Gemäß § 533 ZPO analog sei als weitere Voraussetzung bei einer Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten neben der Frage der rechtsmissbräuchlichen Zustimmungsverweigerung zu prüfen, ob die Klageerweiterung auf Tatsachen gestützt werden könne, die das Berufungsgericht nach § 529 ZPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen habe. Der neue Beklagte könne sich gegen seine Inanspruchnahme allerdings auch mit neuen persönlichen Einwendungen wehren. Dieses Vorbringen sei gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zu berücksichtigen, da es wegen der erst in der Berufungsinstanz erfolgten Klageerweiterung nicht auf einer Nachlässigkeit beruhe. Damit drohe keine Schlechterstellung des neuen Beklagten.
667
(6) Gewillkürter Wechsel auf anderen Beklagten Der gewillkürte Wechsel des Beklagten im Berufungsverfahren ist grundsätzlich nur mit Zustimmung des alten und des neuen Beklagten zulässig. Verweigern der alte und/oder der neue Beklagte die Zustimmung, so kann das unter besonderen Voraussetzungen rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich sein. Ein solcher Fall des Rechtsmissbrauchs liegt vor, wenn der bisherige Beklagte seine Parteifähigkeit verloren hat und der Grund dafür im Einflussbereich des neuen Beklagten liegt, für den zudem der gesamte bisherige Prozessstoff Geltung behält.525
523 OLG Rostock v. 1.11.2004 – 3 U 166/03, OLGR Rostock 2005, 126. 524 BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 ff. 525 OLG Bamberg v. 10.4.2002 – 3 U 192/00, OLGR Bamberg 2002, 444.
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668
Prüfungsumfang
(7) Wechsel von Zahlungs- auf Feststellungsklage 669
Zuwendungen der Schwiegereltern zu dem Erwerb einer Immobilie können nach dem Scheitern der Ehe nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einem Ausgleichsanspruch führen, wenn ein güterrechtlicher Ausgleich im Wege des Zugewinnausgleichs nicht in Betracht kommt. Ist Zahlungsklage erhoben worden, so kann auch in der Berufung noch hilfsweise Klage auf Feststellung des Bestehens des Anspruchs dem Grunde nach erhoben werden.526 (8) Wechsel von positivem Interesse auf negatives Interesse
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Verlangt der Käufer von der Beklagten erstinstanzlich den Ersatz des Nichterfüllungsschadens wegen der Nichtgewährung eines Sanierungsdarlehens, zweitinstanzlich aber den Schaden wegen eines Beratungsmangels, da die beklagte Bank ihn vor diesem Anlageobjekt nicht gewarnt habe, so liegt eine unzulässige Klageänderung vor.527 (9) Wechsel des Leistungsempfängers
671
Soweit klagende Wohnungseigentümer, die erstinstanzlich obsiegt haben, als Berufungsbeklagte (in Aufrechterhaltung des erstinstanzlichen Hilfsantrages) zweitinstanzlich Zahlung nicht an sich, sondern an die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangen, ist das zunächst eine Klageänderung. (Materiell sind Wohnungseigentümer Mitgläubiger i.S.v. § 432 BGB, wenn ein Kostenvorschuss für die zur Beseitigung eines Baumangels erforderlichen Aufwendungen geltend gemacht werden soll; mithin können einzelne Wohnungseigentümer nur Zahlung an die Gemeinschaft verlangen.) Diese Klageänderung ist ohne Einwilligung zulässig, da sachdienlich; auch muss der neue Vortrag der Kläger nach §§ 533 Nr. 2, 529 ZPO (Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft und Name des Verwalters) berücksichtigt werden, da er zum einen nicht bestritten worden ist und er zum anderen aufgrund einer anderen Rechtsansicht des Senats erforderlich wurde.528
526 OLG Brandenburg v. 21.7.2004 – 7 U 185/03. 527 OLG Frankfurt a.M. v. 24.3.2004 – 13 U 203/02. 528 OLG Dresden v. 17.3.2005 – 4 U 2065/04, OLGR Dresden 2005, 895.
172
Eingeschränkte Bindung an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen
(10) Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstandes Neue, vor dem Berufungsgericht im Wege der Klageerweiterung geltend 672 gemachte Ansprüche bleiben bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes unberücksichtigt.529 cc) Widerklage und Hilfswiderklage Eine erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Widerklage ist zulässig, wenn der Gegner einwilligt und das Begehren auf unstreitigem Sachvortrag beruht.530
673
Û
674
Praxistipp: Die erste Voraussetzung ergibt sich ohnehin direkt aus dem Gesetz (§ 533 Nr. 1 ZPO). Die zweite dagegen ist die konsequente Fortsetzung der Rechtsprechung zu § 531 Abs. 2 ZPO.531
Eine Widerklage, die in erster Instanz nach dem Schluss der mündlichen 675 Verhandlung eingereicht und als unzulässig abgewiesen wurde und mit der Berufung weiterverfolgt wird, ist im Berufungsverfahren neu erhoben und nur zulässig, wenn sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.532 Eine in zweiter Instanz erhobene Hilfswiderklage ist nicht zuzulassen, 676 wenn ihr Gegenstand nur äußerlich in Beziehung zu dem Streitstoff der Klage steht, die materielle Rechtslage aber durchweg von anderen Aspekten als denen abhängt, die die Beurteilung der Klage tragen.533 dd) Drittwiderklage Nach § 533 ZPO ist die Zulässigkeit einer in zweiter Instanz neu erhobe- 677 nen Widerklage von der Einwilligung des Gegners, ersatzweise von einer Bejahung der Sachdienlichkeit durch das Gericht abhängig. Darüber hinaus ist Voraussetzung, dass zur Entscheidung keine nicht für den bisherigen Prozessstoff nach § 529 ZPO ohnehin zur berücksichtigenden Tatsachen zugrunde gelegt werden müssen. Gleiches gilt insoweit für die Drittwiderklage.534
529 530 531 532 533 534
OLG Rostock v. 5.4.2004 – 7 U 136/03, OLGR Rostock 2004, 454. BGH v. 6.12.2004 – II ZR 394/02, MDR 2005, 588. BGH v. 18.11.2004 – IX ZR 229/03, MDR 2005, 527. OLG Stuttgart v. 23.4.2003 – 14 U 42/02, OLGR Stuttgart 2003, 395. OLG Frankfurt a.M. v. 7.10.2005 – 24 U 71/05. OLG Frankfurt a.M. v. 28.3.2006 – 9 U 56/04.
173
Prüfungsumfang
ee) Aufrechnung 678
Die erstmalige Aufrechnung mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung in zweiter Instanz ist dann nicht sachdienlich i.S.v. § 533 Nr. 1 ZPO, wenn die Wirksamkeit der Aufrechnung aus Gründen in Frage steht, die durch die Rechtskraft nicht bereits entschieden sind, und deshalb die Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffs durch das Berufungsgericht erforderlich wird.535
535 OLG Hamm v. 9.11.2004 – 27 U 61/04, OLGR Hamm 2005, 94.
174
VIII. Berufungsrücknahme 1. Zeitpunkt Der Berufungskläger kann seine Berufung auch noch nach der Verkündung eines Versäumnisurteils zurücknehmen, wenn gegen dieses Urteil zulässig Einspruch eingelegt worden ist.536
679
Nach der Zustellung des Beschlusses über die Verwerfung der Berufung als unzulässig kann nach dem OLG Celle die Rücknahme der Berufung nicht mehr wirksam erklärt werden.537
2. Eindeutige Erklärung Die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme setzt nach einer Entscheidung des IV. Zivilsenates voraus, dass sie, wenn auch nicht unbedingt ausdrücklich, so doch eindeutig erklärt wird. Der Rechtsmittelführer müsse klar und unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass er das Verfahren nicht mehr fortsetzen und ohne Entscheidung des Rechtsmittelgerichts beenden wolle.538
680
Wenn ein Prozessbevollmächtigter namens zweier Berufungsklägerinnen „Berufung“ einlegt und unter Wiederholung der in der Berufungsschrift – in Übereinstimmung mit dem Rubrum der angefochtenen Entscheidung – zutreffend wiedergegebenen beiden Parteibezeichnungen – Klägerin und Drittwiderbeklagte – auch für beide das Rechtsmittel zurücknimmt, lässt bereits die Angabe der Parteibezeichnungen beider Rechtsmittelführer an der gebotenen Klarheit keine Zweifel aufkommen, dass auch die Rücknahmeerklärung auf beide Rechtsmittel zu beziehen ist.
681
Für eine irrtümliche Bezeichnung der Drittwiderbeklagten auch als „Klä- 682 gerin“ sei einem solchen Rücknahmeschriftsatz nichts zu entnehmen. Erst recht wäre ein solcher Irrtum für Rechtsmittelgegner und Gericht nicht „ganz offensichtlich“ gewesen. Nur in solchen Fällen könne nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aber in Betracht kommen, eine Rücknahme als unwirksam zu behandeln.539
536 537 538 539
BGH v. 30.3.2006 – III ZB 123/05, BGHReport 2006, 870. OLG Celle v. 14.4.2004 – 4 U 50/04, OLGR Celle 2004, 336. BGH v. 15.3.2006 – IV ZB 38/05, BGHReport 2006, 928. BGH v. 15.3.2006 – IV ZB 38/05, BGHReport 2006, 928.
175
Berufungsrücknahme
3. Einfache Rücknahme bei doppelter Berufungseinlegung 683
Haben zwei Prozessbevollmächtigte einer Partei unabhängig voneinander Berufung wegen desselben Anspruchs eingelegt und nimmt einer von ihnen „die Berufung“ ohne weitere Einschränkung zurück, so bewirkt dies den Verlust des Rechtsmittels insgesamt.540
4. Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung 684
Die verjährungshemmende Wirkung einer zweitinstanzlichen Streitverkündung entfällt nicht dadurch, dass der Berufungsführer sein Rechtsmittel später zurücknimmt. Die Dauer der Hemmung richtet sich nach § 204 Abs. 2 BGB.541
5. Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO 685
Der Ablauf der Berufungsfrist lässt das Rechtsschutzbedürfnis an der Verlustigerklärung gem. § 516 Abs. 3 ZPO trotz eingetretener Rechtskraft des Urteils nicht entfallen. Diese Erklärung dient in erster Linie der Erleichterung der Prüfung bei Erteilung des Rechtskraftzeugnisses und der sich daraus ergebenen Vorteile für den inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts. Der Verlustigkeitsbeschluss schneidet dem Rechtsmittelkläger die Möglichkeit ab, seine Rechtsmittelrücknahme und deren Ordnungsmäßigkeit in Zweifel zu ziehen.542
686
Die in einem außergerichtlichen Vergleich enthaltene abweichende Kostenregelung für das Berufungsverfahren nach Zurücknahme der Berufung geht der Kostenfolge des § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO allerdings vor.543
687
Führt die Rücknahme des Rechtsmittels gegen ein Grundurteil zu einer Entscheidung nach § 516 Abs. 3 ZPO und schon zu einer entsprechenden Kostenfestsetzung, erfordert die in einem dann erst nachfolgenden Vergleich vereinbarte umfassende Kostenaufhebung die Rückfestsetzung, sofern nicht ausdrücklich vereinbart wird, dass der Vergleich bereits festgesetzte Kosten unberührt lässt.544
540 541 542 543 544
176
OLG Bremen v. 13.1.2006 – 4 U 37/05, OLGR Bremen 2006, 418. OLG Koblenz v. 6.4.2006 – 5 U 531/05. OLG Frankfurt v. 18.7.2005 – 4 U 101/05, OLGR Frankfurt 2006, 265. OLG Frankfurt v. 23.10.2003 – 5 U 187/03, OLGR Frankfurt 2004, 272. OLG Koblenz v. 1.9.2005 – 14 W 562/05.
IX. Berufungsentscheidung Die Berufung kann mangels Zulässigkeit verworfen werden, § 522 Abs. 1 ZPO. Sie kann nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Das geschieht regelmäßig durch Beschluss.
688
Sie kann nach § 538 Abs. 1 ZPO zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils führen. Und sie kann nach § 538 Abs. 2 ZPO unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht führen.
689
1. Hinweise vor der Entscheidung Jedenfalls darf das Berufungsgericht seine das erstinstanzliche Urteil än- 690 dernde Entscheidung auf eine von diesem abweichende und von einer Partei in erster Instanz lediglich am Rande in Betracht gezogene Vertragsauslegung nur stützen, wenn es die Parteien darauf zuvor unmissverständlich hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.545 Wenn das Rechtsmittelgericht im Hinblick auf das Fehlen einer Prozessvoraussetzung (hier: ordnungsgemäße Vertretung einer Partei) eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung der Rechtslage vornehmen will, bedarf es eines rechtzeitigen Hinweises. Diese Hinweispflicht entfällt grundsätzlich auch dann nicht, wenn sich aus einem Vorprozess eine bestimmte Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts erschließen lässt.546 Es verletzt den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör, wenn das 691 Berufungsgericht nach mündlicher Verhandlung zunächst die Bestimmung eines neuen Termins „von Amts wegen“ ankündigt, die Berufung jedoch anschließend durch Beschluss nach § 519b Abs. 2 ZPO a.F. verwirft, ohne zuvor auf die Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung hinzuweisen.547 Soweit eine Partei das Berufungsgericht nicht mehr für unparteilich hält 692 (etwa wegen eines vom Berufungsgericht erteilten Hinweis an die Gegenseite), kann sie dies im Revisionsverfahren nicht mehr zum Gegenstand einer Verfahrensrüge machen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht aus § 42 Abs. 2 ZPO nach § 43 ZPO durch Antragstellung oder weitere Einlassung in die Verhandlung verloren hat.548 545 546 547 548
BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/02, BGHReport 2005, 302. BGH v. 15.3.2006 – IV ZR 32/05, BGHReport 2006, 991. BGH v. 28.6.2006 – XII ZB 9/04. BGH v. 7.12.2005 – XII ZR 94/03, BGHReport 2006, 302, FamRB 2006, 76 = FamRZ 2006, 261.
177
Berufungsentscheidung
2. Verwerfungsbeschluss 693
Nach der Zustellung des Beschlusses über die Verwerfung der Berufung als unzulässig kann nach dem OLG Celle die Rücknahme der Berufung nicht mehr wirksam erklärt werden.549
694
Soweit gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts die Rechtsbeschwerde geführt werden soll, gilt: – Die Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht auf Tatsachen gestützt werden, die belegen sollen, dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt war, wenn sie in der Berufungsinstanz nicht vorgetragen worden sind.550 – Die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss ist auch dann zulässig, wenn die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist.551 Die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO gilt dort nicht.552 – Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagenden Beschluss setzt keine gleichzeitige Anfechtung des früheren, die Berufung wegen Versäumung dieser Frist verwerfenden Beschlusses voraus.553
3. Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO 695
Mit einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO kann die Berufung nur als unbegründet zurückgewiesen werden. § 522 Abs. 3 ZPO schränkt die durch § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO eröffnete Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss nicht ein.554 a) Voraussetzungen aa) Offensichtlichkeit der Unbegründetheit
696
Der Gesetzgeber hat die Erforderlichkeit einer „offensichtlichen“ Unbegründetheit der Berufung als Voraussetzung für die einstimmige Zurückweisung gerade nicht in das Gesetz übernommen, die Zurückweisung der 549 OLG Celle v. 14.4.2004 – 4 U 50/04, OLGR Celle 2004, 336. 550 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 40/03, MDR 2004, 107 = NJW 2004, 71 = FamRZ 2004, 180. 551 BGH v. 4.9.2002 – VIII ZB 23/02, MDR 2002, 1446. 552 BGH v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, MDR 2003, 46. 553 BGH v. 10.5.2006 – XII ZB 42/05, BGHReport 2006, 1119. 554 BGH v. 20.6.2006 – VI ZB 75/05.
178
Zurückweisungsbeschluss, § 522 Abs. 2 ZPO
Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen die fehlende Erfolgsaussicht besonders deutlich ins Auge springt.555 bb) Kein Ermessen § 522 Abs. 2 ZPO eröffnet keinen Ermessensspielraum. Es besteht ledig- 697 lich ein Beurteilungsspielraum für die Frage, ob die Voraussetzungen für das Beschlussverfahren vorliegen. Das Berufungsgericht muss von dem Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO Gebrauch machen, wenn es nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage einstimmig der Ansicht ist, dass die Tatbestandsmerkmale dieser Norm im konkreten Fall erfüllt sind.556 cc) Verlängerung der Stellungnahmefrist restriktiver Das OLG Rostock hat entschieden, dass die zur Verlängerung der Frist 698 für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO) höchstrichterlich entwickelte „Vertrauensrechtsprechung“ auf den Antrag zur Verlängerung der nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmten Stellungnahmefrist keine uneingeschränkte Anwendung finde. Im Anwendungsbereich des § 522 Abs. 2 ZPO seien die eine Fristverlängerung rechtfertigenden „erheblichen Gründe“ restriktiver zu beurteilen. Ein Vertrauen auf eine Verlängerung der Stellungnahmefrist (§ 522 Abs. 2 S. 2 ZPO) sei nicht gerechtfertigt, wenn die gerichtlich auf einen Monat bestimmte Frist zugleich mit dem Hinweis verbunden werde, dass eine Fristverlängerung grundsätzlich nicht gewährt werden könne, der Berufungsführer aber erst am letzten Tag des Fristablaufs eine Verlängerung beantrage, ohne eingehend zu den „erheblichen Gründen“ vorzutragen.557 dd) Erfolgsaussichten einer Klageerweiterung irrelevant Bei Prüfung der Erfolgsaussicht der Berufung befasst sich das Berufungs- 699 gericht nicht mit der in der Berufungsinstanz durch den erstinstanzlich unterlegenen Kläger erweiterten Klage; es prüft insb. nicht deren Erfolgsaussicht. Mit Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung wirkungslos.558
555 556 557 558
KG v. 10.11.2003 – 22 U 216/03, MDR 2004, 647. KG v. 2.11.2004 – 7 U 50/04, KGR Berlin 2005, 109. OLG Rostock v. 27.5.2003 – 6 U 43/03, OLGR Rostock 2004, 127. OLG Rostock v. 12.6.2003 – 3 U 96/03, OLGR Rostock 2003, 355.
