Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 8 §§ 302a-335a [11. neubearb. Aufl.] 9783110898781, 9783899492910


195 61 109MB

German Pages 1442 [1448] Year 2005

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
FÜNFUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Strafbarer Eigennutz
SECHSUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Sachbeschädigung
SIEBENUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Gemeingefährliche Straftaten
ACHTUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Gemeingefährliche Straftaten
SIEBENUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Gemeingefährliche Straftaten
ACHTUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Straftaten gegen die Umwelt
NEUNUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT. Straftaten im Amt
Recommend Papers

Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar: Band 8 §§ 302a-335a [11. neubearb. Aufl.]
 9783110898781, 9783899492910

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Großkommentare der Praxis

w G DE

RECHT

Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar

Großkommentar 11., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Burkhard Jähnke Heinrich Wilhelm Laufhütte Walter Odersky

Achter Band §§ 302a bis 335a Bearbeiter: §§ 302a-303: Hagen Wolff §§ 303a, 303b: Klaus Tolksdorf §§ 303c-31 lb: Hagen Wolff §§ 311c, 31 ld: Joachim Steindorf §§ 31 le—314: Hagen Wolff §§315-316; 316b, c: Peter König § 316a: Christoph Sowada §§ 317-323: Hagen Wolff §§ 323a-c: Günter Spendel §§ 324-330d: Joachim Steindorf §§ 331-335a: Hans-Heinrich Jescheck

w DE

G

RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Erscheinungsdaten der Lieferungen: §§ 302a-31 l c §§ 311c-314 §§315-316c §§ 317-323c §§ 324-335a

(7. Lieferung): (25. Lieferung): (36. Lieferung): (22. Lieferung): (25. Lieferung):

Februar 1993 Juli 1997 Dezember 2000 Juni 1996 Juli 1997

ISBN 3-89949-291-9

Bibliografische Information Der Deutschen

Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2005 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Datenkonvertierung/Satz: W E R K S A T Z Schmidt & Schulz G m b H , 06773 Gräfenhainichen Druck: Druckerei H. Heenemann G m b H , 12103 Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer G m b H , 10963 Berlin Printed in Germany

Verzeichnis der Bearbeiter der 11. Auflage Dr. Georg Bauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Leipzig (Nachtrag) Dr. Eckhart von Bubnoff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe a.D. Dr. Karlhans Dippel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a.D. Dr. Klaus Geppert, Universitätsprofessor an der Freien Universität Berlin Duscha Gmel, Richterin am Oberlandesgericht Dresden (Nachtrag) Dr. Günter Gribbohm, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Joachim Häger, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Ernst-Walter Hanack, em. Universitätsprofessor an der Universität Mainz Gerhard Herdegen, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universitätsprofessor an der Universität Würzburg Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp, Universitätsprofessor an der Universität Heidelberg Dr. Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofes, Karlsruhe, Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften a.D., Luxemburg, Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Dr. Hartmuth Horstkotte, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin Dr. Burkhard Jähnke, Vizepräsident des Bundesgerichtshofes i.R., Karlsruhe Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heinrich Jescheck, em. Universitätsprofessor an der Universität Freiburg i. Br. Dr. Peter König, Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München, Vorsitzender Richter am Landgericht München a.D. Perdita Kröger, Regierungsdirektorin im Bundesministerium der Justiz, Berlin Annette Kuschel, Richterin am Landgericht Leipzig (Nachtrag) Heinrich Wilhelm Laufhütte, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin Dr. Hans Lilie, Universitätsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Richter am Landgericht Halle/Saale Dr. Walter Odersky, Präsident des Bundesgerichtshofes i.R., Karlsruhe, Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Ellen Roggenbuck, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe (Nachtrag) Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin, em. Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Wolfgang Ruß, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Dr. Wilhelm Schmidt, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, Universitätsprofessor an der Universität Regensburg Dr. Bernd Schünemann, Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Christoph Sowada, Universitätsprofessor an der Universität Rostock Dr. Günter Spendel, em. Universitätsprofessor an der Universität Würzburg Dr. Joachim Steindorf, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Bad Kreuznach (V)

Verzeichnis der Bearbeiter der 11. Auflage Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Tiedemann, em. Universitätsprofessor an der Universität Freiburg i. Br. Dr. Klaus Tolksdorf, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Ernst Träger, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., Karlsruhe Hagen Wolff, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Celle

(VI)

Inhaltsübersicht * BESONDERER TEIL FÜNFUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Strafbarer Eigennutz § 302a

SECHSUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Sachbeschädigung §§ 303-305a

SIEBENUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Gemeingefährliche Straftaten §§ 306-314

ACHTUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Gemeingefährliche Straftaten §§ 315—316c

SIEBENUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Gemeingefährliche Straftaten §§ 317-323c

ACHTUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Straftaten gegen die Umwelt §§ 324-330d

NEUNUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Straftaten im Amt §§ 331-335a

*

Die Bezeichnungen der Abschnitte entsprechen der Einteilung des StGB zum jeweiligen Zeitpunkt der Kommentierung zwischen Februar 1993 und Dezember 2000.

Wucher

§302 a

§ 302 a Wucher ( 1 ) W e r die Z w a n g s l a g e , die Unerfahrenheit, den M a n g e l an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen dadurch ausbeutet, d a ß er sich oder einem Dritten 1. für die Vermietung von Räumen zum W o h n e n oder damit verbundene Nebenleistungen, 2. für die Gewährung eines Kredites, 3. für eine sonstige Leistung oder 4. für die Vermittlung einer der vorbezeichneten Leistungen Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem a u f f ä l l i g e n Mißverhältnis zu der Leistung oder deren Vermittlung stehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit G e l d s t r a f e bestraft. W i r k e n mehrere Personen als Leistende, Vermittler oder in anderer W e i s e mit und ergibt sich dadurch ein a u f f ä l l i g e s Mißverhältnis zwischen sämtlichen Vermögensvorteilen und sämtlichen Gegenleistungen, so gilt S a t z 1 für jeden, der die Z w a n g s l a g e oder sonstige S c h w ä c h e des anderen für sich oder einen Dritten zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt. ( 2 ) In besonders schweren Fällen ist die S t r a f e Freiheitsstrafe von sechs M o n a t e n bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der R e g e l vor, wenn der Täter 1. durch die T a t den anderen in wirtschaftliche N o t bringt, 2. die Tat gewerbsmäßig begeht, 3. sich durch W e c h s e l wucherische Vermögensvorteile versprechen läßt. Schrifttum Arzt Zwischen Nötigung und Wucher, Lackner-Festschrift S. 641; Bender Probleme des Konsumentenkredits, N J W 1980 1129; Bernsmann Zur Problematik der Mißverhältnisklausel beim Sachwucher, G A 1981 141; Haberstroh Wucher im vermittelten Kreditgeschäft, NStZ 1982 265; Heinz Die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität mit strafrechtlichen Mitteln, G A 1977 193, 225; Hohendorf Das Individualwucherstrafrecht nach dem Ersten Gesetz zur Bek ä m p f u n g der Wirtschaftskriminalität von 1976 (1982) (besprochen von Geerds G A 1984 191); Hohendorf Die Bestimmung des auffälligen Mißverhältnisses zwischen Vermögensvorteilen u n d Leistung beim Ratenkreditwucher, BB 1982 1205; Isopescul-Grecul Das Wucherstrafrecht (1906); Kohlmann Wirksame strafrechtliche Bekämpfung des Kreditwuchers (1974); von Lakkum Mietwucher u n d Mietpreisüberhöhung, D W W 1978 272; Nack § 302 a StGB — ein Faraday'scher Käfig für Kredithaie? M D R 1981 621; Meyer im Hagen Die deutsche Wuchergesetzgebung 1880—1976, Diss. Kiel 1991; Neumann Geschichte des Wuchers in Deutschland bis zur Begründung der heutigen Zinsengesetze (1654) (1865); Otto Neue Tendenzen in der Interpretation der Tatbestandsmerkmale des Wuchers beim Kreditwucher, N J W 1982 2745; Rühle Das Wucherverbot — effektiver Schutz des Verbrauchers vor überhöhten Preisen? (1978) (besprochen von Otto G A 1979 358); Sasserath Die überhöhte ortsübliche Miete als Vergleichsmaßstab, N J W 1972 711; Sasserath Die neue Mietwuchervorschrift des § 302 f StGB, W o M 1972 3; Sasserath Das Verhältnis von § 302f StGB zu § 2 b WiStG, Diss. Köln 1974; Scheffler Zum Verständnis des Wuchers gem. § 302 a StGB, G A 1992 1; R. Schmidt Wucher u n d Ausbeutung in VDB VIII S. 161; Schmidt-Futterer Die Wuchermiete für W o h n r ä u m e nach neuem Recht, N J W 1972 135; Schmidt-Futterer Die neuen Vorschriften über den Mietwucher in straf- u n d zivilrechtlicher Sicht, J R 1972 133; Schmidt-Futterer Der Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete in zivil- u n d strafrechtlicher Sicht, J R 1974 274; Schmidt-Futterer/Blank Wohnraumschutzgesetze 6. Aufl. (1988); Sickenberger Wucher als Wirtschaftsstraftat (1985); Sturm Die Neufassung des Wuchertatbestandes u n d die Grenzen des Strafrechts, J Z 1977 84; Tiedemann Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, ZStW 87 (1975) 253; von (i)

Karl S c h ä f e r / H a g e n Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

Tietzen/Hennig Über Wucherstrafrecht, Diss. Freiburg 1935; Vollmer Auswirkungen des neuen Mietrechts auf die Vorschriften der Mietpreisüberhöhung und des Mietwuchers, NJW1983 555.

Entstehungsgeschichte Die Fassung des § 302 a beruht auf Artikel 1 Nr. 6 des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1. WiKG) vom 29. Juli 1976 (BGBl. I S. 2034), in Kraft getreten am 1. September 1976. Durch die neue Vorschrift wurden die bisherigen § 302 a (einfacher Kreditwucher), § 302 b (schwerer Kreditwucher), § 302 c (Nachwucher), § 302 d (gewerbs- und gewohnheitsmäßiger Kreditwucher), § 302 e (Sachwucher), § 302 f (Mietwucher) ersetzt. Die §§ 301, 302 a.F. StGB (Ausbeutung und schwere Ausbeutung Jugendlicher) waren bereits durch Art. 19 Nr. 159 EGStGB 1974 ersatzlos aufgehoben worden. Die durch § 302 a η. F. ersetzten Vorschriften waren in einem langen Zeitraum stufenweise und entsprechend einem jeweils hervorgetretenen kriminalpolitischen Bedürfnis entstanden. Bei seinem Inkrafttreten kannte das Strafgesetzbuch keine Vorschriften gegen Wucher. Das entsprach der Einstellung des damals herrschenden wirtschaftlichen Liberalismus, dessen Kampf gegen die noch im Preußischen Strafgesetzbuch von 1851 und anderen Landesstrafgesetzbüchern enthaltenen Wuchertatbestände dazu führte, daß sie nicht in das Reichsstrafgesetzbuch übernommen wurden. Bald darauf hervorgetretene Mißstände führten aber zu dem Gesetz gegen den Wucher vom 24. Mai 1880 (RGBl. S. 109), das in der Folgezeit durch Gesetz vom 19. Juni 1893 (RGBl. S. 197) geändert und um den Tatbestand des Sachwuchers (§ 302 e) erweitert wurde. Fast 80 Jahre blieben die Wuchertatbestände unverändert. Durch § 3 des Gesetzes vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549) wurden lediglich die Strafdrohungen des gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Wuchers (§§ 302 d und e) durch Einführung der Zuchthausstrafe für besonders schwere Fälle und daneben von fakultativer Geldstrafe in unbeschränkter Höhe verschärft. Diese Ergänzungen wurden durch Art. 1 Nr. 12 des KontrollratsG Nr. 55 vom 20. Juni 1947 aufgehoben, doch wurde durch das 3. StRÄG vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) der frühere Rechtszustand wieder hergestellt. Auch die Änderungen des 1. StRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) bezogen sich lediglich auf die angedrohten Strafen (Beseitigung der Nebenstrafe des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte in §§ 302 a, 302 b, 302 d, Umwandlung der angedrohten Gefängnis- und Zuchthausstrafe in Freiheitsstrafe). Erstmals das Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs usw. vom 4. November 1971 (BGBl. I S. 1745) brachte wieder eine auf einen Teilbereich des Sachwuchers beschränkte tatbestandliche Erweiterung des Strafschutzes durch Einfügung des § 302 f zur Bekämpfung des Mietwuchers. Die §§ 302 a bis e a. F. spielten während ihrer Geltung eine verhältnismäßig geringe Rolle (statistische Angaben über die Gesamtzahl der Verurteilungen wegen Wuchers z.B. bei Tröndle Prot. 7 2561 und Sturm JZ 1977 84, 85, sowie Hohendorf S. 29 0· Der Grund dafür wurde — abgesehen von der in der Natur der Sache begründeten und auch durch Reformmaßnnahmen wohl nur bedingt beeinflußbaren Scheu vieler Bewucherter, Strafanzeige zu erstatten, um nicht die für sie peinlichen Umstände preisgeben zu müssen, die sie zu dem Wucherer führten (Sturm aaO) — nach der rechtlichen Seite in den Schwierigkeiten gesehen, die sich aus der kasuistischen und wenig durchschaubaren Regelung der einzelnen Wuchertatbestände ergaben. Beim Sachwucher (§ 302 e a. F.) kam hinzu, daß er nur bei gewerbs- oder gewohnheitsgemäßer Begehung strafbar war und die Feststellung dieser Merkmale häufig an Bestand: 1. 9. 1992

(2)

§302 a

Wucher 1

weisschwierigkeiten scheiterte. Die §§ 265,266 Ε 1962 sahen deshalb vor, im Interesse der Effektivität und Flexibilität des strafrechtlichen Wucherschutzes die nicht begründbaren und nur historisch zu erklärenden Unterschiede in der Behandlung der einzelnen Wucherformen aufzugeben und unter Ausfüllung bisher hervorgetretener Lücken und Ausgleichung der Spannung in den Strafdrohungen einen einheitlichen Tatbestand zu bilden. Schon der Regierungsentwurf des Gesetzes vom 4. November 1971 (BT-Drucks. VI/1549) schlug vor, innerhalb dieses Gesetzes eine den §§ 265, 266 Ε 1962 entsprechende Regelung zu treffen; jedoch beschränkten sich die gesetzgebenden Körperschaften damals darauf, nur den Mietwucher in dieser Form auszugestalten (§ 302 f), auf eine umfassende Erneuerung des Wucherstrafrechts aber zu verzichten, um die Gesetzgebungsarbeiten zur Verbesserung des Mietrechts nicht zu verzögern und um den beabsichtigten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nicht vorzugreifen. Durch § 302 a i. d. F. des Gesetzes vom 29. Juli 1976 sind nunmehr im wesentlichen die Vorschläge des Ε 1962 verwirklicht. Nur scheinbar liegt eine Abweichung darin, daß in § 302 a Abs. 1 Satz 1 vier Formen des Leistungswuchers aufgeführt werden. Denn Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 („für eine sonstige Leistung") umfaßt generalklauselartig Leistungen jeder Art; die Hervorhebung des Miet-, Kredit- und Vermittlungswuchers soll auf besonders sozialschädliche und praktisch bedeutsame Erscheinungsformen des Wuchers hinweisen und hierdurch die Vorschrift anschaulicher gestalten (Begr. BT-Druck. 7/3441 S. 21; Bericht des BT-Sonderausschusses BTDrucks. 7/5291 S. 20). Eine Neuerung gegenüber dem Ε 1962 stellt die sog. Additionsklausel in Absatz 1 Satz 2 dar (dazu unten Rdn. 36 ff)· Auf die im Anschluß an § 302 c a. F. in § 265 Abs. 2 Ε 1962 vorgeschlagene Pönalisierung des sog. Nachwuchers wurde verzichtet, „da sich gezeigt hat, daß für diese Vorschrift heute kein praktisches Bedürfnis mehr besteht" (Begr. BT-Drucks. 7/3441 S. 42). Der Wuchertatbestand hat auch in der heute geltenden Fassung keine größere praktische Bedeutung erlangt (vgl. ζ. B. Arzt/Weber IV Rdn. 269 f; Otto Strafrecht als Instrument der Wirtschaftspolitik, MSchrKrim 1980 397, 405 f; NJW 1982 2745 und Die Tatbestände gegen Wirtschaftskriminalität im Strafgesetzbuch, Jura 1989 24, 32; Sickenberger S. 3 ff). Gesetzgebungsmaterialien: §§ 265, 266 Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 54 und dazu Niederschriften der Großen Strafrechtskommission (Ndsch) VII S. 316, 407; § 203 AE betr. Wucher, abgedruckt Prot. 7 S. 2607; Tagungsberichte (TagBer) der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Bd. VI S. 96 ff mit Referaten Kohlmann (Anlage 5) und Schachtschnabel (Anlage 6); Regierungsentwurf des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT1

(3)

§265 (1) Wer die Zwangslage, den Leichtsinn, die Unerfahrenheit, die Willensschwäche oder den Mangel an Urteilsvermögen eines anderen dadurch ausbeutet, daß er sich oder einem Dritten für eine Leistung einen Vermögensvorteil versprechen oder gewähren läßt, der in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung steht, wird ... bestraft. (2) Wer es unternimmt, eine wucherische Forderung als Rechtsnachfolger zu verwerten, wird ... bestraft.

§266 (1) In besonders schweren Fällen wird der Wucher ... bestraft. Ein besonders schwerer Fall Hegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gewerbsmäßig handelt, 2. sich durch Wechsel wucherische Vermögensvorteile versprechen läßt, 3. durch die Tat den anderen in wirtschaftliche Not bringt. (2)... (BT-Drucks. IV 650 S. 54).

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

Drucks. 7/3441; Sitzungsberichte des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform 7. Wahlperiode (Prot. 7) S. 2473, 2478,2560 bis 2578, 2604, 2607, 2625, 2628, 2791 bis 2813, 2834 f, 2846 f; Bericht des Sonderausschusses BT-Drucks. 7/5291.

Übersicht Rdn. I. 1. Wesen des Wuchers 1 2. Leistung des Wucherers als Anknüpfungspunkt der wucherischen Ausbeutung 2 3. Geschütztes Rechtsgut 3 II. Leistungen des Wucherers 1. Mietwucher (Absatz 1 S. 1 Nr. 1) . . 4 2. Kreditwucher (Absatz 1 S. 1 Nr. 2) . 8 3. Sonstige Leistungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 3) 11 4. Vermittlung von Leistungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 4) 12 III. Die Schwächesituation des Opfers 1. Allgemeines 13 2. Zwangslage 14 3. Unerfahrenheit 18 4. Mangel an Urteilsvermögen . . . . 20 5. Erhebliche Willensschwäche . . . . 21 IV. Die Ausbeutung der Schwächesituation des Opfers 23

1

V.

VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII.

Rdn. Das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung 1. Allgemeines 24 2. Das auffällige Mißverhältnis beim Mietwucher 28 3. Das auffällige Mißverhältnis beim Kreditwucher 32 4. Das auffällige Mißverhältnis beim Leistungswucher 34 5. Das auffällige Mißverhältnis beim Vermittlungswucher 35 Die Additionsklausel (Absatz 1 S. 2) . 36 Die Tathandlung 48 Der innere Tatbestand 52 Täter, Teilnehmer 56 Vollendung und Beendigung 60 Die Strafe 63 Konkurrenzen 72 Recht des Einigungsvertrages 73

I. 1. Das Wesen des Wuchers besteht darin, daß der Täter eine bestimmte im Gesetz näher bezeichnete objektive („Zwangslage") oder subjektive („Unerfahrenheit" usw.) „Schwächesituation" seines Opfers wirtschaftlich ausbeutet, um für seine eigene Leistung eine Gegenleistung zu erhalten, die den Wert seiner Leistung erkennbar bei weitem übersteigt. § 302 a richtet sich also, indem er auf die Gegebenheiten bei dem einzelnen Opfer abstellt, gegen den sog. Individualwucher, der auch dann noch vorliegt, wenn sich die Tat gegen eine abgrenzbare Gruppe von Einzelpersonen richtet (BGHSt. 13 233,235), ζ. B. gegen in der Bundesrepublik stationierte ausländische Soldaten (BGHSt. 11 182). Den Gegensatz zum Individualwucher bildet der von § 302 a grundsätzlich nicht erfaßte sog. Sozialwucher, d. h. die Preisüberhöhung unter Ausnutzung wirtschaftlicher Nöte der Allgemeinheit; also einer Notlage, die eine Vielzahl von Personen trifft, ζ. B. die als Mieter Wohnung Suchenden in Zeiten einer aus besonderen Gründen bestehenden Wohnraumverknappung, die Konsumenten bei unzulänglichem Warenangebot, insbesondere bei der Verknappung von Lebensmitteln, usw. Die Aufnahme von Strafvorschriften gegen die eigensüchtige Ausnutzung wirtschaftlicher Nöte der Allgemeinheit in das Strafgesetzbuch mußte unterbleiben, weil dieses auf Dauer und Beständigkeit angelegt ist, während die zum Sozialwucher Veranlassung gebenden Verhältnisse wechseln und es von den jeweiligen wirtschaftlichen Zeitverhältnissen abhängt, ob und in welchem Umfang ein Bedürfnis besteht, solche Verhaltensweisen als Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit Sanktionen zu bedrohen. Die gegen Sozialwucher und zu seiner Verhütung nötigen Maßnahmen sind deshalb im Nebenstrafrecht oder im Recht der Ordnungswidrigkeiten zu treffen; hier kommen insbesondere die §§ 3 ff WiStG 1954 in der Fassung vom 3. Juni 1975 (BGBl. I S. 1313), zuletzt geändert durch das 2. WiKG vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721), in Betracht (vgl. § 4 betr. Preisüberhöhung in einem Beruf oder Ges t a n d : 1. 9. 1992

(4)

§302 a

Wucher

werbe, § 5 betr. Mietpreisüberhöhung, § 6 betr. Preisüberhöhung bei der Wohnungsvermittlung). Indessen kann auch in normalen Zeiten die abgrenzbare Gruppe der in einer Zwangslage befindlichen Einzelpersonen so groß sein, daß sie einen nicht unbeträchtlichen Teil der Allgemeinheit erfaßt. Insofern ist es richtig, daß die Grenzen zwischen Individualwucher und Sozialwucher fließend sein können (Dreher/Tröndle Rdn. 3; Sch/Schröder/Stree Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 I B; s. auch Rdn. 4). 2. Anknüpfungspunkt der wucherischen Ausbeutung ist eine Leistung des Wuche- 2 rers, die im Rahmen eines auf Leistung und Gegenleistung abgestellten Rechtsverhältnisses (also eines zweiseitigen oder mehrseitigen Rechtsgeschäfts) erbracht oder in Aussicht gestellt ist. Einseitige Rechtsgeschäfte fallen nicht unter § 302 a (vgl. auch BGHZ 106 269, 271 f; dazu Kritik bei Wochner Die neue Schuldknechtschaft, BB 1989 1354)2. Wenn auch aus Gründen der Anschaulichkeit des Tatbestandes bestimmte Leistungen in Absatz 1 Nr. 1, 2 und 4 besonders genannt sind, so ergibt sich doch aus Nummer 3, daß es auf die Art der Leistung nicht ankommt. Eine Eingrenzung des Tatbestandes auf wirtschaftliche Leistungen, wie sie § 203 Abs. 1 AE vorschlug, ist nicht Gesetz geworden. Strafrechtlich ist es auch ohne Bedeutung, ob das zugrundeliegende Rechtsgeschäft wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder Verstoßes gegen die guten Sitten, wegen des Wuchers selbst (§ 138 Abs. 2 BGB) oder aus einem anderen Grunde, ζ. B. mangelnder Form oder fehlender Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (RG Recht 1915 Nr. 2413), nichtig oder unwirksam ist (Rdn. 50). Wucher ist daher auch denkbar, wenn sich der Inhaber des Animierlokals oder die Dirne vom Kunden, der Retter von dem in Lebens- oder Leibesnot Befindlichen oder der Ehevermittler für seine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in auffälligem Mißverhältnis zu der Leistung stehen, sofern darin eine Ausbeutung der im Gesetz bezeichneten „Schwächesituation" des anderen Teils liegt (vgl. dazu Prot. 7/2562, 2793 und Rdn. 34). Schließlich ist es auch ohne Bedeutung, ob die Leistung vom Täter selbst mit eigenen oder mit fremden Mitteln oder von einem Dritten erbracht ist oder erbracht werden soll. 3. Geschütztes Rechtsgut. Vollendet ist die Tat bereits, wenn der Täter sich die 3 wucherischen Vermögensvorteile versprechen läßt; ein Vermögensschaden braucht daher dem Bewucherten noch nicht entstanden zu sein, wenn ein Schaden auch häufig schon in einer durch das Versprechen äußerlich zunächst verschlechterten Rechtslage bestehen wird. Der Wucher ist dadurch als eine Vermögensgefährdungstat gekennzeichnet (Dreher/Tröndle Rdn. 3; Sch/Schröder/Stree Rdn. 2; Arzt/Weber IV Rdn. 264). In ein selbständiges Vermögensverletzungsdelikt schlägt die Tat erst um, wenn nicht nur das Versprochene gewährt wird, sondern das Gewährte über das Versprochene hinausgeht oder der wucherische Charakter des Gewährten sich erst aus einer dem Versprechen nachfolgenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt (Rdn. 48). Anderer Meinung Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 I Β und I I A 1 , wonach der Wucher mindestens sowohl Vermögensgefährdungs- wie Vermögensverletzungsdelikt ist oder sich sogar insgesamt als Vermögensverletzungsdelikt 2

(5)

Der Leistung des Wucherers steht also die Gegenleistung des Bewucherten in der Form der von ihm versprochenen oder gewährten „Vermögensvorteile" gegenüber. Seltsamerweise fällt aber Absatz 1 S. 2 aus dieser Konstruktion, indem den „sämtlichen Vermögensvorteilen" — also den

Gegenleistungen — die als „Gegenleistungen" bezeichneten Leistungen des Leistenden und der anderen Mitwirkenden gegenübergestellt werden (vgl. zum Begriff der Gegenleistung Schmidt Zum neuen strafrechtlichen Begriff der „Subvention" in §264 StGB, GA1979121, 127 ff).

Karl S c h ä f e r / H a g e n W o l f f

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

auffassen läßt (vgl. auch Lackner Rdn. 1). Abweichend auch Samson SK Rdn. 3 ff, wonach zwar der dort sog. Schwächewucher — Ausbeutung der Unerfahrenheit usw. — ein Vermögensgefährdungsdelikt darstellt, der Zwangslagenwucher — die Ausbeutung der Zwangslage — aber überhaupt kein Vermögensdelikt ist, sondern ein Delikt gegen Preisbindungsvorschriften, deren Erlaß dem Strafrichter in die Hand gelegt ist. Arzt charakterisiert den Wucher als oktroyierten Vermögensschutz verbunden mit oktroyiertem Freiheitsschutz (Lackner-Festschrift S. 641, 650 ff; vgl. auch Scheffler GA1992 1 ff). Otto (BT S. 284) sieht neben dem Vermögen das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft als Schutzgut an. II. Die in Betracht kommenden Leistungen des Wucherers 1. Die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 1) 4

a) Allgemeines. Abgesehen von einer geänderten Beschreibung der „Schwächesituation" (dazu Rdn. 13) entspricht der Tatbestand des Mietwuchers dem bisherigen § 302 f, auf dessen Auslegung daher zurückgegriffen werden kann. Die Hervorhebung des Mietwuchers beruht auf der Erwägung, daß zwar als Ergebnis einer gesteigerten Errichtung von Wohnungen, insbesondere von Sozialwohnungen, nach Beendigung der Kriegs- und Nachkriegswirren heute im allgemeinen eine ausgeglichene Lage von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt besteht, für gewisse Gruppen der Bevölkerung der Mietwuchertatbestand aber noch immer von besonderer Bedeutung sein kann, ζ. B. für ausländische Gastarbeiter in Ballungsgebieten, überhaupt für Ausländer, aber auch Studenten in Universitätsstädten (vgl. auch Ausschußbericht BT-Drucks. 7/5291 S. 20; Prot. 7/2794).

5

b) Räume zum Wohnen. Im Gegensatz zu der Ausdrucksweise des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. ζ. B. §§ 554 b, 556 a, 556 b) spricht § 302 a nicht von einer Vermietung von Wohnraum, sondern von der Vermietung von Räumen zum Wohnen. Damit wird ein sachlicher Unterschied zum Ausdruck gebracht. Als Wohnraum i. S. der bürgerlichrechtlichen Vorschriften wird angesehen jeder zum Wohnen (insbesondere Schlafen, Essen, Kochen, dauernder privater Nutzung) bestimmte Raum, der Innenteil eines Gebäudes, aber nicht notwendig ein wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks ist. Wohnraum i. S. dieser Vorschriften sind daher auch Behelfsheime, transportable Baracken, aber nicht bewegliche Sachen und deren Innenräume, wie ζ. B. Wohnwagen oder Schiffskajüten. Zum Wohnraum gehören auch die Nebenräume, ζ. B. Bad, Flur, Abstellraum, Kellerabteil (vgl. Palandt/Putzo BGB 51. Aufl. Einf. vor § 535 Rdn. 70). Nicht als Wohnraum werden angesehen die Räume der Beherbergungsbetriebe {Palandt/Putzo aaO). Der Begriff der Vermietung von „Räumen zum Wohnen" reicht weiter: Er kennzeichnet nicht die Vermietung von Räumen bestimmter Art („Räume zum Wohnen" = „Wohnräume", d. h. Räume, die nach ihrer Beschaffenheit zum Wohnen geeignet und bestimmt sind), sondern bezeichnet den Zweck, zu dem ein Raum irgendwelcher Art im Einzelfall vermietet wird („zum Wohnen"). Daher fällt unter § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 auch die vorübergehende Vermietung von Räumen der Beherbungsbetriebe (Hotelzimmer usw.), die Vermietung von Nebenräumen, die sonst nicht zum eigentlichen Wohnen vermietet werden, wie Trockenböden oder Keller zum „Wohnen", aber auch die Vermietung sonst gewerblich oder geschäftlich genutzter Räume, soweit sie „zum Wohnen", wenn auch nur vorübergehend, mietweise überlassen werden, ζ. B. von Werkshallen, Lagerkellern, Geräteschuppen, Scheunen usw. Da zum Begriff des Raums im strafrechtlichen Sinn nicht gehört, daß er Innenteil eines Gebäudes ist, fallen auch bewegliche RaumgebilStand: 1. 9. 1992

(6)

Wucher

§ 302 a

de unter § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, wenn sie zum Wohnen (zum zeitweiligen Aufenthalt von Menschen) vermietet werden, wie ζ. B. Schiffe oder Eisenbahnwagen und selbst ein Schäferkarren oder eine ausgeschlachtete, aufgebockte PKW-Karosserie (vgl. OLG Stuttgart Justiz 1976 519). Ohne Bedeutung ist es, ob die Vermietung für längere oder vorübergehende Zeit, zur Haupt- oder Untermiete, mit oder ohne Ausstattung mit Möbeln oder anderen Einrichtungsgegenständen oder dem zum Wohngebrauch nötigen Zubehör erfolgt, ob der Raum durchschnittlichen Wohnanforderungen entspricht oder nur ein Notquartier primitiver oder sogar menschenunwürdiger Art darstellt (vgl. LG Köln WoM 1987 202 — Zellen eines Hochbunkers). Nicht unter Absatz 1 S. 1 Nr. 1 fällt die Vermietung von Raum zu anderen als Wohnzwecken (als Werk-, Geschäfts- oder Büroraum). Sie kann aber unter Absatz 1 S. 1 Nr. 3 fallen. Die Unterscheidung zwischen Räumen zum Wohnen und solchen zu anderen Zwecken ist nur insofern von Bedeutung, als für beide Kategorien ein unterschiedlicher Mietzins üblich sein kann (Rdn. 29); im übrigen hat die unter der Herrschaft des § 302 f a. F. notwendige Unterscheidung zwischen Räumen zum Wohnen und anderen Räumen ihre Bedeutung verloren. Bei sog. Mischmietverhältnissen, d. h. in Fällen, in denen eine Vermietung von Räumen sowohl zu Wohn- wie zu anderen Zwecken erfolgt, wie bei Wohnräumen mit zugehörigen Läden und Wohnungen, deren Räume zum Teil zu Wohnzwecken, zum Teil zu gewerblichen oder geschäftlichen Zwecken verwendet werden sollen, ζ. B. bei Vermietung an einen Arzt oder Rechtsanwalt, der die Praxis in seiner Wohnung ausübt, ist bei Vermietung durch einheitlichen Vertrag Absatz 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 anwendbar, je nachdem ob die zu Wohnzwecken oder die zu anderen Zwecken überlassenen Räume überwiegen (vgl. BGH NJW-RR1986 877 sowie Hohendorf S. 71 f). Eine Unterscheidung zwischen der Verwendungsart der Räume kommt bei verschiedenartiger Mietzinsfestsetzung in Betracht; die Anwendbarkeit des Absatzes 1 S. 1 Nr. 1 auf die Wohnräume, die des Absatzes 1 S. 1 Nr. 3 auf die anderen Räume ist dann wieder nur unter dem Gesichtspunkt einer Verschiedenheit der ortsüblichen Entgelte bedeutsam. c) Damit verbundene Nebenleistungen sind ζ. B. Mobiliargestellung, Beheizung, 6 Beleuchtung, Reinigung von Treppenhaus oder Bürgersteig, Pflege des mit der Wohnung vermieteten Gartens; Garagen- und Fahrstuhlbenutzung, Tätigkeit eines Hauswarts. d) Zur Frage, wann ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und vom Op- 7 fer versprochenen oder gewährten Vermögensvorteilen besteht, Rdn. 28 ff. 2. Die Gewährung eines Kredits (Absatz 1 S. 1 Nr. 2) a) Änderung des Begriffs Kreditwucher gegenüber dem früheren Recht. Absatz 1 S. 1 8 Nr. 2 ist an die Stelle der §§ 302 a bis c a. F. getreten. Nach dem Grundtatbestand des § 302 a a. F. beging Kreditwucher, wer (unter Ausbeutung der „Schwächesituation" des Opfers) „mit Bezug auf ein Darlehen oder auf die Stundung einer Geldforderung oder auf ein anderes zweiseitiges Rechtsgeschäft, welches denselben wirtschaftlichen Zwecken dienen soll, sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfluß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnis zu der Leistung stehen". § 302 a n. F. weicht davon, abgesehen von der geänderten Umschreibung der „Schwächesituation", entscheidend dadurch ab, daß er auf die kasuistische Umschreibung der Leistung verzichtet und die wucherischen Vorteile nicht an der Höhe des üblichen Zinsfußes mißt, weil dieser ständig wechselt und dieses Merkmal für den Kreditwucher nicht allein maßgebend, sondern nur eines neben anderen (7)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

Faktoren ist (dazu Rdn. 32), dem üblichen Zinsfuß also nur indizielle Bedeutung zukommt (Begr. BT-Drucks. 7/3441 S. 41). 9

b) Nach § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 besteht beim Kreditwucher die Leistung in der Gewährung eines Kredits. Das Gesetz enthält sich einer Begriffsbestimmung, was darunter zu verstehen ist. Eine Begriffsbestimmung findet sich aber in § 265 b Abs. 3 Nr. 2, und es erscheint sachgemäß und unbedenklich, diese Legaldefinition zur Konkretisierung des § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 heranzuziehen, zumal sie — von den unter Rdn. 10 erörterten Fällen abgesehen — den Bereich des Kreditwuchers abdeckt, wie er nach der Auslegung des § 302 a a. F. gegeben war (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 6; Samson SK Rdn. 13; Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; a.M. Hohendorfs. 74 f ) .

10

c) Einzelheiten. Die Gewährung von Kredit besteht danach vorzugsweise in der Gewährung von Gelddarlehen (so schon RGSt. 28 135,137) und in der Stundung von Geldforderungen jeder Art (RGSt. 18 181, 183). Eine Darlehensgewährung wurde auch angenommen, wenn sie mit einem äußerlich getrennten, innerlich aber mit der Kreditgewährung verbundenen Nebengeschäft derart „verkoppelt" war, daß zwischen dem Geldkreditgeschäft und den versprochenen oder gewährten wucherischen Vermögensvorteilen ein erkennbarer Zusammenhang bestand (RGSt. 27 190), z.B. bei Darlehenshingabe gegen Abschluß einer Lebensversicherung (RGSt. 31 239) oder durch Darlehensgewährung gegen Sicherungsübereignung von Gegenständen, die dem Opfer gegen ein wucherisches Entgelt zur Miete überlassen werden (RG Recht 1914 Nr. 1644). Auch eine Kreditgewährung in verschleierter Form wurde als Darlehensgewährung gerechnet, ζ. B. der Ankauf von Sachen des Bewucherten durch den Wucherer mit der Verpflichtung des Bewucherten, sie später zu erheblich höherem Preis zurückzukaufen, oder der „ K a u f von Wertsachen von einem Gläubiger, um sie zu Geld zu machen, gegen eine hohe Wechselverbindlichkeit (RGSt. 39 126, 128). Das wird auch heute noch als Kreditgewährung i. S. des § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 anzusehen sein (so wohl auch Dreher/Tröndle Rdn. 6). Nicht unter den Begriff der Kreditgewährung fallen aber nach heutigem Recht — und damit abweichend von der Auslegung des § 302 a a. F. — Bargeschäfte, bei denen eine künftige Rückzahlungspflicht nicht in Betracht kommt, wie ζ. B. der Verkauf einer Forderung oder Hypothek weit unter ihrem Wert gegen Barzahlung (vgl. RGSt. 25 315; 35 111), der entsprechende Verkauf einer Erbschaft (vgl. R G Recht 1915 Nr. 737) oder die Gründung einer stillen Gesellschaft (vgl. RG JW 1900 556), die zur Befriedigung eines dringenden Geldbedarfs in einer Zwangslage erfolgen. Die Rechtsprechung hatte damals — gegen Stimmen des Schrifttums (vgl. in der 9. Aufl. Rdn. 5 zu § 302 a a. F.) — diesen Weg unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut („mit Bezug auf ein anderes zweiseitiges Rechtsgeschäft...") beschritten, weil eine Erfassung des wucherischen Bargeschäfts als Sachwucher (§ 302 e a. F.) nur bei gewerbsoder gewohnheitsmäßiger Begehung möglich gewesen wäre und dies kriminalpolitisch nicht ausreichend erschien. Heute fallen wucherische Bargeschäfte unter Absatz 1 S. 1 Nr. 3. Auch im übrigen ist, wo auch nur Zweifel über die Tragweite des Absatzes 1 S. 1 Nr. 2 bestehen könnten, jedes Bedürfnis zu extensiver Interpretation zu verneinen, weil jedenfalls der Generaltatbestand der Nummer 3 Platz greift.

11

3. Sonstige Leistungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 3). Unter Nummer 3 fallen Leistungen jeglicher — auch solche nichtwirtschaftlicher (Rdn. 2) — Art, die nicht bereits von den Nummern 1 , 2 , 4 erfaßt werden, mit der Folge, daß jeder Zweifel, ob die Voraussetzungen des Miet-, Kredit- oder Vermittlungswuchers vorliegen, zur Anwendbarkeit der Nummer 3 führt. In der Hauptsache umfaßt die Vorschrift die AnwendungsStand: 1. 9. 1992

(8)

Wucher

§302 a

fälle des § 302 e a. F. (Sach- oder Leistungswucher), aber gelöst von der Einschränkung des bisherigen Rechts, wonach nur die gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Begehung strafbar war. Es gehören hierher etwa die Gewährung von Darlehen, die nicht Geld zum Gegenstand haben und deshalb nicht unter Nummer 2 fallen; Leistungen bei der Ausübung eines (auch unerlaubt betriebenen oder gesetzwidrigen ausgeübten) Berufs oder Gewerbes wie eines Rechtsberaters (RGSt. 45 197) oder eines Rechtsanwalts, eines Privatdetektivs (RG DR 1944 903), eines Arztes, aber auch eines Kurpfuschers, die Vermietung von nicht zum Wohnen (dann Nummer 1) bestimmten Räumen (Geschäftsräumen) oder damit verbundenen Nebenleistungen, Pachtgeschäfte, Leihe, Kauf oder Tausch von Gegenständen jeder Art, wie Viehverleih oder -verkauf, Verkauf von Grundstücken, und auch solcher Gegenstände, für die nur „Liebhaber" als Käufer in Betracht kommen, wie Antiquitäten, Sammelgegenstände oder auch Pornomaterial (dazu aber Rdn. 34), der Ankauf von Forderungen. Der früher viel erörterte Lohnwucher ist — abgesehen von illegalen Arbeitsverhältnissen mit Ausländern (dazu § 19 AFG, § 15 a AÜG) — heute ohne praktische Bedeutung. 4. Vermittlung von Leistungen (Absatz 1 S. 1 Nr. 4). An sich ist die Vermittlung von 12 Leistungen selbst eine Leistung i. S. des Absatzes 1 Nr. 3, wie denn auch in der Zeit der Geltung des § 302 e a. F. die wucherische Vermittlung von Rechtsgeschäften jeder Art, insbesondere von Anstellungen, als ein Fall des Leistungs-(Sach-)wuchers angesehen wurde (Nachweise in der 9. Aufl. § 302 e Rdn. 3). „Wenn in Absatz 1 Nr. 4 gleichwohl die Vermittlung einer Leistung ausdrücklich genannt ist, so hat dies nur klarstellende Bedeutung, die im Hinblick auf die in Absatz 1 Satz 2 getroffene Regelung angezeigt ist, da dort aus Gründen des besseren Verständnisses die Vermittlung neben der Leistung genannt ist" (Begr. BT-Drucks. 7/3341 S. 40). Einen Anlaß, beispielhaft auch die Vermittlerleistung hervorzuheben, bot im übrigen die vielfach zu beobachtende Einschaltung unseriöser Kreditvermittler (sog. Kredithaie), die zu letztlich wucherischen Kreditgeschäften führt (dazu Rdn. 37). Weiter beseitigt die Vorschrift die zu § 302 f a. F. entstandene Streitfrage, ob Täter des Mietwuchers nur der Vermieter sei und der Vermittler nach § 302 f nur dann strafbar sei, wenn er als Anstifter oder Gehilfe des Vermieters gehandelt habe, während Wucher mit Bezug auf die Vermittlerleistung unter § 302 e a. F. falle, oder ob auch der Vermittler Täter des Mietwuchers sei (vgl. 9. Aufl. § 302 f Rdn. 5). III. Die Schwächesituation des Opfers 1. Allgemeines. Die Tathandlung besteht darin, daß der Täter eine der im Gesetz 13 abschließend aufgeführten Schwächesituation des Opfers ausbeutet und zwar dadurch, daß er sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil versprechen oder gewähren läßt, der in auffälligem Mißverhältnis zur Leistung steht. Das frühere Recht nannte als solche Schwächesituation zunächst (vgl. §§ 302 a, 302 e a. F.) Notlage, Leichtsinn und Unerfahrenheit; erst in § 302 f wurde bei dessen Einfügung im Jahre 1971 (unter Beibehaltung von Leichtsinn und Unerfahrenheit) die „Notlage" durch „Zwangslage" ersetzt. § 302 a η. F. hat nach dem Vorbild des § 302 f a. F. die Begriffe der Zwangslage und der Unerfahrenheit beibehalten, zur Kennzeichnung weiterer Schwächesituationen aber unter Verzicht auf „Leichtsinn" die Merkmale des Mangels an Urteilsvermögen und der erheblichen Willensschwäche eingeführt. Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen und erhebliche Willensschwäche sind gleichwertige Merkmale desselben einheitlichen Tatbestandes. Sie (9)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

treffen häufig derart zusammen, daß das eine Merkmal das andere bedingt oder der eine Zustand in den anderen übergeht (RGSt. 17 440, 442). So kann der Bewucherte sich aus einer Zwangslage auf das Wuchergeschäft einlassen und sodann bei Vereinbarung der Geschäftsbedingungen aus Unerfahrenheit handeln (RG 1 D 526/09 v. 23.9. 1909). Ein Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes (§ 265 StPO) soll deshalb nach RGSt. 17 440 bei den erwähnten Merkmalen nicht notwendig sein (bedenklich). 2. Zwangslage 14

a) Zur Ersetzung von „Notlage" durch „Zwangslage". Der in §§ 302 a, 302 e a. F. verwendete Begriff der Notlage war umstritten. Die herrschende, insbesondere in der Rechtsprechung vertretene Meinung verstand unter Notlage nur die wirtschaftliche Notlage, die existenzbedrohende Geldverlegenheit, verursacht durch den Mangel wirtschaftlich bedeutsamer oder unentbehrlicher Gegenstände, die durch die Leistung des Wucherers abgewendet werden sollte (RGSt. 28 288,290; 53 285; 71325; 76 193; BGH NStZ 1984 23; Schrifttumsnachw. in der 9. Aufl. § 302 a Rdn. 20). Von diesem Standpunkt aus hatte ζ. B. die Rechtsprechung eine Notlage verneint, wenn aus Geldmangel die Mutter den begabten Sohn nicht studieren lassen kann (RG Recht 1913 Nr. 3316), der Künstler seine Ausbildung nicht vollenden kann, der Erfinder nicht die notwendigen Auslagen für die Sicherung und Verwertung eines Patentanspruchs aufbringt (RG SeuffArch. 61 439). Bei den strafrechtlichen Reformarbeiten setzte sich aber die Auffassung durch, daß wucherisches Verhalten nicht nur unter diesen engen Voraussetzungen strafwürdig sei; die erwünschte Erweiterung des Wuchertatbestandes sah § 265 Ε 1962 im Anschluß an frühere Entwürfe in der Ersetzung von „Notlage" durch „Zwangslage". Damit sollte zunächst auch die Einbeziehung von Fällen der Ausbeutung einer wirtschaftlichen Bedrängnis ermöglicht werden, die zwar nicht existenzbedrohend ist, aber schwere wirtschaftliche Nachteile nach sich zieht, denn auch wer begütert sei, aber nicht über flüssige Mittel verfüge, um ζ. B. eine drohende Grundstücksversteigerung abzuwehren, befinde sich in einer seine Willensfreiheit beschränkenden Zwangslage. In den Schutzbereich sollten ferner Fälle einbezogen werden, in denen nicht unmittelbar eine wirtschaftliche Bedrängnis, sondern Umstände anderer Art ein dringendes Geld- oder Sachbedürfnis entstehen lassen; ζ. B. wenn einem Großbauern ein Teil seiner Stallungen abbrennt und er aus diesem Grunde erhebliche Viehbestände abstoßen muß, oder wenn ein Erfinder die notwendigen Aufwendungen für die Sicherung oder Verwertung seines Patentanspruchs nicht aufzubringen vermag (Begr. BT-Drucks. IV/650 S. 439). Für ein weiteres Beispiel — Pflegebedürftigkeit als Zwangslage für den Abschluß eines Grundstücksgeschäfts — vergleiche BGH WM 1981 1050, 1051. In der Richtung dieser Reformbestrebungen ging nunmehr das Schrifttum ζ. T. dazu über, den Begriff der Notlage in einem weiteren Sinn als jede ernste Zwangslage, ζ. B. auch eine Gefahr für Leben, Gesundheit oder Ehre zu verstehen (Nachweise in der 9. Aufl. § 302 a Rdn. 20). Auch wenigstens bei dem damals noch unter den Sachwucher des § 302 e a. F. fallenden Mietwucher entfernte sich BGHSt. 11 182 von der beim Kreditwucher ausgebildeten einschränkenden Auslegung, indem die Entscheidung als Notlage schon ansah, wenn der Wohnungssuchende nach seinen persönlichen und seinen Vermögensverhältnissen gezwungen war, eine sich ihm bietende Mietgelegenheit mit der Folge einer fühlbaren Einengung in einer angemessenen Lebenshaltung auszunutzen. Im Vorgriff auf die in § 265 Ε 1962 vorgeschlagene allgemeine L T mgestaltung des Wuchertatbestandes fand dann in dem im Jahre 1971 neu Stand: 1. 9. 1992

(10)

Wucher

§ 302 a

eingefügten Mietwuchertatbestand des § 302 f der Begriff der Zwangslage Eingang in das Wucherstrafrecht und bildete die Brücke zu der nunnmehr in § 302 a allgemein durchgeführten Ersetzung von „Notlage" durch „Zwangslage". In Übereinstimmung mit der Begründung zu § 265 Ε 1962 führt auch die Begründung zum RegEntw. des 1. WiKG (BT-Drucks. 7/3441 S. 40f) aus: „Unter diesen (Begriff) fällt auch die Ausbeutung einer wirtschaftlichen Bedrängnis, die zwar nicht die Existenz des Betroffenen bedroht, aber schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt. Eine Zwangslage liegt auch vor, wenn nicht eine wirtschaftliche Bedrängnis, sondern Umstände anderer Art ein zwingendes Sach- oder Geldbedürfnis entstehen lassen. Dies ergibt sich deutlich daraus, daß (das Gesetz) zwischen dem Merkmal „Zwangslage" und dem in § 302 a Abs. 2 Nr. 1 zur Beschreibung eines besonders schweren Falles verwandten Merkmal „wirtschaftliche N o t " unterscheidet". Bedenken, daß diese Erweiterung des Wuchertatbestandes sich zu einer unangemessenen Behinderung des Geschäftsverkehrs auswirken und schon jede Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit zu vorteilhaftem Geschäftsabschluß in den Bereich des strafbaren Wuchers führen könne, wiesen sowohl die Begründung des § 265 Ε 1962 (BT-Drucks. IV/650 S. 439) wie die des 1. WiKG-Entw. (BT-Drucks. 7/3441 S. 41) zurück; die erstere, indem sie als hinreichende Sicherheit das „stark einengende" weitere Merkmal des Ausbeutens ansah, die zweite, indem sie auf das Erfordernis des Ausnutzens der Zwangslage zur Erzielung „eines ungewöhnlich hohen Gewinnes" hinwies. b) Unerheblich ist, ob der Bewucherte die Zwangslage verschuldet hat oder ob sie 15 sich hätte vermeiden lassen (RG JW 1908 587, 588; BGHSt. 11 182, 186). Eine Zwangslage kann ferner — vom Täter her gesehen — vorliegen, wenn das Opfer irrtümlich glaubt, seiner bedrängten Lage nur durch Angehen des Täters abhelfen zu können, weil er andere, objektiv vorhandene Auswege nicht kennt oder erkennt, der Täter aber die vermeintliche Ausweglosigkeit des Opfers erkennt und ausnutzt (RGSt. 12 303; BGH NJW 1958 2074; Sch/Schröder/Stree Rdn. 24). Dagegen ist § 302 a unanwendbar, wenn der Täter lediglich irrtümlich annimmt, der andere befinde sich in einer Zwangslage (strafloser Versuch). c) Kasuistik (1) Beim Mietwucher liegt eine Zwangslage vor, wenn der Wohnungssuchende 16 sich in einer seiner Willensfreiheit einschränkenden Lage befindet, die ihn nötigt, einen bestimmten Wohnraum zum wucherischen Preis zu mieten, weil ihm sonst schwere, in der Regel wirtschaftliche Nachteile drohen, auch wenn er durch die Höhe der Miete nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet, sondern nur in einer angemessenen wirtschaftlichen Lebenshaltung fühlbar eingeengt wird (vgl. BGHSt 11 182 und BGHSt. 30 280, 281, wo noch der Begriff Notlage verwandt ist; s. auch LG Frankfurt a. M. wistra 1984 236, 238). Das ist ζ. B. der Fall, wenn der Wohnungssuchende auf eine Wohnung in der Nähe seiner Arbeitsstätte angewiesen ist und er seine Stellung, ohne leicht gleichartigen Ersatz zu finden, verlieren würde oder aufgeben müßte, falls er keine entsprechende Wohnung fände. (2) Beim Kreditwucher sind zum Begriff der Notlage i. S. des § 302 a a. F. Grund- 17 sätze ausgebildet worden, die ihre Bedeutung behalten haben, nachdem der engere Begriff der Notlage in dem weiteren Begriff der Zwangslage aufgegangen ist, eine Notlage im Sinne des früheren Rechts also stehts auch eine Zwangslage darstellt. Eine Notlage ist bejaht worden, wenn der Darlehensnehmer zur Bestreitung seiner und seiner Familie notwendigen Lebensunterhalts ein dringendes, unaufschiebbares Bedürfnis nach Geldmitteln hat, das nicht anders als durch Inanspruchnahme des (Π)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

Kredits oder sonstiger Hilfe Dritter zu befriedigen ist (RGSt. 71 325; BGH, Urt. v. 1. Juni 1956 - 2 StR 144/56 bei Pfeiffer/Maul/Schulte § 302a Nr. 2; vgl. auch OLG Karlsruhe JR1985 167 zur Zwangslage einer Rentnerin, die eine titulierte Forderung zur Bezahlung von Heizöl nicht aus dem laufenden Renteneinkommen bezahlen konnte). Gleiches gilt, wenn dem Darlehensnehmer die Zwangsvollstreckung in die zur Lebensführung notwendigen Gegenstände droht, die er ohne Darlehensaufnahme nicht abwenden kann (RGSt. 71 325; BGH, Urt. v. 31. Januar 1952 — 5 StR 14/52 —, inhaltlich wiedergegeben in der Anm. zu LM Nr. 1 zu § 302 d). Für den Inhaber eines Gewerbebetriebes setzte eine Notlage voraus, daß die Mittel zur Aufrechterhaltung des seine Existenzgrundlage bildenden Betriebs fehlten, sei es, daß er ihn ohne Kredit überhaupt nicht oder lediglich bei eigener Existenzgefährdung aufrechterhalten konnte (vgl. RGSt. 71 325; BGHSt. 12 390, 391; BGH LM Nr. 1 zu § 302 d m. Anm. Neumann). Vergleiche ergänzend 9. Aufl. § 302 a Rdn. 20 ff. Die Erweiterung von „Notlage" in „Zwangslage" zeigt sich vor allem darin, welche Schritte dem Schuldner zuzumuten sind, um sein Kredit- und Sachbedürfnis auf andere Art als durch Kreditaufnahme bei dem Wucherer zu befriedigen. Eine Zwangslage wird danach nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kreditsuchende noch verwertbare, insbesondere werbende Vermögensanlagen besitzt, durch deren Veräußerung er sich den erstrebten Kredit verschaffen könnte, wenn ihm deren Verwertung wegen drohenden fühlbaren Schadens nicht zugemutet werden kann (so bereits RGSt. 71 325). In einer Zwangslage befindet sich ein Schuldner, dem zwar die Mittel zur Befriedigung seiner dringenden Lebensbedürfnisse nicht fehlen und dem auch keine Zwangsvollstreckung droht, der sich aber aus besonders triftigen Gründen gezwungen fühlt, seinen Gläubiger ohne Klage zu befriedigen, weil das Abwarten einer Klage den Verlust seiner gesellschaftlichen Stellung zur Folge hätte — „Ehrennot" - (vgl. dazu den Fall BGHSt. 12 390 = LM Nr. 1 zu § 302 a a. F. m. Anm. Martin). Zur Zwangslage ist auch nicht erforderlich, daß der Kreditsuchende alle denkbaren und möglichen Mittel und Wege erschöpft hat, um sich Geld oder Kredit zu verschaffen (RG Recht 1903 Nr. 909). Daher kann sich auch der Sohn des reichen Vaters in einer Zwangslage befinden, wenn er sich aus begreiflichen und triftigen Gründen scheut, die väterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. auch RG Rspr. 3 568). Ebensowenig ist dem wohlhabenden Mann zuzumuten, seine wertvollen Baugrundstücke um jeden Preis zu veräußern, wenn er nicht sofort einen zur Zahlung eines einigermaßen angemessenen Preises bereiten Käufer findet (vgl. RG JW 1908 587). 3. Unerfahrenheit 18

a) Begriff. Unter diesem aus dem früheren Recht (§§ 301, 302 a, 302 e, 302 f a. F.) übernommenen Merkmal ist nicht eine allgemeine Unerfahrenheit, sondern die Unerfahrenheit im Geschäftsleben zu verstehen. Sie ist eine dem Opfer „anhaftende Eigenschaft, die auf einem Mangel an Geschäftskenntnis und Lebenserfahrung im allgemeinen oder auf beschränkten Gebieten des menschlichen Wirkens beruht und ihrem Wesen nach eine Einschränkunng der Befähigung zur Wahrnehmung oder richtigen Beurteilung von Zuständen und Geschehnissen irgendwelcher Art zur Folge hat" 3 . Maßgebend ist also die auf Mangel an Geschäftskenntnis und Lebenserfah3

BGHSt. 11 182, 186 unter Hinweis auf die gleichlautende Rechtsprechung des Reichsgerichts, ζ. B. RGSt. 37 205, 206 f; 53, 50; BGHSt. 30 280,

281; BGH GA 1971 209; OLG Köln OLGSt. zu § 263 S. 126,129 f.

Stand: 1. 9. 1992

(12)

Wucher

§302 a

rung beruhende Eigenschaft des Opfers, durch die es gegenüber dem Durchschnittsmenschen benachteiligt ist; eine auch beim Durchschnittsmenschen vorhandene Unkenntnis ist keine „Unerfahrenheit" (BGHSt. 13 233 = LM Nr. 2 zu § 302 e m. Anm. Busch; BGH, Urt. v. 28. November 1967 - 1 StR 531/67 bei Pfeiffer/Maul/Schulte §301 Nr. 2; BGH NStZ 1984 23 m.krit.Anm. Nack- gegen letztere Entscheidung auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 II C; weitergehend Nack MDR1981 621 624 f). Mit dieser Einschränkung kann beim Kreditwucher Unerfahrenheit schon darin liegen, daß das Opfer die Gelegenheit nicht kennt, sich zu billigeren Bedingungen Geld zu verschaffen (RGSt. 25 315,319; vgl. auch RGSt. 37 205,207), oder nichts von einer etwa bestehenden Möglichkeit weiß, durch Inanspruchnahme der Behörden oder Gerichte eine Herabsetzung seiner Verbindlichkeiten zu erreichen (BGHSt. 11 182, 187). Jedoch reicht es für Unerfahrenheit eines Kreditnehmers nicht aus, wenn der Kreditgeber ihm den effektiven Jahreszins nicht angegeben hat (BGH NStZ 1984 23 m.krit.Anm. Nack = JR 1984 251 m. Anm. Otto). Beim Wohnungsmietwucher bedeutet die bloße Unkenntnis der Wohnungsmarktverhältnisse und der Gesetzgebung über Mietpreiserhöhung und ihre Handhabung noch keine Unerfahrenheit (LG München Z M R 1963 177; LG Frankfurt a. M. wistra 1984 236, 238; Dreher/Tröndle Rdn. 11). Unkenntnis der Bedeutung des abzuschließenden Geschäfts und Unkenntnis der Sprache allein begründen ebenfalls noch keine Unerfahrenheit (RG Recht 1915 Nr. 735). Wohl aber kann fehlende Sprachkenntnis, sofern sie einen Überblick ausschließt, Unerfahrenheit bewirken (LG Köln Z M R 1975 367, 369). b) Anregungen im BT-Sonderausschuß, den „typische(n) Informationsmangel 19 des unterlegenen Vertragspartners" in irgendeiner Form erweiternd mit dem Merkmal der „Unerfahrenheit" zu verbinden, haben — bei Anerkennung der Schwierigkeiten einer genauen Abgrenzung — zu keinem Ergebnis geführt (vgl. Prot. 7/2796 f). Wenn daher im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, ein „weitreichender Mangel an Informationen über wirtschaftliche Fragen (könne) zu Unerfahrenheit führen" (so Dreher/Tröndle Rdn. 11; vgl. auch Otto BT S. 286 und NJW 1982 2745, 2749 f), so kann dies , wenn der Boden der bisherigen Auslegung der „Unerfahrenheit" nicht verlassen werden soll, wohl nur für Extremfälle einer auf Informationsmangel beruhenden Unkenntnis gelten, die zu einer Benachteiligung gegenüber dem Durchschnittsmenschen führt. 4. Mangel an Urteilsvermögen. Dieses in Erweiterung des bisherigen Rechts neu 20 geschaffene Merkmal einer Schwächesituation war schon in den StGB-Entwürfen seit 1922 vorgesehen und zwar ursprünglich unter der Bezeichnung „Geisteskrankheit" oder „Geistesschwäche" (vgl. Prot. 7/2799 f)· Zu diesem Merkmal führt die Begründung (BT-Drucks. 7/3441 S. 41), fast wörtlich mit der Begründung zu § 265 Ε 1962 übereinstimmend, aus: „Ein Mangel an Urteilsvermögen ist zunächst anzunehmen, wenn dem Bewucherten in erheblichem Maße die Fähigkeit fehlt, sich durch vernünftige Beweggründe leiten zu lassen. Das ist mehr als bloße Unerfahrenheit, die nur den erheblichen Mangel an geschäftlicher Erfahrung bezeichnet. Der Mangel an Urteilsfähigkeit umfaßt auch die Unfähigkeit, die beiderseitigen Leistungen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäftsabschlusses richtig zu bewerten. Meist wird dieses Unvermögen die Folge von Verstandesschwäche sein". Diese geistige Schwäche, die auch durch zunehmende Erfahrung nicht ausgeglichen werden kann, kann sich mit den Voraussetzungen des § 20 decken, ohne daß dies erforderlich wäre (Dreher/Tröndle Rdn. 12; Samson SK Rdn. 35; Sch/Schröder/Stree Rdn. 26; Göhler Prot. 7/2799). (13)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

5. Erhebliche Willensschwäche 21

a) Unter den Begriff der Willensschwäche fällt „jede Form einer verminderten Widerstandsfähigkeit, die in der Persönlichkeit und dem Wesen des Bewucherten ihre Ursache hat" (Begr. BT-Drucks. 7/3441 S. 541 in Übereinstimmung mit der Begründung zum Ε 1962). Die Entwürfe enthielten noch nicht die Einschränkung, daß die Willensschwäche erheblich sein müsse. Sie wurde erst im BT-Sonderausschuß aus der Erwägung eingefügt, daß die Ausbeutung der „einfachen" Willensschwäche — verstanden als mangelnde Widerstandskraft gegen Versuchungen des Lebens — zu einer Ausuferung des Wuchertatbestandes führen könne, indem der „Bewucherte" sich darauf berufen könne, er sei durch langes Zureden des Vertragspartners, durch übertreibende oder durch die „auf die Anfälligkeit der K u n d e n " abstellende Werbung im Selbstbedienungsladen zum nicht gewollten Vertragsschluß gebracht worden (vgl. Prot. 7/2800 ff). Gedacht ist bei dem Erfordernis der Erheblichkeit der Willensschwäche in erster Linie an Personen, deren Willensschwäche krankheitsbedingt ist (Drogensüchtige, Alkoholiker usw.). Doch gehören auch andere Personen hierher, deren Willensschwäche „ein den übrigen Ausbeutungszuständen entsprechendes M a ß " erreicht (Ausschußbericht BT-Drucks. 7/5291 S. 20), deren Widerstandskraft also — Persönlichkeits-, aber nicht krankheitsbedingt — erheblich geringer ist als die eines unter vergleichbaren Umständen am Geschäftsverkehr teilnehmenden Durchschnittsmenschen (Lackner Rdn. 8). Das von Blei (II S. 264) angeführte Beispiel einer erheblichen Willensschwäche (der Spieler, der bedenkenlos Wucherzinsen gibt, um „heute ganz gewiß" den großen Gewinn machen zu können) trifft allerdings wohl nur zu, wenn es sich um einen hemmungslosen, einen dem „Spielteufel" verfallenden Spieler handelt; andernfalls handelt er nur aus Leichtsinn.

22

b) Die früher im Gesestz — zuletzt noch in § 302 f a. F. — verwendete Schwächesituation des Leichtsinns ist in § 302 a nicht mehr aufgenommen. Dieses Merkmal wurde dahin verstanden, daß leichtsinnig handelt, „wer den Folgen seiner Handlungen aus Sorglosigkeit oder aus Mangel an genügender Überlegung die ihnen zukommende Bedeutung nicht beilegt" (BGHSt. 11 182, 186 im Anschluß an RGSt. 27 18; 60 216, 223). Bei Schaffung des § 302 a ging der Gesetzgeber davon aus, daß mit den im Gesetz genannten Merkmalen alle schutzwürdigen Schwächen des Opfers genannt seien und daß jemand, der handele, ohne daß — ausnahmsweise — diese Voraussetzungen gegeben seien, „allein deswegen, weil er leichtsinnig ist, keinen strafrechtlichen Schutz" verdient (Begr. BT-Drucks. 7/3441 S. 41). Bedenken, die gegen die Preisgabe des Merkmals des Leichtsinns im Hinblick auf die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf das vollendete 18. Lebensjahr geäußert wurden (vgl. Tröndle Prot. 7/2563), fanden keine Resonanz.

23

IV. Die Ausbeutung der Schwächesituation des Opfers. Der Täter muß eine der im Gesetz beschriebenen Schwächesituationen des Opfers ausbeuten, indem er sich oder einem Dritten im auffälligen Mißverhältnis zur eigenen Leistung stehende Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt. Mit dieser Umschreibung der Tathandlung folgt § 302 a dem vorangegangenen Recht (§§ 302 a, 302 f a. F.). Es liegt deshalb nahe, den Begriff des Ausbeutens im gleichen Sinn zu verstehen, wie dies nach dem alten Rechtszustand geschah. Nach der damals herrschenden Meinung beutete der Täter aus, wenn er die Schwächesituation des anderen zur Erlangung der übermäßigen Vermögensvorteile bewußt ausnutzte; eine darüber hinausgehende Absicht, zusätzliche innere Einstellung oder besondere Art der Ausführung war nicht erforderlich, während das bloße Streben nach Vermögensvorteilen allein noch nicht auss t a n d : 1. 9. 1992

(14)

Wucher

§ 302 a

reichte 4 . Dem folgte auch ganz überwiegend das Schrifttum. Nur vereinzelt wurde eine „Ausnutzung in besonders anstößiger Weise" gefordert (so ζ. B. Schörtke/Schröder 18. Aufl. § 302 f Rdn. 9 und dem folgend OLG Köln NJW 1976 119, 120). Dagegen entfernt sich das zu § 302 a η. F. erwachsene Schrifttum ζ. T. in größerem Ausmaß von der früher herrschenden Auslegung. Unter Berufung auf § 302 a Abs. 1 S. 2, wo von der Ausnutzung der Schwächesituation des Opfers zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils die Rede ist, wird gefolgert, aus dem Wechsel im Ausdruck ergebe sich, daß der Begriff der Ausbeutung ein anderer (engerer) als der (bloßen) Ausnutzung sein müsse. Ausbeuten erfordere danach „gewisse parasitäre, qualifizierte und anstößige Formen des Ausnutzens", die „besonders anstößige Ausnutzung", „eine qualifizierte Art des Ausnutzens" des Schwächezustandes (so Dreher/ Tröndle Rdn. 15; Lackner Rdn. 8; Sch/Schröder/Stree Rdn. 29; vgl. auch Scheu JR 1982 475; offengelassen in OLG Karlsruhe NJW 1988 1154,1158); gleiche Formulierungen wurden bereits bei den Erörterungen der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verwendet (TagBer Bd. VI S. 102 ff). Dem kann aber nicht zugestimmt werden (ebenso Arzt/Weber IV Rdn. 282; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 43 II C; Otto BT S. 285 u. NJW 1982 2745,2749). Die Berufung auf den Ausdruckswechsel in § 302 a Abs. 1 S. 2 versagt; er war notwendig, um deutlich zu machen, daß zur Erfüllung des Tatbestandes der Additionsklausel nicht das durch das auffällige Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnete „Ausbeuten", sondern nur das Ausnutzen der Schwäche zur Erzielung eines übermäßigen Vorteils erforderlich sei, der „nicht das Niveau des auffälligen Mißverhältnisses erreicht" (dazu Rdn. 41). Damit entfällt aber der Anlaß, abweichend von der bisherigen Auslegung des Begriffs des Ausbeutens, dieses Merkmal durch unbestimmte und schwer faßbare Unrechtselemente anzureichern. Ausbeuten ist danach nur ein terminus technicus für ein Verhalten, das auf die Ausnutzung eines Schwächezustandes zur Erzielung einer in auffälligem Mißverhältnis zur Leistung stehenden Gegenleistung gerichtet ist (vgl. auch BGHSt. 30 280, 281 = JR 1982 473 m. Anm. Scheu), und die Umschreibung dieses Verhaltens mit Ausbeuten dient nur dazu, das sittliche Verwerfliche dieses Verhaltens auch verbal zum Ausdruck zu bringen (in diesem Sinne wohl auch Sturm JZ 1977 84, 86). Das ergibt sich übrigens auch eindeutig aus der Entstehungsgeschichte des § 302 a. Es war erwogen worden, das „Ausbeuten" durch „Ausnutzen" zu ersetzen, um das Anwendungsgebiet der Vorschrift zu erweitern, weil „ausbeuten" im Sinne eines besonders verwerflichen Handelns verstanden werden könne. Dieser Gedanke wurde auf die Erklärung des Regierungsvertreters hin aufgegeben, „ausbeuten" sei nach der Rechtsprechung nichts anderes als bewußtes Ausnutzen, „ausnutzen" sei aber weniger „plastisch" als „ausbeuten" (Prot. 7/2802). Für den Begriff des Ausbeutens ist es ohne rechtliche Bedeutung, wenn der Schuldner von Anfang an beabsichtigt, die versprochenen Wuchervorteile nicht zu gewähren. Ein Ausbeuten wird weiter nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Initiative für das Wuchergeschäft von dem Schuldner ausgegangen ist (so schon RGSt. 3 218, 219 f).

4

RGSt. S3 285, 286; RG DStR 1939 53, 55; BGHSt. 11 182, 187; BGH Urt. v. 10. September 1968 — 1 StR 304/68 bei Pfeiffer/Maul/Schulte § 302 a Nr. 2; vgl. ζ. B. auch RGZ 60 9.

(15)

Karl S c h ä f e r / H a g e n W o l f f

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

V. Das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung 1. Allgemeines 24

a) Die Gegenleistung, die der Täter sich oder einem Dritten versprechen oder gewähren läßt, muß ein Vermögensvorteil sein, der — der Begriff ist der gleiche wie ζ. B. in § 263 (RGSt. 20 279, 286) — nicht in Geld zu bestehen braucht (ζ. B. in Sach- und Dienstleistungen bestehen kann), aber in Geld bemeßbar sein muß. Es genügt ζ. B. beim Kreditwucher die Erteilung einer Vollmacht, über fremdes Eigentum zu verfügen (RG DStR 1939 53, 54).

25

b) Vergleich von Leistung und Gegenleistung. Ob der versprochene oder gewährte Vermögensvorteil in auffälligem Mißverhältnis zur Leistung des Wucherers steht, ist vom Standpunkt des Täters (Gläubigers) — nicht des Opfers — aus zu beurteilen (z.B. RGSt. 74 345, 349; Dreher/Tröndle Rdn. 22; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/ Stree Rdn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 II B). Das ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut („sich oder einem Dritten für ... Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die ..."), der bereits in § 302f a. F. verwendet wurde, um frühere Streitfragen (dazu in der 9. Aufl. Rdn. 13 zu § 302 a a. F.) auszuschließen. Es ist also unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Gesamtheit der vermögensrechtlichen Aufwendungen des Opfers mit den Vorteilen zu vergleichen, die dem Täter oder dem Dritten für die Leistung aus dem wucherischen Geschäft zufließen sollen oder zugeflossen sind; während es auf einen Vergleich der Leistung mit den Vorteilen, die das Opfer aus dem Geschäft erlangt oder sich verspricht, nicht ankommt 5 .

26

c) Liegen mehrere selbständige Geschäfte mit derselben Person vor, so ist eine Pauschalberechnung der einzelnen Fälle unzulässig (RG LZ 1914 Sp. 932). Jeder Fall muß besonders geprüft werden (RGSt. 60 216, 219; RG JW 1935 530, 531). Bei Verkoppelung der Geschäfte sind sämtliche Leistungen des Opfers der Summe der Leistungen des Gläubigers gegenüberzustellen. Wird ζ. B. ein Darlehensgeschäft zur Erlangung eines wucherischen Gewinns mit einem anderen Rechtsgeschäft (Verkauf von Grundstücken oder Waren, Abschluß von Versicherungsverträgen) verbunden, so sind die Vorteile, welche der Täter aus beiden Geschäften erlangt, zusammenzurechnen und mit seiner Gesamtleistung zu vergleichen (RGSt. 20 279, 281 f; RG Recht 1915 Nr. 2412; s. weiter OLG Karlsruhe JR 1985 167 m.krit. Anm. Otto). Ob und welche Vorteile das Opfer aus dem Geschäft erlangt, ist unerheblich (RGSt. 39 126, 129). Daher bleibt ein Gewinn außer Betracht, den der Verletzte durch Abnahme von Lotterielosen macht oder machen kann.

27

d) Auffällig ist das Mißverhältnis, wenn für den Kundigen sofort erkennbar ist, daß das Verhältnis von Leistung zur Gegenleistung nach den Umständen des Falles völlig unangemessen ist (RG H R R 1940 Nr. 835; allgemeine Meinung). Das ist selbstverständlich nicht so zu verstehen, als ob das Mißverhältnis ohne jegliche Prüfung gleich ins Auge springen müsse; es genügt, wenn nach Aufklärung des Sachverhalts im einzelnen ohne weiteres das Mißverhältnis aus dem beträchtlichen Unterschied zwischen der angemessenen und der tatsächlichen Leistung erkennbar ist (RG JW 1936 1281; OLG Stuttgart wistra 1982 36, 37). Dabei sind, wenn das Sichversprechenlassen und das Sichgewährenlassen zeitlich auseinderfallen, für die Beurteilung, ob ein auffälliges Mißverhältnis vorliegt, beide 5

So schon RGSt. 20 279, 282; 29 78, 82; 53 285, 286; 60 216, 219; RG JW 1935 530, 531; h. M.

auch im Schrifttum, ζ. B. Lackner Rdn. 3; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 11; Sturm JZ1977 84,85 f.

Stand: 1. 9. 1992

(16)

§ 302 a

Wucher

Zeitpunkte von Bedeutung (Dreher/Tröndle Rdn. 22; Hohendorf S. 108 ff; offengelassen in OLG Karlsruhe NJW 1988 1154, 1158; vgl. auch Rdn. 60). 2. Das auffällige Mißverhältnis beim Mietwucher im einzelnen a) Bedeutung von § 5 WiStG 1954. Für die Frage, wann unter Berücksichtigung al- 28 ler Umstände des Einzelfalles ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Leistung des Täters und den Vermögensvorteilen besteht, die er sich vom Opfer versprechen oder gewähren läßt, geben zunächst § 5 WiStG 1954 (vgl. zur Fassung Rdn. 1 sowie ergänzend Stemel Neues Wohnraummietrecht, M D R 1983 356, 362 f) und zu dessen einheitlicher Auslegung und Handhabung erlassene Richtlinien 6 dem Richter gewisse Anhaltspunkte. Nach § 5 WiStG 1954, der den gegen den Individualmietwucher durch § 302 a gewährten Strafschutz durch eine den „Sozialwucher" treffende Bußgeldvorschrift ergänzt, handelt ordnungswidrig, wer für die Vermietung unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen läßt oder annimmt. Als unangemessen hoch definiert § 5 Abs. 1 S. 2 WiStG 1954 Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen gezahlt werden, nicht unwesentlich übersteigen. Ob die geforderten (versprochenen oder angenommenen) Entgelte die üblichen Entgelte nicht nur unwesentlich überschreiten, ist also durch einen Vergleich mit der ortsüblichen Miete festzustellen (vgl. auch OLG Celle GA 1977 77; LG Frankfurt a. M. wistra 1984 236). Bei Festlegung der Grenze, ab welcher die ortsübliche Miete nicht unwesentlich überschritten wird, ist ein Aufschlag von 20% zugrunde zu legen. Die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze auf 20% wird auch in Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend als zutreffend angesehen (z.B. OLG Hamburg NJW 1983 1004; OLG Köln WoM 1980 36; OLG Stuttgart Z M R 1975 370; OLG Stuttgart NJW 1981 2365; LG Mannheim Z M R 1979 62 m. krit. Anm. Rohde). Vergleiche weiter, auch zu abweichenden Stellungnahmen, Meyer in Erbs/Kohlhaas § 5 WiStG 1954 Anm. 4 c und Schmidt-Futterer/Blank WohnraumschutzG D 21 ff; jeweils mit Nachweisen. b) Eine Ordnungswidrigkeit nach § 5 WiStG 1954 schlägt in Mietwucher um, wenn 29 es sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mieters, nicht nur um eine „nicht unwesentliche", sondern um eine grobe, ohne weiteres erkennbare Überschreitung des üblichen Entgelts handelt und die Tat unter Ausbeutung der in § 302 a bezeichneten Schwächesituation geschieht. Um einen einigermaßen tragfähigen Rechtsboden für die Beurteilung des auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu gewinnen, ist auch hier zunächst davon auszugehen, welche Entgelte in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von (nicht preisgebundenen) Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage und damit verbundene Nebenleistungen üblich sind 7 . Es kommt also auch hier grundsätzlich auf die ortsübliche Miete an. Diese ergibt sich nicht unmittelbar aus den gemeindlichen Mietspiegeln, denn diese werden in der Regel nicht jährlich aktualisiert, sondern nur fortgeschrieben, so daß sich Divergenzen zwischen Mietspiegel und aktuellen Mieten 6

7

S. Schmidt-Futlerer/Blank WohnraumschutzG D 68 ff ; Hinweis darauf in Nr. 239 RiStBV. BGHSt. 30 280, 281 = JR 1982 473 m.Anm. Scheu; OLG Köln NJW 1976 119; LG Darmstadt NJW 1972 1244; LG Darmstadt NJW 1975 549;

(17)

LG Mannheim Justiz 1976 518; Dreher/Tröndle Rdn. 23; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Stree Rdn. 13; Schmidt-Futterer/Blank WohnraumschutzG D 116; Schmidt-Futterer JR 1974 274, 277; grundsätzlich anders Samson SK Rdn. 24.

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

ergeben können. Es ist eventuellen Besonderheiten des in Betracht kommenden Kreises der Mietwucheropfer Rechnung zu tragen. Daher ist nicht nur ein angemessener Vermietergewinn, sondern auch das erhöhte Risiko des Vermieters, das sich aus der Person des Mieters und der Art der Benutzung ergeben kann (starke Abnutzung von Raum und Mobiliar, häufiger Mieterwechsel, Gefahr besonderer Mißhelligkeiten, Besorgnis der Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Mieters), zu berücksichtigen (BGHSt. 11 182, 184; Lackner Rdn. 4). Dagegen kann die Abwälzung überhöhter Gestehungskosten in Form der Kostenmiete (der zur Dekkung der laufenden Aufwendungen des Vermieters erforderliche Miete) grundsätzlich nicht das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ausschließen (BGHSt. 30 280, 281 f = JR 1982 473 m.Anm. Scheu; Arzt/Weber IV Rdn. 281; die für den früheren Rechtszustand abweichende Entscheidung BGHSt. 11 182, 183f ist aufgegeben; einschränkend Lackner Rdn. 4; abweichend Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 43 II Β; Otto BT S. 284). Denn das „würde, insbesondere bei Altbauten, dazu führen, daß der Vermieter unter Ausnutzung einer starken Wohnungsnachfrage die Kosten unrentabler oder unter unwirtschaftlichen Gesichtspunkten erworbener oder gehaltener Mietobjekte von Anfang an voll auf die Mieter abwälzen k ö n n t e . . . . Grundsätzlich muß eben der Vermieter das Vermieten unterlassen, der für seine Mieträume so hohe Aufwendungen hat, daß er zu deren Deckung den ortsüblichen Mietzins erheblich überschreiten müßte" (LG Darmstadt NJW 1975 549, 550 m. Anm. Göthling)s. Auf dieser Grundlage ist das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im allgemeinen (bei nicht preisgebundenden Räumen) bei einer Überhöhung von 50 % als gegeben anzusehen 9 . Bei Wohnraum mit gesetzlicher Preisbindung kann das auffällige Mißverhältnis schon bei einer geringeren Überhöhung angenommen werden (Schmidt-Futterer/Blank WohnraumschutzG D 120). 30

c) Wenn sich, wie bei der Vermietung an Dirnen, ein übliches Entgelt nicht feststellen läßt, ist von einem angemessenen Entgelt auszugehen (BayOblG GA 1961 86; a. M. OLG Hamm NJW 1972 1874 zu § 302f a. F.: Unanwendbarkeit der Strafvorschrift gegen Mietwucher).

31

d) Die unverhältnismäßig hohe Gegenleistung für die Vermietung kann in Geld oder anderen Vermögenswerten Leistungen bestehen. § 302 a würde ζ. B. anwendbar sein, wenn in einer Stadt, in der ein großer Mangel an Studentenzimmern besteht, ein Zimmer zwar zum üblichen oder sogar unter dem üblichen Preis für ein solches Zimmer an einen Studenten vermietet wird, als Gegenleistung neben dem Mietpreis an Geld aber vereinbart wird, daß er den Kindern des Vermieters unentgeltlich Nachhilfeunterricht erteile; und zwar in einem Umfang, daß dies die Möglichkeit eines ordnungsgemäßen Studiums ausschließt oder daß der Geldwert dieser Leistungen, 8

Vgl. auch den Fall OLG Köln NJW 1976 119: der Täter mietete viel zu teuer ein zum Abbruch bestimmtes Haus, um es nach provisorischer Instandsetzung zimmerweise an Gastarbeiter zu Preisen unterzuvermieten, die schon durch die Weitergabe seiner eigenen Gestehungskosten unverhältnismäßig hoch waren. 9 BGHSt. 30 280, 2 8 1 - JR 1982 473 m.Anm. Scheu-, OLG Köln NJW 1976 119, 120; OLG Köln WoM 1980 36; LG Darmstadt NJW 1972 1244; LG Frankfurt a.M. wistra 1984 236, 238; LG Köln Z M R 1975 367; LG Mannheim M D R

1977 159; LG Wiesbaden Z M R 1980 235; Dreher/Tröndle Rdn. 23; Lackner Rdn. 4; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 15; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT § 43 II Β; Schmidt Zum neuen strafrechtlichen Begriff der „Subvention" in § 264 StGB, GA 1979 121, 140; Schmidt-Futterer/ Blank WohnraumschutzG D 42, 119; SchmidtFutterer JR 1972 133, 134; Vollmer NJW 1983 555, 556; offengelassen von LG Köln WoM 1987 202 für eine primitive Behelfsunterkunft; a.M. Sasserath NJW 1972 711, der eine Überschreitung um 100% für erforderlich hält.

Stand: 1. 9. 1992

(18)

Wucher

§ 302 a

gemessen an dem sonst üblichen Entgelt für Nachhilfeunterricht, zusammen mit dem Mietpreis in Geld in auffälligem Mißverhältnis zu dem üblichen Entgelt für ein solches Studentenzimmer steht. 3. Das auffällige Mißverhältnis beim Kreditwucher im einzelnen a) Allgemeines. Wie in Rdn. 8 ausgeführt, hat § 302 a darauf verzichtet, den 32 wucherischen Vermögensvorteil an der Höhe des „üblichen Zinsfußes" zu messen. Doch spielt der Zinsfuß, allerdings in veränderter Gestalt, auch heute noch als Ausgangspunkt eine gewisse Rolle (dazu Canaris Der Zinsbegriff und seine rechtliche Bedeutung, NJ W1978 1891). Denn unter dem „üblichen Zinsfuß" war nicht etwa der gesetzliche Zinsfuß (§ 246 GBG, § 352 HGB), sondern die Gegenleistung zu verstehen, die in der fraglichen Gegend für Kreditgeschäfte, die unter ähnlichen Umständen abgeschlossen wurden, im redlichen Geschäftsverkehr üblich war (RGSt. 60 216, 218; RG JW 1935 530, 531; RG DStR 1939 53; BGH LM Nr. 1 zu § 302 d a. F.). Nun besteht die Gegenleistung des Kreditsuchenden vielfach nicht oder nicht nur in einem festen Satz des Kapitals. Das Gesetz (§ 4 der PreisangabenVO vom 4. März 1985, BGBl. I S. 580) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des „effektiven Jahreszinses", der mit der im Kreditwesen üblichen Genauigkeit in der Weise zu berechnen ist, „daß er alle bei regelmäßigem Kreditverlauf preisbestimmenden Faktoren erfaßt, die sich unmittelbar auf den Kredit und seine Vermittlung beziehen, und den Zinssatz beziffert, mit dem sich der Kredit, ausgehend von den tatsächlichen Zahlungen des Kreditgebers und des Kreditnehmers, auf der Grundlage taggenauer Verrechnung aller Leistungen und nachschüssiger Zinsbelastung gemäß § 608 BGB staffelmäßig abrechnen läßt". Zu den preisbildenden Faktoren gehören dabei auch Provisionen, Bearbeitungsgebühren, Restschuldversicherungen und Inkassogebühren (OLG Stuttgart wistra 1982 36, 37; vgl. auch BGHZ 80 153; BGH NJW 1982 2433; 1987 181). Zur Berechnung des Effektivzinses Nack/Wiese Berechnung der effektiven Jahreszinsen mit Hilfe der Stuttgarter Formel, wistra 1982 135 (vgl. auch Palandt/Heinrichs BGB 51. Aufl. § 246 Rdn. 6 f mit weiteren Nachw.; sowie ergänzend Rdn. 37). Indessen würde aber auch bei einer solchen Erweiterung des Begriffes des „Zinsfußes" die Feststellung seiner Üblichkeit Schwierigkeiten bereiten, weil alles auf den Einzelfall ankommt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß für die Anwendbarkeit des § 302 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 vielfach Personen als Opfer in Betracht kommen, die von Banken und Sparkassen keinen Kredit mehr erhalten und sich deshalb an Geldgeber wenden, die nicht die Voraussetzungen des Gesetzes über das Kreditwesen i. d. F. vom 11. Juli 1985 (BGBl. I S. 1472) erfüllen und die dabei u. U. durch die Kreditgewährung ein besonders hohes Risiko übernehmen. Anders als beim Mietwucher fehlt es daher beim Kreditwucher an einem einigermaßen festen Maßstab (OLG Karlsruhe NJW 1988 1154, 1156; OLG Stuttgart wistra 1982 36, 37; Lackner Anm. 3 b; Μaurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 II B); demgegenüber geht allerdings die StA Stuttgart bei einer Effektivverzinsung von mehr als 30 % von einem wucherisch übersetzten Zinssatz aus (JR 1980 160 m. Anm. Lenckner\ ebenso Sch/ Schröder/Stree Rdn. 16). Es läßt sich vielmehr nur auf Grund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalles entscheiden, ob ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt (s. auch Haberstroh NStZ 1982 265, 266 f; zu einer Generalisierung tendiert Nack M D R 1981 621, 622 0· Zu berücksichtigen sind insbesondere Wesen und Zweck des Geschäfts, die Lage des Geldmarkts, die Verlustgefahr (RG JW 1935 126; vgl. auch OLG Köln JMB1NRW 1969 93), die persönlichen Verhältnisse des Kreditnehmers (Prot. 7/2575), das Bestehen (19)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

und die Art von Sicherungen (RG DStR 1938 241, 242); bei Teilzahlungsfinanzierungsinstituten, die keinen Sondermarkt bedienen (OLG Stuttgart wistra 1982 36,37; vgl. auch z.B. B G H Z 8 0 153, 162ff), — neben dem bereits erwähnten Ausfallrisiko und den für den Verzugsfall getroffenen Regelungen — die Refinanzierungs- oder Gestehungskosten (BGH NStZ 1984 23 m.krit.Anm. Nack = JR 1984 251 m. krit. Anm. Otto\ OLG Karlsruhe NJW 1988 1154, 1156; beide Entsch. unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 23. November 1982 - 5 StR 667/82 —; Prot. 7/2572; a. A. Haberstroh NStZ 1982 265,267), soweit sie sich im Rahmen redlicher Geschäftskalkulation halten (BGH und OLG Karlsruhe aaO). Immerhin ergibt einen Ansatzpunkt zum Vergleich der sog. „Schwerpunktzins". Dabei handelt es sich um einen laufend in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichen Durchschnittspreis für Ratenkredite, der aus den Auskünften einer größeren Zahl von Kreditinstituten ermittelt wird (s. Zinsstatistik NJW 1991 2403; vgl. außerdem Haberstroh NStZ 1982 265, 267; Otto NJW 1982 2745,2746). Er erlaubt bei möglichen Vorbehalten gegen die Vollständigkeit des Überblicks eine ausreichende Abschätzung der Marktverhältnisse im allgemeinen. Liegt der effektive Jahreszins für einen Kredit um 100 % und mehr über dem Schwerpunktzins, spricht das recht deutlich für ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung (Lackner Rdn. 5; Nack M D R 1981 621, 623 f; Otto BT S. 285 u. NJW 1982 2745,2748 f); in diese Richtung geht auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte (vgl. ζ. B. BGHZ 80 153; 101 380, 390; BGH NJWRR 1989 1068; aber auch BGH BB 1990 1509,1511). Jedoch darf diese Leitlinie nicht als regelmäßige oder gar feste Grenze verstanden werden (in diese Richtung aber Hohendorf BB 1982 1205, 1209). 33

b) Weitere Kasuistik betreffend das auffällige Mißverhältnis bei Kreditgeschäften läßt sich aus den Ergebnissen der zivilrechtlichen Rechtsprechung zu § 138 Abs. 2 BGB entnehmen. Diese durch Art. 3 des 1. WiKG vom 29. Juli 1976 (BGBl. I S. 2034) neu gestaltete Vorschrift, die dem Tatbestand des § 302 a Abs. 1 S. 1 nachgebildet ist, enthält zwar keine dem § 302 a Abs. 1 S. 2 entsprechende Bestimmung (Additionsklausel). Deren Aufnahme, die zunächst erwogen worden war (vgl. Prot. 7/2834 f und 2843), ist aber nur unterblieben, weil der BT-Sonderausschuß davon ausging, „daß die Gerichte bei der Rechtsprechung zu § 138 Abs. 2 BGB ohnehin den gesamten Sinngehalt des § 302 a StGB berücksichtigen werden" (Ausschußbericht BT-Drucks. 7/5291 S. 22). Die Additionsklausel des § 302 a Abs. 1 S. 2 ist also auch für die zivilrechtliche Beurteilung heranzuziehen (z.B. Palandt/Heinrichs BGB 51. Aufl. § 138 Rdn. 66; Bender NJW 1980 1129, 1133; Canaris Der Zinsbegriff und seine rechtliche Bedeutung, NJW 1978 1891, 1895; Müller-Emmert/Maier Das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, NJW 1976 1657, 1664; a. M. Rittner Betrieb 1980 Anl. 16 S. 8). Wegen der Nachweise zur zivilrechtlichen Behandlung des Kreditwuchers vergleiche Palandt/Heinrichs BGB 51. Aufl. § 138 Rdn. 25 ff, 67; Soergel/ Hefermehl BGB 12. Aufl. § 138 Rdn. 86 ff; Otto NJW 1982 2745; jeweils mit weiteren Fundstellen. Dabei ist zu beachten, daß die zivilrechtliche Rechtsprechung häufig auf § 138 Abs. 1 BGB zurückgreift. Das am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Verbraucherkreditgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2840) enthält keine Vorschriften über Sittenwidrigkeit von Ratenkrediten.

34

4. Das auffällige Mißverhältnis beim Leistungswucher im einzelnen. Auch beim Leistungswucher fehlt es, ebenso wie beim Kreditwucher, an einer gesetzlichen Vorschrift, die einen allgemeinen verläßlichen Ausgangspunkt für die Beurteilung bieten könnte, wann der Wert der Leistung — des vertragsmäßig zu Gewährenden, nicht Stand: 1. 9. 1992

(20)

Wucher

§ 302 a

dessen, was tatsächlich gewährt wird (RGSt. 29 78, 84) — in auffälligem Mißverhältnis zur Gegenleistung steht. Unproblematisch sind die Fälle, in denen, wenn auch mit einem gewissen Ermessensspielraum, die Gegenleistung für eine Leistung gesetzlich oder in einer anderen verbindlichen Form festgelegt ist, wie etwa bei Leistungen des Rechtsanwalts oder Arztes. Für Preisüberhöhungen in einem anderen Beruf oder Gewerbe bestimmt § 4 WiStG 1954 (vgl. zur Fassung Rdn. 1), daß ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig in befugter oder unbefugter Betätigung in einem Beruf oder Gewerbe für Gegenstände oder Leistungen des lebenswichtigen Bedarfs Entgelte fordert, vereinbart oder annimmt, die infolge einer Beschränkung des Wettbewerbs oder infolge der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung oder einer Mangellage unangemessen hoch sind. Diese Vorschrift ist aber für § 302 a nicht nur deshalb unergiebig, weil sie heute auf fast allen Wirtschaftsgebieten kaum noch von praktischer Bedeutung ist (Meyer in Erbs/Kohlhaas Anm. 1 zu § 4 WiStG 1954), sondern auch, weil sie keinen Anhaltspunkt dafür gibt, wann das Entgelt unangemessen hoch ist, und damit keine Rückschlüsse ermöglicht, wann eine unangemessene Höhe in ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung umschlägt. Im Zeichen der freien Marktwirtschaft und des Konkurrenzkampfes läßt sich aber wohl fast überall, wenn auch mit einer mehr oder weniger weitreichenden Bandbreite — das Luxushotel kalkuliert anders als eine einfache Pension; in der großstädischen Nachtbar kostet die Flasche Bier mehr als in der Diskothek und dort mehr als an der Trinkhalle; der Einzelhändler rechnet auch bei Luxusgegenständen anders als das Warenhaus, der Versandhandel oder der Supermarkt —, in Handel und Gewerbe ein als Ausgangspunkt verwertbarer angemessener Preis der Leistung feststellen, der die Grundlage für die Beurteilung abgibt, wann eine Überschreitung dieses Preises in auffälligem Mißverhältnis zu der Leistung steht. Grundsätzlich ist also auf den Marktpreis abzustellen (BayObLG NJW 1985 873 = JR 1985 166 m. Anm. Otto). Im übrigen spielt hier das Problem des sog. gerechten Preises, bei dem auch individuelle Besonderheiten, ζ. B. überdurchschnittlich erhöhte Gestehungskosten, zu berücksichtigen waren (dazu RGSt. 74 345; vgl. auch BGHSt. 11 182,184), keine Rolle mehr (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 25; Sch/Schröder/Stree Rdn. 18). Nur bei völlig aus dem Rahmen fallenden Leistungen, wo es an jeder Preisbestimmung durch Angebot und Nachfrage oder sonstiger Üblichkeit fehlt — ζ. B. bei Leistungen zur Rettung aus Gefahr für Leib und Leben — müßte notfalls auf den „gerechten" Preis zurückgegriffen werden, der aber, etwa nach dem Vorbild des § 315 BGB, kaum anders als ex aequo et bono gefunden werden könnte (Lackner Rdn. 3 u. 7; kritisch Bernsmann GA 1981 141, 156 0Denn hier reicht die Leistung von Maßnahmen unter eigener Lebensgefahr bis zu ungefährlichen Maßnahmen (vgl. das in Prot. 7/2793 gebildete Beispiel: Wucher, wenn der im brennenden Haus Befindliche eine Hilfeleistung in Form des ungefährlichen Anstellens einer Leiter von einem Vorbeikommenden nur durch das Versprechen von 50000 DM erreicht). Im Antiquitätenhandel (einschl. des Handels mit seltenen Münzen und Briefmarken) gibt es bei sehr seltenen Objekten möglicherweise keinen irgendwie zu ermittelnden üblichen oder „gerechten" Preis; es entzieht sich jeder strafrechtlichen Beurteilung, wenn der leidenschaftliche Sammler einen noch nie dagewesenen Preis vereinbart, um sich auf jeden Fall das Stück vor etwaigen Konkurrenten zu sichern. Wucher durch Ausbeutung der Unerfahrenheit kann dagegen vorliegen, wenn jemand, der vom Wert alter Münzen keine Ahnung hat, eine ihm gehörende unscheinbare, aber seltene Münze dem Münzhändler zum Verkauf anbietet (21)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

und dieser, die Unerfahrenheit des Verkäufers und den Wert der Münze erkennend, sie um einen Preis kauft, der für jeden Kundigen in auffälligem Mißverhältnis zu dem Preis steht, den der Münzhändler ohne Schwierigkeiten bei einem Verkauf an Sammler erzielen wird. Ob ein solches Verhalten nicht schon den Tatbestand des Betrugs erfüllt, kann hier unerörtert bleiben. Schwierigkeiten, ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen, können sich ebenfalls bei verbotenen oder sittenwidrigen Leistungen ergeben. Das betrifft zum Beispiel Drogenverkauf, Prostitutionsausübung, aber auch Fälle illegalen Schwangerschaftsabbruchs. Insoweit wird man gleichfalls, sofern man auf die Anwendung von § 302 a nicht überhaupt verzichten will, letztlich auf den tatsächlichen Marktpreis als Bemessungsgrundlage abstellen müssen (a. M. Bernsmann GA 1981 141, 157 ff; vgl. dazu auch Samson SK Rdn. 25 a f u n d Sickenberger S. 98 ff). 35

5. Das auffällige Mißverhältnis beim Vermittlungswucher im einzelnen. Bei diesem kommt es nicht darauf an, ob die Leistung des Dritten, die vermittelt wird, wucherisch ist, sondern ob die eigene Leistung des Vermittelnden in auffälligem Mißverhältnis zur Gegenleistung des die Vermittlung in Anspruch Nehmenden steht. Jedoch kann Vermittlungswucher auch schon darin liegen, daß zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Wert, den die zu vermittelnde Leistung für den Auftraggeber hat, ein auffälliges Mißverhältnis besteht (vgl. R G Z 90 400,402; Mormann WM 1968 954, 956 f). Vermittler kann jedermann sein, dessen Leistung in der Herbeiführung der Bereitschaft eines Dritten zum Abschluß eines Geschäfts besteht; vorzugsweise kommen aber in Betracht Makler (§§ 652 ff BGB), Handelsmakler (§§ 93 ff HGB), Wohnungs- und Kreditvermittler. Für Wohnraumvermittler (vgl. dazu Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 4. November 1971, BGBl. I S. 1747) enthält § 6 WiStG 1954 (zur Fassung vgl. Rdn. 1) eine Bußgeldvorschrift gegen Preisüberhöhung 10 . Dieser Sondervorschrift für Wohnungsvermittler kommt insofern allgemeine Bedeutung zu, als sie als Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob bei Anwendung der § 302 a Abs. S. 1 Nr. 4 ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Vermittlerleistung und der Gegenleistung besteht, auf die für eine solche Tätigkeit üblichen Entgelte in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden verweist (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 26; Sch/Schröder/Stree Rdn. 17). Für die Ortsüblichkeit der Entgelte sind, soweit örtliche Maklerverbände bestehen, deren Gebührensätze maßgebend (LG Hamburg NJW1971 1411, 1412); und zwar auch dann, wenn der Täter nicht dem Verband angehört (BayObLGSt. 1966 100, 104). Auch hier ergibt sich eine Unangemessenheit des Entgelts durch eine abstrakte Gegenüberstellung des versprochenen oder gewährten Entgelts mit dem ortsüblichen Entgelt, wobei auch hier die im Einzelfall entstandenen besonders hohen Gestehungskosten des Vermittlers grundsätzlich außer Betracht bleiben (Meyer in Erbs/Kohlhaas Anm. 6 c zu § 6 WiStG 1954). Maßstäbe dafür, wann nicht nur ein übermäßiges Entgelt (das sanktionsrechtlich nur bei der Wohnungsvermittlung bedeutsam ist), sondern ein unter Ausnutzung des Schwächezustandes des Vertragsgegners erzieltes und in auffälligem Mißverhältnis zur Leistung des Vermittlers stehendes Entgelt vorliegt, scheinen sich bisher nicht gebildet zu haben; es liegt jedenfalls bei einer Überschreitung von 50 % an vor (Rdn. 29).

10

Absatz 1 der Vorschrift lautet: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig für das Vermitteln einer Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundenen Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich

versprechen läßt oder annimmt. Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die ortsüblichen Entgelte nicht unwesentlich übersteigen."

Stand: 1. 9. 1992

(22)

§302 a

Wucher

VI. Die Additionsklausel (Absatz 1 S. 2) 1. Allgemeine Bedeutung. Die gegenüber dem bisherigen Recht neue Vorschrift, 36 die hauptsächlich Erscheinungen beim Kreditwucher im Auge hat, aber auch für alle anderen Wucherformen gilt, erweitert die Vorschrift des Absatzes 1 S. 1 dahin, daß unter den in der Additionsklausel beschriebenen Voraussetzungen als Wucherer bestraft wird, wer die Schwächesituation des Opfers nicht zur Erzielung einer in auffälligem Mißverhältnis zur Leistung stehenden Gegenleistung ausbeutet, sondern sie zur Erzielung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnutzt, der den Grad des auffälligen Mißverhältnisses noch nicht erreicht. 2. Mitwirkung mehrerer Personen a) Satz 2 geht von dem Fall aus, daß beim Zustandekommen einer Kreditgewäh- 37 rung außer dem Kreditgeber noch andere Personen mitwirken, ζ. B. ein Vermittler (vgl. zur zivilrechtlichen Sicht insbes. BGHZ 80 153, 166 f; BGH NJW 1987 181), ein Unternehmen, das Auskunft über die wirtschaftliche Lage und Kreditwürdigkeit des Kreditsuchenden erteilt, ein Versicherungsagent, an den für den Abschluß einer Rückzahlungsversicherung Zahlungen zu entrichten s i n d " , und die Summe aller Vermögensvorteile, die die Mitwirkenden sich oder einem Dritten von dem Kreditsuchenden versprechen oder gewähren lassen, in auffälligem Mißverhältnis zu der Gesamtheit der Leistungen für den Kreditnehmer steht. In einem solchen Fall ist ohne weiteres Absatz 1 S. 1 anwendbar, wenn jeder einzelne an der Kreditverschaffung Mitwirkende Täter im Sinne dieser Vorschrift ist; ζ. B. der Vermittler sich eine Provision oder Bearbeitungsgebühr versprechen läßt, die zu seiner Leistung in auffälligem Mißverhältnis steht. Ebenso ist es problemlos, wenn die einzelnen Mitwirkenden Beteiligte an der Ausbeutungstat sind (vgl. RG Recht 1913 Nr. 1682). Das erschien rechtspolitisch aber nicht ausreichend. Vielmehr sollten auch die Fälle strafrechtlich erfaßt werden, in denen sich bei dem fraglichen Rechtsgeschäft mehrere Personen einschalten, die unter Ausnutzung der Schwäche des Opfers ihm jeweils zwar übermäßige, aber den Grad des aufälligen Mißverhältnisses noch nicht erreichende Gegenleistungen abverlangen und dabei wissen oder billigend in Kauf nehmen, daß die Gesamtheit der übermäßigen Vorteile in einem auffälligen Mißverhältnis zur Gesamtheit der Leistungen steht (Begr. BT-Drucks. 7/3441 S. 40). Der Regierungsentwurf sah zur Verwirklichung dieses Gedankens folgende Fassung des Satzes 2 vor: „Wirken mehrere Personen als Leistende, Vermittler oder in anderer Weise mit, so sind bei der Feststellung, ob ein auffälliges Mißverhältnis vorliegt, sämtliche Vermögensvorteile, die dem Leistenden, dem Vermittler oder anderen mitwirkenden Personen versprochen oder gewährt werden, mit sämtlichen Gegenleistungen zu vergleichen, die dem anderen versprochen oder gewährt werden". b) In dieser Fassung kam aber das, was nach der Begründung gewollt war, nur un- 38 vollkommen und mißverständlich zum Ausdruck. Denn sie Schloß mindestens die Auslegung nicht aus, daß Satz 2 auch denjenigen der Mitwirkenden treffe, der sich für seine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die dazu in 11

Zum Problem der — in den Vergleich zwischen Gesamtvorteilen und -gegenleistungen einzubeziehenden — Restschuldversicherung siehe OLG Stuttgart wistra 1982 36, 37; StA Stuttgart JR 1980 160, 161 (offengelassen) m. Anm. Lenckner \ offengelassen auch von OLG Karlsruhe NJW 1988 1154, 1158. Zur zivilrechtlichen Beurteilung

(23)

der mit einer Restschuldversicherung im Rahmen des § 138 BGB verbundenen Probleme vergleiche BGHZ 80 153,167 ff; BGH NJW 1982 2433; 1988 1661; sowie Rittner Der Beitrag zur RestschuldLebensversicherung und der Darlehensvertrag, Betrieb 1980 Beilage 16.

Karl S c h ä f e r / H a g e n W o l f f

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

einem angemessenen Verhältnis stehen, sofern er nur weiß oder billigend in Kauf nimmt, daß infolge der von den anderen Mitwirkenden erstrebten oder erlangten unangemessenen Gegenleistungen die Gesamtheit der Leistungen in einem auffälligen Mißverhältnis zur Gesamtheit der Gegenleistungen steht. Eine solche Diskriminierung des „seriösen" Mitwirkenden wurde aber weithin als unvertretbare Ausweitung der Strafvorschrift angesehen. In diesem Sinne ging der Wunsch des Bundesrats in seiner Stellungsnahme zu § 302 a des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 7/3441 S. 52) in Übereinstimmung mit Vorschlägen des Deutschen Richterbundes und des Wirtschaftsverbandes Teilzahlungsbanken e. V. (Prot. 7/2628) dahin, Absatz 1 S. 2 solle im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Fassung erhalten, „die gewährleistet, daß von dem Tatbestand des Wuchers nur derjenige erfaßt wird, der selbst das Opfer ausbeutet, also für sich in anstößiger Weise zur Erzielung übermäßigen Gewinns ausnutzt; Täter soll nicht sein, wer für die von ihm erbrachte Leistung eine angemessene Gegenleistung verlangt". Die Bundesregierung erklärte darauf in ihrer Gegenäußerung, sie werde im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Fassung des § 302 a Abs. 1 S. 2 vorschlagen, die den Bedenken des Bundesrats Rechnung trage (BT-Drucks. 7/3441 S. 55). Die Wuchervorschrift des Alternativ-Entwurfs (Prot. 7/2607) sah die Lösung in dem förmlichen Ausspruch, daß die Additionsklausel nicht gelte „für denjenigen, der sich Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem angemessenen Verhältnis zu seiner eigenen Leistung stehen; die Vorschriften über die Teilnahme bleiben unberührt" 1 2 . 39

c) Der von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Vorschlag einer neuen Fassung des § 302 Abs. 1 S. 2 ließ aber zunächst auf sich warten. Denn bei den mit Anhörung von Sachverständigen verbundenen Beratungen des BT-Sonderausschusses fanden sich zuerst auch Stimmen, die für die Beibehaltung der Fassung des Regierungsentwurfs eintraten. Das geschah allerdings aus verschiedenen Gründen. Nach der einen Auffassung bedurfte es keiner Änderung, weil die Freistellung des „seriös" Handelnden sich schon bei einer sinnvollen Auslegung ergebe (vgl. Prot. 7/2806, 2808 f). Nach anderer Meinung sollte die Fassung gerade deshalb bleiben, weil sie die Auslegung ermögliche, daß auch als Wucherer bestraft werde, wer zwar für die eigene Leistung sich nur eine angemessene Gegenleistung versprechen oder gewähren lasse, aber davon Kenntnis habe, daß durch überhöhte Forderungen der anderen Beteiligten die Summe der Leistungen in auffälligem Mißverhältnis zur Summe der Gegenleistungen stehe. Denn unter dieser Voraussetzung trage auch der „seriöse", sich mit einem angemessenen Entgelt für seine Leistung begnügende Mitwirkende dazu bei, daß schließlich die Summe der Leistungen in auffälligem Mißverhältnis zur Summe der Gegenleistungen des Opfers stehe. Gerade nach dieser Richtung den Strafschutz des Opfers zu verbessern, sei rechtspolitisch erwünscht. Ein seriöses Kreditinstitut müsse eben auch die Kreditgewährung zu angemessenem Zinsfuß ablehnen, wenn es wisse, daß durch die Summe übermäßiger Leistungsentgelte in Form von Provisionen, Bearbeitungsgebühren usw., die die übrigen Mitwirkenden sich versprechen oder gewähren ließen, eine Belastung des Opfers entstehe, die in auffäl12

Dieser Fassungsvorschlag bezweckte allerdings nicht nur die Klarstellung, daß der „seriös" Handelnde nicht von der Additionsklausel erfaßt werde, sondern sollte einer Auslegung der Fassung des Regierungsentwurfs entgegenwirken, daß ein Täter, der für seine Leistung eine dazu in auffälligem Mißverhältnis stehende Gegenleistung erstrebe, der Strafbarkeit entgehe, wenn

sich bei der Addition aller Leistungen und Gegenleistungen ergebe, daß insgesamt kein auffälliges Mißverhältnis vorliege (vgl. Prot. 7/2805). Gegenüber der Gesetz gewordenen Fassung des Absatzes 1 S. 2 kann ein solches Mißverständnis nicht aufkommen (vgl. Ausschußbericht BTDrucks. 7/5291 S. 20,21).

Stand: 1. 9. 1992

(24)

Wucher

§ 302 a

ligem Mißverhältnis zu der Gesamtheit der von seinen Kontrahenten demgegenüber erbrachten Leistungen stehe (vgl. Prot. 7/2570 f, 2808). Von den Gegnern einer Einbeziehung des „seriös" Handelnden wurde demge- 40 genüber auf die für den Kreditsuchenden nachteiligen Folgen einer solchen Lösung hingewiesen. Wenn nämlich der in einer Zwangslage befindliche Kreditsuchende, der sich bisher vergeblich um einen Kredit bemüht habe, endlich einen Vermittler finde, der ihn nach Zahlung einer (übermäßigen) Vermittlungsgebühr von 28% einem serösen Kreditinstitut zuführe, so sei diesem, wenn es um die Höhe der Vermittlungsgebühr wisse, auch eine Kreditgewährung zu dem (an sich der Lage des Falles) angemessenen Zinsfuß von 12% verboten, weil sich sonst eine wucherische Gesamtbelastung des Opfers ergebe. Das Kreditinstitut stehe dann nur vor der Wahl, entweder mit seinem eigenen Zinssatz so weit herunterzugehen, daß kein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Gesamtheit der Leistungen mehr bestehe, oder den Kredit zu versagen. Es werde dann zweifellos den letzteren Weg mit der Folge wählen, daß der Kreditsuchende den dringend benötigten Kredit nicht erhalte, aber praktisch die schon gezahlte Provision als verloren ansehen müsse (vgl. Prot. 7/2573, 2808). d) Diese Auffassung setzte sich schließlich durch. Auch der Versuch, die Fassung 41 des Regierungsentwurfs mit der Begründung aufrechtzuerhalten, ihr sei im Wege der Auslegung zu entnehmen, daß Täter i. S. des Absatzes l S. 2 nicht sei, „der an einem Kettengeschäft beteiligt sei und nur den normalen Zinssatz verlange" (Prot. 7/2808, 2809), fand keine Zustimmung mehr gegenüber dem Hinweis, daß nach der Auffassung von Bundesrat und Bundesregierung die Fassung des Regierungsentwurfs einer Klarstellung in diesem Sinne bedürfe. Die nunmehr als Formulierungshilfe des Bundesjustizministeriums vorgeschlagene Neufassung des Absatzes 1 S. 2 (Prot. 7/2813: „Wirken mehrere Personen ..., so gilt Satz 1 für jeden, der die Zwangslage oder sonstige Schwäche des anderen ausbeutet") erwies sich allerdings insofern als ungeeignet, als sie nur dann das Gewollte zum Ausdruck brachte, wenn „ausbeutet" in Satz 2 nicht synonym mit „ausbeutet" in Absatz 1 S. 1 verstanden, sondern dahin ausgelegt wird, daß damit nur die Erzielung eines übermäßigen Vorteils gemeint ist, der nicht den Grad eines auffälligen Mißverhältnisses erreicht. Um solche Auslegungsprobleme zu erübrigen, beschloß der Sonderausschuß die Gesetz gewordene Fassung des Satzes 2 (Prot. 7/2811, 2846). e) Folgerungen. Aus dem Täterkreis nach Satz 2 scheidet also ein Mitwirkender, 42 der für seine Einzelleistung nur einen angemessenen Vermögensvorteil erzielen will, auch dann aus, wenn er weiß, daß durch das Verhalten der übrigen Mitwirkenden die auf der Gläubigerseite insgesamt erstrebten Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnis zur Gesamtheit ihrer Leistungen stehen. Die Herausnahme dessen, der nur ein angemessenes Entgelt seiner Teilleistung erstrebt, aus dem Bereich des Satzes 2 schließt aber eine Bestrafung nach Absatz 1 S. 1 nicht aus, wenn seine Mitwirkung zugleich eine Teilnahme an der Tat einer nach Absatz 1 S. 1 strafbaren Person darstellt. Bei den Mitwirkenden im Sinne des Satzes 2 ist die Strafgrenze des Wuchers insofern vorverlegt, als schon das Erstreben eines übermäßigen Vermögensvorteils die Strafbarkeit begründet, sofern bei Wertung des Gesamtgeschäfts die Summe der gewährten oder versprochenen Entgelte auf der Gläubigerseite in auffälligem Mißverhältnis zur Gesamtheit ihrer Leistungen steht. Übermäßig ist ein Vermögensvorteil, wenn er unangemessen hoch ist, d. h. die üblichen und angemessenen Entgelte nicht unwesentlich übersteigt (vgl. die auch hier verwendbare Begriffsbestimmung in §§ 4, 5 WiStG 1954).

(25)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

43

3. Zum Begriff der Mitwirkung im Sinn des Satzes 2 gehört die Beteiligung mehrerer Personen auf der Gläubigerseite an einem aus wirtschaftlicher Sicht einheitlichen Geschäftsvorgang (vgl. Ausschußbericht BT-Drucks. 7/5291 S. 20; s. auch Lenckner JR 1980 161, 162) mit Leistungen in verschiedenen Rollen einschließlich Nebenrollen. Auf die Art der Mitwirkungsleistungen im einzelnen kommt es nicht an („oder in anderer Weise"); wesentlich ist nur, daß sie in einem inneren Zusammenhang mit dem einheitlichen Geschäftsvorgang stehen (über Beispiele beim Kreditgeschäft vgl. Rdn. 37). Eine Mehrheit selbständiger Geschäftsvorgänge wird nicht dadurch zu einem einheitlichen Geschäftsvorgang verbunden, daß sie der Verwirklichung eines bestimmten Vorhabens dienen sollen, ζ. B. wenn ein Bauwilliger die Erlangung eines für sein Bauvorhaben benötigten Kredits dadurch betreibt, daß er mehrere Kreditinstitute zur Erlangung von Teilbeträgen angeht (Lackner Anm. 5).

44

Im Einzelfall und insbesondere außerhalb des Kredit- und Mietwuchers kann freilich zweifelhaft sein, wie weit der Kreis der Mitwirkenden im Sinn des Absatzes 1 S. 2 zu ziehen ist. Schon bei den Beratungen im BT-Sonderausschuß wurde die Frage aufgeworfen, ob unter die Additionsklausel auch der Taxifahrer falle, der zu überhöhtem Preis die Schwangere zur Abtreibungsklinik oder einen Gastarbeiter, der schwarz über die Grenze gekommen sei, zum Wohnungsvermittler fahre und genau wisse, daß dort die Zwangslage des Opfers ausgebeutet werde; oder auch ein Zeitschriftenverlag, der zu überhöhtem Preis Annoncen von Kreditvermittlern veröffentliche, bei denen sofort erkennbar sei, daß es sich um wucherische Konditionen handele. Diese Frage hatte der Regierungsvertreter mit Bezug auf den Taxifahrer unter der Voraussetzung, daß die Summe der unangemessenen Gewinne den Grad eines auffälligen Mißverhältnisses erreiche, bejaht, ohne Widerspruch zu finden (Prot. 7/2807). Ist dies richtig, so muß neben dem Taxifahrer auch der Hotelbesitzer oder der sonst Unterkunft Gewährende als Mitwirkender in der Additionskette angesehen werden, der die Schwangere in Kenntnis der Zwangslage und der Preisgestaltung in der Abtreibungsklinik zu überhöhtem Preis vor und nach dem Schwangerschaftsabbruch aufnimmt. Nach Sch/Schröder/Stree Rdn. 31 sind im Beispielsfall des Schwangerschaftsabbruchs der Taxifahrer und der Hotelbesitzer Mitwirkender, während Sturm (JZ 1977 84, 87 Anm. 29) dies als problematisch ansieht. Und in der Tat ist eine solche Ausweitung des Täterbegriffs problematisch; geht man so weit, so ist es schwer, eine Grenze zu ziehen. Es müßten oder könnten dann auch — immer unter der Voraussetzung, daß ein übermäßiges Entgelt für die Leistung verlangt wird und nicht schon die Voraussetzungen einer Teilnahme am Wucher im Sinne des Absatzes 1 S. 1 vorliegen — in die Täterkette des Absatzes 1 S. 2 einbezogen werden etwa der Friseur, der, um den Plan der Schwangeren wissend, sich auf dem Weg zur Abtreibungsklinik unkenntlich zu machen, ihr eine Perücke verkauft und anpaßt; oder der Händler, der dem Amüsierlokal die Alkoholica liefert, die dort zu Wucherpreisen ausgegeben werden usw. Gegen eine solche Einbeziehung der nur entfernt und mittelbar Mitwirkenden spricht auch, daß dem Gesetzgeber bei der Konstruktion der Additionsklausel hauptsächlich der Kreditwucher mit einem einigermaßen deutlich umrissenen Kreis der Mitwirkenden vorschwebte.

45

4. Die einzubeziehenden Einzelentgelte. Bei der Feststellung, ob die Summe der Entgelte ein auffälliges Mißverhältnis gegenüber der Summe der Leistungen erreicht, werden alle Einzelentgelte, auch und insbesondere solche mitgerechnet, die in auffälligem Mißverhältnis zu der gegenüberstehenden Teilleistung stehen, so daß der hinter dieser Teilleistung stehende Mitwirkende schon aus Absatz 1 S. 1 strafbar ist. WeStand: 1. 9. 1992

(26)

Wucher

§302 a

der der Wortlaut (insoweit anders Dreher/Tröndle Rdn. 28) noch die Entstehungsgeschichte des Satzes 2 schließen eine solche Auslegung aus. Der Annahme, das auffällige Mißverhältnis zwischen der Gesamtheit der Leistungen und Gegenleistungen dürfe sich allein aus der Addition lediglich übermäßiger Vorteile ergeben, würde auch das logische Bedenken entgegenstehen, daß das Zusammenzählen mehrerer übermäßiger Vermögensvorteile für Teile eines einheitlichen Geschäfts nicht zu dem Mehr des auffälligen Mißverhältnnisses von Vorteil und Gegenleistung bezogen auf das Gesamtgeschäft führen kann; es sei denn eine Gesamtbetrachtung führt zu einer Verschiebung der Bewertung für die Teile des einheitlichen Geschäfts (vgl. auch die allerdings teilweise abweichenden Überlegungen von Hohendorf S. 1510· Satz 2 greift damit auch dann Platz, wenn das auffällige Mißverhältnis bei einer Teilleistung für sich zwar noch nicht das auffällige Mißverhältnis der addierten Vermögensvorteile im Verhältnis zu der Gesamtgegenleistung ergibt, weil einzelne Mitwirkende sich mit angemessenen oder darunter liegenden Entgelten begnügen und erst die Hinzurechnung der übrigen — übermäßigen, aber noch nicht in auffälligem Mißverhältnis stehenden — Entgelte das auffällige Mißverhältnis auf der Gläubigerseite begründet. Aber auch da, wo bereits eine auffällig unverhältnismäßig honorierte Leistung die Gesamtheit der Schuldnerleistung unverhältnismäßig macht, soll die in Satz 2 angeordnete Vorverlegung der Wuchergrenze denjenigen treffen, der das auffällige Mißverhältnis der Gesamtheit der Entgelte durch Streben nach (nur) übermäßigen Vermögensvorteilen noch vergrößert (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 28; Lackner Rdn. 9; Sch/Schröder/Stree Rdn. 32). 5. Dogmatisch läßt sich die Täterschaft aus Satz 2 als eine besondere Form der Ne- 46 bentäterschaft charakterisieren, weil der strafbare Erfolg — das auffällige Mißverhältnis der Vermögensvorteile aus dem Gesamtgeschäft auf der Gläubigerseite zur Gesamtheit ihrer Leistungen an das Opfer — durch die Mitwirkung mehrerer Personen zustande kommt, die nicht als Mittäter oder Teilnehmer verbunden sind (Dreher/Tröndle Rdn. 27; Sch/Schröder/Stree Rdn. 33 f). Von dem, was man üblicherweise unter Nebentäterschaft versteht (vgl. Roxin LK § 25 Rdn. 160f), hebt sich diese Form der Nebentäterschaft entscheidend durch den erforderlichen Vorsatz ab, wobei bedingter Vorsatz genügt: Der Täter muß — abgesehen von der Übermäßigkeit des Vermögensvorteils durch Ausnutzung der Schwächesituation des Opfers — um den Eintritt des Erfolgs (des auffälligen Mißverhältnisses bei Addition) als Folge des Verhaltens der übrigen Mitwirkenden wissen (abweichend für § 138 Abs. 2 BGB Canaris Der Zinsbegriff und seine rechtliche Bedeutung, NJW 1978 1891,1895). 6. Im Schrifttum hat die Additionsklausel Kritik hervorgerufen. Nach Lackner Al (Rdn. 9) ist die Ausdehnung des Schutzbereichs problematisch, weil „sie ein lediglich unanständiges, nicht mit Strafe bedrohtes Verhalten nur deshalb über die Strafbarkeitsschwelle hebt, weil sich auch andere neben dem Täter ebenso verhalten". Nach Maurach/Schroeder/Maiwald (BT § 43 II B) kommt die gesetzliche Lösung „dem Versuch der Quadratur des Zirkels gleich"; sie enthalte zudem einen Gedankenfehler. „Die (problematische) Bedeutung der ganzen Additionsklausel s c h r u m p f t . . . dazu, daß beim Zusammenwirken für den einzelnen nicht wie sonst ein auffälliges, sondern nur ein normales Mißverhältnis verlangt wird". Nach Samson (SK Rdn. 26 ff) ist der Gesetzgeber „bei ihrer Schaffung aus kriminalpolitischem Eifer ... einem Rechenfehler erlegen"; die Additionsklausel stelle „in fragwürdiger Weise eine Täterhaftung für Fälle nicht beweisbarer Beteiligung a u f (weitere Kritik bei Haberstroh NStZ 1982 265, 268; s. auch Lenckner JR 1980 161, 163 f). An diesen Bedenken ist (27)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

richtig, daß ein auffälliges Mißverhältnis zwischen sämtlichen Vermögensvorteilen und sämtlichen Gegenleistungen nur dann möglich ist, wenn wenigstens für einen Teil des einheitlichen Gesamtgeschäfts ein derartiges auffälliges Mißverhältnis besteht (so auch Samson SK Rdn. 28; Sch/Schröder/Stree Rdn. 32; a. M. z.B. Arzt/ Weber IV Rdn. 290). Geht man davon aus, so werden die unter Satz 2 fallenden Täter deshalb bestraft, weil durch ihre vorsätzliche Mitwirkung ein strafbarer Gesamterfolg herbeigeführt wird. Darin liegt, wie § 227 zeigt, keine gesetzgeberische Singularität. Eine solche Vorverlegung des Strafschutzes rechtfertigt sich aus einem legitimen kriminalpolitischen Bedürfnis. Die praktische Bedeutung der Additionsklausel dürfte hauptsächlich in ihrer Funktion als Auffangtatbestand für solche Fälle stehen, in denen Mitwirkenden eine Beteiligung an der Tat eines nach Absatz 1 S. 1 strafbaren Wucherers nicht nachweisbar ist. Im übrigen hat auch diese Erweiterung des Strafschutzes nicht zu größerer praktischer Bedeutung des Delikts geführt. 48

VII. Die Tathandlung besteht darin, daß der Täter sich oder einem Dritten wucherische — im Fall des Absatzes 1 S. 2 übermäßige — Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt. 1. a) Sichversprechenlassen bedeutet die Entgegennahme der vertraglichen Bindung zu einer künftigen Leistung mit dem Willen, sich die versprochenen Vorteile demnächst auch wirklich zu verschaffen (RGSt. 15 333; 29 413). Es umfaßt auch die nur bedingte Zusicherung von Vermögensvorteilen (RG JW 1891 114). Das Sichgewährenlassen besteht in der Entgegennahme der Leistung selbst. Die Annahme des Leistungsversprechens oder der Leistung kann durch schlüssige Handlung geschehen. Die Annahme der wucherischen Vorteile hat gegenüber der Entgegennahme ihres Versprechens in der Regel keine selbständige Bedeutung, sondern ist nur die Fortentwicklung der Vertragsberechtigung, also eine andere Form der Ausführung (RG DStR 1938 241,244; OLG Karlsruhe NJW 1988 1154, 1156). Das Merkmal „wer sich... gewähren läßt" gewinnt aber dann selbständige Bedeutung, wenn eine vorher nicht versprochene Leistung gegeben oder angenommen wird (RGSt. 4 109, 111; 32 143, 145; OLG Karlsruhe aaO) oder wenn sich das wucherische Übermaß der Vermögensvorteile erst aus einer dem Vertragsabschluß nachfolgenden Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt, während der ursprüngliche Vertragsinhalt nicht wucherisch war (RG JW 1926 2187; OLG Karlsruhe aaO; a.A. zu letzterem Sch/ Schröder/Stree Rdn. 19).

49

b) Die Merkmale „versprechen" und „gewähren" erfordern nicht, daß sich der Bewucherte über die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite (Rechtsungültigkeit und wirtschaftliche Ausbeutung) seiner Bewilligung im klaren sein muß. Das wäre mit dem gesetzlichen Zweck, den Bewucherten zu schützen, unvereinbar (RG LZ 1918 Sp. 1086; vgl. aber auch RG GA Bd. 60 439).

50

c) Bedeutungslos ist, ob das im Sichversprechen- oder -gewährenlassen liegende Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig (h. M.) oder ob es aus anderen Gründen, z.B. nach §§ 107, 114 BGB mangels Genehmigung des gesetzlichen Vertreters des Schuldners (RG Recht 1915 Nr. 2413), rechtsunwirksam ist oder es durch Anfechtung hätte werden können (RGSt. 35 111, 113; RG Recht 1915 Nr. 736; einschränkend bei Sichversprechenlassen Samson SK Rdn. 18).

51

2. Die Tatbestandsmäßigkeit besteht auch, wenn der wucherische Vermögensvorteil einem Dritten versprochen oder gewährt wird. Demnach kann das VorstandsmitStand: 1. 9. 1992

(28)

Wucher

§302 a

glied einer Aktiengesellschaft Täter sein, wenn er für die durch ihn vertretene juristische Person ein Wuchergeschäft eingeht. Ebenso kann das Versprechen oder die Leistung von einem anderen als dem Vertragsschuldner erteilt oder erbracht werden. Der Bewucherte kann daher der Schuldner, er kann aber auch eine von ihm verschiedene Person sein, ζ. B. ein Bürge, ein Bevollmächtigter (RG Recht 1915 Nr. 736) oder ein Dritter, der nicht als Vertragspartei aufgetreten ist. Er kann natürliche Person, Gesellschaft oder juristische Person sein (RGSt. 35 365; vgl. aber auch RGZ 93 27, 28). Läßt sich das Opfer vertreten, so beurteilt sich die Zwangslage aus seiner Person; die Unerfahrenheit, der Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche ist aus der Person des Vertreters zu beurteilen (RG Recht 1915 Nr. 736). VIII. Der innere Tatbestand 1. Die Tat kann hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale nur vorsätzlich 52 begangen werden, wobei bedingter Vorsatz genügt (RG DStR 1939 53, 55). Im Entstehungsstadium des § 302 a η. F. war vorgeschlagen worden, hinsichtlich des Schwächezustandes des Opfers Leichtfertigkeit genügen zu lassen; insbesondere hinsichtlich des Merkmals der Zwangslage, weil sich insoweit der Täter beim Kreditwucher vielfach durch sog. Selbstauskünfte des Opfers absichere, die, um den Kredit zu erlangen, schöngefärbt seien, so daß der Nachweis der Kenntnis der Zwangslage erschwert werde (vgl. Kohlmann Prot. 7/2570). Der Gesetzgeber ist diesem Vorschlag nicht gefolgt, weil im Zeichen der Vertragsfreiheit von einem Geschäftspartner nicht erwartet werden könne, daß er zuvor fürsorgerisch die Vermögensverhältnisse und die sonstigen persönlichen Umstände des anderen Teils prüfe, damit er nicht möglicherweise mit einem sich in einem Schwächezustand befindenden Opfer kontrahiere (Prot. 7/2796; Tiedemann ZStW 87 [1975] 253, 277 0- Im übrigen könnte auch bei schöngefärbter Selbstauskunft für die Feststellung eines bedingten Vorsatzes des Täters gerade der Umstand bedeutsam sein, daß das Opfer sich in Widerspruch zur günstigen Darstellung seiner Verhältnisse auf die wucherischen Bedingungen einließ (Dreher/Tröndle Rdn. 32). 2. Im einzelnen gilt: a) Der Täter muß den Schwächezustand des Opfers (Zwangslage, Unerfahrenheit, 53 mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche) kennen oder billigend in Kauf nehmen (RGSt. 15 333, 334; 18 419, 420 f; 28 288, 290; 29 78, 82). Dazu genügt eine Parallelwertung der ihm bekannten Umstände in der Laiensphäre. Seine irrige Annahme, die ihm bekannten Umstände, ζ. B. bei der Zwangslage die bedrängte Lage des Opfers und sein Angewiesensein auf die Leistung des Täters, erfüllten nicht den gesetzlichen Begriff der Zwangslage, wäre ein bloßer Subsumtionsirrtum, der allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verbotsirrtums Bedeutung gewinnen könnte (RGSt. 71 325, 326; Sch/Schröder/Stree Rdn. 35). b) Zur Kenntnis der normativen Merkmale, nämlich des auffälligen Mißverhältnis- 54 ses zwischen Leistung und Gegenleistung nach Absatz 1 S. 1, des auffälligen Mißverhältnisses zwischen der Gesamtheit der Vermögensvorteile und der Gesamtheit der Gegenleistungen sowie der Übermäßigkeit des angestrebten Vermögensvorteils nach Absatz 1 S. 2, genügt Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen und Umstände, die für diese dem Richter obliegende Wertung maßgebend sind (RGSt. 29 78, 82; 60 216, 222). Eine eigene abweichende Wertung der Auffälligkeit des Mißverhältnisses usw. durch den Täter ist belangloser Subsumtionsirrtum, wenn er nicht zu einem Verbotsirrtum führt (LG Köln WoM 1987 202, 203; Dreher/Tröndle Rdn. 32; Sch/Schröder/ (29)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

Stree Rdn. 35; Hohendorfs. 136 Γ). Anderer Meinung ist insoweit Samson (SK Rdn. 38): auch hier sei eine Parallelwertung in der Laiensphäre erforderlich (so auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 43 II D ; Haberstroh NStZ 1982 265, 270; Tiedemann ZStW 87 [1975] 253, 277 f), der Täter müsse wenigstens wissen, daß die Wertdifferenz sozialethisch zu mißbilligen sei. 55

c) Zum Vorsatz der Ausbeutung nach Absatz 1 S. 1 gehört und genügt der Wille des Täters, die ihm bekannte Sachlage gewinnsüchtig, nämlich zur Erlangung von widerrechtlichen Vermögensvorteilen, auszunutzen (s. BGH N J W 1985 3006, 3007; BGH BB 1990 1509, 1510; vgl. auch Rdn. 28; abweichend Lackner Rdn. 10). Er muß also mit Bereicherungswillen handeln (RGSt. 18 419, 421; RG JW 1934 1124); dazu gehört der Wille, die zunächst nur versprochenen Vorteile auch zu verwirklichen. Zum Vorsatz nach Absatz 1 S. 2 vergleiche Rdn. 46.

IX. Täter, Teilnehmer 56

1. Täter nach Absatz 1 S . 1 kann jeder sein, der sich oder einem anderen, insbesondere dem von ihm Vertretenen, die wucherischen Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt. Läßt er sie sich selbst versprechen oder gewähren, so ist nicht erforderlich, daß er sie im eigenen Interesse ziehen will oder zieht; er bleibt auch Täter, wenn er sie „altruistisch" einem anderen zuwenden will oder zuwendet. Täter kann daher auch sein, wer als Organ einer juristischen Person, Teilhaber an einer Gesamthand oder Vertreter einer natürlichen Person zugunsten des oder der von ihm Vertretenen handelt (RGSt. 8 17, 20; 35 111, 113). Täter ist auch nicht nur, wer selbst oder im eigenen Namen das wucherische Rechtsgeschäft abschließt; es kann z.B. beim Kreditgeschäft Mittäterschaft bestehen, zwischen demjenigen, der das Kreditgeschäft abschließt, und demjenigen, der ihn als Hintermann finanziert (RGSt. 36 226, 227); weitere Beispiele bei Haberstroh NStZ 1982 265, 267 f. Demgemäß ist es, wenn sich mehrere zu wucherischem Tun verbunden haben, von denen der eine nach außen handelnd hervortritt, der andere die geschäftliche Innenarbeit leistet, ohne Bedeutung, ob diese Rollenverteilung bei Geschäftsabschluß hervortritt und dem Bewucherten bekannt ist (RG Recht 1915 NR. 734).

57

2. Der Vermittler ist Täter, wenn er selbst Vertragspartei ist (Absatz 1 S. 1 Nr. 4); andernfalls kann er wegen seiner Mitwirkung beim Abschluß des wucherischen Geschäfts wie jeder Dritte, der nicht selbst die Schwächelage des Opfers eigennützig ausnutzt, Anstifter oder Gehilfe sein (RGSt. 5 366, 368 f; 8 17, 20; 35 111, 114f; RG JW 1936 3003).

58

3. Im Falle des Absatzes 1 S. 2 stehen zwar die an dem einheitlichen Geschäftsvorgang Mitwirkenden untereinander nicht in einem Beteiligungsverhältnis (Rdn. 46). Das schließt aber die Beteiligung eines Dritten an der Tat eines Mitwirkenden nicht aus.

59

4. Der Bewucherte kann sich nicht der Teilnahme schuldig machen, auch wenn er selbst die Initiative ergreift und auf Abschluß eines wucherischen Geschäfts drängt, weil er als Opfer notwendigerweise Teilnehmer ist (ζ. B. Hohendorf S. 154 ff; vgl. auch Arzt/Weber IV Rdn. 287 f und ergänzend Bohnert Beteiligung an notwendiger Beteiligung am Beispiel der Mietpreisüberhöhung (§ 5 WiStG), Meyer-Gedächtnisschrift S. 519 ff). Stand: 1. 9. 1992

(30)

Wucher

§302 a

X. Vollendung und Beendigung 1. Die Vollendung tritt im Fall des Absatzes 1 S. 1 mit der Annahme des Verspre- 60 chens, ausnahmsweise mit dem Empfang des Vermögensvorteils ein (Rdn. 48). Daher tilgt tätige Reue des Wucherers durch nachträglichen Rücktritt vom wucherischen Vertrag die bereits vollendete Straftat nicht (RG Rspr. 6 654, 655; RG LZ 1918 Sp. 1086). Stellen sich Versprechen und Leistung der Vermögensvorteile als Ergebnis ein und derselben Ausbeutung dar, so wird die Tat erst mit der Annahme der Leistung beendet (OLG Karlsruhe NJW1988 1154, 1156). Demgemäß beginnt erst von diesem Zeitpunkt an der Lauf der Verjährung (RG DStR 1938 189). 2. Im Fall des Absatzes 1 S. 2 ist die Tat des einzelnen Mitwirkenden nicht schon 61 vollendet, wenn er sich oder einem Dritten einen übermäßigen Vermögensvorteil hat versprechen oder gewähren lassen. Denn die Strafgrenze ist insoweit erst erreicht, wenn sich bei einer Gegenüberstellung sämtlicher Gegenleistungen zu sämtlichen Vermögensvorteilen das dazwischen bestehende auffällige Mißverhältnis ergibt. Daher ist die Tat erst vollendet, wenn der letzte der an dem einheitlichen Geschäftsvorgang Mitwirkenden sich einen übermäßigen Vermögensvorteil hat versprechen oder gewähren lassen (ebenso Sch/Schröder/Stree Rdn. 37). Damit ist der früheste Verjährungsbeginn festgelegt; für den einzelnen Mitwirkenden kann die Verjährung später beginnen, wenn erst durch das Sichgewährenlassen des zuvor Versprochenen seine Tat beendet wird. Derjenige der Mitwirkenden, der sich für seine Teilleistung einen dazu in auffälligem Mißverhältnis stehenden Vermögensvorteil hat versprechen oder gewähren lassen, der also in seiner Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 S. 1 erfüllt (vgl. Rdn. 45), ist hinsichtlich der Tatvollendung nicht anders zu behandeln, als wenn er Alleintäter wäre; die Vollendung tritt mit der Annahme des Versprechens, eventuell der Annahme des Vermögensvorteils ein (s. Rdn. 60). Beendigung und damit Verjährungsbeginn setzt aber auch bei ihm mindestens Vollendung der Tatanteile aller Mitwirkenden voraus (Sch/Schröder/Stree Rdn. 37; teilweise anders die Vorauflage). 3. Der Versuch einer wucherischen Tat ist straflos.

62

XI. Die Strafe 1. Der Regelstrafrahmen (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) ent- 63 spricht dem des § 302 f a. F. Wegen der Möglichkeit der Kumulation von Freiheitsund Geldstrafe vergleiche § 41. Verfall des erlangten Vermögensvorteils entfällt in Hinblick auf § 73 Abs. 1 S. 2. 2. Die Strafverschärfung für besonders schwere Fälle nach Absatz 2 ist inhaltlich 64 aus § 266 Abs. 1 Ε 1962 übernommen und war — unter Wegfall des Regelbeispiels des wechselmäßigen Versprechens — bereits in § 302 f a. F. vorgesehen. Die erhöhte Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe führt zur Unanwendbarkeit des § 47. Absatz 2 gilt für den ganzen Bereich des Absatzes 1, also auch für die Fälle des Satzes 2. Wegen der allgemeinen Bedeutung der besonders schweren Fälle vergleiche ζ. B. Tröndle LK § 12 Rdn. 21. Zu den im Gesetz aufgezählten Regelbeispielen ist folgendes zu bemerken: a) Das Bringen des Opfers in wirtschaftliche Not (Nummer 1). Der Tatbestand die- 65 ses Regelbeispiels ist erfüllt, wenn der Täter gerade durch die Tat, durch die Ausbeutung eines der in Absatz 1 S. 1 bezeichneten Schwächezustände das Opfer in wirt(31)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

schaftliche Not bringt. Dabei wird unter „wirtschaftlicher N o t " die Lage verstanden, die § 302 a a. F. als „Notlage" bezeichnete, also eine existenzbedrohende Geldverlegenheit, verursacht durch den Mangel wirtschaftlich bedeutsamer oder unentbehrlicher Gegenstände (Rdn. 14). „Zu verlangen ist..., daß der Bewucherte als Folge der Tat in eine Mangellage gerät, die im geschäftlichen Bereich seine Daseinsgrundlage gefährdet oder auf Grund deren im persönlichen Bereich der notwendige Lebensunterhalt ohne Hilfe dritter Personen nicht mehr gewährleistet ist" (Begr. zu § 266 Ε 1962, BT-Drucks. IV/650 S. 440) 13 . Auslegungsschwierigkeiten entstehen, wenn der Täter nicht durch Ausbeutung der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche das Opfer in wirtschaftliche Not bringt — diese Fälle sind unproblematisch —, sondern durch Ausbeutung seiner Zwangslage. Dieser Begriff bezeichnet — außer den Fällen einer nichtwirtschaftlichen Bedrängnis — eine wirtschaftliche Bedrängnis, die zwar nicht die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen bedroht, aber schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt (Rdn. 14). Die Voraussetzungen des Regelbeispiels sind ohne weiteres gegeben, wenn die bei Abschluß des wucherischen Geschäfts noch nicht existenzbedrohende wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers durch die Tat in eine wirtschaftliche Notlage, also eine existenzbedrohende wirtschaftliche Bedrängnis übergeht. Indessen umfaßt der Begriff der Zwangslage auch — und erst recht — den Fall, daß das Opfer sich bereits bei Vertragsschluß in der schärfsten Form der Zwangslage, nämlich in existenzbedrohender Notlage befand, und es erhebt sich die Frage, ob schon die Ausbeutung einer bereits bestehenden Notlage einen besonders schweren Fall des Wuchers darstellt. Die oben angeführte Begründung zu § 266 Ε 1962 hatte diese Fragen verneint: Der Erschwerungstatbestand sei nicht „durch die erschwerte Begehung, sondern durch die schwere Folge gekennzeichnet ... Er liegt nur dann vor, wenn der Bewucherte gerade durch die Tat in die wirtschaftliche Notlage geraten ist. Das trifft nicht zu, wenn das auszubeutende Verhalten des Täters die bereits bei Geschäftsabschluß bestehende Not des Bewucherten nur verschärft". Unter Berufung auf diese Ausführungen der Begründung wird im Schrifttum auch für das geltende Recht angenommen, daß die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 nicht gegeben seien, wenn eine bereits bei Geschäftsabschluß vorhandene Notlage nur verschärft werde (Dreher/Tröndle Rdn. 36; Sch/Schröder/Stree Rdn. 44; Arzt/Weber IV Rdn. 284). Die Richtigkeit dieser Argumentation läßt sich bezweifeln. Jedoch liegt kein echtes Problem vor. Denn nachdem schon — praktisch in Abwendung von der zitierten Begründung — bei den Beratungen im BT-Sonderausschuß Einverständnis bestand, daß „eine Vertiefung", eine „wesentliche, gewichtige oder nennenswerte" Vergrößerung einer schon bestehenden Notlage dem Fall gleichwertig sei, daß der Betroffene aus einer bloßen Zwangslage in wirtschaftliche Not gebracht werde (Prot. 7/2798 f), gehen die erwähnten Autoren überwiegend davon aus, daß bei nicht unwesentlicher Verschärfung einer bereits bestehenden Notlage zwar nicht die Voraussetzungen eines Regelbeispiels erfüllt seinen, aber ein besonders schwerer Fall außerhalb der Regelbeispiele gegeben sei (Dreher/Tröndle Rdn. 39; Sch/Schröder/Stree Rdn. 48; a. A. Arzt/Weber IV Rdn. 284). 66

Zum inneren Tatbestand gehört Vorsatz hinsichtlich der Herbeiführung oder der 13

Unzutreffend daher Schmidt-Futterer NJW 1972 135, 136: in wirtschaftliche Not sei gebracht, wer in seiner angemessenen wirtschaftlichen Lebensführung fühlbar eingeengt werde, während eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz

nicht erforderlich sei. In Wirklichkeit ist die Schaffung einer solchen Lage Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 302 a Abs. 1 S. 1 und genügt nicht zur Bestrafung nach Absatz 2.

Stand: 1. 9. 1992

(32)

§302 a

Wucher

Vertiefung der wirtschaftlichen Not als Folge der Tat. Bedingter Vorsatz genügt. § 18 ist unanwendbar. b) Gewerbsmäßige Begehung (Nummer 2). Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit ist 67 der gleiche wie in anderen Vorschriften, in denen das Gesetz ihn als strafbegründendes oder strafschärfendes Merkmal verwendet (vgl. Vogler LK vor § 52 Rdn. 26, 27). Gewerbsmäßigkeit ist also schon bei einmaliger Begehung gegeben, sofern die Tat von dem Willen getragen war, die Handlung zu wiederholen und sich selbst (nicht anderen), wenn auch nur mittelbar, eine Einnahmequelle von gewisser Dauer zu verschaffen 1 4 . Gewerbsmäßigkeit kann auch vorliegen, wenn dem Täter eine fortgesetzte Handlung zur Last fällt, falls bei der Begehung der Einzelhandlungen sowohl die Voraussetzungen des Gesamtvorsatzes als auch die der Gewerbsmäßigkeit erfüllt sind (BGH NJW 1975 396). Die gewohnheitsmäßige Begehung, die früher in § 302 e a. F. als strafbegründen- 68 des Merkmal genannt war, wurde schon in § 302 f a. F. in Übereinstimmung mit § 266 Ε 1962 nicht mehr als Regelbeispiel aufgenommen, weil gewohnheitsmäßiger Wucher in der Regel auch gewerbsmäßig begangen werde. Soweit in einem Einzelfall der Täter nur gewohnheitsmäßig handelt (vgl. zur Begriffserläuterung Vogler LK vor § 52 Rdn. 26,27), ist das Gericht nicht gehindert, den Fall als besonders schwer anzusehen (Begründung BT-Drucks. IV/650 S. 440). c) Sichversprechenlassen wucherischer Vermögensvorteile durch Wechsel (Num- 69 mer 3). Ein solches Verhalten bildete früher ein strafbegründendes Merkmal des schweren Kreditwuchers (§ 302 b a. F.). Nach dem Vorschlag in § 266 Ε 1962 ist es als Regelbeispiel für alle Wucherfälle übernommen worden, denn diese Begehungsform „ist für den Betroffenen besonders gefährlich, weil Wechsel verhältnismäßig leicht weitergegeben werden können und der Aussteller dann gegenüber dem gutgläubigen Dritten die Einwendungen aus der Nichtigkeit des Wechsels nicht entgegenhalten kann, die er gegenüber dem Wucherer erheben könnte" (Begründung BT-Drucks. IV/650 S. 440; Prot. 7/2810). Wucherische Vermögensvorteile sind nicht nur diejenigen, die in einem auffälligen Mißverhältnis zur Leistung stehen (so aber Dreher/ Tröndle Rdn. 38), sondern im Fall des § 302 a Abs. 1 S. 2 auch die übermäßigen Vermögensvorteile (so auch Sch/Schröder/Stree Rdn. 47). Denn auch dabei wird es dem Betroffenen unmöglich gemacht, sich gegenüber dem gutgläubigen Erwerber darauf zu berufen, daß ein auffälliges Mißverhältnis zwischen sämtlichen Vermögensvorteilen auf der Gläubigerseite und sämtliche Gegenleistungen auf der Schuldnerseite bestehe. Trotz des Wortlauts: „sich ... versprechen läßt" umfaßt die Nummer 3 auch den Fall, daß der Täter einem anderen die wucherischen Vorteile wechselmäßig versprechen läßt; denn schon der Wortlaut des § 302 b a. F. umfaßte diesen Fall, und für eine Beschränkung auf das „Sich"versprechenlassen wäre kein Grund erfindlich, weil auch hier dem Betroffenen die Gefahr des Einwendungsverlusts nach Weitergabe des Wechsels an einen gutgläubigen Erwerber droht (Dreher/Tröndle Rdn. 38; Sch/Schröder/Stree Rdn. 47; a. M. Samson SK Rdn. 46). „Durch Wechsel" bedeutet: Die Wechselform muß dazu benutzt werden, gerade durch sie die in der Wechselsumme enthaltenen wucherischen Vorteile zu erlangen; es genügt ζ. B. nicht, daß sich der Täter nur für die Darlehenssumme, für die er wucherische Zinsen erlangte, einen Wechsel akzeptieren ließ (BGH, Urt. v. 2. Dezember 1958 — 5 StR 442/58 bei Pfeif14

RG H R R 1940 Nr. 713; BGHSt. 11 182, 187; BGH LM Nr. 1 zu § 302 d a.F. m.Anm. Neumann; BGH, Urt. v. 22. März 1966 - 1 StR

(33)

597/65 bei Pfeiffer/Maul/Schulte Anm. 2; LG Köln WoM 1987 202,203.

Karl Schäfer/Hagen Wolff

§

302e

§ 302 a

25. Abschnitt. Strafbarer Eigennutz

fer/Maul/Schulte § 302 b Anm. 1). Die Hingabe des Wechsels muß nicht bei der Eingehung des Wuchergeschäfts versprochen worden sein, es reicht die nachträgliche Vereinbarung einer wechselmäßigen Verpflichtung (a. M. RG JW 1892 502). Ein wechselmäßiges Versprechen liegt auch dann vor, wenn die Aushändigung eines Blankoakzepts erfolgt. Gleichgültig ist es, ob die auf dem Wechsel befindlichen Unterschriften echt sind. 70 Das Sichversprechenlassen durch Scheck ist in Nummer 3 nicht erwähnt, obwohl die Gefahr des Abschneidens persönlicher Einwendungen aus dem Grundgeschäft durch Weitergabe an einen gutgläubigen Erwerber in gleicher Weise droht wie beim Sichversprechenlassen durch Wechsel. Die Aufnahme des Schecks in die Regelbeispiele ist aber mit der Begründung unterblieben, die gleiche Gefährlichkeit der Hingabe eines Schecks liege auf der Hand und es sei deshalb nicht notwendig, diesen Fall ausdrücklich zu erwähnen. „Die Regelbeispiele stellten ohnehin nur die besondere Gefährlichkeit einer bestimmten Situation d a r " (Prot. 7/2810). Das Gericht ist also auch hier frei in der Annahme eines besonders schweren Falles. 71

d) Besonders schwere Fälle außerhalb der Regelbeispiele. Die gesetzlichen Regelbeispiele haben nur den Zweck, allgemein die Richtung zu weisen, wenn eine Tat sich nach der Art der Begehung und der Schwere ihrer Folgen so sehr von dem Normalfall abhebt, daß eine erhöhte Ahndung angemessen ist. Ein besonders schwerer Fall kann danach — außer bei den bereits erörterten Fällen einer wesentlichen Verschärfung einer bei Geschäftsabschluß schon bestehenden Notlage, einer gewohnheitsmäßigen Begehung, dem Sichversprechenlassen von wucherischen Vermögensvorteilen durch Scheck — ζ. B. in Frage kommen bei ungewöhnlichem Ausmaß des erstrebten Vermögensvorteils 15 , langanhaltender Dauer der wucherischen Belastungen, besonders rücksichtsloser Ausnutzung des Schwächezustandes des Opfers.

72

XII. Konkurrenzen. Erfüllt die gegenüber demselben Opfer begangene Tat gleichzeitig die Merkmale mehrerer der in Absatz 1 S. 1 unter Nr. 1 bis 4 bezeichneten Wucherformen (ζ. B. Miet- und Kreditwucher), so entfällt ein Konkurrenzverhältnis; es liegt eine Wuchertat vor, weil es sich nur um gleichwertige Erscheinungsformen desselben Delikts handelt (Sch/Schröder/Stree Rdn. 50; a. M. Dreher/Tröndle Rdn. 40). Sichversprechen- und Sichgewährenlassen sind ebenfalls grundsätzlich nur verschiedene Formen der Begehung der gleichen Tat (Rdn. 48); allerdings kann auch Tatmehrheit vorliegen, ζ. B. bei wucherischer Kreditgewährung und späterer wucherischer Verlängerung des Kredits (RGSt. 4 390, 391). Trifft § 302 a mit §§ 3 ff WiStG 1954 zusammen, so findet § 21 OWiG Anwendung. Tateinheit von § 302 a ist möglich mit Betrug, wenn zum Zustandekommen des wucherischen Geschäfts zugleich falsche Tatsachen vorgespiegelt werden (RG LZ 1917 Sp 1173; s. näher Lackner/Werle in Anm. zu OLG Stuttgart NStZ 1985 503,504 f), und mit Erpressung, wenn der Täter durch Drohung zur Eingehung des Wuchergeschäfts nötigt (RG GA Bd. 46 318). Obgleich es bei der Prüfung, ob Wucher vorliegt, auf die Schwächezustände bei den einzelnen Personen ankommt, können mehrere Wucherfälle gegen verschiedene Personen in Fortsetzungszusammenhang stehen (BGHSt. 11 182, 187). XIII. Recht des Einigungsvertrages

73

§ 302 a gilt seit dem Wirksamwerden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R ge15

Nach Absatz 3 Nr. 4 der Wuchervorschrift des AE-Entwurfs (Prot. 7/2607) sollte dies der Fall

sein, wenn die erstrebten Vermögensvorteile den Wert der Leistung um 50% übersteigen.

Stand: 1. 9. 1992

(34)

Wucher

§ 302 a

gründeten Bundesländer und in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I und II) — mit einer im folgenden noch zu behandelnden Einschränkung etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt geändert worden 74 durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I S. 526), das auf dem Hintergrund des am 25. Juni 1990 in Kraft getretenen Vertrags über die Schaffung einer Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der D D R vom 18. Mai 1990 (BGBl. II S. 518 in der D D R in Kraft gesetzt durch Gesetz v. 21. Juni 1990 — GBl. I S. 331) zu sehen ist. Mit diesem Gesetz wurde als § 169 eine Strafvorschrift gegen Wucher eingeführt, die bei geringerer Strafandrohung die Voraussetzungen des Wuchers und von Straferschwerungen wortgleich mit § 302 a normierte. Das Strafgesetzbuch der D D R in der davor — ab dem 1. Juli 1989 — geltenden Fassung vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33) enthielt keine entsprechende Strafvorschrift gegen Wucher, allerdings mit § 173 — Spekulation — eine Bestimmung, die Teilbereiche von Wucher erfaßte. Diese Vorschrift ist über § 10 des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes der D D R und Anlage II zum Einigungsvertrag Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 2 für laufende Verfahren teilweise in Kraft geblieben (vgl. dazu Peter/Volk Zur partiellen Weitergeltung alten DDR-Strafrechts, JR 1991 89). Das LG Berlin (DtZ 1992 254) hält die Regelung für verfassungswidrig (vgl. aber auch BGH NStZ 1992 383 m. Anm. Kusch). Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten von Wucher wird ergänzend auf Art. 315 und 315a EGStGB verwiesen.

(35)

Karl Schäfer/Hagen Wolff

SECHSUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Sachbeschädigung

§ 303 Sachbeschädigung (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Schrifttum Behm Oberflächeneinwirkung und Substanzverletzung nach § 303 StGB, StV 1982 596; Behm Sachbeschädigung und Verunstaltung, Schriften z. Strafrecht 56 (1984), besprochen von Geerds in G A 1986 39 und von Maiwald in ZStW 102 (1990) 318; Behm Nochmals: Zur Sachbeschädigung durch Plakatieren und Beschmieren, JR 1988 360; Bertel Sachbeschädigung an Langlaufloipen, Zeitschr. f. Verkehrsrecht 1982 161; Burmeister Die Sachbeschädigung nach geltendem Recht und nach den neueren Strafgesetzentwürfen, insbes. nach dem Entwurf von 1927, Diss. Tübingen 1934; Disse Die Privilegierung der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gegenüber Diebstahl (§ 242 StGB) u. Unterschlagung (§ 246 StGB) pp. Erlanger Jur. Abh. Bd. 29 (1982), besprochen von Geerds in GA 1984 134; Dölling Sachbeschädigung durch Plakatieren von Gebrauchsgegenständen, NJW 1981 207; Engelage Ist das Abschneiden der Heftnummer auf Volkszählungsbögen strafbar? NJW 1987 2801; Fischer Sachbeschädigungen Diss. Frankfurt a. M. 1983; Friedrich Der straf- und zivilrechtliche Schutz des Werbemittels Plakat, WRP 1975 585; Friedrich Wildanschlag und seine rechtliche Bekämpfung, W R P 1978 698; Frister Ist das Abschneiden der Heftnummer auf Volkszählungsbögen strafbar? NJW 1988 954; Geier Erscheinungsformen und Strafzumessung bei der Sachbeschädigung, Diss. Freiburg 1950; Geerds Sachbeschädigung. Formen und Ursachen der Gewalt gegen Sachen aus der Sicht von Kriminologie und Kriminalistik (1983); Gerstenberg Löschen von Tonbändern als neuer strafrechtlicher Tatbestand, NJW 1956 778; Gössel Wildes Plakatieren und Sachbeschädigung im Sinne des § 303 StGB, JR 1980 184; Haas Sachbeschädigung durch wildes Plakatieren? — Probleme des § 303 StGB - OLG Bremen und OLG Hamburg, M D R 1976, 773, JuS 1978 14; Imig Sachbeschädigung durch Sachbehandlung, Diss. Köln 1935; Katzer Sachbeschädigung durch unbefugtes Plakatieren? NW 1981 2036; Katzer Das unbefugte Plakatieren als Auslegungsproblem der Sachbeschädigung (§ 303 StGB), Diss. Frankfurt a. M. 1982; Knaak Das Delikt der einfachen Sachbeschädigung, Diss. Greifswald 1902; Kühs Die Sachbeschädigung im reichsdeutschen, österreichischen Strafrecht und im Strafgesetzentwurf von 1927, Diss. Jena 1934; Landmesser Die Sachbeschädigung im Deutschen Reichsstrafgesetzbuche, Diss. Jena 1911; Lehmann Zur Lehre vom objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung, StrafrAbh. 119 (1910); Lewy Die Sachbeschädigung, Wesen, Umfang und Kritik derselben nach geltendem Recht, Diss. Leipzig 1915; Leutz Die Sachbeschädigung, Historisch und dogmatisch dargestellt, Diss. Freiburg 1914; Maiwald Unbefugtes Plakatieren ohne Substanzverletzung keine Sachbeschädigung? JZ 1980 256; Merkel Ist rechtswidriges Löschen von Tonbändern Sachbeschädigung? NJW 1956 778; Müller Die Sachbeschädigung im früheren, im geltenden und im zukünftigen Strafrecht, Diss. Erlangen 1933; Nuphaus Die Sachbeschädigung im 26. Abschnitt des Reichs-

Stand: 1. 9. 1992

(36)

Sachbeschädigung

§ 303

Strafgesetzbuches, Diss. Rostock 1913; v. Pradzynski Sachbeschädigung und Aneignung, StrafrAbh. 88 (1908); Rommel Zw einfachen Sachbeschädigung, StrafrAbh. 184 (1914); Rotering Die Sachbeschädigung, GS 47 211; Rotering Zeit- und Streitfragen (Sachbeschädigung) GA 47 (1900) 410; Ruthe Der Normbereich der Sachbeschädigung (§ 303 StGB), Diss. Erlangen/ Nürnberg 1980; Säftel Die einfache Sachbeschädigung und die Sachentziehung im gegenwärtigen und zukünftigen Strafrecht, Diss. Heidelberg 1971; Salewski Zur Soziologie und Strafwürdigkeit der Sachbeschädigung, StrafrAbh. 360 (1935); W. Sauer Schließen sich Diebstahl und Sachbeschädigung begrifflich aus? Diss. Halle 1908; Schmid Sachbeschädigung durch Ankleben von Plakaten? NJW 1979 1580; Schmoller Sachbeschädigung, VDB Bd. 6 143; Fr.-Chr. Schroeder Zur Sachbeschädigung durch Plakatieren und Beschmieren, JR 1987 359; Seelmann Grundfälle zu den Eigentumsdelikten, JuS 1985 199; Stree Probleme der Sachbeschädigung — OLG Frankfurt, NJW 1987, 389, JuS 1988 187; Thoss Sachbeschädigung durch unbefugtes Plakatieren? NJW 1978 1612; Uhlmann Zur einfachen Sachbeschädigung im Strafrecht, Diss. Erlangen 1893; Weber Das Delikt der Sachbeschädigung im Landgerichtsbezirk Bonn in den Jahren 1953 — 1954, Diss. Bonn 1956. Niederschriften Bd. V 71, 122, 123, 127, 133, 224, 248, 252, 254, 258, 316f; Bd. VI 94 ff, 314ff; Bd. XII 608.

Entstehungsgeschichte § 303 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich hatte ursprünglich folgenden Wortlaut (RGBl. 1871 S. 127, 185); §303 Wer vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.

Der Vergleich mit der heutigen Fassung zeigt, daß Absatz 1 der Sache und Absatz 2 sogar dem Wortlaut nach seit 1871 unverändert geblieben sind, sieht man davon ab, daß in der Vorschrift für die Geldstrafe inzwischen kein bestimmter Höchstbetrag mehr genannt und durch das 1. StRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) der Begriff Gefängnis durch den Begriff Freiheitsstrafe ersetzt ist. Die Überschrift ist durch Art. 19 Nr. 207 EGStGB 1974 eingefügt worden. Absatz 3, das Strafantragserfordernis, war durch Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergänzung desselben vom 26. Februar 1876 (RGBl. S. 25) um einen Absatz 4 erweitert worden, der die Rücknahme des Antrags zuließ, wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt war. Dieser Absatz 4 ist durch Art. 19 Nr. 161 EGStGB 1974 wieder gestrichen worden, als zugleich mit § 77 d die Rücknahmemöglichkeit allgemein eingeräumt wurde (Art. 18 Nr. 44 EGStGB 1974). Das 22. StRÄndG vom 18. Juli 1985 (BGBl. I S. 1510) hat § 303 Abs. 3 um die Möglichkeit erweitert, Sachbeschädigung von Amts wegen zu verfolgen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht. Durch Art. 1 Nr. 16 u. 17 des 2. WiKG vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721) ist § 303 Abs. 3 gestrichen und als § 303 c in das Strafgesetzbuch eingefügt worden (vgl. weiter dort). I. Einfache Sachbeschädigung. Die Vorschrift des § 303 schützt, anders als die 1 §§ 242 ff, das Eigentum gegen solche Angriffe, die sich unmittelbar gegen das Dasein oder gegen den unversehrten Bestand einer Sache richten und damit das Eigentumsrecht an ihr beeinträchtigen (RG GA 51 [1904] 49; RGSt. 4 326; BGHSt. 29 129). Die (37)

Hagen Wolff

§ 303

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

Sachbeschädigung bewirkt meist eine Minderung des Vermögenswerts der Sache, jedoch gehört dies nicht zum Tatbestand (BayObLGSt. 5 96,98). Ginge es bei dem Vergehen nach § 303 unmittelbar um eine Vermögensschädigung, so müßte dieses tatbestandsmäßig jede Entwertung der Sache mit oder ohne Einwirkung auf ihren Stoff erfassen. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr besteht weitgehend Einverständnis darüber, daß Sachbeschädigungen ohne Vermögensschädigung vorkommen, ausnahmsweise sogar eine Vermögensmehrung bewirken können (RGSt. 33 177, 180; BayObLGSt. 11 1; insoweit abweichend Sch/Schröder/Stree Rdn. 10). 2

Auch wenn die Sachbeschädigung in Form der künstlerischen Umgestaltung einer fremden Sache vorgenommen wird, ist die Anwendbarkeit von § 303 nicht in Frage gestellt. Weder Art. 7 Abs. 1, 10 Abs. 2 M R K (EKMR NJW 1984 2753) noch Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G (BVerfG NJW 1984 1293, 1294f) stehen dem entgegen 1 .

3

II. Fremde Sache. Handlungsgegenstand der Sachbeschädigung ist eine fremde Sache. Der Begriff Sache hat die gleiche Bedeutung wie bei den Aneignungsdelikten nach den §§ 242 ff (vgl. Ruß LK § 242 Rdn. 1 ff), allerdings mit zwei sogleich erörterten Einschränkungen. Er umfaßt erstens nur selbständige, verkehrsfähige, körperliche Gegenstände, die also sinnlich wahrnehmbar und Objekt unmittelbarer Herrschaft sind (RGSt. 32 165, 173 ff, 180 ff; RG Recht 1907 Nr. 392). Das Merkmal der Körperlichkeit fehlt zum Beispiel bei einer im Schnee gezogenen Skilanglaufloipe 2 . Zweitens: Die Zueignungsdelikte (ζ. B. die §§ 242,246) beziehen sich lediglich auf bewegliche Sachen. § 303 enthält keine solche Einschränkung. Er schützt auch unbewegliche Sachen; etwa eine Hausruine (RGSt. 27 420), eine Brunnenanlage (RG Rspr. 9 171), einen Garten oder Bauplatz, einen zum Anbau bestimmten Acker (KGJ 46 C 368). — Anders als zum Beispiel beim Diebstahl gehören zu den Sachen im Sinne des § 303 keine Gegenstände, welche in jeder Beziehung wertlos sind, welche also weder einen Gebrauchswert noch einen Tauschwert, noch einen Affektionswert haben. Dies ist allerdings streitig. Zum Teil wird angenommen, gänzliche Wertlosigkeit einer Sache habe nur Bedeutung für den Vorsatz (Frank Anm. I; Olshausen Anm. 1; Samson SK Rdn. 2). Aber schon in RGSt. 10 120, 122 ist dies mit Recht abgelehnt und betont, daß der Eigentümer an der Sache ein vernünftiges Interesse nehmen müsse (anders noch RG Rspr. 1 640). Gegen die erwähnte Meinung spricht, daß sie den strafrechtlichen Schutz auf Sachen ausdehnt, an deren Erhaltung niemand ein Interesse hat. Wird in einem solchen Fall Strafantrag gestellt, so geschieht dies meist nicht aus Wahrung eines berechtigten Interesses, sondern zur Schikane. Daher verdient die Ansicht den Vorzug, die gänzlich wertlose Gegenstände bereits aus dem objektiven Tatbestand ausschließt. So auch zum Beispiel Dreher/Tröndle Rdn. 2; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 3; Otto BT S. 182. Vergleiche daneben Hirschberg Der Vermögensbegriff im Strafrecht (1934) S. 278. Der nötige Gebrauchswert für den daran sachberechtigten Staat fehlte nicht den Fragebogenformularen für die Volkszählung 1987. Das Abschneiden der Kennziffer eines Volkszählungsbogens war dementspre-

1

2

Vgl. zu letzterer Entscheidung auch Hoffmann Kunstfreiheit und Sacheigentum, NJW 1985 237 sowie zu der Fragestellung allgemein Dreher/ Tröndle Rdn. 6 a ; Sch/Schröder/Stree Rdn. 8 c; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 36 1112. BayObLG NJW 1980 132 = JR 1980 429 m. abl. Anm. Schmid-, Dreher/Tröndle Rdn. 1 c, anders

jedoch § 304 Rdn. 11; Lackner § 304 Rdn. 3; Samson SK Rdn. 2; Wessels BT 2 S. 6; wohl auch Arzt/Weber III Rdn. 25,26; aA LG Kempten NJW 1979 558; Sch/Schröder/Stree § 304 Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 36 III 1; Zweifel auch bei Bertel Zeitschr. f. VerkehrsR. 1982161.

Stand: 1. 9. 1992

(38)

Sachbeschädigung

§ 303

3

chend Sachbeschädigung . Soweit in der Rechtsprechung der Amts- und Landgerichte teilweise ein anderer Standpunkt vertreten worden ist 4 , war dies unzutreffend. In der Literatur ist der Tatbestand ebenfalls als ausgefüllt angesehen worden 5 . — Es ist für den Sachbegriff unerheblich, ob die Sache eine natürliche Einheit darstellt oder aus mehreren verbundenen Sachen zusammengesetzt ist. Auf die Art der Verbindung kommt es nicht an. Stets muß aber ein körperlicher Zusammenhang zwischen den Teilen bestehen. Ein solcher Zusammenhang fehlt bei der Sachgesamtheit, bei der eine Mehrheit körperlich selbständiger Sachen eine wirtschaftliche Einheit bildet. Daher ist eine Bibliothek, ein Warenlager, eine Schafherde, ein Bienenschwarm im Gegensatz zu den einzelnen Bestandteilen als Ganzes nicht durch § 303 geschützt. Teilweise wird allerdings eine Ausnahme zugunsten funktioneller Einheiten wie eines Bienenschwarms gemacht (Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; Rotering GS 4 222 f; vgl. auch RG Rspr. 3 251). — Der durch Art. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20. August 1990 (BGBl. I S. 1762) in das BGB angefügte § 90 a, nach welcher Bestimmung Tiere keine Sachen sind, auf sie jedoch die für Sachen geltenden Vorschriften grundsätzlich entsprechend anzuwenden sind, läßt die Sacheigenschaft von Tieren im Sinne von § 303 unberührt (BayObLG NJW 1992 2306, 2307; zweifelnd Palandt/Heinrichs BGB 51. Aufl. § 90 a Rdn. 1). Der Gesetzgeber wollte insbesondere den strafrechtlichen Schutz von Tieren nicht verkürzen (vgl. Begr. z. Entwurf des Gesetzes BT-Drucks. 11/5463 S. 6 u. Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 11/7369 S. 6). Bei der entsprechenden Anwendung von für Sachen geltenden Vorschriften geht es nicht um den Fall einer — verbotenen — Analogie, sondern um eine besondere gesetzliche Verweisungstechnik. § 303 verlangt als Gegenstand der Sachbeschädigung eine fremde Sache (vgl. auch 4 Ruß LK § 242 Rdn. 6 ff). Deshalb scheiden alle Sachen aus, welche verkehrsunfähig oder herrenlos sind oder im Alleineigentum des Täters stehen. Eine Sache ist für den Täter dann fremd, wenn er an ihr lediglich Besitz (OLG Düsseldorf NJW 1987 2526, zugleich zur Abgrenzung zu § 246) oder nur Miteigentum irgendwelcher Art hat (RGSt. 12 376, 377; RG Rspr. 7 531). Die menschliche Leiche ist zwar eine Sache (str.; vgl. Ruß LK § 242 Rdn. 5), aber im Regelfalle keine fremde. Durch den Tod eines Menschen entstehen keine Eigentumsrechte an dem Leichnam. Dieser wird nicht durch § 303, sondern durch § 168 geschützt (RGSt. 64 313, 314; KG NJW 1990 782, 783; Ruß LK § 242 Rdn. 10); siehe deshalb insoweit die Kommentierung zu § 168. Gleiches gilt für Leichenteile. Jedoch greift bei Mumien, Moorleichen und Anatomien zur Verfügung gestellten Leichnamen § 303 ein. Auch vom lebenden menschlichen Körper getrennte Teile sind nicht herrenlose Sachen; sie fallen mit Trennung in das Eigentum dessen, von dem sie stammen (str.; vgl. näher Ruß LK § 242 Rdn. 9). Zu den durch Sektion und Transplantation aufgeworfenen Problemen sei insbesondere auf Dippel LK § 168 Rdn. 3 ff (mit weiteren Nachweisen) verwiesen. 3

4

BayObLGSt. 1988 58 und 157; OLG Celle NJW 1988 1101 = JR 1988 433 m. Anm. Geerds; OLG Düsseldorf M D R 1989 89; OLG Karlsruhe Justiz 1989 65; OLG Köln NJW 1988 1102; OLG Stuttgart NJW 1989 1939. Veröffentlicht: LG Göttingen NStZ 1987 557; LG Koblenz NJW 1987 2828; LG Lübeck StrV 1987 298; LG Osnabrück StrV 1987 398; AG Hannover StrV 1987 444; AG Stadthagen StrV 1988 159; Sachbeschädigung dagegen bejaht von

(39)

5

LG Bonn NJW 1987 2825; LG Bad Kreuznach StrV 1988 156; LG Trier NJW 1987 2826; offengelassen von LG Aachen StrV 1987 443. Dreher/Tröndle Rdn. 2; Lackner Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 36 III 2; Otto BT S. 182; Engelage NJW 1987 2801; Frisier NJW 1988 954, der jedoch zu Unrecht von Gesetzeskonkurrenz zu § 23 BStatG ausgeht; Solbach JA 1987 525; a. M. allerdings Zaczyk StrV 1988 157.

Hagen Wolff

§ 303

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

5

III. Die Tathandlung besteht im Beschädigen oder Zerstören einer Sache. Beschädigt ist eine Sache, wenn ihre Brauchbarkeit derart vermindert worden ist, d a ß sie im Verhältnis zu ihrer bisherigen Beschaffenheit mangelhaft wird. Das kann geschehen durch Verursachen eines bisher noch nicht bestehenden Mangels oder durch Verstärken eines schon vorhandenen. Die Sache m u ß n u n m e h r einen Fehler dergestalt aufweisen, d a ß ihr jetziger Zustand von dem früheren negativ abweicht. Ein solcher Mangel kann vorübergehende Bedeutung haben (Feuchtigkeit des unter Wasser gesetzten Hauses, die sich nach und nach wieder verliert) oder dauernder Art sein. Auf äußere Wahrnehmbarkeit der nachteiligen Einwirkung kommt es nicht an. Auch die Art der Einwirkung auf die Sache ist gleichgültig, sie k a n n auf mechanischem oder chemischem Wege erfolgen (RGSt. 20 182, 183), sie kann die äußere Form oder auch die innere Beschaffenheit berühren. Bei Tieren genügt die nachteilige Einwirkung auf das Nervensystem (RGSt. 37 411,412: Kitzligmachen eines Pferdes), das Verderben der Dressur oder das Bösartigmachen. Die Verursachungsformen sind praktisch unbegrenzt: Verunreinigung eines Briefkastens, so daß sein Inhalt stofflich Schaden nimmt (OLG Darmstadt G A 4 3 [1895] 134; Oetker J W 1922 712); Säen von wucherndem Unkraut in einen mit Roggen bestellten Acker; Einschütten von Kot in den Wasserbehälter eines Brunnens ( R G Rspr. 9171); Störung des Abflusses eines Teichs oder einer Wasserleitung (BayObLGSt. 5 96); das Einsetzen von Hechten in den Karpfenteich. Auch unechtes Unterlassen kommt in Betracht; etwa pflichtwidriges Verderbenlassen, Nichtwarten oder Nichtfüttern eines Tieres.

6

Die Mangelhaftigkeit wird vor allem erkennbar an dem stofflichen Bestand der Sache (Substanzverletzung oder -Veränderung). Sie kann aber auch die Funktionsfähigkeit (die Brauchbarkeit) und die äußere Erscheinung (die Ansehnlichkeit) betreffen. Die stoffliche Veränderung ist die augenfälligste Begehungsform. Rechtsprechung wie Lehre haben sie zunächst allein berücksichtigt (RGSt. 13 27, 28). Diesem Ausgangspunkt folgen zum Beispiel die Entscheidungen RGSt. 32 165; 39 328 329. Allmählich kam der Gedanke der Gebrauchsminderung hinsichtlich der der Sache gegebenen Zweckbestimmung auf (RGSt. 20 182,183 ff; 20 353). Das Gewicht verlagerte sich dorthin (RGSt. 31 329, 331; 33 177, 178; 43 204, 205; 64 250). Schließlich wurde die Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit in RGSt. 74 13 (dort ist allerdings irrig von „ A u f h e b u n g " der Gebrauchsfähigkeit die Rede) für ausschlaggebend angesehen. Das ist in der Grundformel f ü r die Sachbeschädigung zusammengefaßt (RGSt. 74 13, 14): „jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache ..., durch die die stoffliche Zusammensetzung der Sache verändert oder sonst ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit f ü r ihre Zwecke vermindert wird." Das Gewicht ruht hiernach auf der Herabsetzung der Gebrauchsfähigkeit. Dies ist jedoch deshalb zu eng, weil eine nicht nur ganz geringfügige stoffliche Veränderung jedenfalls genügen muß. Die vom Rechtsschutzbedürfnis her gewonnene Auslegung des Begriffs Beschädigung hat im übrigen dazu geführt, die Minderung der Gebrauchsfähigkeit von zusammengesetzten Sachen durch Zerlegen oder durch die Veränderung von äußerer Erscheinung u n d Form für sich allein, also ohne Substanzverletzung, genügen zu lassen.

7

Die Rechtsprechung nach 1945 ist diesen im wesentlichen vom Reichsgericht vorgezeichneten Linien in Übereinstimmung mit der überwiegenden Lehre zunächst gefolgt (vgl. ζ. B. BGHSt. 13 207). Ausgelöst durch Fälle, in denen Plakate auf fremde Sachen aufgeklebt oder fremde Sachen mit Farbe besprüht wurden, entfaltete sich teilweise in Rechtsprechung und Schrifttum die Tendenz, als Beschädigung einer fremden Sache jede dem Eigentümerwillen widersprechende Veränderung des äußeStand: 1. 9. 1992

(40)

Sachbeschädigung

§ 303

ren Erscheinungsbildes der Sache zu erfassen, auch wenn damit keine Substanzverletzung oder Brauchbarkeitsminderung verbunden war 6 . Dem ist der Bundesgerichtshof in der Entscheidung BGHSt. 29 129 zu Recht entgegengetreten (vgl. auch B G H N J W 1980 602, 603). Der Tatbestand des § 303 würde seine Kontur verlieren, wenn auch reine Verunstaltungen in seinen Anwendungsbereich einbezogen würden. Ein umfassender Eigentümerschutz ist mit der Bestimmung nicht angestrebt. Der vom Bundesgerichtshof betonten Leitlinie für die Auslegung des Begriffs Beschädigung folgt seither im wesentlichen die Rechtsprechung (vgl. dazu im einzelnen Rdn. 12). Sie deckt sich mit der Meinung eines Teils des Schrifttums 7 . Allerdings ist eine unschwer und folgenlos zu beseitigende Verunstaltung einer Sache d a n n Beschädigung, wenn die Sache allein künstlerischen oder ästhetischen Zwecken dient (RGSt. 43 204: Besudeln eines Marmordenkmals mit abwaschbarer Farbe).

Beispiele aus der Rechtsprechung für Beschädigungen: Verunreinigung eines Brun- 8 nens durch Einschütten von Kot ( R G Rspr. 9 171) oder durch Einbringen von Seife (OLG Dresden D R i Z 1931 Nr. 208); Versetzen des Wassers in einer Pferdetränke mit Seife oder Spülmittel (OLG Düsseldorf VRS 71 [1986] 28); Verunreinigung eines Briefkastens, so daß Briefe durchfeuchtet wurden ( O L G Darmstadt G A 43 [1895] 134 u n d Bay Ob LG H R R 1930 Nr. 2121); Durchstreichungen auf einer Urkunde (RGSt. 19 319); Ersetzen schwammbefallener Bretter oder Balken eines Bauses, wenn es dem Eigentümer auf die Nachweismöglichkeit des Schwammbefalls a n k o m m t (RGSt. 33 177); teilweise Erneuerung eines altersschwachen Zauns (BayObLGSt. 11 1); Hervorrufen pathologischer Veränderungen bei Tieren (RGSt. 37 411); Form Veränderung einer an einer elektrischen Anlage angebrachten Plombe derart, daß an der Anlage manipuliert werden konnte (RG LZ 1914 Sp. 1393); Eingrabungen in einen in vorhistorischer Zeit von Menschenhand errichteten Erdhügel ( R G G A 51 [1904] 49); Aussäen von Unkraut auf einen mit Roggen bestellten Acker ( K G J 46 C 368); Abhauen von in der Erde steckenden Holzpfählen (BayObLGSt. 8 4). Als Beschädigung ist das Löschen eines Tonbandes oder eines Datenträgers zu behandeln, weil die die Wiedergabe ermöglichende magnetische O r d n u n g im Band oder Datenträger zerstört ist, auch wenn Band und Datenträger als solche erneut verwendet werden kön-

6

In diesem Sinne: OLG Bremen MDR 1976 773; OLG Celle M D R 1978 507; OLG Düsseldorf MDR 1979 74; OLG Hamburg JZ 1951 727; OLG Hamburg NJW 1975 1981 = JR 1976 337 m. Anm. Fr.-Chr. Schroeder·, OLG Hamburg NJW 1978 1641, 1642; 1979 1614; 1979 1624; OLG Hamm NJW 1976 2173, 2174; OLG Karlsruhe JR 1976 336 m.Anm. Fr.-Chr. Schroeder-, OLG Karlsruhe NJW 1978 1636; OLG Köln OLGSt. § 303 S. 19; OLG Oldenburg JZ 1978 70 m. Anm. Fr.-Chr. Schroeder·, OLG Oldenburg NJW 1978 1656; OLG Schleswig OLGSt. § 303 S. 7; OLG Schleswig SchlHA 1977 177, 179 f; LG Bamberg NJW 1953 997, 998; LG Bochum MDR 1979 74; Friedrich W R P 1978 698; Joecks JA 1978 592; Maiwald Literaturbericht, ZStW 91 [1979], 923, 936; Fr.-Chr. Schroeder JR 1976 338; JZ 1978 72. Einschränkend: OLG Hamburg NJW 1976 2174; OLG Karlsruhe JZ 1978 72 m. Anm. Fr.-Chr. Schroeder, Bottke JA 1980 540,

(41)

7

541; Schmid NJW 1979 1580. In der Entscheidung OLG Celle NJW 1951 772 ist Sachbeschädigung gar nicht angesprochen. Wessels BT 2 S. 7; Behm JR 1988 360; Katzer NJW 1981 2036; Seelmann JuS 1985 199. Einen weiter reichenden Begriff der Beschädigung vertreten demgegenüber neben den in der Voranmerkung erwähnten Stimmen aus dem Schrifttum: Dreher/Tröndle Rdn. 6 a ; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 8 c; trotz Anknüpfung an Substanzeingriffe Arzt/Weber III Rdn. 36 ff; Μaurach/Schroeder/Μaiwald BT § 36 III 2; Otto BT S. 182; Dolling NJW 1981 207; Gössel JR 1980 184; Maiwald JZ 1980 256; JR 1982 298; Otto Die neuere Rechtsprechung zu den Vermögensdelikten, JZ 1985 21, 27 f; Fr.-Chr. Schroeder JR 1987 359; JR 1988 363; wohl auch Lackner Rdn. 6; mit Einschränkungen Samson SK Rdn. 8

Hagen Wolff

§ 303

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

8

nen . Das Problem hat durch die §§ 303 a und 303 b seine Bedeutung verloren (nach Arzt/Weber III Rdn. 27 und IV Rdn. 111 schließt § 303 a den § 303 sogar aus). Das mißbräuchliche Auslösen einer Verkehrsüberwachungskamera kann ebenfalls Sachbeschädigung sein (OLG Schleswig SchlHA 1986 102). 9

Als Fälle von Sachbeschädigung ohne Substanzverletzung sind angesehen worden: Das Blockieren der Ventilsteuerung einer Dampfmaschine durch leicht wieder herauszunehmende Holzkeile und Eisenfeile (RGSt. 20 182); Werfen eines Fahrrades in einen mit Wasser gefüllten Graben (OLG Celle ZStW 45 [1925] 479); das Werfen eines Gewehrs in Sand, so daß es anschließend gereinigt werden mußte (KG GA 39 [1891] 75); Versetzen von Wäsche mit Wanzen und Wanzenbrut (OLG Hamburg HansOLGSt. 1 110).

10

Bei zusammengesetzten Sachen wurden als Beschädigung anerkannt: Wegnahme einer lose aufgelegten Bohle von einer Brücke (RGSt. 20 353); vergleiche aber auch RGSt. 13 27: bei entsprechend ordnungsgemäßer Bedienung herausgezogenen Brettern aus einem Stauwerk wurde Beschädigung verneint (ebenso OLG München OLGESt. 6 48, zit. nach GA 39 [1891] 75); Herunterholen einer Fahne vom Mast (RGSt. 64 250; 65 354); Entfernen eines leicht zu ersetzenden Handrades von einer Turbine (RG JW 1922 712), nicht jedoch die Entfernung der Leitungsstange eines Straßenbahnmotorwagens RGSt. 39 223); Sachbeschädigung ist möglicherweise das Werfen eines Metallbügels auf die Oberleitung einer Eisenbahn (BGH NStZ 1988 178); Ablassen von Luft aus einem Auto- oder Fahrradreifen (BGHSt. 13 207; BayObLG NJW 1987 3271; a. A. OLG Düsseldorf NJW 1957 1236; vgl. dazu Klug JZ 1960 226); nicht dagegen Abziehen und Danebenlegen von Radzierkappen eines Personenkraftwagens (OLG Hamm VRS 28 [1965] 437); Beschädigung bejaht bei dem Lösen von Wagenrädern unter Fortwerfen der haltenden Stifte (BayObLGSt. 1 195); Entfernen und Fortwerfen einer Wagenspannkette (OLG Darmstadt GA 39 [1891] 75); Entfernen von Bolzen und Laschen eines Bahngleises (RGSt. 55 169); Abmontieren eines Spülbeckens (OLG Hamm GA 1966 187); Herausziehen eines mit anderen zusammenhängenden Marktstandes (BayObLGSt. 6 136); Herausnahme von als Wasserstandsanzeige dienenden Steinen (RGSt. 31 143 u. 329); Herausziehen einer im Boden eingelassenen Reklametafel (BayObLG JW 1926 2764); Abreißen eines angenagelten Wegweiserarmes (OLG Dresden Annalen 12 317). Sachbeschädigung ist auch das Versprühen des Inhalts eines Feuerlöschers (BayObLG NJW 1988 837, 838) und das Öffnen des Verschlusses einer zum Verkauf bestimmten Schnapsflasche (OLG Köln NJW 1986 392).

11

Beschmutzungen sind in folgenden Fällen als Sachbeschädigung angesehen worden: das Bemalen einer Marmorbüste (RGSt. 43 204); Beschmieren der Wand einer Bahnüberführung mit schwer zu entfernender Teerfarbe (RG H R R 1933 Nr. 350); Begießen einer Litfaßsäule mit Petroleum (RGSt. 66 203); Bespritzen von Kleidung mit Urin (RG H R R 1936 Nr. 853); Beschmutzen von Wäsche mit Öl oder Asche und Kohlenstaub (OLG Breslau GA 49 [1903] 301); Durchtränken des Diensthemds eines Polizeibeamten mit Bier (OLG Frankfurt a. M. NJW 1987 389; vgl. dazu Stree JuS 1988 187); Zeichnungen mit Stiefelschwärze an der Zimmerdecke einer Mietwohnung (OLG Hamburg HansOLGSt. 1 109). Eine Beschädigung ist verneint worden 8

Dreher/Tröndle 43. Aufl. Rdn. 5; Kohlrausch/ Lange Anm. II; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/ Stree Rdn. 8 b ; Maurach/Schroeder/Maiwald

B T § 3 6 I I I 2 ; Otto BT S. 183; Merkel NJW 1956 778; a.A. Gerstenberg NJW 1956 540; Kunz JuS 1977 604; Lampe GA 1975 1,16.

Stand: 1. 9. 1992

(42)

Sachbeschädigung

§ 303

bei der Beschmutzung einer Bluse mit einigen Kaffeespritzern (BayObLGSt. 27 147, 148). Beschädigung ist auch nicht notwendig das Überstreichen einer Maueraufschrift mit Kleister (RG Recht 1907 Nr. 392). Soweit es das Aufkleben von Plakaten und das Aufsprühen oder Aufmalen von Pa- 12 rolen, Zeichnungen und ähnlichem auf fremde Sachen angeht, setzt, sieht man von lediglich künstlerischen oder ästhetischen Zwecken dienenden Gegenständen ab (vgl. dazu Rdn. 7 am Ende), eine Beschädigung eine Substanzverletzung oder eine Beeinträchtigung des Gebrauchs der Sache voraus (vgl. Rdn. 7). Dabei kann die Substanzverletzung die Oberfläche der Sache betreffen, wenn sich zum Beispiel ein aufgeklebtes Plakat nicht schadlos wieder entfernen läßt. Als Beeinträchtigung der Brauchbarkeit kommt auch eine Erschwerung des Zugangs zu der betroffenen Sache in Betracht. Für diesen Standpunkt sei verwiesen auf die Entscheidungen: BGHSt. 29 129; BGH NJW 1980 602, 603; BGH NStZ 1982 508 - Überkleben von Wahlplakaten einer Partei und einer dieser gehörenden Stellwand mit anderen Plakaten als Sachbeschädigung —; ebenso OLG Hamburg NJW 1982 395 = JR 1982 297 m. Anm. Maiwald (vgl. aber auch OLG Oldenburg NJW 1982 1166); OLG Celle NStZ 1981 223 zu u. a. auf einem Omnibuswartehäuschen mit Farbe aufgesprühten Parolen als mögliche Substanzverletzung —; OLG Düsseldorf NJW 1982 1166 — Aufsprühen von Parolen mit Farbe auf eine Hauswand als Substanzverletzung —; ebenso OLG Oldenburg NJW 1983 57 = JR 1984 35 m. Anm. Dölling; LG Bremen NJW 1983 56 Besprühen von Schaufensterscheiben mit Parolen als Sachbeschädigung (zweifelhaft) —; OLG Frankfurt a. M. NJW 1990 2007 — Verneinung von Sachbeschädigung bei Anbringen von rückstandsfrei zu beseitigenden Aufklebern an einem Abfallbehälter und einer Telefonzelle —; OLG Frankfurt a. M. NJW 1990 2008 — Ablehnung von Sachbeschädigung bei Besprühen der Betonplatte eines Gehweges mit einer schadlos zu entfernenden Farbe —; Verneinung von Sachbeschädigung bei Besprühen einer Friedhofsmauer mit Nitrolack, der rückstandslos zu entfernen war — LG Bremen StRV 1981 181. Bei allen Formen der Beschädigung kommt es auf eine gewisse Erheblichkeit der 13 Beeinträchtigung an. Nicht jede unbedeutende oder vorübergehende Beeinträchtigung der stofflichen Unversehrtheit, der Funktionsfähigkeit oder der äußeren Erscheinung reicht aus; sie muß „nicht unerheblich" sein (RGSt. 43 204, 205). Wann dies der Fall ist, ist Tatfrage. Eine ausreichende Beeinträchtigung ist in der Regel gegeben, wenn der frühere Zustand nicht wiederhergestellt werden kann (RGSt. 13 27, 29) oder wenn die Wiederherstellung einen nicht geringfügigen Aufwand an Zeit, Arbeit oder Kosten erfordert (BGHSt. 13 207, 208; BGH NStZ 1982 508; BayObLG HRR 1930 Nr. 2121; OLG Bremen M D R 1976 773, 774; OLG Frankfurt a. M. NStZ 1988 410, 411; OLG Hamburg NJW 1975 1981; OLG Hamm VRS 28 437; OLG Karlsruhe JR 1976 336,337 m. Anm. Fr.-Chr. Schroeder). Die Grenze zwischen erheblicher und unerheblicher Mängelverursachung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BGHSt. 13 207, 208; OLG Karlsruhe JZ 1975 642, 643). Bei der recht weitgehenden Auslegung des Begriffs Beschädigung und in Anbetracht der nicht unerheblichen Strafdrohung für Sachbeschädigung sei in diesem Zusammenhang an den Satz minima non curat praetor erinnert. Bedenklich deshalb BayObLG NJW 1987 3271, 3272 (ablehnend Lackner Rdn. 5; Geerds JR 1988 218; vgl. auch Behm NStZ 1988 275). Die Ausbesserung einer Sache beseitigt Mängel und ist deshalb in aller Regel das 14 (43)

Hagen Wolff

§ 303

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

Gegenteil einer Beschädigung9. Sie setzt voraus, daß sie sachgemäß durchgeführt wird (nicht: die störende Beseitigung eines Druckfehlers in einem Kunstdruck; die nicht bloß der Erhaltung dienende Reparatur an einem Sammlungsstück, die dessen Ursprungswert mindert) und daß sie dem Verfügungswillen des Eigentümers entspricht (nicht also, wenn dieser an der unveränderten Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes, ζ. B. zu Beweiszwecken, ein rechtlich anzuerkennendes Interesse hat — RGSt. 33 177). Wiederherstellung einer zuvor beschädigten Sache vermag die Sachbeschädigung als Delikt allerdings nicht mehr zu beseitigen (RGSt. 43 204,205; OLG Düsseldorf NJW 1982 1167). 15 Die bloße Sachentziehung ist, weil vom Normzweck nicht mehr gedeckt, keine Sachbeschädigung. Also nicht: das Ableiten von Wasser (RGSt. 39 328; vgl. auch RGSt. 13 27,28); das Fortwerfen fremder Sachen; Fliegenlassen eines einheimischen Vogels (RGSt. 20 182,185); Laufenlassen von eingefangenem Wild. Die Frage ist bereits für das geltende Recht streitig10. Das Anliegen der Strafrechtsreformen war es, auch die Sachentziehung zu erfassen (vgl. zuletzt § 251 Ε 1962). — Führt die Entziehungshandlung aber dazu, daß die Sache über kurz oder lang mangelhaft oder zerstört wird, ist Sachbeschädigung zu bejahen: Werfen von Küchengeräten in einen Fluß, wenn es dort verrostet oder durch die Strömung verbeult oder zerbrochen wird (RG GA 51 [1904] 182); Versenken eines Fahrrades (OLG Celle ZStW 45 [1925] 479) oder eines Fahnentuches (RGSt. 64 250) in Wasser; Zurücklassen der Anstaltskleidung im Walddickicht durch den entwichenen Sträfling; Auslaufen- oder Entweichenlassen von Flüssigkeiten oder Gasen. — Der bestimmungsmäßige Verbrauch von Sachen ist schließlich ebensowenig als Beschädigung anzusehen. 16

IV. Die zweite mögliche tatbestandsmäßige Handlung ist das Zerstören einer fremden Sache. Die Zerstörung unterscheidet sich von der Beschädigung nur graduell. Sie liegt vor, wenn die Sache für ihren bestimmungsmäßigen Zweck völlig unbrauchbar geworden ist (RGSt. 8 33; 39 223, 224). Zerstört ist eine Sache, die vollständig verändert oder vernichtet ist: Einschmelzen, Auftauen, Töten eines Tieres, Verbrennen (RG GA 57 [1910] 201), Zertrümmern, Ausströmenlassen, Auslaufenlassen. Das Zerstören kann auch im Verlust der Verwendungsfähigkeit wenigstens für einige Dauer bestehen: bestimmungswidrige Zerstückelung, Magnetisierung eines dadurch unbrauchbar werdenden Apparats, Zerlegen eines Drucksatzes. Die Herstellung einer neuen Sache durch Verarbeitung ist Zerstörung der dazu benutzten Grundstoffe (Rotering GS 47 211, 221). Der Begriff teilweises Zerstören hat im Rahmen des § 303 keine Bedeutung (vgl. aber § 305 Rdn. 2). Bei teilweiser Zerstörung liegt Beschädigung vor (OGHSt. 2 94, 97).