179
Berufungsentscheidung
ee) Klageänderung/Widerklage 700
Eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung oder Widerklage schließt nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg die Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht aus.559
701
Gleichlautend das OLG Köln, welches ergänzt, dass gleichfalls nichts entgegenstehe, wenn das LG eine Erbauseinandersetzungsklage als unzulässig abgewiesen habe, während sie tatsächlich unbegründet sei.560
702
Mit der Zurückweisung einer Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO wird eine zugleich erhobene (neue) Widerklage wirkungslos.561 ff) § 522 Abs. 2 und § 538 ZPO
703
Hat das Berufungsgericht trotz wesentlicher Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens gem. § 538 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden, kann dies auch durch einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO geschehen, wenn die Berufung gleichwohl in der Sache aussichtslos ist.562 gg) Berufungseinlegung durch mehrere Parteien
704
Eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zulässig, auch wenn mehrere Parteien Berufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt haben und das Berufungsgericht nur eines der Rechtsmittel als unbegründet erachtet.563 hh) Teilzurückweisung
705
Bei Vorliegen der gem. § 301 ZPO für ein Teilurteil erforderlichen Voraussetzungen kann eine Berufung auch teilweise durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden.564 b) Vereinbarkeit mit EMRK und Verfassung
706
Aus Art. 6 EMRK ergibt sich nicht die unbedingte Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz in jedem Fall; eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn nur über die Zulässigkeit verhandelt wird, die sachlichen Angriffe des Rechtsmittelführers für 559 560 561 562 563
OLG Nürnberg v. 24.2.2003 – 13 U 3187/02, OLGR Nürnberg 2003, 242. OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Karlsruhe v. 28.1.2003 – 1 U 105/02, MDR 2003, 144 = OLGR Karlsruhe 2003, 144. 564 OLG Köln v. 3.3.2004 – 2 U 118/03.
180
Berufungsurteil
die Entscheidung ohne Bedeutung sind oder die Angriffe des Berufungsführers angemessen auf der Grundlage des Inhalts der Akten behandelt werden können.565 § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO ist nicht verfassungswidrig.566
707
c) Rechtsmittel gegen den Beschluss Vor dem Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes war nach vereinzelter Meinung gegenüber einem die Berufung zurückweisenden Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO in analoger Anwendung des § 321a ZPO die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör statthaft.567
708
Mit Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes gibt es in § 321a ZPO auch einen Rechtsbehelf gegen den Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO.
709
Die Rechtsbeschwerde bleibt unstatthaft, auch wenn sie in dem Be- 710 schluss zugelassen worden ist, durch den das Berufungsgericht die Rüge nach § 321a ZPO gegen einen Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen hat.568 Es besteht aber – wie immer – die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben.
711
d) Anwendbarkeit auf Entschädigungsverfahren Die Vorschriften der Zivilprozessordnung sind im Verfahren vor den Ent- 712 schädigungsgerichten in ihrer jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden (dynamische Verweisung). Die Berufung kann auch im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten durch unanfechtbaren Beschluss zurückgewiesen werden.569
4. Berufungsurteil a) Fehlerhaft aber zutreffend Eine Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen das Grundrecht auf 713 rechtliches Gehör, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des Vorbringens zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
565 566 567 568 569
OLG Celle v. 6.6.2002 – 2 U 31/02, ProzRB 2003, 146. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2003 – 16 U 116/03, OLGR Frankfurt 2004, 71. BGH v. 6.10.2004 – XII ZB 137/03, BGHReport 2005, 127. BGH v. 6.7.2006 – IX ZB 261/04.
181
Berufungsentscheidung
714
Der Verfahrensfehler führt nicht zur Zulassung der Revision, wenn sich das Berufungsurteil aufgrund umfassender revisionsrechtlicher Überprüfung aus anderen Gründen als zutreffend erweist.570 b) Horizontales (Teil-)Versäumnisurteil, § 539 ZPO
715
Wenn das Familiengericht einer Klage auf nachehelichen Unterhalt teilweise stattgibt, der Beklagte dann mit der Berufung die vollständige Abweisung begehrt, die Klägerin mit einer Anschlussberufung den restlichen Unterhalt, ist fraglich, wie zu entscheiden ist, wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dann nur den Antrag auf Abweisung der Berufung, aber keinen Antrag zu ihrer Anschlussberufung stellt. Soweit der Beklagte darauf die Zurückweisung der Anschlussberufung durch Versäumnisurteil beantragt (horizontales Teilversäumnisurteil), ist dem nach Auffassung des OLG Koblenz stattzugeben.571
716
Das OLG Frankfurt stellte klar, unter welchen Voraussetzungen Teilversäumnis- und Teilurteil bei Säumnis des Klägers und Berufungsbeklagten ergehen dürfe.572 Infolge der Berufungsbeklagtensäumnis sei gemäß § 539 Abs. 2 S. 1 ZPO nur das tatsächliche Vorbringen des Beklagten als zugestanden anzusehen, für Rechtsfragen gelte diese Geständnisfiktion nicht.
717
Auf diese Weise kann es in Abhängigkeit vom Berufungsklägervortrag zur (teilweisen) Zurückweisung der Berufung des Beklagten durch kontradiktorisches Urteil („unechtes Versäumnisurteil“) kommen, zur (teilweisen) Abweisung der Klage durch (echtes) Versäumnisurteil und (bei wesentlichen Verfahrensfehlern) zur (teilweisen) Zurückverweisung der Sache. Über das letzte kann nicht durch Versäumnisurteil entschieden werden, da die Entscheidung darüber, ob ein Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben ist, keine durch Versäumnisurteil zu treffende Sachentscheidung ist. c) Protokollurteil, § 540 ZPO
718
§ 540 ZPO regelt Erleichterungen für die Abfassung eines Berufungsurteils. Einige OLG haben es sich aber etwas zu leicht gemacht. aa) Allgemein
719
Findet gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde statt, muss aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand 570 BGH v. 18.7.2003 – V ZR 187/02, ProzRB 2004, 12 = MDR 2004, 48. 571 OLG Koblenz v. 21.7.2004 – 9 UF 133/04, OLGR Koblenz 2005, 17 mit Auseinandersetzung zur (scheinbar) gegenteiligen Meinung des BGH. 572 OLG Frankfurt a.M. v. 15.8.2003 – 2 U 139/02, OLGR Frankfurt 2003, 484.
182
Berufungsurteil
das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen.573 bb) Tatsächliche Grundlagen Ein Berufungsurteil, das keine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen enthält (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO), unterliegt im Revisionsverfahren grundsätzlich von Amts wegen der Aufhebung und Zurückverweisung.574
720
Die Gründe eines Berufungsurteils müssen tatbestandliche Elemente, 721 welche die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung zweifelsfrei erkennen lassen, enthalten, weil andernfalls eine revisionsrechtliche Prüfung nicht möglich ist.575 Eine der seltenen OLG-Entscheidungen in diesem Bereich kommt vom 722 OLG Frankfurt: Vollständigkeit ist keine Anforderung an den Tatbestandsteil des zweitinstanzlichen Urteils. Die Auswahl der für erwähnenswert zu erachtenden tatbestandlichen Aspekte ist originäre Aufgabe des erkennenden Richters. Die Gehörsrüge ist nicht statthaft, soweit die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnet ist.576 cc) Berufungsanträge Die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils kann sich nach einer Entscheidung des XI. Zivilsenates nicht auf den in zweiter Instanz gestellten Berufungsantrag erstrecken. Dieser ist auch nach neuem Recht in das Berufungsurteil aufzunehmen. Enthält das Berufungsurteil keine wörtliche Wiedergabe des Berufungsantrags, so muss es wenigstens erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat.577
723
In diesem Sinne auch der V. Zivilsenat: Zu dem aus dem Sitzungspro- 724 tokoll ersichtlichen Parteivorbringen, das ebenfalls der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, gehören nicht die von den Parteien im Berufungsverfahren gestellten Anträge. Sie müssen sich aus dem Berufungsurteil ergeben.578 573 BGH v. 30.9.2003 – VI ZR 438/02, MDR 2004, 289. 574 BGH v. 22.12.2003 – VIII ZR 122/03, ProzRB 2004, 158 = MDR 2004, 464. 575 BGH v. 6.6.2003 – V ZR 392/02, MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273; BGH v. 8.2.2006 – XII ZR 57/03, BGHReport 2006, 872. 576 OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2006 – 24 U 198/02, OLGR Frankfurt 2006, 646. 577 BGH v. 13.1.2004 – XI ZR 5/03, MDR 2004, 704. 578 BGH v. 14.1.2005 – V ZR 99/04, MDR 2004, 705.
183
Berufungsentscheidung
dd) Widerspruchsfreiheit 725
Macht das Berufungsgericht von der Möglichkeit Gebrauch, anstelle eines eigenen Tatbestandes auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug zu nehmen und diesem nur eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen beizufügen, so dürfen sich bei einer Zusammenschau seiner eigenen Darstellungen und der tatsächlichen Feststellungen aus dem Urteil der Vorinstanz keine Widersprüche ergeben. Ist wegen eines solchen Widerspruchs eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht möglich, so ist das Berufungsurteil von Amts wegen aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.579
726
Nimmt das Berufungsgericht im Tatbestand auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug und geht es in seinen weiteren Ausführungen von entscheidungserheblichen Tatsachen aus, die im Widerspruch zum Tatbestand des angefochtenen Urteils stehen, ohne diese Abweichung zu erläutern, ist das Revisionsgericht an solche Tatsachen nicht gebunden. Das angefochtene Urteil ist dann schon deshalb aufzuheben, weil sein Tatbestand keine verlässliche Beurteilungsgrundlage für das Revisionsgericht bildet.580 ee) Folgen ohne Begründung/Abweichen ohne Begründung
727
Ist der Parteivortrag im Berufungsverfahren ergänzt worden und hielt das Berufungsgericht eine weitere Beweisaufnahme für erforderlich, muss es im Urteil eine kurze Begründung dafür geben, weshalb es dem erstinstanzlichen Urteil in vollem Umfang folgt.581
728
Bei einem Berufungsurteil müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung auch im Falle des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der in ihm enthaltenen Bezugnahmen so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist.
729
Insbesondere bei Teilabweichungen von der Entscheidung erster Instanz muss eine Darstellung der aufgrund der Beweisaufnahme getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die erste Instanz und etwaige Änderungen oder Ergänzungen im Berufungsverfahren erfolgen.582 ff) Urteil im Verhandlungstermin
730
Die Regelung des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO, die es für im Verhandlungstermin verkündete Urteile erlaubt, die erforderlichen Darlegungen in das Protokoll aufzunehmen, setzt die Mindestanforderungen des § 540 Abs. 1 579 580 581 582
184
BGH v. 7.11.2003 – V ZR 141/03, ProzRB 2004, 162 = MDR 2004, 391. BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 381/03, MDR 2005, 1044. BGH v. 30.9.2003 – VI ZR 438/02, MDR 2004, 289. BGH v. 28.9.2004 – VI ZR 362/03, MDR 2005, 346.
Berufungsurteil
S. 1 Nr. 1 ZPO in Bezug auf tatbestandliche Darstellung und Wiedergabe der Berufungsanträge nicht herab.583 Auch das sogenannte Protokollurteil nach § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO muss 731 nicht sogleich im Anschluss an die mündliche Verhandlung über die Berufung, über die in dem Urteil entschieden wird, verkündet werden; möglich ist auch die Verkündung am Schluss der Sitzung, nachdem das Berufungsgericht noch andere Sachen verhandelt hat. Bei dem Erlass eines Protokollurteils muss das Sitzungsprotokoll neben den übrigen Angaben nach § 160 ZPO die Urteilsformel, die Darlegungen nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO und die Verkündung des Urteils enthalten.
732
Der Protokollinhalt nach § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO bildet die für die revisi- 733 onsrechtliche Überprüfung des Protokollurteils nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage; er hat insoweit dieselbe Funktion wie die Bezugnahmen und Darlegungen nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO in einem Berufungsurteil, das in einem späteren Termin verkündet wird.584 gg) Altfälle Für Altfälle und damit nur noch für eine begrenzte Dauer interessant, ist eine Entscheidung des BGH, mit welcher bei Berufungsurteilen nach altem Recht, für die Revision nach neuem Recht zu führen ist, Tatbestands- und Berufungsantragswiedergabe verlangt werden.585
734
d) Zurückverweisung, § 538 Abs. 2 ZPO, vs. Selbstentscheidung aa) Grundsatz: Selbstentscheidung durch das Berufungsgericht Grundsätzlich hat das Berufungsgericht selbst zu entscheiden, § 538 735 Abs. 1 ZPO. Ansonsten kann es – neben der Ausnahme nach § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO – nur auf Antrag mindestens einer Partei, die Sache zurückverweisen, § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO. bb) Ausnahme: Zurückverweisung nach Ermessenausübung Das Berufungsgericht hat sich nach Auffassung des VII. Zivilsenates da- 736 mit auseinander zu setzen, dass es nach § 538 Abs. 1 ZPO die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden hat. Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO und der eigenen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht gemäß 583 BGH v. 10.2.2004 – VI ZR 94/03, ProzRB 2004, 191 = MDR 2004, 826. 584 BGH v. 6.2.2004 – V ZR 249/03, MDR 2004, 827. 585 BGH v. 13.8.2003 – XII ZR 303/02, MDR 2004, 44.
185
Berufungsentscheidung
§ 538 Abs. 1 ZPO stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. 737
Dabei habe es zu erwägen, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits und zu weiteren Nachteilen führe und dies den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen könne. Wenn sich das Berufungsgericht gleichwohl für eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO entscheide, müsse es nicht nur im Fall des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, sondern auch bei einem Fall des § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO zur Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens erkennen lassen, dass es den maßgeblichen Gesichtspunkt der Prozessökonomie in Betracht gezogen habe Eine bloß formelhafte Erwähnung der Ermessensausübung durch das Berufungsgericht lasse nicht erkennen, dass diese den vorgenannten Anforderungen genüge.586
738
Das wurde vom X. Zivilsenat (allerdings im Kontext mit dem vor der ZPO-Reform geltenden § 539 ZPO a.F.) genauso gesehen.587
739
Wenn es nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zurückverweisen will, ist das Berufungsgericht gehalten, nachprüfbar darzulegen, inwieweit eine noch ausstehende Beweisaufnahme so aufwendig oder umfangreich ist, dass es gerechtfertigt ist, die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.588
740
Eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten dazu einholen muss, inwieweit ein Mangel eines Bauwerks durch den Unternehmer verursacht worden ist.589 cc) Keine Zurückverweisung bei Endentscheidungsreife
741
Bereits vorher entschied der II. Zivilsenat, das Berufungsgericht dürfe die Sache nicht gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO an die Vorinstanz zurückverweisen, wenn der Rechtsstreit ohne weitere Verhandlung zur Endentscheidung – durch Abweisung der Klage als unzulässig – reif ist.590
586 587 588 589 590
186
BGH v. 10.3.2005 – VII ZR 220/03, MDR 2005, 921. BGH v. 1.2.2005 – X ZR 112/02, MDR 2005, 1096. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 270/03, MDR 2005, 645. BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 270/03, MDR 2005, 645. BGH v. 28.2.2005 – II ZR 220/03, FamRZ 2005, 882, BGHReport 2005, 914.
Berufungsurteil
dd) Einzelfälle zu § 538 Abs. 1 ZPO (1) (Keine) Verfahrensfehler, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (a) Vom Anwalt übersehene Gesichtspunkte/Nebenforderungen Ein Gericht ist nicht bereits deshalb zur Erteilung eines gerichtlichen 742 Hinweises verpflichtet, weil eine – anwaltlich vertretene – Partei hierum gebeten hat. Von einem Übersehen eines Gesichtspunktes i.S.d. § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO kann nicht ausgegangen werden, wenn einer Partei die Problematik einer bestimmten Rechtsfrage bewusst ist, sie aber an ihrem von dem Prozessgegner abweichenden Rechtsstandpunkt festhält. Die Partei darf sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht ihrer Rechtsauffassung folgt, es sei denn, dass das Gericht diesen Eindruck hervorgerufen hat.591 Es gibt keine Hinweispflicht des Gerichts bei Nebenforderungen.592
743
(b) Nicht verwertete Alternativgutachten/Gegenzeugen Es stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der auf Antrag zur Zurückverweisung führen kann, wenn das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung auf ein Privatgutachten stützt, ohne ein gerichtliches Gutachten einzuholen, obwohl unstreitig ein weiteres Gutachten vorliegt, das in wesentlichen Punkten zu anderen Ergebnissen kommt als das verwertete Privatgutachten.593
744
Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegt 745 auch vor, wenn das Erstgericht zwar einen von den Beklagten benannten Zeugen vernimmt und darauf die Abweisung der Klage stützt, jedoch die vom Kläger rechtzeitig benannten und ebenfalls erschienenen drei Gegenzeugen nicht hört.594 Im Zivilprozess haben die Parteien nach einer Entscheidung des OLG Koblenz Anspruch auf eine unmittelbare Beweisaufnahme. Bei Streit über Anlass und Verlauf einer tätlichen Auseinandersetzung dürfe dieses Recht nicht durch die bloße Verwertung von Strafakten unterlaufen oder ausgehöhlt werden.
746
Das gelte namentlich, weil entgegen den Anträgen der Parteien weder der 747 Sohn des Klägers noch dessen Freund als Zeuge gehört worden seien und auch die vom Kläger gewünschte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Geschehensablauf unterblieben sei. Zwar stehe außer Frage, dass die Beweisergebnisse anderer gerichtlicher Verfahren urkunden591 592 593 594
OLG Köln v. 17.12.2003 – 2 U 108/03, OLGR Köln 2004, 154. OLG Schleswig v. 12.8.2004 – 7 U 10/04, OLGR Schleswig 2005, 99. OLG Hamburg v. 17.3.2004 – 14 U 160/03, OLGR Hamburg 2005, 216. KG v. 28.2.2005 – 12 U 36/04, KGR Berlin 2005, 479.
187
Berufungsentscheidung
beweislich in einen Zivilprozess eingeführt werden könnten. Aber das berühre nicht den Anspruch der Parteien darauf, dass zum maßgeblichen Sachverhalt Zeugen befragt und Sachverständige gehört werden. 748
Der Urkundenbeweis sei nicht dazu da, das grundlegende Recht auf eine unmittelbare Beweisaufnahme zu verkürzen. Der persönliche Eindruck, den ein Zeuge mache, oder die Antworten, die er oder ein Sachverständiger auf die konkreten Fragestellungen des Prozesses gäben, böten eine höhere Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit, als sie allein durch anderweitige Niederschriften vermittelt werden könne. Die persönliche Einvernahme der beiden im Raum stehenden Zeugen sei konkret um so mehr geboten gewesen, als sich das Strafurteil aus dem Jahr 2003, auf dass das LG hauptsächlich abgehoben habe, mit auf die Darstellung des Klägers und damit einer Partei des hiesigen Rechtsstreits gründete, die zivilprozessual grundsätzlich nicht als Beweismittel zur Verfügung stehe.
749
Dabei komme noch hinzu, dass die zur strafrechtlichen Beurteilung herangezogenen Aussagenprotokolle im Hinblick auf das Verhalten des Beklagten Schilderungen enthalten hätten, die von einander abwichen.595 (c) Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe
750
Gemäß § 375 Abs. 1 ZPO setzt eine Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe (u.a.) voraus, dass von vornherein anzunehmen ist, das Prozessgericht werde das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß würdigen können. Erweist sich eine solche Annahme im Nachhinein als nicht gerechtfertigt, so ist die Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht zu wiederholen. Im konkreten Fall stand jedenfalls nach dem Ergebnis der Rechtshilfevernehmung fest, dass die streitentscheidende Kammer keine Beweiswürdigung vornehmen durfte, ohne einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gewonnen zu haben. Wenn das LG, nachdem es die Beweisaufnahme ersuchten Gerichten übertragen, sich mit dem auf diese Weise erzielten Beweisergebnis gleichwohl begnügt hat, ist das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt (§§ 355, 375, 398 Abs. 1 ZPO).596 (d) Nicht hinzugezogener Sachverständiger
751
Im Arzthaftungsprozess darf das Gericht nur maßvolle Anforderungen an die Darlegungs- und Substantiierungslast des klagenden Patienten stellen, da diesem typischerweise die nötige medizinische Fachkenntnis fehlt. Es muss den Sachverhalt „von Amts wegen“ aufklären. Auch darf
595 OLG Koblenz v. 3.11.2005 – 5 U 452/05, OLGR Koblenz 2006, 106. 596 OLG Frankfurt a.M. v. 7.10.2004 – 6 U 81/04, OLGR Frankfurt 2005, 321.
188
Berufungsurteil
das Gericht den medizinischen Sorgfaltsmaßstab nicht ohne gutachterliche Beratung durch einen medizinischen Sachverständigen festlegen. Verkennt das erstinstanzliche Gericht diese besonderen prozessualen Grundsätze für Arzthaftungssachen und entscheidet es über die Klage ohne Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen, so liegt darin ein wesentlicher Verfahrensmangel. Dieser kann – sofern eine Partei dies beantragt – gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung einschließlich des ihr zugrunde liegenden Verfahrens und zur Zurückweisung der Sache an das Gericht der ersten Instanz führen.597 (e) Unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen Die unkritische Übernahme von Bewertungen eines gerichtlich bestell- 752 ten Sachverständigen (hier zum Aufmaß und zum Einheitspreis als Grundlage der Bewertung einer Werkleistung) und die Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs durch das erstinstanzliche Gericht, indem es sich nicht mit den detaillierten Einwendungen der unterliegenden Partei gegen die Feststellungen des Gutachters auseinander setzt, führen zur Aufhebung und Zurückverweisung des erstinstanzlichen Urteils.598 (f) Nicht berücksichtigter Beweisantrag bei ausbleibendem Kostenvorschuss Hat das Gericht einen Klageerweiterungsschriftsatz zugestellt, muss es das darin enthaltene Vorbringen auch dann berücksichtigen, wenn die klagende Partei den für die Erweiterung angeforderten Gerichtskostenvorschuss nicht eingezahlt hat. Die Nichtzahlung des Gerichtskostenvorschusses für ein Sachverständigengutachten führt nicht zum Beweismittelausschluss, sondern allenfalls – nach den Grundsätzen des Verspätungsrechts – zur Zurückweisung des Beweisantrages. Eine 7 Wochen verspätete Einzahlung des Vorschusses verzögert den Rechtsstreit nicht i.S.d. § 296 Abs. 2 ZPO, wenn bei rechtzeitiger Zahlung ohnehin ein zeitaufwendiges Mängelbegutachtungsverfahren hätte in Gang gesetzt werden müssen. Eine Partei, die während des Rechtsstreits erfolglos die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Gegners betreibt und mit Rücksicht auf das daraus ersichtliche Kostenrisiko von der Einzahlung weiterer Gerichtskostenvorschüsse vorerst absieht, handelt nicht grob fahrlässig.599
597 OLG Brandenburg v. 5.4.2005 – 1 U 34/04, OLGR Brandenburg 2005, 489. 598 OLG Frankfurt a.M. v. 7.3.2006 – 9 U 30/04. 599 OLG Rostock v. 26.6.2003 – 7 U 152/02, OLGR Rostock 2004, 176.
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753
Berufungsentscheidung
(g) Verdeckte Änderung vorher bekanntgegebener Einschätzungen 754
Rückt das Gericht von einer zuvor durch prozessleitende Maßnahmen zum Ausdruck gekommenen Einschätzung ab, so entspricht es dem Gebot des fairen Verfahrens, die Parteien rechtzeitig vor Schluss der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Einschätzung hinzuweisen (§ 139 Abs. 2 ZPO). Damit die Parteien der geänderten prozessualen Situation Rechnung tragen können, kann es im Einzelfall geboten sein, die mündliche Verhandlung zu vertagen.600 (h) Nichtanhörung betroffener Kinder in Sorgerechtsverfahren
755
Die Nichtanhörung des betroffenen Kindes im Sorgerechtsverfahren ist i.d.R. ein schwerer Verfahrensmangel, der es auch nach der Neuregelung des § 538 ZPO rechtfertigt, den ergangenen Beschluss nach dem freien Ermessen des Beschwerdegerichts ohne Rüge oder besonderen Antrag eines Beteiligten aufzuheben und zur erneuten.601 (i) Verspätungszurückweisung ohne Klärung einer Verzögerung
756
Solange nicht feststeht, ob verspäteter Tatsachenvortrag streitig und beweisbedürftig ist, scheidet § 296 Abs. 1 ZPO aus. Erst eine konkrete Erwiderung des Gegners erlaubt die Prüfung, ob verspäteter Vortrag verzögert und deshalb zurückzuweisen ist. Wenn sich die von dem neuen Vorbringen überraschte Partei nicht sogleich substantiiert erklären kann, hat sie die Möglichkeit, die Bewilligung einer Erwiderungsfrist zu beantragen (§ 283 ZPO). Die durch verspätetes Vorbringen veranlasste Notwendigkeit, eine Erklärungsfrist nach § 283 ZPO zu gewähren, bedeutet für sich keine Verzögerung des Rechtsstreits i.S.v. § 296 ZPO, die eine Zurückweisung rechtfertigen würde. Die sofortige Zurückweisung ohne vorherige Anregung einer Schriftsatzfrist nach § 283 ZPO stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 139 ZPO) dar. Dieser Verfahrensfehler wird nicht dadurch geheilt, dass sich aus dem nachgereichten Vorbringen des Beklagten in der Berufungsinstanz ergibt, dass auch bei richtigem Vorgehen nach § 283 ZPO eine Zurückweisung der Klagebegründung als verspätet erfolgt wäre.602
600 OLG Saarbrücken v. 10.12.2003 – 5 U 259/03-29, OLGR Saarbrücken 2004, 248. 601 OLG Köln v. 29.10.2003 – 26 UF 161/03, OLGR Köln 2004, 52. 602 OLG Karlsruhe v. 28.10.2003 – 17 U 59/02, OLGR Karlsruhe 2004, 86.
190
Berufungsurteil
(j) Übergangener Sachvortrag Übergeht das Gericht Sachvortrag einer Partei, ohne dass dafür eine gesetzliche Grundlage ersichtlich ist, stellt dies einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar, der auch nach neuem Berufungsrecht die Zurückverweisung des Rechtsstreits rechtfertigt.603
757
Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO kommt dann in Be- 758 tracht, wenn das rechtliche Gehör einer Partei verletzt worden ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Behauptung einer Partei nicht berücksichtigt wird, weil sie sich als „Schutzbehauptung“ darstelle.604 (k) Überraschung! – Beweiserhebung ohne jede Verwertung Es handelt sich um eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentschei- 759 dung, wenn das Gericht auf der Grundlage des Parteivorbringens zunächst Beweis erhebt, sodann aber das Vorbringen – ohne Hinweis nach § 139 ZPO – als unsubstantiiert unberücksichtigt lässt. Regelmäßig macht sich eine Partei ihr günstige Ergebnisse der Beweisaufnahme zu Eigen.605 (l) Überraschung! – Nicht erörterte Entscheidungsgrundlage Will das Erstgericht seine Entscheidung auf eine von den Parteien nicht 760 ausdrücklich vorgetragene Klausel des Mietvertrages (hier: Kleinreparaturklausel) stützen, hat es der davon rechtlich benachteiligten Partei einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.606 Wenn das Erstgericht die Vergütungsklage eines Auftragnehmers mangels Fälligkeit sowie wegen Fehlens einer prüfbaren Abrechnung als derzeit unbegründet abgewiesen hat, ohne diese Gesichtspunkte (spätestens) in der mündlichen Verhandlung – einem frühen ersten Termin – ausreichend erörtert zu haben, unterliegt dies der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.607
761
(m) Bindung an Einzelrichterverweisungsbeschluss – Kammerentscheidung Das Gericht, an das wegen örtlicher Zuständigkeit verwiesen wird, ist an 762 den Einzelrichterbeschluss des verweisenden Gerichts gebunden. Eine
603 OLG Karlsruhe v. 26.6.2002 – 7 U 16/02, OLGR Karlsruhe 2002, 363. 604 KG v. 10.3.2005 – 8 U 122/04, KGR Berlin 2005, 603. 605 OLG Saarbrücken v. 18.6.2003 – 1 U 167/03-41, OLGR Saarbrücken 2003, 330. 606 OLG Düsseldorf v. 20.12.2005 – I-24 U 68/05. 607 OLG Bamberg v. 15.12.2003 – 4 U 92/03, OLGR Bamberg 2004, 124.
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Berufungsentscheidung
Entscheidung durch die Kammer ist ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt.608 (n) Entscheidung trotz Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung 763
Ist der Rechtsstreit wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochen, darf nach dem OLG Oldenburg eine Entscheidung nur im Falle der ordnungsgemäßen Aufnahme des Rechtsstreits ergehen. Im Falle der Entscheidung trotz Unterbrechung kann das Berufungsgericht den Rechtsstreit analog § 538 Abs. 2 ZPO an das LG zurückverweisen.609 Nahezu gleichlautend wenig später das OLG Hamburg: Hat das Gericht die Rechtsfolge der Unterbrechung des Verfahrens wegen der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen des verklagten Schuldners (§§ 240, 249 ZPO) außer Acht gelassen, so ist auch der Insolvenzschuldner befugt, die ergangene Entscheidung mit Hilfe des gesetzlichen Rechtsmittels zu beseitigen. Auf das Rechtsmittel der Berufung ist ein solches Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit in analoger Anwendung von § 538 Abs. 2 ZPO an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.610 (o) Keine absoluten Berufungsgründe: Verkündungsfehler ohne Relevanz
764
Die fehlende Unterschrift eines Richters, der bei der Entscheidung mitgewirkt hat, kann nicht mehr nachgeholt werden, wenn die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils abgelaufen ist.611 Fehlt eine solche Unterschrift ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, § 547 Nr. 6 ZPO. Die absoluten Revisionsgründe enthalten Kausalitätsvermutungen für die in ihnen beschriebenen Fälle.
765
Über § 513 ZPO gilt § 546 ZPO und damit auch die Regelung des § 547 ZPO. Das sieht das KG allerdings anders: § 513 ZPO verweise lediglich auf § 546 ZPO, nicht jedoch auch auf § 547 ZPO; diese Vorschrift sei als Ausnahmetatbestand auch nicht analogiefähig. Die ZPO sehe für das Berufungsverfahren – anders als in § 547 ZPO für die Revision – keine absoluten Berufungsgründe vor. Selbst wenn das angefochtene Urteil in vollständiger Fassung prozessordnungswidrig erst später als 5 Monate nach seiner Verkündung zugestellt werde (wesentlicher Verfahrensmangel),
608 609 610 611
192
OLG Frankfurt a.M. v. 11.4.2003 – 2 U 20/02, OLGR Frankfurt 2003, 340. OLG Oldenburg v. 22.2.2005 – 2 U 97/04, OLGR Oldenburg 2005, 289. OLG Hamburg v. 7.6.2005 – 9 U 167/03, OLGR Hamburg 2005, 765. BGH v. 27.1.2006 – V ZR 243/04.
Berufungsurteil
könne der Rechtsstreit nicht allein deshalb an das Erstgericht zurückgewiesen werden, weil die Entscheidung nicht darauf beruhe.612 Überzeugend ist das nicht. Warum ein Rechtsverstoß, der so schwerwie- 766 gend ist, dass für die Revision auf einen Nachweis des Beruhens verzichtet wird, in der Berufung mehr Nachweisaufwand erfordern sollte, ist nicht nachvollziehbar.613 (2) Nachverfahren, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Hat das Erstgericht eine – (unter dem Gesichtspunkt der vertraglichen 767 Einstandspflicht) nach Grund und Höhe unbestrittene – Klageforderung zugesprochen, ohne die Aufrechnung des Beklagten mit Gegenansprüchen in gleicher Höhe zuzulassen, so kann das Berufungsgericht, wenn es das vom Erstgericht angenommene Zulassungshindernis verneint, aber die aufgerechneten Gegenforderungen nicht für spruchreif hält, Vorbehaltsurteil erlassen und in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 ZPO den Rechtsstreit wegen des Nachverfahrens an die erste Instanz zurückverweisen.614 (3) Teilurteil, § 538 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Die Besonderheit der Fälle von Nr. 7 liegt darin, dass hier gemäß § 538 Abs. 3 S. 3 ZPO eine Zurückweisung auch ohne Antrag erfolgen kann.
768
Wird aufgrund desselben Schadensereignisses sowohl ein Zahlungsantrag 769 als auch ein Feststellungsantrag bezüglich künftiger Schäden gestellt und ist der Zahlungsantrag hinsichtlich des Grundes entscheidungsreif, so darf über diesen durch (Teil-)Grundurteil nur entschieden werden, wenn gleichzeitig über den Feststellungsantrag durch Teilurteil entschieden wird. Ist dies noch nicht möglich, so hat auch Entscheidung über den Zahlungsantrag dem Grunde nach zu unterbleiben. Im Falle eines Verstoßes hiergegen kann das Berufungsgericht auch ohne den Antrag einer Partei das Urteil aufheben und den Rechtsstreit zurückverweisen.615
612 KG v. 10.7.2006 – 12 U 217/05. 613 Dass damit angesichts von § 538 ZPO noch nichts über das Ergebnis der Berufungsentscheidung gesagt ist, steht auf einem anderen Blatt, vgl. auch MünchKomm-Rimmelspacher, 2. Aufl., § 513 Rz. 13 a.E. 614 OLG Bamberg v. 24.5.2004 – 4 U 208/03, OLGR Bamberg 2004, 363 in Abgrenzung zu OLG Düsseldorf v. 19.12.2000 – 21 U 38/00, OLGReport Düsseldorf 2001, 109 = NJW-RR 2001, 882 (885). 615 OLG Saarbrücken v. 16.3.2004 – 3 U 499/03-43, OLGR Saarbrücken 2004, 414.
193
Berufungsentscheidung
770
Macht ein Patient im Arzthaftungsprozess sowohl einen Schmerzensgeld- als auch einen Feststellungsanspruch geltend, ist ein (Teil-)Grundurteil ausschließlich über den Schmerzensgeldanspruch unzulässig.616
771
Das Gericht darf nicht durch Teilurteil entscheiden, wenn es dabei auf mangelnde Substanz des Vortrages abstellt, obwohl der Rechtsstreit wegen einer weiter gehenden Klageforderung fortzusetzen ist. Solange der Rechtsstreit nicht für die Instanz im Ganzen entschieden ist und das Urteil nicht auch im Ganzen Rechtsfrieden stiften kann, gibt es keinen Grund, der Beklagten die Möglichkeit abzuschneiden, weiter vorzutragen.617
772
Erlässt das LG über die erste Stufe einer Klage ein stattgebendes Teilurteil, kann das Berufungsgericht aber auch die gesamte Klage abweisen, soweit es schon die erste Stufe für unbegründet hält und die weiteren Stufen der Klage vom Erfolg der ersten Stufe abhängen.618
773
Wenn das LG ein unzulässiges Teil-Grund-Urteil betreffend den Zahlungsantrag erlassen hat, indem es über den Feststellungsantrag nicht entschieden hat, kann das Berufungsgericht die Entscheidung über den beim LG anhängig gebliebenen Feststellungsantrag an sich ziehen.619
774
Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn es durch das über den Rest ergehende Schlussurteil noch berührt werden kann, mithin die Gefahr widersprechender Entscheidungen gegeben ist. Bei mehrfacher Begründung eines Klageanspruchs ist die Klage im Berufungsverfahren unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht schon deshalb abzuweisen, weil ein einzelner Grund nicht durchgreift. Vielmehr müssen sämtliche weiteren Klagegründe rechtlich gewürdigt werden. Wenn dabei Erwägungen anzustellen sind, die noch Gegenstand des weiterlaufenden Verfahrens in der ersten Instanz sind, ist das Teilurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.620 e) Wertfestsetzung
775
In einem Berufungsurteil, das auf eine nach dem 31.12.2001 geschlossene mündliche Verhandlung ergeht, ist eine Beschwer nicht festzusetzen. Geschieht dies dennoch, ist das Revisionsgericht daran nicht gebunden.621
616 OLG München v. 12.1.2006 – 1 U 3633/05; n. rkr., OLGR München 2006, 341. 617 KG v. 3.3.2006 – 7 U 28/05. 618 OLG Frankfurt a.M. v. 1.6.2005 – 9 U 36/04, OLGR Frankfurt 2006, 79. 619 OLG Hamburg v. 12.3.2003 – 14 U 172/02, OLGR Hamburg 2004, 350. 620 OLG Hamm v. 22.11.2004 – 5 U 80/04, OLGR Hamm 2005, 76. 621 BGH v. 13.10.2004 – XII ZR 110/02, MDR 2005, 228.