17

V. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz (vgl. § 15). Zum Vorsatz gehört das Wissen, daß die Einwirkung auf die Sache diese beschädigt oder zerstört und daß die Sache fremd ist (RGSt. 15 12; 33 177,179; BayObLGSt. 6 136; 8 59). Daneben ist der Wille nötig, die fremde Sache zu beschädigen oder zu zerstören. Beschädigungs- oder Zerstörungsabsicht ist nicht erforderlich (RGSt. 15 12, 13; RG LZ 1914 Sp. 1393, 9

10

RGSt. 33 177, 179; Dreher/Tröndle Rdn. 7; Frank Anm. II 1; Samson SK Rdn. 6; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 10; vgl. aber auch R G LZ 1914 Sp. 1394. Α. Μ. ζ. B. Kohler GA 54 [1907] 1, 11 und Busch LK 9. Aufl. Rdn. 8 mit weiteren Nachweisen;

wie hier Dreher/Tröndle Rdn. 9; Sch/Schroeder/Stree Rdn. 10; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 36 III 2; Wessels BT 2 S. 9 f; Bloy Die Behandlung der Sachentziehung im deutschen, österreichischen und schweizerischen Strafrecht, Oehler-Festschrift S. 559 ff.

Stand: 1. 9. 1992

(44)

Sachbeschädigung

§

303

1394; R G H R R 1936 Nr. 853). Bedingter Vorsatz genügt (RGSt. 19 209, 211; K G J 29 C 83). Hält der Täter die beschädigte Sache irrig f ü r völlig wertlos, so handelt er im Tatbestandsirrtum. Der Irrtum des zerstörenden Täters, er werde nur beschädigen, hat allenfalls bei der Strafzumessung Bedeutung. Bezüglich der Irrtumsfragen bei Rechtfertigungsgründen gelten die allgemeinen Grundsätze. — Fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht mit Strafe bedroht. Das gilt nach Art. 4 Absätze 2 und 5 EGStGB auch für das Landesrecht, weil die Sachbeschädigung im StGB abschließend geregelt ist. VI. Die Rechtswidrigkeit ist kein Tatbestandsmerkmal sondern allgemeines Ver- 18 brechensmerkmal (BayObLGSt. 1952 259, 263). Sie folgt meist schon aus der Fremdheit der Sache, also aus der Verletzung fremden Eigentums. So kann der Aussteller einer Urkunde, die jetzt einem anderen gehört, durch Verändern der Urkunde Sachbeschädigung begehen, soweit nicht Urkundenfälschung oder -Unterdrückung vorliegt. Der Täter kann jedoch aus privat- oder öffentlichrechtlichen G r ü n d e n zur Be- 19 Schädigung oder Zerstörung der fremden Sache befugt sein. Öffentlichrechtliche Befugnisse hat etwa die Polizei, der Gerichtsvollzieher (gewaltsames Ö f f n e n von Räumen oder Behältnissen) oder die Feuerwehr. Hierher gehört auch der Jagdschutz als sonderpolizeiliche Regelung {Drews/Wacke/Vogel/Martens Gefahrenabwehr 9. Aufl. S. 166), soweit er die Tötung wildernder H u n d e und Katzen umfaßt. Er ist in den §§ 23, 25 BJagdG in Verbindung mit den Landesjagdgesetzen geregelt (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BVerfGE 18 305). Vergleiche dazu näher Mitzschke/Schäfer BJagdG 4. Aufl. § 25 Rdn. 43 ff, 82 ff u n d Lorz in Erbs/Kohlhaas Bd. II § 23 BJagdG (J 12) Anm. 7 und 8. Beispiele aus der Rechtsprechung: RGSt. 24 225; BayObLGSt. 11181; 1952 259; 1967 26; O L G Celle NdsRpfl. 1968 205; O L G H a m m M D R 1960 865; O L G Karlsruhe NStZ 1988 32; O L G Köln N J W 1954 1617. Zu betonen ist, daß das Jagdschutzrecht Grenzen hat (vgl. ζ. B. BayObLG N J W 1992 2306), insbesondere als Polizeirecht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt, Mißbräuche also nicht nur über § 17 TierSchG geahndet werden können. Das Recht, fremde Haustauben, die im Freien betroffen werden, zu erlegen, zu fangen oder sich anzueignen, ist landesrechtlich geregelt, vgl. Art. 130 EGBGB. Das BrieftaubenG vom 1. Oktober 1938 — RGBl. I S. 1335 —, das Brieftauben ausnahm, ist inzwischen teilweise aufgehoben oder geändert worden. Nachweise zum Landesrecht finden sich zum Beispiel bei Staudinger/Kanzleitner/Hönle BGB 12. Aufl. Art. 130 E G B G B Rdn. 4 ff; Säcker Münchener K o m m e n t a r zum BGB 2. Aufl. Art. 130 E G B G B Rdn. 2). An allgemeinen Rechtfertigungsgründen k o m m e n vor allem in Betracht: Not- 2 0 stand nach §§ 228,904 BGB (RGSt. 34 295; R G Recht 1913 Nr. 1535; BayObLGSt. 8 59), Selbsthilferechte aus §§ 229 und 859 BGB (BayObLGSt. 8 4); außerdem Einwilligung, wobei es auf die Sittenwidrigkeit der Tat nicht a n k o m m t (RGSt. 27 420; Dreher/Tröndle Rdn. 11; Sch/Schröder/Stree Rdn. 12; a . M . Busch LK 9. Aufl. § 303 Rdn. 9). VII. Versuch, Vollendung, Täterschaft. Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Er 21 beginnt mit der tatbestandsmäßigen Handlung. Die Vollendung tritt ein mit der Mangelhaftigkeit der Sache. Für die Täterschaft wirken die allgemeinen Grundsätze dahin, d a ß mittelbarer Täter (vgl. § 25 Abs. 1 2. Altern.) ist, wer den Eigentümer zum Beispiel durch Täuschung dazu bestimmt, seine eigene Sache zu beschädigen oder zu (45)

Hagen Wolff

§ 303

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

zerstören (er macht ihm vor, sein Tier sei unheilbar krank und müsse zur Verhütung weiterer Schäden sofort geschlachtet werden, vgl. Olshausen Anm. 2). 22

IX. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit: § 113; § 120; § 123 (BGH, Urt. v. 28. Jan. 1958 - 1 StR 644/57 - ) ; § 124; § 125 Abs. 1 Nr. 1 (vgl. RG HRR 1937 Nr. 1557, insoweit in RGSt. 71 137 nicht mit abgedruckt; anders — Gesetzeinheit — BGH bei Daliinger MDR 1968 727); mit § 133, weil dort keine fremde Sache erforderlich ist; § 145 Abs. 1; § 177 (BGH, Urt. v. 5. April 1963 - 4 StR 76/63 - ) ; § 185 (RG HRR 1936 Nr. 853); § 223 a (RG GA 60 [1913] 66); mit § 304 (aA Dreher/Tröndle § 304 Rdn. 15); § 306 (RGSt. 57 294,296); § 308, wenn die mitverbrannte Sache nicht Bestandteil des in Brand gesetzten Gegenstandes ist (RG JW 1935 2372), sonst tritt § 303 zurück (BGH LM StGB § 308 Nr. 1, insoweit in BGHSt. 6 107 nicht mit abgedruckt); mit § 309 (RGSt. 54 1); § 310b; § 311; § 313; § 315; § 315b (aA z.B. OLG Braunschweig MDR 1967 419); § 317 Abs. 3; § 17 TierschutzG. — Gesetzeseinheit: Folgende Bestimmungen verdrängen den § 303: § 90a Abs. 2; § 104; § 109e; § 121 (vgl. RG GA 56 [1903] 86; RG Recht 19212483; a. M. OLG Celle MDR 1964 693; alle zu § 122 Abs. 2 a. F.); § 125 a Nr. 4; § 134; § 202, soweit das Beschädigen nicht über das Öffnen hinausgeht; §§ 242, 243 Nr. 1 trotz der Umwandlung in Regelbeispiele (für den alten Rechtszustand: RGSt. 40 430; 53 279; RG Rspr. 3 251; BGHSt. 22 127; aA Ranft Jura 1986 214); § 274 Abs. 1 Nr. 1 (RG GA 57 [ 1910] 399); § 305; § 321 (RG Rspr. 4 692); die landesrechtlichen Vorschriften zum Schutze von Feld und Forst, Art. 4 Abs. 5 EGStGB (OLG Stuttgart OLGSt. Art. 4 V 1 EGStGB Nr. 1; vgl. zum alten Rechtszustand RGSt. 48 212; RG Rspr. 3 249, 250; BayObLGSt. 1955 161). § 303 ist allerdings dann wieder anwendbar, wenn die Strafbarkeit aus einer die Sachbeschädigung an sich verdrängenden Strafvorschrift entfällt (RGSt. 15 12, 14; RG Rspr. 4 692). § 303 verdrängt seinerseits § 145 Abs. 2. — Tatmehrheit zwischen Sachbeschädigung und Diebstahl ist anzunehmen, wenn die Beschädigung nur zur Vorbereitung des Diebstahls dient (RG Rspr. 3 251). Beschädigt oder zerstört der Dieb eine von ihm bereits gestohlene Sache, so greift ausschließlich § 242 ein. Die Zueignung geht jeder weiteren Verfügung über die Sache vor (RG Rspr. 10 488); zum Teil wird mitbestrafte Nachtat angenommen. Bei zusammengesetzten Sachen kann der Diebstahl eines Teiles und die Beschädigung eines anderen Teiles in Tateinheit zusammentreffen (Rommel S. 105 f; Aneignung der Edelsteine, die aus einem Schmuckstück unter Beschädigung der Fassung herausgebrochen werden). Wer den Humus eines fremden Grundstücks abschiebt und für eigene Zwecke verwendet, begeht Diebstahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung. — Zu dem Konkurrenzverhältnis zu §§ 303 a und 303 b vergleiche dort.

23

Recht des Einigungsvertrages. Die §§ 303 und 303 c bis 305 a StGB gelten seit dem Wirksam werden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren DDR gegründeten Bundesländern und in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I und II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der DDR vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). Stand: 1. 9. 1992

(46)

Datenveränderung

§ 303 a

In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt geändert worden 2 4 durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I S. 526). Dabei wurde die vorsätzliche Sachbeschädigung in § 165 wie folgt normiert: (1) Wer vorsätzlich und rechtswidrig eine fremde Sache zerstört, vernichtet, beschädigt oder unbrauchbar macht, wird mit Geldstrafe, Verurteilung und Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Die Verfolgung tritt auf Antrag des Geschädigten ein. § 168 sah f ü r schwere Fälle der Sachbeschädigung — vorsätzliche Verursachung eines schweren Schadens — Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu acht Jahren vor. Davor, ab dem 1. Juli 1989, galt das Strafgesetzbuch der D D R in der Fassung vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). In dieser Gesetzesfassung erfaßten Fälle von Sachbeschädigung: § 163 — Vorsätzliche Beschädigung sozialistischen Eigentums, wobei der Begriff des sozialistischen Eigentums in § 157 definiert war; § 164 — Schwere Fälle der Beschädigung sozialistischen Eigentums; §§ 166 und 167 — Wirtschaftsschädigung; § 168 — Schädigung des Tierbestandes; §§ 183, 184 — Vorsätzliche Sachbeschädigung (von in persönlichem oder privatem Eigentum stehenden fremden Sachen) mit erhöhtem Strafrahmen f ü r schwere Fälle der Sachbeschädigung. Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten von Sachbeschädigung wird ergänzend auf Art. 315 bis 315 b E G S t G B verwiesen.

§ 303 a Datenveränderung (1) Wer rechtswidrig Daten (§ 202 a Abs. 2) löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Schrifttum Bühler Ein Versuch, Computerkriminellen das Handwerk zu legen: Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, MDR 1987 448; Dierstein Von Viren, trojanischen Pferden und logischen Bomben, NJW-CoR 4/90 8, 5/90 26, 1/91 26; Frommel Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, JuS 1987 667; Granderath Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, DB 1986 Beil. 18/86; von Gravenreuth Computerviren, Hacker, Datenspione, Crasher und Cracker, NStZ 1989 201; Haft Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG), NStZ 1987 6; Ηaß Der strafrechtliche Schutz von Computerprogrammen, in: Lehmann (Hrsg.) Rechtsschutz und Verwertung von Computerprogrammen (1988) S. 299; Haurand/Vahle Computerkriminalität, RDV 1990 128; //o/er Computer-Viren — Herkunft, Begriff, Eigenschaften, Deliktsformen, iur-pc 1991 1367; Lenckner/Winkelbauer Computerkriminalität — Möglichkeiten unnd Grenzen des 2. WiKG, CR 1986 824; Meinhardt Überlegungen zur Interpretation von § 303 a StGB (1991); Möhrenschlager Das neue Computerstrafrecht, wistra 1986 128; Pohl/Cremer Zur Computerkriminalität im 5. StÄG der DDR und 2. WiKG der Bundesrepublik aus der Sicht der Informationstechnik, DuD 1990 493, 551; Schlächter Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1987); Schmitz Computerkriminalität (1990); Sondermann Computerkriminalität — Die neuen Tatbestände der Datenveränderung gemäß § 303 a StGB und der Computersabotage ge(47)

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

mäß § 303 b StGB, Diss. Münster 1989; Volesky/Scholten Computersabotage — Sabotageprogramme — Computerviren, iur 1987 280; Welp Datenveränderung (§ 303 a StGB), iur 1988 443; iur 1988 Sonderheft 439.

Entstehungsgeschichte Eingefügt durch Art. I Nr. 17 des 2. WiKG, in Kraft getreten am 1.8. 1986. Gesetzesmaterialien Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 10/5058. Übersicht I. Allgemeines II. Rechtsgut III Angriffsobjekt 1. Daten 2. Fremde Daten 3. Die Unbestimmheit des Tatbestandes 4. Mögliche Kriterien für die Datenzuordnung a) Grundlagen b) Unproblematische Fälle c) Unerlaubt auf fremdem Datenträger gespeicherte Daten . . . . d) In fremdem Auftrag erstellte Daten

Rdn. 1 2 3 3 5

IV.

7 8 9 12

V. VI. VII. VIII. IX. X.

15

e) Unerlaubt kopierte Daten . . . . Tathandlung 1. Allgemeines 2. Löschen 3. Unterdrücken 4. Unbrauchbarmachen 5. Verändern 6. Der Einsatz von Computerviren . . Innere Tatseite Rechtswidrigkeit Versuch Konkurrenzen Strafantrag Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 18 19 19 23 26 28 29 32 36 37 38 39 40 41

17

1

I. Allgemeines. Die Vorschrift bedroht in Anlehnung an § 303 Handlungen mit Strafe, die bewirken, daß die Verwendbarkeit von Daten aufgehoben oder beeinträchtigt ist. Zur Einführung des Tatbestandes sah sich der Gesetzgeber mit Blick auf den hohen wirtschaftlichen Wert, den Computerdaten haben können, sowie auf die wachsende Abhängigkeit von solchen Daten in Wirtschaft und Verwaltung veranlaßt. Dabei ließ er sich von der Vorstellung leiten, daß das geltende Recht den erforderlichen strafrechtlichen Schutz nicht hinreichend gewährleiste, weil § 303 insbesondere auf das Unterdrücken von Daten und Veränderungen in der Übermittlungsphase nicht anwendbar sei1.

2

II. Rechtsgut. Nach herrschender Meinung wird als geschütztes Rechtsgut das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten Verwendbarkeit der gespeicherten Daten bezeichnet 2 . Die auf den ersten Blick abweichende Ansicht Hafts 1

BT-Drucks. 10/5058 S. 34; ebenso in der Literatur Dreher/Tröndle Rdn. 1; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 2; Möhrenschlager wistra 1986 130, 141 f; Schmitz S. 112 f. Gegen die Annahme der Reformbedürftigkeit des alten Rechts im Hinblick auf die von § 303 a erfaßten Tatbestände in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses schon Sieber (BT-Drucks. 10/5058 S. 34); in der Literatur ebenso Haft NStZ 1987 6; Welp iur 1988 Sonderheft 438; ders. iur 1987 354.

2

BT-Drucks. 10/5058 S. 34; wörtlich oder ähnlich Sch/Schröder/Stree Rdn. 1; Dreher/Tröndle Rdn. 2; Lackner Rdn. 1; Bühler Μ DR 1987 448; Frommel JuS 1987 668; Möhrenschlager wistra 1986 141; Schlächter S. 70, 71; kritisch Samson SK Rdn. 1, nach dessen Auffassung das Rechtsgut in wesentlicher Hinsicht unklar ist.

Stand: 1. 10. 1992

(48)

Datenveränderung

§ 303 a

(NStZ 1987 10), Rechtsgut sei das Vermögen in seiner spezialisierten Ausprägung in Daten oder Programmen, stößt durchweg auf Ablehnung 3 . Tatsächlich dürften sich beide Auffassungen inhaltlich nicht unterscheiden. Das Interesse des Verfügungsberechtigten an der unversehrten Verwendbarkeit seiner Daten geht dahin, mit diesen nach Belieben verfahren und Einwirkungen Dritter auf ihren aktuellen Bestand abwehren zu können. Ein dieses Interesse schützendes Recht kann man — wie etwa auch das Eigentum — durchaus als spezielles Vermögensrecht bezeichnen (so auch Welp iur 1988 449). III. Angriffsobjekt. Das Angriffsobjekt ist in § 303 a nur unvollständig beschrie- 3 ben. 1. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommen als Tatobjekte Daten im Sinne des § 202 a Abs. 2 in Betracht, also Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden 3 3 (näher § 202 a Rdn. 3f). Geschützt sind auch Programme oder Programmteile 4 . Handelsübliche Programme, die beim Hersteller oder Händler ausschließlich zum Zwecke der Veräußerung gelagert sind, werden allerdings unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsgutes (Rdn. 2) nicht als Daten im Sinne des § 303 a aufgefaßt werden können. Eine besondere Zugangssicherung ist — anders als in § 202 a Abs. 1 — nicht erforderlich 5 . Ebensowenig ist — anders als in § 274 Abs. 1 Nr. 2 — Voraussetzung, daß die Daten beweiserheblich sind 6 oder daß ihnen ein wirtschaftlicher Wert zukommt (Welp iur 1988 449). Ob auch Daten im flüchtigen Teil des Hauptspeichers des Rechners erfaßt sind 7 , er- 4 scheint zweifelhaft. Der Wortlaut des § 202 a Abs. 2 und der Umstand, daß die Bestimmung Daten, die gespeichert sind, und solche, die übertragen werden, nebeneinanderstellt, sprechen eher dafür, daß mit Speicherung nicht der maschineninterne — sich automatisch vollziehende — Vorgang der Ablage von in Bearbeitung befindlichen Daten im Arbeitsspeicher gemeint ist, sondern nur die durch Eingabe eines Speicherbefehls veranlagte Übertragung auf einen Datenträger. Diese Deutung entspricht im übrigen auch der Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BDSG. Sie kann zudem darauf verweisen, daß niemand in die Integrität von Daten, die — wie Daten im Hauptspeicher — etwa schon aufgrund einer bloßen Unterbrechung der Stromversorgung verlorengehen, Vertrauen setzen kann oder auch nur setzen wird. 2. Fremde Daten. Hinsichtlich der rechtlichen Beziehung des Täters zu den verän- 5 derten Daten enthält der Tatbestand seinem Wortlaut nach keine ausdrücklichen Vorgaben. Insofern ist er ersichtlich zu weit formuliert. Die fortlaufende Veränderung von Daten entspricht geradezu dem Wesen jeder Datenverarbeitung. Soll § 303 a sie nicht generell mit Strafe bedrohen, so muß die Anwendung des Tatbestan3

31

4

(49)

Dreher/Tröndle Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree Rdn. 1; Frommet JuS 1987 668; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 2; Möhrenschlager wistra 1986 141; Schlüchtern. 70,71. Hinsichtlich der Übermittlungsdaten zweifelnd MeinhardtS. 150. Bühler Μ DR 1987 455; Möhrenschlager wistra 1986 141; Haß Rdn. 50; Hofer iur-pc 1991 1370; Pohl/Cremer D u D 1990 495; a.A. von Gravenreuth NStZ 1989 203.

5

6

7

Frommel JuS 1987 667; Sch/Schröder/Stree Rdn. 2; Samson SK Rdn. 9; Welp iur 1988 445 Anm. 15. Sch/Schröder/Stree Rdn. 2; Samson SK Rdn. 12. So Welp iur 1988 445; ebenso Haurand/Vahle RDV 1990 129.

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

des auf Daten beschränkt werden, an deren unverändertem Bestand ein anderer als der Täter ein rechtlich geschütztes Interesse hat. Die Daten müssen also, wie auch die Einfügung des Tatbestands im Anschluß an § 303 zeigt, für den Täter fremd sein8. Dabei ist, da Daten keine Sachen sind, der Begriff der Fremdheit — wie auch der der Verfügungsbefugnis — hier und im folgenden nicht im sachenrechtlichen Sinne zu verstehen. Er soll vielmehr besagen, daß ein anderer als der Täter das Recht hat, die Daten zu benutzen und sie nach seinem Belieben zu verändern oder auch zu löschen. Darüber, daß nur fremde Daten geschützt sind, besteht in der Literatur Einigkeit. Ob die Fremdheit der Daten als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal angesehen 9 oder diese Voraussetzung aus dem als Tatbestandsmerkmal verstandenen Merkmal „rechtswidrig" abgeleitet wird 10 , ist ohne Belang". 6 Mit der Feststellung, daß § 303 a nur auf täterfremde Daten Anwendung findet, ist kaum etwas gewonnen, solange nicht geklärt ist, nach welchen Kriterien die Verfügungsbefugnis an Daten zu beurteilen ist. Durch Auslegung des § 303 a selber läßt sich für die Beantwortung der Frage, wem die Verfügungsbefugnis über Daten zusteht, keine Erkenntnis gewinnen. Insofern ist die Vorschrift — ebenso wie § 303 hinsichtlich der Fremdheit der Sache — zivilrechtsakzessorisch. Anders als für die Beurteilung der Fremdheit einer Sache fehlen aber zivilrechtliche Vorschriften, die die Verfügungsbefugnis an Daten regeln. Da es ein Eigentum an Daten nicht gibt, kann die Zuordnung von Daten insbesondere nicht nach den Regeln der §§ 929 ff BGB über den Erwerb und den Verlust von Eigentum vorgenommen werden. Auch dem Urhebergesetz, dessen in andere Richtung zielenden Schutz Daten als solche ohnehin nicht genießen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 UrhG), lassen sich keine Anhaltspunkte dazu entnehmen, welchem von mehreren möglicherweise Betroffenen im Streitfall die Verfügungsbefugnis über Daten zusteht. 7

3. Die Unbestimmheit des Tatbestandes. Da es keine gesetzlichen Regelungen gibt, die die Verfügungsbefugnis an Daten regeln, bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 303 a mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG erhebliche Bedenken. Wenn strafrechtliche Normen das Verbotene vom Erlaubten klar abgrenzen müssen und die Tatbestandsmerkmale so konkret zu umschreiben sind, daß jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist12, so genügt § 303 a den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht 13 . Das Risiko einer Bestrafung ist für den Staatsbürger weder aufgrund des Gesetzestextes erkennbar, noch kann es sich ihm dadurch erschließen, daß (vgl. BVerfGE 57, 250, 262; 73,206,243) die auslegungsbedürftigen Begriffe durch die Rechtsprechung eine mit dem Wortlaut der Regelung, ihrem Zweck und ihrer Entstehungsgeschichte in Einklang stehende Auslegung erfahren haben. Der auch im Wege der Auslegung nicht zu beseitigende Mangel der § 303 a ergibt sich daraus, daß weder in dieser 8

9

10

11

Sch/Schröder/Slree Rdn. 3; Samson SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 4; Welp iur 1988 447; Lenckner/ Winkelbauer CR 1986 828; Schlüchter S. 74; Frommel JuS 1987 667; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3; Haß Rdn. 49. Welp iur 1988 447; Sch/Schröder/Slree Rdn. 3, 6; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3. Dreher/Tröndle Rdn. 9; Lackner Rdn. 4; Frommel JuS 1987 667; ebenso wohl auch Schlüchter S. 74. Samson SK Rdn. 5; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 828.

12

13

BVerfGE 29 269; 285; st. Rspr.; zuletzt BVerfGE 78,374,382; 80,244,256. Ebenso Samson SK Rdn. 7, 8; Welp iur 1988 Sonderheft 439; ders. iur 1987 354; im Ergebnis ebenso Lenckner/Winkelbauer CR 1986 828; vgl. auch Meinhardt S. 91, 166; a. A. Schlüchter S. 84, die — allerdings bezogen auf die Beschreibung der Tatmodalitäten — sogar ausdrücklich feststellt, § 303 a stelle einen gelungenen Ausgleich zwischen Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot dar.

Stand: 1. 10. 1992

(50)

Datenveränderung

§303 a

Norm noch in anderen förmlichen Gesetzen — insbesondere im BGB — die Kriterien für die Zuordnung der Verfügungsbefugnis über Daten an bestimmte Personen in einer Weise festgelegt sind, daß für Fälle, in denen mehrere als Berechtigte in Betracht kommen, der Inhaber der Verfügungsbefugnis in voraussehbarer Weise bestimmt werden könnte. 4. Mögliche Kriterien für die Datenzuordnung. Im folgenden soll versucht werden, 8 das nicht geschriebene Merkmal der Fremdheit der Daten inhaltlich auszufüllen. Selbstverständlich begegnet auch dieser Versuch — nicht weniger als andere Auslegungsbemühungen — den oben (Rdn. 7) aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken. Die folgenden Erläuterungen stehen deshalb unter dem Vorbehalt, daß diese Bedenken zurückgestellt werden. a) Grundlagen. Ausgehend von den Kriterien, die sich in der Literatur zur Fremd- 9 heit von gespeicherten Daten finden, kommen als Anknüpfungspunkt für die Zuordnung der Verfügungsbefugnis in Betracht: (1.) die nach den Regeln des Zivilrechts zu beurteilenden dinglichen oder obligatorischen Rechte am Datenträger, (2.) die Urheberschaft, diese vermittelt durch das Herstellen von Daten, sei es durch Eingabe und Speicherung, durch Start eines selbsttätig speichernden Programms oder durch Einspeicherung fremder, übermittelter Daten, wobei in einem Unternehmen, entsprechend den für den Eigentumserwerb gemäß § 950 BGB anerkannten Grundsätzen 1 4 — als Hersteller der Daten nicht der Angestellte anzusehen ist, der die Daten auf Weisung des Inhabers oder Leiters unmittelbar erzeugt hat, sondern der Inhaber des Unternehmens, (3.) in Fällen der Datenverarbeitung in fremdem Auftrag: die Auftragserteilung. In bezug auf Daten, die übermittelt werden, liegt es nahe, als verfügungsbefugt den Inhaber der (gespeicherten) Originaldaten anzusehen, die der Übermittlung zugrundeliegen (vgl auch Meinhardt S. 148, 150). Diskutiert wird auch, ob in bezug auf persönliche Daten dem von ihrem Informa- 10 tionsgehalt Betroffenen schon aufgrund seiner Betroffenheit ein Verfügungsrecht zusteht. Das wird — ungeachtet einer Formulierung im Bericht des Rechtsausschusses 15 , die für das gegenteilige Ergebnis zu sprechen scheint — von der herrschenden Meinung zu Recht abgelehnt 16 . Jede andere Auslegung liefe der Gesetzessystematik zuwider und hätte zur Folge, daß durch einen sachbeschädigungsähnlichen Tatbestand die tatbestandlichen Begrenzungen des § 43 BDSG unterlaufen würden 1 7 . Welcher der in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte den Vorzug verdient, 11 läßt sich mangels gesetzlicher Regelungen nicht abstrakt durch Auslegung ermitteln. Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoll, induktiv vorzugehen und für einzelne Fallgruppen unter Abwägung der in ihnen möglicherweise betroffenen Interessen Lösungen zu entwickeln 172 . Dabei ist aber noch einmal zu betonen, daß es sich nicht 14 15

16

(51)

Vgl. Palandt § 950 Anm. 3 a.aa. BT-Drucks. 10/5058 S. 34: „Die Rechtswidrigkeit kann sich auch aus der Verletzung von Interessen des vom Inhalt der Daten Betroffenen ergeben." Samson SK Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Welp iur 1988 448; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Bühler MDR 1987 455; ebenso (mit ausführlicher Begründung) auch Meinhardt S. 58 ff, 63; a. A. Lackner Rdn. 4, allerdings mit der Einschränkung, daß dem Betroffenen — was in der Regel nicht zutreffe — ein Recht auf Unversehrtheit der Daten zustehe; a. A. scheinbar

auch Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3, der aber mit dem Begriff des Betroffenen abweichend von dem in der Diskussion üblichen Sprachgebrauch denjenigen meint, für dessen Unternehmen der unbeeinträchtigte Datenbestand von Interesse ist, also etwa im Falle der Datenverarbeitung im Auftrag eines anderen den Auftraggeber. 17 Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Lenckner/WinkelbauerCR 1986829; Bühler MDR 1987455. "* Ähnlich auch der Lösungsansatz von Meinhardt S. 111 ff, 114 f.

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

um den Versuch einer Auslegung handelt, sondern um eine Art freier Rechtsfindung, die mit Art. 103 Abs. 2 G G nicht in Einklang steht. 12

b) Unproblematische Fälle. Keine Schwierigkeiten bereitet die Frage der Verfügungsbefugnis, wenn alle Anknüpfungspunkte dafür sprechen, die Daten derselben Person zuzuordnen. Wer zu eigenen Zwecken — also nicht in fremdem Auftrag — Daten erstellt und diese auf einem ihm gehörenden Datenträger speichert, ist zur Verfügung über diese Daten berechtigt und kann durch ihre Veränderung den Tatbestand nicht verwirklichen.

13

Wenig problematisch ist auch die Zuordnung solcher Daten, die der Skribent für eigene Zwecke auf einem fremden Datenträger, aber mit Einverständnis des Eigentümers gespeichert hat. Hat sich der Eigentümer mit der Speicherung von Daten auf seinem Datenträger einverstanden erklärt, so wird regelmäßig ein vertragliches Verhältnis zustande gekommen sein (etwa Miete, Leihe, Leasing oder Kauf unter Eigentumsvorbehalt), das dem Speichernden auch ein obligatorisches Recht auf Benutzung des Datenträgers gibt. Eine größere Bedeutung in der Praxis dürfte diese Fallgruppe nicht erlangen. Für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit kommt es bei ihr auf die richtige Zuordnung der Daten ohnehin nur an, wenn der Speichernde oder der Eigentümer die Daten später gegen den Willen der jeweils anderen Seite verändert. Im übrigen — also bei Datenveränderungen durch Dritte — ist die Bestimmung des Verfügungsberechtigten allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Antragsrechts erheblich.

14

Keine fremden Daten sind aus der Sicht des Täters solche, die der ehemals Verfügungsberechtigte durch Beseitigung des Inhaltsverzeichnisses gelöscht hat. Durch diese Handlung, die sich allerdings nicht als ein Löschen im Sinne des § 303 a darstellt, weil die Daten physisch erhalten bleiben (Rdn. 25), hat der Verfügungsberechtigte die faktische Verfügungsmacht über die Daten in der erkennbaren Absicht, auf seine geschützte Position zu verzichten, aufgegeben und damit — entsprechend dem Rechtsgedanken des § 959 BGB — seine Verfügungsbefugnis verloren' 8 .

15

c) Unerlaubt auf fremdem Datenträger gespeicherte Daten. Werden Daten gegen den Willen des Eigentümers auf einem fremden Datenträger gespeichert, so weisen die möglichen Anknüpfungspunkte für die Datenzuordnung in verschiedene Richtungen. Die Herstellung der Daten begründet kein Recht am Datenträger. § 950 BGB findet nicht Anwendung. Der Speichernde erwirbt also auch dann kein Eigentum am Datenträger, wenn die gespeicherten Daten von wesentlich größerem wirtschaftlichen Wert sind als der Datenträger und durch die Speicherung etwa aus einer unbeschriebenen Diskette ein wertvolles Programm geworden ist 19 . In diesen Fällen der Speicherung von Daten ohne oder gegen den Willen des Datenträgereigentümers wird die Verfügungsbefugnis über die Daten von einem Teil der Literatur diesem zugewiesen 20 . Das begegnet Bedenken. Allerdings läßt sich nicht bestreiten, daß jede Verfügung über die Daten von seiten des Urhebers einen weiteren Zugriff auf das fremde (Datenträger-)Eigentum darstellt, zu dessen Dul18

19

20

Vgl. auch Welp iur 1988 435 Fn. 55, für den die so gelöschten Daten schon keine Daten im Sinne des § 303 a sind. So — vielleicht nicht unzweifelhaft — Soergel/ Mühl § 950 Rdn. 20 und MiinchKomm— Quack §950 Rdn. 35,10. Welp iur 1988 448; im Ergebnis ebenso Samson SK Rdn. 13 ff, der grundsätzlich von dem Vor-

rang des Datenträgereigentums ausgeht; a.A. möglicherweise — allerdings nicht eindeutig — Dreher/Tröndle Rdn. 9; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3, die betonen, daß das Eigentum am Datenträger über das Verfügungsrecht an den Daten nichts besage; vgl. auch Lackner Rdn. 4, der grundsätzlich vom Verfügungsrecht des Systembetreibers auszugehen scheint.

Stand: 1. 10. 1992

(52)

Datenveränderung

§ 303 a

dung der Eigentümer gemäß § 903 BGB nicht verpflichtet ist ( W e l p iur 1988 448). Das — von § 303 a nicht geschützte — Interesse, die Nutzung seines Datenträgers durch Dritte zu hindern, gibt dem Datenträgereigentümer aber kein Recht an den auf dem Datenträger gespeicherten Daten. An deren unversehrtem Fortbestand hat er im Regelfall nicht einmal ein Interesse, jedenfalls aber kein schutzwürdiges Interesse. Seine Eigentümerinteressen sind gewahrt, wenn er den Datenträger in dem Zustand wiedererhält, in dem sich dieser vor der rechtswidrigen Speicherung befand. Im Ergebnis handelt der Speichernde danach nicht tatbestandsmäßig im Sinne 16 des § 303 a, wenn er die auf einem fremden Datenträger gespeicherten Daten — mag er damit auch in bezug auf das Eigentum eine unerlaubte Handlung vornehmen — bearbeitet und dadurch verändert. Das ist offensichtlich, wenn er die Daten vor der Rückgabe des Datenträgers an den Eigentümer wieder löscht und damit lediglich den ursprünglichen Zustand wiederherstellt. Dasselbe gilt aber bei jeder anderen Art von Veränderung. Umgekehrt wird im allgemeinen auch der Eigentümer nicht tatbestandsmäßig handeln, wenn er die unerlaubt gespeicherten Daten nach Rückerhalt des Datenträgers löscht oder verändert. Das folgt allerdings nicht aus seinem Eigentum am Datenträger (so aber anscheinend Samson SK Rdn. 16), sondern daraus, daß der Datenurheber dem Eigentümer, wenn er ihm den Datenträger mit den von ihm hergestellten Daten übergibt, die Verfügungsbefugnis überträgt 21 . Fehlt es an einer solchen Übertragung — etwa weil der Eigentümer den ihm gehörenden Datenträger eigenmächtig an sich nimmt —, so verbleibt es bei der Verfügungsbefugnis des Speichernden. In diesem Fall ist eine Datenveränderung durch den Eigentümer tatbestandsmäßig im Sinne des § 303 a (so auch Meinhardt S. 146; a. A. Samson SK Rdn. 15, 16). Es erscheint auch zweifelhaft, ob sie durch das umfassende Herrschaftsrecht des Eigentümers an dem Datenträger gerechtfertigt ist (so Meinhardt S. 146). Zumindest erwägenswert dürfte sein, ob der Speichernde nicht zur „Wegnahme" seiner Daten — etwa durch Übertragung auf einen eigenen Datenträger — berechtigt ist (Rechtsgedanke des § 997 Abs. 1 BGB). d) In fremdem Auftrag erstellte Daten. Erörtert wird, ob als Verfügungsberechtig- 17 ter auch in Betracht kommt, wer ein Datenverarbeitungsunternehmen mit der Verarbeitung von Daten beauftragt, die für ihn oder sein Unternehmen wichtig sind 22 . Als Beispiel wird häufig der Inhaber eines Unternehmens genannt, der ein Rechenzentrum unter Übergabe seiner Belege mit der Unternehmensbuchhaltung oder der Erstellung einer Bilanz beauftragt 2 3 . Die Auffassung, der Auftraggeber sei verfügungsbefugt, erscheint jedenfalls nicht unproblematisch. Solange der Auftragnehmer das Datenwerk nicht an den Auftraggeber ausgehändigt hat, kann dessen Interesse an dem Bestand der Daten nur im Rahmen seiner obligatorischen Rechte gegen den Auftragnehmer Schutz finden. Mit dieser Rechtslage wäre die Annahme einer strafrechtlich gegenüber jedermann geschützten Verfügungsbefugnis kaum in Einklang zu bringen. § 303 a auch auf Datenveränderungen durch den Auftragnehmer anzuwenden, liefe darauf hinaus, im Bereich der Datenverarbeitung im fremdem Auftrag den bloßen Vertragsbruch unter Strafe zu stellen. Daher kann die Verfügungsbefugnis des Auftraggebers nur anerkannt werden, wenn ihm das Datenwerk ausgehändigt 21

22

(53)

Das übersieht Sondermann S. 35; zur Übertragung der Verfügungsbefugnis vgl. Meinhardt S. 130 ff. Samson SK Rdn. 17; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Lackner Rdn. 4; Dreher/Tröndle Rdn. 9; Welp iur 1988 448; Lenckner/Winkelbauer CR

23

1986 829; Meinhardt S. 122ff; Haurand/Vahle RDV 1990 129; Sondermann S. 35. Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Haurand/Vahle RDV 1990 129; Sondermann S. 35.

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

24

ist . Darüber hinaus wird der Auftraggeber im Ergebnis auch dann verfügungsberechtigt sein, wenn der Auftragnehmer das Datenwerk in allen Einzelheiten nach seinen Weisungen erstellt hat (Welp iur 1988 448). In dieser — praktisch sicher äußerst seltenen Fallgestaltung — folgt die Verfügungsbefugnis des Auftraggebers aber nicht aus dem Gesichtspunkt der Auftragserteilung (so aber anscheinend Welp iur 1988 448), sondern daraus, daß er im allgemeinen selber als Urheber der Daten und aus diesem Grunde als Dateninhaber anzusehen sein wird. 18

e) Unerlaubt kopierte Daten. Fraglich könnte auch sein, wer zur Verfügung über Daten befugt ist, die durch unerlaubte Anfertigung einer Kopie hergestellt worden sind. Ob die Verfügungsbefugnis des Dateninhabers sich an den unerlaubt kopierten Daten — in ihrer Verkörperung auf dem Datenträger, auf den sie kopiert sind — fortsetzt, wird bezweifelt werden müssen. Das von § 303 a allein geschützte Bestandsinteresse verlangt die Erstreckung der Verfügungsbefugnis auf die durch Kopie erzeugten Daten nicht. Die Orjginaldaten bleiben erhalten. Ihre künftige Verarbeitung wird weder durch die Fertigung der Kopie noch durch Veränderung der Kopien beeinträchtigt. Dementsprechend handelt nicht tatbestandsmäßig im Sinne dieser Bestimmung, wer Daten seiner Euroscheckkarte in den Speicher seines Heimcomputers kopiert, dort verändert, die veränderten Daten auf eine Blankomagnetkarte überträgt und mit dieser Karte Geld von Bankautomaten abhebt 25 . Berührt sein mag zwar häufig das Interesse des Inhabers der Originaldaten an deren ordnungsgemäßer Fortschreibung (vgl. auch Rdn. 31). Dieses wird aber von §303 a nicht geschützt. IV. Tathandlung

19

1. Allgemeines. Als Tathandlungen nennt das Gesetz das Löschen, das Unterdrükken, das Unbrauchbarmachen und das Verändern der geschützten Daten. Der durch die enumerative Aufzählung der Tathandlungen hervorgerufene Eindruck begrifflicher Präzision und Trennschärfe täuscht. Tatsächlich überschneiden sich die Tathandlungen in vielfacher Weise 26 ; Löschen und Unbrauchbarmachen sind zum Beispiel nur Formen des Veränderns 27 . Das entspricht der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die geschützten Daten vor jeder denkbaren Beeinträchtigung umfassend zu schützen (BT-Drucks. 10/5058 S. 34). Bemerkenswert ist, daß der Tatbestand im Gegensatz zu § 303 — durch das Merkmal des Unterdrückens — auch die bloße Entziehung von Daten erfaßt. 20 Bezugsobjekt aller Tathandlungen sind die geschützten Daten in ihrer jeweiligen Speicherung. Dementsprechend schließt die Existenz einer Kopie der beschädigten Daten den Eintritt des tatsbestandsmäßigen Erfolges nicht von vornherein aus 28 . Zu berücksichtigen ist aber, daß die Erheblichkeit der Verletzungswirkung bei § 303 a nicht anders als bei anderen Erfolgsdelikten ungeschriebenes Merkmal aller Tathandlungen ist. Von daher erscheinen Fallgestaltungen vorstellbar, in denen der tatbestandsmäßige Erfolg ausbleibt, weil der Berechtigte auf eine sofort verfügbare Ko24

25

Welp iur 1988 448; Meinhardt S. 124, 129; a.A. anscheinend Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Samson SK Rdn. 17; ebenso möglicherweise; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Lackner Rdn. 4; Dreher/Tröndle Rdn. 9; Haurand/Vahle RDV 1990 129, die sich aber zu den Voraussetzungen und Grenzen der in Betracht gezogenen Verfügungsbefugnis des Auftraggebers nicht äußern. a. A. — aber ohne Begründung — AG Böblingen CR 1989 308; wie hier Meinhardt S. 166 f.

26

11

28

Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Lackner Rdn. 3; Dreher/Tröndle Rdn. 4; Welp iur 1988 Sonderheft 434; Schlüchter S. 73. Welp iur 1988 Sonderheft 436; a. A. anscheinend Schlüchter S. 74. Welp iur 1988 Sonderheft 436; ebenso bezogen auf das Löschen von Daten: Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Lackner Rdn. 3; Lenckner/ Winkelbauer CR 1986 829.

Stand: 1. 10. 1992

(54)

Datenveränderung

§ 303 Λ

pie der gelöschten oder sonst veränderten Daten zurückgreifen kann und mit ihrer Hilfe den beschädigten Datensatz ohne Aufwand reproduzieren kann und darf ( W e l p iur 1988 Sonderheft 436). Da der Tatbestand jede Veränderung von Daten erfaßt, die fortlaufende Verände- 21 rung von Daten aber geradezu dem Wesen jeder Datenverarbeitung entspricht, bedarf es neben der allgemein anerkannten Beschränkung auf fremde Daten (Rdn. 5 ff) der Einfügung eines weiteren ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals, um eine uferlose Ausweitung seines Anwendungsbereichs zu vermeiden. Erforderlich ist für alle vom Gesetz beschriebenen Tathandlungen, daß sie gegen den Willen des Verfügungsberechtigten vorgenommen werden. Anderenfalls handelte der in einem Betrieb mit der Bearbeitung der — für ihn fremden (Rdn. 9) — Daten dieses Betriebs befaßte Angestellte tatbestandsmäßig, wenn er im Rahmen eines allgemeinen Auftrags oder auf konkrete Weisung hin Daten löscht oder verändert. In diesem für die Datenverarbeitung typischen Fall auf die Möglichkeit der Rechtfertigung zu verweisen, kann nicht die richtige Lösung sein 28a . Für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Löschen" und „Verändern" wird 22 zuweilen auf die Begriffsbestimmungen des Bundesdatenschutzgesesetzes (§ 3 Abs. 5 Nr. 2 und 5 BDSG) zurückgegriffen 29 . Hiergegen bestehen — zumal auch der Bericht des Rechtsausschusses ausdrücklich auf diese Vorschriften verweist 30 — keine Bedenken, soweit bei der Übertragung der Begriffsbestimmungen dem unterschiedlichen Sinn und Zweck der Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes einerseits und des § 303 a andererseits Rechnung getragen wird. 2. Löschen. Das Löschen, das dem Zerstören bei der Sachbeschädigung ent- 23 spricht 31 , setzt die physische Beseitigung der betroffenen Daten voraus, also die Aufhebung ihrer Verkörperung 32 . Die weitergehende Auffassung, die das irreversible Unkenntlichmachen von Daten genügen läßt 33 , wird zwar im allgemeinen — jedenfalls solange sie das Merkmal der Irreversibilität ernst nimmt — zu denselben Ergebnissen führen, muß sich aber den Einwand gefallen lassen, daß neben dem Löschen, verstanden als Unkenntlichmachen, das Unbrauchbarmachen und das Unterdrükken kaum noch irgendeine eigenständige Bedeutung hätten (so auch Welp iur 1988 Sonderheft 435). Als Beispiele von Löschen können genannt werden: das Zerstören oder Beschädi- 24 gen des Datenträgers 34 , das Überschreiben der Daten mit anderen Daten 3 5 , das Beseitigen einer Kopiersperre durch einen sogenannten Cracker 36 . Auch durch den Einsatz eines sogenannten Killer-Programms können Daten gelöscht werden 37 . a. A. Meinhard! S. 29 ff, 34,120 f. Dreher/Tröndle Rdn. 8; Möhrenschlager wistra 1986 141; Schlüchter S. 73; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829 (für Verändern); kritisch Welp iur 1988 Sonderheft 434, 436, dessen Hinweis darauf, daß die Begriffsbestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes ausdrücklich nur für dieses Gesetz gelten, auf die Neufassung vom 20.12.1990 nicht mehr zutrifft. BT-Drucks. 10/5058 S. 34 (für das Löschen) und S. 35 (für das Verändern). Samson SK Rdn. 19; Lackner Rdn. 3; Welp iur 1988 Sonderheft 435. Wetp iur 1988 Sonderheft 435; ähnlich Samson SK Rdn. 19, der das Entfernen der Daten vom Datenträger verlangt. (55)

33

34

35

36 37

BT-Drucks. 10/5058 S. 34; Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Lackner Rdn. 3; Möhrenschlager wistra 1986 141; ähnlich Schlüchter S. 73; Haurand/Vahle RDV 1990 129. Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Möhrenschlager wistra 1986 141; Welp iur 1988 Sonderheft 435; Haurand/Vahle RDV 1990 129; a. A. Haft NStZ 1987 10. Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Möhrenschlager wistra 1986 141; Haurand/Vahle RDV 1990 129. von Gravenreuth NStZ 1989 206. Vgl. etwa die — hinsichtlich der Vollendungsund Vorsatzfragen möglicherweise nicht unproblematische — Entscheidung des LG Ulm CR 1989 825.

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

25

Besteht das „Löschen" von Dateien programmgemäß darin, daß lediglich im Inhaltsverzeichnis der Wegweiser für den Computer zum Auffinden der Datei beseitigt wird, so werden durch Eingabe des Löschbefehls die in der betreffenden Datei gesammelten Daten nicht im Sinne des § 303 a gelöscht 38 , sondern allenfalls unterdrückt. Der Löschbefehl bewirkt, daß auf dem Datenträger die für die „gelöschte" Datei reservierten Sektoren für die Überschreibung mit anderen Daten freigegeben sind. Bis es zur Überschreibung (durch Speicherung anderer Daten) kommt, sind die „gelöschten" Daten mit Hilfe geeigneter Programme im Regelfall noch rekonstruierbar, d. h. nicht physisch beseitigt (und auch nicht irreversibel unkenntlich gemacht). Fraglich könnte sein, ob in diesem Fall nicht jedenfalls der Verzeichniseintrag, ebenfalls ein Datum, im Sinne des § 303 a gelöscht wird 39 . Das ist aber, da der Zugang zu den gelöschten Programmen oder Dateien dadurch ermöglicht wird, daß der Verzeichniseintrag rekonstruiert wird, nicht der Fall. Jedenfalls aber tritt das „Löschen des Verzeichniseintrags" hinter dem Unterdrücken der „gelöschten" Daten, gegenüber dem ihm kein eigenständiger Unwertgehalt zukommt, zurück 40 .

26

3. Unterdrücken. Dadurch, daß § 303 a auch das Unterdrücken von Daten erfaßt, geht der Tatbestand über § 303 hinaus 41 . Unterdrücken bedeutet, daß die Daten dem Zugriff des Berechtigten entzogen werden 42 . Vom Löschen unterscheidet es sich dadurch, daß die physische Integrität der Daten unangetastet bleibt 43 . Im übrigen kommt es auf die Art und Weise der Entziehung des Zugriffs nicht an. In Betracht kommen insbesondere die Entziehung des Datenträgers 4 4 sowie das Hinzufügen von Zugangssperren (etwa in Form eines Paßwortes), das Umbenennen von Dateien und andere Formen des „logischen" Versteckens von Daten 4 5 . Ob Daten auch durch inhaltliche Umgestaltung unterdrückt werden können (so Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829), ist hingegen zumindest nicht unproblematisch. Das inhaltliche Umgestalten wird sich regelmäßig durch Überschreiben der umgestalteten Daten vollziehen und kann dann — weil das Überschreiben die Vernichtung zur Folge hat — nicht als Unterdrücken angesehen werden.

27

Welche Intensität die Entziehung der Daten — insbesondere in zeitlicher Hinsicht — erreichen muß, läßt sich nicht ohne Blick auf deren Verwendungszweck bestimmen ( W e l p iur 1988 Sonderheft 436). Mit dieser Maßgabe kann der h. M. zugestimmt werden, nach der nicht entscheidend ist, ob die Daten dem Berechtigten auf Dauer oder auch nur vorübergehend entzogen werden und deshalb nicht mehr verwendet werden können 4 6 . Die abweichende Auffassung Samsons, das Entziehen der Daten müsse auf Dauer gerichtet sein, anderenfalls würde die vom Gesetz nicht geregelte Gebrauchsanmaßung an Daten erfaßt (Samson SK Rdn. 3), kann nicht überzeu-

38

39

40

41

42

von Gratenreuth NStZ 1989 206; Haurand/Vahle RDV 1990 129; Welp iur 1988 Sonderheft 435; a. A. anscheinend Schmitz S. 116. So Welp iur 1988 Sonderheft 435; Bühler MDR 1987 455; Pohl/Cremer D U D 1990 496. Α. A. Bühler MDR 1987 455; Pohl/Cremer D U D 1990496. BT-Drucks. 10/5058 S. 34; Samson SK Rdn. 18; Lackner Rdn. 3; Welp iur 1988 Sonderheft 436; Möhrenschlager wistra 1986 141. Dreher/Tröndle Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Samson SK Rdn. 20; Lackner Rdn. 3; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Welp iur

43

44

45

46

1988 Sonderheft 436, Schlüchter S. 73; Möhrenschlager wistra 1986 141. Welp iur 1988 Sonderheft 436; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829. Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Samson SK Rdn. 20; Welp iur 1988 Sonderheft 436. Welp iur 1988 Sonderheft 436; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Haurand/Vahle RDV 1990 129. Lackner Rdn. 3; Dreher/Tröndle Rdn. 6; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829, die eine Entziehung zumindest für eine gewisse Dauer verlangen.

Stand: 1. 10. 1992

(56)

Datenveränderung

§ 303 a

47

gen . Mit dieser Forderung wird die Datenunterdrückung zu einer Datenzueignung umgedeutet. Die Entziehung auf Dauer (oder genauer der darauf gerichtete Vorsatz) ist Voraussetzung der Zueignungsabsicht. Auch in § 274 (vgl. die Erläuterungen dort) ist für das Unterdrücken ein dauerhaftes Vorenthalten nicht erforderlich. Umgekehrt steht es der Annahme eines tatbestandsmäßigen Unterdrückens nicht entgegen, daß der Berechtigte in der Lage ist, die entzogenen Daten mit mehr oder weniger großem Aufwand wieder für sich nutzbar zu machen (so von Gravenreuth NStZ 1989 206). Andernfalls wären, da eine Rekonstruktion beeinträchtigter Daten bei entsprechendem Aufwand in der Regel möglich sein wird, solange sie nicht gelöscht sind, Fälle der Unterdrückung kaum noch denkbar. 4. Das Unbrauchbarmachen entspricht der Beschädigung im Sinne des § 303 ( W e l p 28 iur 1988 Sonderheft 435; Bühler M D R 1987 455). Unbrauchbar gemacht sind die Daten, wenn sie nicht mehr bestimmungsgemäß verwendet werden können 4 8 . Dazu ist eine Veränderung der betroffenen Daten nicht erforderlich. Ihre Verwendung kann auch durch das Einfügen von Daten in den Datensatz sowie durch das (schon für sich tatbestandsmäßige) Löschen anderer — mit den betroffenen Daten verknüpfter — Daten desselben Datensatzes aufgehoben werden. Als tatbestandsmäßige Handlungen kommen, soweit sie nicht das Löschen der Daten bewirken oder ihre Unterdrükkung zur Folge haben, ferner Einwirkungen auf den Datenträger in Betracht ( W e l p iur 1988 Sonderheft 435). 5. Unter Verändern von Daten im Sinne des § 303 a sind — ebenso wie im Sinne 29 des Bundesdatenschutzgesetzes (vgl. § 3 Abs. 5 Nr. 2 BDSG) — zunächst alle Formen inhaltlicher Umgestaltung zu verstehen. Daten sind verändert, wenn sie infolge der Einwirkung einen anderen Informationsgehalt oder Aussagewert erhalten haben 4 9 . Das setzt nicht unbedingt Manipulationen an dem Datensatz voraus, zu dem die im Ergebnis veränderten Daten gehören. Eine Änderung des Informationsgehaltes kann auch dadurch bewirkt werden, daß der selber unveränderte Datensatz in einen anderen Zusammenhang gestellt oder aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gelöst wird 50 . Abweichend von seiner Bedeutung für den Bereich des Bundesdatenschutzgesetzes erfaßt der Begriff des Veränderns darüber hinaus auch Einwirkungen, die unter Erhaltung des Informationsgehalts der Daten allein die Form ihrer Darstellung im Falle der Sichtbarmachung betreffen, also etwa Klartext durch Code ersetzen 51 . Sowohl bei Veränderungen des Informationsgehalts als auch bei Einwirkungen 30 auf die Art und Weise der Darstellung ist die Qualität des Ergebnisses ohne Belang. Als Veränderung kommt auch die Korrektur einer unrichtigen Information oder die Verbesserung einer Darstellungsweise in Betracht. Dementsprechend kann tatbestandsmäßig auch das Anbringen von inhaltlichen oder formellen Korrekturen sein. Freilich ist insofern zu berücksichtigen, daß ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten erforderlich ist (vgl. Rdn. 21). Das Kopieren von Daten auf einen anderen Datenträger ist, da es den Informa- 31 tionsgehalt und die Verkörperung der Information unbeeinträchtigt läßt, kein Verän47

48

49

(57)

Welp iur 1988 Sonderheft 436 Fn. 70; Haß Rdn. 52. BT-Drucks. 10/5058 S. 34; Lackner Rdn. 3; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 4; ähnlich Samson SK Rdn. 21; Schlüchtern. 73. BT-Drucks. 10/5058 S. 34; Lackner Rdn. 3; Samson SK Rdn. 22; Dreher/Tröndle Rdn. 8; Möh-

50

51

renschlager wistra 1986 141; Schlächter S. 73; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; Welp iur 1988 Sonderheft 435. Welp iur 1988 Sonderheft 435; Möhrenschlager wistra 1986 141. Welp iur 1988 Sonderheft 436 mit weiteren Beispielen.

Klaus Tolksdorf

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

dern (und läßt sich auch unter keine der anderen Tatmodalitäten subsumieren). Der Kopierende macht sich auch dann nicht nach § 303 a strafbar, wenn er anschließend die durch Kopieren erstellten Daten verändert und durch ihre Benutzung die Fortschreibung von Informationen auf dem Original ausschaltet, wie dies etwa der Fall sein kann, wenn er eine durch Kopie erstellte manipulierte EC-Karte zum Geldabheben nutzt 52 . Die Verfügungsbefugnis über die durch Kopieren erzeugten Daten steht ihm zu (Rdn. 18). Zwar mögen die Originaldaten durch Verhinderung der Fortschreibung unrichtig werden. Die Herbeiführung der Unrichtigkeit von Daten ist ein tatbestandsmäßiges Verändern aber nur dann, wenn sie durch Einwirkung auf die gespeicherten Daten in ihrer Verkörperung geschieht. Die Veränderung von Umständen der Außenwelt, auf die sich die Daten beziehen, ist hingegen keine Datenveränderung. 32

6. Der Einsatz von Computerviren. Als Datenveränderung kann sich auch der viel diskutierte Einsatz von Computerviren darstellen 53 . Unter Viren werden Programme verstanden, die sich durch Selbstkopieren in andere Programme vermehren und darüber hinaus mit einer den Betrieb der Datenverarbeitung mehr oder weniger störenden Funktion ausgestattet sind 54 . Die Ausweitung der Viren durch Infektion anderer Programme, d. h. durch Einfügen einer Kopie des eigenen Programmcodes in das andere Programm, kann sich im einzelnen auf sehr unterschiedliche Weise vollziehen. Der Virus kann etwa so programmiert sein, daß er mit seiner Kopie einen Teil des Zielprogramms überschreibt 55 . Verbreiteter und wirksamer — weil in der Inkubationszeit weniger leicht zu entdecken — sind aber Viren, die sich in das Zielprogramm kopieren, ohne dadurch dessen Funktionen zu beeinträchtigen 56 . Auch hinsichtlich der Art und der Intensität der von ihnen funktionsgemäß ausgehenden Störungen sind die verschiedenartigsten Typen von Viren denkbar. Ihre Wirkung kann sich etwa auf die Ausgabe mehr oder weniger humorvoller Mitteilungen beschränken, sie muß also nicht notwendig bösartig sein. Andererseits kann sie aber auch darin bestehen, daß zum Beispiel der Ablauf von Programmen erheblich verlangsamt, daß die Tastatur oder der Bildschirm zeitweilig abgeschaltet wird oder daß Programme oder Dateien gelöscht oder unbrauchbar gemacht werden 57 . Schließlich sind auch die Bedingungen für die Auslösung der Störwirkungen beliebig programmierbar. Denkbar ist die Anknüpfung an ein bestimmtes Systemdatum oder an den Ablauf einer bestimmten Frist. Auslöser kann aber auch der Eintritt einer bestimmten Bedingung (etwa die Eingabe eines bestimmten Codeworts unmittelbar durch den Täter

52

"

54

Α. A. A G Böblingen CR 1989 308 - ohne Begründung; s. auch Richter Mißbräuchliche Benutzung von Geldautomaten, CR 1989 305,306. Vgl. Dreher/Tröndle Rdn. 5; Welp iur 1988 Sonderheft 437 f; von Gravenreuth NStZ 1989 204; Haurand/Vahle R D V 1 9 9 0 130. Zur Arbeitsweise und zu den Auswirkungen von Viren vgl. Dierstein NJW-CoR 4 / 9 0 8 ff und NJW-CoR 5 / 9 0 26 f; Hofer iur-pc 1991 1367; Volesky/Schollen iur 1987 286 ff; Haurand/Vahle R D V 1990 128 f; von Gravenreuth NStZ 1989 202 f; Welp iur 1988 Sonderheft 437 f; ferner Gliss, Virus-Programme — Eine neue Form des Computer-Mißbrauchs, in Kilian/Gorny (Hrsg.), Schutz von Computer-Software — Technische

55

56

57

und rechtliche Aspekte (1987), S. 109; zu den Möglichkeiten der Abwehr und Bekämpfung von Viren Dierstein NJW-CoR 1 / 9 1 2 6 f. Dierstein N J W - C o R 5 / 9 0 S. 26; Welp iur 1988 Sonderheft 437; vgl. aber auch Volesky/Scholten iur 1987 287 f und von Gravenreuth NStZ 1989 201. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausbreitungsmodalitäten und -wege insbesondere Dierstein NJW-CoR 5 / 9 0 26 f; ferner Volesky/Scholten iur 1987 287 f; von Gravenreuth NStZ 1989 201 f. Dierstein N J W - C o R 4 / 9 0 12; Welp iur 1988 Sonderheft 437; von Gravenreuth NStZ 1989202; Volesky/Scholten iur 1987 287.

Stand: 1. 10. 1992

(58)

Datenveränderung

§303 a

oder auf seine Veranlassung durch einen gutgläubigen Anwender) oder das Ausbleiben eines Ereignisses sein 58 . Für die Anwendung von § 303 a kann nicht zweifelhaft sein, daß der Täter Daten 3 3 im Sinne der Vorschrift gelöscht oder unterdrückt hat, wenn die von ihm eingesetzten Viren infolge der Auslösung ihrer Störfunktion Dateien oder Programme vernichtet oder bewirkt haben, daß diese dem Zugriff des Berechtigten entzogen sind. Ob Viren, die eine bloße Belästigung des Benutzers zur Folge haben, unter § 303 a fallen, hängt von ihrer Wirkung auf die gespeicherten Daten ab ( W e l p iur 1988 Sonderheft 437). In der Regel werden solche Belästigungen nicht ohne Veränderung von Programmdaten möglich sein (vgl. aber auch Hof er iur-pc 1991 1371). Schon die Ausbreitung von Viren bewirkt eine tatbestandsmäßige Datenverände- 34 rung, wenn bei dem Kopieren des Virusprogramms Teile des Zielprogramms überschrieben und damit im Sinne des § 303 a gelöscht werden (Rdn. 32). Auch dann, wenn ein Virus ein Zielprogramm mehrfach infiziert, also die Kopien seines Codes nicht nur bislang „gesunden" Programmen einfügt, kann der tatbestandsmäßige Erfolg einer Datenveränderung schon als Folge der bloßen Vermehrung der Viren eintreten. Hat nämlich die mehrfache Infektion eine Erschöpfung der Speicher- oder Rechnerkapazität zur Folge (vgl. Dierstein NWJ-CoR 5 / 9 0 26), so ist das befallene Programm im Sinne des § 303 a unbrauchbar gemacht. Fügt das Virusprogramm die Kopie eines Codes dem Zielprogramm in der Weise 35 an, daß weder dessen Code beschädigt noch der Programmablauf gestört wird, so erscheint fraglich, ob der tatbestandsmäßige Erfolg schon mit der bloßen Infektion verwirklicht ist (so Haurand/Vahle RDV 1990 130) oder ob es dazu noch der Entfaltung der Störfunktion bedarf. Gelöscht, unterdrückt oder unbrauchbar sind die Daten vor dem Wirksamwerden der Störfunktion noch nicht. Aber auch der tatbestandsmäßige Erfolg einer Datenveränderung ist noch nicht eingetreten. Zwar ist das befallene Programm um den Umfang der Viruskopie erweitert. Das bedeutet aber keine inhaltliche Umgestaltung der Daten, aus denen sich der Code des befallenen Programms zusammensetzt. Diese haben durch die Anfügung der Viruskopie keinen anderen Informations- oder Aussagewert erhalten. Je nach dem Inhalt der die Störfunktion auslösenden Bedingung kann der Versuch einer Datenlöschung oder -Unterdrückung vorliegen oder eine straflose Vorbereitungshandlung. Der Fall liegt nicht anders, als wenn etwa ein Sabotageprogramm auf einen Datenträger kopiert wird, das die Vernichtung anderer Programme oder Dateien bewirken soll, diese Wirkung aber erst später, nach Eintritt einer Bedingung entfaltet. Durch die bloße Übertragung des Sabotageprogramms werden die Zielprogramme oder -dateien noch nicht geändert. V. Innere Tatseite. In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand Vorsatz voraus. Es 36 genügt bedingter Vorsatz. Der Täter muß auch wissen oder für möglich halten, daß die Verfügungsbefugnis an den beeinträchtigten Daten einem anderen zusteht. Kennt er die Umstände nicht, aus denen die fremde Verfügungsbefugnis folgt, oder geht er infolge fehlerhafter Parallelwertung in der Laiensphäre irrtümlich davon aus, daß er allein verfügugsbefugt sei, so handelt er nicht vorsätzlich 59 .

58

(59)

Dierstein NJW-CoR 4/90 12; Volesky/Schollen iur 1987 286 f; Welp iur 1988 Sonderheft 437; von Gravenreuth NStZ 1989 202.

59

Vgl. auch Sch/Schröder/Stree SK Rdn. 23.

Klaus Tolksdorf

Rdn. 5; Samson

§ 303 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

37

VI. Die Rechtswidrigkeit ist wie bei § 303 allgemeines Verbrechensmerkmal 60 . Als Rechtfertigungsgrund kommt insbesondere, soweit sich diese nicht schon als tatbestandsausschließendes Einverständnis darstellt (Rdn. 21), die Einwilligung des Verfügungsbefugten in Betracht. Liegt diese vor, entfällt die Rechtswidrigkeit, ohne daß es auf die Einwilligung des etwa vom Inhalt der Daten Betroffenen ankäme 6 1 .

38

VII. Der Versuch ist strafbar (Absatz 2). Vollendet ist die Tat erst dann, wenn aufgrund der Manipulationen des Täters in dem Datenbestand, auf den sie sich beziehen, Veränderungen aufgetreten sind. Dementsprechend ist etwa die Installation eines Programms, in dem ein Virus versteckt ist, der sich in andere Datenbestände erst nach mehrfacher Anwendung des Programms zu kopieren beginnt und damit auch erst dann deren Veränderung bewirkt, bis zu diesem Zeitpunkt lediglich eine versuchte Datenveränderung (ebenso wohl Haurand/Vahle RDV 1990 130).

39

VIII. Konkurrenzen. Wegen der unterschiedlichen Schutzrichtung der Tatbestände besteht im Verhältnis zu § 263 a und § 269 Tateinheit 62 . Gegenüber § 274 Abs. 1 Nr. 2 ist § 303 a subsidiär, wenn das Beweisführungsrecht dem Datenberechtigten zusteht; sonst ist Idealkonkurrenz gegeben 63 . Hinsichtlich des Verhältnisses zu § 303 ist zu differenzieren: Bei einer Datenveränderung ohne Beeinträchtigung der Datenträgersubstanz tritt § 303, so die Tatbestandsmäßigkeit bejaht wird 64 , als subsidiär zurück, weil sich das Unrecht in der von § 303 a erfaßten Datenveränderung erschöpft. Wenn die Beeinträchtigung der Daten über eine Beschädigung oder Zerstörung der Datenträgersubstanz erreicht wird, ist, weil der Datenträger dann auch als Speichermedium für andere Daten nicht mehr oder nur eingeschränkt zu gebrauchen ist, Idealkonkurrenz gegeben 65 . Im Verhältnis zu § 303 b Abs. 1 Nr. 1 und § 303 b Abs. 1 Nr. 2 ist § 303 a Grunddelikt 6 6 .

40

IX. Voraussetzung für die Strafverfolgung ist der Strafantrag des Verletzten, also des Verfügungsberechtigten, gegen dessen Willen Daten verändert worden sind, oder die Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses durch die Strafverfolgungsbehörde (§ 303 c). Anders als die Sachbeschädigung ist die Datenveränderung kein Privatklagedelikt (§ 374 StPO).

41

X. Zum Recht des Einigungsvertrages siehe die Erläuterungen zu § 303 b Rdn. 31 f.

60

61

62

Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; a.A. Dreher/Tröndle Rdn. 9; Lackner Rdn. 4; Schlüchter S. 74; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3; sie sehen in dem Merkmal der Rechtswidrigkeit das — hier (Rdn. 5) als ungeschrieben behandelte — einschränkende Tatbestandsmerkmal der täterfremden Verfügungsbefugnis. Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 829; a.A. Granderath DB 1986 Beil 18/86 S. 3; Dreher/Tröndle Rdn. 9. Lackner Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree Rdn. 11; Schlüchter S. 75.

63

64 65

66

Samson SK Rdn. 8; uneingeschränkt für Subsidiarität; Sch/Schröder/Stree Rdn. 11; Schlüchter S. 75. Welp iur 1988 Sonderheft 438; Haft NStZ 1987 6. Lackner Anm. 6; a.A. (stets für Idealkonkurrenz): Sch/Schröder/Stree Rdn. 11; Bühler M D R 1987 455,456. Samson SK Rdn. 24; ebenso bezogen auf § 303 b Abs. 1 Nr. 1, im übrigen aber für Tateinheit: Sch/ Schröder/Stree Rdn. 8.

Stand: 1. 10. 1992

(60)

Computersabotage

§ 303 b

§ 303 b Computersabotage (1) Wer eine Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behörde von wesentlicher Bedeutung ist, dadurch stört, daß er 1. eine Tat nach § 303 a Abs. 1 begeht oder 2. eine Datenverarbeitungsanlage oder einen Datenträger zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht, beseitigt oder verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versucht ist strafbar. Schrifttum siehe die Hinweise zu § 303 a.

Entstehungsgeschichte Eingefügt durch Art. I Nr. 17 des 2. WiKG, in Kraft getreten am 1.8. 1986. Gesetzesmaterialien Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 10/5058.

I. Allgemeines II. Rechtsgut III. Angriffsobjekt 1. Datenverarbeitung 2. wesentliche Bedeutung 3. geschützte Einrichtungen IV. Störung der Datenverarbeitung . . . . 1. Schwere und Art der Störung . . . . a) Nicht unerhebliche Erschwerung jeder Datenverarbeitung b) Beeinflussung des Ergebnisses einer Datenverarbeitung

Rdn. 1 2 3 3 6 9 II 11 12 14

V.

VI. VII. VIII. IX.

2. Betriebsstörung 3. Vollendung Tathandlung 1. Datenveränderung (Nr. 1) 2. Einwirkungen auf die Hardware (Nr. 2) 3. Tätereigene Datenverarbeitungsanlage Innerer Tatbestand Konkurrenzen Strafantrag Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 19 20 21 21 23 27 29 30 31 32

I. Allgemeines. Der Tatbestand ist in das StGB aufgenommen worden, um der ge- 1 steigerten Bedeutung der Datenverarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung Rechnung zu tragen. Betriebe, Unternehmen und Behörden sind in zunehmendem Maße von einem störungsfreien Funktionieren einer eigenen oder einer fremden Datenverarbeitung, insbesondere auch in Rechenzentren, abhängig. Eingriffe in Daten oder Sabotagehandlungen gegen Datenverarbeitungsanlagen oder Datenträger können, wenn die gestörte Datenverarbeitung für ein Unternehmen von wesentlicher Bedeutung ist, zu beträchtlichen Schäden führen und bei nachhaltigen Beeinträchtigungen sogar zum wirtschaftlichen Ruin. Nach Auffassung des Rechtsausschusses gewährleistet § 303 — auch wegen des beschränkten Strafrahmens — keinen hinreichenden Schutz vor den in § 303 b erfaßten Sabotagehandlungen (BT-Drucks. 10/5058 S. 35). II. Rechtsgut. Geschützes Rechtsgut ist das Interesse von Wirtschaft und Verwal- 2 tung am störungsfreien Funktionieren einer Datenverarbeitung als wesentlicher Vor(61)

Klaus Tolksdorf

§ 303 b

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

aussetzung für eine erfolgreiche Erfüllung der dem Betrieb, dem Unternehmen oder der Behörde gesetzten Aufgaben 1 . 3

III. Angriffsobjekt ist eine Datenverarbeitung, die für einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behörde von wesentlicher Bedeutung ist. 1. Datenverarbeitung. Während unter Datenverarbeitungsvorgang im Sinne des § 263 a nur die konkreten, zu dem jeweiligen Ergebnis hinführenden Arbeitsvorgänge zu verstehen sind, bezeichnet das Merkmal der Datenverarbeitung in § 303 b allgemeiner den ganzen Arbeitsbereich, der den mit den Verarbeitungsvorgängen verbundenen weiteren Umgang mit Daten einschließt (Lackner § 263 a Rdn. 4). Abweichend hiervon soll nach einer verbreiteten Formulierung, die auf den Bericht des Rechtsausschusses zurückgeht (BT-Drucks. 10/5058 S. 35), der Begriff auch den einzelnen Datenverarbeitungsvorgang umfassen 2 . Dies würde aber zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorschrift führen, die mit Blick auf ihren Wortlaut sowie ihren Sinn und Zweck nicht unbedenklich erscheint (vgl. auch Rdn. 6, 14).

4

Obwohl der Begriff nach dem Wortsinn nicht auf bestimmte technische Systeme festgelegt ist, kann die Vorschrift beim derzeitigen Stand der Technik praktisch nur auf die elektronische Datenverarbeitung angewandt werden. Das folgt auch aus Nummer 1 in Verbindung mit den sich aus den §§ 303 a, 202 a Abs. 2 ergebenden Beschränkungen und im übrigen auch aus der Gesetzesüberschrift.

5

Im allgemeinen werden in einem datenverarbeitenden System mehr als nur eine Datenverarbeitung im Sinne des § 303 b bestrieben werden 3 . Von mehreren Datenverarbeitungen, die dann auch im Hinblick auf die Fragen der wesentlichen Bedeutung und der Störung getrennt zu beurteilen sind, wird auszugehen sein, wenn in einer Einrichtung verschiedene Aufgabenbereiche (also etwa die Produktion, der Absatz, das Personal- und Besoldungswesen, das Beschaffungswesen, die Lagerhaltung und das Finanzwesen) mit getrennten Programmen und Datensätzen EDVmäßig unterstützt werden. Auch innerhalb eines Aufgabenbereichs können aber für verschiedene Gegenstände jeweils eigene Datenverarbeitungen eingerichtet sein.

6

2. Die — konkret beeinträchtigte (Rdn. 5) — Datenverarbeitung muß für die Einrichtungen von wesentlicher Bedeutung sein. Das Merkmal, gegen das unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes keine Bedenken bestehen 4 , ist enger als das der erheblichen Bedeutung in § 330 Abs. 25. Eine wesentliche Bedeutung kommt einer Datenverarbeitung für eine Einrichtung zu, wenn diese aufgrund ihrer Arbeitsweise, Ausstattung und Organisation bei einem Ausfall der betreffenden Datenverarbeitung ihre Aufgaben nicht mehr oder nur noch mit nicht unerheblichem MehraufÄhnlich auch Samson SK Rdn. 1; Dreher/Tröndle Rdn. 2; Möhrenschlager wistra 1986 3; Bühler MDR1987 456; Volesky/Scholten iur 1987 280. Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Dreher/Tröndle Rdn. 3; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830; Volesky/Scholten iur 1987 280; Haß Rdn. 56; Bühler MDR 1987 456; enger („nicht nur die Summe der Datenverarbeitungsvorgänge") Lackner Rdn. 2. Ausweislich der Beispiele für Datenverarbeitungen von wesentlicher Bedeutung ebenso: Samson SK Rdn. 11; Lackner Rdn. 2; nach dem Inhalt der Erläuterungen zur wesentlichen Bedeutung

a.A.; Schlüchter S. 78; Sch/Schröder/Stree Rdn. 7; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830; von Gravenreuth NStZ 1989 206, der das Merkmal der wesentlichen Bedeutung sogar ausdrücklich auf die Datenverarbeitungsanlage bezieht; ähnlich auch BT-Drucks. 10/5058 S. 35. Vgl. aber auch Achenbach Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, NJW 1986 1836, 1838; Lackner Rdn. 2; Dreher/Tröndle Rdn. 4; Schlüchter S. 77. Dazu ausführlich Haß Rd. 56 f; Dreher/Tröndle Rdn. 4.

Stand: 1. 10. 1992

(62)

Computersabotage

§ 303 b

6

wand erfüllen kann . Diese Voraussetzung wird in bezug auf Datenverarbeitungen, die in Rechenzentren oder anderen Anlagen zur Bewältigung zentraler Aufgaben der geschützten Einrichtung durchgeführt werden (z.B. Lohnabrechnung, Warenbestandserfassung, Kalkulation, Produktionssteuerung), regelmäßig erfüllt sein 7 . Soweit — anders als hier — unter Datenverarbeitung auch der einzelne Datenverarbeitungsvorgang verstanden und seine Störung für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs als ausreichend angesehen wird (Rdn. 3), muß sich auch die Prüfung der wesentlichen Bedeutung auf diesen einzelnen Vorgang erstrecken. Eine bestimmte Mindestgröße oder Leistungsstärke der Datenverarbeitungsanla- 7 ge setzt die Annahme einer wesentlichen Bedeutung nicht voraus. Dementsprechend kommt die Anwendung der Vorschrift auch auf Datenverarbeitungen in Betracht, die ein Handwerksbetrieb unter Einsatz eines Personal-Computers betreibt. Der Einsatz von (ohne weiteres austauschbaren) Speicherschreibmaschinen und Taschenrechnern fällt im allgemeinen nicht unter den Tatbestand 8 . Für programmierbare Taschenrechner mit entsprechendem Speicherplatz kann aber — je nach der Bedeutung und der Eigenart der Aufgaben, für deren Bewältigung sie eingesetzt werden — etwas anderes gelten (von Gravenreuth NStZ 1989 206). In Fällen der Datenverarbeitung für einen anderen Betrieb oder ein anderes Un- 8 ternehmen ist für die Frage der wesentlichen Bedeutung jedenfalls auch auf die Einrichtung abzustellen, in deren Auftrag die Datenverarbeitung erfolgt. Die Ansicht, es komme allein auf die Bedeutung für den von der Sabotage unmittelbar betroffenen Betrieb an 9 , hat eine Beschränkung des strafrechtlichen Schutzes zur Folge, die weder vom Wortlaut der Vorschrift noch von ihrem Sinn und Zweck her geboten erscheint. Gegen die vom Wortlaut sogar naheliegende Berücksichtigung der Bedeutung für den auftraggebenden Betrieb kann auch nicht eingewandt werden, sie laufe auf eine systemwidrige Einbeziehung des bloßen Interesses an der Erfüllung schuldrechtlicher Verpflichtungen in den Schutzbereich des § 303 b hinaus (so aber Sch/ Schröder/Stree Rdn. 8). Dieser Einwand kann nur berechtigt sein, wenn der Inhaber des datenverarbeitenden Betriebs und Auftragnehmer für die Störung verantwortlich ist (dazu Rdn. 26 f). Dagegen verfängt er nicht, wenn Dritte, die in keinen schuldrechtlichen Beziehungen zum Auftraggeber stehen, die störende Handlung vornehmen. 3. Geschützte Einrichtungen. Die Begriffe des Betriebs und des Unternehmens sind 9 in demselben Sinn verwandt wie in § 14. Die Beschränkung des Betriebs- und Unternehmensbegriffs, die § 265 b Abs. 3 Nr. 1 für den Anwendungsbereich des § 265 b Abs. 1 vorsieht, gilt nicht. Ein nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb ist also nicht erforderlich (Volesky/Schölten iur 1987 280). Ebenso wie für § 14 können die von dem Betrieb bzw. dem Unternehmen erbrachten Leistungen sowohl materieller als auch immaterieller Art sein. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an 10 . Von § 303 b wird mithin auch die Datenverarbeitung in einer karitativen Einrichtung geschützt. Vgl. zur Bedeutung der Begriffe im 6

7

8

Sch/Schröder/Stree Rdn. 7; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830; vgl. auch Volesky/Scholten iur 1987 283. Lackner Rdn. 2; ähnlich Dreher/Tröndle Rdn. 4; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 803. BT-Drucks. 10/5058 S. 35; Sch/Schröder/Stree Rdn. 7; Dreher/Tröndle Rdn. 4; Lackner Rdn. 2;

(63)

9

10

Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830; Volesky/ Schölten iur 1987 283; Bühler Μ DR 1987 456. Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Sch/Schröder/Stree Rdn. 8. Sch/Schröder/Stree Rdn. 5; Volesky/Scholten iur 1987 80 f; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830.

Klaus Tolksdorf

§ 303 b

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

übrigen die Erläuterungen zu § 14 und bezüglich des Begriffs der Behörde die Erläuterungen zu § 11 Abs. 1 Nr. 7. 10 Der Betrieb oder das Unternehmen, für den oder das die Datenverarbeitung von wesentlicher Bedeutung ist, muß für den Täter fremd sein. Das schließt nicht aus, daß neben Außenstehenden auch Betriebs- oder Unternehmensangehörige Täter sein können. Als Täter scheidet nur aus, wer bei rechtlich-wirtschaftlicher Betrachtung alleiniger Inhaber des Betriebs oder Unternehmens ist. Daher kann sich, solange er nicht zugleich Alleingesellschafter ist, auch der Geschäftsführer einer GmbH durch Störung der für sie wichtigen Datenverarbeitung gemäß § 303 b strafbar m a c h e n " . 11

IV. Störung der Datenverarbeitung. Tatbestandsmäßiger Erfolg ist die Störung der Datenverarbeitung. 1. Schwere und Art der Störung. Nach ganz herrschender Meinung kann eine Störung erst angenommen werden, wenn der reibungslose Ablauf der Datenverarbeitung nicht unerheblich beeinträchtigt ist 12 . Daran fehlt es, wenn sich die Beeinträchtigung ohne großen Aufwand an Zeit, Mühe und Kosten beheben läßt (Sch/Schröder/S tree Rdn. 10) — ζ. B. durch Rückgriff auf Sicherungskopien, wie sie in verbreiteter Praxis von dem vorhandenen Daten- und Programmbestand regelmäßig und in kurzen Intervallen erstellt werden. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß eine Betriebsstörung für § 303 b nicht erforderlich sei. Aus der Entbehrlichkeit einer Betriebsstörung folgt nämlich nicht, daß der Einsatz von Mitteln zur Abwehr von Störungen der Datenverarbeitung und damit auch des Betriebes nicht berücksichtigt werden dürfte (a. A. Volesky/Scholten iur 1987 284, 286).

12

a) Nicht unerhebliche Beeinträchtigung jeder Datenverarbeitung. Bei Anlegung dieser Maßstäbe wird eine tatbestandsmäßige Störung einer Datenverarbeitung ohne weiteres bejaht werden können, wenn — wie dies insbesondere in Fällen der Zerstörung oder nachhaltigen Beschädigung der Datenverarbeitungsanlage oder der Vernichtung aller vorhandenen Programme und Dateien vorkommen wird — jede Datenverarbeitung vollständig ausgeschlossen ist 13 .

13

Dabei werden als Störung auch Beeinträchtigungen in Betracht zu ziehen sein, die die Rechnerfunktionen selber unberührt lassen und lediglich die Kommunikation mit dem Computer oder die Ausgabe von Daten verhindern oder wesentlich erschweren. Die Ausgabe von Daten ist eine Maßnahme ihrer Verwertung und gehört als solche zur Datenverarbeitung (Rdn. 3). Dementsprechend kann die Störung einer Datenverarbeitung auch dadurch bewirkt werden, daß die Verbindung zu einem Ausgabegerät — etwa einem Drucker — unterbrochen wird. Im einzelnen bedarf dies allerdings sicher noch weiterer Klärung. So ist zum Beispiel nicht unproblematisch, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beschädigung oder Zerstörung eines Industrieroboters als (Zerstörung einer Datenverarbeitungsanlage und) Störung einer Datenverarbeitung angesehen werden kann. Zwar wird es im Ergebnis für einen Betrieb oft keinen Unterschied machen, ob eine solche, für ihn wichtige Anlage durch Beschädigung der für die Steuerung verantwortlichen Hard- oder Software außer Funktion gesetzt wird oder durch Einwirkungen etwa auf die Mechanik der computerge11

12

Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 830; Haß Rdn. 59; a. A. Lackner Rdn. 2. BT-Drucks. 10/5058 S. 35; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Sch/Schröder/Stree Rdn. 10; Volesky/

13

Schölten iur 1987 283; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; enger Samson SK Rdn. 11, der verlangt, daß die Störung erheblich sein muß. Volesky/Scholten iur 1987 283 f mit weiteren Beispielen.

Stand: 1. 10. 1992

(64)

Computersabotage

§ 303 b

steuerten Geräte und Vorrichtungen. Angesichts des zunehmenden Einsatzes von Computern und Minicomputern zu Zwecken der Steuerung technischer Vorgänge könnte bei einer uneingeschränkten Erfassung von Störungen der Datenverarbeitung im Ausgabebereich aber die Gefahr einer Sinn und Zweck des § 303 b zuwiderlaufenden und auch mit dem Wortlaut der Norm nicht mehr in Einklang zu bringenden Ausweitung ihres Anwendungsbereichs bestehen. Soweit die schädigenden Einwirkungen nur die von der eigentlichen Datenverarbeitung zu trennenden, von ihr gesteuerten Geräte und Vorrichtungen betreffen — es werde ζ. B. das Gelenk eines Schweißautomaten zerstört —, ist eine tatbestandsmäßige Störung einer Datenverarbeitung daher nicht gegeben. b) Beeinflussung des Ergebnisses einer Datenverarbeitung. Größere Schwierigkei- 14 ten bereitet die Feststellung der Störung einer Datenverarbeitung, wenn die Sabotagehandlung — wie dies insbesondere bei der Veränderung von Daten oder Programmen, also in den Fällen der Nummer 1 der Fall sein wird — nicht einen Ausschluß oder eine erhebliche Behinderung jeder Datenverarbeitung zur Folge hat, sondern nur die Ergebnisse einer bestimmten einzelnen Datenverarbeitung (Rdn. 5) beeinflußt. Insofern hat die rechtliche Würdigung davon auszugehen, daß eine Datenverar- 15 beitung gestört sein muß, also ein Arbeitsbereich (Rdn. 3) und die Störung eines einzelnen Datenverarbeitungsvorgangs als solche nicht ausreicht. Allerdings ist es vom Wortlaut her nicht ausgeschlossen, auch dann, wenn infolge eines störenden Eingriffs — etwa infolge einer auf eine bestimmte einzelne Datei bezogenen Datenveränderung im Sinne des § 303 a — lediglich ein einzelner Datenverarbeitungsvorgang nicht plangemäß abläuft, von einer Störung der Datenverarbeitung zu sprechen. Wenn das Gesetz aber nicht die Störung eines Datenverarbeitungsvorgangs genügen läßt — wie in § 263 a —, sondern die Störung einer Datenverarbeitung verlangt, so kann daraus nur gefolgert werden, daß dazu in der Regel mehr erforderlich ist als die Beeinträchtigung eines einzelnen Vorgangs. Sofern nicht ausnahmsweise der einzelne Datenverarbeitungsvorgang von wesentlicher Bedeutung für die betroffene Einrichtung ist (vgl. auch Rdn. 6), ist danach für die Annahme einer tatbestandsmäßigen Störung nur Raum, wenn eine unbestimmte Vielzahl von einzelnen Datenverarbeitungsvorgängen beeinträchtigt ist. Im einzelnen bietet es sich für die Beurteilung von Fällen der Beeinflussung des 16 Datenverarbeitungsergebnisses an, danach zu unterscheiden, ob diese auf einer Veränderung von Programmen oder einer Manipulation an Daten beruht. Bei einer Veränderung von Programmen wirkt sich die Sabotagehandlung auf alle 17 von dem Programm zu bearbeitenden Datensätze und Daten aus. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Datenverarbeitung und damit eine Störung ist dementsprechend in diesen Fällen in aller Regel gegeben. Demgemäß handelt ζ. B. tatbestandsmäßig, wer ein die Lohnbuchhaltung eines Betriebes betreffendes Programm in einer Weise verändert, daß die Zulagen oder die Steuerabzüge für alle oder eine Gruppe von Angestellten fehlerhaft berechnet werden. Eine Veränderung von Daten stellt sich regelmäßig als Störung im Sinne des § 303 b 18 dar, wenn eine gesamte Datei — etwa die Sammlung der Stammdaten aller Angestellten in der Lohnbuchhaltung — dem Zugriff des Berechtigten entzogen wird oder alle Dateidaten unbrauchbar gemacht werden. Schwieriger zu beurteilen sind hingegen die Fälle der Hinzufügung neuer oder der Veränderung oder Löschung einzelner vorhandener Daten. Zu denken ist etwa daran, daß in einer Lohnbuchhaltung die Stammdaten eines oder mehrerer Angestellter um tatsächlich nicht vorhandene, kin(65)

Klaus Tolksdorf

§ 303 b

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

dergeldfähige Kinder erweitert werden oder daran, daß in einem datenverarbeitungsmäßig erstellten Protokoll eines bestimmten Forschungsprojekts einzelne Testergebnisse verändert werden. Ob eine solche Handlung eine Datenverarbeitung in tatbestandsmäßiger Weise stört, wird von der Anzahl und Bedeutung der manipulierten Daten und auch vom Zweck der Datei abhängen (Volesky/Scholten iur 1987 285). Danach wird es an der erforderlichen Störung einer Datenverarbeitung zum Beispiel fehlen, wenn der Täter in der Mahnbuchhaltung lediglich einen einzelnen Vorgang löscht 14 . 19

2. Nach Samson (SK Rdn. 12) muß die Störung der Datenverarbeitung ein solches Ausmaß erreichen, daß sie den Betrieb in beträchtlichem Umfang beeinträchtigt. Demgegenüber hält die überwiegende Auffassung eine Störung des Betriebs — zu Recht — nicht für erforderlich 15 . Die Forderung einer Betriebsstörung findet im Wortlaut der Vorschrift, zumal unter Berücksichtigung der abweichenden Fassung des § 316 b Abs. 1, keine Stütze und läuft auch der ausdrücklich geäußerten gesetzgeberischen Intention zuwider (BT-Drucks. 10/1058 S. 35). Das berechtigte Anliegen Samsons (SK Rdn. 12), die Anwendung der Vorschrift nicht auf Fälle der Störung einzelner Datenverarbeitungsvorgänge zu erstrecken, läßt sich auch auf andere Weise erreichen (Rdn. 14 ff).

20

3. Vollendung. Eine bloße Gefährdung der Datenverarbeitung reicht nicht aus. Durch das Merkmal der Störung wird der Erfolgseintritt zeitlich zurückverlegt. Er fällt nicht notwendig mit der Vornahme einer der in Nummer 1 und 2 beschriebenen Handlungen zusammen. Vielmehr muß sich diese in einem konkreten Datenverarbeitungsvorgang auswirken. Selbst wenn der Täter eine Datenverarbeitung mit der betroffenen Anlage gänzlich unmöglich macht, tritt der Erfolg erst ein, wenn der Berechtigte mit der Datenverarbeitung beginnt 16 . V. Tathandlung

21

1. Datenveränderung (Nummer 1). Die Störung kann zunächst durch eine Datenveränderung nach § 303 a Abs. 1 herbeigeführt werden, also dadurch, daß Daten — mithin auch Programme 1 7 —, bezüglich derer ein anderer als der Täter verfügungsbefugt ist (§ 303 a Rdn. 5 ff), gelöscht, unterdrückt, unbrauchbar gemacht oder verändert werden. Insofern handelt es sich bei § 303 b um einen Qualifikationstatbestand 18 . Auch die Veränderung völlig neuer Programme kann tatbestandsmäßig sein. Der Einwand, daß die mit einem solchen Programm betriebene Datenverarbeitung regelmäßig nicht von wesentlicher Bedeutung für den Betrieb sei (so Meier Iura 1991 142, 144), trifft jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu. 2. Einwirkungen auf die Hardware (Nummer 2)

22

Datenverarbeitungsanlage ist die Funktionseinheit der für eine Datenverarbeitung eingesetzten Geräte, also die maschinentechnische Ausstattung 19 . Dazu gehören: die 14

15

16

A.A. Samson SK Rdn. 12, der allerdings im Ergebnis, weil es an einer Störung des Betriebs fehle, ebenfalls den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges verneint (dazu hier im Text Rdn. 19). BT-Drucks. 10/5058 S. 35; Sch/Schröder/Stree Rdn. 10; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Haß Rdn. 60. BT-Drucks. 10/5058 S. 35; Samson SK Rdn. 10; Sch/Schröder/Stree Rdn. 10; Dreher/Tröndle

17

18

19

Rdn. 5; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Volesky/Scholten iur 1987 283. § 303 a Rdn. 3; vgl. auch Haurand/Vahle RDV 1990130. Dreher/Tröndle Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree Rdn. 11; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S. 3. Sch/Schröder/Stree Rdn. 13; Dreher/Tröndle Rdn. 7; Volesky/Scholten iur 1987 281.

Stand: 1. 10. 1992

(66)

Computersabotage

§ 303

b

Zentraleinheit (mit Prozessor und Hauptspeichern), die Eingabegeräte (wie Tastatur, Lesestifte und -pistolen, Scanner, Lichtstifte oder Grafiktableaus), die Ausgabegeräte (wie etwa Bildschirm, Drucker oder Plotter) sowie sonstige Peripheriegeräte 20 (vgl. auch Rdn. 12). Als Bestandteil einer Datenverarbeitungsanlage kommen auch die Übertragungs- 23 kabel eines lokalen Netzwerkes in Betracht. Dementsprechend kann ein tatbestandsmäßiger Eingriff in eine Datenverarbeitungsanlage auch darin liegen, daß die Übertragungsmedien eines solchen Netzwerkes zerstört oder beschädigt werden. Dagegen ist es — schon begrifflich — nicht möglich, die für die Telekommunikation erforderlichen Kabel und sonstigen Einrichtungen einer bestimmten — als Funktionseinheit verstandenen — Datenverarbeitungsanlage zuzuordnen. Die Zerstörung solcher Gegenstände mag dann zwar — regelmäßig sogar in einer Vielzahl von Fällen — eine Datenverarbeitung, die für eine bestimmte Einrichtung von wesentlicher Bedeutung ist, stören. Sie ist aber nicht tatbestandsmäßig, weil im Sinne des § 303 b keine Datenverarbeitungsanlage zerstört, beschädigt oder unbrauchbar gemacht worden ist. Als Datenträger kommen insbesondere Magnetbänder, Festplatten oder Disket- 24 ten in Betracht 21 . Die in Personal-Computern installierten Festplatten sind Teil der Datenverarbeitungsanlage. Die Datenverarbeitungsanlage oder der Datenträger muß zerstört, beschädigt, 25 unbrauchbar gemacht, beseitigt oder verändert werden. Bezüglich der Begriffe Beschädigen und Zerstören, die sich mit denen des § 303 decken (BT-Drucks. 10/5058 S. 36), wird auf die Erläuterungen zu dieser Vorschrift Bezug genommen. Die genannten Gegenstände sind unbrauchbar, wenn ihre Gebrauchsfähigkeit so stark beeinträchtigt ist, daß sie nicht mehr ordnungsgemäß verwendet werden können. Sie sind beseitigt, wenn sie aus dem Verfügungs- und Gebrauchsbereich des Berechtigten entfernt sind 22 . Die Bedeutung des Merkmals „verändern" kann auch unter Berücksichtigung der Beschreibung des Rechtsausschusses, nach der ein Zustand herbeigeführt werden muß, der vom bisherigen abweicht (BT-Drucks. 10/5058 S. 36) 23 , nicht als geklärt gelten. Die Veränderung eines Datenträgers durch Änderung der auf ihm gespeicherten Daten kann nicht gemeint sein, weil sie unter Nummer 1 fällt. Andere Veränderungen, die sich nicht als Zerstören, Beschädigen oder Unbrauchbarmachen darstellen und doch eine Störung der Datenverarbeitung bewirken, sind nur schwer vorstellbar 24 . Durch den Einsatz eines vom Programmierer bewußt fehlerhaft erstellten, für die 26 beabsichtigte Datenverarbeitung unbrauchbaren Programms kann die Nummer 2 nicht verwirklicht werden 25 . Ein solches Programm läßt die Gebrauchsfähigkeit der Datenverarbeitungsanlage unberührt. Diese arbeitet zwar nach fehlerhaften Befehlen oder Vorgaben, im übrigen aber fehlerfrei. Aus demselben Grunde ist im allgemeinen auch der Einsatz von Sabotageprogrammen oder Computerviren (§ 303 a Rdn. 32) nicht tatbestandsmäßig im Sinne der Nummer 2 26 . Theoretisch können Sabotageprogramme zwar auch die Zerstörung der Hardware bewirken 27 . In der Praxis Dreher/Tröndle R d n . 7 ; Sch/Schröder/Stree R d n . 13; Volesky/Scholten iur 1987 281. Sch/Schröder/Stree R d n . 13; Dreher/Tröndle R d n . 7 ; Volesky/Scholten iur 1987 282. BT-Drucks. 10/5058 S. 36; Dreher/Tröndle R d n . 7 ; Lenckner/Winkelbauer C R 1986 831; Volesky/Scholten iur 1987 282; vgl. auch die Erläuterungen zu § 109 e. Ebenso Dreher/Tröndle R d n . 7; Lenckner/Win(67)

24 25

26 27

kelbauer C R 1986 831; Volesky/Scholten iur 1987 282. Vgl. aber Bühler M D R 1987 456. A . A . Schlüchter S. 82; Möhrenschlager wistra 1986 142; Granderath D B 1986 Beil. 18/86 S. 3; vgl. auch Haurand/Vahle R D V 1 9 9 0 130. Α. A. Dreher/Tröndle R d n . 7. Volesky/Scholten iur 1987 287; Welp iur 1988 S o n d e r h e f t 437; von Gravenreuth N S t Z 1989 202.

Klaus Tolksdorf

§ 303 b

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

soll ein solcher Fall aber noch nicht vorgekommen sein (Volesky/Schölten iur 1987 287; Hofer iur-pc 1991 1372). Anders als die von vorneherein fehlerhafte Gestaltung eines Programms kann der Einsatz von Sabotageprogrammen oder Computerviren aber die Voraussetzungen der Nummer 1 erfüllen. Das gilt auch für die Einführung eines neuen Codeworts, das dem Benutzer den Zugang zu den vorhandenen Daten verschließt 28 . 27

3. Tätereigene Datenverarbeitungsanlage. Nach ihrem Wortlaut setzt die Norm nicht voraus, daß die Datenverarbeitungsanlage oder die Datenträger für den Täter fremd sind. Die Konsequenz wäre: Auch der Inhaber eines Rechenzentrums, das für ein anderes Unternehmen eine Datenverarbeitung von wesentlicher Bedeutung betreibt — ζ. B. dessen Buchhaltung EDV-mäßig bearbeitet —, würde tatbestandsmäßig handeln, wenn er etwa aus Verärgerung über den Auftraggeber seine für den Betrieb dieser Datenverarbeitung erforderlichen Datenträger zerstört (Nummer 2) oder die Daten, hinsichtlich derer er jedenfalls nach überwiegender Auffassung — entgegen der hier vertretenen Meinung — nicht verfügungsbefugt ist (§ 303 a Rdn. 17), verändert (Nummer 1).

28

Gegen eine solche Auslegung des Tatbestandes bestehen, auch wenn sie den Vorstellungen des Rechtsausschusses entspricht (BT-Drucks. 10/5058 S. 36), Bedenken. Sie würde — wie der Beispielsfall zeigt — den Anwendungsbereich des § 303 b in einer Weise erweitern, daß die Vorschrift systemwidrig auch den bloßen Vertragsbruch unter Strafe stellte. Soll dieses Ergebnis vermieden werden, muß § 303 b restriktiv ausgelegt werden 29 . Nimmt der Eigentümer einer Datenverarbeitungsanlage Sabotagehandlungen an ihr vor, so handelt er nur dann tatbestandsmäßig, wenn er die Anlage einem fremden Betrieb überlassen hat und dieser sie aufgrund eines Besitz- oder Nutzungsrechts unmittelbar für seine eigene Datenverarbeitung oder für eine Datenverarbeitung in fremdem Auftrag einsetzen kann. Mithin kann sich der Eigentümer etwas als Leasinggeber, Sicherungsnehmer oder Eigentumsvorbehaltsverkäufer strafbar machen, wenn er die dem anderen Betrieb überlassene Datenverarbeitungsanlage oder die ihm zur Verfügung gestellten Datenträger zerstört. Dagegen scheidet in Fällen der Datenverarbeitung in fremdem Auftrag der Inhaber des auftragnehmenden Betriebs als Täter aus 30 .

29

VI. Innerer Tatbestand. Subjektiv ist hinsichtlich aller Merkmale der Vorsatz des Täters erforderlich. Es genügt bedingter Vorsatz. Der Täter muß auch wissen oder für möglich halten, daß die Datenverarbeitung für die betroffene Einrichtung von wesentlicher Bedeutung und durch die Sabotagehandlung mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird 31 .

30

VII. Konkurrenzen. Bei gleichzeitiger Erfüllung von Nummer 1 und Nummer 2 liegt nur eine Tat vor (nicht Tateinheit). Nummer 1 geht dem Grundtatbestand des 28

29

Α. A. Bühler M D R 1987 456, der insofern § 303 b Nr. 2 anwenden will. Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Sch/Schröder/Stree Rdn. 14; Haurand/Vahle RDV 1990 130; im Ergebnis ebenso — allerdings aus anderen Erwägungen — Samson SK Rdn. 4 ff; a. A. Lackner Rdn. 5; Volesky/Scholten iur 1987; Dreher/Tröndle Rdn. 8; Bühler M D R 1987 456; Möhrenschlager wistra 1986 142; ders. wistra

Stand: 1.

30

31

1991 321, 326; Granderath DB 1986 Beil. 18/86 S.3. Sch/Schröder/Stree Rdn. 14; Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Schmitz S. 124 f; a.A. anscheinend Samson SK Rdn. 6 und Haß Rdn. 63. So auch Μaurach/Schroeder/Maiwald, BT, Teilband 1, § 36 VII, obwohl sie § 303 b für ein erfolgsqualifiziertes Delikt halten.

10. 1992

(68)

Computersabotage

§ 303 b

§ 303 a als Q u a l i f i k a t i o n v o r . N u m m e r 2 g e h t § 303 v o r , w e n n d i e D a t e n v e r a r b e i t u n g s a n l a g e b z w . d e r D a t e n t r ä g e r i m E i g e n t u m d e s I n h a b e r s d e s Betriebes steht (vgl. a b e r R d n . 26 f)· Z u T a t e n n a c h d e n a l l g e m e i n e n S a b o t a g e t a t b e s t ä n d e n (§§ 88, 109e, 316 b) u n d zu § 304 k a n n § 303 b im V e r h ä l t n i s d e r T a t e i n h e i t s t e h e n 3 2 . VIII. Strafantrag. D i e T a t k a n n , w e n n n i c h t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t ein b e s o n d e - 31 res ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e a n d e r S t r a f v e r f o l g u n g b e j a h t , n u r a u f A n t r a g v e r f o l g t werd e n (§ 303 c) — eine m i t Blick auf d i e G r ü n d e f ü r d i e E i n f ü h r u n g d e s § 303 b u n d a u f d a s F e h l e n d e s A n t r a g s e r f o r d e r n i s s e s bei d e n §§ 305, 305 a w e n i g e i n l e u c h t e n d e R e g e l u n g . A n t r a g s b e f u g t ist als Verletzter d e r I n h a b e r d e s Betriebs ( o d e r d e s U n t e r n e h m e n s b z w . d i e B e h ö r d e ) , f ü r d e n die D a t e n v e r a r b e i t u n g v o n w e s e n t l i c h e r B e d e u t u n g ist. IX. Recht des Einigungsvertrages. I m S t r a f g e s e t z b u c h d e r e h e m a l i g e n D D R finden 3 2 sich d i e d e n §§ 303 a, 303 b e n t s p r e c h e n d e n V o r s c h r i f t e n in § 166 A b s . 1 N r . 2, Abs. 2 u n d 3 u n d in § 167 Abs. 2 u n d 3 ( e i n g e f ü g t d u r c h d a s 5. S t r a f r e c h t s ä n d e r u n g s g e s e t z v o m 14. D e z e m b e r 1988 - G B l . D D R I, 335). D i e V o r s c h r i f t e n h a b e n f o l g e n d e n Wortlaut: Wirtschaftsschädigung § 166 (1) Wer 1. ... 2. Daten oder Programme vernichtet, verändert, unterdrückt oder unbrauchbar macht oder die Steuerung technologischer Prozesse oder die Funktionsfähigkeit technischer Anlagen oder Geräte beeinträchtigt und dadurch vorsätzlich einen wirtschaftlichen Schaden verursacht, wird von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen oder mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Wer durch die Tat vorsätzlich erhebliche Produktionsstörungen oder eine schwere Schädigung der Volkswirtschaft verursacht, wird mit Freiheitstrafe von einem Jahr bis zu acht Jahren bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar. § 167 (1) ... wird von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen oder mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. (2) Ebenso wird zur Verantwortung gezogen, wer vorsätzlich oder fahrlässig Daten oder Programme vernichtet, verändert, unterdrückt oder unbrauchbar macht oder die Steuerung technologischer Prozesse oder die Funktionsfähigkeit technischer Anlagen oder Geräte beeinträchtigt und dadurch fahrlässig einen schweren wirtschaftlichen Schaden verursacht. (3) Wer 1. durch die Tat einen besonders schweren wirtschaftlichen Schaden verursacht, 32

(69)

Lenckner/Winkelbauer CR 1986 831; Dreher/ Tröndle Rdn. 11; vgl. auch Volesky/Scholten iur 1987 282.

Klaus Tolksdorf

§ 303 c

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

2. die Tat durch besonders verantwortungslose Verletzung seiner beruflichen Pflichten begeht, wird mit Freiheitsstrafe v o n einem Jahr bis zu fünf Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

33

Sieht man von der Strafandrohung für die fahrlässige Datenveränderung (§ 167 Abs. 2) und die erhöhten Strafrahmen (§ 166 Abs. 2, § 167 Abs. 3) ab, die gemäß § 2 Abs. 3 StGB für die künftige Rechtsanwendung keine Bedeutung mehr haben, so besteht der wesentliche Unterschied zu den §§ 303 a, 303 b darin, daß die Regelungen des DDR-Strafgesetzbuches die Strafbarkeit auf wirtschaftlich relevante Fälle von Datenveränderung beschränken. Der Täter muß durch die Tathandlung vorsätzlich einen wirtschaftlichen Schaden verursachen (§ 166 Abs. 1 Nr. 2) oder zumindest fahrlässig einen schweren wirtschaftlichen Schaden verursachen (§ 167 Abs. 2) 33 .

§ 303 c Strafantrag In den Fällen der §§ 303 bis 303 b wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Entstehungsgeschichte Das Strafantragserfordernis für § 303 war usprünglich in § 303 Abs. 3 normiert. Durch das 22. StRÄndG vom 18. Juli 1985 (BGBl. I S. 1510) ist § 303 Abs. 3 um die Möglichkeit erweitert worden, Sachbeschädigung von Amts wegen zu verfolgen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht. Diese Regelung ist am 26. Juli 1985 in Kraft getreten. Sie geht auf einen Gesetzesentwurf des Bundesrates zurück und hat zum Ziel, daß eine Sachbeschädigung auch dann verfolgt werden kann, wenn der Geschädigte infolge Einschüchterung oder aus Furcht vor Vergeltung nicht bereit ist, einen Strafantrag zu stellen, oder einen gestellten Antrag wieder zurücknimmt (s. insbes. den Gesetzentwurf — BT-Drucks. 10/308 S. 4 ff — sowie Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages — BTDrucks. 10/3538 S. 3f). Durch Art. 1 Nr. 16 u. 17 des 2. WiKG vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721), in Kraft getreten am 1. August 1986, ist § 303 Abs. 3 gestrichen und als § 303 c unter Ausdehnung seines Anwendungsbereichs auf § 303 a und § 303 b eingefügt worden. 1

1. Sachbeschädigung, Datenveränderung und Computersabotage sind grundsätzlich Antragsdelikte. Dabei ist antragsberechtigt der Verletzte, § 77 Abs. 1.

2

1. Verletzter im Sinne von § 303 ist, wer ein dingliches oder persönliches unmittelbares Recht an der beschädigten oder zerstörten Sache hat und wessen Recht durch 33

Vgl. auch Hoeren Das neue Computerstrafrecht der DDR, Computerstrafrecht der DDR, CR 1989 1109, 11U; Schroeder Das 5. Strafrechtsänderungsgesetz der DDR, ROW 1989 201, 203 f;

Hasse Strafrechtlicher Schutz zur Gewährleistung der Datensicherheit, NJ 1989 97, 98; Pohl/ Cremer DuD 1990 552 f.

Stand: 1. 9. 1992

(70)

Strafantrag

§ 303 c

1

die Tat verletzt wird . Dies ist allerdings streitig. Zum Teil wird vertreten, daß nur der Eigentümer strafantragsberechtigt ist2. In dem erwähnten Sinne unmittelbar persönlich berechtigt und damit antragsbe- 3 rechtigt ist zum Beispiel der Entleiher einer Sache, nicht jedoch derjenige, der es übernommen hat, für eine Sache zu sorgen, und Anspruch auf Erstattung der dabei aufgewendeten Kosten hat (RGSt. 4 326; RG H R R 1925 Nr. 1595); einen wirksamen Strafantrag kann ein Kind stellen, dessen Vater ihm ein in seinem Eigentum stehendes Pferd zum Reiten überlassen hat (OLG Düsseldorf VRS 71 [1986] 28); dagegen sind Ehegatten nicht ohne weiteres füreinander strafantragsberechtigt (BayObLGSt. 27 147); antragsberechtigt ist der Mieter einer Sache (RGSt. 1 306; RG Rspr. 6 766; RG JW1935 204); der Untermieter (RG JW 1935 204); der Inhaber einer Werkswohnung (RGSt. 71 137); der Käufer einer Sache, auf den die Verlustgefahr übergegangen ist (BayObLG NJW 1963 1464). Zum Strafantragsrecht eines Polizeibeamten bei Beschädigung seines Diensthemds vergleiche OLG Frankfurt a. M. NJW 1987 389, 390. Bei Beschädigung einer aufgrund Werkvertrages in ein Grundstück eingefügten Sache ist vor Abnahme des Werks durch den Besteller auch der Hersteller verletzt und deshalb antragsbefugt (RGSt. 63 76). Bei Beschädigung von verkauften Gütern auf dem Versandwege ist der die Versendungsgefahr tragende Käufer antragsberechtigt (RGSt. 63 76, 78). Allerdings muß die Sachbeschädigung den Antragsteller unmittelbar treffen. Daher ist die Versicherungsgesellschaft, bei der die Sache gegen Beschädigung versichert war und die den Schaden decken muß, nicht antragsberechtigt ( R G G A 5 0 [1903] 287).

Eine politische Partei hat kein Strafantragsrecht in bezug auf beschädigte Wahlplakate, die sie an einer nicht ihr gehörenden Litfaßsäule hatte verkleben lassen (BayObLG NJW 1981 1053). Das gleiche gilt für ohne Einverständnis des Eigentümers auf einem Bauzaun aufgeklebte Wahlplakate, die durch Dritte beschädigt werden (OLG Karlsruhe NJW 1979 2056). Werden dagegen ihre auf eigenen Stellwänden angebrachten Plakate beschädigt, ist sie selbstverständlich strafantragsberechtigt (BGH NStZ 1982 508; OLG Hamburg NJW 1982 395). Ebenso wird man einer politischen Partei ein Strafantragsrecht zubilligen müssen, wenn ihre auf einer von einer Stadt für allgemeine Wahlwerbung aufgestellten Plakattafel aufgeklebten Plakate beschädigt werden (offengelassen von OLG Oldenburg NJW 1982 1166). Wird Eigentum oder ein unmittelbares Recht an einer Sache einer juristischen 4 Person verletzt, so ist der gesetzliche Vertreter antragsberechtigt. Wird Staatseigentum beschädigt oder zerstört, so ist die zur Verwaltung berufene Stelle oder Person antragsberechtigt (RGSt. 51 83; 65 354, 357; RG GA 57 [1910] 201). Zum Strafantragsrecht des Leiters einer Straßenmeisterei im Land Niedersachsen vergleiche zum Beispiel OLG Celle NStZ 1981 223, 224. Beim Zusammentreffen mehrerer Antragsberechtigungen hat jeder Antragsbefugte 5 eine selbständige Berechtigung, § 77 Abs. 4 (RG H R R 1925 Nr. 1595; KG DJZ 1925 Sp.

1811).

' RGSt. 1 306; 4 326; 63 76; 71 137; R G JW 1935 204; B a y O b L G S t . 11 1, 2; B a y O b L G NJW 1963 1464; B a y O b L G NJW 1981 1053; Dreher/Tröndle R d n . 2; Kohlrausch/Lange § 303 A n m . VI; Lackner R d n . 2; Arzt/Weber III R d n . 23 A n m . 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 36 III 5; Wessels B T 2 S . 10. (71)

2

Olshausen § 303 A n m . 13 a ; Samson SK R d n . 3; Sch/Schröder/Slree R d n . 2; Otto B T S . 188; Rommel Z u r e i n f a c h e n Sachbeschädigung, S. 84, 88; Rudolphi J R 1982 27; Stree Probleme der Sachbeschädigung, J u S 1988 187,191 f.

Hagen Wolff

§ 303 c

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

6

Das Antragsrecht geht weder bei Ersatz des Schadens durch einen Dritten (RGSt. 71 137) oder den Täter noch dadurch verloren, daß der Antragsberechtigte nach der Beschädigung oder Zerstörung der Sache aufhört, Inhaber des verletzten Rechts zu sein (RGSt. 71 137).

7

2. Für § 303 a ist die Antragsberechtigung anzuknüpfen an die unmittelbare Berechtigung an den gespeicherten Daten. Das wird häufig der Eigentümer des Datenträgers sein. Doch ist dies nicht die einzige Möglichkeit. Ist Software oder Hardware gemietet oder geleast, ist der Mieter oder Leasingnehmer antragsberechtigt; daneben kommt auch Antragsberechtigung des Vermieters oder Leasinggebers in Betracht. Werden Daten zur Speicherung, Bearbeitung oder Verarbeitung an einen Dritten gegeben, sind im Falle einer Datenveränderung der Datengeber und der Dritte mögliche Antragsberechtigte (Dreher/Tröndle Rdn. 2). Das Betroffensein durch gespeicherte personenbezogene Daten allein genügt allerdings für eine Antragsberechtigung nicht (Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Lackner Rdn. 3; aA Dreher/Tröndle Rdn. 2).

8

3. Bei § 303 b ist antragsberechtigt der Inhaber des fremden Betriebs oder Unternehmens oder die Behörde, deren Datenverarbeitung gestört worden ist, wobei dies sowohl bei eigener Datenverarbeitung gilt als auch bei einer solchen durch einen Dritten. Außerdem kommt als Antragsberechtigter derjenige in Frage, der, wenn es um die Verarbeitung fremder Daten geht, diese Verarbeitung vornimmt (einschränkend Lackner Rdn. 4).

9

II. Die Verfolgung von Sachbeschädigung, Datenveränderung und Computersabotage ist auch ohne Strafantrag möglich, wenn die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse daran bejaht. Parallele Regelungen finden sich zum Beispiel in § 232 für vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung und in § 248 a für Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen sowie über § 263 Abs. 4 und § 263 a Abs. 2 für Bagatell- und Computerbetrug.

10

Zur allgemeinen Bedeutung des Merkmals eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann auf die Ausführungen von Hirsch LK § 232 Rdn. 6 ff verwiesen werden. Im Rahmen des § 303 c gilt insoweit nichts Besonderes. So kann auch im Rahmen des § 303 c das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung noch in der Revisionsinstanz erklärt werden, weil die Erklärung nicht fristgebunden ist (BGHR StGB § 303 c öffentliches Interesse 1). Geht die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung einer Sachbeschädigung irrtümlich von einem gestellten Strafantrag aus, kann dies nicht als ein Einschreiten von Amts wegen nach § 303 c angesehen werden (BGHR StGB § 303 c Einschreiten 1; insoweit in BGHSt. 35 325 nicht abgedruckt), obwohl eine konkludente Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durchaus in Betracht kommt (BayObLG NJW 1990 461). Solange die Staatsanwaltschaft die Erklärung über das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nachbringen kann, darf kein Freispruch erfolgen (BayObLGSt. 1991 39).

11

Wann ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung für die in § 303 c aufgezählten Delikte gegeben sein wird, läßt sich für Sachbeschädigung weitgehend aus den gesetzgeberischen Motiven, die zur Schaffung dieser Verfolgungsmöglichkeit geführt haben, erschließen. So wird bei Sachbeschädigungen als Folge von gewaltsam verlaufenen Demonstrationen eine Strafverfolgung von Amts wegen ebenso Stand: 1. 9. 1992

(72)

Gemeinschädliche Sachbeschädigung

§ 3 0 4

nahe liegen wie bei Fällen von Vandalismus zum Beispiel in Zusammenhang mit Sportveranstaltungen oder Rockkonzerten; im Grunde also bei allen Sachbeschädigungen, mit denen vom Tatgeschehen, von der Höhe des Schadens oder der Zahl der Einzelfälle her eine nachhaltige Störung des allgemeinen Rechtsfriedens und des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung verbunden ist und bei denen erfahrungsgemäß von den Geschädigten aus Furcht vor unliebsamen Weiterungen kein Strafantrag gestellt wird (vgl. auch Dreher/Tröndle Rdn. 3 in Verb. m. § 303 Rdn. 1 a; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree Rdn. 7). Bei § 303 a werden Fälle schwerwiegender wirtschaftlicher oder sonstiger allge- 12 meine Interessen berührender Schäden im Vordergrund stehen. Das gleiche gilt für § 303 b, dessen Tatbestandsfassung jedoch dafür spricht, daß das Gewicht einer derartigen Straftat meist eine Verfolgung von Amts wegen rechtfertigen wird (so auch Dreher/Tröndle Rdn. 4; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Stree Rdn. 6). In den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren fehlt es an einer Konkreti- 13 sierung des besonderen öffentlichen Interesses nach § 303 c.

§ 3 0 4

Gemeinschädliche Sachbeschädigung (1) Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Schrifttum Keller Der strafrechtliche Schutz von Baudenkmälern unter Berücksichtigunng der Bußgeldtatbestände in den Landesdenkmalgesetzen, Diss. Würzburg 1987; Loos Gemeinschädliche Sachbeschädigung (§ 304 StGB) durch Überkleben von Wahlplakaten? — LG Wiesbaden, NJW 1978, 2107, JuS 1979 699; Molketin/Weißenborn Bäume - taugliche Objekte einer gemeinschädlichen Sachbeschädigung im Sinne von § 304 Abs. 1 StGB? UPR ( = Umwelt und Planungsrecht) 1988 426; Rehborn Das Verhältnis des § 304 Abs. 1 StGB zu den Bußgeldvorschriften in § 41 Abs. 1 Nr. 2 Denkmalschutzgesetz, NWVB1. 1988 325; Stree Beschädigung eines Polizeistreifenwagens — BGHSt. 31, 185, JuS 1983 836; Weber Zum Verhältnis von Bundes- und Landesrecht auf dem Gebiet des straf- und bußgeldrechtlichen Denkmalschutzes, Tröndle-Festschrift S. 337; Wesenberg Der strafrechtliche Schutz der geheiligten Gegenstände, Diss. Göttingen 1912.

Entstehungsgeschichte § 304 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich (RGBl. S. 127,186 0, der in Absatz 2 vorsah, daß neben Gefängnisstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden konnte, und die Strafbarkeit des Versuchs in Absatz 3 regelte, ist bis zum EGStGB 1974 praktisch unverändert geblieben. Zuvor war nur die Begrenzung der Geldstrafe auf fünfhundert Thaler entfallen sowie durch Art. 4 des 1. StrRG vom (73)

Hagen Wolff

§304

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) die angedrohte Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe übergeleitet worden. Auch die Umformulierung durch Art. 19 Nr. 162 und 207 EGStGB 1974 bedeutete keine sachliche Änderung von Absatz 1 und des heutigen Absatzes 2. Durch Art. 1 Nr. 7 des 18. StRÄndG — Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373) ist in § 304 Abs. 1 nach den Worten „öffentliche Denkmäler," das Wort „Naturdenkmäler," eingefügt worden. Die Änderung ist am 1. Juli 1980 in Kraft getreten. Damit sollte der bis dahin landesrechtlich und unterschiedlich geregelte Fall der Beschädigung oder Zerstörung eines Naturdenkmals einheitlich normiert und in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden (Begründung zum Regierungsentwurf — BT-Drucks. 8/2382 S. 12 f)· Dadurch wurde eine bereits in § 250 Abs. 1 Nr. 3 Ε 1962 vorgesehene Umgestaltung aufgegriffen. 1

1. Die gemeinschädliche Sachbeschädigung ist in § 304 wegen des Angriffs auf bestimmte, unter besonderem Schutz stehende öffentliche Güter mit erhöhter Strafe bedroht. Sie ist kein erschwerter Fall des § 303, sondern ein eigenständiges Vergehen 1 . Der § 304 ist teils weiter, teils enger als der Tatbestand der einfachen Sachbeschädigung. Weiter insofern, als das Merkmal der fremden Sache nicht erforderlich ist (RGSt. 43 240, 242; RG Rspr. 10 595, 596; BayObLGSt. 20 146, 150). Daher kann auch bestraft werden, wer seine eigene oder eine herrenlose Sache beschädigt oder zerstört (BayObLGSt. 20 146, 150). Enger ist § 304 insoweit, als er nur bestimmte, genau bezeichnete Gruppen von Sachen schützt. Maßgebend ist bei § 304 nicht das Eigentumsinteresse, sondern das Gemeininteresse an der allgemeinen Nutzung bestimmter Sachen. Die „Vernichtung oder Brauchbarkeitsminderung von Kulturgütern" soll verhindert werden (Ε. Wolf ZAkDR 1938 100, 101; s. auch Sch/Schröder/ Stree Rdn. 1).

2

Die Aufzählung der nach § 304 geschützten Gegenstände, d. h. körperlichen Sachen (BGHSt. 5 261,266), ist erschöpfend. Ihr gemeinsames Merkmal ist die Zweckbestimmung, den öffentlichen Interessen oder solchen Belangen zu dienen, welche vom Gesetzgeber den öffentlichen Interessen gleichgestellt sind. Diese Widmung muß zur Zeit der Tat bestehen. Ob die Sache ursprünglich anderen Zwecken gewidmet war, ist unerheblich (RGSt. 9 26,28; 34 1,2; 43 240,244). Die öffentliche Zweckbestimmung kann durch schlüssige Handlung geschehen (RG JW 1927 126), insbesondere durch stillschweigende Billigung und Aufrechterhaltung eines bestehenden Zustande (Olshausen Anm. 2). Ein tatsächlicher Zustand allein genügt jedoch nicht (RGSt. 58 346, 347; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1987 14, 16), er muß mit dem Willen des Verfügungsoder Widmungsberechtigten übereinstimmen. In diesem Sinne sind die Entscheidungen RGSt. 5 318, 319 und RG Rspr. 1 134, 135 durch RGSt. 9 26, 28 richtiggestellt worden. Vergleiche auch RGSt. 43 240.

3

II. Die tatbestandsmäßige Handlung, Beschädigen oder Zerstören, ist die gleiche wie bei § 303. Die dort unter Rdn. 5 ff gegebenen Erläuterungen gelten auch für § 304. Zur Beschädigung oder Zerstörung im Sinne des § 304 gehört jedoch außerdem, daß die besondere Zweckbestimmung der Sache, um derentwillen der § 304 sie schützt, beeinträchtigt wird (RGSt. 9 219, 220; 43 31, 32; 66 203, 205; OLG Rostock H R R 1929 Nr. 2057; allg. Meinung). Fehlt es daran, so greift unter seinen Voraussetzungen der § 303 ein, andernfalls ist die Tat straflos, sofern nicht Versuch vorliegt (vgl. RGSt. 65 1

Dreher/Tröndle Rdn. 1; Kohlrausch/Lange Anm. I; Lackner Rdn. 1; Samson SK Rdn. 1; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 1; Arzt/Weber III Rdn. 46;

Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 II 1; Otto BT S. 185; Wessels BT 2 S. 11.

Stand: 1. 9. 1992

(74)

Gemeinschädliche Sachbeschädigung

§304

133, 134). — Beispiele für § 303 in derartigen Fällen: Anbringen von Inschriften an einer Ruhebank (OLG München OLGESt. 5 352); Abpflücken von einzelnen Blumen (RGSt. 9 219); Bemalen der Wand einer Eisenbahnüberführung (RG H R R 1 9 3 3 Nr. 350). Auch in dem vom OLG Karlsruhe Justiz 1978 323 entschiedenen Fall — Bemalen des Asphaltfußbodens einer Fußgängerunterführung mit großen Buchstaben — dürfte richtig allein § 303 ausgefüllt gewesen sein. III. Als Tatobjekte kommen nach der Aufzählung in der Vorschrift in Betracht: 4 1. Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft. Näheres über die Art der geschützten Gegenstände bei Ruß LK § 243 Rdn. 25. Zu den angesprochenen Religionsgesellschaften vergleiche Dippel LK § 166 Rdn. 38 ff, 50; der in § 304 verwendete Ausdruck im Staat bestehende Religionsgesellschaft hat dieselbe Bedeutung wie der in den §§ 166,167 benutzte Begriff im Inland bestehende Religionsgesellschaft. Der Ort, an welchem sich die Gegenstände der Verehrung befinden, muß mindestens zeitweise den Mitgliedern der Religionsgesellschaft zugänglich sein. Das Merkmal der Zugänglichkeit fehlt bei dem Kruzifix in einer Privatwohnung (BayObLGSt. 7 284). Es ist vorhanden bei einem Kruzifix, einem Heiligenbild oder einer Reliquie, die in einer katholischen Kirche oder Kapelle aufgestellt sind. Kirchtürme und Kirchengebäude gehören nicht zu den Gegenständen der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft (RG Recht 1921 Nr. 2484). 2. Eine Sache ist dem Gottesdienst gewidmet, wenn sie die dauernde Bestimmung 5 hat, bei Versammlungen einer Religionsgesellschaft in einer dem Zweck, den Vorschriften oder Gebräuchen dieser Gesellschaft entsprechenden Weise benutzt zu werden, wenn sie unmittelbar dazu dient, daß an oder mit ihr gottesdienstliche Handlungen vorgenommen werden (BGHSt. 21 64). Maßgebend sind also die Anschauungen der begreffenden Glaubensgemeinschaft. Darunter fallen: Altäre, Monstranzen, Kruzifixe und Kelche samt Zubehör, sowie Leuchter, Kanontafeln, Heiligengemälde, Skulpturen (BGHSt. 21 64); Altarkerzen (RGSt. 53 144); Abendmahlsgerät; Meßgewänder; die Ewige Lampe (RG GA 67 [1919] 444); dagegen nicht der Opferstock (BGH LM StGB § 243 Abs. 1 Nr. 1) und der Klingelbeutel (vgl. Arnold SeuffBl. 3 313); auch nicht Sitzbänke und Stühle; Blumenvasen zum Schmuck des Altars (RG GA 57 [1910] 226). Gebet- und Gesangsbücher sind wohl wenigstens dann dem Gottesdienst gewidmet, wenn sie dauernd in der Kirche aufbewahrt werden (a. Μ. ζ. B. Ruß LK § 243 Rdn. 25; Sch/Schröder/Eser § 243 Rdn. 34). — Der Ausdruck Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, reicht in § 304 weiter als in § 243 Abs. 1 Nr. 4, denn er umfaßt auch Kirchen und Kapellen — also unbewegliche Gegenstände — (RG Recht 1921 Nr. 2848) einschließlich der Sakristei (vgl. RGSt. 45 243; RG HRR 1935 Nr. 396; BGHSt. 9 140) und der Fensterscheiben einer Kapelle (RG GA 57 [1910] 226). Vergleiche im übrigen Ruß LK § 243 Rdn. 25. 3. Grabmäler sind Erinnerungszeichen, die zum Gedächtnis Verstorbener auf 6 oder an ihren Gräbern angebracht sind; nach BGHSt. 20 286: alle diejenigen dauerhaften Teile des Grabes, die — auch ohne Beschriftung — nach Art, Gestaltung und Ausführung in enger Verbindung mit sonstigen Anhaltspunkten auf den Toten hinweisen und damit nach der Lebensauffassung selbst den Charakter eines Erinnerungszeichens tragen (hier: eine auf einem Steinsockel montierte bronzene Kreuzigungsgruppe, die zu einem gut gepflegten Grab gehörte); also nicht lediglich die üblichen Grabsteine; vergleiche auch RG GA 53 [1906] 441 (teilweise abweichend Mau(75)

Hagen Wolff

§304

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

rach/Schroeder/Maiwald BT § 62 III 3). In RGSt. 42 116 ist der Schutz auf Erinnerungszeichen beschränkt, welche dauernd diesem Zweck dienen. Diese Einschränkung ist nicht gerechtfertigt. Auch für den Schutz vorläufiger Erinnerungszeichen kann ein Bedürfnis bestehen, zum Beispiel in Kriegszeiten bei Soldatengräbern. Der strafrechtliche Schutz des Grabmals erlischt nicht mit dem Untergang des privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Anspruchs auf Benutzung der Grabstätte. Er dauert über diesen Zeitpunkt hinaus fort, solange ein tatsächliches Pietätsinteresse an dem Weiterbestehen des Grabes erkennbar wird (RGSt. 42 116), zum Beispiel durch Pflege und Ausschmückung. — Abpflücken von Blumenschmuck ist nicht ohne weiteres Beschädigung eines Grabmals (RGSt. 7 190; 9 219, 220). 7

4. Denkmäler sind Erinnerungszeichen, welche das Andenken an Personen, Ereignisse oder Zustände dauernd erhalten sollen. Darunter fallen nicht nur zu diesem Zweck aufgestellte oder errichtete Standbilder, Säulen und Bauwerke (zum Beispiel „Ruhmeshallen"), sondern auch Gegenstände, die „als kennzeichnende Reste eines früheren Kulturabschnitts von geschichtlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedeutung sind" (RGSt. 43 240, 241; ablehnend Frank Anm. II 4). Ohne Belang ist, ob sie unversehrt oder nur in Bruchstücken erhalten sind. Als Beispiele seien genannt: Kirchen oder Kirchtürme (RGSt. 43 240); Kapellen; Türme, Burgen; Festungswerke (LG Bamberg NJW 1953 997,998); Tore; Häuser. Ein Hünengrab kann ebenfalls die Eigenschaft eines kulturhistorischen Denkmals erlangen (OLG Celle NJW 1974 1291; vgl. auch RG GA 51 [1904] 49). - öffentlich sind Denkmäler, die für öffentliche Zwecke bestimmt, oder, wie es in RGSt. 43 240, 243 heißt, die der Öffentlichkeit gewidmet sind. Geschützt werden sollen nur Gegenstände, die den öffentlichen Schutz auch dem Eigentümer gegenüber, dessen Recht entsprechend eingeschränkt wird, erfordern. Ein ausdrücklicher Widmungsakt ist entbehrlich. Soweit nach den Landesdenkmalsschutzgesetzen die Denkmalseigenschaft die Eintragung des zu schützenden Objekts in eine Liste oder ein Buch voraussetzt, hat dies für § 304 keine Bedeutung (aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 II 2 a; Weber TröndleFestschrift S. 337, 339 ff; zweifelnd Dreher/Tröndle Rdn. 8). Daneben müssen Denkmäler, um öffentlich zu sein, sich an einem öffentlichen Ort befinden, also allgemein zugänglich sein. Zu eng ist es jedoch, für einen öffentlichen Ort allein auf öffentliche Wege, Straßen und Plätze abzustellen (so Frank Anm. II 4).

8

5. Naturdenkmäler. Der Begriff des Naturdenkmals ist entsprechend der Bestimmung in § 17 Abs. 1 BNatSchG vom 20. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3574) auszulegen (Begründung zum Regierungsentwurf — BT-Drucks. 8/2382 S. 12f). Damit ist, soll strafrechtlicher Schutz bestehen, eine rechtsverbindliche Festsetzung als Naturdenkmal durch die dafür zuständige Verwaltungsbehörde nötig 2 . Insoweit ist § 304 also Blankettgesetz. Schutz als Naturdenkmal setzt eine Einzelschöpfung der Natur voraus, die aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen oder landeskundlichen Gründen oder wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit schutzwürdig ist. Der Schutz kann sich erforderlichenfalls auch auf die Umgebung des Naturdenkmals erstrecken.

9

6. Im Sinne des § 304 ist ein Gegenstand der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes nur dann öffentlich aufgestellt, wenn die Aufstellung an öffentlichen Orten 2

Dreher/Tröndle Rdn. 8; Sch/Schröder/Stree Rdn. 4; Rogall Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (18. Strafrechtsänderungsge-

setz), JZ-GD 1980 101, 107; Weber Tröndle-Festschrift S. 337, 341 f; aA offenbar OLG Oldenburg NdsRpfl. 1987 14,15 f.

Stand: 1. 9. 1992

(76)

Gemeinschädliche Sachbeschädigung

§304

auch einem öffentlichen Interesse dienen soll. Daher liegt dieses Tatbestandsmerkmal nicht vor, wenn ein Händler zu Geschäftszwecken gewerbliche Erzeugnisse in seinem Schaufenster oder Verkaufsstand ausstellt. — Eine Sammlung ist öffentlich, wenn sie der Allgemeinheit offensteht, auch wenn der Zutritt für den einzelnen von einer Erlaubnis oder sonstigen Bedingungen abhängig gemacht ist (BGHSt. 10 285). Ist der Benutzerkreis beschränkt (wie zum Beispiel bei einer Außenstehenden nicht zugänglichen Behörden- oder Gerichtsbibliothek), so ist § 304 unanwendbar. Die Eigentumslage ist unerheblich (vgl. RGSt. 66 203); die Sammlung muß also nicht im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Staats- und Universitätsbibliotheken sind öffentliche Sammlungen (BGHSt. 10 285). — Was Gegenstand der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes ist, läßt sich allgemein kaum sagen und mag im Einzelfalle zweifelhaft sein. Doch wird sich in derartigen Fällen vom Zweck der Bestimmung her, kulturelle Werte zu schützen, eine Abgrenzung finden lassen. — Vergleiche ergänzend auch Ruß LK § 243 Rdn. 26 ff. 7. Zum öffentlichen Nutzen dienen Gegenstände, wenn sie durch ihren Gebrauch 10 oder in anderer Weise der Allgemeinheit unmittelbar nützen und dafür auch bestimmt sind (RGSt. 58 346; 66 203, 204; BGHSt. 31 185, 186 = JR 1984 167 m.Anm. Loos)3. Das Reichsgericht hat gelegentlich unter Widerspruch des Schrifttums auch Gegenstände einbezogen, die in „irgendeiner Beziehung" zum Nutzen des Publikums stehen 4 . Das geht zu weit, denn im Grunde nützen die meisten Dinge in irgendeiner Weise mittelbar auch der Allgemeinheit. Deshalb genügt auch nicht „eine nicht zu entfernte Beziehung zum Nutzen des Publikums". Der Maßstab liegt vielmehr darin, ob jedermann, wenn auch nach Erfüllung bestimmter allgemeingültiger Bedingungen, ohne Vermittlung dritter, zu beliebiger Auswahl der Teilnehmer befugter Personen aus dem Gegenstand oder aus dessen Erzeugnissen oder Wirkungen Nutzen ziehen kann (RGSt. 58 346, 348; 66 203, 204; BGHSt. 10 285, 286; BGHSt. 31 185, 186 = JR 1984 167 m. Anm. Loos). Zu derartigen allgemeingültigen Zugangsbedingungen kann auch die Entrichtung eines Entgelts gehören (BGH JR 1984 167, 168, insoweit in BGHSt. 31 185 nicht mit abgedruckt; vgl. auch BGHSt. 22 209). Dagegen ist hier nicht wesentlich, daß der Gegenstand dem Publikum unmittelbar zugänglich ist (a. M. noch RG GA 60 [1913] 443). Zu den Sachen, die der Allgemeinheit unmittelbar Nutzen bringen sollen, gehö- 11 ren: öffentliche Wege (RGSt. 8 399, 401; 28 117; BayObLGSt. 24 13; OLG Hamm JMB1NRW1972 71); das Steinpflaster auf solchen Wegen (RG GA 60 [1913] 69); der Asphaltfußboden einer Fußgängerunterführung (OLG Karlsruhe Justiz 1978 323; s. dazu aber auch Rdn. 3); Brücken (BayKassH GA 24 [1876] 644); Schutzgeländer an Wegen und Brücken (RG Recht 1914 Nr. 1201); Verkehrszeichen (BGH VRS 19 [1960] 130); Straßenbegrenzungspfosten (BayObLG JZ 1985 855, 856); Parkuhren (AG Nienburg NdsRpfl. 1961 232); Wegweiser (OLG Dresden Annalen Bd. 12 317); öffentliche Garten- und Parkanlagen (RGSt. 5 318; 9 26); Friedhöfe (RGSt. 7 190; 43 31, 32); Bäume (RG Rspr. 1 134; 10 595; BayObLGSt. 20 146; einschränkend OLG Oldenburg NJW 1988 924; vgl. auch Molketin/Weißenborn UPR 1988 426, 4 2 7 0 ; Ruhebänke in öffentlichen Anlagen (OLG München OLGSt. 5 352); ein allgemein nutzbarer Brunnen mit speisender Quelle und der verbindenden Rohrleitung (RGSt. 39 328, 330; 58 346); Eisenbahnüberführungen (RG H R R 1933 Nr. 350); Böschungskronen von zum Bahngelände gehörenden Abzugsgräben (OLG Rostock GA 40 3

Bedenken gegen die Funktionstüchtigkeit des Merkmals unmittelbar bei Loos JuS 1979 699,700.

(77)

4

RGSt. 5 318; 9 2 6 ; 3 1 143; 34 1,2; RG LZ 1916 Sp. 696.

Hagen Wolff

§304

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

[1892] 347); Wagen einer öffentlichen Eisenbahn oder Straßenbahn (RGSt. 34 1; BGH bei Daliinger M D R 1952 532); Teile einer öffentlichen Telegraphen- oder Fernsprechanlage (RGSt. 34 252); eine öffentliche Fernsprechzelle (BGH, Urt. v. 6. Dez. 1 9 6 0 - 1 StR 520/60 - ; OLG Hamm NStZ 1983 522); die Masten einer elektrischen Leitung (RG JW 1927 126); Maschinen eines öffentlichen Versorgungsbetriebs (RG JW 1922 712, 713); ein öffentliches Schulhaus (RMG 16 156; BGH, Entsch. v. 3. Okt. 1967 — 1 StR 379/67 —); das mit dem Schulgebäude baulich zusammenhängende Direktionsgebäude, auch wenn das Schulgebäude noch im Bau ist (OLG Celle HRR1930 Nr. 1889); ein Gemeindespritzenhaus (RG GA 52 [1905] 399); Feuermelder (RGSt. 65 133, 134; RG LZ 1915 Sp. 1112; OLG Dresden LZ 1915 Sp. 1546); ein in einem U-Bahn-Bahnhof aufgehänger Feuerlöscher (BayObLG NJW 1988 837, 838); Rettungsfahrzeuge der Werksfeuerwehr eines industriellen Großbetriebs (OLG Düsseldorf NJW 1986 2122 = JuS 1986 914 m. Anm. Hassemer); Kirchtürme mit Glocken oder Uhren (RG Recht 1921 Nr. 2484); Litfaßsäulen (RGSt. 66 203); Postbriefkästen (BayObLG JW 1931 1620; OLG Darmstadt GA 43 [1895] 134); Wahlurnen für öffentliche Wahlen (RGSt. 55 60,61), nicht dagegen die Wahlurne bei einer Betriebsratswahl (RG GA 69 [1924] 98); trigonometrische Marksteine (RGSt. 39 206; aA Sch/Schröder/Stree Rdn. 5); ein aus längs dem Flußufer in den Boden eingelassenen Steinen bestehender Wasserstandsanzeiger (RGSt. 31 143 u. 329; differenzierend Sch/Schröder/Stree Rdn. 5). Ob ein Schild mit dem Hinweis: „Sie betreten die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik" dem öffentlichen Nutzen diente (so LG Berlin und KG JZ 1976 98 m. abl. Anm. v. Fr.-Chr. Schroeder\ vgl. auch BGH NJW 1975 1610), erscheint fraglich. 12

Sachen, die nur mittelbar dem öffentlichen Nutzen dienen, scheiden aus. Beispiele: Bienenvölker (aA RGSt. 72 1: Die Vernichtung von Bienenvölkern beeinträchtigte fühlbar die Grundlagen der Ernährungswirtschaft); der „Deutsche Acker" (aM AG Burgau DJ 1937 123); Kühe (aA OLG Dresden DJ 1939 1004); alle drei erwähnten Entscheidungen lassen sich nur als zeitbedingt erklären (vgl. auch Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 57 II 2 d). Als weitere Beispiele seien erwähnt: Industrieanlagen (RGSt. 58 346, 348); Gegenstände, die lediglich innerbehördlichen Zwecken dienen (RGSt. 31 143, 145), wie der Schreibtisch im Dienstzimmer eines Gemeindebeamten (RG GA 60 [1913] 443), ein Polizeifunkgerät (BGH Beschl. v. 8. Aug. 1967 - 1 StR 347/67 - ) oder ein Polizeistreifenwagen (BGHSt. 31 185 = JR 1984 167 m. Anm. Loos\ a. M. OLG Hamm NStZ 1982 31; vgl. auch Stree JuS 1983 836); oder eine Bepflanzung allein für militärische Aufgaben (RGSt. 5 318; 9 26); Wege, die nur einzelnen Grundeigentümern dienen (RGSt. 8 399, 401); ein Gemeindearmenhaus (BayObLGSt. 11 75); nichts anderes wird gelten können für die Umfassungsmauern und das Dach einer Justizvollzugsanstalt (RG Recht 1921 Nr. 2483; Kühne Forum: Die sog. „Celler Aktion" und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 188, 190; Evers Sprengung an der Celler Gefängnismauer: Darf der Verfassungsschutz andere Behörden und die Öffentlichkeit täuschen? N J W 1987 153; wohl auch Velten Nicht nur ein Loch in der Mauer — rechtliche Überlegungen zum Sprengstoffanschlag des Verfassungsschutzes in Celle, StV 1987 544, 546; a. M. OLG Koblenz NstZ 1983 29; LG Koblenz M D R 1981 956; Samson SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 II 2 d; Dodegge JuS 1987 591; im Grundsatz auch Dreher/Tröndle Rdn. 11); weitere Beispiele: eine Gefängniszelle oder sonstiges Gefängnisinventar (RG LZ 1916 Sp. 696), wie etwa die Betten (RG H R R 1926 Nr. 2309); die Räume einer Bahnhofsgaststätte (AG Euskirchen M D R 1977 335); das Inventar einer Stadthalle (BGH JR 1984 167,168 f m . Anm. Loos, insoweit in BGHSt. Stand: 1. 9. 1992

(78)

Gemeinschädliche Sachbeschädigung

§304

31 185 nicht mit abgedruckt); Wegmacherhütten mit darin aufbewahrten Geräten, Verkehrszeichen und Schneefangzäunen (BGH NJW 1990 3029). Auch Wahlplakate dienen keinem unmittelbaren öffentlichen Nutzen (LG Wiesbaden NJW 1978 2107). Einer Skilanglaufloipe fehlt bereits die Sacheigenschaft, so daß sie aus dem Schutzbereich des § 304 herausfällt (BayObLG NJW 1980 132 = JR 1980 429 m.krit.Anm. Schmid; aA LG Kempten NJW 1979 558; s. ergänzend § 303 Rdn. 3). Das gleiche gilt für das fließende Wasser eines Flusses (a. M. Seier Probleme des Umweltstrafrechts, JA 1985 23, 25). Der § 304 setzt andererseits nicht voraus, daß der Gegenstand ausschließlich dem 13 öffentlichen Nutzen dient. Er kann gleichzeitig noch anderen Zwecken gewidmet sein (RGSt. 5 318, 319; 29 246; 34 1, 3; 66 203, 204). Ebensowenig schadet der vorübergehende Ausschluß der bestimmungsgemäßen Verwendung, solange die Zweckbestimmung erhalten bleibt; zum Beispiel bei Reparatur (OLG Celle H R R 1930 Nr. 1889; OLG Hamm JMB1NRW 1958 8). - Ob eine Sache dem öffentlichen Nutzen dient, hat der Strafrichter selbständig zu prüfen. 8. Zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen (vgl. BGHSt. 22 209) 14 dienen in der Regel Bäume, Sträucher und Blumen (OLG Rostock H R R 1929 Nr. 2057; OLG Schleswig SchlHA 1986 102; vgl. auch RGSt. 5 138, 320). Das Abreißen von einzelnen Blättern oder Ziersträucherteilen reicht zur Beschädigung noch nicht aus (RGSt. 7 190, 191), auch nicht das Pflücken einzelner Blumen; wohl aber das einer kostbaren, die ganze Anlage beherrschenden Blüte (RGSt. 9 219,221). Werden in einem Park auf zahlreiche Bäume weiße Kreuze gemalt, ist § 304 ausgefüllt (LG München II NStE Nr. 1 zu § 304). Andere Gegenstände können ebenfalls zur Verschönerung öffentlicher Wege pp. bestimmt sein, zum Beispiel eine Ehrenpforte, sofern die Verschönerung nicht nur vorübergehend sein soll (OLG Celle GA 60 [1913] 301), ein Standbild (RGSt. 43 204; OLG Karlsruhe GA 47 [1900] 453), nach RGSt. 64 250, 252; 65 354, 356; BGH, Urt. v. 29. April 1954 - 3 StR 439/53 - unter Umständen eine gehißte Fahne, wenn sie von der zuständigen Stelle zur Verschönerung der Straße bestimmt ist. Es sind allerdings nicht nur solche Gegenstände gemeint, die beweglich sind oder ursprünglich beweglich waren; die gefällige Gestaltung unbeweglicher Teile genügt (RGSt. 28 117, 118). Die Verschönerung muß weiter nicht der einzige Zweck der Anlage sein. Eine Allee von Bäumen kann zum Beispiel gleichzeitig der Holznutzung dienen. Als öffentliche Anlage kann auch ein Friedhof einzustufen sein (RGSt. 7 190; 9 219). Ein zufälliger Verschönerungseffekt reicht allerdings nicht aus (OLG Oldenburg NdsRpfl. 1987 14, 16). IV. Vorsatz. Das Delikt des § 304 setzt entsprechend dem des § 303 zu seiner Ver- 15 wirklichung Vorsatz voraus (vgl. zunächst § 303 Rdn. 17). Bedingter Vorsatz genügt. Das Erfordernis des Wissens um die Fremdheit der Sache entfällt. Dafür muß die Kenntnis der Eigenart der in § 304 aufgeführten Gegenstände hinzutreten. Die Annahme, kraft Eigentums schädigungs- oder zerstörungsberechtigt zu sein, ist ein Verbotsirrtum. Der Irrtum über die Art der Befriedung eines beschädigten oder zerstörten Gegenstandes ist unerheblich. V. Zur Rechtswidrigkeit siehe § 303 Rdn. 18 ff entsprechend. Eine Einwilligung ist 16 nur beachtlich, wenn sie von der zuständigen Stelle herrührt und im Rahmen der Zweckbestimmung bleibt, solange diese besteht. Die Beschädigung oder Zerstörung der eigenen Sache kann rechtswidrig sein, wenn der Täter nicht die freie Verfügungs(79)

Hagen Wolff

§305

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

macht darüber besitzt (RGSt. 43 240; RG Rspr. 10 595). Demgemäß kann der Eigentümer gegen § 304 verstoßen, wenn die Einwirkung auf die dort angeführten Gegenstände auch ihm untersagt ist. 17

VI. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit: § 88; § 90a; § 125; § 136 (RGSt. 65 133, 135); § 145 Abs. 1; § 168, wenn außer dem Grabmal auch der Grabhügel oder die Einfriedung des Grabes beschädigt oder zerstört wird, wird dagegen das Grabmal allein beschädigt, verdrängt § 304 den § 168 (RG GA 53 [1906] 44; RG GA 56 [1909] 76; OLG Celle NdsRpfl. 1966 225); Tateinheit auch, wenn beschimpfender Unsinn im Sinne des § 168 mit einer Beschädigung nach § 304 zusammentrifft (RGSt. 39 155); §§ 242, 243 (BGHSt. 20 286; aA OLG Hamm MDR 1953 568); § 274 Abs. 1 Nr. 3 (str.; aA ζ. B. Sch/Schröder/Stree Rdn. 13; wie hier Dreher/Tröndle Rdn. 15; Olshausen Anm. 6b); § 303 (str.; aA ζ. B. Dreher/Tröndle Rdn. 15); § 305; § 308 (RGSt. 57 294, 296); §310b;§311; §311a; §317 Abs. 3 (str.; vgl. dort Rdn. 8); § 318. - Gesetzeseinheit: Verdrängt wird § 304 durch: § 104; § 109 e; 317 Abs. 1 u. 2. Zum Verhältnis zu § 21 Abs. 1 RNaturschutzG vergleiche OLG Celle NJW 1974 1291, 1293. Dagegen tritt § 145 Abs. 2 hinter § 304 zurück. Bußgeldbestimmungen der Landesdenkmalgesetze und -naturschutzgesetze treten über § 21 OWiG zurück (Dreher/Tröndle Rdn. 15; a. M. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1987 14,16). - § 34 NdsDenkmalschutzgesetz vom 30. Mai 1978 (NdsGVBl. S. 517), geändert durch Artikel 13 Nr. 1 des Gesetzes zur Bereinigung des niedersächsischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts vom 5. Dezember 1983 (NdsGVbl. S. 281), ist infolge § 304 nichtig, vgl. Art. 4 Abs. II EGStGB (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 15; Weber Tröndle-Festschrift S. 337, 344 ff).

19

VII. Die Strafverfolgung tritt von Amts wegen ein. § 303 c ist hier nicht anwendbar (vgl. RGSt 43 240, 242).

§305 Zerstörung von Bauwerken (1) Wer rechtswidrig ein Gebäude, ein Schiff, eine Brücke, einen Damm, eine gebaute Straße, eine Eisenbahn oder anderes Bauwerk, welche fremdes Eigentum sind, ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Entstehungsgeschichte § 305 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich (RGBl. S. 127,186) gilt bis heute praktisch unverändert fort. Gegenüber der ursprünglichen Fassung sind sachlich neben der Umwandlung der ursprünglich angedrohten Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) allein eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat in Fortfall gekommen und die Möglichkeit der Bestrafung mit Geldstrafe hinzugekommen (Art. 11,12, 19 Nr. 162 und 207 EGStGB 1974). 1

I. Zerstören von Bauwerken. Der Tatbestand der „gemeingefährlichen Sachzerstörung" (Frank Anm. I) bildet einen besonders schweren Fall der Sachbeschädigung nach § 303, also eine Straftat gegen das Eigentum. Infolgedessen umfaßt er die MerkStand: 1. 9. 1992

(80)

Zerstörung von Bauwerken

§305

male des gesetzlichen Tatbestandes der einfachen Sachbeschädigung, insbesondere auch das Merkmal, daß die zerstörte Sache fremd sein muß (RGSt. 8 399, 400). Zu diesem Begriff s. § 303 Rdn. 4. Zu diesen allgemeinen Merkmalen treten — und daraus erklärt sich die im Vergleich zu § 303 höhere Strafdrohung — zwei weitere hinzu: a) der Gegenstand muß zu den in § 305 genannten Sachen gehören, b) dieser Gegenstand muß teilweise oder ganz zerstört worden sein. II. Tatbestandsmäßige Handlung ist bei § 305 die gänzliche oder teilweise Zerstö- 2 rung, nicht auch bloßes Beschädigen. Zum Begriff der Zerstörung vgl. § 303 Rdn. 16. Ein teilweises Zerstören ist nach der Rechtsprechung das völlige Unbrauchbarmachen hinsichtlich eines zwecknötigen Teils des Gegenstandes oder das Unbrauchbarmachen hinsichtlich einer von mehreren Zweckbestimmungen der Sache für nicht unbeträchtliche Zeit (RGSt. 54 205; OGHSt. I 53; 2 209,210). Auch schon beschädigte, in diesem Sinne teilzerstörte und noch unfertige (BGHSt. 6 107) Gegenstände können zerstört oder weiter zerstört werden (OGHSt. 2 209, 210). Teilweise Zerstörung wurde angenommen: bei der teilweisen Wegnahme eines Brückengeländers, so daß nur noch Fußverkehr möglich war (RG Rspr. 7 274, 275); bei dem Herausschlagen von Stallwänden (RG GA 41 [1893] 137); bei Vernichtung des Bodenraumes eines Hauses; bei dem Losreißen und Beseitigen der gemauerten Fundamente eines Kuhstalls (RG, Urt. v. 9. Mai 1924 — 4 D 305/24); bei Lockerung der Schienen einer Eisenbahn durch Entfernen von Bolzen und Laschen (RGSt. 55 169,170); bei Zerstörung von Türen, Fenstern und des Inventars einer Synagoge (OGHSt. 1 53; 1 199). Sie wurde verneint: beim Durchbrechen des Fußbodens einer Gefängniszelle (SächsOAppG GA 24 [1876] 644); beim Durchlöchern des Strohdachs eines Wohnhauses (RG Recht 1907 Nr. 970); beim gewaltsamen Aufbrechen eines Türschlosses (RGSt. 54 205, 206). III. Handlungsgegenstand und daher besonders geschützt sind alle Bauwerke, die 3 im Eigentum oder Miteigentum eines anderes stehen. Ein Bauwerk, das § 305 als Ober- und Auffangbegriff nennt (RGSt. 15 263, 264), ist jedes selbständige Werk von einiger Bedeutung, das durch menschliche Arbeit geschaffen ist, auf dem Grund und Boden ruht, ohne notwendig fest mit ihm verbunden zu sein, und für gewisse Dauer bestimmt ist. Kunstgerechte Errichtung, wie in RGSt. 30 246, 248 anklingt, ist nicht Voraussetzung; auch eine sachwidrig errichtete Anlage ist ein schutzwürdiges Bauwerk (RG H R R 1930 Nr. 462; offengelassen in RGSt. 8 399). — Die Einbeziehung des Schiffs zeigt, daß der Begriff Bauwerk in § 305 nicht auf unbewegliche Gegenstände beschränkt ist, sondern — ausnahmsweise — auch bewegliche Sachen umfaßt. Das ist allerdings streitig. Die Rechtsprechung versteht unter Bauwerk nur unbewegliche Sachen (RGSt. 15 263, 264; 33 391; RG Rspr. 2 140; 6 477). Auf dem gleichen Standpunkt steht ein Teil der Lehre 1 . Größere praktische Bedeutung hat der Meinungsstreit nicht. Auch lehrt der Begriff Gebäude, der kurzlebige Ausstellungsund Zirkusgebäude einschließt (RGSt. 70 360, 361), daß die Bestandsdauer gering bemessen sein kann. So bleibt als begriffswesentlich allein die selbständige, durch menschliche Arbeit errichtete Anlage (RGSt. 15 263, 265; RG Rspr. 6 477) von gewisser Größe und Bedeutung übrig. Die Verbindung mit dem Grund und Boden und die Bestimmung zu gewisser Dauer sind nur Regelerscheinungen, nicht Wesensmerkma1

Dreher/Tröndle R d n . 7; Frank hier: Olshausen A n m . 2; R d n . 4; Wessels BT 2 S. 10.

(81)

A n m . II 7; wie Sch/Schröder/Stree

Hagen Wolff

§305

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

le. — Zu den anderen Bauwerken hat die Rechtsprechung gerechnet: eine Gartenmauer (PrOT GA 24 [1876] 603); eine steinerne Grenz- und Scheidemauer (RG Rspr. 6 477); ein Hoftor (RG Rspr. 2 140); einen künstlichen Fischteich (RGSt. 15 263); eine Stauanlage (RG Recht 1914 Nr. 716); eine Hüterhütte (RG H R R 1930 Nr. 462); einen freistehenden, auf Balkenfundament ruhenden, ausgemauerten und gedeckten Abtritt (RG Rspr. 9 198). Unerheblich ist es, ob das Bauwerk bereits vollendet ist (RGSt. 30 246; BGHSt. 16 107); die Brandmauer eines begonnenen Neubaus genügt (RG LZ 1914 Sp. 1568); ebenso eine Baugrube, die eine Zisternenanlage aufnehmen soll (OLG Naumburg H R R 1939 Nr. 1073); ferner teilweise zerstörte Gebäude (OGHSt. 2 209,210; vgl. oben Rdn. 2). Dagegen rechnet RGSt. 27 420 die Schornsteine einer Brandruine nicht zu den Bauwerken. 4

IV. Gebäude ist im gleichen Sinne wie bei §§ 306, 308 zu verstehen (vgl. § 306 Rdn. 6): ein durch Wände und Dach begrenztes, mit dem Erdboden fest — wenn auch nur durch die eigene Schwere — verbundenes Bauwerk, das den Eintritt von Menschen gestattet (vgl. BGHSt. 1 158, 163). Anders als bei § 243 Nr. 1 (vgl. Ruß LK § 243 Rdn. 7) kommt es auf die Eignung zur Abhaltung Unbefugter nicht an. Deshalb sind Rohbauten einzubeziehen, wie in BGHSt. 6 107 überzeugend dargelegt 2 . Das Reichsgericht erfaßte diese über den Begriff anderes Bauwerk (RGSt. 30 246). Ein Gebäude soll danach Menschen, Tieren oder Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewähren und eine seiner Zweckbestimmung entsprechende Dauerhaftigkeit und Festigkeit besitzen (RGSt. 10 103, 104; RG Rspr. 9 198, 199). Eine dauernde Verbindung mit dem Erdboden ist nicht notwendig. Es genügt, daß das Bauwerk wegen seiner Schwere nicht fortbewegt werden kann, ohne seine Gestalt zu verändern (RG Rspr. 9 198, 199). Demgemäß ist auch ein Holzschuppen, der ohne weitere Verbindung auf einem Fundament von gemauerten Steinen ruht, ein Gebäude (RG, Urt. v. 20. Jan. 1911 - 5 D 834/10).

5

V. Schiff. Aus der Gleichstellung des Schiffs mit unbeweglichen Sachen und aus dem Zweck der Strafbestimmung ist zu folgern, daß eine gemeingefährliche Sachzerstörung nur an größeren Fahrzeugen begangen werden kann 3 .

6

VI. Brücke. Aus den gleichen Gründen ist auch der Begriff Brücke auf Bauten von einiger Erheblichkeit zu beschränken. Bloße Fußgängerstege, deren Größe, Festigkeit und Tragfähigkeit nur gering ist, kommen nicht in Betracht (RGSt. 24 26; vgl. auch RGSt. 20 353; RG Rspr. 5 383; RG Recht 1914 Nr. 1201). Nach RGSt. 33 391 muß der Bau auch bei einer Brücke mindestens durch die eigene Schwere derart an seinen Standort gebunden sein, daß er ohne Beeinträchtigung seiner Gestalt nicht an einen anderen Ort gebracht werden kann. Unerheblich ist es, ob die Anlage im Privateigentum steht und Privatgrundstücke miteinander verbindet (RGSt. 24 26; RG Rspr. 5 383).

7

VII. Damm. Unter den Begriff Damm fallen nicht bloß Staudämme und Deiche zum Schutz gegen Wasser, sondern auch andere Erdaufschüttungen, soweit sie nicht Bestandteile einer gebauten Straße oder einer Eisenbahn sind.

2

Ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 7; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT § 36IV.

3

Dreher/Tröndle Rdn. 3; Frank Anm. II 2; Lackner Rdn. 2; Olshausen Anm. 3 b; Samson SIC Rdn. 2; Sch/Schröder/Stree Rdn. 3.

Stand: 1. 9. 1992

(82)

Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel

§ 305 a

VIII. Eine gebaute Straße ist eine feste Kunststraße im Gegensatz zu Wegen, die 8 im wesentlichen durch bloßen fortgesetzten Verkehr von selbst entstehen (RGSt. 8 399; vgl. auch RGSt. 74 13, 14). Kanäle werden gleichfalls zu den gebauten Straßen gerechnet 4 ; zumindest sind sie andere Bauwerke. IX. Unter Eisenbahn im Sinne des § 305 ist lediglich der Bahnkörper, also der Un- 9 terbau, sowie Schwellen und Schienen als Oberbau zu verstehen, wobei Trennung dieser Bestandteile auch ohne Substanzverletzung der Einzelteile Zerstörung sein kann (RGSt. 55 169). Das rollende Material gehört nicht dazu. Klein- und Privatbahnen sind erfaßt. Bahnen, deren Geleise in den Straßenkörper eingelassen sind — wie Pferdebahnen (vgl. SächsOAppG GA 24 [1876] 644) oder Straßenbahnen —, bilden einen Teil der Straße; in Zweifelsfällen kann auf das umfassende andere Bauwerk zurückgegriffen werden. X. Zum Vorsatz gehört außer den bei § 303 Rdn. 17 erläuterten Merkmalen das 10 Wissen des Täters um die besonderen Eigenschaften der Sache, die ihren verschärften Strafschutz begründen. Andernfalls ist allein der Grundtatbestand des § 303 anwendbar. XI. Für die Rechtswidrigkeit gelten im Vergleich zu § 303 keine Besonderheiten 11 (vgl. dort Rdn. 18 f0XII. Der Versuch ist strafbar (Abs. 2).

12

XIII. Konkurrenzen. Tateinheit ist ζ. B. möglich mit § 124; § 125 a; § 304; mit § 306 13 (RGSt. 57 294, 296); § 308 Abs. 1 2. Altern. (RGSt. 57 294, 296); dagegen tritt § 305 hinter § 308 Abs. 1 1. Altern, zurück (BGH LM StGB § 308 Nr. 1, insoweit in BGHSt. 6 107 nicht mit abgedruckt). Tateinheit ist auch denkbar mit § 311. — § 305 verdrängt § 125 und § 303. — Der Strafaufhebungsgrund des § 310 gilt nicht für die mit Brandstiftung zusammentreffende Sachbeschädigung. XIV. Strafantrag ist nicht erforderlich (RGSt. 43 240, 242).

§ 305 a Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel (1) Wer rechtswidrig 1. ein fremdes technisches Arbeitsmittel von bedeutendem Wert, das für die Errichtung einer Anlage oder eines Unternehmens im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder einer Anlage, die dem Betrieb oder der Entsorgung einer solchen Anlage oder eines solchen Unternehmens dient, von wesentlicher Bedeutung ist, oder

4

Dreher/Tröndle Rdn. 5; Frank Anm. II 5; Kohlrausch/Lange Anm. II 4; Lackner Rdn. 2; Ophausen Anm. 3 e; Samson SK Rdn. 2; Sch/Schröder/ Stree Rdn. 3.

(83)

Hagen W o l f f

14

§ 305 a

26. Abschnitt. Sachbeschädigung

2. ein Kraftfahrzeug der Polizei oder der Bundeswehr ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. Entstehungsgeschichte D i e V o r s c h r i f t ist d u r c h Art. 1 N r . 4 des Gesetzes zur B e k ä m p f u n g des Terrorism u s v o m 19. D e z e m b e r 1986 (BGBl. I S. 2566) in d a s S t r a f g e s e t z b u c h e i n g e f ü g t word e n u n d a m 1. J a n u a r 1987 in K r a f t getreten. In d e m E n t w u r f dieses Gesetzes, e i n e m Initiativentwurf d e r F r a k t i o n e n d e r C D U / C S U u n d F D P , w a r eine solche Bestimm u n g n o c h n i c h t vorgesehen. Statt dessen w a r n e b e n einer E r s t r e c k u n g des K a t a l o g s v o n § 129 a u n t e r a n d e r e m auf § 316 b eine E r w e i t e r u n g des K a t a l o g s v o n § 308 u m P e r s o n e n - o d e r L a s t k r a f t w a g e n u n d B a u m a s c h i n e n vorgeschlagen ( E n t w u r f eines Gesetzes zur B e k ä m p f u n g des T e r r o r i s m u s — B T - D r u c k s . 10/6286). I m Z u g e des weiteren G e s e t z g e b u n g s v e r f a h r e n s , d a s zu einer erheblichen U m g e s t a l t u n g des ges a m t e n E n t w u r f s g e f ü h r t hat, ist der d a n n Gesetz g e w o r d e n e § 305 a g e s c h a f f e n word e n . „ D a m i t (sollten) T a t b e s t ä n d e , d e r e n geringere S c h w e r e eine E i n b e z i e h u n g in d e n § 129 a u n d in d e n § 308 S t G B nicht rechtfertigen, a u s g e s o n d e r t w e r d e n " (Bericht des R e c h t s a u s s c h u s s e s — B T - D r u c k s . 10/6635 S. 9). 1

1. A u s g a n g s p u n k t f ü r die gesetzliche R e g e l u n g w a r d a s g e s e h e n e B e d ü r f n i s , S a b o t a g e a k t e n gegen die E r r i c h t u n g v o n A n l a g e n im E n e r g i e v e r s o r g u n g s b e r e i c h u n d f ü r ö f f e n t l i c h e V e r k e h r s u n t e r n e h m e n e n t g e g e n z u w i r k e n . D a b e i sollten zugleich wertvolle B a u f a h r z e u g e u n d E i n s a t z f a h r z e u g e der Polizei sowie F a h r z e u g e der B u n d e s w e h r u n d d e r in der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d stationierten a u s l ä n d i s c h e n Streitkräfte geschützt w e r d e n . D e r Schutz d u r c h i n s b e s o n d e r e die §§ 303 ff w u r d e insoweit als nicht a u s r e i c h e n d a n g e s e h e n (Bericht des R e c h t s a u s s c h u s s e s — B T - D r u c k s . 10/6635 S. 13). D i e N o t w e n d i g k e i t einer e n t s p r e c h e n d e n E r g ä n z u n g d e r v o r h a n d e n e n Strafv o r s c h r i f t e n w a r bereits im G e s e t z g e b u n g s v e r f a h r e n l e b h a f t u m s t r i t t e n (kritisch a u c h Lackner R d n . 1 sowie Kühl N e u e Gesetze gegen terroristische S t r a f t a t e n , N J W 1987 737, 746 u n d teilweise Maurach/Schroeder/Maiwald B T § 57 IV 1). § 305 a ist als Qualifikationstatbestand zu § 303 ausgestaltet u n d d a m i t § 305 vergleichbar (Bericht des Rechtsausschusses B T - D r u c k s . 1 0 / 6 6 3 5 S. 14). J e d o c h fehlt bei § 305 a Abs. I N r . 2 d a s E r f o r d e r n i s , d a ß es sich u m ein f r e m d e s F a h r z e u g h a n d e l n m u ß . Insoweit besteht also eher Parallelität zu § 304 (s. a u c h Maurach/Schroeder/ Maiwald B T § 57 I), der allerdings Polizeifahrzeuge z u m Beispiel nicht e r f a ß t , weil sie nicht u n m i t t e l b a r d e m ö f f e n t l i c h e n N u t z e n d i e n e n (vgl. § 304 R d n . 13). D a b e i fällt a u f , d a ß § 304 einen geringeren S t r a f r a h m e n e n t h ä l t als § 305 a. O b dieser U n t e r schied sachlich gerechtfertigt ist, erscheint z w e i f e l h a f t (vgl. a u c h Bohnert S t r a f m a ß d i s k r e p a n z e n bei d e n S a c h b e s c h ä d i g u n g s d e l i k t e n , J R 1988 446). § 305 a Abs. 1 N r . 1 regelt d e r S a c h e n a c h Delikte im V o r f e l d d e s § 316 b (s. a u c h Lackner R d n . 1) u n d wäre systematisch vielleicht besser d o r t angesiedelt w o r d e n . O b die gesetzgeberischen M o t i v e f ü r die S c h a f f u n g des § 305 a a u s r e i c h e n , § 305 a Abs. 1 N r . 2 mit d e m gleichen S t r a f r a h m e n zu b e w e h r e n wie d a s wohl meist s c h w e r w i e g e n d e r e Delikt des § 316 b, erscheint e b e n f a l l s zweifelhaft.

2

II. Tatbestandsmäßige Handlung ist d a s g a n z o d e r teilweise e r f o l g e n d e Zerstören d e r in Absatz 1 N r . 1 u n d 2 a u f g e f ü h r t e n T a t g e g e n s t ä n d e . I n s o w e i t gleicht d a s Delikt § 305. D e m e n t s p r e c h e n d k a n n f ü r die Begriffe Z e r s t ö r u n g u n d teilweises Z e r s t ö r e n Stand: 1. 9. 1992

(84)

Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel

§ 305 a

auf die Ausführungen zu § 305 (Rdn. 2) und § 303 (Rdn. 16) verwiesen werden. Entscheidend ist, ob die durch § 305 a geschützten Gegenstände für ihre Zweckbestimmung ganz oder teilweise unbrauchbar geworden sind.

III. Handlungsgegenstand sind nach Absatz 1 Nr. 1 unter bestimmten ergänzenden 3 Voraussetzungen fremde technische Arbeitsmittel. Der Begriff technisches Arbeitsmittel ist sonst im StGB nicht verwendet, auch 4 nicht in ähnlicher Form. Er ist in Anlehnung an § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gerätesicherheitsgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 717) gewählt und erfaßt insbesondere Arbeits- und Kraftmaschinen, Hebe- und Fördereinrichtungen und Beförderungsmittel; dabei sind Beförderungsmittel wie in § 315 der Beförderung von Menschen oder Sachen dienende bewegliche Einrichtungen, also vor allem Fahrzeuge einschließlich der Zugmaschinen (so Bericht des Rechtsausschusses — BT-Drucks. 10/6635 S. 14). Das Gerätesicherheitsgesetz zählt in § 2 Abs. 1 als weitere Beispiele Werkzeuge und Arbeitsgeräte auf und spricht von verwendungsfertigen Arbeitseinrichtungen als erläuterndem Oberbegriff (vgl. ergänzend Erbs/Kohlhaas/Ambs § 2 Gerätesicherheitsgesetz Anm. 1). Die technischen Arbeitsmittel müssen fremd sein, um den Schutz des § 305 a zu ge- 5 nießen. Dieses Merkmal hat die gleiche Bedeutung wie in § 303 (vgl. dort Rdn. 4). Es muß also Eigentum oder Miteigentum eines Dritten daran bestehen. Weiter muß es sich um ein Arbeitsmittel von bedeutendem Wert handeln. In den 6 Gesetzgebungsmaterialien ist dafür beispielhaft auf § 315 verwiesen (Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 10/6635 S. 14). Ausschlaggebend ist dementsprechend der Verkehrswert, nicht der Funktionswert des technischen Arbeitsmittels (Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Stree Rdn. 6; vgl. ergänzend Rüth LK 10. Aufl. § 315 Rdn. 39). Der Funktionswert wird vielmehr in dem zusätzlichen Merkmal angesprochen, daß das Arbeitsmittel für bestimmte Anlagen oder Unternehmen von wesentlicher Bedeutung sein muß. Die Grenze, ab wann ein wirtschaftlich bedeutender Wert zu bejahen ist, wird dabei in Parallele zum Beispiel zu § 315 zu bestimmen, also bei etwa 1200 DM anzusetzen sein (Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/ Schröder/Stree Rdn. 6 in Verb. m. Vorbem. zu §§ 306 ff Rdn. 15; für eine wesentlich höhere Wertgrenze Samson SK Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 IV 2 c in Verb. m. § 50 II 2). Der eingetretene oder drohende Schaden ist im Rahmen des Tatbestandes des § 305 a ebensowenig von Bedeutung wie entstehende Reparaturkosten. Als weiteres einschränkendes Merkmal ist zu verstehen, daß das Arbeitsmittel für 7 die Errichtung besonders schützenswerter Objekte von wesentlicher Bedeutung sein muß. Es sollen damit Sabotageakte untergeordneter Bedeutung ausgeschieden werden. Das spiegelt sich auch in der Überschrift zu § 305 a wider, nach der es um die Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel geht. Ein gleichlautendes Erfordernis erhält das Delikt der Computersabotage nach § 303 b Abs. 1. Ein Arbeitsmittel wird dann für die Errichtung einer Anlage oder eines Unternehmens im Sinne des § 305 a von wesentlicher Bedeutung sein, wenn der Errichtungsvorgang durch gänzliche oder teilweise Funktionsuntüchtigkeit des Arbeitsmittels ernstlich beeinträchtigt wird; sei es, daß sich der Errichtungsvorgang infolge des Ausfalls des Arbeitsmittels nennenswert verzögert, sei es, daß zum Ersatz oder Ausgleich des unbrauchbar gewordenen Arbeitsmittels erheblicher Mehraufwand vorzunehmen ist. Im Vordergrund werden dabei nicht ohne weiteres zu ersetzende Baumaschinen stehen. (85)

Hagen Wolff

§ 305 a

26. Abschnitt. S a c h b e s c h ä d i g u n g

8

Das Arbeitsmittel muß der Errichtung bestimmter Anlagen oder Unternehmen dienen. Geht es um den Betrieb einer bereits fertiggestellten Anlage oder eines schon errichteten Unternehmens, kommt nicht § 305 a, sondern § 316 b zur Anwendung. Der Anwendungsbereich beider Vorschriften kann sich überschneiden, wenn für sich gesehen funktionstüchtige Anlagen- oder Unternehmensteile bereits in Betrieb, weitere Teile, zum Beispiel Erweiterungen, aber noch im Bau sind. 9 Die in § 305 a angesprochenen Anlagen und Unternehmen sind zunächst die in § 316b Abs. 1 Nr. 1 und 2 aufgezählten: also Eisenbahnen, Post oder dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen oder Anlagen, sowie der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienende Anlagen oder für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtige Unternehmen. Insoweit kann auf die Erläuterungen zu § 316b Bezug genommen werden. Es treten hinzu: Anlagen, die dem Betrieb oder der Entsorgung von Anlagen oder Unternehmen im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 1 und 2 dienen. Damit sind beispielsweise gemeint Entsorgungseinrichtungen für gemeinschaftswichtige Betriebe oder Anlagen zur Sicherstellung des Energiebedarfs von Versorgungsbetrieben, selbst wenn sie nur mittelbar öffentlichen Zwekken dienen (Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 10/6635 S. 14). 10 Der Tatbestand erlaubt durch seine Häufung wenig präziser, zum Teil auch wertender Merkmale eine weite Auslegung. Demgegenüber sollte das Anliegen des Gesetzgebers, Sabotageakte von geringem Gewicht nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen, nicht in Vergessenheit geraten. 11

IV. Tatobjekt im Sinne von Absatz 1 Nr. 2 sind Kraftfahrzeuge der Polizei oder der Bundeswehr. 12 Für den Begriff Kraftfahrzeuge ist an § 284 b anzuknüpfen 1 , so daß alle Fahrzeuge erfaßt werden, die durch Maschinenkraft bewegt werden, also auch Hubschrauber und Flugzeuge und motorgetriebene Wasserfahrzeuge; ausgenommen sind lediglich an Bahngleise gebundene maschinengetriebene Fahrzeuge (vgl. ergänzend Ruß LK § 248 b Rdn. 2). Beispiele sind danach sämtliche Arten von motorisierten Einsatzfahrzeugen der Polizei, also Streifenwagen, Transportfahrzeuge, Motorräder, Wasserwerfer, Polizeihubschrauber, Boote der Wasserschutzpolizei. Dabei muß die dienstliche Verwendung nicht bereits äußerlich kenntlich sein. Ebenso sind in den Schutzbereich einbezogen alle schienenunabhängigen, motorgetriebenen Landfahrzeuge der Bundeswehr wie Lastkraftwagen, Panzer, motorgetriebenes Räumgerät; Flugzeuge und Hubschrauber; Schiffe und Boote mit Maschinenantrieb. 13 Wem an diesen Kraftfahrzeugen das Eigentum zusteht, ist unerheblich. Entscheidend ist allein, daß sie für dienstliche Zwecke von Polizei und Bundeswehr verwendet werden (Dreher/Tröndle Rdn. 6; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/Stree Rdn. 9). Täter kann jeder sein, dem über die ein Zerstören einschließende Verwendung des Kraftfahrzeugs für die dienstlichen Aufgaben von Polizei und Bundeswehr keine Entscheidungsbefugnis zukommt, mag er auch selbst Angehöriger von Polizei oder Bundeswehr sein (Dreher/Tröndle Rdn. 8; Sch/Schröder/Stree Rdn. 9). 14 Zur Polizei gehören nicht nur Schutzpolizei, Bereitschaftspolizei und Kriminalpolizei, sondern auch der Bundesgrenzschutz, wenn er für Polizeiaufgaben eingesetzt wird. Dagegen genießen Fahrzeuge der Feuerwehr keinen Schutz nach § 305 a. Der 1

Dreher/Tröndle Rdn. 6; Sch/Schröder/Stree Rdn. 9; Wessels BT 2 S. 11; aA Lackner Rdn. 3; Dencker Das „Gesetz zur Bekämpfung des TerroStand: 1. 9. 1992

(86)

Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel

§ 305 a

Schutzbereich der Vorschrift in bezug auf die Bundeswehr erfaßt auch die aufgrund des NATO-Truppenstatuts in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte und die im Land Berlin anwesenden Truppen der Drei Mächte, Art. 7 Abs. 2 Nr. 9 a 4. StRÄndG i. d. F. d. ÄndG v. 19. 12. 1986 - BGBl. I S. 2566 - . Die einschränkend gedachten Merkmale für Arbeitsmittel im Sinne des Absatz 1 15 Nr. 1 haben für Absatz 1 Nr. 2 keine Bedeutung. V. Der subjektive Tatbestand verlangt Vorsatz. Zum Vorsatz gehört zunächst ne- 16 ben dem Wissen, daß die Einwirkung auf den Tatgegenstand diesen ganz oder teilweise zerstört, das Wollen, das Arbeitsmittel oder das Kraftfahrzeug ganz oder teilweise zu zerstören. Zusätzlich muß sich der Vorsatz auf die weiteren zuvor erörterten Merkmale des objektiven Tatbestandes erstrecken; also bei einem technischen Arbeitsmittel darauf, daß es fremd, von bedeutendem Wert und für die Errichtung einer Anlage pp. von wesentlicher Bedeutung ist, bei einem Kraftfahrzeug, daß es zu Erfüllung von Aufgaben der Polizei oder der Bundeswehr dient. Weiß der Täter nicht um die besonderen Eigenschaften des Gegenstandes, die den verschärften Strafschutz begründen, scheidet § 305 a aus. Bedingter Vorsatz genügt in allen Belangen. VI. Die Rechtswidrigkeit ist wie bei § 303 oder § 305 allgemeines Verbrechens- 17 merkmal. Neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen wie Notwehr, Notstand und Einwilligung ist an solche zu denken, die sich aus dem öffentlichen Recht ergeben. VII. Der Versuch ist nach § 305 a Abs. 2 strafbar.

18

VIII. Konkurrenzen. Tateinheit ist zum Beispiel möglich mit §§ 88; 113; 124; 125; 19 304; 305; 306; 308; 311; 316b (Dreher/Tröndle Rdn. 9; Lackner Rdn. 6; aA Sch/ Schröder/Stree Rdn. 15 — Gesetzeskonkurrenz —). § 303 tritt demgegenüber zurück. — Werden durch eine Handlung mehrere Arbeitsmittel oder mehrere Kraftfahrzeuge oder Arbeitsmittel und Kraftfahrzeuge im Sinne des § 305 a zerstört, liegt nur eine Tat vor. IX. Die Strafverfolgung nach § 305 a setzt keinen Antrag voraus.

(87)

Hagen Wolff

20

SIEBENUNDZWANZIGSTER ABSCHNITT Gemeingefährliche Straftaten

§306 Schwere Brandstiftung M i t Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer in Brand setzt 1. ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen, oder 3. eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhalten pflegen. Schrifttum Bohnert Die Abstraktheit der abstrakten Gefährdungsdelikte — BGH, NJW 1982,2329, JuS 1984 182; Brehm Die ungefährliche Brandstiftung — BGH, NJW 1975, 1369, JuS 1976 22; Bruch Vorsätzliche Brandstiftungen (1983); Geerds Die Brandstiftungsdelikte im Wandel der Zeiten und ihre Regelung im ausländischen Strafrecht, Sammelwerk des BKA 1963 15; Geppert Die schwere Brandstiftung, Jura 1989 417; Geppert Die restlichen Brandstiftungsdelikte, Jura 1989 473; Jäger Fahrlässigkeitsbrände. Eine strafrechtliche Studie zu § 309 StGB unter Berücksichtigung von Kriminologie und Kriminalistik, Diss. Frankfurt a. M. 1989; Klussmann über das Verhältnis von fahrlässiger Brandstiftung (§ 309 StGB) und nachfolgender vorsätzlicher Brandstiftung (§ 308) durch Unterlassen, MDR 1974 187; Kratzsch Zum Erfolgsunrecht der schweren Brandstiftung, JR 1987 360; Küpper Fahrlässige Brandstiftung mit tödlichem Ausgang — BGH, NJW 1989, 2479, JuS 1990 184; Niggemeyer Die vorsätzliche Brandstiftung unter besonderer Berücksichtigung der Strafrechtsreform, Kriminalistik 1960 377; Osenbrueggen Die Brandstiftung in den Strafgesetzbüchern Deutschlands und der deutschen Schweiz (1854); Otto Rücktritt und tätige Reue (Rücktritt nach § 310 StGB) bei der Brandstiftung, Jura 1986 52; Schneider Das Instandsetzen gemischt genutzter Gebäude, Jura 1988 460; Siebs Der strafrechtliche Schutz von Heide und Moor gegen Feuerbrunst und Feuergefahr nach preußischem und Reichsrecht, GA 66 [1919] 290; Spöhr Zum Begriff der Räumlichkeit in § 306 Ziff. 3 StGB, M D R 1975 193; v. Storch Die vorsätzliche Brandstiftung, Eine kriminologisch-strafr. Untersuchung, Diss. Kiel 1965; G. Timcke Der Straftatbestand der Brandstiftung in seiner Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, Diss. Göttingen 1965; Tzermias Die Brandstiftung, Schweiz. Zs. f. Strafrecht 1961 254; Ullmann Die Lehre von der Anzündung der eigenen Sache des Täters, GS 30 589; v. Ullmann Die Brandstiftung, VDB IX S. 31; Wanjeck Ein Beitrag zur Lehre von der Brandstiftung und Überschwemmung nach heutigem Deutschen Strafrecht, GS 31 1; v. Weber Darf der Kaufmann Streichhölzer an Kinder verkaufen? ZAkDR 1942 263. - Niederschriften V 45, 229, 291 f; VIII 418, 421, 432 ff, 449 ff, 453 ff, 641 ff; IX 235ff, 413 f, 534, 551, 559; XII 618 f. Entstehungsgeschichte D i e V o r s c h r i f t ist, sieht m a n v o n d e r U m w a n d l u n g d e r u r s p r ü n g l i c h a n g e d r o h t e n Z u c h t h a u s s t r a f e in F r e i h e i t s s t r a f e n i c h t u n t e r e i n e m J a h r als S t r a f b e w e h r u n g a b (Art. 4, 5 1. S t r R G v o m 25. J u n i 1969 - B G B l . I S. 645 - ; d u r c h A r t . 19 N r . 164 Stand: 1. 9. 1992

(88)

Schwere Brandstiftung

§306

EGStGB 1974 unwesentliche Änderungen der Fassung), seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sachlich nicht geändert worden (vgl. RGBl. 1871 S. 127, 186). I. Das Gesetz unterscheidet zum einen zwischen Brandstiftung (§ 308) und schwe- 1 rer oder besonders schwerer Brandstiftung (§§ 306, 307), zum anderen zwischen vorsätzlicher (§§ 306 bis 308) und fahrlässiger Brandstiftung (§ 309). Dazu tritt das Herbeiführen einer Brandgefahr (§ 310 a). § 308 stellt das vorsätzliche Inbrandsetzen bestimmter, vom Gesetz abschließend aufgezählter Sachen bei alternativen zusätzlichen Voraussetzungen unter Strafe. Mit § 306 sind aus dem Kreis dieser Objekte bestimmte Räumlichkeiten herausgenommen und in einem besonderen Tatbestand zusammengefaßt, in denen sich Menschen aufzuhalten pflegen. § 307 zählt qualifizierte Fälle des § 306 auf. § 309 erfaßt die fahrlässig verursachten Brände der in § 306 und § 308 bezeichneten Art und regelt einen qualifizierten Fall der fahrlässigen Brandstiftung. II. Tathandlung ist für die §§ 306 bis 308 einheitlich das Inbrandsetzen des Tatob- 2 jekts. Vollendet ist die Brandstiftung also erst mit dem Brennen; aber auch mit diesem (RGSt. 63 105, 107). Dazu genügt nicht ein Ansengen, Ankohlen (RGSt. 7 131, 132 f; 64 273; BGH NStZ 1982 201; BGH, Beschl. v. 11. Febr. 1982 - 4 StR 18/82; SächsOAppG GA 24 [1876] 644) oder Anglimmen (RGSt. 25 326, 329 0 ; ebensowenig genügen durch die Hitze von angezündeten Kartons, die neben einem Gebäude liegen, entstandene Gebäudeschäden oder solche Gebäudeschäden, die bei der Brandlöschung entstehen (BGH, Beschl. v. 12. Jan. 1977 — 2 StR 638/76). Andererseits ist Einäscherung nicht erforderlich. Nach in Rechtsprechung und Lehre übereinstimmend vertretener Definition ist ein Gegenstand in Brand gesetzt, wenn ein für seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch wesentlicher Bestandteil in solcher Weise vom Feuer ergriffen ist, daß er auch nach Entfernen oder Erlöschen des Zündstoffs selbständig weiterbrennen kann 1 . Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, bei einer Verurteilung aus § 306 nicht nur festzustellen, wo es gebrannt hat, sondern auch was gebrannt hat 2 . Das Anzünden des Zündstoffs ist noch kein Brennen des Tatobjekts. Ein Brennen mit heller Flamme ist nicht notwendig; auch Glimm- und Schwelbrände sind möglich (RGSt. 18 362, 363; 25 326, 329 f; RG Rspr. 10 383). - An einem bereits brennenden Gebäude kann eine weitere Brandstiftung begangen werden 3 ; und zwar auch in der Form, daß ein schon entstandener Brand verstärkt wird (insoweit a. M. 1

RGSt. 7 131, 132; 18 355, 357; 18 362; 25 326; 329; 64 273; 71 193, 194; RG GA 39 (1891) 442; RG JW 1931 3281; RG JW 1937 168; OGHSt. 1 293, 298; BGHSt. 7 37, 38; 16 109, 110; 18 363, 364f; 34 115, 117; 36 221, 222; BGH NStZ 1981 220; BGH NStZ 1982 201; BGH NStZ 1984 74; BGH StV 1984 245; BGH NStZ 1986 506; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 1 u. 3; BGH StV 1991 50; BGH NStE § 306 Nr. 6; BGH NStZ 1991 433; Dreher/Tröndle Rdn. 6; Horn SK Rdn. 10; Lackner Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9; Arzt/Weber II Rdn. 157; Blei II § 86 III 1 b; Krey BT I Rdn. 748; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 I 4; Otto BT S. 368; Schmidthäuser BT 15/7; Wessels BT 1 S. 204; Geppert Jura 1989 417, 422; Horn/Hoyer JZ 1987 965, 976; Schmitt JZ 1964 189.

(89)

2

3

BGH NStZ 1984 74; BGH StV 1984 245; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 1 u. 4; BGH NStZ 1991 433; BGH, Beschl. v. 1. Okt. 1981 - 4 StR 423/81; BGH, Beschl. v. 7. Nov. 1986 - 2 StR 515/86; BGH, Beschl. v. 4. April 1989 - 1 StR 131/89; vgl. auch Meyer-Goßner NStZ 1986 103, 106 f. OG Η JR 1950 404; Dreher/Tröndle Rdn. 6; Lackner Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13; Krey BT I Rdn. 767; Otto BT S. 368; Schmidhäuser BT 15/7; Rudolphi Die zeitlichen Grenzen der sukzessiven Beihilfe, Jescheck — Festschrift I S. 559, 563 ff; grundsätzlich auch Maurach/Schroeder/ Maiwald BT § 51 1 4 ; offengelassen in BayOblGSt. 1959 175; aA OLG Hamm JZ 1961 94, das lediglich Beihilfe annimmt.

Hagen W o l f f

§306

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 I 4; wohl auch Geppert Jura 1989 417, 422 0— Ein Gebäude ist in Brand gesetzt, wenn bereits ein wesentlicher Teil desselben brennt; das sind ζ. B. Wände und Decken eines Raumes (RG Rspr. 4 72), nicht oder nicht notwendig aber die Tapete und die Putzschicht auf einer Zimmerwand (BGH NStZ 1981 220; auch BGH NStZ 1982 201 u. BGH, Beschl. v. 11. Febr. 1982 - 4 StR 18/82) oder eine Deckenverkleidung (BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 4; BGH NStZ 1991 433); wesentlicher Gebäudeteil sind weiter Dielen und Türpfosten eines Raumes (RG GA 39 [1891] 442, 443); Holzfußboden, Türen mit Rahmen und Fensterrahmen (BGH NStZ 1985 408); Fußböden (BGH NStZ 1986 506); Parkettfußboden und Fensterrahmen in einem Raum (OLG Hamburg NJW1953 117); möglicherweise Teppichboden (BGH wistra 1988 304); eine hölzerne Türverkleidung (BGHSt. 20 246, 247; vgl. aber auch BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 5); der Türstock einer Lokaleingangstüre (BGH NStZ 1985 455); die Flurtreppe (BGH, Beschl. v. 9. Mai 1978 — 5 StR 31/78); Holzbalken einer Fachwerkwand (RGSt. 18 362); das Strohdach einer Hütte (RGSt. 18 355); der fest eingebaute, von verputztem Mauerwerk umgebene Beichtstuhl in einer Kirche (BGH, Urt. v. 23. Juli 1985 — 5 StR 125/85); nicht dagegen die Holzlattentür eines Kellerraumes, wenn sich das Feuer nicht auf weitere Gebäudeteile ausbreiten kann (BGHSt. 18 363; BGH NStE § 306 Nr. 10). Kein Teil des Gebäudes sind Einrichtungsgegenstände (BGH NStZ 1984 74; vgl. auch OLG Braunschweig NdsRpfl. 1963 138; OLG Hamburg NJW 1953 117); z.B. Schränke (BGH, Beschl. v. 27. März 1981 — 2 StR 94/81) oder eine Theke (BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 3). Etwas anderes kann gelten, falls es sich um fest eingebaute Einrichtungsgegenstände handelt; inwieweit solche als Gebäudeteile anzusehen sind, entscheidet sich nach der Verkehrsauffassung (BGHSt. 16 19). — Gleiche Grundsätze gelten beim Schiff (RG Recht 1924 Nr. 719). Das Inbrandsetzen kann durch Unterlassen geschehen. Eine Garantenpflicht trifft ζ. B. den Versicherungsnehmer einer gegen Feuer versicherten Sache 4 ; den Leiter einer freiwilligen Feuerwehr (OGHSt. 1 316); den Schornsteinfegermeister bei Brandgefahr durch fehlerhaften Schornsteinbau in einem Haus, das zu seinem Kehrbezirk gehört (RG DR 1943 76; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1956 207); sie trifft auch denjenigen, der fahrlässig einen Brand verursacht hat (BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 2; vgl. auch Klussmann M D R 1974 187; ablehnend Geppert Jura 1989 417,423). Zu möglichen Garantenpflichten eines Betriebsleiters und eines wiederholt zu Reparaturarbeiten in einem Betrieb herangezogenen Elektromeisters, wenn es durch Mängel in der elektrischen Anlage im Betrieb zu einem Brand kommt, vergleiche RG H R R 1940 Nr. 585. III. Tatgegenstand sind bei § 306 die unter Nummer 1 bis 3 der Bestimmung näher bezeichneten Räumlichkeiten. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß sie ihrer Zweckbestimmung oder dem tatsächlichen Gebrauch nach zum Aufenthalt von Menschen dienen. Daß sich bei Brandausbruch Menschen in den Räumlichkeiten aufhalten, wird vom Gesetz nicht verlangt. Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, bei dem bereits die typische Gefahr, daß ζ. B. bei einem Brand eines zur Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes Bewohner desselben oder das Gebäude sonst aufsuchende Personen zu Schaden kommen können, eine über den StrafrahRGSt. 64 273, 276 ff; RG HRR 1934 Nr. 1172; BGH bei Dallinger MDR 1951 144; Dreher/ Tröndle Rdn. 6; Lackner Rdn. 6; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 51 I 4; ablehnend Horn SK Rdn. 15; Sch/Schröder/Stree § 13 Rdn. 43;

Geppert Jura 1989417,423; Rudolphi Die Gleichstellungsproblematik der unechten Unterlassungsdelikte und der Gedanke der Ingerenz (1966), S. 95, JR 1987 337 und NStZ 1991 361, 364; Bedenken auch bei Arzt/Weber\\ Rdn. 158.

Stand: 1. 9. 1992

(90)

Schwere Brandstiftung

§

306

men von § 308 hinausgehende Strafsanktion auslösen soll (den Schutzzweck der Vorschrift bestimmen ζ. B. teilweise anders Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 II 1). Dabei ist die durch seitherige Änderungen der Bautechnik nicht in Frage gestellte Erfahrung eingeflossen, daß sich einerseits einmal entstandene Brände praktisch kaum beherrschen und auf Gebäudeteile beschränken lassen, bei denen Menschen nicht in Gefahr geraten können, zum anderen, daß in zur Wohnung von Menschen dienenden Gebäuden auch dann Personen anwesend sein können, wenn damit nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht zu rechnen ist. Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, daß eine Anwendung von § 306 zu entfallen habe, wenn im Einzelfall feststeht, daß Menschenleben nicht gefährdet werden konnten und der Täter sich davon überzeugt hatte 5 . Diese dogmatisch unterschiedlich begründete Einschränkung in Richtung einer konkreten Gefährdung (vgl. auch Geppert Jura 1989 417,424 f; Kratzsch JR 1987 360, 362 f) wird aus dem Schuldprinzip hergeleitet; diesem widerstreite es, wenn ein Verhalten bestraft werde, dem die von dem Gesetz zugrundegelegte typische Gefahr fehle (vgl. Arthur Kaufmann Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, JZ 1963 425, 432). Die Rechtsprechung ist dem bisher letztlich nicht gefolgt (vgl. zunächst RGSt. 9 384, 386; OGHSt. 1 244, 245). Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung BGHSt. 26 121 eine abschließende Stellungnahme vermieden und für den von ihm beurteilten Fall darauf abgestellt, daß der Angeklagte bei dem in Brand gesteckten dreistöckigen Hotel die Gewißheit, es halte sich niemand darin auf, nicht erlangen konnte; ebenso BGHSt. 34 115 für ein fünfstöckiges Gebäude; BGH NStZ 1982 420 m. Anm. Hilger für ein zweistöckiges, unübersichtliches Gebäude; BGH NStZ 1985 408 für ein Zweifamilienhaus; BGH, Urt. v. 11. Okt. 1979 — 4 StR 470/79 für ein landwirtschaftliches Anwesen mit Nebengebäuden (vgl. auch BGHSt. 33 133, 135 f und ergänzend Rdn. 9). Von dem sich im Rahmen zulässiger Generalisierung haltenden gesetzgeberischen Willen her, die Strafbarkeit der schweren Brandstiftung gerade nicht davon abhängig zu machen, ob im Einzelfall tatsächlich Gefahr für Menschenleben bestand (vgl. die in BGHSt. 26 121, 123 f wiedergegebenen Gesetzesmaterialien), ist die erwähnte Einschränkung abzulehnen 6 . Man wird nur im Rahmen der Strafzumessung helfen können (BGH NStZ 1982 420; BGH NStZ 1985 408, 409). - Die Eigentumslage bezüglich der in Brand gesetzten Gegenstände ist bei § 306 ohne Bedeutung; auch der Eigentümer kann also Täter sein (RGSt. 23 102, 103; 60 136; RG LZ 1925 Sp. 874). 1. Zu den durch § 306 geschützten Aufenthaltsräumen gehören zu gottesdienstli- 4 chen Versammlungen bestimmte Gebäude. Dieser Begriff entsprach bereits — bewußt — nicht der Formulierung in § 243 Nr. 1 a. F., wo von zum Gottesdienst bestimmten Horn SK. Rdn. 14; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2 und Vorbem. §§ 306 ff Rdn. 3 f; Schmidhäuser BT 15/11; Wessels BT 1 S. 202 f; Backmann Geiselnahme bei nicht ernst gemeinter Drohung — BGHSt 26, 309, JuS 1977 444, 447 f; Brehm JuS 1976 22, 24 f; Rudolphi Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, Maurach-Festschrift S. 51, 59 f; Schröder Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1969) 7, 15 f; Sommer Das tatbestandlose Tatverhalten des Agent Provocateur, JR 1986 485, 490; wohl auch Haft BT S. 264; Bedenken ebenfalls bei Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 50 V 2; vgl. auch Hoyer Zum Begriff der „abstrakten Gefahr", JA 1990 183, 187; Schmitt JZ (91)

1964 189, 190; Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 435,797 f. Mindestens im Ergebnis ebenso: Dreher/Tröndle Rdn. 1; Lackner Rdn. 1; Blei II § 86 III 1 a b b ; Krey BT I Rdn. 759 ff; Bohnert JuS 1984 182; Schneider Jura 1988 460, 468 f; grundsätzlich auch Arzt/Weber II Rdn. 160 ff; Otto BT S. 363 f; Kratzsch Die Bemühungen um Präzisierung der Ansatzformel (§ 22 StGB) — ein absolut untauglicher Versuch? JA 1983 420, 428 u. Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht (1985) S. 110 ff; vgl. außerdem Kratsch Aufgaben- und Risikoverteilung als Kriterien der Zurechnung im Strafrecht, Oehler-Festschrift S. 65,67.

Hagen W o l f f

§306

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Gebäuden die Rede war. Beides braucht sich nicht zu decken (vgl. das Beispiel bei Olshausen Anm. 4). Mit der Neufassung des § 243 durch das 1. StrRG (jetzt Absatz 1 Nr. 4 dieser Vorschrift; vgl. dazu Ruß LK § 243 Rdn. 22 ff) ist der Vergleich mit dieser Bestimmung nur noch mit Einschränkungen möglich. § 306 Nr. 1 beschränkt sich auf Gebäude zu gottesdienstlichen Versammlungen. Eine Versammlung setzt eine größere Anzahl von Personen voraus, so daß nicht jedes dem Gottesdienst dienende Gebäude, das von daran teilnehmenden Personen betreten werden kann — und sei es noch so klein —, geschützt wird. Da es auf die Zweckbestimmung für den Gottesdienst ankommt — welcher Religionsgesellschaft ist gleichgültig —, fallen außerdem Andachtsräume oder ζ. B. ein in einem christlichen Hospiz für gemeinsames Beten eingerichtetes Zimmer aus dem Anwendungsbereich des Paragraphen heraus. Nicht verlangt wird, daß das Gebäude ausschließlich zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmt ist. In einem derartigen Falle muß, soll die Brandstiftung vollendet sein, ein wesentlicher Gebäudeteil, nicht notwendig der zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmte Gebäudeteil, in Brand gesetzt sein. Das ist ζ. B. der Fall, wenn die hölzerne Tür eines in einer Kirche fest eingebauten Beichtstuhls Feuer gefangen hat (BGH, Urt. v. 23. Juli 1985 - 5 StR 125/85). - Daß der Brand zu einer Zeit ausbricht, zu der üblicherweise gottesdienstliche Versammlungen stattfinden, ist nicht notwendig. 5

2. § 306 Nr. 2 spricht von Gebäuden, Schiffen oder Hütten, welche zur Wohnung von Menschen dienen.

6

a) Der Begriff Gebäude ist entgegen dem Reichsgericht (ζ. B. RGSt. 32 128; 49 51, 52) und einem Teil des Schrifttums (ζ. B. Kohlrausch/Lange Anm. IV 2) nicht derselbe wie in § 243 Nr. 1 (vgl. zu letzterem Ruß LK § 243 Rdn. 7 ff). Dieser Vorschrift ist wesentlich, daß das Bauwerk nicht allein dazu bestimmt und geeignet ist, zum Schutze von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen, sondern daß es auch den freien Zutritt Unbefugter verhindern kann (RGSt. 55 153; BGHSt. 1 158, 163; vgl. auch BGHSt. 3 300). Das folgt aus dem Willen des Gesetzes, Gegenständen, die der Eigentümer gegen diebischen Zugriff besonders gesichert hat, einen erhöhten Strafschutz zu gewähren. Die §§ 306 ff bezwecken nicht, die im Innern eines Gebäudes untergebrachten Sachen strafrechtlich besonders zu schützen. Es ist daher hier, anders als bei § 243 Nr. 1, nicht sachgerecht, den Begriff Gebäude mit von dem Gesichtspunkt her zu bestimmen, daß das Bauwerk geeignet sein muß, Unbefugte fernzuhalten. Maßgebend ist vielmehr der allgemeine Sprachgebrauch, der die erwähnte, bei § 243 sinnvolle Einschränkung nicht macht. Nach diesem ist schon ein mit Wänden und Dach versehener Rohbau ein Gebäude, auch wenn Türen und Fenster noch nicht eingesetzt sind (vgl. BGHSt. 6 107). Der Bundesgerichtshof hat dies zwar nur für § 308 entschieden; dieselben Erwägungen gelten jedoch auch bei § 306 (ebenso Dreher/Tröndle Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5). Daher ist ζ. B. ein durch Brand teilweise zerstörtes Gebäude noch ein Gebäude im Sinne der Vorschrift (RG JW 1928 2463; O G H JR 1950 404). Dagegen ist eine nicht mehr instandsetzungsfähige, einsturzgefährdete und wertlose Ruine kein Gebäude im Sinne der Brandstiftungsdelikte (BGH bei Holtz M D R 1977 807, 810).

7

Von einer Hütte ist mindestens zu fordern, „daß sie ein selbständiges, unbewegliches Ganzes bildet, eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und zum Schutz gegen äußere Einwirkungen in einer dem jeweiligen Zwecke genügenden Dauerhaftigkeit und Festigkeit, sei es durch Wand und Dach oder sonst ausreichend abgeschlossen ist" (RGSt. 17 179, 184; vgl. auch RG Rspr. 10 151; RG LZ 1916 Sp. Stand: 1. 9. 1992

(92)

Schwere Brandstiftung

§306

246). Zwischen Hütten und Gebäuden besteht der Unterschied, daß die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit des gesamten Bauwerks wie der einzelnen Teile bei ersteren geringer ist als bei letzteren. Als Hütten sind angesehen worden: Jahrmarktsbuden, sofern sie — und sei es infolge ihres Eigengewichts — fest auf dem Boden stehen und einen abgeschlossenen Raum bilden, auch wenn sie zerlegbar sind (RGSt. 73 204); ein Wochenendhäuschen, das auf Rollen fortbewegt werden kann (RG JW 1938 3106); dagegen nicht eine aus einem mit Zelttuch umspannten Holzgerüst bestehende Schießbude (RG DRiZ 1933 Nr. 266) oder eine kleine, aus einigen Pfählen und Stroh gebaute Hüterhütte (RG Rspr. 10 151). Vergleiche ergänzend § 308 Rdn. 4. Ein Schiff im Sinne des § 306 Nr. 2 ist jedes Wasserfahrzeug, das als Wohnstätte 8 von Menschen dient (vgl. ζ. B. RG Recht 1924 Nr. 719), unabhängig von seiner Größe. b) Gebäude, Hütte oder Schiff müssen zur Wohnung von Menschen dienen. Das 9 Gebäude pp. braucht nicht zu dem Zweck, Mittelpunkt des Aufenthalts eines oder mehrerer Menschen ( = Wohnung) zu sein, bestimmt zu sein (BGHSt. 26 121, 122). Der Begriff dienen hat also hier eine andere Bedeutung als in § 304, dort ist die Zweckbestimmung begriffsnotwendig. Auch auf die Eignung kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt der Tat (RGSt. 60 136, 137; vgl. auch Meyer-Goßner NStZ 1986 103, 107). Unvollendete Neubauten, Ruinenräume, aufgelassene Baracken oder Behelfsbunker kommen als Tatobjekt danach durchaus in Betracht, wenn sich in ihnen ζ. B., auch gegen den Willen des Berechtigten, Stadtstreicher niedergelassen haben. — Ein Gebäude dient auch dann der Wohnung von Menschen, wenn nur ein Teil der von ihm umfaßten Räume eine solche Verwendung findet. Wird ein solches mehreren wirtschaftlichen Zwecken dienendes Gebäude in Brand gesetzt, so greift immer § 306 Nr. 2 ein, selbst wenn der Täter allein den nicht zum Wohnen dienenden Teil niederbrennen will 7 . Auch dies folgt aus dem Schutzzweck der Norm (s. Rdn. 3), die tragfähige Ansatzpunkte für eine Beschränkung auf zur Wohnung von Menschen dienende Gebäudeteile nicht erkennen läßt (aA ζ. B. Kratzsch JR 1987 360, 363 0· Dabei kann im Einzelfall zweifelhaft sein, ob ein oder mehrere Gebäude gegeben sind. Das ist Tatfrage; ausschlaggebend ist die bauliche Beschaffenheit, nicht der unterschiedliche wirtschaftliche Verwendungszweck 8 . In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird darauf abgestellt, ob die Baulichkeiten nach ihrer Anlage und Beschaffenheit für die natürliche Auffassung ein einheitliches zusammenhängendes Gebäude darstellen oder nicht (ζ. B. BGH GA 1969 118). Nicht jede Verbindung von Bauten macht diese dabei zu einem einheitlichen Gebäude (BGH NStZ 1991 433). Ein gemeinsames Treppenhaus von Baulichkeiten (BGHSt. 34 115, 120; BGH, Urt. v. 9. Mai 1978 - 5 StR 31 /78), ein gemeinsa7

RG LZ 1926 Sp. 702; RG JW 1931 3281; RG JW 1936 262, 263; RG JW 1938 505; BGHSt. 34 115; BGH GA 1969 118, 119; BGH NStZ 1988 407, 408; OLG Hamburg NJW 1953 117; Otto BT S. 369; Geppert Jura 1989 417, 425; dahin tendierend auch BGH NStZ 1985 455, BGH NStZ 1986 506 und BGH, Urt. v. 18. Juni 1985 - 1 StR 220/85; offengelassen in BGH, Urt. v. 26. Juni 1985 — 3 StR 132/85. Allerdings ist in der Rechtsprechung teilweise dahin eingeschränkt worden, daß Nummer 2 erst ausgefüllt ist, wenn sich der Brand auf für das Wohnen wesentliche Gebäudeteile auszudehnen vermag, BGH, Beschl. v. 15. April 1977 - 2 StR 140/77, BGH, Urt. v.

(93)

9. Mai 1978 — 5 StR 31/78; in diesem Sinne wohl auch Dreher/Tröndle Rdn. 4 , 4 a ; Lackner Rdn. 3 und Wessels BT 1 S. 203; Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH bei Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 11 2; noch weitergehend als die zuletzt erwähnten Entscheidungen — Übergreifen des Feuers auf den Wohnteil als Tatbestandserfordernis — Horn SK Rdn. 11; Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 11. » RG JR 1927 Nr. 660; RG JW 1931 3281; RG JW 1936 262, 263; BGHSt. 35, 283, 286; BGH GA 1969 118; BGH NStZ 1988 407, 408; BGH NStZ 1991433.

Hagen W o l f f

§ 306

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

mer Flur oder ineinander übergehende Räume (BGH GA1969 118,119), ein gemeinsamer Dachstuhl und die Gebäudeteile verbindende Türen und Öffnungen (BGH GA 1969 118, 119; vgl. aber auch BGH, Urt. v. 13. Febr. 1959 - 4 StR 499/58) können für Einheitlichkeit sprechen (für ein weiteres Beispiel aus der Rechtsprechung vgl. Otto Möglichkeiten und Grenzen der Revision in Strafsachen, NJW 1978 1,4); eine trennende Brandmauer (BGH NStZ 1984 455 f; auch BGH, Beschl. v. 30. Juli 1984 — 3 StR 242/84) oder sonstige die Benutzung einer Verbindung von Bauten hindernde Schutzvorrichtungen können Einheitlichkeit ausschließen (BGHSt. 35 283,286). — Ein Gebäude wird nicht dadurch unbewohnt, daß der oder die darin lebenden Menschen vorübergehend — selbst monatelang (ζ. B. durch Krankenhausaufenthalt — BGH, Urt. v. 9. April 1968 — 5 StR 93/68 — oder Auslandsreise) — abwesend sind (BGHSt. 26 121, 122; BGH NStZ 1982 420; BGH NStZ 1985 408). Zeitweiliges Bewohnen wie bei einem Wochenend- oder Ferienhaus genügt gleichfalls, um ein Gebäude zu einem für § 306 Nr. 2 geeigneten Tatbojekt werden zu lassen 9 . — So, wie das Wohnen rein tatsächlich begründet wird, kann es durch Veränderung der Umstände wieder aufgehoben werden. Stirbt der einzige Bewohner eines Hauses, sei es auch eines gewaltsamen Todes durch die Hand des späteren Brandstifters (BGHSt. 23 114), oder zieht er aus (RG DRiZ 1933 Nr. 767), so wird § 306 Nr. 2 unanwendbar. Ebenso ist ein unbewohntes Hotel kein geeignetes Tatobjekt im Sinne des § 306 Nr. 2. Ein Aufgeben als Wohnung kann darin liegen, daß der einzige Bewohner das Gebäude in Brand steckt, gleichgültig, ob er zuvor seine bewegliche Habe aus dem Gebäude entfernt hat oder nicht 1 0 ; dabei muß der die Wohnungseigenschaft Aufgebende nicht der Eigentümer sein (BGH NStZ 1984 455; BGH, Beschl. v. 25. Juli 1985 - 5 StR 415/85; LG Düsseldorf NStZ 1981 224). Das gleiche gilt, wenn der einzige Bewohner die Brandstiftung durch einen Dritten erledigen läßt (BGH NStZ 1988 71; BGH, Beschl. v. 13. März 1984 - 5 StR 72/84). Ein Aufheben der Zweckbestimmung des Gebäudes, zur Wohnung von Menschen zu dienen, kann auch durch Mittäter geschehen, wenn sie das Gebäude allein benutzen (BGHR StGB § 306 Nr. 2 Wohnung 3). Wird ζ. B. das Objekt der Brandstiftung von einem Ehepaar bewohnt, kommt es dafür auf das Einverständnis beider Ehegatten an (BGH NStZ 1988 71; BGH, Urt. v. 11. Okt. 1979 - 4 StR 470/79; vgl. auch B G H R StGB § 306 Nr. 2 Wohnung 6). 10

c) Alternative Feststellung der erwähnten drei Merkmale Gebäude, Hütte oder Schiff ist zulässig. — Zu welcher Zeit der Brand gelegt wird, ist wie bei § 306 Nr. 1 ohne Bedeutung.

11

3. § 306 Nr. 3 schließlich betrifft Räumlichkeiten, welche zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dienen, wobei die Einschränkung gemacht ist: zu der Zeit, während der sich Menschen in den Räumlichkeiten aufzuhalten pflegen. Eine derartige Räumlichkeit kann nicht nur ein Bauwerk sein, das mit dem Grund und Boden verbunden ist, sondern jeder irgendwie abgeschlossene unbewegliche oder bewegliche Raum, der zum dauernden oder vorübergehenden Aufenthalt von Menschen tatsächlich dient (vgl. OLG Braunschweig NdsRpfl. 1963 138). Es kommt also auch hier nicht darauf an, ob die Räumlichkeit zum Aufenthalt von Menschen bestimmt ist; vielmehr hanOGHSt. 1 244; BGH, Urt. v. 26. Febr. 1965 - 5 StR 11/65; Horn SK Rdn. 7; Geppert Jura 1989 417, 420; offengelassen in BGH NStZ 1984 455; einschränkend — auf die Zeit des tatsächlichen Aufenthalts — insoweit Sch/Schröder/Cramer Rdn. 7; ähnlich Haft BT S. 265.

i0

BGHSt. 16 394; BGH bei Holtz M D R 1981 979, 981; BGH, Beschl. v. 25. Juli 1985 - 5 StR 415/85; vgl. auch BGHSt. 10 208, 215 ff sowie BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 4 u. Wohnung 5; enger noch RGSt. 60 136; Bedenken bei Blei II § 86 II 1 a bb.

Stand: 1. 9. 1992

(94)

Schwere Brandstiftung

§306

delt es sich wie bei § 306 Nr. 2 (vgl. Rdn. 9) um ein Merkmal tatsächlicher Art (BGHSt. 10 208, 214). Es kann wie bei § 306 Nr. 2 (vgl. Rdn. 10 a. E.) durch tatsächliche Änderung entfallen. Von dem Begriff werden daher ganz verschiedenartige Gegenstände erfaßt: Theater, Museen, Kinos, Konzertsäle, Zirkusbauten, Künstlerwagen; Schäferkarren und Hüterhütten; Flugzeuge, Eisenbahnwagen, Autobusse, Wohnwagen, Schiffe (soweit sie nicht unter § 306 Nr. 2 fallen) unabhängig von ihrer Größe; Büros, Bergwerke, Fabrikationshallen, Werkstätten, eine Lagerhalle, in der Fertigwaren eingeliefert, sortiert und für den Abtransport bereitgestellt werden (BGH, Urt. v. 3. Okt. 1973 - 2 StR 373/73); eine Gaststätte (BGH, Beschl. v. 7. April 1981 — 4 StR 136/81); eine Scheune, in der Landstreicher zu übernachten pflegen (BGHSt. 23 60; BGH, Beschl. v. 13. Okt. 1983 - 1 StR 492/83; vgl. auch SächsOAppG GA 24 [1876] 644); dagegen nicht: ein Personenkraftwagen (BGHSt. 10 208; vgl. auch Arthur Kaufmann JuS 1987 306 für einen Lastzug; anders wohl bei einem Lkw mit Schlafkoje), es sei denn, er ist in ein Dauerquartier umgewandelt (OLG Stuttgart OLGSt. Bd. 2 § 306 Nr. 3; vgl. auch Spöhr MDR 1975 193); eine Telephonzelle (BGH bei Holtz MDR 1977 637, 638; aA OLG Düsseldorf MDR 1979 1092). Streitig ist die Rechtslage bei Scheunen und Ställen. Das Reichsgericht hatte sie unter Hinweis auf die Gesetzesgeschichte und die fehlende Bestimmung zum Aufenthalt von Menschen, was etwas anderes bedeute, als wenn Räume für kurze Verrichtungen von Menschen betreten zu werden pflegten, dem § 308 zugeordnet (RGSt. 69 148; s. auch OLG Schleswig SchlHA 1955 99,100). Dem liegt wohl das Bestreben zugrunde, den § 306 Nr. 3 in seinem Anwendungsbereich gegenüber § 308 nicht zu sehr auszudehnen. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLGSt. 1967 125; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13. Okt. 1983 - 1 StR 492/83) hat sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß auch Scheunen und Ställe grundsätzlich zu den Räumlichkeiten im Sinne von § 306 Nr. 3 zu zählen sind 11 ; es hält beide Gründe des Reichsgerichts nicht für durchschlagend. Doch ist festzuhalten, daß Scheunen und Ställe — von Ausnahmen abgesehen — nicht durch den zeitweiligen Aufenthalt von Menschen gekennzeichnet sind, sondern nur für zeitlich kürzere Verrichtungen von Menschen betreten werden. Deshalb ist dem Reichsgericht zu folgen. Denn zieht man diese Grenze nicht, so läßt sich dem § 306 Nr. 3 im Grunde jeder Raum unterordnen, den Menschen zu betreten pflegen, eine Konsequenz, die auch das Bayerische Oberste Landesgericht verneint. Zum gleichen Ergebnis kommen trotz Zweifeln Dreher/Tröndle Rdn. 5. Bei § 306 Nr. 3 ist erforderlich, daß die Tat zu einer Zeit verübt wird, also die 12 Räumlichkeit in Brand gerät, während der Menschen sich in dieser Räumlichkeit aufzuhalten pflegen; das Legen eines Brandes in dieser Zeit, der dann außerhalb dieser Zeit ausbricht, genügt nicht, wie überhaupt der Zeitpunkt des Beginns der Ursachenkette für den Brand unerheblich ist (BGHSt. 36 221, 223; aA Otto BT S. 369 f)· Das bedeutet jedoch nicht, daß die Bestimmung entfällt, wenn sich tatsächlich kein Mensch in der Räumlichkeit befunden hat. Wie bei § 306 Nr. 1 und 2 ist dies vielmehr ohne Belang (RGSt. 23 102,103; OGHSt. 1 244,245). Die in § 306 Nr. 3 umschriebene Zeit fällt bei einem Bürogebäude nicht ohne weiteres mit den Büro- oder Dienststunden zusammen (BGHSt. 36 221, 223). — Treffen bei Inbrandsetzung die Voraussetzungen von § 306 Nr. 3 nur auf einen Teil eines einheitlichen Bauwerks zu, so ist der Tatbestand auch dann ausgefüllt, wenn sich die Brandstiftung auf den nicht durch § 306 geschützten Teil des Bauwerks beschränkt (BGHSt. 35 283, 285; kritisch Kind11

Ebenso Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; Blei II § 86 III 1 a cc; Maurach/Schroe-

(95)

der/Maiwald 421 f.

Hagen Wolff

BT § 51 112; Geppert Jura 1989 417,

§306

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

häuser StV 1990 161). Es gelten die gleichen Erwägungen wie bei einem Gebäude, das lediglich teilweise zur Wohnung von Menschen dient (vgl. Rdn. 9). 13

IV. Der Vorsatz des Täters muß das Wissen umfassen, daß der Gegenstand der Brandstiftung die im gesetzlichen Tatbestand verlangten Eigenschaften hat, sowie den Willen, den Gegenstand in Brand zu setzen; damit sind zugleich die Anforderungen an den Vorsatz abschließend umschrieben (BGHSt. 34 115,119; BGH, Beschl. v. 7. Okt. 1986 - 1 StR 523/86). Bedingter Vorsatz genügt (RGSt. 66 141; RG JW 1938 505; BGHSt. 36 221, 222). Dieser ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, daß ζ. B. die Gefahr besteht, das Feuer werde von einem in Brand gesetzten Pkw auf ein nebenstehendes Gebäude übergreifen (BGH, Beschl. v. 20. Dez. 1983 — 4 StR 697/83). Der Täter braucht nicht zu wissen, daß sich in den Räumen Menschen befinden; andererseits ist die irrige Annahme, der als Wohnung von Menschen erkannte Raum sei leer, bedeutungslos. Unerheblich ist, ob der Täter nur anzünden, das Weiterbrennen aber durch Löschen verhindern wollte (RGSt. 18 355; RG JW 1930 835; BGHSt. 23 60, 63); unerheblich ferner, ob er das angezündete Gebäude für eine Hütte hält, oder umgekehrt, ob er ein Gebäude, das zur Wohnung von Menschen dient, mit einer Räumlichkeit verwechselt, die zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient. Hierbei handelt es sich um gleichwertige Tatbestandsmerkmale, die wahlweise Feststellung auch zur inneren Tatseite gestatten (vgl. BGH, Beschl. v. 15. April 1977 — 2 StR 140/77; im Ergebnis übereinstimmend Fr.-Chr. Schroeder Der Irrtum über Tatbestandsalternativen, GA 1978 321, 325 0· Weiß der Täter dagegen nicht, daß das Gebäude, welches er anzündet, zur Wohnung von Menschen dient, so trifft nicht der § 306 Nr. 2, sondern der § 308 zu. Im Falle des § 306 Nr. 3 muß der Täter auch wissen, daß er die Räumlichkeit zu einer Zeit in Brand setzt, während welcher sich Menschen in der betreffenden Räumlichkeit aufzuhalten pflegen (BGHSt. 36 221, 222); nimmt er das irrig an, so kann Versuch am untauglichen Objekt gegeben sein.

14

V. Versuch. Zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlung und Versuch vergleiche RGSt. 66 141; RG H R R 1933 Nr. 352 und OGHSt. 2 346, 348. Danach ist es Brandstiftungsversuch und nicht mehr Vorbereitungshandlung, wenn der Brandzünder installiert oder der Zündstoff ausgebracht wird, sofern sich das Anzünden unmittelbar anschließen sollte oder der Täter damit die Zündung aus der Hand geben wollte wie bei Zeitzündern oder Zündvorrichtungen, die durch einen ahnungslosen Dritten ausgelöst werden sollen. Ein Versuch kommt ζ. B. weiter in Betracht, wenn Gebäudeinventar angezündet wird, um einen Brand des Gebäudes zu bewirken, der nicht entsteht (BGHSt. 32 137; BGH bei Holtz M D R 1984 441, 443; BGH NJW 1985 813; OLG Zweibrücken GA 1982 560, 561).

15

VI. Einen Fall von Notstand behandelt RG JW 1925 964. — Zur tätigen Reue vergleiche § 310.

16

VII. Täterschaft und Teilnahme. Zur Beihilfe vergleiche RGSt. 71 193, 194 und OLG Hamm JZ 1961 94; Beihilfe kann auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. OGHSt. 3 1). Mittäterschaft kann ζ. B. darin liegen, daß der eigentliche Brandstifter mit einem Kraftfahrzeug in die Nähe des Tatorts gefahren wird (RG H R R 1934 Nr. 147; s. auch RG JW 1933 427; RG JW 1933 2395; RG JW 1935 945). - Die Beteiligung ist bis zur Beendigung der Brandstiftung, die meist erst vorliegt, wenn der Tatgegenstand abgebrannt ist, möglich. — Zu Problemen der Beweiswürdigung vergleiche BGHR StGB § 306 Beweiswürdigung 1 bis 4. — Wahlweise Verurteilung weStand: 1. 9. 1992

(96)

Schwere Brandstiftung

§306

gen Anstiftung zur schweren Brandstiftung und Nichtanzeige einer geplanten Straftat nach § 138 Abs. 1 Nr. 9 kommt mangels rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit nicht in Betracht (BGHSt. 36 167, 174). — Zur Notwendigkeit eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bei einem Wechsel des Vorwurfs von Mittäterschaft zu Beihilfe vergleiche BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354, 358; ebenso ist ein Hinweis dann nötig, wenn von dem Vorwurf der Alleintäterschaft auf den der Mittäterschaft, mittelbaren Täterschaft oder der Anstiftung übergegangen werden soll (BGH StV 1984 368). VIII. Konkurrenzen. Tateinheit kann zwischen Nr. 1 und Nr. 2 des § 306 gegeben 17 sein, wenn ein Gebäude gleichermaßen zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmt ist und der Wohnung von Menschen dient, dagegen nicht zwischen § 306 Nr. 1 und Nr. 3 und zwischen § 306 Nr. 2 und Nr. 3, soweit ein Gebäude in Frage steht; § 306 Nr. 3 kann nur auf Gegenstände bezogen werden, die nicht bereits unter Nr. 1 oder Nr. 2 fallen. Tateinheit ist allerdings möglich, wenn verschiedene Gegenstände durch eine Brandstiftung in Flammen gesetzt werden, von denen ein Teil Gebäude oder Hütten in Sinne von § 306 Nr. 1 und 2, ein anderer Teil Räumlichkeiten im Sinne von Nr. 3 sind. Für das Verhältnis zu § 308 vergleiche dort Rdn. 25, 26. — Zwischen schwerer Brandstiftung und Mord oder Totschlag (§§211,212) kann Tateinheit bestehen, wenn der Täter durch ein und dieselbe Handlung ein Gebäude pp. in Brand setzt und einen Menschen tötet (BGH, Beschl. v. 2. Juni 1977 — 1 StR 231/ 77); insbesondere, wenn die schwere Brandstiftung als Mittel für die Tötung benutzt wird. Tateinheit ist denkbar auch zwischen § 306 und §§ 223 ff; § 222; § 265, weil sich die gesetzlichen Tatbestände nicht decken 1 2 ; §§ 303,305, weil diese Vorschriften, anders als § 306, eine fremde Sache voraussetzen 13 . Vergleiche außerdem bei § 310 a und § 311. — Von § 306 verdrängt werden §§ 125, 125 a. — Zu einem in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einer Brandstiftung begangenen Diebstahl besteht Realkonkurrenz (BGH NStZ 1986 314). IX. Nach § 321 (vgl. dort) besteht die Möglichkeit, Führungsaufsicht anzuordnen. 18 X. Recht des Einigungsvertrages. §§ 306 bis 310 a gelten seit dem Wirksamwerden 19 der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern und in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Straf- 20 rechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I 526), geändert worden. Brandstiftungsdelikte waren von dieser Änderung nicht be12

(97)

RGSt. 60 129; RG GA 35 (1887) 398; RG LZ 1914 Sp. 570; RG LZ 1925 Sp. 874; RG JW 1933 428; BGH NStZ 1982 420; BGH N j W 1984 443 (insoweit in BGHSt. 32 137 nicht abgedruckt); BGHR StGB § 306 Nr. 2 Konkurrenzen 1; vgl. auch BGH

13

NStZ 1986 314; BGH NJW 1988 3025 (Nr. 17); BGH NStZ 1991 433 und BGH NStZ 1992 181; BGH NJW 1992 1635. RGSt. 57 294,296; RG JW 1901 599; BGH, Urt. v. 12. Febr. 1 9 5 2 - 1 StR 2/50.

Hagen Wolff

§ 307

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

troffen. Sie ergaben sich damit aus der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung des Strafgesetzbuchs der D D R vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I 33). Grundtatbestand war § 185 — Brandstiftung —, der folgenden Wortlaut hatte: (1) Wer vorsätzlich Wohnstätten, Aufenthaltsstätten, Betriebe oder andere Bauwerke, Betriebs- oder Verkehrseinrichtungen, Lagervorräte, Wälder, land- oder forstwirtschaftliche Kulturen oder Erzeugnisse oder andere bedeutende Sachwerte in Brand setzt oder durch Feuer oder Explosion vernichtet oder beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu acht Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich andere Gegenstände in Brand setzt oder durch Feuer oder Explosion vernichtet oder beschädigt und dadurch fahrlässig eine Gemeingefahr verursacht. (3) Die Vorbereitung und der Versuch sind strafbar.

Der Begriff der Gemeingefahr war in § 192 gesetzlich definiert. Hinzu traten § 186 Schwere Brandstiftung, § 187 Gefährdung der Brandsicherheit, § 188 Fahrlässige Verursachung eines Brandes und § 189 Tätige Reue. Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten von Brandstiftung pp. wird ergänzend auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§307 Besonders schwere Brandstiftung Die schwere Brandstiftung (§ 306) wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft, wenn 1. der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, daß dieser zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand, 2. der Täter in der Absicht handelt, die Tat zur Begehung eines Mordes (§ 211), eines Raubes (§§ 249,250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) auszunutzen, oder 3. der Täter, um das Löschen des Feuers zu verhindern oder zu erschweren, Löschgerätschaften entfernt oder unbrauchbar gemacht hat. Schrifttum siehe bei § 306. Entstehungsgeschichte Die Bestimmung ist seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (vgl. zu der ursprünglichen Fassung RGBl. 1887 1 S. 127,186) nur zweimal umgestaltet worden; und zwar durch Art.4, 5 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645), mit denen die zunächst angedroht gewesene Zuchthausstrafe in Freiheitsstrafe umgewandelt worden ist, und durch Art. 19 Nr. 165 EGStGB 1974. Bei letzterer Gelegenheit ist neben Fassungsänderungen ohne sachliche Auswirkungen in Nummer 2 der Katalog der Delikte verändert worden, die zu einer Straferschwerung führen, falls der Täter die Brandstiftung zu ihrer Begehung auszunutzen beabsichtigt; Aufruhr ist gestrichen, räuberischer Diebstahl und räuberische Erpressung sind eingefügt worden. Damit war lediglich eine Klarstellung beabsichtigt (Erster Bericht des Sonderausschusses f. die Strafrechtsreform — BT-Drucksache 7/1261 S. 20). Stand: 1. 9. 1992

(98)

Besonders schwere Brandstiftung

§307

I. Das Verbrechen der besonders schweren Brandstiftung ist mit erhöhter Strafe 1 bedroht. Es liegt vor, wenn zu dem allgemeinen Tatbestand des § 306 einer der erschwerenden Umstände, die in § 307 Nr. 1 bis 3 aufgezählt sind, hinzukommt. Die Anwendung des § 307 setzt also voraus, daß alle Tatbestandsmerkmale des § 306 erfüllt sind. Sind die Voraussetzungen von § 307 ausgefüllt, kommen zwei Strafrahmen in Betracht, denn das Gesetz droht wahlweise lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren an (zu den damit verbundenen Auswirkungen, wenn eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 in Frage kommt, vgl. Theune Zum Strafzumessungsrecht, NStZ 1986 153, 155). II. 1. Nummer 1. Es handelt sich bei dieser Bestimmung um eine Erfolgsqualifika- 2 tion im Sinne von § 18. Das hat zwei Konsequenzen: Zum einen muß sich in dem qualifizierenden Erfolg die dem § 306 als Grunddelikt eigentümliche Gefahr verwirklicht haben, der Tod eines Menschen, der sich zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten befand, also unmittelbar durch die Brandstiftung verursacht worden sein. Es handelt sich dabei um eine bei erfolgsqualifizierten Delikten bei unterschiedlichen dogmatischen Ansätzen allgemein vorgenommene Einschränkung. Zum anderen muß der qualifizierende Erfolg schuldhaft, also mindestens fahrlässig herbeigeführt sein. Vergleiche ergänzend bei § 18. Ein Mensch muß sich zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlich- 3 keiten befunden haben, ob rechtmäßig oder nicht, ist gleichgültig. Tatbeteiligte genießen allerdings keinen Schutz 1 . Die Zeit der Tat wird durch den Zeitraum bestimmt, in dem der Täter handelt; d. h. durch das Inbrandsetzen, beginnend mit dem Anfang der Ausführung und endend mit der Vollendung (Dreher/Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4). An einem Aufenthalt in einer der Räumlichkeiten zur Zeit der Tat fehlt es dementsprechend, wenn ein nach Brandausbruch zur Brandstätte gekommener Feuerwehrmann bei den Löscharbeiten tödlich verunglückt. Der Begriff Räumlichkeit umschließt hier sämtliche Tatgegenstände des § 306; jedoch braucht sich der zu Tode gekommene Mensch nicht in dem angesteckten Teil des Gebäudes pp. aufgehalten zu haben. Der Brand muß den Tod eines Menschen verursacht haben, der sich zur fraglichen 4 Zeit in einer der Räumlichkeiten befunden hat. Beide Voraussetzungen müssen zusammentreffen (RGSt. 5 202, 203). Das ist nicht der Fall, wenn der Getötete zunächst aus einem Gebäude, in dem er sich zur Zeit der Inbrandsetzung aufgehalten hatte, hinausgelaufen ist, zurückkehrt, um ζ. B. Personen oder Sachen zu retten, und nunmehr infolge des Brandes zu Tode kommt (RGSt. 5 202). Im übrigen ist der Tod eines Menschen nicht nur dann durch den Brand verursacht, wenn der Mensch verbrennt, sondern auch, wenn er im Rauch erstickt, durch von in Brand geratenen Sachen ausströmende Dämpfe oder Gase vergiftet, durch einstürzendes Mauerwerk, einen herabfallenden Balken usw. erschlagen wird oder wenn er beim Herausspringen aus dem Fenster umkommt. Streitig ist, ob ein ausreichender Kausalzusammenhang vorliegt, wenn der Tod infolge eines durch den Brand hervorgerufenen Schreckens eintritt; die Frage ist zu bejahen 2 . — Erleidet ein Mensch bereits durch das Brennen des Zündstoffs tödliche Verletzungen, ohne daß ein Brand des Gebäudes pp. entsteht, so 1

2

Sch/Schröder/Cramer Rdn. 6; Otto BT S. 370; aA Horn SK Rdn. 4 und vor § 306 Rdn. 9; Lackner Rdn. 2; Geppert Jura 1989 473,475. Dreher/Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 2; Olshausen Anm. 4; Sch/Schröder/

(99)

Cramer Rdn. 5; Blei II § 86 III 2 a ; Wessels BT I S. 204; ablehnend Frank Anm. I 1; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 51 II 5 a; Küpper JuS 1990184,186.

Hagen Wolff

§ 307

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

ist § 307 Nr. 1 ebenfalls anwendbar, weil sich auch in diesem Falle bereits die der schweren Brandstiftung eigentümliche Gefahr verwirklicht hat 3 . Das Problem ist umstritten 4 . Mit anderen Worten: die Strafschärfung in diesem Falle tritt nicht nur ein, wenn die Brandstiftung vollendet ist; Versuch genügt, wenn er zu dem qualifizierenden Erfolg geführt hat 5 . Explodiert der von dem Täter verwendete Zündstoff, und führt die Explosion, ohne daß überhaupt ein Brand entsteht, zum Einsturz eines Hauses, durch den Bewohner umkommen, so ist § 307 Nr. 1 unanwendbar; die Tat fällt unter die §§ 306 Nr. 2, 22 und 311 6 . 5

Der Täter braucht nicht zu wissen, daß sich ein Mensch in dem Brandstiftungsobjekt aufhält. Jedoch muß nach § 18 der Tod mindestens fahrlässig herbeigeführt sein (vgl. auch Rdn. 2). Allerdings kann der Tod auch vom Vorsatz umfaßt sein (aA Horn SK Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 II 5 a); denn Totschlag wird in § 307 Nr. 2 nicht gewährt, umgekehrt ist die Brandstiftung nicht immer ein gemeingefährliches Mittel im Sinne des § 211 (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 7; Geppert Jura 1989 473, 475 Anm. 22). Es kann demnach Tateinheit mit § 211 oder § 212 vorliegen, und zwar auch bei Versuch (RG GA 59 [1912] 338; BGH NJW 1985 1477, 1478). Damit kommt auch Idealkonkurrenz mit § 222 in Betracht 7 .

6

III. Nummer 2. Die Vorschrift bezieht sich — auch in der gegenüber dem ursprünglichen Wortlaut geänderten Fassung — ausdrücklich nur auf den Fall, daß die Brandstiftung zur Vorbereitung oder Erleicherung einer anderen Straftat — Mord, Raub, räuberischer Diebstahl, räuberische Erpressung — dienen soll. Sie ist jedoch dem Gesetzeszweck nach auch anwendbar, wenn die Brandstiftung Mittel zur Begehung eines der in Nummer 2 genannten Verbrechen ist; die Bestimmung läßt eine entsprechende Auslegung zu. Daher fallen unter die Vorschrift Brandstiftungen, die in der Absicht ausgeführt werden, einen Menschen in den Flammen umkommen zu lassen, wenn also versuchter Mord und besonders schwere Brandstiftung nach § 307 Nr. 2 tateinheitlich zusammentreffen 8 . Absichtlich handelt derjenige, dem es auf die Ausnutzung der schweren Brandstiftung für eines der in § 307 Nr. 2 aufgezählten Delikte ankommt. Die entsprechende Ausnutzung setzt voraus, daß die durch die schwere Brandstiftung geschaffene Gefahrenlage für die Begehung der weiteren Straftat benutzt werden soll. Das zeigt ein Blick auf die frühere Fassung — „... um unter Begünstigung d e r . . . (Brandstiftung)" — und der Vergleich mit Nummer 1 und

3

4

5

BGH St. 7 37 gegen RGSt. 40 321, 325; vgl. aber auch bereits RG JW 1903 355; BGH NJW 1985 1477, 1478; ausdrücklich offengelassen in BGHSt. 20 230, 231; wie hier Dreher/Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 3, 6; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; Arzt/Weber II Rdn. 117; Otto BT S. 370; Geppert Jura 1989 473, 475 f; Ulsenheimer Zur Problematik des Versuchs erfolgsqualifizierter Delikte, GA 1966 257. ablehnend: Vogler LK vor § 22 Rdn. 81; Krey BT I Rdn. 748 ff; Kühl Grundfälle zu Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendigung, JuS 1981 193,196; Bedenken auch bei Lackner Rdn. 2. Versuch des § 307 Nr. 1 halten für ausgeschlossen: Haft BT S. 265; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 II 5 a; Laubenthal Der Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs im

6

7

8

besonders schweren Fall bei Regelbeispielen, JZ 19871065,1067 f. BGHSt. 20 230; Dreher/Tröndle Rdn. 2; aA Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 8. Vgl. allgemein Schroeder LK § 18 Rdn. 43; wie hier Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8 u. § 18 Rdn. 6; aA Arzt/Weber II Rdn. 133; Haft BT S. 266; Wessels BT I S. 204. Für die alte Fassung: ζ. B. BGHSt. 20 246; Frank Anm. I 2; aA Kohlrausch/Lange Anm. III; für die neue Fassung wie hier: Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9; Blei II § 86 III 2 b; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 II 5 b; Otto BT S. 370; Schmidhäuser BT 15/12; Wessels BT I S. 204; Geppert Jura 1989 473, 477; aA Horn SK Rdn. 10; Lackner Rdn. 3; Arzt/Weber II Rdn. 169 f.

Stand: 1. 9. 1992

(100)

Besonders schwere Brandstiftung

§307

3. Damit muß aber mindestens ein enger zeitlicher, räumlicher und sachlicher Zusammenhang mit der Brandsituation bestehen (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992 — 1 StR 217/92, zur Veröffentl. in BGHSt. bestimmt). — Zur Vollendung der besonders schweren Brandstiftung nach § 307 Nr. 2 ist nicht erforderlich, daß der Mord usw. bereits in das Versuchsstadium getreten ist (BGHSt. 20 246, 247). IV. Nummer 3. Erschwerend wirkt allein das Entfernen oder Unbrauchbarmachen 7 von Löschgerätschaften, wenn damit das Löschen des Feuers verhindert oder erschwert werden soll, nicht dagegen das Beseitigen anderer Löschmittel oder von Rettungsgerät; ebensowenig wird erfaßt die Behinderung oder Ausschaltung der Löschmannschaft. Das Abstellen der Wasserleitung kann qualifizierender Umstand sein, wenn dadurch Löschgerät unbrauchbar wird 9 . Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist anzunehmen, daß das Entfernen oder Unbrauchbarmachen eines einzigen Geräts genügt (Olshausen Anm. 6). Der Täter braucht dazu nicht in eigener Person tätig zu werden; er kann das Löschgerät durch einen Dritten ζ. B. entfernen lassen. Wem die Löschgeräte gehören, ist gleichgültig. Ebenso, ob das Löschen des Feuers tatsächlich erschwert oder verhindert worden ist. Auf den Zeitpunkt der Entfernung oder Unbrauchbarmachung von Löschgerät- 8 schaften kommt es nicht an; es kann dem Inbrandsetzen vorausgehen, mit diesem zusammenfallen oder nachfolgen. Geht die Entfernung oder Unbrauchbarmachung von Löschgeräten der beabsichtigten schweren Brandstiftung voraus, bedeutet dies Versuchsbeginn für eine besonders schwere Brandstiftung nur, wenn der Täter alsbald auch eine der in § 306 erfaßten Räumlichkeiten in Brand setzen will; soll die Entfernung oder Unbrauchbarmachung von Löschgeräten nach dem Plan des Täters einer ins Werk gesetzten schweren Brandstiftung nachfolgen, beginnt der Versuch der besonders schweren Brandstiftung erst, wenn der Täter ζ. B. die Zerstörung von Löschgerätschaft in Angriff nimmt (Horn SK Rdn. 17; Laubenthal Der Versuch des qualifizierten Delikts einschließlich des Versuchs im besonders schweren Fall bei Regelbeispielen, JZ 1987 1065; Roxin Tatentschluß und Anfang der Ausführung beim Versuch, JuS 1979 1, 7 Ον . Auch wenn mehrere Qualifikationsmerkmale zusammentreffen, liegt lediglich 9 eine besonders schwere Brandstiftung vor 10 . Wahlweise Feststellung der qualifizierenden Umstände scheidet jedoch aus. VI. Zur tätigen Reue vergleiche § 310. — Bei einem Delikt nach § 307 kann Füh- 10 rungsaufsicht angeordnet werden, § 321.

9

Dreher/Tröndle Rdn. 5; Frank Anm. I 3; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 10; Blei II § 86 III 2 c; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 11 5 b; Wessels BT IS. 204; Geppert Jura 1989 473, 477; aA Horn SK Rdn. 15; Olshausen Anm. 6; Otto BT S. 370.

(loi)

10

Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11; demgegenüber befürworten Tateinheit: Dreher/Tröndle Rdn. 1; Olshausen Anm. 7.

Hagen W o l f f

§ 308

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

§ 308 Brandstiftung (1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer Gebäude, Schiffe, Hütten, Bergwerke, Magazine, Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern, Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialien, Früchte auf dem Felde, Waldungen oder Torfmoore in Brand setzt, wenn diese Gegenstände entweder fremdes Eigentum sind oder zwar Eigentum des Täters sind, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer einer der in § 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzuteilen. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Schrifttum siehe bei § 306. Entstehungsgeschichte Die Bestimmung ist mit Ausnahme der Umwandlung der Strafandrohung von Zuchthaus (Absatz 1) und Gefängnis (Absatz 2) in Freiheitsstrafe (durch Art. 4, 5 1. StrRG v. 25. Juni 1969 — BGBl. I S. 645) und unerheblichen Umgestaltungen der Fassung (durch Art. 19 Nr. 166 EGStGB 1974) seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sachlich nicht geändert worden (vgl. RGBl. 1871 S. 127, 187). 1

I. In § 308 Abs. 1 der einfachen Brandstiftung sind zwei verschiedene Tatbestände zusammengefaßt (vgl. zu den verfahrensrechtlichen Auswirkungen BGH bei Holtz MDR 1984 274, 278; BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 4), nämlich die Inbrandsetzung bestimmter einerseits fremder, andererseits — nach dem Gesetzeswortlaut — eigener Sachen (vgl. dazu Rdn. 18). Die Inbrandsetzung fremder Sachen ist, wenn sie sich auf die in § 308 aufgezählten Gegenstände bezieht, ohne jede Einschränkung als Brandstiftung strafbar (unmittelbare Brandstiftung), die Inbrandsetzung eigener Sachen nur dann, wenn eine Gefahr für eine der in § 306 bezeichneten Räumlichkeiten oder der in § 308 bezeichneten fremden Sachen entstanden ist (mittelbare Brandstiftung). Der erstere Tatbestand ist demnach seinem Wesen nach ein Eigentumsdelikt, ein spezieller Fall der Sachbeschädigung (a. M. Kratzsch Zum Erfolgsunrecht der schweren Brandstiftung, JR 1987 360, 364), während der zweite Tatbestand trotz der nötigen Eignung zur Brandübertragung auf Tatobjekte im Sinne von § 308 Abs. 1 1. Alternative oder von § 306 ein abstrakt gefährliches Delikt ist (RGSt. 11 345, 346; BGH NJW 1951 726). Zu dieser Einordnung von § 308 Abs. 1 2. Alternative sei insbesondere auf Gallas Heinitz-Festschrift S. 171, 183 f verwiesen. — Der in § 308 aufgeführte Katalog von geschützten Gegenständen ist von einer überholten Wirtschaftsordnung geprägt. Er erfaßt ζ. B. nicht Land- und Luftfahrzeuge oder Maschinen. Soweit nicht § 306 eingreift, bleibt in derartigen Fällen allein die Strafbarkeit aus §§ 303 ff (vgl. ζ. B. BGH NJW 1989 595; Arthur Kaufmann JuS 1987 306). Wegen der deutlich unterschiedlichen Strafrahmen dieser Bestimmungen und des § 308 können im Einzelfall Ungereimtheiten entstehen (vgl. auch Bohnert Strafmaßdiskrepanzen bei den Sachbeschädigungsdelikten, JR 1988 446, 447). Andererseits sind ζ. B. bei dem Inbrandsetzen von fremden Früchten auf dem Felde, Hütten oder Bau- und Brennmaterialvorräten Fallgestaltungen denkbar, bei denen die StrafStand: 1. 9. 1992

(102)

Brandstiftung

§ 308

rahmen des § 308 überzogen erscheinen. Daß eine restriktive Auslegung des Tatbestandes helfen kann (so Sch/Schröder/Cramer 23. Aufl. Rdn. 1; vgl. auch RG JW 1937 997), erscheint fraglich. Eine Neuabgrenzung von Sachbeschädigung und Brandstiftung wäre daher sehr wünschenswert. Vergleiche dazu ζ. B. § 320 des Entwurfs 1960, der eine weitgehende Abkehr von der kasuistischen Regelung der Brandstiftungsdelikte vorsieht. II. Zum Begriff des Inbrandsetzens vergleiche § 306 Rdn. 2. § 308 verwendet den 2 Begriff in übereinstimmender Bedeutung. Dabei kann auch die Brandstiftung nach § 308 durch Unterlassen verursacht werden (BGH StV 1984 247; Klussmann M D R 1974 187). III. Die möglichen Tatgegenstände der Brandstiftung sind in § 308 abschließend 3 aufgezählt. Es sind dies: 1. Gebäude und Hütten. Die Begriffe decken sich mit den in § 306 Nr. 2 verwende- 4 ten (RG Rspr. 10 151, 155). Vergleiche dort Rdn. 6 und 7. Daß ein aus einer fest im Boden verankerten, bis auf die breite Türöffnung mit Brettern verschalten und mit einem Pultdach versehenen Holzbalkenkonstruktion bestehendes Buswartehäuschen keine Hütte im Sinne des § 308 sein soll (so BayObLG NJW 1989 2704; ebenso Horn SK § 306 Rdn. 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 III 2), erscheint auf dieser Grundlage zweifelhaft. Ein als Aufenthaltsraum benutzter Bauwagen kann im Einzelfall Hütte sein; es setzt die Ausgestaltung als unbewegliche Baulichkeit voraus (OLG Karlsruhe NStZ 1981 482). Bei dem Inbrandsetzen von Gebäuden und Hütten wird § 308 insbesondere dann zur Anwendung kommen, wenn die Voraussetzungen von § 306 Nr. 2 oder 3 nicht ausgefüllt sind. 2. Schiffe. Nach heute wohl allgemeiner Meinung sind nur größere Wasserfahr- 5 zeuge hierherzuzählen. Das ergibt ein Vergleich mit den beiden zuerst erwähnten Tatobjekten des § 308, Gebäuden und Hütten; diese drei Gegenstände sind bereits früher zusammengestellt worden (vgl. RGSt. 17 179, 180 ff). Danach scheiden jedenfalls aus: Kähne-, Ruder-, Falt- und offene Segelboote, die nur wenigen Personen Platz bieten; Motorboote entsprechender Größe; jedenfalls kleine Flöße. 3. Bergwerke als Betriebsanlagen, die dem Aufsuchen, der Gewinnung, dem För- 6 dern und der mit dem Abbau verbundenen Aufbereitung von nutzbaren mineralischen Rohstoffen dienen. Zu derartigen Mineralien gehören beispielsweise Erze und Kohle, Salz, aber auch Erdöl und Erdgas. Von dem Schutz des § 308 werden dabei nicht nur die Betriebsgebäude und -anlagen über die Erde, sondern auch Stollen, Schachtanlagen und Strecken, Bohrungen, die Abbaugeräte und Fördereinrichtungen erfaßt. Tagebaubetriebe sind in den Anwendungsbereich der Vorschrift eingeschlossen. Dagegen fallen aus der Bestimmung Bergwerke heraus, die nicht mehr als solche, sondern als Lagerstätte für gefährliche Abfälle benutzt werden. 4. Magazine. Dabei handelt es sich um Räumlichkeiten, die dazu bestimmt sind, 7 Vorräte von Waren, Kriegsbedarf, Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenständen für längere Zeit aufzubewahren, mit Einschluß der in diesen Räumen befindlichen Vorräte (RGSt. 13 407; OLG Braunschweig NdsRPfl. 1963 138, 139; Bedenken gegen den Einschluß auch der Vorräte äußert Frank Anm. II 5). Vom Gesetz sind nur magazinierte Vorräte von größerem Umfang und erheblichem Wert gemeint; ein zweiräd(103)

Hagen Wolff

§ 308

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

riger Geräte- und Materialwagen einer Baufirma ist deshalb kein Magazin (BGH, Urt. v. 24. Nov. 1965 - 2 StR 410/65). 8

5. Warenvorräte, welche auf dazu bestimmten öffentlichen Plätzen lagern. Für den Begriff des Vorrats sind zwei Merkmale wesentlich: Eine Menge von Gegenständen muß zum Zweck künftiger Verwendung vereinigt sein 1 . Bereits gebrauchte Gegenstände können einen Vorrat bilden, wenn sie zur weiteren Verwendung aufbewahrt werden. Stroh, welches als Strohdach oder Strohwand benutzt wird, stellt keinen Vorrat dar, weil diese Benutzung nicht zum Zwecke künftiger Verwendung geschieht (RGSt. 28 39). — Die vorhandene Menge von Gegenständen muß außerdem eine gewisse Erheblichkeit haben 2 . Ob und wann eine Menge als erheblich angesehen werden kann, ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (RGSt. 62 28). Entscheidend ist eine an objektiven Maßstäben ausgerichtete Beurteilung, nicht die Vorstellung des Eigentümers über Art und Dauer der Verwendung (RGSt. 13 218). Auf Warenvorräte findet § 308 nur Anwendung, wenn sie sich auf öffentlichen, d. h. allgemein zugänglichen Lagerplätzen befinden. Um einen Platz zum Lagerplatz zu machen, ist eine entsprechende Zweckbestimmung erforderlich.

9

6. Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Bau- oder Brennmaterialien. Zum Begriff der Vorräte vergleiche die vorhergehende Anmerkung. — Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind alle Rohprodukte der Ausnutzung des Grund und Bodens, bei deren Gewinnung dieser selbst seiner Substanz nach unverändert bleibt (RG JW 1906 791); also nicht Erde, Torf, Steine, Sand (RGSt. 39 22, 23). Von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu unterscheiden sind forstwirtschaftliche Erzeugnisse, die in § 308 nicht mit aufgeführt und deshalb nur über Tatbestandsmerkmale wie Brenn- oder Baumaterialvorräte zu erfassen sind (RG JW 1937 997). Ohne Bedeutung ist, ob bei Hervorbringen der Bodenprodukte eine menschliche Tätigkeit mitgewirkt hat oder nicht. Hiernach sind zu den landwirtschaftlichen Erzeugnissen alle Feld- (ζ. B. Rüben — RG GA 40 [1892] 326), Wiesen- und Gartenfrüchte zu rechnen, insbesondere auch Heu und Stroh (RGSt. 8 233 ; 35 285) oder Rohr (RGSt. 27 14). Landwirtschaftliche Erzeugnisse verlieren diese Eigenschaft, wenn durch Verarbeitung oder sonstige Verwendung eine Veränderung ihrer Substanz eingetreten ist (RGSt. 39 22, 23 f; RG JW 1906 791). Infolgedessen ist ein Düngerhaufen kein landwirtschaftliches Erzeugnis (RG Rspr. 2 82). Dagegen behält Baumwolle, auch wenn sie bereits in den Handelsverkehr übergegangen und damit zur Ware geworden ist, den Charakter eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses, solange sie nicht verarbeitet ist (RGSt. 39 22,25; vgl. auch RG JW1906 791). Das hat Bedeutung deshalb, weil der Schutz durch § 308 für Vorräte landwirtschaftlicher Erzeugnisse weiter geht als für Warenvorräte (vgl. Rdn. 12).

10

Als Baumaterialien werden nicht allein die zur Errichtung eines Bauwerks selbst benutzten Stoffe, sondern auch Gerüst- und Schalbretter, zum Abstützen verwendete Balken, Bretter eines Bauzauns und ähnliches zu verstehen sein. Auch ein Stapel von zugeschnittenen Brettern und Balken, aus denen das Gerüst einer Jahrmarktbude zusammengesetzt werden kann, kann hierher zu zählen sein (RGSt. 73 204, 206). 11 Brennmaterialien sind ζ. B. Heizöl, Erdgas, Kohle, Holz (RG JW 1937 997), Torf; aber auch ein zur Erzeugung von Holzkohle errichteter Holzstoß (RGSt. 62 28). 1

2

RGSt. 10 186; 28 39; 51 282, 285; 62 28; Dreher/ Tröndle Rdn. 6; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 6. RGSt. 8 233; 10 186, 188; 51 282, 285; 62 28; RG

JW 1937 997; Dreher/Tröndle der/Cramer Rdn. 6.

Stand: 1. 9. 1992

Rdn. 6;

Sch/Schrö-

(104)

Brandstiftung

§ 308

Vorräte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und von Bau- und Brennmateria- 12 lien sind im Gegensatz zu den Warenvorräten überall, auch auf dem Transport, geschützt (RGSt. 10 186, 187). 7. Früchte auf dem Felde. Damit sind im Rahmen der Feldwirtschaft angebaute 13 oder ohne Feldbau wachsende, aber landwirtschaftlich genutzte Pflanzen und Pflanzenteile gemeint (nach RG JW 1929 780 auch Fichten), nicht sonstige Bodenbestandteile wie Torf. Einen besonderen wirtschaftlichen Nutzen oder Wert brauchen die Früchte auf dem Felde nicht zu haben (RG GA 52 [1905] 398). Ebensowenig muß ein Vorrat gegeben sein; es genügen deshalb schon geringe Mengen (aA Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 7); doch reicht es beispielsweise keinesfalls, wenn eine Handvoll Ähren verbrannt wird (offengelassen in RG GA 49 [1902] 140, 141). Unter anderem in dieser Entscheidung ist besonders darauf hingewiesen, daß dem Gesetz der Gedanke zugrunde liegt, mit der Inbrandsetzung bestimmter Gegenstände, darunter der Früchte auf dem Felde, gehe die Vermutung gemeiner Gefahr einher, die den gegenüber §§ 303 ff strengeren Strafrahmen rechtfertige. Danach gehören Grasstoppeln, die beim Abmähen einer Wiese zurückgeblieben sind, zu den Früchten auf dem Felde (RGSt. 38 140); ebenso wildwachsendes Gras und Wiesengras (RG JW 1928 2464; OLG Celle NdsRpfl. 1952 57,58; vgl. aber auch RG JW 1929 780). - Die Früchte auf dem Felde verlieren diese ihre Eigenschaft nicht bereits mit der Trennung vom Boden. Die Eigenschaft bleibt so lange bestehen, als sich die landwirtschaftlichen Produkte noch auf dem Feld befinden und dort nicht zur Aufbewahrung auf längere Zeit aufgestapelt sind (RG GA 49 [1902] 140; BayObLG JW 1930 2970). Entscheidend ist, ob die Feldfrüchte abgeerntet (eingeheimst) sind (RGSt. 5 385, 386 f; 9 163). Sind sie es, so handelt es sich um landwirtschaftliche Erzeugnisse. 8. Waldungen. Waldung bedeutet dasselbe wie Wald. Für einen solchen ist kenn- 14 zeichnend — und damit erforderlich — eine erhebliche, zusammenhängende, ganz oder zum größten Teil mit Bäumen bestandene Bodenfläche. Jedoch gehören zum Wald nicht nur hochstämmige Bäume, sondern auch das zwischen diesen stehende Unterholz und der übrige Pflanzenwuchs (RG DJ 1934 913), gleichfalls das abgefallene Laub (RGSt. 6 22). Der Bundesgerichtshof hat diese vom Reichsgericht entwikkelte Begriffsbestimmung übernommen und zu Recht nicht an das Bundeswaldgesetz vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037), geändert durch das 1. Änderungsgesetz vom 27. Juli 1984 (BGBl. I S. 1034), angeknüpft (BGHSt. 31 83). Eine Reihe einzeln stehender Waldbäume ist noch kein Wald (RGSt. 9 381; RG DJ 1934 913); ebensowenig eine mit Walderzeugnissen (wie Buschwerk, Gras, Moos, Laub), aber nicht mit Bäumen bedeckte Grundfläche 3 . Der Wald kann durch Menschenhand oder auf natürliche Weise entstanden sein. Meist wird er der Holznutzung dienen, muß dies aber nicht (RGSt. 9 381). Vollendet ist das Delikt, wenn die Waldung in Brand gesetzt ist. Werden Walderzeugnisse angesteckt, ist Vollendung dann gegeben, wenn sich das Feuer ohne weiteren Zündstoff auf Unterholz und Hochstämme ausdehnen kann (RGSt. 6 22; enger Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; offengelassen in BGHSt. 31 83). Unter dieser Voraussetzung kann das Anzünden von Laub genügen (vgl. RGSt. 2 314; weitergehend wohl RG Rspr. 3 59, 60f). Ist allein dürres abgebrochenes Holz in Brand gesetzt worden und das Feuer erloschen, ohne daß Unterholz oder Baumstämme in Brand geraten sind, scheidet § 308 als vollendetes Delikt aus (RG JW 1935 532). 3

In diesem Sinne könnte die Begriffsbestimmung in RGSt. 9 381,382 verstanden werden; so weitge-

(105)

hend Otshausen Anm. 3 h; dagegen BGHSt. 31 83; einschränkend bereits Frank Anm. II 8.

Hagen W o l f f

§ 308

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

15

9. Torfmoore. Das Moor kann stellenweise mit Heide bewachsen sein; in diesem Falle ist zugleich der Begriff Früchte auf dem Felde erfüllt (RG H R R 1939 Nr. 474).

16

10. Alternative Einordnung unter gleichwertige Tatgegenstände ist möglich (Zweifel bei Schroeder Der Irrtum über Tatbestandsalternativen, GA 1979 321, 326). So sind gleichwertig Gebäude und Hütte (RG LZ 1916 Sp. 246), Vorrat von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Vorrat von Baumaterialien (RGSt. 35 285, 287; aA Wolter Grundfälle zu „in dubio pro reo" und Wahlfeststellung, JuS 1984 606, 609); als gleichwertig sind auch behandelt worden eine Hütte und ein Vorrat von Baumaterialien (RGSt. 73 204, 206); Früchte auf dem Felde und Torfmoor (RG H R R 1939 Nr. 474).

17

IV. Unmittelbare Brandstiftung. Die genannten Gegenstände sind als fremdes Eigentum ohne Einschränkung gegen Inbrandsetzung geschützt. Fremdes Eigentum sind sie, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters stehen (RGSt. 11 345, 348 ff). Fremdes Eigentum besteht daher auch, wenn der Täter lediglich Miteigentümer oder Gesamthandsberechtigter ist. Für die Eigentumslage ist dabei das bürgerliche Recht ausschlaggebend; es ist also nicht auf davon eventuell abweichendes wirtschaftliches Eigentum abzustellen (vgl. auch BGH StV 1988 472 und BGHR StGB § 308 Abs. 2 minder schwerer Fall 1).

18

V. Mittelbare Brandstiftung. Bei der mittelbaren Brandstiftung ist entscheidend die durch die Beschaffenheit und Lage der Tatgegenstände bedingt abstrakte Gefahr der Feuerübertragung. Entgegen dem Gesetzeswortlaut („oder zwar Eigentum des Täters sind") ist kein Tatbestandsmerkmal, daß die in Brand gesetzten Gegenstände dem Täter zu Eigentum gehören (RG DJ 1940 549), die Bestimmung ist vielmehr auch ζ. B. auf herrenlose Sachen zu beziehen 4 . 19 Die Gegenstände müssen ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sein, das Feuer auf eines der Schutzobjekte des § 306 oder auf die Tatgegenstände des § 308, soweit sie in fremdem Eigentum stehen, zu übertragen (BGHR StGB § 308 Abs. 1 Eignung 1). Beschaffenheit und Lage müssen zusammentreffen; eines allein genügt nicht. Dabei kommt es auf die abstrakte, nicht die konkrete Gefahr der Feuerübertragung an 5 . Deshalb ist die zur Zeit des Brandes herrschende Windrichtung ζ. B. ohne Bedeutung 6 . Diese Gefahr ist vom in Brand gesetzten Objekt her zu beurteilen, nicht von den benachbarten Gegenständen aus zu sehen 7 . Dabei ist der Standpunkt eines vorausschauenden objektiven Betrachters zugrunde zu legen 8 , eine rückschauende Betrachtungsweise ist unzulässig. 4

5

6

RG GA 41 (1893) 33; RG JW 1933 924 Nr. 33; Dreher/Tröndle Nr. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13, 14; Blei II § 86 IV; Haft BT S. 263 Anm. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 III 2; Schmidhäuser BT 15/7; Wessels BT 1 S. 202, 205; Zweifel bei Lackner Rdn. 4; Krey BT I Rdn. 756; a.M. Horn SK Rdn. 6; Geppert Jura 1989473,478. BGH NJW 1951 726; Dreher/Tröndle Rdn. 3; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13 a; Krey BT I Rdn. 757; Wessels BT 1 S. 202; Geppert Jura 1989 473,479; teilweise anders Arzt/ Weber II Rdn. 175 f; Schröder Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte? JZ1967 522, 524 f. RG JW 1928 412; RG JW 1929 2736; RG JW 1930 924 Nr. 31; RG JW 1934 171; Horn SK Rdn. 7;

7

8

Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13 a; Arzt/Weber II Rdn. 175f; Blei II § 86 IV; Krey BT I Rdn. 757; Otto BT S. 368; Maurach/ Schröder/Maiwald BT § 51 III 2; Geppert Jura 1989 473, 479; Schröder Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1969) 7,19,21 f. BGH NJW 1951 726; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 III 2; Wessels BT 1 S. 202; Gallas Heinitz-Festschrift S. 171, 183; aA Horn SK Rdn. 7; Arzt/Weber II Rdn. 175 f; Blei II § 86 IV; vgl. auch Schröder Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte? JZ 1967 522, 524 f u. die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1969) 7, 19, 21 f. RG JW 1928 412; RG JW 1934 171; OLG Celle NdsRpfl. 1952 57,58.

Stand: 1. 9. 1992

(106)

Brandstiftung

§ 308

Fehlt es an einer derartigen Gefahr für die im Gesetz bezeichneten Räumlichkei- 20 ten und Gegenstände, so ist das Inbrandsetzen eigener Gebäude, Hütten, Schiffe usw. im Sinne des § 308 straflos. Stiftet der Eigentümer einen anderen zur Brandlegung an einem möglichen Tatgegenstand des § 308 an und besteht keine Gefahr, wie sie die mittelbare Brandstiftung erfordert, bleiben beide straflos; für den Täter liegt zwar eine fremde Sache vor, so daß unmittelbare Brandstiftung in Betracht kommt, doch wirkt die Einwilligung des Eigentümers für ihn rechtfertigend 9 . Ist in diesem Falle die Gefahr für fremde Gegenstände oder Räumlichkeiten nach § 306 zu bejahen, so ist auch der Täter wegen mittelbarer Brandstiftung zu bestrafen, weil es, wie erwähnt (Rdn. 18), nicht darauf ankommt, daß er Eigentümer des Tatgegenstandes ist (RG DJ 1940 549; OLG Celle NdsRpfl. 1952 57). - Willigen bei der mittelbaren Brandstiftung der oder die Eigentümer der gefährdeten Sachen ein, so ist, wenn nicht Räumlichkeiten im Sinne von § 306 Nr. 1 bis 3 in Frage stehen, gleichfalls Rechtfertigung anzunehmen 1 0 . VI. Subjektiv muß Vorsatz gegeben sein. Bedingter Vorsatz genügt (RGSt. 6 22, 21 23). Dabei muß der Täter im ersten Fall des § 308 wissen, daß die in Brand gesetzte Sache fremdes Eigentum ist. Hält er sie irrtümlich für seine eigene, kommt, wenn auch mittelbare Brandstiftung ausscheidet, nur fahrlässige Brandstiftung in Frage (RG DJ 1940 549). — Der Vorsatz, eine Waldung in Brand zu setzen, ist nicht vorhanden, wenn der Täter nur einen einzelnen Strauch oder Baum anzünden will (RGSt. 6 22, 23; BGHSt. 18 363, 365). Im zweiten Fall des § 308 muß der Täter wissen, daß die in Brand gesetzte Sache 22 nach Lage und Beschaffenheit geeignet ist, das Feuer den im Gesetz genannten Räumlichkeiten und Gegenständen mitzuteilen. Da es, wie dargelegt (Rdn. 19), auf die abstrakte Gefahr ankommt, braucht der Täter auch allein die abstrakte Eignung zur Feuerübertragung zu kennen. Deshalb ist der Vorsatz nicht ausgeschlossen, wenn sich der Täter bereits beim Inbrandsetzen vorgenommen hat, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen gegen eine Weiterverbreitung des Feuers zu treffen, dies auch tut und daher glaubt, die konkrete Gefahr der Feuerausdehnung gebannt zu h a b e n " . Fehlt die Kenntnis von der erwähnten Eignung, kommt fahrlässige Brandstiftung in Betracht. Der Irrtum über die Eigentumslage ist ohne Bedeutung, wenn der in Brand gesetz- 2 3 te Gegenstand geeignet ist, das Feuer im Sinne der mittelbaren Brandstiftung weiterzugeben (RG DJ 1940 549; aA ζ. B. Schittenhelm Probleme der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung nach § 326 StGB, GA 1983 310, 315). Ein Irrtum des Täters über die Einwilligung des Eigentümers schließt die Bestrafung im ersten Falle des § 308 aus, dagegen nicht im zweiten Fall, sofern die Brandstiftung durch den Eigentümer gleichfalls strafbar wäre (RG GA 73 [1928] 175). Ein Irrtum bezüglich der in § 308 aufgezählten Gegenstände ist unerheblich, wenn sie — wie ζ. B. bei einem Vorrat von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder von Baumaterialien — gleichwertig sind 12 .

9

RGSt. 12 138; RG GA 41 (1893) 33; BGH wistra 1986 172; BGHR StGB § 308 Abs. 1 Fremdeigentum 1; BGH NJW 1990 584, 586; BGH, Urt. v. 9. Jan. 1953 - 1 StR 652/52; Dreher/Tröndle Rdn. 2; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 14a; Arzt/Weber II Rdn. 173; Otto BT S. 368; Wessels BT 1 S. 205; Geppert Jura 1989 473, 478; vgl. zur Einwilligung als Rechtferti-

(107)

10

11

12

gungsgrund bei der unmittelbaren Brandstiftung auch RGSt. 11 345,348. Sch/Schröder/Cramer Rdn. 14a; Arzt/Weber II Rdn. 173 Anm. 24; Wessels BT 1 S. 205. Dreher/Tröndle Rdn. 11; Horn SIC Rdn. 7; Lackner Rdn. 4; aA OLG Celle NdsRpfl. 1952 57, 58. RGSt. 35 285; Dreher/Tröndle Rdn. 11; Ophausen Anm. 7.

Hagen Wolff

§ 308

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

24

VII. Für minder schwere Fälle sieht Absatz 2 einen milderen Strafrahmen vor. Ein minder schwerer Fall kann gegeben sein, wenn die Voraussetzungen von § 21 ausgefüllt sind (BGH StV 1982 58). Zu weiteren Beispielen einer Milderungsmöglichkeit vergleiche BGH StV 1988 472, 473 und B G H R StGB § 308 Abs. 2 minder schwerer Fall 1 (s. dazu auch Frisch über die „Bewertungsrichtung" von Strafzumessungstatsachen, GA 1989 338, 362 f)· Zu den Fragen, wann in einem Strafurteil erörtert werden muß, ob ein minder schwerer Fall des § 308 vorliegt und welche Wertungsgesichtspunkte dafür zu berücksichtigen sind, vergleiche BGH GA 1987 226 und BGH GA 1984 374. — Zur tätigen Reue vergleiche § 310.

25

VIII. Konkurrenzen. 1. Unmittelbare Brandstiftung: Tateinheit ist möglich mit § 265 (RGSt. 60 129; BGH JR 1977 390); mit § 222 (BGHSt. 23 60, 64); § 304; §§ 306, 307, wenn Tatobjekte nach § 306 und § 308 Abs. 1 1. Altern, zugleich in Brand gesetzt werden 1 3 ; § 309; § 311 (BGH, Urt. v. 6. Juni 1973 - 2 StR 535/72). Dagegen treten die §§ 303 und 305 zurück, soweit es um den inbrandgesetzten Gegenstand geht; anders, wenn der angezündete Gegenstand, ζ. B. eine Baubude (Hütte) andere Dinge, nämlich das darin aufbewahrte Arbeitsgerät, umschließt, dann ist Idealkonkurrenz gegeben (RG JW1935 2372). §§ 125, 125 a werden verdrängt, sofern nicht § 308 Abs. 2 eingreift. — Zum Verhältnis zu § 310 a vergleiche dort.

26

2. Mittelbare Brandstiftung: Idealkonkurrenz ist denkbar mit § 265 (RGSt. 60 129); §§ 303, 304; § 305 (RGSt. 57 294, 296); mit § 311. Tateinheit zwischen § 306 und mittelbarer Brandstiftung ist gegeben, wenn durch dieselbe Handlung mehrere Gegenstände vorsätzlich in Brand gesetzt werden, von denen die einen zu den in § 306, die anderen zu den in § 308 Abs. 1 2. Altern, bezeichneten gehören 14 . Setzt der Täter dagegen ein unbewohntes Gebäude in Brand, um dadurch den Brand eines weiteren, bewohnten Gebäudes zu erreichen, so tritt § 308 Abs. 1 2. Altern, als Gefährdungsdelikt gegenüber dem § 306 Nr. 2 als Verletzungsdelikt zurück; je nachdem, ob der gewollte Erfolg eintritt oder nicht, ist § 306 dabei vollendet oder nur versucht (RG JW 1938 505). §§ 125, 125 a werden verdrängt, soweit nicht § 308 Abs. 2 eingreift. — Vergleiche außerdem bei § 310 a.

27

3. Für Idealkonkurrenz zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Brandstiftung Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13, 21. Doch dürften Überschneidungen der Alternativen des § 308 Abs. 1 kaum in Betracht kommen (ablehnend auch Wessels BT 1 S. 205). — § 308 wird teilweise durch Landesrecht ergänzt (vgl. § 14 Abs. 2 Bundeswaldgesetz und z.B. KG NJW 1976 1465).

28

IX. Nach § 321 (vgl. dort) ist die Anordnung von Führungsaufsicht möglich.

13

RGSt. 64 272, 279; RG JW 1929 2736; RG Recht 1930 Nr. 2118; BGH StV 1984 246; BGHR StGB § 308 Abs. 1 Konkurrenzen 1.

14

RGSt. 64 273, 279; RG JW 1929 2736; RG HRR 1930 Nr. 1296; R G Recht 1930 Nr. 2118; BGH, Urt. v. 30. Nov. 1965 - 1 StR 342/65; BGH, Beschl. v. 11. März 1 9 8 7 - 2 StR 63/87.

Stand: 1. 9. 1992

08)

Fahrlässige Brandstiftung

§ 309

§ 309 Fahrlässige Brandstiftung Wer einen Brand der in den §§ 306 und 308 bezeichneten Art fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn durch den Brand der Tod eines Menschen verursacht wird, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum siehe bei § 306. Entstehungsgeschichte Die fahrlässige Brandstiftung war unter sachlich gleichen Voraussetzungen wie heute bereits in § 309 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RGBl. 1871 S. 127,187) unter Strafe gestellt; allerdings waren die angedrohten Strafen Gefängnis bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundert Thalern, im Qualifikationsfall Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren. Die Strafrahmen sind durch § 6 b des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549, 550) verschärft worden. Die geltende Fassung beruht auf Art. 4, 5 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) und Art. 19 Nr. 167 EGStGB 1974, mit dem zugleich die Strafschärfung teilweise wieder zurückgenommen worden ist. I. Der äußere Tatbestand der fahrlässigen Brandstiftung ist erfüllt, wenn eines der 1 in § 306 oder § 308 — trotz des gesetzlichen Wortlautes „ u n d " (OLG Braunschweig NdsRpfl. 1963 138) — angeführten Objekte (vgl. bei diesen Bestimmungen) in Brand gesetzt wird. Ist keiner dieser Räume oder Gegenstände Objekt der Tat, so liegt nur (straflose) fahrlässige Sachbeschädigung vor {Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 IV 1). Der Ausdruck „einen Brand . . . verursacht" in § 309 hat dieselbe Bedeutung wie 2 „in Brand setzt" in den §§ 306, 308 (RGSt. 4 22, 23; 7 131, 132; BGH, Beschl. v. 11. Febr. 1982 — 4 StR 18/82). In allen diesen Fällen ist erforderlich, daß der vom Feuer ergriffene Gegenstand auch nach Entfernen oder Erlöschen des Zündstoffs selbständig weiterbrennen kann (vgl. näher § 306 Rdn. 2). Es kommt also auf Verursachung an (BayObLGSt. 1959 175). Der Täter braucht jedoch für den Brand nicht die alleinige Ursache gesetzt zu haben (RGSt. 6 146); selbst das vorsätzliche Handeln eines Dritten, das dazwischen tritt, unterbricht den Ursachenzusammenhang nicht (RGSt. 61 318). Bewirkt jemand aber durch ein vor dem Brandausbruch liegendes Verhalten — z.B. eine bestimmte Baumaßnahme —, daß ein dann nicht von ihm fahrlässig hervorgerufener Brand eine stärkere Wirkung erhält, als es ohne sein Verhalten geschehen wäre, so ist dieses Handeln für den Brand nicht ursächlich geworden, § 309 ist nicht anwendbar (BayObLGSt. 1959 175). Tatbestandserfüllung durch Unterlassen ist möglich, wozu zunächst auf § 306 3 Rdn. 2 verwiesen sei (s. aber auch z. B. Horn SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2). Eine Pflicht, eine sorglos aufgestellte Kerze nicht unbeaufsichtigt brennen zu lassen, kann ζ. B. auch dann bestehen, wenn der Täter die Kerze nicht selber angezündet hat (BayObLG NJW 1990 3032). Dagegen wird eine Verpflichtung eines Einbrechers, seinen Mittäter an achtlosem Fortwerfen von zum Leuchten benutzten, brennenden Streichhölzern zu hindern, zu verneinen sein (OLG Schleswig NStZ 1982 166). Weiter trifft den Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebs die Pflicht, zur Selbstentzündung neigende Ernteerzeugnisse wie Heu nach Einlagerung auf zu star(109)

Hagen Wolff

§ 309

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

ke Erwärmung zu kontrollieren (BayObLGSt. 1978 45). — Zu bei fahrlässiger Brandstiftung durch Unterlassen auftretenden Kausalitätsproblemen vergleiche RGSt. 75 49 und BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 2. — Zu beachten ist, daß ein fahrlässig hervorgerufener Brand für den Täter eine Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährdenden Tun zur Folge haben kann; unterläßt der Täter dann mögliche und erfolgversprechende Löschmaßnahmen, kann ihm eine vorsätzliche Brandstiftung vorzuwerfen sein 1 . 4

II. Für die Fahrlässigkeit gelten die allgemeinen Grundsätze. Sie muß auch nicht notwendig auf die Inbrandsetzung, sondern kann sich auch auf andere Objekte Tatbestandsmerkmale des § 306 oder des § 308 beziehen. — Als Beispiele für fahrlässige Brandstiftung seien erwähnt: Anfertigung eines Bauplans unter Vorschreiben eines nicht feuerfesten Baumaterials, ohne daß die nötige Ummauerung von Rauchrohren vorgesehen ist (BayObLGSt. 1958 217); Verlegung eines Holzbalkens in der Nähe eines Rauchrohrs bei Errichtung eines Hauses (RGSt. 9 152); der Bau und das Beziehenlassen einer feuergefährdeten Dachwohnung (RGSt. 61 318); Schweißen ohne ausreichende Sicherungsmaßnahmen (AG Köln BB 1957 1018); zu sachgemäßem Schweißen gehört, daß bei Schweißarbeiten in der Nähe von Fachwerkbalken die gefährdeten Stellen nach Beendigung der Arbeiten so lange beobachtet werden, bis an ihnen eine Übertemperatur nicht mehr wahrgenommen werden kann (BGH, Urt. v. 14. Nov. 1973 — 2 StR 275/73); unsachgemäßes Abfüllen von Treibstoff aus einem Großtank durch den Fahrer eines Tanklastzuges und das Gewährenlassen durch den Betriebsinhaber des Tanklagers (vgl. BGH NJW 1977 2264); das Deklarieren von Phosphor, der per Schiff versandt werden soll, als ungefährliche Ladung, so daß die Behälter ohne besondere Sicherungsmaßnahmen verstaut werden (RG Recht 1924 Nr. 719); Selbstentzündung eines Heustocks bei fehlender Prüfung drohender Überhitzung (BayObLGSt. 1978 45); Verbrennen von Unkraut auf einem von Wald umgebenen Acker, auch wenn nach Waldschutzvorschriften zu beachtende Abstände eingehalten sind (BGH LM StGB § 309 Nr. 1; vgl. auch BGHSt. 31 83); Umgang mit offenem Feuer in der Nähe von leicht brennbaren Flüssigkeiten oder Gegenständen (RGSt. 40 321; RG Rspr. 4 428; KG JW 1932 2047); Umgang mit offenem Feuer in einem Pferdestall (RG HRR 1939 Nr. 1560) oder auf dem Heuboden einer Scheune (BGH NStZ 1989 431); das Verbringen von leicht brennbaren Dingen in die Nähe eines geheizten Ofens (RG Rspr. 4 72); unbeaufsichtigtes Brennenlassen eines elektrischen Heizofens in einem Büroraum (OLG Hamburg NJW 1953 117) oder einer Kerze in dem Wohnzimmer eines Wochenendhauses (BayObLG NJW 1990 3032); achtloses Fortwerfen eines brennenden Streichholzes (RG GA 40 [1892] 326; OLG Schleswig NStZ 1982 116); Liegenlassen einer brennenden Zigarette (vgl. BGH, Beschl. v. 7. Okt. 1986 — 1 StR 523/86) oder unsorgfältiges Ausdrücken einer Zigarette (BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 2); unter Umständen der Verkauf von Streichhölzern an kleine Kinder (RGSt. 76 1,2). — Die Verletzung von feuerpolizeilichen Vorschriften (RGSt. 76 1) oder Unfall Verhütungsvorschriften (BayObLG OLGSt. Bd. 2 § 309 Nr. 1) begründet für sich allein den Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht (mißverständlich OLG Oldenburg NdsRpfl. 1956 207).

5

III. Eine Qualifizierung bedeutet es, wenn durch den fahrlässig hervorgerufenen Brand, also den durch die Inbrandsetzung eines der in §§ 306, 308 aufgezählten Tat1

RGSt. 60 77; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 2; vgl. näher Klussmann MDR 1974 187; auch Dreher/Tröndie Rdn. 3; Wessels BT 1 S. 206; ab-

lehnend Maurach/Schroeder/Maiwald 1; Geppert Jura 1989417,423.

Stand: 1. 9. 1992

BT § 51 IV

(110)

Tätige Reue

§310

gegenstände herbeigeführten Erfolg (RGSt. 40 321, 323), der Tod eines Menschen verursacht worden ist und den Täter auch insoweit (§ 18) der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft. Der Tod des Menschen muß spezifische, unmittelbare Folge des Brandes sein; ist dies nicht der Fall, kann neben fahrlässige Brandstiftung fahrlässige Tötung nach § 222 StGB treten (s. insbes. BGH NStZ 1989 431 = JZ 1990 763 m.Anm. Eue und Küpper JuS 1990 184, 185 f). Dabei ist es, sofern es zu einem Brand kommt, gleichgültig, in welcher Phase des Inbrandgeratens eines der Tatgegenstände des § 306 oder § 308 die Ursache für den Tod eines Menschen gesetzt worden ist2. Bleibt ein Brand aus, so ist § 309 unanwendbar; es kommt lediglich fahrlässige Tötung in Betracht. Der erforderliche Kausalzusammenhang liegt vor, wenn der Getötete ein brennendes Gebäude bereits verlassen hatte, aber wieder zurückgekehrt war, um Sachen oder andere Personen zu retten, und dabei umgekommen ist (RGSt. 5 202). Die Frage ist hier also infolge der abweichenden Tatbestandsfassung anders zu entscheiden als im Rahmen des § 307 Nr. 1 (vgl. dort Rdn. 4). IV. Konkurrenzen. Setzt der Täter durch eine Handlung mehrere unter § 306 oder 6 § 308 fallende Gegenstände in Brand und handelt er teils vorsätzlich, teils fahrlässig, so ist Tateinheit zwischen § 309 und § 306 oder § 308 (in beiden Alternativen) möglich (RG H R R 1930 Nr. 1296); Tateinheit ist ebenfalls mit § 303 denkbar (RGSt. 54 1). § 222 tritt gegenüber dem qualifizierten Fall des § 309 zurück (BGH bei Holtz MDR 1988 1001, 1003; BGH NStZ 1989 431). Zum Verhältnis zu § 310a vergleiche dort. V. Zum Beginn der Verjährung bei der fahrlässigen Brandstiftung vergleiche bei 7 § 78 a.

§310 Tätige Reue Hat der Täter den Brand, bevor derselbe entdeckt und ein weiterer als der durch die bloße Instandsetzung bewirkte Schaden entstanden war, wieder gelöscht, so wird er nicht wegen Brandstiftung bestraft. Schrifttum siehe bei § 306. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift endet in der Fassung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 (RGBl. 1871 S. 127, 187) mit dem Halbsatz: „so tritt Straflosigkeit ein". Dieser Halbsatz ist mit Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839, 841) durch den noch heute geltenden Halbsatz ersetzt worden, um klarzustellen, daß § 310 auf die Strafbarkeit nach dem mit diesem Gesetz in das StGB eingefügten § 310 a ohne Einfluß bleibt. Die Überschrift geht auf Art. 19 Nr. 207 EGStGB 1974 zurück. I. § 310 tritt neben die allgemeinen Rücktrittsvorschriften (vgl. §§ 24, 31) und bie- 1 tet dem Täter unter bestimmten Voraussetzungen Straflosigkeit bei vollendetem De2

RG JW 1903 355; Horn SK Rdn. 8; anders RGSt. 40 321; dagegen aber BGHSt. 7 37; wie RGSt. 40

(111)

321 Dreher/Tröndle Rdn. 4; Maiwald BT § 51 IV 4.

Hagen W o l f f

Maurach/Schroeder/

§310

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

likt (RGSt. 40 321, 323 f)· Es handelt sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund; dieser wirkt bei mehreren Tatbeteiligten also nur für den Täter oder Teilnehmer, der mit gelöscht hat. § 310 gilt sowohl für die vorsätzliche als auch für die fahrlässige (RGSt. 19 394, 395; OLG Hamburg NJW 1953 117; OLG Hamm NJW 1963 1561) Brandstiftung. Aus der eingang erwähnten Entstehungsgeschichte folgt, daß § 310 auf die Strafbarkeit nach § 310 a ohne Einfluß ist1 und ein mit der Brandstiftung begangenes weiteres Delikt trotz tätiger Reue strafbar bleibt; so ζ. B. Versicherungsbetrug 2 oder Sachbeschädigung. Allerdings ist zu beachten, daß dann, wenn bezüglich der Brandstiftung § 310 eingreift, bei den bestehenbleibenden Nebentatbeständen § 24 anwendbar sein kann (s. auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 V 6). 2

II. Vorausetzung für die Anwendbarkeit des § 310 ist, daß drei verschiedene Merkmale zusammentreffen: 1. Der Brand darf noch nicht entdeckt sein, mag sich der Täter auch bereits entdeckt fühlen, 2. darfein weiterer als der durch die Inbrandsetzung hervorgerufene Schaden noch nicht entstanden sein, 3. muß der Täter den Brand gelöscht haben.

3

1. Der Brand ist entdeckt, wenn ein unbeteiligter Dritter, von dem eine Verhinderung der Tat oder eine Anzeige zu erwarten ist, ihn ohne Zutun des Täters wahrnimmt (RGSt. 1 375, 377; RG GA 39 [1891] 330, 331; BGH Urt. v. 14. März 1972 - 5 StR 18/72). Unbeteiligt ist der Dritte, wenn er weder Teilnehmer noch Mitwisser ist (RGSt. 1 375,377). Zur Entdeckung genügt nicht bereits das Wahrnehmen des Feuerscheins oder der Rauchentwicklung (RG H R R 1930 Nr. 847; anders möglicherweise RG GA 39 [1891] 330, 331) durch einen Dritten; andererseits ist nicht erforderlich, daß die Brandstiftung entdeckt ist (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 3). Zieht der Täter dritte Personen zum Löschen hinzu, so bedeutet das nicht, daß der Brand damit durch diese Personen im Sinne der Bestimmung entdeckt ist (RGSt. 1 375, 377; OLG Hamm NJW 1963 1561, 1562). — Fühlt sich der Täter nicht entdeckt und löscht den Brand erfolgreich, so kommt ihm der Strafaufhebungsgrund ebenfalls zugute, auch wenn er durch einen Außenstehenden beobachtet worden war; durch diese mögliche ausdehnende Auslegung der Bestimmung werden unbillige Ergebnisse vermieden 3 . Hat der Täter vor der Entdeckung des Brandes durch einen Dritten bereits mit Löschen begonnen und führt das dann unter Mithilfe des hinzukommenden Dritten fortgesetzte Bekämpfen des Feuers zum Erfolg, so kommt dem Täter § 310 zugute (RG H R R 1930 Nr. 847).

4

2. Für den Begriff des weiteren Schadens, der Sach- und Personenschaden umfassen kann (Olshausen Anm. 3 unter Hinweis auf die Motive; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4 b), kommt es darauf an, ob das Feuer einen erheblich größeren Umfang ge1

2

BGH LM StGB § 310 a Nr. 1; OLG Celle NdsRpfl. 1952 57, 58; OLG Schleswig SchlHA 1955 99, 100; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Lackner Rdn. 1; vgl. auch BGH St. 32 152, 157; aA Horn SK § 310a 9, 13; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9, § 310a Rdn. 4; Arzt/Weber II Rdn. 187; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT § 51 V 6; Otto BT S. 371 u. Jura 1986 52; Geppert Jura 1989 473, 481; Vogler Funktion und Grenzen der Gesetzeseinheit, BockelmannFestschrift S. 728. RGSt. 56 95; Dreher/Tröndle Rdn. 5; Horn SK Rdn. 9; Meurer Betrügerische Absicht und Versi-

3

cherungsbetrug (§ 265 StGB) - BGHSt 32, 137, JuS 1985 443, 444; aA Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9; Arzt/Weber II Rdn. 187; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 51 V 6; Geppert Jura 1989 473,482; Otto Jura 1986 52. Mindestens im Ergebnis ebenso: Dreher/Tröndle Rdn. 4; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 3; Arzt/Weber II Rdn. 186; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 51 V 3 ; Otto BTS. 371 u. Jura 1986 52; Schmidhäuser BT 15/9; Geppert Jura 1989 473,481; aA RGSt. 1375,377.

Stand: 1. 9. 1992

(112)

Tätige Reue

§310

wonnen hat, als zum selbständigen Weiterbrennen erforderlich war. Es darf also nicht nach dem Zeitpunkt, in dem die vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung vollendet war, das Feuer weiter um sich gegriffen und hierdurch Schaden angerichtet haben, der nach den Umständen des Falles als erheblich anzusehen ist 4 , soll § 310 anwendbar sein. Es genügt, wenn der weitere Schaden im selben Raum entsteht, in dem sich der Brandherd befindet (OLG Hamburg N J W 1 9 5 3 117). Der durch das Löschen verursachte Schaden ist ohne Belang (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4d). Kommt es, wie ζ. B. bei § 306 Nr. 2, auf das Inbrandsetzen eines Gebäudes an, so bleibt bei der Beurteilung, ob ein weiterer Schaden eingetreten ist, außer Betracht, ob und welche Einrichtungsgegenstände verbrannt sind (RGSt. 57 294, 295). Cramer (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4) ist darin zuzustimmen, daß es für die Erheblichkeit des weiteren Schadens nicht immer auf die wirtschaftliche Bedeutung ankommt; denn z.B. bei § 308 sind Tatgegenstände erfaßt, die nicht notwendig einen besonderen wirtschaftlichen Wert verkörpern müssen. Bei der mittelbaren Brandstiftung nach § 308 genügt, daß der weitere Schaden an den eigenen Sachen des Täters entstanden ist, um die Anwendbarkeit von § 310 auszuschließen 5 . Das Oberlandesgericht Oldenburg (NJW 1969 1778) hat dies zu Recht aus dem Umstand gefolgert, daß es sich bei § 308 Abs. 1 2. Altern, um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. — Bei der Frage, ob ein erheblicher weiterer Schaden eingetreten ist, ist dem Tatrichter weitgehende Ermessensfreiheit eingeräumt (RGSt. 57 295 f; OLG Hamburg NJW 1953 117). 3. Der Täter — zu ergänzen ist über den Gesetzeswortlaut hinaus: und Teilnehmer 5 — hat den Brand gelöscht, wenn er das Feuer durch seine eigene Tätigkeit mit Erfolg bekämpft hat. Sein Motiv ist unerheblich; auch Furcht vor Strafe kommt ihm zugute. Nicht erforderlich ist, daß der Täter die Löscharbeiten allein oder überhaupt mit eigener Hand verrichtet 6 . Er bleibt auch dann straflos, wenn er das Feuer mit fremder Hilfe löscht oder wenn er sich darauf beschränkt, rechtzeitig Hilfe anderer zu holen. Das Löschen durch andere Personen muß aber nicht nur auf die Tätigkeit, sondern auch auf den Willen des Täters zurückzuführen sein; dem Vorsatz auf Brandstiftung muß ein auf das Löschen gerichteter Vorsatz gegenübertreten (RG JW 1930 3412). Bei fahrlässiger Brandstiftung braucht der Täter nicht erkannt zu haben, daß er den Brand verschuldet hat, um in den Genuß der Straflosigkeit zu kommen (RGSt. 19 394, 395). Hat der Täter den Entschluß, den Brand zu löschen, nicht ausführen können, weil der Brand von selbst erloschen ist, so soll nach RG JW 1928 508 § 310 nicht anwendbar sein. Doch wird in diesem Falle das freiwillige und ernsthafte Bemühen um das Löschen des Brandes entsprechend § 24 Abs. 1 S. 2 dem Erfolg gleichzustellen sein 7 . Dagegen genügt die bloße Absicht zu löschen nicht, mag sie auch bereits vor Brandlegung vorhanden gewesen sein (RGSt. 18 355; BGHSt. 23 60, 63). Ebensowe4

5

6

RGSt. 1 375, 378; 57 294, 295; BGH, Urt. v. 14. März 1972 - 5 StR 18/72; OLG Hamburg NJW 1953 117; OLG Hamm NJW 1963 1561. Auf das Merkmal der Erheblichkeit verzichten Frank Anm. I und Olshausen Anm. 3; ob damit tatsächlich eine Einschränkung gemeint ist, bleibt zweifelhaft. Dreher/Tröndle Rdn. 2; Lackner Rdn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 V 4; a A Horn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4 c. RGSt. 1 375, 376; 19 394,395; 57 294, 296; R G LZ 1931 Sp 1334; OLG Hamm NJW 1963 1561, 1562; Dreher/Tröndle Rdn. 4; Horn SK Rdn. 3; Lackner

(113)

7

Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 6; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 51 V 2; s. auch OLG Hamm NJW 1963 1561. Dreher/Tröndle Rdn. 4; Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Arzt/Weber II Rdn. 186; Blei II § 86 V 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 51 V 2; Otto BT S. 371; Schmidhäuser BT 15/9; Geppert Jura 1989 473, 481; offengelassen in BGH NStZ 1986 27 mit der Erwägung, daß in dem entschiedenen Fall der Angeklagte die von ihm gewählte Möglichkeit der Brandbekämpfung nicht ausgeschöpft hatte.

Hagen Wolff

§ 310 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

nig reichen ohne Erfolg bleibende Löschversuche (Horn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 5; Bernsmann Kronzeugenregelungen des geltenden Rechts, JZ 1988 539, 542).

§ 310 a Herbeiführen einer Brandgefahr (1) Wer 1. feuergefährdete Betriebe und Anlagen, insbesondere solche, in denen explosive Stoffe, brennbare Flüssigkeiten oder brennbare Gase hergestellt oder gewonnen werden oder sich befinden, sowie Anlagen oder Betriebe der Land- oder Ernährungswirtschaft, in denen sich Getreide, Futter- oder Streumittel, Heu, Stroh, Hanf, Flachs oder andere land- oder ernährungswirtschaftliche Erzeugnisse befinden, 2. Wald-, Heide- oder Moorflächen, bestellte Felder oder Felder, auf denen Getreide, Heu oder Stroh lagert, durch Rauchen, durch Verwenden von offenem Feuer oder Licht oder deren ungenügende Beaufsichtigung, durch Wegwerfen brennender oder glimmender Gegenstände oder in sonstiger Weise in Brandgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Verursacht der Täter die Brandgefahr fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Schrifttum siehe bei § 306. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 7 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 - RGBl. I S. 839, 841 - (vgl. dazu Schäfer DJ 1935 991, 997; Schäfer JW 1935 2478, 2481) in das StGB eingefügt worden und beschränkte sich zunächst auf den Schutz von Wald-, Heide- und Moorflächen bei einer Androhung von Gefängnis bis zu drei Monaten und Geldstrafe oder einer dieser Strafen. Anlaß waren zahlreiche Waldbrände im Jahre 1934 gewesen. Durch Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941 — RGBl. I S. 549, 550 — ist die Bestimmung auf volkswirtschaftlich besonders wichtige, feuergefährdete Betriebe und Anlagen einschließlich landwirtschaftlicher Betriebe und Anlagen ausgedehnt und in der Strafandrohung verschärft worden (s. dazu Schmidt/Leichner DR 1941 2145, 2149 0 · Die heute geltende Fassung beruht auf Art. 4, 5 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) und auf Art. 19 Nr. 168, 207 EGStGB 1974, der eine Milderung des Strafrahmens mit sich gebracht, die Vorschrift sonst aber sachlich nicht geändert hat. 1

I. Geschütztes Rechtsgut ist nach einem Teil der Literatur allein die Sicherheit der Allgemeinheit vor einer Gemeingefahr (so Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1; wohl auch Horn SK Rdn. 2). Bedenkt man die Entstehungsgeschichte und -zeit der Vorschrift, erscheint es jedoch sehr zweifelhaft, ob diese Einschränkung zutrifft und nicht auch der Schutz der Volks- und Ernährungswirtschaft beabsichtigt ist (so Rietzsch in Pfundtner/Neubert Das neue Deutsche Reichsrecht II c 6 S. 169, 183, Anm. 1; Schmidt-Leichner DR 1941 2145, 2149 f)· Stand: 1. 9. 1992

(114)

Herbeiführen einer Brandgefahr

§ 310 a

Bei dem Herbeiführen einer Brandgefahr handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Große praktische Bedeutung hat die Bestimmung nicht erlangt (so auch Martin LM StGB § 310 a Nr. 2). Die in Nummer 2 aufgezählten Gefährdungshandlungen gelten auch für die in Nummer 1 angeführten Schutzobjekte; sie sollten daher redaktionell ausgedrückt werden. II. Die Vorschrift soll für die geschützten Gegenstände den Eintritt einer konkre- 2 ten Brandgefahr verhindern. Das Herbeiführen einer derartigen Brandgefahr ist auf jede Weise — durch Tun oder Unterlassen — möglich; das Gesetz zählt beispielhaft auf: Rauchen, das Verwenden oder die ungenügende Beaufsichtigung von offenem Licht oder Feuer, das Wegwerfen brennender oder glimmender Gegenstände. Ein solches Verhalten ist nicht schlechthin verboten. Vielmehr muß dem Täter nachgewiesen werden, daß er durch seine Handlungsweise eines der geschützten Objekte in eine solche Gefahr gebracht hat, daß nach den obwaltenden Umständen die begründete Besorgnis besteht, es könne ein Brand eintreten (BGH, Urt. v. 2. März 1971 — 5 StR 585/70). Dabei kann die Gefahr allerdings nicht mit denselben Umständen begründet werden, aus denen die Feuergefährlichkeit abgeleitet wird (BGHSt. 5 190, 197). III. 1. Mögliche Tatobjekte sind zum einen feuergefährdete Betriebe und Anlagen. 3 Auch hier zählt das Gesetz Beispiele auf. Danach gehören zu den feuergefährdeten Betrieben solche, die mit Sprengstoffen, Treibstoffen und brennbaren Gasen arbeiten oder sie produzieren; so ein Betrieb, der pyrotechnische Artikel herstellt (RGSt. 77 120 121). Der Bundesgerichtshof (BGHSt. 5 190) hat die gesetzlichen Beispiele dahin verallgemeinert, daß als feuergefährdete Betriebe und Anlagen anzusehen sind, „die deshalb einer erhöhten, d. h. über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Brandgefahr ausgesetzt sind, weil die vorhandenen Erzeugnisse oder Vorräte entweder sich leicht von selbst entzünden oder aber leicht Feuer fangen und, einmal vom Feuer erfaßt, „wie Zunder" brennen (...). Dabei spielen neben dem Grad der Selbstentzündlichkeit oder Feuerempfänglichkeit auch die Menge der Erzeugnisse oder Vorräte und die Art ihrer Lagerung eine Rolle." Daneben sind nach dieser Entscheidung solche Betriebe und Anlagen als feuergefährdet einzustufen, „die wegen anderer ihnen anhaftender Eigenschaften besonders leicht in Brand geraten können (...) oder bei denen wegen solcher Eigenschaften ein einmal ausgebrochener Brand ungewöhnlich schnell um sich greift und deshalb nur selten mit Erfolg bekämpft werden kann". Als mögliche derartige Eigenschaften werden erwähnt: besondere bauliche Beschaffenheit (leichte Holzbauweise ζ. B.) oder gefährliche Produktionsverfahren wie Arbeit mit offenem Feuer oder das Zusammentreffen dieser beiden Gegebenheiten. Jedoch ist nicht jedes in Holz errichtete Gebäude allein deswegen als feuergefährdet anzusehen. Zu den leicht Feuer fangenden Gegenständen gehört ζ. B. nicht gelagertes Grubenholz (KG DJZ 1928 Sp. 1091). Anhaltspunkte können die Maßstäbe von Gewerbeaufsichtsbehörden, Berufsgenossenschaften und Feuerversicherung für feuergefährdete Betriebe geben. Nach Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1 (ebenso Horn SK Rdn. 3 und bereits Rietzsch in Pfundtner/Neubert, Das neue Deutsche Reichsrecht I I c 6 S. 184 Anm. 2) gehören zu den feuergefährdeten Betrieben auch Theater und Kinos (zweifelhaft). — Es genügt, daß ein Teil des Betriebs wie beschrieben feuergefährdet ist, sofern er mit den übrigen Teilen der Gesamtanlage in einem so engen räumlichen Zusammenhang steht, daß ein dort ausgebrochenes Feuer auf die Gesamtanlage übergreifen muß, falls es nicht ausnahmsweise gelingt, das Feuer schon (115)

Hagen Wolff

§ 310 b

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

in Keime zu ersticken (BGHSt. 5 190, 195); anders kann es sein, wenn nur ein verhältnismäßig kleiner und unbedeutender Teil des Betriebs einer erhöhten Brandgefahr ausgesetzt ist. 4

2. Für die geschützten Anlagen oder Betriebe der Land- und Ernährungswirtschaft sowie die in Nummer 2 erfaßten Tatgegenstände kommt es auf eine besondere Feuergefährdung nicht an; auch wenn sie häufig brandgefährdet sein werden. — Zum Begriff landwirtschaftliche Erzeugnisse § 308 Rdn. 9. Zu den Merkmalen Wald-, Heideund Moorflächen sei auf § 308 Rdn. 14, 15 verwiesen.

5

3. In wessen Eigentum sich die gefährdete Sache befindet, ist unerheblich; der Täter kann selbst Eigentümer sein 1 . Eine Einschränkung dahin, daß wie bei der mittelbaren Brandstiftung nach § 308 die Verletzung (vgl. § 308 Rdn. 19, 20) bei § 310 a die Gefährdung eigener Tatgegenstände straflos bleibt, wenn sich die Gefährdung auf die eigenen Sachen beschränkt, ist abzulehnen 2 . Wortlaut und Sinn der Vorschrift bieten für die Gegenmeinung keinen Anhalt. Auch ist es nicht ausgeschlossen, den Anwendungsbereich des Gefährdungsdelikts weiter zu ziehen als den des Verletzungsdelikts, zumal sich in § 310 a und § 308 die Schutzobjekte nicht vollständig dekken.

6

IV. Die Gefährdung kann vorsätzlich (Absatz 1) oder fahrlässig (Absatz 2) herbeigeführt werden. Die Annahme der Fahrlässigkeit setzt die Voraussehbarkeit des Eintritts einer konkreten Gefährdung voraus. Ein Verstoß gegen ζ. B. das Rauchen an bestimmten Orten verbietende landesrechtliche Vorschriften bedeutet noch nicht Fahrlässigkeit im Rahmen des § 310 a.

7

V. Konkurrenzen. Ist ein Brand entstanden, so wird § 310 a als Gefährdungsdelikt von den §§ 306 ff als Verletzungsdelikten verdrängt, soweit diese reichen. Greifen letztere Vorschriften, ζ. B. wegen tätiger Reue nach § 310, im Einzelfalle nicht durch, so ist § 310 a anzuwenden (vgl. insbes. BGH LM StGB § 310 a Nr. 1 und ergänzend § 310 Rdn. 1 Anm. 1 mit weiteren Nachweisen). — § 310 a seinerseits verdrängt landesrechtliche Brandverhütungsvorschriften.

§ 310 b Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie (1) Wer es unternimmt, durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeizuführen und dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) Wer durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeiführt und dadurch fahrlässig eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert verursacht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. 1

2

Dreher/Tröndle Rdn. 1; Lackner Rdn. 1; Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 1; Haft BT S. 264; Otto BT S. 370; s. auch Rietzsch in Ffundtner/Neubert Das neue Deutsche Reichsrecht II c 6 S. 184 Anm. 5. OLG Schleswig SchlHA 1955 99, 100; vgl. auch

Anm. zu BGH LM StGB § 310 a Nr. 1; aA Horn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1; eine Regelung im Sinne dieser Gegenmeinung ist in § 321 Ε 1962 vorgesehen gewesen (BT-Drucks. I V / 650 S. 1,63,500).

Stand: 1. 9. 1992

(116)

Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie

§ 310

b

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe bei Taten nach Absatz 1 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, bei Taten nach Absatz 2 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht. (4) Wer in den Fällen des Absatzes 2 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Fischerhof Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht Bd I 2. Aufl. (1978); Mattern/ Raisch Atomgesetz (1961); Meinberg/Möhrenschlager/Link Umweltstrafrecht (1989) S. 122; Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie u n d den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, Diss. Göttingen 1989; Sack Umweltschutzstrafrecht A 1.4 - Niederschriften V 45, 229, 2 9 2 f ; VIII 417, 421, 428, 6 4 2 f f ; IX 2 4 3 f f , . 2 8 7 f f , 4 1 3 f f , 4 2 9 f , 551 f, 554, 559 ff; XII 619, 621 XIII 632.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung ist durch Art. 19 Nr. 169 EGStGB 1974 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden; sie entspricht dem § 40 AtomG a. F. mit Ausnahme des in Anlehnung an § 311 Abs. 5 hinzugefügten Absatzes 4. § 40 AtomG a. F. ist zugleich aufgehoben worden (Art. 192 EGStGB 1974). Damit hat der Gesetzgeber wie bereits zuvor bei § 311 entsprechend § 322 Ε 1960 und § 322 Ε 1962 das Delikt wegen seiner Bedeutung in das Strafgesetzbuch eingestellt (vgl. Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 501). Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtomG) gilt derzeit in der Fassung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Nov. 1990 (BGBl. IS. 2428). Es enthält keine Strafbestimmungen mehr, allerdings Ordnungswidrigkeitenvorschriften. I. Wegen der besonderen Gefährlichkeit, die dem Mißbrauch von Kernenergie in- 1 newohnt, greift die Strafbarkeit bereits früh ein: § 310b ist in Absatz 1 als Unternehmensdelikt (§ 11 Abs. 1 Nr. 6) angelegt, Vorbereitungshandlungen werden außerdem durch § 311 b erfaßt, § 311 c schließlich behandelt Fälle tätiger Reue. Bei § 310 b handelt es sich um ein konkretes Gefährdungsdelikt (allgem. Meinung). Geschützt werden konkrete Rechtsgüter eines anderen als des Täters. Die Strafandrohung ist nach der Schuldform abgestuft. Die Vorschrift entspricht in ihrem Aufbau weitgehend dem § 311. — § 310b gehört zu den Taten, die ohne Rücksicht auf Tatort, Recht des Tatorts und Staatsangehörigkeit des Täters dem deutschen Strafrecht unterliegen (§ 6 Nr. 2). II. 1. Die Tathandlung nach Absatz 1 erfordert, daß der Täter es unternimmt (Ver- 2 such und Vollendung), durch Freisetzen von Kernenergie eine Explosion herbeizuführen. Unter dem Freisetzen von Kernenergie ist das vom Täter veranlaßte Freiwerden der in den Atomkernen gebundenen Energie durch Kernspaltungs- und Kernverschmelzungsvorgänge zu verstehen (Begr. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 501)1. Aus einem derartigen Vorgang muß eine Explosion entstehen, also plötzlich auftretende Druckwellen außergewöhnlicher Beschleunigung (vgl. § 311 Rdn. 3). Die nähere Klärung des Begriffs der Explosion, die durch Kernenergie ausgelöst wird, hat der Ge-

1

Dreher/Tröndle Rdn. 2; Lackner Rdn. 2; Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 3; Sack Rdn. 4; vgl. auch

(117)

Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Anm. 2

Hagen W o l f f

Β II 16 § 40 AtomG

§ 310 b

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

setzgeber der Rechtsprechung überlassen (Begr. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 501), so daß nicht ohne weiteres naturwissenschaftliche Begriffsbestimmungen verwendet werden können. Bei durch Kernenergie verursachten Explosionen werden die Druckwellen wohl immer von Wärmewellen und radioaktiver Strahlung begleitet sein (vgl. auch Fischerhof § 40 AtomG a. F./§ 310 b Rdn. 3, 4). Dabei ist nicht nur an die Detonation von Wasserstoff- und Atombomben oder Atomgranaten zu denken. Auch — und näher liegend — an sich kontrolliert verlaufende Atomkernspaltungs(bei Atomreaktoren) oder -verschmelzungsvorgänge, die ζ. B. der Energieversorgung dienen, fallen, wenn der Täter die Steuerungsmechanismen außer Funktion setzt und es dadurch zu einer unkontrollierten, explosionsartigen Kernreaktion kommt, in den Anwendungsbereich der Vorschrift. Der Wortlaut der Bestimmung deckt jedoch schon nicht mehr Fälle außer Kontrolle geratener Atomkernreaktionen, die zwar zur Emission von Wärme und radioaktiver Strahlung, nicht jedoch zu einer damit einhergehenden Explosion führen 2 . Löst die dabei freiwerdende Strahlungsenergie an anderer Stelle eine Explosion aus, fällt auch dies aus dem Tatbestand heraus 3 . Kontrollierte Kernspaltungs- und Verschmelzungsprozesse scheiden von vornherein aus. — Herbeiführen bedeutet Verursachen ( D a l c k e / F u h r m a n n / S c h ä f e r Β II 16 § 40 AtomG Anm. 2). 3

2. Durch den Versuch, eine derartige Explosion herbeizuführen, oder die ausgelöste Explosion muß eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen — Tatbeteiligte sind vom Schutz der Vorschrift ausgeschlossen (a. M. Horn SK Rdn. 3) — oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert entstanden sein. Dabei genügt es, wenn die Gefahr durch die Begleiterscheinungen einer Kernexplosion, also Wärme und radioaktive Strahlung, hervorgerufen wird. — Unter konkreter Gefahr ist ein Zustand zu verstehen, bei dem die Sicherheit einer bestimmten Person oder einer bestimmten Sache so stark in Frage gestellt ist, daß es vom Zufall abhängt, ob es zu einner Verletzung von Person oder Sache kommt oder nicht; die Situation muß auf einen unmittelbar bevorstehenden Schaden hindeuten, der allerdings nicht einzutreten braucht. Dabei ist die Beantwortung der Frage, ob eine konkrete Gefahr vorgelegen hat, durch ein auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhendes, objektives nachträgliches Wahrscheinlichkeitsurteil vorzunehmen (vgl. ζ. B. BGH JR 1985 433, 434 m. Anm. Hentschei). — Die Begriffe Leben oder Gesundheit eines anderen und fremde Sachen von bedeutendem Wert decken sich im wesentlichen mit den gleichen Begriffen in §§ 315 ff (vgl. dazu neuestens Rengier Zum Gefährdungsmerkmal „(fremde) Sachen von bedeutendem Wert" im Umwelt- und Verkehrsstrafrecht, SpendelFestschrift S. 559). Leibesgefahr setzt das Drohen erheblicher Verletzungen oder körperlicher Beeinträchtigungen voraus. Bei den geschützten Sachen kommt es auf den Verkehrswert an. Allerdings ist die Wertgrenze im Rahmen des § 310 b, bedenkt man die abweichende Strafdrohung, deutlich höher anzusetzen als bei den §§315 ff, wo sie mit etwa 1200 DM zu bemessen ist. Ein Sachwert von mehr als 10000 DM erscheint im vorliegenden Zusammenhang als Schutzgrenze angemessener (nach Fischerhof § 4 0 AtomG a. F./§ 310b in Verb. m. § 41 AtomG a. F./§ 311 a Rdn. 14, 16: mindestens 1000 DM). Bei dieser Abgrenzung ist vorausgesetzt, daß der gefährdeten Sache 2

Schünemann Die Regeln der Technik im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 367 Anm. 1; möglicherweise anders — abgestellt auf das Durchgehen eines Reaktors ohne weitere Differenzierung — Dreher/Tröndle Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 3; Meinberg/Möhrenschlager/Link S. 123;

3

Sack Rdn. 6; a.M. Fischerhof § 40 AtomG a . F . / §310bRdn.4. So wohl auch Tiedemann/Kindhäuser Umweltstrafrecht — Bewährung oder Reform? NStZ 1988 337,338.

Stand: 1. 9. 1992

(118)

Herbeiführen einer Explosion durch Kernenergie

§ 310

b

ein ihrem Wert entsprechender Schaden droht; ist der drohende Schaden jedoch erheblich geringer als der Wert der gefährdeten Sache, kommt es auf den Wert des drohenden Schadens an. Der entstandene Schaden kann nur ausnahmsweise zugrunde gelegt werden. III. Bei Taten nach den Absätzen 2 und 4 genügt der Versuch, eine Explosion her- 4 beizuführen, zur Ausfüllung des objektiven Tatbestandes nicht; die Explosion muß, soll der objektive Tatbestand erfüllt sein, tatsächlich eingetreten sein. Im übrigen entspricht der objektive Tatbestand dem des Absatzes 1. — Bei dem Delikt nach Absatz 2 ist Versuch nach den allgemeinen Regeln möglich; damit auch Rücktritt nach §244. IV. Subjektiv ist bei Absatz 1 Vorsatz hinsichtlich des gesamten objektiven Tatbe- 5 standes notwendig; bedingter Vorsatz genügt. — Bei Absatz 2 muß das Herbeiführen einer Kernexplosion mindestens bedingt vorsätzlich geschehen; in bezug auf die dadurch entstandene Gefahr muß dem Täter Fahrlässigkeit vorzuwerfen sein. Es handelt sich um eine Vorsatztat (§ 11 Abs. 2), so daß Teilnahme möglich ist. — Das Vergehen nach Absatz 4 ist durch insgesamt fahrlässige Begehung gekennzeichnet. V. Die Tat ist grundsätzlich, d. h. soweit eine rechtlich erhebliche Einwilligung 6 überhaupt in Betracht kommt 5 , gerechtfertigt, wenn die gefährdeten Personen oder die Eigentümer der gefährdeten Sachen sämtlich einwilligen 6 . Da die Vorschrift als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist, kann auf eine dahinter stehende abstrakte Gefährlichkeit nicht abgestellt werden (so aber Dreher/Tröndle Rdn. 8; Sack Rdn. 1; vgl. auch BGHSt. 23 261, 264 zu § 315 c). Als Rechtfertigungsgründe sind vor allem von Bedeutung Genehmigung der Explosion durch Kernenergie (Begründung Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 501 f) 7 und bei gefährlichen Arbeiten mit Kernenergie unter Einhaltung aller Sicherheitsbestimmungen erlaubtes Risiko (vgl. zu letzterem Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11), soweit man darin einen Rechtfertigungsgrund und nicht ein Tatbestandselement (so ζ. B. Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 4) sieht (vgl. zur dogmatischen Einordnung allgemein Hirsch LK vor § 32 Rdn. 30 ff)· Schließlich kommen völkerrechtliche Normen in Betracht (Fischerhof Bd. § 40 AtomG a. F./ § 310b Rdn. 13). VI. Entsprechend den verschiedenen Verschuldensformen sind die Strafrahmen 7 unterschiedlich ausgestaltet. — In Absatz 3 ist für Taten nach Absatz 1 und 2 die Strafandrohung erhöht, wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt. Als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall führt das Gesetz den leichtfertig verursachten Tod eines Menschen an; zur Ausfüllung dieses Regelbeispiels bedarf es also eines qualifizierenden Erfolgs. Leichtfertigkeit bedeutet ein Verhalten, das in bezug auf die Verursachung des Todes einen hohen Grad von Fahrlässigkeit zeigt (vgl. BGH bei Dal4

5

6

Dreher/Tröndle Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13; Sack Rdn. 17; anders Horn SK Rdn. 8. Streitpunkt ist, ob in eine Gefährdung des Lebens wirksam eingewilligt werden kann. Vgl. ζ. B. Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 426, 431 f mit Nachweisen. Diese Frage wird zu bejahen sein. Horn SK Rdn. 3, 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 12; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 50 I 2; Fi-

(119)

7

scherhof § 40 AtomG a. F./§ 310b Rdn. 17; aA Dreher/Tröndle Rdn. 8; Mattern/Raisch AtomG § 40 Rdn. 8. Dreher/Tröndle Rdn. 8; Fischerhof § 40 AtomG a.F./§ 310b Rdn. 13, 14; Sack Rdn. 11; Bedenken bei Horn SK Rdn. 7 u. Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 52 II 3; verneinend Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11 u. Meinberg/Möhrenschlager/Link S. 123.

Hagen W o l f f

§311

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

linger M D R 1 9 7 3 727,728 f), das in grobem Maße fahrlässig ist (vgl. BGH bei Daliinger M D R 1975 541, 543). „Leichtfertig handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer acht läßt" (BGHSt. 33 66, 67 m. Anm. Roxin NStZ 1985 319)8. Dabei muß sich die Leichtfertigkeit auf die Tathandlung, beginnend mit dem Versuch und abschließend mit der herbeigeführten Explosion, beziehen; Leichtfertigkeit bei späterem Verhalten ist unerheblich (vgl. BGHSt. 33 66, 69 m. Anm. Roxin NStZ 1985 319). Ebenso liegt bei vorsätzlicher Verursachung des Todes eines Menschen ein besonders schwerer Fall von § 310 b Abs. 1 vor. Weitere Möglichkeiten eines besonders schweren Falles sind ζ. B. das Hervorrufen einer Gefahr für viele Menschen und die Vernichtung bedeutender Sachwerte. 8

VII. Über tätige Reue vgl. § 311 c, über Führungsaufsicht § 321 und über Einziehung § 322.

9

VIII. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit den vorsätzlichen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten 9 ; mit § 230; mit § 222, soweit nicht Leichtfertigkeit gegeben ist, denn dann tritt § 222 zurück (vgl. § 311 Rdn. 11; generell für Gesetzeseinheit Lackner Rdn. 6); aber auch mit §§ 303 ff; §§ 306ff; §§312 bis 314; § 321. - § 311 und § 311 b werden durch § 310 b verdrängt. § 310 b geht ebenso den §§ 311 d und e vor. Zu dem Verhältnis zu §§ 327 und 328 s. dort.

10

IX. Recht des Einigungsvertrages vgl. bei § 311 Rdn. 14 ff.

§311

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (1) Wer anders als durch Freisetzen von Kernenergie, namentlich durch Sprengstoff, eine Explosion herbeiführt und dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. (3) Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht. (4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

8

Zum Begriff der Leichtfertigkeit allgemein vgl. ergänzend Schroeder LK. § 16 Rdn. 208 ff und Herdegen LK § 251 Rdn. 8 ff; jeweils mit Nachweisen. » Dreher/Tröndle Rdn. 9; Lackner Rdn. 6; Sch/

Schröder/Cramer Rdn. 16; Maurach/Schroeder/ Maiwald BT § 50 I 3; Fischerhof § 40 AtomG a. F./ § 310b Rdn. 22; aA für § 211 Horn SK Rdn. 7; Mattern/Raisch AtomG § 40 Rdn. 11.

Stand: 1. 9. 1992

(120)

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion

§311

Schrifttum Cramer Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte durch das 7. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW1964 1835; Kühne Forum: Die sog. „Celler Aktion" und das deutsche Strafrecht, JuS 1987 188; Lackner Das Siebente Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1964 674; Potrykus Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte, Die Polizei 1965 249; v. Ullmann § 311 RStrGB. und Sprengstoffgesetz, VDB IX S. 67. - Niederschriften V 45, 229, 292ff; VIII 417, 421, 642ff; IX 252ff, 269, 287 ff, 298 f, 413 ff, 429 f, 551 f, 554, 559 ff; XII 619, 621; XIII 632.

Entstehungsgeschichte § 311 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich lautete ursprünglich (RGBl. 1871 S. 127, 187): Die gänzliche oder theilweise Zerstörung einer Sache durch Gebrauch von Pulver oder anderen explodirenden Stoffen ist der Inbrandsetzung der Sache gleich zu erachten.

Damit wurde also nur ein spezieller Fall der Sachbeschädigung wegen seiner Gefährlichkeit den Brandstiftungsdelikten gleichbehandelt. Daneben erfaßte § 5 des wegen sich häufender Sprengstoffattentate erlassenen Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884 (RGBl. S. 61,62) die Herbeiführung einer Gefahr für Eigentum, Gesundheit oder Leben durch Anwendung von Sprengstoff und bedrohte sie mit Zuchthaus, in Fällen eines schweren Erfolges mit noch schärferer Strafe. § 311 ist umgestaltet worden durch Art. 1 Nr. 1 des 7. StRÄndG vom 1. Juni 1964 (BGBl. I S. 337), mit dem die Strafvorschriften gegen den Gebrauch von Sprengstoffen neu geregelt und weitergehend aus dem Sprengstoffgesetz in das StGB übernommen worden sind; außer der Neufassung des § 311 wurden die §§ 311 a bis c neu in das StGB eingefügt. Der § 311 c, der die Einziehung betraf, ist durch das EGOWiG in § 325 a, jetzt § 322, aufgegangen. § 311 ist durch Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Nr. 170 und 207 EGStGB 1974geringfügig geändert worden; die §§ 311 a und b sind zu §§ 311 b und c geworden. DerSache nach deckt sich § 311 mit dem aufgehobenen § 5 Sprengstoffgesetz a. F. (BGH, Urt. v. 18. August 1964 — 5 StR 289/64). Die Bestimmung entspricht im wesentlichen §§ 323, 338, 340 Ε 1962, so daß für die Gesetzesmaterialien hauptsächlich auf die Begründung dieses Entwurfs verwiesen werden kann (BT-Drucks. IV/650 S. 502,515 ff, 517 f; vgl. außerdem insbesondere den schriftl. Bericht des Sonderausschusses Strafrecht zum Entwurf des 7. StrafrechtsänderungsG BT-Drucks. IV/2186). Das Sprengstoffgesetz, inzwischen Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz — SprengG), gilt zur Zeit in der Fassung vom 17. April 1986 (BGBl. IS. 577), zuletzt geändert durch Gesetz v. 28. Juni 1990 (BGBl. IS. 1221). I. § 311 stellt die Herbeiführung einer Explosion mit Ausnahme der durch § 310 b 1 erfaßten Explosionen durch Kernenergie unter Strafe, sofern dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. § 311 ist daher wie § 310b ein konkretes Gefährdungsdelikt (allgem. Meinung); die herbeigeführte Explosion muß bestimmte Rechtsgüter zu verletzen drohen. Die Bestimmung setzt, obwohl sie nach der Gliederung des Besonderen Teils des StGB unter den Abschnitt Gemeingefährliche Straftaten fällt, die Herbeiführung einer Gemeingefahr nicht voraus1. Deshalb ist straflos, wer sein eigenes Haus in die Luft 1

Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1, 7; Otto BT S. 363; Kühne JuS 1987188,189.

(121)

Hagen Wolff

§311

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sprengt, sofern er dabei nicht eine konkrete Gefahr für andere Personen oder für fremde Sachen herbeiführt. 2 Das Delikt erfordert als eigentliche Tathandlung das Herbeiführen einer Explosion; daraus muß eine konkrete Gefahr für die im einzelnen bezeichneten Rechtsgüter entstehen. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes unterscheidet die Vorschrift mehrere Fälle: in den Absätzen 1 bis 3 muß der Vorsatz des Täters sowohl die Explosion als auch den Eintritt der dadurch verursachten Gefahr umfassen; in Absatz 4 setzt zwar die Tathandlung Vorsatz voraus, die Folge der Gefährdung jedoch nur Fahrlässigkeit; Absatz 5 erfaßt die Fälle, in denen der Täter bezüglich der Herbeiführung der Explosion ebenso wie bezüglich der Gefährdung fahrlässig gehandelt hat. Dementsprechend ist die Strafdrohung für die verschiedenen Fälle abgestuft. Absatz 2 normiert den Strafrahmen für besonders schwere und minder schwere Fälle. Absatz 3 hat ein gesetzliches Regelbeispiel eines besonders schweren Falles zum Inhalt. 3

II. Der objektive Tatbestand verlangt die Herbeiführung einer Explosion und eine dadurch hervorgerufene Gefahr für bestimmte Rechtsgüter. 1. Unter Explosion im Sinne der Strafvorschrift ist die plötzliche Auslösung von Druckwellen außergewöhnlicher Beschleunigung zu verstehen 2 . Das kann namentlich durch Sprengstoffe geschehen, also Stoffe, die bei der Entzündung zu einer plötzlichen Ausdehnung von Flüssigkeiten oder Gasen und dadurch zu einer Sprengwirkung führen (RGSt. 48 72; 67 35,37), ζ. B. Dynamit (RG GA 55 [1908] 332), aber auch Gemische von für sich gesehen nicht explosionsgefährlichen Stoffen (LG Braunschweig NStZ 1987 231). Taugliches Tatmittel ist weiter ζ. B. eine Handgranate (Bohnert JuS 1983 942,943). Schießmittel, ζ. B. Schwarzpulver, gehören hierher, sofern sie als Sprengmittel verwendet werden (RGSt. 58 276; BGH, Beschl. v. 16. März 1982 — 1 StR 684/81). Geeignet sind aber auch Benzin-Luft-Gemische (RGSt. 8 33; BGHSt. 20 230; vgl. auch BGH bei Holtz MDR 1984 979, 982); Azetylengas (RGSt. 67 35); Leucht- oder Erdgas (BGHSt. 28 196; BGH GA 1966 374). Soll ein an sich explosionsfähiger Stoff — im konkreten Falle ein Gemisch aus Natriumchlorat und Zukker — lediglich als Zünder für einen Brandsatz benutzt werden, scheidet die Anwendbarkeit von § 311 dagegen aus (KG NStZ 1989 369). Eine Explosion im Sinne des § 311 kann weiter durch unter Überdruck stehenden Wasserdampf (Begr. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502; anders für den alten Rechtszustand RGSt. 22 304) oder unter hohem Druck stehende Gase hervorgerufen werden. Schließlich sind auch durch Unterdruck entstehende Implosionen und die Erzeugung sehr starker Schallwellen, z.B. durch schnellfliegende Flugzeuge, erfaßt 3 . Cramer (NJW 1964 1835, 1836 u. Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5) befürchtet, daß durch die Ausweitung des Tatbestandes auf jede Art von Explosion in Labor, Industrie und selbst in der Küche des Haushalts, für die schon Fahrlässigkeit und jede Individualgefahr ausreicht, die Strafbarkeit über Gebühr ausgedehnt werde (kritisch insoweit auch Blei II S. 342). Dem kann jedoch einmal durch eine entsprechende Auslegung des Begriffs „Explosion" begegnet werden (indem man ζ. B. die Verwendung kleinster Feuerwerkskör2

K G NStZ 1989 369; Dreher/Tröndle Rdn. 3; in der Sache auch Lackner Rdn. 2; ähnlich Horn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 3; Otto BT S. 364; möglicherweise weitergehend LG Braunschweig NStZ 1987 231,232.

3

Dreher/Tröndle Rdn. 3; Lackner Rdn. 2; rach/Schroeder/Maiwald BT § 52 II 1; vgl. Begr. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502; aA SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 3; BT S. 364.

Stand: 1. 9. 1992

Mauauch Horn Otto

(122)

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion

§311

per schon mit Hilfe dieses Begriffs aus dem Tatbestand ausscheidet. — Begr. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502) und zum anderen dadurch, daß bei sozialadäquatem Verhalten die Anwendung von § 311 verneint wird (vgl. Dreher/Tröndle Rdn. 3; Lackner Rdn. 2). 2. Herbeiführen einer Explosion bedeutet deren Verursachen als Täter, Mittäter 4 oder mittelbarer Täter. 3. Durch die Explosion muß Leben oder Gesundheit eines anderen oder fremdes 5 Eigentum von bedeutendem Wert gefährdet werden. Die Gefährdung des nicht dem Täter gehörenden Sprengstoffs als solche reicht jedoch nicht aus; Cramer (Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 7) weist zutreffend darauf hin, daß das Abbrennen eines fremden Feuerwerks nicht den Tatbestand des § 311 erfüllt, sondern als Eigentumsdelikt zu behandeln ist. Tatbeteiligte sind vom Schutz der Vorschrift ausgeschlossen (vgl. auch Kühne JuS 1987 188, 189; a.M. Horn SK Rdn. 6 in Verb. m. Rdn. 9 vor § 306). — Unter konkreter Gefahr ist ein Zustand zu verstehen, bei dem die Sicherheit einer bestimmten Person oder einer bestimmten Sache so stark in Frage gestellt ist, daß es vom Zufall abhängt, ob es zu einer Verletzung von Person oder Sache kommt oder nicht; die Situation muß auf einen unmittelbar bevorstehenden Schaden hindeuten, der allerdings nicht einzutreten braucht. Dabei ist die Beantwortung der Frage, ob eine konkrete Gefahr vorgelegen hat, durch ein auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhendes, objektives nachträgliches Wahrscheinlichkeitsurteil vorzunehmen 4 . — Im Rahmen des § 311 genügt es, wenn die Gefahr durch die Begleiterscheinungen der Explosion hervorgerufen wird; also z.B. durch Explosionshitze oder -gase (LG Braunschweig NStZ 1987 231, 232; aA Horn SK Rdn. 6). - Die Begriffe Leben oder Gesundheit eines anderen und fremde Sachen von bedeutendem Werk dekken sich im wesentlichen mit den gleichen Begriffen in §§ 315 ff (vgl. dazu neuestens Rengier Zum Gefährdungsmerkmal „(fremde) Sachen von bedeutendem Wert" im Umwelt- und Verkehrsstrafrecht, Spendel-Festschrift S. 559). Leibesgefahr setzt das Drohen erheblicher Verletzungen oder körperlicher Beeinträchtigungen voraus. Bei den geschützten Sachen kommt es auf den Verkehrswert an. Allerdings dürfte im Rahmen des § 311 die bei §§ 315 ff mit etwa 1200 DM zu bemessende Wertgrenze deutlich höher anzusetzen sein. Bei der vorstehenden Abgrenzung ist vorausgesetzt, daß den gefährdeten Sachen ein ihrem Wert entsprechender Schaden droht; ist der drohende Schaden jedoch erheblich geringer als der Wert der gefährdeten Sache, kommt es auf den Wert des drohenden Schadens an. Der entstandene Schaden kann nur ausnahmsweise zugrunde gelegt werden (vgl. Kühne JuS 1987 188, 189 f)III. Zum subjektiven Tatbestand enthalten die Absätze 1 bis 3, 4 und 5 verschiede- 6 ne Kombinationen zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit: 1. In den Fällen des Absatzes 1, den besonders schweren Fällen der Absätze 2 und 3 und den minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist Vorsatz bezüglich aller Tatbestandsmerkmale, also sowohl der Herbeiführung einer Explosion als auch der für die verschiedenen Rechtsgüter herbeigeführten Gefahr, erforderlich; bedingter Vorsatz genügt. Wer im einzelnen durch eine in diesem Sinne vorsätzliche Handlung gefährdet oder gar geschädigt wird, braucht der Täter allerdings nicht zu wissen (Herzberg 4

Vgl. z.B. BGH JR 1985 433, 434 m.Anm. Heutschel\ vgl. auch für das Verkehrsstrafrecht zusammenfassend Jähnke Fließende Grenzen zwischen

(123)

abstrakter und konkreter Gefahr im Verkehrsstrafrecht, DRiZ 1990425.

Hagen Wolff

§311

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Anstiftung zur unbestimmten Haupttat — BGHSt 34,63, JuS 1987 617,619). In allen Fällen der Absätze 1 bis 3 ist die Tat ein Verbrechen, auch in den minder schweren Fällen nach Absatz 2 (§ 12 Abs. 3), so daß insoweit auch Versuch strafbar ist. Ist der Vorsatz auf Verletzung eines durch § 311 geschützten fremden Rechtsguts gerichtet, so umfaßt der Verletzungsvorsatz den Gefährdungsvorsatz (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 10). 7

2. Absatz 4 behandelt den Fall, daß die Explosion vorsätzlich herbeigeführt und die Gefahr fahrlässig verursacht wird. Das vorsätzliche Auslösen von Explosionen, die sich innerhalb aller bestehenden Sicherheits- und Ordnungsvorschriften halten, fällt dabei aus diesem Tatbestand heraus (vgl. unten Rdn. 9). Erfaßt werden demgegenüber die Explosionen, die unerlaubt oder zwar erlaubt, aber unter bewußtem oder mindestens bedingt vorsätzlichem Außerachtlassen von Sicherheitsvorschriften herbeigeführt werden, wenn es dabei infolge Unachtsamkeit oder irrigem Vertrauen auf die Gefahrlosigkeit zu einer Gefährdung eines der geschützten Rechtsgüter kommt (vgl. auch Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11).

8

3. In Absatz 5 ist der Fall geregelt, daß sowohl bezüglich der Herbeiführung der Explosion als auch der Gefährdung nur Fahrlässigkeit gegeben ist. Hierbei ist zu beachten, daß es nicht allein auf die persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen des Täters ankommt, sobald er sich nicht mehr im Bereich seines eigenen unmittelbaren Erfahrungswissens bewegt, sondern er Warnungen und allgemeine Vorschriften zu beachten hat, welche das Ergebnis der Erfahrung von besonders sachverständigen Personen sind und auf einer umfassenden Voraussicht möglicher Gefahren beruhen; die Vernachlässigung einer solchen Vorschrift kann auch dann einen Schluß auf die Voraussehbarkeit des Erfolgs zulassen, wenn der Täter ihre Beachtung als übertriebene Vorsicht angesehen hat (BGH GA 1966 374). Die Fahrlässigkeit wird häufig daraus abzuleiten sein, daß Sicherheitsrichtlinien oder naheliegende Vorsichtsmaßnahmen bei dem Umgang mit explosiblen Stoffen außer acht geblieben sind (vgl. BGHSt. 28 196). Sie kann aber auch gegeben sein, wenn der Täter einer Brandstiftung die Explosionsgefährlichkeit des verwendeten Brandsatzes vorwerfbar nicht erkannt hat (BGH bei Holtz M D R 1984 979,982). Ein weiteres Beispiel für ein fahrlässiges Delikt im Sinne von § 311 Abs. 5 ist, wenn bei einer Bundeswehrübung im freien Gelände aus Unachtsamkeit nicht gezündete Übungsmunition zurückgelassen wird, diese von Dritten gefunden wird und bei deren nicht sachkundigem Umgang damit explodiert und Verletzungen von Personen herbeiführt.

9

IV. 1. Die Tat ist mindestens gerechtfertigt, soweit sich der Täter im Rahmen der sozialen Adäquanz oder des erlaubten Risikos hält; so wenn und soweit er Sprengstoffe oder sonstige explosive Stoffe in Gewerbe, Industrie oder bei Forschungsvorhaben in den Grenzen der bestehenden polizeilichen Vorschriften verwendet (Dreher/Tröndle Rdn. 5; Horn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13). Teilweise werden diese Fälle bereits auf Tatbestandsebene ausgeschieden (ζ. B. Lackner Rdn. 4). Vgl. zur dogmatischen Einordnung von sozialer Adäquanz und erlaubtem Risiko allgemein Hirsch LK vor § 32 Rdn. 26 ff, 30 ff.

10

2. Die Tat ist grundsätzlich, d.h. soweit eine rechtlich erhebliche Einwilligung überhaupt in Betracht kommt 5 , gerechtfertigt, wenn die gefährdeten Personen u n d / 5

Streitpunkt ist, ob in eine Gefährdung des Lebens wirksam eingewilligt werden kann. Vgl. z.B. Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefähr-

dungsdelikts, JuS 1982 426, 431 f mit Nachweisen. Die Frage wird zu bejahen sein.

Stand: 1. 9. 1992

(124)

Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion

§ 311

oder die Eigentümer der gefährdeten Sachen sämtlich einwilligen 6 . Als Rechtfertigungsgrund ist insbesondere von Bedeutung Genehmigung (Bedenken bei Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 52 II 3). Eine Erlaubnis nach § 7 SprengG rechtfertigt für sich gesehen eine Tat nach § 311 allerdings noch nicht (Dreher/Tröndle Rdn. 5; Horn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13). V. Entsprechend den verschiedenen Verschuldensformen sind die Strafrahmen 11 unterschiedlich ausgestaltet. — In Absatz 2 ist für Taten nach Absatz 1 die Strafandrohung erhöht, wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt. Als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles führt das Gesetz in Absatz 3 den leichtfertig verursachten Tod eines Menschen an; zur Ausfüllung dieses Regelbeispiels bedarf es also eines qualifizierenden Erfolgs. Leichtfertigkeit bedeutet ein Verhalten, das in bezug auf die Verursachung des Todes einen hohen Grad von Fahrlässigkeit zeigt (vgl. BGH bei Dallinger M D R 1973 728), das in grobem Maße fahrlässig ist (vgl. BGH bei Dallinger M D R 1975 543). „Leichtfertig handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer acht läßt" (BGHSt. 33 66, 67 m. Anm. Roxin NStZ 1985 319)7. Dabei muß sich die Leichtfertigkeit auf die Tathandlung, das Herbeiführen einer Explosion und abschließend mit dieser, beziehen; Leichtfertigkeit bei späterem Verhalten ist unerheblich (BGHSt. 33 66, 69 m. Anm. Roxin NStZ 1985 319). Ebenso liegt bei vorsätzlicher Verursachung des Todes eines Menschen ein besonders schwerer Fall des § 311 vor. Weitere Möglichkeiten eines besonders schweren Falles sind ζ. B. das Hervorrufen einer Gefahr für viele Menschen oder die Vernichtung bedeutender Sachwerte. — Ein minder schwerer Fall kommt in Betracht, wenn nur Sachwerte gefährdet worden sind. Auch die Verwendung einer geringen Menge eines Explosivstoffs — im entschiedenen Fall ca. 40 Gramm Schwarzpulver in einem Sprengkörper — kann einen minder schweren Fall nahelegen (BGH, Beschl. v. 16. März 1982 - 1 StR 684/81). VI. Zu einem Beispiel möglicher Teilnahme (Beihilfe) siehe BGH NStZ 1984 42. 12 — Über tätige Reue vgl. § 311 c, über Führungsaufsicht § 312 und über Einziehung § 322. — Zur Geltung des § 311 Abs. 1 bis 3 für Auslandstaten vgl. § 6 Nr. 2. VII. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit § 263 (BGH NJW 1990 584); 13 §§ 303 ff; mit den Brandstiftungsdelikten der §§ 306 bis 309, wenn die Explosion zum Brand führt 8 ; mit den Tötungsdelikten §§211 und 212, wenn der Tod — auch nur bedingt - gewollt war (vgl. BGHSt. 19 101; 28 355; 34 329, 331); mit den §§ 223 ff, 230 (BGH NJW 1990 584, 586). § 222 wird von § 311 Abs. 3 verdrängt, wenn der Tod leichtfertig verursacht war, denn Leichtfertigkeit ist ein erhöhter Grad von Fahrlässigkeit (s. Rdn. 11); dagegen ist Tateinheit mit § 311 möglich, wenn der Tod zwar fahrlässig, aber nicht leichtfertig herbeigeführt wird (vgl. BGH NJW 1979 663). Für das Verhältnis von § 311 zu §§ 129 a, 129 vgl. dort. — § 311 tritt hinter § 310 b zurück. Ergänzend sei auf die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 40 bis 42 SprengG verwiesen, die hinter § 311 zurücktreten. — Wahlweise Verurteilung aus § 311 oder § 138 Abs. 1 Nr. 9 kommt nicht in Betracht (BGHR StGB § 138 Anzeigepflicht 2). Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 50 1; Kühne JuS 1987 188,190. Zum Begriff der Leichtfertigkeit allgemein vgl. ergänzend Schroeder LK § 16 Rdn. 208 ff und Herdegen LK § 251 Rdn. 8 ff; jeweils mit Nachweisen. (125)

8

BGHSt. 20 230, 231; BGH bei Haitz MDR 1984 979, 982; BGH, Urt. v. 6. Juni 1973 - 2 StR 535/72; BGH, Urt. v. 30. April 1974 - 5 StR 85/74.

Hagen Wolff

§311 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

14

VIII. Recht des Einigungsvertrages. §§ 310 b bis 311c gelten seit dem Wirksam werden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht — (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik — (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II) etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). 15 In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990, geändert worden (GBl. I S. 526). Den §§ 310b bis 311 c entsprechende Delikte waren von dieser Änderung nicht betroffen. Die diesbezügliche Regelung in dem Strafgesetzbuch der D D R ergab sich somit aus der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). Dabei war die schuldhafte Herbeiführung einer schädigenden Explosion in die Brandstiftungsdelikte einbezogen. Deshalb sei insoweit auf die Ausführungen bei § 306 Rdn. 20 verwiesen. Daneben war in den §§ 206 bis 209 u. a. der Mißbrauch von Sprengmitteln als Straftat normiert. Den §§ 310 b und 311a entsprechende Strafvorschriften waren im Strafgesetzbuch der D D R nicht enthalten. Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten von Explosionsdelikten pp. wird ergänzend auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§311 a Mißbrauch ionisierender Strahlen (1) Wer in der Absicht, die Gesundheit eines anderen zu schädigen, es unternimmt, ihn einer ionisierenden Strahlung auszusetzen, die dessen Gesundheit zu schädigen geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. (2) Unternimmt es der Täter, eine unübersehbare Zahl von Menschen einer solchen Strahlung auszusetzen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe bei Taten nach Absatz 1 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, bei Taten nach Absatz 2 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht. (4) Wer in der Absicht, die Brauchbarkeit einer fremden Sache von bedeutendem Wert zu beeinträchtigen, sie einer ionisierenden Strahlung aussetzt, welche die Brauchbarkeit der Sache zu beeinträchtigen geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. Schrifttum Fischerhof Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht Bd. I 2. Aufl. (1978); Hoyer Die Eignungsdelikte (1987); Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, Diss. Göttingen 1989; Sack UrnStand: 1. 9. 1992

(126)

Mißbrauch ionisierender Strahlen

§311 a

weltschutzstrafrecht A 1.5 - Niederschriften V 45, 229, 292f; VIII 417, 421, 428, 6 4 2 f f ; IX 254 ff, 287 ff, 413 ff, 4 2 9 f , 551 f, 554, 559 ff; XII 619, 621; XIII 632.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung ist durch Art. 19 Nr. 171 E G S t G B 1974 anstelle des zuvor geltenden § 3 1 1 a , der unter Erweiterung zu § 3 1 1 b geworden ist, in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Die Vorschrift entspricht weitgehend § 41 A t o m G a. F., der zugleich a u f g e h o b e n w o r d e n ist (Art. 192 E G S t G B 1974); geändert ist im wesentlichen die Fassung (vgl. Begr. ζ. Ε E G S t G B BT-Drucks. 7 / 5 5 0 S. 264 f). Die G r ü n d e f ü r die Einstellung in das Strafgesetzbuch gleichen denen bei § 310 b (vgl. dort). Die Übern a h m e in das StGB war bereits im Ε 1962 vorgesehen (§ 324; vgl. dazu die Begründ u n g BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 502 f). Vgl. ergänzend auch bei der Entstehungsgeschichte von § 311. I. Bei § 311 a lassen sich drei Fälle mit entsprechend gestufter S t r a f a n d r o h u n g un- 1 terscheiden: In Absatz l ein Unternehmensdelikt (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6), bei dem die T a t h a n d l u n g in dem U n t e r n e h m e n besteht, einen a n d e r e n einer ionisierenden Strahlung auszusetzen, die geeignet ist, dessen Gesundheit zu schädigen. In Absatz 2, einem Unterfall von Absatz 1, ist ein anderes Tatobjekt, eine u n ü b e r s e h b a r e Zahl von Menschen, eingesetzt. Absatz 4 betrifft die Schädigung von Sachen durch ionisierende Strahlen (kein Unternehmensdelikt), wobei auch der Versuch f ü r strafbar erklärt ist; d a es sich um ein Vergehen handelt, b e d u r f t e dies ausdrücklicher Regelung. Allen drei Fällen gemeinsam ist, d a ß der Täter in Schädigungsabsicht handeln muß. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, normalen Vorsatz ausreichen zu lassen, um die wirklich strafwürdigen Fälle zu erfassen u n d den medizinischen u n d wissenschaftlichen U m g a n g mit ionisierenden Strahlen nicht einzuschränken (vgl. Begründung zu Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502 f). Auf eine Schädigung von Mensch oder Sache k o m m t es nicht an. § 311 a ist vielmehr Gefährdungsdelikt (vgl. auch R d n . 4). Die Bestimmung erfaßt das Vorfeld der Körperverletzungs- (Absatz 1 u n d 2) u n d Sachbeschädigungsdelikte (Absatz 4). Die Strafbarkeit ist also im Vergleich zu den entsprechenden Verletzungsdelikten vorverlegt, die S t r a f d r o h u n g dabei gleichzeitig verschärft. Eine Vorschrift mit einem dem § 311 a Abs. 1 vergleichbaren Tatbestandsa u f b a u ist § 229 Abs. 1. II. Tathandlung bei Absatz I und 2 ist das U n t e r n e h m e n (also Versuch u n d Vollen- 2 dung), Menschen einer ionisierenden Strahlung auszusetzen, die deren Gesundheit zu schädigen geeignet ist. 1. Unter ionisierender Strahlung sind einmal alle Photonenstrahlen (elektroma- 3 gnetische Wellen) u n d Korpuskularstrahlen zu verstehen, die bei Atomen oder Molekülen derartige Veränderungen in der Elektronenhülle hervorrufen k ö n n e n , d a ß die angeregten Teilchen w a n d e r n (Ionisation). D a n e b e n aber auch Strahlen, die wie Neutronenstrahlen zu Kernreaktionen f ü h r e n (Begr. zum Ε 1962 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 502). Die Strahlung k a n n auf natürlichem oder künstlichem Wege entstehen. Dies wird etwa in der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung — StrlSchV) in der Fassung der B e k a n n t m a c h u n g vom 30. Juni 1989 (BGBl. I S . 1321, 1926), zuletzt geändert durch Einigungsvertrag vom 23. September 1990 (BGBl. II S. 885), in der Definition z u s a m m e n g e f a ß t : Photon e n · oder Teilchenstrahlungen, die in der Lage sind, direkt oder indirekt die Bildung von Ionen zu bewirken (Anlage I Stichwort: Strahlen, ionisierende). Zu den physika(127)

Hagen Wolff

§311 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

lischen G r u n d l a g e n vgl. z.B. Beck Die Strahlenschutzverordnungen Bd I (1961) S. 2 ff. N e b e n den durch Radioaktivität, Kernspaltungs- u n d -verschmelzungsvorgänge entstehenden Alpha-, Beta-, G a m m a - u n d Neutronenstrahlen geht es hauptsächlich u m Röntgenstrahlen (vgl. auch Begr. zum Ε 1962 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 502 sowie ergänzend Steindorf L K § 311 d R d n . 2 f). 4

2. Die Strahlung m u ß geeignet sein, das O p f e r an der Gesundheit zu schädigen. Dabei k o m m t es nicht auf die jeder ionisierenden Strahlung i n n e w o h n e n d e abstrakte Gefährlichkeit f ü r Menschen an, sondern d a r a u f , ob nach den U m s t ä n d e n des Einzelfalles die konkrete Möglichkeit einer Schädigung zu bejahen ist (vgl. auch Hirsch LK § 229 R d n . 8). Dies wird von Strahlungsintensität u n d -dauer u n d d a v o n abhängen, welche O r g a n e u n d Körperpartien des Opfers oder der O p f e r betroffen sind. G l a u b t der Täter irrig an eine solche Eignung, ist untauglicher Versuch a n z u n e h m e n (Begr. zum Ε 1962 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 503). Damit ist, auch wenn das Gesetz nicht wie bei a n d e r e n Straftatbeständen die F o r m e l : „ G e f a h r f ü r Leib oder Leben eines a n d e r e n " verwendet, letztlich nichts anderes angesprochen als eine konkrete G e f a h r f ü r einen anderen 1 .

5

3. Zur Gesundheitsbeschädigung vgl. Hirsch L K § 223 R d n . 11 ff. Es k o m m e n insbesondere Verbrennungen, Anregung von Zellwucherungen, Mißbildung bei Ungeb o r e n e n , Verlust der Zeugungsfähigkeit, aber auch Schädigung der Erbanlagen, die sich erst bei N a c h k o m m e n auswirkt, in Betracht 2 . Die mögliche Gesundheitsbeschädigung m u ß unmittelbare Folge der Einwirkung ionisierender Strahlen sein ( S c h / Schröder/Cramer R d n . 5; Fischerhof § 41 A t o m G a. F . / § 3 1 1 a R d n . 2). Der mögliche pathologische K ö r p e r z u s t a n d m u ß allerdings nicht von D a u e r sein ( S a c k A 1.5 R d n . 7). Eine Gesundheitsbeschädigung braucht nicht eingetreten zu sein. Praktisch bedeutet dies eine nicht unwichtige Beweiserleichterung.

6

4. Der Begriff aussetzen bedeutet jedes H a n d e l n oder Unterlassen mit der Folge, d a ß ein Mensch von ionisierender Strahlung getroffen wird ( D r e h e r / T r ö n d l e Rdn. 2; Lackner R d n . 2; Sack A 1.5 R d n . 6).

7

III. W ä h r e n d bei Absatz 1 genügt, wenn ein Mensch, der allerdings nicht Tatbeteiligter sein d a r f 3 , der ionisierenden Strahlung ausgesetzt wird, m u ß es bei Absatz 2 eine unübersehbare Zahl von Menschen sein. D a s bedeutet eine E i n s c h r ä n k u n g gegenüber dem § 41 A t o m G a. F., der von einer Vielzahl von Menschen sprach. Der Gesetzgeber wollte mit der Ä n d e r u n g einer möglichen M a s s e n g e f ä h r d u n g begegnen. Mit dem Begriff „ u n ü b e r s e h b a r " ist nach den Materialien gemeint: „ d a ß die Zahl der gefährdeten Menschen so groß sein m u ß , d a ß sie auch f ü r den objektiven Betrachter nicht ohne weiteres übersehbar, also in ihrer u n g e f ä h r e n Zahl zu bestimmen ist" (Begr. zum Ε 1962 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 503).

1

Ebenso Horn SK Rdn. 2, 3; Lackner Rdn. 1, 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4; Arzt/Weber II Rdn. 212; Μaurach/Schroetter/Maiwald BT § 11 III 1; Otto BT S. 365; Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 426, 427 f; vgl. auch Dölling JR 1987 469; von potentiellem Gefährdungsdelikt sprechen Dreher/ Tröndle Rdn. 1; Sack A 1.5 Rdn. 2.

2

3

Zu letzterem wie hier Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311a Rdn. 3; ablehnend Mattern/ Raisch AtomG § 41 Rdn. 8. Dreher/Tröndle Rdn. 3; Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311a Rdn. 1; aA Horn SK Rdn. 3 in Verb, m. Rdn. 9 vor § 306.

Stand: 1. 9. 1992

(128)

Mißbrauch ionisierender Strahlen

§311 a

IV. Die Tathandlung bei Absatz 4 entspricht derjenigen bei den Absätzen 1 und 2, 8 nur daß das Tatobjekt eine Sache ist. Allerdings ist zu beachten, daß Absatz 4 kein Unternehmensdelikt enthält. Zur Erläuterung des Begriffs fremde Sache von bedeutendem Wert wird auf Rüth LK 10. Aufl. § 315 Rdn. 37,39 verwiesen (vgl. auch neuestens Rengier Zum Gefährdungsmerkmal „(fremde) Sachen von bedeutendem Wert" im Umwelt- und Verkehrsstrafrecht, Spendel-Festschrift S. 559). Es kommt auf den Verkehrswert an; die Wertgrenze ist mit etwa 1200 DM anzusetzen (nach Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311a Rdn. 14: mindestens 1000 DM). Mit der Beeinträchtigung der Brauchbarkeit einer Sache ist Beschädigen im Sinne von § 303 gemeint (vgl. dort Rdn. 5 ff sowie Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311a Rdn. 16). Darunter fällt auch, daß die Sache radioaktiv verseucht wird und deshalb nicht mehr ohne Gefahren für die menschliche Gesundheit benutzt werden kann (Dreher/Tröndle Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 36 V 2). V. Subjektiv ist bei Absätzen 1,2 und 4 Vorsatz erforderlich. Dieser hat sich auf die 9 Eignung der ionisierenden Strahlung, Schäden bei Menschen oder an Sachen hervorzurufen, zu erstrecken. Bedingter Vorsatz genügt. Hinzu kommen muß — und zwar auch bei Absatz 2, der in Zusammenhang mit Absatz 1 zu lesen ist (Begr. zum Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 502) — die Absicht, einen anderen Menschen an der Gesundheit oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen. Absicht liegt vor, wenn es dem Täter darauf ankommt, diesen angestrebten Erfolg zu erreichen, ohne daß dieser sein Endziel sein muß. Bei Absatz 2 braucht sich die Schädigungsabsicht nicht auf eine unübersehbare Zahl von Menschen zu beziehen (Begr. zum Ε 1962 BTDrucks. IV/650 S. 502; so allerdings noch Begr. zu § 324 Ε 1960 S. 467). Wortlaut und Sinn der Vorschrift bieten für eine solche Einengung keinen hinreichenden Anhalt. Vielmehr genügt die Absicht, einen oder wenige Menschen an ihrer Gesundheit zu schädigen 4 . VI. In Absatz 3 ist die Strafdrohung für besonders schwere Fälle der Absätze 1 und 10 2 verschärft. Dies entspricht der Regelung in § 310 b Abs. 3. Auf die dort gemachten Bemerkungen wird verwiesen (s. Rdn. 7). — Der Absatz 4 des § 311 a kennt nur einen Strafrahmen. VII. Zur tätigen Reue vgl. bei § 311 c, zur Führungsaufsicht bei § 321 und zur Ein- 11 ziehung bei § 322. — Zur Anwendbarkeit des § 311 a Abs. auf Auslandstaten s. § 6 Nr. 2. VIII. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich zwischen § 311 a Abs. 1 und 2 und den 12 Körperverletzungs- und Tötungsdelikten einschließlich der Vergiftung nach § 229 5 ; allerdings tritt § 222 zurück, wenn ein besonders schwerer Fall nach § 311 a Abs. 3 S. 2 vorliegt. § 311 a Abs. 4 kann in Idealkonkurrenz stehen mit § 304, § 316 b, § 317; Tateinheit ist auch denkbar mit § 319. § 303 wird durch § 311 a Abs. 4 als lex specialis verdrängt 6 . Auch den §§ 311 d und e geht § 311 a vor. Zu dem Verhältnis zu §§ 327, Dreher/Tröndle Rdn. 5; Horn SK Rdn. 7; Lackner Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; Dalcke/ Fuhrmann/Schäfer Β II 16 § 41 AtomG Anm. 4; Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311a Rdn. 11. Dreher/Tröndle Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 16; Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311 a Rdn. 22; Sack A 1.5 Rdn. 29; aA Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer Β II 16 § 40 AtomG Anm. 2; Mattern/ (129)

Raisch AtomG § 41 Rdn. 9; differenzierend Horn SK Rdn. 6,9. ' Dreher/Tröndle Rdn. 7; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Β II 16 § 41 AtomG Anm. 5; aA — Tateinheit — Horn SK Rdn. 12; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 16; Fischerhof § 41 AtomG a. F./§ 311 a Rdn. 22.

Hagen Wolff

§ 311 b

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

328 s. dort. — Ergänzend sei auf die Ordnungswidrigkeiten nach § 87 StrlSchV (zur Fundstelle s. Rdn. 3) verwiesen. 13

IX. Recht des Einigungsvertrages s. bei § 311 Rdn. 14 ff.

§ 311 b Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens (1) Wer zur Vorbereitung 1. eines bestimmten Unternehmens im Sinne des § 310 b Abs. 1 oder des § 311 a Abs. 2 oder 2. einer Straftat nach § 311 Abs. 1, die durch Sprengsstoff begangen werden soll, Kernbrennstoffe, sonstige radioaktive Stoffe, Sprengstoffe oder die zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen iiberläßt, wird in den Fällen der Nummer 1 mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren. Schrifttum Cramer Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte durch das 7. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 1964 1835; Lackner Das Siebente Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1964 674; Potrykus Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte, Die Polizei 1965 249; Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, Diss. Göttingen 1989; Sack Umweltschutzstrafrecht A 1.6 — Niederschriften V 45, 292; VIII 642ff; IX 264ff, 418f, 552, 560; XII 619f.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist ursprünglich durch Artikel 1 Nr. 1 des 7. StRändG vom 1. Juni 1964 (BGBl. I S. 337) mit der Übernahme wichtiger Sprengstoffdelikte aus dem Sprengstoffgesetz als § 311 a in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie umfaßte zunächst nur Vorbereitungshandlungen zu § 311 (vgl. dazu insbesondere den Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 3 f)· Artikel 1 Nr. 87 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) hat die Strafdrohung ermäßigt. Durch Artikel 19 Nr. 172 EGStGB 1974 ist diese Vorschrift mit § 42 AtomG a. F. zu der jetzigen Bestimmung zusammengefaßt worden (vgl. Begr. ζ. Ε EGStGB BT-Drucks. 7/550 S. 265). Damit ist mit nicht sehr erheblichen Abweichungen § 326 des Ε 1962 verwirklicht (s. auch Begründung dazu BT-Drucks. IV/650 S. 503 f). Vgl. ergänzend zur Entstehungsgeschichte bei § 310 b und § 311. 1

I. § 311b bedroht als selbständige Straftat Vorbereitungshandlungen zu Verbrechen n a c h § 3 1 0 b Abs. 1 und § 311 a Abs. 2 (§ 311 b Abs. 1 Nr. 1), sowie§311 Abs. 1 (§ 311 b Abs. 1 Nr. 2) mit Strafe; dabei handelt es sich im Falle des § 311 b Abs. 1 Nr. 1 Stand: 1. 9. 1992

(130)

Vorbereitung eines E x p l o s i o n s - o d e r Strahlungsverbrechens

§ 311

b

um ein Verbrechen, so d a ß Versuch strafbar ist 1 , w ä h r e n d § 311 b Abs. 1 Nr. 2 Vergehen ist. Zu den Taten, deren Vorbereitung n a c h § 311 b strafbar ist, gehören auch die besonders schweren Fälle nach § 3 1 0 b Abs. 1 u n d 3, § 311 a Abs. 2 u n d 3 u n d § 311 Abs. 1 u n d 2, sowie die minder schweren Fälle n a c h § 311 Abs. 1 u n d 2; in letzterem Falle k a n n auch die A n w e n d u n g von § 311 b Abs. 2 in Betracht k o m m e n 2 . II. Tatgegenstand sind Kernbrennstoffe, sonstige radioaktive Stoffe, Sprengstoffe 2 oder die zur A u s f ü h r u n g der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen. 1. Kernbrennstoffe sind nach der auch f ü r § 311 b geltenden (vgl. Begr. ζ. Ε 1962 — 3 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 504) Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 A t o m G (Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie u n d den Schutz gegen ihre G e f a h r e n in der Fassung vom 15. Juli 1985 — BGBl. I S. 1565 —, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. N o v e m b e r 1990 - BGBl. I S. 2428 - ) : Plutonium 239 u n d Plutonium 241, U r a n 233, mit den Isotopen 235 u n d 233 angereichertes U r a n , jeder Stoff, der einen oder mehrere der vorerwähnten Stoffe enthält, u n d U r a n u n d uranhaltige Stoffe der natürlichen Isotopenmischung, die so rein sind, d a ß durch sie in einer geeigneten Anlage (Reaktor) eine sich selbst tragende Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann. Der Ausdruck „mit den Isotopen 235 oder 233 angereichertes U r a n " bedeutet U r a n , das die Isotope 235 oder 233 oder diese beiden Isotope in einer solchen Menge enthält, d a ß das Verhältnis der Summe dieser beiden Isotope zum Isotop 238 größer ist als das in der N a t u r auftretende Verhältnis des Isotops 235 zum Isotop 238. 2. Sonstige radioaktive Stoffe sind solche, die, o h n e K e r n b r e n n s t o f f e zu sein, 4 spontan ionisierende Strahlen aussenden (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG). Z u m Begriff der ionisierenden Strahlen vgl. bei § 311 a R d n . 3 u n d Anlage I zur Strahlenschutzvero r d n u n g (Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen in der Fassung vom 30. Juni 1989 — BGBl. I S. 1321, 1926 —, zuletzt geändert durch den Einigungsvertrag vom 23. September 1990 — BGBl. II S. 885 —) Stichwort: Strahlen, ionisierende. Die radioaktiven Stoffe k ö n n e n natürlichen oder künstlichen Ursprungs sein. 3. Sprengstoffe. Vgl. dazu § 311 R d n . 3. § 311 b Abs. 1 Nr. 2 gilt jedoch nicht f ü r 5 sonstige Explosivstoffe im Sinne des § 311 (vgl. Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. I V / 6 5 0 S. 504). 4. Zur Ausführung der Tat erforderliche besondere Vorrichtungen. Ursprünglich 6 fehlte in den Entwürfen das Wort „ b e s o n d e r e " . Es ist im Gesetzgebungsverfahren f ü r das 7. S t R Ä n d G in den Text der Bestimmung g e k o m m e n u n d sollte eine Einengung des Tatbestandes b e d e u t e n ; m a n wollte allgemein verwendbares Z u b e h ö r wie eine Batterie oder einen Wecker, die erst in einen Zeitzünder eingebaut werden sollen, ausscheiden (vgl. Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 3 f u n d Begr. ζ. Ε E G S t G B - BT-Drucks. 7 / 5 5 0 S. 265). D a n a c h sind unter besonderen Vorrichtungen jedenfalls die G e g e n s t ä n d e zu verstehen, die dazu erforderlich sind, um mit K e r n b r e n n s t o f f e n oder Sprengstoffen eine Explosion, mit sonstigen ra1

2

Horn SK Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9; Lackner Rdn. 4; Sack Rdn. 17; aA Dreher/Tröndle Rdn. 9. Vgl. den Bericht des Strafrechtssonderausschusses

(131)

zum Entwurf des 7. StRÄndG BT-Drucks. IV/ 2186 S: 4 und Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 503 f sowie Rdn. 16.

Hagen W o l f f

§ 311 b

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

dioaktiven Stoffen die Emission von ionisierenden Strahlen herbeizuführen oder diese Vorgänge zu lenken. Bei Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen werden das alle Dinge sein, die man zur Aufbewahrung, Beförderung und zur Steuerung der Kernprozesse oder der Strahlung benötigt. Daneben sind aber auch Geräte erfaßt, die der künstlichen Erzeugung ionisierender Strahlung dienen. — Bei Sprengstoffen — und dies ist von größerer praktischer Bedeutung — kommen vor allem Zündvorrichtungen aller Art, aber auch eventuell notwendige besondere Transportund Verwahrungsbehältnisse und solche Gegenstände in Betracht, die dazu benutzt werden sollen, den Sprengstoff dem Opfer gegenüber zu verbergen; wie z.B. bei Briefbomben die besonders präparierten Briefumschläge. Auszuscheiden sind allerdings im Hinblick auf die gesetzgeberischen Absichten alle die Sachen, die an sich einen alltäglichen Verwendungszweck haben, wie Batterien, Wecker, Kabel, Metallröhren, solange sie noch nicht für die Durchführung einer Sprengstoffexplosion umgearbeitet sind 3 . Ob die Differenzierung in eigentliches und uneigentliches Zubehör weiterhilft (so Cramer NJW 1964 1835, 1838; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5), erscheint zweifelhaft. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung ist nicht besonders glücklich (so auch Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5) und wird noch näherer Auslegung durch die Praxis bedürfen. 7

III. Als Tathandlung führt das Gesetz verschiedene Möglichkeiten auf: das Herstellen, das sich oder einem anderen Verschaffen, Verwahren, das einem anderen Überlassen. Damit sind auch Sachverhaltsgestaltungen erfaßt, die bei Durchführung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens lediglich Beihilfe wären. Im Gegensatz zu § 311 a a. F. erwähnt das Gesetz nicht mehr die Einfuhr. Der Gesetzgeber hat auch darauf verzichtet, Ausfuhr und Inverkehrbringen besonders zu erwähnen (vgl. Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 504). Derartige Fälle werden bereits durch die Gesetz gewordenen Varianten gedeckt.

8

1. Unter Herstellen ist das tatsächliche Fertigstellen von Kernbrennstoffen, sonstigen radioaktiven Stoffen und Sprengstoffen zu verstehen einschließlich der notwendigen Zwischenstufen (vgl. auch O G H NJW 1950 879; dort ist bereits das Schärfen von Sprengpatronen zum Herstellen gerechnet).

9

2. Das Sichverschaffen bedeutet das Bewirken eigener tatsächlicher Verfügungsgewalt durch den Täter, wobei es nicht darauf ankommt, auf welchem Wege dies geschieht (Kauf, Diebstahl, Hehlerei pp.).

10

3. Das einem anderen Verschaffen ist gegeben, wenn ein Dritter tatsächliche Verfügungsgewalt auf Veranlassung des Täters erhält.

11

4. Einem anderen Uberlassen ist der Tatgegenstand, wenn der Täter dem anderen die tatsächliche Verfügungsgewalt übertragen hat 4 . Das kann ζ. B. geschehen durch Übersenden eines Konnossements (vgl. RG GA 57 [1910] 400) oder durch Einräumung der selbständigen Verwaltung eines Sprengstofflagers (vgl. RG Rspr. 8 538; 3

Der Sache nach vergleichbare Abgrenzungen und Begriffsbestimmungen bei Dreher/Tröndle Rdn. 6; Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 52 II 4; Sack Rdn. 5.

4

Vgl. RGSt. 14 231; 15 237, 241 f; 15 387, 388; 17 257,43 10,15.

Stand: 1. 9. 1992

(132)

Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens

§ 311

b

RG GA 54 [1907] 80). Das Zulassen der Wegnahme genügt dazu (vgl. RGSt. 59 214, 216 f.) 5. Mit Verwahren ist die Ausübung der tatsächlichen Herrschaftsgewalt im Sinne 12 des strafrechtlichen Gewahrsamsbegriffs gemeint. IV. Subjektiv ist Vorsatz hinsichtlich des objektiven Tatbestands erforderlich; be- 13 dingter Vorsatz genügt (Dreher/Tröndle Rdn. 8; Lackner Rdn. 3). — Darüber hinaus muß der Täter zur Vorbereitung entweder eines bestimmten Unternehmens nach § 3 l 0 b Abs. I oder § 311 a Abs. 2 oder einer Straftat nach § 311 Abs. 1, sofern sie durch Sprengstoff begangen werden soll, handeln. Mit anderen Worten: Es muß dem Täter (im Sinne von Absicht) darauf ankommen, ein Explosions- oder Strahlungsverbrechen zu fördern 5 . — Wer die Tat, die gefördert werden soll, ausführt, ob der Täter selbst oder ein Dritter, ist unerheblich; ebenso, ob der Dritte gutgläubig ist oder in den Plan eingeweiht, ob er schuldfähig ist oder nicht. Der Dritte, der die geplante Tat ausführen soll, braucht nicht derjenige zu sein, dem der Täter einen Tatgegenstand verschafft oder überläßt. Schließlich ist ohne Bedeutung, ob der Täter mit seinem Tun das geplante Verbrechen tatsächlich fördert (Dreher/Tröndle Rdn. 8; a. M. Horn SK Rdn. 3). Fehlt dem Täter die Förderungsabsicht, so kommt Beihilfe zu dem geplanten Verbrechen oder auch zu § 311 b in Betracht (vgl. Lackner Rdn. 3). Streitig ist, in welchem Umfang das geplante Verbrechen bereits konkretisiert sein 14 muß. Das Gesetz spricht in § 311 b Abs. 1 Nr. 1 von einem bestimmten Unternehmen nach § 310b Abs. 1 oder § 311 a Abs. 2, dagegen in § 311 b Abs. 1 Nr. 2 lediglich von einer Straftat nach § 311 Abs. 1. Das besagt jedoch nicht, daß es bei § 311 b Abs. 1 Nr. 2 auf die Vorbereitung einer bestimmten Straftat nicht ankommt. Vielmehr sind bei § 311 b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 insoweit keine Unterschiede zu machen 6 . Dafür spricht neben den Gesetzesmaterialien, die die Absicht einer Differenzierung nicht erkennen lassen (vgl. Begr. ζ. Ε 1962 — BT-Drucks. IV/650 S. 504), die Gesetzesfassung: „zur Vorbereitung einer Straftat" legt ein auf eine bestimmte Straftat zielgerichtetes Handeln nahe. Außerdem erscheint der Strafrahmen des § 311 b unangemessen, wenn bereits derart weit im Vorfeld des Explosionsverbrechens liegende Handlungen von der Bestimmung erfaßt würden (vgl. auch Herzberg JR 1977 469, 471). Es fehlt im übrigen nicht an einer Ahndungsmöglichkeit, weil ergänzend §§ 40 ff SprengG (Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe in der Fassung vom 17. April 1986 — BGBl. I S. 577 —, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 1990 - BGBl. I S. 1221 - ) eingreifen (vgl. KG NStZ 1989 369). - Das geplante Verbrechen ist dann ausreichend bestimmt, wenn es sich in § 310 b Abs. 1, § 311a Abs. 2 oder § 311 Abs. 1 einordnen läßt und hinsichtlich Tatziel, Tatzeit und Tatmodalitäten in den Grundzügen festliegt, wobei der nötige Grad der Konkretisierung von dem Plan des Täters beeinflußt sein kann 7 . Sind Angriffsziel nach dem Plan des Täters 5

6

Vorsatz lassen auch insoweit ausreichen BayObLGSt. 1973 117 m. zust. Anm. Fuhrmann JR 1974 475; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 7 und Cramer NJW 1964 1835, 1838; Sack Rdn. 15; wie hier Dreher/Tröndle Rdn. 8; Horn SK Rdn. 2, 6, I I ; Lackner Rdn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald BT§ 52 II 4. BGH NJW 1977 540 m. Anm. Herzberg JR 1977 468; KG NStZ 1989 369; Dreher/Tröndle Rdn. 8; Horn SK Rdn. 11; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald BT

(133)

7

§ 52 II 4; Otto BT S. 365; a. M. BayObLGSt. 1973 117 m. zust. Anm. Fuhrmann JR 1974 475; abweichend auch Rechtsprechung und Lehre zum Sprengstoffgesetz in der alten Fassung, vgl. RG Recht 1926 Nr. 150 u. Stenglein Strafr. Nebengesetze § 7 SprengstoffG Anm. 7,9. BGH bei Holtz MDR 1978 803, 805; Dreher/ Tröndle Rdn. 8; Horn SK Rdn. 7, 11; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1,7; vgl. auch Bohnert JuS 1983 942,943.

Hagen W o l f f

§ 311 c

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

viele, aber nicht bestimmte und auch nicht bestimmbare Menschen, genügt zur Konkretisierung des Tatortes irgendein bewohnter Ort (BGH, Beschl. v. 17. Januar 1978 - 5 StR 787/77). 15

V. Teilnahme an den Vorbereitungshandlungen nach § 311 b ist möglich, auch in der Form der Beihilfe, weil es sich bei § 311 b auch insoweit um selbständige Delikte handelt, als Unterstützungshandlungen unter Strafe gestellt sind (Dreher/Tröndle Rdn. 9; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; Sack Rdn. 16).

16

VI. In Absatz 2 ist der Strafrahmen für minder schwere Fälle herabgesetzt. Ein minder schwerer Fall wird meist vorliegen, wenn für das vorbereitete Verbrechen § 311 Abs. 2, 2. Alternative gelten würde.

17

VII. Zur tätigen Reue vgl. § 311 c, zur Führungsaufsicht § 321, zur Einziehung § 322. — Zur Geltung des § 311 b für Auslandstaten vgl. § 6 Nr. 2.

18

VIII. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit § 83; § 242; § 259; aber auch mit § 30 in Verbindung mit § 310b Abs. 1, § 311 a Abs. 2, § 311 Abs. 1 (Dreher/Tröndle Rdn. 11; aA Lackner Rdn. 5). Wird das vom Täter im Sinne von § 311 b vorbereitete Explosions- oder Strahlungsverbrechen unter seiner Beteiligung in die Tat umgesetzt, so tritt § 311 b gegenüber §§ 310b, 311 a oder 311 zurück (vgl. RGSt. 58 296, 298); ebenso geht § 316 c Abs. 3 dem § 311 b vor. — Vgl. im übrigen die ergänzenden Straf- und Bußgeldvorschriften des AtomG und des SprengG, denen § 311 b vorgeht (vgl. BayObLGSt. 1973 117).

19

IX. Recht des Einigungsvertrages vgl. bei § 311 Rdn. 14 ff.

§ 311 c Tätige Reue (1) Das Gericht kann die in § 310 b Abs. 1 und § 311 a Abs. 2 angedrohte Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet. (2) Das Gericht kann die in den folgenden Vorschriften angedrohte Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von der Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter 1. in den Fällen des § 311 a Abs. 1 freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet oder 2. in den Fällen des § 310 b Abs. 2, des § 311 Abs. 1 bis 4 und des § 311 a Abs. 4 freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. (3) Nach den folgenden Vorschriften wird nicht bestraft, wer 1. in den Fällen des § 310 b Abs. 4 und des § 311 Abs. 5 freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, oder 2. in den Fällen des § 310 b freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet. (4) Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr abgewendet, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Stand: 1. 9. 1992

(134)

Tätige Reue

§ 311

C

Schrifttum Bottke S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e M e t h o d i k u n d S y s t e m a t i k bei d e r L e h r e v o m s t r a f b e f r e i e n d e n u n d t a t m i l d e r n d e n T ä t e r v e r h a l t e n (1979); Cramer D i e N e u r e g e l u n g d e r S p r e n g s t o f f delikte d u r c h d a s 7. S t r a f r e c h t s ä n d e r u n g s g e s e t z , N J W 1964 1835; Fischerhof D e u t s c h e s A t o m gesetz u n d S t r a h l e n s c h u t z r e c h t Bd I 2. A u f l . (1978); Lackner D a s S i e b e n t e S t r a f r e c h t s ä n d e rungsgesetz, JZ 1964 674; Potrykus D i e N e u r e g e l u n g d e r S p r e n g s t o f f d e l i k t e , D i e Polizei 1965 249; Reinhardt D e r s t r a f r e c h t l i c h e Schutz v o r d e n G e f a h r e n d e r K e r n e n e r g i e u n d d e n schädlic h e n W i r k u n g e n i o n i s i e r e n d e r Strahlen, Diss. G ö t t i n g e n 1989; Sack U m w e l t s c h u t z s t r a f r e c h t A 1.4, 1.5 u n d 1.6 - N i e d e r s c h r i f t e n V 294; V I I I 6 4 4 f f ; I X 2 9 9 f f , 4 3 2 f , 5 5 4 f , 563; X I I 622; X I I I 768, 771.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 19 Nr. 172 EGStGB 1974 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie faßt den § 311 b a. F., der mit dem 7. StRÄndG in das Strafgesetzbuch eingestellt worden war und sich nur auf die Sprengstoffdelikte nach §§ 311, 311 a a. F. bezog (vgl. dazu insbesondere den Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 4f), und § 44 AtomG a. F. unter einigen Änderungen zusammen (vgl. Begr. ζ. Ε EGStGB BT-Drucks. 7/550 S. 265 0- Die Regelung schließt sich weitgehend an § 341 Ε 1962 (Begr. dazu BT-Drucks. IV/650 S. 518 ff) an. Vgl. zur Entstehungsgeschichte außerdem die Hinweise bei §§ 310 b bis 311b. I. § 311 c bestimmt die Möglichkeiten tätiger Reue für sämtliche Fälle der §§ 310 b 1 bis 311 b. Liegen die Voraussetzungen tätiger Reue vor, so hat das nur für die erwähnten Bestimmungen Bedeutung; andere konkurrierende Vorschriften folgen den speziell für sie geltenden Regeln (ζ. B. § 310 für die Brandstiftungsdelikte) oder den allgemeinen Rücktrittsbestimmungen. Soweit bei §§ 310 b bis 311 b Versuch möglich ist, greift ergänzend § 24 ein 1 . Die mit der Bestimmung dem Täter in Aussicht gestellten Vergünstigungen sollen ihm in Parallele zu § 310 bei den Brandstiftungsdelikten aus kriminalpolitischen Gründen einen Anreiz für den Entschluß schaffen, eine derartige besonders gefährliche Straftat vor Eintritt von ernsthaften Schäden abzubrechen (vgl. Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 4 und Begr. z. Ε StGB 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 518 0· Sie soll damit ein Gegengewicht gegen die weitreichende Vorverlegung der Strafbarkeit sein. II. 1. Bei den Unternehmensdelikten nach § 310 b Abs. 1, § 311 a Abs. 1 und 2 und 2 bei den durch § 311 b zum selbständigen Delikt erhobenen Vorbereitungshandlungen setzt tätige Reue voraus, daß der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet (§ 311 c Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2). Diese Regelung gilt auch für besonders schwere Fälle nach § 310 b Abs. 1 in Verbindung mit Absatz 3, § 311 a Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Absatz 3 und für minder schwere Fälle nach § 311b Abs. 2. a) Das Aufgeben der weiteren Ausführung der Tat liegt vor, wenn der Täter vor 3 Vollendung eines Unternehmens nach § 310 b Abs. 1, § 311 a Abs. 1 oder 2 oder vor Vollendung einer Vorbereitungshandlung nach § 311 b die begonnene Tathandlung in Aufgabe seines Tatentschlusses endgültig abbricht 2 . Steht im Rahmen der Tat1

2

Dreher/Tröndle Rdn. 1; Horn SK Rdn. 7; Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 1; Fischerhof § 44 AtomG a. F./§ 311c Rdn. 1. Dreher/Tröndle Rdn. 2 in Verb. m. § 24 Rdn. 5;

(135)

Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 4; Fischerhof § 44 AtomG a. F./ §311 c R d n . 2,4.

Hagen Wolff

§ 311 c

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

handlung ein Tun in Frage, genügt dazu schlichte Untätigkeit. Dies entspricht dem Rücktritt vom unbeendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alternative. 4

b) Oder sonst die Gefahr abwendet bedeutet: bei § 310b Abs. 1 das Abwenden der zum Tatbestand gehörenden konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert; bei § 311 b Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 310 b Abs. 1 und bei § 311 b Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 311 Abs. 1 das Abwenden der zum Tatbestand der vom Täter vorbereiteten Tat gehörenden konkreten Gefahr; bei § 311 a Abs. 1 oder 2 und bei § 311 b Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 311 a Abs. 2 schließlich das Abwenden der mit einem Delikt nach § 311 a Abs. 1 und 2 erfaßten konkreten Gefahr, die in dem Erfordernis der Eignung der ionisierenden Strahlung zur Gesundheitsschädigung ihren Ausdruck gefunden hat. — Unter Abwenden der Gefahr ist das Verhindern ihres Eintritts, aber auch das Beseitigen der bereits eingetretenen Gefahr zu verstehen, solange sie sich noch nicht in einem Schaden niedergeschlagen hat 3 . Dazu muß der Täter eigenes positives Handeln entfalten. Diese Variante erlaubt also auch tätige Reue bei vollendetem Delikt. In keinem Falle darf jedoch ein Schaden entstanden sein, so daß es auf seine Erheblichkeit (vgl. dazu unten Rdn. 7 f) nicht ankommt.