194
Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO
f) Keine Anwendung des § 537 ZPO auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils § 537 ZPO ist auf die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils we- 776 der unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.622 g) Zulassung der Rechtsbeschwerde Die (irrtümliche) Zulassung einer ohnehin kraft Gesetzes statthaften Rechtsbeschwerde (im Fall des § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO) entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und entfaltet deshalb auch keine Bindungswirkung für das Rechtsbeschwerdegericht. Mit der Begründung der Rechtsbeschwerde sind deshalb die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO darzulegen.623
777
h) Zulassungsfreie Revision Geht das Berufungsgericht dagegen irrtümlich von einer zulassungsfreien Revision aus, entscheidet der Bundesgerichtshof im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde über die Zulassung der Revision.624
778
5. Übersehene Berufungsanträge: § 321 ZPO Hat das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Berufung ver- 779 sehentlich einen Berufungsantrag übergangen, so kann das Versehen nur durch eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO korrigiert werden, die innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO beantragt werden muss. (In concreto waren drei getrennte Berufungen gegen drei Urteile auf drei getrennte Klagen zu einer Berufung verbunden worden. Im Hinblick auf eine der drei wurde eine Entscheidung versäumt.) Mit Ablauf der Frist entfällt die Rechtshängigkeit der Klage, soweit diese Gegenstand des übergangenen Berufungsantrags gewesen ist. Zugleich entfällt hinsichtlich des übergangenen Antrags die Anhängigkeit der Berufung, und das Urteil der ersten Instanz, gegen das sie sich richtete, wird wirkungslos.625 Ein übergangener Antrag, dessen Rechtshängigkeit durch Ablauf der Frist 780 nach § 321 Abs. 2 ZPO entfallen ist, kann in der zweiten Instanz nur dann durch Klageerweiterung wieder in den Prozess eingeführt werden,
622 OLG Braunschweig v. 17.2.2006 – 3 U 204/05, OLGR Braunschweig 2006, 415. 623 BGH v. 23.2.2005 – XII ZB 110/03, MDR 2005, 948. 624 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 37/05, BGHReport 2006, 807. 625 BGH v. 16.2.2005 – VIII ZR 133/04, MDR 2005, 1069.
195
Berufungsentscheidung
wenn der Rechtsstreit wegen anderer Teile des Prozessstoffs (noch) in der Berufungsinstanz anhängig ist. 781
Ist das nicht (mehr) der Fall, scheidet eine Wiedereinführung des übergangenen Antrags durch Klageerweiterung in zweiter Instanz aus, denn dies setzt eine zulässige, noch anhängige Berufung voraus; die Erweiterung kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein.626
626 BGH v. 16.2.2005 – VIII ZR 133/04, MDR 2005, 1069.
196
X. Anschlussberufung Die Anschlussberufung ist nach der ZPO-Reform eine gering geschätzte taktische Variante geworden. Das lag auch an den seitdem sehr eng gesetzten Fristen. Der Gesetzgeber hat mit dem 1. JuMoG und der Neufassung des § 524 Abs. 2 ZPO eine Öffnung vorgenommen, die wieder mehr Spielraum bietet.
782
1. Möglichkeiten des Berufungsbeklagten Wer ein Verfahren in erster Instanz ganz oder teilweise gewonnen hat, 783 sieht sich gelegentlich einer Berufung des Gegners gegenüber. Wie man sich dann zu verhalten hat, hängt davon ab, wieweit man selbst (auch) verloren hat und was man will. Hat man in Höhe von mehr als 600 Euro verloren (Beschwer) und will man auch mindestens in Höhe von 600,01 Euro noch gewinnen (Beschwerdegegenstand), steht der Weg zu einer eigenen Berufung offen, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das wäre ein Angriff.
784
Hat man weniger oder gar nicht verloren, scheidet eine eigene Berufung aus.627
785
Will man in diesen Fällen nur den Bestand des erstinstanzlichen Urteils 786 sichern, bedarf es keines besonderen Angriffes. Es genügt der Antrag auf Zurückweisung628 der Berufung. Das wäre eine Verteidigung. Auf rechtlicher Ebene wird man dazu Rechtsausführungen machen (wenn 787 der Berufungsführer sich auf den Grund der Rechtsverletzung stützt, §§ 513 Abs. 1 Var. 1, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 546 ZPO629), auf tatsächlicher Ebene werden die bisherigen Verteidigungsmittel wiederholt, ggf. auch neue Verteidigungsmittel eingebracht (wenn der Berufungsführer sich auf den Grund der fehlerhaften Tatsachenfeststellung stützt, §§ 513 Abs. 1 Var. 2, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 und 4, 529 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO).630 627 Den Sonderfall des § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann man als praktisch irrelevant vernachlässigen. 628 Wenn der Berufungsbeklagte die Berufung schon für unzulässig hält, sollte er Verwerfung beantragen, vgl. Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 498. 629 Allerdings gibt es auch im Bereich fehlerhafter Tatsachenfeststellung diverse Möglichkeiten, Rechtsausführungen sinnvoll unterzubringen, namentlich bei § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. 630 Die – nachdem das Gericht des ersten Rechtszuges sie wegen des zusprechenden Urteils erkennbar für unerheblich gehalten hat – stets zuzulassen sind, § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
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Anschlussberufung
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Û
789
Will man aber entweder noch den Betrag unter der Beschwerdegegenstandsgrenze oder (stattdessen oder zusätzlich) noch mehr und/oder anderes, kommt die Anschlussberufung in Betracht. Auch sie ist ein Angriff.
790
Denkbar sind daneben noch Erledigungssituationen und Vergleiche. Diese sind weder Angriff noch Verteidigung. Sie führen gleichwohl zur Beendigung des Verfahrens.632
Praxistipp: Wer nur sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt (und vertieft), muss aber Acht geben, dass er damit auch das Vorbringen des Berufungsführers voll abdeckt. Gerade wenn dieser Neues einbringt, wird das regelmäßig nicht der Fall sein.631
2. Was ist eine Anschlussberufung? 791
Die Anschlussberufung nach geltendem Recht ist jedenfalls keine Berufung im eigentlichen Sinne, sie ist kein Rechtsmittel.633 Sie ist lediglich eine Antragstellung innerhalb einer fremden Berufung. Sie gibt dem Berufungsbeklagten eine Möglichkeit, ohne Einlegung eines Rechtsmittels mehr zu erreichen als Verwerfung oder Zurückweisung der Hauptberufung. Sie durchbricht zudem die Bindung des Berufungsgerichtes alleine an einen Antrag, nämlich den des Hauptberufungsführers, § 528 S. 2 ZPO.
792
So kann z.B. eine Klägerin als Berufungsbeklagte nur im Wege der Anschlussberufung i.S.v. § 524 ZPO eine Klageänderung erreichen.634
793
Die Anschlussberufung muss deshalb wesentlichen Anforderungen einer Berufung auch nicht genügen: – Sie muss nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt werden. – Sie bedarf keiner Berufungsbeschwer.635 (Eine vorhandene Beschwer schadet allerdings auch nicht.) Es muss mit dem Antrag nichts verfolgt werden, was schon erstinstanzlich verfolgt wurde.636 – Sie kann deshalb auch (nur) genutzt werden, um bei erstinstanzlich vollem Sieg z.B. die Klage zu erweitern. 631 Darauf weist zu Recht Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 503, hin. 632 Die Möglichkeit einer Verspätung oder Säumnis des Berufungsbeklagten soll nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. 633 BGH (GS) v. 17.12.1951 – GSZ 2/51, BGHZ 4, 229 (233). 634 OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51. 635 Wohl aber irgendeiner Beschwer. Wer gar nicht mehr erreichen kann als erstinstanzlich erkannt wurde, dem fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, vgl. Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 923. 636 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
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Was ist eine Anschlussberufung?
– Sie kann in begrenztem Umfang auch hilfsweise und damit (innerprozessual) bedingt eingelegt werden. a) Bis zur ZPO-Reform Vor dem 1.1.2002 gab es zwei verschiedene Formen von Anschlussberu- 794 fungen: – Eine, die eingelegt werden konnte, wenn der Berufungsbeklagte selbst schon auf die Durchführung der Berufung verzichtet hatte oder wenn die Berufungsfrist verstrichen war, § 521 Abs. 1 ZPO a.F.; sie hieß unselbständige Anschlussberufung und verlor ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wurde, § 521 Abs. 2 ZPO a.F. Diese Anschlussberufung unterlag keinerlei zeitlichen Grenzen und konnte deshalb auch noch in der mündlichen Verhandlung eingelegt werden.637 – Eine andere, mit der sich der Berufungsbeklagte innerhalb der Berufungsfrist der Berufung des Berufungsklägers angeschlossen hatte, § 522 Abs. 2 ZPO a.F.; sie hieß selbständige Anschlussberufung. Sie wurde, solange die vom Berufungskläger eingelegte Berufung nicht zurückgenommen oder verworfen war, so behandelt wie eine unselbständige Anschlussberufung. Nur und erst wenn die Berufung selbst zurückgenommen oder verworfen 795 wurde, behandelte man sie, als sei sie unabhängig von der Berufung eingelegt worden. Die Anschlussberufung musste durch einen beim Berufungsgericht ein- 796 zureichenden Schriftsatz erfolgen, § 522a Abs. 1 ZPO a.F., mündliche Erklärung zur Protokoll genügte nicht.638 Sie musste vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begründet werden oder – wenn sie erst nach deren Ablauf eingelegt wurde – in der Anschlussschrift selbst. Die Anschlussschrift muss von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterzeichnet sein, §§ 524 Abs. 3 S. 2, 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO. Im Extremfall reichte damit ein Schriftsatz mit Begründung, der in der mündlichen Verhandlung überreicht wurde.
637 BGH v. 16.5.1962 – VIII ZR 48/62, BGHZ 37, 131 (133). 638 Das gilt auch heute noch, vgl. z.B. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 337.
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Anschlussberufung
b) Ab der ZPO-Reform aa) Nur noch unselbständige Anschlussberufung 798
Nach der ZPO-Reform639 ist nur noch die unselbständige Anschlussberufung im Gesetz geregelt, § 524 ZPO. Sie kann eingelegt werden, wenn der Berufungsbeklagte selbst schon auf die Durchführung der Berufung verzichtet hatte oder wenn die Berufungsfrist verstrichen war, § 524 Abs. 2 S. 1 ZPO. Sie verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wurde, § 524 Abs. 4 ZPO. – Insoweit (bis auf die Zurückweisung durch Beschluss) zunächst nichts Neues.
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Die besondere Veränderung, die durch die ZPO-Reform eingetreten war, lag einmal in der zeitlichen Begrenzung durch § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO: Die Anschlussberufung war jetzt nur noch zulässig bis zum Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift.
800
Nach altem Recht konnte die Hauptberufung zudem ohne Einwilligung des Berufungsbeklagen nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden, § 515 Abs. 1 ZPO a.F. Danach war der Anschlussberufungsführer geschützt. – Nach neuem Recht bedarf es keiner Einwilligung mehr, § 516 ZPO.
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Zum anderen muss auch nach dem Wortlaut des neuen Rechts die Begründung direkt in der Anschlussschrift erfolgen, § 524 Abs. 3 S. 1 ZPO.
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Û
Praxistipp: Aus dem Verweis auf § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO ergibt sich aber, dass das anders gemeint ist. Diese Vorschrift unterscheidet nämlich zwischen zwei Schriftsätzen: der Einlegungsschrift und der Begründungsschrift. Einlegung und Begründung können wegen des Verweises, der sonst keinen Sinn machte, deshalb auch bei der Anschlussberufung körperlich auseinander fallen, wenn nur die Begründung innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO erfolgt.640
639 Sonderfall im Patentnichtigkeitsverfahren. BGH v. 7.6.2005 – X ZR 174/04, GRUR 2005, 888 = BGHReport 2005, 1473: Die Anschlussberufung kann im Patentnichtigkeitsverfahren weiterhin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben werden (so schon BGHZ 17, 305, 307 – Schlafwagen); die abweichenden Vorschriften der Zivilprozessordnung in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses gelten insoweit nicht. Jedoch ist die Anschlussberufung dann, wenn sie vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingelegt wird, entsprechend der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses geltenden Regelung in § 522a Abs. 2 ZPO bis zum Ablauf dieser Frist zu begründen. 640 So auch: Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 938; Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 342; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 371.
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Was ist eine Anschlussberufung?
bb) Keine selbständige Anschlussberufung mehr Die selbständige Anschlussberufung gibt es nicht mehr. In der Sache hat 803 sich nur insoweit nichts geändert, als es dem Berufungsbeklagen natürlich freisteht, schon innerhalb der Berufungsfrist eine Anschlussberufung einzulegen.641 Wenn dann aber die Berufung aus den Gründen des § 524 Abs. 4 ZPO wegfällt, wird die Anschlussberufung nicht mehr so behandelt, als sei sie unabhängig von der Berufung eingelegt worden. Sie verliert dann ihre Wirkung. Was aber passiert, wenn ein Berufungskläger gleichwohl innerhalb der Be- 804 rufungsfrist des § 517 ZPO eine „selbständige Anschlussberufung“ einlegt? Das OLG Frankfurt642 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem die Kläger 805 (kurz nach der ZPO-Reform) genau dies getan hatten und später vortrugen, beim Diktat und bei Unterschrift des Schriftsatzes sei dem Prozessbevollmächtigten ein Irrtum unterlaufen. Er habe das als Berufung beabsichtigte Rechtsmittel nur versehentlich statt als „selbstständige Berufung“ als „selbstständige Anschlussberufung“ bezeichnet. Weil eine Berufung beabsichtigt gewesen sei, sei das Rechtsmittel nicht begründet gewesen. Der Schriftsatz nehme auch ausdrücklich auf die Zustellung des Urteils Bezug, was bei einer Anschlussberufung überflüssig sei. Zudem enthielte der Schriftsatz im Vorspann noch den Hinweis „Original zur Fristwahrung per Fax“, was bei einer Anschlussberufung zu diesem Zeitpunkt völlig sinnlos sei. Das OLG Frankfurt lässt eine Auslegung des Schriftsatzes als Berufung 806 daran scheitern, dass sich diesem ein eindeutiger Wille, ein Rechtsmittel unabhängig vom Schicksal der Berufung des Gegners einlegen zu wollen, nicht entnehmen lasse. Habe eine Partei ihr Angriffsmittel ausdrücklich als Anschlussberufung bezeichnet, so sei es auch dann als solche zu behandeln, wenn es in offener Berufungsfrist eingelegt sei. Wolle der Berufungsbeklagte sich die Berufung unabhängig vom Rechtsmittel des Gegners erhalten, so sei er gehalten, selbst Berufung einzulegen. Der Schriftsatz enthalte keinen Hinweis darauf, dass entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung als Anschlussberufung etwas anderes gemeint wäre. Dass die Kläger die Rechtsfolgen nicht bedacht hätten, gehe zu ihren Lasten und könne nicht im Wege der Auslegung korrigiert werden. Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben.643
807
Der verwendete Begriff der „selbständigen Anschlussberufung“ sei dem neuen Zivilprozessrecht fremd. Da die Kläger die „selbständige An641 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947. 642 OLG Frankfurt v. 28.11.2002 – 19 U 133/02, OLGR Frankfurt 2003, 35 = MDR 2003, 594. 643 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947.
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Anschlussberufung
schlussberufung“ innerhalb der für sie laufenden Berufungsfrist eingelegt hätten, sei im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche der beiden Möglichkeiten (Anschlussberufung oder selbständige Berufung) sie gewählt hätten. Dabei sei der Auslegungsgrundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt sei, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und der recht verstandenen Interessenlage entspreche.644 808
Dem Umstand, dass der Rechtsmittelschriftsatz der Kläger die ausdrückliche Bezeichnung „Anschlussberufung“ enthalte, komme keine entscheidende Bedeutung zu. Dieses Wortlautargument verliere schon durch das beigefügte Eigenschaftswort an Überzeugungskraft, das auf ein selbständiges, also gerade nicht von der gegnerischen Berufung abhängiges Rechtsmittel hinweise. Unterstützt wird dieser Hinweis durch den Vermerk „Original zur Fristwahrung per Fax …“, der dem Schriftsatz vorangestellt ist. Für eine Anschlussberufung wäre er ohne Bedeutung. Die hierfür zu beachtende Frist nach § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO hätte noch nicht einmal zu laufen begonnen. Bedeutung käme diesem Vermerk allein vor dem Hintergrund einer selbständigen Berufung zu, deren Frist am Einreichungstag ablief.
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Wer sich anschließen will, sollte das genauso sagen und am Besten ausdrücklich auf § 524 ZPO Bezug nehmen. Dann kann es insoweit keine Zweifel mehr geben.
811
Wer selbständig Berufung einlegen will, sollte jede Bezugnahme auf eine schon anderweitig eingelegte Berufung vermeiden. Er sollte seine eigenen Berufungsanträge an die erste Stelle rücken und die Zurückweisungsanträge im Hinblick auf die Berufung der Gegenseite erst in der Folge bringen. Zur Vermeidung jedweden Missverständnisses kommt auch ein erläuternder Satz „Die Berufung soll nicht als Anschlussberufung behandelt werden.“ in Betracht.
Praxistipp: Die Entscheidung des BGH hilft dem unklar Formulierenden. Besser ist es gleichwohl, eine klare Entscheidung zu treffen und diese dann klar zu kommunizieren.
cc) Alternativ: Selbständige Berufung 812
Alternativ kann der Berufungskläger – soweit die Voraussetzungen des § 511 ZPO vorliegen – innerhalb der Berufungsfrist auch eine selbständige Berufung einlegen645 und sich insoweit lediglich faktisch im Gebrauch eines Rechtsmittels dem Berufungskläger „anschließen“.
644 BGH v. 18.6.1996 – VI ZR 325/95, MDR 1997, 94 = NJW-RR 1996, 1210 (1211) m.w.N. 645 BGH v. 30.4.2003 – V ZB 71/02, BGHReport 2003, 900 = MDR 2003, 947.
202
Was ist eine Anschlussberufung?
Aus dem Verweis des § 524 Abs. 3 S. 2 auf § 519 Abs. 2 (und dort Nr. 2) 813 folgt aber, dass der Berufungsbeklagte sich erklären muss, was er einlegt. Wenn es eine Anschlussberufung sein soll, dann sollte646 er das – wie gerade dargestellt – auch genauso sagen. c) Ab dem 1. JuMoG Das 1. JuMoG647 hat § 524 Abs. 2 ZPO geändert und ergänzt. Satz 2 dieser 814 Vorschrift wurde dahin geändert, dass nunmehr die Anschließung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig ist. aa) Änderung des Fristablaufes Damit wurde eine bislang stark kritisierte Unstimmigkeit beseitigt. Es 815 konnte nämlich vorkommen, dass das Berufungsgericht eine Berufungsbegründung an den Berufungsbeklagten zur Berufungserwiderung weiterleitete. Wegen des Umfangs der Sache wurde eine Frist hierzu z.B. von zwei Monaten gesetzt. Möglich waren und sind im Übrigen auch noch – mehrfache – Verlängerungen der Erwiderungsfrist. Nach der Rechtsänderung durch die ZPO-Reform hätte der Berufungsbeklagte sich aber gleichwohl binnen eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift entscheiden müssen, ob er eine Anschlussberufung einlegen wollte. Eine Verlängerungsmöglichkeit für die Begründung der Anschlussberufung war nicht vorgesehen.
816
Diese Diskrepanz entfällt jetzt. Es gibt jetzt immer so viel Zeit, wie der 817 Berufungsbeklagte (ggf. nach Verlängerung) für die Berufungserwiderung erhält. Noch vor dem 1. JuMoG stellte das OLG Hamm fest, dass es dahingestellt bleiben könne, ob eine streitgegenstandsverändernde Anschlussberufung in bestimmten Fällen aus verfassungsrechtlichen Gründen unbefristet als zulässig erachtet werden könne. Das Gebot der Waffengleichheit erfordere es jedenfalls nicht, dem Berufungsbeklagten eine Möglichkeit der Klageänderung zu eröffnen, der in erster Instanz aus Nachlässigkeit einen unbegründeten Anspruch geltend gemacht habe und nach Aufklärung seines Irrtums in der Berufungsbegründung nicht innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO die Klage entsprechend änderte.648 646 Zwingend ist das allerdings nicht, BGH v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, BGHZ 109, 179 (187): „Ein Anschlussrechtsmittel braucht (…) nicht als solches bezeichnet zu sein.“ 647 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) 648 OLG Hamm v. 19.9.2003 – 19 U 56/02, OLGR Hamm 2004, 51.
203
Anschlussberufung
818
Die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung wird im Übrigen grundsätzlich eher ablehnend gesehen.649 Im Zusammenhang mit einer PKH-Konstellation hat der 2. Senat des OLG Zweibrücken aber anders geurteilt: Der dortigen Antragstellerin wurde nach Ablehnung von PKH für die Anschlussberufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zwar werde die von ihr zu wahrende Frist des § 524 Abs. 2 ZPO nicht als Notfrist bezeichnet. Ebenso wenig sei sie in § 233 ZPO aufgeführt. Es gebe aber nach Ansicht des Senats keinen Grund, in dieser Frage die Anschlussberufung anders als die Berufung zu behandeln. Wenn eine Anschließungsfrist versäumt werde, seien die Wiedereinsetzungsvorschriften entsprechend anzuwenden.650 Der 5. Senat des OLG Zweibrücken hat dann wenig später noch entschieden, dass eine Anschlussberufung auch nach Ablauf der Anschließungsfrist noch in zulässiger Weise eingelegt werden könne, wenn aufgrund eingetretener Veränderungen zugunsten des sich Anschließenden die Voraussetzungen einer Abänderungsklage vorlägen.651 Klar äußert sich auch das OLG Karlsruhe: Bei Versäumung der Frist zur Einlegung der Anschlussberufung ist grundsätzlich eine Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO möglich.652 bb) Ausschluss des Fristablaufes
819
Ein weiteres Problem wurde durch die Einfügung des Satz 3 beseitigt. Dieser enthält eine Ausnahme für die Fristgebundenheit der Anschlussberufung für den Fall wiederkehrender Leistungen. Gerade in den Fällen des § 323 Abs. 3 ZPO konnte die Fristgebundenheit zu erheblichen Ungerechtigkeiten führen. Beispiel: Im Laufe eines Unterhaltsverfahrens erhöht sich das Einkommen des erstinstanzlich unterlegenen Verpflichteten. Dieser legt Berufung ein. Wenn Fristen für eine Anschlussberufung verstreichen würden, könnten zweitinstanzliche Anpassungen durch eine (möglichst späte) Rücknahme der Berufung durch den Verpflichteten unmöglich gemacht werden. Eine danach durchgeführte Abänderungsklage nach § 323 Abs. 3 ZPO hat die dort beschriebenen zeitlichen Nachteile.653
Diese Ungerechtigkeit gibt es jetzt nicht mehr. 649 Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 338. 650 OLG Zweibrücken v. 27.6.2003 – 2 UF 151/02, OLGR Zweibrücken 2003, 452. Ähnlich – mit Betonung des Aspektes der Waffengleichheit: OLG Celle v. 12.7.2002 – 16 U 98/02, OLGR Celle 2002, 239. 651 OLG Zweibrücken v. 18.11.2003 – 5 UF 200/02, OLGR Zweibrücken 2004, 156. 652 OLG Karlsruhe v. 21.10.2004 – 7 U 169/03, OLGR Karlsruhe 2005, 443. 653 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 364; dieses und weitere Beispiele im Unterhaltskontext auch bei Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 950.
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Was ist eine Anschlussberufung?
cc) Verbleibende Probleme Alles ist damit aber noch nicht beseitigt. Der Fristausschluss gilt nur für 820 wiederkehrende Leistungen und die Fristverlängerung nutzt nichts, wenn erst nach der Berufungserwiderung erfolgende Beweisaufnahmen eine Anschlussberufung „eigentlich“ notwendig machten. Und selbst eine fristgerecht und sinnvoll eingelegte Anschlussberufung kann durch die freieren Rücknahmemöglichkeiten noch zu Lasten der materiellen Gerechtigkeit zunichte gemacht werden. 821
Beispiel 1: Ein geschädigter Kläger verklagte den Beklagten auf Zahlung von 20.000 Euro und obsiegt in dieser Höhe. Der Beklagte legt dagegen Berufung ein. Der Kläger beantragt Zurückweisung und begründet. Danach wird Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Dieses hält einen Schaden von mindestens 30.000 Euro für gegeben.
Der Beklagte wird die Berufung nun zurücknehmen, um die Verurteilung 822 in geringerer Höhe rechtskräftig werden zu lassen. Er kann dies – soweit das Urteil noch nicht verkündet ist – auch noch nach der mündlichen Verhandlung machen und die dort gewonnenen Informationen einbeziehen.654 Eine Nachforderung durch den Kläger in einem neuen Verfahren hätte nur dann Erfolgsaussicht, wenn die erste Klage als verdeckte Teilklage behandelt würde.655 Unter der Rechtslage vor der ZPO-Reform war in solcher Lage die Anschlussberufung noch möglich (und erfolgreich). Die Hauptberufung konnte auch nicht mehr einseitig zurückgenommen werden, weil vor der Beweiserhebung schon eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte.
823
Beispiel 2:
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Ein geschädigter Kläger verklagte den Beklagten auf Zahlung von 20.000 Euro. Er bewirkt nur eine Verurteilung über 15.000 Euro und legt dagegen Berufung ein. Der Kläger beantragt Zurückweisung und begründet. Danach wird Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Dieses hält einen Schaden von höchstens 10.000 Euro für gegeben.
Nun wird der Kläger die Berufung zurücknehmen, um die Verurteilung in größerer Höhe rechtskräftig werden zu lassen. Selbst eine fristgerecht eingelegte Anschlussberufung verliert damit ihre Wirksamkeit, § 524 Abs. 4 ZPO.656 Auch hier konnte unter der alten Rechtslage die Anschlussberufung noch 825 (erfolgreich) eingelegt und die Hauptberufung (wegen der vorherigen 654 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 376. 655 Dazu und zu weiteren Problemen, die sich dann noch auftun, Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 949. 656 Beispiel nach Schneider, Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl., Rz. 949.
205
Anschlussberufung
mündlichen Verhandlung) nicht mehr einseitig zurückgenommen werden. 826
Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die zeitliche Grenze vor der letzten mündlichen Verhandlung zu Ungereimtheiten führen kann, wenn eine Anschlussberufung sinnvollerweise Änderungen in das Verfahren einbringen könnte, die nach § 264 Nr. 3 ZPO bei einer Klage stets zulässig wären, hier aber an der Frist scheitern.657
3. Ziele einer Anschlussberufung 827
Die Ziele einer Anschlussberufung können sehr unterschiedlich sein. Unter anderem658 kommen in Betracht: – Klageerweiterung (aber nicht: Parteierweiterung);659 – Widerklage; – Übergang vom Feststellungsanspruch zum Zahlungsanspruch; – Geltendmachung eines (vergessenen oder höheren) Verzugszinses; – Anfechtung der Kostenentscheidung; – Anfechtung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit; – Wiedereinführung eines Hilfsantrages, nachdem erstinstanzlich der Hauptantrag erfolgreich war.660
828
Nicht nötig ist das aber, für den Fall, dass der im ersten Rechtszug erfolgreiche Kläger in der Berufungsinstanz seinen Antrag dahin anpasst, dass er statt des ursprünglich geforderten Kostenvorschusses nunmehr Kostenerstattung geltend macht. Dies ist jedenfalls dann ohne Anschlussberufung zulässig, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung den im angefochtenen Urteil zuerkannten Betrag nicht übersteigt.661 657 Dazu ausführlich Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 368–370. 658 Weitere Beispiele bei Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 362–364. 659 OLG Düsseldorf v. 25.8.2005 – I-2 U 52/04, OLGR Düsseldorf 2006, 285: Eine Anschlussberufung liegt vor, wenn der Berufungsbeklagte ohne eigenes Rechtsmittel in der Berufungsinstanz mehr erreichen will als nur die Verwerfung oder Zurückweisung der gegnerischen Hauptberufung. Sie kann konkludent eingelegt werden, indem der Berufungsbeklagte eine Abänderung des angefochtenen Urteils beantragt. Sie kann auch mit dem Ziel einer Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO eingelegt werden, ihr Gegenstand muss keine Klageänderung i.S.d. §§ 533, 263 ZPO sein. 660 Dazu Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 506. 661 BGH v. 12.1.2006 – VII ZR 73/04, BGHReport 2006, 638.
206
Vorteile einer Anschlussberufung
Eine Anschlussberufung ist nach einer Entscheidung des OLG Dresden für 829 eine Klageänderung auch dann nicht erforderlich, wenn klagende Wohnungseigentümer zweitinstanzlich Zahlung nicht an sich, sondern an die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangten. In diesem Fall ginge es den Klägern nicht um mehr als um die Abwehr der Berufung. Dies habe der BGH für den Fall der Abtretung entschieden: Würde im Falle der Abtretung einer streitbefangenen Forderung der Antrag dergestalt modifiziert, dass nunmehr an den Zessionar gezahlt werden solle, so bleibe die vom Beklagten zu erbringende Leistung nach Art und Umfang dieselbe.662 Nichts anderes könne für Mitgläubiger gelten, die ihre Klage von der Zahlung an sich auf Zahlung an alle Mitgläubiger gemeinschaftlich umstellten.663 Zu beachten ist, dass auch im Rahmen einer Anschlussberufung § 533 ZPO gilt,664 was angesichts dessen, dass Gegner eher selten einwilligen, das Vorliegen von Sachdienlichkeit und eine Tatsachenbasis voraussetzt, die das Berufungsgericht ohnehin zugrunde legen muss.
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Stellt allerdings der erstinstanzlich obsiegende Kläger (nur) seinen Feststellungsantrag im Berufungsrechtszug teilweise auf Zahlung um, so ist darin eine Anschlussberufung zu sehen, die, da in dieser Antragsumstellung gem. § 264 Nr. 2 ZPO keine Klageänderung liegt, nicht den für die Klageänderung im Berufungsverfahren in § 533 ZPO aufgestellten besonderen Erfordernissen unterliegt.665
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4. Vorteile einer Anschlussberufung a) Risikoerhöhung für den Hauptberufungsführer Gibt es nur einen, der Berufung einlegt, kann dieser wegen § 528 S. 2 832 ZPO in der Hauptsache nur gewinnen. Verliert er die Berufungsinstanz hat er zwar die Kosten zu tragen, was er erstinstanzlich schon gewonnen hat, verbleibt ihm aber in jedem Fall. Der Gegenangriff durch eine unselbständige Anschlussberufung erhöht 833 damit zunächst das Risiko des Hauptberufungsführers. Dies allein mag den Hauptberufungsführer vielleicht schon nachdenklich werden lassen, ob er seine Berufung nicht lieber zurücknimmt. Die Anschlussberufung muss er dann wegen § 524 Abs. 4 ZPO nicht mehr fürchten. Als Kosten der Rücknahme, § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO, fallen ihm danach allerdings auch die Kosten der Anschlussberufung zur Last.666 662 663 664 665 666
BGH, ZIP 1978, 314. OLG Dresden v. 17.3.2005 – 4 U 2065/04, OLGR Dresden 2005, 895. Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 507. OLG Hamburg v. 5.11.2004 – 1 U 47/04; n. rkr., OLGR Hamburg 2005, 226. Die Kosten einer zulässig eingelegten Anschlussberufung sind grundsätzlich dem Berufungskläger aufzuerlegen, wenn dieser die Berufung nach einem
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Anschlussberufung
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Im Zusammenhang mit einer Anschlussbeschwerde differenzierte das OLG Hamburg für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Wohnungseigentumssachen demgegenüber so: Nehme der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel zurück und mache er damit die zulässige unselbständige Anschlussbeschwerde wirkungslos, so fielen ihm die gesamten Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zur Last. Dagegen könne die Entscheidung des Beschwerdegerichts, dass trotz Rücknahme des Hauptrechtsmittels eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Gegners unterbleibe, der Billigkeit entsprechen.669
Praxistipp: Hiervon werden aber Ausnahmen gemacht, wenn die Hauptberufung schon vor der Anschließung wieder zurückgenommen wurde.667 Um zumindest diesem Sonderfall668 zu entgehen, sollte dem Anwalt vor Absendung der Anschlussberufungseinlegung ein Anruf auf der Geschäftsstelle Pflicht sein.
b) Kuchen vergrößern 836
Der Gegenangriff schafft zugleich eine größere Verfügungsmasse für eine vergleichsweise Regelung. Will ein normaler Berufungsbeklagter etwas nachgeben, so kann er dies nur über Abstriche am schon erzielten erstinstanzlichen Ergebnis tun. Mehr hat er ja nicht. Steht demgegenüber noch ein durch die Anschlussberufung geschaffenes Potential im Raum, lässt sich auch davon nachgeben, ohne dass die erstinstanzliche Position geschmälert werden müsste.
837
In diesem Sinne ist die Anschlussberufung eine der Möglichkeiten, die in der Verhandlungstheorie gerne als „Vergrößerung des Kuchens, bevor man ihn teilt“ beschrieben werden.
5. Nachteile einer Anschlussberufung a) Niederlage mit dem Gegenangriff 838
Nachteilig ist, dass der Gegenangriff das Kostenrisiko grundsätzlich (auch) für den Berufungsbeklagten vergrößert. Der Kostenstreitwert in der zweiten Instanz erhöht sich. Wenn der Gegenangriff erfolglos bleibt, Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zurücknimmt und die Anschlussberufung dadurch ihre Wirkung verliert, BGH v. 7.2.2006 – XI ZB 9/05. 667 BGH v. 23.6.1955 – II ZR 18/55, BGHZ 17, 398 (zur insoweit gleichgelagerten Anschlussrevision). 668 Ein weiterer sollte nach altem Recht gelten, wenn die Rücknahme bei einer von vorneherein unzulässigen Hauptberufung erfolgt, BGHZ 4, 240. Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., Rz. 43, meinen, dass dies auch unter dem aktuellen Recht gelte. 669 OLG Hamburg v. 22.4.2003 – 2 Wx 98/01, OLGR Hamburg 2004, 295.
208
Nachteile einer Anschlussberufung
führt dies (in Abhängigkeit davon, wie der Hauptangriff ausgeht) mindestens zu einer Kostenquote (§§ 92, 97 ZPO). b) Kostenverteilung Weitere Gefahren lauern in § 522 Abs. 1 und 2 ZPO. Wenn das Berufungs- 839 gericht die Hauptberufung verwirft oder zurückweist, verliert die Anschlussberufung nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Für die Kostenfolge hängt es grundsätzlich davon ab, warum die Anschlussberufung ihre Wirkung verliert.
840
aa) Kosten beim Hauptberufungsführer – Bei Rücknahme der Hauptberufung trägt der Hauptberufungsführer auch die Kosten der Anschlussberufung.670
841
– Bei Unzulässigwerden der Hauptberufung aufgrund verspäteter Begründung durch den Hauptberufungsführer, hat dieser ebenfalls die Kosten der Anschlussberufung zu tragen. bb) Kosten beim Anschlussberufungsführer – War die Hauptberufung von Anfang an unzulässig und wird sie deshalb nach § 522 Abs. 1 ZPO verworfen, hat der Anschlussberufungsführer die Kosten seiner Anschlussberufung zu tragen.671 – War die Hauptberufung unbegründet und wird sie deshalb nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, hat ebenfalls der Anschlussberufungsführer die Kosten seiner Anschlussberufung zu tragen. Das ist allerdings strittig.672 670 BGH v. 26.1.2005 – XII ZB 163/04, MDR 2005, 704: Verliert ein zulässig erhobenes Anschlussrechtsmittel seine Wirkung durch Rücknahme des Rechtsmittels, sind dem Rechtsmittelkläger im Regelfall auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen; BGH v. 7.2.2006 – XI ZB 9/05: Die Kosten einer zulässig eingelegten Anschlussberufung sind grundsätzlich dem Berufungskläger aufzuerlegen, wenn dieser die Berufung nach einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zurücknimmt und die Anschlussberufung dadurch ihre Wirkung verliert. 671 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 472; differenzierend: Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 344; Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 383. 672 Wie hier: Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 472; a.A. Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 383; Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 344. Die dort zitierte BGH-Entscheidung BGHZ 4, 229 (243) behandelt aber den anders gelagerten Fall der Berufungsrücknahme; Ludwig, MDR 2003, 670 und danach auch OLG Köln v. 23.8.2004 – 11 U 196/03, ProzRB 2005, Heft 1 m.w.N. Differen-
209
842
Anschlussberufung
– War die Anschlussberufung selbst unzulässig oder unbegründet, hat deren Kosten der Anschlussberufungsführer zu tragen (analog § 97 ZPO).673 c) Gegenmaßnahmen 843
Namentlich die beiden Fälle des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO sind also für den Anschlussberufungsführer gefährlich. Hier kann er sich aber den Umstand zunutze machen, dass es sich bei der Anschlussberufung nicht um ein Rechtsmittel, sondern nur um einen Antrag innerhalb eines fremden Rechtsmittels handelt.