5

c) Freiwilligkeit ist in gleichem Sinne wie bei § 24 zu verstehen 4 . Es kann deshalb auf die Bemerkungen zu dieser Bestimmung verwiesen werden (Vogler LK § 24 Rdn. 82 ff).

6

2. Die Folgen tätiger Reue sind nach der Gefährlichkeit der in Rede stehenden Verbrechen abgestuft: Bei § 310b Abs. 1 und § 311 a Abs. 2 hat der Richter die Möglichkeit, die Strafe nach seinem Ermessen zu mildern (§§ 311 c Abs. 1, 49 Abs. 2). Bei § 311 a Abs. 1 kann wahlweise gemildert oder von Strafe abgesehen werden (§§ 311 c Abs. 2 Nr. 1,49 Abs. 2). Bei § 311 b wirkt die tätige Reue als persönlicher Strafaufhebungsgrund (§ 311 c Abs. 3 Nr. 2).

7

III. 1. Für tätige Reue bei den Straftaten nach § 310 b Abs. 2 oder Abs. 4, § 311 Abs. 1 bis 5 und § 311 a Abs. 4 ist Voraussetzung, daß der Täter freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht (§ 311 c Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1). Damit ist die Grenze, bis zu der der Täter tätige Reue üben kann, noch über die Vollendung des Delikts hinausgeschoben; denn diese verlangt lediglich Gefahreintritt. — Zur Bedeutung des freiwilligen Abwendens der Gefahr wird auf Rdn. 4 und 5 Bezug genommen. Jedoch ist zu beachten, daß es in diesen Fällen in erster Linie darum geht, die Ausdehnung oder anders das weitere Umschlagen von Gefahr, die regelmäßig eingetreten sein wird, in Schaden zu verhindern. Es muß deshalb genügen, wenn der Täter es durch sein Tun erreicht, daß der Schaden unerheblich bleibt (vgl. auch Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8).

8

Es darf kein erheblicher Schaden entstanden sein. Was mit erheblich gemeint ist, ist zweifelhaft und streitig (vgl. das entsprechende Problem bei § 315 Abs. 6). Die Gesetzesmaterialien (vgl. vor allem Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 519) helfen nicht recht weiter. Jedoch läßt sich die Frage einengen. Entstehen Personenschäden, so ist die nicht völlig unbedeutende Gesundheitsbeeinträchtigung oder Verletzung eines Menschen immer ein erheblicher Schaden (Horn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/ 3

Dreher/Trondle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Fischerhof § 44 AtomG a. F./§ 311 c Rdn. 2,4.

4

Dreher/Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Sch/ Schröder/Cramer Rdn. 6; Fischerhof § 44 AtomG a. F./§ 311 c Rdn. 2,4.

Stand: 1. 9. 1992

(136)

Tätige Reue

§ 311 c

Cramer Rdn. 9). Bei Sachschäden ist man sich darüber einig, daß die Grenze nicht in Anlehnung an einen nicht völlig belanglosen Schaden gezogen werden kann, bei dem ein Unfall im Sinne des § 142 vorliegt (Dreher/Tröndle Rdn. 3). § 310 kann gleichfalls nicht herangezogen werden, denn mindestens bei den Explosionsdelikten nach §§ 310 b und 311 wird — anders als beim Inbrandsetzen — durch die Explosion in aller Regel ein großer Sachschaden hervorgerufen (vgl. auch Begr. z. § 341 Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 519). Sich an dem Verhältnis zwischen Wert der gefährdeten Sache und Höhe des eingetretenen Schadens zu orientieren (so Rüth LK 10. Aufl. § 315 Rdn. 52) erscheint nicht sachgerecht. Denn werden — wie es bei einer Explosion durch Kernenergie naheliegt — besonders hohe Sachwerte gefährdet, und ist der vom dann tätige Reue übenden Täter verursachte Schaden im Vergleich dazu gering, absolut gesehen aber bedeutend, so ist die Anwendung von § 311 c verfehlt. Als obere Grenze für die Anwendbarkeit von § 311 c wird deshalb die Schädigung eines bedeutenden Sachwerts angesehen werden müssen (einschränkend Dreher/Tröndle Rdn. 3). Dabei legt es die gesetzliche Wortwahl — einerseits: Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert in §§ 310b, 311 und 311a, andererseits: kein erheblicher Schaden in § 311 c — nahe, daß damit nichts Übereinstimmendes (so Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 9), sondern etwas Verschiedenes gemeint ist; nämlich mit erheblich ein Weniger im Vergleich zu bedeutend (so auch Dreher/Tröndle Rdn. 3). Ein erheblicher Schaden liegt also nicht erst dann vor, wenn eine Sache von bedeutendem Wert vernichtet ist (so auch Horn Sk Rdn. 7). Die von Dreher/Tröndle Rdn. 3 erwähnte Wertgrenze von 500 DM ist danach ein praktikabler Vorschlag jedenfalls für §§ 311, 311a Abs. 4; bei § 310 b Abs. 4 mag sie höher anzusiedeln sein. — Die vorstehenden Überlegungen zeigen, daß für die Anwendbarkeit des § 311 c bei den aufgeführten Explosionssstraftaten wenig Raum bleibt, weil meist bereits der reine Explosionsschaden die diskutierte Wertgrenze übersteigen wird. 2. Auch bei den unter Rdn. 7 erwähnten Straftaten sind die Folgen tätiger Reue ab- 9 gestuft: Bei § 310 b Abs. 2, § 311 Abs. 1 bis 4 und § 311 a Abs. 4 kann das Gericht wahlweise die Strafe mildern oder von Strafe absehen (§ 311 c Abs. 2 Nr. 2). In den Fällen des § 310 b Abs. 4 und des § 311 Abs. 5 wirkt die tätige Reue als persönlicher Strafaufhebungsgrund (§ 311 c Abs. 3 Nr. 1). IV. Nach Absatz 4 reicht es in allen Fällen aus, daß der Täter sich freiwillig und 10 ernsthaft durch aktives Eingreifen darum bemüht, die Gefahr abzuwenden, wenn diese auf andere Weise abgewendet wird. Letzteres ist allerdings zwingende Voraussetzung. Die Gefahr kann dabei schon abgewendet sein, bevor der Täter zu ihrer Abwehr tätig wird. Ernsthaftes Bemühen um Gefahrabwendung setzt dabei voraus, daß der Täter die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür ausschöpft (BGH NStZ 1986 27). V. Bei mehreren Tatbeteiligten gelten die in § 24 Abs. 2 niedergelegten Grundsätze 11 entsprechend. VI. Die Einziehungsmöglichkeit nach § 322 bleibt bestehen, auch wenn das Gericht 12 wegen tätiger Reue von Strafe absieht oder den Täter freispricht (§ 76 a). VII. Recht des Einigungsvertrages s. bei § 311 Rdn. 14 ff.

(137)

Hagen Wolff

13

Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage

§ 311 c

§ 311 c Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage (1) Wer eine kerntechnische Anlage (§ 330 d Nr. 2) oder Gegenstände, die zur Errichtung oder zum Betrieb einer solchen Anlage bestimmt sind, fehlerhaft herstellt oder liefert und dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeiführt, die mit der Wirkung eines Kernspaltungsvorgangs oder der Strahlung eines radioaktiven Stoffes zusammenhängt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht. (4) Wer die Gefahr in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 leichtfertig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Es wird auf die Angaben zu § 311 d, § 327 und § 328, insbesondere auf die Monographie von Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie (1989), verwiesen.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung geht in ihrem Ursprung auf einen Beschluß des Bundestagsausschusses für Atomfragen zurück (Nr. 24 des Schriftlichen Berichts zu BTDrucks. 11/3502). Sie war als § 49 Bestandteil des RegE zum AtomG (BTDrucks. III/759). Ihr erklärtes Vorbild ist § 109e Abs. 2 StGB. Gesetz wurde die Regelung als § 48 AtomG, später geändert durch Artikel 192 Nr. 4 EGStGB sowie durch Artikel 18 des 4. ÄndG zum AtomG vom 30. 8. 1976 (BGBl. I S. 2573). In das StGB übernommen wurde sie — im wesentlichen unverändert - durch Artikel 1 Nr. 8 des 18. StRÄndG vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 373), in Kraft ab 1.7. 1980. Lediglich in Absatz 3 Satz 2 wurde ein Regelbeispiel für den besonders schweren Fall eingefügt. Die Übernahme auch dieser Bestimmung in das StGB war im RegE noch nicht vorgesehen gewesen; sie geschah auf Bestreben des BTRAussch. § 48 AtomG ist durch Artikel 14 des genannten StRÄndG aufgehoben worden. Die Vorschrift war bis zum 31. 10. 1994 mit folgendem Wortlaut in Kraft: §311 e Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage (1) Wer wissentlich eine kerntechnische Anlage (§ 330 d Nr. 2) oder Gegenstände, die zur Errichtung oder zum Betrieb einer solchen Anlage bestimmt sind, fehlerhaft herstellt oder liefert und dadurch wissentlich eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeiführt, die mit der Wirkung eines Kernspaltungsvorgangs oder der Strahlung eines radioaktiven Stoffes zusammenhängt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (i)

Joachim Steindorf

§ 311 c

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht. (4) Wer die Gefahr in den Fällen des Absatzes 1 nicht wissentlich, aber vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Durch Art. 1 Nr. 2 des 31. StRÄndG - 2. UKG vom 27. 6. 1994 (BGBl. I S. 1440) wurde die Vorschrift umgestaltet. Sie erhielt die Bezeichnung „§311 c" statt der zuvor maßgebenden Einordnung als § 311 e. Sachlich wurde die Beschränkung in Absatz 1 auf „wissentliche" Begehungsweise beseitigt, so daß nunmehr Vorsatz zur Verwirklichung des Delikts ausreicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Bestimmung „nicht länger auf Sabotageakte beschränkt bleiben" (Begr. BTDrucks. 12/192 S. 14). Gleichzeitig wurde ein Absatz 5 eingefügt, nach dem nunmehr auch „leichtfertige" Begehungsweise bei fahrlässiger Gefahrenverursachung unter Strafdrohung steht. In Kraft ist die Neuregelung ab 1. 11. 1994 (Art. 13 31. StRÄndG - 2. UKG). Weitergehende Änderungsvorschläge im Gesetzentwurf der SPD-Opposition (BTDrucks. 12/376) blieben unberücksichtigt. Hier war angestrebt worden, das Delikt zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt umzugestalten, so daß es zur Strafbarkeit ausreichen sollte, „daß die fehlerhafte Herstellung für die Sicherheit der Anlage oder den Strahlenschutz abträglich ist" (aaO S. 15). Ferner war als weitere Begehungsform neben dem Herstellen und Liefern das „Instandhalten" vorgesehen worden (befürwortend: Möhrenschlager NStZ 1994 566, 569). Außerdem sollte anstelle von „Leichtfertigkeit" einfache Fahrlässigkeit als Schuldform ausreichen. Schließlich hatte sich der Entwurf für die Beibehaltung der Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten und die Anhebung der Höchststrafe für vorsätzliche Begehungsweise auf zehn Jahre ausgesprochen (aaO S. 15). Der Entwurf eines 6. StrRG (Stand: 14. 3. 1997 - BRDrucks. 164/97) sieht eine Umgestaltung der Vorschrift vor, um sie an vergleichbare Bestimmungen vor allem im Strafmaß anzupassen (§312 des Entwurfes). Zu internationalen Bemühungen um die Sicherheit von zivilen Kernkraftwerken wird auf das Übereinkommen vom 20. 9. 1994 über nukleare Sicherheit und das hierzu geplante Gesetz (BTDrucks. 13/5018) verwiesen. Das Übereinkommen ist in der Drucksache (S. 5 ff) abgedruckt. Übersicht I. Allgemeines II. Tatobjekte 1. Kerntechnische Anlage 2. Anlagenteile III. Tathandlungen 1. Herstellen 2. Liefern 3. Verhältnis zwischen beiden Modalitäten 4. Die konkrete Gefahr

1

Rdn. 1 2 3 7 8 11 12

IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII.

Täterschaft und Teilnahme Rechtswidrigkeit Innere Tatseite Versuch Rechtsfolgen Tätige Reue Zusammentreffen mit anderen Verstößen Übergangsrecht Recht des Einigungsvertrages

Rdn. 14 15 16 17 18 19 20 21 22

I. Allgemeines. Nach der Begründung zum AtomG (BTDrucks. III/759 S. 45 zu § 49) besteht wegen der besonderen Gefährlichkeit von Atomanlagen (§ 7 AtomG, jetzt auch § 330 d Nr. 2 StGB) ein Bedürfnis für eine Strafdrohung gegen denjenigen, der eine solche Anlage oder Teile hiervon fehlerhaft herstellt und dadurch eine „Gemeingefahr" herStand: 1 . 2 . 1997

(2)

Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage

§ 311 c

beiführt. Der Begriff der „Gemeingefahr" wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens „aufgelöst" (zu BTDrucks. III/1412 S. 6), um klarzustellen, daß die Gefährdung eines bestimmten Menschen deii Tatbestand auch dann erfüllt, wenn der Gefährdete „nicht Repräsentant der Allgemeinheit" ist. Es handelt sich um ein konkretes Gefahrdungsdelikt; geschützt werden die Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie das Eigentum an Sachen von bedeutendem Wert. Für einen doppelten Rechtsgutsbezug, der auch „Umweltrechtsgüter" einbezieht, setzt sich mit guten Gründen Reinhardt (S. 221 f) ein. II. Tatobjekte 1. Der Begriff der „kerntechnischen Anlage" ist seit dem 18. StRÄndG im StGB 2 selbst umschrieben (§ 330 d Nr. 2). Es wurde die Formulierung aus § 7 Abs. 1 AtomG mit der Änderung übernommen, daß nicht nur ortsfeste, sondern auch ortsveränderliche Anlagen erfaßt sind (§ 327 Rdn. 2 ff). Die Definition wäre sinnvoller in § 327 aufgehoben (Reinhardt S. 186 ff, 194). Der Anlagenbegriff ist nicht unumstritten (§ 327 Rdn. 3; BVerwG NVwZ 1994 1097; Haedrich § 7 Rdn. 5; Ronellenfitsch Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, S. 134 ff; Reinhardt S. 188 ff). Zu folgen ist der engeren Auffassung, wonach nur die „nuklearspezifischen" Anlagen und Anlagenteile erfaßt sind (BVerwGE 72 300, 328 ff; 80 21, 22 f; Reinhardt S. 189), nicht dagegen „funktionsneutrale" Anlagenteile (Reinhardt S. 191; Bertrams DVB1. 1993 687; für einen „weiten" Anlagenbegriff: Kutscheidt, Neuntes Deutsches Atomrechtssymposium [1991] S. 229, 234). 2. Außer einer Gesamtanlage können Objekt des Tatbestandes auch einzelne Gegen- 3 stände sein, falls sie a) zur Errichtung einer solchen Anlage oder b) zu deren Betrieb bestimmt sind. Errichten bedeutet, die Anlage an dem Ort, an dem der nachfolgende Betrieb stattfinden soll, in einer Weise erstmals (Lackner/Kühl Rdn. 2) bereitzustellen, daß mit dem Betrieb begonnen werden kann {Fischerhof § 7 Rdn. 7). Die Unterscheidung zwischen Errichtung und Betrieb findet sich auch in § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Nach den Materialien zu diesem Gesetz ist der Begriff des Errichtens in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Errichtung ist nicht allein das Stadium des Aufbaus, sondern auch die Einrichtung der Anlage ihrer gesamten technisch-konstruktiven Beschaffenheit nach, einschließlich ihrer Funktionsweise. Errichtung ist damit als Vorstufe zum „Betrieb" (besser: Betreiben) der Anlage aufzufassen und umfaßt sämtliche hierfür im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen bis zur Erreichung der konkret beabsichtigten Funktionsbereitschaft. Etwa erforderlich werdende Probeläufe der Anlage sind bereits dem „Betrieb" zuzurechnen (abw. § 15 a Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i. d. F. durch Art. 8 Nr. 6 des Gesetzes vom 22. 4. 1993 [BGBl. I S. 466, 484], aufgehoben durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes vom 9. 10. 1996 [BGBl. I S. 1498, 1499], wo von „Errichtung einschließlich des Probebetriebs" gesprochen wird). Die Errichtung liegt nicht erst dann vor, wenn die Herrichtungsarbeiten zur Aufnahme des Betriebes zum Abschluß gelangt sind, wie man aus dem — einen solchen Abschluß an sich enthaltenden — Wort „Errichtung" in seiner Kennzeichnung für ein abgeschlossenes Faktum entnehmen könnte, sondern bereits dann, wenn tatsächlich „errichtet" wird, d. h., wenn Ausschachtungs-, Bau- oder Montagearbeiten für das Vorhaben ausgeführt werden. Rein büromäßige Vorbereitungshandlungen gehören hierzu noch nicht (Kutscheidt in Landmann/Rohmer Umweltrecht Band I § 4 BImSchG Rdn. 37). Maschinen und Rohre sind hiernach nicht erst zum Betrieb, sondern bereits zur Errichtung einer Anlage bestimmt (abweichend Horn SK Rdn. 3).

(3)

Joachim Steindorf

§ 311 c 4

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Auch der Begriff „Betrieb" ist „in einem umfassenden Sinne" zu verstehen (BTDrucks. 7/179 S. 31), so daß hierunter nicht allein die Produktion im engeren Sinne, sondern die gesamte Betriebsweise, einschließlich ihrer Wartung und Unterhaltung, zu fassen ist. Auch spricht man besser vom „Betreiben" der Anlage. Schwierigkeiten der Auslegung werden hier seltener auftreten. Erforderlich ist, daß die errichtete Anlage in Funktion gesetzt wird, was schon bei Probeläufen der Fall ist (str.; Rdn. 3).

Die Abgrenzung ist in Zweifelsfällen nicht entscheidungserheblich, da in beiden Fällen Strafbarkeit eintritt. Auszuscheiden sind lediglich die Fälle, in denen weder Errichten noch Betreiben vorliegt. 5 Die Frage, ob die Gegenstände zur Errichtung oder zum Betrieb einer solchen Anlage bestimmt sind, entscheidet sich nach objektiven Maßstäben'. Maßgebend ist, ob die Gegenstände den Bestimmungszweck in sich tragen, ob es ihr Schicksal ist, ob sie hierfür vorgesehen sind. Vorbild ist, wie in der Entstehungsgeschichte dargelegt, § 109 e Abs. 2, wo die Formulierung gebraucht wird: „den dafür bestimmten Werkstoff". Abzustellen ist darauf, ob die Gegenstände Bestandteil der kern technischen Anlage werden sollen; „Teile hiervon" (Rdn. 3) erfaßt somit alles, was zur Einrichtung der Anlage verwendet werden soll. Arbeitsmittel werden dagegen nicht Bestandteil der Anlage. Sie scheiden folglich aus. Derartige Arbeitsmittel können so fehlerhaft sein, wie sie wollen, wenn nur das durch sie geschaffene Produkt, das der Anlage eingefügt werden soll, fehlerfrei ist. Über den Verwendungszweck bestimmt nicht einseitig der Hersteller oder Lieferant oder gar derjenige, der für die Errichtung oder den Betrieb der Anlage verantwortlich ist (so allerdings Horn Rdn. 3). Das bedeutet einmal, daß ein über den Verwendungszweck nicht informierter Hersteller oder Lieferant an sich objektiv tatbestandsmäßig handelt, und zum anderen, daß die bloße subjektive Widmung eines zu diesem Zweck — objektiv — völlig ungeeigneten Gegenstandes nicht ausreicht, eine „Bestimmung" anzunehmen. Allein diese Auslegung wird dem geforderten Gefährdungscharakter der Tathandlung gerecht. Bei den Gegenständen muß es sich um Material für „ungewöhnlich große Gefahrenquellen" (Triffterer S. 354) handeln. Gegenstände, die aufgrund ihrer Beschaffenheit (entgegen der Annahme des Herstellers oder Lieferanten) zum Zweck der Komplettierung einer Atomanlage nicht verwendbar sind, scheiden damit als Objekte des Tatbestandes aus. 6

III. Tathandlungen. Anlagen oder Gegenstände mit der (Rdn. 5) geschilderten Zweckbestimmung müssen entweder fehlerhaft hergestellt oder fehlerhaft geliefert worden sein. Zunächst ist klarzustellen, daß es hierbei nicht auf Fehler in dem Herstellungs- oder Lieferungsvorgang selbst ankommen kann. Dementsprechend müßte die Überschrift auch lauten: Herstellung einer fehlerhaften kerntechnischen Anlage und nicht: Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage. Entscheidend ist allein die mangelnde Qualität des hergestellten oder gelieferten Produkts (so auch Horn SK Rdn. 4; Sack Rdn. 15). Fehlerbehaftet ist ein solches, wenn seine Beschaffenheit die Verwendbarkeit zum bestimmungsgemäßen Gebrauch entweder völlig ausschließt oder in einem derart erheblichen Maße herabmindert, daß die Zweckerreichung gefährdet ist, der angestrebte Zweck nicht vollständig verwirklicht werden kann (Heine in Meinberg/Möhrenschlager/Link Umweltstrafrecht S. 124). Entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Bestimmung ist die Frage der Verwendbarkeit (Tauglichkeit) im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt der Ausschaltung atomarer Gefahren zu entscheiden. Es geht nicht um die Garantie bloßer technischer Wertarbeit. Maßstäbe für die Fehlerhaftigkeit sind einer'

Darauf, ob der betreffende Gegenstand zwischen Ingangsetzen und endgültiger Stillegung in der Anlage — tatsächlich — benutzt wird, kommt es

nicht an; entscheidend ist die Zweckbestimmung ex ante.

Stand: 1 . 2 . 1997

(4)

Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage

§ 311 c

seits Sicherheitsanforderungen, die durch Rechtsvorschriften (ζ. B. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG) festgelegt sind, andererseits auch solche, die der technische Erfahrungsstand gebietet, ohne daß diese rechtlich reglementiert sein müßten (Lackner/Kühl Rdn. 3, ähnlich Schroeder LK § 109 e Rdn. 7). Nicht fehlerhaft ist (entgegen Dreher/Trändle Rdn. 4) eine mengenmäßige Minderlieferung fehlerfreier Gegenstände. Die Lieferung eines „aliud" ist es dann nicht, wenn diesem die erforderliche Zweckbestimmung erkennbar fehlt und es deshalb kerntechnisch gesehen irrelevant ist. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise ist in keinem dieser Fälle für die Annahme der Fehlerhaftigkeit ausschlaggebend (so auch Horn SK Rdn. 4). Nicht fehlerhaft handelt beispielsweise auch derjenige, der — vertragswidrig — überhaupt nicht oder zwar verspätet, aber fehlerfrei herstellt oder liefert (Horn aaO) 2 . In all diesen Fällen kann die Gefahr einer sicherheitstechnischen Panne infolge eines Mangels an der Anlage mit ihren schwerwiegenden Folgen nicht akut werden. Wohl aber kann die Gefahr eintreten, wenn der Besteller eines nach seinen Plänen herzustellenden sicherheitsrelevanten Bestandteils der Anlage ihre Mangelhaftigkeit nicht erkennt, der Hersteller oder Lieferant aber den erforderlichen „Durchblick" hat. Falls einer von diesen in bezug auf den Fehler des Gegenstandes vorsätzlich handelt und ihm auch die Gefahr in einer der Formen des Tatbestandes zuzurechnen ist, ist er Täter (wie hier insoweit Horn SK Rdn. 4). 1. Als gleichwertige Tathandlungen stehen nebeneinander das Herstellen und das Lie- 7 fern. Das „Instandhalten" ist entgegen dem Entwurf der SPD-Opposition (BTDrucks. 12/ 376 S. 14) zu Recht nicht als weitere Modalität in den Tatbestand aufgenommen worden; die fehlerhafte Reparatur an bestehenden Anlagen kann durch die Variante der Lieferung von Gegenständen für die Errichtung oder den Betrieb der Anlage ausreichend erfaßt werden (krit. Lackner/Kühl Rdn. 3; Möhrenschlager NStZ 1994 566, 569). Herstellen bezieht sich in erster Linie auf die Erstellung der ortsfesten Gesamtanlage in der Sphäre des Bestellers, da nur durch ein solches Herstellen die konkrete Gefahr verursacht werden kann. Der Hersteller der nicht gelieferten fehlerhaften Einzelteile, die er noch in seinem Besitz hat, wird zur Verursachung einer solchen Gefahr regelmäßig nicht in der Lage sein. Unter Herstellen versteht man die Anfertigung eines Gegenstandes bis zu seiner bezweckten Fertigstellung als Vorstufe der Ingebrauchnahme. Es entsteht ein „Werk", zu dessen Gestaltung das Bearbeiten oder Verarbeiten von Werkstoffen vorgenommen wird (Lackner/Kühl Rdn. 3). Für das Bundes-Immissionsschutzgesetz stellt dessen § 3 Abs. 7 das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstiges Behandeln dem Herstellen gleich. Begriffe aus diesem Bereich des sog. technischen Rechts sind als Parallelen besser geeignet als etwa solche aus dem Urkundenrecht, in dem ebenfalls das „Herstellen" zum Tatbestand gehört. Ob bereits die Auswahl des Rohstoffes oder Halbfertigfabrikats unter den Begriff des Herstellens zu fassen ist (so Dreher/Tröndle Rdn. 3; Sack Rdn. 13) erscheint zweifelhaft; insoweit wird nur eine das Herstellen vorbereitende Tätigkeit anzunehmen sein mit der Folge, daß derjenige, dessen Tathandlung sich auf das Auswählen beschränkt hat, noch nicht „hergestellt" hat. Auch das Versuchsstadium (Abs. 2) wird in Fällen dieser Art noch nicht erreicht sein. 2. Liefern betrifft ortsveränderliche Anlagen oder Gegenstände, die im Anschluß an 8 ihre Herstellung in der Sphäre des Produzenten dazu bestimmt und geeignet sind, in den Besitz des Bestellers und späteren Benutzers überzugehen, und bedeutet diesen Besitzwechsel, das Überlassen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch. Dieser Besitzübergang 2

(5)

Schroeder LK § 109 e Rdn. 7 sieht darin zu Unrecht einen Wertungswiderspruch. Joachim Steindorf

§ 311 c

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

wird häufig auf rechtsgeschäftlicher Basis vonstatten gehen. Notwendig ist dies indes nicht (so allerdings Schroeder LK § 109 e Rdn. 7; Dreher/Trändle Rdn. 4; wie hier Horn SK Rdn. 4; zw. Sack Rdn. 14). 9 Die Verantwortlichkeit für Herstellen oder Liefern richtet sich nach den allgemeinen Regelungen. Nach diesen ist der jeweils innerbetrieblich Verantwortliche (Betriebsleiter, Spediteur) heranzuziehen, darüber hinaus aber auch bei entsprechendem Kenntnisstand der herstellende Arbeiter oder ausliefernde Kraftfahrer (Schroeder LK § 109 e Rdn. 7). 10 Einen Sonderfall behandelt Horn (SK Rdn. 4): Danach verhält sich nicht tatbestandsmäßig der — außenstehende — Saboteur, der mit dem Erfolg der Fehlerhaftigkeit des Gegenstandes in den Herstellungsprozeß eingreift oder in dieser Weise auf den Gegenstand bei der Lieferung einwirkt. Dem kann nicht gefolgt werden. Vorbild für die vorliegende Regelung ist § 109 e, der die Überschrift trägt: Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln. Schon daraus erhellt, daß die Herstellung oder Lieferung einer fehlerhaften kerntechnischen Anlage oder von Bestandteilen hierfür durch einen Saboteur, der sich in den Herstellungs- oder Lieferungsvorgang eingeschlichen hat, sehr wohl erfaßt ist. Man denke an den Fall, daß ein Fahrzeug mit vorschriftsgemäßer Ware auf dem Transportweg abgefangen und diese Ware von Saboteuren gegen gefahrbringende Teile ausgetauscht wird. Daß in einem solchen Falle fehlerhafte Gegenstände geliefert werden und dadurch vorsätzlich die vom Tatbestand geforderte Gefahr verursacht wird, kann nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. Eine Bestätigung der hier vertretenen Ansicht ist auch darin zu erblicken, daß der Gesetzgeber des 31. StRÄndG — 2. UKG ausdrücklich erklärt hat, der — nunmehr umgestaltete — Tatbestand der vorliegenden Vorschrift solle „nicht länger auf Sabotageakte beschränkt" bleiben (RegE BTDrucks. 12/192 S. 14; Möhrenschlager NStZ 1994 566, 569). Es kann nicht genug betont werden, daß jede Art von zivilrechtlicher Betrachtungsweise (vertraglicher Hersteller oder Lieferant) fehl am Platze ist (unscharf insoweit — Überlassung „durch Rechtsgeschäft" — auch Schroeder LK § 109 e Rdn. 7). 11

3. Das Verhältnis zwischen den beiden Tatmodalitäten Herstellen und Liefern ist hier — teilweise abweichend von rechtsähnlichen Konstruktionen (Herstellen und Gebrauchmachen bei § 267) — in eigenständiger Weise zu lösen, da an beide Alternativen die Verursachung der konkreten Gefahr anknüpfen kann. Solange ein fehlerhafter Gegenstand oder die Gesamtanlage lediglich hergestellt worden, in der Folgezeit aber beim Hersteller verblieben ist, wird eine solche Herstellung nicht die Entstehung einer konkreten Gefahr im Sinne des Absatzes 1 2. Halbsatz verursachen können. Anders kann es bei der Herstellung einer ortsfesten Anlage sein, die für den Besteller auf dessen Grund und Boden fertiggestellt wird, obwohl auch hier konkrete Gefährdungen erst durch die Inbetriebnahme seitens des Bestellers entstehen werden, die wiederum eine Besitzüberlassung an ihn zur Voraussetzung hat. Wird sowohl durch eigenes Herstellen als auch durch anschließendes Liefern die Gefahr verursacht, so können beide Alternativen verwirklicht sein. Ihr Verhältnis bestimmt sich dann entsprechend dem zwischen Fälschen und Gebrauchmachen bei § 267, so daß bei entsprechendem Vorsatz nach der Rechtsprechung des BGH eine einheitliche Tat anzunehmen sein wird (BGHSt. 17 97; Tröndle LK10 § 267 Rdn. 210 ff). Keineswegs verdrängt der Tatbestand des Lieferns stets den des Herstellens, da auch denkbar ist, daß die Person des Lieferanten nicht mit der des Herstellers identisch ist (Schroeder LK § 109 e Rdn. 7). Ebenso gewinnt das Liefern selbständige Bedeutung, wenn der Hersteller den Mangel beim Herstellungsvorgang nicht entdeckt, wohl aber noch vor Ablieferung (Schroeder aaO).

Stand: 1. 2. 1997

(6)

Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage

§ 311

c

4. Die konkrete Gefahr, die durch Herstellen oder Liefern verursacht werden muß, 12 entspricht in ihrer gesetzestechnischen Ausgestaltung derjenigen, die beispielsweise in § 315 c Abs. 1 enthalten ist. Den Bestrebungen, den Charakter des konkreten Gefährdungsdelikts, aufzugeben, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt (Möhrenschlager NStZ 1994 566, 569). Insoweit kann auf die Erläuterungen zu dieser Vorschrift verwiesen werden. Den Begriff der „Gemeingefahr", der ursprünglich vorgesehen war (Rdn. 1), hat der Gesetzgeber zu Recht vermieden. Die Besonderheit der vorliegenden Regelung liegt darin, daß die geforderte konkrete Gefahr wiederum — zumindest auch (Lackner/Kühl Rdn. 4) — eine typisch „atomare" Gefahr sein muß (Fischerhof § 48 Rdn. 2, § 45 Rdn. 3). Das bedeutet, daß alle Gefahren ausscheiden, die nicht mit der Wirkung eines Kernspaltungsvorgangs oder der Strahlung eines — natürlich oder künstlich (BTDrucks. III/759 S. 43) — radioaktiven Stoffes (§ 2 Abs. 1 AtomG) in Zusammenhang zu bringen sind (Horn SK Rdn. 5), beispielsweise eine „isolierte" Feuergefahr (Fischerhof § 48 Rdn. 3). Nicht erfaßt sind auch Gefahren, die von anderen Strahlenquellen als den genannten ausgehen, beispielsweise künstlich erzeugte ionisierende Strahlen, wie Röntgenstrahlen, so daß die Herstellung und Lieferung eines fehlerhaften Röntgengerätes nicht unter die Bestimmung fällt {Fischerhof § 48 Rdn. 2; Reinhardt S. 193). Für die ursächliche Verknüpfung von Herstellen oder Liefern eines fehlerbehafteten Gegenstandes oder der Gesamtanlage mit der Gefahr kommt es lediglich auf die Feststellung dieses Ursachenbandes selbst an; ein besonderes „Ausmaß an Fehlerhaftigkeit" (Dreher/Tröndle Rdn. 5) fordert die gesetzliche Regelung nicht. Es kann aber vom Ausmaß des Fehlers abhängen, ob nur Betriebsangehörige konkret gefährdet werden oder ob durch Austritt von Radioaktivität in die Umwelt weitergehender Schaden zu besorgen ist (Reinhardts. 241). Vollendet ist die Tat, wenn die konkrete Gefahr eingetreten ist (Sch/Schröder/Cramer 13 Rdn. 12 m. w. N.). IV. Täterschaft und Teilnahme sind nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen; 14 für Absatz 4 sind hierbei die Besonderheiten derartiger Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen zu beachten (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13). Jeder, der den Tatbestand in seinen Merkmalen erfüllt, kann ohne Rücksicht auf seine Stellung im Herstellungs- oder Lieferungsprozeß Täter sein (Horn SK Rdn. 4; Sack Rdn. 30). Zur Frage, ob auch ein außenstehender „Saboteur" als Täter in Betracht kommt, wird auf Rdn. 10 verwiesen. V. Auch die Frage des Unrechtsausschlusses durch Rechtfertigungsgründe beurteilt 15 sich nach allgemeinen Regeln. Umstritten ist, ob die Einwilligung des allein Gefährdeten die Rechtswidrigkeit ausschließt. Dies ist zu verneinen, da trotz der Gestaltung des Tatbestandes als konkretes Gefährdungsdelikt auch eine abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit bekämpft werden soll (Sack Rdn. 24; Reinhardt S. 223; aA Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11; Horn SK Rdn. 8). Die Rechtsfrage ist auch bei anderen Bestimmungen streitig (Woljf LK § 310 b Rdn. 6; Dreher/Tröndle § 310 b Rdn. 8). VI. Innere Tatseite. Absatz 1 a. F., der eigentliche „Sabotage-Tatbestand", erforderte 16 sowohl hinsichtlich der Tathandlung als auch bezüglich der verursachten konkreten Gefahr die Vorsatzform der „Wissentlichkeit" (Schroeder LK § 16 Rdn. 81 ff). Der Täter mußte sicher davon überzeugt sein, daß der Gegenstand fehlerhaft ist und daß dadurch die tatbestandsmäßige Gefahr herbeigeführt werden wird (Lackner/Kühl Rdn. 5). Bedingter Vorsatz (hierzu Schroeder aaO Rdn. 85 ff) reichte zur Erfüllung des (7)

Joachim Steindorf

§ 311 c

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

inneren Tatbestandes der Tathandlung selbst nicht aus. Hinsichtlich der Gefahr (Rdn. 12) galt Absatz 4. Wie das Vorbild dieser Regelung — § 109 e Abs. 2 — diente diese Bestimmung dem Schutz der Unternehmer (Schroeder LK § 109 e Rdn. 13 m. w. N.). Fahrlässiges Herstellen oder Liefern eines fehlerhaften Gegenstandes unterfiel in keinem Falle der Strafvorschrift (kritisch hierzu Triffterer S. 255 und Reinhardt S. 178 f). Selbst derjenige wurde nicht erfaßt, der mit bedingtem Vorsatz schlecht gearbeitet hatte (Kohlhaas GA 1962 43, 55). Damit wurde die Vorschrift in ihrer Anwendung stark beschränkt und konnte echte „strafrechtliche Produkthaftung" nicht begründen (Reinhardt S. 179). 16a

Dieser berechtigten Kritik Rechnung tragend, hat der Gesetzgeber des 31. StRÄndG — 2. UKG die Vorschrift umgestaltet. Ihm schienen die Beschränkungen des Tatbestandes in subjektiver Hinsicht („wissentlich") im Hinblick auf die möglichen katastrophalen Folgen der Tathandlungen sowohl für das Betriebspersonal als auch für weite Teile der Bevölkerung nicht sachgerecht. Dementsprechend soll der geänderte Tatbestand nicht länger auf „Sabotageakte" beschränkt bleiben (RegE BTDrucks. 12/192 S. 14). N a c h d e r - a b 1. 11. 1994 geltenden — Neufassung reicht es aus, wenn der Werkunternehmer oder Lieferant fehlerhaftes Material vorsätzlich (Absatz 1) oder „leichtfertig" (nach dem neu eingefügten Absatz 5) verwendet oder liefert. Der Gesetzgeber hat — im Hinblick auf den „Vorfeldcharakter" der Tat bewußt nicht jede Fahrlässigkeit (wie etwa Art. 30 Abs. 2 des schweizerischen Bundesgesetzes über die friedliche Verwendung der Atomenergie) ausreichen lassen, auf der anderen Seite aber ein Strafbedürfnis dort gesehen, wo sich dem Hersteller oder Lieferanten sicherheitsrelevanter Teile einer kerntechnischen Anlage der Pflichtenverstoß geradezu aufdrängt, wenn er nämlich „in grober Weise gegen die allgemein anerkannten und für diesen Technologiebereich geforderten Produktions- und Kontrollregeln" verstößt (RegE BTDrucks. 12/192 S. 14). Erfaßt sind danach „besonders sorglose" Verhaltensweisen, wenn sie in vorwerfbarer Weise zu einer für den Täter vorhersehbaren konkreten Gefährdung führen (RegE aaO). Zum Begriff der Leichtfertigkeit wird auf OLG Nürnberg NStZ 1986 556; Schroeder LK § 16 Rdn. 208 ff sowie § 330 Rdn. 4 verwiesen.

17

VII. Absatz 2 erklärt den Versuch des Absatzes 1 (nicht des Absatzes 4: Sch/Schröder/Cramer Rdn. 12; Horn SK Rdn. 14) in Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht (§ 48 Abs. 2 AtomG) für strafbar (§ 23 Abs. 1). Die Tat ist bereits vollendet, wenn die nahe Wahrscheinlichkeit der Schädigung eines Menschen an Leib oder Leben oder einer fremden Sache eintritt. Die entfernte Möglichkeit der Gefährdung genügt nicht (Mattern/ Raisch AtomG § 48 Rdn. 2 unter Hinweis auf Schaflieutle, Niederschriften Band VIII S. 431, wonach die erstmalige Benutzung des mit dem fehlerhaften Gegenstand hergestellten Geräts die nahe Wahrscheinlichkeit der Schädigung mit sich bringt). Vollendung liegt noch nicht allein deswegen vor, weil der Herstellungsvorgang abgeschlossen, die Anlage abgenommen oder der Gegenstand abgeliefert worden ist, solange die Gefährdung noch nicht eingetreten ist (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 12; Dreher/Tröndle Rdn. 7; Sack Rdn. 32). Die Erstellung von Plänen für eine fehlerhafte Anlage ist noch Vorbereitungshandlung. Wann ein Ansetzen zur Tat vorliegt, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Bei entsprechendem Tatplan kann ein Versuch bereits dann vorliegen, wenn mit der Herstellung, wenn auch zunächst fehlerlos, begonnen worden ist CHorn SK Rdn. 10; Sack Rdn. 32).

18

VIII. Rechtsfolgen. Der Strafrahmen des Vergehens nach Absatz 1 reichte bis zur Änderung durch das 31. StRÄndG — 2. UKG mit Wirkung vom 1.11. 1994 — wie bei seinem Vorläufer § 48 Abs. 1 AtomG — von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (mit Recht — im Hinblick auf drohende Massengefährdungen — kritisch zu dieser BegrenStand: 1.2. 1997

(8)

Fehlerhafte Herstellung einer kerntechnischen Anlage

§ 3 1 1

c

zung Triffierer S. 254 f und Reinhardt S. 177, 243: [„echte Hochkriminalität"]). Mit Rücksicht auf die Einbeziehung „schlicht" vorsätzlichen Handelns (Rdn. 16 a) ist die Mindeststrafe auf drei Monate herabgesetzt worden; die Höchststrafe ist unverändert geblieben. Das Gesetz sieht darüber hinaus für besonders schwere Fälle in Absatz 3 Satz 1 wie bisher Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor; das 18. StRÄndG (siehe Entstehungsgeschichte) hat in Absatz 3 Satz 2 als Regelbeispiel neu eingefügt, daß die leichtfertige (Schroeder LK § 16 Rdn. 208 ff; kritisch auch insoweit Triffierer S. 255) Verursachung des Todes eines Menschen ein solch besonders schwerer Fall sein soll. Die Gefährdung einer großen Anzahl von Menschen kann Indiz für die Annahme eines besonders schweren Falles sein (§ 330 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 a. F. = § 330 Satz 2 Nr. 2 n. F.). Als allzu schematisierend ist die Auffassung abzulehnen, daß „bei vorsätzlicher Verursachung" in der Regel ein unbenannter besonders schwerer Fall vorliege (so Lackner/Kühl Rdn. 6). Falls hierbei auf die Gefahr abgestellt wäre, könnte dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden; falls die vorsätzliche Verursachung des Todes gemeint sein sollte, erscheint dies selbstverständlich. Einer milderen Strafdrohung (Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) unterfiel nach Absatz 4 a. F., wer die Gefahr zwar nicht wissentlich, aber (bedingt) vorsätzlich oder fahrlässig (Schroeder LK § 16 Rdn. 116 ff) herbeiführte. Die Tathandlung selbst mußte auch bei dieser Fallgestaltung wissentlich verwirklicht werden, so daß es auch in allen Fällen bei der Einstufung als Vorsatztat blieb (§ 11 Abs. 2; Lackner/Kühl Rdn. 5). Ein „besonders schwerer Fall" (Abs. 3) scheidet hier aus (Horn SK Rdn. 12). Nach der ab 1.11. 1994 geltenden Neufassung der Vorschrift durch das 31. 18a StRÄndG - 2.UKG vom 27.6. 1994 (BGBl. I S. 1440) ist die Mindeststrafe des Absatzes 1 mit Rücksicht darauf, daß nunmehr statt „Wissentlichkeit" der „einfache" Vorsatz zur Strafbarkeit ausreicht, auf drei Monate herabgesetzt worden. Dem Anliegen des Bundesrates, es trotz der Gesetzesänderung bei der Mindeststrafe von sechs Monaten zu belassen (BTDrucks. 12/192 S. 39), ist der Gesetzgeber zu Recht nicht gefolgt; die von der BReg. in ihrer Gegenäußerung hierzu (aaO S. 43) dargelegten Gründe der Harmonisierung mit den übrigen Vorschriften des 2. UKG, insbesondere mit § 330 StGB n. F., überzeugen. Während die Strafdrohung für besonders schwere Fälle in Absatz 3 sowie für die nunmehr von der „Wissentlichkeit" befreite Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination des Absatzes 4 unverändert erhalten geblieben ist, ist in dem neuen Absatz 5 ein herabgesetzter Strafrahmen für die Fälle eingeführt worden, in denen der Täter den Tatbestand des Absatzes 1 leichtfertig (Rdn. 16 a; Schroeder LK § 16 Rdn. 208 ff) verwirklicht und ihm in bezug auf die Verursachung der Gefahr Fahrlässigkeit zur Last fällt. Hier handelt es sich um einen reinen Fahrlässigkeitstatbestand, während die Tat nach Absatz 4 Vorsatztat bleibt (§ 11 Abs. 2). IX. Tätige Reue. Eine Regelung hierüber hatte der Gesetzgeber des 18. StRÄndG 19 nicht vorgesehen. Dies war als ausdrückliche Ablehnung aufzufassen (Vorauflage; Sack Rdn. 38; aA Reinhardt S. 185 Fn. 322: in der Eile übersehen worden). Die von Cramer (,Sch/Schröder24 Rdn. 13) angeregte analoge Anwendung von § 311 c Abs. 2 Nr. 2 a. F. war daher abzulehnen. Der Gesetzgeber des 31. StRÄndG - 2.UKG hat nunmehr für die Zeit ab 1. 11. 1994 die Gesetzeslage geändert. Neben der Umbenennung der vorliegenden Bestimmung von § 311 e in § 311 c hat er gleichzeitig die Vorschrift über tätige Reue (§ 311 c a. F.) als neuen § 311 e in der Weise umgestaltet, daß nunmehr auch auf die vorliegende Bestimmung — § 311 c n. F. — verwiesen wird, und zwar in § 311 e Abs. 2 Nr. 2 n. F. auf § 311 c (9)

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Abs. 1 und 4 n. F. sowie in § 311 e Abs. 3 Nr. 1 n. F. auf § 311 c Abs. 5 n. F. Damit ist klargestellt, daß die Vorschriften über tätige Reue nunmehr auch für die vorliegende Bestimmung gelten. Auf die Erläuterungen von Wolff zu § 311 c a. F. wird verwiesen. 20

X. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen. Wird über die konkrete Gefährdung hinaus eine Verletzung der in Absatz 1 genannten Schutzgüter bewirkt, so kommt — ähnlich wie bei § 315 c — Tateinheit in Betracht, soweit der Umfang der gefährdeten Rechtsgüter größer war als der der verletzten (Fischerhof § 48 AtomG Rdn. 9). Im übrigen tritt § 311 c hinter den Verletzungsdelikten (§§ 211, 212, 222, 223, 230) zurück. Aus Gründen der Subsidiarität ist § 311 c neben den §§ 310 b, 311 a nicht anwendbar. Tateinheit kann über die geschilderten Fälle hinaus vorliegen beim Zusammentreffen mit §§ 311 d, 326, 327, 328, 330, desgl. mit §§ 109 e, 263 (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 15; Dreher/Tröndle Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 7).

21

XI. Übergangsrecht. Die Vorschrift — § 311 c n. F. — mit ihrer erweiterten Strafbarkeit ist erst für Tatzeiten ab 1.11. 1994 anwendbar. Bis zu diesem Zeitpunkt richtet sich die Bestrafung nach § 311 e a. F., abgedruckt am Ende des Abschnitts „Entstehungsgeschichte".

22

XII. Recht des Einigungsvertrages. Die Bestimmung gilt seit dem Wirksamwerden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland — 3. 10. 1990 — auch in den fünf auf dem Gebiet der ehemaligen DDR errichteten Bundesländern. Ergänzende Regelungen sind im Einigungsvertrag vom 31.8. 1990 in Verbindung mit Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. 9. 1990 (BGBl. II S. 885, 889) nicht enthalten. Eine der vorliegenden Bestimmung entsprechende Strafbestimmung war weder im StGB-DDR, zuletzt i. d. F. des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29.6. 1990 (GBl. I S. 526), noch im Nebenstrafrecht der DDR enthalten (Reinhardt S. 201, 273). Die Strafbestimmungen in den §§11 und 12 des Atomenergiegesetzes vom 8. 12.1983 (GBl. IS. 325) sind nicht einschlägig. Weiteres Schrifttum: von Oertzen DtZ 1990 247; Kremser SächsVerwBl, 1995 169; Pelzer (Hrsg.) Deutsches Atomenergierecht im internationalen Rahmen (1992); Dritte Arbeitssitzung: Probleme der Anwendung des Atomgesetzes in den neuen Bundesländern, Teil 1: Genehmigung, Überwachung, Strahlenschutz.

§ 311 d Freisetzen ionisierender Strahlen (1) Wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten (§ 330 d Nr. 4,5) 1. ionisierende Strahlen freisetzt oder 2. Kernspaltungsvorgänge bewirkt, die geeignet sind, Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Wer fahrlässig 1. beim Betrieb einer Anlage, insbesondere einer Betriebsstätte, eine Handlung im Sinne des Absatzes 1 in einer Weise begeht, die geeignet ist, eine Schädigung außerhalb des zur Anlage gehörenden Bereichs herbeizuführen oder Stand: 1. 2. 1997

(10)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

2. in sonstigen Fällen des Absatzes 1 unter grober Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Vorschrift wird ergänzt durch Art. 2 des „Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. 10. 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial" vom 24. 4. 1990 (BGBl. II S. 326) i. d. F. des Art. 6 des 2. UKG (BGBl. 1994 I S. 1440, 1444). Die Vorschrift lautet: Artikel 2 § 311 d Abs. 1 und 2 sowie § 328 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches gelten mit folgender Maßgabe: Einer verwaltungsrechtlichen Pflicht im Sinne des § 311 d Abs. 1 und einer Genehmigung und Untersagung im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr. 1 stehen eine entsprechende ausländische verwaltungsrechtliche Pflicht, Genehmigung und Untersagung gleich. Schrifttum A. Schrifttum zum früheren Recht. Beck Die Strahlenschutzverordnungen, Bd. 1 (1961); Breuer Die Entwicklung des Atomrechts 1974-1976, NJW 1977 1121; Breuer Die Entwicklung des Umweltschutzrechts seit 1977, NJW 1979 1862; Buckenberger Strafrecht und Umweltschutz (1975); Fischerhof Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht, 2. Aufl. (1978); Haedrich Atomgesetz, Das Deutsche Bundesrecht III Ε 50 (1979); Kimminich Atomrecht (1974); Kohlhaas Die Strafbestimmungen des deutschen Atomgesetzes, AtW 1961 453; Kohlhaas Die Straf- und Bußgeldbestimmungen des Luftverkehrsgesetzes und des Atomgesetzes, GA 1962 43; Mattern/Raisch Atom- und Strahlenschutzrecht (1978); Nehring Strafnormen im Atomenergierecht (1965); Winters Atom- und Strahlenschutzrecht (1979). B. Schrifttum zum bis zum 31.10. 1994 geltenden Recht. Bartholme Strafrechtliche Aspekte des „Plutoniumtourismus", JA 1996 730; Bertrams Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Atomrecht, DVB1.1993 687; Bischof Strahlenschutzvorsorgegesetz (1989); Bischof Zur Optimierungspflicht im Strahlenschutzrecht; NJW 1991 2323; Blümel/Wagner (Hrsg.) Technische und rechtliche Fragen der Stillegung und Beseitigung nuklearer Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland (1993); Braun/Ferchland Nuklearkriminalität, Kriminalistik 1993 481; Czajka Die Zweite Verordnung zur Änderung der Strahlenschutzverordnung, NVwZ 1989 1125; Ewen u. a. Die neue Strahlenschutzverordnung (1990); Haedrich Atomgesetz mit Pariser Haftungsübereinkommen (1986); Hinrichs Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen, 2. Aufl. (1987); Hinrichs Die neue Röntgenverordnung, NJW 1987 2284; Hoyer Die Eignungsdelikte (1987); Hug/ Trott Die Wirkung ionisierender Strahlung auf den Menschen in: Kernenergie, hrsg. von Lindakkers u. a. (1970); Kaul Tschernobyl: Fakten, Maßnahmen, Konsequenzen, in: Strahlenschutz nach Tschernobyl. Ionisierende Strahlen: Erkenntnisse, Konzepte, Regelungen, hrsg. von Schütz, Börner und Messerschmidt (1987); Kaul Die radiologischen Folgen von Tschernobyl, atw 1987 532; Kaul/ Noßke Zur Radiotoxizität von Plutonium, in: Achtes Deutsches Atomrechtssymposium, hrsg. von Lukes und Birkhofer (1989); Kramer/Zerlett Strahlenschutzverordnung, Strahlenschutzvorsorgegesetz, 3. Aufl. (1990); Kramer/Zerlett Röntgenverordnung, 3. Aufl. (1991); Kremser Die Fortgeltung strahlenschutzrechtlicher Bestimmungen der DDR, SächsVerwBl. 1995 169; Laufhütte/Möhrenschlager Umweltstrafrecht in neuer Gestalt, ZStW 92 (1980) 912; Marker Der kontaminierte Beamte, Deutsche Polizei 1994 Heft 10, S. 28; Mattausch/Baumann Nuklearkriminalität - illegaler Handel mit radioaktiven Stoffen, NStZ 1994 462; Meinberg/Möhrenschlager/Link Umweltstrafrecht (1989); Moser Der Nachweis von Schädigungen durch ionisierende Strahlen, ÖJZ 1986 65; von Oertzen Atomrechtliche Vorschriften im Umweltrahmengesetz der DDR, DtZ 1990 247; Peinsipp Neuere Entwicklungen im Strahlenschutzrecht durch Einigungsvertrag und ICRP-Empfehlungen, in: Deutsches Atomenergierecht im internationalen Rahmen, hrsg. von Pelzer (1992), S. 201; Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie (1989); Rengeling Das neue Strahlenschutzvorsorgegesetz, DVB1. 1987 204; Rogall Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (18. Strafrechtsänderungsgesetz), JZ-GD 1980 101; Sack Das Gesetz zur Bekämpfung der Umwelt(Π)

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kriminalität, NJW 1980 1424; Sack Umweltschutz-Strafrecht, 4. Aufl. (1995); Sander Das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, BB 1980 1249; Sanier Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (1981); Sauer Kernenergie- und Strahlungsdelikte in Ulsamer (Hrsg.) Lexikon des Rechts, Straf- und Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. (1996) S. 516; Scharnhoop Atom- und Strahlenschutzrecht, in: Handbuch des Umweltschutzes, hrsg. von Kurt Schäfer (1983); Schild Probleme des Umweltstrafrechts, Jura 1979 421; Schild Umweltschutz durch Kriminalstrafrecht? JurBl. 1979 12; Schroeder, Werner Die Euratom — auf dem Weg zu einer Umweltgemeinschaft, DVB1. 1995 322; Schiilli Rechtsprobleme beim Kausalitätsnachweis von Strahlenschäden, Diss. Münster 1964; Siegmann Änderungsgenehmigungen im Atom- und Strahlenschutzrecht (1993); Streffer Risiko nach niedrigen Strahlendosen, in: Achtes Deutsches Atomrechts-Symposium, hrsg. von Lukes und Birkhofer{ 1989), S. 143; Tiedemann Die Neuordnung des Umweltstrafrechts (1980); Triffterer Die Rolle des Strafrechts beim Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 91 (1979) 309; Triffterer Umweltstrafrecht (1980); Triffterer Von Tschernobyl nach Wackersdorf. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuständiger Politiker und Behördenvertreter, ÖJZ 1986 446; Veith Strahlenschutzverordnung 1989; Wachsmann Sind kleine Strahlendosen wirklich so gefährlich? atw 1986 449; Winter Das Atomgesetz als Teil des Umweltrechts, NVwZ 1992 841; de With Das neue Umweltstrafrecht, Recht und Politik 1980 33; Ziegler Kernenergie- und Strahlendelikte, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, hrsg. von Ulsamer (1988). C. Schrifttum zur Reform des Umweltstrafrechts (31. StRÄndG - 2. UKG). Breuer Verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Umweltschutz — vom Ersten zum Zweiten Umweltkriminalitätsgesetz, JZ 1994 1077; Delling Empfehlen sich Änderungen des Umweltstrafrechts? ZRP 1988 334; Heid-Mann Novellierung des Umweltstrafrechts, Der Gefahrgut-Beauftragte 1991 67; Heine/Meinberg Gutachten D zum 57. DJT (1988); Keller, Ossenbühl, Hamm in Verhandlungen des 57. DJT Bd. II (1988); Knopp Neues Umweltstrafrecht und betriebliche Praxis BB 1994 2219; Langkeit Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität — Heilsweg oder Sackgasse? WiB 1994 710; Martin Umweltstrafrecht im Umbruch? Die Gesetzentwürfe von Regierung und Opposition im Vergleich, IUR 1991 141; Michalke Das neue Umweltstrafrecht, StraFo 1996 73; Minninger Das Umweltstrafrecht nach dem 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, Die Polizei 1992 102; Möhrenschlager Revision des Umweltstrafrechts — Das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität — NStZ 1994 513 und 566; Otto, Franz Neue Strafvorschriften zum Schutz der Umwelt, RdL 1994 253; Otto, Harro Das neue Umweltstrafrecht, Jura 1995 134; Perschke Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts nach dem 2. UKG, wistra 1996 161; Rogall Die Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts — Alte Streitfragen, neues Recht — GA 1995 299; RUgemer Novellierung des Umweltstrafrechts: ineffektiv — demagogisch — folgenlos, Deutsche Polizei 1994 Heft 9 S. 6; Rüther „Immanente" oder „radikale" Reform des Umweltstrafrechts? Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV) 1993 227; Sack Novellierung des Umweltstrafrechts (Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität), MDR 1990 286; Schall Möglichkeiten und Grenzen eines verbesserten Umweltschutzes durch Strafrecht, wistra 1992 1; Schmidt/Schöne Das neue Umweltstrafrecht, NJW 1994 2514; Schöndorf Umweltschutz durch Strafrecht — Bestandsaufnahme und Perspektiven, NJ 1991 527, 531; Terschlüssen Reform des Umweltstrafrechts, IUR 1991 168; Vierhaus Die Reform des Umweltstrafrechts durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, ZRP 1992 161; Vierhaus Das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, Beitrag zur Vollzugseffektivierung oder symbolische Gesetzgebung? UTR 17(1992) S. 79. D. Rechtsprechungsübersichten. Albers Gerichtsentscheidungen zu Kernkraftwerken (1980); Burhenne/Dietrich Umwelturteile (Loseblattausgabe); Erler/Kruse/Pelzer Deutsches Atomenergierecht (1977); Rauschning/Siegmann Kernenergierechtsprechung in Leitsätzen (1988); Winters Atomund Strahlenschutzrecht (1978) Anhang III.

Entstehungsgeschichte Die Materialien sind in Rdn. 7 vor § 324 zusammengestellt. Die vorliegende Bestimmung ist durch Artikel 1 Nr. 8 des 18. StRÄndG vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 373) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden und ab 1. 7. 1980 in Kraft. Sie hatte — bis zur Änderung durch das 31. StRÄndG - 2. U K G ( 1 . 1 1 . 1994) - folgenden Wortlaut: Stand: 1.2. 1997

(12)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

§ 311 d Freisetzen ionisierender Strahlen (1) Wer unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten 1. ionisierende Strahlen freisetzt oder 2. Kernspaltungsvorgänge bewirkt, die geeignet sind, Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Verwaltungsrechtliche Pflichten im Sinne des Absatzes 1 verletzt, wer grob pfllichtwidrig gegen eine Rechtsvorschrift, vollziehbare Untersagung, Anordnung oder Auflage verstößt, die dem Schutz vor den von ionisierenden Strahlen oder von einem Kernspaltungsvorgang ausgehenden Gefahren dient. Sie trat an die Stelle des durch Artikel 14 des genannten Gesetzes gleichzeitig aufgehobenen § 47 AtomG1. Von diesem unterscheidet sie sich jedoch in wesentlichen Punkten. In den ursprünglichen Entwürfen (BRDrucks. 399/78 und BTDrucks. 8/2382) war sie noch nicht enthalten. Sie wurde im Laufe der Beratungen des RAussch. eingefügt. Nachdem Tiedemann in seinen gutachterlichen Äußerungen (S. 17) bereits daraufhingewiesen hatte, daß ein Blankettatbestand wie § 47 i. V. m. § 46 Nr. 2 und 3 AtomG zumindest teilweise in das StGB übernommen werden könne, wurde bei den Beratungen der Wunsch geäußert, alle StrafVorschriften des Atomgesetzes dorthin zu übernehmen. Diesen Bestrebungen wurde zunächst von der BReg. entgegengehalten, daß die Verzahnung des § 47 AtomG mit § 46 AtomG und den Vorschriften der Strahlenschutzverordnung zu kompliziert sei. Auch war daran gedacht, eine Übernahme allenfalls in den § 311 b vorzusehen, weil die Gefährdungen sich nicht auf die Außenwelt beschränkten, der Strahlenschutz sich vielmehr auch auf den Mitarbeiterschutz erstrecke. Für eine Übernahme in das StGB wurde ins Feld geführt, daß von den Schutzvorschriften des Atomgesetzes ein größerer Personenkreis betroffen sei; in der Praxis würden die meisten Strahlen bei der Anwendung ionisierender Strahlen in der Medizin freigesetzt, wodurch der einzelne sehr viel mehr gefährdet werde als bei kerntechnischen Anlagen. Ausschlag für die Übernahme gab schließlich die Erwägung, bei den „gravierendsten" Umweltbeeinträchtigungen, nämlich im Bereich der Kernbrennstoffe und der ionisierenden Strahlen, könne man es nicht bei der Regelung in Spezialgesetzen belassen; nur so könne das Ziel des Umweltschutzstrafrechts, die Vorschriften zusammenzufassen, auffindbar und für den Rechtsbetroffenen kalkulierbar zu machen, erreicht werden (eingehend Reinhardt S. 159 ff). Seitens der BReg. wurde nochmals — ohne Erfolg — auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die diesem Vorhaben entgegenstünden: Die Verknüpfung beispielsweise mit der Strahlenschutzverordnung und ihren 31 Ordnungswidrigkeitstatbeständen, die ihrerseits wieder an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Vorschriften anknüpften, sei so unübersichtlich, daß die Gefahr bestehe, daß man in einem einzigen Tatbestand nicht alle Fälle erfasse. Nachdem man zunächst eine einfache Übernahme des § 47 AtomG in Form eines konkreten Gefährdungsdelikts ins Auge gefaßt hatte, entschloß man sich schließlich dazu, ein 1

(13)

§ 47 AtomG war zuvor durch Artikel 192 Nr. 3 EGStGB sowie durch Artikel 1 Nr. 36 des Dritten

Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 15. 7. 1975 (BGBl. I S. 1885) geändert worden.

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

abstrakt-konkretes Gefahrdungsdelikt zu schaffen, wobei man an § 325 Abs. 1 Satz 1 anknüpfte (ausführlich Reinhardt S. 164 ff). Ausschlaggebender Grund hierfür war, daß die bei konkreten Gefährdungsdelikten stets auftretenden Beweisschwierigkeiten umgangen werden sollten. Hierzu wurde darauf hingewiesen, daß gerade auf dem Strahlenschutzsektor der Nachweis der Ursächlichkeit in der Praxis äußerst schwierig sei; beim Umgang mit Röntgenapparaten beispielsweise lasse sich hinterher nicht mehr genau feststellen, ob der Gesundheitsschaden direkt auf diesen zurückzuführen sei. Eine Begrenzung des Tatbestandes sollte die Formulierung „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" bringen. In den Beratungen des Innenausschusses (83/20 vom 7. 11. 1979) wurde herausgestellt, daß es sich bei diesem Begriff im Strafrecht um eine „Novität" handele: Ein gewisses Vorbild sei zwar im Verkehrsstrafrecht vorhanden, wo der Begriff des Verstoßes gegen Rechtsvorschriften durch grob pflichtwidriges Verhalten eines Fahrzeugführers (§ 315 a Abs. 1 Nr. 2) enthalten sei. Weitere Streitpunkte wurden schließlich ausgeräumt: An die Stelle der Formulierung „geeignet, zu gefährden" trat „geeignet...,... zu schädigen". Bei der Bestrafung der fahrlässigen Tat wurde abgelehnt, nur leichtfertiges Handeln zu erfassen. Schließlich einigte man sich auch auf die Strafbarkeit des Versuchs, die bisher im Atomgesetz nicht vorgesehen war. Die Unterschiede der Neuregelung gegenüber § 47 AtomG liegen in folgendem: Wegen der Trennung der Strafvorschrift, die in das StGB übernommen wurde, von den Ordnungswidrigkeitstatbeständen des Atomgesetzes war gesetzestechnisch die Fassung als „unechter Mischtatbestand" (KK-OWiGIRogall Rdn. 14 vor § 1; Göhler Rdn. 36 vor § 1), der Ordnungswidrigkeiten bei einer durch sie herbeigeführten konkreten Gefahr zu Straftaten werden ließ, nicht aufrechtzuerhalten. Zum anderen ging der Wille des Gesetzgebers dahin, den Strafrechtsschutz zu erweitern, die Schwelle zum Kriminaldelikt in der Weise vorzuverlegen, daß an die Stelle des konkreten Gefährdungsdeliktes ein auf die Eignung zur Herbeiführung von Schäden abstellendes „abstrakt-konkretes" Gefährdungsdelikt geschaffen wurde (BTDrucks. 8/3633 S. 23)2. Gleichzeitig wurde aber einer zu starken Ausweitung der Strafbarkeit dadurch entgegengesteuert, daß das Erfordernis „grob" pflichtwidrigen Handelns eingeführt worden ist. Darunter werden einmal besonders schwere Verletzungen einer Pflicht verstanden, zum anderen aber auch Verletzungen einer besonders gewichtigen Pflicht (BTDrucks. 8/3633 S. 24). Der Gang der Gesetzgebung wird auch insoweit eingehend von Reinhardt (S. 168 ff) dokumentiert. Nach Art. 2 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. 10. 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 24. 4. 1990 (BGBl. II S. 326) galten § 311 d Abs. 1, 2 und 4 (sowie § 328 Abs. 1) mit folgender Maßgabe (in Kraft ab 4. 5. 1990 bis 31. 10. 1994): Einer Rechtsvorschrift, Untersagung, Anordnung, Auflage oder Genehmigung im Sinne des § 311 d Abs. 4 und des § 328 Abs. 1 steht eine außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes erlassene Rechtsvorschrift oder ergangene Untersagung, Anordnung, Auflage oder Genehmigung gleich.

2

Diesen Deliktscharakter, der auch als „potentielles Gefährdungsdelikt" (Dreher/Γrändle Rdn. 1; Lackner/KUhl Rdn. 1) bezeichnet wird, bestritten Sch/ Schröder/Cramer (Rdn. 1), Horn SK (Rdn. 2) und Trifflerer S. 254, die — ohne überzeugende Begründung — ein abstraktes Gefährdungsdelikt annahmen; mit Tendenz zur hier vertretenen

Ansicht - im Hinblick auf BGHSt. 39 371 und BGH NJW 1994 2161 - jetzt auch Cramer Rdn. 1. Wie hier Rogall JZ-GD 1980 101, 107; Sack Rdn. 1 und 5; Reinhardt S. 165 f; Heine in Meinberg/Möhrenschlager/Link Umweltstrafrecht (1989) S. 109, 123.

Stand: 1. 2. 1997

(14)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

Der Entwurf eines 6. StrRG (Stand: 14. 3. 1997 - BRDrucks. 164/97) sieht eine Umbenennung der Vorschrift vor (§311 E). Übersicht I. Rechtsgüterschutz II. Tathandlungen 1. Freisetzen ionisierender Strahlen . . . 2. Bewirken von Kernspaltungsvorgängen III. Einschränkungen des Tatbestandes 1. Das Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" . . . . 2. „Vollziehbarkeit" 3. „Geeignetheit" lila. Das Fahrlässigkeitsdelikt

Rdn. 1 2 5

6 9 10 13a

IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI.

Täterschaft Rechtswidrigkeit Innere Tatseite Versuch Strafe Verjährung Einziehung Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen XII. Übergangsrecht

Rdn. 14 15 16 17 18 19 20 21 24

I. Rechtsgüterschutz. Der Bestimmung geht es in erster Linie um den Schutz der 1 Rechtsgüter Leben und Gesundheit des Menschen sowie um das Eigentum an Sachen von bedeutendem Wert. Zur Erläuterung dieser Begriffe wird auf die Erläuterungen zu §§ 315 ff verwiesen. Allerdings ist vorliegend zu beachten, daß nach der Tatbestandsgestaltung keine konkrete Gefahr herbeigeführt sein muß. Dem Deliktscharakter als abstrakt-konkretes (potentielles) Gefährdungsdelikt entsprechend muß sich die Gefahr nicht in bestimmten Objekten individualisiert haben. Dies wirkt sich auch bei der Frage aus, ob die Rechtswidrigkeit durch Einwilligung beseitigt werden kann (Rdn. 15). Für die Anerkennung eines doppelten Rechtsgutsbezugs, der — im Hinblick auf die abstrakte Gefährdung der Umwelt durch die Tathandlungen — auch die Umwelt einbezieht, setzt sich mit überzeugenden Gründen Reinhardt (S. 221 ff) ein. II. Tathandlungen 1. Typisiertes Unrecht ist zunächst das Freisetzen ionisierender Strahlen (Abs. 1 2 Nr. 1). Der Begriff der ionisierenden Strahlen (hierzu BGHSt. 39 371 = JR 1995 32 m. Anm. Geerds\ BGH NJW 1994 2161; § 328 Rdn. 4), der bereits (als „ionisierende Strahlung") in § 311 a Bestandteil eines Unrechtstatbestandes ist (hierzu Wolff LK § 311 a Rdn. 3; Fischerhof § 47 Rdn. 4), ist mehrfach Gegenstand rechtlicher Regelungen geworden (beispielsweise in Art. 74 Nr. 11 a GG). Nach Art. 1 § 1 der Euratom-Grundnormen (ABl. der Europäischen Gemeinschaften 1959 S. 221) umfassen sie sowohl elektromagnetische Strahlungen (Photonen oder Quanten der Röntgen- oder Gammastrahlung) als auch Teilchen-(Korpuskular-)Strahlungen (Alphateilchen, Betateilchen, Elektronen, Positronen, Protonen, Neutronen und schwere Teilchen), die in der Lage sind, die Bildung von Ionen zu bewirken. Diese wiederum sind Elementarteilchen, die in einem elektrischen Feld wandern. Eine kürzere Fassung vom 1. 6. 1976 (ABl. aaO L 187 S. 2) lautet: Ionisierende Strahlungen sind Strahlungen, die aus Photonen oder Teilchen bestehen, die fähig sind, direkt oder indirekt Ionen zu erzeugen3. Die Anlage I zur Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung — StrlSchV) i. d. F. vom 30. 6. 1989 (BGBl. I S. 1321, 1926 - BGBl. III 751-1-1), geändert durch Anlage I Kapitel XII Sachgebiet Β Abschnitt II des Einigungsvertrages vom 31.8. 1990

1

(15)

So auch der Vorschlag einer Richtlinie (EURATOM) BTDrucks. 8/2967 sowie die Definition in den Strahlenschutzberichten vom 27.9. 1994,

BTDrucks. 12/8539 S. 48; 13/2287 S. 49; 13/5572 (23. 9. 1996).

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(BGBl. II S. 889 1116) sowie durch Art. 7 des 31. S t R Ä n d G - 2 . UKG und VO vom 25.7. 1996 (BGBl. I S. 1172), definiert die ionisierenden Strahlen als Photonen- oder Teilchenstrahlungen, die in der Lage sind, direkt oder indirekt die Bildung von Ionen zu bewirken. Eine Ionisation entsteht durch Umwandlung eines elektrisch neutralen Atoms oder Moleküls in einen positiv oder negativ geladenen Körper (Ion) unter Verlust oder Anlagerung eines Elektrons in der Elektronenhülle (Beck S. 2 ff). Nichtionisierende Strahlen sind dagegen Radar- und Laserstrahlen. Nähere Einzelheiten enthalten die Strahlenschutzberichte BTDrucks. 12/69 S. 8 ff sowie BRDrucks. 460/94. 3

Die Schädigung durch ionisierende Strahlen besteht in der meist physisch zunächst nicht wahrnehmbaren, aber weiterwirkenden Veränderung der bestrahlten Substanz, namentlich des lebenden Organismus (Fischerhof § 1 Rdn. 6; ausführlich Reinhardt S. 27 ff). Ionisierende Strahlen — in der Praxis vor allem Röntgenstrahlen4 — können vor allem in höheren Dosen (über 50 rem) Strahlenschäden auslösen, und zwar somatische (an der bestrahlten Person selbst) oder genetische, die erst bei deren Nachkommen auftreten. Strahlendosen von 300 rem führen bei etwa 20 % der Bestrahlten zum Tode (Begr. Strahlenschutzverordnung BRDrucks. 375/76 S. 8/9, II) 5 . Es gibt keinen Schwellenwert, unterhalb dessen keinerlei schädigende Effekte auftreten können (Reinhardt S. 31/32). Diese Effekte hängen nicht allein von der Strahlendosis ab, sondern u. a. von der zeitlichen und räumlichen Dosisverteilung (Hug/Trott S. 19 f), der (unterschiedlichen) „relativen biologischen Wirksamkeit" einzelner Strahlenarten (RBW; näher Reinhardt S. 30 Fn. 72 und BTDrucks. 12/69 S. 9), der Strahlenempfindlichkeit einzelner Zellen und „Milieufaktoren" (Reinhardt S. 30/31 Fn. 74). Über den Einfluß des Reaktorunfalls von Tschernobyl (25./26. 4. 1986), der in Deutschland erfreulicherweise gering geblieben ist, finden sich Einzelheiten in dem Strahlenschutzbericht BTDrucks. 12/69 S. 8, bei Reinhardt S. 254 ff sowie in den „Antworten" der BReg. BTDrucks. 12/7184 vom 5. 4. 1994 und 13/4762 vom 29. 5. 1996.

4

5

Aufschlüsse hierüber ergeben die Strahlenschutzberichte, die regelmäßig von der Bundesregierung vorgelegt werden (BTDrucks. 8/3119, 8/4101, 10/ 2048; 11/6144, 12/69, 12/4687; 12/8539; femer Rdn. 2 a. E.). Aus ihnen ergibt sich, daß vor allem Personen, die künstlichen Strahlen ausgesetzt werden, wie ζ. B. durch die Anwendung ionisierender Strahlen und radioaktiver Stoffe in der Medizin (Stieve/Bischof Zur Anwendungsberechtigung und Festlegungsbefugnis bei der Einwirkung von Röntgenstrahlen auf den Menschen nach der Röntgenverordnung 1987, MedR 1992 79), besonders schutzbedürftig sind (Sander Umweltstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht S. 214). Ihrem Schutz dient auch die geplante EG-Richtlinie BRDrucks. 790/96. rem = englisches Kurzwort aus „roentgen equivalent man" war bis 31. 12. 1985 die Maßeinheit für die Dosis ionisierender Strahlen, die die gleiche biologische Wirksamkeit am Gewebe des menschlichen Körpers hat wie ein „R" (= Röntgen) Gammastrahlung (Duden, Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke (1968). R (= Röntgen = Einheit der Röntgen- und Gammastrahlung) ist diejenige Strahlenmenge, die in 1,293 mg Luft Ionen der Ladung 3,3356 • 10-'° C erzeugt. C = Curie = Maßeinheit der Aktivität eines radioaktiven Strahlers

(3,7 • 1010 Zerfallsakte je Sekunde). Die naturwissenschaftliche Seite wird eingehend behandelt im Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl. (1990), Stichwort: „Ionisierende Strahlung". Ab 1. 1. 1986 gelten die Einheiten 1 Sievert = 100 rem und 1 Becquerel = 2,7 · 10 11 Curie. In dem Entwurf zum Strafgesetzbuch 1962 (E StGB 1962) wird zu § 324 des Entwurfs (= 311 a StGB) zum Begriff des Mißbrauchs ionisierender Strahlen ausgeführt (S. 502): Die Vorschrift richtet sich gegen die verbrecherische Gefährdung durch die Strahlung, die von natürlichen oder von künstlichen radioaktiven Stoffen ausgeht. Sie ist auch auf Gefährdung durch Neutronenstrahlung anwendbar, die bei der Spaltung von Kernbrennstoffen entsteht, sowie auf künstlich erzeugte ionisierende Strahlen, vor allem Röntgenstrahlen; die Strahlenschutzgesetzgebung faßt den Begriff „ionisierende Strahlen" in einem weiteren, die radioaktiven Strahlen mitumfassenden Sinne auf (Art. 74 Nr. 11 a GG, §§ 1, 11, 12, 41, 45 Abs. 3 AtomG). Ausführlich zu allem Reinhardt S. 15 ff. Aufschlußreich ist auch die „Erläuterung der benutzten Fachausdrücke" in BTDrucks. 12/69 S. 15/16. Zur Vertiefung wird auf das Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl. (1990) Stichwort „Ionisierende Strahlung" verwiesen. Ferner § 328 Rdn. 4a f.

Stand: 1 . 2 . 1997

(16)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

Die Tathandlung „Freisetzen" umfaßt mehrere Begehungsmöglichkeiten des Austre- 4 tenlassens, Ausströmenlassens, des Lösens der Gebundenheit der Strahlung: a) die künstliche Erzeugung der Strahlung, die sich dann frei ausbreitet; b) die Aufhebung einer Sperrvorrichtung, die dem Ausbreiten einer bereits erzeugten Strahlung entgegensteht, die Beseitigung einer Schutzvorrichtung bei einer begrenzten künstlichen Strahlenquelle, beispielsweise einem in Verwahrung befindlichen radioaktiven Stoff (BGHSt. 39 371 = JR 1995 32 m. Anm. Geerds; BGH NJW 1994 2161) oder einem in Betrieb befindlichen Strahlengerät (BTDrucks. 8/3633 S. 24). Freisetzen bedeutet, daß der Strahlung freier, unkontrollierter Lauf gelassen wird; es wird eine Lage geschaffen, in der sich die Strahlen unkontrollierbar (unkontrolliert) im Raum ausdehnen können {Lackner/Kühl Rdn. 3). Diese Tathandlung kann auch durch Unterlassen in Garantenstellung vorgenommen werden. Erfaßt ist damit jedes Verhalten, das zur Folge hat, daß die bezeichnete gefährliche Strahlung unkontrolliert wirksam wird. 2. Die zweite Tatmodalität ist das Bewirken von Kernspaltungs Vorgängen. Hierun- 5 ter wird das Verursachen der bei der Spaltung von Kernbrennstoffen (BVerwG DVB1. 1995 245; § 328 Rdn. 3) ablaufenden physikalischen Prozesse verstanden (Lackner/Kühl Rdn. 4). Die Regelung knüpft an das naturwissenschaftliche Phänomen der Atomkernspaltung an (näher Fischerhof Einführung vor § 1 Rdn. 1 mit Hinweisen auf naturwissenschaftliches Schrifttum). Gegenstand sind radioaktive Stoffe (Oberbegriff) in Form von „besonderen spaltbaren Stoffen (Kernbrennstoffen)", wie sie in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtomG aufgeführt sind. Diese Substanzen verfügen über die Eigenschaft, bei besonderen Bedingungen Kernenergie durch Kernspaltung in Kettenreaktionen freizusetzen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 e AtomG). Die dabei frei werdende Energie besteht aus der Bewegungsenergie (Wärme) der bei der Spaltung der Atomkerne entstehenden Teilchen und aus Energie in Form von Beta- und Gammastrahlen. Die Tatmodalität des Bewirkens von Kernspaltungsvorgängen ist eingefügt worden, um sicherzustellen, daß auch Gefahren, die nicht auf dem Freisetzen ionisierender Strahlen beruhen, erfaßt werden können (BTDrucks. 8/3633 S. 24). Das Gesetz folgt damit einer Differenzierung, die bereits dem bisherigen Recht zugrunde lag (§ 47 AtomG). Bewirken von derartigen Vorgängen bedeutet das verantwortliche Ingangsetzen und erfaßt alle Handlungsweisen, die Kernspaltungsvorgänge herbeiführen. III. Einschränkungen der Tatbestandsmäßigkeit 1. Nicht jede dieser in Absatz 1 Nr. 1 und 2 umschriebenen gefährlichen Tathandlun- 6 gen erfüllt bereits den Tatbestand. Erforderlich ist vielmehr, daß dies „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" geschieht (§ 330 d Nr. 4 und 5; § 325 Rdn. 26 ff). Hierbei handelt es sich um ein unrechtsbegründendes Tatbestandsmerkmal (Triffterer S. 94 ff, der sich im übrigen, wie Dölling [ZRP 1988 334, 337], für eine Abschaffung dieses einschränkenden Merkmals einsetzt; krit. auch Reinhardt S. 170 ff, 176). Diese neuartige Formulierung mußte gewählt werden, nachdem der unechte Mischtatbestand des § 47 AtomG, der Vorläufer der jetzigen Regelung, nach seiner Herauslösung aus dem Atomgesetz in der neuen Form als Bestimmung des Strafgesetzbuchs nicht mehr in der bisherigen Weise auf einer Bestimmung in demselben Gesetz (§ 46 AtomG) aufbauen konnte. Um diese Frage zu lösen, hat der Gesetzgeber die „Zauberformel" „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" erfunden, zu der er seinerzeit in Absatz 4 eine Begriffsbestimmung gab. Ursprünglich war eine derartige Regelung nur in Absatz 4 des § 325

(17)

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

vorgesehen (BTDrucks. 8/2382 S. 16). Die in die vorliegende Bestimmung (Absatz 4) mit Abweichungen übernommene Definition diente der Einschränkung des Tatbestandes auf strafwürdige Fälle (BTDrucks. 8/2382 S. 16). Sie stellte klar, daß die Strafbarkeit - außer bei Verstoß gegen Rechtsvorschriften — nur eintritt, wenn eine vollziehbare verwaltungsrechtliche Einzelmaßnahme, ein Verwaltungsakt in Form einer Auflage, Anordnung oder Untersagung, vorausgegangen ist, in der die verwaltungsrechtlichen Pflichten konkretisiert und dem Adressaten eindeutig eröffnet worden sind. Die Entwurfsbegründung spricht von einer „Vorwarnung" (BTDrucks. 8/2382 S. 16). Pönalisiert wird demnach insoweit der Ungehorsam gegenüber Verwaltungsakten6. 6a

Nach Art. 2 des „Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial" vom 24. 4. 1990 (BGBl. II S. 326) steht einer inländischen Rechtsvorschrift, Untersagung, Anordnung, Auflage oder Genehmigung eine solche gleich, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes erlassen bzw. ergangen ist. Die Pflicht der Vertragsstaaten zum Erlaß von Strafvorschriften gegen im einzelnen aufgeführte vorsätzliche Verstöße (einschließlich Versuchs- und Teilnahmehandlungen) ist in Art. 7 des Übereinkommens geregelt. Die Ausdehnung der Strafvorschrift durch Artikel 2 erscheint unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgrundsatzes bedenklich. Welche Stellen zum Erlaß von derartigen Rechtsvorschriften und Verwaltungsakten zuständig sind, soll die „internationale Atom-Energieorganisation" ergeben (so Lackner/Kühl Rdn. 2).

Durch Art. 1 Nr. 3 i. V. m. Nr. 15 des 31. S t R Ä n d G - 2 . UKG ist die Bestimmung umgestaltet worden. 7 Die wichtigste Einschränkung des Tatbestandes lag nach der bis 31. 10. 1994 geltenden Fassung darin, daß nach der Definition in Absatz 4 verwaltungsrechtliche Pflichten i. S. d. Absatzes 1 nur verletzte, wer grob pflichtwidrig handelte. Normen und Verwaltungsakte konnten sowohl sehr wichtige als auch weniger bedeutsame Regelungsinhalte aufweisen. Bei einem Verstoß gegen „Befehle" der letztgenannten Gruppe (beispielsweise rein formale, das Mitführen vorhandener Urkunden betreffende) wurde das Verwaltungswidrige des Verhaltens als so gering bewertet, daß die Schwelle zum kriminellen Handeln selbst dann nicht als überschritten anzusehen war, wenn an sich die Eignung zur Schädigung der in Absatz 1 genannten Rechtsgüter bejaht werden mußte. Um diese Fälle geringerer Bedeutung auszuscheiden, hat der Gesetzgeber seinerzeit das Erfordernis eingeführt, daß der Verstoß „grob pflichtwidrig" erfolgt sein muß. Absatz 4 war indessen so zu lesen, daß verwaltungsrechtliche Pflichten im Sinne des Absatzes 1 nur verletzte, wer einen groben Verstoß der genannten Art beging. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung ist nicht als geglückt zu bezeichnen. Es wäre sinnvoller gewesen, diese Einschränkung bereits in den einleitenden Satz des Absatzes 1 aufzunehmen, in dem zunächst alle Verstöße gegen verwaltungsrechtliche Pflichten erfaßt zu sein schienen. Die Begriffsbestimmung in Absatz 4 brachte das vom Gesetzgeber Gewollte nicht deutlich genug zum Ausdruck. Nach dem Wortlaut lag die Einschränkung allein darin, daß die subjektive Komponente des Verstoßes (die aus der Art und Weise des Verstoßes hergeleitet wird) zur Eingrenzung führt in dem Sinne, daß nicht als grob pflichtwidrig begangen einzuordnende Verstöße ausscheiden, diese Verstöße aber im übrigen gegen alle vorhandenen Schutzvorschriften (Rechtsnormen, Verwaltungsakte), unabhängig von ihrer Bedeutung, gerichtet sein können. Die Entwurfsbegründung (BTDrucks. 8/2382 S. 16) führt dazu indessen aus: „Das Merkmal ,grob pflichtwidrig' ist §315 a StGB entnommen; es kennzeichnet die

6

Die Frage ist auch in anderem Zusammenhang (behördliches Hausverbot und Hausfriedensbruch)

von Bedeutung und dort Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen (§ 325 Rdn. 45).

Stand: 1.2. 1997

(18)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

besonders schwere Verletzung einer Pflicht, aber auch die Verletzung einer besonders gewichtigen Pflicht." Die Schwere der Pflichtverletzung konnte also in gleichem Maße subjektiv aus der Art und Weise des Verstoßes („grob") gegen eine nicht besonders gravierende Pflicht als auch objektiv aus dem „ nicht notwendigerweise „groben" — Verstoß gegen eine gravierende Pflicht hergeleitet werden. Absatz 4 war danach so zu lesen: Verwaltungsrechtliche Pflichten im Sinne des Absatzes 1 verletzt, wer gegen sie in besonders schwerem Maße verstößt (BGH GA 1971 246 zu § 315 a Abs. 1 Nr. 2 StGB; OLG Hamm VRS 6 152, 153 für das Merkmal „grob verkehrswidrig" in § 315 a Abs. 1 Nr. 4 StGB a. F.)7. Aus der verlautbarten Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand einzuschränken, läßt sich ableiten, daß Verstöße von geringerem Gewicht strafrechtlich nicht geahndet werden wollen (Sch/Schröder/Cramer zu § 315 a Rdn. 10). Diese Beschränkung auf grobe Pflichtwidrigkeit nahm der Vorschrift viel von ihrer 7a Wirkungskraft. Im Hinblick darauf hat der Gesetzgeber des 31. StRÄndG — 2. UKG — ähnlich wie bei der Neufassung des § 325 — einhellig (Koalitions- und SPD-Entwurf) den Wegfall dieses Anwendungshindernisses für die Fälle vorsätzlichen Handelns sowie des fahrlässigen Verhaltens nach Absatz 3 Nr. 1 n. F. beschlossen; lediglich für Nr. 2 des neugeschaffenen Absatzes 3 bleibt es bei der bisherigen Gesetzeslage, so daß hier weiterhin ein grober Pflichtenverstoß vorausgesetzt wird (Möhrenschlager NStZ 1994 566, 569). Diese Neuregelung ist auch im Schrifttum (Sack MDR 1990 286) sowie bei der Anhörung der Sachverständigen vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (Rogall Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des RAussch. vom 7. 10. 1992, Anlage zum Prot, der 51. Sitzung des RAussch. S. 76) begrüßt worden. In der Tat ist die Änderung sachlich gerechtfertigt. Angesichts der drohenden schwerwiegenden Folgen eines Verstoßes für die Gesundheit von Menschen, und zwar nicht nur allgemein, sondern auch am Arbeitsplatz, in Kliniken, bei Röntgenärzten (RegE BTDrucks. 12/192 S. 15) und im Hinblick darauf, daß als Täter in der Regel nur ein beschränkter, im Umgang mit radioaktiven Stoffen unterwiesener Personenkreis in Betracht kommt (SPD-Ε BTDrucks. 12/376 S. 15), ist eine Eingrenzung der strafwürdigen Fälle auf grobe Pflichtenverstöße nicht zu vertreten. Der Gesetzgeber des 31. StRÄndG — 2. UKG hat sein Vorhaben technisch so gelöst, 7b daß er in den einleitenden Satz des Absatzes 1 die Verweisung auf die ebenfalls neugeschaffenen Nummern 4 und 5 des § 330 d aufgenommen hat. Dies ist zu begrüßen, da hierdurch umständliche Wiederholungen, wie sie bei der bisherigen Gesetzesfassung erforderlich waren, entfallen. Auf die Erläuterungen zu diesen Vorschriften sowie auf Paetzold NStZ 1996 170 und § 325 Rdn. 26 ff; 61 ff wird verwiesen. Für alle bis 31. 10. 1994 begangenen Verstöße bleibt die frühere — mildere — Gesetzes- 7c fassung maßgebend; eine Rückwirkung scheidet aus (Art. 103 Abs. 2 GG). Die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten (§ 330 d Nr. 4) betrifft hier solche, 8 die dem Schutz vor Gefahren dienen, die entweder von ionisierenden Strahlen oder von einem Kernspaltungsvorgang ausgehen, also die Herbeiführung einer typisch „atomaren" Gefahr betreffen (Fischerhof § 45 Rdn. 3). Diese vage Umschreibung, die Zweifel an der Rechtsgültigkeit wegen mangelnder Bestimmtheit aufkommen lassen könnte (OLG Bamberg MDR 1992 687; Kühl Lackner-Festschrift S.815, 821 ff; auch 848, 852), bezieht zunächst einmal die Rechtsvorschriften ein, die durch die Vorläuferbestimmung (§ 47 AtomG) erfaßt waren: Die Verstöße gegen § 46 Abs. 1 Nr. 1 - 3 AtomG. § 46 Abs. 1 Nr. 1 AtomG wird aber nicht mehr als einbezogen anzusehen sein, geht es in ihm doch 7

(19)

Hier taucht auch die Formulierung auf: wobei es sich um die besonders schwere Verletzung einer Pflicht, aber auch um Verletzung einer besonders

emst zu nehmenden Pflicht handeln kann; dieser Rechtsprechung folgen Rüth LK 10 § 315 a Rdn. 7 c; LG Mainz MDR 1982 597.

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

ausschließlich um die Durchsetzung der Bestimmungen über die zivilrechtliche Dekkungsvorsorge bei einem Transportvorgang (§ 4 b AtomG). Der Strahlenschutz ist hier nicht unmittelbar betroffen. Gleiches gilt für § 46 Abs. 1 Nr. 3 n. F. (Nr. 2 a. F.), soweit eine Verletzung des § 13 Abs. 1 AtomG in Betracht kommt. Dagegen kann die ebenfalls in dieser Bestimmung genannte Erteilung einer Auflage (§ 324 Rdn. 80; § 325 Rdn. 50) sehr wohl der Abwendung einer typisch atomaren Gefahr gelten. Diese ist im Hinblick auf das hohe Gefahrenpotential der Kernenergie als so gewichtig anzusehen, daß die auf sie bezogenen verwaltungsrechtlichen Pflichten stets als besonders bedeutsam anzusehen sind, so daß bereits leicht fahrlässig begangene Verstöße strafwürdig erscheinen (Reinhardt S. 170). Das trifft vor allem zu für die vollziehbare Auflage nach § 17 Abs. 1 Satz 2 oder 3 AtomG und die vollziehbare Anordnung nach § 19 Abs. 3 AtomG (BVerwG DVB1. 1995 245); hier wird der Strahlenschutz ausdrücklich angesprochen (ausführlich Sack Rdn. 17 ff). Dies ist weiter eindeutig der Fall bei den Rechtsverordnungen, die in § 46 Abs. 1 Nr. 4 AtomG (Nr. 3 a. F.) ihrer Ermächtigungsgrundlage nach genannt sind, sowie den aufgrund einer Verordnung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13 AtomG ergangenen vollziehbaren Verwaltungsakten. Bei den zuerst genannten Rechtsverordnungen handelt es sich um die beiden folgenden: a) Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) i. d.F. vom 30.6. 1989 (BGBl. I S. 1321, 1926; III 751-1-1), geändert durch Anlage I zum Einigungsvertrag vom 31.8. 1990 (BGBl. II S. 889, 1116), Art. 7 des 31. StRÄndG - 2. UKG (BGBl. 1994 I S. 1440, 1444) sowie die Verordnung vom 25. 7. 1996 (BGBl. I S. 1172) und b) Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung - RöV) vom 8. 1. 1987 (BGBl. I S. 114; III 751-13), geändert durch § 50 des Gesetzes vom 2. 8. 1994 (BGBl. I S. 1963) sowie die Verordnung vom 25. 7. 1996 (BGBl. I S. 1172). Die VO gilt in der früheren DDR nach Maßgabe der Anlage I zum Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990 (BGBl. II S. 889, 1030). Zur Darstellung der Vielfalt der in den Verordnungen enthaltenen Regelungen wird auf Haedrich Das deutsche Bundesrecht III Ε 50 S. 102 ff verwiesen. Die Vorschrift hat damit einen eigenartig vagen Charakter. Um eine Parallele zu ziehen: Der Tatbestand ist so gestaltet, als ob hinsichtlich des Straßenverkehrs eine allgemeine Strafvorschrift erlassen würde des Inhalts, daß, wer (grob) verkehrswidrig bestimmte Verkehrsvorgänge bewirkt, die geeignet sind, eine typische Verkehrsgefahr herbeizuführen, mit Strafe belegt wird. Dennoch ist der Grundsatz der Bestimmtheit hier nicht verletzt, da die Verweisungsregelung zwar kompliziert, aber nicht unbestimmt ist (so auch Kühl Lackner-Festschrift S. 815, 822 f). 9 Es wird als ausreichend anzusehen sein, wenn die verwaltungsrechtliche Pflicht auch dem Strahlenschutz bzw. dem Schutz vor sonstigen typischen atomaren Gefahren dient, dieser Schutz also nicht den Hauptinhalt der Regelung darstellt (Reinhardt S. 170), so daß auch Schutzvorschriften, die in erster Linie dem Arbeitnehmerschutz dienen, erfaßt sind (Lackner/Kühl Rdn. 2; aA OLG Bamberg MDR 1992 687). Nur mit einer solchen Auslegung kann man dem Schutzgedanken des Gesetzes gerecht werden. Diese Auffassung entspricht auch der zu § 315 a Abs. 1 Nr. 2 vertretenen (BGHSt. 32 351; BGH GA 1971 246; Dreher/Tröndle § 315 a Rdn. 7). 10

2. Das Erfordernis der „Vollziehbarkeit". Der Gesetzeswortlaut des für Tatzeiten bis zum 31. 10. 1994 geltenden Absatzes 4 a. F. sprach davon, daß gegen eine Rechtsvorschrift, im übrigen gegen eine vollziehbare Untersagung, Anordnung oder Auflage verstoßen sein muß. Obwohl das Attribut „vollziehbar" nur vor dem Verwaltungsakt Stand: 1.2. 1997

(20)

Freiselzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

„Untersagung" stand, traf es in gleicher Weise für die weiteren Verwaltungsakte „Anordnung" und „Auflage" zu. Auch die Einführung dieses Merkmals hatte in der Gesetzgebungsgeschichte zu Kontroversen geführt. In der dem Rechtsausschuß zunächst vorliegenden Fassung der Vorschrift fehlte est. Bei den Beratungen im Innenausschuß vom 7. 11. 1979 (83/20) wurde seitens der Bundesregierung ausgeführt, daß der Begriff der „vollziehbaren Anordnung" im Strafrecht nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt. 23 86 ff) im Sinne von „unanfechtbar vollziehbar" auszulegen sei, d. h., die Anordnung strafrechtlich erst dann beachtet werden müsse, wenn der Betroffene mit verwaltungsrechtlichen Mitteln nicht mehr dagegen vorgehen könne. Hiergegen wurde eingewendet, das vom Gesetzgeber Gewollte könne nicht durch Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgedrückt werden; im Sinne der Klarheit der Vorschrift müsse für den Bürger bereits aus dem Gesetzestext selbst das Gewollte erkennbar werden. Demgegenüber wurde schließlich ausgeführt, daß die Problematik der vollziehbaren Anordnung durch die Rechtsprechung klar und eindeutig gelöst sei (näher § 325 Rdn. 39 ff). Das Erfordernis, daß der Verwaltungsakt nur „vollziehbar" sein muß (jetzt § 330 d Nr. 4 Buchst, c) und d)), bedeutet, daß es nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ankommt (Rogall JZ-GD 1980 101, 115; Gerhards NJW 1978 86, 88)8. Mit Recht weist Rogall aaO) darauf hin, daß dies sich vor allem aus dem Gedanken der abstrakten Gefährdung rechtfertige: Ein effektiver Schutz sei nur möglich, wenn sich der einzelne unbedingt an die sofort vollziehbare Anordnung der fachkompetenten Behörde halte. Im Anschluß an die straßenverkehrsrechtliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHSt. 23 86, 91 f) hat sich zu Recht als überwiegende Meinung herausgebildet, daß es in Fällen der hier angesprochenen Art für die Strafbarkeit nur auf die Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes, nicht auf dessen materielle Rechtmäßigkeit ankommt; die spätere Aufhebung ändert deshalb nichts an der Strafbarkeit (Möhrenschlager NuR 1983 209, 216; aA Sch/Schröder/Cramer vor § 324 Rdn. 21 ff). Der Strafrichter hat demnach nur zu prüfen, ob gegen einen wirksamen und vollziehbaren Verwaltungsakt verstoßen worden ist. Vollziehbar ist ein Verwaltungsakt, wenn gegen ihn kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, das aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 1 VwGO), oder wenn die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Hinzu kommen die Fälle, in denen schon mit Erlaß des Verwaltungsaktes dieser kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist. Demgegenüber liegt Vollziehbarkeit noch nicht vor (sofern die sofortige Vollziehbarkeit nicht auf dem Gesetz oder auf behördlicher Anordnung beruht) in dem Zeitraum vom Erlaß des Verwaltungsakts ab, solange die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist (Rogall aaO; Odenthal NStZ 1991 418). Auf die Erläuterungen zu § 330 d Nr. 4 Buchst, c) und d) wird verwiesen. 3. Weitere Einschränkungen des Tatbestandes durch das Merkmal der „Geeig- 11 netheit". Sowohl die freigesetzten ionisierenden Strahlen als auch die Kernspaltungsvorgänge (nicht die Tathandlung) müssen in gleicher Weise geeignet sein, Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen (was mehr erfor" Es entspricht der herrschenden Meinung, daß die Rechtmäßigkeit des strafbewehrten Verwaltungsakts keine Voraussetzung der Strafbarkeit ist (BVerfG NJW 1990 37 ff; unklar NJW 1993 581 [zum Versammlungsgesetz; hierzu § 325 Rdn. 44]; BGHSt. 31 315; 23 86 ff; BGH NJW 1982 189; NStZ 1990 123; OLG Karlsruhe NJW 1978 116; Hans. OLG Hamburg JZ 1980 110; OLG Schles(21)

wig SchlHA 1981 52; zusammenfassend: Kuhlen WiVerw. (Wirtschaft und Verwaltung) 1992 215, 260; abweichend die Monographie von Arnhold Die Strafbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte (1978); Langemann Der Ungehorsam gegenüber sanktionsbewehrten Verwaltungsakten, Diss. Münster 1977 S. 131 ff; näher §324 Rdn. 92 ff, 106 ff; § 325 Rdn. 26 ff.

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

dert als die ursprünglich vorgesehene [hierzu Reinhardt S. 173 ff] Formulierung „gefährden"; Dreher/Trändle Rdn. 5; Rogall J Z - G D 1980 101, 107; Sack Rdn. 10). Aus dem typisierten Unrechtstatbestand fallen also Strahlungen und Kernspaltungsvorgänge heraus, denen eine solche Eignung im Einzelfall festgestelltermaßen nicht zukommt. Hier zeigt sich, daß es sich nicht um ein rein abstraktes Gefährdungsdelikt (so aber Sch/Schräder/CramerRdn. 1; Horn SK Rdn. 2) handelt (wie hier: Reinhardt S. 172, 232 ff); ein solches würde das Freisetzen der Strahlen und Bewirken des Spaltungsvorganges als an sich schon höchst gefährdend ausreichen lassen. Auf der anderen Seite wollte der Gesetzgeber erklärtermaßen die Beweisschwierigkeiten vermeiden, die in derartigen Fällen, wie beispielsweise bei dem Vorläufer, § 47 AtomG, dem Nachweis der Verursachung einer konkreten Gefahr gerade durch diese Handlungsweise des Täters entgegenstehen. Um den Unbilligkeiten, die bei abstrakten Gefährdungsdelikten deshalb entstehen können, weil der Gegenbeweis der individuellen Ungefährlichkeit des Verhaltens nicht eröffnet ist (Wolff LK § 306 Rdn. 3; zu beachten ist allerdings die Sonderregelung in § 326 Abs. 6), hat man sich zu einem Kompromiß entschlossen und ein sog. abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt geschaffen. Ob diesem Typus mit der unschönen, widersprüchlichen Bezeichnung (besser: „potentielles" Gefährdungsdelikt nach Dreher/Trändle Rdn. 5 und Lackner/Kühl Rdn. 1) überhaupt eine Eigenständigkeit zukommen kann, ist bestritten. Obwohl sie sich von den reinen abstrakten Gefährdungsdelikten unterscheiden, neigen diese Delikte sich ihrem Wesen nach doch stark den abstrakten Gefährdungsdelikten zu. Sie gehören jedenfalls in keiner Weise zu den konkreten Gefährdungsdelikten (BGHSt. 39 371; BGH NJW 1994 2161). Auch der Hinweis darauf, daß sie „potentiell" gefährlich sind, deutet auf die weitgehend abstrakte Gefährlichkeit hin. Letztlich ist die systematische Einordnung indessen nicht von praktischer Bedeutung, da mit der klaren Ausscheidung eines konkreten Gefährdungsdelikts beispielsweise feststeht, daß das Unrecht der Tat nicht zur Disposition eines der individuell gefährdeten Opfer steht (Rdn. 16). 12

Die möglichen Gefahren, die es zu vermeiden gilt, sind in Absatz 1 in herkömmlicher Weise umschrieben: Schädigungen von Leib oder Leben, auch des werdenden (Horn SK Rdn. 3), eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert (§ 325 Rdn. 9 ff). Es kann hier auf die Erläuterungen zu den §§315 ff verwiesen werden. Eine Schädigung kann auch darin liegen, daß die Sache selbst radioaktiv wird {Dreher/Trändle § 311 a Rdn. 4). Dem Sinn der Regelung entsprechend werden selbstverständlich auch genetische Schädigungen erfaßt (Dreher/Trändle § 311 a Rdn. 4; Sack Rdn. 12; aA Mattern/Raisch § 41 Rdn. 8). De lege ferenda tritt Reinhardt (S. 173 ff) mit überzeugenden Gründen dafür ein, anstelle von „geeignet. .., Leib oder Leben . . . zu schädigen, die Formulierung zu wählen: „geeignet. .., die Gesundheit zu gefährden".

13

Die Frage, wann ionisierende Strahlen oder Kernspaltungsvorgänge geeignet sind, Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu schädigen (§ 328 Rdn. 4 a f)> wird ohne Sachverständigenhilfe kaum zu entscheiden sein (Reinhardt S. 236; das LG München [NStZ 1982 470] hatte drei Gutachter hinzugezogen; ausführlich: Hoyer S. 179 ff). Auszugehen ist hierbei von der den genannten Umständen innewohnenden abstrakten Gefährlichkeit, die Anlaß zu der gesetzlichen Regelung gegeben hat und von der eine gewisse Vermutung für die Eignung zur Schädigung ausgeht. Die Tatsache, daß es sich nicht um ein rein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, sondern um ein abstrakt-konkretes (siehe Entstehungsgeschichte und Rdn. 11), hat zur Folge, daß auch spezielle Tatumstände, wenn auch nur generalisierend, berücksichtigt werden müssen (BTDrucks. 8/2382 S. 16). Dieses Erfordernis des Eingehens auf die konkreten Umstände kann im Einzelfall dazu führen, daß die allgemein an sich vorliegende abstrakte Gefährlichkeit nicht bejaht werden kann, die genannte Vermutung somit aufgrund konkret Stand: 1.2. 1997

(22)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

festgestellter Einzelumstände widerlegt erscheint, etwa beim Freisetzen geringster Strahlenmengen (Reinhardt S. 173). Dabei ist aber stets sorgfältig zu prüfen, ob nicht über die unmittelbar betroffenen Opfer der Strahlen wegen der diffusen Verbreitung, die ihnen eigentümlich ist, auch weitere mögliche Opfer berücksichtigt werden müssen. Die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung (Rdn. 8) sind für die Feststellung der Schädigungseignung wesentliche Anhaltspunkte (BGHSt. 39 371, 373; BGH NJW 1994 2161; Reinhardt S. 239, 303 ff). Zum Merkmal der Geeignetheit wird im übrigen auf § 325 Rdn. 4 ff, Reinhardt S. 234 ff, Hoyer S. 179 ff und Bartholme JA 1996 730 verwiesen.

lila. Das Fahrlässigkeitsdelikt (Absatz 3) 1. Rechtszustand bis zum 31.10. 1994. Nach der früheren Fassung des Absatzes 3 13a war lediglich bestimmt: „Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe". Danach war nur zu prüfen, ob dem nicht vorsätzlich Handelnden in bezug auf die Tatbestandsmerkmale des Absatzes 1 Fahrlässigkeit zur Last fiel. Hierbei war allerdings zu beachten, daß durch das Zusammenspiel von Absatz 1 mit Absatz 4 den Tatbestand nur erfüllte, wer „grob pflichtwidrig" (Rdn. 7) gegen einschlägige Rechtsvorschriften oder vollziehbare Verwaltungsakte verstieß (Absatz 4). 2. Die Neufassung durch das 31. StRÄndG - 2. UKG. Die ab 1. 11. 1994 geltende 13b Fassung hat Absatz 3 erheblich umgestaltet. Sie unterscheidet zwei verschiedene Modalitäten des fahrlässigen Verstoßes: a) Erweitert wurde die Strafbarkeit nach Absatz 3 Nr. 1, falls der Verstoß „anlagebezogen" begangen wird und eine umweltbezogene, nicht ausschließlich betriebsbezogene Schädigungseignung aufweist. Bei derartigen Delikten genügt zukünftig „einfache" Fahrlässigkeit als Schuldform. Voraussetzung hierfür ist zunächst, daß der Verstoß „beim Betrieb einer Anlage, insbesondere einer Betriebsstätte" begangen worden ist. Damit verwendet der Gesetzgeber die bisher nur in § 325 Abs. 1 enthaltene eingrenzende Formulierung, die — trotz erheblicher Einwände — auch in der Neufassung dieser Bestimmung beibehalten worden ist (Begr. RegE BTDrucks. 12/192 S. 18). Allerdings kann zur Definition des Begriffes „Anlage" nicht unbesehen auf § 325 zurückgegriffen werden, da es sich bei dieser Vorschrift um eine typisch immissionsschutzrechtliche Bestimmung handelt, die im wesentlichen auf dem weiten Anlagenbegriff des § 3 Abs. 5 BImSchG aufbaut. Der Anlagenbegriff ist hier vielmehr eigenständig und deliktsspezifisch zu bestimmen. Erforderlich ist dazu, daß die Einrichtung mit dem Freisetzen ionisierender Strahlen oder dem Bewirken von Kernspaltungsvorgängen in Verbindung zu setzen ist. Anlagen in diesem Sinne sind zunächst kerntechnische Anlagen (§§ 327 Abs. 1 Nr. 1, 330 d Nr. 2; Bertram DVB1. 1993 687; § 7 AtomG, zuletzt geändert durch Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes vom 19. 7. 1994 [BGBl. I S. 1618, 1622]), Betriebsstätten, in denen Kernbrennstoffe (vgl. BVerwG DVB1. 1995 245) verwendet werden (§ 327 Abs. 1 Nr. 2) sowie (nach dem RegE BTDrucks. 12/ 192 S. 15) Anlagen zur Lagerung von-Kernbrennstoffen oder von radioaktiven Abfällen (§§81, 86 StrlSchV). Der Begriff der atomaren Anlage (§ 7 AtomG) ist vom Bundesverwaltungsgericht in einer Reihe von wichtigen Entscheidungen näher eingegrenzt worden {Bertram DVB1. 1993 687). Im „Wyhl"-Urteil (BVerwGE 72 300, 328 f) hat es sich mit der Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen befaßt. Im „Wackersdorf'-Urteil (BVerwGE 80 21) ging es um Anlagen zur „Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe", im „Gorleben"-Urteil (DVB1. 1993 1152) schließlich um eine Anlage zur „Konditionierung abgebrannter Brennelemente für die Endlagerung". An diese fachgerichtlichen Ent(23)

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Scheidungen kann jeweils zur Festlegung des Anlagenbegriffes angeknüpft werden. Der Transport von Kernbrennstoffen zu einer atomaren Anlage gehört nicht zum Betrieb der Anlage (OVG Lüneburg NVwZ - RR 1994 17). 13c Einen weiteren Bereich von Anlagen im Sinne der vorliegenden Bestimmung stellen die Einrichtungen zur Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen in der Medizin dar. Hierbei resultiert der bei weitem größte Anteil an der sog. zivilisatorischen Strahlenexposition aus der medizinischen Röntgendiagnostik, während Anlagen der Nuklearmedizin nur etwa zu einem Zehntel dieses Wertes zu Buche stehen (Bericht der BReg. über die Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 1993 vom 27. 9. 1994 - BTDrucks. 12/8539 S. 19 sowie den Bericht BTDrucks. 13/2287). 13d

Hinzu kommen Anlagen zur Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen in Forschung, Technik und Haushalt. Insbesondere die Industrie setzt bei einigen technischen Prozessen Strahlenquellen zur Messung und Steuerung (Füllstand-, Dickeund Dichtemessung) oder zur Qualitätskontrolle bei der zerstörungsfreien Materialprüfung ein. Schließlich sind noch „Störstrahler" zu erwähnen, Geräte oder Einrichtungen, die unbeabsichtigt Röntgenstrahlen erzeugen (Elektronenmikroskope, Hochspannungsgleichrichter, auch Kathodenstrahlröhren in Bildschirmgeräten).

13e

Obwohl in der vorliegenden Bestimmung — im Gegensatz zu § 328 Abs. 3 Nr. 1 — im Zusammenhang mit dem Begriff der Anlage derjenige der „technischen Einrichtung*" nicht erwähnt wird, sind nach der ratio legis auch diese als erfaßt anzusehen, zumal sie in § 328 Abs. 3 Nr. 1 ausdrücklich als Beispielsfälle für „Anlagen" („insbesondere") aufgeführt sind. Dafür, daß — wegen der Beschränkung auf grobe Verstöße in jenem konkreten Gefährdungsdelikt — für die vorliegende Bestimmung ein anderer, eingegrenzter Anlagenbegriff zugrunde gelegt werden sollte, ist nichts ersichtlich. „Anlagebezogen" ist eine Handlungsweise demnach nicht nur dann, wenn sie auf einem entsprechend eingerichteten Grundstück („stationär") erfolgt, sondern auch dann, wenn sie von einer sonstigen „technischen Einrichtung", beispielsweise einer nicht stationären Strahlenquelle, einem tragbaren Gerät, ausgeht. Fälle dieser Art lagen bisher in zwei Fällen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zugrunde (BGHSt. 39 371; NJW 1994 2161; einschränkend Seh/ Schröder/Cramer Rdn. 7: illegaler Handel mit radioaktiven Stoffen nicht erfaßt).

13f

b) Weitere Voraussetzung für Nr. 1 ist, daß die in Absatz 1 umschriebene Schädigungseignung (Rdn. 11 ff) nicht ausschließlich „betriebsbezogen" ist, sondern der Täter in einer Weise handelt, die geeignet ist, außerhalb des Anlagenbereichs, also „umweltbezogen", Schäden an den in Absatz 1 genannten Rechtsgütern zu verursachen (Begr. RegE BTDrucks. 12/192 S. 15). Kann diese Schädigungseignung festgestelltermaßen auf den innerbetrieblichen Bereich begrenzt werden, ist Nr. 1 nicht anwendbar.

13g

2. In diesen Fällen ausschließlich betriebsbezogener Schädigungseignung und immer dann, wenn die Handlungsweise — ausnahmsweise — nicht anlagebezogen ist, verbleibt es nach Absatz 3 Nr. 2 bei dem bisherigen Rechtszustand, daß zur Erfüllung des Fahrlässigkeitstatbestandes „grob pflichtwidriges Handeln" (Rdn. 7 ff) erforderlich ist (Begr. RegE aaO).

14

IV. Täterschaft. Die Handlung kann durch positives Tun oder Unterlassen im Sinne von § 13 Abs. 1 begangen werden. Gerade bei dem Umgang mit ionisierenden Strahlen und mit Kernspaltungen wird es sich in aller Regel um Personen handeln, denen eine Garantenstellung aufgrund ihres Umgehens mit den gefährlichen Materien zukommt. Auch bei der Auslegung dieses Tatbestandes ist allerdings zunächst immer zu prüfen, ob Stand: 1. 2. 1997

(24)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

nicht, wie meist, ein Verwirklichen des Tatbestandes durch positives Handeln vorliegt. Falls tatsächlich eine Tatbegehung durch Unterlassen vorliegt, wird eine Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 grundsätzlich auszuscheiden haben. Abgesehen von Ausnahmefällen ist nichts dafür ersichtlich, daß eine Bewertung des durch den Garanten verwirklichten Unrechts zu einem geminderten Vorwurf führen könnte (im Ergebnis ähnlich Horn SK § 315 a Rdn. 10). Verantwortlicher Täter kann an sich jedermann sein. Wird die Straftat im Bereich 15 eines Unternehmens begangen, ist § 14 zu berücksichtigen. Hierbei wird jeweils derjenige zu ermitteln sein, den die Verantwortung im Einzelfall trifft. Täter können insbesondere der „Strahlenschutzverantwortliche" (§ 29 Abs. 1 Strahlenschutzverordnung — StrlSchV —) und der von ihm beauftragte „Strahlenschutzbeauftragte" (§ 29 Abs. 2 bis 6, § 30 u. 31 StrlSchV) sein. Deren jeweiliger Pflichtenkreis ist in § 31 StrlSchV im einzelnen klar umrissen. Aus welchen Gründen diesen Personen eine Garantenpflicht nicht zukommen sollte (so Laufhütte/Möhrenschlager ZStW 92 [1980] 912, 965, Fußnote 239), ist nicht ersichtlich (wie hier Sack Rdn. 58). Als Täter kommt in diesem Zusammenhang auch ein Arbeitnehmer in Betracht, der unter Verletzung von Strahlenschutzvorschriften die im Tatbestand umschriebenen Folgen verursacht (Reinhardt S. 238 Fn. 135; Ziegler S. 1; aA auch insoweit Laufhütte/Möhrenschlager aaO; ebenso Schünemann Lackner-Festschrift S. 366 Fn. 1). V. Rechtswidrigkeit. Für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des im Tatbestand im 16 einzelnen umschriebenen Verhaltens gelten die allgemeinen Grundsätze. Das Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" ist Tatbestandsmerkmal (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; Sack Rdn. 43; Dreher/Tröndle § 325 Rdn. 3). Ein Verhalten, das den verwaltungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist demnach schon nicht tatbestandsmäßig, nicht etwa wird dadurch nur die Rechtswidrigkeit ausgeräumt. Die Erfüllung des objektiven Tatbestands indiziert auch hier die Rechtswidrigkeit, die bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen im Einzelfall ausgeschlossen sein kann. Die Einwilligung eines Gefährdeten beseitigt die Rechtswidrigkeit nicht (Reinhardt S. 223; Horn SK Rdn. 5; aA Sch/Schröder/Cramer Rdn. 11 für einen von ihm konstruierten Sonderfall, daß sich die tatsächliche Gefährdung auf einen fest umrissenen Personenkreis beschränkt). In diesem Beispiel des Forschungsteams wird aber im Regelfall schon die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten und das unkontrollierte Freisetzen von Strahlen zweifelhaft sein (wie hier Sack Rdn. 44). Das Freisetzen von ionisierenden Strahlen und das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen führt regelmäßig zu unbeherrschbar werdenden Auswirkungen, so daß der Personenkreis, dem Schäden drohen, der Natur der Sache nach grundsätzlich nicht einzugrenzen ist (Reinhardt aaO). VI. Innere Tatseite. Die Tathandlung des Absatzes 1 erfordert Vorsatz, wobei, da aus 17 der Tatbestandskonstruktion nichts Abweichendes herzuleiten ist, auch bedingter Vorsatz ausreicht (Dreher/Tröndle Rdn. 7). Der Täter muß danach wissen, daß er ionisierende Strahlen freisetzt oder einen Kernspaltungsvorgang bewirkt, und diesen Erfolg mindestens bedingt wollen, mit dessen Eintritt einverstanden sein. Ihm muß weiter bekannt sein, daß seinem Verhalten die Eignung zur Schädigung der im Tatbestand umschriebenen Rechtsgüter zukommt (Wolff LK § 311 a Rdn. 9; Dreher/Tröndle aaO). Vom Vorsatz mitumfaßt muß auch das Merkmal „unter Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten" sein. Hierbei handelt es sich um ein ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal ausgestaltetes Erfordernis (Tiedemann S. 25; Rogall JZ — GD 1980 101, 107). Der Täter muß die ihn verwaltungsrechtlich treffenden Pflichten kennen und wissen, daß er gegen sie verstößt (Dreher/ (25)

Joachim Steindorf

§ 311 d

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Tröndle aaO). Nach der bis zum 31. 10. 1994 geltenden Fassung mußte er allgemein, jetzt muß er noch bei Absatz 3 Nr. 2 auch die Umstände kennen, die sein Verhalten zu einem grob pflichtwidrigen Handeln machen; ob er selbst sein Tun als grob pflichtwidrig einordnet, ist dagegen ohne Bedeutung. Es reicht, wie auch sonst, aus, daß der Täter über alle Tatumstände vollständig informiert ist. Dazu gehört beispielsweise das Wissen um Verwaltungsakte, die an ihn auf dem Gebiet der Vermeidung atomarer Gefahren ergangen sind. Daß er sein Tun irrig als nicht verwaltungsrechtswidrig oder etwa nur leicht pflichtwidrig einordnet, räumt seinen Vorsatz nicht aus; insoweit liegt ein Subsumtionsirrtum vor, der den Regeln des § 17 folgt (ähnlich Horn SK § 315 a Rdn. 13; Lackner/Kühl § 325 Rdn. 16; hierzu § 325 Rdn. 72 ff). Ein Verbotsirrtum nach § 17 wird fast immer als vermeidbar einzustufen sein, da eine Pflicht zur Information besteht und hinreichende Möglichkeiten hierzu bei den zuständigen Fachbehörden bereitstehen. Zur fahrlässigen Begehungsweise Rdn. 13 a ff und 19 a. 18

VII. Versuch. Der Versuch ist für strafbar erklärt worden (näher hierzu Reinhardt S. 167). Auch dadurch unterscheidet sich die Neuregelung vom früheren Recht (§§ 46, 47 AtomG). Kriterium ist — wie allgemein — das „Ansetzen" zur Tathandlung (Vogler LK10 § 22 Rdn. 29 ff).

19

VIII. Strafe. Die Strafdrohung für das vorsätzliche Delikt ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe nach dem Tagessatzsystem des § 40 festgelegt. Damit entspricht die vorgesehene Strafe den vergleichbaren Regelungen des Umweltschutzstrafrechts (§§ 324, 325). Eine Änderung gegenüber dem durch die vorstehende Regelung abgelösten § 47 AtomG ist damit nicht eingetreten, wobei allerdings zu beachten ist, daß jene Bestimmung den Eintritt einer konkreten Gefahr vorausgesetzt hatte. Eine dem Satz 2 von § 47 AtomG entsprechende Vorschrift, wonach eine erhöhte Mindeststrafdrohung den traf, der die Gefahr „wissentlich" herbeigeführt hat, kennt die Bestimmung nicht. Eine Qualifizierung nach § 330 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a. F. fand nicht statt, da es sich bei dieser Bestimmung um eine immissionsschutzrechtliche Vorschrift handelte, die sich zudem in einem anderen Abschnitt des Gesetzes befindet (abw. Reinhardt S. 156 ff).

19a

Nach Absatz 3 ist, insoweit über das frühere Recht in § 47 AtomG hinausgehend, auch die fahrlässige Begehung unter — erheblich geringere — Strafe gestellt. Sie kommt insbesondere in Betracht, wenn nicht nachweisbar ist, daß das objektive Geschehen in allen Varianten vom Vorsatz des Täters getragen war, oder wenn der Täter seine verwaltungsrechtlichen Pflichten in einer den Vorsatz ausschließenden Weise (§16 Abs. 1) verkennt {Dreher/Trändle Rdn. 7). In diesen Fällen unvorsätzlichen Handelns bedarf allerdings die Fahrlässigkeit jeweils einer eigenständigen Begründung. Der weitverbreiteten Praxis, bei Vorliegen eines Irrtums über Tatumstände (Schroeder LK § 16 Rdn. 113 ff) quasi automatisch nach § 16 Abs. 1 Satz 2 fahrlässige Begehungsweise anzunehmen, kann nicht entschieden genug entgegengetreten werden. Zur Erläuterung der Fahrlässigkeitsmerkmale wird auf Schroeder LK § 16 Rdn. 116 ff verwiesen. Die Rechtsprechung hat bisher — soweit ersichtlich — nur einen Fall dieser Art entschieden (LG München NStZ 1982 470): Ein als Durchstrahlungsprüfer ausgebildeter Spezialist sicherte sein Arbeitsgerät, ein Isotopengerät Gammamat TE-F, beim Transport mit einem Kraftfahrzeug in mehrfacher Weise unvorschriftsmäßig, so daß es aus dem Fahrzeug auf die Straße fiel und dort von einem Landwirt entdeckt wurde, der etwa zehn Minuten lang an dem Gerät manipulierte, so daß Gammastrahlung in nicht mehr genau feststellbarer Menge austreten konnte. Dieser Fall zeigt gleichzeitig die Schwierigkeiten, die in derartigen Fällen der Feststellung des Sachverhalts entgegenstehen. Es mußten allein in diesem Fall drei Sachverständige hinzuStand: 1. 2. 1997

(26)

Freisetzen ionisierender Strahlen

§ 311 d

gezogen werden. Der Angeklagte wurde schließlich wegen fahrlässigen Freisetzens ionisierender Strahlen in Tateinheit mit fahrlässiger schwerer Umweltgefährdung nach § 330 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 6 a. F. zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50,— DM verurteilt (ausführlich hierzu Reinhardt S. 166 f, 229; Lackner/Kühl [Rdn. 5] bezeichnet das Urteil — ohne nähere Begründung — als „problematisch"). Vorsätzliche Verstöße sind für die letzten Jahre nicht registriert worden. IX. Verjährung. Die Verjährung der Strafverfolgung tritt mit Ablauf von fünf Jahren 20 ein (§ 78 Abs. 3 Nr. 4). X. Einziehung. Die Einziehung ist in § 322 geregelt. Auf die Erläuterungen zu dieser 21 Bestimmung wird verwiesen. Zu beachten ist, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (MDR 1983 767; NStZ 1985 362; Dreher/Tröndle § 46 Rdn. 5 und 53 m. w. N.) bei der Bemessung der Strafe gegebenenfalls ausdrücklich darauf einzugehen ist, daß die Tatsache der Einziehung und das damit für den Täter verbundene Übel mitberücksichtigt worden ist. Es ist dann unzureichend, wenn in Urteilsbegründungen lediglich erwähnt wird, daß ein bestimmter Gegenstand „nach § 322" eingezogen worden ist (einschränkend für den Fall, daß die Einziehung kein bestimmender Zumessungsfaktor gewesen ist BGH MDR 1984 241). XI. Zusammentreffen mit anderen Gesetzesverletzungen. Kommt es zur Verlet- 22 zung der in Absatz 1 umschriebenen Rechtsgüter, so verdrängt das Verletzungsdelikt (§§ 211 ff, 223, 303 bei jeweils im Tatbestand vorgesehener vorsätzlicher Begehungsweise) insoweit das Gefährdungsdelikt. Soweit Gefährdung und Verletzung sich nicht decken, wird das Unrecht der Tat nur durch die Annahme von Tateinheit voll erfaßt. Mit den Fahrlässigkeitstatbeständen §§ 222, 230 besteht Tateinheit, da in diesen Vorschriften die abstrakte Gefährdung, die der vorliegenden Bestimmung auch zugrunde liegt, nicht ausgeschöpft wird (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 14). Tateinheit mit § 330 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 und 6 — jeweils a. F. — liegt vor, wenn das Freisetzen ionisierender Strahlen oder das Bewirken eines Kernspaltungsvorgangs „beim Betrieb einer Anlage" stattfindet und eine konkrete Gefahr tatsächlich herbeigeführt worden ist, desgleichen nach § 330 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 und 6 — jeweils a. F. —, wenn ein solcher Erfolg von einem Verantwortlichen bei einem Transportvorgang verursacht worden ist (LG München NStZ 1982 470; Sch/Schröder/Cramer aaO). Im übrigen wird Tateinheit anzunehmen sein mit §311 (Cramer aaO; Dreher/Tröndle Rdn. 8), § 311 e a. F. (ab 1. 11. 1994: § 311 c) (Sack Rdn. 68), § 327 Abs. 1, § 328 (Cramer aaO; Lackner/Kühl Rdn. 7). Hinter den §§ 310 b, 311a tritt die vorliegende Vorschrift zurück, da insoweit Subsidiarität gegeben ist (Cramer Rdn. 14; Sack aaO; Dreher/Tröndle Rdn. 8; Lackner/Kühl aaO; aA Horn SK Rdn. 7: Tateinheit). Änderungen der Rechtslage durch das 31. StRÄndG - 2. UKG (ab 1. 11. 1994): 2 3 Soweit § 330 a. F. in seinem Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4 selbständige Gefährdungsdelikte enthielt, sind diese teilweise in die §§ 324 ff aufgenommen worden (Begr. RegE BTDrucks. 12/192 S. 27): Nr. 2 in § 325 a, insbesondere dessen Absatz 2, Nr. 4 - in erweiterter Form — in § 328 Abs. 4. Teilweise sind jene auch durch die Schaffung neuer Tatbestände überflüssig geworden: § 330 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a. F. durch § 324 a in Ergänzung zu den §§ 324, 327 Abs. 2 Nr. 2, 328 Abs. 3 und 329 Abs. 2 Nr. 2 (RegE aaO). § 330 n. F. ist mit der Schaffung „besonders schwerer Fälle" nurmehr eine Strafzumessungsvorschrift für die Tatbestände der §§ 324 bis 329. Aus diesem Bereich der Umweltstraftaten kann es zur Tateinheit mit folgenden Vorschriften kommen: Bei radioaktiver Kontamina(27)

Joachim Steindorf

§ 311 e

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

tion eines Gewässers mit § 324, des Bodens mit § 324 a. Falls das Freisetzen ionisierender Strahlen von radioaktiven Abfällen ausgeht (§ 326 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 3), sind gleichzeitig die abfallrechtlichen Kontrollvorschriften verletzt, so daß der Unrechtsgehalt der Tat nur durch die Annahme von Tateinheit voll erfaßt wird. Tateinheit ist auch beim Zusammentreffen mit § 327 Abs. 1 gegeben; das Freisetzen ionisierender Strahlen kann auch von behördlich zugelassenen Anlagen ausgehen, so daß genehmigungsloses Handeln stärkeres Unrecht darstellt. Entsprechendes gilt für § 328 Abs. 1. Die Tatbestände des § 328 Abs. 2 Nr. 1 und 2 können wegen des beabsichtigten Schutzes eigenständiger Rechtsgüter ebenfalls ideell konkurrieren, soweit nicht bloßes Vermitteln — ohne Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Stoffe — vorliegt. In dem konkreten Gefährdungsdelikt des § 328 Abs. 3 geht die vorliegende Tat nicht auf, da die hier (§311 d) erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedlich sind, so daß auch insoweit Tateinheit anzunehmen ist. Als konkretes Gefährdungsdelikt zu bestrafen ist das Freisetzen ionisierender Strahlen oder das Bewirken von Kernspaltungsvorgängen im Falle der Verursachung einer tatsächlichen konkreten Gefahr nur dann, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen des § 328 Abs. 3 Nr. 1 vorliegen, insbesondere ein Lagern, Bearbeiten, Verarbeiten oder ein sonstiges „Verwenden" radioaktiver Stoffe (§ 328 Rdn. 26) gegeben ist. 24

XII. Hinsichtlich des Übergangsrechts (1.11.1994: Inkrafttreten des 31. StRÄndG 2. UKG) und der Rechtslage betr. die ehemalige DDR gelten die Ausführungen zu § 311 c Rdn. 21 und 22 entsprechend.

§ 311 e Tätige Reue (1) Das Gericht kann die in § 310 b Abs. 1 und § 311 a Abs. 2 angedrohte Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet. (2) Das Gericht kann die in den folgenden Vorschriften angedrohte Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von der Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter 1. in den Fällen des § 311 a Abs. 1 freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet oder 2. in den Fällen des § 310 b Abs. 2, des § 311 Abs. 1 bis 4, des § 311 a Abs. 4 und des § 311 c Abs. 1 und 4 freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. (3) Nach den folgenden Vorschriften wird nicht bestraft, wer 1. in den Fällen des § 310 b Abs. 4, des § 311 Abs. 5 und des § 311 c Abs. 5 freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht, oder 2. in den Fällen des § 311 b freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet. (4) Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr abgewendet, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Schrifttum Bottke Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und tatmildemden Täterverhalten (1979); Cramer Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte durch das Stand: 1. 3. 1997

(28)

Tätige Reue

§ 311 e

7. Strafrechtsänderungsgesetz, NJW 1964 1835; Fischerhof Deutsches Atomgesetz und Strahlenschutzrecht Bd I 2. Aufl. (1978); Lackner Das Siebente Strafrechtsänderungsgesetz, JZ 1964 674; Potrykus Die Neuregelung der Sprengstoffdelikte, Die Polizei 1965 249; Reinhardt Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, Diss. Göttingen 1989; Sack Umweltschutzstrafrecht A 1.4, 1.5 und 1.6 — Niederschriften V 294; VIII 644 ff; IX 299 ff, 432 f, 554 f, 563; XII 622; XIII768, 771.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist durch Art. 19 Nr. 172 EGStGB 1974 als § 311 c in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Sie faßte zunächst den § 311 b a. F., der mit dem 7. StRÄndG in das Strafgesetzbuch eingestellt worden war und sich nur auf die Sprengstoffdelikte nach §§ 311, 311 a a. F. bezog (vgl. dazu insbesondere den Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 4 f), und § 44 AtomG a. F. unter einigen Änderungen zusammen (vgl. Begr. ζ. Ε EGStGB BT-Drucks. 7/550 S. 265 f)· Die Regelung Schloß sich weitgehend an § 341 Ε 1962 (Begr. dazu BT-Drucks. IV/650 S. 518 ff) an. Mit Art. 1 Nr. 2, 4 31. StRÄndG - 2. UKG hat der bisherige § 311 c mit dem früheren § 311 e den Standort getauscht, womit die Regelung über tätige Reue zugleich auf Fälle der Herstellung einer kerntechnischen Anlage ausgedehnt worden ist (vgl. dazu BT-Drucks. 12/192 S. 3, 14, 15). Vgl. zur Entstehungsgeschichte außerdem die Hinweise bei §§ 310 b bis 311 b. I. § 311 e bestimmt die Möglichkeiten tätiger Reue für sämtliche Fälle der §§ 310 b 1 bis 311 c. Liegen die Voraussetzungen tätiger Reue vor, so hat das nur für die erwähnten Bestimmungen Bedeutung; andere konkurrierende Vorschriften folgen den speziell für sie geltenden Regeln (ζ. B. § 310 für die Brandstiftungsdelikte) oder den allgemeinen Rücktrittsbestimmungen. Soweit bei §§ 310 b bis 311 c Versuch möglich ist, greift ergänzend § 24 ein1. Die mit der Bestimmung dem Täter in Aussicht gestellten Vergünstigungen sollen ihm in Parallele zu § 310 bei den Brandstiftungsdelikten aus kriminalpolitischen Gründen einen Anreiz für den Entschluß schaffen, eine derartige besonders gefährliche Straftat vor Eintritt von ernsthaften Schäden abzubrechen (vgl. Bericht des Strafrechtssonderausschusses BT-Drucks. IV/2186 S. 4 und Begr. ζ. Ε StGB 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 518 f sowie ζ. Ε 31. StRÄndG BT-Drucks. 12/192 S. 15). Sie soll damit ein Gegengewicht gegen die weitreichende Vorverlegung der Strafbarkeit sein. II. 1. Bei den Unternehmensdelikten nach § 310 b Abs. 1, § 311 a Abs. 1 und 2 und 2 bei den durch § 311 b zum selbständigen Delikt erhobenen Vorbereitungshandlungen setzt tätige Reue voraus, daß der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet (§311 e Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2). Diese Regelung gilt auch für besonders schwere Fälle nach § 310 b Abs. 1 in Verbindung mit Absatz 3, § 311 a Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Absatz 3 und für minder schwere Fälle nach § 311 b Abs. 2. a) Das Aufgeben der weiteren Ausführung der Tat liegt vor, wenn der Täter vor 3 Vollendung eines Unternehmens nach § 310 b Abs. 1, § 311 a Abs. 1 oder 2 oder vor Vollendung einer Vorbereitungshandlung nach § 311 b die begonnene Tathandlung in Aufgabe seines Tatentschlusses endgültig abbricht2. Steht im Rahmen der Tathandlung '

(29)

Trönäle Rdn. 1; Horn SK Rdn. 7; SchSSchröder/ Cramer Rdn. 1; Fischerhof § 4 4 AtomG a. F./ § 311 e Rdn. 1.

2

Tröndle Rdn. 2 in Verb. m. § 24 Rdn. 5; Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4; Fischerhof § 44 AtomG a. F./§ 3 1 1 c Rdn. 2, 4.

Hagen Wolff

§ 311 e

27. Abschnitt. G e m e i n g e f ä h r l i c h e Straftaten

ein Tun in Frage, genügt dazu schlichte Untätigkeit. Dies entspricht dem Rücktritt vom unbeendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 1. Alternative. 4

b) Oder sonst die Gefahr abwendet bedeutet: bei § 310 b Abs. 1 das Abwenden der zum Tatbestand gehörenden konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert; bei §311 b Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 310 b Abs. 1 und bei § 311 b Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 311 Abs. 1 das Abwenden der zum Tatbestand der vom Täter vorbereiteten Tat gehörenden konkreten Gefahr; bei § 311 a Abs. 1 oder 2 und bei § 311 b Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 311 a Abs. 2 schließlich das Abwenden der mit einem Delikt nach § 311 a Abs. 1 und 2 erfaßten konkreten Gefahr, die in dem Erfordernis der Eignung der ionisierenden Strahlung zur Gesundheitsschädigung ihren Ausdruck gefunden hat. — Unter Abwenden der Gefahr ist das Verhindern ihres Eintritts, aber auch das Beseitigen der bereits eingetretenen Gefahr zu verstehen, solange sie sich noch nicht in einem Schaden niedergeschlagen hat3. Dazu muß der Täter eigenes positives Handeln entfalten. Diese Variante erlaubt also auch tätige Reue bei vollendetem Delikt. In keinem Falle darf jedoch ein Schaden entstanden sein, so daß es auf seine Erheblichkeit (vgl. dazu unten Rdn. 7 f) nicht ankommt.

5

c) Freiwilligkeit ist in gleichem Sinne wie bei § 24 zu verstehen4. Es kann deshalb auf die Bemerkungen zu dieser Bestimmung verwiesen werden (Vogler LK § 24 Rdn. 82 ff).

6

2. Die Folgen tätiger Reue sind nach der Gefährlichkeit der in Rede stehenden Verbrechen abgestuft: Bei § 310 b Abs. 1 und § 311 a Abs. 2 hat der Richter die Möglichkeit, die Strafe nach seinem Ermessen zu mildern (§§ 311 e Abs. 1, 49 Abs. 2). Bei § 311 a Abs. 1 kann wahlweise gemildert oder von Strafe abgesehen werden (§§ 311 e Abs. 2 Nr. 1, 49 Abs. 2). Bei § 311 b wirkt die tätige Reue als persönlicher Strafaufhebungsgrund (§311 e Abs. 3 Nr. 2).

7

III. 1. Für tätige Reue bei den Straftaten nach § 3 1 0 b Abs. 2 oder Abs. 4, §311 Abs. 1 bis 5, § 311 a Abs. 4 und § 311 c Abs. 1, 4 und 5 ist Voraussetzung, daß der Täter freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht (§311 e Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1). Damit ist die Grenze, bis zu der der Täter tätige Reue üben kann, noch über die Vollendung des Delikts hinausgeschoben; denn diese verlangt lediglich Gefahreintritt. — Zur Bedeutung des freiwilligen Abwendens der Gefahr wird auf Rdn. 4 und 5 Bezug genommen. Jedoch ist zu beachten, daß es in diesen Fällen in erster Linie darum geht, die Ausdehnung oder anders das weitere Umschlagen von Gefahr, die regelmäßig eingetreten sein wird, in Schaden zu verhindern. Es muß deshalb genügen, wenn der Täter es durch sein Tun erreicht, daß der Schaden unerheblich bleibt5. Beispiele für ein Abwenden der Gefahr sind das Warnen gefährdeter Personen oder — bei § 311 c — das Beseitigen des Anlagenfehlers oder die Stillegung der Anlage.

8

Es darf kein erheblicher Schaden entstanden sein. Was mit erheblich gemeint ist, ist zweifelhaft und streitig (vgl. das entsprechende Problem bei § 315 Abs. 6). Die Gesetzesmaterialien (vgl. vor allem Begr. ζ. Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 519) helfen nicht recht weiter. Jedoch läßt sich die Frage einengen. Entstehen Personenschäden, so ist die nicht 3

4

Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Lackner Rdn. 2; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Fischerhof § 44 AtomG a. F./§ 3 1 1 c Rdn. 2, 4. Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 6; Fischerhof § 44 AtomG a. F./ § 3 1 1 c Rdn. 2, 4.

5

Tröndle Rdn. 3; Horn SK Rdn. 7; Lackner Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 8; s. auch BT-Drucks. 12/192 S. 15.

Stand: 1. 3. 1 9 9 7

(30)

Tätige Reue

§ 311 e

völlig unbedeutende Gesundheitsbeeinträchtigung oder Verletzung eines Menschen immer ein erheblicher Schaden (Horn SK Rdn. 7; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9). Bei Sachschäden ist man sich darüber einig, daß die Grenze nicht in Anlehnung an einen nicht völlig belanglosen Schaden gezogen werden kann, bei dem ein Unfall im Sinne des § 142 vorliegt (Tröndle Rdn. 3). § 310 kann gleichfalls nicht herangezogen werden, denn mindestens bei den Explosionsdelikten nach §§ 310 b und 311 wird — anders als beim Inbrandsetzen — durch die Explosion in aller Regel ein großer Sachschaden hervorgerufen (vgl. auch Begr. zu § 341 Ε 1962 BT-Drucks. IV/650 S. 519). Sich an dem Verhältnis zwischen Wert der gefährdeten Sache und Höhe des eingetretenen Schadens zu orientieren (so Rüth LK 10. Aufl. § 315 Rdn. 52), erscheint nicht sachgerecht. Denn werden — wie es bei einer Explosion durch Kernenergie naheliegt — besonders hohe Sachwerte gefährdet und ist der vom dann tätige Reue übenden Täter verursachte Schaden im Vergleich dazu gering, absolut gesehen aber bedeutend, so ist die Anwendung von § 311 e verfehlt. Als obere Grenze für die Anwendbarkeit von § 311 e wird deshalb die Schädigung eines bedeutenden Sachwerts angesehen werden müssen (einschränkend Tröndle Rdn. 3). Dabei legt es die gesetzliche Wortwahl — einerseits: Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert in §§ 310 b, 311 a und 311c, andererseits: kein erheblicher Schaden in § 311 e — nahe, daß damit nichts Übereinstimmendes (so Sch/Schröder/Cramer Rdn. 9), sondern etwas Verschiedenes gemeint ist; nämlich mit erheblich ein Weniger im Vergleich zu bedeutend (so auch Tröndle Rdn. 3). Ein erheblicher Schaden liegt also nicht erst dann vor, wenn eine Sache von bedeutendem Wert vernichtet ist (so aber Horn SK Rdn. 7). Die von Tröndle Rdn. 3 erwähnte Wertgrenze von 500 DM ist danach ein praktikabler Vorschlag jedenfalls für §§ 311, 311 a Abs. 4; bei § 310 b Abs. 2 und 4 oder § 311 c mag sie höher anzusiedeln sein. — Die vorstehenden Überlegungen zeigen, daß für die Anwendbarkeit des § 311 e bei den aufgeführten Explosionsstraftaten wenig Raum bleibt, weil meist bereits der reine Explosionsschaden die diskutierte Wertgrenze übersteigen wird. 2. Auch bei den unter Rdn. 7 erwähnten Straftaten sind die Folgen tätiger Reue abge- 9 stuft: Bei § 310 b Abs. 2, § 311 Abs. 1 bis 4, § 311 a Abs. 4 und § 311 c Abs. 1 und 4 kann das Gericht wahlweise die Strafe mildern oder von Strafe absehen (§ 311 e Abs. 2 Nr. 2). In den Fällen des § 310 b Abs. 4, des § 311 Abs. 5 und des § 311 c Abs. 5 wirkt die tätige Reue als persönlicher Strafaufhebungsgrund (§ 311 e Abs. 3 Nr. 1). IV. Nach Absatz 4 reicht es in allen Fällen aus, daß der Täter sich freiwillig und ernst- 10 haft durch aktives Eingreifen darum bemüht, die Gefahr abzuwenden, wenn diese auf andere Weise abgewendet wird. Letzteres ist allerdings zwingende Voraussetzung. Die Gefahr kann dabei schon abgewendet sein, bevor der Täter zu ihrer Abwehr tätig wird. Ernsthaftes Bemühen um Gefahrabwendung setzt dabei voraus, daß der Täter die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dafür ausschöpft (BGH NStZ 1986 27). V. Bei mehreren Tatbeteiligten gelten die in § 24 Abs. 2 niedergelegten Grundsätze entsprechend. VI. Die Einziehungsmöglichkeit nach § 322 bleibt bestehen, auch wenn das Gericht wegen tätiger Reue von Strafe absieht oder den Täter freispricht (§ 76 a). VII. Recht des Einigungsvertrages s. bei § 311 Rdn. 14 ff.

(31)

Hagen Wolff

§312

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

§312 Herbeiführen einer lebensgefahrdenden Überschwemmung Wer mit gemeiner Gefahr für Menschenleben eine Überschwemmung herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren und, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Schrifttum Dedes Gemeingefahr und gemeingefährliche Straftaten, MDR 1984 100; v. Ende Zur gemeingefährlichen Überschwemmung (1913); Finger Begriff der Gefahr und Gemeingefahr im Strafrecht, Frank - Festgabe I S. 230, 243 ff; Härtung Gemeingefahr! NJW 1960 1417; Kirchner Die Herbeiführung einer Überschwemmung (1901); Sack Umweltschutzstrafrecht A 1.9; Schröder Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1969) 7; v. Ulimann Überschwemmung, VDB IX S. 79; Wanjeck Ein Beitrag zur Lehre von der Brandstiftung und Überschwemmung nach heutigem Deutschen Strafrecht GS 31 1.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sachlich unverändert geblieben (RGBl. 1871 S. 127, 187), sieht man davon ab, daß durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) an die Stelle der ursprünglich angedrohten Zuchthausstrafe Freiheitsstrafe getreten ist. Die geltende Fassung geht auf Art. 19 Nr. 173, 207 EGStGB 1974 zurück. Im Ε 1962 war mit § 328 eine weitgehende Übernahme unter Erweiterung auf das Entfesseln anderer Naturkräfte vorgesehen (BT-Drucks. IV/650 S. 64, 505). 1

I. Das Herbeiführen eines bestimmten Ereignisses, das „mit gemeiner Gefahr" für schützenswerte Rechtsgüter verbunden ist, ist im 27. Abschnitt des StGB — Gemeingefährliche Straftaten — und im StGB insgesamt allein in den §§ 312 bis 314 unter Strafe gestellt. Der Begriff der gemeinen Gefahr wird sonst im StGB nur noch in § 323 c (vgl. Spendel LK § 323 c Rdn. 58 ff) und in § 243 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 6 (vgl. Ruß LK § 243 Rdn. 34) sowie in § 145 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 verwendet (Herdegen LK § 145 Rdn. 2)1. Früher war bei den Verkehrsstraftaten in §§ 315, 315 a und 316 der Begriff Gemeingefahr als Tatbestandsmerkmal enthalten. Dieser Begriff wurde durch §315 Abs. 3 in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839) dahin definiert, daß Gemeingefahr eine Gefahr für Leib oder Leben, sei es auch nur eines einzelnen Menschen, oder für bedeutende Sachwerte, die in fremdem Eigentum stünden oder deren Vernichtung gegen das Gemeinwohl verstoße, bedeute. Die Anwendung dieses Begriffs bereitete allerdings bereits innerhalb der Verkehrsdelikte erhebliche Schwierigkeiten, weil unklar blieb, ob sich der Schutz der Strafvorschrift auch auf einen individuell bestimmten einzelnen beziehen sollte (vgl. ζ. B. Härtung NJW 1960 1417). Darüber hinaus war streitig, ob diese Legaldefinition im 27. Abschnitt des StGB allgemein galt (vgl. die Nachweise bei Schröder ZStW 81 [1969] 7, 24). Durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. November 1964 (BGBl. I S. 921) wurde deshalb auf das Erfor1

Siehe allerdings auch das Mordmerkmal „mit gemeingefährlichen Mitteln" in §211 (vgl. dazu insbes. BGH NJW 1985 1477, 1478, besprochen von Brandts JA 1985 491; Horn JR 1986 32; Rengier StV 1986 405 und BGHSt. 34 13, 14; sowie

Jähnke LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 59 ff) und die in § 326 erfaßten Abfälle mit Erregern gemeingefährlicher und Ubertragbarer Krankheiten (vgl. Steindorf LK 10. Aufl. § 326 Rdn. 27 f).

Stand: 1. 3. 1997

(32)

Herbeiführen einer lebensgefährdenden Überschwemmung

§ 3 1 2

dernis des Entstehens einer Gemeingefahr im Rahmen der §§ 315 ff verzichtet, die gesetzliche Begriffsbestimmung entfiel. Dieser Verzicht auf den Begriff der Gemeingefahr als Tatbestandsmerkmal sollte im Ε 1962 verallgemeinert werden; die §§ 328, 338 und 340 Ε 1962 als Nachfolgevorschriften für die §§ 312 bis 314 sahen deshalb das Merkmal mit gemeiner Gefahr nicht mehr vor (BT-Drucks. IV/650 S. 64, 66, 496 ff). Diese Änderung ist wieder aufgegriffen in §313 des Referentenentwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (Stand: 15. Juli 1996), mit welcher Bestimmung die derzeitigen §§ 312 bis 314 zusammengefaßt werden sollen. II. Der objektive Tatbestand des §312 verlangt das Herbeiführen einer Über- 2 schwemmung mit gemeiner Gefahr für Menschenleben. 1. Eine Überschwemmung liegt vor, wenn Wasser in solcher Menge und Stärke über seine natürlichen oder künstlichen Grenzen hinaustritt, daß es zu einer Gefahr für die im überfluteten Gebiet befindlichen Personen oder Sachen wird2. Es genügt also nicht jedes Überlaufen von Wasser auf einen sonst wasserfreien Teil der Erdoberfläche. Von dem Begriff wird auch erfaßt, wenn ein größerer umschlossener Raum, ζ. B. ein Bergwerksschacht, unter Wasser gesetzt wird3; die Überflutung eines einzelnen Kellers oder einer Stube allein reicht jedoch nicht aus. 2. Der Ausdruck herbeiführen hat dieselbe Bedeutung wie Verursachen. Darunter 3 fällt die Vergrößerung einer aufgrund anderweitiger Ursachen eingetretenen Überschwemmung4. Wie überhaupt das Herbeiführen regelmäßig Mitverursachen sein wird, weil eine Mitwirkung der elementaren Kräfte des Wassers wohl immer vorliegen wird. Eine Verursachung durch Unterlassen ist möglich (RGSt. 5 309, 310; Horn SK Rdn. 3; vgl. auch RG JW 1928 409). 3. Folge der so herbeigeführten Überschwemmung muß eine gemeine Gefahr für 4 Menschenleben sein. Bei § 312 ist also die Gefahr nicht wie bei abstrakten Gefährdungsdelikten lediglich gesetzgeberisches Motiv geblieben, sondern Tatbestandsmerkmal geworden. Die gemeine Gefahr muß tatsächlich bestanden haben; § 312 ist konkretes Gefährdungsdelikt 5 . Sie muß deshalb ausdrücklich festgestellt werden. Eine gemeine Gefahr im Sinne der Bestimmung liegt vor, wenn eine Vielzahl von Menschen gefährdet ist6. Daß diese Vielzahl unbestimmt ist7, ist keine notwendige Voraussetzung; zum Begriff der Allgemeinheit gehört die Vielheit (vgl. RGSt. 75 68, 70). Wird ζ. B. ein Bergwerk 2

RG Rspr. 7 577; Tröndle Rdn. 1; Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 1; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2; Blei II S. 343; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 52 III; Sack A 1.9 Rdn. 2. 3 Tröndle Rdn. 1; Olshausen Anm. 2; Sack A 1.9 Rdn. 2; vgl. auch RGSt. S 309. * RGSt. 5 309, 310; RG Recht 1910 Nr. 2327; RG JW 1933 700; Tröndle Rdn. 2; Horn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2; Sack A 1.9 Rdn. 3. 5 Frank Anm. I; Horn SK Rdn. 4 und vor § 306 Rdn. 8; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 50 III 1; Otto BT S. 392; Roxin Strafrecht AT Bd. I § 11 Rdn. 114; Sack A 1.9 Rdn. 1; Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefährdungsdelikts, JuS 1982 426, 427, 428; Schröder ZStW 81 (1969) 7, 23 ff. (33)

6

7

Frank Vorbem. II z. 27. Abschn.; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 3 und vor § 306 Rdn. 19; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 50 I 4; vgl. auch BGH NJW 1985 1477, 1478; vgl. außerdem Gallas Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten (1963) S. 48 ff. So RG Rspr. 5 557, 558; Tröndle Rdn. 2 u. Vorbem. vor § 306 Rdn. 1; Lackner Rdn. 2; Olshausen Anm. 4; Otto BT S. 392; Sack A 1.9 Rdn. 4; Wessels BT 1 S. 201; Finger Frank-Festgabe I S. 230, 250; Härtung NJW 1960 1417, 1418; Ostendorf Grundzüge des konkreten Gefahrdungsdelikts, JuS 1982 426, 428 Anm. 25; Schröder ZStW 81 (1969) 7, 25.

Hagen Wolff

§312

27. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

überflutet, in dem eine große Zahl von Bergleuten arbeitet, so wird sich eine Gemeingefahr kaum verneinen lassen, obwohl die Zahl der gefährdeten Bergleute bestimmt ist. Es genügt allerdings nicht — und insoweit besteht heute weitgehend Einigkeit —, daß eine einzelne Person oder wenige bestimmte Personen gefährdet ist oder sind (RG Rspr. 5 557, 558; RG JW 1933 700; aA Horn SK Rdn. 4 und vor § 306 Rdn. 8) oder aber eine einzelne Person, die ihrer Individualität nach unbestimmt ist (so aber ζ. B. Spendet LK § 323 c Rdn. 59 offenbar auch für § 312). — Das Reichsgericht hat das Wesen der gemeinen Gefahr darin gesehen, „daß der Thäter die Ausdehnung der Gefährdung nicht in seiner Gewalt hat", wobei es darauf hingewiesen hat, daß eine örtliche Umgrenzung der Überschwemmung die gemeine Gefahr nicht ausschließt, weil irgendeine örtliche Grenze jeder noch so allgemeinen Gefahr anhaften muß (RGSt. 5 309; vgl. auch RG JW 1927 2517 sowie BGH NJW 1985 1477, 1478; BGHSt. 34 13, 14). - Besteht das Herbeiführen einer Überschwemmung in der Ausdehnung einer bereits vorhandenen, so muß sich auch die Gemeingefahr vergrößert haben, damit der objektive Tatbestand erfüllt ist (RG Recht 1910 Nr. 2327; RG JW 1933 700). 5

Unter der nötigen konkreten Gefahr ist ein Zustand zu verstehen, bei dem die Sicherheit einer Vielzahl von Personen so stark in Frage gestellt ist, daß es vom Zufall abhängt, ob es zu einem Verlust von Menschenleben kommt oder nicht; die Situation muß auf den unmittelbar bevorstehenden Tod von Menschen hindeuten, ohne daß es zum Tod eines Menschen zu kommen braucht. Dabei ist die Beantwortung der Frage, ob eine derartige konkrete gemeine Gefahr vorgelegen hat, durch ein auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhendes, objektives, nachträgliches Wahrscheinlichkeitsurteil vorzunehmen.

6

III. Der innere Tatbestand verlangt Vorsatz. Dieser muß sich auf die gemeine Gefahr für Menschenleben erstrecken8. Das heißt allerdings nicht, daß sich der Vorsatz auf die Verwirklichung einer derartigen Gefahr erstrecken muß; vielmehr genügt das Bewußtsein, daß eine Gefahr dieser Art herbeigeführt wird (vgl. RGSt. 71 42, 43). Bedingter Vorsatz genügt (RG JW 1938 700; RG DRiZ 1928 Nr. 70). - Für Irrtumsfragen gelten die allgemeinen Grundsätze.

7

IV. Rechtswidrigkeit. An Rechtfertigungsgründen kommen insbesondere Notstand (vgl. RG JW 1933 700 u. BayObLGSt. 1, 246) und Handeln auf Befehl in Betracht, soweit es dabei nicht nur um Schuldausschließungsgründe geht. Dagegen vermögen bestehende Staurechte die Rechtswidrigkeit nicht auszuschließen (vgl. RG Rspr. 3 471; RG JW 1911 246).

8

V. Eine Qualifizierung bedeutet es, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist. Bezüglich der schweren Folge, bei der sich unmittelbar die Überschwemmung ausgewirkt haben muß, ist mindestens Fahrlässigkeit erforderlich (§ 18). Der Straferhöhungsgrund ist auch dann gegeben, wenn bereits durch den Versuch der Tod eines Menschen verursacht wird9.

9

VI. Konkurrenzen. Tateinheit zwischen dem qualifizierten Fall des § 312 und Mord oder Totschlag ist möglich (a. M. bezügl. Mord Horn SK Rdn. 11); der Vorsatz, das 8

RG JW Rdn. 3; Rdn. 3; Rdn. 5;

1928 409; RG DRiZ 1928 Nr. 70; Tröndle Frank Anm. IV; Horn SK Rdn. 5; Lackner Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4; Sack A 1.9 aA Olshausen Anm. 5 a.

9

Tröndle Rdn. 4; Olshausen Anm. 7; Sch/Schröder/ Cramer Rdn. 5; vgl. auch RGSt. 69 332 und bei § 18; anders noch RGSt. 40, 321, 325; in letzterem Sinne Horn SK Rdn. 9.

S t a n d : 1. 3. 1 9 9 7

(34)

Herbeiführen einer sachengefährdenden Überschwemmung

§ 3 1 3

Leben einer Vielzahl von Menschen zu gefährden, ist verschieden von dem Vorsatz, das Leben eines oder mehrerer bestimmter Menschen zu vernichten. Dagegen besteht in diesem Fall zu § 222 Gesetzeseinheit; diese Strafvorschrift tritt hinter § 312 zurück. Im übrigen kommt Tateinheit mit § 313 in Betracht, aber auch mit den Sachbeschädigungsdelikten nach §§ 303 ff, § 318 und Straftaten gegen die Umwelt nach §§ 324 ff. VII. Recht des Einigungsvertrages. Die §§ 312 bis 314 gelten seit dem Wirksamwer- 10 den der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren DDR gegründeten Bundesländern. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten (Einigungsvertrag BGBl. II S. 889 - Art. 45 - in Verb. m. EinigungsvertragsG v. 23. September 1990 BGBl. II S. 885 und Gesetz der Volkskammer v. 20. September 1990 GBl. II S. 1627 sowie Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Einigungsvertrags pp. ν. 16. Oktober 1990 BGBl. II S. 1360), sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der DDR vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). In der früheren DDR ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt geändert worden durch das 11 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I S. 526). Den §§ 312 ff entsprechende Delikte waren von dieser Änderung nicht betroffen. Sie ergaben sich vielmehr aus der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung des Strafgesetzbuches der DDR vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). Einschlägig war insoweit § 190 StGB-DDR, der unter der Überschrift Verursachung einer Katastrophengefahr im wesentlichen die Zerstörung, Beschädigung oder Unbrauchbarmachung von Einrichtungen oder Anlagen zum Schutz vor Naturgewalten bei schuldhafter Verursachung einer Gemeingefahr unter Strafe stellte. Dabei war der Begriff Gemeingefahr in § 192 StGB-DDR wie folgt gesetzlich definiert: Gemeingefahr ist eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für bedeutende Sachwerte. Eine Gemeingefahr liegt auch vor, wenn die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung erheblich beeinträchtigt oder die Entsorgung erheblich gestört ist.

Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Straftaten nach §§ 312 ff wird ergänzend auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§ 3 1 3

Herbeiführen einer sachengefährdenden Überschwemmung (1) Wer mit gemeiner Gefahr für das Eigentum eine Überschwemmung herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (2) Ist jedoch die Absicht des Täters nur auf Schutz seines Eigentums gerichtet gewesen, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Schrifttum Siehe bei § 312.

(35)

Hagen Wolff

§313

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift ist seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sachlich im wesentlichen unverändert geblieben (RGBl. 1871 S. 127, 187). Durch Art. 1 Nr. 88 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) ist der ursprünglich strengere Strafrahmen des Absatzes 2 gemildert worden; zugleich sind durch dieses Gesetz die ursprünglich angedrohten Zuchthaus- und Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe umgewandelt worden. Die Änderungen durch Art. 19 Nr. 174, 207 EGStGB 1974, die zu der geltenden Fassung geführt haben, betreffen nur den Wortlaut. Im Ε 1962 war mit § 328 ebenfalls eine weitgehende Übernahme unter Erweiterung auf das Entfesseln anderer Naturkräfte vorgesehen (BT-Drucks. IV/650 S. 64, 505). 1

I. § 313 ist die Parallelvorschrift zu § 312 für den Fall, daß der Täter eine Überschwemmung herbeiführt, die eine Sachgefahr zur Folge hat, und dabei vorsätzlich handelt. Die Merkmale vorsätzliches Herbeiführen einer Überschwemmung haben daher dieselbe Bedeutung wie in § 312. Auf die Erläuterungen zu dieser Vorschrift wird insoweit Bezug genommen (vgl. § 312 Rdn. 2, 3, 6).

2

II. Was mit gemeiner Gefahr für das Eigentum gemeint ist, ist umstritten (vgl. zu der entsprechenden Streitfrage bei § 312 dort Rdn. 1, 4); denn es läßt sich für die Abgrenzung dieses Begriffs an die Vielzahl und Unbestimmtheit der Eigentümer gefährdeter Sachen, ebensogut aber an die Vielzahl und Unbestimmtheit der Sachen selbst, schließlich aber auch an Größe und Wert der Sachen anknüpfen (in letzterem Sinne ζ. B. Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 1'). Teilweise werden mehrere dieser Gesichtspunkte zusammen zur Begriffsbestimmung verwendet (vgl. ζ. B. Tröndle Rdn. 1). Das Reichsgericht hat gemeine Gefahr für das Eigentum als gegeben angesehen: „sobald die Gefährdung nicht sowohl das Eigenthum nur einer oder einzelner bestimmten Personen betrifft, sondern in unbestimmter Ausdehnung auftritt, sobald sie also eine solche ist, deren Ausdehnung bei ihrem Ursprung nicht ermessen werden kann. Zur Erfüllung dieses Merkmals genügt schon die Gefährdung des Eigenthums mehrerer Personen, sofern der Wille des Thäters nicht gerade auf sie gerichtet war"'. Wie in § 312 auf eine Vielzahl gefährdeter Personen abzustellen ist (vgl. dort Rdn. 4), kommt es in § 313 — grundsätzlich — darauf an, ob eine Vielzahl von Sachen gefährdet ist (Frank Anm. I; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2). Denn auch bei der Sachgefahr ist das die gemeine Gefahr kennzeichnende Merkmal die Vielheit der gefährdeten Gegenstände. Danach wäre es an sich bedeutungslos, nach der Zahl der Eigentümer der gefährdeten Sachen zu fragen 2 . Doch ist hier von der Entstehungsgeschichte der Vorschrift her eine Einschränkung zu machen: Für den dem § 313 entsprechenden § 291 pr. StGB hatte der Gesetzgeber nur Fälle im Auge gehabt, bei denen das Eigentum mehrerer Personen gefährdet wird (Goltdammer Mat. ζ. pr. StGB 2 651). Anhaltspunkte dafür, daß die spätere Gesetzgebung einen anderen Standpunkt einnehmen wollte, liegen nicht vor. Danach muß es sich bei der Vielzahl der gefährdeten Sachen um das Eigentum mehrerer, wenn auch nicht vieler Personen handeln3. — Die so umrissene gemeine Sachgefahr muß als konkrete Gefahr tatsächlich bestanden haben und vom Vorsatz des Täters umfaßt gewesen sein (vgl. § 312 Rdn. 4 bis 6). — Geschützt wird durch § 313 lediglich fremdes Eigentum (allgem. Meinung).

RG Rspr. 7 577, 578; ähnlich RGSl. 5 309; RG Recht 1910 Nr. 2327; RG JW 1933 700; dagegen ist in RG Rspr. 5 557, 558 auf eine unbestimmte Vielzahl von Gegenständen abgestellt.

2

So Frank Anm. I; Horn SK Rdn. 3; Lackner Rdn. 1; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2. ' RG JW 1928 409; Tröndle Rdn. 1; Olshausen Anm. 1; Otto BT S. 392.

Stand: 1. 3. 1997

(36)

Fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung

§314

III. Absatz 2 enthält für Fälle, in denen der Täter zwar nicht in rechtfertigendem oder 3 entschuldigendem Notstand nach §§ 34, 35, aber mit der Absicht, sein Eigentum zu schützen, handelt, einen milderen Strafrahmen. Damit wird ein dem Notstand ähnlicher Interessenkonflikt privilegiert. Die Anwendung von § 904 BGB wird bei Auslösung einer Gemeingefahr durch den Täter nicht in Betracht kommen. Die Tat ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 Vergehen, so daß der Versuch nicht strafbar ist. Bei der auf den Schutz des Eigentums gerichteten Absicht, dem vom Täter verfolgten Endzweck, handelt es sich um ein subjektives Merkmal, das zu den besonderen persönlichen Merkmalen im Sinne des § 28 Abs. 2 gehört. Daß der Täter in der Absicht handelt, das Eigentum eines Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person zu schützen, erlaubt angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung die Anwendung des Absatzes 2 nicht (aA Horn SK Rdn. 4; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4). IV. Konkurrenzen. Tateinheit ist hauptsächlich möglich mit Sachbeschädigung nach 4 §§ 303 ff (RG JW 1927 2517); mit § 3124; mit § 318; aber auch mit § 88 und Straftaten gegen die Umwelt nach §§ 324 ff.

§314

Fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung Wer eine Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für Leben oder Eigentum durch Fahrlässigkeit herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Siehe bei § 312.

Entstehungsgeschichte Die Bestimmung ist seit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich lediglich in der Strafandrohung geändert worden (RGBl. 1871 S. 127, 187 f)· Und zwar ist durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) die Obergrenze der Strafe für den erschwerten Fall von drei auf fünf Jahre Gefängnis heraufgesetzt worden; durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) ist die zunächst angedrohte Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe übergeleitet worden; schließlich ist durch Art. 12 EGStGB 1974 Geldstrafe als Strafandrohung hinzugetreten und durch Art. 11 dieses Gesetzes die Mindeststrafandrohung von einem Monat Freiheitsstrafe für den erschwerten Fall entfallen. Auf Art. 19 Nr. 207 EGStGB 1974 geht die Überschrift zurück. Im Ε 1962 war mit §§ 328, 340 gleichfalls eine weitgehende Übernahme unter Erweiterung auf das Entfesseln anderer Naturkräfte vorgesehen (BT-Drucks. IV/650 S. 64, 66, 505, 517 f).

4

(37)

Tröndle Rdn. 3; Frank A n m . II; Olshausen A n m . 4 b; Sch/Schröder/Cramer R d n . 5; aA z. Teil

die ältere Literatur, vgl. N a c h w e i s e bei aaO).

Hagen Wolff

Olshausen

§ 3 1 4

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

1

I. Die Bestimmung erfaßt das Herbeiführen einer Überschwemmung mit gemeiner Gefahr für Leben oder Eigentum, wenn dem Täter nicht wie bei § 312 oder § 313 Vorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Bezüglich der Tatbestandselemente Herbeiführung einer Überschwemmung mit der Folge gemeiner Gefahr im Sinne der vorerwähnten beiden Bestimmungen kann deshalb auf die Erläuterungen zu §§312, 313 verwiesen werden.

2

II. Die Fahrlässigkeit des Täters kann sich sowohl auf die Vornahme der Tatbestandshandlung — Herbeiführen einer Überschwemmung — (vgl. ζ. B. RGSt. 5 309, 311 f) als auch auf ihre Folge — gemeine Gefahr für Leben oder Eigentum — (vgl. ζ. B. RG JW 1928 409) beziehen. Wird also die Überschwemmung vorsätzlich bewirkt, beruht aber das Hervorrufen einer gemeinen Gefahr nur auf Fahrlässigkeit, so ist § 314, nicht § 312 oder § 313 anwendbar'. Ein Fall fahrlässiger Herbeiführung einer Überschwemmung durch zu einem Dammbruch führendes Zuleiten von Wassermassen in einen Mühlengraben ist in der Entscheidung RG JW 1927 2517 behandelt.

3

III. Der Strafrahmen ist heraufgesetzt, wenn durch die Überschwemmung der Tod eines Menschen verursacht worden ist. Diese Folge muß also ein Ausfluß der tatbestandsspezifischen Handlung sein (vgl. Küpper Fahrlässige Brandstiftung mit tödlichem Ausgang - BGH NJW 1989, 2479, JuS 1990 184, 185); außerdem muß sie wegen § 18 von der dem Täter vorzuwerfenden Fahrlässigkeit umfaßt sein.

4

IV. Konkurrenzen. § 314 geht im Falle des Todes eines Menschen als speziellere Vorschrift dem § 222 vor — Gesetzeskonkurrenz — (aA Frank Anm.: Idealkonkurrenz). Mit § 230 kann Tateinheit bestehen. Führt der Täter vorsätzlich eine sachgefährdende Überschwemmung herbei und verursacht dadurch zugleich fahrlässig eine Gemeingefahr für Menschenleben, so treten § 314 und § 313 in Idealkonkurrenz. Daneben kommt Ideal konkurrenz mit §§ 303 ff und § 318 in Betracht.

Tröndle Rdn. 1; Frank Anm.; Horn SK Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2.

Stand: 1. 3. 1997

(38)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

§315 Gefahrliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (1) Wer die Sicherheit des Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. Anlagen oder Beförderungsmittel zerstört, beschädigt oder beseitigt, 2. Hindernisse bereitet, 3. falsche Zeichen oder Signale gibt oder 4. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt, und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter 1. in der Absicht handelt, a) einen Unglücksfall herbeizufuhren oder b) eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder 2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht. (4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (6) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Berz Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz (1986); ders. Zur konkreten Gefahr im Verkehrsstrafrecht, NZV 1989 409; Cramer Anmerkung zu BGH JZ 1983 811, JZ 1983 813; Demuth Zur Bedeutung der „konkreten Gefahr" im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte, VOR 1973 436; Fabricius Zur Präzisierung des Terminus „ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff" im Sinne der §§ 315, 315b StGB, GA 1994 164; Gallas Abstrakte und konkrete Gefahrdung, Heinitz-Festschrift (1972) S. 177; Geerds Konkurrenzprobleme der neuen Strafvorschriften zum Schutze des Verkehrs unter besonderer Berücksichtigung der Trunkenheit am Steuer, BA 3 (1965) 124; Geppert Anmerkung zu BGH NStZ 1985 263 (= NJW 1985 1036), NStZ 1985 264; Härtung Zweites Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs, NJW 1965 86; ders. „Fremde Sachen von bedeutendem Wert" in den §§ 315a, 315c und 315d StGB n. F., NJW 1966 15; Hirsch Gefahr und Gefährlichkeit, Kaufmann-Festschrift S. 545; Horn Konkrete Gefährdungsdelikte (1973); HornIHoyer Rechtsprechungsübersicht zum 27. Abschnitt des StGB - Gemeingefährliche Straftaten - , JZ 1987 965; Hoyer Die Eignungsdelikte (1987); Jaekel Nochmals: Schiffe als Schutzobjekte des § 315 StGB, NJW 1964 285; Jähnke Fließende Grenzen zwischen abstrakter und konkreter Gefahr im Verkehrsstrafrecht, DRiZ 1990 425; Kindhäuser Gefährdung als Straftat (1989); Kürschner Strafrechtliche Aspekte von Unfällen im Bereich von Bergbahnen und Schleppliften, NJW 1982 1966; Krause Verkehrsgefährdungen in der Binnenschiffahrt, Zeitschrift für Binnenwirtschaft 1975 337; Lackner Das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs, JZ 1965 92; ders. Das konkrete Gefährdungsdelikt im Verkehrsstrafrecht (1967); Meyer-Gerhards Verkehrsgefährdung und tätige Reue, JuS 1972 506; Nüse Zu den neuen Vorschriften zur Sicherung des Straßenverkehrs, JR 1965 41; Ostendorf Grundzüge des kon(1)

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kreten Gefahrdungsdelikts, JuS 1982 426; Rengier Zum Gefährdungsmerkmal „(fremde) Sachen von bedeutendem Wert", Spendel-Festschrift (1992) S. 559; Renzikowski Anmerkung zu BGH NJW 1996 329, JR 1997 115; Rudolf Zur Änderung des Luftstrafrechts durch das Zweite Verkehrssicherungsgesetz, ZLW 1965 118; Rüth Anmerkung zu BGH JR 1977 431, JR 1977 432; ders. Anmerkung zu BGH JR 1979 515, JR 1979 516; Schaberg Die Abgrenzung des Eingriffs in den Schiffsverkehr gemäß § 315 StGB von der Schiffahrtsgefahrdung gemäß § 315a StGB und den Ordnungswidrigkeiten, 18.VGT 1980 S. 315; Schmid Die Verkehrsbeeinträchtigung der §§315, 315a StGB aus der Sicht des Luftverkehrs, NZV 1988 125; H.W. Schmidt Die Schifffahrtsgefährdung gemäß § 315 StGB, MDR 1960 90; ders. Schiffe als Schutzobjekte des § 315 StGB, NJW 1963 1861; Schröder Die Gefährdungsdelikte im Strafrecht, ZStW 81 (1969) 7; Schünemann Moderne Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975 787; Warda Das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs, MDR 1965 1; Wolter Konkrete Erfolgsgefahr und konkreter Gefahrerfolg im Strafrecht - OLG Frankfurt, NJW 1975, 840, JuS 1978 748; ders. Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem (1981); Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998). S. ergänzend die Schrifttumsnachweise bei §§ 315a, 315b und 315c. Entstehungsgeschichte I. Das Reichsstrafgesetzbuch enthielt in §§ 315, 316 Strafvorschriften gegen die vorsätzliche und fahrlässige Gefahrdung von Eisenbahntransporten. § 315 Abs. 1 a. F. lautete: Wer vorsätzlich Eisenbahnanlagen, Beförderungsmittel oder sonstiges Zubehör derselben dergestalt beschädigt oder auf der Fahrbahn durch falsche Zeichen oder Signale oder auf andere Weise solche Hindernisse bereitet, daß dadurch der Transport in Gefahr gesetzt wird, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.1 Die den Schiffsverkehr betreffenden Tatbestände waren in den §§321 und 322 zersplittert geregelt und schützten diesen nur unvollkommen (Η. W. Schmidt M D R 1960 90). § 321 Abs. 1 stellte soweit hier relevant denjenigen unter Strafe, der „in schiffbaren Strömen, Flüssen oder Kanälen das Fahrwasser stört und durch eine dieser Handlungen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit anderer herbeiführt"? § 322 betraf die Gefahrdung der Schiffahrt durch Störung des Signal- und Zeichenwesens. 3 Dessen Absatz 1 lautete: Wer vorsätzlich ein zur Sicherung der Schiffahrt bestimmtes Feuerzeichen oder ein anderes zu diesem Zwecke aufgestelltes Zeichen zerstört, wegschafft oder unbrauchbar macht oder ein solches Feuerzeichen auslöscht oder seiner Dienstpflicht zuwider nicht aufstellt oder ein falsches Zeichen, welches geeignet ist, die Schifffahrt unsicher zu machen, aufstellt, insbesondere zur Nachtzeit auf der Strandhöhe Feuer anzündet, welches die Schiffahrt zu gefährden geeignet ist, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. 1

Absatz 2 enthielt im Strafrahmen abgestufte Qualifikationstatbestände für die Verursachung einer schweren Körperverletzung bzw. des Todes eines Menschen. Fahrlässigkeitstaten waren in § 316 Abs. 1 unter Strafe gestellt. § 316 Abs. 2 bedrohte „die zur Leitung der Eisenbahnfahrten und zur Aufsicht über die Bahn und den Beförderungsbetrieb angestellten Personen" mit Strafe, die „durch Vernachlässigung der ihnen obliegenden Pflichten einen Transport in Gefahr" setzten. Ergänzende Bestimmungen zum Berufsverbot und zu dessen strafrechtlicher Absicherung gegen die in § 316 Abs. 2 genannten Personen enthielten die §§319, 320.

2

3

Der andere Teil der Vorschrift betraf Angriffe gegen Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, Deiche, Dämme oder andere Wasserbauten, Brücken, Fähren, Wege oder Schutzwehre oder dem Bergwerksbetrieb dienende Vorrichtungen zur Wasserhaltung, zur Wetterführung oder zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter. Er ist Vorläufer der heute in § 318 (Beschädigung wichtiger Anlagen) eingestellten Tatbestände. Absatz 2 enthielt im Strafrahmen abgestufte Qualifikationstatbestände für die Verursachung der Strandung eines Schiffes oder des Todes eines anderen.

Stand: 1. 7. 2000

(2)

G e f ä h r l i c h e E i n g r i f f e in d e n B a h n - , Schiffs- u n d L u f t v e r k e h r

§

3 1 5

Sonderbestimmungen zum Schutz der Luftfahrt wurden eingeführt mit dem Luftverkehrsgesetz vom 1. August 1922 (RGBl. I S. 681). § 33 Abs. 1 LuftVG a.F. hatte folgenden Wortlaut: Wer Menschenleben dadurch gefährdet, daß er vorsätzlich ein Luftfahrzeug beschädigt, zerstört oder sonst unbrauchbar oder unzuverlässig macht, oder vorsätzlich die Fahrt eines Luftfahrzeugs durch falsche Zeichen oder sonst stört, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft,4 II. § 206 Ε 19255 und § 230 Ε 1927 faßten die Strafbestimmungen zum Schutz des Eisenbahn-, Schiffs- und Luftverkehrs erstmals in einer Vorschrift zusammen. Die Vorschläge wiesen bereits die Strukturen auf, die auch das geltende Recht prägen, wobei § 230 Abs. 2 Ε 1927 bis zu einem gewissen Grad als Vorläufer des § 315a heutiger Fassung gelten kann. § 230 Ε 1927 lautete wie folgt: Wer die Sicherheit des Betriebes einer Eisenbahn, einer Schwebebahn, der Schiffahrt oder der Luftfahrt durch Beschädigen, Zerstören oder Beseitigen von Anlagen, Beförderungsmitteln oder Gegenständen, die dem Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr dienen, durch Bereiten von Hindernissen auf der Fahr- oder Flugbahn, durch falsche Zeichen oder Signale oder auf ähnliche Weise stört und dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben oder in bedeutendem Umfang für fremdes Eigentum herbeiführt, wird mit Zuchthaus bestraft. Ebenso wird bestraft, wer als Angestellter eines Eisenbahn-, Schwebebahn-, Schifffahrt- oder Luftfahrtunternehmens bei Wahrnehmung des Dienstes seine Pflichten verletzt und dadurch die Sicherheit des Betriebes stört und eine Gefahr für Leib und Leben oder in bedeutendem Umfang für fremdes Eigentum herbeiführt. Das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839) hat die Vorschläge der Reformentwürfe aufgegriffen, erbrachte aber mit dem Begriff der Gemeingefahr eine wesentliche Neuerung. § 315 i. d. F dieses Gesetzes hatte folgenden Wortlaut: Wer die Sicherheit des Betriebes einer Eisenbahn oder Schwebebahn, der Schiffahrt oder der Luftfahrt durch Beschädigen, Zerstören oder Beseitigen von Anlagen oder Beförderungsmitteln, durch Bereiten von Hindernissen, durch falsche Zeichen oder Signale oder durch ähnliche Eingriffe oder durch eine an Gefährlichkeit einem solchen Eingriff gleichkommende pflichtwidrige Unterlassung beeinträchtigt und dadurch eine Gemeingefahr herbeiführt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder auf Todesstrafe zu erkennen. Wer auf solche Weise die Sicherheit des Betriebs einer Straßenbahn beeinträchtigt und dadurch eine Gemeingefahr herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. Der Versuch ist strafbar. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Gemeingefahr bedeutet eine Gefahr für Leib oder Leben, sei es auch nur eines einzelnen Menschen, oder für bedeutende Sachwerte, die in fremdem Eigentum stehen oder deren Vernichtung gegen das Gemeinwohl verstößt. § 316 bedrohte fahrlässige Taten mit Strafe. Der Strafrahmen betrug für fahrlässige Taten im Sinne des § 315 Abs. 1 Gefängnis nicht unter einem Monat, für solche nach § 315 Abs. 2 Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 4

(3)

In Absatz 2 war die Versuchsstrafbarkeit geregelt, Absatz 3 enthielt Erfolgsqualifikationen für die Verursachung einer schweren Körperverletzung und des Todes, Absatz 4 pönalisierte fahrlässiges Verhalten.

5

Der Ε 1925 bezog die Schwebebahn noch nicht ein. S. auch die Vorarbeiten in §§ 183, 186 Ε 1909 sowie in § 259 Ε 1919, der (nur) den Eisenbahn- und Schiffsverkehr in sich vereinigte.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

III. Das Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832) hat an der Ausgestaltung der den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr betreffenden Tatbestände nur wenig geändert: Wer die Sicherheit des Betriebes einer Schienenbahn auf besonderem Bahnkörper oder Schwebebahn, der Schiffahrt oder der Luftfahrt durch Beschädigen, Zerstören oder Beseitigen von Anlagen oder Beförderungsmitteln, durch Bereiten von Hindernissen, durch falsche Zeichen oder Signale oder durch ähnliche Eingriffe oder durch eine an Gefährlichkeit einem solchen Eingriff gleichkommende pflichtwidrige Unterlassung beeinträchtigt und dadurch eine Gemeingefahr herbeiführt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder auf lebenslanges Zuchthaus zu erkennen. In minder schweren Fällen kann auf Gefängnis nicht unter drei Monaten erkannt werden. Gemeingefahr bedeutet... [wie oben § 315 Abs. 3]. Neu eingeführt wurde der Begriff der „Schienenbahn auf besonderem Bahnkörper", der an die Stelle des Merkmals der „Eisenbahn" trat, ohne daß damit eine sachliche Änderung bewirkt worden wäre. Die Aufführung des „besonderen Bahnkörpers" diente der Abgrenzung zur im öffentlichen Straßenraum fahrenden Straßenbahn, die in den neu geschaffenen § 315a (Sicherheit des Straßenverkehrs) einbezogen wurde (hierzu § 315d Entstehungsgeschichte). Zu diesem Zweck ist § 315 Abs. 2 i. d. F. des Gesetzes vom 28. Juni 1935 gestrichen worden. Weitere Änderungen betrafen die Strafdrohungen. Die Todesstrafe wurde beseitigt. Außerdem wurden im frei gewordenen Absatz 2 die minder schweren Fälle privilegiert. IV. § 342 Ε 1960 (BTDrucks. III/2150 S. 65) und § 342 Ε 1962 (BTDrucks. IV/650, S. 67, 521 ff) haben die Konzeption der Vorschrift weiter entwickelt. Die Vorschläge des Ε 1962 sind im wesentlichen in die Vorlage der BReg. zum 2. StraßenVSichG (BTDrucks. IV/651) übernommen und mit Art. 1 Nr. 6 des Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 21. November 1964 (BGBl. I S. 921) umgesetzt worden. 1. Die Ersetzung des Begriffspaars „ähnliche Eingriffe oder durch eine an Gefährlichkeit einem solchen Eingriff gleichkommende pflichtwidrige Unterlassung" durch den Begriff des „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs" ist in engem Zusammenhang mit dem neu eingeführten § 315a zu sehen. Erreicht werden sollte, daß unter das Merkmal des ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriffs nur noch Handlungen subsumiert werden, die ihrer Art nach den in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 „verwandt sind und ihnen zugleich auch an Gefährlichkeit gleichkommen", während geringer wiegendes Fehlverhalten, das unterhalb dieser Schwelle liegt, durch § 315 a aufgefangen werden sollte (BTDrucks. IV/651 S. 22). Beides zielte demgemäß auf eine Begrenzung der Strafbarkeit ab. Zu den dadurch aufgeworfenen Abgrenzungsproblemen im Verhältnis der §§315 und 315 a zueinander wird auf das in Rdn. 19 ff, zum Merkmal des „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs auf das in Rdn. 40 ff Gesagte verwiesen. 2. Zweites Kernstück des Gesetzes war die Aufgabe des Merkmals der Gemeingefahr. An die Stelle dieses in § 315 Abs. 3 a. F. definierten Begriffs (s. oben II a. E.) trat die auch in zahlreichen anderen Strafvorschriften gebrauchte Formel Gefahr für „Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert". Mit dieser Maßnahme sollten Auslegungsschwierigkeiten behoben werden (BTDrucks. IV/651 S. 23f; BGHSt. 23 261, 263). Unterschiedlich beurteilt worden war nach altem Rechtszustand vor allem, ob Gemeingefahr auch gegeben sein kann, wenn ein Stand: 1. 7. 2000

(4)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§315

bestimmt ausgesuchter Einzelner gefährdet wird, was sich insbesondere bei dem (den) Mitfahrer(n) auswirkt. Der BGH hatte die Frage im Anschluß an die Rechtsprechung des RG zu § 315 (RGSt. 14 135; 42 301; 74 273) zunächst generell bejaht (BGHSt. 6 100, 102f; 232, 2330, mit dieser Auffassung aber in BGHSt. 11 199 (201 ff) gebrochen: Gemeingefahr könne nur angenommen werden, wenn an Stelle des betroffenen Fahrzeuginsassen auch ein beliebiger anderer der Gefahr hätte ausgesetzt sein können (BGH aaO S. 203). Von da an war die Rechtsprechung zu der im Einzelfall außerordentlich schwierigen Entscheidung gezwungen, unter welchen Umständen das gefährdete Individuum als Repräsentant der Allgemeinheit gelten kann (BGH aaO S. 203 ff; 14 395, 398 ff).6 Der Verzicht auf das Merkmal der Gemeingefahr war bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission umstritten. Namentlich Jescheck hatte vor einer damit einhergehenden grundlegenden Veränderung des Unrechtskerns gewarnt; die die neue Gefahrformel verwendenden Vorschriften könnten letztlich nicht mehr als gemeingefahrliche Delikte im eigentlichen Sinne angesehen werden (Niederschriften VIII S. 423 f)·7 Die Befürworter verwiesen hingegen darauf, daß der Charakter der gemeingefahrlichen Delikte durch die abstrakte Gemeingefährlichkeit des Mittels gekennzeichnet werde (insbesondere Gallas Niederschriften VIII S. 423).8 Dieser Standpunkt hat sich letztlich durchgesetzt. Die Änderung ist in der Literatur überwiegend positiv aufgenommen worden.9 Sie hat jedenfalls den mit ihr verfolgten Zweck der Klarstellung erreicht, daß die Gefährdung eines bestimmten Einzelnen genügt.10 Dieser Vorteil ist allerdings teuer erkauft worden. Es läßt sich schwer in Abrede stellen, daß die in §§ 315 bis 315c normierten Tatbestände durch den Wegfall der Gemeingefahr bis zu einem gewissen Grad aus den Fugen geraten sind. Vor allem der Problemkreis der Gefährdung (auch) fremder Sachen, die der Täter wie ein Eigentümer oder einvernehmlich mit dem Eigentümer in Besitz hat (Rdn. 72 ff), kann widerspruchsfrei nicht gelöst werden. Der Vorgang liefert Zeugnis für die altbekannte Tatsache, daß eine mit guter Absicht vorgenommene Gewichtsverschiebung in einem ausdifferenzierten Strafrechtssystem Probleme nicht nur beseitigt, sondern in aller Regel auch eine Reihe neuer produziert. Das ist nicht erst seit dem 6. StrRG so. Ein überzeugender Alternativvorschlag zur gegenwärtigen Ausgestaltung ist dabei nicht ersichtlich (s. auch Rdn. 66). 3. Schließlich sind die Strafdrohungen grundlegend umgestaltet und die erschwerten Taten in anderer Weise erfaßt worden (eingehend BTDrucks. IV/651 S. 24 ff). Hinzugekommen ist die Möglichkeit, in Fällen der Tätigen Reue die Strafe zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen. Sie ist mit Blick auf das frühzeitige Eingreifen der Gefährdungsdelikte vorgesehen worden (BTDrucks. IV/651 S. 26). V. Art. 1 Nr. 89 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) und Art. 19 Nr. 175 des EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) haben Korrekturen bei den Regelungen zur Tätigen Reue vorgenommen. Abgesehen davon ist § 315 in der Folge unverändert geblieben. 6

7

(5)

Näher die Begründung des RegE BTDrucks. IV/651 S. 23 f; Dreher Niederschriften VIII S. 419f; Baldus ebd. S. 428; vgl. auch Arztl Weber BT/LH 2 Rdn. 91; eingehend zur Entwicklung Puhm Strafbarkeit gemäß § 315c StGB S. 6 ff; Mayr BGH-Festgabe S. 273, 274f. Ebenso Krille Niederschriften VIII S. 424.

8

9

10

Zust. Bockelmann Niederschriften VIII S. 423; Baldus ebd. S. 424, 428. U. a. Geerds BA 3 (1965) 124, 133; Nüse JR 1965 41; im Grundsatz auch Warda MDR 1965 1, 5. Kritisch hingegen Cramer NJW 1964 1835, 1836. Skeptisch insoweit v. Hippel ZStW 80 (1967) 378, 379 ff.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

VI. Mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) wurde Absatz 1 redaktionell ergänzt (eines anderen Menschen; vgl. auch Absatz 3 Nr. 2). Dies entspringt dem Bestreben nach geschlechtsindifferenter Formulierung der Gesetzessprache (BTDrucks. 13/8587 S. 51). Die Berechtigung des Anliegens ist im Strafrecht freilich generell Zweifeln ausgesetzt. Genauso zweifelhaft erscheint, ob die Intention überhaupt realisierbar ist (s. die abschreckenden Beispiele in §§ 242, 246, 253 i. d. F. des 6. StrRG-E und dazu, sowie allgemein die Stellungnahme des BR, BTDrucks. 13/8587 S. 56, sowie die Gegenäußerung der BReg., aaO S. 80). Der Gesetzgeber hat - insoweit begrüßenswerterweise - nur einen Teil der Formulierungen des 6. StrRG-E übernommen. Eine überzeugende Leitlinie ist aber nicht gefunden worden {LackneriKühl vor § 38 Rdn. 21). Letztlich werden die diesbezüglichen Änderungen in der Praxis der Rechtsanwendung nicht schaden. Sie erweisen aber, daß in der Gesetzgebung gelegentlich Feinarbeit für sinnlose Unterfangen geleistet wird. Die dafür aufgewendete Zeit und Kraft fehlt dann bei anderen, zentralen Problemen. 1. In der Sache hat das 6. StrRG den Strafrahmen des Absatzes 1 gravierend angehoben (früher Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren). Diese, in der Gesetzesvorlage nicht eigens begründete (BTDrucks. 13/8587 S. 51) Maßnahme steht wohl vor dem Hintergrund der mit dem Reformvorhaben insgesamt bezweckten Harmonisierung der Strafrahmen unter Stärkung der durch § 315 StGB faktisch mitgeschützten höchstpersönlichen Rechtsgüter von Leib und Leben (allgemein BTDrucks. 13/8587 S. 19ff und hierzu kritisch Lackner/Kühl vor § 38 Rdn. 18ff m. w.N.). Der BR hatte es bei der herkömmlichen Strafdrohung belassen wollen (BTDrucks. 13/8587 S. 72), was die BReg. ohne substanzielle Erläuterung ablehnte (BTDrucks. 13/8587 S. 89). Deren Vorschläge sind Gesetz geworden. Die Folge sind kaum vertretbare Strafrahmendivergenzen des § 315 zu den §§ 315aff, die sich in Bezug auf den Schutz von höchstpersönlichen Rechtsgütern von §315 nicht unterscheiden. Das 2. StraßenVSichG hatte die bis dahin in den Strafdrohungen zum Ausdruck kommende unterschiedliche Bewertung der Verkehrsarten als „nicht mehr zeitgemäß" erachtet und deswegen die Strafrahmen einander angenähert (BTDrucks. IV/651 S. 24 f). Diese auf gute Gründe gestützte Entscheidung ist durch das 6. StrRG mit einem Federstrich revidiert worden. 2. Gleichfalls nicht gefolgt ist die BReg. den Vorschlägen des BR, die in Absatz 3 enthaltenen Qualifikationstatbestände in einen durch Regelbeispiele konkretisierten Strafzumessungsgrund umzugestalten und hiermit zugleich vom Verbrechen zum Vergehen herabzustufen (§ 12 Abs. 3), die Höchststrafdrohung des § 315 Abs. 4 abzusenken sowie in Anlehnung an andere Vorschriften einen Qualifikationstatbestand für die mindestens leichtfertige Verursachung des Todes einzuführen (BTDrucks. 13/8587 S. 72, 89; s. auch Rdn. 122). Der Gesetzgeber hat sich auch insoweit dem Standpunkt der BReg. angeschlossen. Er ist dem BR aber dadurch ein wenig entgegengekommen, daß er den bisherigen Qualifikationstatbeständen nach Absatz 3 in der neuen Nummer 2 eine auf die Herbeiführung von Gesundheitsschädigungen abhebende Erfolgsqualifikation zur Seite gestellt hat (BTDrucks. 13/9064 S. 22 f)· Die bisherigen Nummern 1 und 2 des Absatzes 3 sind unverändert in Absatz 3 Nr. 1 a und b eingestellt worden. 3. Der neu eingefügte Absatz 4 enthält abgestufte Strafrahmen für den minder schweren Fall. Die Absätze 4 und 5 alt sind unverändert in Absatz 5 und 6 übernommen worden. Die früher in Absatz 6 enthaltenen Bestimmungen zur Tätigen Reue wurden in die „Sammelnorm" des § 320 (Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. la, Abs. 4) einstand: 1. 7. 2000

(6)

Gefahrliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§ 3 1 5

gestellt. Ob mit einer solchen Bündelung mehr Übersicht und damit ein Zugewinn für die Rechtsanwendung verbunden ist, erscheint dabei sehr fraglich. Der RegE hatte demgegenüber sogar vorgeschlagen, eine für die gemeingefährlichen Straftaten insgesamt geltende Pauschalnorm über die Tätige Reue zu schaffen (BTDrucks. 13/8587 S. 52). Hieran hat der BR zu Recht Kritik geübt (BTDrucks. 13/8587 S. 75). Unter dem Eindruck der Bedenken ist immerhin eine Aufspaltung in drei Vorschriften (§§ 306e, 314a, 320) vorgenommen worden (BTDrucks. 13/8587 S. 89; BTDrucks. 13/9064 S. 22). Übersicht Rdn. I. Bedeutung der Vorschrift II. Deliktsaufbau und -Charakter III. Schutzgut 1. Allgemeininteresse an der Sicherheit des Verkehrs 2. Individualrechtsgüter IV. Die geschützten. Verkehrsarten 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich 2. Auch private Verkehrsvorgänge . . 3. Ausrichtung: Verkehr 4. Schienenbahn a) Einzelne Bahnen b) Antriebskräfte 5. Schwebebahn a) Einzelne Schwebebahnen . . . . b) Magnetschwebebahn 6. Schiffahrt 7. Luftfahrt V. Tathandlungen 1. Verkehrsinternes Verhalten (Verhältnis zu § 315a) a) Nur verkehrsfremde Eingriffe? . b) Stellungnahme aa) 315a als Auffangtatbestand bb) Strukturelle Unterschiede zu §§ 315b, 315c cc) Ausgliederung menschlichen Versagens? dd) Terminus des Eingriffs . . . ee) Strafrahmendivergenzen . . 2. Zerstören, Beschädigen und Beseitigen a) Tatobjekte aa) Anlagen bb) Beförderungsmittel b) Angriffshandlungen aa) Beschädigen, Zerstören . . . (1) Substanzverletzung, Funktionseinbuße . . . (2) Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit . . . bb) Beseitigen 3. Hindernisbereiten 4. Geben falscher Zeichen oder Signale a) Zeichen und Signale aa) Beispiele (Kasuistik) . . . . bb) Auskünfte b) Falschheit (7)

1 2 3 4 5 6 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 28 29 30 31 32 33 34 35 36 36 37 38 39

Rdn. 5. Ähnliche, ebenso gefährliche Eingriffe a) Begriffskritik b) Sachlicher Gehalt aa) Eingriff gegeben (Kasuistik) bb) Eingriff nicht gegeben (Kasuistik) 6. Unterlassen VI. Beeinträchtigung der Sicherheit des Verkehrs 1. Charakter als Tatbestandsmerkmal 2. Sicherheitsbeeinträchtigung als Folge 3. Beeinträchtigung von Verkehrsvorgängen VII. Gefahr für Leib und Leben oder Sachwerte 1. Gefahrbegriff 2. Konkrete Gefahr a) Gefahrformel der Rechtsprechung b) Ansätze des Schrifttums c) Stellungnahme 3. Die Prognose und ihre Basis . . . . a) Gefahr und Eintritt einer Verletzung b) Nichteintritt einer Verletzung . . aa) Kriterium der Gefahrenzone bb) Latente (abstrakte) Gefahr . cc) Kriterium des Zufalls . . . . (1) Maßnahmen des Verletzten (2) Geschicklichkeit des Täters (3) Andere Faktoren . . . . c) Feststellung im Urteil d) Reformkritik 4. Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen a) Gefahr für beliebigen Menschen b) Gefährdung des Mittäters/ Teilnehmers c) Inkaufnahme des Risikos . . . . d) Unerhebliche Leibesgefahr . . . e) Nasciturus; Leichnam 5. Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert a) Fremde Sache

Peter Kijnig

40 41 42 43 44 45 47 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 67 68 69 70 71 72 73

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten Rdn.

aa) Wirtschaftliche Betrachtungsweise 74 bb) (Auch) fremde Sachen (Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung etc.) 75 cc) Rechtmäßiger Besitz? . . . . 76 dd) Elimination des vom Täter geführten Fahrzeugs? . . . . 77 (1) Stellungnahme 78 (2) Eindringen in die geschützten Verkehrsarten. 79 ee) Sachen von Tatbeteiligten . 80 fi) Herrenlose Sachen 81 b) Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert 82 aa) Sachwert 83 (1) Verkehrsfähigkeit . . . . 84 (2) Wertbildende Faktoren 85 (3) Funktionswert 86 (4) Addition mehrerer Sachwerte 87 bb) Drohender Schaden . . . . 88 cc) Schadensberechnung . . . . 89 (1) Unbeachtliche. Schadensposten 90 (2) Wertminderung/Wiederherstellungskosten . . . 91 (a) Hohe Wiederherstellungskosten bei nicht bedeutendem Sachwert 92 (b) Hohe Wiederherstellungskosten bei bedeutendem Sachwert 93 (3) Maßgebende Wertgrenze 94 (a) Wertgrenze im Straßenverkehr . . . 95 (b) Wertgrenze bei den §§315, 315a 96 VIII. Kausalität, objektive Zurechnung . . 97 IX. Subjektiver Tatbestand 98 1. Vorsatztat (Absatz 1) 99 a) Gefährdungs-, Verletzungsvorsatz 100

1

Rdn.

X.

XI.

XII. XIII.

XIV. XV. XVI.

b) Vorsatz hinsichtlich konkreter Gefahr c) Selbstgefährdung 2. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (Absatz 5) a) Fahrlässigkeit und Sicherheitsbeeinträchtigung b) Absatz 5 als Vorsatztat 3. Durchgehend fahrlässiges Verhalten (Absatz 6) Vollendung, Versuch 1. Vollendung 2. Versuch Qualifikationstatbestände (Absatz 3) 1. Beabsichtigter Unglücksfall (§315 Abs. 3 Nr. 1 a) a) Absicht b) Unglücksfall 2. Ermöglichungs-, Verdeckungsabsicht (§ 315 Abs. 3 Nr. lb) . . . a) Absichtserfordernis b) Straftat als Merkmal des subjektiven Tatbestands . . . . c) Straftat, nicht Ordnungswidrigkeit 3. Verursachung der Gesundheitsschädigung (§315 Abs. 3 Nr. 2) . . a) Schwere Gesundheitsschädigung b) Gesundheitsschädigung vieler Menschen c) Verursachung des Todes . . . . Minder schwerer Fall Tätige Reue (§ 320) 1. Rücktrittsgrundsätze 2. Abwendung der Gefahr a) Guter Ausgang bei planvollem Risiko b) Erheblicher Schaden c) Strafmilderung, Absehen von Strafe 3. Strafaufhebungsgrund (§315 Abs. 6) 4. Geltung nur für Verkehrsstraftat . Täterschaft, Teilnahme Konkurrenzen Sonstiges

101 102 103 104 105 106 108 108 109 110 111 112 113 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134

I. Bedeutung der Vorschrift. § 315 spielt in der Praxis der Strafverfolgung quantitativ betrachtet eine vergleichsweise geringe Rolle. Aus der Strafverfolgungsstatistik ergibt sich hinsichtlich der rechtskräftigen Aburteilungen (Zeile 1) und Verurteilungen (Zeile 2) wegen §§ 315, 315a 11 folgendes Bild: 1970 717 639

11

1975 565 442

1980 500 370

1985 438 319

1990 356 223

1995 472 337

1997 503 329

1998 443 292

Ab-, Verurteilungen nach diesen Vorschriften werden seit einiger Zeit nicht mehr gesondert ausgewiesen. Stand: 1. 7. 2000

(8)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§ 315

Auffallend ist die Zunahme in den Jahren 1995 bis 1997 gegenüber der ersten Hälfte der neunziger Jahre. Prozentual gesehen könnte man von einer gewichtigen Steigerung sowohl der Aburteilungen als auch der Verurteilungen sprechen (gegenüber dem Stand 1990 Anstieg u m knapp 50%). Jedoch sind die niedrigen absoluten Zahlen zu beachten, bei denen relativ geringfügige Änderungen zu erheblichen prozentualen Ausschlägen führen. Eine wiederum starke Abnahme ist für das Jahr 1998 zu beobachten. Bemerkenswert erscheint das Auseinanderklaffen von Aburteilungen und Verurteilungen, ein Phänomen, das bei § 315b in gleicher Weise zu beobachten ist (näher dort Rdn. 1). In der jüngeren Vergangenheit hat die Vorschrift vor allem im Zusammenhang mit militanten Protesten gegen die Errichtung von Großprojekten und den Transport von „Atommüll" eine Rolle gespielt. Die kriminalpolitische Legitimation des § 315 ist weithin unbestritten. II. Deliktsaufbau und -Charakter. Die in § 315 Abs. 1 enthaltenen Tatbestände sind 2 dreistufig aufgebaut. Durch die gefährlichen Handlungen (Eingriffe) muß eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit bewirkt werden, in deren Folge eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben bzw. bedeutende (fremde) Sachwerte eintritt. § 315 stellt ein konkretes Gefahrdungs- und zugleich Erfolgsdelikt dar. Die Vorschrift trägt allerdings auch deutliche Züge des abstrakten Gefährdungsdelikts. Strafgrund ist nämlich die Vornahme einer abstrakt riskanten Handlung, deren besondere Gefährlichkeit für die Verkehrssicherheit sich im Bewirken eines konkreten Gefahrerfolgs ausprägt (näher Rdn. 4f). 12 Bezüglich des Beschädigens und des Zerstörens von Gegenständen (Absatz 1 Nr. 1) vereinigt die N o r m auch Elemente des Verletzungsdelikts in sich (weitergehend Geppert Jura 1996 639, 641). § 315 normiert ferner durchgehend Allgemeindelikte (Rdn. 132) und keine Dauerstraftaten (Rdn. 108). III. Schutzgut. Welches Rechtsgut § 315 zu schützen bestimmt ist, wird ebenso wie bei den §§ 315a bis 315c (316) nicht einheitlich beurteilt. Der Meinungsstreit rührt im wesentlichen daher, daß seit dem Verzicht auf den Begriff der Gemeingefahr des alten Rechts (Entstehungsgeschichte IV 2) die Individualrechtsgüter Leib und Leben sowie fremdes Eigentum ausdrücklich als Bezugsobjekte für die Gefahrdung genannt sind. Er wirkt sich vor allem auf die Frage aus, ob der Inkaufnahme des Risikos durch den Gefährdeten strafausschließende Wirkung zuzubilligen ist (Rdn. 69). Sieht man den Schutzzweck mit der überkommenen Auffassung im Allgemeininteresse an der Sicherheit des Verkehrs, so scheidet Straflosigkeit nach hergebrachten Kriterien mangels Verfügbarkeit des Rechtsguts für den einzelnen aus. Die Problematik kristallisiert sich in der Praxis besonders im Rahmen des § 315c heraus, und zwar in der Konstellation, daß der Mitfahrer die mit der Alkoholisierung des Fahrzeugführers verbundenen Gefahren bewußt in Kauf nimmt (§ 315c Rdn. 160f) sowie im Rahmen des § 315b bei „gestellten" Verkehrsunfallen, mit denen Versicherungsbetrügereien vorbereitet werden (§ 315b Rdn. 71 ff). Sie kann aber auch für die §§ 315, 315a Bedeutung erlangen. Eine zentrale Rolle hat das Verständnis vom Schutzgut der §§ 315ff gerade in jüngerer Zeit außerdem in der Konkurrenzlehre gespielt (s. § 315b Rdn. 93ff; § 315c Rdn. 207ff).

3

1. Allgemeininteresse an der Sicherheit des Verkehrs. Als Schutzgut der §§315, 315a (316) 13 ist das Universalrechtsgut der Sicherheit des öffentlichen und privaten (Rdn. 7) Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs anzusehen; Schutzgut der §§ 315b, 315c

4

12

(9)

Eingehend und m.w. N. Puhm Strafbarkeit gemäß § 315 c StGB S. 142 ff; Geppert Jura 1996 639, 641; s. auch Ostendorf JuS 1982 426, 427.

13

§ 316 gilt für sämtliche Verkehrsarten.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(316) ist die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs. Die §§ 315 bis 315 c (316) enthalten entsprechend einer vielzitierten Formulierung Lackners „durch und durch Tatbestände zum Schutze der Allgemeinheit" (Das konkrete Gefahrdungsdelikt S. 13). Diese Auffassung liegt trotz mancher problematischer Entscheidung14 der gefestigten Rechtsprechung15 zugrunde und entspricht auch verbreiteter Lehre.16 Für sie streiten der Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich auf die Beeinträchtigung der Sicherheit der genannten Verkehrsarten abstellt,17 die systematische Stellung im 28. Abschnitt des StGB („Gemeingefährliche Straftaten") und der eindeutige Wille des historischen Gesetzgebers.18 Strafgrund ist es danach, daß der Täter eine abstrakte „Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen oder Sachen" schafft, deren Auswirkungen er „regelmäßig nicht in der Hand hat" (BTDrucks. IV/651 S. 23). Für den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, bei dem regelmäßig zahlreiche Menschen sowie außergewöhnlich hohe Sachwerte tangiert sind und damit einhergehend große Risiken bestehen, gilt dieser Aspekt in besonderem Maße. Trotz aller damit verbundenen Verwerfungen hat die Streichung des Merkmals der Gemeingefahr durch das 2. StraßenVSichG (Entstehungsgeschichte IV 2) am Normzweck nichts geändert; damit sollten lediglich Auslegungsprobleme behoben werden (BGHSt. 23 261, 263 f). Die abweichende Meinung, wonach die §§ 315 ff nur oder in erster Linie dem Schutz von Individualrechtsgütern dienen,19 vermag auch vom Ergebnis her gesehen nicht zu überzeugen. Sie führt sich im Hinblick darauf, daß die Gefahrdung von Sachwerten ausreicht, selbst ad absurdum (Geerds BA 3 (1965) 124, 133); konsequent zu Ende gedacht würden die §§ 315ff nämlich im Fahrlässigkeitsbereich zu Delikten gegen die fahrlässige Sachgefährdung denaturieren (vgl. Geppert NStZ 1989 320, 321). Nur aufgrund des Gedankens der Gefahrdung von Allgemeininteressen können ferner die scharfen Sanktionen gerechtfertigt werden, die das Gesetz bereits an die Herbeiführung der Gefahr knüpft. Die Strafdrohungen für die bloße Gefährdung der Individualrechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sowie Eigentum an bedeutenden Sachwerten überragen nämlich die für deren Verletzung (§§ 223, 303 StGB) teilweise beträchtlich. Das Strafrahmengefalle wäre nicht erklärlich, wenn § 315 (und die §§ 315a bis 315c) ausschließlich oder auch nur vorrangig auf den Schutz dieser Individualrechtsgüter abzielen würde.20 5

2. Individualrechtsgüter. Faktisch mitgeschützt werden auch die in der Norm aufgeführten Individualrechtsgüter. Jedoch ist der verbreiteten Auffassung nicht zu folInsbesondere BGH NJW 1991 1120 (hierzu § 315 b Rdn. 72 ff) und BGH NJW 1995 1766, 1767 (hierzu § 315 b Rdn. 86). BGHSt. 23 261, 263 f; 27 40, 42 [jeweils zu § 315c]; BGH VRS 61 122, 123 [zu § 315b]; NJW 1989 1227, 1228 [zu § 315c]; NJW 1989 2550 [zu § 315b]; BayObLG NJW 1983 2827, 2828 [zu §315]; NJW 1984 68 [zu § 315 c]; OLG Karlsruhe NJW 1967 2321, 2322f [zu § 315c]; s. auch BGHSt 6 232, 234 [zu § 315 a a. F.], Lackner/Kühl Rdn. 1; Tröndle!Fischer Rdn. 2 (s. aber dort § 315c Rdn. 2); Mühlham!Janiszewski § 315c Rdn. 1 (s. aber § 315b Rdn. 1); ArztI Weber BT/LH 2 Rdn. 293; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 262, 297; Otto GK/BT § 80 Rdn. 1; Geerds BA 3 (1965) 124, 133f; Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, 12f; Herzog NK Rdn. 2 (auch das Transportwesen); wohl auch Engelhardt DRiZ 1982 106, 107.

" Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 293. Zu § 315c s. dort Rdn. 2. 18 BTDrucks. IV/651 S. 22: „Die Vorschrift, die dem Schutz der Sicherheit des Bahn-, Schiffsund Luftverkehrs gegen gefährliche Eingriffe dient, ...". " OLG Hamburg NJW 1969 336, 337 [zu § 315c]; OLG Schleswig SchlHA 1968 229 (Nr. 140). Sch/Schröder/Cramer Rdn. 1, § 315c Rdn. 2; Horn SK Rdn. 2; Maurach/SchroederlMaiwald BT/2 § 50 Rdn. 3; Ostendorf JuS 1982 426, 431 und dort (ohne Begründung) Fn. 98; Schroeder JuS 1994 846, 847f. 20 Dreher Niederschriften VIII S. 420. Zu § 315 c eingehend und m.w.N.: Puhm Strafbarkeit gemäß § 315c StGB S. 130ff. Dort auch zum Strafantragserfordernis und zum Charakter der §§ 223 und 303 als Privatklagedelikte,

Stand: 1. 7. 2000

(10)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

gen, die den Individualrechtsschutz als dem Schutz von Allgemeininteressen gleichgewichtig ansieht, im Ergebnis also zu einem , janusköpfigen" Schutzgut gelangt. 21 Sie läßt sich namentlich nicht überzeugend durch einen Vergleich mit § 316 stützen, der anders als § 315 (und §§ 315a bis 315c) nicht auf die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des einzelnen abstellt. Die §§ 315 bis 315c verkoppeln nicht das Universalrechtsgut mit Individualbelangen als selbständig zu schützenden Rechtsgütern. In der Herbeiführung einer konkreten Gefahr für fremde Individualrechtsgüter prägt sich vielmehr die besondere Gefährlichkeit der Tat für die Gemeinschaft aus. Dem Gefahrerfolg kommt eine Auslesefunktion, also indizielle Bedeutung zu.22 Der mitverwirklichte Schutz des einzelnen ist demgemäß nur eine Nebenwirkung von untergeordneter Bedeutung (Lackner Das konkrete Gefahrdungsdelikt S. 13),23 ein „Rechtsreflex" (.Puhm Strafbarkeit gemäß § 315 c StGB S. 139). Einzuräumen ist, daß die Beschränkung auf die Gefahrdung fremder Rechtsgüter mit diesem Gedanken nicht recht verträglich erscheint. Denn die Gefahrdung eigener Sachen kann in gleicher Weise indiziell für die Beeinträchtigung der allgemeinen Sicherheit sein wie die Gefahrdung fremder Rechtsgüter (vgl. Maurach/Schroederl Maiwald BT/2 § 50 Rdn. 3). Die insoweit getroffene Entscheidung des Gesetzgebers dürfte der Überzeugung entspringen, daß sich die abstrakte Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit über die eigene Rechtssphäre des Täters hinaus „nach außen hin" verdichtet haben muß, um der (höheren) Strafe würdig und bedürftig zu sein. Die konkrete Gefährdung ausschließlich der eigenen Belange durch abstrakt gefahrliche Eingriffe (und die daraus resultierenden Wertungswidersprüche) nimmt die Strafrechtsordnung im Rahmen der §§ 315 bis 315c und vergleichbarer Delikte letztlich hin.

IV. Die geschützten Verkehrsarten 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich. Geschützt ist die Sicherheit der in § 315 6 genannten Verkehrsarten in ihrer Gesamtheit. Umfaßt sind nicht nur die einzelnen Fahrzeuge oder Flugzeuge, sondern alle der Beförderung von Menschen oder von Gütern dienenden Einrichtungen sowie die beförderten Fahrgäste und das Betriebspersonal (RGSt. 74 273, 274 m. w. N.). Unerheblich ist, ob die Bahn, das Schiff oder das Flugzeug im öffentlichen oder privaten Eigentum steht. Eine Widmung an die Öffentlichkeit ist gleichfalls nicht erforderlich. 2. Auch private Verkehrsvorgänge. Anders als bei den §§ 315b, 315c ist der Schutz- 7 bereich der §§ 315, 315a nicht auf den öffentlichen Verkehr beschränkt, sondern bezieht private Verkehrsvorgänge ein.24 Es sind also auch Schienen- und Schwebebahnen auf privaten Grundstücken, wie etwa Werksgeländen (OLG Köln VRS 15 49, 50f), Inbegriffen, die nur von einem bestimmten Personenkreis benutzt werden. Ent21

(11)

Herzog N K Rdn. 3; JaguschiHentschel § 315c Rdn. 43; Roxin AT/I § 13 Rdn. 33; Rengier BT/2 § 44 Rdn. 9; wohl auch Wessels/Hetlinger BT/1 Rdn. 978; Bickelhaupt N J W 1967 713, 714; Geppert ZStW 83 (1971) 947, 985; ders. Jura 1996 47, 49; ders. Jura 1996 639, 646; mehr in Richtung auf Universalschutz ders. NStZ 1989 320, 321; Graul JuS 1992 321, 325; Hoffmann N J W 1957 211, 212 [zu § 315a a.F.]; Langrock M D R 1970 982, 983 f; Oellers N J W 1970 2121; Zipf

22

23

24

Einwilligung und Risikoübernahme im Strafrecht (1970) S. 18 f. Geerds BA 3 (1965) 124, 133 f; Lackner Das konkrete Gefährdungsdelikt S. 13; Puhm Strafbarkeit gemäß § 315 c StGB S. 138f; in diese Richtung auch Baldus Niederschriften VIII S. 428. Im Anschluß daran: BGHSt. 23 261, 264; 27 40, 42 [jeweils zu § 315c], Vgl. RGSt. 9 233, 235; deutlich 13 380, 382; LacknerlKühl Rdn. 1; TröndlelFischer Rdn. 2.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sprechendes m u ß f ü r Schiffe auf Privatgewässern gelten. F ü r Luftfahrzeuge stellt sich die Problematik nicht, weil die Fortbewegung stets im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt. 8

3. Ausrichtung: Verkehr. Einbezogen sind nur Verkehrsvorgänge. Ein Verkehrsvorgang ist gegeben, wenn Menschen oder G ü t e r transportiert werden. Der Ausgangspunkt des Transports m u ß dabei vom Bestimmungsort nicht verschieden sein, weswegen § 315 auf Schiffsrundfahrten u n d Rundflüge anwendbar ist. Auch eine Eisenbahn, die die Besucher über verschiedene Haltestellen durch das Gelände eines größeren Vergnügungsparks befördert, unterfällt dem erhöhten Strafschutz des § 315 (vgl. Rüth LK 1 0 R d n . 2). Nicht dem Verkehr dienen demgegenüber die Fahrgeschäfte der Schausteller. Achterbahnen u n d ähnliche Fahrgeschäfte zielen nicht auf die Beförderung der in ihnen befindlichen Personen ab, weil der Bereich des konkreten Fahrgeschäfts nicht verlassen wird. Aus dem gleichen G r u n d scheidet etwa der Miniaturzug f ü r Kinder aus, der in einem Tierpark seine engen Kreise zieht. N i m m t m a n die Gefahren in den Blick, die mit Sabotageakten an Hochgeschwindigkeitsbahnen wie Achterbahnen o. ä. verbunden sein können, so ist die unterschiedliche Behandlung vom Strafgrund her gesehen nicht so schlüssig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Jedoch steht der Einbeziehung solcher Bahnen der noch mögliche Wortsinn des Gesetzes entgegen. Der strafrechtliche Schutz m u ß über andere Vorschriften gewährleistet werden. Nicht dem Verkehr dient auch ein auf Gleisen stehendes oder an Seilen hängendes Ausstellungsfahrzeug. D a s gleiche gilt f ü r Spielfahrzeuge oder Spielflugzeuge sowie f ü r ferngelenkte Wasser- oder Luftfahrzeuge, mit denen weder Menschen noch G ü t e r befördert werden. A m Element des Verkehrs fehlt es des weiteren f ü r den auf einem Gleisstück zu bewegenden K r a n , wie er vielfach bei Bauten, auf Laderampen oder in Hafengebieten Verwendung findet. Zweck eines solchen Kranes ist lediglich die D u r c h f ü h r u n g von Ladevorgängen.

9

4. Schienenbahn. Mit dem im Vergleich zu § 315b schärferen Strafrahmen trägt der Gesetzgeber in § 315 den besonderen Gefahren des Schienenbahnverkehrs Rechnung. So können mit einer Schienenbahn auf den in der Regel ausschließlich ihr zur Verfügung stehenden, hindernislosen Gleisen höhere Geschwindigkeiten gefahren werden; aufgrund dessen u n d wegen des hohen Eigengewichts der Bahn sowie der transportierten Gewichtsmassen ist ein rasches Anhalten zumeist unmöglich ( B G H V R S 19 12, 13f; B a y O b L G V R S 17 125, 127; O L G Köln V R S 13 288, 289). Außerdem werden Kontrollvorkehrungen in erster Linie zur Vermeidung innerbetrieblicher Gefahren getroffen (Sehl Schröder I Cramer R d n . 2). Gerade bei der Eisenbahn sind typischerweise eine Vielzahl von Menschen sowie sehr hohe Sachwerte tangiert, weswegen die Folgen von Unfällen gewöhnlich schwerwiegend sind (Rdn. 4; vgl. auch B G H V R S 7 120, 122). N i m m t m a n freilich das gesamte Spektrum der vom Bahnverkehr umfaßten Arten der Fortbewegung in den Blick u n d zieht den Vergleich mit dem Straßenverkehr, so erscheinen die seit dem 6. StrRG bestehenden gravierenden Divergenzen nicht hinreichend legitimierbar (Entstehungsgeschichte VI 1).

10

a) Einzelne Bahnen. Der Begriff der Schienenbahn u m f a ß t jedes an Gleise gebundene Fahrzeug, das durch Motorkraft oder mechanisch auf Schienen bewegt wird ( O L G Köln V R S 15 49, 50). Nicht (mehr) erforderlich ist ein besonderer Bahnkörper (Entstehungsgeschichte III). Schienenbahnen sind u. a. Eisenbahnen, Klein- u n d Werksbahnen, auch innerhalb eines Werksgeländes oder in einem Bergwerk, Hoch- u n d Untergrundbahnen, Schienenbusse und Z a h n r a d b a h n e n . Schienenbahn ist ferner die Stand: 1.7. 2000

(12)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

Straßenbahn. Sie ist zugleich der Hauptanwendungsfall der in § 315 d getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung, wonach die §§ 315 b, 315 c gelten, sofern die Schienenbahn am Straßenverkehr teilnimmt (näher dort). Als Schienenbahnen anzusehen sind des weiteren die schienengebundenen Drahtseil- und Zahnradbahnen (Tröndlel Fischer Rdn. 4). Schienengebundene Drahtseilbahn und damit Schienenbahn ist der auf Gleisen laufende, in Gebirgsgegenden verwandte Schräglift, der an Seilen mittels Motor hochgezogen wird. Hingegen kann der Lift in einem Haus nicht als Schienenbahn angesehen werden, weil dessen Schienen nur Pendelbewegungen ausschließen sollen, er sich also nicht „ a u f ' ihnen bewegt, nicht auf „Gleisen läuft" (s. auch Rdn. 13). Rolltreppen können begrifflich nicht als „Bahn" bezeichnet werden. Die Magnetschwebebahn ist keine Schienen-, sondern Schwebebahn (Rdn. 14). b) Antriebskräfte. Erforderlich ist, daß die Bahn durch motorische oder mechani- 11 sehe Kräfte fortbewegt wird. Die Art der motorischen Antriebskraft ist nicht entscheidend (Vergaser- oder Dieselmotor, Dampfmaschine [RGSt. 16 431, 432], elektrische Energie). Durch mechanische Kräfte wird z.B. eine aus zwei Waggons bestehende Bergbahn bewegt, bei der die Wassertanks des an der Bergstation befindlichen Wagens mit Wasser gefüllt werden, so daß dieses Fahrzeug schwerer wird als das im Tal befindliche und durch die Seilverbindung beider Wagen der oben befindliche, nunmehr schwerere Wagen den im Tal stehenden nach oben zieht. Für den Begriff der Schienenbahn ist es naturgemäß unerheblich, ob die motorischen oder mechanischen Kräfte im Zeitpunkt des Eingriffs wirken. Eine Schienenbahn verliert die Eigenschaft als Schienenbahn nicht dadurch, daß der Fahrzeugführer sie über eine Gefallstrecke abrollen läßt oder daß sie geschleppt oder gezogen wird. Aus dem Schutzbereich der §§ 315, 315a fallen lediglich solche auf Schienen bewegte Beförderungsmittel heraus, die generell nicht durch motorische oder mechanische Kraft bewegt werden, wie es etwa bei den Pferdebahnen der Fall war (RGSt. 12 205, 209ff; 16 431). Denn in solchen Konstellationen fehlt es an den den Bahnverkehr prägenden Gegebenheiten und den damit verbundenen typischen Gefahren. Unter diesem Blickwinkel kann auch eine von Menschen geschobene Lore nicht als Schienenbahn angesehen werden. 5. Schwebebahnen sind Beförderungseinrichtungen, bei denen die Beförderungs- 1 2 mittel während der Fahrt die Erde nicht berühren. Deren Einbeziehung in § 315 ist mit Rücksicht auf die mit Schienenbahnen vergleichbaren Gefahrenlage im Grundsatz nicht zu beanstanden. Jedoch gelten die Bedenken hinsichtlich des Strafrahmens auch hier (Rdn. 9). a) Einzelne Schwebebahnen. Zu den Schwebebahnen gehören die an Drahtseilen 1 3 oder ähnlichen Vorrichtungen hängenden Kabinen-(Gondel-)Bahnen sowie die Sessellifte (TröndlelFischer Rdn. 5; Kürschner NJW 1982 1966, 1967). Gleichgültig ist, ob Menschen oder Güter befördert werden. Nicht als Schwebebahnen kann man solche Einrichtungen ansehen, bei denen zwar das Beförderungsmittel, nicht aber die beförderten Menschen oder Güter über dem Boden schwebend befördert werden. Aus diesem Grund sind Skischlepplifte keine Schwebebahnen. 25 Desgleichen können Lifte (Aufzüge) in Häusern nicht als Schwebebahnen angesehen werden. Ob man dies daraus ableiten kann, daß sie keine Ortsveränderungen in horizontaler Richtung zulassen (so Horn SK Rdn. 4), ist indessen zweifelhaft. Der Terminus der Schwebebahn gibt 25

(13)

Tröndlel Fischer Rdn. 5; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 4; Kürschner NJW 1982 1966, 1967; s. auch BGH VRS 19 12, 14 [zu § 1 RHG]. Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

eine derartige Einengung nicht her. Sie müßte zu einer kriminalpolitisch nicht wünschenswerten Ausgrenzung einer Reihe von Bergbahnen im Hochgebirge führen. Lifte fallen vielmehr deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 315 heraus, weil sie begrifflich nicht als „Bahn" gelten können. Entsprechendes gilt für Kräne, an denen Güter hochgezogen werden. 14

b) Magnetschwebebahn. Die Magnetschwebebahn ist zwar in ihrer Bewegung an eine Schiene gebunden. Jedoch wird sie durch ein elektrisches Regelsystem in einem Luftspalt über den Reaktionsschienen gehalten (TröndlelFischer Rdn. 5), schwebt also im echten Sinn des Wortes. Beförderungseinrichtungen wie der Transrapid sind daher Schwebe- und nicht Schienenbahnen {TröndlelFischer Rdn. 5; Herzog NK Rdn. 6).

15

6. Schiffahrt. Die Schiffahrt umfaßt die Seeschiffahrt ebenso wie die Binnenseeund Flußschiffahrt (allg. M.). „Schiff ist jedes Wasserfahrzeug ohne Rücksicht auf seine Größe, sofern es in Beziehung zu einem bestimmten Beförderungsvorgang steht (OLG Schleswig SchlHA 1962 275). In den Tatbestand einbezogen sind Kleinfahrzeuge wie Boote einschließlich Schlauch-, Tret- oder Paddelbooten, Kähne und Flöße, auch im Rahmen des Sportbootverkehrs, sowie Segelsurfbretter.26 Eine Mindermeinung, die den Sportbootverkehr bzw. generell „Fahrzeuge von unbedeutendem Wert" im Wege der teleologischen Reduktion aus § 315 ausgliedern will (H. W. Schmidt MDR 1960 90 f; ders. NJW 1963 1861, 18620, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Der Begriff der „Schiffahrt" umfaßt unzweifelhaft auch die genannten Fahrzeuge. Weder er noch der Tatbestand im übrigen bietet ein Einfallstor für eine Restriktion (SehlSchröder!Cramer Rdn. 5; Jaekel NJW 1964 285). Auch beim Wassersport, bei dem teils große Schiffe Verwendung finden, und bei Fahrten mit „Fahrzeugen von unbedeutendem Wert" können bedeutende Gefahren für Verkehrssicherheit entstehen. Davon bleibt unberührt, daß man hinsichtlich der sehr harten Strafdrohungen Unbehagen hegen kann. Das ist aber bei der Schiffahrt nicht anders als bei den anderen in § 315 aufgeführten Verkehrsarten (s. Rdn. 9, 73). Nicht der Schiffahrt dienen Wasser- und Schwimmatratzen oder ein als Kinderspielzeug anzusehendes aufblasbares Schwimmfloß. Mit ferngelenkten oder gezogenen Schiffen, die der Bundesmarine als Zielscheibe dienen, wird keine Beförderung vorgenommen wird, weswegen es am Element des Verkehrs fehlt (Rdn. 8).

16

7. Luftfahrt. Die Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 2 Satz 1 LuftVG gilt grundsätzlich auch für § 315. Nach dieser Vorschrift rechnen zur Luftfahrt Flugzeuge, Drehflügler, Luftschiffe, Segelflugzeuge, Motorsegler, Frei- und Fesselballons, Drachen, Fallschirme, Flugmodelle und sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte. Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper gelten als Luftfahrzeuge, solange sie sich im Luftraum befinden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 LuftVG). Allerdings müssen die Fluggeräte und Flugkörper dem Verkehr dienen, also für die Beförderung von Menschen oder Gütern bestimmt sein (Rdn. 8 und 17). Daß das Luftfahrzeug durch einen an Bord befindlichen Piloten gesteuert wird, ist nicht notwendig. Luftverkehr, insbesondere solcher mit Gütern, ist auch mit ferngelenkten Flugkörpern möglich. Desgleichen unterfallen Raketen, die der Beförderung von Menschen dienen, dem Anwendungsbereich der Norm. Entsprechendes gilt für Raketen, mit denen Forschungsmittel oder der Funkübertragung dienende Mittel 26

O L G Schleswig SchlHA 1962 275; Jaekel N J W 1964 285; Geppert BA 24 (1987) 262, 264. AA für Flöße unter Hinweis auf Regelungen in den

Binnenschiffahrtsordnungen Kortendick Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1966 162, 163.

Stand: 1. 7. 2000

(14)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

(Satelliten) in die Atmosphäre geschossen werden sowie die Raketenbasen mit all ihren Anlagen. Der Verkehr im Weltraum ist allerdings, wie sich auch aus § 1 Abs. 2 Satz 2 LuftVG ergibt, kein Luftverkehr.21 Fallschirmspringer zählen zum Luftverkehr; gleichgültig ist, ob sie freiwillig oder wegen eines bevorstehenden Absturzes des Luftfahrzeugs abgesprungen sind. Denn ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Beförderung durch ein Luftfahrzeug ist noch gegeben. Entsprechendes gilt für die an Fallschirmen zur Erde zurückkehrende Raumkapsel. Wer sich mit einem Flugdrachen von einer Bergkuppe in die Tiefe stürzt, bewegt sich gleichfalls im Luftverkehr. Dem Luftverkehr dürfte schließlich auch das sog. Paragliding zuzurechnen sein, bei dem die Auftriebskraft dadurch genutzt wird, daß ein an einem Fallschirm hängender Mensch von einem mit dem Fallschirm durch ein Seil verbundenes Motorboot gezogen wird. Mangels Beförderung von Menschen oder Gütern (Rdn. 8) scheiden ferngesteuerte, 1 7 nur der Spielerei dienende Flugzeugmodelle ebenso aus (OLG Düsseldorf VersR 1973 826) wie Spielzeugdrachen. Mit dem Boden festverankerte Ballons zur Verhinderung des Einfliegens feindlicher Flugzeuge oder zur Erforschung oder Messung eines Geländes oder der Windrichtung und -stärke unterfallen § 315 nicht. Allerdings können durch Ballons sicherheitsbeeinträchtigende konkrete Gefahrdungen des Luftverkehrs herbeigeführt werden, ein Phänomen, das in der jüngeren Vergangenheit vor allem bei militanten Protesten gegen Großprojekte erlebt werden mußte, als man Ballons aufsteigen ließ, um das Heranfliegen und Landen von Hubschraubern zu verhindern. V. Tathandlungen. § 315 Abs. 1 pönalisiert den gefahrlichen Eingriff in die Sicherheit der geschützten Verkehrsarten. In Nummer 1 bis 3 benennt das Gesetz typische Angriffsformen {TröndlelFischer Rdn. 7: „Leitbeispiele"). Absatz 1 Nr. 4 stellt ihnen den ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriff an die Seite und macht diesen dadurch zum Oberbegriff. In der Prüfungsreihenfolge sind die Nummern 1 bis 3 vorgreiflich. Man benötigt sie zudem, um die Gleichwertigkeit des sonstigen Eingriffs feststellen zu können.

18

1. Verkehrsinternes Verhalten (Verhältnis zu § 315a). Nach höchstrichterlicher 1 9 Rechtsprechung umfaßt § 315 auch verkehrsinternes Fehlverhalten, ist also - anders als § 315 b (s. dort Rdn. 11 ff) - nicht auf Eingriffe von außen und auf die pervertierte Verkehrsteilnahme beschränkt. 28 Für § 315a Abs. 1 Nr. 2 ist danach erst Raum, wenn § 315 als das für jedermann geltende schwerere Gesetz nicht eingreift (BTDrucks. IV/651 S. 26; BGHSt. 24 231, 234). Die Lehre stimmt dem ganz überwiegend zu. 29 a) Nur verkehrsfremde Eingriffe? Demgegenüber will eine Mindermeinung das Verhältnis der §§ 315, 315a Abs. 1 Nr. 2 zueinander - bei Divergenzen im Detail - in Anlehnung an die Lage bei den §§ 315 b, 315 c bestimmen. Teils wird dies generell befürwortet, 30 teils unter Ausklammerung der jeweils anderen Verkehrsarten nur für

27

28

(15)

Zur Abgrenzung Schwenk Handbuch des Luftverkehrsrechts 2. Aufl. (1996) S. 49, 195. Vgl. auch Herzog N K Rdn. 8. BGHSt. 21 173 f; 24 231, 232 ff; OLG Hamm VRS 61 268, 269; O L G Karlsruhe NZV 1993 159 f; vgl. aber auch - durchaus offen - das obiter dictum in BGH G A 1971 246 f.

29

30

Lackner/Kühl Rdn. 5; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 11; Tröndlel Fischer Rdn. 9; Horn SK Rdn. 6; Herzog NK. Rdn. 15; Geerds BA 3 (1965) 124, 137 f. MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 10; im Ergebnis auch Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 287.

Peter König

20

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

den Schiffsverkehr31 oder für den Luftverkehr.32 Zur Begründung wird darauf verwiesen, daß sich kaum ein grob pflichtwidriger Verkehrsverstoß im Sinne des § 315 a Abs. 1 Nr. 2 denken lasse, der nicht zugleich auch einen gefahrlichen Eingriff nach § 315 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 darstelle.33 Dies führe zu Wertungswidersprüchen und nicht legitimierbaren Strafrahmendivergenzen vor allem im Fahrlässigkeitsbereich sowie letztlich zu einem Leerlaufen des § 315 a Abs. 1 Nr. 2. Im Extremfall könne es dazu kommen, daß sich die Normadressaten des § 315 a Abs. 1 Nr. 2 wegen eines fahrlässigen Eingriffs nach § 315 Abs. 1, 6 strafbar machten, obwohl der darin zugleich liegende Verkehrsverstoß mangels grober Pflichtwidrigkeit nicht nach § 315 a Abs. 1 Nr. 2 strafbar wäre.34 Einen anderen Weg geht Fabricius (GA 1994 164, 178fF). Er vertritt die Auffassung, Handlungen im Rahmen der Verkehrsteilnahme könnten begrifflich nicht als „Eingriff" verstanden werden; der Terminus setze voraus, daß von außen auf den Verkehrsablauf eingewirkt werde (aaO insbesondere S. 180);35 auf „subjektive Gesinnungen und Absichten" komme es deshalb nicht an (aaO S. 183). 21

b) Stellungnahme. Trotz nicht bestreitbarer Verwerfungen im Verhältnis des § 315 zu § 315 a Abs. 1 Nr. 2 (s. auch § 315 a Rdn. 22 ff) ist der herrschenden Lehre zuzustimmen. Die gegenteiligen Standpunkte sprengen die Systematik des Gesetzes und führen ihrerseits zu schwer lösbaren Abgrenzungsproblemen und zu gravierenden Wertungswidersprüchen.

22

aa) § 315 a als Auffangtatbestand. § 315 a Abs. 1 Nr. 2 ist nicht als Spezialtatbestand für Pflichtverstöße des Fahrzeugführers und anderer Sonderpflichtiger konzipiert, sondern als subsidiärer Auffangtatbestand. Die Schaffung des § 315a Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit der Einengung des § 315 Abs. 1 Nr. 4 sollte es der Rechtsprechung ermöglichen, Konstellationen, für die die Strafdrohung des § 315 zu hart erscheint, für deren Pönalisierung aber ein kriminalpolitischen Bedürfnis besteht, aus § 315 auszugrenzen und der in § 315 a Abs. 1 Nr. 2 enthaltenen milderen Strafdrohung zu unterwerfen (BTDrucks. IV/651 S. 22). Der Auffangcharakter des § 315 a ist durch die mit dem 6. StrRG vorgenommene beträchtliche Strafrahmenverschärfung des § 315 Abs. 1 nochmals betont worden. Bereits aus diesen Gründen läßt sich eine Interpretation des § 315 a Abs. 1 Nr. 2 als Spezialnorm mit Ausschlußwirkung nicht halten.

23

bb) Strukturelle Unterschiede zu §§ 315 b, 315 c. Eine solche Auslegung verbietet sich aber auch im Hinblick auf die strukturellen Unterschiede der beiden Regelungskomplexe. In § 315 c sind riskante Pflichtverstöße des „fahrenden Allgemeinbürgers" pönalisiert (§ 315 b Rdn. 11). § 315 a Abs. 1 Nr. 2 nimmt hingegen Personen, die „durch ständig wiederholte Belehrung eingehend über ihre Pflichten unterrichtet werden" (BTDrucks. IV/651 S. 26), aufgrund der typischerweise großen Gefahren des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs zusätzlich in die Verantwortung. Die Vorschrift bezieht vor diesem Hintergrund nicht nur einzelne besonders gefahrliche Pflichtver31

AG Hamburg VersR 1981 195 mit zust. Anm. Passehl; wohl im Anschluß an Krause Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1975 337, 338 f (der die Restriktion allerdings auf Manöver beschränken will, die vom SchifTsführer in Fahrt befindlicher Fahrzeuge vorgenommen werden) und Specht Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1966 20, 23 f; ebenso Schaberg 18. VGT 1980 S. 315, 318 ff. S. auch - ohne Begründung - Hoppe DAR 1968 76, 77.

32

33

34

35

Rudolf ZLW 1965 118,126 ff; weitergehend wohl (auch für den Schiffsverkehr) aber ders. ZLW 1968 11, 14 f. AG Hamburg VersR 1981 195; Krause Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1975 337, 339. AG Hamburg VersR 1981 195 zum Fall des Schiffsführers, der ohne groben Pflichtenverstoß ein falsches Signal gibt. So auch bereits Specht Zeitschrift für Binnenschiffahrt 1966 20, 23 f; AG Hamburg VersR 1981 195, 196.

Stand: 1. 7. 2000

(16)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§ 315

stöße ein, sondern pönalisiert gewissermaßen „flächendeckend" die (grob pflichtwidrige) Verletzung sämtlicher Verkehrssicherungsvorschriften. Versteht man nun § 315 a als Spezialnorm, so wäre § 315 gerade hinsichtlich Sonderpflichtiger weitgehend seines Anwendungsbereichs entkleidet. Denn zahlreiche Eingriffe im Sinne des §315 erfüllen zugleich § 315 a Abs. 1 Nr. 2. Mithin wäre der Sonderpflichtige in aller Regel milder zu bestrafen. Bei Handlungen, die zwar einem Tatbestand des § 315 Abs. 1 unterfallen, mangels einschlägiger VerkehrssicherungsvorscAn/i aber nicht dem des § 315 a Abs. 1 Nr. 2, müßte er sogar straflos gestellt werden. Im Unterschied dazu wären Außenstehende und nicht sonderpflichtige Bedienstete weiterhin zu bestrafen, und zwar stets nach dem im Vergleich zu § 315 a schärferen § 315 (vgl. BGHSt. 24 231,234). Die Differenzierung zwischen Eingriffen von außen und verkehrsinternem Fehlverhalten kann auch deswegen nicht auf die §§ 315, 315 a übertragen werden, weil § 315 a Abs. 1 Nr. 2 - wiederum anders als § 315 c - auch verkehrsexterne Handlungen umfaßt. Begreift man nun lediglich § 315 a Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. (Fahrzeugführen) als Spezialtatbestand, so würde der Fahrzeugführer im Vergleich zu sonstigem Personal bessergestellt. Stellt man zur Vermeidung dieses Ergebnisses auch für andere Sonderpflichtige auf den Aspekt der Verkehrsteilnahme ab, so gelangt man zu einer Privilegierung des Fehlverhaltens des Maschinisten etc. während der Fahrt, wohingegen das Wartungspersonal bei Verrichtungen vor oder nach einer Fahrt in Gestalt des § 315 die volle Härte des Gesetzes träfe. Für beides fehlt jeder nachvollziehbare Grund. 3 6 Es verbliebe deshalb nur, für verkehrsinternes und verkehrsexternes Verhalten gerade Sonderpflichtiger von einer den § 315 ausschließenden Vorrangstellung auszugehen, und davon nur abzugehen, sofern die Handlung als verkehrsfeindlicher Eingriff angesehen werden kann. § 315 wäre dann in Bezug auf den Personenkreis, den der Gesetzgeber besonders in die Pflicht nehmen wollte, im wesentlichen auf Sabotageakte reduziert. 37 Es liegt auf der Hand, daß eine solche Lösung die Konzeption des Gesetzes aushebelt. cc) Ausgliederung menschlichen Versagens? Teilweise wird eine auf Fehlleistungen des Fahrzeugführers während der Fahrt beschränkte tatbestandliche Restriktion auf die Überlegung gestützt, daß „nautisches Fehlverhalten" nicht Ausdruck krimineller Energie sei, sondern „regelmäßig mehr auf menschlichem Versagen" beruhe (Krause Zeitschrift für BinnenschifTahrt 1975 337, 339; AG Hamburg VersR 1981 195, 196). Dies ist allerdings bereits im Ansatz nicht plausibel. Denn Fahrlässigkeitstaten sind generell durch menschliches Versagen geprägt. Dieser Umstand hat den Gesetzgeber nicht davon abgehalten, sie sowohl hinsichtlich des Außenstehenden als auch des Sonderpflichtigen unter Strafe zu stellen. Es mag ein Anliegen sein, „das Verkehrsrecht zu entkriminalisieren" (AG Hamburg aaO). Ihm ggf. Rechnung zu tragen, obliegt jedoch dem Gesetzgeber und nicht den Strafgerichten. Im Einzelfall auftretenden Härten muß im Rahmen der Strafzumessung und über die §§ 153, 153 a StPO Rechnung getragen werden (in diesem Sinne auch Nr. 245 Abs. 4 RiStBV).

24

dd) Terminus des Eingriffs. Nicht überzeugend erscheint es schließlich, die Beschränkung des § 315 auf Handlungen außerhalb der Verkehrsteilnahme aus dem Terminus des „Eingriffs" herleiten zu wollen (so Fabricius G A 1994 164, 178 ff). Denn

25

36

(17)

AA - für den Luftverkehr - wohl Rudolf ZLW 1968 11, 13 f, 15 f, der dort allerdings eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung für erforderlich hält und auf Wertungsprobleme nicht eingeht.

37

So zu § 315 b allerdings BayObLG JR 1975 28 f. Näher § 315 b Rdn. 19.

Peter König

§ 315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

begrifflich läßt sich in einen Verkehrsvorgang ebensogut „von innen" eingreifen. Daß diese Wertung auch dem Gesetz zugrunde liegt, erweist § 315 Abs. 1 Nr. 3. Mit der Signal- oder Zeichengebung hat der Gesetzgeber nämlich Kerntätigkeiten der Teilnahme am Schiffsverkehr in den Tatbestand einbezogen (vgl. Geerds BA 3 [1965] 124, 137).38 Daß „navigatorische Entscheidungen ... in Form falscher Signale von außen" kommen {Fabricius aaO S. 183), ist dementsprechend nicht mehr als eine Behauptung. Ähnliches gilt für die anderen Tathandlungen. Die bereits angesprochenen Wertungswidersprüche kommen hinzu. Wird etwa das Schiff durch ein falsches Kommando unmanövrierbar und dadurch zum Hindernis, so läge nach Fabricius wohl kein „Eingriff" vor. Fehlt es in einem solchen Fall an grober Pflichtwidrigkeit, so ginge der Schiffsführer straflos aus (Anwendungsfall in AG Hamburg VersR 1981 195). Unterläuft hingegen - mit denselben Folgen - dem Monteur vor dem Auslaufen des Schiffes ein Fehler, so wäre § 315 erfüllt. Beide können aber in derselben „Hitze des Gefechts" gehandelt haben. Gerade solche Konsequenzen wollte der Gesetzgeber vermeiden. Daß er sie bei den §§ 315 b, 315 c bis zu einem gewissen Grad in Kauf genommen hat (BTDrucks. IV/651 S. 26), besagt nichts Gegenteiliges. Es war eine Andersbehandlung und eben nicht „Kongruenz" gewollt (aA Fabricius GA 1994 164, 183). 26

ee) Strafrahmendivergenzen. Die gerügten Strafrahmendivergenzen sind bei näherem Hinsehen nicht so gravierend wie teils herausgestellt. So wird der (vorsätzlich handelnde) betrunkene Führer einer Lokomotive entgegen Maurach/SchroederlMaiwald39 nicht milder, sondern härter bestraft als der „fahrlässige Übertreter einer Verkehrsvorschrift" (§ 315 a Abs. 1 Nr. 1 im Vergleich zu § 315 Abs. 6) und im Falle der Fahrlässigkeit allenfalls aus demselben Strafrahmen (§ 315 a Abs. 3). Unrichtig ist auch, daß einem „Schiffsführer, der aufgrund eines nicht grob pflichtwidrig gegebenen falschen Signals eine Schiffsgefahrdung fahrlässig verursacht" eine höhere Strafe droht als dem Schiffsführer, der grob pflichtwidrig gegen das Rechtsfahrgebot verstößt und fahrlässig einen Gefahrerfolg herbeiführt; 40 denn in beiden Fällen ist der Strafrahmen identisch (§315 Abs. 6, § 315 a Abs. 3). Man kann dem Gesetz vielleicht vorwerfen, daß es in § 315 a für die Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (§ 315 a Abs. 3 Nr. 1) keinen höheren Strafrahmen vorgesehen hat als für insgesamt fahrlässiges Verhalten (§ 315a Abs. 3 Nr. 2).41 Allerdings kann der gewichtigere Unrechtsgehalt des ersten Falls im Rahmen der Strafzumessung gewürdigt werden (näher § 315a Rdn. 35).

27

2. Zerstören, Beschädigen oder Beseitigen von Anlagen oder Beförderungsmitteln (Absatz 1 Nr. 1)

28

a) Tatobjekte. Taugliche Tatobjekte sind Anlagen und Beförderungsmittel der geschützten Verkehrsarten. aa) Anlagen. Anlagen im Sinne des § 315 sind alle festen und unbeweglichen Bestandteile, die dem ungestörten Ablauf des Verkehrsbetriebs dienen; daß anders als im Umweltstrafrecht (s. § 325 Abs. 5 und hierzu Steindorf LK § 325 Rdn. 21) bewegHingegen ist das Geben falscher Zeichen und Signale nicht in § 315 a Abs. 1 Nr. 1 a.F. übernommen worden, weil andernfalls bereits das falsche Betätigen des Fahrtrichtungszeigers (Winkers) geeignet wäre, die Strafbarkeit auszulösen. Das 2. StraßenVSichG hat diese EntScheidung nochmals ausdrücklich bestätigt (BTDrucks. IV/651 S. 28; näher § 315 b Rdn. 10).

39

40

41

BT/2 § 53 Rdn. 10. Die dort zitierte Entscheidung (BGHSt. 21 173) betraf eine Verurteilung nach § 315 Abs. 5 a.F., der § 315 Abs. 6 entspricht. So Schaberg 18. VGT 1980 S. 315, 318. Ähnlich für die Luftfahrt Rudolf ZLW 1965 118, 127 f. Sehl Schröder! Cramer § 315a Rdn. 13; Rüth LK 1 0 § 315 a Rdn. 21.

Stand: 1. 7. 2000

(18)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

liehe Gegenstände grundsätzlich nicht umfaßt sind, erweist die Gegenüberstellung zu den Beförderungsmitteln. Als Anlagen müssen darüber hinaus an sich bewegliche Gegenstände gelten, die ortsfest eingesetzt werden. Anlagen sind insbesondere im Schienenbahnverkehr Schienen, Schwellen, Signale, elektrische Leitungen samt den Leitungsmasten, Bahnschranken, Signallichter, die vor unbeschrankten Bahnübergängen stehenden Warnkreuze, Weichenstellenanlagen, Über- und Unterführungen, Stationsuhren; bei Schwebebahnen u.a. Zug- und Laufseil, Stützpfeiler, Motor samt seinen Anlagen; im Schiffsverkehr alle Schiffahrtsanlagen, die mittelbar oder unmittelbar dem Schiffsverkehr dienen, wie ζ. B. Trocken- und Wasserdocks, Hafenanlagen (Kai, Poller etc.), Leuchttürme, Leuchtfeuer, Bojen; auf Wasserstraßen die Schleusen, Wehre, Talsperren, wenn sie für die Durchführung oder für die Sicherheit des Schiffsverkehrs (Regulierung des Wasserstands) erforderlich sind; im Luftverkehr Flugplätze, vor allem die Landebahnen, sämtliche Signaleinrichtungen (Leuchtfeuer, Radaranlagen) und sonstige Einrichtungen für die Sicherheit des Flugverkehrs. Auch das Betriebszwecken dienende Zubehör ist zu den Anlagen zu rechnen, soweit es von der Verkehrsanschauung als Teil der Betriebsanlagen betrachtet wird {SehlSchröder!Cramer Rdn. 10). bb) Beförderungsmittel. Beförderungsmittel sind die der Beförderung von Men- 2 9 sehen oder Gütern unmittelbar dienenden beweglichen Einrichtungen. Dazu gehören vor allem die Fahrzeuge samt ihrem Zubehör, im Bahnbetrieb also nicht nur die Personen- oder Güterwaggons, sondern auch die Zugmaschinen. Welchen Zwecken die Beförderung dient, ist ohne Bedeutung. Geschützt sind die Beförderungsmittel des allgemeinen Verkehrs, aber auch Fahrzeuge, die besonderen staatlichen Aufgaben dienen, wie ζ. B. militärischen oder sonstigen hoheitlichen Zwecken.42 b) Angriffshandlungen. Die Begriffe des Beschädigens und Zerstörens sind § 303 3 0 entnommen und decken sich mit diesen. Rechtsprechung und Literatur hierzu können daher für die Interpretation herangezogen werden. Im Rahmen des § 315 müssen freilich die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit (Rdn. 47 ff) und die konkrete Gefahr für Leib und Leben oder hohe Sachwerte (Rdn. 50 ff) hinzukommen. Demgegenüber hat das Merkmal des Beseitigens in § 303 keine Entsprechung (vgl. aber § 87 Abs. 2 Nr. 2; §316 b Abs. 1). aa) Beschädigen/Zerstören. Die Merkmale des Beschädigens und Zerstörens unter- 31 scheiden sich nur graduell. Zerstören ist ein stärkerer Grad des Beschädigens ( W o l f f LK § 303 Rdn. 6). Nach stRspr. des BGH 43 liegt eine Beschädigung bei jeder nicht ganz unerheblichen körperlichen Einwirkung auf eine Sache vor, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist (BGHSt. 13 207, 208, im Anschluß an RGSt. 74 13, 14ff). Zerstörung ist eine so erhebliche Beschädigung, daß die Sache für ihre Zwecke völlig unbrauchbar ist (Otto GK7BT § 47 Rdn. 10). Die Abgrenzung fallt gelegentlich nicht leicht. Im Hinblick darauf, daß mit einer Zer42

(19)

Ebenso SM Schröder! Cramer Rdn. 10.

43

Zur Entwicklung seit der Rechtsprechung des RG Rüth LK10 Rdn. 19; Wolff UK § 303 Rdn. 6, 7.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Störung stets auch eine Beschädigung verwirklicht wird, muß die Unterscheidung in der Praxis nicht trennscharf nachvollzogen werden. 32

(1) Substanzverletzung/Funktionseinbuße. Beschädigung ist zunächst die Substanzverletzung, d.h. die Beseitigung der stofflichen Unversehrtheit einer Sache, deren stoffliche Verringerung oder Verschlechterung.44 Der Begriff der Beschädigung einer Sache verlangt jedoch nicht notwendig eine Verletzung der Substanz. Es genügt, wenn durch körperliche Einwirkung auf die Sache deren bestimmungsgemäße (technische) Brauchbarkeit vermindert wird.45 Die Variante der Funktionseinbuße ohne Substanzbeeinträchtigung wurde vor dem Hintergrund von Eingriffen in zusammengesetzte Sachen (Maschinen, sonstige technische Einrichtungen) entwickelt, deren Gebrauchsfahigkeit auch dann beeinträchtigt sein kann, wenn die Einzelteile unversehrt bleiben.46 Sie kann jedoch auch für andere Sachen relevant werden (SehlSchröder!Stree § 303 Rdn. 8 b). In beiden Fallgruppen kann eine Beschädigung allerdings zu verneinen sein, wenn sich die Funktionsbeeinträchtigung auf eine ganz kurze Zeitspanne beschränkt und/oder ohne größeren Aufwand beseitigt werden kann (RGSt. 39 223, 224; BGHSt. 44 34, 38). Jedoch ist gerade im Rahmen des § 315 das Interesse an einer Nutzbarkeit ad hoc zu beachten.47 Beschädigen liegt etwa vor, wenn aus einer Maschine kurzzeitig eine Schraube entfernt wird, mit der Folge, daß deren Einsatz nicht möglich ist. Die Annahme des Merkmals erscheint unter dem Aspekt der Funktionseinbuße vertretbar, wenn ein Signal durch Verschmutzen oder Ubermalen mit einer leicht abwaschbaren Farbe unmittelbar vor einem einfahrenden Zug unkenntlich gemacht und die Farbe/Verschmutzung sofort beseitigt wird, nachdem der Zug die Stelle passiert hat; denn für den relevanten Moment ist seine Gebrauchstauglichkeit aufgehoben gewesen. Denkbar ist jedoch auch die Annahme von Absatz 1 Nr. 3 (Rdn. 43) und u. U. von Absatz 1 Nr. 2 (Rdn. 39). Der Gebrauch einer Sache kann schließlich auch durch das Hinzufügen eines Gegenstandes nachhaltig beeinträchtigt werden (BGHSt. 44 34, 38). Als Beschädigung von Anlagen oder Beförderungseinrichtungen ist danach u.a. anzusehen die Wegnahme einer Bohle unter einer Eisenbahnbrücke, die Entfernung einer Eisenbahnschwelle oder von Bolzen und Laschen (RGSt. 55 169 f [zu § 305]), das Lösen von Schwellenschrauben (BGH NStZ-RR 1997 200), das Verbiegen oder Verdrehen eines Signals (zum Verschmutzen, Übermalen s. oben), so daß es den ihm zugedachten Zweck nicht mehr erfüllen kann, die Färbung oder Umfärbung von Signalleuchten, das Durchschneiden von Leitungen, die der Betätigung von Bahnschranken dienen, das Einklemmen von Gegenständen in Weichen oder Stellwerkshebel, so daß diese außer Betrieb gesetzt werden, das Anbringen eines Stahlkastens auf einem Eisenbahngleis (BGHSt. 44 34, 38) oder das Werfen von Seilen auf die stromführende Oberleitung einer Schnellfahrtstrecke der Deutschen Bahn AG (vgl. BGH vom 9. Mai 1995 - 4 StR 230/95). In den zuletzt genannten Fällen ist auch Absatz 1 Nr. 2 gegeben (zum Konkurrenzverhältnis Rdn. 133). Beschädigung ist ferner die Herbeiführung eines Kurzschlusses, durch den für die Verkehrssicherheit 44

45

SchlSchröder/Stree § 303 Rdn. 8 a; Otto GK/BT § 47 Rdn. 6. BGHSt. 29 129, 131 f; 44 34, 38; BGH NJW 1980 602, 603; NStZ 1982 508, 509; Lackneri Kühl § 303 Rdn. 4; TröndlelFischer § 303 Rdn. 5. Der Ε 1962 hatte für die Sachbeschädigung (§ 249 Ε 1962), nicht aber für den gefährlichen Eingriff in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

46

47

(§ 342 Abs. 1 Nr. 1 Ε 1962) die Variante des „Unbrauchbarmachens" vorgeschlagen. RGSt. 20 182, 183 ff; 31 329, 331; 39 223, 224; 55 169f; im einzelnen Wolff LK § 303 Rdn. 10. Zu § 303 SehlSchröder! Stree § 303 Rdn. 8 b; Wolff LK § 303 Rdn. 9 ff; Stree JuS 1988 187, 188.

Stand: 1. 7. 2000

(20)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§315

wesentliche Teile ausfallen (Signale, Blinkfeuer, Radaranlagen; Instrumentenlandesystem), und das Herauslassen der Druckluft aus einer Bremsleitung (OGH BrZ 1 391). Eine Beschädigung und nicht einen ähnlich gefährlichen Eingriff nach Absatz 1 Nr. 4 nimmt vor, wer mittels eines Gegenstandes (Transistorradio, Magnet, Mobiltelefon o. ä.) die Kompaßanlage eines Flugzeugs zumindest vorübergehend außer Betrieb setzt.48 (2) Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit. Immer im Auge behalten werden muß, 3 3 daß die Beschädigung oder Zerstörung zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und zu einer konkreten Gefahr führen muß. Aus diesem Grund erfüllt der vielfach zu beobachtende Vandalismus in Eisenbahnen, Untergrundbahnen etc. (etwa Aufschlitzen von Sitzen oder tiefe Verkratzungen in Fenstern) § 315 grundsätzlich nicht. Jedoch kann § 304 in Betracht kommen. Allenfalls Sachbeschädigung kann des weiteren gegeben sein bei den ubiquitären „Graffitimalereien" 49 namentlich auf Anlagen und Beförderungseinrichtungen im Schienenbahnverkehr. Anders ist es zu beurteilen, wenn Einrichtungen oder Beförderungsmittel aufgrund der Malerei ihrer Funktion für die Verkehrssicherheit nicht mehr gerecht werden (vorstehende Rdn.). bb) Beseitigen. Der Begriff des Beseitigens ist erfüllt bei einer räumlichen Entfer- 3 4 nung und daraus resultierender Verhinderung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs von Anlagen oder Beförderungsmitteln (vgl. Wolff LK § 317 Rdn. 5). Eine Beeinträchtigung der stofflichen Substanz ist nicht notwendig. Nicht selten wird das Beseitigen mit Eigentumsdelikten konkurrieren. Beseitigen erfordert aber keine Zueignung. Vielmehr genügt die räumliche Veränderung der Anlage oder des Beförderungsmittels. Die Entfernung von Gleisteilen stellt tatbestandsrelevantes Beseitigen dar. Wird ζ. B. eine Zugmaschine von einem Zug abgekuppelt, auf ein Abstellgleis gefahren und dort stehengelassen, so ist § 315 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, wenn die stehengelassenen, aus sich heraus nicht mehr bewegungsfähigen Waggons eine Sicherheitsbeeinträchtigung des Schienenverkehrs bedeuten und zur Ursache einer konkreten Gefahr werden. In solchen Fällen ist zugleich ein Hindernisbereiten nach Absatz 1 Nr. 2 gegeben. Auch in weiteren Konstellation kann es zu Überschneidungen mit anderen Modalitäten des Absatzes 1 kommen. So stellt die Wegnahme von Signalen, Bojen etc. zunächst eine Beseitigung von Anlagen dar; werden sie an anderer Stelle zur Irreführung eingesetzt, so ist dieses Verhalten als ein Geben falscher Zeichen oder Signale nach Absatz 1 Nr. 3 anzusehen (zu Konkurrenzfragen Rdn. 133). 3. Hindernisbereiten (Absatz 1 Nr. 2). Unter Hindernisbereiten ist jede Einwirkung 3 5 im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den ordnungsgemäßen Betrieb zu hemmen oder zu verzögern.50 Hindernisbereiten kann durch Eingriffe von außen erfolgen. Jedoch ist § 315 nicht auf Außeneingriffe beschränkt (Rdn. 19 ff). Beispiele für Hindernisbereiten im Bahnverkehr sind das Werfen von Seilen (vgl. BGH v. 9. Mai 1995 4 StR 230/95) oder von Metallbügeln (BGH NStZ 1988 178) auf die Oberleitung von Eisenbahnen, das Legen einer Gleissperre oder von Steinen auf Eisenbahnschienen (RGSt. 31 198, 199; 71 42, 43) sowie das Entfernen von SchwellenAA, unter unzutreffender Bezugnahme auf Rüth LK 10 Rdn. 21, Schmid NZV 1988 125, 126. S. insoweit die Entwürfe des BR (BTDrucks. 14/872), der Unionsfraktion (BTDrucks. 14/546) und der Fraktion der F D P (BTDrucks. 14/569) im BT, wonach die §§ 303, 304 um die Variante des „Verunstaltens" ergänzt werden sollen, wie es dem österreichischen Recht entspricht (hierzu (21)

instruktiv Moos, Expertenanhörung vor dem Rechtsausschuß des BT). Der Vorschlag ist mit wenig überzeugender Begründung (BTDrucks. 14/2941 S. 5) durch die Regierungskoalition abgelehnt worden. RGSt. 31 198, 199; BGH VRS 8 272, 274; BGHSt. 6 219, 224; 13 66, 69; BGH NStZ 1988 178; BGHSt. 41 231, 234 [zu § 315b].

Peter König

§ 3 1 5

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

schrauben oder Schienen; in sämtlichen Fällen kann zugleich Absatz 1 Nr. 1 erfüllt sein (Rdn. 32, 34). Ein Hindernis bereitet auch ein Kraftfahrer, der mit seinem Fahrzeug die geschlossene Schranke eines Bahnübergangs durchbricht und dann auf den Schienen stehenbleibt (BayObLG vom 5. Dezember 1962 1 St 682/61); das Überqueren von Eisenbahngleisen zu verbotener Zeit erfüllt den Tatbestand (BGHSt. 6 219, 224; BGH VRS 8 272, 274; OLG Stuttgart VRS 44 33, 34). Nach - freilich nicht unumstrittener - Auffassung bereitet auch derjenige ein Hindernis, der mit unverminderter Geschwindigkeit an einen unbeschrankten Bahnübergang heranfahrt und dadurch den herannahenden Zug zu einer Notbremsung zwingt.51 Verwirklicht werden kann das Merkmal des weiteren durch nicht veranlaßtes Ziehen der Notbremse, sofern aufgrund dieser Handlungen der nachfolgende Verkehr gefährdet wird (ansonsten Absatz 1 Nr. 4, Rdn. 43). Ein Beispiel für Hindernisbereiten im Schiffsverkehr bildet das Spannen eines Drahtseils zwischen Boje und Anker bei einem Stapellauf (OLG Oldenburg VRS 30 110, l l l f , s. auch Rdn. 45). Ein Hindernis kann aber auch bereiten, wer regelwidrig navigiert, etwa auf einem Kanal einen Schlepper in die Fahrbahn des entgegenkommenden Schiffs fährt. 52 Übliche Behinderungen erfüllen den Tatbestand nicht; sie sind vielmehr durch pflichtgemäße Rücksichtnahme auszugleichen (Η. W. Schmidt MDR 1960 90,91). Beispiel für Hindernisbereiten im Luftverkehr ist das Versperren einer Landebahn mit Betonklötzen oder anderen Gegenständen, desgleichen das Steigenlassen von Ballons oder Drachen im Bauschutzbereich von Flughäfen oder in einer Entfernung von weniger als drei Kilometern von der Begrenzung von Landeplätzen oder Segelfluggeländen (Schmid NZV 1988 125, 126). 4. Geben falscher Zeichen oder Signale (Absatz 1 Nr. 3) 36

a) Zeichen und Signale. Die Ausdrücke Zeichen und Signale sind gleichbedeutend. Erfaßt werden alle Zeichen oder Signale, die für die jeweilige Verkehrsart als Anlage oder Zubehör Verwendung finden. Unerheblich ist, ob sie innerhalb oder außerhalb geschlossener Räume Verwendung finden und ob sie optisch oder akustisch wahrnehmbar sind.

37

aa) Beispiele. Im Bahnbetrieb zählen zu den Zeichen und Signalen alle auf der Bahnstrecke befindlichen Signale oder Warneinrichtungen, einschließlich der den Stellwerken übermittelten Signale. Entsprechendes gilt für das Läutewerk, durch das das Herannahen eines Zuges angekündigt wird. Die Signal- und Zeichengebung im Schiffsverkehr ist in den Verkehrsordnungen der See- und Binnenschiffahrt umfassend geregelt (zu den SchifFahrtszeichen [Sichtzeichen und Schallsignalen] etwa §§ 5, 6 SeeSchStrO nebst Anlagen). Für den Luftverkehr sind Not- und Dringlichkeitssignale, Warnsignale, Signale zur Regelung des Flugplatzverkehrs und Ansteuerungssignale zu nennen (hierzu Schmid NZV 1988 125, 126f, m. w. N ) .

38

bb) Auskünfte. Mündliche, fernmündliche oder schriftliche Auskünfte sind keine Zeichen oder Signale, auch wenn sie im weiteren Verlauf ursächlich für das Geben falscher Zeichen oder Signale werden. Der Pilot, der über einem Meldepunkt eine 51

O L G Hamm VRS 15 356, 357; O L G Düsseldorf N J W 1971 1850, 1851; Herzog N K Rdn. 15; Seh!Schröder!Cramer Rdn. 11; aA Tröndlel Fischer Rdn. 9; Horn SK Rdn. 6; offengelassen in BGHSt. 13 66, 69, wonach zumindest ein

52

ähnlich gefahrlicher Eingriff nach Absatz 1 Nr. 4 gegeben ist. OLG Oldenburg M D R 1951 630, 631; aA Schaberg 18. VGT 1980 S. 315, 321; hierzu Rdn. 19ff.

Stand: 1. 7. 2000

(22)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

Überflugmeldung absetzt, obwohl er infolge eines Navigationsfehlers diesen Meldepunkt überhaupt nicht oder nicht zur angegebenen Zeit überflogen hat, gibt deshalb kein falsches Zeichen oder Signal. In Betracht kommt nur ein gefahrlicher Eingriff nach Absatz 1 Nr. 4 (Schmid NZV 1988 125,127; aA Rudolf ZUN 1968 11, 12). b) Falschheit. Falsch ist ein Zeichen oder Signal, sofern es der gegebenen Sachlage 3 9 nicht entspricht. Falsch ist somit auch ein richtiges Zeichen oder Signal, wenn es vorzeitig oder verspätet abgegeben wird. Wer im Rahmen seiner Aufgaben dem Luftfahrzeugführer eines Verkehrsflugzeugs das Zeichen zum Rollen gibt, obwohl sich noch eine Person im unmittelbaren Gefahrenbereich des Flugzeugs befindet, gibt deshalb ein falsches Zeichen (Schmid NZV 1988 125, 127). Auch der Schiffsführer, der eine an sich mögliche Flagge setzt, dadurch bei einem anderen den Irrtum erweckt, er werde ein bestimmtes Fahrmanöver durchführen, tatsächlich aber anders navigiert, erfüllt Absatz 1 Nr. 3. Des weiteren wird die Unterlassung, das richtige Zeichen oder Signal zu geben, von Nummer 3 erfaßt (BGHSt. 11 162, 164), ζ. B. wenn der Täter das Freizeichen nicht auf ein Haltesignal umstellt, obwohl dies geboten wäre. Auch wer das Freizeichen verdeckt und dadurch einem Haltesignal zur Geltung verhilft, gibt ein falsches Signal (zum Verschmutzen, Übermalen von Signalen als Beschädigung Rdn. 32; zum ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriff Rdn. 43). 5. Ähnliche, ebenso gefährliche Eingriffe (Absatz 1 Nr. 4). Die in der Regierungsvor- 4 0 läge zum 2. StraßenVSichG (unglücklich) so genannte „Analogieklausel" (BTDrucks. IV/651 S. 23) des Absatzes 1 Nr. 4 trägt dem Umstand Rechnung, daß es im Verkehr „zahlreiche höchst gefährliche Handlungen [gibt], die sich infolge ihrer Mannigfaltigkeit einer erschöpfenden Aufzählung entziehen" (BTDrucks. IV/651 S. 22). Einen Verzicht auf die strafrechtliche Ahndung von Handlungen, die zwar nicht von Absatz 1 Nr. 1 bis 3 erfaßt werden, den dort genannten Taten aber an Gefährlichkeit nicht nachstehen, sah der RegE und ihm folgend der Gesetzgeber aus kriminalpolitischen Gründen als „unmöglich", „gewisse Einwendungen" „aus rechtsstaatlichen Gründen" gegen den der Ausfüllung bedürftigen Begriff als überwindbar an. Das kriminalpolitische Bedürfnis wird man dabei schwer in Abrede stellen können (etwa Rüth LK 10 Rdn. 27). Die strafgerichtliche Rechtsprechung (insbesondere BGHSt. 22 365, 366 f [zu § 315 b]) und das BVerfG (BVerfG vom 11. Juni 1969, BvR 182/69 [zu § 315 b]) sowie ein großer Teil des Schrifttums 53 teilen auch die Einschätzung, daß die Formel dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht widerstreitet. a) Begriffskritik. Es existieren allerdings nicht wenige Stimmen, die die Verfas- 4 1 sungsmäßigkeit der Regelung bezweifeln 54 oder gar in Abrede stellen.55 Der Kritik ist einzuräumen, daß aus einer allgemeinen Klausel wie der in Absatz 1 Nr. 4 enthaltenen Unsicherheiten resultieren. Jedoch ist die Regelung in Übereinstimmung der h. M. als verfassungsgemäß zu erachten. Bereits im Ansatz verfehlt ist es namentlich, dem Gesetzgeber einen Verstoß gegen das Analogieverbot vorwerfen zu wollen.56 Denn 53

54 55

(23)

LacknerlKühl Rdn. 6; Sehl Schröder! Cramer § 315b Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 11; Arztl Weber BT/LH 2 Rdn. 290; Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt S. 223 ff; Cramer JZ 1983 812; Fabricius GA 1994 164, 165 ff; Mayr BGHFestgabe (1975) S. 273, 277; Rudolf ZLW 1965 118, 121 f sowie Fn. 22. Mäurach!SchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 16. Herzog NK Rdn. 18 (der aber seltsamerweise bei demselben Merkmal im Rahmen des § 315 b

56

[dort Rdn. 11] verfassungsrechtliche Bedenken als „eher theoretischer Natur" ansieht); Bruns GA 1986 1, 14 ff; Isenbeck NJW 1969 174; Stockei Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze im Strafrecht S. 125 f; den. ZRP 1977 134, 136. So Herzog NK Rdn. 18; Bruns GA 1986 1, 14ff; Stockei Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze im Strafrecht S. 125 f; ders. ZRP 1977 134, 136.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

dieses Verbot gilt nur für die Lückenfüllung zwischen den Tatbeständen auf der Ebene der Rechtsanwendung, während es hier um die Auslegung eines durch den Gesetzgeber geschaffenen generellen Terminus geht.57 Der Gesetzgeber hat mit dem „gefährlichen Eingriff" einen Oberbegriff geschaffen, der die in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Tatmodalitäten und noch mehr in sich vereinigt. Diese Technik ist dem StGB auch sonst nicht fremd. Etwa das „gefährliche Werkzeug" (u. a. § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 244 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) oder die sonst niedrigen Beweggründe (§211) liefern dafür Zeugnis.58 Aus der neueren Gesetzgebung ist ergänzend auf die dem Beischlaf ähnlichen „Penetrationshandlungen" zu verweisen, die in § 176 a Abs. 1 Nr. 1 und § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 aufgenommen worden sind. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. In der Sache geht es darum, ob das Merkmal bestimmt genug ist. Dabei erscheint durchaus offen, ob nicht die Verwendung nur dieses Merkmals unter Wegfall der Nummern 1 bis 3 Bestimmtheitsanforderungen genügen würde. Der Gesetzgeber beläßt es aber nicht dabei, sondern stellt dem generellen Begriff von ihm ins Auge gefaßte typische Tathandlungen an die Seite und nimmt im generellen Begriff auf diese Bezug („ähnliche, ebenso gefahrliche"). Hierdurch werden dem Begriff hinreichend feste Konturen für die Rechtsanwendung verliehen. Der Bezugnahme auf die konkreten Modalitäten kommt eine eingrenzende Wirkung zu (Fabricius GA 1994 164, 166). Dem Richter wird nichts Ungewöhnliches auferlegt. Vielmehr ist es auch über die zuvor genannten strukturell ähnlichen Regelungen hinaus an der Tagesordnung, daß der Rechtsanwender ein Merkmal im Lichte anderer Tatbestandsmerkmale auszufüllen hat, in deren systematischem Zusammenhang es steht. Der Vorwurf, § 315 Abs. 1 Nr. 4 enthalte eine legislatorische „Anweisung zur strafausdehnenden Analogie" (so Maurach!Schroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 16) oder stelle eine Ermessensvorschrift dar (so Isenbeck NJW 1969 174, 176), erscheint daher überzogen. Schon gar nicht ist es gerechtfertigt, dem Ganzen das Etikett nationalsozialistischen Gedankenguts anheften zu wollen.59 Zwar ist durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 zugleich mit dem Begriff des ähnlichen Eingriffs die analoge Anwendung von Strafgesetzen zugelassen worden (§ 2 StGB i. d. F. dieses Gesetzes). Gerade mit Blick auf die allgemeine Zulassung der Analogie zu Lasten des Täters hätte es aber der „Ähnlichkeitsklausel" in § 315 Abs. 1 aber nicht bedurft. Es überrascht daher nicht, daß das Merkmal nicht „jenem autoritären Motiv" (Isenbeck NJW 1969 174) der nationalsozialistischen Machthaber entspringt, sondern auf die Reformarbeiten aus der Zeit vor 1933 zurückgeht. Es ist im Grundsatz dem Ε 1927 entnommen (hierzu Entstehungsgeschichte II). 42

b) Sachlicher Gehalt. Ähnliche, ebenso gefahrliche Eingriffe sind Verhaltensweisen, die unmittelbar auf einen Verkehrsvorgang einwirken, ihrer Art nach den in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 aufgeführten Begehungsformen verwandt sind und diesen an Gefährlichkeit gleichkommen (vgl. BGH 10 404, 405).60 Das Merkmal ist restriktiv auszulegen (insoweit richtig Herzog NK Rdn. 19). Das Gebot enger Interpretation entspricht den Intentionen des Gesetzgebers. Die Modifikation des vor dem 2. StraßenVSichG verwandten Terminus des „ähnlichen Eingriffs" in Verbindung mit der SchafMayr BGH-Festgabe S. 273, 277; Cramer JZ 1983 812 Fn. 8; Fabricius GA 1994 164, 166. Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht S. 224; Fabricius GA 1994 164, 166; aA, freilich ohne jede Begründung, Bruns GA 1986

59

60

So Herzog NK Rdn. 18; Bruns GA 1986 1, 14; Isenbeck NJW 1969 174. BTDrucks. IV/651 S. 22; BGHSt. 24 231, 232 f; LacknerIKühl Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 11.

1, 16.

Stand: 1.7. 2000

(24)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

fung des Tatbestands nach § 315 a Abs. 1 Nr. 2 zielte darauf ab, grob pflichtwidrige Verstöße gegen Verkehrsvorschriften, für die die Strafdrohung des § 315 zu hart erschien, vor der Gesetzesänderung aber darunter subsumiert worden waren, aus § 315 auszugrenzen (BTDrucks. IV/651 S. 22; BGHSt. 24 231, 234). Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, wenn sich solche Fallgestaltungen über eine weite Interpretation des vergleichbar gefahrlichen Eingriffs doch wieder im Anwendungsbereich des § 315 fanden. Die Abgrenzung fällt allerdings aufgrund der vielfachen Überschneidungen nicht leicht. Jedoch ist es keine überzeugende Lösung, einem Teil der Probleme dadurch gerecht werden zu wollen, daß § 315 (Abs. 1 Nr. 4) auf Eingriffe von außen und verkehrsfeindliches Verkehrsverhalten beschränkt wird (Rdn. 19 ff). Die Thematik dürfte sich ihrer Eigenart nach einer trennscharfen theoretischen Systematisierung entziehen (Cramer JZ 1983 812). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Bildung von Fallgruppen wäre hilfreich; jedoch ist das Rechtsprechungsmaterial im Vergleich zur Situation bei § 315 b (dort Rdn. 39 ff) spärlich. aa) Eingriff gegeben. Als ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriff sah der RegE 4 3 mit Recht die Behinderung des Personals bei der Führung von Fahrzeugen an (BTDrucks. IV/651 S. 22). Dies kann durch einen tätlichen Angriff oder durch Bedrohung geschehen (etwa: der Flugzeugführer wird verletzt, so daß er zur sicheren Führung des Flugzeugs nicht mehr fähig ist, oder er wird zu einer Kursänderung oder zur Landung gezwungen). Man kann insoweit eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Hindernisbereiten ausmachen; an der Gefährlichkeit besteht ohnehin kein Zweifel. Vielfach wird in solchen Fällen auch § 316c eingreifen. Gefährliche Eingriffe können Steinwürfe gegen den Zugführer sein (RGSt. 51 77, 78 f und 61 362, 363 haben sie als Hindernisbereiten angesehen). Tatbestandsmäßig ist in der Regel das unberechtigte Ziehen der Notbremse (BGH bei Spiegel DAR 1985 188), sofern nicht bereits Hindernisbereiten gegeben ist (hierzu Rdn. 35). Parallelen ergeben sich auch zum Beschädigen. Das Unterbrechen der Stromversorgung für Sicherheitsanlagen, die Störung des Funkverkehrs oder der Radaranlagen (BTDrucks. IV/651 S. 22 f) wird vielfach von Absatz 1 Nr. 1 erfaßt (hierzu Rdn. 32). Sofern dies nicht der Fall ist (etwa wenn der Angriffsgegenstand nicht zu den Anlagen oder Beförderungsmitteln gerechnet werden kann), bestehen gegen die Annahme des gefahrlichen Eingriffs keine Bedenken. Auch wer - dem in § 315 a Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Personenkreis zugehörend - Gleisarbeiten vorschriftswidrig so ausführen läßt, daß die Gefahr einer Gleisverwerfung und damit der Entgleisung entsteht, macht sich u. U. wegen eines gefahrlichen Eingriffs strafbar (BGH 24 231, 232 ff; aA Lackneri Kühl Rdn. 6). Die vorschriftswidrige Ausführung der Gleisarbeiten kommt der Beschädigung (BGH aaO S. 233) und dem Hindernisbereiten gleich. Tatbestandsrelevanter Eingriff ist die Anordnung, ein Schiff in überladenem Zustand fahren zu lassen; denn es macht keinen Unterschied, ob die Manövrierunfähigkeit z.B. durch Sabotage oder durch erhebliche Überladung bewirkt wird (OLG Hamburg NZV 1997 237, 238). Auch wird derjenige Pilot Absatz 1 Nr. 4 erfüllen, der mit nicht erkennbar verminderter Geschwindigkeit ein Flugzeug an den Rollhalteort vor der Start- und Landebahn heranrollt, so daß der Luftfahrzeugführer eines im Landeanflug befindlichen Luftfahrzeugs annehmen muß, daß das heranrollende Flugzeug nicht halten werde, und sich deshalb zum Durchstarten veranlaßt sieht (Schmid NZV 1988 125, 127); derartiges Verhalten ist dem Hindernisbereiten ähnlich, wenn es nicht schon als Hindernisbereiten angesehen werden kann (zum schnellen Heranfahren an einen Bahnübergang Rdn. 35); die erheblichen Gefahren liegen auf der Hand. Entsprechendes gilt für das Verdecken von Signalen durch (25)

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Tücher oder andere Vorrichtungen (BTDrucks. IV/651 S. 23), das u . U . aber schon unter Absatz 1 Nr. 1, ggf. aber auch unter Absatz 1 Nr. 3 fallt (hierzu Rdn. 32, 39) sowie für falsche Anweisungen vom Kontrollturm an den Führer eines Luftfahrzeugs (Lackner/Kühl Rdn. 6) und für falsche Meldungen des Piloten an den Kontrollturm (Rdn. 38). 44

bb) Eingriff nicht gegeben. Demgegenüber sind einige Fälle nicht (mehr) unter § 315 Abs. 1 Nr. 4 zu subsumieren, die teils noch dafür in Ansatz gebracht werden. So ist das Durchfahren einer Langsamfahrstrecke mit überhöhter Geschwindigkeit ohne Hinzutreten weiterer Umstände jedenfalls bei nicht wesentlich überhöhter Geschwindigkeit (OLG Karlsruhe N Z V 1993 159, 160) nur noch nach § 315 a Abs. 1 Nr. 2 strafbar (vgl. auch Sehl Schröder! Cramer Rdn. 13). Wenig überzeugend erscheint es aber auch, grobe Geschwindigkeitsüberschreitungen unter § 315 Abs. 1 Nr. 4 zu subsumieren (so BGHSt. 8 8, 16). Das Übersehen eines Signals in schneller Fahrt dürfte dem Geben falscher Zeichen gleichfalls nicht hinreichend ähnlich sein (aA O L G H a m m VRS 61 268, 269),61 ebensowenig ein vorzeitiges Auflösen einer Fahrstraße im Eisenbahnbetrieb (anders O L G Neustadt VRS 14 56, 57). Für die Strafbarkeit nach § 315 spielt es in einem solchen Fall keine maßgebende Rolle, ob Rechtsvorschriften zuwidergehandelt worden ist (aA Rüth LK 1 0 Rdn. 30). Diese Frage stellt sich erst im Rahmen des § 315 a Abs. 1 Nr. 2. Im Einzelfall kann jedoch Hindernisbereiten nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 gegeben sein.

45

6. Unterlassen. Sämtliche Tatbestandsvarianten des Absatzes 1 können auch durch Unterlassen verwirklicht werden (ganz h. M.; kritisch Fabricius G A 1994 164, 177). D a ß das Unterlassen nicht mehr wie früher ausdrücklich im Tatbestand aufgeführt ist, steht dem nicht entgegen; dessen Streichung erfolgte zum Zwecke der Anpassung an die allgemeinen Regeln und zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten (BTDrucks. IV/651 S. 22). Es gelten die Grundsätze des unechten Unterlassungsdelikts (BGHSt. 8 8,11). Das Unterlassen muß nach allgemeinen Regeln dort, wo die einschlägige Variante als Beschreibung einer Handlungsmodalität aufzufassen ist (MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 20), den vom Gesetz beschriebenen Handlungen entsprechen und damit auch ebenso gefährlich sein (TröndlelFischer Rdn. 12; Seh!Schröder!Cramer Rdn. 13).

46

Ist ein Schaden an einer Anlage oder einem Beförderungsmittel schon entstanden, so ist die pflichtwidrige Nichtbeseitigung durch einen Garanten bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach Absatz 1 Nr. 1 strafbar. 62 Das gleiche gilt für die Nichtbeseitigung eines bereits entstandenen Hindernisses (OLG Schleswig SchlHA 1983 85 f), ζ. B. von zur Sicherung gespannten Drahtseilen, die den Stapellauf eines Schiffes behindern (OLG Oldenburg VRS 30 110, l l l f ) · „Bereiten" des Hindernisses ist dabei nicht als Beschreibung einer bestimmten Handlungsmodalität aufzufassen, sondern im Sinne der Erfolgsverursachung, so daß die Entsprechensklausel des § 13 nicht gesondert zu würdigen ist. 63 Wird der Eisenbahnbetrieb auf einer eingleisigen Strecke ohne Signale mit Funkspruchverkehr geleitet, so ist auch der Triebwagenführer verpflichtet darauf zu achten, ob die planmäßig vorgesehene Kreuzung mit einem Gegenzug stattgefunden hat, bevor er einem Abfahrauftrag des Zugführers nach61

62

Im Anschluß an BGHSt. 8 8, 16 [zu § 315 a. F.]; zust. TröndlelFischer Rdn. 11. Wie hier Horn/ Hoyer JZ 1987 965, 975. Bedenken bei Lackner/Küh! Rdn. 6. Vgl. RGSt. 74 273, 274 f; BGHSt. 10 404, 405.

63

Eingehend und m. w. N. Maurachl Schroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 20; zust. Horn SK § 315 b Rdn. 14; Geppert Jura 1996 639, 643. AA Seh! Schröder I Cramer § 315 b Rdn. 11.

Stand: 1.7. 2000

(26)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

kommt; die Verletzung dieser Pflicht kann mit Blick auf den Gegenzug Hindernisbereiten bedeuten; ansonsten ist nach OLG Hamburg VRS 21 433 (438 ff) wohl Absatz 1 Nr. 4 einschlägig; richtiger erscheint es jedoch, einen solchen Pflichtverstoß § 315 a Abs. 1 Nr. 2 zuzuordnen (Rdn. 42 ff). Das Unterlassen, dem Fahrer eines Gegenzuges rechtzeitig das Abfahrtszeichen zu geben, bedeutet einen Verstoß gegen Absatz 1 Nr. 3 (BGHSt. 11 162, 165). Ein Schrankenwärter, der es unterläßt, an einem höhengleichen Bahnübergang die Schranken rechtzeitig zu schließen, nimmt einen ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriff vor (OLG Frankfurt NJW 1975 840 mit Bespr. Wolter JuS 1978 748). Eine Schifffahrtsgefahrdung nach Absatz 1 Nr. 4 kann nach OLG Schleswig SchlHA 1959 23 dadurch begangen werden, daß es der Verantwortliche unterläßt, in gefährlichen Gewässern einen erfahrenen Rudergänger einzusetzen (aaO S. 24; zust. H. W. Schmidt M D R 1960 90, 91 f); diese Interpretation erscheint mit Blick auf das Ähnlichkeitskriterium jedoch zweifelhaft. Ein relevanter Eingriff kann im Unterlassen einer gebotenen Weichenstellung gesehen werden (vgl. BGH VRS 21 426, 427 ff). Keine Unterlassensstrafbarkeit ist gegeben, wenn der verantwortliche Amtsträger einer Aufsichtsbehörde vorgeschriebene Betriebsüberprüfungen einer Seilbahn nicht veranlaßt, sofern er bei Erfüllung seiner Pflichten als einzige Einwirkungsmöglichkeit die Entziehung der Genehmigung bzw. die Stillegung des Betriebs gehabt hätte; das Unterlassen entspricht dann nicht dem durch positives Tun verwirklichten ähnlichen Eingriff, weil dessen Bezugspunkt in solchen Konstellationen die Beschädigung nach § 315 Abs. 1 Nr. 1 ist und diese einen unmittelbaren Eingriff in den Betriebsmechanismus erfordert (vgl. BGHSt. 10 404, 405; aA Maurach/Schroeder/Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 21). Wegen eines ähnlichen Eingriffs durch Unterlassen macht sich demgegenüber der Betriebsleiter strafbar, dessen Aufgabe die Seiluntersuchung und die Behebung etwaiger Mängel ist (BGHSt. 10 404, 405).

VI. Beeinträchtigung der Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs 1. Charakter als Tatbestandsmerkmal. Folge der in Absatz 1 Nr. 1 bis 4 aufgeführ- 4 7 ten Handlungen muß eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehrs sein. Dabei handelt es sich um ein selbständiges Tatbestandsmerkmal, das dementsprechend vom Richter gesondert festzustellen ist.64 Allerdings muß die Sicherheitsbeeinträchtigung nicht als selbständiger Gefahrerfolg zu der konkreten Gefahr für Menschen oder hohe Sachwerte hinzutreten (abw. wohl TröndlelFischer Rdn. 3). Ausreichend ist vielmehr die Feststellung, daß die Handlung generell für die Verkehrssicherheit besonders gefahrlich ist (Lackner/Kühl Rdn. 3), was letztlich auf eine Eignungsbeurteilung hinausläuft (Cramer JZ 1983 812, 814; offengelassen von BGHR § 315 b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 3). Der Sache nach bildet das Merkmal unbestritten ein die Strafbarkeit einschränkendes Korrektiv. 65 Generelle Gefährlichkeit im geforderten Sinn ist gegeben, wenn die mit den Verkehrsarten ohnehin verbundene abstrakte Gefahr („Betriebsgefahr") so erhöht ist, daß eine konkrete Gefahr 64

(27)

So mit Recht die wohl h. M. Lackneri Kühl Rdn. 3, 7, sowie deutlich in § 315 b Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 13; Rüth LK 10 Rdn. 13; Herzog N K Rdn. 22; Krumme § 315 b Rdn. 7; Mühlhaus/Janiszewski § 315 b Rdn. 8; Cramer JZ 1983 812, 814; Fabricius GA 1994 164, 169; wohl auch Seh!Schröder!Cramer Rdn. 8. AA

65

Horn SK Rdn. 2; Maurach/Schroeder!Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 22; Geppert Jura 1996 639, 640f. Zu den Auswirkungen auf den subjektiven Tatbestand unten Rdn. 104. Geppert Jura 1996 639, 640 f; hierzu auch Horn SK Rdn. 2.

Peter König

§315

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

deutlich wahrscheinlicher geworden ist (BGH V R S 8 272, 274; BGHSt. 13 66, 69), der Verkehr also in seinem ungestörten Ablauf tangiert wird (LacknerlKühl Rdn. 3; s. auch BGHSt. 22 6, 8 [zu § 315 b]). Das Entstehen einer konkreten Gefahr ist Indiz für die Sicherheitsbeeinträchtigung (TröndlelFischer Rdn. 13). Die Sicherheitsbeeinträchtigung wird u. a. regelmäßig anzunehmen sein, wenn eine Schnellbremsung vollführt werden muß. 66 48

2. Sicherheitsbeeinträchtigung als Folge. Die Handlungen nach Absatz 1 Nr. 1 bis 4 müssen die Sicherheitsbeeinträchtigung bewirken, dieser also vorausgehen. Im Rahmen des § 315 Abs. 1 Nr. 1 genügt es deshalb nicht, wenn die Beschädigung oder Zerstörung des Beförderungsmittels lediglich Unfallfolge ist (SehlSchröder!Cramer Rdn. 7; vgl. auch RGSt. 51 77, 78). Bereits auf dieser Stufe scheidet § 315 beispielsweise im Fall eines zu schnell fahrenden Sportbootführers aus, dessen pflichtwidriges Verhalten lediglich die Zerstörung des von ihm geführten Boots herbeiführt (vgl. O L G Karlsruhe N Z V 1993 159, 160). § 315 kann in einer derartigen Konstellation nur erfüllt sein, wenn das zerstörte Beförderungsmittel vorwerfbar eine Gefahrdung des Verkehrs verursacht (etwa, weil es ein Hindernis bildet). 67

49

3. Beeinträchtigung von Verkehrsvorgängen. Die störenden Eingriffe müssen die Sicherheit des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs tangieren. In den Schutzbereich einbezogen sind unter dieser Prämisse die Beförderungsmittel, das Bedienungspersonal und die Fahrgäste (BGHSt. 6 1, 3f; Rdn. 8 ff). Hingegen ist § 315 nicht einschlägig, wenn der Bezug zu einem bestimmten Beförderungsvorgang fehlt. D a ß sich der Vorfall lediglich im Bereich oder im unmittelbaren Umfeld von Schienen- oder Schwebebahnen, der Schiffahrt oder des Luftverkehrs ereignet, reicht demgemäß nicht aus. 68 So ist die Gefahrdung von Gleisarbeitern durch einen eine Bahnschranke durchbrechenden Pkw (OLG Braunschweig NdsRpfl. 1952 157, 158) ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht an § 315, sondern ggf. an anderen Strafvorschriften zu messen. 69 Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, daß betriebsfremde Personen nicht am Merkmal der (konkreten) Gefahr für Leib oder Leben eines anderen teilhaben. Insoweit ist jedoch schon die nächste Stufe des Tatbestands betroffen. Der Gefahrdung vorgelagert sein muß stets die den Verkehrsvorgang beeinträchtigende Tathandlung (BGH 6 1, 3 f; LacknerlKühl Rdn. 2 a. E.). Mangels Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit unter dem Aspekt des § 315 irrelevant ist grundsätzlich auch der Vandalismus gegenüber Einrichtungen der Verkehrsbetriebe, ζ. B. das Aufschlitzen von Sitzen in Bahnwaggons, „Graffiti-Malereien", das Verkratzen von Fenstern u. ä. (dazu auch Rdn. 33). Werden ζ. B. Passagiere aufgrund einer Beschädigung von Sitzen gefährdet, so kommen nur allgemeine Strafvorschriften in Betracht {Maurach!Schroeder!Maiwald BT12 § 53 Rdn. 22 [zu § 315 b]).

50

VII. Gefahr für Leib und Leben oder bedeutende Sachwerte. Durch die in Absatz 1 Nr. 1 bis 4 bezeichneten, generell gefährlichen (Rdn. 47 ff) Handlungen muß eine kon66

67

68

69

BGHSt. 6 1, 2 f; 13 66, 69; LacknerlKühl Rdn. Rdn. 3; vgl. auch Nr. 245 Abs. 3 RiStBV. S. dazu, daß verkehrsteilnehmendes Verhalten im Rahmen des § 315 - anders als bei § 315 b relevant ist, Rdn. 19 ff. LacknerlKühl Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 13; hierzu auch, im einzelnen allerdings teils zweifelhaft, FabriciusGA 1994 164, 169. Zweifelhaft ist hingegen das obiter dictum in RGSt. 42 301 (302), wonach eine Transport-

gefährdung stets ausscheiden soll, wenn auf den Gleisen befindliche Arbeiter nicht rechtzeitig vor einem herannahenden Zug gewarnt werden; befinden sich die Arbeiter nämlich auf den Gleisen, so werden nicht nur sie gefährdet, sondern sie bilden zugleich ein Hindernis, womit auch die Sicherheit des Transports beeinträchtigt wird (etwa Notwendigkeit einer Schnellbremsung etc.).

Stand: 1. 7. 2000

(28)

Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr

§

315

krete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeigeführt werden. Der Eintritt der konkreten Gefahr ist eigenständiges Element des objektiven Tatbestandes. Er ist nicht nur „Vorstufe einer Folge" (so BGHSt. 26 176, 181), sondern spezifischer Taterfolg (Küper BT S. 135). §315 stellt mithin, was allgemeine Meinung ist, ein Erfolgsdelikt dar.70 1. Gefahrbegriff. Das Gesetz definiert den Begriff der Gefahr nicht. Ihn auszufül- 51 len, hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung vorbehalten (BTDrucks. IV/651 S. 24).71 Diese Entscheidung ist sachgerecht. Es erscheint nicht möglich, den Gefahrbegriff in einer abstrakt-generellen Regelung hinreichend präzis und mit Anspruch auf Gültigkeit für die Vielzahl von Strafvorschriften mit völlig unterschiedlichen Tathandlungen und Schutzobjekten zu beschreiben, in die er mittlerweile Einzug gehalten hat. Die in jedem GefahrbegrifT vorauszusetzende kritische Situation kann nur einzelfallbezogen nach dem Gefährlichkeitspotential der Tathandlung in ihrer Verknüpfung mit den umgebenden Verhältnissen 72 und nach der spezifischen Ausgestaltung des jeweiligen Tatbestandes beurteilt werden (E 1962 S. 467). Gefahr ist nach der üblicherweise gebrauchten, verschiedentlich freilich nuancierten Formel ein ungewöhnlicher Zustand, in dem nach den konkreten Umständen der Eintritt eines Schadens naheliegt.73 Diesem - „ziemlich unbestimmten" (Arztl Weber BT/LH 2 Rdn. 72) - GefahrbegrifT läßt sich immerhin die Selbstverständlichkeit entnehmen, daß es zu einem Schaden nicht gekommen sein muß, 74 und damit zugleich, daß aus dem Ausbleiben der Verletzung nicht auf das Fehlen einer objektiven Gefahrdung geschlossen werden darf. Einer streng kausalgesetzlichen Betrachtungsweise, nach der die NichtVerletzung unwiderleglich beweist, daß die Handlung das Rechtsgut objektiv nicht gefährdet hat, 75 ist damit eine Absage erteilt. In deren Konsequenz läge es, daß die konkrete Gefahrdung stets mit der Verletzung zusammenfallt. Hierdurch würde das gesetzliche Fundament gesprengt, auf dem die konkreten Gefahrdungsdelikte ruhen. Denn diese sollen gerade die Lücke füllen, die zwischen den abstrakten Gefahrdungsdelikten und den Verletzungsdelikten klafft. 76 Zudem widerstreitet eine solche Betrachtungsweise der allgemeinen Lebenserfahrung und dem Sprachgebrauch. 77 Sie wird dementsprechend heute nicht mehr angelegt (Wolter JuS 1978 748, 7490-

70

71

72

(29)

S. etwa Jakobs AT 6/IV Rdn. 79; Jescheck/ Weigend AT § 26 II 2; Küper BT S. 135; Roxin AT I § 11 Rdn. 121; Lackner Das konkrete Gefährdungsdelikt S. 7; ders. Niederschriften VIII S. 430 f; Gallas Heinitz-Festschrift, 171, 176; Geppert NStZ 1985 264; Hirsch KaufmannFestschrift S. 545, 558; Ostendorf JuS 1982 426, 429. AA Welzel Niederschriften VIII S. 430 (vgl. aber dens. Das Deutsche Strafrecht S. 63). Das Bundesministerium der Justiz hatte ursprünglich eine Definition des Gefahrbegriffs geplant (Dreher Niederschriften VIII S. 418); hiergegen Welzel aaO S. 421. BGHSt. 18 271, 272; BGH N J W 1995 3131; Jähnke DRiZ 1990 425, 429; Lackner/Kühl § 315 c Rdn. 22. In diesem Sinne schon RGRspr. 7 98, 100: „Hierfür lassen sich schlechterdings keine Normen aufstellen; die concrete Beschaffenheit des Einzelfalls und seine sachliche Beurteilung entscheiden allein."

73

74

75

76

77

RGSt. 10 173, 176; 30 179; BGHSt. 8 28, 31; 18 271, 272 f; Lackneri Kühl § 315 c Rdn. 21; Sehl Schröder!Cramer §§ 306 fT Vorbem. Rdn. 5; TröndlelFischer § 315c Rdn. 15; Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 71; Puhm Strafbarkeit gemäß § 315 c StGB S. 91; s. auch Berz NZV 1989 409. BGHSt. 22 67, 73, 74; BGH VRS 37 365, 366; B G H N J W 1985 1036; Rüth LKq//fahrzeugs, wohingegen sich eine Stellungnahme zum Fahrzeugführen erübrigt. Man kann den diesbezüglichen Ent29

BGHSt. 14 185, 186ff; 36 341, 344; BayObLG VRS 16 57, 58; VRS 67 373; OLG Karlsruhe DAR 1983 365. Geppert LK § 69 Rdn. 26; Horn SK Rdn. 5; LacknerlKühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 21; Sch/Schröder/Stree § 69 Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 3; Henlschel Trunkenheit Rdn. 349; MühlhauslJaniszewski § 2 StVORdn. 10.

(137)

30

31

32 33

Zum Begriff des Kraftfahrzeuges s. Geppert LK § 69 Rdn. 22,23; Sch/Schröder/Stree § 69 Rdn. 11. Rüth LK10 Rdn. 7ff; Sch/Schröder/Cramer § 316 Rdn. 20, 10, 11; TröndlelFischer Rdn. 3; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 10 ff. Hentschel Trunkenheit Rdn. 149 f; 348 ff. Maßgebend ist die Frage namentlich auch für § 44 Abs. 1, § 69 Abs. 1 StGB, § 21 StVG.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Scheidungen deswegen teils nicht mit Sicherheit entnehmen, ob über das Kraftiahrzeugführen hinaus auch das Merkmal des Fahrzeugführms verneint worden wäre. Schließlich sind die Grundsatzentscheidungen des BGH zum Fahrzeugführen als Bewegungsvorgang (BGHSt. 35 390; Rdn. 11) und zum Führen (ab-)geschleppter motorisierter Fahrzeuge (BGHSt. 36 341, dazu Rdn. 16, 20) in ihren Ausstrahlungen auf die Vielzahl relevanter Einzelfallgestaltungen wohl noch nicht gänzlich ausgelotet. Von einem hinreichend gesicherten Stand der Rechtsprechung kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Aus Gründen des Zusammenhangs mit dem Fahrzeugführen wird der Fragenkreis hier mitbehandelt. Eine schlagwortartige Auflistung der wesentlichen Ergebnisse findet sich unter § 316 Rdn. 69 f; darauf wird ergänzend verwiesen. 16

(1) Leitgedanke: Gefährlichkeit. Der in BGHSt. 36 341 niedergelegten Grundsatzentscheidung des BGH zum Führen (ab-)geschleppter (Kraft-)Fahrzeuge (Rdn. 20) kann als zentrale (und überzeugende) Aussage entnommen werden, daß nicht maßgebend ist, ob das jeweilige Fortbewegungsmittel den formalen Begriff des Kraftfahrzeugs erfüllt, sondern daß es darauf ankommt, ob der Lenker „hinsichtlich der von ihm geforderten psycho-physischen Leistungsfähigkeit" und „bezüglich der von ihm in alkoholisiertem Zustand für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden Gefahr" dem Führer eines Kraftfahrzeugs unter Motorkraft gleichzustellen ist (vgl. BGH aaO S. 346). Der BGH prüft in typisierender Betrachtungsweise, ob der Bewegungsvorgang dem Lenker ein Maß von Aufmerksamkeit, Reaktions- und Koordinierungsvermögen abverlangt, wie es dem Fahrzeugführen unter Motorkraft entspricht (aaO S. 347 f). Er betont, daß die konkret gefahrenen Geschwindigkeiten nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind; dem entspreche es, daß die Führer von Kraftfahrzeugen, die bauartbedingt nur über geringere Höchstgeschwindigkeiten verfügten (Traktoren, Mofas), nicht vom für den Kraftfahrer geltenden Beweisgrenzwert ausgenommen seien (aaO S. 348). Wie der Vergleich zum „normalen Tatbild" des Kraftfahrzeugführens zeigt, kann darüber hinaus die Länge der ohne Motorkraft zurückgelegten Strecke gleichfalls nicht von Bedeutung sein.34 Denn auch wer sein Kraftfahrzeug nur eine kurze Strecke fahrt, wird nach allgemeinen Regeln vom „Kraftfahrergrenzwert" erfaßt.

17

(2) Ziel: Ingangsetzung der Triebkräfte. Die herrschende Meinung im Schrifttum35 und die (überwiegend ältere und zum Teil zum Kraftfahrzeugführen ohne Fahrerlaubnis ergangene) Rechtsprechung36 setzt dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter Motorkraft den Fall gleich, daß der konkrete Bewegungsvorgang (Ab-, Ausrollenlassen, (An-)Schleppen, Antreten eines Kraftrads, Anschieben) dem Ziel dient, den Motor in Gang zu setzen, und wendet demnach - soweit die §§ 315c, 316 betroffen sind - den Beweisgrenzwert von 1,1 %o für diese Fallgestaltung generell an. Sofern dies begründet wird, findet sich der Hinweis darauf, daß bei Anspringen des Motors sogleich die bestimmungsgemäßen Triebkräfte auf das Kraftfahrzeug einwirkten, weswegen der Lenker auch Kupplung, Gaspedal, Gangschaltung und Bremse bedienen und daher hierzu auch in der Lage sein müsse (OLG Celle VRS 28 279, 281 [zu § 24 StVG a. F.]). 34

35

Vgl. BGHSt. 14 185, 187, 189; BayObLG VRS 67 373, 374 [jeweils zu 21 StVG]; OLG Karlsruhe DAR 1983 365 [zum Anschieben von Kraftfahrzeugen]. Geppert LK § 69 Rdn. 26, 30; SchlSchröderl Cramer § 316 Rdn. 9; Sehl Schröder IStree § 69 Rdn. 12; Hentschel Trunkenheit Rdn. 149 f;

36

348 ff; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 11, 12; Grohmann BA 31 (1994) 158, 160f. BayObLG VRS 75 127, 128; KG VRS 12 110, 114; OLG Celle VRS 28 279, 281; VRS 53 371, 373; OLG Karlsruhe DAR 1983 365; OLG Oldenburg MDR 1975 421, 422.

Stand: 1.7. 2000

(138)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Einschränkend bemerkt O L G Karlsruhe DAR 1983 365 (zu § 69), daß der Vorgang nach der Vorstellung des Täters unmittelbar zum Anspringen des Motors führen müsse, weil andernfalls die Grenzen zwischen Versuch und Vollendung verwischt würden. Die vorstehend referierten Überlegungen erscheinen nicht unschlüssig. Ob sie heute noch tragen, ist gleichwohl zweifelhaft. Das Kriterium der Fortbewegung zum Zwecke des Anlassens des Motors ist zu einer Zeit entwickelt worden, als auch in der Absicht alsbaldiger Fortbewegung verrichtete, dem Bewegungsvorgang vorgelagerte Handlungen bereits als vollendetes Fahrzeugführen angesehen worden sind; u. a. das Einnehmen der Fahrerposition und das Anlassen des Motors reichten danach aus (Rdn. 12). Auf dieser Linie ist es plausibel, auch die Bewegung des Kraftfahrzeugs für das Führen als Kraftfahrzeug genügen zu lassen, die (unmittelbar) in das motorisierte Fahrzeugführen einmünden soll. Der Standpunkt ist für den Begriff des Fahrzeugführens freilich mittlerweile mit guten Gründen aufgegeben worden (Rdn. 11). Es vermag nicht zu überzeugen, ihn für die hier in Frage stehende Problematik faktisch beizubehalten. Maßgebend muß sein, ob der Fahrzeugführer mit Blick auf die objektiven Gegebenheiten des konkreten Bewegungsvorgangs den Anforderungen des Kraftfahrers ausgesetzt ist und ob von ihm Gefahren ausgehen, die denen des alkoholisierten Kraftfahrers „unter Motorkraft" gleichzusetzen sind. Allein innere Absichten bzw. die Gefährlichkeit aktuell gar nicht wirkender motorischer Kräfte vermögen aber schwerlich aus einer für sich genommen nicht hinreichend riskanten eine hinreichend gefahrliche Fortbewegung zu machen. 37 Im Ergebnis läuft die h. M. demgemäß auf die für das Fahrzeugführen nahezu allgemein abgelehnte Vorverlagerung der Strafbarkeit wegen Vollendung in das Vorbereitungs- bzw. Versuchsstadium hinaus (diesmal bezogen auf den Grenzwert und bei § 21 StVG auf das Ä>a/ifahrzeug). 38 Damit verbunden ist, daß dem Täter die Möglichkeit der Umkehr und, was nicht ganz selten ist, die „Wohltat" des rauschbedingten Scheiterns genommen wird 39 sowie daß die Ahndbarkeit letztlich vom Zufall und u. U. auch von der mehr oder weniger geschickten Einlassung des Fahrzeugführers abhängt. Die Beurteilung sollte deshalb allein anhand des in der vorstehenden Rdn. genannten Maßstabs erfolgen, ohne daß es auf die inneren Absichten des Fahrzeugführers ankäme. (3) Fallgruppen. Es haben sich in der Rechtsprechung bestimmte Fallgruppen herausgebildet, in denen die Problematik relevant wird. Im Hinblick darauf, daß die Gefährlichkeit des jeweiligen Bewegungsvorgangs (Rdn. 16) wesentlich durch Größe und Gewicht des jeweiligen Fahrzeugs mitbestimmt wird, wird nachfolgend zwischen Kraftwagen (Rdn. 19 ff) und Krafträdern (Rdn. 28 ff) differenziert.

18

(a) Ab-, Ausrollenlassen von Kraftwagen. Unumstritten ist, daß ein Fahrzeug führt, wer einen Kraftwagen über ein Gefalle abrollen oder (auch auf ebener Strecke) noch

19

" Nach OLG Hamm DAR 1959 54 soll es sogar ausreichen, wenn der Lenker den Motor aufgrund eines leicht behebbaren Mangels gar nicht in Gang setzen kann, sofern er nur die entsprechende Absicht hat. 38 Signifikant etwa BayObLG VRS 66 202, 203: „Dies bedeutet, daß das Anlassen des Motors ... den Beginn der in Aussicht genommenen anschließenden Fortbewegung darstellt mit der Folge daß ... § 316 ... auch dann erfüllt ist, wenn es zu der in Aussicht genommenen Fort(139)

39

bewegung nicht mehr kommt." [Hervorhebung durch Verf.]. Zugrunde lag ein Fall, in ,dem der Täter sein Mofa bei laufendem Motor geschoben hat, ohne daß deutlich wird, ob dabei die Motorkraft unterstützend eingesetzt worden ist. Mit Blick auf das in Rdn. 14 Gesagte und auf BGHSt. 35 390 ist zweifelhaft, ob das BayObLG an seinem Standpunkt festhalten würde. Hierzu auch AG Winsen/Luhe NJW 1985 692, 693.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

unter der Einwirkung der vormaligen Motorkraft ausrollen läßt. Im Anschluß an BayObLG VRS 16 57 nimmt der B G H in einer zum Kraftfahrzeugführen ohne Fahrerlaubnis ergangenen Grundsatzentscheidung auch das Führen eines Kraftfahrzeugs an (BGHSt. 14 185, 188f)· 40 Zutreffend wird darauf verwiesen, daß entscheidend die Gefahrdung der Verkehrssicherheit durch Personen sein müsse, die das Fahrzeug nicht (ausreichend) beherrschten. Die Risiken seien aber nicht spezifisch durch die aktuell betätigte Motorkraft bedingt, sondern durch die Ausmaße, das hohe Gewicht und den leichten Lauf der betroffenen Fahrzeuge (BayObLG VRS 16 57, 59). Gerade auf Gefallstrecken erreiche das Kraftfahrzeug aufgrund seines Gewichts schnell beträchtliche Geschwindigkeiten, wobei die Bremswirkung des laufenden Motors fehle (BGHSt. 14 185, 187f). 41 Für die Einstufung des Fahrzeugs als Kraftfahrzeug sei es unerheblich, ob das Fahrzeug vor dem Abrollenlassen oder nachher mit Motorkraft bewegt worden sei bzw. bewegt werden sollte.42 Die Länge der ohne Motorkraft zurückgelegten Strecke sei gleichfalls ohne Bedeutung. 43 Aus diesen Überlegungen wird zugleich deutlich, daß der Fahrer eines durch Schwerkraft und/oder nachwirkende Motorkraft bewegten Kraftwagens bei typisierender Betrachtung denselben psycho-physischen Anforderungen genügen muß wie beim Fahren mit Motorkraft und daß die von ihm in alkoholisiertem Zustand ausgehenden Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer aufgrund der fehlenden Motorkraft nicht geringer sind. Es erscheint deswegen gerechtfertigt, den „absoluten" Grenzwert von 1,1 %o in den einschlägigen Konstellationen generell anzuwenden. 44 Entgegen einem Teil der Literatur 4 5 und der älteren Rechtsprechung 4 6 sind dabei die konkret gefahrenen Geschwindigkeiten bzw. die Länge der auf diese Weise zurückgelegten Strecke nicht entscheidend (Rdn. 16), weswegen es als irrelevant zu erachten ist, ob das Fahrzeug über eine sehr abschüssige Gefällstrecke hinabfahrt oder über ein flaches Gefälle (abw. O L G H a m m D A R 1960 55, 56). Nach den durch BGHSt. 36 341 entwickelten Kriterien (Rdn. 16) ist gleichfalls nicht von Belang, ob der mittels Schwerkraft über ein Gefalle bewegte Wagen aktuell nicht betriebsbereit (Batterie nicht intakt; kein Benzin im Tank) bzw. (vorübergehend) wegen eines Defekts betriebsunfahig ist. 20

(b) (Ab-, An-) Schleppen von Kraftwagen. Den Begriff des Fahrzeugixtixrzns erfüllt nach zutreffender h. M. auch der Lenker eines abgeschleppten (betriebsunfähigen) Kraftfahrzeugs.47 Es handelt sich dabei um einen Fall des einvernehmlichen Fahrzeug-

40

41

42

Zust. Geppert LK § 69 Rdn. 26; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 10; insoweit auch Η entgehet Trunkenheit Rdn. 349 und Grohmann BA 31 (1994) 158, 160f. Hinzu kommen praktische Aspekte. Denn wenn entscheidend auf die aktuell wirkende Motorkraft abgestellt würde, würde es am Führen eines Kraftfahrzeugs streng genommen auch fehlen, wenn der Fahrer das Fahrzeug bei laufendem Motor, aber im Leerlauf abrollen läßt. Daraus würden unüberwindliche Schwierigkeiten auch für die Verkehrsüberwachung resultieren (BayObLG VRS 16 57, 59; ebenso BGHSt. 14 185, 188). BGHSt. 14 185, 187, 188; BayObLG VRS 67 373 f; wohl auch BayObLG VRS 16 57, 59. Anders noch OLG Hamm VRS 15 134, 135.

43

44

45

46 47

BGHSt. 14 185, 187, 189; BayObLG VRS 67 373, 374 [zu § 21 StVG]; OLG Karlsruhe DAR 1983 365. Ebenso OLG Koblenz VRS 49 366, 368; vgl. auch OLG Hamburg VerkMitt. 1967 Nr. 46, S. 31 (geschobenes Kfz; dazu Rdn. 21 ff). JaguschiHentschel § 316 Rdn. 13; Hentschel Trunkenheit Rdn. 149, 349. OLG Hamm DAR 1957 367f; DAR 1960 55f. M. Anm. Hentschel JR 1991 113; BayObLG NJW 1984 878, 879 [unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung; offengelassen noch in VRS 62 42]; OLG Bremen VRS 33 205; OLG Celle VRS 77 221; OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962; OLG Hamm VRS 96 373. Geppert LK § 69 Rdn. 27; LacknerlKühl Rdn. 3; Sch/Schröder/Cramer § 316 Rdn. 21; TröndletFischer

Stand: 1. 7. 2000

(140)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

führens durch mehrere Personen (Rdn. 37), in dem der Lenker des abgeschleppten Fahrzeugs dieses in erforderlichem Maße eigenverantwortlich beherrscht. Denn er kann durch Lenkbewegungen, Bremsen, Kuppeln usw. die Fortbewegung wesentlich beeinflussen.48 Der BGH hat dies als eine „Art Mittäterschaft" bezeichnet (BGHSt. 36 341,344). Demgegenüber liegt im Führen eines abgeschleppten Kraftwagens aufgrund der in der StVZO getroffenen Einstufung (§ 18 Abs. 1 StVZO) rechtlich kein Führen eines Kraftfahrzeugs.49 Denn der Kraftwagen hat seine Eigenschaft als Kraftfahrzeug verloren, ohne daß von Belang wäre, ob die fehlende Betriebsbereitschaft auf einem Defekt, der Erschöpfung der Batterie oder auf einem Mangel von betriebsnotwendigem Kraftstoff beruht (OLG Hamm VRS 96 373, 374). Jedoch ist der Lenker des abgeschleppten Fahrzeugs sowohl hinsichtlich der von ihm geforderten psycho-physischen Leistungsfähigkeit als auch bezüglich der von ihm in alkoholisiertem Zustand ausgehenden Gefahren einem Kraftfahrzeugführer gleichzustellen und unterliegt deshalb dem für diesen geltenden absoluten Alkoholgrenzwert von 1,1%« (BGHSt. 36 341, 344ff; Rdn. 16).50 Anders kann es vielleicht einmal sein, wenn das Abschleppen mit einer starren Verbindung (Stange) erfolgt. Dies setzt allerdings voraus, daß der „Lenker" des abgeschleppten Fahrzeugs dieses nicht wirklich beherrscht, weil es „quasi wie ein sonstiger Anhänger gezogen und dirigiert wird" (Janiszewski NStZ 1990 273); für diesen Fall würde es freilich bereits am Merkmal des „Führens" fehlen. Ob der am Steuer eines im Sinne des § 33 StVZO ohne eigene Motorkraft geschleppten (also als Anhänger benutzten) Kraftwagens Sitzende überhaupt ein Fahrzeug führt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Vermag er die Fortbewegung wesentlich zu beeinflussen, so ist Fahrzeugführen gegeben, erneut allerdings ohne daß rechtlich ein Führen als Kraftfahrzeug vorliegen würde. Daß es dem geschleppten Fahrzeug an der Eigenschaft als Kraftfahrzeug ermangelt, folgt dabei aus § 33 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StVZO (BGHSt. 36 341, 345) sowie aus § 33 Abs. 2 Nr. 4 StVZO. Für den Fall, daß Fahrzeugführen angenommen werden kann, ist der Grenzwert von 1,1 %o BÄK aus den vorgenannten Gründen auch hier anzuwenden. Dasselbe gilt für den Lenker eines Kraftfahrzeugs, das durch ein anderes Fahrzeug angeschleppt wird, um den Motor in Gang zu bringen. Auf der Linie der h. M. folgt dies bereits daraus, daß der Fahrzeugführer den Motor in Gang setzen will, nach der hier vertretenen Auffassung aus der Gefährlichkeit des Vorgangs an sich (im einzelnen Rdn. 16, 17). (c) Mit Muskelkraft bewegte Kraftwagen. Zum Führen eines von Menschenhand 21 geschobenen Kraftwagens hat sich eine feingesponnene, uneinheitliche und in ihren Abgrenzungen vielfach nicht recht plausible Kasuistik entwickelt. Sie betrifft in erster Linie wiederum das Problem, wann der Betreffende ein Ära/ifahrzeug führt, mit der

48

49

Rdn. 3; nunmehr auch Hentschel Trunkenheit Rdn. 356f; Reichart NJW 1994 103. Anders noch BayObLG bei Rüth DAR 1969 232; OLG Hamm VRS 27 303, 304; OLG Frankfurt VRS 58 145; KG VRS 67 154 [zu § 6 PflVersG]; Krumme StVR § 21 StVG Rdn. 5; u.U. auch Sehl Schröder!Stree § 69 Rdn. 12. BGHSt. 36 341, 345f; BayObLG NJW 1984 878, 879; OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962. Vgl. BGHSt. 36 341 345f; BayObLG VRS 62 42; OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962;

(141)

50

OLG Hamm VRS 96 373, 374. Geppert LK § 69 Rdn. 27; Sehl Schröder! Stree § 69 Rdnr. 12; Jaguschi Hentschel § 21 StVZO Rdn. 11; § 18 StVZO Rdn. 10. BGHSt. 36 341, 346 ff; BayObLG NJW 1984 878, 879 [jeweils zum damals noch geltenden Grenzwert von l,3%o]; OLG Hamm VRS 96 373, 374. Sehl Schröder/Cramer Rdn. 11; Hentschel Trunkenheit Rdn. 150, 357; Mühlhausl Janiszewski § 2 StVO Rdn. 12. AA noch OLG Bremen VRS 33 205, 206; OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962; Rüth LK 10 Rdn. 7.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Folge, daß der Grenzwert von 1,1 %o BÄK für ihn gilt (s. Rdn. 15), aber auch bereits die dem vorgelagerte Frage, wann Fahrzeugführen gegeben ist. 22

(aa) Betätigung der wesentlichen Vorrichtungen. Klar sollte zunächst sein, daß derjenige, der einen Kraftwagen schiebt, ohne die für die Fortbewegung wesentlichen technischen Vorrichtungen (Lenkung, Bremse etc.) zu bedienen, kein Fahrzeug führt; denn dann fehlt es an den wesentlichen Merkmalen der hierzu bestehenden Begriffsbestimmung (Rdn. 10, 35f!).51 Demgegenüber ist Fahrzeugführen schon dann gegeben, wenn die den Wagen schiebende Person durch dessen offenes Fenster die Lenkung betätigt.52 Desgleichen ist der Lenker eines von anderen geschobenen Fahrzeugs grundsätzlich als Fahrzeugführer anzusehen.53 In beiden Fällen wird das Fahrzeug unter Handhabung der essentiellen Steuerungsfunktion durch den öffentlichen Verkehrsraum geleitet. Für die Annahme des Fahrzeugführens spricht die Beurteilung des Führens eines (ab-)geschleppten Fahrzeugs (Rdn. 20). Hinreichende strukturelle Unterschiede, die eine divergierende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Vor allem kann keine ausschlaggebende Rolle spielen, daß die Fortbewegung hier auf Muskelkraft beruht. Andernfalls müßte das Merkmal auch bei dem einen Anstieg hinaufgezogenen Fuhrwerk, bei dem eine Anhöhe bewältigenden Radfahrer oder beim ausschließlich Muskelkraft einsetzenden Rollstuhlfahrer 54 in Zweifel gezogen werden. In all diesen Fällen ist eine Eigenbewegung des Fahrzeugs nicht vorhanden. Mit Rücksicht auf die unterschiedliche Situation beim Schieben eines Kraftwagens dürfte auch eine teleologische Reduktion unter dem Aspekt des „Mitführens" (Rdn. 14) nicht in Betracht kommen.

23

(bb) „Führen durch Worte". Einen Sonderfall betrifft BGH VRS 52 408 (6. Zivilsenat).55 Danach soll mangels hinreichender Eigenverantwortlichkeit die am Steuer sitzende und das Fahrzeug lenkende Person nicht Führer des Fahrzeugs sein, wenn sie den Anweisungen der das Fahrzeug schiebenden Person „bedingungslos" folgt.56 In solchen Fällen sei allenfalls die schiebende Person Fahrzeugführer, die lenkende Person hingegen nur deren „Werkzeug" (BGH aaO S. 409).57 51

52

53

BayObLG VRS 75 127; OLG Oldenburg MDR 1975 421; Rüth LK10 Rdn. 8; Hentschel Trunkenheit Rdn. 353; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 50 426. AA u. U. BGH VRS 52 408, 409 (dazu Rdn. 23). OLG Koblenz VRS 49 366, 367, 368; OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962; wohl auch OLG Karlsruhe DAR 1983 365. BGH bei Merlan GA 1961 362 bejaht Führen eines Kraftfahrzeugs [zu § 24 StVG a.F.]; BGH bei Martin DAR 1970 113 (Nr. 3) verneint es [zu § 21 StVG], die näheren Umstände gehen aus beiden Veröffentlichungen nicht hervor. Kein Fahrzeugführen liegt vor nach OLG Oldenburg MDR 1975 421; Hentschel Trunkenheit Rdn. 352; wohl auch nicht nach BayObLG VRS 75 127, 128 f. Sch/SchröderICramer § 316 Rdn. 21; generell in diesem Sinne auch MühlhausUcmiszewski § 2 StVO Rdn. 10, freilich unter Bezugnahme auf OLG Hamburg VerkMitt. 1967 46 [Anschieben und anschließendes Weiterrollen]; OLG Celle VRS 28 279, 280 f; VRS 53 371, 373 [Anschieben, um den Motor in Gang zu setzen].

54 55

56

57

Hierzu OLG Frankfurt NJW 1985 2961, 2962. Die Frage war, ob der durch einen anderen verletzten 19jährigen Lenkerin des geschobenen Fahrzeugs Mitverschulden zur Last fiel, weil sie über keine Fahrerlaubnis verfügte. Daß die Lenkerin des Fahrzeugs im konkreten Fall den Anweisungen des anderen „bedingungslos" gefolgt sein könnte bzw. zu folgen in der Lage war, ist im übrigen zweifelhaft. Offenbar mit aufgrund eines falschen Lenkeinschlags ist nämlich ein Unfall verursacht worden (BGH VRS 52 408). Daran erweist sich auch die Gefährlichkeit einschlägiger Verhaltensweisen durch nicht im Fahren (Lenken) geübte bzw. fahrunsichere Personen. Ähnlich schon RGZ 90 157, 159. Im Grundsatz zustimmend wohl BGHSt. 36 341, 344f. Ob nach den in den Rdn. 26f niedergelegten Kriterien überhaupt ein „Führen" als Kraftfahrzeug gegeben war, kann anhand der veröffentlichten Entscheidungsgründe nicht abschließend beurteilt werden; der BGH hat die Frage offengelassen.

Stand: 1. 7. 2000

(142)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Argumentation des 6. Zivilsenats läuft auch in der Wortwahl auf die Annahme mittelbarer Täterschaft hinaus. Mittelbare Täterschaft dürfte dabei schon deswegen nicht vorliegen, weil das „Werkzeug" die essentielle Steuerungsfunktion allein und eigenverantwortlich verwirklichte, während die das Fahrzeug schiebende Person darauf nur durch Worte Einfluß nehmen konnte. Diskutabel ist allenfalls uneigenhändige Mittäterschaft von Seiten des „Hintermanns". Darauf kommt es aber letztlich nicht entscheidend an, weil sowohl mittelbare Täterschaft als auch uneigenhändige Mittäterschaft beim nach ganz h. M. nur eigenhändig zu erfüllenden Merkmal des Fahrzeugführens nicht möglich sind (Rdn. 201). Dem entspricht die Beurteilung beim neben dem Fahrer sitzenden und diesen instruierenden Beifahrer (Rdn. 41). Zur Problematik von Übungs- und Prüfungsfahrten des Fahrschülers in Begleitung des Fahrlehrers wird auf die Ausführungen in Rdn. 42 verwiesen. (cc) Fallgruppen. Zu der Frage, ob der Betreffende in den vorstehend genannten 2 4 Konstellationen des Schiebens von Kraftwagen hinsichtlich des „absoluten" Grenzwerts von 1,1 %o dem Führer eines Kraftfahrzeugs gleichgesetzt werden kann, sind im wesentlichen drei Fallgruppen zu unterscheiden, nämlich das Anschieben bzw. Angeschobenwerden zum Zwecke des Anlassens des Motors (Rdn. 25), das Führen des Fahrzeugs, während dieses nach dem Vorgang des Schiebens selbsttätig weiterrollt (Rdn. 26) und das Führen eines ausschließlich mit Muskelkraft bewegten Kraftwagens (Rdn. 27). (i) Ziel: Ingangsetzung der Triebkräfte. In der ersten Fallgruppe, in der das 2 5 Anschieben erfolgt, um dadurch den Motor in Gang zu setzen und das Fahrzeug dann mit Motorkraft fortzubewegen, nehmen eine seit langem gefestigte Rechtsprechung58 und die h.M. im Schrifttum 59 vollendetes Führen eines Kraftfahrzeugs an und müssen deshalb zur Geltung des „Kraftfahrergrenzwerts" kommen. Der h. M. ist jedoch aus den in Rdn. 17 genannten Gründen nicht zu folgen. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt der „Kraftfahrergrenzwert" in dieser Konstellation nur unter den in der nachfolgenden Rdn. aufgeführten Voraussetzungen. Ansonsten sind die Grundsätze der „relativen Fahrunsicherheit" anzuwenden. (ii) Selbsttätiges Weiten-ollen. Für die zweite Fallgruppe gelangt ein Teil der 2 6 Rechtsprechung60 und des Schrifttums 61 zur Annahme des Führens eines Kraftfahrzeugs dann, wenn das Fahrzeug durch das Anschieben seitens des Täters und/oder anderer Personen einen solchen Schwung erhält, daß es selbsttätig weiterrollt, und sei es auch nur über eine Strecke von wenigen Metern (OLG Karlsruhe DAR 1983 365). Dem ist zuzustimmen. Denn an die Fähigkeiten des Lenkers werden in solchen Konstellationen bei typisierender Betrachtung keine geringeren Anforderungen gestellt als beim Ausrollenlassen eines zuvor mit Motorkraft angetriebenen Fahrzeugs oder bei der Bewegung eines Kraftwagens mit ausgeschaltetem Motor über eine (flache)

58

55

BayObLG VRS 75 127, 128; KG VRS 12 110, 114; O L G Celle VRS 28 279, 281; VRS 53 371, 373; O L G Karlsruhe DAR 1983 365; OLG Oldenburg Μ D R 1975 421, 422. AA AG Winsen/Luhe N J W 1985 692, 693. Geppert LK § 69 Rdn. 26, 30; Sch/Schröderl Cramer § 316 Rdn. 9; Sehl Schröder!Stree § 69 Rdn. 12; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 12; Hentschel Trunkenheit Rdn. 351 ff.

(143)

60

61

O L G Hamburg VerkMitt. 1967 Nr. 46 S. 31; OLG Koblenz VRS 49 366, 368; OLG Karlsruhe DAR 1983 365; OLG Düsseldorf VRS 62 193; wohl auch BayObLG VRS 75 127, 128f [unmittelbar zum Führen eines Kraftrads] und OLG Oldenburg M D R 1975 421, 422; aA OLG Celle VRS 53 371, 372. Geppert LK § 69 Rdn. 26 Rüth LK1» Rdn. 8. AA Hentschel Trunkenheit Rdn. 352.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Gefällstrecke hin.62 Mit Blick auf die von einem alkoholisierten Fahrzeugführer ausgehenden Gefahren ist deshalb in den einschlägigen Fällen der für den Kraftfahrer geltende Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit (1,1%« BÄK) anzuwenden (näher Rdn. 16, 19). Härtefällen ist ggf. über die Anwendung der §§ 153, 153a StPO sowie im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen. 27

(iii) Ausschließlich durch Muskelkraft. Demgegenüber reicht es für die Annahme des Führens eines Kraftfahrzeugs (und für die Anwendung des l,l%o-Grenzwerts) nach soweit ersichtlich allgemeiner Meinung nicht aus, wenn der Wagen ausschließlich durch Muskelkraft bewegt wird, ohne daß es in Eigenbewegung versetzt wird.63 Dies geht zurück auf eine ältere Judikatur, nach der das Kraftfahrzeug nicht als solches in Betrieb ist, wenn es durch „fremde Kraft" bewegt wird, also etwa „durch Menschen, Tiere oder ein anderes Kfz gezogen oder geschoben wird", wohingegen „eine Naturkraft" (Schwerkraft durch Schwung) nicht als solche „fremde Kraft" angesehen worden ist (eingehend und m. w. N. BayObLG VRS 16 57 ff). Trotz gewisser Bedenken mit Blick auf die Beherrschbarkeit der „Eigenkräfte" eines (schweren) Kraftwagens, der Beurteilung in Grenzfällen sowie der Abschichtung gegenüber der Situation beim An- und Abschleppen sowie beim Schleppen von Fahrzeugen (Rdn. 20) wird man dem letztlich beipflichten können. Anzulegen sein dürften die Grundsätze der „relativen" Fahrunsicherheit.

28

(d) Führen von Krafträdern. Differenzierter Beurteilung unterliegt auch das Führen motorisierter Zweiräder, die nicht unter Motorkraft gefahren werden (zu den Gründen der Aufgliederung Rdn. 18):

29

(aa) Fahrzeugführen. Zunächst ist stets zu prüfen, ob überhaupt das Merkmal des „Führens" erfüllt ist. Daran fehlt es, sofern der Betroffene das Kraftrad, ggf. auch unter Bedienung des Lenkers, schiebt, ohne dabei den Fahrersitz einzunehmen. Entsprechendes gilt, wenn während des Schiebens zwar der Motor läuft, die Motorkraft aber nicht zur Unterstützung des Schiebens eingesetzt wird. In solchen Fällen ist lediglich ein aus dem Tatbestand zu eliminierendes „Mitführen" des Zweirads anzunehmen (im einzelnen Rdn. 14). Demgegenüber liegt Fahrzeugführen vor, wenn der Betreffende beim Schieben unterstützend die Motorkraft einsetzt.64 Ein Fahrzeug führt auch, wer ein Mofa auf dem Sattel sitzend dadurch fortbewegt, daß er sich mit den Füßen vom Boden abstößt65 oder wer ein Kraftrad über eine Gefällstrecke abrollen66 oder nach Ausschalten des Motors ausrollen läßt, ferner derjenige, der ein Leicht-Mofa durch Treten der Pedale wie ein Fahrrad benutzt67 oder - einen Bewegungsvorgang vorausgesetzt - den Motor eines Mopeds oder Mofas durch Treten der Pedale zum Anspringen bringen will.68 Einen Grenzfall behandelt BayObLG VRS 75 127 (zu § 21 StVG). In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Betroffene auf dem Fahrersitz sitzend ein Kraftrad „mit Beinarbeit" aus einer Parklücke herausrangiert und bis zu einer Stelle fortbewegt, von der ab ein anderer das Kraftrad mit Motorkraft weiterfahren sollte. Das BayObLG verneint Führen des Kraftfahrzeugs und wohl auch Fahrzeugführen, weil solches « OLG Hamburg VerkMitt. 1967 Nr. 46 S. 31; näher Rdn. 19. 63 KG VRS 12 110, 114; OLG Oldenburg MDR 1975 421 und OLG Karlsruhe DAR 1983 365. Vgl. auch BayObLG 75 127, 128 f. 64 BayObLG VRS 66 202, 203; VRS 75 127, 129; BayObLG bei Rüth DAR 1985 242; OLG

Düsseldorf VRS 50 426, 427; TröndletFischer Rdn. § 316 Rd. 6. AA AG Winsen/Luhe NJW 1985 692, 693 [Führen nur, falls „Fahren"]. 65 OLG Düsseldorf VRS 62 193. « BayObLG VRS 67 373, 374. « OLG Düsseldorf VRS 62 193. 68 OLG Hamm DAR 1959 54.

Stand: 1. 7. 2000

(144)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Handeln faktisch dem Schieben des Zweirads gleichstehe (hierzu soeben und Rdn. 14). Die Ablehnung des Fahrzeugführens würde jedoch nicht überzeugen. 69 Denn von einem Schieben im Wortsinn kann nicht mehr gesprochen werden. Der Lenker des Kraftrads bewegt dieses unter Betätigung der essentiellen Steuerungsfunktionen. Dem entspricht es, daß der Kraftradfahrer, der sein Fahrzeug durch Abstoßen der Füße bewegt, auch sonst als Fahrzeugführer angesehen wird (s. oben). Eine Differenzierung mit Blick auf die jeweils entwickelten Geschwindigkeiten erscheint nicht durchführbar. Auch der Aspekt der Fremdhilfe (Geppert LK § 69 Rdn. 28 Fn. 92) ist nicht weiterführend. Der Vorgang mag dem Zweck dienen, die Fortbewegung eines anderen vorzubereiten; hierdurch wird aber nicht ausgeschlossen, daß bereits diese Vorbereitung alle Begriffselemente des Fahrzeugführens erfüllt. Wie beim Bewegen eines Kraftwagens allein durch Muskelkraft (Rdn. 22) ist demnach Fahrzeugführen gegeben. (bb) Geltung der Grenzwerte. Die Übertragbarkeit des für den Kraftfahrer unter 3 0 Motorkraft geltenden Β AK-Grenzwerts von 1,1 %o hängt wie bei der Fortbewegung von Kraftwagen davon ab, welchen Anforderungen der Betreffende genügen muß, um das Kraftfahrzeug sicher zu beherrschen, und welche Gefahren von ihm in fahrunsicheren Zustand für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen (Rdn. 16). Sowohl die Anforderungen als auch die Gefahren sind in Bezug auf das Führen von Krafträdern bei typisierender Betrachtung geringer zu veranschlagen als im Rahmen entsprechender Vorgängen zur Fortbewegung eines Kraftwagens. (i) Kein „absoluter" Grenzwert. Das Schieben von Krafträdern ist unter der Vor- 31 aussetzung als Fahrzeugführen anzusehen, daß der Betreffende dabei die Kraft des laufenden Motors nutzt (Rdn. 29). Das bedeutet jedoch noch nicht, daß deswegen auch der Grenzwert von 1,1 %o gelten müßte. Zwar sind die in einem solchen Handeln liegenden Gefahren nicht zu verkennen (hierzu OLG Düsseldorf VRS 50 426, 427); dem Fahren unter Motorkraft ist der Vorgang jedoch nicht gleichzusetzen. Im Hinblick darauf, daß es insoweit an hinreichend validen verkehrsmedizinischen Erkenntnissen fehlen dürfte, sind die Grundsätze über die absolute Fahrunsicherheit überhaupt nicht anzuwenden; zur Annahme der („relativen") Fahrunsicherheit bedarf es deshalb der Feststellung von Ausfallerscheinungen (BayObLG VRS 66 202, 203; aA wohl OLG Düsseldorf VRS 50 426, 427). (ii) „Radfahrergrenzwert" (1,6 %o). Der für Radfahrer geltende Grenzwert von 3 2 l,6%o (§ 316 Rdn. 71) ist anzuwenden, sofern der Vorgang stärkere Affinitäten hierzu als zum idealtypischen Fahren von Kraftfahrzeugen unter Motorkraft aufweist. So liegt es beispielsweise, wenn der Betreffende ein Mofa durch reine Pedalkraft wie ein Fahrrad nutzt70 (vgl. aber auch die nachfolgende Rdn.). Entsprechend ist es zu beurteilen, wenn der Lenker eines Mofa 25 dieses über eine leichte Gefällstrecke abrollen läßt, ohne den Motor in Betrieb zu setzen 71 (zum schweren Motorrad nachfolgende Rdn.). Der „Radfahrergrenzwert" gilt auch, wenn das Kraftrad durch Abstoßen der 69

70

Wohl aber die des Führens eines Kraftfahrzeugs; hierzu Rdn. 32. OLG Düsseldorf VRS 62 193, 194f; wohl auch Sehl Schröder! Cramer § 316 Rdn. 20 und MühlhauslJaniszewski § 316 Rdn. 22; Hentsehet Trunkenheit Rdn. 350. AA OLG Hamm DAR 1959 54 [Grenzwert für Kraftfahrer, solange sich der Fahrzeugführer der motorischen Kraft

(145)

71

bedienen will oder kann]; aA wohl auch Horn SK § 316 Rdn. 20. Das Führen eines Kraftfahrzeugs bejaht, allerdings zu § 21 StVG, BayObLG VRS 67 373. Der dort wesentliche Aspekt, daß das Mofa aufgrund vorgenommener Manipulationen nicht mehr fahrerlaubnisfrei gewesen ist, spielt nur im Rahmen des § 21 StVG eine Rolle.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Füße bewegt72 oder wenn - Fahrzeugführen vorausgesetzt - das schwere Motorrad „per Beinarbeit" aus der Parklücke herausrangiert wird (Rdn. 29).73 33

(iii) „Kraftfahrergrenzwert" (1,1, %o). Die Fortbewegung des Kraftrads durch Treten der Pedale wird von der ganz h. M. dann dem für den Kraftfahrer geltenden Beweisgrenzwert von 1,1 %o zugeordnet, wenn sie zum Zwecke des „Anwerfens" des Motors erfolgt.74 Der h.M. ist aus den im einzelnen in Rdn. 17 genannten Gründen nicht zu folgen; es gilt vielmehr der „Radfahrergrenzwert" (vorstehende Rdn.). Hingegen dürfte der „Kraftfahrergrenzwert" gelten, wenn der Betreffende ein schweres Motorrad über ein Gefalle ab- oder wenn er es ausrollen läßt (zu „leichten" Krafträdern vorstehende Rdn.); das gleiche dürfte gelten, wenn es etwa nach einem Schiebeoder „Anstoßvorgang" in Eigenbewegung versetzt wird. Insoweit müssen aufgrund des hohen Eigengewichts und der damit verbundenen Gefahren dieselben Maßstäbe angelegt werden wie bei der Fortbewegung von Kraftwagen (Rdn. 19, 26).

34

dd) Willentliches Führen. Der Begriff des Führens beinhaltet ein Anales Element. Kein Fahrzeugführen liegt demgemäß vor, wenn das Fahrzeug ohne Zutun oder ohne Willen der darin sitzenden Person ins Rollen gerät.75 Läßt jemand den Motor an und setzt er hierdurch versehentlich das Fahrzeug in Bewegung, weil der Gang eingelegt war, so führt er kein Fahrzeug.76 Führen eines Fahrzeugs kann gleichfalls nicht angenommen werden, wenn der aufgrund Alkoholgenusses fahrunsicher gewordene Kraftfahrer sich in das bereits vor Eintritt der Fahrunsicherheit auf einer abschüssigen Straße abgestellte Fahrzeug setzt, ohne dieses zunächst in Betrieb nehmen zu wollen, und das Fahrzeug dann infolge unzureichender Sicherung, möglicherweise in Verbindung mit der unbeabsichtigten Lösung der Arretierung, ins Rollen kommt (BayObLG VRS 39 206 f). Dem nicht willentlichen Führen dürften auch noch Handlungen zuzuordnen sein, die der Betreffende benötigt, um das solchermaßen in Bewegung geratene Fahrzeug gefahrlos zum Halten zu bringen. Beschränkt er sich hingegen nicht darauf, so übernimmt er willentlich die Führung und handelt tatbestandsgemäß. Zum ganzen auch Rdn. 189 sowie § 316 Rdn. 183.

35

ee) Ausübung essentieller (Teil-)Funktionen. Führer des Fahrzeugs ist nur, wer die (Mit) Verantwortung für die Bewegung des Fahrzeugs hat und diese mit Blick auf den Bewegungsvorgang faktisch betätigt (Rdn. 10). Nach ganz h. M. muß der Täter diese (Teil-)Funktionen mit eigener Hand wahrnehmen (Rdn. 201). Zum Fahrzeugführen bei durch Muskelkraft bewegten Fahrzeugen wird auf das unter Rdn. 22 f Gesagte verwiesen.

36

(1) Wahrnehmung aller Funktionen. Fahrzeugführer ist danach unproblematisch, wer alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt (BGHSt. 36 341, 344). Womöglich entgegen der Auffassung des BGH spielt es für den Begriff des „Führens" dabei keine Rolle, ob und inwieweit der Lenker in 72

73

74

OLG Düsseldorf VRS 62 193, 194; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 330. Hentschel Trunkenheit Rdn. 350; Mühlhaus/ Janiszewski § 2 StVO Rdn. 10. BayObLG VRS 66 202, 203; OLG Hamm DAR 1959 54 [danach soll dies sogar dann gelten, wenn der Lenker den Motor aufgrund eines leicht behebbaren Mangels gar nicht in Gang setzen kann, sofern er nur die entsprechende Absicht hat]; Hentschel Trunkenheit Rdn. 350; Mühlhaus/Janiszewski § 2 StVO Rdn. 12.

BayObLG VRS 39 206; BayObLG bei Rüth DAR 1980 266; OLG Frankfurt NZV 1990 277; OLG Düsseldorf NZV 1992 197; LG Düsseldorf VRS 82 454. Geppert LK § 69 Rdn. 28; LacknerlKühl Rdn. 3; Sehl Schröder! Cramer § 316 Rdn. 20; TröndlelFischer Rdn. 3; Hentschel Trunkenheit Rdn. 346. OLG Frankfurt NZV 199« 277; OLG Düsseldorf NZV 1992 197.

Stand: 1. 7. 2000

(146)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

seiner Tätigkeit von einem anderen instruiert wird; wer die für Art und Weise der Fortbewegung essentiellen technischen Funktionen ausübt, verrichtet nämlich auch dann keinen unbeachtlichen „bloßen Hilfsdienst" (vgl. BGH aaO S. 345),77 wenn sein Entscheidungsspielraum gering ist. Daß er überhaupt keinen Entscheidungsspielraum hat, wird - willensgetragenes Handeln vorausgesetzt - nicht vorkommen. Der Lenker ist, weil er alle Begriffsmerkmale des Führens in eigener Person erfüllt, nach allgemeinen Täterschaftskriterien unmittelbarer Täter. Fraglich kann nur sein, ob der „Hintermann" neben ihm gleichfalls als Fahrzeugführer anzusehen ist (dazu die nachfolgenden Rdn.). Wechseln sich Fahrer und Beifahrer in der Fahrzeugführung ab, so ist nur der jeweils Fahrende Fahrzeugführer (Mühlham!Janiszewski § 2 StVO Rdn. 14). (2) Arbeitsteiliges Führen. Seit langem ist in Rechtsprechung und Literatur an- 3 7 erkannt, daß sich mehrere Personen die Führung eines Fahrzeugs derart teilen können, daß jeder von ihnen als Fahrzeugführer anzusehen ist.78 Führer des Fahrzeugs ist danach auch derjenige, der einzelne technische Funktionen ausübt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (BGHSt. 36 341, 344). Nach Auffassung des BGH handelt es sich um eine „Art Mittäterschaft" (BGH aaO).79 (a) Essentielle Teilfunktionen. Die Beurteilung der Führereigenschaft hängt natur- 3 8 gemäß von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Essentiell zur Fortbewegung erforderliche Verrichtungen sind jedenfalls das Lenken, Gasgeben und Bremsen. Steuert der eine, während der andere Kupplung, Gaspedal und Bremse bedient, so sind beide als Führer des Kraftfahrzeugs zu qualifizieren (BGHSt. 13 226, 227). Ein Beispiel für arbeitsteiliges Fahrzeugführen ist auch das Schleppen von Fahrzeugen (hierzu Rdn. 20). Beim Fahren auf Fahrradtandems liegt gleichfalls regelmäßig arbeitsteiliges Fahrzeugführen vor. Denn der tretende Mitfahrer hat auf wesentliche Faktoren der Fortbewegung (Beschleunigung, Abbremsen, Richtungsänderungen durch Körperbewegung) maßgebenden Einfluß (Rüth LK10 Rdn. 11; zum Soziusfahrer Rdn. 40). (b) Beifahrer. An der eigenverantwortlichen Übernahme einer notwendigen Teil- 3 9 funktion fehlt es beim nicht in die Fahrzeugführung eingreifenden Beifahrer. Er ist deswegen nicht Fahrzeugführer. Daran ändert es nichts, wenn der Beifahrer Halter des Kraftfahrzeugs ist.80 Wer als Kraftfahrzeughalter einer erkennbar fahrunsicheren Person die Führung des Fahrzeugs überläßt, ist demgemäß nicht Führer des Fahrzeugs und kann sich nicht als (Neben-)Täter, sondern nur als Anstifter oder Gehilfe bezüglich einer Straftat nach §§ 315 c, 316 (BGHSt. 18 6, 8f) bzw. wegen eines (fahrlässigen) Verletzungsdelikts strafbar machen. Ermangelt es insoweit an den Voraussetzungen, so verbleibt lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 31 Abs. 2, § 69 a Abs. 5 Ob es sich insoweit nicht lediglich um eine mißverständliche Ausdrucksweise handelt, kann nicht sicher beurteilt werden. Mit Ausnahme einer Entscheidung des 6. Zivilsenats (BGH VRS 52 408; hierzu im einzelnen Rdn. 23), die der 4. Strafsenat allerdings (zustimmend?) zitiert (BGHSt. 36 341, 345), ist kein Fall ersichtlich, in dem der BGH den Lenker nicht als Fahrzeugführer qualifiziert hat. BGHSt. 13 226, 227 [zu § 24 StVG a.F.]; BGHSt. 36 341, 344; BayObLG N J W 1984 878, 879; OLG Hamm VRS 37 281. Geppert LK § 69 Rdn. 28; LacknerlKuhl Rdn. 3; TröndlelFischer (147)

Rdn. 3; Rüth LK 10 Rdn. 11; SchlSchröder/Cramer § 316 Rdn. 23; Hentschel Trunkenheit Rdn. 347; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 13. OfTengeblieben in KG VRS 12 110, 112f, mit Nachweisen zur älteren, teils entgegengesetzten Rechtsprechung und Literatur. Nach Wohlers SchwZStr. 116 (1998) 95, 107 Fn. 58 ist das arbeitsteilige Fahrzeugführen der Nebentäterschaft zuzuordnen. BGHSt. 18 6, 8f; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 14. AA Schröder v. Weber-Festschrift S. 233, 238ff; gegen ihn mit Recht Rudolphi G A 1970 353, 359f.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Nr. 3 StVZO. Der Beifahrer wird zum Fahrzeugführer auch nicht dann, wenn sich der Lenker nach seinen technischen Anweisungen richtet (Rdn. 41). Die Betätigung der Gangschaltung während der Fahrt, ohne auf Kupplung und weitere wesentliche Einrichtungen Einfluß zu nehmen, macht den Beifahrer nicht zum Fahrzeugführer (KG VRS 12 110, 113; TröndlelFischer Rdn. 3). Entsprechendes gilt für den mitfahrenden Halter, der dem Fahrer die Bedienung des Fahrzeugs erklärt sowie den Motor anläßt und vor der Abfahrt den Gang einlegt (OLG Hamm VRS 33 281, 282); ob er sich vorbehält, im Bedarfsfall einzugreifen und die Führung des Fahrzeugs zu übernehmen, ist belanglos (BGHSt. 13 226, 227 f)· Gleichfalls nicht Fahrzeugführer ist der Beifahrer, der kurzzeitig in die Fahrzeugführung durch einen anderen eingreift, z.B. das Steuer herumreißt, um eine Richtungsänderung zu bewirken.81 Allerdings kann in solchen Konstellationen eine Straftat nach § 315b vorliegen (hierzu § 315b Rdn. 18, 54). Übernimmt der Beifahrer hingegen nicht nur für einen kurzen Moment gegen den Willen des Fahrers die Lenkung, um das Fahrzeug an einen von ihm gewünschten Ort zu steuern, so ist er alleiniger Führer des Fahrzeugs.82 40

(c) Beiwagen-/Soziusfahrer. Kein Fahrzeugführer ist der Soziusfahrer auf einem Kraftrad (Mühlhaus/Janiszewski § 2 StVO Rdn. 14); das gleiche gilt für den Beiwagenfahrer. Die von beiden namentlich beim Kurvenfahren verrichtete „aktive Mitarbeit" und der dadurch erbrachte Beitrag für die Sicherheit des Kraftrades reichen mangels Übernahme einer essentiellen technischen Teilfunktion nicht aus (BGHSt. 36 341, 345). Zum Fahrradtandem Rdn. 38.

41

(d) „Führen durch Worte". Nach OLG Hamm VRS 37 281 (282) soll der Beifahrer (ggf. Halter) zum Mitführer des Fahrzeugs werden, wenn sich der (fahrunkundige) Lenker des Fahrzeugs im wesentlichen nach seinen technischen Anweisungen richtet.83 Auf der Grundlage der ganz herrschenden Lehre ist die Annahme der (Mit-) Führereigenschaft in derartigen Fällen jedoch nicht vertretbar. Denn danach kann das Fahrzeugführen nur eigenhändig verwirklicht werden (Rdn. 201). Der Täter muß sich demnach selbst zumindest eines Teils der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedienen (u. a. BGHSt. 18 6, 8f; 36 341, 343; Rdn. 10). Uneigenhändige Mittäterschaft und damit auch ein „Fahrzeugführen durch Worte" müssen auf dieser Linie ausscheiden.84

42

(e) Speziell: Fahrschulfahrten. Im Rahmen von Ausbildungs- und Prüfungsfahrten leitet der Fahrlehrer den Fahrschüler an. Allein dieses „Führen durch Worte" (vorstehende Rdn.) macht den Fahrlehrer jedoch nicht zum Fahrzeugführer im Sinne des nur eigenhändig zu verwirklichenden § 315c (sowie des § 316). Fahrzeugführer kann wie auch sonst nur sein, wer zumindest essentielle technische Teilfunktionen mit eigener Hand ausübt (Rdn. 10, 201). Das ist, wenn man sich die Abläufe bei Ausbildungsfahrten vor Augen hält, in aller Regel ausschließlich der Fahrschüler (vgl. auch KG VersR 1975 836); besonders deutlich wird es bei fortgeschrittenen Fahrschülern, bei Prüfungsfahrten sowie bei der Motorradausbildung, bei der der Fahrlehrer den Fahrschüler von seinem Fahrzeug aus über Funk „dirigiert". Der Fahrlehrer kann zum 81

82

Vgl. OLG Hamm NJW 1969 1975, 1976; OLG Köln NJW 1971 670; Geppert LK § 69 Rdn. 28; Tröndlel Fischer Rdn. 3; Sehl Schröder! Cramer § 316 Rdn. 23. AA Krumme StVR § 315c Rdn. 4. OLG Köln DAR 1982 30; Geppert LK § 69 Rdn. 28; Hentschel Trunkenheit Rdn. 347; MühlhauslJaniszewski § 2 StVO Rdn. 14.

83

84

Zust. Hentschel Trunkenheit Rdn. 347 und Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 329. Bedenken äußert hingegen mit Recht Geppert LK § 69 Rdn. 28 Fn. 96. In Richtung auf Führereigenschaft auch BGH VRS 52 408 (dazu oben Rdn. 23). Zur gleichgelagerten Problematik bei § 315 a s. dort Rdn. 9.

Stand: 1. 7. 2000

(148)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Fahrzeugführer nach allgemeinen Regeln nur werden, sofern er „tätlich" und nicht nur kurzfristig in die Fahrzeugführung eingreift. Allerdings bestimmt § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG,85 daß der Fahrlehrer bei Übungsund Prüfungsfahrten als Führer des Kraftfahrzeugs gilt, wenn der Lenker nicht über eine entsprechende Fahrerlaubnis verfügt. Diese gesetzliche Fiktion bewirkt jedoch nicht, daß der Fahrlehrer auch als (alleiniger) Fahrzeugführer im Sinne der §§ 315c, 316 anzusehen ist. Sie mißt sich bereits ihrem eindeutigen Wortlaut nach Geltung lediglich für das StVG und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen bei.86 Auch die damit verfolgten Zwecke sind auf die §§ 315c, 316 nicht übertragbar. § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG stellt den Fahrschüler während der Ausbildungs- und Prüfungsfahrt von der Fahrerlaubnispflicht frei, weshalb eine Strafbarkeit wegen Kraftfahrzeugführens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) entfallt.87 Bedeutung hat die Regelung außerdem vor allem für die zivilrechtliche Gefahrdungshaftung nach § 18 StVG.88 Demgegenüber geht es bei den §§ 315c, 316 darum, wer für die Folgen einer schuldhaft verwirklichten gefährlichen Fahrt aufgrund der Disposition des Fahrzeugführers (Fahrunsicherheit) oder dessen grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Fahrweise strafrechtlich einzustehen hat. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, der Gesetzgeber habe dem Fahrschüler insoweit die Verantwortung abnehmen und - was im Rahmen der zivilrechtlichen Gefahrdungshaftung geschieht - dem Fahrlehrer überbürden wollen.89 In Bezug auf die Trunkenheitsfahrt des Fahrschülers hätte die gegenteilige Interpretation im übrigen die seltsame Konsequenz, daß sich niemand strafbar machen würde: der Fahrschüler nicht, weil er nicht Fahrzeugführer ist, und der Fahrlehrer nicht, weil das Gesetz (§ 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316) Fahrzeugführen und Fahrunsicherheit miteinander verkoppelt; fahrunsicher ist aber der Fahrlehrer im Beispielsfall nicht (im einzelnen Rdn. 201). Mit dem Charakter der einschlägigen Tatbestände als eigenhändige Delikte ist es aber auch nicht vereinbar, den Fahrlehrer, wie es unter Hinweis auf § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG zum Teil vertreten wird,90 neben dem Fahrschüler als Fahrzeugführer zu qualifizieren. Die Regelung müßte hierfür - schwerlich überzeugend - ihres spezifischen Zusammenhangs mit dem Straßenverkehrsrecht entkleidet und überdies in eine Vorschrift zur strafrechtlichen M;';haftung des Fahrlehrers umgedeutet werden, während es doch in deren unmittelbarem Anwendungsbereich darum geht, den Fahrschüler in gewissem Umfang von Lasten (Fahrerlaubnispflicht, Gefahrdungshaftung) freizustellen. Demgemäß kann die (Mit-)Führereigenschaft des Fahrlehrers nur für richtig halten, wer das Fahrzeugführen (entgegen der ganz h. M.) als uneigenhändig zu verwirklichendes Tatbestandsmerkmal begreift (hierzu Rdn. 201 ff). 85

86

87

88

Bis zum Inkrafttreten der FahrerlaubnisVerordnung (FeV) vom 18. August 1998 (BGBl. I S. 2214) waren die einschlägigen Regelungen in § 3 Abs. 2 StVG und § 6 StVZO enthalten. Zu den Konsequenzen insoweit ζ. B. BGH VRS 10 225, 228; BGHSt. 13 226, 228; BGH NJW 1969 2197; KG VRS 12 110, U l f ; VRS 15 64, 66; VersR 1975 836; OLG Saarbrücken VRS 46 212, 214; OLG Karlsruhe VRS 64 153, 157. Vgl. auch RGZ 90 157, 159. BGH VRS 10 225, 228; KG VRS 15 64, 66; Möller/Füll Straßenverkehrsrecht I 22 (1969) § 3 StVG Rdn. 4, 5 (dort auch zur geschichtlichen Entwicklung). Hierzu Greger Haftungsrecht des Straßenverkehrs 3 (1999) § 18 StVG Rdn. 7, 22ff.

(149)

89

90

Den Fahrschüler sehen wie hier als geeigneten Täter an: OLG Hamm VRS 23 153, 154 [zu § 2 StVZO a.F.]; Geppert LK § 69 Rdn. 29; Rüth LK 10 Rdn. 9; ders. DAR 1972 57, 58; Bouska Fahrerlaubnisrecht § 3 StVG Anm. 6. AA Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 329. Nach Grohmann BA 31 (1994) 158, 159 soll es für die Täterschaft darauf ankommen, ob der Fahrschüler weisungswidrig „auf eigene Faust" handelt; das ist freilich zivilrechtlich gedacht. Geppert LK § 69 Rdn. 29; Rüth LK 10 Rdn. 9; ders. DAR 1972 57, 58; Bouska Fahrerlaubnisrecht § 3 StVG Anm. 6.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

43

ff) Führen von Pferdefuhrwerken. Führer eines Pferdefuhrwerks ist, wer die insoweit erforderlichen spezifischen Funktionen ausübt. Das sind vor allem die Führung der Zügel, der Peitsche, die Betätigung der Bremse und die typischen Zurufe, mit denen Pferde angetrieben und zum Halten gebracht werden (OLG Hamm VRS 19 367, 368 f; Rüth LK10 Rdn. 11; Mühlham!Janiszewski § 2 StVO Rdn. 6).

44

c) Im Zustand der Fahrunsicherheit. § 315c Abs. 1 Nr. 1 pönalisiert das Fahrzeugführen im Zustand der Fahrunsicherheit bei dadurch verursachtem Gefahrerfolg. Begrifflich sollte man von „Fahrunsicherheit" statt - wie weiterhin in Rechtsprechung und Schrifttum gängig - von „Fahruntüchtigkeit" oder gar von „Fahruntauglichkeit" sprechen. Denn die Termini der Fahruntüchtigkeit bzw. Fahruntauglichkeit können dahin mißverstanden werden, es sei (völlige) Untüchtigkeit bzw. Untauglichkeit zum Fahren erforderlich. Das ist jedoch nicht gemeint. Das Gesetz setzt vielmehr seinem ausdrücklichen Wortlaut nach sehr viel früher ein, nämlich dort, wo der Täter nicht mehr imstande ist, das Fahrzeug sicher zu beherrschen.91

45

aa) Begriff der Fahrunsicherheit. Fahrunsicherheit ist nach allgemeiner Meinung gegeben, wenn die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer oder körperlicher Leistungsausfalle, so weit herabgesetzt ist, daß er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (BGHSt. 13 83, 90), d. h. den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewußtes Handeln zu genügen vermag (BGHSt. 21 157, 160). Der Zustand der Fahrunsicherheit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn beim Fahrzeugführer bestimmte schwerwiegende psycho-physische Ausfallerscheinungen festzustellen sind.92 Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das unter § 316 Rdn. 11, 59 ff, 90 ff Gesagte Bezug genommen.

46

bb) Systematik. Absatz 1 Nr. 1 unterscheidet hinsichtlich der Ursachen der Fahrunsicherheit zwischen dem Genuß alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel (Buchstabe a) und geistigen oder körperlichen Mängeln (Buchstabe b). Letzteres geht auf § 2 StVZO a.F. zurück.93 In § 315a Abs. 1 i.d.F. des (1.) StraßenVSichG waren die beiden Varianten noch in zwei selbständigen Nummern eingestellt gewesen (Nummern 2 und 3). Das 2. StraßenVSichG hat diese „getrennte und überwiegend nur im sprachlichen Ausdruck unterschiedliche Regelung des Rauschzustandes auf der einen und der übrigen geistigen und körperlichen Mängel auf der anderen Seite aufgegeben" und die Regelungen unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammengefaßt; für beide Bereiche komme es nämlich einheitlich darauf an, ob der Täter fahrunsicher sei (BTDrucks. IV/651 S. 28). Auch daraus wird deutlich, daß die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit (Nummer 1 a) systematisch ein Unterfall der in Nummer 1 b beschriebenen Defektzustände 91

Engagiert in diesem Sinne MühlhaustJaniszewski § 316 Rdn. 1 und Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 265, 323, 332; Hentschel Trunkenheit Rdn. 1; Hentschel 19. VGT 1981 S. 103, 107f, alle m. w. N; Entschließung des 19. VGT (1981), VGT 1981 S. 9. Vgl. auch Lackner/Kühl Rdn. 5 und MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 33. Nochmals anders, aber ohne Gewinn in terminologischer Hinsicht, Eisenberg Beweisrecht der StPO Rdn. 1850: „Nicht-Fahrsicherheit".

92

93

Zum ganzen grundlegend BGHSt. 13 83, 90. S. auch BGHSt. 19 243, 244; 21 157, 160; 31 42,44f; 34 133. 135; 37 89, 95, 99. Aus dem Schrifttum: Seh!Schröder!Cramer § 316 Rdn. 4; Horn SK Rdn. 6; Tröndle!Fischer Rdn. 3 a; Hentschel Trunkenheit Rdn. 2; Küper BT S. 115; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 332. Kritisch Hafflce JuS 1972 448 und v. Götz Z R P 1995 246,247 f. Eingehend zur Entwicklung Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 34 ff. Die einschlägige Regelung ist heute in § 2 Abs. 1 Satz 1 FeV enthalten.

Stand: 1. 7. 2000

(150)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

zu betrachten ist, und zwar als Spezialfall des „geistigen Mangels".94 Der Gesetzgeber hat die gesonderte Normierung der „Rauschmitteltatbestände" mit Recht beibehalten. Dies erfolgte „vornehmlich aus Wertgesichtspunkten". Denn die Berauschungsfälle weichen „im Vergleich zu den Fahruntüchtigkeitsfallen infolge geistiger oder körperlicher Mängel in bezug auf ihre Vorwerfbarkeit doch ganz erheblich voneinander" ab. Darüber hinaus seien sie „bei Trennung beider Deliktstatbestände statistisch leichter auswertbar" (BTDrucks. IV/2161 S. 4). Hinzu kommt ihre außerordentliche praktische Relevanz.95 Absatz 1 Nr. 1 b tritt demgemäß konkurrenzrechtlich hinter Absatz 1 Nr. 1 a zurück. 96 cc) Rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit. Die Voraussetzungen der durch den 4 7 Konsum von Alkohol und/oder anderen berauschenden Mittel bedingten Fahrunsicherheit (Absatz 1 Nr. l a ) entsprechen denen des § 316. Auf die dortigen Ausführungen wird daher verwiesen. dd) Geistige/körperliche Mängel. Bei der Normierung des heute in Absatz 1 Nr. 1 b eingestellten Tatbestands hatte der Gesetzgeber des (1.) StraßenVSichG vor allem „die nicht unerhebliche Zahl von Kraftfahrern" vor Augen, „die schon vor langer Zeit den Führerschein erworben haben, jetzt aber infolge Krankheit oder anderer körperlicher Mängel nicht mehr in der Lage sind, sicher zu fahren" (BTDrucks. [I/J3774 S. 5).97 Auf ältere Fahrzeugführer und altersbedingte Gebrechen ist die Regelung aber naturgemäß nicht beschränkt; sie umfaßt vielmehr sämtliche geistigen (psychopathologischen) und körperlichen Defektzustände. Die forensische Bedeutung des § 315c Abs. 1 Nr. l b ist im Vergleich zu der der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit (§ 315c Abs. 1 Nr. l a ) verschwindend gering (Rdn. 1). Immerhin kommt es aber pro Jahr zu rund 1000 rechtskräftigen Verurteilungen nach dieser Vorschrift (1998: 1045). Die absoluten Zahlen überragen damit z.B. die Zahl sämtlicher Verurteilungen nach §§ 315, 315a um ein Vielfaches und reichen beinahe an die Zahl der Verurteilungen nach § 315 b heran (s. jeweils dort Rdn. 1). Die Unterscheidung zwischen geistigem und körperlichem Mangel fallt gelegentlich nicht leicht, kann aber, da gesetzlich in vollem Umfang gleichgestellt, in der Praxis dahingestellt bleiben. Selbstverständlich ist der Tatbestand auch erfüllt, wenn die Fahrunsicherheit erst aufgrund des Zusammenwirkens von geistigen und körperlichen Defekten herbeigeführt wird. Wird die Fahrunsicherheit durch Alkohol oder andere berauschende Mittel zumindest mitverursacht, so ist nur der Spezialfall nach Absatzes 1 Nr. 1 a anwendbar (Rdn. 46 a. E.). Anders als bei der verwaltungsrechtlichen Fahreignungsprüfung sind charakterliche Mängel (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG) 98 im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b nicht berücksichtigungsfähig. Genauso wenig ist mangelnde technische Beherrschung des Fahrzeugs oder Ungeschicklichkeit des Fahrzeugführers tatbestandsrelevant. 99 94

95

96

JaguschiHentschel Rdn. 17; aA Janis2ewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 266. Vgl. auch O L G Hamm N J W 1957 1567 und KG VRS 15 414, 415. Vgl. hierzu auch TröndlelFischer Rdn. 3 b; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 266. BGH VRS 41 93, 95; OLG Düsseldorf N J W 1957 1567; SchlSchröderICramer Rdn. 11, § 316 Rdn. 5.

(151)

97

98

99

Der Regelung war im Gesetzgebungsverfahren teils vorgeworfen worden, sie richte sich wesentlich gegen den Kriegsbeschädigten (hierzu Maassen N J W 1953 201). Hierzu Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 44 ff; JaguschiHentschel § 2 StVG Rdn. 12ff, § 11 FeV Rdn. 14; MühlhauslJaniszewski § 2 StVG Rdn. 10. O L G Hamm VRS 29 58, 59 [zu § 2 StVZO a. F.]; SchlSchröderICramer Rdn. 11; Tröndlel Fischer Rdn. 3 b.

Peter König

48

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

49

(1) Vorsorgemaßnahmen. Die Defekte müssen den Zustand der Fahrunsicherheit im konkreten Einzelfall auch tatsächlich bewirken. D a r a n fehlt es, wenn der Fahrzeugführer zureichende Vorsorge getroffen hat, daß er andere nicht gefährdet. § 315a Abs. 1 Nr. 3 i. d. F. des (1.) StraßenVSichG hatte dies noch gesondert zum Ausdruck gebracht. Mit dem 2. StraßenVSichG ist der diesbezügliche Zusatz als überflüssig gestrichen worden, und dies zu Recht. Wenn nämlich die Vorsorge ausreichend ist, u m Fahrsicherheit herzustellen, ist der Tatbestand nicht erfüllt. Reichen die getroffenen Vorsorgemaßnahmen hingegen nicht aus, so darf der Betreffende kein Fahrzeug führen; ungenügende Vorsorge entlastet ihn nicht (BTDrucks. IV/651 S. 28). Lediglich solch ungenügende Vorsorge stellt die Mitnahme einer Begleitperson dar, sofern der Fahrzeugführer selbst fahrunsicher ist.100 Denn der Beifahrer wird meist schon mangels entsprechender Einrichtungen im Fahrzeug, wie sie z.B. in einem Fahrschulwagen vorhanden sind, gar nicht zu einem raschen, die Gefährdung ausschließenden Eingreifen in der Lage sein; selbst bei Vorhandensein solcher Einrichtungen wird er für eine effektiv wirkende Hilfe nicht ausgebildet sein.

50

(a) Technische Hilfsmittel. Relativ unproblematisch ist der Ausgleich bestimmter körperlicher Mängel (Rdn. 53) durch technische Hilfsmittel. So kann im konkreten Einzelfall vergleichsweise leicht feststellt werden, ob die getragene Brille bzw. die getragenen Kontaktlinsen das Sehvermögen des Betreffenden soweit hergestellt hat/haben, daß Fahrsicherheit gegeben ist. Ob die Sehhilfen wirklich getragen worden sind, ist Tatfrage. Bei Beeinträchtigungen der Bewegungsfahigkeit (ζ. B. Amputation, Lähmung, Versteifung) kann eine Prothese, vor allem aber der Einbau einer Getriebeautomatik oder von SpezialVorrichtungen (etwa Knauf am Lenkrad, Hebelvorrichtungen) hinreichend Abhilfe schaffen. Ob die Hilfsmittel genügen, ist wiederum eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Frage; die darin liegende Aufgabe läßt sich ungeachtet etwaiger Nachweisprobleme bewältigen.

51

(b) Medikamente. Sehr viel schwieriger ist die Lage bei der Vorsorge durch Medikamente. Einerseits kann eine Arzneimitteltherapie den gesundheitlichen Zustand des Kranken soweit verbessern, daß dieser nunmehr imstande ist, ohne Gefahrdung anderer Fahrzeuge zu führen. Beispiele sind Arzneimittelgaben bei Diabetes oder Bluthochdruck, 101 aber auch bei Erkältungskrankheiten und bei bestimmten Schmerzzuständen, sowie die Einnahme von Schlafmitteln zur Verhinderung der Übermüdung bei temporärer Schlaflosigkeit. Auch die Gabe von Medikamenten bei geistigen Erkrankungen wie Psychosen oder epileptischen Anfallsleiden wird genannt. 102 Andererseits kann selbst ein Teil landläufig als harmlos angesehener Medikamente fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit (z.B. des Reaktions- und Wahrnehmungsvermögens) auslösen. U n d schließlich können sich Grundleiden und Nebenwirkungen von Medikamenten mit der Folge summieren, daß nicht nur keine Verbesserung der Leistungsfähigkeit erreicht wird, sondern nunmehr (erst recht) Fahrunsicherheit gegeben ist (vgl. zum ganzen Pluisch N Z V 1999 1, 3). In diesen Fällen wird deswegen die Wirkung des Medikaments selbst zum Problem des geistigen oder körperlichen Mangels, bzw. - bei Rauschmitteleigenschaft des Medikaments - des Absatzes 1 Nr. 1 a. Dies gilt bereits bei ordnungsSchl Schröder! Cramer Rdn. II; aA Lackneri Kühl Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 3c. Maatz BA 36 (1999) 145, 146; Pluisch NZV 1 9 9 9 1 , 3 Fn. 20. Schöch DAR 1996 452, 453; Pluisch NZV 1999 1, 3 Fn. 20. Die Herstellung hinreichender Fahr-

Sicherheit bei epileptischen Anfallsleiden ist zweifelhaft; hierzu Rdn. 56, dort auch zur (ungenügenden) Vorsorge bei Mitnahme von Arzneimitteln zwecks Verhinderung eines Anfalls.

Stand: 1. 7. 2000

(152)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§ 315c

gemäßem Gebrauch der Arzneimittel. Bei Mißbrauch etwa durch Überdosierung oder Kombination mit anderen schädlichen Substanzen können sich die Leistungsstörungen potenzieren (näher Rdn. 58 ff). (2) Dauernder oder vorübergehender Art. Die Mängel können dauerhafter oder 5 2 vorübergehender Natur sein. Einbezogen sind demnach Krankheiten, die die Fahrsicherheit für die Zeit ihres Bestehens, ggf. auch auf Dauer, so sehr beeinträchtigen, daß der Fahrzeugführer nicht sicher fahren kann. Anders als im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, der auf eine aktuelle Leistungsbeeinträchtigung bei Antritt der Fahrt infolge zeitnahen Rauschmittelkonsums zugeschnitten ist, sind durch Absatz 1 Nr. 1 b Krankheiten umfaßt, die zwar außerhalb akuter Phasen keine nachteiligen Wirkungen entfalten, die aber die erhebliche Gefahr jederzeit auftretender Anfälle und damit einer plötzlich eintretenden Fahrunsicherheit begründen (Anfallsleiden). 103 Hingegen ist die abstrakt bei jedem Kraftfahrer vorhandene Gefahr, während der Fahrt einen Schwächeanfall oder eine Bewußtseinstrübung zu erleiden, grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen; Fahrunsicherheit im Sinne des Gesetzes wird auch noch nicht durch die geringfügige Steigerung dieser Risiken begründet, wie sie etwa bei höherem Lebensalter oder einem allgemein angegriffenen Gesundheitszustand gegeben ist (BGHSt. 40 341, 345). (3) Körperliche Mängel (a) Dauerleiden können die Fahrsicherheit aufheben; jedoch können Ausnahmen 5 3 anzuerkennen sein. Beispielhaft sind zu nennen: Hohes Alter ist für sich genommen kein körperlicher Mangel. Zwar ist mit zunehmendem Alter in aller Regel eine Minderung des physischen Leistungsvermögens auch in Bezug auf die Teilnahme am Straßenverkehr verbunden. Dies kann jedoch oftmals durch vorsichtiges Fahren ausgeglichen werden. Dem entspricht es, daß die Zahl der durch ältere Personen verursachten Verkehrsunfälle weit hinter denen etwa der 20- bis 25jährigen zurückbleibt. 104 Altersabbau in Verbindung mit körperlichen Ausfallerscheinungen kann aber zur Fahrunsicherheit führen. 105 Die Amputation von Beinen oder Armen kann Fahrunsicherheit bewirken, desgleichen die Versteifung oder die Lähmung von Gliedmaßen; jedoch kann u. U. mittels technischer Hilfsmittel Ausgleich geschaffen werden (Rdn. 50).106 Ein an Blindheit grenzendes Augenleiden führt zu (genereller) Fahrunsicherheit, zumeist auch ein Star-Leiden. 107 Ansonsten kommt es darauf an, ob das Augenleiden durch Hilfsmittel, namentlich eine Brille hinreichend ausgeglichen werden kann (Rdn. 50).108 Nachtblindheit bzw. eingeschränktes Dämmerungssehvermögen bewirkt, daß der daran Leidende vom Anbeginn der Dämmerung sein Fahrzeug nicht mehr sicher führen kann. 109 Hingegen sind Farbenblinde nicht als Fahrzeug103

104

105

BGHSt. 40 341, 344 [Epilepsie] m. insoweit zust. Anm. FoersterlfVinckler NStZ 1995 344f und Kaalsch BA 32 (1995) 293. LacknerlKühl Rdn. 12; Rüth LK'° Rdn. 18; SchlSchröderl Cramer Rdn. 11; TröndlelFischer Rdn. 3 b. S. auch VGH Baden-Württemberg VRS 76 411, 412ff. Vgl. JaguschiHentschel § 2 StVG Rdn. 9 mit zahlreichen Nachweisen. Vgl. BayObLG NJW 1996 2045; OVG Bremen VRS 68 395, 397 ff; Jaguschi Hentschel § 2 StVG Rdn. 9; MühlhauslJaniszewski § 2 StVG Rdn. 8 b. S. auch die nachfolgende Rdn.

(153)

m

107

108

109

Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 12f, Anhang B; Bouska Fahrerlaubnisrecht § 15b StVZO Anm. 2; Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 33. Zum Fahrzeugführen nach Staroperation O L G Hamm VerkMitt. 1959 Nr. 46 S. 24f. Zu den Mindestanforderungen an das Sehvermögen im Rahmen der Eignungsprüfung vgl. § 12 FeV nebst Anlage 6; Krankheit und Kraftverkehr S. 11 und Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 26 f. Rüth LK 10 Rdn. 18; ders. in Rüth!BerrlBen StVR § 2 StVZO Rdn. 25. S. aber Himmel-

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

führer ausgeschlossen, sofern der Mangel durch Gewöhnung und ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein ausgeglichen wird. Davon ist in der Regel auszugehen. Die Verwechslungsgefahr ist überwindbar, weil die Lichtzeichen stets in derselben Reihenfolge angeordnet sind. 110 Auch Gehörlosigkeit oder eine schwere Beeinträchtigung des Hörvermögens steht der Fahrsicherheit nicht grundsätzlich entgegen. 111 Fahrunsicherheit ist gegeben bei cerebralen Einschränkungen nach mehreren Schlaganfallen, die die jederzeitige Gefahr erneuter Schlaganfalle begründen (vgl. V G H Baden-Württemberg VRS 76 411, 412 ff). Schwere Diabetes führt regelmäßig zur Fahrunsicherheit, 112 ebenso (wegen der latenten Gefahr eines Schlaganfalls) Bluthochdruck ab diastolischen Blutdruckwerten von 130mm Hg, 113 niedriger Blutdruck demgegenüber nur dann, wenn anfallsartige Bewußtseinsstörungen auftreten. 114 Selbst außergewöhnliche Schreckhaftigkeit kann fahrunsicher machen. 115 54

(b) Vorübergehende Defektzustände. Von den vorübergehenden Defektzuständen sind hervorzuheben: Fiebrige Erkrankungen können für die Dauer der Erkrankung fahrunsicher machen (vgl. Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 5), desgleichen bei hinreichender Intensität sogar Heuschnupfen (AG Gießen N J W 1954 612 m. Anm. Booß), akute Migräne, 116 Infekte im Gastrointestinalbereich oder schwere Stoffwechselstörungen etwa aufgrund von Nierenerkrankungen. 1 1 7 Entsprechendes gilt bei konkreter Wiederholungsgefahr für Ohnmachts- oder Schwächeanfälle oder Bewußtseinsstörungen aus unbekannter Ursache 1 1 8 oder f ü r den Zustand nach einem gerade überwundenen Herzinfarkt, bei dem die Gefahr eines Rückfalls besteht (LG Heilbronn VRS 52 188, 191), sowie für einen Spontanpneumothorax, also einer Gewebeschwäche, die zum Zusammenfallen eines Lungenflügels führt (BayObLG VRS 79 364, 366).

55

(4) Geistige Mängel. Der Begriff des geistigen Mangels ist weit auszulegen. Darunter fallen auch Anlagen des geistig-seelischen Bereichs. 119 Es kommt nicht darauf an, ob der Mangel bei Fahrtantritt aktuell besteht; genügend ist vielmehr, daß die Gefahr seiner plötzlichen Realisierung gegeben ist (Rdn. 52). Keine Rolle spielt, ob der geistige Mangel Krankheitswert hat oder auch nur auf einem Leiden mit Krankheitswert beruht. Jedoch ist ein geistiger Mangel sicher gegeben, wenn Defektzustände im Sinne des § 20 vorliegen.

110

111

112

reich!Hentschel Bd. II Rdn. 29 Fn. 71. Vgl. auch OVG Bremen VRS 58 296, 297 ff. Vgl. Himmelreich/Hentschel Bd. II Rdn. 29; Jaguschi Hentschel § 2 StVG Rdn. 8; Mühlhaus/ Janiszewski § 2 StVG Rdn. 8. S. aber BVerwG VerkMitt. 1966 Nr. 109 S. 58 m. insoweit abl. Anm. Booß. Näher Rüth LK'° Rdn. 18; Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 32; Jagusch!Hentschel § 2 StVG Rdn. 8; MühlhauslJaniszewski § 2 StVG Rdn. 8, alle m. w. N. Zur Schwerhörigkeit als ein Faktor zur Beurteilung der Fahreignung BVerwG VRS 74 156, 157 ff. Vgl. OVG Berlin VerkMitt. 1967 Nr. 71 S. 51; Krankheit und Kraftverkehr S. 17f; Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 35; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 7; Jaguschi Hentschel § 2 StVG Rdn. 10.

113

1,4

115

116

111

118

119

Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 14f; Himmelreich! Hentschel Bd. II Rdn. 34; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 6 (ab 140 mm HG). Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 15; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 6. Vgl. OLG Hamm VRS 17 440, 442; Himmelreich! Hentschel Bd. II Rdn. 34. Vgl. Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 34; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 5. Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 30f; Himmelreich! Hentschel Bd. II Rdn. 34. Vgl. BVerwG N J W 1965 1098; OVG Schleswig DAR 1994 40 f; Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 34; JaguschiHentschel § 2 StVG Rdn. 10. Vgl. BVerwG VRS 26 232, 233; Himmelreich! Hentschel Bd. II Rdn. 34.

Stand: 1. 7. 2000

(154)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§ 315c

(a) Seelische Störungen, Abartigkeiten. Geistige Mängel sind exogene und endogene 5 6 Psychosen.120 Paralyse, altersbedingte Hirnabbauprozesse und Störungen nach Hirnverletzungen können dementsprechend zur Fahrunsicherheit führen. Namentlich die Auswirkungen von Hirnverletzungen können je nach Schweregrad aber durch langjährige Verkehrspraxis ausgeglichen werden (Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 38). Arteriosklerose kann fahruntauglich machen, sofern sich der davon Betroffene nicht mehr hinreichend auf die jeweilige Verkehrssituation einzustellen vermag. 121 Praktisch wichtig sind epileptische Anfallsleiden. Sie schließen Fahrsicherheit in aller Regel aus. Ob den daraus herrührenden Gefahren durch Einnahme krampfhemmender Medikamente hinreichend vorgebeugt werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Fahrunsicherheit ist jedenfalls auch bei langjähriger komplikationsloser Verkehrsteilnahme gegeben, wenn die Anfälle trotz ordnungsgemäßer Einnahme der verschriebenen Medikamente in kurzen Intervallen und gerade in Belastungssituationen auftreten (BGHSt. 40 341, 346). Das Bereithalten von Medikamenten während der Fahrt ist keine zureichende Vorsorge (in diesem Sinne wohl BGH aaO S. 347; s. auch Rdn. 51). Fahrsicherheit wird allenfalls dann bejaht werden können, wenn der Betreffende ca. zwei Jahre frei von epileptischen Reaktionen ist.122 An die Selbstprüfung und Zuverlässigkeit des Betroffenen sind strenge Anforderungen zu stellen (Rdn. 65ff). 123 Narkolepsie (anfallartig eintretende, kurz andauernde Schlafsucht) macht gleichfalls regelmäßig fahrunsicher. 124 Entsprechendes gilt für Schizophrenie.125 Von den dauerhaften seelischen Störungen außerhalb endogener und exogener Psychosen sind beispielhaft zu nennen Oligophrenie (Schwachsinn), Persönlichkeitsstörungen (Psychopatien) sowie abnorme Erlebnisreaktionen (Neurosen).126 Daß Psychopathie und Neurose generell zur Fahrunsicherheit führen, kann aber nicht gesagt werden; maßgebend ist, ob sich die Erregungszustände auf die Fahrtätigkeit auswirken, was zumeist schon nicht wird bewiesen werden können (Rüth LK 10 Rdn. 20). (b) Ermüdung/Übermüdung. Eine nicht ganz unbedeutende Rolle unter den vor- 5 7 übergehenden geistigen Mängeln spielt in der Praxis die Übermüdung, hauptsächlich allerdings in Verbindung mit Rauschmittelkonsum, vor allem Alkohol. Wird ein trotz der Ermüdung an sich noch leistungsfähiger Fahrzeugführer deswegen fahrunsicher, weil er (auch geringe) Mengen von Alkohol und/oder anderen berauschenden Mitteln zu sich genommen hat, so ist nicht § 315c Abs. 1 Nr. 1 b, sondern § 315c Abs. 1 Nr. 1 a anzuwenden (näher § 316 Rdn. 129, 179). Allerdings hat (starke) Müdigkeit auch für sich genommen einen erheblichen nachteiligen Einfluß auf die psycho-physische Leistungsfähigkeit des Menschen. Dies ist in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung unumstritten. Versuche haben ergeben, daß etwa die Leistungsminderungen nach einer durchwachten Nacht annähernd denen entsprechen, die bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 %o eintreten (GrünerlLudwig!Domer BA 3 [1965/1966] 53, 55f)· Übermüdung hat u.a. eine Verlängerung der Reaktionszeit, eine erschwerte Einordnungsfahigkeit für neu auf120

121

122

Zur Klassifizierung s. Jähnke LK § 20 Rdn. 21 und 24; Lackneri Kühl §20 Rdn. 3 f. Vgl. Hessischer VGH DAR 1964 255; s. auch BGH (ZR) VRS 74 83, 86 und OLG Köln (ZR) VRS 89 421, 422 f; Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 44. Krankheit und Kraftverkehr S. 21 f; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 5 f. Oflengelassen von BGHSt. 40 341, 346.