844
Dieser Antrag darf nach allgemeiner Auffassung – innerhalb der Grenze der Innerprozessualität – unter eine Bedingung gestellt werden. Als erlaubte Bedingungen gelten die Anknüpfungen daran, dass das Berufungsgericht die Hauptberufung nicht nach § 522 Abs.1 ZPO verwirft und nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.674
845
Û
Praxistipp: Die Einlegung der Anschlussberufung hat in diesen Fällen hilfsweise für den Fall zu erfolgen, dass die Hauptberufung Erfolg hat.675 Soweit dies mangels Zulässigkeit oder Begründetheit nicht der Fall ist, verursacht der Hilfsantrag keine Kosten (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG = § 19 Abs. 1 S. 2 GKG a.F.). – Denkbar sind aber auch weitere innerprozessuale Bedingungen, wie etwa die bestimmte Beurteilung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage durch das Gericht.676
6. Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO 846
Ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO muss beim Hauptberufungsführer eine von zwei möglichen Reaktionen auslösen:
673 674
675 676
210
zierend das OLG Karlsruhe v. 30.3.2004 – 14 U 63/02, OLGR Karlsruhe 2004, 335: Wird die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, so hat der Berufungskläger die Kosten der Anschließung, die damit ihre Wirkung verliert, jedenfalls dann nicht zu tragen, wenn die Anschließung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand unbegründet war. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 345: anteilig. OLG Düsseldorf v. 25.8.2005 – I-2 U 52/04, OLGR Düsseldorf 2006, 285: Eine Anschließung zum Zwecke der Klageerweiterung ist auch zulässig, wenn sie an eine Bedingung geknüpft ist und nur für den Fall wirksam wird, dass die Hauptberufung Erfolg hat. Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 341; Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 516. BGH v. 10.11.1983 – VII ZR 72/83, NJW 1984, 1240/1241 = MDR 1984, 569.
Konsequenzen für den Hauptberufungsführer bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO
– Entweder muss er sich zum Inhalt des Hinweises äußern, um das Verfahren doch noch in seinem Sinne zu beeinflussen. – Oder er muss erwägen, welche Form der Niederlage ihm (und damit dem Mandanten) die kostengünstigste werden wird. Aktiv die Rücknahme der Berufung vornehmen oder passiv den angekündigten Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO hinnehmen. Äußerung, Rücknahme und Hinnahme sind in Abhängigkeit von der Fall- 847 lage akzeptable Reaktionsformen. Soweit allerdings keine Äußerung erfolgt, sind Rücknahme oder Hinnahme mit dem Mandanten vorher (wenn mündlich, auf jeden Fall direkt danach auch schriftlich!) zu erörtern. Hier besteht nämlich Haftungsgefahr.
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Mit der Rücknahme verringern sich die Verfahrensgebühren von 4,0 849 (GKG Nr. 1220) auf 2,0 (GKG Nr. 1222). Eine Ermäßigung auf 1,0 (GKG Nr. 1221) scheidet dagegen aus, weil in diesem Stadium schon die Schrift zur Begründung des Rechtsmittels bei Gericht eingegangen ist. Durch die Hinnahme des Beschlusses dagegen entstehen die vollen 4,0 Gebühren.
850
Gleichwohl kann die Hinnahme dennoch vorteilhaft sein, wenn eine An- 851 schlussberufung im Raume steht und der Anschlussberufungsführer versäumt hat, die oben näher beschriebene Bedingung mitaufzunehmen. Das ist ein Rechenexempel, bei dem die 2,0 Verfahrensgebühren, die bei der Rücknahme gespart werden, mit den Mehrkosten, die entstehen, wenn die Kosten der Anschlussberufung hinzukommen, zu verrechnen sind. Im Hinblick darauf könnte sich ein Berufungsbeklagter sogar motiviert 852 sehen, den Hauptberufungsführer durch Einlegung einer Anschlussberufung noch zusätzlich unter Druck zu setzen, wenn das Gericht einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO schon gegeben hat, bevor die Anschließungsfrist abgelaufen ist.677 Wegen des Kostenrisikos für den Anschlussberufungsführer findet sich aber für diese Situation auch der ausdrückliche Hinweis, eine Anschließung solle „in keinem Fall mehr erfolgen“.678
677 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 365, meinen, dass darin (aber nicht in der Regel) ein Missbrauch der Anschlussberufung gesehen werden könnte. 678 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
211
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Anschlussberufung
7. Wechsel von selbständiger Berufung zu Anschlussberufung 854
Wenn eine selbständige Berufung als Rechtsmittel unzulässig ist, aber ohne weiteres den Anforderungen an eine Anschlussberufung genügt, soll das Gericht sie auch als solche zu behandeln haben.679 Voraussetzung ist damit also stets, dass neben der – nunmehr unzulässigen – selbständigen Berufung noch eine wirksame (jetzt Haupt-)Berufung der anderen Seite vorliegt.
855
Beispiel: Der Berufungsführer versäumt die Einlegungsfrist, aber nicht die des § 524 Abs. 2 ZPO. Der Berufungsführer versäumt die Begründungsfrist, aber nicht die des § 524 Abs. 2 ZPO.
Es fehlt an der nötigen Beschwer, bzw. dem Antrag an der nötigen Höhe für den Beschwerdegegenstand.
8. Anforderungen an die Begründung 856
Die Anschlussschrift (bzw. wenn Einlegung und Begründung innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 ZPO getrennt erfolgen: die Begründungsschrift) muss Berufungsanträge und deren Begründung enthalten, §§ 524 Abs. 3 S. 2, 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.
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Der Zulässigkeit einer klageerweiternden Anschlussberufung steht nicht entgegen, dass die Klägerinnen und Berufungsbeklagten nicht ausdrücklich den Berufungserwiderungsschriftsatz als Anschlussberufung bezeichnet haben. Es ist insoweit ausreichend, dass dem Schriftsatz und den in ihm enthaltenen Anträgen das nur im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels mögliche Begehren der Erweiterung ihrer Klage „unter Abänderung des Urteils“ zu entnehmen ist.680 a) Anträge
858
Die Stellung eines Zurückweisungs- oder Verwerfungsantrages im Hinblick auf die Hauptberufung genügt für eine Anschlussberufung grundsätzlich nicht. Es muss ein neues Prozessziel verfolgt werden.681
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Das kann ausnahmsweise anders sein, wenn der mit der Anschlussberufung geführte Angriff eine Klageabweisung in der Sache statt einer solchen durch eine Hilfsaufrechnung begehrt, welche ja auch dies nur zur Zurückweisung der Hauptberufung führen würde. Hier muss der An-
679 Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rz. 373. 680 OLG Hamburg v. 23.11.2005 – 5 U 68/05; n. rkr. 681 Oberheim, Der Anwalt im Berufungsverfahren, Rz. 512.
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Anforderungen an die Begründung
schließende den Willen zur Erweiterung des Streitgegenstandes in der Berufung deutlich machen.682 b) Begründung Nur soweit mit der Anschlussbegründung das erstinstanzliche Urteil an- 860 gefochten wird, gelten die in § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO aufgeführten Anforderungen an die Begründung (Darlegung von Rechtsverletzung und Tatsachenfehlern). Bei neuen Anträgen ist darauf naturgemäß keine Rücksicht zu neh- 861 men,683 denn dazu konnte das angefochtene Urteil sich ja nicht verhalten. Das soll in gleicher Weise gelten, wenn sich die Anschlussberufung auf 862 einen Punkt bezieht, der den Parteien nach Umfang und Bedeutung bereits bekannt ist.684 c) Antragsänderungen Wie bei der Hauptberufung auch, ist es grundsätzlich möglich, Anschlussberufungsanträge zu verändern. Für eine Rücknahme ergibt sich dies von selbst. Für eine Erweiterung ist das jedenfalls in der Konstellation anerkannt, in welcher sich die Erweiterung im Rahmen der schriftlich vorgetragenen Anschließungsgründe hält.685
682 BGH v. 3.11.1989 – V ZR 143/87, NJW 1990, 447 = MDR 1990, 325. 683 Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 343. 684 BGH v. 3.2.1954 – VI ZR 40/53, NJW 1954, 600; BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (Leitsatz 1 zur Erweiterung eines Anschlussberufungsantrages); beide in Bezug genommen durch BGH v. 9.3.1995 – IX ZR 143/94, NJW 1995, 1360 (1361). 685 BGH v. 29.9.1992 – VI ZR 234/91, NJW 1993, 269 (Leitsatz 1); Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 3. Aufl., Rz. 338. Zum neuen Recht: BGH v. 6.7.2005 – XII ZR 293/02: Auch nach der seit dem 1.1.2002 geltenden Rechtslage kann die Anschlussberufung nach Ablauf der Einlegungsfrist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO erweitert werden, soweit die Erweiterung durch die fristgerecht eingereichte Anschlussberufungsbegründung gedeckt ist.
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XI. Gebühren und Kostenfragen 1. PKH 864
Die Zusammenhänge zwischen PKH-Antrag, PKH-Beschluss, Einlegungs- und Begründungsfristen sowie Wiedereinsetzung wurden oben erläutert. Hier geht es nur um allgemeine PKH-Fragen. a) PKH für den Berufungskläger
865
Die Bewilligung von PKH für den Berufungskläger setzt eine Begründung des Antrags voraus, aus der – sei es auch in laienhafter Darstellung – erkennbar ist, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden soll.686
866
Die Verwerfung einer Berufung mangels ordnungsgemäßer Begründung und gleichzeitige Versagung von PKH für das Berufungsverfahren ist unzulässig.687
867
Wird einer Partei, der in 1. Instanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt war, in 2. Instanz PKH nur mit Ratenzahlung bewilligt, berechtigt dies den Rechtspfleger der 1. Instanz nicht, allein deshalb auch für die 1. Instanz Ratenzahlung anzuordnen. Eine Änderung der PKH-Bewilligung ist nur unter den Voraussetzungen des § 120 Abs. 4 ZPO zulässig.688
868
Wenn Berufung in vollem Umfang eingelegt und damit die Berufungssumme erreicht wird, ist hinsichtlich des Erfolg versprechenden Teils dieser Berufung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn alleine dieser Erfolg versprechende Teil die Berufungssumme nicht erreicht.689 b) PKH für den Berufungsbeklagten
869
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen ein Rechtsmittel kommt erst dann in Betracht, wenn dieses begründet worden und zulässig ist.690
686 687 688 689 690
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OLG Schleswig v. 21.1.2004 – 7 U 30/03, OLGR Schleswig 2004, 266. BGH v. 3.12.2003 – VIII ZB 80/03, MDR 2004, 588. OLG Stuttgart v. 6.6.2002 – 8 WF 96/2000, MDR 2002, 1396. OLG Karlsruhe v. 1.6.2006 – 2 UF 163/05, OLG Karlsruhe 2006, 676. OLG Saarbrücken v. 3.5.2002 – 6 UF 135/01 (PKH), OLGR Saarbrücken 2002, 377.
Gebühren des Berufungsbeklagten
2. Gebühren des Berufungsbeklagten a) Grundsätzliche Erstattungsfähigkeit Auch wenn in Berufungseinlegungen oft textbausteinmäßig die Bitte zu lesen ist, die Berufung erfolge lediglich fristwahrend und für die Gegenseite möge sich zunächst noch kein Anwalt bestellen, geschieht in der Praxis häufig genau dies. Ein Anwalt bestellt sich für den Berufungsbeklagten. Gelegentlich wird in dieser Bestellung zugleich der Antrag gestellt, die Berufung möge zurückgewiesen werden.
870
Das wirft Fragen auf über die Höhe der dabei entstehenden Gebühren 871 und deren Ersatzfähigkeit. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Innenverhältnis des Berufungsbeklagten und seines Vertreters und dem Außenverhältnis zwischen den Parteien und der Notwendigkeit der entstandenen Kosten. Das Herbeiführen nicht notwendiger und damit nicht erstattungsfähiger Kosten dürfte aber regelmäßig auch im Innenverhältnis eine Pflichtverletzung darstellen. Diese führt dann über einen Schadensersatzpflicht des Anwalts, bzw. einen gleichlautenden Freistellungsanspruch des Mandanten zur Leistungsfreiheit des Mandanten insoweit. b) Richtiger Zeitpunkt für die Sachantragstellung Stellt der Berufungsbeklagte nach Begründung des Rechtsmittels und vor 872 einer Entscheidung des Gerichts über dessen mögliche Zurückweisung durch Beschluss einen Sachantrag, sind die dadurch entstehenden Anwaltsgebühren notwendige Kosten der Rechtsverteidigung691 (vgl. aber auch folgend zu § 522 Abs. 2 ZPO). Beantragt der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Zu- 873 rückweisung der Berufung dagegen, bevor die Berufung begründet worden ist, so ist dem Berufungsbeklagten (trotzdem) nur die halbe Prozessgebühr (bzw. heute: 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG) zu erstatten.692 Problematisch kann es werden, wenn der Antrag vor der Berufungs- 874 begründung gestellt wurde, diese später erfolgte, die Berufung dann aber 691 BGH v. 9.10.2003 – VII ZB 17/03, MDR 2004, 115 = ProzRB 2004, 29. 692 BGH, v. 3.6.2003 – VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115: Hat eine Partei gegen ein erstinstanzliches Urteil Berufung (nur) zur Fristwahrung eingelegt und nimmt sie ihr Rechtsmittel, bevor sie es begründet hat, innerhalb der Begründungsfrist zurück, so kann die Gegenpartei die zweite Hälfte der anwaltlichen Prozessgebühr die durch ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung entstanden ist, nicht gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattet verlangen; OLG Köln v. 3.4.2003 – 26 WF 66/03, OLGR Köln 2003, 223 zur BRAGO, OLG Oldenburg v. 8.11.2005 – 2 WF 204/05, OLGR Oldenburg 2006, 422 zum RVG: Bei Zurücknahme einer Berufung innerhalb der Begründungsfrist kann die gegnerische Partei bei Stellung eines Antrags auf Zurückweisung (nur) eine 1,1fache Gebühr nach Nr. 3201 RVG-VV erstattet verlangen.
215
Gebühren und Kostenfragen
zurückgenommen wird, ohne dass der Berufungsbeklagte dem Gericht gegenüber noch etwas unternimmt. Nach Auffassung des OLG München soll auch dann nur eine 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG notwendig gewesen sein.693 875
Ein weiteres Problem entsteht, wenn der Antrag vor der Berufungsbegründung gestellt wurde, diese innerhalb der Begründungsfrist nicht erfolgte, und der Berufungsbeklagte dann die Verwerfung der Berufung beantragt. Nach Meinung des OLG Stuttgart ist dann die volle 1,6 Gebühr aus Nr. 3200 VV RVG zu erstatten.694 Nach Auffassung des KG dagegen soll auch dann nur eine ermäßigte Gebühr (die Entscheidung hatte noch BRAGO-Gebühren zu behandeln) notwendig gewesen sein.695 Das KG begründet das so, dass der Antrag auf Zurückweisung einer Berufung in diesem Stadium des Verfahrens noch keinen tatsächlichen Gehalt habe. Erst wenn das Rechtsmittel begründet worden sei, könne sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag das Verfahren aus objektiver Sicht fördern.
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Û
Praxistipp: Entscheidend kann damit einmal der Zeitpunkt des Sachantrages sein. Ein zu früh gestellter Antrag sollte jedenfalls nach der Begründung des Rechtsmittels noch einmal gestellt werden. Mag man dem zu früh gestellten Antrag die Notwendigkeit absprechen (und dies später aufrecht erhalten), lässt sich das für den erneut gestellten Antrag auf keinen Fall mehr sagen. Erfolgt keine Begründung, sollte vorsorglich nach Ablauf der Begründungsfrist ein Verwerfungsantrag gestellt werden.
693 OLG München v. 18.7.2005 – 11 W 1911/05, OLGR München 2006, 78 = AGS 2005, 520: Beantragt der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Zurückweisung der Berufung, bevor diese begründet worden ist, so ist dem Berufungsbeklagten auch dann nur die ermäßigte Gebühr gem. der Nr. 3201 RVG-VV zu erstatten, wenn das Rechtsmittel anschließend begründet und nach einem Hinweis des Berufungsgerichts zurückgenommen wird, ohne dass der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten dem Berufungsgericht ggü. eine weitere Tätigkeit entfaltet hat. 694 OLG Stuttgart, v. 22.2.2005 – 8 W 70/05, OLGR Stuttgart 2005, 488 = AGS 2005, 575: Wird eine zur Fristwahrung eingelegte Berufung nicht begründet, sind die durch den nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag auf Verwerfung der Berufung entstehenden Anwaltsgebühren notwendige Kosten der Rechtsverteidigung. 695 KG v. 2.12.2005 – 1 W 434/04, KGR Berlin 2006, 230 = AGS 2005, 522: Wird eine Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen, ist dem Berufungsbeklagten auch dann nur eine halbe Prozessgebühr zu erstatten, wenn er bereits die Zurückweisung der Berufung beantragt hat.
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Kostengrundentscheidungen
c) Höhe in den Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO Strittig ist, in welcher Höhe Anwaltsvergütungen zu erstatten sind, wenn das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO beendet wird.
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Hierzu meint das OLG Oldenburg: Anwaltskosten des Berufungsbeklagten sind bei Verfahrensbeendigung nach § 522 Abs. 2 ZPO regelmäßig nur in Höhe einer 13/20 Gebühr zu erstatten (a.A. OLG Celle v. 17.12.2002 – 8 W 389/02, OLGR Celle 2003, 113 f.).696 Das OLG Koblenz entschied, die Kosten eines Antrags auf Zurückweisung der Berufung seien nicht erstattungsfähig, wenn ein gerichtlicher Hinweis vorausgegangen sei, aus dem sich zweifelsfrei ergebe, dass das Rechtsmittel unzulässig sei.697 d) Auftragserteilung nach Berufungsrücknahme Die Kosten des Berufungsbeklagten sind nach dem OLG Koblenz erstattungsfähig, wenn ihm bei Erteilung des Auftrags an den Berufungsanwalt nicht bekannt war oder bekannt sein musste, dass das Rechtsmittel bereits zurückgenommen wurde. Es sei auch nicht Aufgabe des Gerichts, eine Rechtsmittelrücknahme telefonisch dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Berufungsbeklagten mitzuteilen.698
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3. Kostengrundentscheidungen a) Zu Lasten der obsiegenden Partei, § 97 ZPO Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens können der obsiegenden Partei 879 nach § 97 Abs. 2 ZPO auch dann auferlegt werden, wenn nicht sicher feststeht, dass das Rechtsmittel ohne das neue Vorbringen erfolglos gewesen wäre.699 b) Kosten von Anschlussrechtsmitteln Verliert ein zulässig erhobenes Anschlussrechtsmittel seine Wirkung 880 durch Rücknahme des Rechtsmittels, sind dem Rechtsmittelkläger nach einer Entscheidung des XII. Zivilsenates des BGH im Regelfall auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen (dazu schon oben bei der Anschlussberufung).700
696 697 698 699 700
OLG Oldenburg v. 8.5.2003 – 2 W 26/03, MDR 2004, 626. OLG Koblenz v. 11.5.2006 – 14 W 278/06, OLGR Koblenz 2006, 792. OLG Koblenz v. 1.12.2004 – 14 W 800/04. BGH v. 2.3.2005 – VIII ZR 174/04, MDR 2005, 916. BGH v. 26.1.2005 – XII ZB 163/04, MDR 2005, 704.