123

124

125

126

(155)

Eingehend Himmelreich!Hentschel Bd. II Rdn. 40. S. auch Jaguschi Hentschel § 2 StVG Rdn. 10; Foerslerl Winckler NStZ 1995 344 f; Kaatsch BA 32(1995) 293. Vgl. BGHSt. 23 156, 167; HimmelreichlHentschel Bd. II Rdn. 40. Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 25 f; Himmelreichl Hentschel Bd. II Rdn. 39; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 6. Hierzu Himmelreichl Hentschel Bd. II Rdn. 37.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

tretende Situationen sowie Störungen der Aufmerksamkeitsfähigkeit und des Tiefensehens zur Folge {ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 150). Die Ursachen der Übermüdung können vielfältiger Natur sein, „das Gesamtproblem ... [ist] sehr komplex".127 Fälle, in denen Fahrunsicherheit allein wegen Übermüdung angenommen wird, dürften selten sein. Gelegentlich haben sich die Gerichte freilich mit Konstellationen zu befassen, in denen der Fahrer am Steuer einschläft und in diesem Zustand einen Unfall verursacht. In BGHSt. 23 156 hat der BGH hierzu den Erfahrungssatz anerkannt, daß ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer einschläft, stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder zumindest wahrnehmen kann.128 Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Erkenntnis, daß ein gesunder, bislang hellwacher und nicht durch den Konsum von Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen beeinflußter Mensch nicht plötzlich und ohne Vorwarnungen „vom Schlaf übermannt" wird. Frühsymptome können ζ. B. Lidschwere, Sehen von Doppelbildern, Fremdkörperreiz in den Augen o. ä. sein. Schläft der Betroffene gleichwohl ein, so hat er sich entweder über diese Warnzeichen bewußt hinweggesetzt oder er ist der ihm obliegenden Selbstbeobachtung nicht hinreichend nachgekommen . (BGH aaO S. 165f). Darin liegt sein vorwerfbares Verschulden. Hiervon ausgenommen ist die (seltene) Krankheit der Narkolepsie; ein Fahrzeugführer, der daran leidet, ist jedoch schon wegen dieser Krankheit fahrunsicher (vorstehende Rdn. a. E.). Eine weitere Ausnahme wäre der sog. „jet-lag" („Sekundenschlaf'), der nach einer Flugreise über mehrere Zeitzonen hinweg mitunter eintreten soll, und zwar plötzlich und ohne jedes Warnzeichen.129 Übermüdung ist von „bloßer" Ermüdung 130 zu unterscheiden. Müdigkeit, etwa nach langem Tagewerk, macht allein noch nicht fahrunsicher (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1976 Nr. 18 S. 13; OLG Köln DAR 1989 352, 353). Hat ein Kraftfahrer einen Verkehrsunfall erlitten und kann er sich für die Zeit vor dem Unfall nicht mehr erinnern, so ist dies kein Indiz dafür, daß er vor dem Unfall übermüdet war (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1978 Nr. 15 S. 15, 16). 58

(c) Medikamentenbedingte Defekte. Zu den geistigen Defektzuständen im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr. l b rechnen auch solche, die durch die Wirkung von Medikamenten (mit-)verursacht werden (dazu schon Rdn. 51). Anders als die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit (Absatz 1 Nr. 1 a, § 316 Abs. 1) kommt die medikamentenbedingte aber im Gesetzestext nicht gesondert zum Ausdruck. Tatbestandsrelevant ist der geistige Mangel als solcher, der sich ζ. B. in Bewußtseinsstörungen, eingeschränktem Reaktionsvermögen oder Einschränkungen der Sehkraft auswirken kann. Die Medikamenteneinnahme kann dafür die (Mit-)Ursache sein, spielt aber nur insofern eine Rolle, als sie zur richterlichen Überzeugungsbildung vom Vorliegen der Fahrunsicherheit beizutragen vermag (Rdn. 62). Bedeutung erlangt sie außerdem u. a. bei der Vorsatzprüfung sowie im Rahmen der Strafzumessung. 127

128

129

So BGHSt. 23 156, 160, unter Hinweis auf Prokop Dt. Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin Bd. 44 S. 343, 344. Ebenso BayObLG VRS 59 197, 198. Anders noch BGH VRS 5 374, 375; VRS 7 181, 182; VRS 14 361, 362; OLG Hamm VRS 25 214, 215. Hierzu OLG Koblenz bei Janiszewski NStZ 1995 584, das gleichwohl geprüft hat, ob es der

130

Betroffenen zumutbar gewesen wäre, sich über das Phänomen des „jet-lag" zu informieren; kritisch Janiszewski ebd.; s. auch Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 16. Zur Unterscheidung Ermüdung, Ermüdungsgefühl, Übermüdung, Überanstrengung und Erschöpfung Grünerl Ludwig! Domer BA 3 (1965/ 1966)53,54.

Stand: 1. 7. 2000

(156)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Bei medikamentenbedingten geistigen Mängeln muß stets der beschränkte Anwendungsbereich des Absatzes 1 Nr. l b im Auge behalten werden. Denn die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit ist Spezialfall der durch den geistigen Mangel verursachten und geht dieser vor (Rdn. 46 a. E.). Absatz 1 Nr. 1 b kommt deshalb nicht zum Zuge, sofern das Medikament Substanzen enthält, die als „andere berauschende Mittel" anzusehen sind (Rdn. 59). Das gleiche gilt dann, wenn der Fahrzeugführer unter der Wirkung mehrerer leistungsbeeinträchtigender Substanzen steht, von denen wenigstens eine Rauschmittelqualität aufweist und die Fahrunsicherheit (mit-)verursacht hat (Mischintoxikation; Rdn. 60). In den genannten Fällen ist nur Absatz 1 Nr. l a anzuwenden. Der Begriff des Rauschmittels bildet nicht nur die Scheidelinie zwischen § 315c Abs. 1 Nr. 1 a und b, sondern nicht selten auch die Scheidelinie zwischen Strafbarkeit und Sanktionslosigkeit. Während nämlich für das Fahrzeugführen im Zustand rauschmittelbedingter Fahrunsicherheit der abstrakte Gefährdungstatbestand des § 316 zur Verfügung steht, setzt § 315c stets den (schuldhaft herbeigeführten) Gefahrerfolg voraus. Fehlt es daran, also bei folgenloser Fahrt in medikamentenbedingtem Defektzustand, kann nur noch der Bußgeldtatbestand nach § 2 Abs. 1 Satz 1, § 75 Nr. 1 FeV eingreifen.131 Er wird allerdings in der Praxis kaum beachtet. 132 (aa) Abgrenzungskriterium: Rauschmittel. Inwieweit der Defektzustand nach 5 9 Medikamenteneinnahme als „geistiger Mangel" im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. l b relevant wird, hängt nach dem vorstehend Gesagten entscheidend von der Auslegung des Merkmals der „anderen berauschenden Mittel" nach § 315c Abs. 1 Nr. l a ab. Rauschmittel sind dabei nach h. M. solche zentralwirksamen Substanzen, die in ihren Auswirkungen denen des Alkohols vergleichbar sind und die zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens sowie der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten führen (vgl. BGH VRS 53 356; § 316 Rdn. 140). Hierzu zählen grundsätzlich die in den Anlagen I bis III zum BtMG als Betäubungsmittel definierten Stoffe und Zubereitungen; u. a. Schmerzmittel und Antirheumatika, die Opiate/Opioide enthalten, sind als Rauschmittel anzusehen (im einzelnen § 316 Rdn. 142, 144fF). Rauschmitteleigenschaft weisen aber auch zahlreiche Psychopharmaka im engeren Sinn sowie Hypnotika/Sedativa auf, und dabei vor allem solche, die einen Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine (ζ. B. Valium®) oder der (nicht mehr so verbreiteten) Barbiturate enthalten (näher § 316 Rdn. 169ff). Nach derzeitigem Kenntnisstand handelt es sich bei Medikamenten aus diesen Arzneimittelgruppen um die praktisch für die Verkehrssicherheit bedeutsamsten. Daraus wird deutlich, daß die Thematik „Medikamente im Straßenverkehr" von der tatsächlichen Relevanz her gesehen nicht in erster Linie ein Problemkreis des „geistigen Mangels", sondern ein solcher der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit ist. (bb) Ausgrenzung der Mischintoxikation. Eine weitere, praktisch außerordentlich 6 0 relevante Einschränkung erfahrt der Tatbestand des Absatzes 1 Nr. 1 b dadurch, daß in der Lebenswirklichkeit mit dem Medikamentenmißbrauch oftmals der Mißbrauch berauschender Mittel einhergeht. Im Vordergrund steht dabei der gleichzeitige Aikoholeinfluß. Liegt eine nicht nur minimale, von den Wirkungen her gesehen letztlich zu vernachlässigende Alkoholkonzentration vor, so wird der Medikamenteneinfluß für die Feststellung der Fahrunsicherheit in den Hintergrund gedrängt. Die Rechtsprechung prüft dann alkoholbedingte Fahrunsicherheit (§316 Rdn. 179). Bei BÄK-Werten über 131

Nach Schach DAR 1996 452, 454 handelt es sich dabei um eine „richtige" Strafbarkeitslücke.

(157)

132

Maatz BA 36 (1999) 145, 147; Schöch DAR 1996 452, 456.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

dem absoluten Grenzwert ist der zusätzliche Medikamenteneinfluß für die Tatbestandserfüllung (nicht aber für die Schuldfähigkeit) irrelevant. Ansonsten ist er u. U. als zusätzliches Beweisanzeichen für das Vorliegen alkoholbedingter („relativer") Fahrunsicherheit zu bewerten (§316 Rdn. 130 ff). Entsprechendes gilt, wenn zum Medikamenteneinfluß die Wirkung anderer berauschender Mittel als Alkohol hinzutritt (§ 316 Rdn. 147). 61

(cc) Arzneimittel ohne berauschende Wirkstoffe. Für Absatz 1 Nr. 1 b verbleiben nach dem vorstehend Gesagten Konstellationen, in denen der geistige Mangel und die dadurch bedingte Fahrunsicherheit ausschließlich durch solche Arzneimittel verursacht worden sind, die keine Rauschmitteleigenschaft aufweisen. Die Prüfung, ob solche „sonstigen" Arzneimittel in Verbindung mit der aktuellen Konstitution und Disposition des Fahrzeugführers zur Aufhebung der Fahrsicherheit geführt haben, muß dabei unter Hinzuziehung eines Sachverständigen jeweils im Einzelfall durchgeführt werden. Gesagt werden kann, daß Medikamente mit potentiell nachteiliger Wirkung auf die psycho-physische Leistungsfähigkeit in reicher Zahl existieren,133 wobei fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen um so eher auftreten, je sedierender das Medikament wirkt (§316 Rdn. 134). Aufgrund der (ständig zunehmenden) Fülle von einschlägigen Arzneimitteln, die in ihrer Zusammensetzung überdies ständig fortentwickelt werden, würde eine auch nur annähernd vollständige Zusammenstellung das Maß des Machbaren sprengen (hierzu auch, mit Hinweisen auf die vorhandene Spezialliteratur, § 316 Rdn. 169). Lediglich beispielhaft sollen von den Arzneimittelgruppen, die zwar fahrsicherheitsrelevante Wirkungen zu entfalten vermögen, jedoch nur zum geringeren Teil Wirkstoffe mit Rauschmittelcharakter enthalten, Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Mittel sowie Muskelrelaxanthien genannt werden (Schöch DAR 1996 452, 454).

62

(dd) Kein „absoluter" Grenzwert. Wie bei illegalen Drogen und bei Medikamenten mit Rauschmittelcharakter (§ 316 Rdn. 148, 175) existiert auch für die „sonstigen" Arzneimittel unbestritten kein Grenzwert „absoluter Fahrunsicherheit". Ein solcher wird sich „angesichts der Vielfalt der Wirkstoffe und ihrer Kombinationen sowie der individuellen Unterschiede bei den Dosiswirkungen und den Eliminationszeiten" 0Schöch DAR 1996 452, 455) wohl auch in Zukunft nicht finden lassen. Der Richter muß sich deshalb wie im Rahmen der alkoholbedingten „relativen Fahrunsicherheit" (§ 316 Rdn. 90 ff) und bei illegalen Drogen/berauschenden Medikamenten (§ 316 Rdn. 154 ff; 175) im Wege des Indizienbeweises eine Überzeugung davon bilden, ob Fahrunsicherheit gegeben ist. Wie dort ist dabei entscheidend, ob aussagekräftige Ausfallerscheinungen vornehmlich im Fahrverhalten, aber auch im Vor-, Begleit- und Nachtatverhalten feststellbar sind, die hinreichendes Zeugnis für die Aufhebung der im Verkehr erforderlichen Leistungsfähigkeit liefern. Daß der Täter zur Tatzeit unter dem Einfluß von Medikamenten gestanden hat, ist dabei nur mittelbar insofern relevant, als Tatsache und Ausprägung des Defektzustands ggf. aufgrund der Wirkungsweise des betreffenden Medikaments durch den Sachverständigen erklärt werden können.

63

(5) Drogenabhängigkeit/Echorausch. Geistiger Mangel im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. l b ist auch die Abhängigkeit von Drogen (Alkohol, illegalen Drogen, Arznei133

Instruktiver Überblick über die verschiedenen Arzneimittelgruppen bei Ulbricht Rauschmittel im Straßenverkehr S. 244ff. Über die leistungs

beeinträchtigenden Wirkungen der sonstigen Arzneimittel ist damit aber natürlich noch nichts gesagt.

Stand: 1. 7. 2000

(158)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

mittein) 134 einschließlich der damit einhergehenden körperlichen und geistigen Verfallserscheinungen. Zwar ließe der Wortlaut des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a (und der § 315a Abs. 1 Nr. 1, § 316) auch die Auslegung zu, daß der durch die Abhängigkeit bedingte Defektzustand rauschmittelbedingt ist; jedoch entsprechen Antritt und Durchführung der Fahrt in aktuell drogenfreiem Zustand nicht dem Tatbild dieser „Rauschmitteltatbestände". Auf die Ausführungen unter § 316 Rdn. 158, 165 wird Bezug genommen. Ob mit Methadon substituierte Drogenabhängige als fahrsicher eingestuft werden können, unterliegt unterschiedlicher Beurteilung. Das Gutachten Krankheit und Kraftverkehr (S. 29) hält Fahrsicherheit unter Methadoneinfluß zwar nicht für ausgeschlossen, allerdings nur in „seltenen Ausnahmefallen" und unter strengsten Vorkehrungen. 135 Ebenfalls dem geistigen Mangel zuzurechnen sein dürfte der Antritt der Fahrt nach länger zurückliegendem Drogenkonsum, bei dem die Gefahr des sog. Echorauschs („flash back") besteht. Das Phänomen wird vor allem im Zusammenhang mit dem Konsum von LSD erörtert. Wegen der näheren Einzelheiten s. § 316 Rdn. 159 m. w. N. (6) Bezugspunkt des Schuldvorwurfs. Nicht selten ermangelt es dem durch einen 6 4 körperlichen oder geistigen Mangel beeinträchtigten Fahrzeugführer in dem Zeitpunkt, in dem der Mangel in einer akuten Krisensituation kulminiert, an der Schuldfähigkeit. Mitunter fehlt es gar an einer Handlung im strafrechtlichen Sinne. Der erstgenannte Fall kann z.B. gegeben sein, wenn ein vor der Fahrt eingenommenes Medikament während der Fahrt einen die Schuldfähigkeit aufhebenden Zustand bewirkt oder wenn mit derselben Folge aufgrund eines psychotischen Schubs Bewußtseinsstörungen eintreten. An einer Handlung würde es beispielsweise fehlen beim übermüdeten Fahrer, der am Steuer „eingenickt" ist (vgl. auch Horn SK Rdn. 32), desgleichen bei dem an einem Herzleiden oder an einem epileptischen Anfallsleiden Erkrankten, der eine Herzattacke bzw. einen Krampfanfall 1 3 6 erleidet und deswegen die Gewalt über das Fahrzeug verliert. (a) Antritt der Fahrt/Weiterfahrt. Für den (Fahrlässigkeits-)Schuldvorwurf im 6 5 Rahmen des § 315c ist die Handlungsqualität bzw. die Schuldfahigkeit im Zeitpunkt der temporären Krisensituation irrelevant, ohne daß die Rechtsfigur der actio libera in causa (Rdn. 68) bemüht werden müßte. 137 Begibt sich der Betreffende trotz seines Zustandes mit einem Fahrzeug in den Verkehr, so liegt hierin sein objektiv pflichtwidriges Verhalten (BGHSt. 40 341, 345 f; sog. Übernahmefahrlässigkeit); entsprechend ist es zu beurteilen, wenn er weiterfahrt, obwohl er Anzeichen herannahender Fahrunsicherheit an sich bemerkt (BGHSt. 21 156, 165f)- Der Fahrzeugführer weiß in der Regel auch um das Bestehen eines körperlichen oder geistigen Defektzustandes. Dies

134

135

Vgl. Krankheit und Kraftverkehr S. 26f; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 7. Mehr als einjährige Methadonsubstitution, psychosoziale, stabile Integration, Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen einschließlich Alkohol seit mindestens einem Jahr, keine Störung der Gesamtpersönlichkeit. S. auch OVG Hamburg VRS 93 157, 158 ff; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 30; Gastpar in: Drogen und Verkehrssicherheit S. 65, 70; Gebert MedR 1994 483, 485. Zurückhaltend Maatz BA 36 (1999) 145, 146f.

(159)

136

137

S. den BGHSt. 40 341 zugrunde liegenden Fall; zur Handlung bei epileptischen Anfallen OLG Schleswig VRS 64 429, 431. S. auch Jähnke LK §20 Rdn. 1. BGHSt. 40 341, 343 [zu den Ausführungen des BGH betreffend die Beurteilung der Schuldfähigkeit kritisch Foersterl Winckler NStZ 1995 344, 345]. Abweichend zur Anknüpfung OLG Schleswig VRS 64 429, 431 [betreffend die fahrlässige Körperverletzung).

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

gilt namentlich bei dauernden Gebrechen. Allerdings wird man aufgrund dieses Wissens nur selten auf zumindest bedingten Vorsatz schließen können (Rdn. 189). 66

(b) Gehörige Selbstprüfung. Hinsichtlich der subjektiven Sorgfaltspflichten stellt die Rechtsprechung wegen der im Straßenverkehr erwachsenden hohen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer generell strenge Anforderungen. Der Fahrzeugführer, insbesondere der Kraftfahrer, muß sich vor Antritt der Fahrt stets vergewissern, daß er den Anforderungen des Straßenverkehrs (noch) gewachsen ist. Je eher der Betroffene nach seiner Konstitution mit einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit rechnen muß, desto schärfer sind die Anforderungen an die gebotene Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle. Erhöhte Anforderungen sind beispielsweise bei altersbedingten Ausfallerscheinungen, Ermüdung, Erkrankung, gerade überstandener Operation, Anfallsleiden usw. zu stellen.138 Allerdings ist stets weiter zu prüfen, ob der betreffende Mangel, ggf. in Verbindung mit weiteren Umständen, den Täter außerstande gesetzt hat, seinen Sorgfaltspflichten nachzukommen. Es existiert dabei kein Erfahrungssatz des Inhalts, daß der Betroffene stets zu gehöriger Selbstprüfung in der Lage ist, also unterlaufene Fehler und die Fahrsicherheit insgesamt subjektiv richtig einzuschätzen vermag. Ob der Täter die objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraussehen und vermeiden konnte, muß nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten, nach seiner Intelligenz und seiner Selbstkritik beurteilt werden (BayObLG NJW 1996 2045). Die Anforderungen an die zumutbare verkehrsmäßige Sorgfalt bezüglich der persönlichen Voraussichts- und Motivationspflicht können dabei durch Angstgefühle, Aufregung und Bestürzung über eine plötzlich eintretende Verschlechterung und auch durch das Bewußtsein, mit anderen Mitteln als mit dem Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Arzt zu kommen, vermindert sein (BayObLG VRS 79 364, 366). Hinsichtlich der Feststellung eines Sorgfaltsverstoßes hat der Tatrichter einen durch die Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum (BayObLG aaO S. 365 f)·

57

(c) Kasuistik. Schleichender Altersabbau ist nicht ohne weiteres erkennbar (BayObLG NJW 1996 2045). Bei einem an einem Anfallsleiden Erkrankten kann es an der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit fehlen, wenn dieser nur über bedingte Krankheitseinsicht verfügt und vom behandelnden Arzt nicht hinreichend belehrt worden ist (BGHSt. 40 341, 348 f). Ebenso kann es liegen, wenn der Kraftfahrer von seinem Arzt nach einer Augenoperation die Auskunft erhalten hat, seine Sehfahigkeit sei „hundertprozentig" wieder hergestellt (OLG Hamm VerkMitt. 1959 Nr. 46 S. 23, 24). Demgegenüber ist Vorwerfbarkeit gegeben, wenn der Kraftfahrer nach einem kurz zuvor erlittenen Herzanfall mit einer erneuten Herzattacke rechnen mußte, worüber er auch belehrt worden ist (LG Heilbronn VRS 52 188, 191). Bei der Einnahme von Medikamenten (Rdn. 58 ff) kommt es auch darauf an, ob Störungen der Fahrsicherheit zu den typischen, atypischen oder extrem seltenen Nebenwirkungen gehören.139 Mit B G H (jeweils 6. Zivilsenat) VersR 1955 342, 343; VersR 1959 445, 446 [Ermüdung]; VersR 1967 808 [Sehvermögen]; VRS 74 83 [altersbedingte Ausfallerscheinungen in Verbindung mit Grippe]; BGHSt. 21 156, 165f [Ermüdung]; BGHSt. 40 341, 343 [epileptisches Anfallsleiden]; BayObLG NJW 1996 2045 [altersbedingte Ausfallerscheinungen]; OLG Hamm VerkMitt. 1959 Nr. 46 S. 23, 24; O L G Koblenz VRS 59 199, 203 [Einnahme eines die FahrSicherheit beeinträchtigenden Schmerzmittels];

139

LG Heilbronn VRS 52 188, 191 [Gefahr neuer Herzattacke nach kurz zuvor erlittenem Herzinfarkt]. MühlhauslJaniszewski Rdn. 15; Saiger DAR 1986 383, 390f. Maatz BA 36 (1999) 145, 150, dort (S. 151 ff) auch zu den Pflichten des Arztes und den strafund zivilrechtlichen Folgen ihrer Verletzung; Schewe BA 18 (1981) 265, 266. S. auch Schulz/Hein in: Medikamente im StraßenverkehrS. 189 ff.

Stand: 1.7. 2000

(160)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Nebenwirkungen, die auf dem sog. „Beipackzettel" nicht aufgeführt sind, muß der Patient nicht rechnen, es sei denn, er ist vom Arzt mündlich auf die spezifischen Gefahren bei einer Verkehrsteilnahme hingewiesen worden. Hingegen ist subjektive Sorgfaltswidrigkeit gegeben, wenn sich der Betroffene über einen im „Beipackzettel" enthaltenen Warnhinweis 140 hinwegsetzt oder einen solchen Beipackzettel erst gar nicht zur Kenntnis nimmt. 141 Erst recht ist der Schuldvorwurf bei einer ausdrücklichen Warnung durch den Arzt oder durch ärztliches Personal begründet; sind die Warnungen hinreichend strikt formuliert, so kann nach Lage des Einzelfalls auch einmal die Annahme bedingten Vorsatzes in Betracht kommen ( T o l k s d o r f 3 3 . VGT 1995 S. 79, 89). (7) Actio libera in causa. Das Rechtsinstitut der actio libera in causa ist dadurch 6 8 gekennzeichnet, daß der Täter zur Zeit der Tat schuldunfähig ist, gleichwohl aber strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, weil er sich in (noch) verantwortlichem Zustand schuldhaft in den Defektzustand versetzt und dadurch einem Tatgeschehen seinen Lauf gegeben hat, das er in seinen Vorsatz aufgenommen bzw. in Bezug auf das er fahrlässig gehandelt hat. 142 Bereits daraus wird deutlich, daß der geistige oder körperliche Mangel im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. l b von vornherein kein rechtes Anwendungsfeld für die actio libera in causa bietet. Anders als bei der Berauschung kann der Betroffene für die meisten körperlichen oder geistigen Mängel nämlich zumeist nichts, womit es schon an der schuldhaften Herbeiführung des Defektzustands fehlt. Ist der Fahrzeugführer bei Antritt der Fahrt noch schuldfahig, so bedarf es der Heranziehung der actio libera in causa überdies nicht, weil der Schuldvorwurf an das (Weiter-)Fahren trotz des Defektzustands anknüpft (Rdn. 64ff). Ein Anwendungsbeispiel für das Rechtsinstitut wäre etwa der (wohl sehr seltene) Fall, in dem der Betroffene ein Medikament einnimmt, das kein Rauschmittel ist (sonst Absatz 1 Nr. 1 a), und deswegen noch vor Antritt der von ihm geplanten Fahrt schuldunfähig wird. Kommen die Grundsätze der actio libera in causa überhaupt in Betracht, so ist der Rechtsprechung der Rückgriff auf dieses Institut seit der grundlegenden Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH in BGHSt. 42 235 (S. 238 ff) faktisch verschlossen. Für § 315c StGB (und § 21 StVG) hat der 4. Strafsenat die Auffassung vertreten, daß sich eine Ausdehnung strafrechtlicher Schuld auf dem Fahrzeugführen vorgelagerte Verhaltensweisen nach der gesetzlichen Umschreibung der Tathandlung (hierzu Rdn. lOf) verbiete, weswegen sowohl die sog. „Tatbestandslösung" als auch das Modell der mittelbaren Täterschaft (zu beidem Jähnke LK § 20 Rdn. 77 f) ausscheiden müßten (BGHSt. 42 235, 239f)· Das „Ausdehnungsmodell" 143 und das „Ausnahmemodell" (befürwortend Jähnke LK § 20 Rdn. 78) hat der BGH aus grundsätzlichen Erwägungen verworfen, letzteres wesentlich unter Hinweis auf einen damit verbundenen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 G G verbürgte Gesetzlichkeitsprinzip (BGHSt. 42 235, 240 ff). Die Entscheidung des 4. Strafsenats beansprucht naturgemäß auch Gültigkeit 140

141

Zur Gestaltung der Warnhinweise kritisch Pluisch NZV 1999 1, 2. Hierzu auch die Empfehlung des 37. VGT 1999, die Hinweise verbrauchergerechter zu formulieren (37. VGT 1999 S. 8). Vgl. O L G Hamburg BA 19 (1982) 470, 472 [zu § 323a]; O L G Koblenz VRS 59 199, 203; O L G Köln VRS 32 349, 351; alle zu Medikamenten mit Rauschmitteleigenschaft, teils speziell zu Wirkungsverstärkungen bei gleichzeitigem Alko-

(161)

142

143

holgenuß. Saiger DRiZ 1986 383, 389, 390f; Schock DAR 1996 452, 455. Anders noch O L G Stuttgart N J W 1966 410. Die Einzelheiten sind sehr umstritten. Zur actio libera in causa s. nur Jähnke LK § 20 Rdn. 76ff; Lackneri Kühl Rdn. 25 ff; Sehl Schröder!Lenckner Rdn. 32 ff; TröndlelFischer § 20 Rdn. 18 ff, alle mit zahlreichen Nachweisen. Erweiternde Interpretation des Merkmals „bei Begehung der Tat" in § 20.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

für § 316. Im Verkehrsstrafrecht existiert die actio libera in causa in der Praxis demgemäß nicht mehr. Deren Wegfall hat sich nicht als nachteilig erwiesen. Die relevanten Fälle können nach den Erfahrungen mit § 323 a zutreffend erfaßt werden (§316 Rdn. 230). Dem Urteil des 4. Strafsenats steht ein nicht näher begründeter Beschluß des 3. Strafsenats (NStZ 1997 230 m. zust. Anm. Hirsch ebd. und JR 1997 391) gegenüber, in dem ausdrücklich „an den vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen zur actio libera in causa" festgehalten wird. Das würde an sich auch die Anwendung dieser Grundsätze auf die §§ 315c, 316 (vgl. BGH VRS 21 45, 47; BGHSt. 17 333, 335)144 und sonstige verhaltensgebundene Straftaten einbeziehen. Eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen hat der 3. Strafsenat gleichwohl nicht für erforderlich gehalten, und zwar auch nicht unter dem Aspekt des § 132 Abs. 4 GVG. Gerade wenn man die durch BGHSt. 42 235 entfachte Welle von oftmals diametral auseinanderlaufenden Äußerungen der Literatur berücksichtigt,145 wäre eine Vorlage aber sachgerecht gewesen. Gegenwärtig ist ein Zustand der Rechtsunsicherheit zu konstatieren, der freilich Straftaten außerhalb der §§ 315c, 316 betrifft (s. oben). Trotz dieses unerfreulichen Schwebezustands wird der Gesetzgeber wohl zunächst die weitere Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung abwarten wollen.146 Denn eine gesetzlich normierte Ausnahme vom Koinzidenzprinzip in § 20, wie sie ζ. B. im Strafrecht der ehemaligen DDR, aber auch im Strafrecht der Schweiz und von Österreich enthalten war bzw. ist,147 wirft ihrerseits Probleme mit Blick auf den Schuldgrundsatz auf.148 Die in der 13. Legislaturperiode des BT durch den (vormaligen) Bundesminister der Justiz eingesetzte Expertenkommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems empfiehlt im Anschluß an Vorschläge Hetlingers eine gesetzliche Normierung (der im März 2000 übergebene Abschlußbericht ist unter der Homepage des BMJ abrufbar [www.bmj.bund.de; „Gesetzgebungsvorhaben"]). Die mit der actio libera in causa zusammenhängenden Aspekte gehören in den Kontext des Allgemeinen Teils. Im Hinblick darauf soll eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Dimensionen der Thematik an dieser Stelle unterbleiben. 69

2. Grob verkehrswidrige und rücksichtslose Verkehrsverstöße (Absatz 1 Nr. 2). Absatz 1 Nr. 2 pönalisiert abstrakt gesehen besonders gefahrliche Regelverstöße im Straßenverkehr (die sog. „Todsünden"). Die forensische Bedeutung des in Nummer 2 beschriebenen Fehlverhaltens ist dabei im Vergleich zu den „Berauschungsfällen" nach Absatz 1 Nr. l a zwar nicht groß (Rdn. 1), keinesfalls aber zu vernachlässigen. Der durch die Ergebnisse der Unfallforschung maßgebend beeinflußte Katalog ist abschließend (Entstehungsgeschichte). Eine generelle Regelung, wie sie mit dem „ähnlichen, ebenso gefahrlichen Eingriff" in § 315 Abs. 1 Nr. 4, § 315b Abs. 1 Nr. 3 ent144

145

146

Zu diesen beiden Entscheidungen Spendet JR 1997 133, 136. Literaturnachweise bei LacknerlKühl § 20 Rdn. 25ff und TröndlelFischer § 20 Rdn. 19 ff; zusammenfassend Hettinger Referat für die Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (zur Veröffentlichung in der Reihe „Reform des Sanktionenrechts" vorgesehen). Die Gesetzentwürfe des BR (BTDrucks. 14/759) und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (BTDrucks. 14/545) sind nicht durch BGHSt. 42

147

148

235 ausgelöst worden; der letztere, der einen Vorschlag Nacks aufgreift, würde die actio libera in causa im Ergebnis aber entbehrlich machen. Harsche Kritik hieran bei Hettinger (wie Fn. 145): „... ein Grabstein für alle ... Bemühungen um ein schuldangemessenes Strafen." Ausländische Modelle bei Hettinger wie Fn. 145. Hirsch JR 1997 391; Tröndlel Fischer § 20 Rdn. 19.

Stand: 1.7. 2000

(162)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§

315c

halten ist, existiert hier ebensowenig wie ein umfassender Blankettatbestand entsprechend § 315a Abs. 1 Nr. 2.149 Der Katalog ist seit seiner Schaffung durch das (1.) StraßenVSichG mehrfach erweitert worden (Entstehungsgeschichte und unten bei den einzelnen Nummern). Reformvorschläge der jüngeren Vergangenheit, ihn um das zu schnelle Fahren trotz angekündigter Gefahrenstelle 150 bzw. generell um das (erhebliche) Überschreiten der höchstzulässigen Geschwindigkeit 151 zu erweitern, haben sich zu Recht nicht durchgesetzt. Als zusätzliches, die Strafbarkeit einschränkendes Korrektiv hat der Gesetzgeber des (1.) Straßen VSichG das (umstrittene) Begriffspaar „grob verkehrswidrig und rücksichtslos" (Rdn. 131 ff) in den Tatbestand aufgenommen. Zum grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Regelverstoß hinzu kommen muß - wie durchgehend bei § 315c - der schuldhaft herbeigeführte Gefahrerfolg (Rdn. 150ff). a) Die einzelnen Verkehrsverstöße aa) Nichtbeachtung der Vorfahrt (Nummer 2 a). Nummer 2 a stellt das Fahren unter Mißachtung der Vorfahrt unter Strafe. Es handelt sich demgemäß nicht um ein (echtes) Unterlassungsdelikt, sondern um ein Begehungsdelikt (Horn SK Rdn. 10). Unter den Regelverstößen nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 nimmt der Vorfahrtverstoß in der forensischen Praxis die „zweite Stelle" ein, freilich mit weitem Abstand hinter Regelverstößen nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b (falsches Fahren beim Überholvorgang; Rdn. 1). 1998 ist es zu 305 rechtskräftigen Verurteilungen wegen Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 a gekommen.

70

(1) Begriff der Vorfahrt. Nach ganz h. M. betrifft der Begriff der Vorfahrt im 71 Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2a all die Verkehrsvorgänge, bei denen die Fahrlinien verschiedener Verkehrsteilnehmer aufeinandertreffen oder einander doch gefahrlich nahekommen würden, wenn sie ihre Fahrweise und Fahrtrichtung beibehielten; maßgebend ist in solchen Verkehrslagen, ob das Gesetz (die StVO) einem Verkehrsteilnehmer den Fahrtvorrang vor einem anderen einräumt (sog. erweiterter Vorfahrtbegriff; grundlegend BGHSt. 11 219, 221 ff).152 Die Begriffsbestimmung geht damit über den Vorfahrtbegriff der StVO hinaus. Sie erfaßt nicht nur den „klassischen" Fall des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO, in dem die Fahrlinien mehrerer Verkehrsteilnehmer, die sich aus verschiedenen öffentlichen Straßen aufeinander zu bewegen, und den in der Zu diesbezüglichen Bestrebungen im Gesetzgebungsverfahren zum (1.) Straßen VSichG vgl. Entstehungsgeschichte. So ein Gesetzesantrag des Landes Hessens (BRDrs. 400/93). Der Vorschlag wirft u. a. mit Blick auf die Vielzahl der Gefahrzeichen (s. § 40 StVO) Bedenken unter dem Aspekt der Bestimmtheit und des Übermaßverbots Staatlichen Strafens auf. So ein Gesetzesantrag des Landes Brandenburg (BR-Drs. 542/93). U.a. steht dem entgegen, daß die Entscheidung für oder gegen die Strafbarkeit bei einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe von einem km/h mehr oder weniger abhängen würde, wobei auch Nachweisprobleme namentlich in subjektiver Hinsicht sowie bezüglich des Zusammenhangs des Regelverstoßes mit dem Gefahrerfolg zu (163)

152

bedenken sind. Zudem könnte sich ein starres Abheben auf die höchstzulässige Geschwindigkeit sogar kontraproduktiv auswirken („Heranfahren" an die Höchstgrenze in Situationen, in denen selbst die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu hoch ist, ähnlich dem „Herantrinken" an die „Promillegrenze"). Kritisch zu einem früheren, gleichgerichteten Vorschlag NordrheinWestfalens (BR-Drucks. 227/89) mit Recht Geppert BA 27 (1990) 23, 26 f. S. auch BGHSt. 13 129, 132f; BGH VRS 38 100, 102; BayObLGSt. 1958 252; OLG Hamm N J W 1957 1528; O L G Oldenburg VRS 42 34, 35 f; KG VRS 46 192, 193; OLG Düsseldorf VRS 66 354, 355. Horn SK Rdn. 10; Lackneri Kühl Rdn. 13; SchlSchröderICramer Rdn. 16; TröndlelFischer Rdn. 5; MühlhausUaniszewski Rdn. 21.

Peter König

S 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

StVO auch so bezeichneten Vorfahrtfall des § 18 Abs. 3 StVO,153 sondern auch Konstellationen, in denen sich die Verkehrsteilnehmer auf derselben Straße bewegen oder in denen ein Verkehrsteilnehmer aus einem Grundstück ausfahren will (BGHSt. 11 219, 223). Der herrschenden Lehre wird wegen der Einbeziehung der „vorfahrtähnlichen Lage" von einer Mindermeinung ein Verstoß gegen das Analogieverbot vorgeworfen; der Vorfahrtbegriff werde hierdurch überdehnt.154 Die Kritik ist jedoch nicht berechtigt. Denn beim Begriff der Vorfahrt in § 315c Abs. 1 Nr. 2a handelt es sich um ein aus sich heraus verständliches normatives Tatbestandsmerkmal,155 dessen Auslegung nicht strikt der Interpretation des (zumal untergesetzlichen) Vorfahrtbegriffs der StVO folgen muß,156 sondern im Strafrecht ein eigenes Schicksal nehmen kann. Maßgebend ist, ob Wortlaut und Wortsinn die einschlägigen Konstellationen abdecken, was - auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch - der Fall ist. Hinzu kommt, daß § 18 Abs. 3 StVO, der auch von der Mindermeinung als strafrechtlich relevanter Vorfahrtfall angesehen wird, von „Vorfahrt" spricht, obwohl sich die Fahrzeuge dort auf derselben Straße, wenn auch auf verschiedenen Fahrbahnen, bewegen. § 18 Abs. 3 StVO mag mit der besonderen Beschaffenheit von Autobahnen und Kraftfahrstraßen zusammenhängen (Demuth JurA 1971 383, 386), erschüttert aber gleichwohl die Charakterisierung des Zusammentreffens aus verschiedenen Straßen als essentielles Begriffselement der „Vorfahrt" und zumal den Vorwurf der Überdehnung des Wortlauts des Gesetzes. Die Gesetzgebungsgeschichte spricht nicht gegen die h. M.157 72

(a) Fälle der Vorfahrt. § 315c Abs. 1 Nr. 2a ist danach über die Fälle der § 8 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 3 StVO hinaus anwendbar, wenn der an einem haltenden Fahrzeug, einer Absperrung oder an einem sonstigen Hindernis links vorbeifahrende Fahrzeugführer den Vorrang des entgegenkommenden Verkehrs (§ 6 Satz 1 StVO) verletzt (KG VRS 46 192, 193 f)· Entsprechendes gilt, wenn der Linksabbieger den Fahrtvorrang eines entgegenkommenden Fahrzeugs verletzt, und zwar auch dann, wenn er nach links in ein Grundstück einfahren will (§ 9 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StVO).158 Nicht anders dürfte der Fahrtvorrang der in gleicher Richtung fahrenden Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Radfahrer (§ 9 Abs. 3 Satz 1 StVO)159 sowie der Linienbusse und sonstigen Fahrzeuge, die Sonderfahrstreifen benutzen (§ 9 Abs. 3 Satz 2 StVO), zu beurteilen sein. Eine Vorfahrtverletzung ist auch gegeben, wenn der aus einem Grundstück Ausfahrende bzw. Anfahrende den Vorrang des fließenden Verkehrs verletzt (§ 10 Satz 1 StVO).160 Ebenso ist der Vorrang von Schienenbahnen (§ 19 StVO) und von Fahrzeugen mit Sonderrechten (§ 35, § 38 Abs. 1 StVO) umfaßt (BGHSt. 11 219, 223). Die Vorfahrt verletzt des weiteren, wer die (alleinstehenden) Zeichen 205 oder 206161 mißachtet oder sich an einer durch Zeichen 208162 gekennVorfahrtsrecht des Verkehrs auf der durchgehenden Fahrbahn von Autobahnen und Kraftfahrstraßen, z.B. bei Einordnung von einem Parkplatz oder der Standspur aus. So Jaguschi Hentschel Rdn. 29; weitgehend ebenso Demuth JurA 1971 383, 384ff. Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung zum echten Blankett s. nur Sehl Schröder! Cramer § 15 Rdn. 103 m. w.N. BVerfG NJW 1995 315, 316 [zum Begriff des Überholens]. Insoweit auch Demuth JurA 1971 383. Im einzelnen BGHSt. 11 219, 221 f; OLG Oldenburg VRS 42 34, 35 f; KG VRS 46 192,

158

159

160 161 162

194. AA JaguschiHentschel Rdn. 29; Demuth JurA 1971 383, 385. Vgl. BGHSt. 11 219, 223; OLG Hamm NJW 1957 1528. Nicht erörtert von OLG Düsseldorf VRS 77 219, 220 [zu § 315c Abs. 1 Nr. 2b] und von BayObLG VRS 70 377, 379 [zu § 10 StVO], Zum falschen Überholen in solchen Fällen Rdn. 97. BGHSt. 11 219, 223; 13 129, 134. Vorfahrt gewähren; „Stopschild". Dem Gegenverkehr Vorrang gewähren.

Stand: 1. 7. 2000

(164)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

zeichneten oder durch Farbzeichen geregelten Engstelle die Durchfahrt erzwingt (OLG Oldenburg VRS 42 34, 35), und auch, wer bei Rot in eine Kreuzung einfährt und dadurch den Fahrtvorrang des Querverkehrs beeinträchtigt.163 (b) Kein Fall der Vorfahrt. Kein relevanter Vorfahrtverstoß liegt hingegen vor, 7 3 wenn der Täter den Gegenverkehr dadurch gefährdet, daß er auf der linken Seite fährt und dem entgegenkommenden Fahrzeug nicht nach rechts ausweicht (BGH VRS 38 100, 103). Ebensowenig ist § 315c Abs. 1 Nr. 2a einschlägig, wenn der aus der linken Fahrspur nach rechts Abbiegende einem auf der rechten Fahrbahn fahrenden Fahrzeug den Weg abschneidet; denn in solchen Fällen besteht kein durch die StVO eingeräumter Fahrtvorrang des nachfolgenden Fahrzeugs, vielmehr hat der Nachfahrende seine Fahrweise an derjenigen des Vorausfahrenden auszurichten, soweit ihm dies möglich ist (OLG Stuttgart VRS 43 274, 275). Es kommt allerdings ein Regelverstoß des Abbiegenden nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b in Betracht (OLG Stuttgart aaO). Keinen Fall der Vorfahrt betrifft auch § 11 StVO. Denn dort wird nur vorgeschrieben, daß der an sich Bevorrechtigte in besonderen Verkehrslagen auf sein Vorrecht verzichten muß, ohne daß aber zugleich einem anderen Verkehrsteilnehmer ein Vorrecht eingeräumt würde. Weicht ein Autobahnbenutzer einem rechts stehenden Kraftfahrzeug aus, so kann hierin keine Nichtbeachtung der Vorfahrt gesehen werden (OLG Hamm VRS 28 1270(2) Vorrecht von Fußgängern. Konsens besteht mittlerweile (anders noch 7 4 DreherITröndle*6 Rdn. 5), daß das Vorrecht des Fußgängers nach § 9 Abs. 3 Satz 3, § 26 StVO auch vom sog. erweiterten Vorfahrtbegriff nicht umfaßt wird. Denn „Vorfahrt", meint ersichtlich nur das Vorrecht von Fahrzeugen. Hinzu kommt, daß das Gesetz einen typischen Fall der Verletzung des Fußgängervorrangs (§ 26 StVO) ausdrücklich in den Katalog der besonders gefahrlichen Verhaltensweisen aufgenommen hat (§ 315c Abs. 1 Nr. 2c).164 Dem Fußgängerverkehr zugeordnet sind grundsätzlich auch Fußgänger, die Fahrzeuge mitführen.165 Dementsprechend gilt das soeben Gesagte auch für sie.166 (3) Normadressat: Wartepflichtiger. Seinem eindeutigen Wortlaut nach richtet sich 7 5 § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a nur an den Wartepflichtigen. Der Vorfahrtberechtigte wird demgemäß auch bei noch so verkehrswidrigem Verhalten nicht erfaßt. Allerdings kann das Verhalten des Wartepflichtigen nicht isoliert betrachtet werden; ob dieser grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat, hängt auch von der Fahrweise des Vorfahrtberechtigten ab (JaguschiHentschel Rdn. 30; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 270). bb) Falsches Überholen und Falschfahren beim Überholvorgang (Nummer 2 b). Die 7 6 Vorschrift war zunächst auf das falsche Überholen beschränkt und richtete sich demnach nur an den Überholenden. Durch das 2. StraßenVSichG (Entstehungsgeschichte) ist dann die Variante des falschen Verhaltens bei Überholvorgängen eingefügt worden. 163

164

BayObLGSt. 1958 252; OLG Düsseldorf VRS 91 358, 359; OLG Jena VerkMitt. 1995 Nr. 46 S. 44, 45; OLG Frankfurt NZV 1994 365. OLG Düsseldorf VRS 66 354; KG VRS 84 444, 445; OLG Hamm VRS 91 117, 118f. Lackneri Kühl Rdn. 13; SehlSchröder! Cramer Rdn. 16; TröndlelFischer Rdn. 5; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 21.

(165)

165

166

Hierzu BayObLG VRS 65 154f; VRS 75 127, 129. Jaguschi Hentschel § 25 StVO Rdn. 46; MühlhauslJaniszewski § 25 StVO Rdn. 6; § 8 StVO Rdn. 3. Zum Überholen von Fußgängern Rdn. 81. AA zu dem diesbezüglichen Vorrecht nach § 8 Abs. 3 Satz 2 StVO a. F. Demuth JurA 1971 383, 385 (s. aber ebd. S. 387). Zum Wegfall des § 8 Abs. 3 vgl. Bouska StVO § 8 StVO Anm. 9.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Dafür war die Erfahrung maßgebend, daß es aufgrund des Fehlverhaltens des Überholten oft zu folgenschweren Unfällen kommt (BTDrucks. IV/651 S. 28 f)· Systematisch ist die Variante des falschen Überholens seither nur noch ein Unterfall des falschen Verhaltens bei Überholvorgängen (sonst bei Überholvorgängen falsch fahrt; vgl. auch Horn SK Rdn. 11). Strukturell handelt es sich bei § 315c Abs. 1 Nr. 2b um ein Tätigkeitsdelikt (näher Rdn. 88). Gegenüber den anderen in Nummer 2 normierten Regelverstößen ragt Buchstabe b hinsichtlich seiner forensischen Relevanz heraus (Rdn. 1). 1998 ist es zu 1674 Verurteilungen wegen einschlägiger Straftaten gekommen. 77

(1) Begriff des Überholens. Unter Überholen wird im Straßenverkehrsrecht (§ 5 StVO) ein tatsächlicher Vorgang verstanden, der vorliegt, wenn ein Verkehrsteilnehmer von hinten an einem anderen vorbeifährt, der sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält. 167 Der Überholbegriff der StVO deckt sich im wesentlichen mit dem Merkmal des Überholens in § 315c Abs. 1 Nr. 2b. Ähnlich wie schon der Vorfahrtbegriff nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 a (Rdn. 71) wird aber auch das Merkmal des Überholens im Rahmen des § 315c umfassender ausgelegt als in der StVO.168 Die Abweichung betrifft das straßenverkehrsrechtliche Begriffselement des Bewegens auf derselben Fahrbahn (dazu die nachfolgenden Rdn.). In Analogie zum „erweiterten Vorfahrtbegriff" könnte man deswegen von einem „erweiterten (strafrechtlichen) Überholbegriff' sprechen.

78

(a) Dieselbe Fahrbahn. Der Begriff des Überholens im Sinne der StVO erfordert, daß Überholer und Überholter dieselbe Fahrbahn benutzen; fehlt es daran, so ist § 5 StVO nicht anwendbar. 169 „Fahrbahn" ist dabei zunächst die Gesamtfahrbahn mit ihren „Normalstreifen". Zur Fahrbahn ist jedoch auch, und zwar nicht nur auf Bundesautobahnen, die Kriechspur zu rechnen.170 Wer z.B. unzulässigerweise über die Kriechspur rechts überholt, verletzt demnach unproblematisch § 5 StVO; bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen erfüllt er auch § 315c. Im Straßenverkehrsrecht hatte es in der Vergangenheit allerdings Unsicherheiten in der Beurteilung der Frage gegeben, ob befestigte Seitenstreifen (Mehrzweckstreifen, Standspuren) vor allem auf Bundesautobahnen der Fahrbahn 171 zuzurechnen sind. Davon hängt es ab, ob beispielsweise derjenige, der rechts über die Standspur an einem langsamer auf der durchgehenden Fahrbahn fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifahrt, entgegen § 5 Abs. 1 StVO falsch überholt. Die vormals herrschende Rechtsprechung hatte den Seitenstreifen unter Vorantritt des BGH der Fahrbahn zugeordnet und folglich (falsches) Überholen bejaht. 172 Dem ist der Verordnungsgeber 167

168

BGH VRS 4 542, 543; VRS 6 155; VRS 11 171, 172; 17 43,45; BGHSt. 22 137, 139; 25 293, 296; 26 73, 74; BayObLG VRS 26 387, 388; OLG Düsseldorf VRS 59 151; OLG Hamm NJW 1972 652. LackneriKühl Rdn. 14; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 17; TröndlelFischer Rdn. 6; Bouska StVO § 5 Anm. 1; JaguschiHentschel § 5 StVO Rdn. 16; MählhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 2 und § 315c Rdn. 22; s. auch Demuth JurA 1971 383, 389. BVerfG NJW 1995 315, 316; Bouska StVO § 5 Anm. 1; MühlhauslJaniszewski Rdn. 22 a und § 5 StVO Rdn. 59 a; Mühlhaus DAR 1978 162 (s. aber dens. DAR 1968 169). Nicht recht klar Lackner/Kühl Rdn. 14 eingangs, und SchlSchröderlCramer Rdn. 17, 20.

169

170

171

172

U.a. BGHSt. 30 85, 86f; BayObLG VRS 66 291 f; OLG Düsseldorf VRS 73 146f; 79 133, 134; VRS 91 387; Bouska StVO § 5 Anm. 1; Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 3. BGHSt. 23 128, 130; 30 85, 90. Jaguschi Hentschel § 5 StVO Rdn. 20; MählhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 59 a. S. dazu, daß Seitenstreifen Bestandteil der Bundesautobahn und ihres Straßenkörpers sind, m.w.N. BGHSt. 30 85,86. Eingehend BGHSt. 30 85, 87ff. S. auch OLG Düsseldorf VRS 47 214ff; OLG Hamm DAR 1975 277; OLG Köln VRS 83 374 ff. AA bereits vormals BayObLG DAR 1979 111; Mühlhaus DAR 1978 162 f.

Stand: 1. 7. 2000

(166)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

durch die 12. Verordnung zur Änderung der StVO vom 22. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2482,19931 S. 223)173 ausdrücklich entgegengetreten,174 indem er in § 2 Abs. 1 Satz 2 StVO klargestellt hat, daß Seitenstreifen nicht zur Fahrbahn gehören. Seither können einschlägige Handlungen bußgeldrechtlich nur noch als Verstoß gegen das Gebot der Fahrbahnbenutzung geahndet werden (§ 2 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO). Würde die in der StVO vorgenommene Weichenstellung im Strafrecht nachvollzogen, so hätte dies - wenig überzeugend - zur Folge, daß das im Verkehrsalltag nicht selten zu beobachtende, besonders riskante (grob verkehrswidrige und rücksichtslose) „Rechtsüberholen" über Standspuren, Bankette, Grünstreifen etc. bei Eintritt des Gefahrerfolgs nicht mehr nach § 315c geahndet werden könnte. Wortlaut und Wortsinn des Überholbegriffs bzw. des Merkmals des Überholvorgangs zwingen jedoch zu einer derart engen Interpretation nicht. Nach von der StVO unverbildeter Anschauung kommen keine Bedenken auf, Verhaltensweisen wie die genannten als „Überholen" zu bezeichnen; von Sinn und Zweck des § 315c ist deren Einbeziehung ohnehin gedeckt. BVerfG NJW 1995 315 hat dementsprechend eine gegenüber der StVO divergierende Ausfüllung des strafrechtlichen Überholbegriffs unter Einbeziehung des Vorbeifahrens auf Flächen außerhalb der Fahrbahn als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (aaO S. 316). Dies ist im Schrifttum mit Recht unwidersprochen geblieben.175 Der ÜberholbegrifF des § 315c Abs. 1 Nr. 2b setzt folglich die Bewegung auf derselben Fahrbahn nicht zwingend voraus. (aa) Überholen gegeben. Andererseits kann bei Bewegungsvorgängen auf Flächen 7 9 außerhalb der Fahrbahn bzw. auf verschiedenen Fahrbahnen auch nicht jedes „Vorbeifahren eines Verkehrsteilnehmers von hinten an einem anderen, der sich in derselben Richtung bewegt," unter den strafrechtlichen ÜberholbegrifF subsumiert werden. Nach welchen Maßstäben im einzelnen die Abgrenzung vorgenommen werden soll, ist noch nicht abschließend geklärt. Kriterien werden aber sein, ob ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den jeweiligen Flächen besteht und wo der Schwerpunkt des „Überholvorgangs" liegt. Wird der Überholvorgang von der durchgehenden Fahrbahn aus begonnen und kehrt der Vorbeifahrende unverzüglich wieder dahin zurück, so spricht dies für die Annahme des Überholens (in diese Richtung OLG Hamm VRS 32 449, 450). Von § 315c Abs. 1 Nr. 2b umfaßt ist danach über die Benutzung der Standspur hinaus die Benutzung des Grünstreifens (BVerfG NJW 1995 315, 316) sowie von Mehrzweckstreifen und Banketten. Entsprechendes gilt für das Rechtsüberholen über eine Park- oder Omnibusbucht (Beispiel nach Rüth LK10 Rdn. 41) und das verkehrswidrige Überholen über einen Gehsteig (OLG Hamm 32 449, 450). Desgleichen überholt im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2b, wer von der Richtungsfahrbahn aus rechts auf den Verzögerungs- bzw. Beschleunigungsstreifen einer Autobahn 176 ausschert, um sich nach Passieren des anderen Fahrzeugs vor dieses zu setzen (vgl. aber Rdn. 80 a. E.). 173

174

175

Begründung abgedruckt bei JaguschiHentschel § 2 StVO Rdn. 16c. BR-Drucks. 786/92 [Beschluß]: Die Auffassung der Rechtsprechung führe zu „sinnwidrigen Folgerungen". Zur Vorgeschichte (eine mittelbare Klarstellung in § 18 Abs. 8 StVO hatte nicht zu dem intendierten Rechtsprechungswandel geführt) s. dort sowie bei Bouska StVO §2 Anm. 4 b. TröndlelFischer Rdn. 6; Bouska StVO § 5 Anm. 1; MühlhausUaniszewski Rdn. 22 a und § 5 StVO

(167)

176

Rdn. 59a. S. auch LacknerlKühl Rdn. 14 und Sehl Schröder! Cramer Rdn. 17,20. Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen (auch Ein- und Ausfahrstreifen genannt) sind nach wohl h. M. nicht Teil der Fahrbahn des Durchgangsverkehrs, sondern selbständige Fahrbahnen (MühlhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 59). S. aber BGHSt. 30 85, 90; Jaguschi Hentschel § 2 StVO Rdn. 28 a; alle m. w. N.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

80

(bb) Uberholen nicht gegeben. Kein Überholen ist zunächst gegeben, wenn die Fahrzeuge auf verschiedenen Straßen fahren, ζ. B. der eine auf einer breit ausgebauten Hauptverkehrsstraße, der andere auf einer daneben verlaufenden schmalen Anliegerstraße (vgl. Bouska § 2 StVO Anm. 4), oder wenn der Vorbeifahrende auf einer parallel zur Bundesautobahn verlaufenden, von dieser durch einen Grünstreifen getrennten „Parkplatzstraße" (vgl. OLG Düsseldorf VRS 73 146«) „überholt". Ebenso fehlt es am Überholen, wenn die Zu- und Abfahrten von Tankstellen und Raststätten (OLG Frankfurt VRS 46 191)177 durchfahren werden, um auf der Durchgangsfahrbahn sich bewegende langsamere Fahrzeuge „zu überholen", und wohl auch bei vergleichbaren Verkehrsvorgängen auf der parallel zur Autobahn verlaufenden Verteilerfahrbahn eines Autobahnkreuzes (vgl. OLG Düsseldorf VRS 53 378 f)- Schließlich liegt kein Überholen vor, wenn der in eine Bundesautobahn Einfahrende schneller als der sich auf der Durchgangsfahrbahn bewegende Fahrzeugführer fahrt und sich nach dem Einfahrvorgang vor diesen setzt;178 mangels Beginns des „Überholvorgangs" auf der durchgehenden Fahrbahn ist der Schwerpunkt nicht dort anzusiedeln (hierzu Rdn. 79 eingangs). Allerdings kann eine Verletzung des Vorfahrtsrechts nach § 18 Abs. 3 StVO gegeben sein (s. Rdn. 71 ff).

81

(b) Überholen von Fußgängern. Überholt werden können Fahrzeuge aller Art, prinzipiell aber nicht auf der Fahrbahn gehende Fußgänger. Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn Fußgänger auf der Fahrbahn Fahrzeuge mitführen. 179 Bleibt der Fußgänger stehen, um das Fahrzeug vorbeizulassen, so liegt kein Überholen, sondern ein bloßes Vorbeifahren vor (Rdn. 85, 87).

82

(c) Vorbeifahren von hinten. Überholen bedingt grundsätzlich, daß sich der Überholende während des zu beurteilenden, u. U. gestreckten Vorgangs einmal hmter dem anderen befunden hat.180 Schon aus diesem Grund scheidet das Merkmal aus, wenn an einer Grünlicht anzeigenden Ampel ein Fahrzeug schneller anfährt als das andere (vgl. OLG Düsseldorf DAR 1966 26 m.w.N.; s. auch Rdn. 87). Hindert der Rechtsfahrende den anderen allerdings in der Folge durch jeweiliges Beschleunigen bzw. Herabsetzen seiner Geschwindigkeit daran, sich nach rechts einzuordnen, so fahrt der Rechtsfahrende bei einem Überholvorgang falsch (OLG Düsseldorf VRS 59 28, 29).

83

(d) Spurwechsel/Geschwindigkeit/Rückkehr. Nach soweit ersichtlich allgemeiner Ansicht ist nicht erforderlich, daß der Überholende vor dem Überholvorgang die Spur wechselt und/oder die Geschwindigkeit erhöht,181 und auch nicht, daß er nach Beendigung des Vorgangs auf seine ursprüngliche Fahrspur zurückkehrt (BGHSt. 22 137, 139; 25 293, 295; BayObLG VRS 26 387, 388) bzw. sich in der Fahrspur des Überholten vor diesem einordnet. Es überholt deswegen auch, wer mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf der rechten Spur an den auf der linken (Überholspur) befindlichen Fahrzeugen vorbeizieht (vgl. m.w.N. MühlhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 6) oder als Motorradfahrer, ohne seine Fahrlinie grundsätzlich zu verändern, mit (vielleicht auch verminderter Geschwindigkeit) bei zähflüssigem Verkehr zwischen zwei Fahrspuren an links und rechts von ihm fahrenden Fahrzeugen vorbeifährt (vgl. ζ. B. OLG Düsseldorf VRS 79 139,140 f)· Vgl. auch BayObLG VRS 25 223, 224; VRS 66 291; OLG Hamm VRS 36 456 f. S. hierzu m.w.N. MühlhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 59 und § 18 StVO Rdn. 10 f. BayObLGSt. 1955 142, 143; 1973 23 f; Mühlhaus DAR 1968 169. Zum Fußgänger näher Jagusch/Hentschel § 5 StVO Rdn. 19; Mühlhausl Janiszewski § 5 StVO Rdn. 5.

180

181

OLG Düsseldorf DAR 1966 26; VRS 58 28, 29; OLG Hamm VRS 25 359, 360; vgl. auch BGHSt. 25 393, 396f. Zu einem Sonderfall MühlhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 2. BGHSt. 22 137, 139; BayObLG VRS 26 387, 388; OLG Düsseldorf VRS 79 139, 140f; OLG Stuttgart VRS 57 361, 362 ff.

Stand: 1. 7. 2000

(168)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

(e) Überholabsicht. Kein notwendiges Element des Überholbegriffs ist auch die 8 4 Überholabsicht.182 Überholen ist ein rein tatsächlicher Vorgang; fahrlässiges und bedingt vorsätzliches Überholen sind daher möglich (vgl. BayObLG VRS 26 387, 388). Überholen ist beispielsweise gegeben, wenn der Betroffene auf „seinem" Fahrstreifen mit gleichbleibender Geschwindigkeit weiterfahrt und dabei ein anderes Fahrzeug hinter sich zurückläßt, das ihn gerade zu überholen trachtet, aber ζ. B. aufgrund eines Anstiegs langsamer wird.183 Das Merkmal wird meist auch dann erfüllt sein, wenn ein nachfolgender Fahrzeugführer sich mit hoher Geschwindigkeit einem „Vordermann" genähert hat und nun unter gleichzeitigem Bremsen nach rechts oder links ausschert, um auf das vorausfahrende Fahrzeug nicht aufzufahren; dies gilt zumindest dann, wenn er ein Stück neben ihm vorbeizieht oder wenn er ihn ganz passiert (vgl. BGH VRS 18 36, 40; abw. OLG Hamm VRS 27 69, 70,84). Obwohl der Überholbegriff keine diesbezügliche Absicht voraussetzt, wird die Überholabsicht von der h. M. allerdings in besonders gelagerten Fallgestaltungen maßgebend herangezogen, um den Beginn des Überholvorgangs festzulegen (Rdn. 91 f)· (f) Überholen - Vorbeifahren. Überholen setzt begrifflich nicht voraus, daß sich der 8 5 zu überholende Verkehrsteilnehmer in Bewegung befindet. Allerdings stellt nicht jedes Vorbeifahren an einem sich nicht bewegenden Fahrzeug ein Überholen dar. Überholen ist vielmehr ein Sonderfall des Vorbeifahrens und aus diesem auszugrenzen. (aa) Überholen. Überholt werden kann, wer nur mit Rücksicht auf die augenblick- 8 6 liehe Verkehrslage kurz angehalten (BGHSt. 22 137, 139, stRspr.)185 und dabei die einem sich bewegenden Fahrzeug entsprechende Stellung auf der Fahrbahn beibehalten hat.186 Voraussetzung ist, daß es sich um ein mehr oder weniger erzwungenes Stehenbleiben handelt, der Fahrzeugführer also grundsätzlich weiterfahren will (BayObLGSt. 1973 23, 24). Ein Anhalten aus verkehrsbedingten Gründen ist u.a. gegeben beim Warten vor einer Rotlicht zeigenden Ampel (BGHSt. 26 73, 74ff; BayObLGSt. 1973 23, 24) oder einer entsprechenden Anordnung. Begrifflich rechnet hierzu auch das Warten vor einem Zebrastreifen; jedoch wird das Überholen eines davor wartenden Fahrzeugs nunmehr abschließend von § 315c Abs. 1 Nr. 2c erfaßt (hierzu Rdn. 101 ff). Verkehrsbedingt wartet auch, wer hinter einer Straßenbahn stehenbleibt, die zur Ermöglichung des Ein- und Aussteigens der Fahrgäste angehalten hat, bzw. hinter einem fahrplanbedingt zum Stillstand gekommenen Omnibus (OLG Hamm DAR 1956 108; OLG Düsseldorf VRS 59 294)187 oder einem anderen Hindernis, wie etwa einem am rechten Rand einer engen Straße geparkten Pkw bei Gegenverkehr. Ver182

183

BGHSt. 22 137, 139; BayObLG VRS 26 387, 388. Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 4; MühlhauslJaniszewski § 5 StVO Rdn. 9. AA OLG Celle VerkMitt. 1959 Nr. 58 S. 32 [aufgegeben in VerkMitt. 1963 Nr. 121 S. 77]; OLG Hamm VRS 27 69, 70. BayObLG VRS 26 387, 388; OLG Karlsruhe NJW 1972 962, 963. Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 4; MühlhauslJaniszewski § 5 StVO Rdn. 9. AA Schmidt KVR Autobahn Fahrverhalten Erläuterungen 1 (Lieferung 3/81) Bl. 37 [unter unzutreffender Bezugnahme auf BayObLG VRS 26 387]; differenzierend Mühlhaus DAR 1968 169, 172f [Überholen nur dann, wenn der zunächst links Überholende einen so großen Vorsprung „herausgefahren" hat, daß sein Verbleiben auf

(169)

184

185

186

187

der linken Spur mit dem Überholen nichts mehr zu tun hat.]. Wie OLG Hamm MühlhauslJaniszewski § 5 StVO Rdn. 8; Mühlhaus DAR 1968 169, 172. Vgl. auch VwV zu § 5 StVO Rdn. 1: „An Teilnehmern des Fahrbahnverkehrs, die sich in der gleichen Richtung weiterbewegen wollen, aber warten müssen, wird nicht vorbeigefahren; sie werden überholt. Wer durch die Verkehrslage oder durch eine Anordnung aufgehalten ist, der wartet." BGH VRS 17 43, 45; BayObLGSt. 1958 164, 165; 1962 305, 306; 1973 23, 24. Zum Vorbeifahren an dem fahrplanbedingt anhaltenden öffentlichen Verkehrsmittel selbst s. die nachfolgende Rdn.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kehrsbedingt hält sein Fahrzeug ferner an, wer aus Gefälligkeit einem anderen Fahrzeug die Vorfahrt einräumt oder einen Fußgänger die Straße überqueren läßt (KG VRS 96 335). Das Nebeneinanderfahren im Sinne des § 7 Abs. 2 bis 3 StVO stellt terminologisch ein Überholen dar, folgt jedoch eigenständigen Regeln.188 Ein Anlaß, es vollständig aus dem Anwendungsbereich des § 315c Abs. 1 Nr. 2b zu eliminieren, ist nicht gegeben.189 Grob verkehrswidrige und rücksichtslose Regelverstöße gegen § 7 StVO können daher grundsätzlich strafrechtlich erfaßt werden (s. auch Rdn. 97 a. E.). 87

(bb) Vorbeifahren. Kein Überholen, sondern ein Vorbeifahren liegt vor, wenn der andere Verkehrsteilnehmer nicht verkehrsbedingt angehalten und/oder die einem sich bewegenden Fahrzeug entsprechende Stellung aufgegeben hat. Das ist namentlich der Fall, wenn er parkt oder wegen eines Defekts zum Stillstand gekommen ist (OLG Hamm VRS 28 127, 128). Auch an einem fahrplanbedingt haltenden öffentlichen Verkehrsmittel190 wird vorbeigefahren;191 sobald es anfahrt, wird es jedoch überholt (BGH NJW 1960 1524; BayObLGSt. 1962 305, 307). Ein zum Zwecke des nicht verkehrsbedingten Haltens ausrollendes Fahrzeug ist dem bereits angehaltenen gleichzustellen; an ihm wird deshalb vorbeigefahren (OLG Hamm VRS 12 392, 393; OLG Düsseldorf VRS 63 60, 61). Ein Kraftfahrer, der einen vor ihm am rechten Fahrbahnrand sein Fahrrad schiebenden Fußgänger passiert, überholt nicht, sofern der Fußgänger stehengeblieben ist, um die Vorbeifahrt zu ermöglichen; das gleiche gilt bei einem Fahrzeug, dessen Führer anhält, um dem schnelleren Hintermann die Vorbeifahrt zu ermöglichen (BayObLGSt. 1973 23, 24). Das Nebeneinanderfahren an einer Lichtzeichenanlage auf einer mehrspurigen Fahrbahn stellt zwar begrifflich ein Überholen dar; wie aus § 37 Abs. 4 StVO hervorgeht, beinhaltet es jedoch keinen Verstoß gegen das Verbot des Rechtsüberholens. Das gilt auch dann, wenn der später Heranfahrende bei mittlerweile aufscheinendem Grünlicht zügig durchführt (BayObLG VRS 58 279, 280 f; Mühlham!Janiszewski § 5 StVO Rdn. 3). Ein nach rechts abbiegendes Fahrzeug wird von einem geradeaus fahrenden Fahrzeug jedenfalls dann nicht mehr überholt, wenn es die durchgehende Fahrbahn verlassen hat.192

88

(2) Der Überholvorgang. OLG Düsseldorf VRS 59 151 (152) unterteilt den Überholvorgang instruktiv in drei Phasen: Erstens das Aufschließen und Heranfahren an das zu überholende Fahrzeug (meist verbunden mit einem Ausscheren des Überholenden nach links oder rechts), zweitens das Vorbeifahren an dem zu überholenden Fahrzeug und drittens das Gewinnen eines hinreichenden Sicherheitsabstandes zu dem überholten Fahrzeug (meist gefolgt von einem Sicheinordnen vor dieses). Das Ausscheren und das Sicheinordnen sind dabei keine notwendigen Elemente des Überholvorgangs. Denn Überholen ist auch dann gegeben, wenn der überholende und der überholte Verkehrsteilnehmer während des gesamten Vorgangs bzw. vor oder nach dem Passieren verschiedene Fahrspuren benutzt haben (Rdn. 83). 188

Im einzelnen Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 15f; Mühlhaus/ Janiszewski § 7 StVO Rdn. 16; s. auch Demuth JurA 1971 383, 389f. 189 OLG Düsseldorf VerkMitt. 1975 Nr. 5 S. 3; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 274; aA Demuth JurA 1971 383, 389f. "0 Linienomnibus: RGZ 167 357, 361 ff; BGH VRS 4 542, 543; BayObLGSt. 1951 404, 405; 1962 305, 306; OLG Düsseldorf VRS 59 294 m.w. N.

191

192

Straßenbahn: BGH VRS 17 43, 45; BayObLGSt. 1962 305, 306f m.w. N. auch zur früheren gegensätzlichen Rechtsprechung. Zum Überholen der hinter einem solchen Fahrzeug haltenden Verkehrsteilnehmers s. aber die vorstehende Rdn. OLG Bremen VRS 32 473 f; OLG Hamm DAR 1953 219. Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 2; enger MühlhauslJaniszewski § 5 Rdn. 4, beide m. w. N.

Stand: 1. 7. 2000

(170)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Fehlverhalten während jeder der drei Phasen kann zu einer vollendeten Straftat nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b führen; allerdings bedarf namentlich die 1. Phase der Eingrenzung (Rdn. 89ff). § 315c Abs. 1 Nr. 2 b ist dabei kein Erfolgsdelikt, das gerade an das Zurücklassen eines anderen Verkehrsteilnehmers anknüpft und demgemäß erst damit vollendet wird. Vielmehr handelt es sich um ein Tätigkeitsdelikt. Unrechtskern ist das dem Überholen dienende falsche Fahrverhalten als solches, das sich im Versperren einer Fahrspur auswirkt (vgl. BayObLGSt. 1967 132, 133).193 Davon gehen besondere Gefahren aus, weil der Uberholende entgegenkommendem Verkehr oder sonstigen Hindernissen mit Rücksicht darauf nur schwer zu entgehen vermag, daß die andere Fahrspur durch das neben ihm oder in knappem Abstand versetzt vor oder hinter ihm fahrende überholte Fahrzeug versperrt ist (vgl. Mühlhaus DAR 1968 169, 172). Das gilt spiegelbildlich auch für den Überholten. Im Vergleich dazu ist das Gefährdungsgrad bei Eintritt des „Erfolgs" (endgültiges Zurücklassen des anderen Fahrzeugs) oftmals geringer; nicht selten ist die Gefahrenlage in diesem Zeitpunkt sogar entfallen (BayObLGSt. 1967 132, 133). (a) Beginn des Überholvorgangs. Zur Festlegung des Überholbeginns existiert scheinbar eine gefestigte Rechtsprechung. Bei näherem Hinsehen fallt es jedoch außerordentlich schwer, hinreichend sichere Kriterien anzugeben, die auch geeignet sind, die Vorgänge im Vergleich zueinander plausibel abzugrenzen und die sich darüber hinaus in die Kategorien herkömmlichen Strafrechtsdenkens einfügen. In Anlehnung an Mühlhaus D A R 1968 169 sollte nach Fallgruppen unterschieden werden:

89

(aa) Überholen mit Wechsel der Fahrspur. Nach ganz h. M. leitet einen nach § 315c 9 0 Abs. 1 Nr. 2 b rechtlich erheblichen Überholvorgang jedenfalls ein, wer zum Zweck des Überholens auf die andere Fahrspur ausschert.194 Diese Interpretation kann sich auf § 5 StVO stützen, der nach seinem Gesamtzusammenhang und nach der von ihm ins Auge gefaßten Gefahrenlage (Rdn. 88) das Ausscheren dem Überholvorgang zuordnen dürfte. 195 Mit dem begonnenen Wechsel der Fahrspur ist das Überholen vollendet. Demgemäß läßt es die Strafbarkeit wegen vollendeter Tat unberührt, wenn der Betreffende den Vorgang abbricht und sich wieder in die ursprüngliche Fahrspur einordnet. 196 (i) „Probeweises" Ausscheren. Nicht einheitlich beurteilt wird, ob der Überhol- 9 1 Vorgang auch dann eingeleitet ist, wenn der nachfahrende Fahrzeugführer auf die 193

194

Eingehend Mühlhaus DAR 1968 169, 171, 172. AA, freilich unter unzutreffender Berufung auf BGHSt. 25 293, Horn SK Rdn. 11. S. etwa BayObLGSt. 1967 132, 133; 1981 140, 141; OLG Düsseldorf VRS 70 292, 293; O L G Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 123 S. 68; OLG Karlsruhe NJW 1972 962, 963; OLG Koblenz VRS 85 337, 338. Sch/Schröder/Cramer Rdn. 18; JaguschiHentschel § 5 StVO Rdn. 22; MühlhausUaniszewski § 5 StVO Rdn. 8; Mühlhaus DAR 1968 169, 172. Insoweit sollte man im Hinblick auf die Affinität zum „unmittelbaren Ansetzen" bei der Versuchsstrafbarkeit allerdings nicht entsprechend einer vielfach mißverständlich gebrauchten Wendung (u. a. OLG Koblenz VRS 85 337; Rüth LK'° Rdn. 42; auch amtliche Begründung zur StVO, abgedruckt bei Jaguschi Hentschel § 5 StVO Rdn. 3) von „Ansetzen zum Überholen" sprechen. Denn die

(171)

195

196

Einleitung des Überholens ist schon der Überholvorgang selbst. § 5 Abs. 2 StVO: „Überholen darf nur, wer übersehen kann, daß während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist." [Hervorhebung durch Verf.}. Nach Sinn und Zweck muß dies das Ausscheren einbeziehen (hierzu auch die amtl. Begründung, abgedruckt bei JaguschlHentschel § 5 StVO Rdn. 3). Allerdings ist der Sprachgebrauch nicht ganz eindeutig. Aus § 5 Abs. 4 („Wer zum Überholen ausscheren will") und Abs. 5 („Das Ausscheren zum Überholen ...") könnte man auch das Gegenteil folgern. BayObLGSt. 1967 132, 133; OLG Düsseldorf VerkMitt. 1961 Nr. 40 S. 30; O L G Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 123 S. 68; O L G Köln VRS 44 16, 17. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 18; Mühlhaus DAR 1968 169, 172.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Gegenfahrbahn ausschert, um sich einen Überblick zu verschaffen, ob diese frei ist. Rechtsprechung und Literatur197 verneinen die Frage überwiegend, indessen letztlich nicht überzeugend. Entscheidend ist, daß sich das Ausscheren in Vergewisserungsabsicht objektiv nicht von demselben Fahrverhalten in Überholabsicht unterscheidet. Auch die Gefahrenlage ist die gleiche. Vergewisserung geht ggf. in Bruchteilen von Sekunden in das endgültige Vorbeifahren über, weswegen der Vorgang bereits als integrales Element des Überholvorgangs angesehen werden kann. Daß der Täter die \lbexh.o\absicht noch nicht unbedingt gefaßt hat, steht dem nicht entgegen. Denn eine Überholabsicht verlangt der Terminus des Überholens nach h. M. gerade nicht (Rdn. 84). Es würde auch nicht sonderlich überzeugend wirken, wenn zwischen demjenigen unterschieden werden müßte, der sich bei unbedingtem Entschluß nur vorbehalten hat, für den Fall ungünstiger Verkehrslage wieder auf die „alte" Fahrspur zurückzukehren (dann Überholabsicht), und demjenigen, der von vornherein lediglich unter der Bedingung vorbeifahren will, daß die Gegenfahrbahn frei ist (dann keine Überholabsicht).198 Vorsatzgegenstand ist in solchen Konstellationen der Vorgang des Ausscherens als objektiver Bestandteil des Überholvorgangs. 92

(ii) „Drängeln" auf der Autobahn. Die ganz h. M. sieht im dichten Auffahren auf ein anderes Fahrzeug dann ein (falsches) Uberholen gerade gegenüber dem Vorausfahrenden, wenn sich die Uberholabsicht („zwanglos") aus den Umständen ergibt; solche Umstände sind neben der deutlichen Verkürzung des Sicherheitsabstands vor allem die Betätigung der Lichthupe oder der Hupe bzw. auch die des linken Blinkers.199 Keine Rolle soll es dabei spielen, ob der Überholvorgang überhaupt möglich ist (u. a. OLG Frankfurt VerkMitt. 1979 Nr. 41 S. 28). Trotz aller Gefahren, die mit solchem „Verkehrsrowdytum" verbunden sind, dürfte eine Interpretation in diesem Sinne die Strafvorschrift des § 315 c Abs. 1 Nr. 26 jedoch überspannen. Derjenige, der auf den „Vordermann" auffahrt, um diesen zum Freimachen der Fahrspur zu veranlassen, will sich erst die Möglichkeit des Überholens verschaffen,200 er überholt aber (noch) nicht. Anders als in den in der vorgenannten Rdn. angesprochenen Konstellationen hat sich der Vorgang noch nicht hinreichend äußerlich verdichtet. In Bezug auf das Verhalten des „Dränglers" bewirkt der Vorgang darüber hinaus nicht die typische Überholgefahr (Rdn. 88). Für eine Vorverlagerung der Strafbarkeit mögen kriminalpolitische Gründe sprechen. Deren Berücksichtigung muß sich aber in den durch Wortlaut und Wortsinn des Merkmals vorgegebenen Grenzen halten. Das ist nicht der Fall. Der Versuch des Überholens ist, anders als es in § 315c Abs. 1 Nr. 2f für das Wenden etc. geschehen 197

198

199

BayObLG bei Bär DAR 1988 366; vgl. auch BayObLGSt. 1967 132, 133f; OLG Celle VerkMitt. 1959 Nr. 58 S. 32 (s. aber auch VerkMitt. 1963 Nr. 121 S. 77); OLG Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 123 S. 68; OLG Koblenz VRS 85 337. Zust. JaguschiHentschel § 5 StVO Rdn. 22; Mühlham!Janiszewski § 5 StVO Rdn. 8; Mühlhaus DAR 1968 169, 170. Wie hier Sehl Schröder/Cramer Rdn. 18; s. auch OLG Düsseldorf VerkMitt. 1966 Nr. 8 S. 4 [zu § 1 StVO], BayObLG VRS 79 15, 16; OLG Karlsruhe NJW 1972 962, 963 f; OLG Düsseldorf VRS 66 355; VRS 70 292, 293; VRS 77 280, 281; OLG Frankfurt VerkMitt. 1979 Nr. 41 S. 28 f; OLG Koblenz VRS 85 337, 338. SehlSchröder!Cramer Rdn. 18; TröndlelFischer Rdn. 6; Jagusch/

200

Hentschel § 5 StVO Rdn. 22; wohl auch Mühl· hauslJaniszewski § 5 StVO Rdn. 8; Haubrich NJW 1989 1197, 1198. Zweifelnd LacknerlKühl Rdn. 14. Insoweit auch wörtlich OLG Frankfurt VerkMitt. 1979 Nr. 41 S. 28, 29, das aber zugleich die Einleitung des Überholvorgangs bejaht. Signifikant Haubrich NJW 1989 1197 1198: „Dies [die Vorverlagerung der Strafbarkeit] mag zwar dem Laien - mangels eigentlichen Überholvorganges als solchem - unverständlich bleiben, ..." [Hervorhebung durch Verf.], Es bleibt anzumerken, daß Unverständnis nicht nur beim Laien aufkommt und daß sich gerade das Straßenverkehrsrecht in besonderem Maße an den „Laien" richtet, weswegen es auch für ihn verständlich sein sollte, wenn es befolgt werden will.

Stand: 1. 7. 2000

(172)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

ist, der Vollendung nicht gleichgestellt;201 darüber hinaus ließe sich trefflich darüber streiten, ob nicht sogar nur eine Vorbereitungshandlung anzunehmen wäre. Eine andere Frage ist, ob der „Drängier" deswegen zur Verantwortung gezogen 9 3 werden kann, weil er bei einem Überholvorgang falsch fährt. OLG Düsseldorf VRS 62 44 nimmt dies in einem Fall an, in dem der Führer eines schweren Sattelschleppers auf der Mittelspur eine dichte Fahrzeugkolonne überholt hat und dabei mit unverminderter Geschwindigkeit dicht auf einen vorausfahrenden Pkw aufgefahren ist (wohl, aber nach Auffassung der Vorinstanz nicht nachweisbar, um den Vorausfahrenden zur Freigabe der Fahrspur zu veranlassen); dabei war es sogar mehrfach zum Aufprall gekommen. OLG Düsseldorf knüpft daran an, daß der auf der Mittelspur Vorausfahrende selbst einen Überholvorgang eingeleitet hat, weil er im Begriff gewesen ist, an dem auf der rechten Fahrspur befindlichen Verkehr vorbeizufahren. Bezogen auf diesen Überholvorgang des Vorausfahrenden habe sich der Nachfahrende falsch verhalten. Nicht erforderlich sei nämlich, daß der Verkehrsverstoß gerade den Überholten (den rechts fahrenden Fahrzeugverkehr) gefährde. Falsches Fahren beim Überholvorgang könne in jedem verkehrswidrigen Verhalten liegen, durch das Vorausfahrende, Nachfolgende, Überholende und Überholte gefährdet würden. Der Regelverstoß müsse nur das Überholen als solches gefahrlicher machen. § 1 Abs. 2 und § 4 StVO, die der Nachfolgende verletzt habe, seien aber eindeutig bestimmt, den Überholvorgang des (dem Täter vorausfahrenden) Überholenden zu schützen. Der vom OLG Düsseldorf gewählte Ansatz wirkt kompliziert, ist aber mit der Gesetzesfassung vereinbar und ermöglicht für die Breite der Fälle sachgerechte Lösungen. Über die in der Entscheidung genannten Aspekte hinaus ist darauf hinzuweisen, daß der erforderliche funktionale Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der besonderen Gefährlichkeit gerade des Überholvorgangs (näher Rdn. 99 f) auch in Bezug auf den rechts fahrenden Verkehr gegeben sein kann. Denn solches Verhalten birgt die Gefahr in sich (und zielt oftmals darauf ab), daß der Bedrängte unter dem Eindruck des „Drängeins" die Fahrspur wechselt, etwa indem er sich in eine zu knappe Lücke „zwängt", und dabei den Verkehr auf der rechten Spur beeinträchtigt. Auch die Gefahr anderer Fehlreaktionen liegt nahe. Zudem wird der „Drängier" meist selbst Fahrzeuge auf der Normalspur überholen. Eine unmittelbare Beeinträchtigung des auf der Normalspur befindlichen Verkehrs durch falsches Überholen des „Dränglers" kann ζ. B. gegeben sein, wenn dieser - wie es im Verkehrsalltag nicht selten zu beobachten ist - im „Zickzackkurs" hinter dem bedrängten Kraftfahrer fahrt, um eine Lücke zu finden, die ihm das Vorbeifahren ermöglicht. In solchen Fällen kann die Nichteinhaltung des seitlichen Sicherheitsabstands (§ 5 Abs. 2 Satz 2 StVO; s. auch Rdn. 97) und unter diesem Aspekt falsches Überholen anzunehmen sein. (bb) Überholen ohne Wechsel der Fahrspur. Hier ist zunächst an Fahrzeugführer zu 9 4 denken, die auf der Autobahn oder auf sonstigen vier- oder mehrspurigen Schnellstraßen ständig oder über eine längere Strecke auf der Überholspur verbleiben. Außerdem sind Konstellationen betroffen, in denen auf der rechten Spur befindliche Fahrzeugführer an den auf der linken Spur fahrenden Verkehrsteilnehmern vorbeifahren; ob sie dabei mit erhöhter, gleichbleibender oder verminderter Geschwindigkeit fahren, ist unerheblich.202 Unter solchen Vorzeichen fallt das Ausscheren zum Über201

Cramer VOR 1974 21, 38 und Demuth JurA 1971 383, 388 schlagen vor, die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands in den Katalog des § 315c Abs. 1 Nr. 2 aufzunehmen.

(173)

202

Zur Zuordnung solcher Konstellationen zum Überholbegrifl" und zum Fahren in Fahrzeugkolonnen Rdn. 83.

Peter König

§ 3 1 5 c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

holen als Abgrenzungskriterium (hierzu Rdn. 90 f) aus. Richtig dürfe es sein, den Beginn des Überholvorgangs (und damit eine vollendete Tat) zu dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem das rechts überholende Fahrzeug so nahe auf das auf der Überholspur fahrende aufschließt, daß es nicht mehr gefahrlos hinter diesem bleiben kann, wenn das links fahrende auf die rechte Fahrspur ausbiegt. Denn dann ist die typische „Überholgefahr" gegeben (Mühlhaus DAR 1968 169, 170). Ähnliches gilt für den links Überholenden; Überholen liegt spätestens vor, wenn dieser sich nicht mehr ohne weiteres hinter dem rechts fahrenden Fahrzeug einordnen könnte (MühlhaustJaniszewski § 5 StVO Rdn. 8). Für die Beurteilung spielen die gefahrenen Geschwindigkeiten und damit die Umstände des konkreten Einzelfalls eine ausschlaggebende Rolle (vgl. BayObLG DAR 1993 269). Dabei kann der Beginn des Überholvorgangs nicht unter Bezugnahme auf die Überholabsicht zu weit auf den Vorgang des Aufschließens vorverlagert werden (aA wohl Mühlhaus DAR 1968 169, 170). Denn die Beurteilung hat anhand objektiver Faktoren und nicht innerer Absichten zu erfolgen. Das in Rdn. 92 Gesagte gilt hier sinngemäß. 95

(b) Beendigung des Überholvorgangs. Nach Beendigung des Überholvorgangs liegendes Fehlverhalten führt nicht zur Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b.203 Abgeschlossen ist der Überholvorgang bei einem Überholen mit Spurwechsel erst, nachdem sich der Überholende in die ursprüngliche Fahrspur eingeordnet hat und der Überholte seine Fahrt ungehindert und ungefährdet fortsetzen kann (OLG Düsseldorf VRS 75 351, 352). Pflichtverstöße, die der Überholende beim Sicheinordnen begeht, fallen noch unter § 315c Abs. 1 Nr. 2b.204 Dazu rechnet nach OLG Düsseldorf VRS 75 351, 352 auch der Fall, daß der Überholende unmittelbar nach dem Wiedereinscheren - verkehrsbedingt oder auch aus verkehrsfremden Gründen - stark abbremst (s. auch OLG Karlsruhe GA 1958 156, 157). Demgegenüber sieht OLG Celle VRS 68 43, 44 in einer ähnlichen Konstellation den Überholvorgang als beendet an und hält (nur) § 315b Abs. 1 Nr. 2 für verwirklicht. OLG Düsseldorf VRS 75 351 ist darin zuzustimmen, daß Bremsvorgänge unmittelbar nach dem Wiedereinscheren noch grundsätzlich tatbestandsrelevant sind. Jedoch setzt dies voraus, daß der innere Zusammenhang mit der besonderen Gefährlichkeit des Überholvorgangs gegeben ist (Rdn. 990- Für abruptes Abbremsen etwa im Zuge eines „Sicheinzwängens" in eine zu knappe Lücke ist dies zu bejahen. Hingegen fehlt es daran, wenn der Überholende nicht die spezifische Überholsituation ausnutzt, sondern den verkehrsfeindlichen Eingriff lediglich bei Gelegenheit des Überholvorgangs vornimmt, indem er sein Fahrzeug zur Disziplinierung oder zu „Strafzwecken" scharf abbremst; ein solcher Vorgang ist nur an § 315b zu messen (dort Rdn. 33). Verbleibt der Überholende bei einem Überholen im gleichgerichteten Verkehr auf der Überholspur oder auf der rechten Spur, so kommt es darauf an, ob der Überholer den Überholten so weit hinter sich gelassen hat, daß die Weiterfahrt der beiden Fahrzeuge in keinem inneren Zusammenhang mit dem Überholvorgang mehr steht.205 Ein Zusammenhang mit dem Überholvorgang ist noch gegeben, wenn das überholende Fahrzeug das überholte erst so weit hinter sich gelassen hat, daß sich die Rückseite 203

204

OLG Hamm DAR 1955 307; OLG Karlsruhe VRS 93 102, 103; OLG Stuttgart DAR 1965 103 f; Seh!Schröder!Cramer Rdn. 19. U. a. OLG Düsseldorf VerkMitt. 1978 Nr. 70 S. 61; VRS 75 351, 352; OLG Potsdam VRS 93 103, 104. SehlSchröder! Cramer Rdn. 19; Jaguschi Hentschel § 5 StVO Rdn. 23; Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 5.

205

BayObLGSt. 1968 15; VerkMitt. 1972 Nr. 67 S. 51; OLG Braunschweig VRS 32 372, 375; OLG Celle VRS 68 43, 44; OLG Schleswig VerkMitt. 1971 Nr. 97 S. 79, 80; OLG Stuttgart VerkMitt. 1958 Nr. 50 S. 23. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 19; JaguschiHentschel § 5 StVO Rdn. 23; Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 5.

Stand: 1. 7. 2000

(174)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

des Fahrzeugs mindestens in Höhe der Vorderseite des überholten Fahrzeugs befindet (vgl. BGHSt. 25 293, 300 f; abw. OLG Hamburg DAR 1973 25); auch genügt es für die Beendigung des Vorgangs nicht, daß der Überholende überhaupt einen Vorsprung gegenüber dem Überholten gewonnen hat {SehlSchröder!Cramer Rdn. 19). (3) Falsches Fahren beim Überholvorgang. Falsches Fahren beim Überholvorgang 9 6 liegt vor, wenn der Täter (Überholender oder Überholter) eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt. § 315c Abs. 1 Nr. 2b ist jedoch nach allgemeiner Meinung206 nicht auf Verstöße gegen § 5 StVO beschränkt, sondern erfaßt im Prinzip jede Fehlleistung bei Einleitung und Durchführung des Überholvorgangs. Dies steht spätestens seit der Ergänzung der Nummer 2 b um den Oberbegriff des falschen Fahrens beim Überholvorgang außer jeglichen Zweifels und begegnet von Verfassungs wegen keinen Bedenken (vgl. BVerfG NJW 1995 315, 316).207 Voraussetzung ist allerdings, daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (Rdn. 99 f)· Bei Verletzung des Überholverbots an Fußgängerüberwegen (§ 26 Abs. 3 StVO) geht § 315c Abs. 1 Nr. 2c vor (Rdn. 105). (a) Fehlverhalten des Überholenden. Beispiele für Fehlverhalten des Überholenden 9 7 sind: Verbotenes Rechtsüberholen (§ 5 Abs. 1 StVO), auch falls über den Gehsteig (OLG Hamm VRS 32 449, 450), über die Kriech- (BGH VRS 37 443, 444 0 bzw. Standspur oder ein anderes nicht zur Fahrbahn gehörendes Straßenteil (näher Rdn. 78f). Überholen, ohne den Gegenverkehr übersehen zu können, z.B. vor einer sichtbehindernden Kuppe oder an anderen unübersichtlichen Stellen208 oder bei sonst unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 2, 3 Nr. 1 StVO), etwa indem das Fahrzeug in einer Rechtskurve praktisch „blind" in die Gegenfahrbahn hineingelenkt wird (OLG Düsseldorf VRS 85 337). Überholen bei wetterbedingt schlechten Sichtverhältnissen, u.a. wenn bei dichtem Nebel zum Überholen ausgeschert wird (BayObLGSt. 1955 142, 143f; OLG Köln VRS 40 194, 195ff). Mißachtung von Verkehrszeichen (Zeichen 276, 277; § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO); Verbotszeichen müssen dabei sofort beachtet, evt. bereits begonnene Überholvorgänge notfalls abgebrochen werden.209 Verletzung der Sorgfaltspflichten, die den Überholenden gegenüber dem nachfolgenden Verkehr treffen (§ 5 Abs. 4 Satz 1 StVO), was etwa dann gegeben sein kann, wenn der Täter ohne Rücksicht auf den nachfolgenden Verkehr in Überholabsicht ausschert (OLG Hamm VRS 21 280, 281) oder wenn er mit hoher Geschwindigkeit hinter einem langsamer fahrenden Fahrzeug in eine Autobahn (OLG Köln VRS 25 201, 202) oder eine Kraftfahrstraße (LG Bonn VRS 79 17) einfahrt und dann sofort auf die Überholspur wechselt, wo er ein herankommendes schnelleres Fahrzeug zu einer Notbremsung zwingt bzw. einen Auffahrunfall verursacht. Ein relevanter Regelverstoß ist allerdings noch nicht mit jeder Behinderung des nachfolgenden Verkehrs beim Ausscheren zum Überholen verwirklicht. Denn der Nachfolgende hat keinen Vorrang und muß seinerseits den Vorausfahrenden beobachten und sich auf dessen Verhalten einstellen; leichte Behinderungen sind hinzunehmen (BayObLGSt. 1981 140, 141). Einhaltung eines zu geringen Seitenabstands (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) oder zu knappes Einscheren nach rechts oder links („Schneiden") beim Abschluß des Über206

S. nur Lackner/Kühl Rdn. 14; SchlSchröderl Cramer Rdn. 20; TröndlelFischer Rdn. 6; JaguschiHentschel Rdn. 33; Mayr KVR Überholen Erläuterungen 1 (Lieferung 4/86) Bl. 33; MühlhauslJaniszewski Rdn. 22; Demuth JurA 1971 383, 388.

(175)

207

208

209

Näher zu dieser Entscheidung, die unmittelbar den Begriff des Überholens betrifft, Rdn. 78 f. U.a. BayObLGSt. 1952 179f; OLG Koblenz VRS 46 37 39. Zum Überholen bei Verbotszeichen BGHSt. 25 293, 295 ff; s. auch Krumme StVR Rdn. 108.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

holens (§ 5 Abs. 4 Satz 4 StVO),210 u. U. nach Überholen einer Fahrzeugkolonne bei Gegenverkehr und „Einzwängen" in eine Lücke - „Kolonnenspringen" - (OLG Stuttgart VRS 46 36, 37; OLG Koblenz VRS 46 37, 38). Gleichgültig ist, ob links oder rechts überholt wird (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1970 Nr. 93 S. 76). Wer einen Überholvorgang gegenüber geradeaus fahrenden Radfahrern dadurch abschließt, daß er unmittelbar vor ihnen rechts abbiegt, überholt falsch (OLG Köln DAR 1958 21).211 Relevantes Fehlverhalten liegt auch im nicht rechtzeitigen Sichwiedereinordnen (§ 5 Abs. 4 Satz 3 StVO), beispielsweise auch, wenn der Täter mit einer für die Sichtweite zu hohen Geschwindigkeit auf der linken Fahrbahnseite fahrt und einen am linken Fahrbahnrand in gleicher Richtung gehenden, von ihm nicht wahrgenommenen Fußgänger zu einem Zeitpunkt anfahrt, zu dem er bereits wieder auf die rechte Fahrspur hätte zurückkehren können (BayObLG VRS 35 280, 282). „Ausbremsmanöver" beim Sichwiedereinordnen in die rechte Spur verstoßen gegen § 5 Abs. 4 Satz 4, sofern sie noch dem Überholvorgang zuzurechnen sind (Rdn. 95). Überholen eines Linksabbiegers, der seine Absicht rechtzeitig angekündigt und sich zum Abbiegen eingeordnet hat (§ 5 Abs. 7 Satz 1 StVO; BGH bei Spiegel DAR 1989 247). Verletzung der zum Überholen (Nebeneinanderfahren) in § 7 StVO enthaltenen Regeln.212 Zum „Drängeln" gegenüber einem Vorausfahrenden Rdn. 92 f. 98

(b) Fehlverhalten des Überholten. Beispiele für Fehlverhalten des Überholten sind: Beschleunigung während des Überholtwerdens, namentlich um dieses zu verhindern (§ 5 Abs. 6 Satz 1 StVO; OLG Düsseldorf VRS 58 28, 29; BTDrucks. IV/651 S. 28 f). Verkürzung des Sicherheitsabstandes, um einem Überholer das Einscheren unmöglich zu machen. Ausscheren nach links, etwa mit der Folge, daß der Überholer auf das Bankett gedrängt wird. Wechseln in die andere Fahrspur über eine geschlossene Nagelreihe hinweg, weswegen der Überholende zu einer Notbremsung gezwungen wird (OLG Stuttgart VRS 41 427, 428).

99

(c) Innerer Zusammenhang. Einigkeit besteht, daß nicht jeder Fahrfehler beim Überholen zur Annahme des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b führen kann. Erfaßt wird Fehlverhalten über die in § 5 StVO aufgeführten Überholverstöße hinaus nur dann, wenn sich das Fehlverhalten als Verstoß gegen die gerade für das Überholen geltenden Verhaltenspflichten darstellt. Die Verkehrsverstöße müssen bei typisierender Betrachtungsweise das Überholen als solches gefahrlicher machen. Notwendig ist ein innerer Zusammenhang zwischen Verkehrsverstoß und der besonderen Gefährlichkeit und Unfallträchtigkeit des Überholvorgangs (Demuth JurA 1971 383, 387).213 Wohl in erster Linie aufgrund des umfangreichen Pflichtenkatalogs des § 5 StVO wird dieser Aspekt in der Praxis eher selten relevant. Zum inneren Zusammenhang mit der abstrakten Gefährlichkeit des Überholens hinzukommen muß, daß sich die besondere Gefährlichkeit des Überholverstoßes im Gefahrerfolg realisiert (allgemein Rdn. 171 ff [183]).

100

Am notwendigen Zusammenhang fehlt es bei Fahrfehlern, die nur gelegentlich des Überholens unterlaufen, so ζ. B. wenn der Fahrer dabei das Gas- mit dem Bremspedal 210

211

OLG Hamm DAR 1956 108; 1963 277; OLG Köln DAR 1958 21; OLG Hamburg VerkMitt. 1961 Nr. 49 S. 35; OLG Koblenz VRS 46 37, 39; OLG Zweibrücken VRS 33 201, 202. Vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 64 7, 8 f. Abw. - ohne nähere Begründung - OLG Düsseldorf VRS 77 219, 220. Kritisch hierzu auch JaguschiHentschel Rdn. 33; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 272. S. ferner BayObLG

212

213

VRS 70 377, 379 [zum Ordnungswidrigkeitenrecht]. Zur Vorfahrtsverletzung Rdn. 72. OLG Düsseldorf VerkMitt. 1975 Nr. 5 S. 3; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 274. AA Demuth JurA 1971 383, 389 f. Hierzu bereits Rdn. 86 a. E. Vgl. OLG Düsseldorf VRS 62 44, 46; VRS 77 280, 281; LG Bonn VRS 79 17, 18. SchlSchröder/Cramer Rdn. 20; Tröndle!Fischer Rdn. 6; JaguschiHentschel Rdn. 33.

Stand: 1 . 7 . 2 0 0 0

(176)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

verwechselt; die Konnexität dürfte hingegen gewahrt sein, wenn dies aus Schrecken über auftauchenden Gegenverkehr geschieht (Beispiel nach Sehl Schröder! Cramer Rdn. 20). Auch bei Geschwindigkeitsüberschreitungen und der Verkürzung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands kommt es darauf an, ob hierdurch gerade die mit dem Überholvorgang verbundene abstrakte Gefahr erhöht wird. 214 Zur Verkürzung des Sicherheitsabstands gegenüber dem auf derselben Fahrspur Vorausfahrenden in Überholabsicht und in der Absicht, diesen von der Fahrspur zu vertreiben, gilt das in Rdn. 92 f, zum scharfen Abbremsen unmittelbar nach Wiedereinscheren in die ursprüngliche Fahrbahn das in Rdn. 95 Gesagte. cc) Falschfahren an Fußgängerüberwegen (Nummer 2c). Nummer 2c ist durch das 1 0 1 2. StraßenVSichG in den Katalog der besonders gefahrlichen Regelverstöße aufgenommen worden (Entstehungsgeschichte). Anlaß waren schwere Unfälle durch einschlägiges Verhalten; besonders der Unsitte, „links an einem vor dem Fußgängerüberweg haltenden Fahrzeug, das den Fußgängern den Weg freimachen will, vorbeizufahren", wollte der Gesetzgeber entgegentreten (BTDrucks. IV/651 S. 29). In der forensischen Praxis hat die Vorschrift keine allzu große Relevanz erlangt (Rdn. 1). 1998 ist es zu 49 rechtskräftigen Verurteilungen gekommen. Die Vorschrift knüpft unmittelbar an die in § 26 StVO enthaltenen Regelungen an. Andere Verkehrsverstöße, wie etwa die Verletzung des ähnlichen Fußgängervorrechts des nach § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO,215 werden durch § 315c Abs. 1 Nr. 2c nicht erfaßt. (1) Fußgängerüberweg. Fußgängerüberweg ist nur der durch Zeichen 293 markierte Zebrastreifen. Das Hinweiszeichen 350 und das Gefahrzeichen 134 schaffen keinen Fußgängerüberweg im Sinne des Gesetzes.216 Keine Fußgängerüberwege sind ampelgesicherte Überwege; den Fußgängern steht in diesem Fall nur ein Vorrecht nach § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO zu {Rüth LK 10 Rdn. 45). Nicht anwendbar ist § 315c Abs. 1 Nr. 2c (und § 26 StVO), wenn der Zebrastreifen zusätzlich durch eine Lichtzeichenanlage gesichert und diese in Betrieb ist. Denn dann geht die Ampelregelung vor und suspendiert die Wirkung des Zebrastreifens ( § 3 7 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 2 StVO).217 Die Situation ist nicht anders als vor jeder anderen Ampelanlage. Eine divergierende Beurteilung bei Vorhandensein eines Zebrastreifens wäre nicht verständlich und sogar sinnwidrig, weil der Fahrzeugführer bei Grün nicht mit mäßiger Geschwindigkeit an den Überweg heranfahren muß. 218 Dem Normzweck läuft die Ausklammerung des ampelgesicherten Zebrastreifens nicht zuwider. Das Strafrecht soll nämlich einen Ausgleich dafür schaffen, daß der Zebrastreifen nicht zusätzlich durch technische Einrichtungen geschützt und deswegen besonders gefährdet ist (OLG Stuttgart NJW 1969 889, 890; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 276; Mächtel NJW 1966 641). Ist die Lichtzeichenanlage hingegen nicht in Betrieb, so ist diese Gefahrenlage gegeben, weswegen für diesen Fall keine Bedenken gegen die 214

215

216

217

S. etwa BayObLG VRS 35 280, 283; OLG Braunschweig VRS 32 372, 375; OLG Düsseldorf VRS 75 351, 352. Vgl. auch Demuth JurA 1971 383, 388. Eine Einbeziehung de lege ferenda schlagen Cramer VOR 1974 21, 35 f; SehlSchröder! Cramer Rdn. 21 und Demuth JurA 1971 383, 391 vor. Bouska StVO § 26 Anm. 1; MühihauslJaniszewski § 26 StVO Rdn. 3, beide m.w. N. BayObLG NJW 1967 406; OLG Stuttgart NJW 1969 889, 890; OLG Düsseldorf VRS 66 135.

(177)

218

LackneriKühl Rdn. 15; Jagusch/Hentschel Rdn. 35; MühlhauslJaniszewski Rdn. 23; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 275 f; Demuth JurA 1971 383, 392; Mächte! WW 1966 641. Offengelassen von OLG Hamm NJW 1969 440. AA OLG Koblenz VerkMitt. 1976 Nr. 16 S. 12; Cramer VOR 1974 21, 36; Horn SK Rdn. 12; Rüth LK10 Rdn. 45; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 21; TröndlelFischer Rdn. 7. BayObLG NJW 1967 406; Demuth JurA 1971 383, 392.

Peter König

102

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Anwendung des § 315c Abs. 1 Nr. 2c bestehen (vgl. Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 275). Der Zebrastreifen entfaltet die ihm eigene Wirkung nur, wenn er für den Fahrzeugführer erkennbar ist. Daran fehlt es beispielsweise, sofern die Markierung stark abgenutzt oder durch Schneebelag verdeckt ist (Bouska StVO § 5 Anm. 1 m. w. N.). Daß der Übergang zur Tatzeit (erkennbar) durch einen Zebrastreifen bezeichnet war, muß im Urteil festgestellt werden (BayObLG NJW1968 313). 103

(2) Persönlicher Schutzbereich. § 26 Abs. 1 StVO gewährt Fußgängern, Fahrern von Krankenfahrstühlen und von Rollstühlen Vorrang. Danach bestimmt sich auch die Anwendbarkeit des § 315c Abs. 1 Nr. 2c. In den Schutzbereich einbezogen sind nach allgemeiner Meinung auch Fußgänger, die Fortbewegungsmittel im Sinne von § 24 Abs. 1 StVO bewegen. Das gleiche gilt für Personen, die Fahrzeuge mitführen, insbesondere Fahrräder schieben;219 denn diese sind im wesentlichen dem Fußgängerverkehr zugeordnet (vgl. § 25 Abs. 2 StVO). Hingegen genießt der Radfahrer nach ganz h. M. nicht den Schutz des § 26 StVO und damit auch nicht den des § 315c Abs. 1 Nr. 2c.220 Im Hinblick darauf wäre es problematisch, Personen als mitgeschützt anzusehen, die sich - auf dem Sattel des Fahrrads sitzend und den Lenker bedienend „untypisch" mit dem Rad fortbewegen, etwa durch wiederholtes Abstoßen mit einem Fuß. Denn insoweit liegt kein Schieben mehr vor, sondern ein Fahrzeugführen (Rdn. 14, 29f).221 Nach OLG Stuttgart VRS 74 186, 187 kommt es für die Pflichtenstellung des Führers eines sich dem Zebrastreifen nähernden Fahrzeugs auf den Zeitpunkt des Heranfahrens an. Er habe die Regeln des § 26 StVO zu beachten, sofern eine auf dem Rad sitzende Person (insbesondere ein Kind) am Fußgängerüberweg warte und diesen ersichtlich überqueren wolle. Er dürfe dabei nicht darauf spekulieren, daß sich diese Person des Schutzes des § 26 StVO begeben werde, indem sie den Überweg fahrend benütze. Tue sie es doch, so sei § 315c Abs. 1 Nr. 2c jedenfalls erfüllt, wenn der Gefahrerfolg auch beim Schieben des Rads eingetreten wäre.

104

(3) Falsch Fahren. Falsch Fahren liegt bereits dann vor, wenn der Fahrzeugführer das Vorrecht des Fußgängers nicht beachtet, obwohl aus dessen gesamtem Verhalten die Absicht erkennbar wird, die Straße zu überqueren (BGHSt. 20 215, 216). Erkennbarkeit ist gegeben, sofern sich der Fußgänger mit unverminderter Gehgeschwindigkeit dem Straßenrand und dem Fußgängerüberweg nähert. Ist die Sicht auf den Überweg behindert, so darf der Fahrzeugführer nur mit einer Geschwindigkeit heranfahren, die es ihm gestattet, jederzeit anzuhalten, und aus der deutlich wird, daß er den Vorrang des Fußgängers achten werde (OLG Karlsruhe VRS 45 40). Ein Fahrzeugführer darf nicht davon ausgehen, daß der gerade aufgrund seines eiligen Heranfahrens zögernde Fußgänger auf das Vorrecht verzichten werde; lediglich dann, wenn der Fußgänger unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß er stehenbleiben wolle, hat er freie Fahrt (BGHSt. 20 215, 216). Falsch fahren umfaßt schon nach dem Wortlaut nicht das verbotswidrige Halten nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 StVO. Zu den Pflichten gegenüber auf einem Fahrrad sitzenden Personen s. die vorstehende Rdn.

219

220

OLG Düsseldorf VRS 95 289; OLG Stuttgart VRS 74 186; JaguschiHentschel § 26 StVO Rdn. 1; Mühlham!Janiszewski § 26 StVO Rdn. 2. OLG Düsseldorf VRS 95 289; OLG Hamm NZV 1993 66; NZV 1996 449. JaguschiHent-

221

schel § 26 StVO Rdn. 8; Mühlham!Janiszewski § 26 StVO Rdn. 1; Grüneberg NZV 1997 420; Hentschel NJW 1988 1120, 1124f. Offengelassen von OLG Stuttgart VRS 74 186. AA OLG Düsseldorf MDR 1987 1029. Offengelassen von OLG Stuttgart VRS 74 186.

Stand: 1.7. 2000

(178)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

(4) Überholverbot. Im Bereich des eigentlichen Überwegs besteht nach § 26 Abs. 3 1 0 5 StVO ein absolutes Überholverbot (MühlhausUaniszewski § 26 StVO Rdn. 9). Ein vorher begonnener Überholversuch muß bis dahin beendet sein; ggf. ist er abzubrechen (JaguschiHentschel § 26 StVO Rdn. 20). Fährt der Fahrzeugführer am Überweg an einem haltenden Fahrzeug (im Gegensatz zum bloß wartenden) vorbei, so überholt er zwar nicht (Rdn. 87), fahrt aber im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2c falsch, wenn er die dabei anzulegenden, besonders hohen (MühlhausUaniszewski § 26 StVO Rdn. 9; Demuth JurA 1971 383, 391) Anforderungen an die Sorgfaltspflicht verletzt. Wird entgegen § 26 Abs. 3 StVO überholt, so ist neben § 315c Abs. 1 Nr. 2c an sich auch § 315c Abs. 1 Nr. 2b erfüllt. § 315c Abs. 1 Nr. 2b tritt aber hinter die spezielle Regelung des § 315c Abs. 1 Nr. 2c zurück (vgl. Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 275). dd) Zu schnelles Fahren an unübersichtlichen Gefahrstellen (Nummer 2d). Nummer 2d 1 0 6 knüpft an die straßenverkehrsrechtliche Grundregel an, wonach ein Fahrzeugführer nur so schnell fahren darf, daß er sein Fahrzeug ständig beherrscht (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVO). Von der Strafdrohung erfaßt wird nicht jedes zu schnelle Fahren.222 Vielmehr greift das Gesetz typisierend die übermäßige Geschwindigkeit an bestimmten Gefahrstellen heraus (vgl. BTDrucks. IV/651 S. 29; s. auch Entstehungsgeschichte). Die forensische Bedeutung der Vorschrift ist gering (Rdn. 1). 1998 ist es zu 131 rechtskräftigen Verurteilungen gekommen. (1) Unübersichtliche Stelle. Der Begriff der unübersichtlichen Stelle ist aus § 9 1 0 7 StVO a. F.223 in das StGB übernommen worden (BayObLG VRS 75 209, 210; Demuth JurA 1971 383, 393). Er existiert heute in § 3 StVO nicht mehr (s. aber § 8 Abs. 2, § 12 Nr. 1 StVO). § 3 Abs. 1 StVO benennt vielmehr beispielhaft bestimmte Faktoren wie Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnisse, denen der Fahrzeugführer durch Anpassung der Geschwindigkeit Rechnung zu tragen hat. Das StGB hat den herkömmlichen Begriff hingegen beibehalten, ohne daß dessen Ausfüllung durch die Neufassung der StVO aus dem Jahre 1970 eine Änderung erfahren hätte. Eine Stelle ist unübersichtlich, wenn der Fahrzeugführer den Verkehrsablauf wegen ungenügenden Überblicks über die Fahrbahn oder die sie umgebende Örtlichkeit nicht vollständig übersehen, deshalb Hindernisse und Gefahren nicht rechtzeitig bemerken und ihnen nicht sicher begegnen kann.224 Die Umstände, aus denen sich die Unübersichtlichkeit ergibt, sind vom Richter festzustellen und im Urteil darzulegen (OLG Hamm DAR 1969 275; OLG Düsseldorf VRS 79 370). Aus den Urteilsgründen muß sich namentlich der Grad der Sichtbehinderung ergeben (BayObLGSt. 1952 252, 253). (a) Ortliche Verhältnisse, Sichtverstellung. Unübersichtlichkeit kann zunächst auf- 1 0 8 grund der örtlichen Verhältnisse gegeben sein, so etwa vor nicht einsehbaren Kurven oder Bergkuppen (BayObLG VRS 75 209, 210f; Demuth JurA 1971 383, 393). Weitere Beispiele sind nahe an der Fahrbahn stehende Häuser, Bäume, Büsche, hochgewachsenes Gras oder anderer Bewuchs (OLG Celle VRS 31 33, 34). Wesentlich durch die Örtlichkeit bedingt sein kann die Unübersichtlichkeit desgleichen bei Dunkelheit 222

223

Z u Reformbestrebungen in diese R i c h t u n g vgl. R d n . 69. § 9 Abs. 1 a. F. lautete: „Der Fahrzeugführer hat die Fahrgeschwindigkeit so einzurichten, daß er jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen im Verkehr Genüge zu leisten, und daß er das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anhalten kann.

(179)

224

Das gilt besonders an unübersichtlichen Stellen und an höhengleichen Bahnübergängen." B G H V R S 3 247, 249; 17 43; B a y O b L G S t . 1952 252, 253; 1955 240f; 1968 15, 20; B a y O b L G V R S 75 209, 210; O L G Celle V R S 31 33, 34; O L G H a m b u r g VerkMitt. 1964 Nr. 26 S. 21.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(BGH VRS 3 247, 249; DAR 1953 58 f), ζ. B. bei unzureichender Laternenbeleuchtung oder bei durch die Scheinwerfer des Fahrzeugs nicht ausleuchtbarer sehr breiter Fahrbahn (BGH DAR 1953 58 f). Entsprechendes gilt, wenn infolge einer Krümmung nur eine kurze Strecke beleuchtet wird (BayObLGSt. 1955 240, 241), und für das Durchfahren von Kurven mit Gegenverkehr (vgl. BGH VRS 24 369, 372 ff). Eine Straßenstelle kann auch durch vorübergehende sächliche Hindernisse unübersichtlich werden, ζ. B. bei Sichtbehinderung durch eine Baustelle oder durch ein oder mehrere parkende Fahrzeuge an einer Engstelle (BayObLGSt. 1952 252, 253f)- § 315c Abs. 1 Nr. 2d kann des weiteren erfüllen, wer an einem an einer Haltestelle stehen gebliebenen öffentlichen Verkehrsmittel mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahrt und dabei Personen gefährdet, die zum Zweck des Einsteigens bereits auf die Straße getreten sind (BGH VRS 17 43, 46).225 Demgegenüber begründet eine kurzzeitige Verstellung der Sicht noch keine Unübersichtlichkeit im Sinne des Gesetzes, ζ. B. nicht ein auf der gegenüberliegenden Fahrbahn haltender Bus, der die Sicht auf den hinter ihm liegenden Streckenteil versperrt (BGHSt. 13 169, 171 f) bzw. - mit derselben Folge - entgegenkommende Fahrzeuge (BGH VRS 27 119, 124; VerkMitt. 1965 Nr. 28 S. 19; BayObLG DAR 1962 272). 109

(b) Andere Hindernisse. Nach ganz h. M.226 können weitere von außen kommende Umstände eine nach der konkreten Ortlichkeit an sich übersichtliche zu einer unübersichtlichen Stelle machen. Dazu rechnet u.a. die Sichtbehinderung durch Nebel (BayObLGSt. 1952 45, 46 f; BayObLG VRS 75 209, 210; OLG Köln VRS 40 194, 195 f) oder starken Regen- oder Schneefall. Eine Blendwirkung durch Sonnenstrahlen wird ebenso diesen Umständen zugeordnet (OLG Hamm VRS 25 443, 445) wie die Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge (OLG Stuttgart DAR 1965 103, 104; vgl. auch BayObLGSt. 1955 96, 99).227 Die Einbeziehung der genannten „Hindernisse" dürfte allerdings am Rande des noch Vertretbaren liegen (vgl. Cramer VOR 1974 21 36f). Jedenfalls die Vereisung (Verschmutzung) der Scheiben kann als Eigenschaft spezifisch des Fahrzeugs nicht mehr genügen; die Stelle wird hierdurch nicht unübersichtlich.228 Das gleiche gilt für eine (vorübergehende) Sichtbehinderung aufgrund der Disposition des Fahrers (Horn SK Rdn. 13), wie z.B. vermindertes Sehvermögen nach Herunterfallen der Brille oder Übermüdung.

110

(2) Straßenkreuzungen, -einmündungen. Der Begriff der Straßenkreuzungen und Straßeneinmündungen entspricht dem des § 8 StVO. Zu schnelles Fahren vor der Gefahrenstelle genügt prinzipiell nicht (BayObLG DAR 1956 19). Führt das zu schnelle Fahren vor der Gefahrenstelle allerdings dazu, daß der Fahrzeugführer seinen Pflichten in der Kreuzung/Einmündung nicht mehr entsprechen kann, so reicht dies aus (BGH VRS 48 28; BayObLG VRS 61 212f).229 § 315c Abs. 1 Nr. 2d ist ζ. B. gegeben, wenn ein Kraftfahrer sich mit hoher Geschwindigkeit einer Kreuzung nähert, bei Umschaltung der Ampel auf Gelb/Rot seine Geschwindigkeit erhöht und schließlich beim Überqueren der Kreuzung andere gefährdet (OLG Stuttgart DAR 1970 133f)· (Zu schnelles) Fahren in einer Einbahnstraße entgegen der vorgegebenen Richtung hindert die Anwendung der Vorschrift nicht (BGH VRS 18 191, 192f). 225

226

S. dazu, daß in solchen Fällen kein Überholen gegeben ist, Rdn. 87. Horn SK Rdn. 13; Lackneri Kühl Rdn. 16; SehlSchröder! Cramer Rdn. 22; TröndlelFischer Rdn. 8; JaguschiHentschel Rdn. 37; Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 24; Demuth JurA 1971 383, 393.

227

228

229

Ebenso Lackneri Kühl Rdn. 16; Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 24; AA Horn SK Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8. Horn SK Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 8; Mühlhaus/Janiszewski Rdn. 24. Der gegenteiligen Auffassung zuneigend BayObLGSt. 1968 15,20. S. auch BVerfG DAR 1999 309.

Stand: 1. 7. 2000

(180)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

§ 315c Abs. 1 Nr. 2d dient auch dem Schutz der Fußgänger vor einbiegenden Fahrzeugen an Kreuzungen und Einmündungen (§ 9 Abs. 3 Satz 3 StVO). Deshalb handelt ein Fahrzeugführer tatbestandsmäßig, der sein Fahrzeug aufgrund zu hoher Geschwindigkeit nicht mehr rechtzeitig anhalten kann, die Ampel bei Rot überfahrt und Fußgänger gefährdet, die bei Grünlicht die Straße überqueren (KG VRS 37 445, 446 f). Das gleiche gilt, wenn er durch ein unvernünftig schnelles Anfahren die jenseits der Kreuzung auf der Fahrbahn befindlichen Passanten in Gefahr bringt (OLG Hamm VRS 11 57, 58). (3) Bahnübergänge. Beim zu schnellen Fahren an Bahnübergängen (vgl. § 19 StVO) 111 wird nicht selten § 315 Abs. 1 Nr. 2 (Hindernisbereiten) gegeben sein (§315 Rdn. 35), hinter den § 315c Abs. 1 Nr. 2d in der Regel zurücktritt. § 315c Abs. 1 Nr. 2d muß aber im Schuldspruch selbständig zum Ausdruck kommen, wenn außer dem Schienenauch der Straßenverkehr gefährdet wird. (4) Zu schnelles Fahren. Hinsichtlich des zu schnellen Fahrens ist grundsätzlich 1 1 2 von der Regelung des § 3 Abs. 1 StVO auszugehen. Der Fahrzeugführer darf danach nur so schnell fahren, daß er sein Fahrzeug jederzeit rechtzeitig anhalten kann. Dabei muß er hinsichtlich der Wahl der Fahrgeschwindigkeit nicht nur die Sichtverhältnisse berücksichtigen, sondern auch seine persönlichen Fähigkeiten und die Eigenschaften des Fahrzeugs. Ergibt sich die Sichtbehinderung allerdings wesentlich aus persönlichen Eigenschaften oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs, so kann allein deswegen keine Unübersichtlichkeit der Stelle angenommen werden (Rdn. 109). Zum zu schnellen Fahren an Kreuzungen und Einmündungen gilt das in Rdn. 110 Gesagte. (5) Innerer Zusammenhang. Die herbeigeführte Gefahr muß in innerem Zusam- 1 1 3 menhang (dazu allgemein unten Rdn. 171 ff) mit den Risiken stehen, die von Straßenkreuzungen, -einmündungen und Bahnübergängen typischerweise ausgehen. Daß der Gefahrerfolg nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens eintritt, genügt nicht. Nach dem Gesetz ist der Bereich des Strafwürdigen und der Strafe Bedürftigen nämlich nur dann erreicht, wenn der Täter die spezifischen Risiken der Gefahrstelle mißachtet und sich gerade dies in der Gefährdung fremder Rechtsgüter realisiert, also nicht, sofern die besondere Gefahrenlage zum Eintritt der konkreten Gefahr nicht beigetragen hat. Mithin ist § 315c Abs. 1 Nr. 2d nicht erfüllt, wenn die Gefahrstelle hinweggedacht werden kann, ohne daß hierdurch der Gefahrerfolg entfiele (BayObLGSt. 1976 11, 12). Wird der Täter ungeachtet der Sichtverhältnisse beispielsweise aufgrund zu hoher Geschwindigkeit oder wegen eines Fahrfehlers aus einer Kurve getragen, so geht er unter dem Aspekt des § 315c Abs. 1 Nr. 2d straffrei aus (BayObLG VRS 64 371, 372 f; OLG Hamm NJW 1955 723). Am inneren Zusammenhang fehlt es auch dann, wenn der Täter an einer Einmündung gezielt auf einen Fußgänger zufahrt, um diesen möglicherweise zu verletzen (Rdn. 171a. E.); in solchen Fällen ist jedoch § 315b Abs. 1 Nr. 3 erfüllt (BGH VRS 48 28f; § 315b Rdn. 45, 95 a. E.). ee) Verletzung des Rechtsfahrgebots an unübersichtlichen Stellen (Nummer 2e). 1 1 4 Zur unübersichtlichen Stelle gilt das in Rdn. 107 ff Gesagte. Mit der Aufnahme der Nummer 2e in den Katalog des § 315c Abs. 1 wollte der Gesetzgeber vor allem der besonders unfallträchtigen Unsitte des Kurvenschneidens entgegenwirken, die „den Gegenverkehr auf das schwerste gefährden kann" (BTDrucks. IV/651 S. 29). Dementsprechend genügt eine bloße Verletzung des Rechtsfahrgebots (§ 2 Abs. 2 StVO) allein noch nicht, sondern muß die rechte Fahrbahnseite mindestens teilweise verlassen und damit der Gegenverkehr unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen werden (BTDrucks. IV/651 S. 29; BGH VRS 44 422,423). Dies ist ζ. B. gegeben, wenn ein Motorradfahrer (181)

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

mit überhöhter Geschwindigkeit in eine durch einen Wald verdeckte unübersichtliche Kurve einfährt und die Mittellinie dabei um einen Meter überschreitet (BayObLG VRS 64 123, 124) oder wenn der Täter bei einer Sichtweite von 30 bis 40 Metern mit einem 2,60 Meter breiten Kran auf der Mitte einer schmalen Straße in eine nicht überschaubare Kurve einfährt (OLG Stuttgart DAR 1971 248). Hingegen paßt der Tatbestand seinem ganzen Zuschnitt nach nicht für das Fahren auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen in entgegengesetzter Richtung (hierzu § 315 c Abs. 1 Nr. 2f) und auch nicht für das (ständige) Linksfahren auf Autobahnen oder anderen Straßen mit zwei gleichgerichteten Fahrspuren (Demuth JurA 1971 383, 395 f)· Die forensische Bedeutung der Vorschrift ist sehr gering (Rdn. 1). 1998 ist es zu 17 rechtskräftigen Verurteilungen gekommen. 115

ff) Wenden, Rückwärtsfahren oder Fahren entgegen der Fahrtrichtung auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen (Nummer 2f). Nummer 2f pönalisiert nicht oft vorkommende (1998: 43 rechtskräftige Verurteilungen; vgl. auch Rdn. 1), aber um so gefahrlichere Verkehrsverstöße. Die Vorschrift ist mehrfach erweitert worden und hat seit 1986 ihre heutige Fassung (vgl. Entstehungsgeschichte). Der Versuch der Tathandlungen ist deren Völlendung gleichgestellt, weswegen der Sache nach ein Unternehmensdelikt (§ 11 Abs. 1 Nr. 6) gegeben ist.230 Infolgedessen sind die Strafmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 und der Rücktritt vom Versuch (§ 24) ausgeschlossen. Die Merkmale des Wendens und Rückwärtsfahrens sind auch in § 9 Abs. 5, § 18 Abs. 7 StVO enthalten und wie dort zu interpretieren. Das gleiche gilt für die Begriffe der Autobahn und der Kraftfahrstraße (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVO).

116

(1) Autobahn, Kraftfahrstraße. Der Anwendungsbereich des § 315c Abs. 1 Nr. 2f ist auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen beschränkt. Autobahn ist der zwischen den Zeichen 330 („Autobahn") und 334 („Ende der Autobahn") 231 befindliche Straßenraum. Den Zeichen kommt konstitutive Wirkung zu. Der Ausbauzustand der Straße ist ohne rechtlichen Belang (u.a. BayObLG VRS 58 154; OLG Hamm VRS 48 65, 67). § 315c Abs. 1 Nr. 2f ist deshalb nicht anwendbar, wenn die Tathandlung auf einer vor dem Zeichen 330 befindlichen Straßenstelle stattgefunden hat, auch wenn die Stelle Teil einer einheitlichen und im späteren Bereich mit Zeichen 330 gekennzeichneten Autobahnzufahrt ist (vgl. OLG Düsseldorf VRS 94 232, 233). Innerhalb der genannten Zeichen ist der gesamte Straßenbereich - also nicht etwa nur die durchgehende Fahrbahnen - „Autobahn" im Sinne des § 18 StVO.232 Umfaßt sind die Standspur (OLG Düsseldorf VRS 68 141, 142, OLG Oldenburg VRS 60 312, 313) und auch die Zu- und Abfahrtstraßen (die Anschlußstellen der Autobahn) sowie die Zu- und Abfahrten von Autobahnraststätten, Tankstellen oder Parkplätzen (OLG Hamm 59 458 f), desgleichen die neben der Hauptfahrbahn verlaufenden sog. Verbindungsstraßen zwischen den Aus- und Einfahrten (BGHSt. 31 71, 74 m. w. N). Hingegen gelten die Verbote des § 315c Abs. 1 Nr. 2f (§ 18 Abs. 7 StVO) nicht für das Raststätten-, Tankstellen- oder Parkplatzgelände selbst (BayObLG VRS 58 154, 155). Ob eine Straße die Qualifikation einer Kraftfahrstraße aufweist, bestimmt sich - ebenso wie bei der Autobahn - formal nach der rechtsgestaltenden Setzung der Zeichen 331 und 3 36.233 Das Zeichen 331 markiert den Anfang der Kraftfahrstraße dabei Vgl. BayObLGSt. 1996 48, 49; Horn SK Rdn. 15; Sehl Schröder/Cramer Rdn. 24. Zur Aufstellung jeweils I Satz 1 Satz 1 VwV (je Rdn. 1) zu den Zeichen 330, 334. Allgemeine Meinung, s. nur BGHSt. 18 188, 189 ff; BayObLG VRS 58 154; OLG Düssel-

233

dorf VRS 94 232; OLG Hamm VRS 59 458; MühlhauslJaniszewski § 18 StVO Rdn. 1, alle m.w.N. OLG Hamm VRS 42 311 312; VRS 48 65, 67; OLG Karlsruhe VRS 60 227.

Stand: 1. 7. 2000

(182)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§

315c

nicht, wenn durch Zusatzschild 741 (z.B. „50m") klargestellt ist, daß die Kraftfahrstraße erst in einem späteren Streckenabschnitt beginnen soll; ist das Zeichen 331 dort dann nicht (ohne Zusatzschild) aufgestellt, so fehlt es am Merkmal der Kraftfahrstraße (OLG Karlsruhe VRS 60 227, 228). (2) Wenden. Wenden wird allgemein als Vorgang verstanden, mit dem das Fahr- 1 1 7 zeug auf derselben (baulich einheitlichen) Straße, ggf. unter Mitbenutzung von neben der eigentlichen Verkehrsfläche liegenden anderen Grundflächen, von der bisherigen in die entgegengesetzte Richtung gebracht, mithin eine Richtungsänderung um 180 Grad bewirkt wird. Kein Wenden, sondern ein Abbiegen liegt vor, wenn der Täter die baulich einheitliche Straße vollständig verlassen hat (BGHSt. 31 71, 74; BayObLG VRS 90 448, 448).234 Nicht entscheidend ist, ob der Fahrzeugführer anschließend in der entgegengesetzten Richtung weiterfahrt oder weiterzufahren beabsichtigt. 235 Die Gefährlichkeit des Fahrmanövers besteht nämlich in der Überquerung der Fahrbahn und dem Umdrehen des Fahrzeugs in die Gegenrichtung, nicht aber im Weiterfahren oder gar der diesbezüglichen Absicht (BGHSt. 27 233, 235). Trotz dieses Umstands und obwohl Wortlaut und Wortsinn es durchaus erlauben würden, als Wenden den gesamten (gestreckten) Vorgang des Umdrehens des Fahrzeugs zu verstehen, sieht die h. M. das Merkmal erst mit der Ausführung des Bogens als vollendet an. 236 Ein Widerspruch zur Vorgehensweise beim strukturell sehr ähnlichen Überholen (hierzu Rdn. 88ff) ist dabei nicht zu verkennen. Die divergierende Behandlung kann wohl nur mit der historischen Entwicklung erklärt werden. Anders als bei § 18 Abs. 7 StVO (hierzu BayObLGSt. 1996 48, 49 f) wirkt sich die Frage allerdings im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2f praktisch nicht aus, weil hier auch der Versuch des Wendens einbezogen ist. „Wenden" verlangt einen zielgerichteten Vorgang. Wer durch einen Schleudervorgang in die entgegengesetzte Richtung gerät, wendet deshalb nicht (OLG Köln VRS 74 139). Allerdings kann bei ungewollt eingeleiteter Richtungsänderung u. U. in deren gezielter Fortsetzung ein tatbestandsrelevantes Wenden zu sehen sein (so OLG Stuttgart JR 1977 253, 255). Der Versuch des Wendens beginnt mit dem Einschlagen des Steuers und dem 1 1 8 Anfang der Richtungsänderung, also mit dem Anfahren in die angestrebte neue Fahrtrichtung (BayObLGSt. 1996 48, 50; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 22). Hingegen sind die Herabsetzung der Geschwindigkeit und das Anhalten zum Zweck des Wendemanövers noch dem Vorbereitungsstadium zuzurechnen (BayObLGSt. 1996 48, 49 f; Horn SK Rdn. 15). Beendet ist das Wenden mit der Einordnung in den Gegenverkehr oder mit dem Anhalten auf der anderen Straßenseite (MühlhausUaniszewski § 9 StVO Rdn. 57). § 23 Abs. 2 und § 24 StGB sind nicht anwendbar (hierzu Rdn. 115). Wird die Gefahr durch das Weiterfahren nach beendetem Wendevorgang ausgelöst, so ist dies nicht tatbestandsrelevant (OLG Celle VerkMitt. 1983 Nr. 105 S. 87, 88). (3) Rückwärtsfahren. Unter Rückwärtsfahren ist das technisch zu verstehende, gewollte Fahren in Heckrichtung zu verstehen. 237 Daß der Fahrzeugführer hierzu den 234

235

Näher JaguschiHentschel § 9 StVO Rdn. 50; MühlhausUaniszewski §9 Rdn. 56ff. BGHSt. 27 233, 234f; BayObLGSt. 1953 52; BayObLG VRS 52 146, 147; OLG Düsseldorf VRS 81 467, 468; Jaguschi Hentschel § 9 StVO Rdn. 50; MühlhausUaniszewski § 9 StVO Rdn. 56; RüthlBerrlBerz § 9 StVO Rdn. 117. AA zur anschließenden Fortbewegungsabsicht noch

(183)

236

237

OLG Celle VRS 51 74, 75; OLG Koblenz VRS 50 135, 136. BayObLGSt. 1996 48, 49; BayObLG VRS 94 295, 296; OLG Celle VerkMitt. 1983 Nr. 105 S. 87, 88; Jagusch/Hentschel § 9 StVO Rdn. 50; MühlhausUaniszewski §9 Rdn. 57. BayObLG VRS 67 142f; OLG Düsseldorf VRS 81 467, 468; OLG Köln VRS 60 221; VRS 74

Peter König

119

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Rückwärtsgang einlegt (so wohl OLG Düsseldorf VRS 81 467, 468; NZV 2000 303; Mühlham!Janiszewski § 9 StVO Rdn. 67), ist kein notwendiges Begriffselement. Es genügt, wenn er das Fahrzeug ζ. B. unter bewußter Ausnutzung der Schwerkraft nach hinten abrollen läßt (vgl. auch Horn SK Rdn. 15 a. E.). Demgegenüber kann das ungewollte Zurückrollen nicht als Rückwärtsfahren angesehen werden (OLG Düsseldorf VRS 63 471, 472; NZV 2000 303; OLG Stuttgart VerkMitt. 1973 Nr. 83 S. 61).238 Wer eine Kraftfahrstraße verläßt, indem er nach links in einen privaten Forstweg abbiegt, und von dort rückwärts wieder in sie einfährt, fährt auf einer Kraftfahrstraße rückwärts (BayObLG VRS 90 448, 449). Kein Rückwärtsfahren im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2f liegt nach einhelliger Ansicht239 beim sog. „Geisterfahrer" vor, also bei demjenigen, der sein Fahrzeug frontwärts entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fortbewegt (hierzu die nachfolgende Rdn.). Stellt sich das Rückwärtsfahren als Notmaßnahme dar (ζ. B. Verlust eines Gepäckstücks oder eines Zubehörteils des Fahrzeugs), so kann es je nach den Umständen des Einzelfalls an der Rücksichtslosigkeit fehlen (Rdn. 143). Das gleiche gilt, wenn vom Zurücksetzen auf dem Seitenstreifen einer Autobahn geringere Gefahren für den nachfolgenden Verkehr ausgehen, als wenn der Fahrzeugführer stehenbleibt und zurückgeht240 oder wenn der aus einer Autobahn Ausfahrende versehentlich in eine Autobahneinfahrt gerät, dies alsbald bemerkt und dann mit größtmöglicher Sorgfalt zurückstößt.241 Wie beim Wenden (vorstehende Rdn.) liegt der Versuchsbeginn noch nicht im Anhalten zum Zweck des Rückwärtsfahrens (Horn SK Rdn. 15; aA SehlSchröder! Cramer Rdn. 24; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 281), sondern erst im Einlegen des Rückwärtsgangs und beim Abrollenlassen im Lösen der Bremse (vgl. Horn SK Rdn. 15). Mit dem Anrollen der Räder ist das Rückwärtsfahren vollendet; beendet ist es mit dem endgültigen Stillstand der Räder. 120

(4) Fahren entgegen der Fahrtrichtung. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung ist mit dem OWiGStVGÄndG aus dem Jahre 1986 (s. Entstehungsgeschichte) in Nummer 2f aufgenommen worden. Der Gesetzgeber trug damit dem Umstand Rechnung, daß diese gefahrliche, mitunter kilometerlang beibehaltene Verhaltensweise „nicht als Rückwärtsfahren anzusehen ist und auch nicht stets ein Wenden voraussetzt (ζ. B. bei falschem Einfahren)" und selbst bei ausgeführtem Wendevorgang u. U. nicht als solcher strafrechtlich erfaßt werden kann, weil bei Eintritt des Gefahrerfolgs der Wendevorgang bereits abgeschlossen ist und sich das darin liegende Risiko nicht im Gefahrerfolg realisiert (BTDrucks. 10/2652 S. 35). Die - empfindliche - Strafbarkeitslücke bezüglich des quantitativ nicht zu vernachlässigenden Phänomens 242 ist seither geschlossen {Seh!Schröder!Cramer Rdn. 25). In Ausnahmekonstellationen kann es an grober Verkehrswidrigkeit und/oder Rücksichtslosigkeit fehlen. Ist z.B. die Überholspur der Autobahn in einer Kurve 139; OLG Stuttgart JR 1977 253, 255 mit insoweit zust. Anmerkung Rüth JR 1977 255; OLG Stuttgart JR 1980 470f m. Anm. Kürschner JR 1980 472; Jagusch/Hentschel § 9 StVO Rdn. 51; Mühlhaus/Janiszewski § 9 StVO Rdn. 67. Jaguschi Hentschel § 9 StVO Rdn. 51; Mühlhaus/Janiszewski § 9 StVO Rdn. 67; Schleusener KVR Rückwärtsfahren Erläuterungen 1 (Lieferung 12/1996) Bl. 1. BayObLG VRS 67 142f; 94 295 f; OLG Stuttgart JR 1977 253, 255; VRS 58 203 f; OLG Köln

240

241

242

VRS 60 221; OLG Düsseldorf VRS 81 467, 468 f. Zur Würdigung solcher Konstellationen nach Ordnungswidrigkeitenrecht Mühlham!Janiszewski §18 StVO Rdn. 21. Nach OLG Köln VRS 56 63 kann ein Verstoß gegen § 18 Abs. 7 StVO in einem solchen Fall gemäß § 16 OWiG gerechtfertigt sein; zust. Jaguschi Hentschel § 18 StVO Rdn. 22. S. etwa Dvorak DAR 1979 32 und Kürschner JR 1977 472,473.

Stand: 1. 7. 2000

(184)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

durch ein entgegen der Fahrtrichtung stehendes Fahrzeug versperrt, kann es dem Führer dieses Fahrzeugs nicht als grob verkehrswidrig und rücksichtslos angelastet werden, wenn er entgegengesetzt zur Fahrtrichtung fahrend auf dem kürzesten Weg den Seitenstreifen aufsucht; das gilt jedenfalls dann, wenn ein Wenden in einem Zug nicht durchführbar ist (OLG Köln VRS 88 433,434f; Rdn. 136, 143).243 Zum Versuchsbeginn gilt das in Rdn. 118 Gesagte sinngemäß. Bei einer Pervertierung des Verkehrsvorgangs (insbesondere Verletzungsabsicht) kann, was freilich nicht unumstritten ist - ein gefahrlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 3 gegeben sein (§ 315b Rdn. 31,45). gg) Nichtkenntlichmachen liegengebliebener oder haltender Fahrzeuge (Nummer 2 g). 1 2 1 Die Nichtsicherung von liegengebliebenen und haltenden Fahrzeugen hat die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des 2. StraßenVSichG an § 315b Abs. 1 Nr. 1 (Hindernisbereiten) gemessen. Mit § 315c Abs. 1 Nr. 2g wollte der Gesetzgeber mit Blick auf den prinzipiell gegebenen Ausschlußcharakter des § 315c im Verhältnis zu § 315b gewährleisten, daß einschlägige Verhaltensweisen weiterhin geahndet werden können (BTDrucks. IV/651 S. 29). Im Anwendungsbereich des § 315c Abs. 1 Nr. 2g ist § 315b Abs. 1 Nr. 2 seither ausgeschlossen. Bei Vorliegen verkehrsfeindlicher Absicht dürfte zwar eine Ausnahme anzuerkennen sein. Dem kommt jedoch eher theoretische Bedeutung zu (näher § 315b Rdn. 38). Die forensische Bedeutung der Vorschrift ist äußerst gering (s. auch Rdn. 1). 1998 ist es zu vier rechtskräftigen Verurteilungen gekommen. Bei § 315c Abs. 1 Nr. 2g handelt es sich dem Deliktscharakter nach um ein echtes Unterlassungsdelikt.244 Ähnlich wie schon bei Nummer 2c (s. Rdn. 107) ist die Wortfassung der Regelung an einem straßenverkehrsrechtlichen Gebot orientiert, das in dieser Form heute nicht mehr existiert (§ 23 Abs. 2 StVO a. F.;245 hierzu Demuth JurA 1971 383, 396). Erneut ergeben sich hierdurch Divergenzen zwischen StVO und StGB, was nicht recht zufriedenstellen kann: (1) Sprachgebrauch der StVO. Die StVO unterscheidet zwischen Liegenbleiben und Halten eines Fahrzeugs und knüpft daran in § 15 StVO und in § 17 Abs. 4 StVO differenzierte Handlungspflichten. Ein Liegenbleiben ist gegeben, sofern das Fahrzeug gegen den Willen des Fahrzeugführers und nicht durch Anordnungen (Ampel u. ä.) oder die Verkehrslage bedingt zum Stillstand kommt oder der Fahrzeugführer nach gewolltem Anhalten nicht mehr aus eigener Kraft weiterfahren kann. 246 Die Gründe für den unfreiwilligen Stillstand werden meist in technischem Versagen des Fahrzeugs liegen, wie etwa einem Motor- (OLG Düsseldorf VRS 58 281) oder Getriebeschaden (BGH VRS 73 427), der Verstopfung der Brennstoffleitung (BGH VerkMitt. 1968 Nr. 127 S. 89), einem geplatztem Reifen (OLG Hamm VRS 47 65), dem Ausfall der 243

244

245

Zur Würdigung des Falschfahrens, um eine verlorene Brieftasche wieder zu erlangen, im Rahmen des § 16 OWiG, OLG Düsseldorf VRS 81 467 [im konkreten Fall ist Notstand mit Recht verneint worden], TrondlelFischer Rdn. 11; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 283. Abw. (unechtes Unterlassungsdelikt) Horn SK Rdn. 16; LacknerlKühl Rdn. 17a. Vgl. auch Sehl Schröder! Cramer Rdn. 27. Die Vorschrift lautete: „ Wenn es zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, müssen haltende

(185)

246

oder liegengebliebene Fahrzeuge durch besondere Sicherungslampen, Fackeln oder ähnliche Beleuchtungseinrichtungen oder durch rückstrahlende Warneinrichtungen auf ausreichende Entfernung kenntlich gemacht werden." B G H (6. Zivilsenat) VRS 73 427, 430; KG VRS 58 61, 63; OLG Düsseldorf VRS 58 281; VRS 63 70, 71; O L G Zweibrücken VerkMitt. 1977 Nr. 54 S. 43; MühlhauslJaniszewski § 15 StVO Rdn. 4; Rüth!BerrlBerz § 15 StVO Rdn. 1.

Peter König

122

123

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Zündanlage (OLG Zweibrücken VerkMitt. 1974 Nr. 62 S. 48), aber auch nach Unfall, bei Benzinmangel (OLG Hamm VRS 57 215) oder bei einer wegen vereister Kuppe unmöglichen Weiterfahrt {Mühlham!Janiszewski § 15 StVO Rdn. 4). Mit Recht rechnet die ganz h. M. auch den Fall hierher, daß der Weiterfahrt Umstände in der Person des Fahrzeugführers entgegenstehen; ein Beispiel ist Fahrunfähigkeit nach einem Herzanfall.247 Denn dem Gesetz läßt sich nicht entnehmen, daß die Gründe für den unfreiwilligen Stillstand gerade in Zusammenhang mit dem Fahrzeug und dessen Eigenschaften stehen müssen. Der Begriff verlangt allerdings länger dauernden Stillstand. Demgemäß stellen ganz kurzfristige Fahrtunterbrechungen, wie sie ζ. B. nach einem „Abwürgen" des Motors gegeben sein können, kein „Liegenbleiben" dar (KG VRS 58 61, 63). Freiwilliges und kurzzeitiges Stehenbleiben ist als „Halten" anzusehen. 124

(2) Sprachgebrauch des StGB. Demgegenüber behandelt das Strafrecht Liegenbleiben und Halten im Prinzip gleich. Die Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2g steht hinsichtlich beider Fälle unter der gemeinsamen Voraussetzung, daß der Täter das Fahrzeug nicht oder nicht ausreichend kenntlich macht, obwohl dies zur Sicherung des Verkehrs erforderlich gewesen wäre. Es handelt sich dabei um ein eigenständiges strafrechtliches Merkmal. Zu dessen Ausfüllung können und müssen zwar die Verhaltensregeln nach §§ 15, 17 Abs. 4 StVO gewürdigt werden. Die strafrechtliche Beurteilung ist jedoch nicht strikt mit diesen Vorschriften verknüpft. Mithin kann es dazu kommen, daß ein nach § 315c Abs. 1 Nr. 2g relevanter Pflichtenverstoß vorliegt, obwohl die genannten Normen nicht verletzt oder von vornherein nicht einschlägig sind (kritisch Demuth JurA 1971 383, 395 f); theoretisch ist freilich auch die umgekehrte Konstellation denkbar. Was im konkreten Einzelfall zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, muß ergänzend nach den zu § 1 Abs. 2 StVO entwickelten Grundsätzen beurteilt werden (vgl. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 26).

125

(a) Mehrspurige Fahrzeuge. Die straßenverkehrsrechtlichen Verhaltensgebote beim Liegenbleiben von mehrspurigen Fahrzeugen ergeben sich aus § 15 StVO. Dazu gehören das Einschalten des Warnblinklichts (§15 Satz 1 StVO), die Aufstellung von Warnzeichen, insbesondere des Warndreiecks (§ 15 Satz 2 StVO) und die Beleuchtung nach den Vorschriften über haltende Fahrzeuge (§ 15 Satz 3 StVO). Die Sicherungspflicht ist sofort zu erfüllen; sie geht dem Wegschaffen des Fahrzeugs im Grundsatz vor.248 Die Pflicht zur Aufstellung des Warnzeichens kann freilich entfallen, wenn deren Erfüllung länger dauern würde als ein zulässiges Entfernen des Fahrzeugs von der Stelle, an der es.liegengeblieben ist (OLG Köln VRS 88 433, 434). Der Fahrzeugführer muß auch noch kein Warndreieck aufstellen, bevor er sich nicht sicher sein kann, ob ein Defekt vorliegt, der dem Weiterfahren entgegensteht (BayObLG VRS 70 461, 463).249 126 Kommt der Verantwortliche den Geboten des § 15 StVO nach, so scheidet auch § 315c Abs. 1 Nr. 2g in aller Regel aus, weil zugleich das zur Sicherung des Verkehrs Erforderliche unternommen worden ist. In Ausnahmefallen ist allerdings denkbar, daß die Verkehrssicherheit ein Mehr verlangt. Beispielsweise kann es wegen der Größe des Fahrzeugs geboten sein, nicht nur ein, sondern mehrere Warnzeichen aufzustellen. KG VRS 58 61, 62; JaguschiHentschel § 15 StVO Rdn. 3; Mühlhausl Janiszewski § 15 StVO Rdn. 4; Rüth/BerrlBerz § 15 StVO Rdn. 1. Vgl. BGHSt. 16 89, 92 ff; BGH (6. Zivilsenat) VRS 73 427, 431; Mühlhausl Janiszewski § 15 StVO Rdn. 6.

249

Im konkreten Fall hatte der Fahrzeugführer angehalten, nachdem er von anderen auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht worden war, und die Warnblinkanlage eingeschaltet. Danach vergewisserte er sich über den Zustand der Heckbeleuchtung, ohne zuvor das Warnzeichen aufgestellt zu haben.

Stand: 1. 7. 2000

(186)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Sofern der Verantwortliche dieser Handlungspflicht schuldhaft sowie grob verkehrswidrig und rücksichtslos nicht genügt, ist § 315c Abs. 1 Nr. 2g in Betracht zu ziehen; 250 dies wird freilich nicht oft vorkommen. Hierfür muß es sich geradezu aufdrängen, d a ß die Sicherung durch ein einziges Zeichen nicht ausreicht (s. auch § 15 Satz 2 StVO: „mindestens"). (b) Einspurige Fahrzeuge. Auf liegengebliebene einspurige Fahrzeuge ist § 15 StVO 1 2 7 nicht anwendbar. Betroffen sind namentlich Krafträder, selbst wenn sie einen Beiwagen führen (Jagusch/Hentschel § 15 StVO Rdn. 3), sowie Fahrräder. Einspurige Fahrzeuge sind nach der StVO (§ 17 Abs. 4 Satz 4; § 23 Abs. 2 StVO) unverzüglich von der Fahrbahn zu beseitigen oder an den Rand zu schieben (Mühlhaus/Janiszewski § 15 StVO Rdn. 3). Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt allerdings nicht zur Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2g, der auf die Nichtkenntlichmachung abstellt. Jedoch besteht kein Anlaß, § 315c Abs. 1 Nr. 2g auf den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 15 StVO zu beschränken. Das Erfordernis des mehrspurigen Fahrzeugs ist in § 315c Abs. 1 Nr. 2g nicht enthalten, und von Sinn und Zweck der Strafnorm ist z.B. das ungesicherte Stehenlassen eines Motorrads auf der Standspur einer Autobahn eindeutig umfaßt. Die Strafbarkeit setzt allerdings voraus, daß es dem Betroffenen möglich ist, das Fahrzeug hinreichend kenntlich zu machen, was mangels mitgeführten Warndreiecks 251 u . U . auf Schwierigkeiten stößt. Ggf. müssen Warnposten o.ä. aufgestellt werden. (c) (Sonst) haltende Fahrzeuge. Für (sonst) haltende Fahrzeuge ergeben sich in Bezug auf die Sicherungspflichten Anhaltspunkte aus § 17 Abs. 4 StVO. Die Vorschrift betrifft namentlich die Pflicht zu ausreichender Beleuchtung bei Dunkelheit nach den dort weiter genannten Vorgaben. Darauf beschränken sich die Sicherungspflichten jedoch nicht. Denn haltende Fahrzeuge können im ungesicherten Zustand auch bei Tag eine genauso große Gefahrenquelle bilden wie liegengebliebene. Hinsichtlich der im Interesse der Sicherung des Verkehrs gebotenen Maßnahmen gelten die Umstände des Einzelfalls; eine Orientierung an § 15 StVO ist zweckmäßig (SehlSchröder/Cramer Rdn. 26; Demuth JurA 1971 383, 398).

128

(3) Adressat der Sicherungspflicht. Ein Normadressat ist in § 315c Abs. 1 Nr. 2g nicht aufgeführt. Zur Bestimmung des Verantwortlichen können die Grundsätze des unechten Unterlassungsdelikts herangezogen werden {SehlSchröder!Cramer Rdn. 27). Danach ist in erster Linie der Fahrzeugführer handlungspflichtig, aber auch etwa der im Wagen mitfahrende Halter des Fahrzeugs (vgl. Mühlhaus/Janiszewski § 15 StVO Rdn. 8, § 12 StVO Rdn. 72). Daneben kann die Sicherungspflicht jeden treffen, der deren Erfüllung tatsächlich übernommen hat. Eine Garantenstellung kraft Ingerenz bzw. Überwachungspflicht kann des weiteren Personen treffen, die an einem vorangegangenen Unfall beteiligt waren (vgl. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 27).

129

(4) Hilfspflichten. Sind durch einen Unfall Personen verletzt, so kommt es darauf an, ob die Hilfspflicht der Sicherungspflicht nach § 315c Abs. 1 Nr. 2g vorgeht. Bei unmittelbar drohender Lebensgefahr ist zunächst dem Verletzten zu helfen. Droht dem Verletzten bei Ergreifen der Warnmaßnahmen kein weiterer Schaden, so sind zunächst die letzteren anzugehen. Ein Irrtum über den Vorrang der Pflichten ist Tatbestandsirrtum, wenn er auf einer Verkennung der tatsächlichen Umstände beruht. Glaubt der Verantwortliche irrig, die Hilfspflicht gehe stets vor, so ist ein Verbots-

130

250

Vgl. Schi Schröder! Cramer Rdn. 26; aA Demuth JurA 1971 383, 397.

(187)

251

Auf Krafträdern muß ein Warndreieck nicht mitgeführt werden (§ 53a Abs. 2 StVZO).

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

irrtum gegeben (vgl. OLG Stuttgart DAR 1958 222). Ungeachtet dessen wird es in solchen Konstellationen häufig an der Rücksichtslosigkeit fehlen, z.B. bei demjenigen, der sich vor Aufstellung des Warndreiecks um seine Ehefrau kümmert, die einen Schock erlitten hat (vgl. OLG Saarbrücken VerkMitt. 1974 Nr. 94 S. 70f). 131

b) Grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Die Regelverstöße nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 (nicht die nach Nummer 1) müssen „grob verkehrswidrig und rücksichtslos" begangen werden. Das Begriffspaar hat mit dem (1.) StraßenVSichG aus dem Jahre 1952 in das Strafgesetzbuch Eingang gefunden. 252 Es bildet ein entscheidendes Korrektiv zur Eingrenzung der Strafbarkeit. Dadurch wird erreicht, daß nur solche Verkehrsverstöße strafrechtlich erfaßt werden, die objektiv wie subjektiv aus der Masse der im Straßenverkehr begangenen Zuwiderhandlungen herausragen (SehlSchröder!Cramer Rdn. 28). Fehlt es nur an einem der Merkmale, so scheidet § 315c Abs. 1 Nr. 2 aus. Sofern dann nicht Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte gegeben sind, verbleiben nur Ordnungswidrigkeiten nach Straßenverkehrsrecht.

132

aa) Allgemeines. Inhaltlich bezeichnet „grob verkehrswidrig" nach einer herkömmlichen Unterscheidung mehr den objektiv besonders verkehrsgefahrdenden Charakter des jeweiligen Verhaltens, während die Rücksichtslosigkeit mehr für einen besonderen Grad subjektiver Pflichtwidrigkeit steht.253 Systematisch ist die grobe Verkehrswidrigkeit - wie auch die grobe Pflichtwidrigkeit nach § 315 a Abs. 1 Nr. 2 (§ 315a Rdn. 28, 34) - den gesamttatbewertenden Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen (LackneriKühl § 15 Rdn. 16). Nach zutreffender, freilich sehr streitiger, Auffassung handelt es sich aber auch bei der Rücksichtslosigkeit um ein Element des Unrechtstatbestandes (Rdn. 138). Entsprechend dem eindeutigen Gesetzeswortlaut muß der Täter grob verkehrswidrig und zugleich rücksichtslos handeln. Demgemäß genügt es bei mehreren Verfehlungen nicht, wenn er in einem Fall „nur" grob verkehrswidrig, im anderen Fall aber „nur" rücksichtslos gehandelt hat (BGH VRS 16 132, 133); eine „Addition" der beiden Elemente ist unzulässig. Der Vorwurf richtet sich gegen den in der Fahrweise zum Ausdruck gekommenen Pflichtenverstoß; er kann deshalb nicht allein und auch nicht ergänzend damit begründet werden, daß der Täter sich in fahrunsicherem Zustand an das Steuer eines Fahrzeugs begeben hat (vgl. BGH aaO). Der Tatrichter hat die Umstände, aus denen sich grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit ergeben, in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (OLG Köln VRS 84 293, 294). Bei der Bewertung eines Verhaltens als rücksichtslos hat er einen durch die Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum (BayObLG VRS 79 365, 367; OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18, 19).

133

bb) Grob verkehrswidrig ist ein Verhalten, das sich objektiv als besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften und gegen die Verkehrssicherheit darstellt.254 Nach der durch den Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen (Rdn. 131) getroffenen Entscheidung ist Strafbarkeit noch nicht bei jedem vom Katalog des § 315c Abs. 1 Nr. 2 252

253

Damals „in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise"; näher Entstehungsgeschichte. OLG Düsseldorf DAR 1957 189, 190; OLG Karlsruhe NJW 1957 1567; OLG Köln VRS 84 293, 294; OLG Stuttgart NJW 1967 1766; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 28; JaguschiΗentschel Rdn. 20; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 17; Wessels!Hettinger BT/I Rdn. 998. Differenzierend Koch DAR 1970 322. Vgl. auch Schweling ZStW 72 (1960) 464, 474.

2S4

Ganz h.M. S. nur BGHSt. 5 392, 395; OLG Braunschweig, VRS 32 372, 373 f; OLG Düsseldorf VRS 91 358, 359; 98 350, 352; OLG Köln 84 293, 294; OLG Stuttgart NJW 1967 1766. Horn SK Rdn. 17; LackneriKühl Rdn. 19; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 29; Tröndle!Fischer Rdn. 13.

Stand: 1.7. 2000

(188)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

erfaßten Fehlverhalten gegeben. Vielmehr muß ein im Schweregrad qualifizierter Regelverstoß gegeben sein. Dabei dürfen die Unterschiede zwischen den einzelnen Tathandlungen nicht außer acht gelassen werden. Während nämlich insbesondere die Vorfahrtverletzung nach Nummer l a ein breites Spektrum von mehr oder weniger gefahrlichen Verhaltensweisen umfaßt, ist Nummer 2 c oder f in der Tatbestandsbeschreibung vergleichsweise eng und bereits abstrakt gesehen so riskant, daß in der Regel grob verkehrswidriges Verhalten anzunehmen sein wird (Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 310; zum „Geisterfahren" vgl. auch Jähnke DRiZ 1990 425,429 f). Die Situation stellt sich damit ähnlich dar wie bei der groben Pflichtwidrigkeit nach § 315a Abs. 1 Nr. 2 (s. dort Rdn. 28). (1) Besonders schweres Fehlverhalten. Ob schweres Fehlverhalten vorliegt, läßt sich 1 3 4 nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Von der konkreten Verkehrslage ausgehend ist zu fragen, ob die Verkehrssicherheit nach generalisierender Würdigung in besonders schwerem Maße beeinträchtigt ist.255 Das Merkmal übernimmt demnach letztlich, und zwar in qualifizierender Form, die Funktion der in §§ 315, 315 b gesondert enthaltenen Voraussetzung der Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit (Rdn. 2). Maßgebend ist das Gewicht des Fehlverhaltens. Der grobe Verkehrsverstoß darf nicht allein daraus abgeleitet werden, daß eine schwere Gefahr/Verletzung eingetreten ist (vgl. OLG Hamm VRS 38 285, 288; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 29; Ranft Jura 1987 608, 612).

(2) Grobe Verkehrswidrigkeit ist beispielsweise bejaht worden/zu bejahen in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2a, wenn der Fahrzeugführer bereits seit einiger Zeit aufleuchtendes Rotlicht überfahrt, mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h in die Kreuzung einfährt und dabei den Querverkehr gefährdet (OLG Düsseldorf VRS 91 358, 359f; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1967 1766), wenn er unter Mißachtung des Vorfahrtrechts nach § 18 Abs. 3 StVO ohne Rücksicht auf den herannahenden Verkehr von einem Parkplatz in die Autobahn einfahrt (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1966 Nr. 5 S. 3; OLG Frankfurt VRS 46 191, 192), wenn er sich an einer Engstelle unter Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit den Vortritt erzwingt (OLG Oldenburg VRS 42 34, 35), in den Fällen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b, wenn der Täter sein Fahrzeug bei einem Überholvorgang „praktisch blind" in die Gegenfahrbahn hineinlenkt (OLG Koblenz VRS 85 337, 338), wenn er sich als „Kolonnenspringer" betätigt (LG Bochum DAR 1957 302, 303), oder sofort nach dem Einfahren in eine Autobahn auf die Überholspur wechselt und dadurch ein schnell heranfahrendes Fahrzeug gefährdet (LG Bonn VRS 79 17, 19), wenn er ein vorausfahrendes, seinerseits überholendes Fahrzeug bedrängt, indem er über eine Strecke von 500 Metern 3 bis 4 Meter an es heranfahrt und zu den überholten Fahrzeugen einen Seitenabstand von nur 50 cm einhält (offengelassen von OLG Düsseldorf VRS 78 112, 113),256 wenn der Führer eines Lastkraftwagens auf die Überholspur ausschert und dabei ein mit ca. 180 km/h fahrendes und bereits auf 60 bis 80 Meter herangekommenes Fahrzeug gefährdet (OLG Koblenz VRS 76 432, 433) oder seinen Lastzug ohne Vorankündigung nach links herüberzieht und einen überholenden Pkw hierdurch abdrängt (OLG Hamm VRS 38 285, 2860, 255

OLG Braunschweig VRS 32 372, 373 f; OLG Hamm VRS 38 285, 288; OLG Koblenz VRS 46 344, 345 f; OLG Köln VRS 59 123, 124; OLG Stuttgart NJW 1967 1766. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 29; Horn SK Rdn. 17; Tröndle!Fischer

(189)

256

Rdn. 13; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 7; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 284. Zum „Drängeln" als Überholen Rdn. 92f.

Peter König

135

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

wenn sich der Täter bei hoher Geschwindigkeit nach einem Rechtsüberholen auf der Autobahn drei bis vier Wagenlängen vor dem Überholten einordnet, danach stark abbremst und diesen dadurch zu einer Notbremsung zwingt (OLG Düsseldorf VRS 75 351, 352; s. auch OLG Braunschweig VRS 32 372, 374), den rechts Überholten dadurch „schneidet", daß er sich in eine Fahrzeuglücke von lediglich 20 Metern einzwängt (OLG Koblenz VRS 71 278, 279) oder einen Linienbus mit relativ hoher Geschwindigkeit rechts überholt, dann knapp vor ihm nach links einbiegt und diesen so zu einer Notbremsung zwingt (OLG Düsseldorf VRS 98 350, 352), wenn der Täter bei sehr eingeschränkter Sichtweite (unübersichtliche Kurve, zusätzlich Kuppe) überholt (OLG Koblenz VRS 64 125, 126), den Überholvorgang vor einer schlecht übersehbaren, abschüssigen Kurve fortsetzt (OLG Koblenz VRS 49 40, 42) oder in einer lang gezogenen, an sich übersichtlichen Kurve ohne hinreichenden Überblick überholt und dem Gegenverkehr hiermit die Durchfahrt versperrt (OLG Braunschweig VRS 30 286, 287), wenn der Fahrzeugführer mit weit überhöhter Geschwindigkeit rechts überholt, und dies, obwohl das auf der linken Fahrbahn befindliche Fahrzeug durch das rechte Blinkzeichen zu erkennen gibt, daß es in die rechte Fahrspur einscheren will (BGH VRS 50 342, 343), wenn der Täter unter Benutzung des Gehsteigs rechts überholt (OLG Hamm VRS 32 449,451), in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2c, wenn der Täter ein an einem Fußgängerüberweg wartendes Fahrzeug mit unverminderter Geschwindigkeit überholt, obwohl sich auf dem Überweg ein Kind befindet (OLG Köln VRS 59 123, 124), wenn er mit nahezu „Stadtgeschwindigkeit" (40 km/h) an einen Überweg heranfahrt, obwohl vor ihm ein anderes Fahrzeug angehalten hat, um einem Fußgänger das Überqueren der Straße zu ermöglichen (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1974 Nr. 50 S. 37), in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2d, wenn der Täter trotz einer wegen dichten Nebels auf 30 bis 50 Meter eingeschränkten Sichtweite mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h fährt (BayObLG VRS 75 209, 211),257 wenn der Täter mit weit überhöhter Geschwindigkeit (135 km/h statt wie zugelassen 60 km/h) an eine Kreuzung heranfahrt (BayObLG VRS 73 379, 380), wenn er mit übersetzter Geschwindigkeit in eine unübersichtliche Kurve einfahrt (BayObLG VRS 64 371, 372), und erst recht, wenn er die Kurve schneidet und dabei „nach Rennfahrerart" bis hart an den linken Fahrbahnrand heranfahrt (OLG Koblenz VRS 46 344, 345 f), wenn der Täter so schnell an eine Einmündung heranfährt, daß er dort seinen Pflichten nicht mehr nachkommen kann (BayObLG VRS 61 212, 213), in der Regel, wenn er die höchstzulässige Geschwindigkeit um das Doppelte überschreitet (apodiktisch OLG Karlsruhe NJW 1960 546 [LS]258), wenn der Führer eines leeren Lastzugs (erhöhte Schleudergefahr) seine ohnehin schon zu hohe Geschwindigkeit bei Umschalten von grünem Dauerlicht auf grünes Blinklicht nochmals erhöht, um eine ampelbewehrte Kreuzung noch überqueren zu können (OLG Stuttgart DAR 1970 133, 134), wenn der Führer eines Lkw mit überhöhter Geschwindigkeit an einer ihm den Blick teilweise versperrenden Straßenbahn vorbeifährt (BGH VRS 17 43, 46), in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2e, wenn der Täter (Motorradfahrer) in einer unübersichtlichen Kurve die Mittellinie einer Kraftfahrstraße um einen Meter überfährt (BayObLG VRS 64 123, 124).

257

Nach BVerfG DAR 1999 309 verstößt die Annahme grober Verkehrswidrigkeit in solchen Fällen, was freilich auch nicht überrascht, nicht gegen das Grundgesetz.

258

S. dazu, daß grobe Verkehrswidrigkeit auch vorliegen kann, wenn der Täter unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bleibt, BGH VRS 16 132, 133.

Stand: 1. 7. 2000

(190)

G e f ä h r d u n g des Straßenverkehrs

§ 315c

In den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2f wird zumeist grobe Verkehrswidrigkeit gegeben sein; die dort verpönten Regelverstöße sind schon per se außerordentlich schwerwiegend (Rdn. 133). Dies muß aber nicht stets der Fall sein (Rdn. 136); u.U. kann es auch an der Rücksichtslosigkeit fehlen (Rdn. 143). Bei der Nichtkenntlichmachung haltender oder liegengebliebener Fahrzeuge (§ 315c Abs. 1 Nr. 2g) sind u.a. der Standort des Fahrzeugs (etwa auf der Normalspur oder Überholspur einer Autobahn), die Wetter- und Sichtverhältnisse (ζ. B. Dunkelheit, Niederschlag, Nebel) und die Verkehrsdichte von entscheidender Bedeutung (vgl. auch SehlSchröder! Cramer Rdn. 29). (3) Grobe Verkehrswidrigkeit ist u.a. verneint worden/zu verneinen 136 in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2b je nach den Umständen des Einzelfalls, wenn der Täter den Überholten beim Rechtsüberholen schneidet (OLG Köln VRS 35 436; vgl. auch OLG Köln VRS 84 293), in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2c, wenn der Täter mit 32 km/h an einen Fußgängerüberweg heranfahrt, ohne einen an dessen Rand stehenden Passanten zu bemerken (vgl. OLG Stuttgart VRS 74 186,1870, wohl in den Fällen § 315 c Abs. 1 Nr. 2f, wenn der Fahrzeugführer, dessen Fahrzeug nach einem Unfall bei Nässe entgegengesetzt und in einer Linkskurve auf der Überholspur der Autobahn zum Stehen gekommen ist, durch Wenden und, da ihm ein Wenden in einem Zug nicht möglich ist, entgegengesetzt zur Fahrtrichtung fahrend auf dem kürzesten Weg den Seitenstreifen aufsucht (vgl. OLG Köln VRS 88 433; dort: nicht rücksichtslos [Rdn. 143]; s. auch Rdn. 119, 120), wohl in den Fällen § 315 c Abs. 1 Nr. 2 g, wenn die Kenntlichmachung des Fahrzeugs längere Zeit in Anspruch nehmen würde als die Beseitigung der Hindernisse (vgl. OLG Köln VRS 88 433; dort: nicht rücksichtslos). cc) Rücksichtslos. Das Merkmal der „Rücksichtslosigkeit" dürfte seine historischen 1 3 7 Wurzeln im allgemeinen Rücksichtnahmegebot der straßenverkehrsrechtlichen Generalklausel (§ 1 StVO) haben. Es sollte nach dem Vorschlag der Regierungsvorlage zum (1.) StraßenVSichG einziger Gradmesser sein, um das Führen eines Fahrzeugs mit schuldhaft herbeigeführter (Gemein-)Gefahr zur Straftat zu qualifizieren. Dieser umfassende Ansatz ist jedoch nach sehr streitigen Beratungen in den Ausschüssen des Bundestags zu Recht fallengelassen worden (Entstehungsgeschichte). „Rücksichtslosigkeit" weist Parallelen zu dem u.a. in § 170c a.F. und § 170d a.F. verwendeten Merkmal der „Gewissenlosigkeit" auf (Maassen NJW 1953 201, 202), deckt sich jedoch damit nicht (Schweling ZStW 72 (1960) 464,4750(1) Stellung im Deliktsaufbau. Die Stellung des Merkmals der Rücksichtslosigkeit 1 3 8 im Verbrechensaufbau ist nicht leicht zu bestimmen und dementsprechend außerordentlich umstritten. Der BGH hat die Rücksichtslosigkeit in einem Urteil aus dem Jahre 1962 im Anschluß an Schmidhäuser2S9 als schuldsteigerndes Gesinnungsmerkmal verstanden (BGH VRS 23 289, 2920· Er berief sich dafür auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers, der eine extrem verwerfliche Verkehrsgesinnung des Täters zur Zeit seiner Verfehlung im Blick gehabt habe (BGH aaO S. 292 f, m. w. N. aus dem älteren Schrifttum). Zuvor hatte der BGH die Rücksichtslosigkeit als ein zum inneren Tatbestand gehörendes Element bezeichnet (BGHSt. 5 392, 395). 259

Gesinnungsmerkmale im Strafrecht (1958) S. 258 f. Kritisch Stratenwerth v. Weber-FestschriftS. 171 ff.

(191)

Peter K ö n i g

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Die Einstufung als Schuldmerkmal entspricht einer in der Lehre verbreiteten Auffassung. 260 Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist uneinheitlich. Teils wird unter Bezugnahme auf B G H VRS 23 289 vom schuldsteigernden Gesinnungsmerkmal gesprochen, 261 teils ist allgemein von einem die subjektive Vorwerfbarkeit begründenden Element die Rede, 262 teils wird das Merkmal aber auch kurzerhand (zugleich) dem objektiven Tatbestand zugeschlagen. 263 Vertieft worden ist die Problematik seit B G H VRS 23 286 in der Rechtsprechung aber soweit ersichtlich nicht mehr. Richtig dürfte es sein, die Rücksichtslosigkeit nicht als zur Schuld gehörend, sondern als Element des Unrechtstatbestandes anzusehen. D a f ü r spricht entscheidend, daß sie auf der gefahrlichen Fahrweise - einem Bezugspunkt im Unrechtsbereich aufbaut und mit ihm verwoben ist (Rdn. 141). Wer grob verkehrswidrig, aber nicht rücksichtslos fahrt, hat nicht etwa den Tatbestand des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 „in Ermangelung eines Schuld-, nämlich eines Gesinnungsmerkmals rechtswidrig, aber schuldlos, sondern er hat ihn überhaupt nicht verwirklicht" (BockelmannIVolk AT S. 56).264 139

(2) Bestandskritik. Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit war von Anfang an umstritten und ist weiterhin Gegenstand der Reformkritik.265 Es wirft zweifellos interpretatorische Schwierigkeiten auf, ein Charakteristikum, das es freilich mit einer Vielzahl von ausfüllungsbedürftigen Begriffen des StGB teilt. In der bisherigen Reformdiskussion ist es dabei nicht gelungen, einen Begriff zu entwickeln, der als signifikant überlegen gelten könnte. 266 Der Gesetzgeber hat es demgemäß beim Hergebrachten belassen. Dieses legislatorische Unterlassen kann f ü r sich anführen, daß das Merkmal auf eine langjährige Ausformung durch die Rechtsprechung zurückblicken kann, ein Aspekt, der gerade in Massenverfahren nicht vernachlässigt werden darf. Hinzu 260

Jescheckl Weigend AT § 42 II 3 a; Roxin AT I § 10 Rdn. 78, 82 (jeweils „echtes Gesinnungsmerkmal"); s. auch dens. LK § 28 Rdn. 12ff; Sch/Schröder/Stree Vorbem. §§ 13ff Rdn. 121; TröndlelFischer § 16 Rdn. 19; Jagusch/Hentschel Rdn. 20; Krumme StVR Rdn. 127; wohl auch Baumann/ Weber AT § 201 2.

261

Z.B. OLG Celle NdsRpfl. 1977 169 [LS]; wohl auch O L G Stuttgart N J W 1967 1766; vgl. (referierend) OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18. Etwa OLG Köln VRS 88 433, 436. Deutlich OLG Köln VRS 84 293, 294 und VRS 88 433, 435 (s. aber dort, wonach das Merkmal die subjektive Vorwerfbarkeit begründet); vgl. auch O L G Koblenz VRS 85 337, 338. Im Ergebnis auch Lackner/Kühl § 15 Rdn. 17; Puppe N K § 15 Rdn. 71 f; Sehl Schröder! Cramer § 15 Rdn. 24; Ranft Jura 1987 608, 612; MaurachlZipf AT/I § 22 Rdn. 56; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 10. Vgl. auch Jakobs AT 8/97. U.a. Jaguschi Hentschel Rdn. 20; Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 312; MaurachlSchroeder/Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 43; Arzt Schröder-GS S. 118, 129; Cramer VOR 1974 21, 34; Peters DAR 1980 45; überzogen SpöhrlKarst NJW 1993 3308, 3309: Die durch den Gesetzgeber mit § 315c verfolgten Intentionen müßten wegen des

262 263

264

265

nicht justitiablen Merkmals als gescheitert angesehen werden. Einige Zeilen später wird dann das, was man erreichen will (Regelvermutung), als gängige Praxis bezeichnet. Ein Gesetzesantrag Hessens im Bundesrat (Fn. 150) hat die Streichung der Rücksichtslosigkeit unter gleichzeitiger Beschränkung des Tatbestands auf vorsätzliches Verhalten vorgeschlagen. Dies würde im Hinblick darauf, daß Verurteilungen wegen Vorsatztaten nicht überwiegen, zu einem teilweisen Leerlaufen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 führen. 266

Cramer (VOR 1974 21, 35, 41 und SchlSchröder Rdn. 30) schlägt die Formel „unter grober Nichtbeachtung der Belange der Verkehrssicherheit" vor. In der Sache liegt die Formel sehr nahe an der „groben Verkehrswidrigkeit" und läuft deshalb auf die Streichung des Merkmals der Rücksichtslosigkeit hinaus, die Cramer zutreffend ablehnt (VOR 1974 21, 34 und SchlSchröder aaO). Das Strafrecht der ehemaligen D D R hatte zunächst auf „verantwortungslose Gleichgültigkeit" abgestellt (hierzu Gabler! Schröder NJ 1969 333, 337). In § 196 Abs. 3 Satz 1 StGB-DDR (schwerer Fall) fand dann die „rücksichtslose Verletzung" von Sicherheitsbestimmungen sowie die Verletzung von Sorgfaltspflichten „in besonders verantwortungsloser Weise" Verwendung.

Stand: 1. 7. 2000

(192)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

kommt, daß sich mittlerweile typische Fallgruppen in positivem wie negativem Sinn herausgebildet haben (Rdn. 141 ff), die dem ganzen festere Konturen verleihen. Mustert man die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte durch, so läßt sich - bei allen naturgegebenen Unterschieden im Einzelfall - durchaus eine Linie erkennen. Von einem „Lotteriespiel für alle Beteiligten"267 kann keine Rede sein. Desgleichen wird deutlich, daß das Merkmal die ihm vom Gesetzgeber zugedachte Filterfunktion in der Praxis erfüllt. Ungeachtet der Schwierigkeiten der Rechtsanwendung sollte jedenfalls klar sein, daß die zuweilen geforderte ersatzlose Streichung (in diesem Sinne Peters DAR 1980 45, 48) oder die alternative Ausgestaltung (grob verkehrswidrig oder rücksichtslos) unter dem Aspekt des Übermaßverbots staatlichen Strafens als gänzlich unvertretbar ausscheiden muß.268 (3) Begriffsbestimmung. Rücksichtslosigkeit verlangt keinen Charaktermangel 1 4 0 (BGH VRS 14 304, 305). Sie bezeichnet vielmehr die Verkehrsgesinnung bei der in Frage stehenden einzelnen Tat (Krumme StVR Rdn. 129). Auch ein sonst rücksichtsvoller Verkehrsteilnehmer kann demgemäß rücksichtslos handeln (BGH VRS 14 304, 305). Nach einhelliger Rechtsprechung, die auf der Grundlage des geltenden Rechts vom Schrifttum kaum angegriffen wird,269 handelt rücksichtslos, wer sich im gegebenen Fall seiner Pflicht bewußt ist, aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, sich über sie hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, daß es zu einer Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht kommen werde. Rücksichtslos handelt ferner, wer sich aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten nicht besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise in sich gar nicht aufkommen läßt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens darauf losfahrt (BGHSt. 5 392, 395).270 Diese, durch den BGH bereits sehr früh gefundene und seither unverändert gebliebene Begriffsbestimmung umfaßt neben vorsätzlichem Verhalten die Formen der bewußten („seiner Pflicht bewußt ist, ..."), aber auch der unbewußten Fahrlässigkeit („... sich seiner Pflichten nicht besinnt, ..."). Im älteren Schrifttum geäußerte Einwände, daß fahrlässig rücksichtsloses Verhalten kaum denkbar sei (so Lackner MDR 1953 73, 75; zust. OLG Braunschweig NJW 1954 486) bzw. daß der Begriff" zumindest das unbewußt fahrlässige Verhalten nicht abdecke (ζ. B. Härtung JR 1954 309, 310),271 hat der BGH ausdrücklich zurückgewiesen,272 und dies mit Recht. Denn 267 268

265

So SpöhrlKarst NJW 1993 3308, 3309. Ebenso Cramer VOR 1974 21, 34; Kuckuk KVR Verkehrsgefahrdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 6; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 17; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 311. Horn SK Rdn. 17; Lackneri Kühl Rdn. 19; Sehl Schröder/Cramer Rdn. 30; TröndlelFischer Rdn. 14; JaguschiHentschel Rdn. 21; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 10; MühlhauslJaniszewski Rdn. 19; Haubrich NJW 1989 1197, 1199 f. Kritisch Zimmermann M D R 1987 364, 365. Andere Begriffsbestimmung bei Schweling ZStW 72 (1960) 464, 527: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig sittlich anerkannte und erheblich vorrangige Interessen anderer Verkehrsteilnehmer oder der Verkehrsgemeinschaft, die deutlich hervortreten, mißachtet." Der Vorschlag birgt jedoch die Gefahr in sich, neben den sonstigen Tatbestandsmerkmalen des § 315c

(193)

270

271

272

Abs. 1 Nr. 2 zur Leerformel zu verkommen. BGH VRS 23 289 hat ihn deshalb mit Recht abgelehnt (aaO S. 292). Gegen Schweling auch Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 12. BGH VRS 7 98, 99; 13 28, 29; 14 304, 305; 17 43, 46; 23 289, 291; 50 342, 343; BayObLGSt. 1959 263, 265; BayObLG VRS 64 123, 124f; OLG Braunschweig VRS 30 286, 287 f; 32 373 f; OLG Düsseldorf VRS 77 350, 353; 91 358, 360; OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18; OLG Koblenz VRS 71 278f; 85 337, 338; OLG Köln VRS 59 123, 124; 84 293, 294; OLG Schleswig VRS 8 216, 218; OLG Stuttgart NJW 1967 1766. Ähnlich Zimmermann M D R 1987 364, 366; vgl. auch Cramer VOR 1974 21, 35. BGHSt. 5 392, 395 f; BGH VRS 7 98, 99; 16 354, 356f; 17 43, 46; 23 289, 291.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

dem Wortsinn nach kann derjenige, der sich aus Gleichgültigkeit erst gar keine Gedanken über die von ihm ausgelöste Gefährdung fremder Rechtsgüter macht, unzweifelhaft als „rücksichtslos" bezeichnet werden (so schon Härtung DAR 1953 141, 142).273 141

(a) Bedeutung des äußeren Tatgeschehens. Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit verlangt eine üble Verkehrsgesinnung, die sich in Leichtsinn, Eigensucht, Gleichgültigkeit oder unverständlicher Nachlässigkeit des Täters anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber dokumentiert (vgl. u. a. BGH VRS 7 98, 99; OLG Braunschweig VRS 30 286, 288; OLG Stuttgart NJW 1967 1766). Die üble Verkehrsgesinnung muß in der konkreten Tat hervorgetreten sein. Entgegen manch mißverständlicher Formulierung274 ist deswegen erster und oftmals entscheidender Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Beurteilung das äußere Tatgeschehen. Zwar wird in Revisionsentscheidungen teils gesagt, der Vorwurf rücksichtslosen Verhaltens werde nicht ohne weiteres durch das äußere Tatgeschehen gerechtfertigt (u. a. BGH VRS 20 51, 52; OLG Braunschweig VRS 30 286, 288; OLG Köln VRS 59 123, 125); dies steht jedoch zumeist vor dem Hintergrund entweder eines vollständigen Schweigens des Tatrichters (ζ. B. BGH VRS 20 51, 52; OLG Braunschweig VRS 30 286, 287), lückenhafter tatsächlicher Feststellungen zum Verkehrsverstoß (z.'B. OLG Köln VRS 59 123, 125) und/oder exzeptioneller (etwa BGH VRS 50 342, 344275) bzw. ambivalenter (ζ. B. OLG Düsseldorf VRS 91 358, 360; wohl auch VRS 98 350, 352) Sachverhalte. Bereits aus der Formulierung „ohne weiteres" wird jedoch deutlich, daß nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem gefahrlichen Verstoß als solchem Rücksichtslosigkeit namentlich in Gestalt des „auf Eigensucht beruhenden, ungehinderten und schnelleren Fortkommenwollens" abgeleitet werden kann. Die Feststellungen zum Tatgeschehen müssen nur so geartet sein, daß eine diesbezügliche tatrichterliche Würdigung durch Umstände gestützt wird, die „ohne weiteres in diese Richtung drängen und keinen Zweifel offen lassen" (so OLG Köln VRS 59 123, 125).276 Das hat nichts damit zu tun, daß die Rücksichtslosigkeit ein objektives Merkmal darstellt,277 und nicht ganz treffgenau ist es, von einer Indizwirkung der groben Verkehrswidrigkeit für die Annahme der Rücksichtslosigkeit zu sprechen.278 Vielmehr gibt es ein Spektrum von gravierendem Fehlverhalten im Straßenverkehr, das bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht anders erklärt werden kann als durch eine üble („subjektive") Verkehrsgesinnung des Täters (ähnlich Zimmermann MDR 1987 364, 365). Allerdings deckt sich der Bereich solcher Konstellationen keineswegs mit der gesamten Bandbreite objektiv grob verkehrswidrigen Verhaltens, sondern bildet nur eine Teilmenge daraus.

273

274

275

S. aber Härtung JR 1954 309, 310. Eingehend Schweling ZStW 72 (1960) 464, 474f und mehrfach, freilich kritisch zum interpretatorischen Ertrag der „Gleichgültigkeit" (aaO S. 48711); vgl. auch Maassen N J W 1953 201, 202. Etwa Rüth LK 10 Rdn. 33: „... das äußere Tatgeschehen reicht hierfür [sc. für die Feststellung der üblen Verkehrsgesinnung] als Beurteilungsmaßstab ebensowenig aus ..." oder Tröndlel Fischer Rdn. 14: „Das äußere Tatgeschehen allein reicht jedoch für die Beurteilung nicht aus." Strikt ablehnend wohl Lackner/Kühl Rdn. 19. Einlassung, von „Rockern" verfolgt worden zu sein.

276

277 278

S. dazu, daß die Rücksichtslosigkeit aus der mit der Fahrweise verbundenen Gefährlichkeit gefolgert werden kann u. a. BayObLG VRS 64 123, 124f; O L G Frankfurt VRS 46 191, 192; O L G Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18, 19; OLG Koblenz VRS 71 278 f; O L G Stuttgart DAR 1971 248. Implizit in zahlreichen anderen Entscheidungen. So aber Spöhr/Karst N J W 1993 3308, 3309. So Koch DAR 1970 322, 323; zust. Peters DAR 1980 45, 47; Spöhr/Karst N J W 1993 3308, 3309; wohl auch SchlSchröderICramer Rdn. 30. Insoweit wie hier Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 17.

Stand: 1. 7. 2000

(194)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

(aa) Evidenzfälle. Auf dieser Linie hat die höchstrichterliche Rechtsprechung z.B. das blinde Hineinfahren in eine Kurve nach Zick-Zack-Fahrt hinter „lästigen Vorausfahrern" ohne viel Federlesens als rücksichtslos angesehen (OLG Koblenz VRS 85 337, 338) und ebenso das Heranfahren an einen Fußgängerüberweg mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1974 Nr. 50 S. 37, 38).279 Zu dieser Fallgruppe rechnet das gefahrliche Überholen des „Kolonnenspringers" (LG Bochum D A R 1957 302, 303), das Schneiden einer Kurve, bei dem der Täter „nach Rennfahrerart" bis hart an den linken Fahrbahnrand heranfahrt und dadurch Passanten gefährdet (OLG Koblenz VRS 46 344, 345 f; s. auch O L G Stuttgart Die Justiz 1963 37), oder das „Hineinzwängen" in eine knappe Lücke nach ungeduldigem Rechtsüberholen. (OLG Koblenz VRS 71 278 f). Das gilt erst recht, wenn der Uberholende zugleich oder unmittelbar danach abbremst, um dem anderen einen Denkzettel zu verpassen (OLG Köln VRS 45 436, 437; O L G Düsseldorf V R S 75 351, 352; O L G Braunschweig VRS 32 372, 374).280 Keiner eingehenden Diskussion bedarf die Rücksichtslosigkeit des weiteren dann, wenn der Täter mit gravierend überhöhter Geschwindigkeit (135 km/h statt wie zugelassen 60 km/h) in eine Kreuzung einfährt (BayObLG VRS 73 379, 380) oder wenn Kraftradfahrer auf belebter und teilweise unübersichtlicher Bundesstraße in gegenseitigem Überholen um die Wette fahren, und sei es auch aus „Sportsgeist" (BGH bei Martin D A R 1960 68). Nicht zweifelhaft sein kann ferner die Rücksichtslosigkeit desjenigen, der „in geradezu unverständlicher Nachlässigkeit drei auf die bevorstehende Kreuzung und die Wartepflicht hinweisende, in erheblichem Abstand angebrachte Schilder nicht beachtet" und danach mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kreuzung einfahrt (BGH VRS 7 98, 99),281 sowie beim unvorsichtigen Vorbeifahren an einer haltenden Straßenbahn, noch dazu mit schadhafter Bremsanlage (BGH VRS 17 43, 46). Rücksichtslosigkeit ist regelmäßig auch dann offensichtlich gegeben, wenn der Fahrzeugführer unter bewußter Mißachtung bereits länger angezeigten Rotlichts in eine Kreuzung einfahrt (OLG Stuttgart N J W 1967 1766f; abw. wohl O L G Jena VerkMitt. 1995 Nr. 46 S. 44, 45).

142

Selbst in Evidenzfallen kann ausnahmsweise Rücksichtslosigkeit zu verneinen sein. So ist das Wenden bzw. das Fahren in entgegengesetzter Richtung auf der Autobahn (§ 315c Abs. 1 Nr. 2f) als gesetzlich normierter Evidenzfall anzusehen. Der darin liegende Regelverstoß trägt die üble Verkehrsgesinnung gewissermaßen „auf der Stirne". Einen Ausnahmesachverhalt hatte O L G Köln VRS 88 433 zu beurteilen. Ein Kraftfahrer war nach einem Schleudervorgang bei Nässe und in einer Linkskurve auf der Überholspur der Autobahn entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen gekommen. Er hatte dieses höchst gefährliche Hindernis zu beseitigen gesucht, indem er das Fahrzeug wendete, und war, da ihm ein Wenden in einem Zug nicht möglich war, ein kurzes Stück entgegengesetzt zur Fahrtrichtung gefahren, um auf dem kürzesten Weg den Seitenstreifen zu erreichen. Verneint man nicht schon die grobe Verkehrswidrigkeit (Rdn. 136), so fehlt es jedenfalls an der Rücksichtslosigkeit (s. auch Rdn. 119). Denn ein solches Verhalten ist nicht durch üble Verkehrsgesinnung, sondern im Gegenteil durch Pflichtbewußtsein geprägt (im einzelnen O L G Köln aaO S. 435 f). Ähnlich liegt es hinsichtlich § 315c Abs. 1 Nr. 2g, wenn Hindernisse auf die Fahrbahn gelangt sind und die Kenntlichmachung des haltenden Fahrzeugs längere Zeit in

143

279

280

„Ein Fahrer, der sich so verhält, fährt bewußt riskant und damit rücksichtslos." Zur Frage, ob ein solches Verhalten noch dem Überholen zuzurechnen oder („nur") unter dem Aspekt des § 315b relevant ist, Rdn. 95, 97.