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Gebühren und Kostenfragen
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Wird die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss als unbegründet zurückgewiesen, so trägt nach Auffassung des OLG Köln der Berufungskläger grundsätzlich auch die Kosten der durch die Zurückweisung der Berufung wirkungslos werdenden Anschlussberufung.701 c) Höhe von Vergleichsgebühren
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Noch zur Rechtslage unter der Geltung der BRAGO und in Abkehr von der eigenen, früheren Rechtsprechung702 entschied das OLG Schleswig: Werden anlässlich eines Berufungsverfahrens nicht anhängige Ansprüche mitverglichen, so löst dies lediglich eine 15/10-Vergleichsgebühr aus, die nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO zu erhöhen ist.703 d) Übereinstimmende Erledigungserklärungen
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Nach übereinstimmender Erledigung in der Hauptsache ergeht Kostenentscheidung nach § 91a ZPO. Gegen diese ist unter den Voraussetzungen von § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO die sofortige Beschwerde gegeben, wenn der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO von 600 Euro übersteigt. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber den von der Rechtsprechung schon früher vertretenen Grundsatz, dass der Instanzenzug für die Anfechtung einer Nebenentscheidung nicht weiter gehen kann als derjenige in der Hauptsache, ausdrücklich im Gesetz verankert. e) Kostenmischentscheidungen
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Dies gilt entsprechend für Fälle der so genannten Kostenmischentscheidung, in denen die Parteien den Rechtsstreit nur zum Teil in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und über die Kosten deshalb lediglich hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils nach § 91a ZPO, im Übrigen nach den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere also den §§ 91, 92 ZPO, zu entscheiden ist. Mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist dann nur der Teil der Kostenentscheidung, der auf § 91a ZPO beruht. Auf dieser Grundlage entschied der BGH, dass bei der Prüfung der Frage, ob der Streitwert der Hauptsache die Berufungssumme übersteigt, grundsätzlich auf das voraussichtliche Unterliegen einer Partei abzustellen sei, von dem das Gericht bei seinem Kostenausspruch ausgegangen sei und das deshalb die Höhe der hypothetischen Beschwer in der Hauptsache und damit die Obergrenze für den Wert des Beschwerdegegenstandes im 701 OLG Köln v. 23.8.2004 – 11 U 196/03, OLGR Köln 2004, 397. 702 OLG Schleswig v. 15.1.2001 – 9 W 163/01, OLGReport 2002, 130 = SchlHA 2002, 122f. = MDR 2002, 421 = Rpfleger 2002, 331. 703 OLG Schleswig v. 30.8.2004 – 9 W 141/04, OLGR Schleswig 2004, 510.
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Kostengrundentscheidungen
Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimme. Nur dadurch sei sichergestellt, dass der Instanzenzug für die Anfechtung der Kostenentscheidung mit demjenigen für die (hypothetische) Anfechtung der Hauptsache übereinstimme.704 f) Quotenänderungen und Verzinsungsbeginn Bei einer Änderung der Kostenquote im Berufungsverfahren ist derjenige 885 Betrag der erstinstanzlichen Kosten, der sowohl nach der erst- wie nach der zweitinstanzlichen Kostengrundentscheidung zu erstatten ist, seit dem Eingang des (ursprünglichen) Kostenfestsetzungsantrags zu verzinsen.705 g) Unterschiedliche Prozessergebnisse von Gesamtschuldnern Wenn einer von zwei Gesamtschuldnern in zweiter Instanz obsiegt und 886 das erstinstanzliche Urteil bezüglich des anderen Gesamtschuldners, der in erster Instanz unterlegen ist, rechtskräftig geworden ist, muss eine Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung auch zu Gunsten dieses anderen erfolgen.706 h) Rechtsmittelrücknahme, Vergleich und Rückfestsetzung Führt die Rücknahme des Rechtsmittels gegen ein Grundurteil zu einer 887 Entscheidung nach § 516 Abs. 3 ZPO und einer entsprechenden Kostenfestsetzung, erfordert die in einem nachfolgenden Vergleich vereinbarte umfassende Kostenaufhebung die Rückfestsetzung, sofern nicht ausdrücklich vereinbart wird, dass der Vergleich bereits festgesetzte Kosten unberührt lässt.707 Ähnlich schon vorher das OLG Frankfurt: Die in einem außergerichtlichen Vergleich enthaltene abweichende Kostenregelung für das Berufungsverfahren nach Zurücknahme der Berufung geht der Kostenfolge des § 516 Abs. 3 S. 1 ZPO vor.708
704 705 706 707 708
BGH v. 29.7.2003 – VIII ZB 55/03, MDR 2004, 45. BGH v. 20.12.2005 – X ZB 7/05, BGHReport 2006, 546. OLG Frankfurt v. 2.9.2005 – 2 U 32/01, OLGR Frankfurt 2006, 416. OLG Koblenz v. 1.9.2005 – 14 W 562/05. OLG Frankfurt v. 23.10.2003 – 5 U 187/03, OLGR Frankfurt 2004, 272.
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Gebühren und Kostenfragen
4. Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts 888
Eine fehlerhafte Kostenentscheidung des Berufungsgerichts kann in dem die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluss vom Revisionsgericht nicht von Amts wegen korrigiert werden.709
5. Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde 889
Betraut im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Rechtsmittelgegner einen nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt mit einer Einzeltätigkeit, die auf eine Rücknahme der Beschwerde zielt, und sieht er von der Beauftragung eines postulationsfähigen Rechtsanwalts ab, sind die Kosten des beauftragten Rechtsanwalts nach Maßgabe des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten. Ob es dann um „sonstige Einzeltätigkeiten“ nach Nr. 3403 VV oder um Verfahrensgebühren geht, hängt vom Auftrag ab. Der III. Zivilsenat hat offengelassen, ob ein vor dem BGH nicht postulationsfähiger Rechtsanwalt überhaupt gebührenwirksam einen vollständigen Verfahrensauftrag erhalten kann.710
890
Û
Praxistipp: Auch wenn die Zahl der erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerden (ganz) langsam ansteigt, ist festzustellen, dass sich schneller als mit einer Bestellung auf Seiten des Beschwerdegegners gar kein Geld verdienen lässt. Es versteht sich, dass man dem Mandanten die Gebühren nicht gut kommunizieren kann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich ist. Dann muss für den Mandanten ja ein bei dem BGH zugelassener Rechtsanwalt tätig werden, der (erneut) Gebühren beanspruchen kann.
709 BGH v. 28.3.2006 – XI ZR 388/04, BGHReport 2006, 872. 710 BGH v. 4.5.2006 – III ZB 120/05, BGHReport 2006, 1068.
220
XII. Spezialfälle Das Berufungsgericht ist an die Beurteilung der Verwechslungsgefahr und der Zeichenähnlichkeit als einer ihrer Faktoren im Revisionsurteil nach § 565 Abs. 2 ZPO gebunden, wenn die der Prüfung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen sich nicht verändert haben.711
891
Die nach Verkündung des Berufungsurteils erfolgte Löschung des Ge- 892 schmacksmusters im Musterregister ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen.712
711 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 66/02, BGHReport 2005, 169. 712 BGH v. 15.7.2004 – I ZR 142/01, BGHReport 2005, 178.
221
Register Die Zahlen bezeichnen die Randziffern. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG Rechtsmissbrauch 47 Strategien 35 Zuständigkeit 18 Zweigniederlassung, unselbständige 19 Anhörungsrügengesetz 136, 708 Anschlussberufung Anträge 858 Antragsänderungen 863 Antragstellung innerhalb einer fremden Berufung 791 Ausschluss des Fristablaufes 819 Begründung 856, 860 Begründung in der Anschlussschrift 801 Berufungsbeschwer 793 ~ außerhalb der Berufungsfrist 793 Einlegungsfrist ab dem 1. JuMoG 799, 814 Geltung von § 533 ZPO 830 Hilfsweise Einlegung 793 ~ bei Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO 846 ~ zur Klageerweiterung 793 Kosten – des ~führers 842 – beim Hauptberufungsführer 841 Kostenrisiko – § 522 ZPO 839 – bei Niederlage 838 Probleme nach dem 1. JuMoG 820 Risikoerhöhung für den Hauptberufungsführer 832 ~ zwecks Risikominimierung 845 Selbständige ~ 794
Selbständige Berufung als Alternative 812 (Teilweise) Umstellung Feststellungsantrag auf Zahlung 831 Unselbständige ~ 794 Verhandlungsbasis 836 Wechsel von selbständiger Berufung zu ~ 854 Wiedereinsetzung 818 Ziele der ~ – Anfechtung der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit 827 – Anfechtung der Kostenentscheidung 827 – Geltendmachung eines Verzugszinses 827 – Klageerweiterung 827 – Kostenerstattung statt Kostenvorschuss 828 – Parteierweiterung 827 – Übergang vom Feststellungsanspruch zum Zahlungsanspruch 827 – Widerklage 827 – Wiedereinführung eines Hilfsantrages 827 – Zahlung an die Wohnungseigentümergemeinschaft 829 Antragserweiterungen Ursprünglicher Rügeumfang – ausreichend 457 – nicht ausreichend 458 Voraussetzungen 455 Antragsumstellung Streitwertsenkung vor Berufungsrücknahme 411 Aufrechnung, s. Präklusion 678 Ausländisches Recht § 119 Abs. 1 Nr. 1c GVG 61 223
Register
Baulandgerichtliches Berufungsverfahren Präklusion 592 Befangenheit der Vorinstanz Prüfungsumfang Berufungsgericht 587 Berufung ~ zum vorbefassten Amtsgericht 80 Beratungspflichten des Anwalts über das Berufungsziel 2 ~ auch gegen Kostenmischentscheidung 12 Verhältnis zur Urteilsergänzung 9 Verstoß gegen Grundrecht des gesetzlichen Richters 134 Zweites Versäumnisurteil, unverschuldete Säumnis 10 Berufungsangriff Varianten 426 Berufungsbegründung Alte-Tatsachen-Fehler 475 ff. – fehlerhafte Beweiswürdigung 497 – keine Kenntnisnahme des Vortrags 496 – konkrete Anhaltspunkte 491 – Musterformulierung 513 – negative Beweiskraft des Tatbestands 498, 505 – Parteivorbringen 484 – Protokollberichtigungsantrag 515 – Prüfschema 476 – Sitzungsprotokoll 499 – Tatbestand und Schriftsätze 498 – Tatbestandsberichtigung 504 – Tatsachenfeststellung 477 – übergangenes Vorbringen 494 – Unrichtigkeit 486 – Unvollständigkeit 487 224
– Verfahrensfehler 488 – Widerspruch Tatbestand mit Schriftsatzvortrag 500 – Widersprüchliche Feststellungen 495 – Zweifel 493 Anforderungen 525 ff. Antrag – Abänderung als Ziel 383 – bei neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln 365 – Auslegung und Streitgegenstand 346 – vor Berufungseinlegung 263 – bestimmter Antrag 345 – Beurteilungszeitpunkt 401 – erstinstanzlich nicht beschiedene Hilfsanträge 355 – auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel 394 – Erweiterung 373 – förmlicher Antrag 346 – Klageänderung 385 – Klageerweiterung, Unzulässigkeit 391 – Reduzierung der Sicherheitsleistung 362 – Sachanträge 347 – Sachanträge, Formulierungsvorschlag 350 – Teilanträge und Teilrechtskraft 356 – Übersehene Berufungsanträge 359 – Verfahrensantrag 347, 363 – Verfahrensantrag bei Senatszuständigkeit 364 – Vollstreckungsschutzanträge 347, 360 – Wechsel von Aufrechnung zu Widerklage 398 – Wechsel von einer Kündigung zu neuer Kündigung 399 – Wechsel von Gebrauchsmuster zu Patent 400
Register
– Wechsel von Mängelbeseitigung auf Schadensersatz 396 – Wechsel von Wandelung auf Minderung 397 – Ziel einer subjektiven Klageänderung 395 – mit völlig neue Zielen 384 Beschwer und Beschwerdegegenstand 371 Bezeichnung eines Berufungsgrundes 461, 464 Bezugnahmen – auf in den Tatbestand eingegangene Mittel 529 – ergänzende Verweisungen 369 – vollständige Verweisungen 368 Blankounterschrift 537 Entscheidung durch Einzelrichter 545 Formularmäßige Sätze 525 Fundstellenangaben in den Schriftsätzen der Vorinstanz 527 Mehrere Fehler gleichzeitig 532 Neue-Tatsachen-Fehler 516 ff. – Aufbauschema 522 – früher Fallengelassenes 518 – früher nicht Aufgenommenes 520 – neu Bezogenes 519 – später Entstandenes 517 – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 522 PKH, bedingte 215 ~ durch postulationsfähigen Rechtsanwalt 537 Rechtsverletzung 467 – Bewertung als falsch/irrig 472 – Musterformulierung 474 – Nennung der verletzten Normen 471 – Nichtanwendung einer Norm 473 Schlüssigkeit 526 (Zwei) Streitgegenstände 533
Terminologien 463 Vertretbarkeit 526 Wertangabe – bei Auskunfts- und Abrechnungsanspruch 541 – Unterhaltstabellensatzänderung 544 – verlangte eidesstattliche Versicherung 543 – Wertverlust durch optische Beeinträchtigung 542 Berufungsbegründungsfrist Beginn 164 – bei abweichenden Urteilsausfertigungen 170 – bei Urteilsberichtigung 166 – bei Urteilsergänzung 165 Beweislast 164 Fünfmonatsfrist – Auslegung des Einlegungsschriftsatzes 179 – Berechnungsprobleme 181 – fehlende Richterunterschrift 183 Mindestdauer 177 Verlängerung – Antragsinhalt 189 – Beginn 198 – vor Berufungseinlegung 266 – erheblicher Grund 197 – falsches Aktenzeichen 196 – Grenzen 191 – Verhältnis zum PKH-Antrag 186 – Wiedereinsetzung 185, 272 Versäumung, rechtliches Gehör 205 Weitere Verlängerung – Form des Einverständnisses 202 – Fristenprüfung 5 – irrtümliche Annahme des Einverständnisses 201 – konkludente Darlegung des Einverständnisses 204 – Spielraum des Vorsitzenden 199 225
Register
– Vertrauen auf Bewilligung 203 Berufungseinlegung Anforderungen an Unterschrift 318 Auslegung der Berufungsschrift 210 Bestimmung des Berufungsführers 325 – Auslegung 326, 334 – Auslegung von Parteibezeichnungen 331 – falsche Parteibezeichnungen 329 – Nachnamen ohne Parteibezeichnung 328 – beide Parteien beschwert 327 – selektive Einlegung 332 Bestimmung des Berufungsgegners – Unzulässigkeit bei Zweifel 335 – bei Zweifel gegen alle 335 Bezeichnung des Anfechtungsgegenstandes 321 Entwurf und PKH 213 Falsches Aktenzeichen des angefochtenen Urteils 322 ~ durch Hauptpartei und Streithelfer 342 Mehrfacheinlegung 338 – Einwand doppelter Rechtshängigkeit 341 ~ durch mehrere Prozessbevollmächtigte 343 PKH-bedingte ~ 207 PKH, Rücknahme des Gesuchs 209 ~ nicht postulationsfähiger Berufungsführer 320 Unterschrift und Beglaubigungsvermerk 318 ~ beim unzuständigen Gericht, Fristsäumnis 30 Vertretungsanzeige als Einlegung 319 226
Vertretungsmacht in Kollisionsfällen 336 Berufungseinlegungsfrist Beginn 164 ff. – bei abweichenden Urteilsausfertigungen 170 – Beweislast 164 – bei Urteilsberichtigung 166 – bei Urteilsergänzung 165 Blindberufung 171 ~ für Nebenintervenienten 175 Versäumung, schuldhafte 173 f. Berufungsentscheidung Ablehnung von Berufungsrichtern 692 Anwendung des § 537 ZPO auf die Kostenentscheidung 776 Berufungsurteil – fehlerhaft, aber zutreffend 714 – horizontales (Teil-)Versäumnisurteil, § 539 ZPO 715 – Teilversäumnisurteil und Teilurteil 716 Hinweise vor der Entscheidung 690 Protokollurteil 718 – Berufungsanträge 723 – Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen 720 – Folgen/Abweichen ohne Begründung 727 – im Verhandlungstermin 730 – Vollständigkeit 722 – Widerspruchsfreiheit 725 Urteilsergänzung, übersehene Berufungsanträge 779 Verfahrensfehler – Beweiserhebung ohne jede Verwertung 759 – Bindung an Einzelrichterverweisungsbeschluss 762
Register
– Entscheidung trotz Unterbrechung durch Insolvenzverfahren 763 – Hinweispflichtverletzung Nebenforderungen 743 – keine unmittelbare Beweisaufnahme (Strafakten) 746 – nicht berücksichtigter Beweisantrag bei ausbleibendem Kostenvorschuss 753 – nicht erörterte Entscheidungsgrundlage 760 – nicht hinzugezogener Sachverständiger 751 – nicht verwertete Alternativgutachten 744 – Nichtanhörung betroffener Kinder in Sorgerechtsverfahren 755 – Nichtanhörung von Gegenzeugen 745 – übergangener Sachvortrag 757 – unkritische Übernahme von Sachverständigenbewertungen 752 – verdeckte Änderung vorher bekanntgegebener Einschätzungen 754 – Verkündungsfehler 764 – Verspätungszurückweisung ohne Klärung einer Verzögerung 756 – Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe 750 Verwerfungsbeschluss 693 Wertfestsetzung 775 Zulassung der Rechtsbeschwerde 777 Zulassungsfreie Revision 778 Zurückverweisung – bei Endentscheidungsreife 741 – Ermessensausübung 736 – Nachverfahren 767 – Selbstentscheidung 735 – Teilurteil 768 Zurückweisungsbeschluss 695 ff.