(195)

281

Vgl. aber BGH VRS 8 216, 219, wonach beim Übersehen zweier Warnschilder die näheren Umstände festgestellt werden müssen.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Anspruch nehmen würde als die Beseitigung der Hindernisse (vgl. OLG Köln aaO). An der Rücksichtslosigkeit aufgrund „psychischer Ausnahmesituation" soll es nach OLG Düsseldorf VRS 88 349 im Fall eines 79jährigen Fahrzeugführers fehlen, der nach einem schweren Fahrfehler entgegen der Fahrtrichtung in der Ausbuchtung eines Grünstreifens der Autobahn zum Stehen gekommen ist und dann, obwohl ihm auf beiden Fahrspuren Fahrzeuge entgegenkommen, ein Wendemanöver über diese Fahrspuren auf den Standstreifen durchführt (OLG Düsseldorf aaO S. 350f). Dies dürfte freilich am Rande des noch Vertretbaren liegen. 144

(bb) Ambivalente Fälle. Der besonders schwere Regelverstoß führt nicht zwangsläufig zur Annahme auch rücksichtslosen Verhaltens. Das Gesetz trägt mit dem Merkmal der Lebenserfahrung Rechnung, daß kein Kraftfahrer vor schweren Fehlern gefeit ist. Diese sollen nicht ohne weiteres zur Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 führen, und zwar auch nicht dann, wenn für den schweren Fehler das Interesse des Fahrzeugführers am eigenen schnelleren Vorwärtskommen mit verantwortlich war. Denn dieses Interesse wird in den meisten Fällen des § 315 Abs. 1 Nr. 2 gegeben sein (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1977 Nr. 105 S. 88).282 Der Schwierigkeit, das konkrete Verhalten unter den positiv formulierten, in dieser Form notwendig umgreifenden und wenig inhaltsreichen Begriff der Rücksichtslosigkeit zu subsumieren, begegnet die Rechtsprechung in der Sache damit, daß sie den Begriffskern durch negative Faktoren eingrenzt (vgl. Volk GA 1976 161, 179). Als solche Faktoren haben sich in der Praxis die augenblickliche Unaufmerksamkeit bzw. die auf menschlichem Versagen beruhende irrige Beurteilung der Verkehrslage und das Handeln in Bestürzung, Verwirrung, Schrecken im Moment der Gefahr herauskristallisiert. Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß der Regelverstoß durch diese Faktoren mitbestimmt ist, so muß der Richter dem nachgehen. 283

145

(i) Augenblicksversagen. Ein lediglich auf Unaufmerksamkeit Augenblicksversagen oder falscher Lagebeurteilung beruhendes Fehlverhalten ist u. a. angenommen worden bei einem Kraftfahrer, der zunächst an der Haltelinie vor einer bevorrechtigten Straße angehalten und sich nach rechts und links umgesehen hat, dann aber ohne nochmalige Orientierung nach rechts in die Vorfahrtstraße eingefahren ist (OLG Stuttgart DAR 1976 23, 24), beim Führer eines 2,6 Meter breiten und 16 Tonnen schweren Mobilkrans, der womöglich aufgrund von Bedenken wegen schlechter Fahrbahnränder und des Gewichts des Fahrzeugs in einer unübersichtlichen Kurve das Rechtsfahrgebot nicht eingehalten hat (OLG Stuttgart DAR 1971 248, zw.), beim Überholen unter Nutzung von Sperrflächen und Fahrbahnbegrenzungen, weil der Fahrzeugführer die Fahrbahnmarkierung u. U. wegen ungünstiger Lichtverhältnisse und Streuresten auf der Fahrbahn nicht rechtzeitig erkannt hat (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1977 Nr. 105 S. 88), beim Überholen, wenn der Fahrzeugführer verkannt hat, daß er den Überholvorgang infolge der durch Nässe bedingten besonderen Schlüpfrigkeit des Straßenbelags nicht mehr rechtzeitig beenden kann (BGH VRS 13 28, 29), beim Schneiden eines Linienbusses nach Rechtsüberholen, wenn sich das Urteil nicht dazu verhält, ob der Fahrer aus Unaufmerksamkeit handelte oder die Lage falsch einschätzte (OLG Düsseldorf VRS 98 350, 352), beim Fahren auf der linken Spur in einer unübersichtlichen Kurve, wenn nicht auszuschließen ist, daß der Fahrzeugführer infolge einer falschen Beurteilung der Straßenverhältnisse und vielleicht auch aufgrund einer Alkohol282

Hierzu auch Zimmermann MDR 1987 364, 365; Peters DAR 1980 45, 47.

283

StRspr. s. etwa BGHSt. 5 392, 396; BGH VRS 7 98, 99; 13 28; 16 354, 356f; 23 289, 291 f; OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18 f.

Stand: 1. 7. 2000

(196)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§

315c

beeinflussung auf die andere Fahrbahn abgekommen ist (KG VRS 38 50, 52), beim Übersehen eines Warnschildes (BGHSt. 5 392, 396),284 beim Überfahren eines Rotlichts, wenn eine Sichtbeeinträchtigung durch die entgegenstehende Sonne nicht ausgeschlossen werden kann (OLG Düsseldorf VRS 91 358, 360), beim Überholen, bei dem der Fahrzeugführer aufgrund ungünstiger Lichtverhältnisse den Abstand eines entgegenkommenden Fahrzeugs sowie die Tatsache verkennt, daß es sich dabei nicht um ein Fahrrad, sondern um ein Motorrad handelt (BGH VRS 16 354, 356 f), beim gefahrlichen Heranfahren an einen Fußgängerüberweg (OLG Köln VRS 38 288; nach dem mitgeteilten Sachverhalt zw.) oder beim Überfahren eines Fußgängerwegs mit unverminderter Fahrgeschwindigkeit, weil der Fahrzeugführer beim Abbremsen seine mitfahrende zweijährige Tochter gefährdet hätte (OLG Köln VRS 59 121, 122f; zw.), beim Ausscheren auf die Überholspur, um einem anderen das Einfahren auf die Autobahn zu ermöglichen, wobei der Fahrzeugführer sich nicht hinreichend (nur durch kurzen Blick in den Rückspiegel) versichert hat, daß die Überholspur frei ist (OLG Stuttgart VRS 45 437,439). Gegen bloßes Handeln aus Unaufmerksamkeit etc. spricht andererseits, daß der Kraftfahrer 100 Meter vor einer auf Gelblicht umschaltenden Ampel seine Geschwindigkeit noch erhöht (OLG Stuttgart DAR 1970 133, 134). Das gleiche gilt für den Fall, daß die Straße bei einem gefahrlichen Überholvorgang weithin übersichtlich ist und der Überholende nach dem Wiedereinordnen mutwillig abbremst (OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18, 19). (ii) „Asthenische Affekte". Ein durch Erregung, Bestürzung, Verwirrung oder 1 4 6 Schrecken bedingtes Fahrverhalten ist z.B. angenommen worden beim gefahrlichen Vorbeifahren an einer Polizeisperre (unübersichtliche Stelle), wobei sich der Fahrzeugführer im Zustand der Aufgeregtheit wegen einer bevorstehenden, als ungerechtfertigt empfundenen Festnahme befunden hat (BGH VRS 23 289, 293), bei einem Kraftfahrer, der „zu seiner Bestürzung" von plötzlichen erheblichen technischen Defekten seines Fahrzeugs überrascht worden ist und sich statt des gefahrlosen Auskuppeins und Bremsens zu einem Überholen entschlossen hat, um einen Auffahrunfall zu vermeiden (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1972 Nr. 32 S. 29, 30), u. U. bei einem Kraftfahrer, der sich von „Rockern" verfolgt glaubt (BGH VRS 50 342, 344), jedenfalls in Fällen krassen Fehlverhaltens in der Regel nicht bei Aufregung über einsetzende Wehen der Ehefrau (KG VRS 40 268, 269f; s. auch die nachfolgende Rdn.). Zu Ausnahmesituationen in Evidenzfällen vgl. Rdn. 143. (b) Berücksichtigung von Motiven. Nach h. M. ist für die Rücksichtslosigkeit die im 1 4 7 konkreten Fahrvorgang zutage getretene üble Verkehrsgesinnung gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern maßgebend. Hingegen spielt es keine Rolle, welche Motive (Fernziele) den Betreffenden geleitet haben.285 Diese müssen dementsprechend auch nicht aufgeklärt werden. Der Grundsatz der Nichtberücksichtigung von Fernzielen gilt sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Täters. Deshalb kann es nicht zum Nachteil des Fahrzeugführers verwertet werden, wenn er einen riskanten Überholvorgang einleitet, weil er „so wenig wie möglich von der 2. Krimifolge" einer Fernsehserie versäumen will (abw. u.U. OLG Köln VerkMitt. 1972 Nr. 44 S. 35). Andererseits Anders beim Übersehen mehrerer Warnschilder, hierzu Rdn. 142. BGH NZV 1995 80; BayObLGSt. 1959 263 [Fall extremen Verkehrsrowdytums]; OLG Stuttgart Die Justiz 1963 37; KG VRS 40 268; OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18f. Zust. (197)

LacknerlKühl Rdn. 19; Krumme StVR Rdn. 136; MiihlhauslJaniszewski Rdn. 19; ArztlWeber BT/LH 2 Rdn. 312, 320; Koch DAR 1970 322, 323; wohl auch Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 14.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kommt es einem riskant fahrenden Fahrzeugführer auch nicht zugute, wenn er rasch zu seiner kranken Mutter gelangen (BayObLGSt. 1959 263, 265 ff) oder wenn er seine Ehefrau, bei der die Wehen eingesetzt haben, schnellstens ins Krankenhaus verbringen will (KG VRS 40 268, 269f; hierzu auch die vorstehende Rdn.). Das gleiche gilt, wenn ein Arzt einer Patientin wegen schwerer Blutungen zu Hilfe eilt und auf dem Weg dahin mit überhöhter Geschwindigkeit eine Kurve schneidet (OLG Stuttgart Die Justiz 1963 37, 38). Weitere Beispiele geben der Fahrzeugführer, der einen Gerichtstermin nicht verpassen (KG VRS 40 268, 269), der Paketwagenfahrer der Post, der die Zustellung nicht verzögern will {Koch DAR 1970 322, 323), oder derjenige, der sich mit überhöhter Geschwindigkeit aus „verständlichen" Gründen der Verfolgung durch die Polizei entziehen will (BGH NZV 1995 80). 148

Diese Rechtsprechung wird im Schrifttum gelegentlich als zu streng kritisiert.286 Mitunter wird ihr auch vorgeworfen, den Begriff des eigensüchtigen Verhaltens nicht hinreichend ernst zu nehmen (so wohl Maurach/SchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 43). Die Kritik erscheint jedoch nicht berechtigt. Bezugspunkt der Rücksichtslosigkeit (wie auch des gesamten § 315c Abs. 1 Nr. 2) ist die Verkehrssicherheit. Rücksichtslosigkeit bedeutet dementsprechend üble Verkehrsgzsmxmng, nicht üble Gesinnung schlechthin. Außer Zweifel steht aber, daß es beispielsweise übler Verkehrsgesinnung entspringt, wenn der Fahrzeugführer in einer engen, unübersichtlichen Straße mit regem Fußgängerverkehr seine Geschwindigkeit mehrfach auf das Doppelte des Erlaubten „hochschraubt" und in kurzer zeitlicher Abfolge eine Frau dazu zwingt, einen Kinderwagen zur Seite zu reißen, eine Fußgängergruppe veranlaßt, „wie Hühner auseinander zu rennen", und einen Fußgänger dazu bringt, daß er über den Straßengraben springt (so der Fall in BayObLGSt. 1959 263). Ob er mit einem solchen Verhalten verständliche, isoliert betrachtet vielleicht sogar hochstehende Intentionen verfolgt, ist irrelevant. Er stellt nämlich verkehrsfremde, in engerem oder weiterem Sinn eigene Belange über die Rechtsgüter der anderen Verkehrsteilnehmer, setzt also aufgrund eigener Wertvorstellungen deren Leib und Gesundheit aufs Spiel (Krumme StVR Rdn. 136). Das Sicherheitsbedürfnis der Verkehrsteilnehmer in der konkreten Verkehrssituation hat aber Vorrang vor den Fernzielen des riskant fahrenden Fahrzeugführers (OLG Karlsruhe VerkMitt. 1980 Nr. 23 S. 18, 19). Alles andere würde auf eine Art Freibrief für verwegenes Verhalten im Straßenverkehr hinauslaufen und hätte darüber hinaus unübersehbare Auswirkungen auf die Rechtsanwendung (BayObLGSt. 1959 263, 266). Wo Notsituationen auftreten, müssen diese nach den dafür zu Gebote stehenden Regelungen (§§ 34, 35) gewürdigt werden.287 Die §§ 34, 35 werden freilich schon deswegen kaum je eingreifen, weil der Täter zumeist um winziger Geschwindigkeitsvorteile willen handelt (vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1963 37; KG VRS 40 268, 269). Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit hat jedenfalls nicht die Funktion, auf einer vorgelagerten Stufe den Notstand „zu vertreten", und es ist auch nicht dafür gedacht, Verhaltensweisen aufzufangen, die hierdurch nicht mehr gedeckt werden. Das Ergebnis wird durch einen Vergleich mit der Beurteilung bevorrechtigter Fahrzeuge (§ 35 StVO) bestätigt. Selbst bevorrechtigte Fahrer sind nicht berechtigt, unbekümmert und rücksichtslos darauf loszufahren,288 sondern dürfen ihr Vorrecht

286

287

SchlSchröder/Cramer Rdn. 31; JaguschlHentschel Rdn. 21. Vgl. auch MaurachlSchroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 43. S. etwa Hirsch LK § 34 Rdn. 60; SchlSchröderl Lenckner § 34 Rdn. 28; TröndlelFischer § 15 Rdn. 22; Koch DAR 1970 322, 323. Kate-

288

gorischer Ausschluß des Notstands bei Krumme StVR Rdn. 138f. So schon RGSt. 73 280, 281; BayObLGSt. 1959 263, 267; OLG Stuttgart Die Justiz 1963 37. Eingehend hierzu Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lie-

Stand: 1. 7. 2000

(198)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

nur unter gebührender Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausüben (§ 35 Abs. 8 StVO).289 dd) Vorsatzbezug. Wie allgemein bei den gesamttatbewertenden Merkmalen muß 1 4 9 der Täter nur die tatsächlichen Umstände der groben Verkehrswidrigkeit in seinen Vorsatz aufgenommen haben, die seine Tat zu einer tatbestandsrelevanten machen; die Wertung als grob verkehrswidrig muß er hingegen nicht nachvollziehen (§ 315a Rdn. 34; BayObLGSt. 1968 91, 93 f). Genauso liegt es bei der gleichfalls dem Unrechtstatbestand zugehörenden (Rdn. 138) Rücksichtslosigkeit. Der Täter muß die Bedeutung der zugrunde liegenden Umstände richtig erfassen (vgl. BayObLG aaO; Lackneri Kühl Rdn. 19 und § 15 Rdn. 17). Wird die Rücksichtslosigkeit aus der besonderen Gefährlichkeit der Tat abgeleitet (Rdn. 141 ff), muß er sich der Gefährlichkeit seines Handelns bewuOt sein (BayObLG VRS 64 123, 125; OLG Koblenz VRS 71 278, 280; OLG Düsseldorf VRS 98 350, 353). Die Gefährlichkeit der Fahrweise ist demnach Tatumstand, der vom Vorsatzwissen umfaßt sein muß (vgl. Puppe N K § 16 Rdn. 71, 72 m.w.N.). Hingegen ist die üble Verkehrsgesinnung selbst nicht Vorsatzgegenstand. 290 Ob der Täter das besondere Unwerturteil der Rücksichtslosigkeit für sich trifft, ist nicht maßgebend (BayObLG VRS 64 123, 125; OLG Koblenz VRS 71 278, 280). VI. Gefahr für Leib und Leben oder bedeutende Sachwerte. Durch die in Absatz 1 1 5 0 bezeichneten Handlungen muß als selbständig festzustellender Taterfolg eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeigeführt werden. Sie ist gegeben, wenn die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt wird, daß es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht (grundlegend BGH VRS 44 422, 423). Seit der zur Mitfahrerproblematik (Rdn. 152) ergangenen Grundsatzentscheidung vom 30. März 1995 (NJW 1995 3131, 3132) fordert der BGH unter wesentlicher Einengung seiner bisherigen Rechtsprechung einen „Beinahe-Unfall", also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, daß „das gerade noch einmal gut gegangen ist" (näher § 315 Rdn. 53 ff). Ist es zu einer Verletzung gekommen, so muß dem zwingend eine konkrete Gefahr vorgelagert gewesen sein (§315 Rdn. 51, 57, 88). Andererseits schließt der Nichteintritt einer Verletzung, etwa aufgrund Rettungsmaßnahmen des Gefährdeten oder Dritter, die Annahme konkreter Gefahr nicht aus (§315 Rdn. 58ff). Die Gefährdung beliebiger Menschen oder Sachen reicht aus; die beeinträchtigten Belange des Gefährdeten müssen nicht die Allgemeinheit repräsentieren (§315 Rdn. 67, 72). Die gefährdeten Menschen oder Sachen müssen sich auch nicht im Verkehrsraum befinden; erforderlich ist jedoch, daß sich das Fehlverhalten im öffentlichen Verkehrsraum abspielt (Rdn. 3f)· Tatbestandsrelevant ist eine erhebliche Leibesgefahr und eine erhebliche Gefahr für bedeutende Sachwerte; geringfügige Gefahren genügen demgemäß nicht (§315 Rdn. 70, 82). 1. Feststellung der konkreten Gefahr. Die grundsätzlichen Aspekte zur Feststellung 1 5 1 der konkreten Gefahr sind in § 315 Rdn. 56 ff zusammengefaßt. Fallgruppen konkreter Gefährdung im Straßenverkehr im Rahmen des § 315b sind in § 315b Rdn. 64ff aufgeführt. Darauf wird Bezug genommen. Hinzuweisen ist darauf, daß ältere Judikatur

289

ferung 10/93) Bl. 14f; ebenso Krumme StVR Rdn. 136. AA TröndlelFischer Rdn. 14. Im einzelnen JaguschiHentsche! § 35 StVO Rdn. 8; MühlhausUaniszewski § 35 StVO Rdn. 13 ff.

(199)

290

Vgl. Lackneri Kühl § 15 Rdn. 8; Sehl Schröder! Cramer § 15 Rdn. 24; Schroth Vorsatz und Irrtum (1998) S. 46; Warda Jura 1979 71, 74 f. U. U. abw. BGH VRS 23 289, 293.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

für die Beurteilung von Gefährdungslagen im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH zum Beinahe-Unfall nur noch mit Vorsicht herangezogen werden kann. 152

a) Gefährdung des Mitfahrers. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung und ganz h. M. im Schrifttum kann die konkrete Gefahr für den im Fahrzeug mitfahrenden Insassen nicht allein damit begründet werden, daß der Fahrzeugführer fahrunsicher gewesen ist und sich die Fahrunsicherheit „indiziell nach außen gezeigt" hat, wie beispielsweise im folgenlosen Fahren in Schlangenlinien und im folgenlosen Abkommen von der Fahrbahn. Sie kann auch nicht allein aus einer besonders hohen BÄK (ζ. B. 2,8 %o) des Fahrzeugführers abgeleitet werden. Erforderlich ist vielmehr, daß es zu einer durch den alkoholbedingten Fahrfehler herbeigeführten kritischen Verkehrssituation für den Beifahrer, eben zu einem Beinahe-Unfall gekommen ist (BGH NJW 1995 3 1 3 1 , 3 1 3 2 ) . An seiner entgegenstehenden früheren Rechtsprechung (Rdn. 1 5 3 ) hat der BGH in dieser Entscheidung im Anschluß an Geppert (NStZ 1985 264, 265) allerdings für den Fall festgehalten, daß die alkoholische Beeinflussung einen solchen Grad erreicht hat, daß der Fahrer zu kontrollierten Fahrmanövern nicht mehr in der Lage „und damit die Situation einem Fahren ohne die notwendigen technischen Einrichtungen - ζ. B. ohne intakte Bremsen - vergleichbar ist" (BGH aaO). Im Hinblick darauf, daß er nunmehr auch für die letztgenannte Konstellation die in der Verkehrsteilnahme als solche liegende hohe (abstrakte) Gefahr nicht mehr ausreichen läßt (BGH NJW 1996 329, 330; hierzu § 315b Rdn. 65), dürfte auch dies überholt sein.291 Es ist deshalb ohne Ausnahme ein „Beinahe-Unfall" zu fordern. 292

153

Dem Rechtsprechungswandel sind obiter dicta des BGH vorausgegangen, wonach der Beifahrer aufgrund des ihn ungleich stärker als jeden anderen Verkehrsteilnehmer treffenden Risikos auch bei folgenlosen Trunkenheitsfahrten zumindest dann konkret gefährdet werden könne, wenn die Fahrunsicherheit in Gestalt von trunkenheitsbedingten Fahrfehlern akut geworden sei.293 Dies ist sowohl in der Rechtsprechung 294 als auch im Schrifttum 295 auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen. Namentlich das BayObLG ist dem BGH mit der Begründung entgegengetreten, daß der Insasse außerhalb kritischer Verkehrssituationen lediglich abstrakt und insoweit nicht unterscheidbar von den außerhalb des Fahrzeugs liegenden Rechtsgütern gefährdet werde; der BGH verwische dementsprechend die Grenzen zwischen abstrakter und konkreter Gefahr, weswegen in den einschlägigen Fällen für § 316 kaum mehr ein Anwendungsbereich verbleibe (BayObLGSt. 1988 76; 1989 125; BayObLG VRS 87 121, 125). Der

291

292

293

294

AA LacknerlKühl Rdn. 23; JaguschiHentschel Rdn. 3; Hentschel Trunkenheit Rdn. 399; MühlhauslJaniszewski Rdn. 11. Bei derart hochgradigen Defektzuständen ist freilich kaum vorstellbar, daß es nicht zu Beinahe-Unfällen kommt. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 35; wohl auch TröndlelFischer Rdn. 15; Rüper BT S. 140; Otto GK/BT § 80 Rdn. 28; Wessels!Hettinger BT/I Rdn. 992. BGH NJW 1985 1036 m. Anm. Geppert NStZ 1985 264 und Janiszewski NStZ 1985 257; BGH NStZ 1989 73, 74 m. Anm. Werle JR 1990 74 und Bespr. Ströber DAR 1989 414; BGH NZV 1992 370f. Umfassend zur Entwicklung Puhm Strafbarkeit gemäß § 315c StGB, S. 38ff. BayObLGSt. 1988 76 m. zust. Anm. Janiszewski NStZ 1988 544; BayObLGSt. 1989 125 m. zust.

295

Anm. Berz NStZ 1990 237; BayObLG VRS 87 121, 125 m. zust. Anm. Schmid BA 31 (1994) 322; OLG Köln NJW 1991 3291. Im Ergebnis ebenso bereits BayObLG NJW 1954 1258; OLG Köln DAR 1956 252; OLG Düsseldorf DAR 1957160. Horn SK Rdn. 19; Lackner20 Rdn. 23; Seh! Schröder/Cramer24 Rdn. 29a; Jaguschi Hentschel31 Rdn. 3; Janiszewski Verkehrsstrafrecht, Rdn. 288 b; Becker NStZ 1990 125; Berz NZV 1989 409, 414f; NStZ 1990 237; Geppert NStZ 1985 264, 265; ders. NStZ 1989 320, 322 und Jura 1996 47, 50f; Häuf DAR 1994 59; Hentschel JR 1985 434; ders. NJW 1995 627, 634; Knollmann/Lappe JuS 1992 708, 710; Ströber DAR 1989 414; Werle JR 1990 76. Abw. Jähnke DRiZ 1990 425, 430f.

Stand: 1. 7. 2000

(200)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

BGH hat sich der Kritik letztlich gebeugt. Es steht zu wünschen, daß sich alle Diskutanten der Tragweite der Problematik für andere hochriskante Verhaltensweisen (s. ζ. B. Rdn. 157) und den Gefahrbegriff insgesamt bewußt gewesen sind. b) Konkrete Gefahr in typischen Fallgruppen. Die veröffentlichte Rechtsprechung 1 5 4 der Oberlandesgerichte hatte sich soweit ersichtlich bislang eher selten mit Grenzfallen konkreter Gefährdung im Lichte der neuen Rechtsprechung des BGH auseinanderzusetzen. Das kann daran liegen, daß einschlägige Verfahren bereits durch die Staatsanwaltschaften nicht weiterbetrieben werden. Dafür wiederum sind womöglich Oberlandesgerichtsentscheidungen mitverantwortlich, die unter Verwendung des Begriffs der „hochgradigen Existenzkrise" sehr hohe Anforderungen an den Nachweis der Gefahr stellen (§315 Rdn. 65, § 315b Rdn. 66).296 Nimmt man beide Entwicklungen zusammen, so ist zu besorgen, daß sich der Anwendungsbereich der §§ 315 bis 315c noch mehr auf Konstellationen verengt, in denen es zu einer Verletzung gekommen ist. Mit Blick auf die Verkehrssicherheit ist dies nicht wünschenswert (OLG Frankfurt NZV 1994 565, 566). Der Gefahrbegriff zwingt auch in seiner neuen Ausprägung nicht zu forensisch kaum je zu erreichender „mathematischer Genauigkeit" (in diesem Sinne BGH NJW 1995 3131). aa) Bremsmanöver. Bei Bremsmanövern (z.B. nach Vorfahrtverletzungen oder 1 5 5 nach Falschfahren bei Überholvorgängen) genügt es, wenn festgestellt werden kann, daß der Unfall „gerade noch" bzw. „um Haaresbreite" vermieden werden konnte. Zusätzliche äußere Gefahrzeichen wie ζ. B. quietschende oder gar qualmende Reifen sind nicht unabdingbar (vorstehende Rdn.; § 315b Rdn. 66). Andererseits reicht allein die Feststellung nicht aus, der beeinträchtigte Fahrzeugführer habe „verhältnismäßig scharf' abbremsen müssen (anders OLG Braunschweig VRS 32 372, 375 f). Hinsichtlich der Passagiere eines Omnibusses, der scharf abbremsen muß, kommt es darauf an, wie stark der „Rückstoß" im Einzelfall ist; kann sich der gefährdete Fahrgast durch Anklammern an einen Haltegriff eben noch halten oder stürzt er, ohne sich zu verletzten, so wird der Gefahrerfolg in aller Regel zu bejahen sein (vgl. auch § 315 b Rdn. 66). Entsprechendes gilt, wenn der Insasse eines Pkw infolge einer Notbremsung nach vorne geschleudert wird und einen Aufprall auf die Windschutzscheibe eben noch vermeiden kann (OLG Köln VRS 45 436,437). bb) Schleudervorgänge, Ausweichen o. ä. Gegeben ist der Gefahrerfolg regelmäßig, 1 5 6 wenn das gefährdete Fahrzeug, ζ. B. nach Schneiden oder Abdrängen im Zuge von Überholvorgängen, ins Schleudern gerät oder der Unfall durch Ausweichen auf den Fahrbahnrand, den Randstreifen, den Bürgersteig oder die andere Fahrspur gerade noch vermieden wird.297 Das gleiche gilt, wenn der „Kolonnenspringer" einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug nur dadurch entgeht, daß er sein Fahrzeug scharf zur Seite reißt und es, zeitweilig auf zwei Rädern fahrend, gerade noch abfangt (vgl. LG Bochum DAR 1957 302), wenn der Motorradfahrer sein Kraftrad im letzten Moment noch herumzureißen vermag und dadurch die rechte Fahrbahn erreicht (BayObLG VRS 64 123) oder derjenige, der die Kurve geschnitten hat, sein Fahrzeug nach Überfahren des Straßenbanketts und eines zugewachsenen Straßengrabens noch zum Stehen bringt (OLG Stuttgart Die Justiz 1963 37). Nach OLG Düsseldorf NStE Nr. 12 zu § 315c soll der Eintritt des Gefahrerfolgs nicht allein mit denkbaren Fehl296 297

OLG NJW BGH 278f;

(201)

Hamm NZV 1991 158; OLG Düsseldorf 1993 3212; NZV 1994 406. NZV 1995 80; OLG Koblenz VRS 71 KG VRS 46 192, 193. Vgl. auch OLG

Stuttgart DAR 1971 248; VRS 45 437; OLG Hamm VRS 38 50 [alle im konkreten Fall mit Verletzung].

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

reaktionen des Gefährdeten begründet werden können, wenn der Täter mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h bei einem seitlichen Abstand von lediglich 50 cm überholt, weswegen der Überholte auf den Mehrzweckstreifen ausweichen muß. 157

cc) Dichtes Auffahren („Drängeln"); „Geisterfahren". Entgegen der früheren Rechtsprechung298 kann konkrete Gefahr nicht ohne weiteres angenommen werden, wenn der Nachfahrende auf das vorausfahrende Fahrzeug über eine nicht ganz kurze Strecke hinweg, ggf. unter Abgabe von Licht- und Schallzeichen, dicht auffährt.299 Daß der Nachfahrende in solchen Konstellationen nicht in der Lage ist, das von ihm geführte Fahrzeug im Bedarfsfall noch rechtzeitig abzubremsen, begründet auch dann nur eine hohe abstrakte (potentielle) Gefahr, wenn erschwerend hinzukommt, daß die rechte Fahrspur dicht besetzt ist und deswegen keine Ausweichmöglichkeit besteht (.Berz NZV 1989 409, 413 f). Die naheliegende Befürchtung, daß der Vorausfahrende verunsichert werden und sich in diesem Zustand zu kopflosen und unfallträchtigen Reaktionen veranlaßt sehen könnte, vermag daran nichts zu ändern.300 Eine konkrete Gefahr liegt erst dann vor, wenn das abstrakte Risiko in einer kritischen Verkehrssituation kulminiert, etwa weil aufgrund eines Hindernisses oder des Fahrverhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers tatsächlich ein Bremsmanöver oder ein Ausweichvorgang notwendig wird (weitergehend Berz aaO S. 414). Dieselben Maßstäbe sind an das „Geisterfahren" anzulegen. Auch hier genügt demnach die hohe latente Gefahr für den Eintritt des Gefahrerfolgs nicht, und ist für dessen Annahme ein BeinaheUnfall erforderlich (abw. noch Jähnke DRiZ 1990 425,429f). Nicht zu verkennen ist, daß das Abstellen auf den Beinahe-Unfall hinsichtlich der beiden vorgenannten Verhaltensweisen faktisch darauf hinausläuft, daß der Gefahrerfolg mit dem Unglücksfall zusammenfallt. Denn im Ernstfall wird kaum je eine realistische Rettungschance bestehen (Jähnke aaO S. 430). Dies muß aber wohl hingenommen werden.

158

dd) Gefährdung von Fußgängern. Beim Falschfahren am Fußgängerüberweg ist eine konkrete Gefahr gegeben, wenn der Täter sein Fahrzeug durch eine Vollbremsung mit quietschenden Reifen eben noch vor dem Zebrastreifen zum Stillstand bringt (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1974 Nr. 50 S. 37f.; vgl. auch OLG Köln VRS 38 288) oder wenn Fußgänger, die mit dem Überschreiten der Straße schon begonnen haben, zurückspringen müssen, um einem Unfall zu entgehen (OLG Stuttgart NJW 1969 889; s. auch OLG Hamm NJW 1969 440 [Rotlicht zeigende Ampel]). Das gleiche gilt, sofern der Täter mit unverminderter Geschwindigkeit zwischen einem den Fußgängerüberweg überquerenden Mädchen und einem vor dem Zebrastreifen haltenden Fahrzeug durchfährt, wobei er das Mädchen überfahren hätte, wenn es nicht aufgrund einer Warnung abrupt stehengeblieben wäre (OLG Köln VRS 59 123, 124). Demgegenüber soll nach OLG Schleswig NStE Nr. 11 zu § 315 c konkrete Gefahr zu verneinen sein, wenn „der Grund dafür, daß eine Verletzung in concreto ausscheiden mußte, bekannt" ist. Der Täter hatte mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h einen Zebrastreifen überfahren, der gerade von einem „schwerfällig gehenden alten Mann" 298

299

Z.B. BGHSt. 22 341, 343ff [zu § 1 StVO]; BayObLG VRS 59 285 [zu § 1 StVO]; OLG Karlsruhe NJW 1971 1818f [zu § 1 StVO]; NJW 1972 962, 964; OLG Köln VRS 61 425, 427 f. Kritisch hierzu auch schon vor der Einengung der Gefahrformel Berz NZV 1989 409,413f. Z.B. Abstand zeitweise zwei Meter über eine Strecke von einem bis 1,5km bei 120km/h

300

(OLG Köln VRS 44 16, 17 f) oder Sicherheitsabstand, der nicht nur ganz vorübergehend geringer ist als die in 0,8 Sekunden durchfahrene Strecke (OLG Frankfurt VerkMitt. 1979 Nr. 41 S. 28, 29). Hierzu u.a. BGHSt. 19 263, 266, 268f [zu § 240]; 22 341, 343 (T [zu § 1 StVO]; OLG Köln VRS 61 425.

Stand: 1. 7. 2000

(202)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

überquert wurde; zu einem Unfall war es nicht gekommen, weil ein vor dem Überweg haltender Fahrzeugführer gehupt und andere Warnzeichen gegeben hatte, weswegen der alte M a n n stehengeblieben war. Das Ausbleiben der Verletzung beruht nach O L G Schleswig nicht auf Zufall, sondern auf dem steuernden Verhalten des anderen Fahrzeugführers, also auf „bekannten" Umständen. Dabei wird allerdings vernachlässigt, daß die näheren Umstände ex post in aller Regel „bekannt" sind. Maßgebend ist aber die objektiv nachträgliche Gefahrprognose aus der Sicht ex ante (§ 315 Rdn. 56ff). Bei Anlegung dieses Maßstabs wäre u . a . zu berücksichtigen gewesen, daß weder der riskant fahrende Täter noch der andere Fahrzeugführer vorausschauend betrachtet das Verhalten des alten Mannes hinreichend zu beherrschen bzw. zu „steuern" vermochte; ebensowenig hatte der andere Fahrzeugführer das Verhalten des Täters in der Hand. 301 Bei der Beeinträchtigung des (sonstigen) Fußgängerverkehrs ist der Gefahrerfolg beispielsweise zu bejahen, wenn eine Passantin den von ihr geführten Kinderwagen „im letzten Augenblick noch rasch zur Seite" reißen kann (BayObLGSt. 1959 263, 264), sich ein Fußgänger nur durch einen Sprung über den Straßengraben (BayObLG aaO) oder über die Leitplanke (OLG Koblenz VRS 46 344, 345) zu retten vermag. Entsprechendes gilt, wenn der Täter unmittelbar an den Schuhspitzen des sich in seiner N o t an eine Leitplanke drückenden Fußgängers vorbeifährt und dabei dessen Hose fast streift (OLG Koblenz aaO). Zur Gefährdung von Fußgängern siehe auch § 315b Rdn. 67. 2. Gefahr für Leib und Leben eines anderen Menschen. Grundsätzlich genügt die (erhebliche) Gefahrdung eines beliebigen Menschen. Anders als unter der Geltung des Merkmals der Gemeingefahr ist nicht erforderlich, daß der gefährdete einzelne als Repräsentant der Allgemeinheit anzusehen ist; der gefährdete Mensch muß auch weder Verkehrsteilnehmer sein noch muß er sich im öffentlichen Verkehrsraum befinden (Rdn. 150). Nicht tatbestandsrelevant ist die Gefahrdung des nasciturus oder eines Leichnams (§315 Rdn. 71).

159

a) Tatbeteiligter. Der Mitfahrer ist in den Strafschutz prinzipiell einbezogen. Allerdings machen die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums hiervon eine Ausnahme, sofern der Insasse an der Tat als Anstifter oder Gehilfe beteiligt ist. Dem liegt eine sonst nicht vertretene und auch nicht zu rechtfertigende „Lagertheorie" zugrunde, die dem Gefährdeten letztlich die Macht gibt, über das auch nach Auffassung des B G H nicht verfügbare Rechtsgut des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs zu disponieren (Hillenkamp JuS 1977 166, 169). Konsequent zu Ende gedacht müßte eine derartige Interpretation dazu führen, daß nicht nur der tatbeteiligte Mitfahrer als geeignetes Gefahrdungsobjekt ausscheidet, sondern auch derjenige, der den Betrunkenen zu seiner Tat anstiftet, sich danach zu F u ß auf den Weg nach Hause macht und dort von dem Betrunkenen angefahren wird (Beispiel von Hillenkamp a a O S. 169f), was gewiß als seltsames Ergebnis gelten kann. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter § 315 b Rdn. 71 ff Bezug genommen.

160

b) Einwilligung. Weitergehend als die Lehre vom tatbestandlichen Ausschluß des Tatbeteiligten gelangt eine breite Strömung im Schrifttum unter dem Blickwinkel der Einwilligung zum Ausschluß der Strafbarkeit in den Mitfahrer-Fällen, wobei sie aber teils in der Sache differenziert (hierzu mit Nachweisen § 315b Rdn. 73). Dem ist

161

301

Bedenken auch bei LacknerlKühl Rdn. 22; referierend hingegen Seh!Schröder!Cramer Rdn. 35.

(203)

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

jedoch mit der gefestigten Judikatur 302 und einem Teil der Literatur 303 zu widersprechen. Der Gefährdete ist nicht Inhaber des Universalrechtsguts der Sicherheit des Straßenverkehrs. Er ist nicht „Opfer" der Straftat im Rechtssinn. Aus dem gleichen Grund scheidet eine Straflosigkeit unter dem Aspekt der objektiven Zurechnung aus. Zu beidem wird auf das unter § 315b Rdn. 74 Gesagte verwiesen. 162

3. Gefahr für fremde Sachen von bedeutendem Wert. Gefährdet werden müssen fremde Sachen von bedeutendem Wert. Dabei sind - entsprechend der Lage bei der Leibes- und Lebensgefahr - nicht nur den Verkehrseinrichtungen zuzurechnende Sachen und Fahrzeuge in den Schutzbereich einbezogen, sondern im Prinzip alle für den Täter fremden Sachgegenstände (§315 Rdn. 72).

163

a) Fremde Sache. „Fremd" ist grundsätzlich nach bürgerlichem Recht auszufüllen. Danach ist die Sache für den Täter fremd, wenn sie nicht in seinem Alleineigentum steht und nicht herrenlos ist (§315 Rdn. 73). In Ausnahmefallen kann das Merkmal zu verneinen sein, obwohl dem Täter das Alleineigentum an der Sache formal nicht zusteht. Wirtschaftlicher Eigentümer von Gegenständen, die der GmbH gehören, ist beispielsweise der Gesellschafter einer „Ein-Mann-GmbH" (§ 315 Rdn. 74). Das Abstellen auf den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff in sonstigen Fällen kann im Rahmen des § 315c - wie im gesamten Verkehrsstrafrecht (§315 Rdn. 73) - zu vom Gesetzgeber wohl nicht gewollten Härten führen. Dies betrifft vornehmlich das vom Täter geführte und von ihm gefährdete Fahrzeug. Genügt die Gefährdung einer (auch) fremden Sache schlechthin, so gelangen u.a. der das Fahrzeug benutzende, nicht (allein) eigentumsberechtigte Ehegatte,304 der Sohn oder die Tochter des Eigners, Mitgesellschafter, Freunde etc. in den Anwendungsbereich des § 315c. Das gleiche gilt für denjenigen, der das Fahrzeug unter Eigentumsvorbehalt gekauft, einem Dritten zur Sicherheit übereignet, geleast oder gemietet hat. Die formale Eigentümerposition entscheidet dann über das Vorliegen einer Straftat statt einer bloßen Ordnungswidrigkeit (§ 315c Abs. 1 Nr. 2) bzw. über einen Strafrahmen bis zu fünf statt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe (§ 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316). Die Beurteilung solcher Konstellationen ist seit jeher umstritten. Rechtsprechung und Schrifttum sind sich aber weithin im Ergebnis darin einig, daß derartige Härten durch eine Elimination des vom Täter geführten Fahrzeugs vermieden werden sollten (Rdn. 165 ff).

164

aa) Die (auch) fremde Ladung. Demgegenüber wird soweit ersichtlich nicht in Zweifel gezogen, daß für den Täter (auch) fremde Gegenstände, die sich im Fahrzeug befinden (die Ladung), geeignete Gefahrdungsgegenstände sind.305 Dies versteht sich nicht von selbst, weil insoweit dieselben Härten wie beim Fahrzeug auftreten können. Daß sie nicht in gleicher Weise problematisiert werden, dürfte hauptsächlich praktische 302

303

BGHSt. 6 232, 234; 23 261, 262ff; BGH NZV 1995 80 f; OLG Düsseldorf VRS 36 109, 110; OLG Hamm VRS 36 279, 280; KG VRS 36 107, 108f; OLG Karlsruhe NJW 1967 2321, 2322; OLG Stuttgart NJW 1976 1904. AA noch OLG Hamburg NJW 1969 336, 337; OLG Schleswig SchlHA 1968 Nr. 140 S. 229. LacknerlKühl Rdn. 32; TröndlelFischer Rdn. 17; JaguschiHentschel Rdn. 43; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Rücksichtslosigkeit Erläuterungen 1 (Lieferung 10/93) Bl. 21; Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 35; Wessels!Hettinger BT/I Rdn. 993; Geerds BA 3 (1965) 124, 133f; Schaffstein Welzel-Festschrift S. 557, 574.

304

305

Anwendungsfall in OLG Schleswig NJW 1965 1727 m. Bespr. Härtung NJW 1966 15, 18. OLG Hamm DAR 1960 121 [zu § 1 Abs. 2 StVO]; OLG Celle JZ 1963 563; Horn SK vor § 306 Rdn. 10; TröndlelFischer § 315 Rdn. 16; Mühlham!Janiszewski Rdn. 6; Rengier BT/II § 44 Rdn. 10; Ranft Jura 1987 608, 614; Rüth JR 1977 432, 433; Warda M D R 1965 1, 5; wohl auch LacknerlKühl Rdn. 25 und Rüth LK 10 § 315 Rdn. 38; implizit Becker NStZ 1990 125. Offengelassen von OLG Stuttgart NJW 1966 2280, 2281.

Stand: 1. 7. 2000

(204)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Gründe haben. Bei Unfällen von privat eingesetzten Fahrzeugen wird in der Praxis wohl nicht nachgeforscht, ob die transportierten Sachen im Eigentum des Fahrzeugführers stehen. Andererseits bildet die Beurteilung der Ladung eine „offene Flanke" der interpretatorischen Elimination des vom Täter geführten Fahrzeugs. Denn es erscheint wenig einleuchtend, denjenigen straflos zu stellen, der in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Fahrt den Pkw seines Arbeitgebers im Wert von 50000 D M zerstört, ihn aber dann zu bestrafen, wenn sich im Pkw ein gleichfalls zerstörter tragbarer Computer im Wert von 1500 D M befindet, der dem Fahrer nicht gehört. Denkbar wäre natürlich, neben dem Fahrzeug selbst auch all das aus dem Tatbestand auszugrenzen, was sich im Inneren des Fahrzeugs befindet. Allerdings könnte dann auch die Gefahrdung der Insassen wohl nicht mehr berücksichtigt werden. Das wird nur wenige überzeugen. bb) Wirtschaftliche Betrachtungsweise. Zur Vermeidung der angesprochenen Härten (Rdn. 163) befürwortet ein Teil des (älteren) Schrifttums eine wirtschaftliche Anschauung. Danach ist eine Sache nicht fremd im Sinne der Vorschrift, wenn der Täter wie ein Eigentümer damit verfahren kann. Dies soll vor allem dann gegeben sein, wenn der Täter die Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft oder zur Sicherung einem Dritten übereignet hat.306 Ein weiteres Anwendungsbeispiel wäre je nach Vertragsgestaltung der Leasingvertrag. Diese Auffassung hat sich jedoch zu Recht nicht durchgesetzt. Denn in den genannten Fällen wird schon die wirtschaftliche Betrachtungsweise oftmals nicht zu dem intendierten Ergebnis führen. So läßt sich bei einem Vorbehaltskauf, bei dem gerade erst eine Rate bezahlt worden ist, oder bei einer notleidenden Sicherungsübereignung schwerlich behaupten, der Vorbehaltskäufer bzw. Sicherungsgeber sei wirtschaftlich schon bzw. noch als der wahre Eigentümer anzusehen. Kein gangbarer Weg dürfte es auch sein, hinsichtlich des Vorbehaltskaufs auf die verschiedenen Stadien des Erstarkens der Anwartschaft zum Vollrecht abzustellen und für die Sicherungsübereignung auf deren (voraussichtliche) Bestandskraft. Die strafrechtliche Beurteilung würde hierdurch mit erheblichen und letztlich untragbaren Unsicherheiten befrachtet. 307

165

cc) Rechtmäßiger Besitz. Vereinzelt geblieben ist der Vorschlag Rüths,308 der, frei- 1 6 6 lieh wohl nur in Bezug auf das Fahrzeug, das Merkmal „fremd" bei rechtmäßigem Besitz des Täters generell verneinen wollte. Über die in der vorstehenden Rdn. genannten Konstellationen hinaus wären davon auch die in Rdn. 163 angesprochenen umfaßt. Einer solchen Auslegung ist aber mit Blick auf das von der Norm geschützte Rechtsgut der Weg verstellt. Geht man davon aus, daß die §§ 315ff das Allgemeininteresse an der Verkehrssicherheit zu schützen bestimmt sind und daß die Gefahrdung fremder Rechtsgüter die Gefährlichkeit des Täterverhaltens indiziert (§315 Rdn. 5), so ist nicht einzusehen, wie die Rechtmäßigkeit des Besitzes diese Indizwirkung sollte entkräften können. Zudem kollidiert eine solche Betrachtungsweise mit der h. M., wonach die vom Täter rechtmäßig mitgeführten fremden BeforderungsgegensfaWe schlechthin geeignetes Gefahrdungsobjekt sind (Rdn. 164). dd) Elimination des selbst geführten Fahrzeugs. Demgegenüber greift eine seit vielen Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung zu einer generellen Reduktion des Tatbestandes. Danach ist die Gefahrdung des vom Täter geführten (auch) fremden Fahr306

Härtung NJW 1966 15, 17f; ders. NJW 1967 909, 910; Rüth LK10 § 315 Rdn. 37.

(205)

307

In diesem Sinne auch allgemein BGHSt. 12 282, 287; hierzu kritisch Härtung NJW 1966 15, 17f. so« l k i o § 315 b Rdn. 8; ders. JR 1977 432, 433.

Peter König

167

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zeugs schlechthin aus dem Tatbestand zu eliminieren.309 Das soll selbst dann gelten, wenn der Täter das Fahrzeug gestohlen hat (BGHSt. 11 148, 151). Das Fahrzeug sei notwendiges Tatmittel und könne deswegen nicht zugleich vom Strafschutz mit umfaßt werden (BGHSt. 11 148, 150; insoweit relativierend BGHSt. 27 40, 43 f). Die Strafbarkeit des Vorbehaltskäufers dürfe nicht von dem Zufall abhängen, ob die letzte Rate bereits bezahlt worden sei (BGHSt. 11 148, 150f; 27 40, 43). Durch § 315c werde das Allgemeininteresse an der Sicherheit des Verkehrs geschützt; eine Erhöhung des Eigentumsschutzes bezwecke die Vorschrift hingegen nicht. Solange jemand „ohne verkehrsmäßige (verkehrstypische) Beteiligung eines Dritten lediglich eine Gefahr für das von ihm eingesetzte Fahrzeug [setze]", würden „die Strafvorschriften über die Gefahrdung des Straßenverkehrs überhaupt nicht angesprochen"; erst bei verkehrsbezogener Beteiligung eines Dritten am Verkehr, „der sich selbst in den Verkehrsbereich eingebracht" habe, nehme dieser an dem besonderen verkehrsrechtlichen Schutz teil (BGHSt. 27 40, 43). Aus § 315 Abs. 1 Nr. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 1 und § 315c Abs. 1 Nr. 2 g sei der allgemeine Grundsatz herzuleiten, daß es immer zu einer konkreten Gefährdung des Straßenverkehrs kommen müsse; „die bloße Gefährdung des Fahrzeugs auf der Straße" reiche hingegen nicht aus (BGH aaO S. 44, im Anschluß an Sch/Schröders §§ 306 ff Vorbem. Rdn. 9). Die ganz herrschende Lehre ist dem BGH im Ergebnis gefolgt.310 168

ee) Stellungnahme. Angesichts der jahrzehntelangen Praxis und der nahezu einhelligen Zustimmung des Schrifttums könnte man fast geneigt sein, die tatbestandliche Reduktion des § 315c als gewohnheitsrechtlich anerkannt anzusehen. 311 Die daran zu stellenden Anforderungen dürften jedoch letztlich nicht erfüllt sein. In der Sache handelt es sich um eine richterliche Rechtsfortbildung, die vom Ergebnis her bestimmt ist und bei der dem Richter zumindest nicht in diesem Maße zukommende Strafwürdigkeitserwägungen den Ausschlag geben. Keines der angeführten Argumente findet einen hinreichenden Anhalt im Gesetz; hinzu kommt eine Reihe von krassen Widersprüchlichkeiten. (1) So existiert - wie auch bei der durch den BGH vorgenommenen Ausgrenzung der Gefährdung des Tatbeteiligten (hierzu § 315b Rdn. 71 ff)312 - kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß das „Tatmittel" nicht zugleich geeigneter Gefährdungs- oder Verletzungsgegenstand sein kann. Dies läßt sich mit Beispielen belegen.313 Aber bereits 309

310

BGHSt. 11 148, 150; 27 40, 42ff; BGH NStZ 1992 233; NStZ-RR 1999 120; NZV 2000 213; BayObLG NJW 1983 2827, 2828; OLG Celle NJW 1967 1767f; OLG Hamm NJW 1967 943 f; OLG Stuttgart NJW 1966 2280, 2281; OLG Schleswig NJW 1965 1727. Anders noch OLG Celle VRS 6 381, 382; NdsRpfl 1957 136f; OLG Hamm NJW 1957 968; OLG Koblenz NJW 1957 231 f. LacknerlKühl Rdn. 27; Sehl Schröder! Cramer §§ 306fT Vorbem. Rdn. 11; Tröndle!Fischer Rdn. 17; JaguschiHentschel Rdn. 4; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Konkretgefährdung Erläuterungen 1 (Lieferung 1/94) Bl. 13 f; Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 6; Rengier BT/II § 44 Rdn. 10; Otto GK/BT § 80 Rdn. 1. Zweifelnd Hillenkamp JuS 1977 166, 169; ähnlich Graul JuS 1992 321, 324. AA Horn SK vor § 306 Rdn. 10; Härtung NJW 1966 15; ders. NJW 1967 909. Zweifelnd

hinsichtlich des gestohlenen Fahrzeugs Mayr BGH-Festgabe S. 273, 275. Zur gewohnheitsrechtlich verfestigten Tatbestandseinengung durch milde Auslegung etwa Gribbohm LK § 1 Rdn. 70 f; LacknerlKühl § 1 . Rdn. 3; Sehl Schröder!Eser § 1 Rdn. 13; Tröndle! Fischer § 1 Rdn. 9; Roxin AT I § 5 Rdn. 47, 50; kritisch Jakobs AT 4/46 f. 312 Darauf wird in der Leitentscheidung ausdrücklich Bezug genommen (BGHSt. 11 148, 150). Dort findet sich u. a. der Satz: „Es [das benutzte Fahrzeug] nimmt auf der Seite des Täters an dessen vorschriftswidrigem Verhalten teil." 313 Treffend Horn SK vor § 306 Rdn. 10: Sachbeschädigung scheitere mit Sicherheit nicht daran, daß der Täter das gemietete Fahrzeug an die Hauswand fahre, statt es auf andere Weise zu demolieren. Vgl. auch Härtung NJW 1966 15, 16 und NJW 1967 909,910. 311

Stand: 1.7. 2000

(206)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

der Topos des „Tatwerkzeugs" bzw. „Tatmittels", aus dem der BGH so weitreichende Folgerungen zieht, paßt für die Regelverstöße nach § 315c im allgemeinen nicht. Zwar ist es zutreffend, daß § 315 c fast durchwegs 314 den Gebrauch eines Fahrzeugs voraussetzt. Allein dadurch wird das Beförderungsmittel aber nicht zum „Werkzeug" auf der Seite des Täters. Es ist vielmehr passives Element der Tat. Seine Verwendung erschöpft sich im konkreten Gebrauch, auf dessen Verhinderung § 315c abzielt. Dem entspricht die ganz h. M. zum Recht der Einziehung (§ 74ff), die das Fahrzeug bei Straftaten nach § 315c (§ 316) als bloßen Beziehungsgegenstand ansieht (Rdn. 217). Eine abweichende Beurteilung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn der Täter sowohl hinsichtlich der Tathandlung als auch hinsichtlich der Gefahr vorsätzlich handelt (OLG Hamm BA 11 [1974] 282). Aber das ist bekanntlich in den allerwenigsten Fällen gegeben. Und schließlich widerlegt sich der BGH selbst, indem er die Ausgrenzung des selbst geführten Fahrzeugs für den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr und damit wohl auch für § 315a nicht nachvollziehen will (hierzu § 315 Rdn. 77f), obgleich die Strukturen dort identisch sind. (2) Richtig ist, daß das Verkehrsstrafrecht nicht darauf abzielt, den Eigentumsschutz zu erhöhen. Allerdings spricht dies nicht gegen die Einbeziehung des vom Täter geführten Fahrzeugs. Geht man mit dem hier vertretenen und im Grundsatz auch vom BGH eingenommen Standpunkt davon aus, daß Schutzgut des § 315c das Allgemeininteresse an der Sicherheit des Straßenverkehrs ist, dessen Beeinträchtigung sich in der Gefahrdung fremder Rechtsgüter indiziell zeigt, so müßten sich Gründe finden lassen, warum das nicht auch für das Fahrzeug gelten sollte. Diese sind nicht vorhanden. So dokumentiert sich die Gefährlichkeit des Täterverhaltens für die Sicherheit des Straßenverkehrs gewiß nicht greifbarer, wenn der betrunkene Fahrer einen in fremdem Eigentum stehenden Zaun streift und dabei einen über der Wertgrenze liegenden Schaden verursacht, als wenn er aufgrund seiner Volltrunkenheit von der Straße abkommt und das von ihm geführte fremde Fahrzeug völlig zerstört, wobei es nur dem Zufall zu verdanken ist, daß sich kein anderes Rechtsgut in der Gefahrenzone befunden hat. Fehl geht es, wenn der BGH in diesem Kontext die Parallele zum betrunkenen Fahrer zieht, der auf nichtöffentlichen Wegen fahrlässig ein fremdes Fahrzeug beschädige und insoweit keinen Vorschriften über den strafrechtlichen Eigentumsschxxtz unterliege, was bei derselben Tat auf öffentlichen Wegen nicht anders sein könne (BGHSt. 27 40, 43). Denn ein Eigentumsdelikt ist § 315c gerade nicht. Mit dieser Aussage wird im Grunde die wenige Absätze zuvor (aaO S. 41 f) nochmals bekräftigte Auffassung konterkariert, daß die §§ 315ff das Universalrechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs zu schützen bestimmt seien. Die Schutzrichtung dieser Vorschriften in Bezug auf den öffentlichen Straßenverkehr erweist sich aber gerade in der Beschränkung eben auf den öffentlichen Straßenverkehr. Wie sich der Eigentumsschulz innerhalb und außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums gestaltet, ist dafür irrelevant. Wenn der betrunkene Fahrzeugführer auf einem privaten Grundstück fahrlässig einen Zaun beschädigt, macht er sich nicht wegen Sachbeschädigung strafbar. Das ist auch dann nicht anders, wenn er dasselbe im öffentlichen Verkehrsraum tut. Gleichwohl greift im letztgenannten Fall ganz unbestreitbar § 315c ein. Einwenden kann man, daß sich die besondere Gefährlichkeit des Verhaltens u.U. auch an der Gefährdung eigener Sachen erweist. Aber das ist Folge einer vom Gesetzgeber bewußt getroffenen und damit hinzunehmenden Entscheidung (hierzu § 315 Rdn. 5). 314

Mit Ausnahme des § 315c Abs. 1 Nr. 2g.

(207)

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(3) Nicht tragfahig erscheint auch der Hinweis zur verkehrsmäßigen bzw. verkehrstypischen Beteiligung Dritter, die sich selbst in den Verkehrsbereich „einbringen" müßten, damit ihnen verfajAwrechtlicher Schutz gewährt werden könne. Dies ist zunächst mit der allgemeinen Meinung nicht zu vereinbaren, wonach der gefährdete Dritte weder im öffentlichen Verkehrsraum befindlich noch gar am Verkehrsvorgang beteiligt sein muß (z.B. pflügender Bauer auf dem Feld, Rdn. 3).315 Sodann wird außer acht gelassen, daß sich fremde Sachwerte (die Leitplanke, das Haus usw.) kaum je in den Verkehr „einzubringen" pflegen, aber trotzdem unzweifelhaft geeignete Gefahrdungsobjekte sind. Konsequent zu Ende gedacht müßte der Gedanke im übrigen dazu führen, daß auch dem Beifahrer, auf den die diesbezüglichen Ausführungen des BGH ersichtlich zielen (BGHSt. 27 40, 43), der verkehrsrechtliche Schutz zu versagen wäre. Denn am Verkehrsvorgang beteiligt ist der Beifahrer solange nicht, wie er sich auf das passive Mitfahren beschränkt (vgl. MühlhauslJaniszewski§ 1 StVO Rdn. 11). Selbst wenn man aber den Kreis weiter zieht und das „Sich-Einbringen" damit gleichsetzt, daß sich der Beifahrer aufgrund freier Entscheidung in das Fahrzeug begibt, wären die Ergebnisse außerordentlich ungereimt. So könnte der bewußtlose Kranke, der in einem Krankenfahrzeug transportiert wird, mangels „Sich-Einbringens" wohl nicht in tatbestandsrelevanter Weise gefährdet werden. Und wiederum bleibt zu fragen, wie es mit den im Fahrzeug beförderten Gegenständen steht, die dem Täter nicht (alleine) gehören (Rdn. 164). (4) Entgegen der Auffassung des BGH kann den § 315 Abs. 1 Nr. 1, § 315 b Abs. 1 Nr. 1 und § 315c Abs. 1 Nr. 2g kein allgemeines Prinzip des Inhalts entnommen werden, daß es zu einer konkreten Gefährdung des Straßenverkehrs kommen müsse, wofür die bloße Gefahrdung des Fahrzeugs „auf der Straße" nicht genüge (BGHSt. 27 40, 44).316 Einmal ist eine konkrete Gefährdung des „Straßenverkehrs" im Rahmen des § 315c überhaupt nicht erforderlich. Notwendig (und ausreichend) ist - wie durchgehend für die §§ 315ff - vielmehr eine abstrakte Gefahrdung des (Straßen)-Verkehrs, die sich in der konkreten Gefahr für ein oder mehrere Individuen oder für bedeutende Sachwerte (darunter selbstverständlich auch Fahrzeuge auf der Straße) auswirken muß.317 Sodann genügt für die § 315 Abs. 1 Nr. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 1 sehr wohl die Gefährdung des (u. U. auch selbst geführten) Fahrzeugs. Zerstört der Täter beispielsweise die Bremsanlage des ihm nicht gehörenden Kraftwagens und kann das Fahrzeug dann im öffentlichen Straßenverkehr nicht mehr rechtzeitig vor einem Hindernis zum Stillstand gebracht werden, so ist nicht ersichtlich, was einer Anwendung des § 315b entgegenstehen sollte. Auch an der Erfüllung des § 315 Abs. 1 Nr. 1 würde man wohl nicht zweifeln, wenn der Lokomotivführer während der Fahrt essentielle Vorrichtungen außer Funktion setzt und den nunmehr führerlosen Wagen dadurch zum Entgleisen bringt. Gerade mit dem Hinweis auf § 315 setzt sich der BGH aber auch erneut mit seiner Rechtsprechung in Widerspruch, wonach die Elimination des Beförderungsmittels für die von §§ 315, 315a geschützten Verkehrsarten nicht gelten soll (§315 Rdn. 77 f). Es erscheint alles andere als plausibel, aus einer Norm einerseits einen allgemeinen Grundsatz ableiten zu wollen, diesem dann aber zugleich gerade für diese Norm jegliche Gültigkeit zu versagen. Womöglich zielt die Passage zu der im Rahmen der §§ 315, 315b nicht ausreichenden Zerstörung usw. des Fahrzeugs auf Konstellationen, in denen der Eingriff mit der 315

Rüth JR 1977 432; zustimmend Horn SK vor § 306 Rdn. 10.

316

317

Deutlicher bei SchlSchröderICramer §§ 306ff Vorbem. Rdn. 11. Zum Deliktscharakter s. § 315 Rdn. 2.

Stand: 1.7. 2000

(208)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Beschädigung, Zerstörung des Fahrzeugs zusammenfallt, ohne daß eine abstrakte Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit eintritt (hierzu § 315 Rdn. 48, § 315b Rdn. 26, 59). Diese Fälle sind aber mit der Situation im Rahmen des § 315c nicht vergleichbar. Denn hier geht das abstrakt gefahrliche Verhalten (Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit, unter Verletzung der Vorfahrt etc.) der konkreten Gefahrdung notwendig voraus und muß deren Ursache sein. Zutreffend ist, daß die Gefahrdung des liegengebliebenen Fahrzeugs nicht zur Strafbarkeit nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 g führt. Das ist strukturell bedingt. Rein tatsächlich ist hier eine konkrete Gefährdungslage überhaupt nicht denkbar, wenn es nicht zu einer riskanten Annäherung mit einem anderen Rechtsgut kommt. Freilich nimmt § 315c Abs. 1 Nr. 2g im Rahmen des § 315c eine absolute Ausnahmestellung ein. Anders als alle anderen Regelverstöße im Katalog des § 315c Abs. 1 knüpft die Vorschrift nämlich nicht an das Führen eines Fahrzeugs bzw. an das Fahrverhalten an (Rdn. 2), sondern an eine Sicherungspflicht, die darüber hinaus noch nicht einmal den Führer des Fahrzeugs treffen muß (Rdn. 129). Mit Blick auf diese Ausnahmestellung kann der Vorschrift schwerlich ein allgemeiner Rechtsgedanke für die §§ 315 ff oder auch nur für § 315c entnommen werden. (5) Es verbleibt die rechtspolitisch unbefriedigende Situation, daß für die Strafbarkeit der Zufall den Ausschlag geben kann, ob der Vorbehaltskäufer die letzte Kaufrate bereits entrichtet hat oder noch nicht. Abgesehen davon, daß dieser Aspekt nur einen Ausschnitt aus den tangierten Fallgestaltungen bildet, der z.B. auf den Mieter, Entleiher oder gar den Dieb nicht zutrifft und schon deswegen nicht als tragfahiges Fundament für eine Reduktion von erheblicher Tragweite gelten kann, und abgesehen davon, daß abermals dasselbe für die mitgeführten Gegenstände gelten müßte (Rdn. 164 a. E.), wirkt dieser Gedanke im Rahmen eines konkreten Gefährdungsdelikts nicht sonderlich überzeugend. Denn das konkrete Gefahrdungsdelikt baut (wie jedes Erfolgsdelikt) wesensgemäß zu einem guten Teil auf dem Zufall auf. Vom Zufall bestimmt kann es sein, ob sich jemand zum Mitfahren mit einem Betrunkenen bereit findet, ob sich fremde Gegenstände im Fahrzeug befinden, ob fremde Rechtsgüter außerhalb des Fahrzeugs in die Gefahrenzone geraten und ob es zu einem Beinahe-Unfall kommt (vgl. auch Horn SK vor § 306 Rdn. 10). Trotzdem verhelfen all diese Zufalle, wenn sie denn im Einzelfall unglücklich kumulieren, dem Täter nicht zur Straflosigkeit. Ergebnis ist deshalb, daß das vom Täter geführte, (auch) fremde Fahrzeug wie jeder andere fremde Sachwert auch Gefährdungsobjekt im Sinne des § 315 c sein kann. Mit dem Vorstehenden soll nicht gesagt werden, daß dieses Ergebnis in jeder Hinsicht zufriedenstellt. Man wird andererseits auch nicht behaupten können, daß es mit Blick auf das Schutzgut des § 315c außerhalb jeglicher Vertretbarkeit liegt. Die Gefahrdung des selbst geführten (auch) fremden Fahrzeugs mag praktisch die wichtigste Fallgruppe sein, bei der Härtefälle auftreten. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, sie ohne tragfähige Grundlage durch Richterrecht generell aus dem Tatbestand herauszunehmen und auf diese Weise Widersprüche im Verhältnis zu anderen Fallgestaltungen zu produzieren, die im Unrechtsgehalt vergleichbar sind oder sogar dahinter zurückbleiben (Gefahrdung der Ladung; Streifen des Zauns). Die Ausgrenzung des vom Täter selbst geführten und für ihn (auch) fremden Fahrzeugs aus der Reihe geeigneter Gefährdungsobjekte bedürfte einer Entscheidung des Gesetzgebers. De lege lata bieten das Strafverfahrensrecht und die Strafzumessung Handhaben, mit denen Härtefällen Rechnung getragen werden kann. (209)

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

169

ee) Einwilligung. Horn (SK vor § 306 Rdn. 10) will - im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem in der vorstehenden Rdn. Gesagten - grundsätzlich den formalen Eigentumsbegriff entscheiden lassen, meint jedoch, einige der relevanten Fälle ließen sich über die rechtfertigende Einwilligung dogmatisch sauber lösen (Horn SK vor § 306 Rdn. 12). Es sei zu fragen, ob sich ein gewerbsmäßiger Fahrzeugvermieter sowie der Vorbehaltsverkäufer nicht „dadurch des Schutzes ihres Eigentums aus § 315c begeben, daß sie in ein Verhalten des Fahrers «quam in suis», u. U. auch in «gefahrliche» Verhaltensweisen» ... einwilligen" (Horn aaO). Ungeachtet der grundsätzlichen Bedenken gegen eine Anerkennung der rechtfertigenden Wirkung der Einwilligung (Rdn. 161 und § 315b Rdn. 74) liegt auf der Hand, daß ein solcher Ansatz aus tatsächlichen Gründen allenfalls in extremen Ausnahmefallen weiterzuhelfen vermag. Gefährliche Verhaltensweisen des Vorbehaltskäufers, Mieters, Sicherungsgebers, Leasingnehmers etc. laufen den Interessen des Eigentümers nämlich diametral zuwider. Die Annahme einer Einwilligung wäre Fiktion.

170

b) Bedeutender Wert. Die gefährdeten Sachen müssen von bedeutendem Wert sein. Diesen muß - wie schon bei der Leibesgefahr - bedeutende Gefahr drohen. Die Wertgrenze ist nach den heutigen Verhältnissen bei 1500 DM anzusiedeln (§315 Rdn. 95). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter § 315 Rdn. 82 ff verwiesen.

171

VII. Kausalität, objektive Zurechnung. Ursache der Gefahr muß ein in Absatz 1 beschriebenes Fehlverhalten sein („dadurch"). Wie bei anderen Erfolgsdelikten auch darf sich der Richter dabei nicht mit der Aussage begnügen, das Verhalten des Täters sei conditio sine qua non für den Gefahrerfolg gewesen. Vielmehr muß ein spezifischer Zusammenhang zwischen einem der in § 315 c Abs. 1 Nr. 1 oder 2 aufgeführten Regelverstöße und der konkreten Gefahr in dem Sinn dargetan werden, daß der Gefahrerfolg seinen Grund gerade in der Pflichtwidrigkeit hat, sich mithin als die Realisierung der in dieser liegenden (abstrakten) Gefahr darstellt, und es muß der Zweck des Ge- oder Verbots sein, Erfolge der eingetretenen Art zu verhindern.318 Die Rechtsprechung behandelt die Beziehung zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg entgegen der überwiegenden Lehre als eine Frage des Kausalzusammenhangs, wobei sie in der Terminologie nicht immer ganz präzis verfährt.319 Im Ansatz der Einordnung als Kausalitätsproblem hat sie in jüngerer Zeit vermehrt Zustimmung gefunden.320 Insgesamt ist in diesem Bereich konstruktiv nahezu alles außerordentlich umstritten, und erscheint der „gegenwärtige Diskussionsstand von einer abschließenden Klärung weit entfernt" {LackneriKühl § 15 Rdn. 45).321 Der Ursachenzusammenhang ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn auszuschließen ist, daß es ohne die Fahrunsicherheit bzw. den Regelverstoß nicht zum Eintritt der Gefahr gekommen wäre (vgl. BGH VRS 49 429 f; SehlSchröder!Cramer Rdn. 36). Eine nur gelegentlich des Fahrverhaltens entstehende Gefahr genügt demgegenüber nicht.322 Wird wegen mehrerer Regelverstöße verurteilt, so muß der Zu318

319

320

Ganz h. M. S. etwa BayObLGSt. 1969 67, 69; OLG Hamm VRS 41 40, 41; OLG Karlsruhe Die Justiz 1979 444, 445. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 36; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Konkretgefährdung Erläuterungen 1 (Lieferung 1/94) Bl. 15; Rengier KK OWiG § 10 Rdn. 32. S. etwa BayObLG NZV 1989 359 und hierzu Deutscher ebd. S. 360. Namentlich Jakobs AT 7/78; ders. Lackner-Festschrift S 53, 59f; Puppe NK vor § 13 Rdn. 189ίΓ;

321

322

dies. ZStW 99 (1987) 595, 601; dies. Jura 1997 408,513. Vgl. nur Puppe NK vor § 13 Rdn. 142ff, 183ff; Rudolphi SK vor § 1 Rdn. 57 fT; Sehl Schröder! Lenckner §§ 13fT Vorbem. Rdn. 73ff; Sch/SchröderlCramer § 15 Rdn. 160ff; Schroeder LK § 15 insbesondere Rdn. 185 ff; TröndlelFischer vor § 13 Rdn. 17ff, alle mit zahlreichen Nachweisen. BayObLG VRS 64 371, 372; NZV 1989 359; OLG Hamm NJW 1955 723.

Stand: 1. 7. 2000

(210)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§ 315c

sammenhang zwischen jedem der Regelverstöße und einer relevanten Gefahrdung bestehen (OLG Hamm VRS 41 40, 41). Es genügt, wenn die Gefahr durch den Regelverstoß mitverursacht wird.323 In allen Fällen schließt ein Mitverschulden des Opfers die Ursächlichkeit nicht aus,324 sofern nicht ein völlig atypischer Kausalverlauf vorliegt. Ist der Ursachenzusammenhang nicht gegeben oder kann er nicht nachgewiesen werden, so kommt in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a eine Strafbarkeit nach § 316 in Betracht, ggf. aber auch lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG. In den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. lb, Nr. 2 wird zumeist nur eine Ordnungswidrigkeit gegeben sein. Allerdings kann es am erforderlichen Bezug auch fehlen, wenn der fahrunsichere und in Pervertierungsabsicht regelwidrig fahrende Täter sein Fahrzeug gezielt als Schadenswerkzeug einsetzt, ohne daß sich gerade die Fahrunsicherheit auswirkt. In solchen Konstellationen ist dann, u. U. neben (versuchten) Verletzungsdelikten, § 315b in Erwägung zu ziehen (vgl. BGH VRS 65 359, 360; NJW 1995 1766; NZV 2000 88, 89; s. auch § 315b Rdn. 95). 1. Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit. Die Fahrunsicherheit muß sich auf 1 7 2 einen bestimmten einzelnen Verkehrsvorgang ausgewirkt haben, was nach der Rechtsprechung der Fall ist, wenn „das reibungslose Ineinandergreifen einzelner Verkehrsvorgänge" gerade mit Rücksicht auf den durch Rauschmittel beeinflußten Zustand des Fahrers konkret beeinträchtigt wird. Die Gefahr muß durch die rauschmittelbedingte Leistungsminderung des Täters ihr Gepräge erhalten (BGHSt. 8 28, 33). Auf der Grundlage der Bedingungstheorie negativ formuliert bedeutet dies: Die Gefahr beruht nicht auf der Fahrunsicherheit des Täters, falls dieser die gleiche Gefahr für die Allgemeinheit begründet hätte, wenn er bei Bewältigung derselben Verkehrsaufgabe nüchtern gewesen wäre.325 Entsprechendes gilt naturgemäß für die durch körperliche bzw. geistige Mängel ausgelöste Fahrunsicherheit (§ 315c Abs. 1 Nr. lb). Am erforderlichen Zusammenhang ζ. B. mit einer Fahrunsicherheit aufgrund Übermüdung fehlt es dann, wenn der Erfolg nicht ausschließbar auch ohne die Übermüdung eingetreten wäre (OLG Karlsruhe VRS 50 280, 283). Mißverständlich ist die mitunter gebrauchte Kurzformel, es sei entscheidend, ob die Gefahr der Fremdschädigung bei der gegebenen Sachlage auch von einem (irgendeinem) nüchternen Fahrer ausgegangen wäre.326 Denn unter Zugrundelegung dieser Definition hätte die Rechtsprechung „die Bedingungstheorie verlassen" (OLG Neustadt VRS 16 41,43). 327 a) Beeinträchtigung der Fahrweise. In älteren Entscheidungen wird nicht selten 1 7 3 ergänzend ausgeführt, daß sich die Fahrunsicherheit nicht notwendig auf die Fahrweise des berauschten oder aufgrund eines anderen Defekts beeinträchtigten Fahrzeugführers ausgewirkt haben müsse, weil die regelwidrige Fahrweise nicht Tatbestandsmerkmal sei.328 Dies steht im Zusammenhang mit dem Gefahrbegriff. In Abgrenzung 323

324

325

BayObLGSt. 1969 169, 171; BayObLG VRS 38 112, 113; NZV 1989 359; OLG Hamburg VRS 32 444. Lackner/Kühl Rdn. 12. BGH VRS 17 21, 24; VRS 19 29, 30 f (implizit); OLG Karlsruhe NJW 1965 361. Deutscher NZV 1989 360. Vgl. auch BayObLGSt. 1994 9, 11. So BGH VRS 16 448, 452, im Anschluß an OLG Neustadt VRS 16 41, 43; BGH VRS 19 29, 30; VRS 31 36, 37; OLG Neustadt NJW 1961 2223, 2224.

(211)

326

327

328

So BGHSt. 8 28, 33; BGH VRS 13 204, 205; VRS 16 129, 131; BayObLG NZV 1989 359; BayObLGSt. 1994 29, 34; OLG Saarbrücken DAR 1963 21, 22 (auch in der weiteren Begründung zweifelhaft). Zust. BGH VRS 16 448, 452; vgl. auch Hentschel Trunkenheit Rdn. 416; Peters NZV 1990 260, 262 und dort Fn. 20. U.a. BGHSt. 8 28, 33; BGH VRS 13 204, 205; BGH VRS 16 448, 452; OLG Neustadt VRS 16 41,43.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zu einer vormals verbreiteten Rechtsprechung (BayObLG VRS 6 302; zusammenfassend Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 44 f) wird damit zum Ausdruck gebracht, daß der Fahrzeugführer vor der kritischen Situation nicht notwendig durch regelwidriges Fahrverhalten aufgefallen sein muß. Vielmehr ist der Ursachenzusammenhang auch dann gegeben, wenn die Krise entsteht, weil der Täter ad hoc nicht mehr in der Lage war, sachgerecht zu reagieren, ζ. B. weil sein Wahrnehmungsvermögen aufgrund des Drogenkonsums beeinträchtigt war. 174

b) BGHSt. 24 31. Nicht auf § 315c Abs. 1 Nr. l a übertragbar sind die durch BGHSt. 24 31 zur Kausalitätsprüfung im Rahmen der §§ 222, 229 (230 a.F.) entwickelten Grundsätze. Danach soll bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahrunsicheren Kraftfahrer vermeidbar war, nicht darauf abzustellen sein, ob der Fahrer den Unfall in nüchternem Zustand bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können, sondern darauf, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er - abgesehen davon, daß er als Fahrunsicherer überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte - noch seiner durch den Alkoholgenuß herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall gekommen wäre.329 Mit Recht weist BayObLGSt. 1994 29, 34 auf die unterschiedliche Fragestellung im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. l a hin. Anders als beim fahrlässigen Verletzungsdelikt reicht im Rahmen des § 315 c nicht jedes den Schutzbereich beeinträchtigende verkehrswidrige Verhalten aus, sondern muß die Gefahr gerade aus der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit herrühren. 330 Deshalb kann es auch nur auf den diesbezüglichen Ursachenzusammenhang ankommen.

175

c) Feststellung des Zusammenhangs. Die Feststellung, ob die Gefahr durch die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit „ihr Gepräge erhalten" hat (Rdn. 172), kann außerordentliche Probleme aufwerfen. Sie rühren daher, daß nicht mit Gewißheit gesagt werden kann, wie sich der Fahrzeugführer als Nüchterner verhalten hätte. Zwar entspricht es den allgemein anerkannten Ergebnissen der Alkoholforschung (hierzu § 316 Rdn. 16), daß für den jeweiligen Defekt typische Faktoren wie etwa eine herabgesetzte Sehfähigkeit, Störungen des Reaktionsvermögens oder Beeinträchtigungen der Gesamtpersönlichkeit (Wagnisbereitschaft, Selbstüberschätzung) Ursachen für den Gefahrerfolg sein können. Dem steht aber die Erfahrung gegenüber, daß nahezu alle Fehlleistungen, die einem im Defektzustand befindlichen Fahrzeugführer unterlaufen, zumindest gelegentlich auch bei Nüchternen vorkommen. Das Nachfolgende betrifft vornehmlich die alkoholbedingte Fahrunsicherheit. Dies ist darauf zurückzuführen, daß insoweit reichhaltiges Material existiert. Das meiste kann sinngemäß auf die Fahrunsicherheit infolge des Konsums anderer Rauschmittel sowie geistiger oder körperlicher Mängel übertragen werden.

176

aa) Gefahrenzusammenhang - alkoholbedingte Fahrunsicherheit. Die Fragestellung schneidet sich mit dem praktisch wichtigsten Problemkreis der Beurteilung alkoholbedingter Fahrunsicherheit. In den Fällen, in denen der Grenzwert absoluter 329

So u. a. auch BayObLGSt. 1994 29, 31 ff m. krit. Anm. Puppe NStZ 1997 389 und Schmid BA 31 (1994) 330, 33 lf; OLG Koblenz in DAR 1974 25; VRS 71 281. Zur Kritik s. nur Hentschel Trunkenheit Rdn. 3221Γ; Mühlhaus DAR 1970 125; Möhl JR 1971 247; Puppe JZ 1985 295; dies. NStZ 1997 389.

330

Ebenso Hentschel Trunkenheit Rdn. 416; MühlhaustJaniszewski Rdn. 12; unklar Schmid BA 31 (1994) 330, 332. Abw. - freilich ohne auf die unterschiedliche Problemlage einzugehen OLG Koblenz VRS 71 281, Rüth LK10 Rdn. 56. Widersprüchlich Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Konkretgefährdung Erläuterungen 1 (Lieferung 1/94) Bl. 14f.

Stand: 1. 7. 2000

(212)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Fahrunsicherheit (§316 Rdn. 59 ff) nicht erreicht ist,331 ist der Würdigung des Gefahrenzusammenhangs die Prüfung vorgelagert, ob die Fahrsicherheit gerade aufgrund der Alkoholwirkung aufgehoben war (§316 Rdn. 90 ff). Zumeist wird die Annahme der Fahrunsicherheit aus den Beweisanzeichen Grad der Alkoholisierung und einer im Fahrverhalten deutlich gewordenen Ausfallerscheinung hergeleitet. War es dann gerade die als alkoholbedingt erkannte Fahrweise (Ausfallerscheinung), die zum Gefahrerfolg geführt hat, so wird der Ursachenzusammenhang zwischen alkoholbedingter Fahrunsicherheit und dem Gefahrerfolg durch die Rechtsprechung in aller Regel nicht mehr eigenständig untersucht. 332 Dies erscheint plausibel. Denn in solchen Fällen steht mit der Annahme alkoholbedingter Fahrunsicherheit zugleich fest, daß diese der Gefahrensituation „ihr Gepräge" verliehen hat. Einer gesonderten Prüfung muß der Gefahrenzusammenhang deshalb nur unterzogen werden, wenn der Grenzwert absoluter Fahrunsicherheit überschritten ist oder die Fahrunsicherheit wesentlich aus anderen Indizien als dem Fahrverhalten abgeleitet wird, das den Gefahrerfolg unmittelbar herbeigeführt hat (ζ. B. Vor- oder Nachtatverhalten; § 316 Rdn. 114 ff). Solche Konstellation sind vergleichsweise selten. bb) Generelle Faktoren. Dem Vorstehenden entspricht es, daß die Rechtsprechung 1 7 7 bei der Würdigung des Gefahrenzusammenhangs dieselben Kriterien zugrunde legt wie bei der Feststellung drogenbedingter Fahrunsicherheit anhand des Fahrverhaltens. Auf die diesbezügliche Kommentierung (§316 Rdn. 98 ff) wird daher zunächst Bezug genommen. Für § 315 c hervorzuheben ist, daß die näheren Umstände eines vom Täter verursachten Unfalls nach gefestigter Rechtsprechung den erforderlichen Ursachenzusammenhang so sehr nahelegen können, daß die Annahme der Kausalität keiner eingehenden Begründung bedarf. 333 Dies ist bei grobem Fahrversagen der Fall, das sich „bei vernünftiger Betrachtung, jedenfalls normalerweise, nur durch typische alkoholbedingte Ausfallerscheinung erklären läßt" (BGH VRS 49 429). Auch dann sollten es die Urteilsgründe aber möglichst nicht bei der Feststellung belassen, der Ursachenzusammenhang sei „offenbar" gegeben (BGH VRS 22 137, 138), sondern sollten darlegen, daß die Umstände des Falls keinerlei verständliche Zweifel daran wecken, daß der Angeklagte „im nüchternen Zustand [nicht] so versagt haben würde" (BGH VRS 49 429, 430).334 Demgegenüber wird der Ursachenzusammenhang verneint, wenn der Fahrzeugführer trotz seiner Alkoholisierung in der Gefahrensituation richtig und zielgerichtet reagiert hat (s. auch § 316 Rdn. 107). Langjährige Erfahrung als Kraftfahrer und Unfallfreiheit können sich bei der Zurechnung des Gefahrerfolgs zum Nachteil des Täters auswirken. Denn dann drängt sich um so mehr die Annahme auf, daß der Betreffende die Situation in fahrsicherem Zustand gemeistert hätte. 335 Die Höhe der BÄK bleibt bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt. Allerdings ist der zuweilen gebrauchte Satz, mit dem Grad der Alkoholbeeinflussung sänken die Anforderungen an die Feststellung der Ursächlichkeit, in dieser Form mißverständlich. Der darin zum Ausdruck kommende Gedanke 331

332

333

334

Oder nicht nachgewiesen werden kann oder für die konkrete Art des Fahrzeugführens kein Grenzwert anerkannt ist. U.a. BGH VRS 19 29, 30; VRS 22 137, 138; VRS 49 429,430. BGH VRS 8 199, 201; BGHSt. 8 28, 31; BGH VRS 16 448, 452; 49 429. S. auch das von Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 295 a referierte Urteil, in dem der Ursachen-

(213)

335

zusammenhang ohne nähere Begründung angenommen worden, dann aber im Rahmen der Strafzumessung ausgeführt war, der Unfall hätte bei der gegebenen Glatteislage einem nüchternen Fahrzeugführer genauso passieren können. S. etwa B G H VRS 17 21, 23; 19 29, 30; 24 369, 372, 374; s. aber auch BGH VRS 36 174, 175.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

ist bei der Frage mit entscheidend, ob alkoholbedingte („relative") Fahrunsicherheit vorgelegen hat (§316 Rdn. 90 ff) und spielt für den Gefahrenzusammenhang mittelbar eine Rolle, sofern der Richter einen leichteren Fahrfehler (eine leichtere Ausfallerscheinung) im Hinblick auf den hohen BÄK-Wert hat ausreichen lassen, und dieser Fehler den Gefahrerfolg herbeigeführt hat (Rdn. 176). Selbst bei sehr hoher BÄK ist der Ursachenzusammenhang aber schon verneint worden (Rdn. 180). 178

cc) Kasuistik. Ergänzend zur nachfolgenden Kasuistik wird auf die Rechtsprechungsnachweise unter § 316 Rdn. 97 ff verwiesen. Aus den o. g. Gründen betreffen sie teilweise ebenfalls Fälle der Straßenverkehrsgefährdung, ohne daß der Gefahrenzusammenhang jeweils ausdrücklich behandelt wird, wie auch umgekehrt hier Entscheidungen aufgeführt sind, in denen der Gefahrenzusammenhang nur implizit mitbehandelt ist. Es ist versucht worden, „typische" Fälle der Straßenverkehrsgefahrdung zusammenzufassen. Die Thematik von Geschwindigkeitsüberschreitungen, namentlich im Kontext mit Fluchtfahrten, ist des Zusammenhangs wegen unter § 316 Rdn. 105ff, 11 Off erörtert. Hinsichtlich der angegebenen BÄK-Werte ist der Rechtsprechungswandel bezüglich des Grenzwerts absoluter Fahrunsicherheit zu beachten (§316 Rdn. 61 ff).

179

(1) Ursächlichkeit der Fahrunsicherheit für die Gefahr ist ζ. B. angenommen worden bei einem Täter, der in der Mitte der Fahrbahn gefahren und dem es dann innerhalb von zwei Sekunden nicht gelungen war, einem entgegenkommenden Kraftradfahrer auszuweichen (BGH VRS 13 204, 205 [BÄK weit über l,5%o]), bei einem Kraftfahrer, der nach Blendung der Gefahr nicht ausgewichen war, sondern „unter dem Einfluß des Alkohols von den Scheinwerfern förmlich angezogen wurde und direkt auf die Blendquelle zufuhr" (BGH VRS 24 369, 372, 374 [BÄK mindestens 0,5 %o]336), bei einem Täter, der in Verkennung der Situation versucht hatte, einem entgegenkommenden Fahrzeug dadurch auszuweichen, daß er auf der Gegenfahrbahn links an diesem vorbeifuhr, statt auf seiner Fahrbahn zu bleiben und eine dort befindliche, ausreichende „Lücke" zu nutzen (BGH VRS 17 21, 23f [BÄK 1,35 %>]), beim Abkommen auf die Gegenfahrbahn unter widrigen äußeren Bedingungen (BGH VRS 14 282, 284 f [BÄK 0,5 %o in Verbindung mit Ermüdung]), bei unvermitteltem Steuern des Fahrzeugs auf die Gegenfahrbahn trotz günstiger äußerer Fahrbedingungen und nachfolgender falscher (Bremsen statt Ausweichen) Reaktion (BGH VRS 19 29, 30 [BÄK 0,85 %]), bei Nichteinhaltung der rechten Fahrbahn und zu schnellem Fahren auf verkehrsarmer Straße (BGH VRS 22 137, 138 [BÄK 1,11 %o]), bei sofortiger Reaktion nach Bemerken eines Fußgängers im letzten Augenblick (BGH VRS 24 188, 189 [BÄK 1,61 %o]),338 bei angesichts der Sichtverhältnisse zu hoher, aber nicht gravierend überhöhter Geschwindigkeit (BGH VRS 34 360, 361 [BÄK l,34%o]),339 weil eine Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit nicht hinreichend sicher nachgewiesen werden konnte (AG Bochum BA 27 (1990) 234, 235),340 weil nicht festgestellt war, daß der Täter der Blendwirkung gerade wegen der vorhandenen Alkoholbeeinflussung nicht standgehalten oder daß er falsch reagiert hatte (OLG Karlsruhe GA 1971 214, 217; Die Justiz 1979 444, 445; zw.),341 bei abruptem Fahrbahnwechsel und anschließendem Schleudern, wenn der Fahrzeugführer keine Ausweichmöglichkeit hatte (BayObLGSt. 1994 29, 34), bei sofortiger Reaktion, nachdem ein Fußgänger blindlings auf die Straße getreten war (OLG Köln DAR 1978 331, 332 [BÄK 2,14 bis 2,5%>]), bei verkehrsbedingtem Bremsen auf eisglatter Fahrbahn (OLG Zweibrücken BA 21 [1984] 273), wenn der Täter unter Einsatz des Fahrzeugs als Schadenswerkzeug gezielt auf einen anderen zufährt, um diesen zu verletzen (BGH VRS 65 359, 360), es sei denn, die Gefahr ist durch die alkoholbedingte Fahrunsicherheit noch verstärkt worden (BayObLG VRS 64 368, 369 f), bei unzureichendem Ausweichen des Führers eines Lkw, das auf dessen Trotz und Gewissenlosigkeit zurückzuführen sein konnte (BayObLG NJW 1954 730, 731; zw.), wenn der Fahrzeugführer schon in nüchternem Zustand nicht imstande ist, ein Fahrzeug zu bedienen und zu lenken (OLG Hamm VRS 29 58, 59),342 bei Fahrunsicherheit wegen Übermüdung, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, daß der Gefahrerfolg nicht wegen der Übermüdung eingetreten war, sondern aufgrund Schreckens, Furcht oder Verwirrung nach einem „halluzinatorischen" Eingriff des - gleichfalls übermüdeten - Beifahrers in die Steuerung (OLG Karlsruhe VRS 50 280, 283 f). Vgl. auch BSG BA 13 (1976) 235, 238 zum alkoholbedingten Bücken nach einem Bonbon als wesentlicher Unfallursache. (3) Speziell: leichtsinniger Fahrer. Exemplarisch für die Schwierigkeiten ist OLG 181 Hamm JMB1NW 1966 259. Bei einer Tatzeit-BAK von l,2%o war der Täter mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Kurve eingefahren, wobei die Fahrbahn regenglatt und der Zustand der Bereifung schadhaft gewesen war. Der Wagen geriet ins Schleudern und prallte auf einen Baum. Bei dem Unfall wurde die Beifahrerin getötet. Die Vorinstanz hatte § 315c nicht als erfüllt angesehen, weil der Täter als „besonders forscher und schneller Kraftfahrer" bekannt und bereits wiederholt in gefahrliche Nähe von Unfällen geraten sei; mit einem früheren Wagen habe er einen Totalschaden erlitten. Es könne deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß er in nüchternem Zustand in dieselbe Situation gekommen wäre. Das OLG Hamm hat das Urteil unter Hinweis auf die Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit nach Alkoholkonsum im Ergebnis mit 338

339 340 341

Eine Minderung des Wahrnehmungsvermögens lag allerdings nahe. Formelhafte Begründung der Vorinstanz. M. zu Recht kritischer Anm. Benz ebd. S. 235 f. Zu Fällen der „Blendhilflosigkeit" aufgrund Berauschung s. die vorstehende Rdn.

(215)

342

Zu § 2 StVZO a. F.; s. auch OLG Hamm VRS 30 452, 453. Beide unmittelbar zur alkoholbedingten Fahrunsicherheit; zu diesen Entscheidungen näher § 316 Rdn. 180.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Recht beanstandet; die Leistungsminderungen wirkten sich um so stärker bei einem Menschen aus, der schon ohne Alkohol dazu neige, leichtsinnig und unbesonnen zu fahren (OLG Hamm JMB1NW 1966 259, 260). Ergänzend wird auf das unter § 316 Rdn. 99 ff Gesagte verwiesen. 182

d) Schutzzweckprüfung. Ist auf der Linie der Rechtsprechung die „Ursächlichkeit im Rechtssinne" festgestellt, so bedarf es im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. l a keiner gesonderten Prüfung mehr, ob eine durch den Täter verletzte Verkehrsregel der StVO gerade diesen Gefahrerfolg verhindern will.343 Davon abweichend hat allerdings BayObLG NZV 1989 359 den Vorwurf der trunkenheitsbedingten Straßenverkehrsgefahrdung bei einem Fahrzeugführer nicht als berechtigt angesehen, der „infolge seiner Fahruntüchtigkeit" (aaO linke Spalte)344 das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO verletzt hatte und dabei mit einem anderen Fahrzeug zusammengestoßen war. Das andere Fahrzeug sei dem einbiegenden Seitenverkehr zuzurechnen, den das Rechtsfahrgebot (wie auch den kreuzenden Seitenverkehr) nicht zu schützen bestimmt sei. Die Gefahr sei daher unabhängig vom alkoholbedingt fahruntüchtigen Zustand des Angeklagten entstanden. Damit in Widerspruch steht allerdings die Feststellung des BayObLG, wonach der Täter „infolge seiner Alkoholisierung vor der Kreuzung die Spur gewechselt [hatte] und trotz der fehlenden Einsehbarkeit nach links abgebogen" war, wodurch der Unfall verursacht worden war. Das verkehrstypische Risiko der Trunkenheitsgefahr hat sich demnach verwirklicht (zutr. Deutscher NZV 1989 360, 361). Und daß § 315c Abs. 1 Nr. l a den mit dem Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit verbundenen typischen Gefahren (hier etwa: übertriebene Risikobereitschaft) entgegenwirken will, steht außer Frage. Allein auf den Schutzzweck des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a kommt es aber an. Daß dem anderen Fahrer ein Mitverschulden zur Last fällt, ist für den notwendigen Zusammenhang solange belanglos, wie nicht ein völlig atypischer Kausalverlauf gegeben ist (Rdn. 171).

183

2. Fälle des § 315 c Abs. 1 Nr. 2. Der spezifische (Ursachen-)Zusammenhang muß auch in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 gegeben sein. Wenn das Gesetz (nur) an die dort beschriebenen Regelverstöße eine Strafdrohung knüpft, so ist daraus abzuleiten, daß die Gefahr gerade aus der mit ihnen verbundenen besonderen Gefahrenlage herrühren muß (OLG Hamm NJW 1955 723; BayObLGSt. 1976 11, 12). Die zu diesem Problemkreis veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur betrifft vor allem Fälle des falschen Fahrens bei Überholvorgängen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b) und des riskanten Fahrens an Gefahrenstellen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2d). Hierzu wird auf die Ausführungen unter Rdn. 99 f, 113 verwiesen.

184

3. Gefahreintritt nach Beendigung der Fahrt. Nach ständiger Rechtsprechung und h. M. im Schrifttum konkretisiert sich die typische (abstrakte) Gefahr des in § 315c Abs. 1 Nr. 1 und 2345 pönalisierten Verhaltens nur dann, wenn die Gefahr noch während oder jedenfalls in unmittelbarem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang mit dem Fahrvorgang eintritt.346 Demgegenüber scheidet § 315c aus, wenn sich die 343

344

345

Deutscher NZV 1989 360, 361; Jaguschi Hentschel Rdn. 9/10; Hentschel Trunkenheit Rdn. 416; Hentschel NJW 1990 1454, 1461; zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 27. AA BayObLG NZV 1989 359; Herzog NK Rdn. 19; Janiszewski NStZ 1989 566; Peters NZV 1990 260, 262. Dies verkennen Peters NZV 1990 260, 262 und wohl auch Janiszewski NStZ 1989 566. Ausnahme: § 315c Abs. 1 Nr. 2g.

3

« BayObLGSt. 1969 67, 70; OLG Celle NJW 1969 1184, 1185; NJW 1970 1091, 1092; OLG Hamm DAR 1973 247f; KG DAR 1961 145f; OLG Stuttgart NJW 1960 1484; DAR 1974 106, 107. Horn SK Rdn. 20; TröndletFischer Rdn. 15; Jaguschi Hentschel Rdn. 9/10; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 294. Zweifelnd Lackneri Kühl Rdn. 27; Kuckuk KVR Verkehrsgefährdung Konkretgefährdung Erläuterungen 1 (Liefe-

Stand: 1. 7. 2000

(216)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

Gefahr realisiert, nachdem der Fahrvorgang endgültig zum Stillstand gekommen ist. Auf dieser Linie ist Straßenverkehrsgefahrdung verneint worden für einen Motorradfahrer, der bei einem alkoholbedingten Unfall auf die Straße geschleudert wurde und - dort bewußtlos liegenbleibend - die rechte Fahrspur blockierte, weswegen es kurze Zeit später fast zu einem weiteren Unfall gekommen wäre (OLG Stuttgart NJW 1960 1484), beim Umfahren einer Straßenlaterne, die auf dem Fahrdamm liegenblieb, wobei aus der defekten Gasleitung Gas ausströmte (KG DAR 1961 145, 146),347 beim Umfahren von Leucht- und Abweisbaken, von denen mindestens zwei auf die Fahrbahn geschleudert wurden (BayObLGSt. 1969 67), beim Umfahren von Leitpfosten, die auf die Fahrbahn geworfen wurden, woraufhin es 15 Minuten später zu einem Unfall kam (OLG Stuttgart DAR 1974 106, 107), beim Umfahren eines Baumes, der auf die Fahrbahn fiel und diese versperrte (OLG Celle NJW 1969 1184, 1185), beim Liegenbleiben eines Fahrzeugs nach einem Schleudervorgang auf der Autobahn (OLG Hamm DAR 1973 247, 248). Demgegenüber bejaht OLG Celle NJW 1970 1091 unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang für einen alkoholbedingt herbeigeführten Schleudervorgang, bei dem sich die nachfolgenden Kraftfahrer bereits in der Gefahrenzone befunden hatten, als sich das schleudernde Fahrzeug noch bewegte, wohingegen sich die Gefahr erst nach dessen Stillstand realisierte (OLG Celle aaO S. 1092). Cramer kritisiert diese Rechtsprechung. Bei Gefahren, die „unmittelbar" aus einem Fehlverhalten resultierten, könne es nicht darauf ankommen, ob sich das vom Täter geführte Fahrzeug noch bewege oder bereits zum Stillstand gekommen sei (SehlSchröder!Cramer Rdn. 38). Nicht deutlich wird dabei allerdings, wo genau die Unterschiede zur herrschenden Lehre liegen. Denn auch die h. M. stellt auf den unmittelbaren Zusammenhang des Fehlverhaltens mit der Gefahr ab und sieht Konnexität dann als gegeben an, wenn sich die Rechtsgüter anderer noch während des Bewegungsvorgangs im Gefahrenbereich befunden haben. Dies wird besonders deutlich an OLG Celle NJW 1970 1091, 1092, auf das sich Cramer für seine vorgeblich andere Ansicht beruft. 348 In der Sache ist der h.M. trotz der filigranen Unterscheidungen, die das Kriterium der Gefahrenzone im Einzelfall notwendig machen kann, zuzustimmen. Strukturell geht es in den relevanten Fällen um Gefahren, die von nicht bewegten Hindernissen herrühren. Ob insoweit eine Pflicht zur Beseitigung besteht und ob sich an die Nichtbeseitigung strafrechtliche Folgen knüpfen, ist keine Frage des § 315c, sondern eine solche des § 315b Abs. 1 Nr. 2 (s. dort Rdn. 38), die Pflicht zur Sicherung gegen Gefahren ggf. auch eine Frage des § 315c Abs. 1 Nr. 2g.

185

4. Bewußte Inkaufnahme des Risikos. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang wird von einer durchaus breiten Strömung in der Literatur bei bewuBter Inkaufnahme des Risikos durch den Gefährdeten unter dem Aspekt der eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung bzw. der einverständlichen Fremdgefahrdung als unterbrochen angesehen. Davon betroffen sind die sog. Mitfahrer-Fälle. Insoweit wird auf die Ausführungen in Rdn. 161 und § 315b Rdn. 73f verwiesen.

186

VIII. Subjektiver Tatbestand. § 315c stellt - wie es bei den §§ 315ff durchgehend der Fall ist - vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten unter Strafe. Dem unterschied-

187

347

rung 1/94) Bl. 16. AA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 38. Im zugrunde liegenden Fall fehlte es zudem an einer konkreten Gefahr.

(217)

348

Im gleichen Sinn aber auch BayObLGSt. 1969 67 und OLG Hamm DAR 1973 247, 248, die von Cramer für die „Gegenansicht" angeführt werden. Hierzu auch deutlich OLG Celle NJW 1970 1091, 1092.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

liehen Gewicht der einschlägigen Taten trägt das Gesetz durch abgestufte Strafdrohungen Rechnung (Absatz 1: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren; Absatz 3: Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren). Die Schuldform (vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs) muß sich aus dem Tenor des Urteils ergeben und in den Gründen erläutert werden (BGH VRS 65 359, 361). Ist die Anklage wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefahrdung erhoben und zur Hauptverhandlung zugelassen worden, so bedarf es eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO, wenn der Tatrichter wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefahrdung verurteilen will (OLG Koblenz VRS 63 50). 188

1. Vorsatzbezug. Bei Absatz 1 ist Vorsatz hinsichtlich sämtlicher Tatbestandsmerkmale erforderlich. Der Vorsatz muß demgemäß neben dem Fahrzeugführen im Zustand der Fahrunsicherheit (Nummer 1) bzw. dem Regelverstoß nach Nummer 2 einschließlich der Umstände, die die grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit ausmachen, auch die konkrete Gefahr für Menschen oder fremde Sachwerte umfassen. Bedingter Vorsatz reicht aus (BGH VRS 30 340, 341; 50 342, 344).349

189

a) Vorsatz hinsichtlich der Tathandlungen. Der Vorsatz muß sich zunächst auf die Tathandlungen beziehen. aa) § 315c Abs. 1 Nr. 1. Das Merkmal des Führens eines Fahrzeugs setzt bereits begrifflich willentliches Handeln voraus (Rdn. 34). Fehlt es daran, so scheidet nicht nur Absatz 1, sondern § 315 c insgesamt aus (s. auch § 316 Rdn. 183). Zum Vorsatz betreffend die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit wird auf das in § 316 Rdn. 184 ff Gesagte verwiesen. Eher noch seltener als hinsichtlich der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit wird man bei der Fahrunsicherheit aufgrund körperlicher oder geistiger Mängel (§ 315c Abs. 1 Nr. 1 b) zur Annahme vorsätzlichen Verhaltens gelangen. Vorsatz erfordert zunächst, daß der Betreffende mit dem Vorhandensein des jeweiligen Mangels zumindest rechnet. Außerdem muß er die Fahrunsicherheit als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt und billigend in Kauf genommen oder sich um des erstrebten Ziels (des Fahrzeugführens) willen wenigstens mit ihr abgefunden haben, mag sie ihm auch an sich unerwünscht gewesen sein. Oftmals beeinträchtigt aber gerade der Defektzustand die Fähigkeit des Täters zur Selbstprüfung (Rdn. 65 ff). Ein Erfahrungssatz in Richtung auf bedingten Vorsatz existiert nicht; zu berücksichtigen sind die Persönlichkeit des Täters, seine Intelligenz und Fähigkeit zur Selbstkritik, wobei die Wahrnehmungsfähigkeit durch den Mangel beeinflußt sein kann (vgl. BayObLG bei Bär DAR 1991 367). Zur Fahrunsicherheit nach Einnahme leistungsbeeinträchtigender Medikamente gilt das in Rdn. 67 Gesagte.

190

bb) § 315c Abs. 1 Nr. 2. Demgegenüber wird in den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 eher Vorsatz hinsichtlich des Regelverstoßes angenommen werden können. Nicht selten stehen hier Fälle des „Verkehrsrowdytums" in Frage, bei denen nach dem äußeren Tatgeschehen an sich zwanglos auf vorsätzliches Verhalten geschlossen werden kann. Allerdings muß der Täter zugleich mit dem Regelverstoß auch die tatsächlichen Umstände in seinen Vorsatz aufgenommen haben, die sein Verhalten zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen gemacht haben. Sofern die Rücksichtslosigkeit aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet wird, muß sich der Vorsatz auch auf die hohe Gefährlichkeit der Tat beziehen (Rdn. 149). Wird die Rücksichtslosigkeit damit 349

RGSt. 71 43; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 41; Tröndle!Fischer Rdn. 18.

Stand: 1. 7. 2000

(218)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

begründet, daß der Täter aus Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen anderer Verkehrsteilnehmer Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen läßt, so spricht dies in erheblichem Umfang für Fahrlässigkeit (BayObLG VRS 64 123, 124; vgl. auch OLG Koblenz VRS 71 278f). Die Praxis verfährt mit der Annahme vorsätzlichen Handelns wohl eher restriktiv.350 b) Gefährdungsvorsatz. Erforderlich ist ferner Gefahrdungsvorsatz. Gefahrdungs- 191 vorsatz ist zunächst unproblematisch gegeben, wenn der Täter die (erhebliche) Verletzung des fremden Rechtsguts in seinen Vorsatz aufgenommen hat (Horn SK vor § 306 Rdn. 13; Arzt/Weber BT/LH 2 Rdn. 98). Nach zutreffender h. M. muß sich der Vorsatz aber nicht zugleich auf die Verletzung beziehen, fallen Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz also nicht notwendig zusammen (§315 Rdn. 100). Denn der Täter kann zwar die Gefahr sicher voraussehen und in Kauf nehmen, die Verletzung aber beispielsweise verhindern wollen. Es fehlt dann hinsichtlich der Verletzung am voluntativen Vorsatzelement (Arzt/ Weber BT/LH 2 Rdn. 99). aa) Vorsatz bezüglich konkreter Gefahr. Für den Gefahrdungsvorsatz reicht es 1 9 2 nicht aus, wenn dem Täter bewußt ist, daß er eine abstrakte Gefahr für den Straßenverkehr verursacht (vgl. BGH VRS 92 205, 206), ζ. B. weil ihm bei Fahrtantritt seine Fahrunsicherheit bewußt ist (BGH NStZ-RR 1998 150). Er muß vielmehr die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg (Beinahe-Unfall) als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und diese Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nehmen (vgl. BGHSt. 22 67, 73ff; BGH VRS 92 205, 206). Dies ist in aller Regel anzunehmen, wenn er durch seine riskante Fahrweise bereits einen oder mehrere (Beinahe-)Unfalle herbeigeführt hat (BGH VRS 92 205, 206). Bei der Sachgefährdung müssen auch die Faktoren vom Vorsatz umfaßt sein, die die bedeutende Gefahr für einen bedeutenden fremden Sachwert ergeben (vgl. OLG Hamm 44 100, 101). bb) Vorsatz bei Selbstgefährdung. Daß sich der Täter durch die Tat selbst gefährdet, 1 9 3 steht der Annahme des Fremdgefährdungsvorsatzes nicht entgegen.351 Allerdings verlangt die Rechtsprechung verschiedentlich, daß dann der Fremdgefährdungsvorsatz näher begründet wird.352 Beispielsweise im Rahmen einer Polizeiflucht ist Fremdgefahrdungsvorsatz unproblematisch gegeben, wenn der Täter unter allen Umständen entkommen will und gegenüber diesem, sein ganzes Verhalten beherrschenden Ziel eigene Belange hintanstellt (BGH VRS 92 205, 206). Sieht das Gericht beim Einsatz des Fahrzeugs als Schadenswerkzeug durch eine fahrunsichere Person neben § 315b auch § 315c Abs. 1 Nr. 1 a als verwirklicht an, so muß im Urteil dargelegt werden, daß sich der Täter auch des Ursachenzusammenhangs zwischen der alkoholbedingten Fahrunsicherheit und der hierdurch bedingten (zusätzlichen) Gefahr bewußt gewesen ist (vgl. BayObLG VRS 64 368). 2. Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination (Absatz 3 Nr. 1). Absatz 3 Nr. 1 erfaßt den 1 9 4 Fall, daß der Täter hinsichtlich der Tathandlung(en) vorsätzlich handelt, die konkrete 350

351

Vorsatz auch hinsichtlich der Rücksichtslosigkeit wurde etwa angenommen durch O L G Braunschweig VRS 32 372; O L G Hamm VRS 38 285; OLG Koblenz VRS 85 337; O L G Oldenburg VRS 42 34. Es handelt sich jeweils um krasses Fehlverhalten. BGH DAR 1955 282; BGH VRS 92 205, 206; NStZ-RR 1998 150; BayObLG N J W 1955 1448, 1449 m. Anm. Duhr, O L G Braunschweig N J W

(219)

352

1954 486, 487; O L G Hamm NJW 1954 1418f; KG VRS 12 352, 354f. Haubrich N J W 1989 1197, 1200. BayObLG NJW 1955 1448, 1449 m. Anm. Dahs; O L G Braunschweig N J W 1954 486. 487; O L G Hamm NJW 1954 1418f; OLG Köln NZV 1992 80, 82 [zu § 315b]. Kritisch hierzu Kuckuk KVR Verkehrsgefahrdung Konkretgefährdung Erläuterungen 1 (Lieferung 1/94) Bl. 18.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Gefahr aber nur fahrlässig verursacht. Die Tat ist, wie auch aus § 11 Abs. 2 hervorgeht, Vorsatzdelikt.353 Deswegen ist auch wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu verurteilen (BGH VRS 57 271 f; NStZ-RR 1998 150; aA Horn SK Rdn. 360Materiell hat die Einstufung als Vorsatzdelikt vor allem Bedeutung für die Teilnahme, die auch bei nur fahrlässig herbeigeführtem Gefahrerfolg möglich bleibt (Rdn. 206). Die theoretisch denkbare Versuchsstrafbarkeit (Absatz 2) ist - ungeachtet ihrer ohnehin zu vernachlässigenden Bedeutung - im Rahmen des Absatzes 3 Nr. 1 ausgeschlossen (Rdn. 197). Ergänzend wird auf § 315 Rdn. 109 verwiesen. Kritik wird gelegentlich daran geübt, daß für die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination derselbe Strafrahmen angeordnet ist wie für durchgehend fahrlässiges Verhalten nach Absatz 3 Nr. 2; dies werde dem abstrakt höheren Unrechtsgehalt der Vorsatztat nach Absatz 3 Nr. 1 nicht gerecht (u.a. SehlSchröder! Cramer Rdn. 42). Allerdings wird Vorsatz in Bezug auf die Tathandlung in aller Regel zu einer höheren Strafe führen als eine insgesamt fahrlässige Tat. Darüber hinaus ist generell vor allzu ausziselierter Strafrahmenarithmetik zu warnen. Ergänzend wird auf die Ausführungen zu § 315a verwiesen (dort Rdn. 35), wo sich die Problematik in gleicher Weise stellt. 195

3. Fahrlässigkeitstat (Absatz 3 Nr. 2). Absatz 3 Nr. 2 kommt in der Praxis wohl eine weitaus größere Bedeutung zu als den Vorsatztaten nach Absatz 1 und 3 Nr. 1. Die Vorschrift beschreibt durchgehend fahrlässiges Verhalten. Sie greift ein, wenn es nur hinsichtlich eines Elements der (grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen) Tathandlung am Vorsatz fehlt und auch in Bezug auf den Gefahrerfolg nur Fahrlässigkeit vorliegt (vgl. BGH VRS 30 340, 341; 50 342, 344). Anwendung finden dürfte sie aber auch dann, wenn - was freilich kaum je vorkommen wird, aber namentlich bei den Regelverstößen nach Absatz 1 Nr. 2 auch nicht ausgeschlossen ist - Fahrlässigkeit hinsichtlich der (grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen) Tathandlung gegeben ist, aber (bedingter) Vorsatz in Bezug auf die Gefahr.354 Umfaßt werden sowohl bewußte als auch unbewußte Fahrlässigkeit. Zum Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit s. § 316 Rdn. 210ff, zum Maßstab bei (anderen) geistigen/körperlichen Defekten oben Rdn. 64 ff. Hervorzuheben ist, daß der Täter - wie sonst auch - mit Ereignissen nicht zu rechnen braucht, die gänzlich außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegen. So ist zwar generell voraussehbar, daß Fahrunsicherheit zu schweren, ggf. sogar tödlichen Unfällen führt. Außerhalb der Voraussehbarkeit liegt es aber in der Regel, daß der übermüdete Beifahrer aufgrund eines „halluzinatorischen" Affekts dem ebenfalls übermüdeten (oder alkoholisierten) Fahrzeugführer unvermittelt ins Lenkrad greift (OLG Karlsruhe VRS 50 280, 284). Die Rücksichtslosigkeit kann sowohl auf bewußter als auch auf unbewußter Fahrlässigkeit beruhen (hierzu Rdn. 140). Geht das Gericht von Fahrlässigkeit aus, so muß das Urteil darlegen, ob der Täter bewußt oder unbewußt fahrlässig gehandelt hat.355

353

354

Mißverständlich Sch/Schröder/Cramer Rdn. 42 eingangs. Zum ähnlichen Problem im Rahmen des § 315 Abs. 4 s. dort Rdn. 104.

355

OLG Braunschweig VRS 30 286, 288; OLG Celle NJW 1957 1568; OLG Oldenburg VRS 18 444,445. Haubrich NJW 1989 1197, 1199.

Stand: 1.7. 2000

(220)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

IX. Vollendung, Beendigung, Versuch, Tätige Reue 1. Vollendung, Beendigung. Die Tat ist mit Eintritt der konkreten Gefahr vollendet. Ein Schaden braucht nicht eingetreten zu sein. An der Strafbarkeit wegen vollendeter Tat ändert es deswegen nichts, wenn nach Eintritt des Gefahrerfolgs die Verletzung durch den Gefährdeten, durch Dritte oder durch Naturgewalten noch verhindert wird. Beendigung tritt ein mit der Beseitigung der Gefahr (TröndlelFischer Rdn. 23; Wessels!Hettinger BT/I Rdn. 985) oder mit deren Realisierung in einem Verletzungserfolg. Bei § 315c handelt es sich nicht um eine Dauerstraftat (s. Rdn. 207ff).

196

2. Versuch. In Absatz 2 wird die Versuchsstrafbarkeit nur für die Fälle des Fahr- 1 9 7 zeugführens im Zustand der Fahrunsicherheit angeordnet. Gänzlich vermögen die für die partielle Anordnung der Versuchsstrafbarkeit in den Materialien angegebenen Gründe nicht zu überzeugen (§ 315a Rdn. 36). Gleichfalls nicht ganz plausibel erscheint, daß der Versuch des konkreten Gefahrdungsdelikts mit Strafe bedroht wird, während dies bei § 316 nicht der Fall ist (näher § 316 Rdn. 228). § 315c Abs. 2 kann als „totes Recht" bezeichnet werden. Dem Täter müßte nämlich über den (kaum je nachweisbaren, Rdn. 189; § 316 Rdn. 184ff) Vorsatz bezüglich der Fahrunsicherheit hinaus der zumindest bedingte Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung nachgewiesen werden (vgl. auch OLG Düsseldorf NJW 1956 1043, 1044; OLG Hamm NJW 1954 1780; VRS 22 384f). Das ist kaum vorstellbar. Theoretisch sind dem Versuchsbeginn einige der Verhaltensweisen zuzuordnen, die nach früherer Rechtsprechung als vollendetes Führen angesehen worden sind (Rdn. 12). Für den Rücktritt vom Versuch gelten die allgemeinen Regeln. Im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2f ist der Versuch der Vollendung gleichgestellt, weswegen Rücktritt nicht möglich ist (Rdn. 115,118). Der Versuch einer Tat nach Absatz 3 Nr. 1 ist trotz deren Charakters als Vorsatztat (Rdn. 194) nicht strafbar. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung des Absatzes 2 unmittelbar hinter Absatz 1, womit Absatz 3 nicht mitumfaßt wird. Ergänzend wird auf die Ausführungen in § 315 Rdn. 109 verwiesen. 3. Tätige Reue. Tätige Reue wird bei Straftaten nach § 315c nicht eigenständig honoriert (vgl. § 320). Entsprechende Bemühungen des Täters, für die es allerdings aufgrund der Struktur der Vorschrift nur einen schmalen Bereich gibt, können und müssen im Rahmen der Strafzumessung und im Rahmen von Opportunitätsentscheidungen (insbesondere §§ 153, 153a StPO) gewürdigt werden. Auf das zur entsprechenden Problematik für § 315a Gesagte (dort Rdn. 37) wird verwiesen.

198

X. Rechtswidrigkeit. Die Tat wird nicht durch Einwilligung namentlich des Mitfahrers gerechtfertigt, weil der Gefährdete nicht Inhaber des Rechtsguts der Sicherheit des Straßenverkehrs ist (Rdn. 161, 169, § 315b Rdn. 73f).

199

Notstand (§ 34). wird zumeist schon deswegen nicht eingreifen, weil anderweitige Hilfe zur Verfügung steht und durch das riskante Fahren in aller Regel nur geringe Zeitvorteile gewonnen werden können (s. oben Rdn. 148; § 316 Rdn. 229). Im Hinblick darauf fehlt es an der Erforderlichkeit (Hirsch LK § 34 Rdn. 51, 52 m.w.N.). Selbst wenn diese aber gegeben sein sollte, kann die konkrete Gefahrdung des Lebens von Verkehrsteilnehmern nicht gerechtfertigt werden, weil der konkreten Gefahrdung eines anderen entgegengewirkt werden soll.356 356

S. etwa Hirsch LK. § 34 Rdn. 60; Sch/Schröderl Lenckner § 34 Rdn. 28; Tröndlel Fischer § 34 Rdn. 22; Koch DAR 1970 322, 323. Difference-

(221)

rend Stratenwerth AT Rdn. 456. Kategorischer Ausschluß des Notstands bei Krumme StVR Rdn. 138f.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Die befugte Inanspruchnahme von Sonderrechten (§ 35 StVO) kann Regelverstöße rechtfertigen, sie berechtigt jedoch nicht zu rücksichtslosem Verhalten (Rdn. 148). Entsprechendes gilt für die Inanspruchnahme sonstiger amtlicher Befugnisse. 200

XI. Schuldfähigkeit. Die Frage der Schuldfähigkeit kann vor allem beim Fahrzeugführen im Zustand der Fahrunsicherheit (Absatz 1 Nr. 1) relevant werden. Insoweit wird auf das unter Rdn. 68 Gesagte verwiesen.

XII. Täterschaft, Teilnahme 201

1. Täterschaft. Bei § 315c Abs. 1 Nr. 1, 2a bis f (sowie den § 315a Abs. 1 Nr. 1, 2, 1. Alt., § 316) handelt es sich um eigenhändige Delikte. Dies entspricht seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 27. Juli 1962 (BGHSt. 18 6, 8f) 357 der ständigen Rechtsprechung und für Fahrten im Zustand der Fahrunsicherheit (§ 315a Abs. 1 Nr. 1, § 315c Abs. 1 Nr. 1, § 316) auch der ganz herrschenden Lehre,358 gilt jedoch entgegen nicht nur vereinzelten Stimmen in der Literatur 359 auch für gefahrliche Fahrten im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2360 (BGH bei Tolksdorf DAR 1996 175). Täter kann danach nur sein, wer das Fahrzeug selbst steuert oder zumindest technische Teilfunktionen, die für die Fortbewegung des Fahrzeugs essentiell sind, mit eigener Hand wahrnimmt (Rdn. 10, 23, 38ff). Demgegenüber sind uneigenhändige Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft ausgeschlossen.361 Gleichfalls nicht möglich ist vorsätzliche oder fahrlässige Nebentäterschaft (BGHSt. 18 6, 9).362 Der Extraneus kann sich daher nur wegen Anstiftung oder Beihilfe sowie nach allgemeinen Tatbeständen strafbar machen (Rdn. 206).

202

a) Höchstpersönliche Pflichtdelikte. Daß als Täter entsprechend der h. M. nur der Fahrer (Lenker) selbst in Betracht kommt, ergibt sich aus Struktur und Ausrichtung der einschlägigen Tatbestände. Bereits Wortlaut und Wortsinn des „Führens" indizieren die Eigenhändigkeit (vgl. Engisch Eb. Schmidt-Festschrift S. 90, 109); entsprechendes gilt für die in § 315c Abs. Nr. 2a bis f verwendeten Termini des „Fahrens", „Überholens", „Wendens" etc. In der Sache greift der Gesetzgeber aus der Vielzahl von Verkehrsteilnehmern den Fahrzeugführer heraus und pönalisiert die Verletzung von Pflichten, die in dieser Weise nur ihn treffen. 363 Diese besondere Pflichtenstellung und das Fahrzeugführen (Fahren) bedingen sich gegenseitig: Die erhöhten Pflichten sind dem Fahrer gerade wegen der abstrakten Risiken des Fahrens auferlegt. Von Extranei (mitfahrender Ehegatte/Halter, Fußgänger) gehen typisierend betrachtet keine vergleichbaren Gefahren aus (vgl. BGHSt. 18 6, 9). Die an das Fahrzeugführen an357 358

Zu § 315a Abs. 1 Nr 2 a. F. BGH NJW 1996 208; vgl. auch BGHSt. 42 235, 240. Horn SK Rdn. 24; LacknerlKühl Rdn. 4; Samson SK § 25 Rdn. 71; SehlSchröder! Cramer Rdn. 45; TröndlelFischer Rdn. 2; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 3; MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 44; Engisch Eb. SchmidtFestschrift S. 90, 109; Jescheck/Weigend AT S. 267; wohl auch Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 7 S. 710; Herzberg ZStW 82 (1970) 896, 926 f; Rehberg Schultz-Festschrift S. 72 ff; Rudolphi GA 1970 353, 357 ff; Stratenwerth SchwZStr. 115 (1997) 86, 92 f; Wohlers SchwZStr. 116(1998) 95, 108 ff.

359

360 361

362

363

LacknerlKühl Rdn. 4; MaurachlSchroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 44; Wohlers SchwZStr. 116 (1998) 95, 110; wohl auch Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 7 (1999) S. 710. Mit Ausnahme des Buchst, g (Rdn. 205). Horn SK Rdn. 24; Roxin LK § 25 Rdn. 40; SchlSchröderICramer Rdn. 45. S. dazu, daß die Figur der Nebentäterschaft keine selbständige Bedeutung hat, Roxin LK § 25 Rdn. 222. Nach Wohlers SchwZStr. 116 (1998) 95, 107 Fn. 58 ist das arbeitsteilige Fahrzeugführen der Nebentäterschaft zuzuordnen. Rehberg Schultz-Festschrift S. 72, 82; Rudolphi GA 1970 353, 357.

Stand: 1. 7. 2000

(222)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§

315c

knüpfenden Tatbestände sind demnach den „höchstpersönlichen Pflichtdelikten" (Begriff nach Roxin Täterschaft und Tatherrschaft 7 [1999] S. 710) zuzurechnen. b) Schlichte Tätigkeitsdelikte? Die am weitesten gehende Gegenansicht die sich 2 0 3 teils gegen die Deliktskategorie der eigenhändigen Delikte insgesamt wendet, 364 will die Möglichkeit von mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft generell anerkennen.365 Im Ergebnis verselbständigt sie u. a. mit Blick auf kriminalpolitische Bedürfnisse die abstrakte Gefährlichkeit der Fahrt von den Tathandlungen (vgl. Rehberg SchultzFestschrift S. 72, 79). Dies zieht vor allem im Bereich der Mittäterschaft gravierende Verwerfungen nach sich. Konsequent zu Ende gedacht müßte man auf dieser Linie wohl etwa für den Fall zur Annahme der Mittäterschaft gelangen, daß sich der betrunkene Fahrlehrer eigener Steuerungstätigkeit enthält, aber den nüchternen Fahrschüler hinsichtlich der technischen und sonstigen Verrichtungen in der Weise instruiert, daß dieser mehr oder minder als sein „verlängerter Arm" anzusehen ist.366 Zur Begründung könnte man anführen, daß die Fahrt nach ihrem Gesamtbild eine Trunkenheitsfahrt ist, weil die fahrtechnischen Defizite des Lenkers des Ausgleichs bedürfen, der Ausgleich aber nur alkoholbedingt leistungsvermindert erbracht wird. Man müßte also nur dem Fahrlehrer das tätige Führen und dem Lenker die Fahrunsicherheit des Fahrlehrers zurechnen. Freilich ist dies gänzlich unvertretbar, weil der Lenker unter dem Aspekt der „Trunkenheitsdelikte" rechtmäßig handelt. Ferner steht einer solchen Interpretation die Wortlautschranke entgegen (nachstehende Rdn.). Nicht ersichtlich ist schließlich, wie in solchen Fällen die Fahrunsicherheit des „Mittäters" festgestellt werden sollte. Ob die absoluten Grenzwerte gelten, wenn die Leistungsbeeinträchtigungen erst durch das „Medium" eines vollständig „intakten" Lenkers auf den Verkehr einwirken, ist durchaus zweifelhaft. Ansonsten bedürfte es aussagekräftiger Beweisanzeichen im Leistungsverhalten, die die FaArunsicherheit des Hintermanns indizieren. Sowohl für „Trunkenheitsfahrten" als auch für sonstige Fahrten würden im übrigen kaum lösbare Probleme auftreten, ab welchem Einwirkungsgrad von funktionaler Tatherrschaft auszugehen sein könnte. c) Eigenhändigkeit nur des § 315c Abs. 1 Nr. 1? Eine engere Auffassung hält zwar 2 0 4 uneigenhändiges Führen für möglich, schließt aber mittelbare Täterschaft (und wohl auch uneigenhändige Mittäterschaft) bei den Trunkenheitsdelikten aus. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der die Eigenschaft als Führer eines Fahrzeugs mit dem Zustand der Fahrunsicherheit verkoppele („Wer ... ein Fahrzeug führt, obwohl er ... nicht in der Lage ist, ..."). Das Schulbeispiel des dolosen Mitzechers, der den anderen heimlich betrunken macht, um ihn danach zu einer Trunkenheitsfahrt zu veranlassen, ist nach dieser Lehre (entsprechend der h. M.) de lege lata nicht in der Weise lösbar, daß der Hintermann als mittelbarer Täter bestraft wird (Wohlers SchwZStr. 116 [1998] 95, 110). Wer aber mittelbares Führen grundsätzlich für möglich hält, müßte zur Strafbarkeit des Hintermanns zumindest für den Fall gelangen, daß dieser gleichfalls fahrunsicher ist. Denn der mittelbare Täter ist dann „Führer" des Fahrzeugs. Es wäre allerdings seltsam, die Strafbarkeit des Hintermanns davon abhängig machen zu wollen, ob dieser sich im Zustand der Fahrunsicherheit befindet. 364

»5

Insbesondere Schubarth SchwZStr. 114 (1996) 325; ZStW 110 (1998) 825. Z.B. Spendel LK § 323a Rdn. 278; Misere Grundprobleme (1997) S. 85 ff; Schubarth SchwZStr. 114 (1996) 325 (331 ff); ZStW 110 (1998) 825, 841 ff. Zum (fehlenden) Sonder-

(223)

366

deliktscharakter der einschlägigen Tatbestände Deichmann Grenzfälle der Sonderstraftat (1994) S. 194ff. Zu Fällen des „Führens durch Worte" Rdn. 23, 41 f sowie § 315a Rdn. 9.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Denn für das Rechtsgut sind naturgemäß in erster Linie die Leistungsbeeinträchtigungen des Fahrzeuglenkers maßgebend. Wer zur Vermeidung dieser Konsequenz nunmehr auf die (mit dem Begriff der „Führereigenschaft" deckungsgleiche) „Fahrereigenschaft" rekurriert (so Wohlers aaO), der konzediert im Grunde die Eigenhändigkeit des „Führens". Dies kann aber dann im Rahmen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 nicht anders sein. 205

d) § 315c Abs. 1 Nr. 2g. In den Fällen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 g kann (unumstritten) Täter auch sein, wer die Sicherungspflichten vom Fahrzeugführer übernommen hat (Rdn. 129).

206

2. Teilnahme. Personen, die das Fahrzeug nicht führen, können sich auf der Grundlage der h. M. nur als Teilnehmer oder nach anderen Vorschriften (insbesondere Verletzungsdelikten) strafbar machen. Für die Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln. Teilnahme ist danach nur bei den Vorsatztaten nach Absatz 1 und 3 Nr. 1 (insoweit § 11 Abs. 2) möglich. Sie ist insoweit gegeben, wenn der Betreffende den Tatentschluß in Bezug auf den vom Täter vorsätzlich verwirklichten „Vorsatzteil" (Tathandlung) vorsätzlich hervorruft bzw. zum „Vorsatzteil" vorsätzlich Hilfe leistet. Darüber hinaus ist mit der ganz h. M. zu fordern, daß ihm hinsichtlich des Eintritts der konkreten Gefahr zumindest Fahrlässigkeit zur Last fallt (näher § 315 Rdn. 132). Die Merkmale des Fahrzeugführens (Roxin LK § 28 Rdn. 67; aA Horn SK Rdn. 24) und der groben Verkehrswidrigkeit sind nicht als besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28 Abs. 1, sondern als tatbezogene anzusehen, weswegen für den Teilnehmer, der sie nicht aufweist, eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 nicht zu gewähren ist. Die „Rücksichtslosigkeit" ist nach der hier vertretenen Auffassung kein Schuldmerkmal (Rdn. 138), so daß eine Anwendung des § 29 ausscheidet (aA Roxin LK § 28 Rdn. 12ff). Sie dürfte aber als täterbezogenes Merkmal zu begreifen sein und damit den Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 eröffnen (Horn SK Rdn. 24; Tröndlel Fischer § 28 Rdn. 6). Ein strafmodifizierendes Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 ist sie nicht. Deshalb kommt eine Anwendung der § 28 Abs. 2 StGB, § 14 Abs. 4 OWiG in Fällen nicht in Betracht, in denen mehrere an einer grob verkehrswidrig begangenen Tat nach Absatz 1 Nr. 2 beteiligt sind, aber nur einer von ihnen rücksichtslos handelt, mit der Folge, daß nur der rücksichtslos Handelnde eine Straftat begehen würde, während die anderen lediglich Täter (§ 14 OWiG) einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG wären (so Lackner/Kühl § 28 Rdn. 12). Denn das Merkmal der Rücksichtslosigkeit bedingt „für sich alleine noch nicht den Schritt von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat" (Rengier KK OWiG § 14 Rdn. 50). Hinzu kommt, daß § 315 Abs. 1 Nr. 2 die Regelverstöße teils abweichend von den Ordnungswidrigkeiten nach dem StVG beschreibt (z.B. 107, 123ff) und teils auch die Begrifflichkeiten im Strafrecht eigenständig interpretiert werden (z.B. Rdn. 71, 77). Selbst bei weiter Interpretation kann deshalb nicht mehr von Mischtatbeständen (hierzu Göhler OWiG vor § 1 Rdn. 33 ff) gesprochen werden, auf die § 14 Abs. 4 OWiG abzielt. XIII. Konkurrenzen

207

208

1· Innertatbestandliche Konkurrenzfragen. § 315c Abs. 1 Nr. l a ist gegenüber § 315c Abs. 1 Nr. 1 b speziell und verdrängt diesen demgemäß (Rdn. 46,48). Im übrigen ist zu unterscheiden: a

) Eine Handlung, eine Gefahrenlage. Treffen mehrere Begehungsformen des § 315c in einer Handlung zusammen und hat der Täter nur eine Person oder eine fremde Stand: 1. 7. 2000

(224)

Gefahrdung des Straßenverkehrs

§

315c

Sache von bedeutendem Wert gefährdet, so liegt nach ganz h. M. nicht Idealkonkurrenz, sondern eine Tat des § 315c vor.367 Dies gilt etwa für den Fall, daß der alkoholbedingt fahrunsichere Täter an einer unübersichtlichen Stellen zu schnell fahrt und einen Fußgänger gefährdet, wobei sich sowohl die Fahrunsicherheit als auch die in der Gefahrenstelle liegende Gefahr auswirkt. Hat er dabei hinsichtlich des Fahrens im Zustand der Fahrunsicherheit fahrlässig, hinsichtlich des Regelverstoßes nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 aber vorsätzlich gehandelt, so ist nur wegen vorsätzlicher Tat zu verurteilen (BayObLG VRS 73 379, 380). Ein Delikt des § 315 c und nicht gleichartige Idealkonkurrenz ist aber auch dann gegeben, wenn durch eine Handlung mehrere Personen oder Sachen gefährdet werden. Das ist seit BGH NJW 1989 1227368 gesicherter Stand der Rechtsprechung und überwiegende Meinung im Schrifttum. 369 Das Ergebnis wird zutreffend aus dem durch § 315c geschützten Rechtsgut abgeleitet (hierzu § 315 Rdn. 3ff). Die Gefährlichkeit des Täterverhaltens für das Allgemeininteresse an der Sicherheit des Straßenverkehrs hat sich in der Gefahrdung/Verletzung mehrerer Personen/Sachen lediglich in besonders starkem Maße konkretisiert. Die Problematik liegt wie bei § 315b, für den der BGH kurz nach dem Grundsatzurteil in NJW 1989 1227 entsprechend entschieden hat (BGH NJW 1989 2550). Wegen der Einzelheiten wird auf das dort Gesagte (§ 315b Rdn. 96 f) verwiesen. b) Eine Fahrt, mehrere Gefahrenlagen aa) Dauerdeliktsähnliche Trunkenheitsfahrt? Lediglich eine Tat - womöglich aber nur bei Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 a (s. Rdn. 210) - soll nach BGH NJW 1989 1227 auch dann vorliegen, wenn es auf einer Fahrt zu mehreren Gefahrdungslagen für verschiedene Personen oder fremde Sachen gekommen ist (aaO S. 1228).370 Auch insoweit ist nach Auffassung des BGH nur eine quantitative Intensivierung der Verletzung/Gefahrdung des Rechtsguts der Sicherheit des Straßenverkehrs gegeben. Selbst wenn man dem Gedanken im Grundsatz folgt (vorstehende Rdn.), ist die Interpretation des BGH konkurrenzrechtlich problematisch. Denn dem Deliktscharakter nach ist § 315c ein Erfolgsdelikt, dessen Struktur sich in die Kategorie der Dauerstraftat nicht einordnen läßt. Dies ist in BGHSt. 23 141 (S. 147 0 Abweichung von der früheren Rechtsprechung (BGH VRS 9 350, 353; BGHSt. 22 67, 71 f) 371 mit überBayObLG VRS 63 275; N J W 1984 68; VRS 73 379, 380; O L G Hamm 41 40 f; Horn SK Rdn. 26; Lackner/Kühl Rdn. 35; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 50; Tröndle/Fischer Rdn. 23; Hentschel Trunkenheit Rdn. 441; Mühlhaus/Janiszewski Rdn. 10; Geerds BA 3 (1965) 124, 128; Geppert Jura 1996 47, 51. Im Anschluß an BayObLG N J W 1984 68; zuvor schon ebenso BayObLG VRS 63 275. Tröndle!Fischer Rdn. 23; Hentschel Trunkenheit Rdn. 441; MühlhausUaniszewski Rdn. 10; Geerds BA 3 (1965) 124, 128; Geppert NStZ 1989 320; ders. Jura 1996 47, 51; insoweit auch Werte JR 1990 74, 76. Engelhardt DRiZ 1982 106, 107 (zu § 315b). Zweifelnd Lackner/Kühl Rdn. 4, 35. Differenzierend Sehl Schröder! Cramer Rdn. 54; gleichartige Idealkonkurrenz, sofern mehrere Personen, eine Tat, sofem mehrere Sachen gefährdet worden sind; ebenso wohl Rissing-van Saan LK vor §§ 52ff Rdn. 34. AA

(225)

Horn § 315c Rdn. 26; Horn/Hoyer JZ 1987 965 (stets gleichartige Idealkonkurrenz). In der Kommentarliteratur zust. Tröndle!Fischer Rdn. 23; Jaguschi Hentschel Rdn. 60; MühlhausUaniszewski Rdn. 10; im Ergebnis ebenso, allerdings unter Annahme eines Dauerdelikts und inkonsequent, was die Annahme einer Tat bei der Gefährdung mehrerer Personen anbelangt (vorstehende Fn.), Sehl Schröder! Cramer Rdn. 53; hierzu zutr. Geppert NStZ 1989 320, 321 f. Unklar Hentschel Trunkenheit Rdn. 441, 443. AA mit Recht Lackner/Kühl Rdn. 4, 35. S. aus der älteren Rechtsprechung ferner BGH VRS 8 49, 50; BayObLGSt. 1957 108, 109; 1973 96; O L G Braunschweig VRS 6 432, 433; OLG Celle VRS 7 102; OLG Hamm VRS 7 360; KG VRS 10 52, 54. Für Dauerdelikt aber O L G Düsseldorf NZV 1999 388. Demgegenüber können BGH N J W 1983 1744 und BayObLG NJW 1984 68 nicht für die Annahme eines Dauer-

Peter König

209

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zeugender Begründung zum Ausdruck gebracht worden. Der BGH will daran, wie aus BGH NJW 1995 1766 hervorgeht (aaO S. 1767), auch weiterhin festhalten. Wenn aber die Tat mit dem Eintritt des Gefahrerfolgs vollendet und normalerweise auch beendet ist (Rdn. 196), so müßten sich Gründe für die Annahme einer Handlung finden lassen. Sie können in der natürlichen Handlungseinheit liegen (BGHSt. 23 141, 148). Eine solche ist aber gerade nicht bejaht worden. In den relevanten Fällen werden die Voraussetzungen der natürlichen Handlungseinheit auch nur selten gegeben sein.372 Eine Ausnahme bilden auf der Grundlage der Rechtsprechung die Fälle der (Polizei-)Flucht.373 Ansonsten bleibt nur übrig, § 315c als dauerdeliktsähnlich (so Geppert NStZ 1989 320, 321; ders. Jura 1996 47, 52)374 bzw. als „Tat im Sinne des Dauerdelikts" {SehlSchröder!Cramer Rdn. 53) 375 anzusehen. Es erscheint allerdings sehr zweifelhaft, ob man im ohnehin schon zersplitterten Konkurrenzrecht den Typus der dauerdeliktsähnlichen Straftat etablieren sollte. Sehr viel näher liegt es, die Konsequenzen aus der mit guten Gründen getroffenen Einstufung des § 315c als NichtDauerstraftat zu ziehen und in den einschlägigen Fällen von Tatmehrheit auszugehen.376 Etwaige Härten (hierzu Seier NZV 1990 129, 130f) können bei der Bemessung der Gesamtstrafe ausgeglichen werden. Dies ist, zumal seit der Aufgabe des Rechtsinstituts der fortgesetzten Handlung, auch in anderen Bereichen Gerichtsalltag. 210

bb) § 315c Abs. 1 Nr. 2. Hervorzuheben ist, daß sich die vorgenannten Aspekte wohl nur auf die im Zustand der Fahrunsicherheit begangene Straßenverkehrsgefahrdung (§ 315c Abs. 1 Nr. 1) beziehen; teils wird ausdrücklich nur § 315c Abs. 1 Nr. l a bzw. „die Trunkenheitsfahrt" genannt.377 Cramer betont dementsprechend, im Rahmen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 sei regelmäßig von Tatmehrheit auszugehen {SehlSchröder Rdn. 52). Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Indessen ist vom Standpunkt der Befürworter der dauerdeliktsähnlichen Straftat bzw. der „Tat im Sinne des Dauerdelikts" nicht recht ersichtlich, welche Gründe für eine generell divergierende Behandlung der Regelverstöße nach Absatz 1 Nr. 2 im Verhältnis zur „Trunkenheitsfahrt" ins Feld geführt werden könnten. Einzuräumen ist, daß der fahrunsichere Fahrzeugführer eine latente Gefahrenquelle darstellt. Aber das ist beim notorischen Kolonnenspringer oder beim rücksichtslosen „Amokfahrer" 378 nicht anders. Hier wie dort muß auch der Entschluß, das abstrakt gefahrliche Handeln fortzusetzen, nach jeder Konkretisierung in einem (Beinahe-)Unfall verfestigt bzw. neu gefaßt werden. Unterschwellig spielt vielleicht der Gedanke der Verklammerung durch die Dauerstraftat des § 316 eine Rolle, der für die Fälle des § 315c Abs. 1 Nr. 2 eben nicht einschlägig ist (vgl.

372

373

delikts herangezogen werden. In beiden Entscheidungen ging es um eine punktuelle Ausführungshandlung. In BGH N J W 1989 1766 ist § 315c allenfalls (verdeckt) als Dauerstraftat behandelt worden; dazu im Text. Abw. Rissingvan Saan LK vor §§ 52 ff Rdn. 37 Fn. 143. Geppert NStZ 1989 320, 321; Seier NZV 1990 129, 130. Abw. wohl Werle JR 1990 74, 77. Vgl. auch BGH N J W 1995 1766, 1767, wo Handlungseinheit im Rahmen des § 315b sogar bei einheitlichem Tatentschluß abgelehnt worden ist, und hierzu § 315 b Rdn. 99. Hierzu § 315b Rdn. 98. Exemplarischer Fall in BGH VRS 92 205: Um seinen Führerschein nicht zu verlieren, hatte der dortige Angeklagte beschlossen, sich der Verkehrskontrolle „auf Teufel komm raus" durch eine rücksichtslose Flucht zu entziehen. In deren Verlauf entgingen

374

375 376

377

37S

zwei entgegenkommende Fahrzeuge nur knapp einem Zusammenstoß. Anschließend streifte das Fahrzeug des Angeklagten zwei weitere Pkws. Ungeachtet dessen „raste er mit gleichbleibend hohem Tempo" auf die Kreuzung zu, wo er schließlich „praktisch ungebremst" auf einen dort haltenden Pkw auffuhr, dessen Fahrer auf der Stelle getötet wurde. Vgl. auch O L G Düsseldorf NZV 1999 388. Im Ergebnis zust. Seier NZV 1990 129, 130f; Sowada NZV 1995 465, 468 Fn. 38; aA wohl Werle JR 1990 74, 77. So auch O L G Düsseldorf NZV 1999 388. Lackner/Kühl Rdn. 35; für § 315c Abs. 1 Nr. 2 auch Sehl Schröder! Cramer Rdn. 52. TröndlelFischer Rdn. 23; Geppert NStZ 1989 320, 321. Beispielsfall in BayObLGSt. 1959 263.

Stand: 1. 7. 2000

(226)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

SehlSchröder!Cramer Rdn. 53). Dieser Weg ist freilich wegen des minder schweren Charakters dieser Straftat gegenüber § 315c nach der Rechtsprechung verschlossen (vgl. BGHSt. 22 67, 76 [zu § 315b]; Seier N Z V 1990 129, 130). 2. Zusammentreffen mit anderen Delikten a) (Teil-)Identität der Ausführungshandlungen. Neben § 315b wird § 315c schon 2 1 1 meist tatbestandlich nicht vorliegen, weil es am erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Fehlverhalten (Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit bzw. Regelverstoß nach § 315c Abs. 1 Nr. 2) und Gefahrerfolg fehlt (Rdn. 171). Wirkt sich jedoch der Regelverstoß (verstärkend) aus, so kann Tateinheit gegeben sein (näher § 315b Rdn. 95). § 316 ist gegenüber § 315 c formell subsidiär (§316 Abs. 1 letzter Halbsatz) und tritt demgemäß dahinter zurück. Die Verdrängungswirkung erfaßt die konkrete Dauerstraftat nach § 316 als ganze, mithin auch insofern, als diese über den Zeitpunkt der Beendigung des § 315c hinaus angedauert hat. Nicht Inbegriffen ist demgegenüber eine (weitere) Trunkenheitsfahrt, die nach Eintritt einer Zäsur (hierzu Rdn. 212) neu begonnen hat. Eine Handlung ist nach der Rechtsprechung ζ. B. gegeben, wenn sich der Täter während der Fahrt entschließt, entgegen einer polizeilichen Weisung weiterzufahren, um für sein bisheriges Verhalten nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. 379 Die damit verbundene partielle Änderung des Beweggrundes zum Fahren bewirkt also genausowenig eine Zäsur wie eine etwaige Änderung der Fahrtroute (BGH VRS 48 354, 355). Keine Zäsur wird auch bewirkt durch einen Wechsel der Schuldform während der Fahrt (BayObLGSt. 1980 13, 14),380 also wenn der Täter erst unterwegs, z.B. nach einem Unfall, 381 die Fahrunsicherheit bemerkt und von da ab §316 vorsätzlich verwirklicht; die vorsätzlich begangene Trunkenheit im Verkehr tritt dann ggf. hinter die fahrlässige Straßenverkehrsgefahrdung zurück (BayObLG aaO). 382 Eine Unterbrechung wird schließlich auch nicht dadurch herbeigeführt, daß der Täter nach einem Verkehrsunfall einige hundert Meter weiterfahrt, um lediglich zu wenden und zur Ermöglichung der gebotenen Feststellungen an die Unfallstelle zurückzukehren (BayObLGSt. 1973 96 f ) , oder daß er die Fahrt vor Verursachung der Gefahrdungslage kurz zum Zweck des Tankens unterbrochen hat (BayObLG bei Rüth DAR 1982 250; s. erg. § 316 Rdn. 253). Wirkt sich bei einem Regelverstoß nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 die rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit nicht aus, so ist Idealkonkurrenz dieser Tat mit § 316 gegeben (TröndlelFischer Rdn. 23). Der Wortlaut der Subsidiaritätsklausel umfaßt allerdings § 315c insgesamt und könnte einer solchen Interpretation demgemäß entgegenstehen. Jedoch meint das Gesetz mit „die Tat" ersichtlich die „Trunkenheitstat" im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, so daß Tateinheit angenommen werden kann. Im Verhältnis zu § 142 kommt Idealkonkurrenz auf der Linie der Rechtsprechung nur selten in Betracht. In Erwägung zu ziehen sein kann sie in den Fällen des § 315c 379

380

381

BGH bei Hürxthal DRiZ 1974 57; BGH VRS 48 354, 355; VRS 49 177 und 185; BGH NJW 1983 1744; BayObLGSt. 1973 96; OLG Hamm VRS 48 266. Vgl. aber OLG Celle VRS 33 113 f; OLG Hamm VRS 42 21. TröndlelFischer Rdn. 23. Vgl. aber BayObLGSt. 1959 279, 283. Sofern der Unfall die Pflichten des § 142 nicht auslöst (sonst: Zäsur, s. Rdn. 212). In dem

(227)

382

BayObLGSt. 1980 13 zugrunde liegenden Fall ging es um die Zerstörung einer Kristallfensterscheibe auf einem Firmengelände, die dem Eigentümer (Arbeitgeber des Täters) erst am nächsten Tag gemeldet werden mußte. AA (Idealkonkurrenz), freilich ohne Begründung, Seh!Schroder!Cramer Rdn. 57.

Peter König

§ 315c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Abs. 1 Nr. 2 g, wenn das Liegenbleiben des Fahrzeugs durch den die Wartepflicht auslösenden Unfall bedingt war; die Flucht fällt hier mit dem Unterlassen der Sicherung in einem Akt zusammen. 383 Denkbar ist Tateinheit ζ. B. auch dann, wenn der Täter durch eine Straftat nach § 315 c einen Unfall verursacht hat, vom Unfallort flüchtet und, bevor die Straftat nach § 142 beendet ist, einen zweiten Unfall verursacht. Der im zweiten Abschnitt verwirklichte § 315c steht dann mit der Unfallflucht in Tateinheit. Ansonsten bewirkt der Unfall in aller Regel eine Zäsur, die zur Realkonkurrenz bezüglich des weiteren Geschehens führt (näher Rdn. 212). Tateinheit liegt unproblematisch vor hinsichtlich etwaiger, mit § 315c zugleich verwirklichter Verletzungsdelikte (vor allem §§ 222, 229). Dies ist aus der Klarstellungsfunktion der Tateinheit abzuleiten (hierzu m.w.N. Rissing-van Saan L K § 52 Rdn. 3). Denn in einer Verurteilung nur wegen § 315c kommt nicht zum Ausdruck, ob körperliche Unversehrtheit, Leben oder Eigentum verletzt ist (§ 315 b Rdn. 93). Zudem werden durch § 315c nicht die genannten Individualrechtsgüter, sondern das Allgemeininteresse an der Verkehrssicherheit geschützt. Idealkonkurrenz kann ferner gegeben mit Dauerstraftaten wie dem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG), dem unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs (§ 248 b) oder der Freiheitsberaubung (§ 239). Erfolgt letztere zum Zweck einer Vergewaltigung; sexuellen Nötigung (§ 177), so faßt sie die während ihrer Begehung verwirklichten Tatbestände der §§ 177, 315c zur Tateinheit zusammen (BGH NJW 1989 1227, 1228; NStZ 1988 70, 71). In den Fällen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 kommt nicht selten Idealkonkurrenz mit Nötigung (§ 240) in Betracht (ζ. B. OLG Köln VRS 61 425). b) Mehrere Handlungen (Zäsur). Außerordentliches Gewicht legt die Rechtsprechung auf die Frage, ob sich der Täter nach einem Unfall zu einer Straftat nach § 142 entschließt. Ist dies der Fall, so wird regelmäßig Tatmehrheit zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten (insbesondere § 315c) und dem nachfolgenden Geschehen (zumindest § 142, ggf. aber auch § 316 oder § 315c und andere Tatbestände) angenommen. Dies beruht auf der Erkenntnis, daß „ein Täter sich im allgemeinen durch den von ihm verursachten Verkehrsunfall sowohl im äußeren Geschehen wie in seiner geistigseelischen Verfassung vor eine ganz neue Lage gestellt sieht und zur Begehung der Unfallflucht in der Regel eine besondere ethische und psychische Hemmungsschranke durchbrechen muß" (BGH VRS 48 354, 355).384 Der deswegen notwendige neue Tatentschluß bewirkt demnach eine Zäsur des Tatgeschehens. Nicht maßgebend ist, ob der Täter die Fahrt unterbricht oder ohne Halt weiterfahrt (BGHSt. 21 203, 204 ff). Desgleichen liegt Tatmehrheit vor, wenn er nach dem Unfall weiterfahrt, ohne diesen bemerkt zu haben, aber noch in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang vom Unfall und seiner Beteiligung daran erfährt (BayObLG JR 1982 249 [zu § 316] m. zust. Anm. Hentschel). Andererseits ist eine Zäsur (unstreitig) nicht anzunehmen, wenn der Täter den Unfall auch nicht nachträglich als solchen erkennt. Ebenso soll aber zu entscheiden sein, wenn der Unfall keine Wartepflicht nach § 142 auslöst (BayObLGSt. 1980 13, 14 und die vorstehende Rdn.). Sind auf der Linie dieser Rechtsprechung selbständige Handlungen (z.B. § 315c in Tatmehrheit mit §§ 142 und 316) Gegenstand der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses, kann aber 383

384

Vgl. OLG Hamm VRS 25 193, 194; OLG Oldenburg VRS 11 54, 55 [jeweils zum Hindernisbereiten durch Unterlassen]., AA Sch/Schröder! Cramer Rdn. 59. BGH VRS 13 120, 122; BGHSt. 21 203, 204 ff [zu § 316]; BGHSt. 25 72, 76; BGH VRS 49 177;

BayObLGSt. 1973 96f; 1980 13, 14; KG VRS 60 107; OLG Stuttgart VRS 67 356; Hentschel Trunkenheit Rdn. 452ff; Brückner NZV 1996 266; anders noch BGH VRS 9 350, 353.

Stand: 1.7. 2000

(228)

Gefährdung des Straßenverkehrs

§ 315c

§ 142 nicht erwiesen werden, so ist nur wegen eines Vergehens nach § 315c zu verurteilen (Rdn. 211), ohne daß für einen Teilfreispruch in Bezug auf § 142 Raum bestünde (KG VRS 60 107; Stuttgart VRS 67 356; Zweibrücken VRS 85 206). In Abweichung zur Rechtsprechung verlangt die wohl vorherrschende Lehre,385 daß 2 1 3 nicht nur im inneren, sondern auch im äußeren Geschehen ein deutlicher Einschnitt vorliegt, der einen neuen Entschluß erforderlich macht. Bei einer ununterbrochenen Weiterfahrt unter Verstoß gegen § 142 wird dies noch nicht angenommen, wohl aber ζ. B., wenn der Täter nach dem Unfall anhält, um sich mit den anderen Unfallbeteiligten zu einigen, dann aber den Entschluß zur Flucht faßt, weil die Polizei herbeigeholt werden soll {SehlSchröder!Stree Vorbem. §§ 52ff Rdn. 85). Gegen ein maßgebendes Abstellen auf das äußere Verhalten wendet BGHSt. 21 203, 204f aber mit Recht ein, daß es vielfach vom Zufall abhängt, ob der Fluchtwillige die Fahrt unterbricht oder nicht. Ungereimtheiten dieser Rechtsprechung z.B. gegenüber der Beurteilung der Mißachtung eines polizeilichen Haltegebots (Rdn. 211) sind allerdings nicht zu verkennen (Rissing-van Saan vor §§ 52 ff Rdn. 39). 3. Zusammentreffen mit Ordnungswidrigkeiten. Erfüllt die Handlung neben § 315c 2 1 4 zugleich einen Bußgeldtatbestand (§ 24 a StVG, Ordnungswidrigkeiten nach der StVO und der StVZO), so kommt nur § 315c zur Anwendung (§21 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Eine Verfolgung als Ordnungswidrigkeit ist jedoch möglich, wenn eine Strafe nicht verhängt wird, was namentlich beim Absehen von Strafverfolgung nach den Opportunitätsvorschriften der Verfahrensordnungen (z.B. §§ 153, 153b, 154 StPO) 386 der Fall ist. Zum Problem wird in der Praxis teils die Verjährung. Denn die kurzen Verjährungsfristen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind nicht selten bereits abgelaufen, wenn das Ermittlungsverfahren zum Abschluß gebracht wird. Nr. 274 RiStBV ordnet deswegen Unterbrechungshandlungen an. Für solche Verfahren, die bei Gericht anhängig geworden sind, schafft allerdings § 33 Abs. 3 Satz 3 OWiG Abhilfe, wo als absolute Verjährungsfrist die für die Strafdrohung geltende angeordnet ist (hierzu BGH NJW 1992 921; Göhler OWiG § 33 Rdn. 51). Die Ahndung als Ordnungswidrigkeit hat dann der Strafrichter vorzunehmen; der Bußgeldbehörde ist eine Verfolgung als Ordnungswidrigkeit mit Blick auf die Sachentscheidung des Gerichts verwehrt (§ 82 Abs. 1, § 84 Abs. 1 OWiG). XIV. Sanktionen. Hinsichtlich der Sanktionspraxis bestehen für § 315c Abs. 1 2 1 5 Nr. 2 grundsätzlich keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Straftaten. Anders ist dies bei der Trunkenheitsfahrt nach § 315c Abs. 1 Nr. l a . Die insoweit relevanten Aspekte sind unter § 316 Rdn. 233ff zusammengefaßt. Im Rahmen des § 315c stellt sich die Situation nicht selten deswegen unterschiedlich dar, weil die Trunkenheitsfahrt zur Körperverletzung oder zum Tod eines oder mehrerer Menschen geführt hat. Dann wird in der Regel auch bei einem Ersttäter Freiheitsstrafe von über sechs Monaten geboten sein. Sind schwere, nicht wiedergutzumachende Unfallfolgen eingetreten, so liegt zumeist die Annahme nahe, daß die Vollstreckung der Strafe „zur Verteidigung der Rechtsordnung" (§ 56 Abs. 3) angezeigt ist (BGHSt. 24 64, 68 f)· Allerdings ist selbst für derartige Konstellationen jeglicher Schematismus zu vermeiden; die Umstände des Einzelfalls müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden (BGH NJW 1990 193; Gribbohm LK § 56 Rdn. 55). Beispielsweise können eine extrem lange Verfahrensdauer (BayObLG VRS 69 283), schwerwiegende Folgen 385

Rissing-van Saan LK vor §§ 52 ff Rdn. 39; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 57; Sch/Schröderl Stree §§ 52 ff Vorbem. Rdn. 85; Seier NZV 1990 129, 130, 132f, alle m.w. N.

(229)

386

Nicht § 153 a StPO, s. Göhler OWiG § 21 Rdn. 27 (Str.).

Peter König

§ 315d

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

für den Täter und/oder seine Angehörigen (BayObLG VRS 65 279) oder das Mitverschulden des Verletzten (BGHSt. 24 64, 68; BGH NJW 1990 193 387) die Strafaussetzung zur Bewährung vertretbar erscheinen lassen. 216

XV. Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahrverbot. Von zentraler Bedeutung ist es, daß § 315c Regeltatbestand für die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 2 Nr. 1) ist. Wird die Fahrerlaubnis bei Taten nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 nicht entzogen, so ist in der Regel die Anordnung eines Fahrverbots angezeigt (§ 44 Abs. 1 Satz 2). Zu beidem wird auf die Kommentierung von Geppert (LK zu §§ 44, 69ff) verwiesen.

217

XVI. Einziehung. Die Einziehung des durch den Täter benutzten Fahrzeugs kommt in der Regel nicht in Betracht, da dieses bloßer Beziehungsgegenstand und nicht Tatwerkzeug im Sinne des § 74 Abs. 1 ist und eine Sondervorschrift nach § 74 Abs. 4 fehlt.388 Eine abweichende Beurteilung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn der Täter im Rahmen des § 315c sowohl hinsichtlich der Tathandlung als auch hinsichtlich der Gefahr vorsätzlich handelt (OLG Hamm BA 11 [1974] 282).

§ 315d Schienenbahnen im Straßenverkehr Soweit Schienenbahnen am Straßenverkehr teilnehmen, sind nur die Vorschriften zum Schutz des Straßenverkehrs (§§ 315 b und 315 c) anzuwenden.

Schrifttum Cramer Zur Abgrenzung der Transport- und Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 d StGB, JZ 1969 412.

Entstehungsgeschichte § 315 d hat - ohne hierauf beschränkt zu sein - ein praktisch sehr wichtiges Anwendungsfeld im Bereich des strafrechtlichen Schutzes des Straßenbahnbetriebs. Die Straßenbahn nimmt insofern eine Art Zwitterstellung ein (MaurachlSchroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 3), als sie sich nicht selten teils auf Verkehrswegen bewegt, die eisenbahngleich vom öffentlichen Straßenverkehr getrennt sind, teils aber auch auf öffentlichen Straßen fahrt, wobei der von den Straßenbahnschienen durchzogene Straßenteil allen Verkehrsteilnehmern zur Benützung freisteht. § 315 i.d. F. des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839) hatte die Straßenbahn generell dem Bahnverkehr zugeordnet. Die Vorschrift schützte den Betrieb einer „Eisenbahn"; Straßenbahnen mit eigenem Bahnkörper galten als „Eisenbahn" (Arndt/Guelde Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (1953) S. 103). Wer hingegen in den Formen der Transportgefahrdung die 387

388

Der bei dem trunkenheitsbedingten Unfall getötete Freund des Verurteilten war nach dem gemeinsamen Besuch mehrerer Gaststätten in dessen Fahrzeug mitgefahren. OLG Hamm BA 11 (1974) 282; Lackner/Kühl § 74 Rdn. 5; SchlSchröder/Eser § 74 Rdn. 12 a,

33; Schäfer LK 10 § 74 Rdn. 57, 61; Geppert DAR 1988 12, 14. Vgl. auch BGHSt. 10 28, 29ff; OLG Hamburg M D R 1982 515 [jeweils zum Fahren ohne Fahrerlaubnis]; z.T. abw. Tröndlel Fischer § 74 Rdn. 16. Dazu schon oben Rdn. 168(1).

Stand: 1. 7. 2000

(230)

Schienenbahnen im Straßenverkehr

§ 315d

Sicherheit des Betriebs einer Straßenbahn ohne eigenen Bahnkörper beeinträchtigte, war durch § 315 Abs. 2 a. F. mit einem milderen Strafrahmen bedroht (s. auch § 315 Entstehungsgeschichte II). Mit dem Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832) ist die eigenständige Benennung der Straßenbahn aufgegeben worden. Der Gesetzgeber versuchte die Problematik von Beförderungsmitteln, die sowohl im Bahnais auch im Straßenverkehr vorkommen, in der Weise zu lösen, daß er den Schutzbereich des § 315 an die „Schienenbahn auf besonderem Bahnkörper" knüpfte, während die Straßenbahn - eine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr vorausgesetzt - in den Schutzbereich des § 315 a a. F. einbezogen wurde (BTDrucks. [If] 2674 S. 14; [I/] 3774 S. 5). Letzteres galt auch für andere Schienenbahnen ohne besonderen Gleiskörper und für Schienenbahnen generell, sofern sie an Übergängen und Kreuzungen ohne zusätzliche Schutzvorkehrungen (Schranken, Warnkreuze) in den öffentlichen Straßenverkehr eintraten (vgl. BGHSt. 15 9, 15). Wohl nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Auslegungsprobleme, die der Begriff der „Schienenbahn auf besonderem Bahnkörper" in der Praxis aufgeworfen hatte,1 löste sich das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 21. November 1964 (BGBl. I S. 921) von diesem „formalen Merkmal" und stellte für die Geltung der §§ 315b, 315c in § 315d „materiell" darauf ab, ob die Schienenbahn am Straßenverkehr teilnimmt (BTDrucks. IV/651 S. 22, 29). Die Wörtfassung ist seither unverändert geblieben. Übersicht Rdn. I. II. III. IV.

Tatsächliche Bedeutung Funktion Schienenbahn Teilnahme am Straßenverkehr 1. Straßenverkehr 2. Teilnahme am Straßenverkehr . . . a) Regelverstöße des Fahrzeugführers aa) Allgemeine Grundsätze . . bb) Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort (1) Maßgebend: Ort der Tathandlung (2) Irrelevanz der Zugehörigkeit des Objekts

Rdn.

1 2 3 4 4 5

(3) Fahrzeugführen in Fahrunsicherheit . . . . b) Beeinträchtigungen der Schienenbahn aa) Internes Verhalten von Straßenverkehrsteilnehmern (1) Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort (2) Sonst für die Sicherheit Verantwortlicher . . . . bb) Verkehrsexterne Eingriffe . (1) Funktionale Betrachtungsweise (2) Ortsbezogene Auslegung

6 6 7 8 9

10 11 11 12 13 14 15 16

I. Tatsächliche Bedeutung. § 315 d hat in der Praxis der Strafverfolgung heute wohl 1 nur geringe Bedeutung. Die soweit ersichtlich letzte veröffentlichte obergerichtliche Entscheidung, in der die Vorschrift problematisiert worden ist, datiert aus dem Jahr 1972 (OLG Stuttgart VerkMitt. 1972 Nr. 110 S. 93).2 Die geringe praktische Relevanz dürfte zu einem guten Teil auf die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im 1

Zum ganzen Cramer JZ 1969 412 f. S. aus der Rechtsprechung insbesondere BGHSt. 11 162; 15 9; BGH VRS 19 442; BayObLG VRS 17 125; OLG Hamm VRS 12 137; OLG Köln VRS 13 288; 15 49; OLG Frankfurt DAR 1956 18.

(231)

2

Vgl. aber auch BayObLG NJW 1983 2827; OLG Stuttgart NJW 1976 1904.

Peter König

§ 315d

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

öffentlichen Nahverkehr zurückzuführen sein, und dabei namentlich auf den Siegeszug der S- und U-Bahnen. Hinzu kommen die Bemühungen der Verkehrsunternehmen, die gefahrlichen Berührungspunkte zwischen Schienenbahn- und Straßenverkehr auf ein Minimum zu reduzieren bzw. weitestmöglich abzusichern. 2

II. Funktion. § 315 d bildet eine „Schaltstelle" zwischen den Bahnverkehrsregelungen einerseits und den Straßenverkehrsnormen andererseits. Bei Teilnahme der Schienenbahn am Straßenverkehr sind nur die §§ 315 b, 315 c anwendbar, ansonsten gelten die in vielerlei Hinsicht schärferen Vorschriften zum Schutz des Bahnverkehrs (§§315, 315 a). Die Einbeziehung der Schienenbahn in die Regelungen zum Straßenverkehr beruht dabei auf der Überlegung, daß „für alle Teilnehmer am Straßenverkehr einheitlich dieselbe Rechtsordnung gelten muß" (BTDrucks. IV/651 S. 29). Anders als sonst trifft die Schienenbahn im Straßenverkehr nämlich nicht auf einen von Hindernissen in der Regel freien Verkehrsraum, in dem schneller gefahren werden darf und auch schneller gefahren wird als im Straßenverkehr (BayObLG VRS 17 125, 127; OLG Stuttgart VerkMitt. 1972 Nr. 110 S. 93 f), sondern ist zur Rücksichtnahme auf die anderen Teilnehmer am Straßenverkehr verpflichtet. Zugleich ist es infolge der typischen Gegebenheiten des Straßenverkehrs auch gerechtfertigt, insbesondere den Schienenbahnführer an den Privilegien teilhaben zu lassen, die die sonstigen Fahrzeugführer im Straßenverkehr genießen (Ausschlußwirkung des § 315 c). So klar und schlüssig der hinter § 315 d stehende Gedanke auf den ersten Blick wirkt, so schwierig sind die Probleme, die die gesetzliche Regelung im einzelnen aufwerfen kann. Auch im Hinblick darauf, daß die Schienenbahn im Verlaufe ihres Kurses, u.U. mehrfach, die verschiedenen Rechtsbereiche durchlaufen kann (vgl. Nüse JR 1965 41 f), sind Wertungswidersprüche unausweichlich. Zudem paßt das gesetzliche Konzept auf eine Reihe von nach § 315 pönalisierten Verhaltensweisen nicht ohne weiteres. Ein Beispiel ist der Sabotageakt im Depot der Schienenbahn, der sich in einem beliebigen Streckenteil auswirken kann (hierzu BTDrucks. IV/651 S. 29; vgl. Rdn. 16). Die Zuordnung zur jeweiligen Verkehrsart hat durchaus erhebliche Folgewirkungen (anders wohl SehlSchröder! Cramer Rdn. 1). Uber die generell höheren Strafdrohungen des § 315 gegenüber § 315 b hinaus werden die jeweiligen Regelungskomplexe durch Rechtsprechung und herrschende Lehre auch inhaltlich differenziert ausgelegt (vgl. Rdn. 6; § 315 Rdn. 19 ff). De lege ferenda wäre ein Teil der Probleme und Wertungswidersprüche vermeidbar, wenn dem gelegentlich unterbreiteten Vorschlag gefolgt würde, einheitliche Vorschriften zum Schutz aller Verkehrsarten zu schaffen (in diesem Sinne ζ. B. Cramer JZ 1969 412, 413). Der Gesetzgeber hat sich jedoch bewußt hiergegen entschieden (BTDrucks. IV/651 S. 30). Strafrechtlich gesehen könnte es des weiteren als Alternative gelten, die Schienenbahn ausnahmslos den Vorschriften zum Bahnverkehr zu unterwerfen. Dafür lassen sich die hohen Risiken für Personen und Sachwerte anführen, die bei einer Beeinträchtigung vor allem des Straßenbahnbetriebs nicht anders als beim sonstigen Schienenbahnverkehr typischerweise entstehen. Ob dies straßenverkehrsrechtlich sinnvoll ist und mit Blick auf die anderen Teilnehmer am Straßenverkehr zu überzeugen vermag, erscheint freilich zweifelhaft.

3

III. Schienenbahn. Der Begriff der Schienenbahn umfaßt jedes an Gleise gebundene Fahrzeug, das durch Motorkraft oder mechanisch auf Schienen bewegt wird (OLG Köln VRS 15 49, 50). Keine Rolle spielt demgemäß, ob das Beförderungsmittel gewerberechtlich als Eisenbahn oder als Straßenbahn zugelassen ist. Dies trägt nach den Gesetzesmaterialien dem Umstand Rechnung, daß die gewerberechtliche Zustand: 1. 7. 2000

(232)

Schienenbahnen im Straßenverkehr

§ 315d

lassung „von zahlreichen, den sachlichen Unterschied der beiden Verkehrsarten nicht betreffenden Zufälligkeiten abhängt" (BTDrucks. IV/651 S. 30) und damit nicht als geeigneter Gradmesser für oder gegen die Geltung der jeweils bereichsspezifischen Regelungen gelten kann. Genausowenig überzeugend wäre es, nach dem Schwerpunkt des Gebrauchs der Schienenbahn abzugrenzen, die §§ 315, 315 a also anzuwenden, sofern die Bahn hauptsächlich außerhalb des Straßenraums verkehrt, hingegen die §§ 315 b, 315 c als einschlägig anzusehen, falls die Bewegung im Straßenverkehr überwiegt. Ganz abgesehen davon, daß sich ein solches Übergewicht oftmals rein tatsächlich nicht feststellen läßt, erschiene die womöglich daraus resultierende Ungleichbehandlung zweier an der konkreten Stelle identisch fortbewegter Bahnen ungereimt (BTDrucks. IV/651 S. 30). Mit dem geltenden Recht wäre eine in diese Richtung zielende Interpretation nicht vereinbar. Zu den Details betreffend den Begriff der Schienenbahn wird auf das in § 315 Rdn. 9 ff Gesagte Bezug genommen.

IV. Teilnahme am Straßenverkehr 1. Straßenverkehr. § 315 d stellt darauf ab, ob die Schienenbahn am Straßenver- 4 kehr teilnimmt. Der Begriff des Straßenverkehrs hat dieselbe Bedeutung wie im Rahmen der §§ 315b, 315c. Demgemäß sind nur Vorgänge im (faktisch) öffentlichen Verkehrsraum betroffen (§ 315 b Rdn. 4 ff). Außerhalb des Straßenverkehrs verbleibt es bei der Geltung der §§ 315, 315 a, die anders als die §§ 315 b, 315 c private Verkehrsvorgänge umfassen (§315 Rdn. 7; § 315 a Rdn. 4; § 316 Rdn. 6). Beispielsweise die auf einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Betriebsgelände verkehrende Schienenbahn fallt demnach selbst dann unter die §§ 315, 315 a, wenn die Schienen ohne Abtrennung in einem Gelände verlegt sind, das „Straßenfahrzeugen" offensteht. 2. Teilnahme am Straßenverkehr. Für die Geltung der §§ 315b, 315c muß die 5 Schienenbahn am Straßenverkehr teilnehmen. Dafür maßgebend ist nach den Intentionen des Gesetzgebers, denen die h. M. gefolgt ist, ob der Führer der Schienenbahn „sein Fahrverhalten ganz allgemein, und nicht nur bei erkennbar drohender Gefahr, nach dem ihm umgebenden Straßenverkehr zu richten" hat (BTDrucks. IV/651 S. 29; vgl. auch BGHSt. 15 9, 13 f)· Allgemeiner Ansicht entsprechend fehlt es daran, sind also die §§ 315, 315 a anzuwenden, wenn der Straßenraum, der zur Aufnahme der Gleise dient, schon aus technischen Gründen für andere Verkehrsteilnehmer gesperrt ist, wenn die Bahn also ausschließlich auf einem eigenen Bahnkörper verkehrt.3 Keine Teilnahme am Straßenverkehr ist unbestritten auch an Kreuzungen und Übergängen gegeben, an denen der Bahn nach § 19 StVO durch das Andreaskreuz, Blinklicht oder Lichtzeichen der Vorrang eingeräumt wird.4 Der Bahnbetrieb wird in diesen Fällen zwar nicht baulich, aber rechtlich gewissermaßen vom Straßenverkehr abgeschüttet (vgl. BGHSt. 15 9, 15; OLG Stuttgart VerkMitt. 1972 Nr. 110 S. 94). In allen anderen Fällen unterliegt der Betrieb der Schienenbahn an Kreuzungen und Übergängen den §§ 315 b, 315 c. Ob die Bahn außerhalb des Kreuzungsbereich auf einem eigenen Bahnkörper verkehrt, ist dabei unerheblich {SehlSchröder!Cramer Rdn. 3; anders noch OLG Frankfurt DAR 1956 18). 3

4

Horn SK Rdn. 3; Lackner/Kühl Rdn. 2; Sehl Schröder I Cramer Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2; MühlhauslJaniszewski Rdn. 1. BGHSt. 15 9, 15; bestätigt durch BGH VRS 19 442, 443; BayObLG VRS 17 125, 127 f; OLG

(233)

Stuttgart VerkMitt. 1972 Nr. 110 S. 93. Abw. zum alten Rechtszustand [zusätzlich besondere bauliche Gestaltung notwendig]: OLG Köln VRS 13 288, 289; VRS 15 49, 54. Abw. auch OLG Frankfurt DAR 1956 18.

Peter König

§ 315d

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Auf der Grundlage dieses gesicherten Standes von Rechtsprechung und herrschender Lehre ist hinsichtlich der Konsequenzen wie folgt zu unterscheiden: a) Regelverstöße des Führers der Schienenbahn 6

aa) Allgemeine Grundsätze. Solange sich die Schienenbahn auf einem eigenen Bahnkörper bewegt oder einen gesicherten Übergang passiert (vorstehende Rdn.), sind Pflichtverstöße des Fahrzeugführers an den §§ 315, 315 a zu messen. Zu beachten ist in diesem Kontext vor allem, daß § 315 nach h. M. anders als § 315 b auch verkehrsinternes Fehlverhalten umfaßt (§315 Rdn. 19 ff). Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit unterliegt § 315 a Abs. 1 Nr. 1 (dort Rdn. 13 f!), andere Regelverstöße sind, soweit nicht schon durch § 315 erfaßt, § 315 a Abs. 1 Nr. 2 unterworfen (dort Rdn. 21 ff). Im Straßenverkehr führt verkehrsinternes Fehlverhalten des Fahrzeugführers hingegen nur unter den Voraussetzungen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 5 bzw. des verkehrsfeindlichen Inneneingriffs im Rahmen des § 315 b (dort Rdn. 12 ff) zur Strafbarkeit. Für das Fahren im Zustand der Fahrunsicherheit gilt § 315 c Abs. 1 Nr. 1.

7

bb) Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort. Umstritten ist die Beurteilung von Fällen, in denen sich zwar der Regelverstoß im Bahnverkehr ereignet, der Gefahrerfolg aber im Straßenverkehr (Übergang, gemeinsam genutzter Verkehrsraum) eintritt, oder umgekehrt ein Fehlverhalten im Straßenverkehr eine konkrete Gefahr im Bahnverkehr herbeiführt.

8

(1) Maßgebend: Ort der Tathandlung. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur will in solchen Konstellationen auf den Ort abheben, an dem der Gefahrerfolg eintritt, also die § 315, 315 a anwenden, sofern dieser dem Bahnverkehr zuzuordnen ist, die § 315 b, 315 c, sofern der Erfolgsort im Straßenverkehrsraum liegt.6 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Allein entscheidend sein muß, ob die Gefahrenursache im Straßenverkehr gesetzt wird; der mehr oder weniger zufallige Erfolgsort spielt im Bereich des § 315 d keine Rolle.7 Wenn die Anwendung der Straßenverkehrsstrafvorschriften (unumstritten) danach zu bestimmen ist, ob der Fahrzeugführer sein Verhalten „auf den ihm umgebenden Straßenverkehr" einzurichten hat (Rdn. 5), so zielt dies eindeutig auf das verwirklichte Handlungsunrecht. Ob das Verkehrsverhalten tatbestandsrelevant ist, kann sinnvoll aber nur anhand der dafür geltenden spezifischen Rechtsmaterie beurteilt werden. Das sind die Regeln des Bahnverkehrs bei der Bewegung im Bahnverkehr und die Regeln des Straßenverkehrs für die Bewegung im Straßenverkehr. Eine Art Rückbeziehung der §§ 315b, 315c bzw. der §§ 315, 315 a auf vorgelagertes Handeln in der jeweils anderen Verkehrsart erscheint nicht schlüssig begründbar. Die gegenteilige Auslegung könnte im Extremfall sogar dazu führen, daß einschlägig pflichtwidriges Verhalten im Bahnverkehr unter dem Aspekt des Verkehrsstrafrechts aus der Strafbarkeit herausfällt, weil § 315 c Abs. 1 Nr. 2 den betreffenden Regelverstoß nicht pönalisiert und der Anwendung des § 315 b die Ausschlußwirkung des § 315 c entgegensteht. Dies ist vom Normzweck des § 315 d her gesehen nicht zu rechtfertigen und leuchtet auch mit Blick darauf nicht 5

Insoweit werden vor allem § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a, d, mit Abstrichen auch g in Betracht kommen, wohingegen § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b, c, e und f auf den schienengebundenen Verkehr gar nicht passen oder nur in extremen Ausnahmefallen erfüllt sein können. Hierzu Cramer JZ 1969 412,416; Horn SK Rdn. 4.

6

7

BGHSt. 11 162, 164; LacknerlKühl Rdn. 2; TröndlelFischer Rdn. 2; JaguschiHentschel Rdn. 4; MühlhauslJaniszewski Rdn. 2; MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 4. BGHSt. 15 9, 15f; Horn SK Rdn. 4; insoweit auch Sehl Schröder! Cramer Rdn. 6; Cramer JZ 1969412, 415f.

Stand: 1. 7. 2000

(234)

Schienenbahnen im Straßenverkehr

§ 315d

ein, daß es im Rahmen der §§ 315 ff allgemein nicht darauf ankommt, ob die Gefahr innerhalb oder außerhalb der jeweiligen Verkehrsart eintritt (vgl. auch Horn SK Rdn. 4). (2) Irrelevanz der Zugehörigkeit des Objekts. Gleichfalls irrelevant ist, ob das 9 gefährdete Objekt dem Bahnverkehr oder dem Straßenverkehr zuzurechnen ist. Wird durch das pflichtwidrige Verhalten eines Schienenbahnführers im Straßenverkehrsraum also eine andere Schienenbahn gefährdet, so kommen die §§ 315 b, 315 c zur Anwendung (abw. Cramer JZ 1969 412, 416). Das folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Denn die die Gefährdung auslösende Schienenbahn nimmt wie auch die gefährdete am Straßenverkehr teil (vgl. Horn SK Rdn. 4, 7). Für eine funktionale Betrachtungsweise in dem Sinne, daß als maßgebend angesehen wird, ob die eingetretene Gefahr dem typischen Risiko der jeweiligen Verkehrsart entspringt, läßt das Gesetz keinen Raum (näher Rdn. 15). (3) Fahrzeugführen in Fahrunsicherheit. Dieselben Grundsätze gelten, wenn der 1 0 Fahrzeugführer im Zustand der Fahrunsicherheit eine Schienenbahn geführt und dadurch einen konkreten Gefahrerfolg herbeigeführt hat. Eine Anwendung des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 kommt nur dann in Betracht, wenn sich das durch die Fahrunsicherheit bedingte und den Gefahrerfolg verursachende Fehlverhalten im Straßenverkehr ereignet hat {SehlSchröder!Cramer Rdn. 8; Horn SK Rdn. 4). Idealkonkurrenz zwischen § 315 a und § 315 c wird eher selten anzunehmen sein. Ein Beispielsfall wäre es, wenn der Fahrzeugführer im Übergang zwischen Bahn- und Straßenverkehr alkoholbedingt die Herrschaft über sein Fahrzeug verliert und dadurch eine relevante Gefahrdung verursacht (ähnlich für Eingriffe von außen Horn SK Rdn. 6). Uberfahrt er hingegen aufgrund seiner Trunkenheit ein Haltesignal des Bahnverkehrs und gefährdet er dann im Straßenverkehr Menschen oder Sachwerte, so kommt nur § 315 a, ggf. auch § 315 Abs. I Nr. 4, zur Anwendung. b) Beeinträchtigungen der Schienenbahn aa) Internes Verhalten von Straßenverkehrsteilnehmern. Auch bei Beeinträchti- 11 gungen, die von außen her auf die Schienenbahn eindringen, kommt es darauf an, in welchem Streckenabschnitt dies geschieht. Trifft es die Schienenbahn im „Aggregatzustand" des Straßenverkehrsmittels (so plastisch Horn SK Rdn. 6), so sind die §§ 315 b, 315 c anzuwenden, ansonsten gelten die §§ 315, 315 a. Der Fahrer eines Pkw, der in eine nicht nach § 19 StVO bevorrechtigte Kreuzung einfahrt und dabei eine Straßenbahn gefährdet, macht sich daher nicht wegen Hindernisbereitens nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 strafbar. Eine Strafbarkeit ist grundsätzlich nur gegeben, wenn er einen grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Regelverstoß nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 begeht; ansonsten bleiben nur Ordnungswidrigkeiten (vgl. ζ. B. OLG Stuttgart VerkMitt. 1972 Nr. 120 S. 93 f)· In besonders gelagerten Fällen, nämlich bei verkehrsfeindlichen Inneneingriffen, kann allerdings § 315 b Abs. 1 Nr. 2 erfüllt sein (s. dort Rdn. 30 ff). (1) Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort. Hat die Schienenbahn im Zeitpunkt des Eingriffs am Straßenverkehr teilgenommen, so sind die §§ 315b, 315c ausnahmslos anzuwenden; Inbegriffen sind demnach auch die Konstellationen, in denen der Ort des verkehrsgefahrdenden Verhaltens der einen Verkehrsart zuzuordnen ist, während der (Gefahr-)Erfolgsort in der anderen liegt. Führt beispielsweise die durch den Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehrsraum verursachte Notbremsung der Straßenbahn im weiteren Verlauf der Strecke zu einer Gefahrdung von Fahrgästen, so (235)

Peter König

12

§ 315d

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kann es keinen Unterschied machen, ob die nachfolgende Strecke zum Bahn- oder zum Straßenverkehr gehört. Die teils vertretene Gegenansicht, die auf den Ort des Gefahrerfolgs abstellen will, führt, wie Cramer nachgewiesen hat (JZ 1969 412, 415), zu Zufallsergebnissen, die nicht gerechtfertigt werden können (dazu schon oben Rdn. 8).8 13

(2) Sonst für die Sicherheit Verantwortlicher. An der Privilegierung des Verkehrsverhaltens im Straßenverkehr nimmt auch der „sonst f ü r die Sicherheit Verantwortliche" im Sinne des § 315 a Abs. 1 Nr. 2 teil (§ 315 a Rdn. 23), sofern er am Verkehrsvorgang beteiligt ist. Eine Differenzierung „im Inneren" der Schienenbahn würde schwerlich einleuchten. Ihr würde auch entgegenstehen, daß im Straßenverkehr die Vorschriften des Straßenverkehrs gelten und nicht die des Bahnverkehrs, an die § 315 a Abs. 1 Nr. 2 anknüpft (vgl. Seh!Schröder!Cramer Rdn. 7). Im Hinblick darauf, daß § 315 c Abs. 1 Nr. 1, 2 a bis f ausschließlich des Verhalten des Fahrzeugführers pönalisiert, wird der Regelverstoß des Sonderpflichtigen unter dem Aspekt des Verkehrsstrafrechts in weitem U m f a n g straflos bleiben. Denkbar ist aber eine Strafbarkeit nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 g {Horn SK Rdn. 8). Unberührt bleibt eine etwaige Strafbarkeit nach § 315 b bei verkehrsfeindlichem Verhalten sowie bei eigenmächtigen Eingriffen in die Steuerung des Fahrzeugs (zur umstrittenen Problematik des eingreifenden Mitfahrers s. § 315 b Rdn. 18, 54). Geht es um pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen „im Depot" (etwa fehlerhafte Wartung), so sind freilich die §§315, 315 a anzuwenden (Rdn. 14 ff).

14

bb) Verkehrsexterne Eingriffe. Weniger gut paßt die in § 315 d getroffene Regelung auf Außeneingriffe im eigentlichen Sinn. Das ist durch den Gesetzgeber auch nicht verkannt worden. Problematisch ist ζ. B. die Beschädigung essentieller Einrichtungen (Steuerung, Bremsanlage) der Bahn im Depot (BTDrucks. IV/651 S. 30). Aber auch für die Lockerung von Schienen (Cramer JZ 1969 412, 415) oder das Anbringen eines Metallbügels auf der Oberleitung bzw. eines Stahlkörpers auf den Schienen ist nicht recht einsichtig, aus welchem G r u n d der insgesamt mildere § 315 b zur Anwendung kommen soll, weil der Sabotageakt im nicht durch Warnkreuze gesicherten Kreuzungsbereich bzw. unmittelbar im Straßenverkehrsraum verübt worden ist. Der Unrechtsgehalt einschlägigen Verhaltens und die daraus resultierenden Gefahren sind generalisierend betrachtet nicht geringer als bei entsprechendem Handeln im „reinen" Bahnverkehr.

15

(1) Funktionale Betrachtungsweise. Cramer (JZ 1969 412, 415 und Sehl Schröder Rdn. 6) schlägt vor diesem Hintergrund eine funktionale Betrachtungsweise vor. Er will danach unterscheiden, ob der Grund für die eingetretene Gefahr in den typischen Gefahren des Straßenverkehrs oder in denen des Bahnverkehrs liegt. Bei „typischen" Außeneingriffen im Sinne des § 315 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, d . h . solchen, die nicht durch Verkehrsvorgänge im Straßenverkehr bedingt sind, soll § 315 d generell ausgeschlossen sein (Cramer J Z 1969 412, 415). Z.B. der Sabotageakt auf den Gleiskörper wäre danach generell dem Bahnverkehr zuzuordnen und würde zur Anwendung des § 315 Abs. 1 Nr. 1 führen. Sofern zusätzlich der Straßenverkehr gefährdet wird, soll Tateinheit mit § 315 b Abs. 1 Nr. 1 gegeben sein (Cramer aaO). Obwohl der Vorschlag im gedanklichen Ansatz einiges für sich hat und zu schlüssigen Ergebnissen verhilft, hat er sich mit Recht nicht durchgesetzt. Denn die 8

Zust. Horn SK Rdn. 6. Im Ergebnis ebenso BGHSt. 15 9, 15 f. AA die in Fn. 6 aufgeführten Stimmen der Literatur.

Stand: 1. 7. 2000

(236)

Trunkenheit im Verkehr

§ 315d

Lösung Cramers ist mit dem noch möglichen Wortsinn des § 315d nicht in Übereinstimmung zu bringen. Danach ist maßgebend, ob der Bahnbetrieb in einem Stadium gestört wird, in dem die Schienenbahn am Straßenverkehr teilnimmt oder eben nicht {Horn SK Rdn. 7).9 Ist diese Voraussetzung erfüllt, so sind die Weichen in Richtung auf den Straßenverkehr gestellt, ohne daß Korrekturmöglichkeiten nach der Art des Eingriffs und dem jeweiligen Objekt der Störung bestünden. Das Erfordernis eines gefahrtypischen Zusammenhangs mit der jeweiligen Verkehrsart läßt sich aus der Vorschrift nicht ableiten. Ein funktionaler Ansatz würde demnach eine Neufassung des Gesetzes notwendig machen, die freilich beträchtliche Formulierungsprobleme aufwerfen würde. (2) Ortsbezogene Auslegung. De lege lata muß es deshalb für Außeneingriffe jeglicher Art bei der ortsbezogenen Auslegung verbleiben. Entscheidend ist, in welchem Streckenabschnitt der Eingriff die Bahn tangiert; der Ort des Gefahrerfolgs ist nicht maßgebend (Rdn. 8f, 12; letzteres offengelassen von BGHSt. 15 9, 17). Der Eingriff in die Gleisanlage ist daher nach § 315 b zu ahnden, sofern die Gleise im Straßenverkehrsraum verlegt sind. Genauso liegt es für das Geben falscher Signale im Straßenverkehrsraum, das ggf. als ähnlicher, ebenso gefahrlicher Eingriff nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 zu qualifizieren ist (vgl. § 315 b Rdn. 10, 40). Hingegen ist der Sabotageakt im Bahndepot stets nach § 315 (Abs. 1 Nr. 1) zu ahnden; das gleiche gilt für (unterlassene) Wartungsarbeiten im Depot. Denn das Depot muß uneingeschränkt dem Bahnbereich zugerechnet werden (Horn SK Rdn. 6). Dies dürfte selbst dann gelten, wenn namentlich eine Straßenbahn (außerhalb des Depots) ausschließlich auf Strecken verkehrt, die im Straßenverkehrsraum verlegt sind. Im Zeitpunkt des Eingriffs nimmt sie nämlich am Straßenverkehr nicht teil („soweit"). Idealkonkurrenz des §315 mit § 315 b wird nach diesen Grundsätzen nicht sehr häufig gegeben sein (vgl. auch Rdn. 10 a. E.). Vorstellbar ist sie, wenn der Eingriff (ζ. B. in die Gleisanlage) am Ubergang des einen Verkehrsraums in den anderen erfolgt {Horn SK Rdn. 6 a. E.).

§316

Trunkenheit im Verkehr (1) Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315 d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315 a oder § 315 c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht. Schrifttum Alkoholbedingte Fahrunsicherheit. Gutachten des Bundesgesundheitsamts. Gutachten „Blutalkohol bei Verkehrsstraftaten" (1955); redigiert und kommentiert von Borgmann (zitiert: „BGA-Gutachten 1955"); Gutachten „Alkohol bei Verkehrsstraftaten" (1966); bearbeitet von Lundt und Jahn (zitiert: „BGA-Gutachten 1966"); „Ergänzende Stellungnahme" (1967); bearbeitet von Lundt und Jahn-, „Zweites Gutachten Alkohol und Straßenverkehr" (1977); be9

Ablehnend auch Lackner/Kühl Rdn. 2; Tröndlel Fischer Rdn. 2; JaguschiHentschel Rdn. 4.