– Anwendbarkeit auf Entschädigungsverfahren 712 – Berufungseinlegung durch mehrere Parteien 704 – Ermessensspielraum 697 – Erfolgsaussichten einer Klageerweiterung 699 – Klageänderung/Widerklage 700 – Offensichtlichkeit der Unbegründetheit 696 – Rechtsmittel gegen den Beschluss 708 – Teilzurückweisung 705 – Vereinbarkeit mit EMRK und Verfassung 706 – Verhältnis zu § 538 ZPO 703 – Verlängerung der Stellungnahmefrist 698 Berufungsführer Im Aktivprozess einer GbR 21 Berufungsgrund Bezeichnung bei Berufungsbegründung 461 Berufungsrücknahme § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Antragsumstellung als Alternative 413 Auswirkung auf verjährungshemmende Wirkung einer Streitverkündung 684 Beschluss nach § 516 Abs. 3 S. 2, 1 ZPO 685 Einfache ~ bei doppelter Berufungseinlegung 683 Eindeutige Erklärung der ~ Erklärung der ~, Parteibenennung 682 Kostenrückfestsetzung 687 ~ nach Prüfung der Erfolgsaussichten 409 Verhältnis zu Vergleichskostenregelung 686 Zeitpunkt 679 Beschwer 227
Register
~ bei vorbehaltslosem Erbringen der Urteilsleistung vor Berufungseinlegung 15 Berufungsbegründung 371 Beschwerde, außerordentliche Verstoß gegen Grundrecht des gesetzlichen Richters 134 Beschwerdegegenstand Berufungsantrag, Erweiterung 373 Berufungsbegründung 371 Erweiterung im Rahmen der Beschwer 381 Mindestwert 8 Wert – und Berufungssumme 373 – Klage- und Widerklageforderung 377 – Schmerzensgeld 378 – und Zurückbehaltungsrecht, hilfsweise geltend gemacht 375 Wiedereinsetzung und Erweiterung 382 Besetzungsrüge, s. auch Spruchkörper in der ersten Instanz Kammerbesetzung 155 Beweisaufnahme, neue Prüfungsumfang Berufungsgericht 591 BGB-Gesellschaft § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 21 Berufungsführer 21
– nach § 348 ZPO 106 – nach § 526 Abs. 1 Nr. 1 ZPO 105 Empfangsbekenntnis Auswirkung auf Wiedereinsetzung 269, 274 Erfolgsaussichten Beratungspflichten des Anwalts 2 Berufungsrücknahme 409 Erledigungserklärung ~ als Zweck der Rechtsmitteleinlegung 15 Exterritorialität § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 20
Doppelberufung § 119 Abs. 1 GVG 78 Drittwiderklage, s. Präklusion 677
Gegenvorstellung Verstoß gegen Grundrecht des gesetzlichen Richters 134 Gesetzlicher Richter, s. auch Spruchkörper in erster Instanz Außerordentliche Rechtsmittel 134 Entscheidungserheblichkeit 130 Kammerbesetzung 152 Offensichtlichkeit eines Verstoßes 145 Willkürerfordernis 141
Einlegung beim unzuständigen Gericht Berufung zum vorbefassten Amtsgericht 80 Einzelrichter, s. auch Spruchkörper in ersten Instanz Zuständigkeit 228
Familiensachen § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG 57 Fristenkalender Hinweispflicht, richterliche 294 Prüfung bei Handaktenvorlage 4 Fristsäumnis Einlegung beim unzuständigen Gericht 30 ~ bei PKH-Entscheidungen 218 ff., 245 Verwerfung wegen ~ 205 ff. Fürsorgepflicht Prüfungspflicht des unzuständigen Gerichts 30, 85 f., 93
Register
Zuständigkeit 113 Handaktenvorlage Bezeichnungsfehler 289 Fristenprüfung 4 Hilfswiderklage, s. Präklusion 676 Hinweispflicht Alternative Antragsbegründung 634 Anwaltszwang 320 Fristenkalender, Stellungnahmemöglichkeit 294 Hinreichende Substantiierung 633 Nebenforderungen 635 Nicht erörterte Entscheidungsgrundlage 760 Prozessvoraussetzung, fehlende 743, 691 Übersehene Gesichtspunkte 742 Unterlassene ~ 630 Unvollständiger Hinweis 632 Vertragsauslegung, abweichende 690 Insolvenzverwaltung durch starken Verwalter Statthaftigkeit 7 Internationales Recht § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Internationale Zuständigkeit 159 JuMoG, 1. Anschlussberufung 782, 814 PKH-Versagung 235 Wiedereinsetzung 235 Justizgewährungsanspruch Abgrenzung, Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG 117 Verletzung des rechtlichen Gehörs 116 Klageänderung, s. auch Präklusion
Hauptantrag und Hilfsantrag 402 Konkrete Einzelweisung Wiedereinsetzung 284, 298 Kosten Fehlerhafte Kostenentscheidungen des Berufungsgerichts 888 Gebühren für Berufungsbeklagten – Auftragserteilung nach Berufungsrücknahme 877 – Erstattungsfähigkeit 870 – in Fällen des § 522 Abs. 2 ZPO 877 – Zeitpunkt der Antragstellung 872 Gebühren im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde 889 Grundentscheidungen – Anschlussrechtsmittel 879 – ~ zu Lasten der obsiegenden Partei 878 Höhe von Vergleichsgebühren 881 Kostenmischentscheidungen 883 PKH – für Berufungsbeklagten 869 – für Berufungskläger 865 Quotenänderungen und Verzinsungsbeginn 885 Rechtsmittelrücknahme, Vergleich und Rückfestsetzung 887 Übereinstimmende Erledigungserklärungen 882 Unterschiedliche Prozessergebnisse von Gesamtschuldnern 886 Kostenmischentscheidung Einheitliche Berufung trotz § 91a Abs. 2 ZPO 12 Kostengrundentscheidung 884 ff Kostenrisiken Anschlussberufung 838, 853 Austesten der ~ 374 Beratungspflicht des Anwalts 2 ~ bei erfolgloser Zwangsvollstreckung 753 Kostenrückfestsetzung 229
Register
Berufungsrücknahme 687 Meistbegünstigungsgrundsatz § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG 59 § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 21 Fristbeginn bei Urteilsberichtigung 169 Mietstreitigkeiten § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Nicht vorgetragene Mietvertragsklausel 760 Nutzungsentschädigung 609 Satellitenempfangsantenne, Beschwer 542 Mindestwert Beschwerdegegenstand 8 Nebenintervention Falsche Fristberechnungen, Wiedereinsetzung 290 Nichturteil Zulässigkeit einer Berufung 13 Ordentlicher Geschäftsgang Rechtsprechungsbeispiele 96 ff. PKH Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist 206 Anwaltsbeiordnung 219 Bedingte Berufungsbegründung 215 ~ als Bedingung der Berufungseinlegung 207 Gebühren und Kostenfragen 864 ff. Fristen und ~ 206 ff. Überlegungszeitraum bei ~-Versagung 230 ff. Varianten 206 Wiedereinsetzung – Hindernis zur Fristwahrung 221 – Zeit zur Nachholung 227 230
PKH-Bewilligung ~ in der verlängerten Begründungsfrist 273 ~ vor Ablauf der (verlängerten) Begründungsfrist 259 Postulationsfähigkeit Berufungsbegründung 537 ff. Berufungseinlegung 320 Nichtzulassungsbeschwerde 889 Präklusion Aufrechnung 678 Baulandgerichtliches Berufungsverfahren 592 Beginn einer richterlichen Frist 548 ~ für jedes Beweisthema einzeln zu prüfen 547 Beweisthemen, mehrere 593 Drittwiderklage 677 Hilfswiderklage 676 Horizontale ~ I 546 Horizontale ~ II 551 Innerhalb der Berufungsinstanz 551 ff. Innerhalb der ersten Instanz 546 ff. ~ aufgrund Instanzwechsels 550 Klageänderung – Änderung des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO 654 – Anschlussberufung 659 – Auswechslung der Anspruchsgrundlage 658 – Auswirkungen auf den Wert des Beschwerdegegenstandes 672 – Erfolgsaussicht der Berufung 660 – Erweiterung auf weiteren (akzessorisch haftenden) Beklagten 666 – fehlende Einwilligung 663 – Eventualklagehäufung 665 – gegen Wortlaut des § 533 ZPO bei Abweisung 664
Register
– gewillkürter Wechsel auf anderen Beklagten 668 – hilfsweise Schlussforderung neben Abschlagsforderung 657 – Sachdienlichkeit 661 – Wechsel des Leistungsempfängers 671 – Wechsel von Abschlags- auf Teilschlussforderung des Architekten 656 – Wechsel von positivem auf negatives Interesse 670 – Wechsel von Zahlungs- auf Feststellungsklage 669 – (oder) Widerklage und § 522 Abs. 2 ZPO 653 Neue-Tatsachen-Fehler – Ablehnung mündlicher Gutachtenserläuterung 636 – alternative Anspruchsgrundlage 595 – ~ im Arbeitsgerichtsprozess 621 – Beanstandungen eines Gutachtens 640 – vermeintlich unerhebliches Bestreiten 626 – Einrede der beschränkten Erbenhaftung 645 – ~ im einstweiligen Verfügungsverfahren 648 – erstinstanzlich nicht benannte Zeugen zu neuem Sachvortrag 647 – erstinstanzlich zurückgehaltener Vortrag 648 – erstinstanzlicher Verzicht auf Zeugen 646 – erstmalige oder zusätzliche Konkretisierung 596 – Fahrlässigkeit, einfache 638 – fehlender gerichtlicher Hinweis auf Substantiierungsmangel 633
– fehlerhafte Nichtzulassung entgegen § 531 Abs. 2 ZPO 649 – Hinweispflicht zu alternativen Begründungen 634 – Hinweispflicht zu Nebenforderungen 635 – materiell-rechtliche Nachlässigkeit der Vorinstanz 622 – Nachlässigkeit 637 – ~ neben § 531 Abs. 2 ZPO 609 – ~ neben § 531 Abs. 2 ZPO bei Unstreitigkeit 615 – neu aufgefundene oder entstandene Beweismittel 601 – neu geschaffene Beweismittel 603 – neue Gegenrechte 627 – neue Schlussrechnung 600 – ortsübliches statt vereinbartes Entgelt 608 – Parteigutachten 639 – Partei in Strafhaft 641 – Patientenvortrag im Arzthaftungsprozess 642 – Patientenvortrag zu Behandlungsalternativen 644 – späte Einreichung eines Gutachtens 598 – unberücksichtiger Nichtigkeitsgrund 628 – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal 623 – unvollständiger gerichtlicher Hinweis 632 – unvollständiges Sachverständigengutachten 625 – Verbot der Auswechslung von Gründen in der nächsten Instanz 549 – verfahrensrechtliche Nachlässigkeit der Vorinstanz 629 – Vorbringen aus nicht nachgelassenem Schriftsatz 597 – ~ nach Zurückverweisung 620 231
Register
Streithelfer 554, 608 Verjährungseinrede bei unstreitigen Tatsachen 607 Verspätung 546 Vertikale ~ 550 Widerklage 673 Zweck 605 Protokollberichtigungsantrag Berufungsbegründung, Alte-Tatsachen-Fehler 515 Prüfungsumfang Berufungsgericht Alte-Tatsachen-Fehler – Befangenheit der Vorinstanz 587 – fehlerhafte Beweiswürdigung 579, 585 – Verfahrensfehler 586 – Verfahrensfehlerfreiheit 580 – Zweifel durch neues Vorbringen 578, 589 – Zweifel, Sachverständigengutachten 582 ~ bei nur teilweisem Angriff 557 Beweisaufnahme, Wiederholung und Umfang 591 Bindung – an Anträge, uneingeschränkte 556 – an erstinstanzliche Rechtsauffassung 565, 570 – erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung 569 – an erstinstanzliche Vertragsauslegung 566 Eingeschränkte Bindung – an Begründung 559 – an erstinstanzliche Tatsachenfeststellungen 573 Erstinstanzlich festgestellte Tatsachen 574 Rüge des ~ 557 Unbegründetheit, derzeitige und endgültige 558 232
Rechtliches Gehör Anhörungsrügegesetz 136, 708 Hinweis vor der Entscheidung 691 Inhalt 120 Instanzunabhängigkeit 123 Plenumsentscheidung 115 Verletzung 121 Versäumung der Begründungsfrist, Verwerfung der Berufung 205 Vorrang fachgerichtlicher Kontrolle 122 Rechtsbeschwerde ~ gegen Versagung der Wiedereinsetzung 316 Verwerfungsbeschluss 694 Rechtsmissbrauch § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 47 Beklagtenwechsel 668 Rechtsmittelverzicht Objektive Erklärungsdeutung 16 Rechtsverletzung Berufungsbegründung 467 Sachverständigengutachten Alternativgutachten, nicht verwertet 744 ff. Einstweiliges Verfügungsverfahren 649 Gerichtskostenvorschuss 753 Prüfungsumfang Berufungsgericht 582 ff. Unvollständiges ~ 625 Schlüssigkeit Berufungsbegründung 526 Schlussrechnung Neue ~ , Streitgegenstand 406 Schmerzensgeld Arzthaftungsprozess 770 Beschwerdegegenstand, Wert 378 ff. Klageerhöhung 380
Register
Selbständiges Beweisverfahren § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Spruchkörper in erster Instanz Abhilfemöglichkeit 126 Einzelrichter 106, 109 Entscheidungserheblichkeit 129 ff. Grundrecht auf gesetzlichen Richter 113 Justizgewährungsanspruch 116 Kammer 107 f. Möglichkeiten des Anwalts 150 ff. Risiko der fehlerhaften Überprüfung 127 Verfassungsbeschwerde 115 Willkürerfordernis 141 ff. Zuständigkeit 105 ff. Streitgegenstand Keine Änderung durch neue Schlussrechnung 406 Streitgenossenschaft § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Streithelfer Präklusion 608 Präklusionsbezugspunkt Hauptpartei 554 Streitwertbeschwerden § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Streitwertsenkung Antragsumstellung – ohne Berufungsrücknahme 413 – vor Berufungsrücknahme 411 Streitwertsprünge Antragsumstellung 423 Tatbestandsmerkmal, ungeschriebenes Berufungsbegründung, Neue-Tatsachen-Fehler 522 Übersehene Berufungsanträge Berufungsentscheidung 779 Urteilsergänzung Verhältnis zur Berufung 9
Verjährungseinrede Präklusion 607 Versäumnisurteil Berufungsrücknahme 679 Horizontales ~ 715 Voraussetzungen eines zulässigen Angriffs 11 Versäumnisurteil, zweites Berufung – bei unverschuldeter Säumnis 10 – bei vorangegangenem Vollstreckungsbescheid 10 Verspätung Präklusion 546 Vertretbarkeit Berufungsbegründung 526 Vertretungsmacht ~ des Anwalts bei Insolvenzverwaltung 7 Verwerfungsbeschluss Berufungsentscheidung 693 Rechtsbeschwerde 694 Vollstreckbarkeit, vorläufige Zulässigkeit einer Berufung 14 Vorbefasstes Erstgericht Prüfungspflicht des unzuständigen Gerichts 82 WEG-Sachen § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 23 Weiterleitungspflicht Ordentlicher Geschäftsgang 31 Wiedereinsetzung 31 Widerklage, s. Präklusion 673 Widerklage aus dem Ausland § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Wiedereinsetzung § 119 Abs. 1 GVG 283 § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 31 Abgestürzte Textdatei 310 Allgemeine Vorkehrungen und konkrete Einzelweisungen 298 Anschlussberufung 818 Antrag 233
Register
– beim richtigen Gericht 34 – vor PKH-Bescheidung 280 Anwaltswechsel, Einlegungsprüfung 286 Auslegung des Gesetzes 243 Auslegungsbezugspunkte 252 Begründungsmöglichkeit – wegen Fehlen einer Urteilsabschrift 303 – wegen unmöglicher Akteneinsicht 304 Behandlung von Kurzfristmandaten 309 Berufungsbegründungsfristverlängerung 272 Berufungseinlegung namens einer ausgeschiedenen Partei 288 E-Mail – Eingabefehler 299 – Zugang 300 Empfangsbekenntnis, Manipulationsverlockung 269, 274 Erkrankung des Prozessbevollmächtigten 307 f. Erweiterung des Beschwerdegegenstandes 382 Falscher Name des Berufungsklägers 287 Faxübermittlung nicht unterzeichneter Rechtsmittelschrift 285 Fiktionswirkung 267 Fristbeginn, Unkenntnis 302 Fristberechnungen – bei Fünfmonatsfristen 296 – falsche, bei Nebenintervention 290 Unterschiedliche Fristen für Einlegung und Begründung 257 Fristenprüfung bei Handaktenvorlage 293 Hindernis – fehlende Berufungseinlegung 239 – fehlender Anwalt 238 – Finanzierungsprobleme 238 234
– Unkenntnis von Wiedereinsetzungsentscheidung 240 Hindernisbehebung 237 JuMoG, 1. 235 Klärung einer Säumnis 282 Konkrete Einzelweisung 284 Löschung der Begründungsfrist erst nach Verlängerungsbewilligung 295 PKH – Hindernis zur Fristwahrung 221 – Zeit zur Nachholung 227 Prüfungspflicht des vorinstanzlichen Rechtsanwalts 289 Rechtsbeschwerde gegen Versagung 316 Schilderung der tatsächlichen Abläufe 301 Telefax – falsche Faxnummer 312 – falsches Gericht 311 – Fristkalendereintragslöschung vor Kontrolle Sendebericht 292 – Papierstau im Gerichtsfax 313 – unterbliebene Absendung 291 Vergessen nur mündlicher Anweisungen 297 Verschulden – bei Stufenbevollmächtigung 315 – wegen unterlassener Gebührenvorschusszahlung 306 Vertreterbestellung wegen vorhersehbarer Erkrankung 308 Weiterleitungspflicht des (nicht) vorbefassten Gerichts 31 Wohnsitzverlegung § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 19 Zurückweisungsbeschluss Berufungsentscheidung 695 Zuständigkeit § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 18
Register
§ 513 ZPO und internationale Zuständigkeit 159 Beweislast 28 Einzelrichter – nach § 348 ZPO 106 – nach § 526 Abs. 1 Nr. 1 ZPO 105 – Entscheidung über Ablehnung 156 Fehlerhafte Annahme durch Berufungsgericht und Revision 160 Kammerbesetzung 152
Nachprüfung durch Rechtsmittelgericht 26 Normalfall 17 Prüfungspflicht – des unzuständigen Gerichts 30 – trotz Verweisung 30 Spruchkörper in erster Instanz 105 Verstoß gegen Grundrecht des gesetzlichen Richters 113 Zwangsvollstreckung § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG 22 ff. Verspäteter Vorschuss 753
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