(237)

Peter König

16

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

arbeitet von Lundt unter Mitarbeit von Berg, Gerchow, Grüner, Heifer, Janssen (zitiert: „BGAGutachten 1977"); Gutachten zum Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung; bearbeitet von Schoknecht (zitiert: „BGA-Gutachten 1989"), NZV 1990 104 = BA 27 (1990) 202. Übergreifende Darstellungen. ForsterIJoachim Blutalkohol und Straftat (1975); Hentschel Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (8. Aufl. 2000); Horn Blutalkoholgehalt und Fahruntüchtigkeit (1970); Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit [Sonderdruck aus „Rechtsmedizin systematisch"; Hrsg. Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr] 1995; Riemenschneider Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte - zugleich ein Beitrag zur Rechtsentwicklung (2000; zugleich jur. Diss. Gießen 1999). Insbesondere Prävention, Dunkelfeld und Sanktionen. Brauchlel Weinmann/Pollak Drogenund Medikamentenbeeinflussung von Verkehrsteilnehmern im Raum Südbaden am Beispiel des Jahres 1995, BA 34 (1997) 385; Fischer Generalprävention und Trunkenheit im Straßenverkehr Bisherige Erkenntnisse im In- und Ausland, BA 35 (1998) 204; GiebelKlein Erste Erfahrungen mit der „0,8-Promille"-Regelung in Thüringen, BA 32 (1995) 279; Gotting Gesetzliche Strafrahmen und Strafzumessungspraxis Eine empirische Untersuchung anhand der Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 1987 bis 1991 (1997; zugl. jur. Diss. Göttingen 1995); Ifßand Gedanken zu Dunkelfeld und Dunkelziffer für Trunkenheitsfahrten mit Kraftfahrzeugen in Deutschland, DAR 1995 269; ders. Wie zuverlässig ist die Dunkelfeldbestimmung nach dem „Deutschen Roadside Survey"?, BA 35 (1998) 258; ders./Balling Erste Auswirkungen der 0,5-PromilleGrenze auf das Fahrverhalten alkoholisierter Verkehrsteilnehmer, BA 36 (1999) 39; Krüger (Hrsg.) Fahren unter Alkohol in Deutschland (1998); Middendorf Verkehrskriminologie Ergebnisse und Folgerungen, DAR 1979 145; A. Müller Fahrerlaubnisentzug, Eignungsbegutachtung, Nachschulung und Therapie bei Trunkenheitstätern: Ansätze zu einer notwendigen Neuorientierung, BA 30 (1993) 65; Η. E. Müller Das Dunkelfeld der Alkoholfahrten und die Atemalkoholmessung in § 24a Abs. 1 StVG, BA 36 (1999) 313; Schöch Strafzumessung und Verkehrsdelinquenz Kriminologische Aspekte der Strafzumessung am Beispiel einer empirischen Untersuchung zur Trunkenheit im Verkehr (1973); ders. Kriminologische und sanktionsrechtliche Aspekte der Alkoholdelinquenz im Verkehr, NStZ 1991 11; ders. Präventive Verkehrskontrollmaßnahmen bei Alkohol- und Drogenfahrten und ihre Bedeutung für das Straf- und Bußgeldverfahren, BA 34 (1997) 169; ders. Verkehrsrechtliche Rahmenbedingungen zur Verhütung alkoholbedingter Unfälle und ihre Umsetzung - eine kritische Würdigung, in: Alkohol im Straßenverkehr - ein vermeidbares Übel? [Hrsg. Dräger!Pissulla·, 1997] S. 29; ders. Generalprävention und Fahren unter Alkohol, in: Fahren unter Alkohol in Deutschland [1998; Hrsg. Krüger] S. 161; Stephan Trunkenheitsdelikte im Verkehr und Alkoholmißbrauch, BA 25 (1988) 201; ders. „Bedingte Eignung", eine Chance für die Verkehrssicherheit und den alkoholauffälligen Kraftfahrer II, DAR 1989 125; Vollrath/Kazenwadel Das Dunkelfeld bei Trunkenheitsfahrten, BA 34 (1997) 344; VollrathlKrüger Auswirkungen der „Androhung" 0,5-PromilleGrenze im Kontext längerfristiger Entwicklungen, BA 36 (1999) 349; Weigend Zur Rolle des Strafrechts im Straßenverkehr, Miyazawa-Festschrift (1995) S. 549. Insbesondere Alkohol und Fahrsicherheit. BartllBrandstätterlHosemannIReitter Blickbewegungen und Reaktionen von Fahrern bei sogenannter Minderalkoholisierung, BA 35 (1998) 124; BorkensteinlCrowtherlShumatelZiellZylman The Role of the drinking driver in traffic accidents (The Grand Rapids Study), BA 11 (1974) Supplement 1; DittmannlPribillal Wagner Äthanolelimination beim Menschen unter Einfluß häufig verordneter /^-Rezeptorenblocker BA 22 (1985) 364; Eisenmengerl Schorn! Gilg Untersuchungen zur Funktionsfahigkeit des Gehörs, speziell der Frequenzauflösung, unter Alkoholeinfluß, BA 21 (1984) 250; Elbeil Schleyer Blutalkohol (2. Aufl. 1956); Gerchow Über den Einfluß der kleinen Alkoholdosen auf die Verkehrssicherheit unter besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse des sog. Wolfsburger Versuches, BA 13 (1976) 341; ders. Zur Schuldfähigkeit Drogenabhängiger BA 16 (1979) 97; ders. Alkohol- und Drogenkriminalität unter dem Aspekt neuerer Entwicklungen BA 22 (1985) 152; Gerlach Fahrversuche zum Kurvenunfall nach Alkoholgenuß, BA 9 (1972) 239; GilglLiebhardt/Schüller!Riedel Alkoholbedingte Wahrnehmungsstörungen im peripheren Gesichtsfeld Untersuchungen mit dem automatischen Perimeter OCTOPUS®, BA 21 (1984) 235; Grüner!Ludwig!Domer Zur Abhängigkeit Stand: 1. 7. 2000

(238)

Trunkenheit im Verkehr

§316

alkoholbedingter Aufmerksamkeitsstörungen vom Blutalkoholwert bei niedrigen Konzentrationen, BA 2 (1963/1964) 445; GrünerlLudwig/Trabant Alkoholbedingte Leistungsminderung bei Tag und Nacht, BA 7 (1970) 337; GrünerlKirch!BilzerlPenners Die Eliminationskinetik von Äthanol nach Gabe von Metoprolol in der frühen und späten Eliminationsphase, BA 23 (1986) 28; HeiferlSellier/Kutzner Experimentelle und statistische Untersuchungen über den alkoholbedingten postrotatorischen Fixationsnystagmus, BA 3 (1965/1966) 537; Heifer Untersuchungen über den Alkoholeinfluß auf die optokinetische Erregbarkeit im Fahrversuch, BA 8 (1971) 385; ders. Alkoholbedingte, akute Störungen der psychophysischen Leistungsverfügbarkeit und ihre verkehrsmedizinische Relevanz, BA 23 (1986) 364; Heppner Verlaufsuntersuchungen über den alkoholbedingten Leistungsabfall in einem Bereich von 0,5-1,15 %o mit einem Fahrsimulator, BA 10 (1973) 166; Kronsbein/Oehmichen/Kömpf Wirkung niedriger Alkoholkonzentrationen auf sakkadische Augenbewegungen Infrarotreflexionstechnik zur Erfassung okulomotorischer Reaktionen bei Betrachtung gefährlicher Verkehrssituationen, BA 31 (1994) 57; Lockemann/Püschel Veränderungen straßenverkehrsrelevanter vestibulärer Reaktionen bei 0,4 Promille und 0,8 Promille Blutalkoholkonzentration, BA 34 (1997) 241; Lewrenz Psychiatrische Aspekte zur Trunkenheit am Steuer, BA 6 (1969) 388; SchmidtlLautenschlägerl WeiselHeidelSannemüllerlStillerl Trübner STOPAL®: Ein weiterer wirkungsloser „Promille-Killer", BA 36 (1999) 73; Schneble Ernüchterungsmittel - nüchtern betrachtet, BA 25 (1988) 18; SchewelSchuster!Englert!LudwiglStertmann Experimentelle Untersuchungen zur Frage der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit von Fahrradund Mofafahrern, BA 17 (1980) 298; SchewelKnösslLudwiglSchaufele!Schuster Experimentelle Untersuchungen zur Frage des Grenzwertes der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit bei Fahrradfahrern, BA 21 (1984) 97; Schwerd Alkohol und Fahrsicherheit Bemerkungen zur Geschichte und Begutachtung, Spendel-Festschrift (1992) S. 583; StaaklSpringer!Schoor Experimentelle Untersuchungen über objektiv meßbare Wirkungen niedriger Blutalkoholkonzentrationen im Doppelblindversuch, BA 9 (1972) 441; Strasser Über die Dynamik der Alkoholwirkung auf eine psychomotorische Trackingleistung in der Resorptions- bzw. Übergangsphase, BA 9 (1972) 112; Wilhelmi! Lindner!Audrlicky Untersuchungen über das Sehen in der Dämmerung nach Alkoholaufnahme, BA 9 (1972) 473. Insbesondere Grenzwerte. Arbab-Zadeh Zur neuen Blutalkoholgrenze, NJW 1967 273; v. Below Der Gefahrengrenzwert 0,8 Promille als subsidiärer Tatbestand und seine Abgrenzung zu den Alkoholdelikten im Straßenverkehr (§§ 316, 315 c StGB), BA 6 (1969) 378; Bialas Promille-Grenzen, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1996, zugl. jur. Diss. Frankfurt 1995); Geppert Reicht das gesetzliche Instrumentarium zur Verbesserung der Verkehrssicherheit aus?, BA 27 (1990) 23; Gerchow 0,8 %o Gefahrengrenzwert aus gerichtsärztlicher Sicht, BA 6 (1969) 399; Grüner/Bilzer Zur Senkung des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit wegen verbesserter Meßqualität bei der forensischen Blutalkoholbestimmung, BA 27 (1990) 175; dies. Vergleichende Betrachtung der Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Zur Frage Alkohol bei Verkehrsstraftaten" (1966) und „Zum Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung" (1989), BA 27 (1990) 222; Grohmann 1,10/1,15 Promille - Folgen für das geltende und das zukünftige Promillerecht, BA 28 (1991) 84; Händel Anwendung und Auswirkungen des 0,8-Promille-Gesetzes, BA 10 (1973) 353; Haffke Zur Problematik der 1,3-Promille-Grenze - BGHSt. 21 157, JuS 1972 448; Haffneri ErathlKardatzki Alkoholtypische Verkehrsunfalle als zusätzliche Beweisanzeichen für relative Fahruntüchtigkeit, NZV 1995 301; Heifer Anmerkung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (§ 24 a StVG), BA 9 (1972) 407; ders. Der Gefahrengrenzwert von 0,8 %o, BA 10 (1973) 1; ders. Zur Praktikabilität des 0,8-Promille-Gesetzes, BA 10 (1973) 192; ders. Alkohol und Straßenverkehr (Kritische Erörterungen aus rechts- und verkehrsmedizinischer Sicht), BA 27 (1990) 50; ders.lBrzezinka Blutalkoholkonzentration von 1,1 g%o - neuer Grenzwert der „absoluten Fahruntüchtigkeit"? NZV 1990 134 = BA 27 (1990) 215; ders.lPluisch Herabsetzung der Promille-Grenze Rechts- und verkehrsmedizinische Überlegungen zu der Frage, ob die Promillegrenze im Straßenverkehr auf 0,5%o heruntergesetzt werden sollte, ZRP 1991 421; Hentrich Die Odyssee eines Gesetzes, BA 10 (1973) 177; HütinglKonzak Das „gestörte Verhältnis" zwischen §§ 315 c, 316 StGB und § 24 a StVG nach der Senkung des Grenzwerts der absoluten Fahrunsicherheit durch den BGH, NZV 1992 136; Janiszewski Zur Frage der Einführung einer 0,5-Promille-Grenze, DAR 1988 253; ders. Auto und Alkohol Neue Erkenntnisse - neue Grenzen?, DAR 1990 415; Krüger Absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,0 Promille - die falsch (239)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

gesetzte Grenze, BA 27 (1990) 182; ders./Schöch Absenkung der Promillegrenze Ein zweifelhafter Beitrag zur Verkehrssicherheit DAR 1993 334; Lackner Trunkenheit am Steuer als Gefährdungstatbestand, BA 1 (1961/1962) 217; ders. Trunkenheit am Steuer als Gefährdungstatbestand, BA 2 (1963/1964) 53; ders. Möglichkeiten zur Vereinheitlichung der strafrechtlichen Ahndung von Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr auf internationaler Ebene, BA 6 (1969) 273; Mayer Zum Beweis der Fahruntüchtigkeit bei Blutalkoholgehalten unter dem Grenzwert, BA 3 (1965/1966) 277; Metier Relative Fahruntüchtigkeit aus medizinischer Sicht, BA 13 (1976) 241; Möhl Beweis der „relativen" Fahruntüchtigkeit, DAR 1971 4; Peters Der Nachweis der „relativen" Fahruntüchtigkeit durch regelwidriges Fahrverhalten, M D R 1991 487; Rüth Rechtsfragen zum 0,8 Promille-Gesetz, DAR 1974 57; Saiger Die Zerstörung des Vertrauens in eine gefestigte Rechtsprechung - 1,1 Promille als neuer Grenzwert der absoluten Fahrantüchtigkeit? NZV 1990 1 = BA 27 (1990) 1 = DRiZ 1990 16; Schneble Nachweis der Fahrunsicherheit infolge Alkohols, BA 20 (1983) 177; ders. Vertane Jahre, BA 30 (1993) 1; Spiegel Zur Eröffnung des 27. Deutschen Verkehrsgerichtstages, BA 26 (1989) 65; Strafe Zur Mitteilung der Blutalkoholbefunde im strafrichterlichen Urteil, BA 15 (1978) 405; ders. Nachweis der Fahrunsicherheit infolge Alkohols, Prozessuale Probleme, BA 20 (1983) 188; Utzelmann Die Entwicklung der Alkoholunfalle unter besonderer Berücksichtigung „alkoholaffiner" Unfalltypen in der Bundesrepublik Deutschland und in den Bundesländern von 1966 bis 1970, BA 11 (1974) 217; v. Weber Trunkenheit am Steuer als Gefährdungstatbestand, BA 1 (1961/1962) 209. Zur Anwendung neuer Grenzwerte auf „Alttaten". Händel Anwendung des Beweisgrenzwerts von 1,3 Promille auf vor dem 9.12.1966 begangene Taten, NJW 1967 537; Haffke Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II G G bei Änderung der Rechtsprechung zum materiellen Recht (jur. Diss. 1970); ders. Promille-Grenze und Rückwirkungsverbot BA 9 (1972) 32; v. Mutius Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen höchstrichterlicher Norminterpretation und Rechtsfortbildung Anmerkungen zum Beschluß des BGH vom 28.6.1990 - 4 StR 297/90, BA 27 (1990) 375; Naucke Rückwirkende Senkung der Promillegrenze und Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG), N J W 1968 2321; Neumann Rückwirkungsverbot bei belastenden Rechtsprechungsänderungen, ZStW 103 (1991) 336; Ranft Herabsetzung des Grenzwerts der „absoluten Fahruntüchtigkeit" und Rückwirkungsverbot - BayObLG, NJW 1990 2833, JuS 1992 468; Tröndle Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungswandel? Eine Betrachtung zu einem Scheinproblem der Strafrechtswissenschaft, Dreher-Festschrift S. 117; Weidemann Unkenntnis geänderter Rechtsprechung als Entschuldigungsgrund?, DAR 1984 310; Werny Übergangsphase bei der Einführung einer 1,1 - Grenze?, NZV 1990 137. Zur Bestimmung der BÄK. Alt/ Wurst/Seidl Ermittlung individueller Verteilungsfaktoren zur Berechnung der Blutalkoholkonzentrationen unter Berücksichtigung von Körpergröße und Körpergewicht, FS (med.) für Schneider (2000) S. 501; Beier Über die „Standardabweichung" im Gutachten 1989 des Bundesgesundheitsamts zur Blutalkoholbestimmung, NZV 1996 343; Brettel Der Korrekturfaktor bei der gaschromatographischen Leichenblutalkoholbestimmung, BA 10 (1973) 120; v. Gerlach Blutalkoholwert und Schuldfähigkeit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, BA 27 (1990) 305; GerchowlHeifer!SchewelSchwerd/Zink Die Berechnung der maximalen Blutalkoholkonzentration und ihr Beweiswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, BA 22 (1985) 77; Greiner Die Streuung der gaschromatographischen Bestimmung des Aethylalkohols im Serum innerhalb des Routineverfahrens, BA 10 (1973) 236; Grüner Zur forensischen Verwertbarkeit der Blutalkoholbefunde (Analysenmittelwerte), BA 14 (1977) 215; ders./Ludwig Zur forensischen Verwertbarkeit der Analysenergebnisse von weniger als fünf (vier) Blutalkoholbestimmungen aus einer Blutprobe, BA 27 (1990) 316; ders. Zur Qualitätssicherung der Blutalkoholbestimmung BA 28 (1991) 360; Haffke Mittelwert der Blutalkoholkonzentration und Grundsatz „in dubio pro reo", NJW 1971 1874; Haffner/Besserer/Stetterl Mann Die Äthanol-Eliminationsgeschwindigkeit bei Alkoholikern unter besonderer Berücksichtigung der Maximalwertvariante der forensischen BAK-Rückrechnung BA 28 (1991) 46; Haffner!BatraiBilzer/Dietz/Gilg/GrawlMann!Meyer/Penners/Soyka Statistische Annäherung an forensische Rückrechnungswerte für Alkoholiker, BA 29 (1992) 53 ff; Heifer Untersuchungen zur Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration nach „normalem Trinkverlauf', BA 13 (1976) 305; ders./Wehner Zur Frage des Ethanol-„Resorptionsdefizits", BA 25 (1988) 299; Jessnitzer Stand: 1. 7. 2000

(240)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Eigene Sachkunde des Richters bei der Rückrechnung, BA 15 (1978) 315; Klug!Schmidt 2-Säulen-Headspace-GC-Analyse, eine neue Variante zur Blutalkoholbestimmung, BA 18 (1981) 237; Köhler/Schleyer Über die Treffsicherheit von Rückrechnungen auf Blutalkohol-Tatzeitwerte, BA 12 (1975) 52; KraulandΊ Schmidt Zum Beweiswert der Blutalkoholbestimmungen, BA-Festschrift S. 91; Machata Über die gaschromatographische Blutalkoholbestimmung, BA 4 (1967) 252; ders. Zur Frage der „Zwei voneinander verschiedenen Verfahren" zur Ermittlung der Blutalkoholkonzentration, BA 20 (1983) 236; Martin Richter und Rückrechnung?, BA 7 (1970) 89; MusshofflDaldrup/ BontelLeitneriNimmerichter! Walter!Lesch Ethanolunabhängige Methanolelimination bei chronischen Alkoholikern, BA 32 (1995) 317; Naeve Untersuchungen unter lebensnahen Bedingungen über den Verlauf von Alkoholkurven in den ersten 90 Minuten nach Trinkende, BA 10 (1973) 366; RüdelURiidell Läßt die höchstrichterliche Rechtsprechung zum neuen Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit (BGH 4 StR 297/90, Beschl. v. 28.6.1990) eine Ungleichbehandlung von alkoholisierten Verkehrsteilnehmern zu?, BA 28 (1991) 252; Sachs/Zink Hat die dritte Dezimalstelle der Einzelwerte Bedeutung für die Berechnung des Mittelwertes der BÄK?, BA 28 (1991) 321; Saiger Zur korrekten Berechnung der TatzeitBlutalkoholkonzentration, DRiZ 1989 174; Schmidt Präzision und Streuung bei der Alkoholbestimmung mittels 2-Säulen-Headspace-GC-Analyse, BA 19 (1982) 122; Schoknecht Beurteilung von Blutalkoholbestimmungen nach dem ADH- und GC-Verfahren, NZV 1996 217; Schröter!SopplBrettel Trinkversuche zur Rückrechnung bei langen Rückrechnungszeiten, BA 32 (1995) 344; StaaklBerghaus Aktuelle Aspekte der Grenzwertdiskussion in der rechtsmedizinischen Alkoholbegutachtung, NJW 1981 2500; Zink Zur Blutalkoholbestimmung mit weniger als fünf Einzelanalysen, BA 23 (1986) 144; ders. /Reinhardt Zur Dauer der Resorptionsphase, BA 12 (1975) 100; dies. Der Verlauf der Blutalkoholkurve bei großen Trinkmengen, BA 21 (1984)422. Zu Nach- und Sturztrunk. Bär Zur Auswertung von Doppelblutentnahmen mit kurzen Entnahmeintervallen, BA 23 (1986) 304; Berghaus/Althoff Erfahrungen und Kritik zum neuen ministeriellen Erlaß über Doppelblutentnahmen in Nordrhein-Westfalen, BA 16 (1979) 375; Bontel StöppelmannlRüdelllSprung Vollautomatischer Nachweis von Begleitstoffen alkoholischer Getränke in Körperflüssigkeiten, BA 18 (1981) 303; BontelRüdelllSprung!BilzerlKühnholz Die Begleitstoffanalyse - eine neue Möglichkeit zur Begutachtung von Nachtrunkbehauptungen, NJW 1982 2109; Bontel RüdelllSprung!Frauenrath!Facius! Reihst Walther Begleitstoffspiegel im Blut nach dem Konsum alkoholischer Getränke, BA 20 (1983) 313; Bonte Begleitstoffe alkoholischer Getränke (1987); ders. Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen mittels Begleitstoffanalyse, Die Polizei 1999 348; Burre Die Nachtrunkbehauptung aus polizeilicher Sicht, Die Polizei 1999 286; Grünerl Ludwig/ Rockenfeller Die Bedeutung der Doppelblutentnahmen für die Beurteilung von Nachtrunkbehauptungen, BA 17 (1980) 26; Haffner Der Wert der Doppelblutentnahme, Die Polizei 1999 291; Heifer Sturztrunk und Alkoholanflutungswirkung, BA 7 (1970) 383; Hoppe/Haffner Doppelblutentnahme und Alkoholanflutungsgeschwindigkeit in der Bewertung von Nachtrunkeinlassungen, NZV 1998 265; IfflandlStaakl Rieger Experimentelle Untersuchungen zur Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen, BA 19 (1982) 235; Ifßand Die Renaissance der Doppelblutprobe Ein kritischer Kommentar zum Gemeinsamen Runderlaß vom 1.7.1995, NZV 1996 129; ders. Nachtrunk und Hamprobe, BA 36 (1999) 99; Machata!Prokop Über Begleitsubstanzen alkoholischer Getränke im Blut, BA 8 (1971) 349; Meininger Nachtrunk und Rechtsprechung, Die Polizei 1999 346; Schleyer! Wichmann Über die Beziehungen zwischen dem Intervall vom angeblichen Alkoholkonsumende bis zur Blutentnahme und dem Ausmaß der stündlichen Blutalkoholsenkung, BA 1 (1961/1962) 234; SchöllkopßJainz Zum Beweiswert von Doppelblutentnahmen in der forensischen Praxis, BA 10 (1973) 397; Schütz/ Weiler/Erdmann Erfahrungen mit Begleitstoffanalysen bei Getränken (Nachtrunk) ohne Begleitstoffe, BA 29 (1992) 336; Sprung!Frauenrath/RüdelllBonte Einfluß der Begleitstoffe alkoholischer Getränke auf den Verlauf der Blutalkoholkonzentration, BA 18 (1981) 311; Zink!Reinhardt Der Beweiswert von Doppelblutentnahmen Empfehlungen zur Neufassung der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift, BA 18 (1981) 377. Atemalkoholanalyse. Bundesgesundheitsamt Gutachten „Prüfung der Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse" (1991), bearbeitet von Schoknecht, unter Mitarbeit von Fleck und Kophamel-Röder (zitiert: BGA-Gutachten 1991; Seitenzahlen nach dem Original). (241)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Aderjan/Schmitt/ Wu Klebstoff-Lösemittel als Ursache eines „Atemalkohol-Wertes" von „1,96 Promille", BA 29 (1992) 360; Alck Die forensische Anerkennung von Atemtestgeräten?, BA 25 (1988) 396; Alkoholkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin Empfehlungen zur Rückrechnung von Atemalkoholkonzentrationen, BA 36 (1999) 177; Arbab-Zadeh Ist die zwangsläufige Blutentnahme nach Trunkenheitsdelikten noch verfassungskonform?, NJW 1984 2615; BilzerlGrüner Erfahrungen mit elektronisch arbeitenden Atemalkoholmeßgeräten im Bereich der forensischen Begutachtung, BA 30 (1993) 225; BilzerlSchewelBlauertl Kirschall Experimentelle Untersuchungen mit dem Evidential 7110 M K II von Dräger im standardisierten Trinkversuch bei gleichzeitiger Gabe von Fructose und Ascorbinsäure, BA 34 (1997) 89; Bilzer/Hatz Vergleichende Untersuchungen zwischen der Blutalkoholkonzentration, der Speichel- und Atemalkoholkonzentration zur Frage der Einführung einer „Beweissicheren Atemalkoholanalyse" BA 35 (1998) 321; Bode Rechtliche Probleme der Atemalkohol-Nachweisverfahren, BA 36 (1999) 249; Brackemeyer/Schoknecht Ergebnisse einer Erprobung der beweissicheren Atemalkoholanalyse im polizeilichen Einsatz, Die Polizei 1997 345; Brackemeyer Die beweissichere Atemalkoholanalyse aus polizeitechnischer Sicht, BA 36 (1999) Supplement 1 S. 26; Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin Denkschrift zur Frage der Einführung einer „Beweissicheren Atemalkoholprobe", BA 28 (1992) 108; Fous/Wermuth Praxistest zum Vergleich von Blut- und Atemalkohol, ZVR 1987 150; Geppert Zur Einführung verdachtsfreier Atemalkoholkontrollen aus rechtlicher Sicht, Spendel-Festschrift S. 655; ders. Verdachtsfreie Atemalkoholkon trollen? Entschließungen des 30. Deutschen Verkehrsgerichtstages (29. bis 31. Januar 1992 in Goslar), BA 29 (1992) 289; GilglEisenmenger Zur Beweissicherheit und forensischen Akzeptanz von Atemalkoholanalysen mit neuen, „beweissicheren" Geräten, DAR 1997 1; Gilg Trinkversuche mit beweissicheren Atemalkoholmeßgeräten, BA 36 (1999) Supplement 1 S. 30; Grüner Die Atemalkoholprobe: Grundlagen und Beweiswert (1985); dersJBilzer Untersuchungen zur Beeinflußbarkeit der Alcomat-Atemalkoholmessungen durch verschiedene Stoffe des täglichen Gebrauchs (Mundwässer, Parfüms, Rasierwässer etc.) BA 27 (1990) 119; dies. Zum gegenwärtigen Stand der forensischen Atemalkoholanalyse, BA 29 (1992) 98; dies. Zur Parallelität von BÄK- und AAK-Grenzwerten und zu den Folgen einer „Zweigleisigkeit" bei der forensischen Begutachtung, BA 29 (1992) 161; Heifer Atemalkoholkonzentration/Blutalkoholkonzentration: Utopie eines forensisch brauchbaren Beweismittels, BA 23 (1986) 229; ders.l Loos/Klaes/Schyma Zeitlicher Verlauf der Atem- und Blutalkoholkonzentration bei Störungen 'der Lungenfunktion, BA 32 (1995) 218; ders. Atemalkoholanalyse - Erfahrungen, Probleme, Erwartungen, BA 37 (2000) 103; Hilse Atemanalyse zur Feststellung der Alkoholfahrt, 30. VGT 1992 S. 306; Höfle Atemanalyse zur Feststellung der Alkoholfahrt, 30. VGT 1992 S. 314; I f f land/Bilzer Zweifel an dem beweissicheren Atemalkoholnachweisverfahren mit dem „Alcotest 7110 Evidential", DAR 1999 1; IfßandlEisenmengerlBilzer Bedenken .gegen die Verwertbarkeit des Atemalkoholspiegels in der forensischen Praxis, N J W 1999 1379; Ifßand Anforderungen an eine sichere Atemalkoholanalyse aus naturwissenschaftlicher Sicht, BA 36 (1999) Supplement 1 S. 15; ders./Hentschel Sind nach dem Stand der Forschung Atemalkoholmessungen gerichtsverwertbar?, NZV 1999 489; ders.l Eisenmengerl Bilzer Gerichtsverwertbarkeit von Atemalkoholmessungen, DAR 2000 9; Karl Atemalkoholanalyse, Erfahrungen - Probleme - Erwartungen (aus polizeilicher Sicht), NZV 2000 152; KnopjISlemeyerIKlüß Bestimmung der Atemalkoholkonzentration nach D I N VDE 0405, NZV 2000 195; KöhlerlBanaschaklBrinkmann Α AK-B AK-Vergleichsuntersuchung mit dem „beweissicheren" Alco testgerät 7110 Evidential, BA 34 (1997) 36; Lagois Dräger Alcotest 7110 Evidential - das Meßgerät zur gerichtsverwertbaren Atemalkoholanalyse in Deutschland, BA 37 (2000) 77; Löhle Zur Physik der Meßtechnik des Dräger Alcotest 7110 M K III Evidential, NZV 2000 189; Mengersen Blutalkoholkonzentration und Atemalkoholkonzentration aus der Sicht des gesetzlichen Meßwesens, Die Polizei 1997 352; SchoknechtlKophamel Das Temperaturproblem bei der Atemalkoholanalyse, BA 25 (1988) 345; Schoknechtl Fleck! Kophamel Die Zuverlässigkeit von Atemalkoholmeßgeräten, BA 26 (1989) 71; SchoknechtlKophamel!Barduhn Temperaturmessung bei der Atemalkoholanalyse, BA 26 (1989) 137; SchoknechtlFleck!Kophamel Einfluß des Atemvolumens auf die Atemalkoholanalyse, BA 27 (1990) 83; Schoknecht Praxiserprobung der Atemalkoholanalyse, BA 27 (1990) 145; SchoknechtlKophamel-RöderlFleck Vorschlag zur Realisierung einer beweissicheren Atemalkoholmessung, BA 28 (1991) 210; SchoknechtlHahlbrauck

Stand: 1. 7. 2000

(242)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Erkennung von Fremdgasen bei der Atemalkoholanalyse, BA 29 (1992) 193; Schoknecht „Atemanalyse zur Feststellung von Alkoholfahrten" Grundlagen und Grenzwerte der beweissicheren Atemalkoholmessung, 30. VGT 1992 S. 331; ders. Vergleichsmessungen mit Atemalkoholmeßgeräten, BA 29 (1992) 353; Schoknecht!Barduhn Atemalkohol-Meßgeräte: Grundlagen der Kalibrierung, BA 32 (1995) 74; dies. Messungen mit Prüfgasen zur Kalibrierung von Atemalkohol-Meßgeräten, BA 36 (1999) 159; Schoknecht Die Atemalkoholanalyse als beweissicheres Verfahren, BA 36 (1999) Supplement 1 S. 3; StaakiBerghaus Systematischer Vergleich der Verfahren zur Blut- und Atemalkoholanalyse, BA 23 (1986) 418; TsokoslBilzer Zum Einfluß von Hypersalivation auf die Atemalkoholkonzentration, BA 34 (1997) 405; UrbanI WölflEidam/Kleemann/Schroeder/Tröger Das Atemalkoholtestgerät „ALCOMAT" im kontrollierten Trinkversuch, BA 28 (1991) 304, 306 ff; WilskelEisenmengerlLiebhardt Atemalkohol gegenüber Blutalkohol: Problem mit Ausreißern, BA 28 (1991) 224; WilskelEisenmenger Die Atemalkoholprobe: Möglichkeiten und Grenzen, DAR 1992 41; Wilske Die „beweissichere Atemalkoholprobe" - Wie beweissicher ist sie?, DAR 2000 16. Zum klinischen Befund. Ducho Zur statistischen Auswertung von Trunkenheitsbefunden, BA 4 (1967) 128; Heifer Der grobschlägige Drehnachnystagmus als Zeichen der Alkoholwirkung, BA 1 (1961/1962) 257; ders. Untersuchungen über die Wertigkeit von Alkoholwirkungs-Merkmalen, BA 2 (1963/1964) 244; KloselDarschin Ärztliche Berichte über Personen mit hohen Blutalkoholwerten, BA 10 (1973) 410; KraulandlRoselFreudenberg Blutalkoholkonzentration und ärztliche Diagnose, BA 2 (1963/1964) 514; Legat Alkoholbeeinflußte Verkehrsteilnahme im Bereich bayerischer Untermain, BA 22 (1985) 272; PenttilälTenhulLehti/Kataja Die klinischen Befunde der Trunkenheitsuntersuchung bei Personen mit Blutalkohol 0,00-0,15 %>, BA 8 (1971) 99; Penttilä/KatajalTenhu Examination Model for Suspected Drunken Drivers, BA 12 (1975) 24; Rasch Wert und Verwertbarkeit der sogenannten klinischen Trunkenheitsuntersuchung, BA 6 (1969) 129; Seidl! Müllerl Reinhardt Untersuchungen der Gleichgewichtsregulation bei akuter Alkoholintoxikation mit der Methode der Cranio-Corpo-Graphie, BA 31 (1994) 186; Taschen Nystagmusprobe zur Feststellung der Alkoholbeeinflussung, Kriminalistik 1954 180.

Andere berauschende Mittel (illegale Drogen, Medikamente) Ubergreifende Darstellungen. Geschwinde Rauschdrogen, Marktformen und Wirkungsweisen (4. Aufl. 1998); Harbort Rauschmitteleinnahme und Fahrsicherheit, Indikatoren - Analysen Maßnahmen (1996); Iten Fahren unter Drogen- und Medikamenteneinfluß Forensische Interpretation und Begutachtung (1995); Möller Drogenerkennung im Straßenverkehr, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 96 (1998). Einzelne Aspekte. Aderjan Zur forensisch-toxikologischen Bewertung der Morphinkonzentratration im Blut von Heroinkonsumenten, Saiger-Festschrift (1995), S. 583; ders.lHerbold Qualitätskontrolle für quantitative Analysen von Betäubungsmitteln im Blut, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft Μ 87 (1998); Amelung Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs, 31. VGT 1993 S. 40; Berghaus Cannabis und Fahrtüchtigkeit - Relationen zwischen Blutalkohol und Tetrahydrocannabinol (THC)-Konzentrationen auf der Basis einer Metaanalyse experimenteller Studien, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für das Straßenwesen Heft Μ 41 (1995) S. 44; BerghauslKrüger (Hrsg.) Cannabis im Straßenverkehr (1998); Bönke Die neue Bußgeldvorschrift gegen Drogen im Straßenverkehr, NZV 1998 393; Bogusz/FrüchtnichtlMaier Heroinmetaboliten im Blut von Verkehrsdelinquenten und anderen Straftätern, BA 36 (1999) 276; BonnichsenIMaehlyIAqvist Arzneimittel und Fahrtüchtigkeit, BA 6 (1969) 165; Bratzke Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs - Nachweis und Wirkungen - Tatsächliche Verbreitung und Verdachtsbild - Straf- und verwaltungsrechtliche Reaktion - , 3 1 . VGT 1993 S. 47; Brauchlei WeinmannlPollak Drogen- und Medikamentenbeeinflussung von Verkehrsteilnehmern im Raum Südbaden am Beispiel des Jahres 1995 in Südbaden, BA 34 (1997) 385; Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr Drogen, Gefahr für die Verkehrssicherheit Leitsätze für die Verkehrssicherheitsarbeit, BA 31 (1994) 379; Burmann „Andere berauschende Mittel" im Verkehrsstrafrecht, 25. VGT 1987 S. 50; Daldrup!Reudenbach!Kimm Cannabis und Alkohol im Straßenverkehr, BA 24 (1987) 144; Daldrup Cannabis im Straßenverkehr [Abschlußbericht im Auftrage des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Techno(243)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

logie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen] 1996; ders. „Drogen im Straßenverkehr" Schwerpunktthema Heroin [Abschlußbericht im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen] 1998; Friedel Arzneimittel und Verkehrssicherheit, 37. VGT 1999 S. 96; Gebert Methadon und Fahrtauglichkeit Strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Aspekte, MedR 1994 483; Gerchow „Andere berauschende Mittel" im Verkehrsstrafrecht, BA 24 (1987) 233; GeywitzIGrawl Mallach Epidemiologische Untersuchungen über den Einfluß von Alkohol und Arzneimitteln auf die psychophysische Leistungsfähigkeit, BA 28 (1991) 192; Granitza Polizeiliche Praxis der Erkennung drogenbeeinflußter Fahrer, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 41 (1995), S. 52; Grohmann „Andere berauschende Mittel" im Verkehrsstrafrecht, 25. VGT 1987 S. 64; Harbort Indikatoren für rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit, NZV 1996 219; ders. Fahrunsicherheit nach Einnahme von Benzodiazepinen, NZV 1997 209; ders. Zum Verkehrsgefährdungs-Profil der Amphetaminderivate („Ecstasy"), NZV 1998 15; HeiniSchulz Drogenevaluations- und -klassifizierungsprogramm in den USA - auch ein Modell für Deutschland, BA 29 (1992) 225; Helmerl WunderIZellmannIHaesen Experimentelle Untersuchungen zur Fahrtüchtigkeit nach Einnahme von Haschisch, BA 9 (1972) 213; Hentschel Neuerungen bei Alkohol und Rauschmitteln im Straßenverkehr, NJW 1998 2385; Janiszewski Andere berauschende Mittel, BA 24 (1987) 243; Joö Nachweis von Drogen und Medikamenten bei verkehrsauffälligen Kraftfahrern, BA 32 (1995) 84; KannheiserlMaukisch Die verkehrsbezogene Gefährlichkeit von Cannabis und Konsequenzen für die Fahreignungsdiagnostik, NZV 1995 417; Kannheiser Mögliche verkehrsrelevante Auswirkungen von gewohnheitsmäßigem Cannabiskonsum, NZV 2000 57; KauertlEisenmengerh. Meyer/Drasch THC-Blutspiegel und Fahrtüchtigkeit, Zentralblatt Rechtsmedizin 1992 38; Kauert Drogennachweis im Rahmen der Verkehrsmedizinischen Begutachtung, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 41 (1995), S. 56; ders. Toxikologisch-medizinische Aspekte des Medikamenteneinflusses auf die Fahrtüchtigkeit, DAR 1996 447; Kemper Psychopharmaka im Straßenverkehr, DAR 1986 391; Kreuzer Straßenverkehrsdelinquenz im Zusammenhang mit Drogenmißbrauch, BA 11 (1974) 329; ders. Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs, NStZ 1993 209; ders. Verfassungs-, straf- und verwaltungsrechtliche Behandlung des Drogenfahrens Einigkeiten und Diskrepanzen, NZV 1999 353; Krüger Medikamente im Straßenverkehr. Epidemiologische Ergebnisse zu Auftreten und Risiken, in: KrügerlKohnenlSchöch [Hrsg.] Medikamente im Straßenverkehr (1995) S. 3; ders. Auftreten und Risiken von Cannabis im Straßenverkehr, Eine epidemiologische Studie, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 41 (1995), S. 25; ders. Kombinationswirkung von Medikamenten und Alkohol, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 64 1996; ders. ISchulz!Magerl Medikamenten- und Drogennachweis bei verkehrsunauffälligen Fahrern Roadside Survey, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 60 (1996); Lakemeyer Opiathaltige Schmerzmittel und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 86 (1998); Ludovisy Arzneimittel und Verkehrssicherheit, 37. VGT 1999 S. 110; Maatz Rechtliche Anforderungen an medizinische Befunde zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit bei Fahrten unter Drogeneinfluß - Zur Diskussion um die Etablierung von Grenzwerten „absoluter Fahruntüchtigkeit", BA 32 (1995) 97; ders. Arzneimittel und Verkehrssicherheit - Strafund zivilrechtliche Aspekte, BA 36 (1999) 145; ders./Mille Drogen und Sicherheit des Straßenverkehrs, DRiZ 1993 15; Meininger Zur Fahruntüchtigkeit nach vorausgegangenem Cannabiskonsum, Saiger-Festschrift (1995) S. 535; MischkowitzlMöller!Härtung Gefahrdungen durch Drogen Blutprobenuntersuchungen zur Prävalenz und Wirkung von Drogen- und Medikamentenbeeinflussung im Straßenverkehr und bei Kriminaldelikten, BKA-Forschungsreihe Bd. 37 (1996); dies. Rauschgift und Kriminalität, Kriminalistik 1998 628; Möller Drogenkonsum und Drogennachweis bei Verkehrsteilnehmern, DAR 1993 7; ders. IHärtung/Wilske Prävalenz von Drogen und Medikamenten bei verkehrsauffälligen Kraftfahrern, BA 36 (1999) 25; Moser Die Untersuchung kraftfahrwesentlicher Leistungsminderungen durch Arzneimittel, BA 11 (1974) 285; Münzhuber Cannabis und Fahrtüchtigkeit Eine Meta-Analyse der Weltliteratur zur Epidemiologie und Experimentalforschung (med. Diss. München 1995); Nehm Abkehr von der Suche nach Drogengrenzwerten, DAR 1993 375; Pluisch Medikamente im Straßenverkehr, NZV 1999 1; PriemerlGappmaierlRubylSachsITutsch-BauerIPeschellEisenmenger Pupillenverhalten unter Stand: 1. 7. 2000

(244)

Trunkenheit im Verkehr

§316

akutem THC-Einfluß, BA 36 (1999) 84; Quensel Drogen im Straßenverkehr: Eine Anhörung oder: Empirische Argumente in der Kriminalpolitik, MschrKrim. 1997 333; Riemenschneiderl Paetzold Absolutes Drogenverbot im Straßenverkehr - Zur Reform des § 24 a StVG, DAR 1997 60; ROSITA (Roadside Testing Asessment) Erstes Internationales Symposion (Beiträge verschiedener Autoren aus dem In- und Ausland), BA 37 (2000) Supplement 1; Saiger Einnahme von Psychopharmaka - ihr Einfluß auf die Fahrtüchtigkeit und Schuldfähigkeit, DAR 1986 383; ders.lMaatz Zur Fahruntüchtigkeit infolge der Einnahme von Rauschdrogen, NZV 1993 329; ders. Drogeneinnahme und Fahrtüchtigkeit, DAR 1994 433; Schmidt!ScheerlBerghaus Cannabiskonsum und Fahruntüchtigkeit Simulator- und reale Fahrversuche zur Ermittlung der Fahrtüchtigkeit unter Cannabiseinfluß - eine Literaturübersicht, Kriminalistik 1995 241; Schöch Straßenverkehrsgefährdung durch Arzneimittel, Miyazawa-Festschrift (1995), S. 227; ders. Rauschmitteläquivalenz von Alkohol und Medikamenten im Straßenverkehr, in: KrügerlKohnen/Schöch [Hrsg.] Medikamente im Straßenverkehr (1995) S. 201; ders. Medikamente im Straßenverkehr, DAR 19% 452; L. H. Schreiber Der Beschluß des BGH zur Frage der Fahruntüchtigkeit unter dem Einfluß von Drogenstoffen, NJW 1999 1770; Schulzl VollrathlKlimeschl Szegedi Fahruntüchtigkeit durch Cannabis, Amphetamine und Cocain, Literaturanalyse, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft Μ 81 (1997); SchützlWeiler Zur Problematik der Festlegung von Grenzwerten für „folgenlose Fahrten" im Straßenverkehr unter Einfluß von zentral wirksamen Mitteln aus pharmakokinetischer und pharmakodynamischer Sicht, BA 30 (1993) 137; Stein Offensichtliche und versteckte Probleme im neuen § 24 a II StVG („Drogen im Straßenverkehr"), NZV 1999 441; Staak Möglichkeiten der Entsprechung rechtlicher Anforderungen aus der Sicht der Medizin, in: Drogen und Verkehrssicherheit, Berichte der Bundesanstalt für das Straßenwesen Heft Μ 41 (1995) S. 18; Trunk Fahrunsicherheit nach Haschischkonsum, NZV 1991 258; Lichtenhagen Arten, Funktionen und Wirkungen der Drogen (Psychopharmakologie und Toxikologie), in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts [Hrsg. Kreuzer] § 1 S. 1; Ulbricht Rauschmittel im Straßenverkehr. Eine Untersuchung über Medikamente als Rauschmittel im Sinne der § 315 c, 316 StGB (1990; zugl. jur. Diss. Marburg 1989); Ulrich Benzodiazepine in Blutproben alkoholisierter Verkehrsteilnehmer, BA 31 (1994) 165; WeilerlSchütz Rechtsmedizinische Fragen und Nachweisverfahren, Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts (1998) [Hrsg. Kreuzer] § 8 S. 523. Zu Vorsatz und Fahrlässigkeit. Eisenmenger Anmerkungen aus rechtsmedizinischer Sicht zu Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten, Saiger-Festschrift (1995) S. 619; Harbort Zur Annahme von Vorsatz bei drogenbedingter Fahrunsicherheit, NZV 1996 432; Haubrich Zum Nachweis der vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt, DAR 1982 285; Hentschel Die Feststellung von Vorsatz in bezug auf Fahrunsicherheit bei den Vergehen der §§316 und 315 c Abs. I Nr. 1 a StGB durch den Tatrichter, DAR 1993 449; Janker Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsund Drogenfahrt - versicherungsrechtliche Aspekte 33. VGT 1995 S. 103; J. Krüger Zur Frage des Vorsatzes bei Trunkenheitsdelikten, DAR 1984 47; Lackner Alkoholdelikt und Vorsatz, k + ν 1969 397; Liebhardt/Spann Die subjektiv empfundene Reizschwelle nach Alkoholgenuß, BA 4 (1967) 174; Nehm Kein Vorsatz bei Trunkenheitsfahrten?, Saiger-Festschrift (1995) S. 115; Saiger Zum Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt, DRiZ 1993 311; Schmid Zum Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt, BA 36 (1999) 262; Schneble Verschulden bei Trunkenheitsdelikten aus juristischer Sicht, BA 21 (1984) 281; Schulzl Hein Rechtsmedizinische Überlegungen zu Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Verkehrsdelikten im Zusammenhang mit psychoaktiven Substanzen, in: KrügerlKohnenlSchöch [Hrsg.] Medikamente im Straßenverkehr S. 189; Schulz Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Trunkenheits- und Drogenfahrt - Rechtsmedizinische Kriterien - , 33. VGT 1995 S. 90; SeidllSchellerlReinhardt Die Selbsteinschätzung der Höhe der BÄK bei akuter Alkoholisierung, BA 33 (1996) 23; Teige!Niermeyer Zur Frage der kritischen Selbstprüfung alkoholisierter Verkehrsteilnehmer, BA 13 (1976) 415; Teyssen Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Trunkenheitsfahrten mit höheren Promillewerten aus der Sicht des Strafrechtlers, BA 21 (1984) 175; Tolksdorf Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Trunkenheits- und Drogenfahrt - Rechtsprechung und Wirklichkeit - , 33. VGT 1995 S. 79; ZinklReinhardt!Schreiber Vorsatz und Fahrlässigkeit im Verkehr - medizinische und juristische Aspekte, BA 20 (1983) 503. Ergänzend wird auf die Schrifttumsnachweise namentlich zu §§ 315, 315 a und 315 c verwiesen. Weitere Nachweise zum älteren Schrifttum bei Rüth LK 10 zu § 316. (245)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Entstehungsgeschichte Der Straftatbestand gegen das Fahrzeugführen in rauschmittelbedingter Fahrunsicherheit ist mit dem Zweiten Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 21. November 1964 (BGBl. I S. 921) eingeführt worden. Zuvor konnte die Teilnahme am Straßenverkehr im Zustand der Fahrunsicherheit aufgrund eines geistigen oder körperlichen Mangels nur als Übertretung (§§ 2, 71 StVZO bzw. § 2 StVZO, § 21 StVG) geahndet werden. Mit Ausnahme der allgemeinen Umstellung der Strafdrohungen durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) ist § 316 seither unverändert geblieben. I. Die Ursprünge des in § 316 normierten Vergehens der folgenlosen „Trunkenheitsfahrt" reichen allerdings weiter zurück (eingehend Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 23 ff). Bereits im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum (1.) StraßenVSichG aus dem Jahre 1952 (s. Entstehungsgeschichte III zu § 315) hatte der BR eine Ergänzung des StGB um einen Tatbestand (§ 139 c StGB-E) vorgeschlagen, mit dem pönalisiert werden sollte, wer „auf öffentlichen Straßen ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel in der sicheren Führung des Fahrzeuges behindert ist" (BTDrucks. [I/] 2674 S. 22). Dem Vorschlag war durch die BReg. zugestimmt worden, wobei diese ergänzend empfahl, die öffentliche Bekanntmachung einer einschlägigen Verurteilung zu ermöglichen (BTDrucks. [I/] 2674 S. 25). Der Bundestagsausschuß für Verkehrswesen machte sich die Empfehlung des BR und der BReg. zu eigen; dem Vorschlag zur öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung folgte er im Hinblick auf die mit einer Bekanntmachung verbundene „Diskriminierung gewisser Verkehrsteilnehmer" allerdings nicht (BTDrucks. [If] 3774 S. 4 f). § 139 c StGB-E fand jedoch im BT nicht die erforderliche Mehrheit und ist deshalb nicht Gesetz geworden. II. § 346 Ε 1960 und § 345 Ε 1962 griffen das Anliegen erneut auf, freilich mit gravierenden Abweichungen im Detail. § 346 Ε 1960 enthielt in Übereinstimmung mit dem heute geltenden Recht einen alle Fahrzeug- und Verkehrsarten umfassenden Tatbestand, der generell auf die Fahrunsicherheit abstellte. Dieser Vorschlag wurde in den später der Diskontinuität verfallenen Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs aus der 3. Wahlperiode des BT übernommen (§316 i. d. F. der Regierungsvorlage BTDrucks. III/2368). Demgegenüber beschritt § 345 Ε 1962 neue Wege, indem er - im Ansatz in Einklang mit dem im Jahre 1973 Gesetz gewordenen § 24 a StVG1 - die Strafbarkeit an einen Blutalkoholgehalt von mindestens 0,8 %o zur Tatzeit koppelte und den Anwendungsbereich auf das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr beschränkte. Zur Begründung verwies der Ε 1962 darauf, daß die naturwissenschaftlichen Erfahrungen über die Bedeutung des Alkohols für die Fahrtüchtigkeit vornehmlich an Kraftfahrern gewonnen worden seien. Für andere Verkehrsteilnehmer und auch für den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr lägen hingegen nur spärliche naturwissenschaftliche Untersuchungen vor. Zudem seien in den anderen Verkehrsarten aufgrund der dort überall geltenden, außerordentlich strengen Dienstvorschriften und der wirksamen dienstlichen Überwachung Trunkenheitsdelikte höchst selten. Der Nachweis der Fahruntüchtigkeit könne in diesem Bereich, in dem anders als bei den Straßenverkehrsdelikten Trunkenheitsfalle nicht massenhaft aufträten, leichter geführt werden (E 1962, BTDrucks. IV/650 S. 532). Nach sämtlichen Vorschlägen sollte ferner die Versuchsstrafbarkeit vorgesehen werden. 1

Zur Entstehungsgeschichte des § 24 a StVG Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 404.

Stand: 1.7. 2000

(246)

Trunkenheit im Verkehr

§316

III. Der in der 4. Wahlperiode durch die BReg. erneut eingebrachte, mit dem Vorentwurf im wesentlichen inhaltsgleiche Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs sah bezüglich der folgenlosen „Trunkenheitsfahrt" von einer konkreten Empfehlung ab. Die Zeit für die Einführung eines Tatbestands, mit dem unter Verzicht auf das Erfordernis der konkreten Verkehrsgefahr bereits das Führen von Fahrzeugen unter Einfluß von Rauschmitteln unter Strafe gestellt werde, sei noch nicht reif. Zuvor müsse noch die Fertigstellung eines durch den Bundesminister der Justiz beim Bundesgesundheitsamt in Auftrag gegebenen umfassenden Gutachtens zur Bedeutung des Alkohols im Straßenverkehr abgewartet werden; derzeit liege davon aber erst ein Teilgutachten vor (BTDrucks. IV/651 S. 4 Fn. 2; S. 9 f)· Im Hintergrund hat u.U. die Befürchtung gestanden, an dieser in besonderem Maße mit Emotionen behafteten Frage könne das gesamte, als dringlich empfundene Vorhaben der Verbesserung des Verkehrsstrafrechts nochmals scheitern.2 IV. Die Auffassung, daß noch bis zur Vorlage des Gesamtgutachtens des Bundesgesundheitsamts zugewartet werden müsse, hat bei den Erörterungen im BT der mitberatende Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen geteilt. Hingegen glaubte der federführende Rechtsausschuß, „angesichts der ungeheuren Zahl von Trunkenheitsdelikten" „eine weitere Zurückstellung der Umwandlung des Alkohol-Übertretungs-Tatbestandes in ein Vergehen nicht verantworten zu können"; lediglich die gesetzliche Festlegung einer bestimmten Promillegrenze sei noch nicht entscheidungsreif (BTDrucks. IV/2161 S. 5). Ausdrücklich hat der Ausschuß dabei von der Empfehlung abgesehen, den Versuch des Fahrzeugführens im Zustand der Fahrunsicherheit für strafbar zu erklären (BTDrucks. IV/2161 aaO). Die Empfehlungen des Rechtsausschusses haben sich letztlich durchgesetzt. Die durch den Rechtsausschuß abgelehnte und im Gesetzesbeschluß des BT zum 2. StraßenVSichG dann auch nicht enthaltene Aufnahme des § 316 in den Katalog der Regeltatbestände für die Entziehung der Fahrerlaubnis beruht allerdings auf einem Vorschlag des durch den BR angerufenen Vermittlungsausschusses; nach dem durch den BT im Gesetzesbeschluß eingenommenen Standpunkt sollte insoweit regelmäßig nur ein Fahrverbot angeordnet werden (hierzu Lackner JZ 1965 120, 121). Übersicht Rdn. I. II. III. IV.

Bedeutung der Vorschrift Deliktsaufbau und -Charakter . . . Schutzgut Im Verkehr 1. Straßenverkehr 2. Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr . V. Führen eines Fahrzeugs 1. Fahrzeugbegriff 2. Führen (durch Unterlassen) . . . VI. Im Zustand der Fahrunsicherheit . . 1. Begriff der Fahrunsicherheit 2. Gerade aufgrund von Rauschmittelkonsum 3 „Genuß" = Einnahme 4. Alkoholbedingte Fahrunsicherheit a) Reformdiskussion

2

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Zu den Problemen des Gesetzgebungsverfahrens eingehend Lackner JZ 1965 92, 93 f.

(247)

Peter König

Rdn. b) Beeinträchtigungen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol . . . c) Die Blutalkoholkonzentration (BÄK) aa) BAK-Bestimmung anhand einer Blutprobe (1) Fünf bzw. vier Einzelanalysen (a) Mehr als vier/fünf Einzelanalysen . . (b) Verfehlen der Mindestzahl, Sonstiges (2) Zwei Untersuchungsmethoden

16 17 18 19 20

21 22

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten Rdn.

d)

e) f) g)

(3) Mittelwert (a) Zulässige Variationsbreite (b) Standardabweichung . . . . (c) Mitteilungspflichten des Instituts . (d) Mitteilung im Urteil (4) Rückrechnung . . . . (a) Ausschluß der „Hochrechnung" . (b) Keine „Hochrechnung" während der Resorption . . (c) Abbauwert (Rückrechnungswert) . . (d) Richterliche Rückrechnung (e) Lange Rückrechnungszeiten bb) BAK-Bestimmung anhand der Trinkmenge (1) „Theoretische" BÄK (2) Resorptionsdefizit . . (3) Abbauwert (a) Höherer Abbauwert bei Alkoholikern . (b) Kein Abweichen ansonsten (4) Darlegung im Urteil . Die Alkoholbestimmung in der Atemluft aa) Freiwilligkeit bb) Alcotestprüfröhrchen . . cc) Vortestgeräte dd) Atemalkoholmeßgeräte . (1) Infrarotgeräte . . . . (2) Beweissichere Atemalkoholanalyse . . . . (a) Beweissichere Geräte (b) Verfahrensvorkehrungen . . (c) Kritik der Rechtsmedizin (d) Beschränkung auf Bußgeldverfahren (e) Stand der Rechtsprechung . . . . (f) Lage im Strafverfahren Bestimmung des Alkoholgehalts im Harn Alkoholgehalt im Speichel . . Die „absolute Fahrunsicherheit" aa) Der „absolute" Beweisgrenzwert (1) Grenzwert von 1,5/1,3 %o (1953 bis 1966)

23 24 25 26 27 28 29

30 32 34 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

61

Stand: 1. 7. 2000

Rdn. (2) Grenzwert von 1,3 %o ( 1 9 6 6 bis 1 9 9 0 ) . . . . 62 (3) Grenzwert von 1,1 %o (seit 1990) 63 (4) Anwendung auf „Alttaten" 64 bb) Grenzwerte für die verschiedenen Fahrzeug- und Verkehrsarten 66 (1) Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr . . . . 67 (a) Kraftwagen . . . . 69 (b) Krafträder . . . . 70 (2) Radfahrer 71 (3) Andere Fahrzeuge im Straßenverkehr . . . . 72 (4) Bahnverkehr 73 (5) Schiffsverkehr . . . . 74 (6) Luftverkehr 75 cc) Strikte Geltung der Grenzwerte 76 (1) Kein Gegenbeweis bei erreichtem Grenzwert 77 (2) Keine Einzelfallkorrektur bei nicht erreichtem Grenzwert 78 (3) Keine Aufrundung bei nicht erreichtem Grenzwert 79 dd) Grenzwert zur Tatzeit . . 80 (1) Hinreichende Alkoholmenge im Körper 81 (a) Schluß-Sturztrunk 82 (b) „Vorausrechnung" 83 (2) Nachtrunk 84 (a) Doppelblutentnahme 85 (b) Begleitstoffanalyse 86 (c) Harnanalyse . . . 87 (d) Berechnung . . . . 88 ee) Ordnungsgemäß festgestellte BÄK 89 h) Die „relative Fahrunsicherheit" 90 aa) Alkoholisierungsgrad 91 (1) Beweisanzeichen BÄK 92 (a) Richtwert 0,3 % . 93 (b) Höhe der BÄK . . 94 (2) Beweisanzeichen Atemalkoholkonzentration 95 (3) Keine zuverlässig festgestellte Alkoholkonzentration 96 bb) Ausfallerscheinung (Leistungsverhalten) . . . 97 (1) Beweisanzeichen Fahrverhalten 98 (a) Bezugspunkt: dieser Fahrer 99 (b) Aussagekraft des Alkoholspiegels 100 (248)

Trunkenheit im Verkehr Rdn.

(2)

cc) (1) (2)

(c) Typizität der Fehlleistung (aa) Fehlleistungen mit hoher Aussagekraft . . . . (bb) „ Jedermannsfehler" (cc) Weitere Parameter (d) Kasuistik (e) Speziell: Geschwindigkeitsüberschreitung . . . . (aa) Eintritt einer Gefahrenlage . . (bb) Sonstige Indizien (cc) Darlegung im Urteil, „Motiverforschung" . . (f) Speziell: Fluchtfahrt . (aa) Stand der Rechtsprechung (bb) Kritik (g) Speziell: Auffälliges Langsamfahren . . . Beweisanzeichen Vor-/ Begleit-/Nachtatverhalten (a) Koordinationsstörungen, Gemütsverfassung (b) Verhalten vor der Fahrt (c) Verhalten während der Fahrt (d) Verhalten nach der Fahrt (e) Einschätzung durch Zeugen (f) Selbsteinschätzung des Beschuldigten . . (g) Klinischer Befund . . (aa) Disposition des Beschuldigten . . (bb) Bewegungsund Konzentrationstests (Romberg etc.) (cc) Prüfung des Sehvermögens (i) Drehnachnystagmus . . (ii) Pupillenreaktion . . . Beweisanzeichen innere Umstände Disposition des Beschuldigten Medikamenten-/Drogeneinfluß

101

102 103 104 105 106 107 1 OB 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

123 124 125 127 128 129 130 Peter König

§316 Rdn.

(a) Tatsächliche Verbreitung (b) Wirkungsverstärkungen (aa) Illegale Drogen (bb) Arzneimittel (cc) Nikotin, „Energy Drinks" (c) Kein „absoluter" Grenzwert . . . . (d) „Sozusagen absolute Fahrunsicherheit"? . . dd) Beweisanzeichen äußere Umstände 5. Fahrunsicherheit infolge des Genusses anderer berauschender Mittel a) Begriffsbestimmung der h. Μ aa) Leistungsfähigkeit der Begriffsbestimmung . . . bb) Kriterium Anlagen zum BtMG cc) Irrelevanz der Dosis/Aufnahmeart b) Illegale Drogen aa) Tatsächliche Verbreitung bb) Leistungsbeeinträchtigende Wirkungen cc) Wirkungsverstärkungen . dd) Kein „absoluter" Grenzwert („Nullwert") . . . . ee) Der Wirkstoffbefund (1) Analyseverfahren . . (2) Nachweisdauer . . . . (3) (Keine) Rückrechnung ff) Stand der Rechtsprechung (1) „Relative Fahrunsicherheit" (a) Positiver Blutwirkstoffbefund . . . . (b) Negativer/kein Blutwirkstoffbefund (aa) Störungen über die Nachweisdauer hinaus (i) Entzugserscheinungen (ii) Echorausch (bb) Tatferne Entnahme, keine Blutprobe . . (c) Stärke der Wirkstoflkonzentration/ Mischintoxikation (d) Beweisanzeichen Pupillenverhalten (Miosis/Mydriasis)

131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten Rdn.

(e) Polizeiliche Ermittlungsarbeit . . . . (2) Kasuistik gg) Drogenabhängigkeit . . . hh) Ärztliche Verordnung c) Medikamente aa) Medikamente mit Rauschmitteleigenschaft (1) Wichtige Arzneimittelgruppen (a) Hypnotika/Sedativa (b) Antidepressiva/ Neuroleptika . . . (c) Weitere Gruppen . (2) Wirkungsverstärkungen . . . . bb) Tatsächliche Verbreitung cc) Strafrechtliche Beurteilung dd) Kasuistik d) „SchnüffelstofTe" 6. Die (Mit-)Ursächlichkeit des Rauschmittelkonsums a) Mitursächlichkeit b) Andere Ursachen VII. Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz a) Fahrzeugführen im Verkehr . b) Fahrunsicherheit aa) Voluntatives Vorsatzelement bb) Bezugspunkt Fahrunsicherheit (1) Verbotskenntnis . . . (2) Die Bedeutung „absoluter Grenzwerte" cc) Maßgebender Zeitpunkt dd) Indizienbeweis (Alkohol) (1) Blutalkoholkonzentration/Alkoholmenge (a) Stand der Rechtsprechung . . . . (b) Weitergehende Ansätze (c) Stellungnahme . . (d) „Geringe" Blutalkoholkonzentration/Alkoholmenge (2) Umstände des Alkoholkonsums/Fahrtantritt (a) Geordnetes Trinkgeschehen . . . . (b) Fahrtantritt in der Anflutungsphase . (3) Verhalten vor der Tat (Ausfallerscheinungen) (4) Wamhinweise anderer (5) Intelligenz, Selbstkritik (6) Einschlägige Vorverurteilung

Rdn.

163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194

195

VIII. IX. X. XI.

196 197

XII.

198 199 200 201 202

Stand: 1. 7. 2000

(7) Ausfallerscheinungen während der Fahrt . . (8) Flucht/Verschleierung/ besonders vorsichtige Fahrweise (9) Nachtatverhalten . . ee) Andere berauschende Mittel (1) Illegale Drogen . . . . (2) Medikamente mit Rauschmitteleigenschaft ff) Vorsatz und Strafbefehl . 2. Fahrlässigkeit a) Alkoholbedingte Fahrunsicherheit aa) BAK/aufgenommene Alkoholmenge bb) Bewußte Alkoholaufnahme (1) Heimliche Beigabe durch Dritte (a) Bemerkbarkeit der Alkoholwirkung . (b) Kenntnis der Alkoholmenge (c) Geschmackliche Wahrnehmbarkeit (d) Wahrscheinlichkeit der Beimischung . (2) Alkoholhaltige Medikamente (3) Unbekannte Alkoholmenge cc) Restalkohol dd) Alkohol und Krankheit . ee) Alkohol und Medikamente ff) Ernüchterungsmittel/ -methoden b) Illegale Drogen/andere Rauschmittel c) Sorgfaltsmaßstab bei Ausländern 3. Verfahrensrechtliche Aspekte . . Vollendung, Versuch Rechtswidrigkeit Schuldfähigkeit Täterschaft, Teilnahme 1. Täterschaft 2. Teilnahme Sanktionen 1. Sanktionspraxis der Gerichte . . 2. Strafzumessung a) Strafzumessungsfaktoren . . aa) Schuldform bb) Umstände des Alkoholkonsums cc) Grad der Fahrunsicherheit dd) Gefährlichkeit der Tat . .

203

204 205 206 207

208 209 210 211 212 213 214 215 216

217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 (250)

§316

Trunkenheit im Verkehr Rdn. ee) Stellung des Angeklagten ff) Vorstrafen gg) Erheblich verminderte Schuldfähigkeit . . . . hh) Nachtatverhalten . . . ii) Nachschulung jj) Generalprävention . . . kk) Wechselwirkung mit §§69,44 b) Kurze Freiheitsstrafe

Rdn.

241 242

c) Strafaussetzung zur Bewährung . . . . 3. Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahrverbot 4. Einziehung des Fahrzeugs . . . . 5. Verwarnung mit Strafvorbehalt . XIII. Konkurrenzen XIV. Wahlfeststellung XV. Richtlinien zur Feststellung von Alkohol usw.

243 244 245 246 247 248

249 250 251 252 253 254 255

I. Bedeutung der Vorschrift. § 316 kommt in der Praxis der Strafverfolgung außer- 1 ordentlich große Bedeutung zu. Von den Aburteilungen und Verurteilungen wegen Straftaten im Straßenverkehr entfallen mehr als 40 % auf das Vergehen der „Trunkenheit im Verkehr". Aus der Strafverfolgungsstatistik ergibt sich hinsichtlich der rechtskräftigen Aburteilungen (jeweils Zeile 1) und Verurteilungen (jeweils Zeile 2) folgendes Bild: 1970

1975

1980

1985

1990

1991

1992

1995

1998

82854 78972

103079 100689

120375 117419

108328 106084

107488 105450

114928 112903

113137 111069

113053 110903

106877 104956

Die Auflistung zeigt eine seit 1991 relativ stabile Entwicklung. Der Anstieg des Jahres 1991 sowie der folgenden Jahren gegenüber 1990 und auch gegenüber der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ist mit der im Jahr 1990 durch den BGH vorgenommenen Absenkung des „absoluten" BAK-Grenzwerts von 1,3%° auf 1,1 %o zu erklären (BGHSt. 37 89; Rdn. 63). Sie wirkt sich bei der folgenlosen Trunkenheitsfahrt nach § 3 1 6 naturgemäß stärker aus als bei den Trunkenheitsfahrten nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a mit Gefahrerfolg. Denn bei den letzteren geht der Gefahrerfolg häufig auf eine Ausfallerscheinung im Fahrverhalten zurück, womit Fahrunsicherheit auch bei BAKWerten unterhalb des jeweiligen Grenzwerts festgestellt werden konnte und festgestellt werden kann. Der im Jahr 1998 zu konstatierende relativ starke Rückgang gegenüber den Vorjahren, der bei Straftaten nach § 315 c „in Trunkenheit" in gleicher Weise zu konstatieren ist, ist möglicherweise eine Folge der im Jahr 1998 eingeführten neuen Promille-Grenze von 0,5 %o in § 24 a StVG sowie der in diesem Kontext geführten öffentlichen Diskussionen; es bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei um einen nur kurzzeitigen Effekt handelt (hierzu auch Rdn. 15). Der Anwendungsbereich des § 316 umfaßt sämtliche Verkehrsarten und über das Fahren „unter Alkohol" hinaus das Fahrzeugführen unter dem Einfluß „anderer berauschender Mittel" (illegale Drogen und Medikamente mit Rauschmitteleigenschaft). Trotz zunehmender Bedeutung des Fahrens unter sonstigen Rauschdrogen steht jedoch die Alkoholfahrt im Straßenverkehr in der Praxis der Strafverfolgung nach wie vor ganz im Vordergrund. Der Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr spielt in der Spruchpraxis der Gerichte keine nennenswerte Rolle.3 Die tatsächliche Verbreitung von Straftaten nach § 316 kann - wie in anderen Bereichen der Kriminalität auch - natürlich nicht an der Strafverfolgungsstatistik abgelesen werden. Auch die Verurteiltenzahlen weisen aber darauf hin, daß jedenfalls 3

S. aber zum Schiffsverkehr § 315 a Rdn. 16ff.

(251)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

die Fahrten unter relevantem Alkoholeinfluß im Straßenverkehr4 in den vergangenen Jahren real abgenommen haben (Schöch NStZ 1991 11, 16). Die absoluten Zahlen der Jahre 1991 und danach betreffend das abstrakte Gefahrdungsdelikt des § 316 scheinen auf den ersten Blick gegen diese These zu sprechen; deren Zunahme (mit zuletzt wieder abfallender Tendenz) hat jedoch wohl die o.g. Gründe. Auch hängt die forensische Bedeutung der Vorschrift sehr viel mehr als die des (Gefahr-)Erfolgsdelikts nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a von der polizeilichen Kontrolldichte ab. Demgegenüber ist die Abnahme der nach § 315 c abgeurteilten Taten (§ 315 c Rdn. 1) und der anderen Erfolgsdelikte „in Trunkenheit" (§§ 222, 229) im Hinblick auf das dort vergleichsweise kleinere Dunkelfeld ein aussagekräftiger Indikator; 5 die Einschätzung wird gestützt durch eine Reihe weiterer Faktoren wie etwa das Zurückgehen der Verurteiltenziffer und der Kraftfahrzeug-Belastungsziffer (Schöch aaO) sowie die zahlenmäßige Abnahme der „Unfallursache Alkohol" (BTDrucks. 14/2629 S. 6; Η. E. Müller BA 36 [1999] 313, 314, 3200Zur tatsächlichen Verbreitung nicht behördlich registrierter Drogenfahrten mit Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr6 existiert eine Vielzahl von epidemiologischen Dunkelfeldstudien. Nach deren Ergebnissen kommt dem Kraftfahrzeugführen unter Alkohol - im Grundsatz der Verfahrenswirklichkeit entsprechend - nach wie vor die mit Abstand größte tatsächliche Bedeutung zu. Jedoch stellen Fahrten unter dem Einfluß anderer berauschender Mittel sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht eine beachtliche Größe dar. Zum letztgenannten Phänomen wird auf das in den Rdn. 130ff, 144ff, 167ff Gesagte verwiesen (vgl. auch § 315c Rdn. 58ff). Von den absoluten Zahlen her gesehen ist das Dunkelfeld der Alkoholfahrt im Straßenverkehr unbestreitbar bedeutend. Es ist davon auszugehen, daß pro Jahr viele Millionen Fahrten „in Trunkenheit" vollführt werden. Bedacht werden muß allerdings, daß davon nur der Teil strafrechtlich relevant ist, bei dem der Fahrzeugführer den „absoluten" Grenzwert von 1,1 %o/l,6%o überschritten hat oder trotz Unterschreitens des Grenzwerts faktisch fahrunsicher gewesen ist; die Relevanz des letztgenannten Phänomens kann dabei empirisch nicht ermittelt werden. Die Berechnungen bzw. Schätzungen zum Dunkelfeld der Alkoholfahrt weisen eine beträchtliche Schwankungsbreite auf.7 Ungeachtet aller Unsicherheiten sprechen gute Gründe dafür, daß der Anteil der Fahrten mit einer Blutalkoholkonzentration des Fahrzeugführers von 0,8 %o und darüber an der Gesamtzahl der Kfz-Fahrten (um 20 Milliarden) unter 1 % liegt. Die am breitesten angelegte deutsche Untersuchung („Deutscher Roadside Survey")8 gelangt insoweit - bei einer absoluten Zahl

4

5

6

Für Fahrten unter dem Einfluß anderer berauschender Mittel wird hingegen vielfach eine zunehmende Tendenz vermutet. Diese haben allerdings im Vergleich zur „Alkoholfahrt" zahlenmäßig keine entscheidende forensische Relevanz, so daß sie im hier vorliegenden Kontext vernachlässigt werden können. Selbst bei einem Unfallgeschehen werden sie oftmals nicht entdeckt, weil das typische Indiz der „Alkoholfahne" fehlt (Rdn. 131, 163, 174). Kritisch zu diesem Indikator Η. E. Müller BA 36 (1999) 313, 327 Fn. 32; letztlich gelangt er jedoch zu demselben Ergebnis (aaO S. 320 f). Für die anderen Verkehrsarten sind soweit ersichtlich keine validen Erkenntnisse vorhan-

7

den; zu Untersuchungen betreffend den Schiffsverkehr vgl. allerdings § 315 a Rdn. 16fT. Einerseits Iffland DAR 1995 269, 273: 10 bis 15 Millionen Trunkenheitsfahrten (Fahrten mit einer BÄK von 0,8 %o und darüber); ähnlich A. Müller BA 30 ( 1 9 9 3 ) 6 5 , 6 6 : 1 2 Millionen Trunkenheitsfahrten; andererseits Stephan Niederschrift der 79. Sitzung des Rechtsausschusses des BT vom 24. Juni 1993 Ausschuß-Drucks. S. 128: 400 Millionen Trunkenheitsfahrten. Tabellarische Übersicht zu einschlägigen Untersuchungen und Schätzungen bei Η. E. Müller B A 3 6 (1999) 313,

8

316.

Ausgewertet in „Fahren unter Alkohol in Deutschland" (Hrsg. Krüger, 1 9 9 8 ) . Zu Nach-

stand: 1. 7. 2000

(252)

Trunkenheit im Verkehr

§316

von 102,52 Millionen Fahrten mit BAK-Werten ab 0,8 %o im Jahr und einer Dunkelfeldziffer von 590:1 - zu einem prozentualen Anteil von 0,55 % 9 und für Fahrten mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o und mehr auf einen Anteil von 0,15%.10 Die Zahl der Alkoholfahrten ist - nach welcher Berechnung/Schätzung auch immer - nach wie vor erschreckend hoch. Andererseits sprechen die Befunde im Hinblick auf die gesellschaftliche Verbreitung des Alkohols für eine beachtliche Norminternalisierung im .Großteil der Bevölkerung (Kaiser Kriminologie Ein Lehrbuch § 78 Rdn. 5). Hinzu nehmen muß man in diesem Kontext, daß eine beträchtliche Zahl der Alkoholfahrten auf eine (im Vergleich zur Gesamtbevölkerung) kleine Gruppe hartnäckiger Wiederholungstäter entfallen dürfte (insbesondere auf die oftmals auch wegen „klassischer" Straftaten aufgefallenen' 1 „fahrenden Trinker"12), die mit Sanktionen, aber auch mit therapeutischen Maßnahmen nur schwer erreichbar sind. Außer Frage steht, daß auch künftig alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um das Alkoholproblem (nicht nur) im Straßenverkehr zurückzudrängen. Dazu gehört eine im Rahmen des Möglichen intensivierte Verkehrsüberwachung. Allerdings wäre es verfehlt, den bisherigen Bemühungen ein Scheitern vorwerfen zu wollen. Gesetzgeberische Schritte, namentlich der Bußgeldtatbestand des § 24 a StVG und andere Maßnahmen im Bereich des Straßenverkehrsrechts, haben ihre Wirkungen nicht verfehlt. Sie sind begleitet worden durch verstärkte Aufklärung auf allen Ebenen. Unverzichtbares Element in einem Gesamtkonzept zur Zurückdrängung der Drogenproblematik im Verkehr ist aber auch der Straftatbestand des § 316. Uber die lerntheoretische Bedeutung der Vorschrift13 hinaus dürfen auch die daran anknüpfenden inner- und außerstrafrechtlichen Konsequenzen gerade in Bezug auf Wiederholungstäter nicht außer acht gelassen werden. Die wichtigste davon ist der (zeitweilige) Ausschluß vom Führen eines Kraftfahrzeugs im Wege der Entziehung der Fahrerlaubnis (hierzu eingehend Geppert LK zu § 69); auch Behandlungsmaßnahmen unter dem Druck der Strafverfolgung (Nachschulung, Therapieweisung, Entziehungskur, Unterbringung) vermögen im Einzelfall präventive Wirkung zu entfalten (Schöch in Fahren unter Alkohol in Deutschland S. 161, 180 0Nimmt man alles zusammen, so erscheint die Aussage berechtigt, daß (auch) das strafrechtliche Konzept „durchaus als erfolgreich gelten kann" (Schöch NStZ 1991 11,

9

folgeuntersuchungen („DRS 2") Vellrath!Krüger BA 36 (1999) 349. Angesichts der Thematik im Ton auffallend heftige und im Ton überzogene Kritik bei Ifßand BA 35 (1998) 258, 265 ff; der von ihm in Alkohol, Drogen und Medikamente (1999) S. 15 hergestellte direkte Bezug zwischen einer angeblich künstlich hochgehaltenen Dunkelfeldziffer mit der forensisch verwertbaren Atemalkoholanalyse (Rdn. 50), ist fernliegend; auch zehn bis 15 Millionen Alkoholfahrten würden genügen, um eine höhere Kontrolldichte einzufordern. Kritisch zum „ D R S " auch Η. E. Müller BA 36(1999) 313, 317 f. Vellrath!Kazenwadel BA 34 (1997) 344, 349; s. auch Krügerl Vollrath in: Fahren unter Alkohol in Deutschland S. 33 ff (dort [S. 45 ff] auch im Vergleich zu anderen Staaten). Beim „ D R S 2" haben sich noch geringere Werte ergeben (Vollrath/Krüger BA 36 [1999] 349, 352). Hingegen

(253)

10

11

Ifßand in Alkohol, Drogen und Medikamente [1999] S. 15: Dunkelziffer ca. 60:1. Zutreffende Kritik gegenüber Ifßand bei Η. E. Müller BA 36 [1999] 313, 318f. Krüger! Vollrath in: Fahren unter Alkohol in Deutschland S. 33, 50. Kaiser Kriminologie Ein Lehrbuch § 77 Rdn. 22; Schöch Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz S. 151 fT; ders. NStZ 1991 11, 12.

12

13

Schneider Kriminologie S. 598 f; Middendorf DAR 1979 145, 152; Schöch NStZ 1991 11, 17; Stephan BA 25 (1988) 203, 206 f, 223; ders. DAR 1989 125, 127 ff. Jakobs AT 6/88; Weigend (Miyazawa-Festschrift S. 549, 558 fT) sieht die Legitimation der Strafdrohung darin, daß die Tat aufgrund des hohen Unfallrisikos dem Versuch der gefahrlichen Körperverletzung nahesteht.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

16).14 Mitunter erhobene Forderungen nach Streichung des § 31615 müssen als unverantwortlich angesehen werden. Zu gegenläufigen Forderungen nach Verschärfung der Vorschrift wird auf die Ausführungen unter Rdn. 15 verwiesen. 2

II. Deliktsaufbau und -Charakter. § 316 ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt und zugleich ein Tätigkeitsdelikt. Pönalisiert ist bereits das Führen von Fahrzeugen im Straßen-, Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr im Zustand der rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit. Eine konkrete Gefahr für Leben oder körperliche Unversehrtheit eines anderen bzw. fremde Sachwerte wird nicht vorausgesetzt. Zieht das Verhalten einen Gefahrerfolg nach sich, so wird § 316 durch § 315 a Abs. 1 Nr. 1 bzw. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a verdrängt (§316 Abs. 1 letzter Halbsatz), sofern nicht die Gefahrdung hinter dem in § 315 a bzw. § 315 c verlangten Erheblichkeitsgrad (hierzu § 315 Rdn. 70, 82ff) zurückbleibt. Unterhalb des § 316, d.h. dann, wenn Fahrunsicherheit nicht vorliegt oder nicht festgestellt werden kann, greifen § 24 a StVG, ggf. auch andere Bußgeldtatbestände (hierzu Nr. 3.2.1 a. E. RiBA [Rdn. 255]) ein. Die Tat ist nach ganz h. M. (wie die nach § 315 a Abs. 1 Nr. 1 und § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a) eigenhändiges Delikt (Rdn. 231, § 315 c Rdn. 201 ff). Anders als die konkreten Gefahrdungsdelikte nach §§ 315 a, 315 c (s. insbesondere § 315 c Rdn. 209) ist sie Dauerstraftat (Rdn. 228).

3

III. Schutzgut. Schutzgut ist das Universalinteresse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs sowie des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs. Das ist - anders als bei den §§ 315 bis 315 c (s. insbesondere § 315 Rdn. 3 ff, § 315 c Rdn. 3) - weitgehend unbestritten. Allerdings wird teilweise auch für § 316 die Auffassung vertreten, daß Schutzgüter der Vorschrift die Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum sind (ζ. B. Horn SK Rdn. 2).

4

IV. „Im Verkehr". § 316 gilt, wie auch aus dem Klammerzusatz „(§§ 315 bis 315d)" deutlich hervorgeht, für sämtliche von den §§ 315 ff geschützten Verkehrsarten, also auch für den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr. 16 Der engere Ansatz des Ε 1962, der auf den Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs beschränkt war (hierzu Entstehungsgeschichte II), hat sich, ohne daß dies in der Beschlußempfehlung des federführenden Rechtsausschusses problematisiert worden wäre (BTDrucks. IV/2161 S. 5), im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt. Diese Entscheidung des Gesetzgebers erscheint sachgerecht. Es wäre nicht vertretbar, für die wenigstens bei typisierender Betrachtung „riskanteren" Verkehrsarten einen geringeren strafrechtlichen Schutz zu gewährleisten als im Straßenverkehr. Zumindest für den Schiffsverkehr erscheint nach den mittlerweile vorliegenden Erfahrungen die Aussage berechtigt, daß ein auch tatsächlich relevanter Problemkreis in Frage steht (näher § 315 a Rdn. 16 ff), weswegen die Einschätzung des Ε 1962, die Trunkenheitsfahrt stelle (auch) dort ein praktisch zu vernachlässigendes Phänomen dar (Entstehungsgeschichte II), insoweit als überholt gelten kann. Ob sie nach dem damaligen Erkenntnisstand hinreichend gesichert gewesen ist, kann dahingestellt bleiben. 14

Skeptisch Weigend Miyazawa-Festschrift S. 549, 551 ff. Abw. z.B. Schnette BA 30 (1993) 1, 12, wonach dem Gefahrengrenzwert von 0,8 %o auf der Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts der Anschein als „Kavaliersdelikt" anhaften soll; diese gesetzgeberische Entscheidung habe sich als „ganz verhängnisvoll erwiesen". Den Beweis dafür wird man freilich nicht führen können (näher Rdn. 15).

15

16

Etwa Bialas Promille-Grenzen, Vorsatz und Fahrlässigkeit S. 249; Zieschang Die Gefährdungsdelikte S. 391 ff. Mißverständliche Ausführungen bei Maurachl SchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 2 und 5, wo § 316 jeweils nur dem Straßenverkehr zugeordnet wird.

Stand: 1. 7. 2000

(254)

Trunkenheit im Verkehr

§316

1. Straßenverkehr. Der Begriff des Straßenverkehrs umfaßt nur Vorgänge im (fak- 5 tisch) öffentlichen Verkehrsraum. Fahrzeugführen im Zustand drogenbedingter Fahrunsicherheit ist demgemäß nicht strafbar, sofern der Täter im nichtöffentlichen Straßenverkehrsraum ein Fahrzeug bewegt. Wegen der Einzelheiten zum Begriff des öffentlichen Verkehrsraums wird auf die Ausführungen unter § 315 b Rdn. 6 ff verwiesen. 2. Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr. Die einschränkungslose Benennung der von 6 §§ 315, 315 a geschützten Verkehrsarten bringt es mit sich, daß § 316 bei diesen „private" Verkehrsvorgänge mit einbezieht. Dies kann ζ. B. beim Führen von Schienenbahnen auf der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Werksgeländen oder bei der Schifffahrt auf Privatgewässern relevant werden (§315 Rdn. 7; § 315 a Rdn. 4).17 Für den Komplex des Luftverkehrs wird die Problematik nicht akut, weil sich der Führer eines Luftfahrzeugs stets im öffentlichen Verkehrsraum bewegt. V. Führen eines Fahrzeugs. Tathandlung des § 316 ist das Führen eines Fahrzeugs 7 im Zustand der Fahrunsicherheit. Dies entspricht § 315 a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. und § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a. 1. Fahrzeugbegriff. Zum Fahrzeugbegriff des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs gilt 8 das unter § 315 Rdn. 9ff, 12ff, 15, 16f Gesagte. Die Details zum Fahrzeugbegriff des Straßenverkehrs sind unter § 315 c Rdn. 7 ff dargelegt. 2. Fahrzeugführen. Fahrzeugführen ist nach soweit ersichtlich allgemeiner Mei- 9 nung gegeben, wenn jemand das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Verwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder es während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. Der Fahrzeugführer muß sich dabei selbst aller oder wenigstens eines Teils der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedienen; demgemäß kann das Merkmal des „Führens" nur eigenhändig verwirklicht werden (Rdn. 231, § 315c Rdn. 10, 201). Dem Begriffselement der „bestimmungsgemäßen Verwendung der Antriebskräfte" Fahrzeugs dürfte keine eigenständige Bedeutung zukommen (§ 315 c Rdn. 10). Essentielles Element des Begriffs des „Führens" ist der Bewegungsvorgang; dies entspricht seit BGHSt. 35 390 der ganz h. M. Die früher herrschende Rechtsprechung, die den Begriff auf dem Bewegungsvorgang vorgelagerte Handlungen erstreckt hat, ist überholt (im einzelnen § 315a Rdn. 10; § 315c Rdn. llf)· Genausowenig gehört, was allerdings umstritten ist, die Sicherung des Fahrzeugs nach dessen Abstellen noch zum „Führen" (§ 315 c Rdn. 13). Zum Führen von (Kraft-)Fahrzeugen im Straßenverkehr hat sich eine uneinheitliche, kaum noch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringende Judikatur entwickelt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter § 315 c Rdn. 15 ff sowie unten Rdn. 67 ff Bezug genommen. Der Begriff des Fahrzeugführens beinhaltet ein finales Element, weswegen fahrlässiges Führen begrifflich ausgeschlossen ist (§ 315 c Rdn. 34 sowie unten Rdn. 183).

17

AA, ohne Begründung, Rüth LK 10 Rdn. 3, 8; s. aber dort § 315 Rdn. 2. Für eine Beschränkung auf den öffentlichen Schiffsverkehr unter Bezugnahme auf Rüth auch Hentschel Trunken-

(255)

heit Rdn. 334 und Geppert BA 24 (1987) 262, 263; vgl. auch, freilich unter Anführung nicht aussagekräftiger Belege, MühlhauslJaniszewski Rdn. 1.

Peter König

§316

28. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

Die Frage, ob das Fahrzeugführen durch Unterlassen verwirklicht werden kann, ist - wie allgemein für Tätigkeitsdelikte - umstritten.18 Sie wird in der Praxis schon deswegen lediglich in extremen Ausnahmekonstellationen relevant, weil das „Führen" nur eigenhändig erfüllt werden kann. Ein solcher Ausnahmefall hat BayObLG JR 1979 289 zugrunde gelegen: Das BayObLG bejaht Führen durch Unterlassen, weil sich der alkoholsüchtige Kraftfahrzeughalter in „schuldfähigen Intervallen" nicht seines Fahrzeugs entäußert und hierdurch die Grundlage geschaffen habe, daß er im Zustand der Schuldunfähigkeit sein Fahrzeug geführt habe (aaO S. 290 f; m. krit. Anm. Horn; s. auch dens. SK Rdn. 10 sowie Jescheck LK § 13 Rdn. 2 Fn. 5). 10

VI. Im Zustand der Fahrunsicherheit. § 316 verlangt ein Führen des Fahrzeugs im Zustand der Fahrunsicherheit („nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen"). Begrifflich sollte man von Fahmnsicherheit und nicht von Fahmntüchtigkeit oder gar Fahruntauglichkeit sprechen (näher § 315 c Rdn. 44). Fahrunsicherheit ist ein Rechtsbegriff, dessen normative Ausfüllung in erster Linie richterliche Aufgabe ist (BGHSt. 44 219, 221; vgl. auch BGHSt. 37 89, 91, 93). Diese Aufgabe kann allerdings nicht losgelöst von rechts- und verkehrsmedizinischen sowie von toxikologischen Erkenntnissen bewältigt werden (BGHSt. 44 219, 221). An medizinisch-naturwissenschaftliche Erfahrungswerte, die in den berufenen Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig erwiesen sind, ist der Richter gebunden.19 Ob und wann Fahrunsicherheit gegeben ist, hängt in der Sache einerseits vom Ausmaß der Minderung der Leistungsfähigkeit und der Beeinträchtigung der Gesamtpersönlichkeit des Fahrzeugführers ab, andererseits aber auch vom Ausmaß der Gefahren, die von ihm nach der konkreten Art der Fortbewegung für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen (u.a. BGHSt. 36 341, 346).

11

1. Begriff der Fahrunsicherheit. Fahrunsicherheit ist nach allgemeiner Meinung gegeben, wenn die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer oder körperlicher Leistungsausfalle, so weit herabgesetzt ist, daß er nicht mehr fähig ist, ein Fahrzeug der jeweiligen Verkehrsart eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (BGHSt. 13 83, 90), d.h. den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewußtes Handeln zu genügen vermag (BGHSt. 21 157, 160). Der Zustand der Fahrunsicherheit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn beim Fahrzeugführer bestimmte schwerwiegende psycho-physische Ausfallerscheinungen festzustellen sind.20 Kurz gesagt liegt Fahrunsicherheit vor, wenn der Täter das Fahrzeug nur noch gefährlich führen kann (vgl. MaurachlSchwederl Maiwald ΒΎ12 § 53 Rdn. 33).

12

2. Gerade aufgrund von Rauschmittelkonsum. Das Gesetz stellt nicht auf die Fahrunsicherheit allgemein ab, sondern verlangt, daß diese gerade auf den Genuß alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel zurückzuführen ist. Die in den § 315 a Abs. 1 Nr. 1, § 315 c Abs. 1 Nr. l b aufgeführte Alternative der Fahrunsicherheit aufgrund geistiger oder körperlicher Mängel (hierzu § 315 c Rdn. 48 ff) 18

19

Bejahend etwa Lackneri Kühl § 13 Rdn. 6; Sehl Schröder/Stree § 13 Rdn. 3; TröndlelFischer § 13 Rdn. 3; Rengier K K OWiG § 8 Rdn. 10. Verneinend Jescheck LK § 13 Rdn. 2, alle m. w. N. BGHSt. 21 157, 159; 24 200, 203; 25 246, 248; 30 251, 252 f; 34 133, 134; 36 341, 346; 37 89,91.

20

Zum ganzen grundlegend BGHSt. 13 83, 90. S. auch BGHSt. 19 243, 244; 21 157, 160; 31 42, 44 f; 34 133, 135; 37 89, 94 f. Aus dem Schrifttum: SehlSchröder!Cramer § 316 Rdn. 4; Horn SK Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 5; Hentschel Trunkenheit Rdn. 2; Küper BT S. 115; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 332.

Stand: 1.7.2000

(256)

Trunkenheit im Verkehr

§316

hat in § 316 keine Entsprechung. Oberbegriff ist das „berauschende Mittel". Allerdings ist das „gesetzliche Leitbild" die Droge Alkohol (Rdn. 14), weswegen die ständige Rechtsprechung verlangt, daß das „andere berauschende Mittel" dem Alkohol in seinen Wirkungen vergleichbar ist (Rdn. 140). Daß die Fahrunsicherheit rauschmittelbedingt war, muß im Verfahren festgestellt werden, andernfalls der Tatbestand nicht erfüllt ist. Weder der Konsum des Rauschmittels noch die Berauschung selbst muß indessen die alleinige Ursache der Fahrunsicherheit sein (Rdn. 179). 3. „Genuß" = Einnahme. Die Vorschrift spricht vom „Genuß" von Alkohol oder 1 3 anderen berauschenden Mitteln. Diese Formulierung hat in der Vergangenheit vor allem im Kontext mit dem Terminus des „anderen berauschenden Mittels" (Rdn. 140) gelegentlich zu Irritationen geführt. Sie ist teils in dem Sinne verstanden worden, daß der Täter die berauschenden Mittel „zum Genuß", also in der Absicht eingenommen haben müsse, einen Rausch oder andere euphorische, lustbetonte Empfindungen hervorzurufen (so insbesondere BayObLGSt. 1958 108, 109; OLG Karlsruhe NJW 1979 611).21 Der mittlerweile gefestigten, durch den BGH implizit gebilligten22 Rechtsprechung und ganz h. M. im Schrifttum entspricht es jedoch, daß „Genuß" nichts anderes bedeutet als die Einnahme bzw. die Einführung des Rauschmittels in den Körper.23 Mit dem Wortsinn des Merkmals ist dies vereinbar.24 Dem Normzweck würde jede andere Interpretation diametral zuwiderlaufen. Sie hätte überdies kaum überwindliche praktische Probleme zur Folge. „Genuß" ist nach der gebotenen weiten Begriffsbestimmung demnach selbst dann gegeben, wenn der Täter das berauschende Mittel zum Zweck der Selbsttötung25 oder widerwillig konsumiert hat.26 4. Alkoholbedingte Fahrunsicherheit. Leitbild des historischen Gesetzgebers bei der 1 4 Einführung des in § 316 eingestellten Tatbestands war die alkoholbedingte Fahrunsicherheit (Entstehungsgeschichte). Dies findet in der - auch in Bezug auf die Alkoholisierung mißverständlichen27 - amtlichen Überschrift („Trunkenheit im Verkehr") noch heute seinen Ausdruck. Alkoholfahrten haben in der Praxis nach wie vor die weitaus größte Bedeutung, wenngleich die Relevanz anderer Drogen in den letzten 21

22

23

Im Hinblick darauf hat der AK I des 25. VGT 1987 gefordert, daß der „irreführende und überflüssige Begriff" gestrichen werde (Empfehlung Nr. 1 Abs. 2, 25; VGT 1987 S. 7). Der Gesetzgeber hat dies bislang nicht aufgegriffen. Im Hinblick darauf, daß in den letzten Jahren soweit ersichtlich keine Probleme mehr aufgetreten sind (dazu im Text), ist jedenfalls kein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf gegeben. In §§ 64, 323 a StGB sowie in § 122 OWiG ist das Merkmal als entbehrlich gestrichen worden (hierzu Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 382). Vor der Ersetzung durch andere Termini ist aufgrund der daraus u.U. resultierenden neuen Abgrenzungsprobleme zu warnen. Maaiz! Mille DRiZ 1993 15, 17, unter Hinweis auf BGH GA 1984 121 und BGH vom 21. März 1978 4 StR 104/78; Saiger DAR 1986 383, 386. BayObLG VRS 79 116, 117; OLG Schleswig SchlHA 1977 180; OLG Frankfurt BA 16 (1979) 407 f; vgl. auch OLG Koblenz VRS 59 199. LackneriKühl § 315 c Rdn. 5; Spende1LK § 323 a

(257)

24

25

26

27

Rdn. 82, 99; JaguschiHentschel Rdn. 3; MühlhauslJaniszewski Rdn. 6; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 333, 382; ders. BA 24 (1987) 243; 246; Gerchow BA 16 (1979) 97, 99 ff; Saiger DAR 1986 383, 385 f; Schewe BA 13 (1976) 87, 89ff; BA 16 (1979) 60f; BA 18 (1981) 265f. Dahingestellt geblieben in BayObLG vom 21.9.1979 RReg. 1 St 260/79 S 5 und in OLG Schleswig VRS 70 364, 365 f. Hierzu Burmann 25. VGT 1987 S. 50, 57: „Man spricht ... auch von dem Genuß vergifteten Olivenöls." BayObLG VRS 79 116, 117; bei Rüth DAR 1977 204, und vom 2.2.1979 RReg. 1 St 381/78; OLG Hamm NJW 1975 2252; OLG Frankfurt BA 16 (1979) 407, 408, jeweils zu § 323 a bzw. § 330 a a. F. Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 333: Erfaßt sei auch die widerwillige Einnahme ζ. B. gegen Magenverstimmung seitens eines Abstinenzlers. Zutr. Mühlhaus/Janiszewski Rdn. 1; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 323, 331: Es sei keine (völlige) Trunkenheit erforderlich. Vgl. auch Heifer BA 23 (1986) 364.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Jahren zugenommen hat (Rdn. 1, 130ff, 144ff, 167ff). Der Alkohol kann zugleich hinsichtlich seiner Wirkungsweise im menschlichen Körper und seiner Folgen für die Leistungsfähigkeit des einzelnen speziell im Straßenverkehr als die naturwissenschaftlich bei weitem am besten erforschte Droge gelten. Gute Quantifizierbarkeit, bekanntes Stoffwechselverhalten sowie überprüfbare und bedingt reproduzierbare Wirkungsweise (Gerchow BA 24 [1987] 233, 235; BGHSt. 44 219, 221 f; OLG Köln NJW 1990 2945, 2946) haben zu den Erfolgen der Forschung beigetragen. Ein zentrales, seit vielen Jahrzehnten nach Erkenntnissen aus dem In- und Ausland feststehendes Forschungsergebnis ist es, daß ab einem bestimmten Alkoholisierungsgrad kein Mensch mehr zur sicheren Führung eines (Kraft-) Fahrzeugs im (Straßen-)Verkehr in der Lage ist (vgl. Rdn. 16). Daran anknüpfend füllen Rechtsprechung und ganz herrschende Lehre den Rechtsbegriff der Fahrunsicherheit (Rdn. 10) in der Weise aus, daß zwischen „absoluter" und „relativer" Fahrunsicherheit differenziert wird. Diese - nicht ganz unmißverständlichen - Begriffe beschreiben dabei nicht unterschiedliche Grade der Fahr(un)sicherheit; sie betreffen vielmehr nur die Art und Weise des Tatnachweises.28 Beim Vorliegen absoluter Fahrunsicherheit steht unwiderleglich fest, daß der Fahrzeugführer nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug mit der notwendigen Sicherheit im Verkehr zu führen (im einzelnen Rdn. 59 ff); wird der Grenzwert hingegen nicht erreicht, kann er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Weise nachgewiesen werden oder existiert mangels hinreichender verkehrsmedizinischer Erkenntnisse für die konkrete Art des Fahrzeugführens in der jeweiligen Verkehrsart kein absoluter Grenzwert, so bedarf die Feststellung der Fahrunsicherheit stets zusätzlicher Beweisanzeichen (Beweislage der relativen Fahrunsicherheit im einzelnen Rdn. 90 ff). 15

a) Reformdiskussion. Der Gesetzgeber hat - entgegen dem Vorschlag des Ε 1962 davon abgesehen, das Führen eines (Kraft-)Fahrzeugs (im Straßenverkehr) ab einem bestimmten Grenzwert der Alkoholkonzentration im Blut bzw. einer bestimmten Alkoholmenge im Körper unter Strafe zu stellen. Bei der Verabschiedung des 2. StraßenVSichG erschien ihm die Angelegenheit mit Blick darauf noch nicht entscheidungsreif, daß das Gutachten des Bundesgesundheitsamts noch nicht vollständig vorlag (Entstehungsgeschichte). Mit der - nach zähem Ringen erfolgten29 - Einführung des § 24 a StVG im Jahre 1973 hat er sich bewußt für eine Lösung auf der Ebene des Ordnungswidrigkeitenrechts entschieden. Reformforderungen und Initiativen des Inhalts, den von der Rechtsprechung anerkannten Grenzwert der „absoluten Fahrunsicherheit" im Gesetz festzuschreiben30 bzw. einen srra/bewehrten Gefahrengrenzwert von 0,8 bzw. 0,5 %o einzuführen,31 sind bislang nicht aufgegriffen worden. Auch die aktuell angestrengte rechtspolitische Initiative der BReg. zu den Grenzwerten bezieht sich nicht auf das Strafrecht, sondern auf das Ordnungswidrigkeitenrecht. Der vorgelegte RegE zu einem StVRÄndG (BRDrucks. 321/00) schlägt vor, die 28

29

30

BGHSt. 31 42, 44; Horn SK Rdn. 17; ders. Blutalkohol und Fahrtüchtigkeit S. 14 ff; Jagusch/Hentschel Rdn. 15; MühlhauslJaniszewski Rdn. 26; Hentschel Trunkenheit Rdn. 4, 145; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 358. S. etwa Händel BA 10 (1973) 353; Heifer BA 10 (1973) 1; ders. ebd. S. 192; Hentrich BA 10 (1973) 177. So u.a. Cramer VOR 1974 21, 28f; Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 256 ff; s. auch unten Fn. 39.

31

Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr BA 25 (1988) 1; BA 31 (1994) 379, 383; Geppert BA 27 (1990) 23, 25f; Heifer BA 27 (1990) 50, 56f; Schneble BA 30 (1993) 1, 11 ff; Spiegel BA 26 (1989) 65, 68. S. auch Lackner BA 1 (1961/1962) 217, 221 in Erwiderung auf v. Weber BA 1 (1961/1962) 209. Krüger (BA 27 [1990] 182, 197) hält einen Grenzwert von 0,7 %o/0,8 %o in Bezug auf die Fahrunsicherheit für gerechtfertigt (dazu Rdn. 16 a. E.).

Stand: 1. 7. 2000

(258)

Trunkenheit im Verkehr

§316

seit dem Gesetz zur Änderung des StVG vom 27. April 1998 (BGBl. I S. 795) hinsichtlich der Anordnung des Fahrverbots und des Höchstsatzes der Geldbuße „gespaltene" Promillegrenze von 0,8 %o bzw. 0,5%o(§ 24 a Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 4, § 25 Abs. 1 StVG) einheitlich auf 0,5 %o zurückzuführen. 32 Die gesetzgeberische Entscheidung, von der Einführung einer starren „Promillegrenze" (unterhalb des Grenzwerts von 1,1 %o) im Strafrecht abzusehen, erscheint alles in allein sachgerecht. Die Vorteile einer strafrechtlichen Lösung in diesem Sinne überwiegen deren Nachteile nicht so deutlich, daß ein Abgehen von dem im wesentlichen bewährten (Rdn. 1) Ineinandergreifen von Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht gerechtfertigt werden könnte. So ist nicht recht ersichtlich, daß die (teilweise) Ablösung des Bußgeldtatbestandes gerade durch einen Straftatbestand in dem fraglichen Bereich überlegene generalpräventive Wirkung entfalten könnte. 33 Im Bewußtsein der Bevölkerung dürfte eher der Grenzwert von 0 , 8 % o 3 4 (bzw. nunmehr 0 , 5 % o ) verankert sein als der von 1,1 %o. Daß der Normunterworfene das Zusammenspiel von Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht sowie die jeweiligen Grenzwerte nicht genau kennt, ist kein durchschlagendes Argument für eine „Vereinfachung". Denn es genügt, wenn er weiß, daß er nach nicht nur ganz geringfügigem Alkoholkonsum nicht fahren darf, und dies vermitteln ihm vielfältige Quellen (vgl. Janiszewski DAR 1988 253, 255). Nicht zu verkennen ist in spezialpräventiver Hinsicht, daß bei einer strafrechtlichen Lösung die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Verfügung stünde (Heifer BA 27 [ 1 9 9 0 ] 50, 56). Jedoch erhalten Aspekte der Verhältnismäßigkeit ein um so größeres Gewicht, je geringer die Alkoholisierung des jeweiligen Fahrzeugführers gewesen ist (vgl. Janiszewski DAR 1988 253, 257 f). Zudem muß im Auge behalten werden, daß eine strafrechtliche Promillegrenze von 0,8 %o oder 0,5 %o eine grundsätzliche kriminalpolitische Weichenstellung bedeuten würde. Sie wäre angesichts der quantitativen Bedeutung des Phänomens eine Rückkehr zur „Vielstraferei". Daß es gelingen könnte, aufgrund der nachdrücklicheren Wirkung des Strafrechts auf den einzelnen die „Alkoholfahrt" aus der Lebenswirklichkeit zu eliminieren, wird dabei ernsthaft niemand behaupten wollen; daß sie wenigstens spürbar zurückgedrängt würde, ist nicht mehr als eine Hoffnung. 35 Zumindest bei einer Promillegrenze von 0,5 %o (im Hinblick auf den Sicherheitszuschlag also faktisch 0,4 %o) sind darüber hinaus Bedenken unter dem Blickwinkel des Übermaßverbots staatlichen Strafens nicht leicht auszuräumen.

32

33

34

S. auch den Gesetzesantrag Sachsens, der auf die Einführung der „O-Promille-Grenze" für unter 25-jährige Fahrzeugführer zielt (BRDrucks. 305/00). Zu generalpräventiven Aspekten der Sanktionsschwere eingehend Schöch in Fahren unter Alkohol in Deutschland (1998) S. 161 ff. Zu ersten Erfolgen der 0,5%o-Grenze des § 24 a Abs. 1 Nr. 2 StVG auch im Bereich über 1,1 %o IfflandlBalling BA 36 (1999) 39; vgl. auch Vellrath!Krüger BA 36 (1999) 349 sowie oben Rdn. 1. Man wird sehen, ob es sich hierbei um kurzzeitige Effekte handelt. Vgl. Barth/GasparlPeters BA 22 (1985) 109, llOf, mit kaum nachvollziehbarer Bewertung der Ergebnisse (S. 112 f). Nach dieser Erhebung waren 90,3% der Befragten der Meinung, daß spätestens ab 0,8 %o ein amtliches Einschreiten möglich sei, immerhin 47,6% hielten eine Ver-

(259)

35

folgung bereits bei Werten darunter für möglich, 18,3% ab 0,3 %o; der damalige Grenzwert von l,3%o war nicht signifikant vertreten (0,9%). Krügerl Vellrath!Schöch haben eine Kenntnis der (bußgeldrechtlichen) Promille-Grenze bei über 82,9% („Nüchternfahrer") bzw. knapp 86,9% (Alkoholfahrer) ermittelt (in: Fahren unter Alkohol in Deutschland S. 59, 79). AA Schneble BA 30 (1993) 1, 14: „Eine Freiheitsstrafe oder eine erhebliche Geldstrafe, verbunden jeweils mit dem gefürchteten Entzug der Fahrerlaubnis anstatt einer bloßen Geldbuße kann gar nicht ohne heilsame Wirkung bleiben ..." Die relativ hohe Zahl der Wiederholungstäter spricht allerdings nicht für diese These, und den „an sich rechtstreuen" Täter, dem ein Augenblicksversagen vorzuwerfen ist, wird man auch mit Geldbuße, Fahrverbot und „Punkten in Flensburg" erreichen.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Grundsatzkritik wird teils am Merkmal der Fahrunsicherheit geübt. Das rechtsmedizinische Schrifttum artikuliert seit jeher Unbehagen, weil dieser Rechtsbegriff die durch den Alkohol ausgelöste Beeinträchtigung der Gesamtpersönlichkeit nur unvollkommen umschreibe und der Komplexität der Wirkungszusammenhänge nicht gerecht werde; was den Grenzwert anbelange, dürfe nicht maßgebend sein, wann Fahrunsicherheit bei allen Kraftfahrern anzunehmen sei, entscheidend sei vielmehr, ab wann für die Mehrheit der Kraftfahrer eine Gefährdung anderer zu befürchten sei (BGA-Gutachten 1966 S. 40).36 Sowohl in rechtsmedizinischen als auch in juristischen Publikationen werden ferner die Schwierigkeiten hervorgehoben, die bei der Prüfung der „relativen" Fahrunsicherheit (hierzu Rdn. 90 ff) auftreten. 37 Teils wird das Kriterium sogar für nicht justitiabel und aufgrund mangelnder Bestimmtheit für verfassungswidrig gehalten ( H a f f k e JuS 1972 448,451 f)· Die Bedenken haben durchaus Gewicht. Jedoch ist dem Anliegen des Gefahrengrenzwerts mit § 24 a Abs. 1 StVG mittlerweile zu einem guten Teil Rechnung getragen. Für den strafrechtlichen Bereich steht dem Vorwurf mangelnder Justitiabilität entgegen, daß die Praxis mit den einschlägigen Tatbeständen Jahrzehnte lang und vieltausendfach einigermaßen zurecht gekommen zu sein scheint. Das Schicksal, das Gewollte nicht ganz vollkommen auszudrücken und im Einzelfall Probleme aufzuwerfen, teilt der Begriff mit den meisten anderen strafrechtlichen Termini. Auch hat das BVerfG in mehreren Entscheidungen keinen Grund zur Beanstandung gefunden (BVerfG NJW 1990 3140; NJW 1995 125; s. auch Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 213fF; 216ff). Klar ist andererseits, daß die Rechtsanwendung erleichtert würde, wenn man den Promillebereich ab 0,8 %o (0,5 %o) vollständig mit dem Strafrecht überziehen würde. Möglichst einfaches Strafen kann freilich kaum als primäres Ziel des materiellen Strafrechts gelten. Mit einer „Vereinfachung" sind überdies gravierende Folgeprobleme verbunden. So könnte auf das Merkmal der Fahrunsicherheit bereits aufgrund der „anderen berauschenden Mittel" 38 sowie des „geistigen und körperlichen Mangels" 39 nicht verzichtet werden. Im Hinblick auf die zunehmende Problematik des Fahrzeugführens unter dem Einfluß illegaler Drogen und von Medikamenten mit Rauschmittelcharakter (Rdn. 130 ff, 144 ff, 167 ff) erscheint sogar die Aussage berechtigt, daß das Merkmal neu „erfunden" werden müßte, wenn man es nicht schon hätte. Bei seinem Wegfall nur für Alkohol könnten die Fälle der in der Regel bei 0,3 %o beginnenden „relativen Fahrunsicherheit" nicht mehr strafrechtlich geahndet werden, es sei denn, man würde die Grenze (radikal und nicht vertretbar) eben bei 0,3 %o (faktisch 0,2 %o) festsetzen. Selbst dann wären aber die Konstellationen nicht mehr strafrechtlich zu erfassen, in denen die Rechtsprechung heute anhand beweiskräftiger Indizien zur Annahme von Fahrunsicherheit gelangt, ohne daß eine bestimmte Blutalkoholkonzentration festgestellt werden kann (Rdn. 96). Weitere, im Ergebnis kontraproduktive Konsequenzen würden eintreten (eingehend Janiszewski DAR 1988 253, 255 f). 36

37

38

S. auch Arbab-Zadeh NJW 1967 273, 274 ff; Gerchow BGA-Gutachten 1966 (Anl. 10) S. 174, 175 f; Heifer BA 23 (1986) 364; ders. BA 27 (1990) 50, 56. U.a. Berz NZV 1990 359; Peters MDR 1991 487, 491 f; Schneble BA 6 (1969) 53 ff; ders. BA 30 (1993) 1, 14; Strate BA 20 (1983) 188 ff, 194. § 315a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt., § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, § 316 Abs. 1.

39

§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt., § 315c Abs. 1 Nr. 1 b. AA Riemenschneider Fahrunsicherheit, die sich für eine Streichung des § 315 Abs. 1 Nr. 1 ausspricht (S. 278 fl) und einen auf Kraftfahrzeuge und den Straßenverkehr beschränkten „1,0%0-Tatbestand" mit einem Strafrahmen bis zu fünf bzw. zwei Jahren vorschlägt, die anderen Verkehrs- und Fahrzeugarten also ausspart (S. 239JI); so leicht könnte es sich der Gesetzgeber nicht machen.

Stand: 1. 7. 2000

(260)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Es verbliebe deshalb allenfalls, dem beibehaltenen Merkmal der Fahrunsicherheit eine gesetzliche Fiktion an die Seite zu stellen, wonach ab einer BÄK von 0,8 %o (0,5 %o) zwingend von Fahrunsicherheit auszugehen ist, oder neben dem unveränderten § 316 einen (auf Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr beschränkten?) „0,8 %o(0,5 %o-)Straftatbestand" einzuführen. Fraglich wäre, ob man dabei ohne weitere Differenzierungen auskäme (ζ. B. Führen eines Mofas, s. Rdn. 67; Strafrahmen) und ob eine solchermaßen beschränkte Lösung u. a. mit Blick auf nicht motorisierte Fahrzeuge, auf die anderen Verkehrsarten (Rdn. 73 ff) und das Fahrzeugführen unter sonstigen Rauschmitteln überzeugen könnte. Das Verhältnis der verschiedenen Tatbestände zueinander müßte geklärt werden (Spezial-, Auffangtatbestand?); in der Reichweite ungewisse Ausstrahlungen auf die Interpretation des Merkmals der Fahrunsicherheit wären nicht auszuschließen. Ferner würde eine solche Lösung dort nichts helfen, wo derzeit schwerwiegende rechtliche Unsicherheiten bestehen, nämlich bei den Fragen, die sich um das Führen motorisierter Fahrzeuge ohne aktuell wirkende Motorkraft ranken (Rdn. 68 ff). Der teils in Ansatz gebrachte Hinweis auf eine gegebene Strafbarkeit in anderen Staaten (z.B. Spiegel BA 26 [ 1 9 8 9 ] 6 5 , 6 8 ) krankt schließlich daran, daß kaum ein anderer Staat die deutsche Unterscheidung zwischen (Kriminal-)Strafe und Ordnungswidrigkeit kennt (vgl. Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 237 ff). Für die Wiedereinführung der Übertretung werden sich aber nur wenige Anhänger finden. Auch ist das Ausland in der Bekämpfung des Fahrens unter Alkohol bei vergleichbarer Verfolgungsdichte wohl nicht signifikant erfolgreicher als die deutsche Rechtsordnung (Janiszewski DAR 1990 415 f). b) Beeinträchtigungen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit. Zur Wirkungsweise des Alkohols auf den Menschen und speziell auf dessen Fahrsicherheit existiert reichhaltiges, nicht überschaubares Material. Eine grundlegende epidemiologische Untersuchung über die Rolle des Alkohols im Straßenverkehr stellt die Grand Rapids Study aus dem Jahr 1 9 6 4 dar (überarbeitet in BA 11 [ 1 9 7 4 ] Supplement 1 abgedruckt); deren zentrale Aussagen beanspruchen auch heute noch Gültigkeit. Es können hier nur einige wesentliche Gesichtspunkte herausgestellt werden:40 aa) Eine zentrale Erkenntnis der Alkoholforschung ist es, daß nicht einzelnen Funktionsstörungen die für die Fahr(un)sicherheit entscheidende Bedeutung zukommt, sondern der Beeinträchtigung der Gesamtpersönlichkeit (BGA-Gutachten 1966 S. 39). Die Rechtsprechung greift dies in der Begriffsbestimmung der Fahrunsicherheit auf, indem sie maßgebend auf die Störung der Gesamtleistungsfahigkeit abstellt (Rdn. 10). Der Alkohol schwächt das Verantwortungsgefühl und verleitet zu unbekümmertem, gegenüber den Belangen anderer rücksichtslosem Verhalten. „Grundmechanismus ist ... eine globale Enthemmung und (dadurch) [eine] Demaskierung sonst unterdrückter Charakterzüge"; u. a. werden spontane Impulse unreflektiert sofort umgesetzt (Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 19). Sinnestäuschungen können auftreten. Die im Straßenverkehr essentielle Fähigkeit zu rascher und koordinierter Reaktion wird nachhaltig gestört.41 Die für den Kraftfahrer unent40

Zum ganzen insbesondere BGA-Gutachten 1966 S. 38 ff; Freudenberg (dort Anl. 8) S. 158 ff, Elbel (dort Anl. 9) S. 166 ff, Gerchow (dort Anl. 10) S. 174ff; s. auch Ε 1962 S. 529ff; Zusammenfassend Forsterl Joachim Blutalkohol und Straftat S. 116 ff; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 339 ff; Penning Alkohol, Drogen und

(261)

41

Verkehrssicherheit S. 17 ff; Heifer BA 23 (1986) 364; MaatzlMille D R i Z 1993 15, 17 f. Eingehende Auswertung von experimentellen Untersuchungen aus dem In- und Ausland bei Krüger BA 27 (1990) 182. Zu den Ausfallen bei Reaktion und Aufmerksamkeit nach Alkoholaufnahme eingehend

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

behrlichen, durch Erfahrung eingeübten Automatismen sind beeinträchtigt (Gerchow BGA-Gutachten 1966 [Anl. 10] S. 174, 175).42 Der unter Alkoholeinfluß Stehende vermag die schnell ablaufenden Verkehrsvorgänge nicht mehr mit der gebotenen Konzentration und Aufmerksamkeit zu verfolgen und namentlich in Bezug auf die Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen. Er kann sich nur noch schwer oder nicht mehr auf eine bestimmte Tätigkeit konzentrieren (Tenazität), und auch nicht mehr ohne weiteres von einer Tätigkeit lösen (Vigilität).43 Mit der Verminderung des Leistungsvermögens geht wachsende Selbstüberschätzung einher. Das objektiv gegebene Leistungsvermögen bleibt (weit) hinter dem subjektiven empfundenen zurück (Gerchow BA 13 [1976] 341, 347). Gerade auch bei nicht allzu hohen Blutalkoholkonzentrationen „ist die überwiegende Mehrzahl der ... Kraftfahrer außerstande, ihre tatsächlich gegebene Leistungsminderung richtig zu beurteilen und daraus für ihre Fahrweise die notwendigen Schlüsse zu ziehen"; vielmehr vermittelt sich dem Kraftfahrer oftmals die Vorstellung, „er sei noch in der Lage, sein Fahrzeug besonders sicher und zügig zu führen" (E 1962 S. 530). Dies ist gerade für besonders geübte (reaktionsschnelle) Fahrer wesentlich; denn die Fahrweise „behält ihre individuelle Tönung", obgleich die Voraussetzungen dafür fehlen (BGA-Gutachten 1966 S. 43).44 Gravierend beeinträchtigt wird das Wahrnehmungsvermögen,45 vor allem das Sehvermögen.46 Die Ausfalle gehen auf die Schädigung des Ablaufs der Augenbewegung (Motilität) zurück (ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 124); die Koordination des Augenhilfsapparats ist derart gestört, daß die Augen feine Ruck- und Schüttelbewegungen während der Fahrt mitmachen und keine ordnungsgemäße Fixation mehr zustande bringen - die Augen „hinken nach" (Gerlach BA 9 [1972] 239, 247). Dies wirkt sich insbesondere bei schnellem Fahren, beim Durchfahren von Kurven, aber auch beim Überholen schädlich aus (Gerchow BA 6 [1969] 399, 409 f; Heifer u. a. BA 3 [1965/1966] 537, 555); aufgrund einer Entkoppelung des optischen und des vestibulären Systems kann scharfes Sehen bei Bewegung unmöglich werden (LockemanntPüschel BA 34 [1997] 241, 251). Die Fähigkeit zu räumlichem Sehen wird genauso gestört wie die Anpassungsfähigkeit der Augen an den Wechsel zwischen Hell und Dunkel; die Empfindlichkeit bei Blendung nimmt zu.47 Die alkoholbedingten Defizite sind dabei nachts stärker als am Tag (Grüner u. a. BA 7 [1970] 337, 342 ff).48 Der Alkoholisierte fahrt nachts „wie mit einer Sonnenbrille" (Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 18). Es kann zur Einengung des Blick- und

42

43

44

45

ForsterIJoachim Blutalkohol und Straftat S. 129 ff. Nach Krüger (BA 27 [1990] 182, 185 f, 193) sind es weniger die Automatismen, die gestört werden, als die kontrollierenden Leistungshandlungen (Bewältigung von Doppelaufgaben), was sich besonders in kritischen Situationen auswirke. Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 19. Zu Fahrversuchen mit Rennfahrern Gerlach BA 9 (1972) 239; ForsterIJoachim Blutalkohol und Straftat S. 134 f. Zur Selbstüberschätzung vgl. auch Heppner BA 10 (1973) 166, 174. S. dazu, daß das Hörvermögen nicht signifikant beeinträchtigt wird, ForsterIJoachim Blutalkohol und Straftat S. 128 f; Eisenmenger/Schorn/Gilg BA 21(1984) 250, 260 ff.

46

47

48

BartllBrandstätterlHosemannlReitter BA 35 (1998) 124, 135 ff; ForsterIJoachim Blutalkohol und Straftat S. 123; Gerlach BA 9 (1972) 239, 247; Heifer! SellierlKutzner BA 3 (1965/1966) 537; Heifer BA 8 (1971) 385, 402ff; ders. BA 23 (1986) 364, 366 f; LockemannlPüschel BA 34 (1997) 241, 248 ff. S. auch Kronsbein! OehmichenlKömpf BA 31 (1994) 57, 71 ff. Gerlach BA 9 (1972) 239, 246; Heifer BA 23 (1986) 364, 366; Saiger BA 27 (1990) 1, 2; differenzierend WilhelmilLindner!Audrlicky BA 9 (1972) 473, 482 ff. S. auch Schuster!SchewelLudwig!FriedellHellwege BA 28 (1991) 287, 296 ff. Zu stärkeren Beeinträchtigungen am Abend Lutz/Rahnl Taupp BA 28 (1991) 235, 240 f.

Stand: 1.7. 2000

(262)

T r u n k e n h e i t im Verkehr

§316

Gesichtsfelds kommen, 49 Kontrastverwischungen und Farbsinnschädigungen können hinzutreten (JaguschiHentschel Rdn. 6 m. w. N.). Gestört wird, was eng mit der Beeinträchtigung des Sehvermögens zusammenhängt, auch der Gleichgewichtsapparat (ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 124 ff), desgleichen die Feinmotorik, was beim Autofahren zu überschießenden Korrekturen von kleineren Lenkunsicherheiten bis hin zum Schlangenlinienfahren führt (Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 18). Verlangsamt bis unkontrollierbar wird die Sprachmuskulatur; dies wirkt sich in einer verwaschenen Aussprache bis hin zum Lallen aus (Penning aaO). bb) Anerkanntermaßen korrelieren die Wahrscheinlichkeit und Stärke der Ausfalle im Leistungsvermögen und damit auch die Gefährlichkeit des alkoholisierten Fahrzeugführers mit dem Alkoholgehalt im Blut, ohne daß allerdings eine gleichmäßige Entsprechung vorhanden wäre (vgl. Gerchow BGA-Gutachten 1966 [Anl. 10] S. 174, 182). Zu unterschiedlich sind die Variablen, die für die Alkoholwirkung auf den einzelnen verantwortlich sind (u. a. aktuelle Disposition, Alkoholgewöhnung; Persönlichkeit). Vielfach, und zwar gerade auch in experimentellen Untersuchungen, ist erwiesen worden, daß relevante Störungen der Gesamtleistungsfahigkeit schon bei geringen Alkoholdosen auftreten können. Experimentell nachweisbar sind sie ab BAK-Werten zwischen 0,2 und 0,3 %o.50 Unumstritten können geringe Alkoholisierungsgrade in diesem Bereich vor allem in Verbindung mit ungünstigen Umständen (z.B. schlechte Sicht aufgrund Dämmerung oder Niederschlag, Ermüdung, Erkrankung) zur Fahrunsicherheit führen. Nicht selten wird hervorgehoben, daß es überhaupt keine für die Fahrsicherheit irrelevante Alkoholkonzentration gibt.51 Nachhaltige Beeinträchtigungen der Fahrsicherheit sind vielfach schon bei einer BÄK von 0,5 %o zu erwarten. Bei einer BÄK von 0,6 %o ist die Gefährlichkeit des Kraftfahrers in Bezug auf Unfälle mit Todesfolge gegenüber einem Nüchternen bereits dreimal, bei 0,8 %o viereinhalb mal so hoch (Freudenberg BGA-Gutachten 1966 [Anl. 8] S. 158, 162). Nach Gerchow (BGA-Gutachten 1966 Anl. 10 S. 174, 184) sind ab 0,7 bis 0,8 %o über 50% aller Menschen fahruntüchtig und muß ab einer BÄK von l,2%o stets „mit irgendwelchen Ausfallen gerechnet werden". Das BGA-Gutachten 1966 kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß bei einer BÄK zwischen 1,0 und 1,1 %o bei jedem Menschen Leistungsausfalle von solchem Gewicht auftreten, daß eine Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrer nicht mehr verantwortet werden kann (S. 50). cc) Bereits dem BGA-Gutachten 1966 lagen, was teils nicht hinreichend berücksichtigt wird (ζ. B. Haffke JuS 1972 448, 449), nicht lediglich unfallstatistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen zugrunde; vielmehr sind darin Ergebnisse aus der Experimentalforschung eingegangen, die, von Außenseitermeinungen abgesehen, „auf der ganzen Welt im wesentlichen unbestritten" sind (Gerchow BA 6 [1969] 399, 400). Die Grundaussagen des Gutachtens sind durch die Alkoholforschung der nachfolgenden Jahre bestätigt worden. „Echte" Fahrversuche, Untersuchungen mit Fahrsimulatoren und laborexperimentelle Studien, auf die die neuere Rechtsprechung besonderes Gewicht legt (BGHSt. 30 251, 253 ff; 34 133, 134 ff; 37 89, 94), haben vor allem die 49

50

Vgl. Forster/Joachim Blutalkohol und Straftat S. 119; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 18; Gerchow BA 6 (1969) 399, 409; ders. BA 13 (1976) 341, 352Π"; GilglLiebhardtl SchullerlRiedel BA 21 (1984) 235, 244 ff; Heifer BA 23 (1986) 364, 366 f. Unter vielen Elbel BGA-Gutachten 1966 (Anl. 9) S. 166, 170f; Gerchow BA 6 (1969)

(263)

51

399, 409; Heifer BA 23 (1986) 364, 367 f; ders. BA 28 (1991) 121, 124f; Krüger BA 27 (1990) 182, 194; Lewrenz/BerghausIDotzauer BA 11 (1974) 104. Vgl. Elbel BGA-Gutachten 1966 (Anl. 9) S. 166, 170; Heifer BA 28 (1991) 121, 138 (Nr. 1); LockemanntPüschel BA 34 (1997) 241, 256.

Peter K ö n i g

§ 316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Einstufung von BÄK-Werten ab 0 , 4 % o / 0 , 5 % o als kritische und von Werten ab 1 , 0 %o als absolut unverträgliche Grenze erhärtet. 52 Krüger (BA 27 [ 1 9 9 0 ] 1 8 2 , 1 9 3 ff) kommt nach Auswertung einer Vielzahl experimenteller Untersuchungen sogar zu dem Ergebnis, daß die Fahrsicherheit bereits ab einer BÄK zwischen 0,7 und 0,8 %o allgemein aufgehoben sei. Er stellt dabei - prinzipiell in Einklang mit der Begriffsbestimmung der Rechtsprechung (Rdn. 10) - maßgebend darauf ab, daß der Kraftfahrer nicht nur Standardsituationen gewachsen, sondern auch in der Lage sein müsse, kritische Verkehrslagen zu meistern; bei einer BÄK ab 0 , 7 / 0 , 8 %o könne man allenfalls von ersterem, nicht aber von letzterem ausgehen (s. aber ee) a. E.). dd) Unumstrittenes Ergebnis der Alkoholforschung ist es, daß das M a ß der Leistungsstörungen nicht im gesamten Verlauf der „Alkoholkurve" gleichbleibend ist. Vielmehr sind die Beeinträchtigungen in deren aufsteigendem Ast sehr viel stärker als im abfallenden (also dann, wenn die Ausscheidung des Alkohols dessen Aufnahme überwiegt). Am massivsten sind sie kurz vor Abschluß der Resorption und etwas darüber hinaus (Gerchow BGA-Gutachten 1966 [Anl. 10] S. 174, 183). Dies haben sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung aufgegriffen, indem beide neben dem BÄK-Wert zur Tatzeit darauf abstellen, ob die Alkoholmenge, die der Betroffene zur Tatzeit im Körper hat, zu einer BÄK über dem maßgebenden Grenzwert führt (hierzu Rdn. 81). ee) Im Zuge der „Grenzwertdiskussion" spielt naturgemäß die Frage eine Rolle, ob beim Trinkgewöhnten andere Maßstäbe angelegt werden müssen als beim (mehr oder weniger) Abstinenten. 53 Auch im Strafverfahren wird bzw. wurde gelegentlich argumentiert, ζ. B. der Weinprüfer oder Bierfahrer verfüge über eine bessere Alkoholverträglichkeit. Gemeint sind damit nicht Fälle einer geringeren oder größeren Trinkgewöhnung „im Rahmen des noch «Normalen»", für die keine erhöhte Alkoholtoleranz nachgewiesen ist {ElbeilSchleyer Blutalkohol S. 163), sondern die chronischen Trinker. Für diese ist wohl davon auszugehen, daß sie es zumindest verstehen, ausgefallene 7ez7funktionen durch andere zu ersetzen {Krüger BA 27 [1990] 182, 195). Allerdings hielt es das BGA-Gutachten 1966 im Anschluß an Elbeil Schleyer (Blutalkohol S. 162 f) für hinreichend gesichert, daß sich eine erhöhte Toleranz nicht auf die gesamte Skala der Leistungen erstrecke, die vom Kraftfahrer im Straßenverkehr verlangt werde (BGA-Gutachten 1966 S. 49). Dies wird durch Versuche bestätigt, die u.a. mit Bierfahrern unternommen worden sind (vgl. Gerchow BGA-Gutachten 1966 [Anl. 10] S. 174, 179). Jedenfalls durch einen Grenzwert von l,0%o wird auch diese Personengruppe nicht unangemessen benachteiligt. Hingegen sieht Krüger (BA 27 [1990] 182, 195) für den von ihm vorgeschlagenen Grenzwert von 0,7/0,8 %o insoweit noch Forschungsbedarf. 17

c) Die Blutalkoholkonzentration (BÄK). Wichtigstes Beweisanzeichen für das Vorliegen alkoholbedingter Fahrunsicherheit ist nach wie vor die Alkoholkonzentration im Blut (vgl. BGHSt. 31 42, 44; zur Atemalkoholanalyse Rdn. 44ff). Sie wird in Promille angegeben (Alkohol in G r a m m pro lOOOccm Blut) und in aller Regel durch Gerchow BA 13 (1976) 341; Gerlach BA 9 (1972) 239; GilglLiebhardt/Schüller!Riedel BA 21 (1984) 235; Heifer BA 8 (1971) 385; Lutz/Rahnl Taupp BA 28 (1991) 235; Heppner BA 10 (1973) 166; Lewrenz/Berghaus/Dotzauer BA 11 (1974) 104; LockemannlPüschel BA 34 (1997) 241, 248 ff; WilhelmilLindneriAudrlicky BA 9 (1972) 473. S. andererseits Staak!SpringerlSchoor BA 9

53

(1972) 441, 448 f, die bei Werten zwischen 0,4 und 0,5 %o keine signifikanten Leistungsabnahmen gegenüber einem Placebo-Versuch festgestellt haben. Zu Fällen krankheitsbedingter erhöhter Alkoholverträglichkeit Rdn. 77 a.E., zum Einfluß von Krankheiten, Gegengiften Rdn. 42.

Stand: 1. 7. 2000

(264)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Analyse einer Blutprobe festgestellt (Rdn. 18 ff), die aufgrund einer Anordnung nach § 81 a StPO entnommen worden ist. Es ist jedoch auch möglich, die BÄK nach der Menge Alkohol zu errechnen, die der Beschuldigte aufgenommen hat (Trinkmenge); die Ergebnisse einer durch Trinkmengenberechnung vorgenommenen BAK-Bestimmung (Rdn. 37 ff) sind allerdings bei weitem unsicherer als die der Blutprobenanalyse. aa) BAK-Bestimmung anhand einer Blutprobe. Für das Verfahren der BAK-Bestim- 1 8 mung anhand einer Blutprobe hat das Bundesgesundheitsamt im Jahre 1966 Richtlinien vorgelegt (Anl. 6 a bis 6 c des BGA-Gutachtens 1966), die später weiter entwickelt worden sind (BGA-Gutachten 1977 S. 7 ff; Anl. 2). Sie entsprechen dem Erkenntnisstand der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung und tragen den forensisch zu stellenden Anforderungen Rechnung. Die vom Bundesgesundheitsamt vorgegebenen Verfahrensgrundsätze haben dementsprechend allgemein Anerkennung gefunden. Deren Einhaltung ist durch Nr. 3.6 Abs. 2 der im wesentlichen bundeseinheitlich geltenden Verwaltungsvorschriften über die Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluß bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (RiBA [Rdn. 255]) zwingend vorgeschrieben. Sie ist Voraussetzung für die Anerkennung einer Blutprobenanalyse im Strafverfahren (vgl. BGHSt. 21 157, 159; 39 291, 298; BayObLGSt. 1995 181, 183); für den Zivilprozeß gilt dasselbe (BGH VRS 75 444,446). (1) Fünf bzw. vier Einzelanalysen. Anlage 6 a des BGA-Gutachtens 1966 (S. 146 1 9 [Nr. 1]) ordnet fünf Einzelanalysen an, die nach zwei voneinander unabhängigen Untersuchungsverfahren gewonnen sein müssen (drei Proben nach dem Verfahren Widmark54 und zwei nach der ADH-Methode).55 Zugleich bringt das Gutachten aber zum Ausdruck, daß neben den zur Zeit seiner Erstellung gebräuchlichen Methoden (Widmark; ADH) neue Untersuchungsverfahren zugelassen werden können, sofern sie der wissenschaftlichen Nachprüfung in Bezug auf Genauigkeit, Reproduzierbarkeit und Spezifität standhalten (Gutachten 1966 S. 147 [Nr. 9]). Das trifft auf das automatisierte gaschromatographische Verfahren zu (GC-Verfahren). Dieses Verfahren ist den anderen beiden Verfahren in Bezug auf Zuverlässigkeit und Leistungskonstanz nach verbreiteter Auffassung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung überlegen.56 Mit dem BGA-Gutachten 1977 (S. 7 ff) ist es als weitere Untersuchungsmethode anerkannt worden.57 Unumstritten ist, daß statt der drei Untersuchungen nach Widmark oder der zwei Untersuchungen nach ADH zwei gaschromatographische Untersuchungen vorgenommen werden können, womit vier Einzelanalysen ausreichen.58 Die Alkoholbestimmung unter Anwendung des GC-Verfahrens in Verbindung mit der ADH-Methode hat das Verfahren unter Erhebung von fünf Einzelanalysen nach den beiden anderen Methoden in der Praxis mittlerweile in den Hintergrund gedrängt. 54

55

56

Es handelt sich um ein mikrochemisches jodometrisches Titrationsverfahren; hierzu eingehend Forster/Joachim Blutalkohol und Straftat S. 29 ff. „Alkoholdehydrogenase-Verfahren"; fermentatives Verfahren, das gleichsam die erste Stufe des Alkoholabbaus nachahmt (im einzelnen Forsterl Joachim Blutalkohol und Straftat S. 40 ff; vgl. auch Hentschel Trunkenheit Rdn. 59 ff). BGA-Gutachten 1977 S. 7, 8; Brettel BA 10 (1973) 120; Greiner BA 10 (1973) 236, 239 (kritisch hierzu BGA-Gutachten 1977 S. 9); Grüner BA 28 (1991) 360, 361; KraulandlSchmidt BA-

(265)

57

58

Festschrift S. 91; Machata BA 4 (1967) 252; Zusammenfassend Forsterl Joachim Blutalkohol und Straftat S. 47 ff; Hentschel Trunkenheit Rdn. 65 ff. Vgl. auch Klug/Schmidt BA 18 (1981) 237; Machata BA 20 (1983) 236; Schmidt BA 19 (1982) 122. Ebenso bereits zuvor BayObLG BA 13 (1976) 227, 229 f; O L G Köln BA 13 (1976) 435 f; O L G Hamburg BA 13 (1976) 230 f, 231 f. S. nur BGHSt. 28 1, 2; BGH VRS 75 444, 446 [zu § 2 AUB]; BayObLG VRS 62 461, 462; O L G Stuttgart VRS 66 450, 452; O L G Düsseldorf VRS 94 352, 353.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

20

(a) Mehr als vier/fünf Einzelanalysen. Die Beschränkung auf vier bzw. fünf Einzelanalysen erfolgte nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen und mit Blick auf womöglich nur beschränkt zur Verfügung stehendes Untersuchungsmaterial (OLG Hamm BA 12 [1975] 279, 280). Es handelt sich insoweit um eine Mindestanforderung, die der Durchführung einer größeren Anzahl von Analysen nicht entgegensteht. Nach der Gauß'schen Wahrscheinlichkeitstheorie nimmt die Wahrscheinlichkeit, dem „Wahren Wert" möglichst nahezukommen, mit der Anzahl der Einzelwerte zu; der Angeklagte ist bei Durchführung und Verwertung einer größeren Anzahl von Analysenergebnissen demnach nicht unzulässig beschwert. 59 Sind nach einer Meßmethode mehr Analysen als vorgeschrieben durchgeführt worden, so darf der Richter deswegen auch nicht unter Hinweis auf den Zweifelssatz nur jeweils die beiden (drei) günstigsten Meßbefunde der einen Methode herausgreifen und mit diesen sowie den nach der anderen Meßmethode erhobenen den Mittelwert bilden (offengelassen von O L G Düsseldorf BA 16 (1979) 61, 62 f, zum Zweifelssatz bei der Bildung des Mittelwerts näher Rdn. 23).

21

(b) Verfehlen der Mindestzahl, Sonstiges. Werden hingegen weniger als die geforderten Einzelanalysen durchgeführt, so hat der Untersuchungsbefund hinsichtlich des festgestellten BÄK-Werts keine uneingeschränkte Beweiskraft. Bedeutsam ist dies vor allem für die Feststellung der absoluten Fahrunsicherheit (näher Rdn. 89). Die Einzelwerte dürfen nicht aufgerundet werden (Rdn. 79). Zur Mitteilung der Einzelwerte durch das Institut bzw. im Urteil wird auf das in Rdn. 27 Gesagte Bezug genommen. Die für die BAK-Bestimmung verwendeten Geräte unterliegen nicht der Eichpflicht (OLG Düsseldorf BA 32 [1995] 301, 302; OLG Schleswig BA 33 [1996] 54, 55). Die Verwendung nicht geeichter Geräte führt deshalb nicht zu einem strafprozessualen Verwertungsverbot. Die erforderliche Meßgenauigkeit wird auf andere Weise, nämlich durch laufende interne Qualitätskontrollen und durch die regelmäßige Teilnahme der Untersuchungsstelle an Ringversuchen sichergestellt (OLG Düsseldorf BA 32 [1995] 301, 302; Rdn. 63)

22

(2) Zwei Untersuchungsmethoden. In Übereinstimmung mit den BGA-Gutachten 1966 (S. 146 [Nr. 1]) und 1977 (S. 7) hält die Rechtsprechung daran fest, daß zwei voneinander unabhängige Untersuchungsmethoden angewandt werden müssen. 60 Dies beruht auf der Erkenntnis, daß mit Messungen im Bereich der Naturwissenschaft absolute Genauigkeit im Sinne völliger Übereinstimmung des Meßergebnisses mit der wirklich gegebenen Größe selbst unter günstigsten Voraussetzungen nicht erzielt werden kann. Keine Untersuchungsmethode, auch nicht das gaschromatographische Verfahren, kann als fehlerfrei angesehen werden (OLG Düsseldorf VRS 94 352, 354). Demgegenüber wird durch die rechtsmedizinische Wissenschaft teils vorgeschlagen, die Doppelbestimmung im automatisierten gaschromatographischen Verfahren als eigenständige Methode zur BAK-Bestimmung anzuerkennen.61 Die Vorschläge stützen sich auf die Meßgenauigkeit der GC-Methode und auf mittlerweile langjährige und gute Erfahrungen; zudem sei bei zwei prinzipiell unterschiedlichen Verfahren ein systematischer „Fehler" zu erwarten, der bei Verwendung nur eines Verfahrens aus59

OLG Hamm BA 12 (1975) 279, 280; OLG Düsseldorf BA 16 (1979) 405, 406; BA 17 (1980) 174; VRS 67 35, 36; Hentschel Trunkenheit Rdn. 64; DotzauerlBerghaus BA 16 (1979) 63. Abw. u.U. OLG Düsseldorf BA 16 (1979) 61, 62 f.

60

61

BayObLG VRS 62 461, 462; BayObLGSt. 1995 181, 183 f; OLG Düsseldorf VRS 94 352, 354. Heifer/Brzezinka BA 27 (1990) 215, 216 f; Krauland/Schmidt BA-Festschrift S. 91, 95. Vgl. auch Klug/Schmidt BA 18 (1981) 237; Machata BA 20 (1983) 236; Schmidt BA 19 (1982) 122.

Stand: 1. 7. 2000

(266)

Trunkenheit im Verkehr

§316

geschaltet oder zumindest minimiert werden könne {HeiferIBrzezinka BA 27 [1990] 215, 216 f)· Vereinzelt wird sogar die Auffassung vertreten, die Doppel-GC-Methode könne bereits heute als richtliniengerechtes BAK-Bestimmungsverfahren unter Anwendung zweier Untersuchungsmethoden gelten, sofern zwei Untersucher unabhängig voneinander je zwei Analysen durchführten, ggf. dabei auch zwei Geräte verwendeten (so Machata BA 20 [1983] 236, 239). Mit den insoweit eindeutigen Aussagen des BGA-Gutachtens 1977 (S. 7f) ist dies freilich nicht zu vereinbaren. Der „konservative" Standpunkt der Rechtsprechung erscheint deshalb verständlich. Eine derart einschneidende Änderung in der Praxis der BÄK-Bestimmung bedürfte einer breiten medizinisch-naturwissenschaftlichen Absicherung. Es wäre wünschenswert, wenn die Rechtsprechung einen Anstoß dahin geben würde, die formalen Kriterien zu überdenken (näher Rdn. 89 a. E.). Bedauerlicherweise steht das Bundesgesundheitsamt für die damit verbundenen Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Wird nur ein Verfahren angewandt, so ist der Beweiswert des so ermittelten Befundes vermindert. Der Befund kann zwar als Beweisanzeichen im Rahmen der Prüfung „relativer Fahrunsicherheit" dienen; für die Feststellung „absoluter Fahrunsicherheit" darf er jedoch nicht mehr vorbehaltlos herangezogen werden; die Einzelheiten sind umstritten (hierzu Rdn. 89). (3) Mittelwert. Dem Untersuchungsbefund ist nach gefestigter Rechtsprechung 2 3 und ganz h. M. im Schrifttum das arithmetische Mittel aus allen vier bzw. fünf ermittelten Einzelwerten zugrunde zu legen; auf diese Weise kommt man dem „Wahren Wert" am nächsten. 62 Die vereinzelt vertretene Auffassung, der Zweifelssatz zwinge dazu, den niedrigsten Einzelwert heranzuziehen, 63 verkennt u. a., daß der Fehlerbreite der Meßergebnisse bereits durch Bildung des Mittelwerts aus vier bzw. fünf Einzelwerten Rechnung getragen wird, von denen je zwei in voneinander unabhängigen Meßverfahren erhoben worden sind (BayObLGSt. 1995 181, 184). Darüber hinaus ist die „Streubreite" im Sicherheitszuschlag (Rdn. 60) berücksichtigt (OLG Düsseldorf VRS 94 352, 355). Für eine weitere Begünstigung des Beschuldigten besteht vor diesem Hintergrund kein Anlaß ( H a f f k e NJW 1971 1874, 1875; Hentschel Trunkenheit Rdn. 82 0Der Richter ist aufgrund des Zweifelssatzes auch nicht gehalten, die Einzelwerte des gaschromatographischen Verfahrens zugrunde zu legen, sofern diese im konkreten Fall niedriger sind als die im anderen Verfahren ermittelten (OLG Düsseldorf VRS 94 352, 355). Er darf ferner nicht das arithmetische Mittel aus den Mittelwerten der beiden Untersuchungsmethoden bilden, und zwar auch dann nicht, wenn im konkreten Fall mehr als die vorgeschriebenen vier bzw. fünf Einzelanalysen vorgenommen worden sind (OLG Düsseldorf BA 17 [1980] 174, 175; VRS 67 35, 36).M Bei Erhebung von mehr als den vorgeschriebenen Analysen verstößt es desgleichen nicht gegen den Zweifelssatz, wenn der Richter sämtliche Meßbefunde verwertet; er ist im Gegenteil hierzu verpflichtet (hierzu auch Rdn. 20). Der Mittelwert darf nicht aufgerundet werden. Dies gilt auch dann, wenn er nur äußerst knapp unter der für die Annahme der absoluten Fahrunsicherheit geltenden 62

S. nur BGHSt. 28 1, 2; 37 89, 95 f; BayObLGSt. 1995 181, 183 f; OLG Düsseldorf VRS 94 352, 354; BGA-Gutachten 1966 S. 32 f [insbesondere Nr. 5 bis 7]; BGA-Gutachten 1977 S. 8; LackneriKühl § 315c Rdn. 8; SehlSchröderlCramer Rdn. 17; TröndlelFischer Rdn. 8c; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 12; Hentschel Trunkenheit Rdn. 79; Haffke NJW 1971 1874, 1875.

(267)

63

64

OLG Neustadt DAR 1959 137, 139; SehlSchroder/Cramer24 Rdn. 5 b (nunmehr aufgegeben); Weigelt DAR 1962 359 f. Noch offengelassen von OLG Düsseldorf BA 16(1979) 405,406.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Grenze liegt; das Rundungsverbot erstreckt sich auf die Einzelergebnisse (näher Rdn. 79). 24

(a) Zulässige Variationsbreite. Bei physikalischen Messungen und chemischen Bestimmungen kann absolute Genauigkeit niemals gewährleistet werden (Rdn. 22). Das Bestreben kann nur dahin gehen, eine möglichst weitgehende Annäherung an den „Wahren Wert" zu erreichen, d.h. die Differenz zwischen „Wahrem Wert" und Meßergebnis so klein wie möglich zu halten (BGA-Gutachten 1966 S. 32 [Nr. 5]). Mit Rücksicht darauf dürfen die Ergebnisse der Einzelmessungen anerkanntermaßen für die Bestimmung des Mittelwerts verwendet werden, sofern sie nur geringfügig voneinander abweichen. Die divergierenden Werte müssen sich jedoch innerhalb der zulässigen Variationsbreite halten. Unter Variationsbreite 65 ist dabei die Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Einzelergebnis zu verstehen (BGA-Gutachten 1966 S. 33 [Nr. 9]). Die Variationsbreite darf nicht mehr als 10% des Mittelwerts, bei einem Mittelwert unter l%o nicht mehr als 0,1 %o, betragen (BGA-Gutachten 1966 S. 25 f; S. 147 [Nr. 6]). Laufen die Einzelwerte weiter auseinander, so darf ein aus ihnen gebildeter Mittelwert der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Der Richter darf also nicht etwa den „Ausreißer" unter den Einzelergebnissen außer Betracht lassen und den Mittelwert aus den drei bzw. vier verbliebenen Einzelwerten errechnen; dies gilt auch dann, wenn er eine Gegenprobe durch eine Trinkmengenberechnung macht (BayObLG bei Rüth DAR 1980 266). Gleichermaßen unzulässig ist es, wenn er unter Einbeziehung des „Ausreißers" den Mittelwert aus allen Einzelwerten bildet und zum Ausgleich des Fehlers kurzerhand den Sicherheitszuschlag erhöht (BayObLGSt. 1995 181, 183). Eine Ausnahme soll allerdings gelten, sofern alle Befunde (also einschließlich des „Ausreißers") über dem maßgebenden Grenzwert liegen (BayObLG bei Rüth DAR 1980 262; unten Rdn. 89 [1]). „Streuen" die Einzelwerte weiter als es die zulässige Variationsbreite erlaubt, so muß die Analyse wiederholt werden (BGA-Gutachten 1966 S. 151 [Nr. 10]).66 Im Gutachten dürfen dann nur die Ergebnisse der zweiten Messung verwertet werden. Wenn die dann durchgeführte Nachuntersuchung geringere BÄK-Werte ergibt, so ist dies kein Indiz für die Fehlerhaftigkeit der bisherigen Untersuchungen oder gar für eine Unzuverlässigkeit des Instituts. Vielmehr ist ein Konzentrationsabfall bis zu einem gewissen Grad selbst bei kürzeren Lagerungszeiten nicht ungewöhnlich (Schewe BA 19 [1982] 381). Allerdings stellt es einen Verfahrensfehler dar, wenn der Richter unter Hinweis darauf einen Beweisantrag ohne weiteres ablehnt, der auf die Feststellung der Fehlerhaftigkeit der durchgeführten Untersuchungen abzielt (OLG Köln BA 19 [1982] 380 m. zust. Anm. Schewe ebd. S. 381 f; s. auch, m.w. N., Hentschel Trunkenheit Rdn. 72). Reicht das Untersuchungsmaterial nicht aus, um eine Nachuntersuchung durchführen zu können, so stellt sich die Frage, welche Beweiskraft die Erstuntersuchung zu entfalten vermag. Sie ist in erster Linie für die Feststellung der absoluter Fahrunsicherheit relevant und wird deshalb dort (Rdn. 89) erörtert. Zur Mitteilung des Mittelwerts/der Einzelwerte durch das Institut bzw. im Urteil s. Rdn. 26 f.

25

(b) Standardabweichung. Wird die zulässige Variationsbreite eingehalten, so darf der Mittelwert auch dann verwertet werden, wenn bezogen auf die Einzelwerte die 65

«

Auch „Spannweite" genannt, vgl. BayObLGSt. 1995 181, 184. BayObLGSt. 1995 181, 183; Nr. 3.6 Abs. 3 Satz 1 und 2 der RiBA (Rdn. 255); Mühlhaust

Janiszewski Rdn. 85.

Stand: 1. 7. 2000

Rdn.

12; Hentschel

Trunkenheit

(268)

Trunkenheit im Verkehr

§316

maximal zulässige Standardabweichung überschritten wird. Mit Standardabweichung ist der Unterschied zwischen einem durch die Analyse ermittelten Einzelwert und dem Mittelwert aus allen Einzelwerten gemeint. Sie darf nach dem BGA-Gutachten 1989 (NZV 1990 104) je nach den im Einzelfall angewendeten beiden Untersuchungsmethoden zwischen 0,03 und 0,04 %o betragen (aaO S. 106).67 Im Anschluß an die Neubestimmung des für Kraftfahrer geltenden Grenzwerts zur absoluten Fahrunsicherheit (dazu Rdn. 63) hatte sich die Frage gestellt, ob die Begrenzung der Standardabweichung als neues Fehlerkriterium an die Stelle der zulässigen Variationsbreite treten sollte. Dies geht auf die in BGHSt. 37 89 aufgestellte Forderung zurück, die Untersuchungsinstitute hätten „durch die Bekanntgabe der vier bzw. fünf Einzelmeßwerte jeder Blutalkoholbestimmung nachzuweisen, daß die sich ergebende Abweichung unter den im Gutachten 1989 (S. 106) angegebenen Maximalwerten liegt" (aaO S. 98; ebenso BGHSt. 39 291, 298). BayObLGSt. 1995 18168 hält es „für ausgeschlossen, daß der Bundesgerichtshof durch ... die zitierten Äußerungen die statistische Größe der Standardabweichung als Kon trollmaß für die Meßpräzision fordern wollte" (aaO S. 185) und sieht mit eingehender und überzeugender Begründung weiterhin die zulässige Variationsbreite der Einzelanalysen als allein entscheidendes Fehlerkriterium an. 69 Dem ist der BGH mit Beschluß vom 20. Juli 1999 (BGHSt. 45 140, 143 ff) in Bezug auf den Grenzwert von 1,1 %o beigetreten, soweit die Untersuchung durch Institute durchgeführt wird, die sich erfolgreich an Ringversuchen beteiligen (Rdn. 63). Die Standardabweichung beschreibe die Präzision einer größeren Meßreihe, während die Meßpräzision eines Instituts anhand einer Stichprobe von vier oder fünf Einzelwerten nicht untersucht werden könne. Der Aufdeckung des systematischen Fehlers trage das Kriterium der zulässigen Variationsbreite Rechnung. Die Überprüfung der Meßpräzision durch Berücksichtigung der Standardabweichung, die ohne Sachverständigen nicht möglich sei, würde die Beweisaufnahme unnötig belasten. BayObLGSt. 1995 181 (188) zieht die Berechnung der Standardabweichung allerdings für den Fall in Erwägung, daß die Werte innerhalb der beiden Analyseverfahren erheblich differieren und dabei die Summe der sich aus den beiden Verfahren (GC und ADH) ergebenden Differenzwerte 0,15%o übersteigt. Der BGH äußert sich hierzu nicht und stellt ausschließlich auf die Einhaltung der Variationsbreite ab (BGHSt. 45 140, 147 f); im Hinblick darauf dürfte die Berechnung der Standardabweichung generell unterbleiben können. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, daß der Richter bei Überschreitung der zulässigen Standardabweichung nicht den für Institute, die sich nicht an Ringversuchen beteiligen, erhöhten Sicherheitszuschlag von 0,15%o (Rdn. 63) zugrunde legen darf (BayObLGSt. 1995 181, 183; aA noch LG Hamburg BA 30 [1993] 367;70 LG München I NZV 1996 378).

67

68

69

Das Gutachten gibt jeweils 0,03 %o für die Verwendung des gaschromatographischen Verfahrens mit dem ADH- bzw. Widmark-Verfahren und 0,04 %o für die Verwendung des ADH- und des Widmark-Verfahrens an. Mit zust. Anm. HeiferlBrzezinka BA 33 (1996) 106 und HentscheUR 1996 388, 389 f. Mit sorgfältiger Begründung schon zuvor LG Göttingen NdsRpfl 1991 276, 277 f. Ebenso LacknerlKühl § 315 c Rdn. 6 b; Hentschel Trun-

(269)

10

kenheit Rdn. 85 f; wohl auch MühlhausUaniszewski Rdn. 12; Beier NZV 1996 343; Rüdelll Rüdell BA 28 (1991) 252; Sammler!Sprung!Hilgers BA 29 (1992) 205. Abweichend Schoknecht NZV 1996 218. AA LG Hamburg BA 30 (1993) 367; LG München I NZV 1996 378; Paeffgen NK nach § 323 c Rdn. 12; SchlSchröder/Cramer Rdn. 17; Löffel NZV 1995 478. M. Anm. Kaun\ hierzu Daldrup BA 31 ein Wert von 0,25 mg Alkohol pro Liter Atemluft gleichgesetzt, einem BAK-Wert von 0,8 %o ein Wert von 0,4 mg/1. Das Verteilungsverhältnis berücksichtigt die statistischen Zusammenhänge zwischen AAK und BÄK; die für die BAK-Grenzwerte geltenden Sicherheitszuschläge sind in den AAK-Grenzwerten enthalten (Schoknecht BA 36 [1999] Supplement 1 S. 4, 11; Slemeyer BA 37 [2000] 203, 208 ff). Bei der zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitsrechnung hat entsprechend einer Forderung Saigers (BGA-Gutachten 1991 S. 5Iff, 60f) ein Quotient von 2000:1 (statt wie sonst gebräuchlich 2100:1) Verwendung gefunden, der den Betroffenen im Vergleich zur Blutalkoholanalyse geringfügig, nämlich um etwa 5% besserstellt; von Verfassungs wegen begegnen die eingeführten AAK-Werte keinen Bedenken (BayObLG NZV 2000 295; Rdn. 55). Sie stehen auch im wesentlichen in Einklang mit den Werten anderer Länder {Schoknecht 30. VGT 1992 S. 331, 340). 51

(a) Beweissichere Geräte. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren ist die Gerätetechnik verbessert worden. Ziel war die Konstruktion eines Geräts, das den Anforderungen des BGA-Gutachtens 1991 genügt. Die Anforderungen sind unter Berücksichtigung der seit Erstellung des Gutachtens erzielten technischen Fortschritts in der DIN VDE 0405135 niedergelegt worden, die die Basis der Bauartzulassung bildet. Derzeit hat allein das Gerät „Alcotest 7110 Evidential Typ MK III" der Firma Dräger Sicherheitstechnik GmbH die Bauartzulassung durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) erhalten. Das Gerät ist damit eichfähig. Die Eichpflicht ergibt sich aus § 2 Abs. 1, 2, EichG, § 3 Abs. 1 Nr. 3 Eichordnung. Mit Bauartzulassung, Ersteichung und den nachfolgenden halbjährlichen Eichungen136 wird die Zuverlässigkeit der Messungen sichergestellt (vgl. § 1 Nr. 2 EichG; § 32 Eichordnung).137 Die Polizei ist mit den Geräten in breitem Umfang ausgerüstet worden. Das Gerät ermöglicht Messungen nach zwei voneinander unabhängigen Methoden unterschiedlicher analytischer Spezifität, nämlich mit einem infrarotoptischen und einem elektrochemischen Meßsystem. Erforderlich ist die zweimalige Abgabe einer Atemprobe innerhalb von zwei bis fünf Minuten. Die erste Atemprobe wird elektrochemisch, die zweite mittels des Infrarotverfahrens geprüft, wobei im Rahmen der 134

135

136

Sehr kritisch IfflandlBilzer DAR 1999 1, 7; I f f landlEisenmengerlBilzer N J W 1999 1379: Es seien allein die nicht beherrschbaren Schwankungen beim Atemalkohol ausschlaggebend. D I N VDE 0405. Ermittlung der Atemalkoholkonzentration (1995). § 33 Abs. 4 Eichordnung i. V. m. Anlage 18, Abschnitt 7 (BGBl. 1992 I S. 1653, 1665); zum

137

ganzen BayObLG NZV 2000 295, 297 f; s. auch BrackemeyerlSchoknecht Die Polizei 1997 345; KnopflSlemeyer!Kluß NZV 2000 195, 198. BTDrucks. 13/9094 S. 7; dort auch dazu, daß die Prüfbedingungen in der Norm D I N VDE 0405 und von der O I M L (Fn. 133) festgelegt sind.

Stand: 1. 7. 2000

(284)

Trunkenheit im Verkehr

§316

ersten Messung noch zusätzlich der Infrarotsensor eingesetzt wird, was der geräteinternen Kontrolle dient (KnopflSlemeyer/Klüß NZV 2000 195, 197). Im Anschluß daran erfolgt geräteintern ein Vergleich der AAK-Werte der ersten und der zweiten Atemalkoholmessung. Die Abweichungen zwischen den Einzelwerten beider Messungen müssen innerhalb von 10% des Mittelwerts, bei Werten unter 0,4 mg/1 innerhalb von 0,04 mg/1 liegen.138 Dies entspricht in der Sache der Variationsbreite bei der Blutalkoholanalyse (Rdn. 24), wobei die Toleranzen etwas strenger sind als dort. 139 Für die Mittelwertbildung werden der EC-Wert der ersten und der (IR-)Wert der zweiten Atemprobe verwendet (KnopflSlemeyer/Klüß aaO). Nur dann, wenn die AAK-Werte in sich schlüssig und plausibel sind und die Toleranzwerte nicht überschritten werden, wird auf dem Gerätedisplay der errechnete endgültige AAK-Mittelwert angezeigt.140 Gleichzeitig erfolgt ein Protokollausdruck auf dem geräteeigenen Kleindrucker oder wahlweise über einen externen Drucker.141 Neben den Personalien des Probanden und dem AAK-Mittelwert werden u.a. auch der Wert der ersten (EC-Wert) und der zweiten Atemprobe (IR-Wert) zu Dokumentations- und Nachweiszwecken ausgedruckt, 142 was sowohl der DIN 0405 als auch dem BGA-Gutachten 1991 entspricht (Rdn. 55). Bei unzulässiger Streuung oder einer Fehlermeldung wird kein verwertbarer endgültiger AAK-Mittelwert ausgedruckt; der Ausdruck enthält eine entsprechende Meldung. Einer zentralen (technisch sehr schwer umzusetzenden) Forderung des Bundesgesundheitsamts entsprechend wird die Temperatur der Ausatemluft gemessen, und werden die Atemalkoholmeßwerte auf eine Durchschnittstemparatur von 34° Celsius umgerechnet. Verfälschungen durch Körper- und Umgebungstemperatur oder die Atemtechnik (Hyper-, Hypoventilation, Mundkühlung) werden so vermieden. Geräteinterne Sicherungsmechanismen sorgen dafür, daß nur Atemproben akzeptiert werden, die die (von Alter und Geschlecht des Probanden abhängigen) Mindestluftvolumina übertreffen. Dies soll gewährleisten, daß die Alveolarluft erfaßt wird, und vor allem auch Manipulationsversuchen des Probanden entgegenwirken. Die Zuverlässigkeit des Gerätesystems gegenüber Fremdeinflüssen ist u. a. in den von Schmidt/ Jachaul Wittig!Bartels!Krause durchgeführten Versuchen bestätigt worden (BA 37 [2000] 92; s. auch Rdn. 55). (b) Verfahrensvorkehrungen. Das Meßverfahren wird durch strenge Verfahrens- 5 2 Vorkehrungen abgesichert, die gleichfalls durch das Bundesgesundheitsamt herausgearbeitet worden sind. Sie haben in Nr. 2.1.2 der RiBA (Rdn. 255) Eingang gefunden. Es müssen von der PTB zugelassene und halbjährlich geeichte Geräte verwendet werden (vorstehende Rdn.). Der Meßvorgang darf frühestens 20 Minuten nach Trinkende erfolgen, um eine Verfälschung durch Mundrestalkohol oder Mundalkohol zu vermeiden. Das Meßpersonal hat darauf zu achten, daß der Betroffene mindestens zehn Minuten vor Beginn der Messung nicht ißt, trinkt, kein Mundspray verwendet 138

139

140

Soweit KnopflSlemeyer/Klüß NZV 2000 195, 197 und Lagois BA 37 (2000) 77, 88 höchstzulässige Abweichungen von 0,02 mg/1 bzw. 5% des Mittelwerts nennen, ist damit dasselbe ausgedrückt. Verfehlt IfflandlBilzer DAR 1999 1, 2, die bei ihrer Kritik auf die Standardabweichung abstellen; s. Schoknecht NZV 2000 181. Das in der Anfangszeit bestehende Problem, daß das Gerät vor der Mittelwertbildung ab der dritten Dezimalstelle entgegen BGHSt. 28 1

(285)

141

142

(Rdn. 79) aufgerundet hat, ist mittlerweile behoben. Benachteiligungen von Fahrzeugführern sind durch Verwaltungsanweisungen ausgeschlossen worden. Hierzu auch KnopflSlemeyerl Kluß NZV 2000 195, 197, 198; Löhle NZV 2000 189, 191. Zur Funktionsweise instruktiv KnopflSlemeyerl Kluß NZV 2000 195; Lagois BA 37 (2000) 77 ff. S. auch Löhle NZV 2000 189. S. im einzelnen das Schaubild bei Lagois BA 37 (2000) 77, 89.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

und nicht raucht. Die zehnminütige Kontrollzeit kann in der Wartezeit von 20 Minuten enthalten sein. 53

(c) Kritik des rechtsmedizinischen Schrifttums. Die Bemühungen um Entwicklung der Atemalkoholanalyse zu einem forensisch verwertbaren Beweismittel wurden von einem „Sperrfeuer" der Kritik aus dem rechtsmedizinischen Schrifttum begleitet.143 Die Auseinandersetzungen sind auch nach dem Inkrafttreten des neuen § 24 a StVG nicht zur Ruhe gekommen.144 Ein Haupteinwand rührt aus den Divergenzen zwischen Atemalkohol und Blutalkohol her (Rdn. 50). Dieses zentrale Problem der Atemalkoholanalyse sei nach wie vor ungenügend gelöst (und gerätemäßig auch gar nicht lösbar).145 Die Atemalkoholanalyse vermöge kein Abbild der „wahren" Alkoholkurve zu vermitteln; die Werte seien teils überhöht (resorptive Phase),146 teils auch zu niedrig (Eliminationsphase).147 Die Atemalkoholanalyse sei in ihren Bezügen zur Fahrunsicherheit unzulänglich experimentell erprobt (ζ. B. IfflandlEisenmengerlBilzer DAR 2000 11 f). Sicherheitsniveau und Verfahrensvorkehrungen blieben weit hinter den Standards der Blutalkoholanalyse (hierzu Rdn. 18 ff) zurück; namentlich widerspreche die Messung bzw. der Ausdruck von nur zwei (statt vier) Einzelwerten den „Festlegungen des BGH" zur Blutprobenanalyse.148 Bauartzulassung und halbjährliche Eichungen könnten die bei der Blutalkoholanalyse erforderlichen laufenden Qualitätskontrollen und die Teilnahme an Ringversuchen nicht ersetzen (Ifßand/Bilzer DAR 1999 1, 2).149 Auch die Anforderungen des BGA-Gutachten 1991 erfülle das Gerät nicht, weil der Infrarotdetektor anders als dort vorgesehen lediglich auf einer statt auf zwei Wellenlängen messe (IfflandlEisenmengerlBilzer-WW 1999 1379, 1380; hierzu Rdn. 55). Die Zuverlässigkeit an sich sei zweifelhaft; es komme zu „Ausreißern".150 Vielfältige Störungen (und diesbezügliche Einwendungen des Beschul143

144

U.a. AderjanlSchmittlWu BA 29 (1992) 360; Alkoholkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin BA 36 (1999) 177; Bilzer/Grüner BA 30 (1993) 225; Bilzer/Hatz BA 35 (1998) 321, 328; Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin BA 29 (1992) 108; GilglEisenmenger DAR 1997 1; Grüner Die Atemalkoholprobe: Grundlagen und Beweiswert (1985); GrünerlBilzer BA 27 (1990) 119; dies. BA 29 (1992) 98; 161; Heifer BA 23 (1986) 229; ders.lLooslKlaeslSchyma BA 32 (1995) 218; ders. BA 35 (1998) 229; ders. BA 37 (2000) 103; Iffland!Bilzer DAR 1999 1; I f f landlEisenmengerlBilzer N J W 1999 1379; KijewskilSprunglEggert BA 28 (1991) 243; Köhlerl BanaschaklBrinkmann BA 34 (1997) 36; TsokoslBilzer BA 34 (1997) 405; UrbanlWolfl EidamlKleemann/Schroederl Tröger BA 28 (1991) 304; WilskelEisenmengerl'Liebhardt BA 28 (1991) 224; s. auch den Schriftwechsel m. Stellungnahme Heifer BA 35 (1998) 229. Zusammenfassend JaguschiHentschel Rdn. 52 a; § 24 a Abs. 1 StVG Rdn. 16; Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 24 f; Hentschel NJW 1998 2385, 2387 ff. S. nur Gilg BA 36 (1999) Supplement 1 S. 30; Ifßand/Bilzer DAR 1999 1; Iffland!Eisenmengerl Bilzer NJW 1999 1379; dies. DAR 2000 9; I f f land BA 36 (1999) Supplement 1 S. 15; Ifflandl Hentschel NZV 1999 489, 491; Wilske DAR 2000 16.

145

146

147

148

149

Alkoholkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin BA 29 (1992) 108, 110; I f f landl Bilzer DAR 1999 1, 7. BilzerlSchewel Blauertl Kirschall BA 34 (1997) 89, 97 ff; GilglEisenmenger DAR 1997 1, 5; Wilskel Eisenmenger DAR 1992 41,44. Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin BA 29 (1992) 108, 111; Grünerl Bilzer BA 29 (1992) 98, 105; Ifflandl Hentschel NZV 1999 489, 491. U.a. BilzerlGrüner BA 30 (1993) 225, 230; I f f landl Bilzer DAR 1999 1, 2f; Wilskel Eisenmenger! Liebhardt BA 28 (1991) 224, 231 f. Hierzu Rdn. 55. Relativiert von IfflandlEisenmengerlBilzer DAR 2000 9, 14f: Blutalkoholanalysen seien nicht ungenauer als AAK-Messungen. Was die Ringversuche bei der Blutalkoholanalyse anbelangt: Sie finden zwar halbjährlich statt; jedoch wird das „Zertifikat" jeweils für ein ganzes Jahr erteilt. Atemalkoholmeßgeräte stellen sich hingegen automatisch ab, wenn die Eichfrist erreicht ist (interne Stellungnahme Brackemeyer, insoweit von IfflandlEisenmengerlBilzer nicht wiedergegeben). S. auch Schoknecht NZV 2000 181.

150

BilzerlGrüner BA 30 (1993) 225, 230; Grünerl Bilzer BA 29 (1992) 161, 169f; Wilske/Eisenmenger!Liebhardt BA 28 (1991) 224.

Stand: 1. 7. 2000

(286)

Trunkenheit im Verkehr

§316

digten) seien denkbar, etwa bei akuten oder chronischen Erkrankungen,151 Restalkohol im Mund und Aufstoßen 152 oder nach Gebrauch von Mundwässern, Parfüms etc.,153 von SchnüfTelstoffen und anderen Fremdgasen, 154 bei Hypersalivation (vermehrter Speichelbildung), 155 aufgrund des Exspirationsvolumens 156 und der Exspirationsdauer sowie bei Temperatureinflüssen (hierzu Rdn. 51 f).157 U m der Fehlerbreite der Atemalkoholanalyse gerecht zu werden, müsse man einen derart hohen Sicherheitszuschlag vornehmen, daß die 0,8%o-Grenze des § 24 a Abs. 1 Nr. 1 StVG faktisch auf fast l,2%o angehoben sei,158 was alle bisherigen Bemühungen gegen den Alkohol im Straßenverkehr zunichte mache ( I f f l a n d / B i l z e r DAR 1999 1, 7).159 Die Kritik setzt ferner an den systemimmanenten Nachteilen der Atemmessung an. Genannt wird u. a. die mangelnde Reproduzierbarkeit der „flüchtigen" Substanz Atemluft, die nachträgliche Kontrolluntersuchungen unmöglich mache;160 auch könne der Einfluß von anderen Drogen und Medikamenten in der Atemluft nicht festgestellt werden. Eine Begleitstoffanalyse bei Nachtrunkbehauptungen (hierzu Rdn. 86) sei genausowenig durchführbar wie die Rückrechnung auf die Tatzeit.161 (d) Beschränkung auf das Bußgeldverfahren. In den neu gefaßten RiBA (Rdn. 255) ist der Einsatz der Atemalkoholanalyse mit dem zugelassenen Gerät als unmittelbares Beweismittel auf den Nachweis von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a Abs. 1 StVG beschränkt worden (Nr. 2 Satz 4, Nr. 3.3.1 Spiegelstrich 4 RiBA). Besteht der Verdacht, daß der Beschuldigte eine Straftat (namentlich § 316) begangen hat, so ist weiterhin eine Blutentnahme herbeizuführen (Nr. 3.2.1 RiBA). Außerdem kann die Atemmessung für den Vortest hinsichtlich der Entscheidung nach § 81 a StPO eingesetzt werden (Nr. 2 Satz 3 RiBA), was ihrem bisherigen Einsatz im Strafverfahren entspricht (Rdn. 46ff). 162

151

152

153

154

155 156

Bilzer/Grüner BA 30 (1993) 225, 230; bei Lungenfunktionsstörungen haben Heiferl Loosl Klaesl Schyma freilich keinen signifikanten Unterschied festgestellt (BA 32 [1995] 218, 223). PennerslBilzer BA 24 (1987) 172, 175; Urban/ WölflEidamiKleemann/Schroeder/Trbger BA 28 (1991) 304, 306 fT. Bei Mundrestalkohol erfolgt allerdings eine Fehlermeldung des Geräts, so daß dieser Effekt von untergeordneter Bedeutung sein dürfte; zudem darf die Messung frühestens 20 Minuten nach Trinkende erfolgen (vgl. Bilzer/Grüner BA 30 [1993] 225, 228 und Rdn. 52), in denen der Mundrestalkohol durch Aufnahme in den Körper vollständig abgebaut wird. Bilzer/Grüner BA 30 (1993) 225, 229f; Grünerl Bilzer BA 27 (1990) 119, 127 ff. Innerhalb von 10 Minuten nach Gebrauch von Mundsprays darf die Messung nicht durchgeführt werden (Rdn. 52) und führt zu einer Fehlermeldung (Anzeige im Display und auf dem Ausdruck; „INTERFERENZ"), weil von dem Gerät Fremdgase erkannt werden. KijewskHSprung/Eggert BA 28 (1991) 243, 248ff; KijewskUSprung BA 29 (1992) 350 f; Wilskel EisenmengerlLiebhardt BA 28 (1991) 224, 230. Tsokos/Bilzer BA 34 (1997) 405, 409 ff. WilskelEisenmengerlLiebhardt BA 28 (1991) 224, 227.

(287)

157

158

159

160

161

162

Zu Divergenzen der Atemalkoholwerte gegenüber Blutalkoholwerten WittiglSchmidtlJachaul RömhildlKrause BA 37 (2000) 30. Iffland/Bilzer DAR 1999 1, 7; KöhlerlBanaschaklBrinkmann BA 34 (1997) 36,43 f. S. auch Wilske DAR 2000 16, 19f sowie Bode BA 36 (1999) 249 ff, gegen letzteren mit Recht BayObLG NZV 2000 295, 297 (Rdn. 55) sowie Schoknecht NZV 2000 181 f. S. allerdings Arbab-Zadeh NJW 1984 2615, 2618, wonach Kontrolluntersuchungen in der Praxis kaum je vorkommen und die forensische Aussagekraft des Untersuchungsmaterials mit der Dauer der Asservierung abnimmt. Alkoholkommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin BA 36 (1999) 177f; Ifflandl Eisenmengerl Bilzer NJW 1999 1379, 1381. Allerdings wird die Atemalkoholanalyse anders als die Blutentnahme in der Regel unmittelbar nach der Tat (Fahrt) und damit im „rückrechnungsfreien Intervall" (Rdn. 30) durchgeführt. Zur Rückrechnung der AAK Messiner ZVR 1990 166, 167. Eine abweichende Anordnungslage besteht in Sachsen-Anhalt. Dort kann auf die Blutentnahme auch verzichtet werden, wenn eine Berufung auf Nachtrank nicht zu befürchten ist und die Atemmessung einen Wert von 0,8 mg/1 ergibt (Erlaß v. 7. Juni 1999, MB1. LSA Nr. 29/1999;

Peter König

54

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Die in den RiBA vorgenommene Beschränkung auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren ist kein Beweis dafür, daß die Bedenken aus dem rechtsmedizinischen Schrifttum gegen die Atemalkoholanalyse insgesamt und/oder die Zuverlässigkeit des eingesetzten Geräts berechtigt sind (so aber IfflandlEisenmenger NJW 1999 1379; I f f landlHentschel NZV 1999 489, 490). Sie ist vielmehr dadurch bedingt, daß die Heranziehung von AAK-Werten für die Annahme „absoluter Fahrunsicherheit" spezifische Probleme aufwirft (Rdn. 56). Die Zurückhaltung ist angesichts der womöglich für eine Vielzahl von Strafverfahren eintretenden Konsequenzen verständlich. Bemerkenswert erscheint i. ü., daß das „gestaffelte" Vorgehen der RiBA im Grundsatz einem Kompromißvorschlag entspricht, der vor einigen Jahren aus dem rechtsmedizinischen Schrifttum unterbreitet worden ist (WilskelEisenmenger DAR 1992 41, 47, im Anschluß an HeiferIPluisch ZRP 1991 421, 426). Derartige Kompromißbereitschaft sucht man in den jüngsten einschlägigen Publikationen leider vergeblich ( I f f l a n d l EisenmengerlBilzer NJW 1999 1379; IfflandlBilzer DAR 1999 1). Der 38. VGT 2000 hat sich gleichfalls für diesen Kompromiß ausgesprochen (Nr. 2, 3 der Empfehlungen des Arbeitskreises IV).163 55

(e) Stand der Rechtsprechung. In seinem sorgfaltig begründeten Grundsatzbeschluß vom 12. Mai 2000 (NZV 2000 295 m. zust. Anm. König) hat das BayObLG die Atemalkoholanalyse mit dem zugelassenen Gerät als unmittelbares Beweismittel für die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a Abs. a Abs. 1 StVG anerkannt und ist den zentralen Einwänden aus dem rechtsmedizinischen Schrifttum (Rdn. 53) überzeugend entgegengetreten. Mit Recht hat es hervorgehoben, daß sich die im Zusammenhang mit der mangelnden Konvertierbarkeit von AAK- in BÄK-Werte aufgeworfenen Probleme von vornherein nicht stellten, weil der Gesetzgeber in § 24 a Abs. 1 StVG eigenständige AAK-Grenzwerte festgelegt habe. Er habe demnach gerade nicht die Möglichkeit eröffnet, die BÄK anhand der AAK zu bestimmen, sondern lediglich dieselben Rechtsfolgen für das Erreichen bestimmter AAK-Grenzwerte angeordnet. Anerkannt sei, daß die AAK einen Hinweis auf die alkoholische Beeinflussung des Probanden liefere.164 Das zugrunde gelegte Verteilungsverhältnis berücksichtige die guten statistischen Entsprechungen zwischen AAK und BÄK, wobei der Betroffene im Vergleich zur Blutalkoholanalyse prinzipiell besser gestellt werde (Rdn. 50). Beides - die Entsprechungen wie auch die regelmäßige Begünstigung des Probanden - ist in Versuchen bestätigt worden.165 Die Besserstellung halte sich genau-

163

164

auszugsweise abgedruckt in BA 37 [2000] 171; s. auch Rdn. 56). Abgedruckt in DAR 2000 112. Zugleich hat der Arbeitskreis mit knappen Mehrheiten (und wenig überzeugend) gefordert, die technischen Mindestanforderungen zu normieren (zu den bereits gegebenen Normen Rdn. 51 f) und dem Betroffenen das Recht zu geben, daß nach einer Atemalkoholanalyse auf sein Verlangen zusätzlich eine Blutprobenentnahme erfolgt (Nr. 4, 5). Zum Verlauf der Diskussionen Händel BA 37 (2000) 101. Was sich u.a. aus der Grand Rapids Study (Rdn. 16) ergibt, die auf einer Umrechnung von AAK- in BÄK-Werte basiert und im BGA-Gutachten 1966 „zur Begründung der Grenze der sog. absoluten Fahruntüchtigkeit berücksichtigt" worden ist (vgl. BA 11 (1974), Supplement 1, S. 3); übersehen von IfßandlHentschel

165

NZV 1999 489, 497; hierzu König NZV 2000 298, 299 und unten Fn. 175. S. auch BrackemeyerlSchoknecht Die Polizei 1997 345. Hierzu die Antwort der BReg. auf eine Kleine Anfrage (BTDrucks. 13/9094 S. 6). Harsche Kritik an den Versuchen bei Ifflandl Eisenmengerl Bilzer NJW 1999 1379 (1380) und bei Ifflandl Bilzer DAR 1999 1, (7), dort (S. 3) auch gegenüber der Antwort der BReg.: „Beweis mangelnder Sachkunde". Zu einem 1986 durchgeführten Test in Österreich, der eine Übereinstimmung der Blut- und Atemwerte von 99,76% ergeben hat [eingesetzte Geräte u.a. Siemens Alcomat, Dräger Alcotest 7110; hierzu Rdn. 48 f) FousIWermuth ZVR 1986 150. Die durch das BayObLG angesprochenen Vergleichsmessungen im rechtsmedizinischen Institut München (Atemalkohol- und Blutprobe innerhalb von 30 Minuten) haben gute Überein-

Stand: 1. 7. 2000

(288)

Trunkenheit im Verkehr

§316

so innerhalb des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums wie eine denkbare Benachteiligung bei einem Atemtest in der Anflutungsphase. Letzteres gelte um so mehr, als niemand gezwungen werden könne, sich einer Atemmessung zu unterziehen. Auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Geräts und der formalen Kriterien des Meßverfahrens bestünden keine Bedenken. Bei Atemalkohol- und Blutalkoholanalyse handle es sich um nicht vergleichbare Meßmethoden bezüglich unterschiedlicher Substanzen (Alveolarluft bzw. Serum des venösen Bluts), die unterschiedlichen Qualitätskriterien genügen müßten. Die Messung mittels Infrarotabsorption und elektrochemischer Methode stelle gegenüber den Anforderungen des BGA-Gutachtens 1991, das eine Messung mit dem Infrarotdetektor auf zwei Wellenlängen angesprochen habe, eine technische Verbesserung dar. 166 Sowohl das BGA-Gutachten 1991 als auch die D I N VDE 0405 verlangten nur die Messung und Mitteilung zweier Einzelmeßwerte, weswegen die Forderung nach (Messung und) Mitteilung von vier Einzelwerten „auf einem offensichtlichen Mißverständnis" beruhe. Die halbjährliche Eichung genüge den Anforderungen, was durch umfangreiche Untersuchungen bestätigt werde.167 Die Gerichte könnten deshalb davon ausgehen, daß das Meßergebnis zutreffe, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für einen Meßfehler bestünden oder behauptet würden. Entgegen verschiedentlichen Forderungen seien keine (zusätzlichen) Sicherheitszuschläge erforderlich,168 vielmehr bereits ausreichend in den Grenzwerten enthalten; die in der Eichordnung normierten Verkehrsfehlergrenzen lägen deutlich unterhalb dieser Zuschläge. In den Urteilsgründen müßten die Meßmethode, die beiden Einzelmeßwerte und der daraus errechnete Mittelwert mitgeteilt werden. 169 Ergänzend ist auf folgendes hinzuweisen: Was die Grundsatzkritik an der Atemalkoholanalyse angeht, so wird deren Überzeugungskraft schon durch die Schärfe beeinträchtigt, mit der sie vorgetragen wird, und durch ihren nicht nur gelegentlich auf Destruktion ausgerichteten Charakter. Daß die Gerichtsmedizin ein vitales Interesse an der Beibehaltung des herkömmlichen Zustands hat, liegt auf der Hand und wird zuweilen auch eingeräumt. In ähnlichem Zusammenhang ist im rechtsmedizinischen Schrifttum selbst vermutet worden, es könnten andere als fachliche Überlegungen für die kategorische Abwehrhaltung (mit) verantwortlich sein.170 Nimmt man die Masse der kritischen Publikationen zusammen, so schimmert nach wie vor das Bild der „Utopie eines forensisch brauchbaren Beweismittels" 171 durch. Indessen hat sich der Gesetzgeber in Kenntnis der grundsätzlichen Einwendungen für die Atemalkoholanalyse entschieden. Faktum ist ferner, daß die Atemalkoholanalyse in einer Vielzahl von Staaten mit gewachsener rechtsstaatlicher Tradition als „beweissicher" gilt und daß sie dort (teilweise schon seit langem) mit Geräten praktiziert wurde bzw. wird, die die in Deutschland gültigen Standards nicht erreichen (Rdn. 49). Der Aspekt kommt in den einschlägigen Publikationen auffallend kurz, wenn er denn überhaupt angesprochen wird. Schließlich will nicht zusammenpassen, daß auch aus dem Bereich der Rechtsmedizin in den vergangenen Jahrzehnten mit sehr viel Empathie eine höhere

167

Stimmungen ergeben, wobei die Atemalkoholwerte fast durchwegs etwas niedriger lagen als die Blutprobenergebnisse. KnopflSlemeyer/Kiüß NZV 2000 195, 196; insoweit auch Löhle NZV 2000 189, 192. Untersuchungen an 470 Geräten haben ergeben, daß nur 0,64% davon nach einem halben Jahr Ergebnisse außerhalb der Verkehrsfehlergrenzen lieferten; kein einziges ergab eine zu hohe Atemalkoholkonzentration (KnopflSlemeyer/Kiüß NZ\ 2000 195, 198).

(289)

168

169

170

171

AA OLG Hamm NZV 2000 426 [Vorlagebeschluß]; AG München NZV 2000 180f m. krit. Anm. Schmalz und Schoknecht. Was hinsichtlich der Einzelwerte über die Regulanen der Blutalkoholanalyse hinausgeht (Rdn. 27). Arbab-Zadeh NJW 1984 2615, 2617: „... wurde er ... von vielen Gerichtsmedizinern, die ihre sehr lukrative Einnahmequelle in Gefahr sahen, massiv angegriffen, ...". Schlagwort nach Heifer BA 23 (1986) 229.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

polizeiliche Überwachungsdichte angemahnt worden ist, nun aber eine Maßnahme fundamental bekämpft wird, die gewiß polizeiliche Kapazitäten für eine Intensivierung der Überwachung freimacht und letztlich eine Erhöhung der Verkehrssicherheit bewirkt (Rdn. 48). Hinzu kommt, daß die Angriffe vielfach mit Haken und Ösen geführt werden. Das gilt vor allem hinsichtlich der Argumentationsstränge zu den formalen Kriterien Blutalkoholanalytik (u. a. Messung und Ausdruck von vier Einzelwerten), denen die Atemalkoholanalyse nicht genügen soll. Bei diesen handelt es sich allerdings nicht um „Eigenschöpfungen" des BGH,172 sondern sie gehen auf die BGA-Gutachten 1966 und 1977 zurück (Rdn. 18 ff). Für die Atemalkoholanalyse existiert aber im Hinblick darauf, daß sie eine eigenständige Meßmethode darstellt, ein eigenständiges Gutachten, hinter dem gleichfalls die Autorität des (ehemaligen) Bundesgesundheitsamts173 steht und bei dessen Erarbeitung alle berufenen Fachkreise (einschließlich „des BGH") gehört worden sind.174 Darin sind auch internationale Erfahrungen umfassend berücksichtigt. Die Anforderungen des Gutachtens werden durch die in der Folge geschaffenen Normen sowie durch das verwendete Gerät (über-)erfüllt. Die „Verabsolutierung" der Blutalkoholanalyse als Vergleichsparameter muß insgesamt auch dann etwas verwundern, wenn man die Vorsicht der Verkehrsmedizin gegenüber der Fehlerbreite naturwissenschaftlicher Messungen etwa im Rahmen der Doppelblutentnahme in den Blick nimmt (Rdn. 85); strenger als bei der Blutalkoholanalytik werden bei der Atemalkoholanalyse in kurzem Abstand zwei Atemwerte genommen und verglichen (Rdn. 51). 56

(g) Lage im Strafverfahren. Obwohl das zugelassene Gerät zum Zweck des Beweises eines bestimmten Alkoholisierungsgrades derzeit nur im Bußgeldverfahren eingesetzt wird (Rdn. 54; dort [Fn. 162] auch zur Anordnungslage in Sachsen-Anhalt), kann die Frage der unmittelbaren Verwertbarkeit seiner Meßergebnisse auch im Strafverfahren relevant werden. Ζ. B. kann die Blutprobe verloren gehen oder das Untersuchungsmaterial für eine ordnungsgemäße Blutalkoholanalyse nicht ausreichen. Hinsichtlich der Beweissicherheit (Zuverlässigkeit) muß die Beurteilung dabei genauso ausfallen wie im Bußgeldverfahren (aA wohl Iffland/Hentschel NZV 1999 489, 497). Denn für die richterliche Überzeugung vom Vorliegen einer Straftat bestehen keine strengeren Anforderungen als für die Feststellung einer Ordnungswidrigkeit, die empfindliche Geldbußen, die Anordnung des Fahrverbots und die Eintragung im Verkehrszentralregister nach sich zieht. Wenn gleichwohl zu fragen ist, ob bei Überschreitung bestimmter AAK-Werte „absolute Fahrunsicherheit" angenommen werden kann, ist dies dadurch bedingt, daß in den einschlägigen Strafvorschriften (AAK-)Grenzwerte nicht gesetzlich festgelegt und die Kriterien zur Annahme absoluter Fahrunsicherheit vorrangig auf die BAKm bezogen sind. Die Atemmessung erweist aber direkt nur die AAK. Es kommt hier also unmittelbar auf das Verteilungsverhältnis zwischen AAK und BÄK an, ohne daß den Gerichten ein Entscheidungsspielraum wie dem Gesetzgeber zu Gebote stünde, der es in gewissem Rahmen ermöglicht, Ungleiches gleich zu behandeln (vgl. BayObLG NZV 2000 295, 296). Voraussetzung für die Annahme absoluter Fahrunsicherheit ist demgemäß, daß der konkret gemessene AAK-Wert dem relevanten BAK-Grenzwert mit an Sicherheit 172

173

174

In diese Richtung aber u.a. Iffland/Eisenmenger/Bilzer DAR 200« 9, 14. S. aber ζ. B. Iffland/Hentschel NZV 1999 489: „Schoknecht-Gutachten". Im einzelnen Fn. 131.

115

Zur Grand Rapids Study allerdings Fn. 164; übersehen von Iffland/Hentschel NZV 1999 489, 497. Zur Aussagekraft der Studie in Bezug auf das Unfallrisiko Schoknecht BA 37 (2000) 161, 168 fr.

Stand: 1. 7. 2000

(290)

Trunkenheit im Verkehr

§316

grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest entspricht (in diesem Sinne AG Klötze DAR 2000 178, 179). Allerdings hat das Bundesgesundheitsamt auf derselben Grundlage wie bei den in § 24 a Abs. 1 StVG festgelegten AAK-Werten die den strafrechtlich relevanten Β AK-Grenzwerten korrelierenden AAK-Werte errechnet,176 und liegt deshalb nahe, daß die Entsprechungen bei höheren Werten nicht abweichend ausfallen können. Die Werte beruhen zwar auf einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, weswegen Abweichungen nach oben und nach unten nicht ganz ausschließbar sind (BayObLG NZV 2000 295, 296).177 Aber das ist bei der Festsetzung des BAK-Gefahrengrenzwerts und des Grenzwerts „absoluter Fahrunsicherheit" durch das Bundesgesundheitsamt (BGA-Gutachten 1966 S. 41 f, 49 f) nicht wesentlich anders gewesen; auch dort ist der nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung verbleibende Rest an Unsicherheit durch einen Sicherheitszuschlag ausgeglichen worden (Schoknecht BA 36 [1999] Supplement 1 S. 4, 9 ff), der in die AAK-Werte eingegangen ist, wobei der Proband aufgrund des verwendeten Quotienten prinzipiell begünstigt wird (Rdn. 50). Die Berechnungen sind auch hinsichtlich der regelmäßigen Bevorzugung des Probanden in Versuchen bestätigt worden.178 Gegenteilige Ergebnisse existieren freilich (Rdn. 53). Bei dieser Sachlage ist zu besorgen, daß die im BGA-Gutachten 1991 angegebenen strafrechtsspezifischen Grenzwerte von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht unbesehen herangezogen würden.179 Jedoch sollte die richterliche Überzeugung vom Vorliegen „absoluter Fahrunsicherheit" im Einzelfall zumindest auf hohe AAK-Werte gestützt werden können. Sehr schwer vorstellbar ist beispielsweise, daß ein Fahrzeugführer mit einer AAK von 0,92mg/1 (was einer BÄK von l,9%o nahekommt) nicht mindestens eine BÄK von 1,1 %o aufweist (anders AG Klötze DAR 2000 178, 179).180 Daß „beweissichere" AAK-Werte hohe indizielle Bedeutung im Rahmen der Prüfung „relativer Fahrunsicherheit" entfalten, steht ohnehin außer Frage (Rdn. 95). Derzeit verbleibt, die Bezüge zwischen AAK und BÄK durch groß angelegte Feldversuche weiter abzusichern. Entsprechende Bemühungen werden unternommen. Zumindest mittelfristig dürfte mit einer Revision der in den RiBA getroffenen Beschränkung auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zu rechnen sein. e) Bestimmung des Alkoholgehalts im Harn. Alkohol wird in den Nieren durch 5 7 Diffusion des auf dem Blutweg zugeführten Alkohols ausgeschieden und kann daher im Harn festgestellt werden (BGA-Gutachten 1955 S. 30). Einen hinreichend sicheren Rückschluß auf eine bestimmte Blutalkoholkonzentration läßt die Harnalkoholkonzentration allerdings nicht zu,181 wenngleich dies in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung wohl nicht ganz einheitlich beurteilt wird.182 In der Praxis spielt die Harnalkoholanalyse als alleiniges Beweismittel für den Nachweis „ab176

177

178

179

Der untere Richtwert der „relativen Fahrunsicherheit" (BÄK: 0,3%o), dessen Bedeutung allerdings vernachlässigt werden kann (Rdn. 93), wird im BGA-Gutachten 1991 (S. 53, 61) mit 0,15 mg/1, der „absolute" Grenzwert fiir Kraftfahrer (BÄK: 1,1%«) mit 0,55 mg/1 und der für Radfahrer geltende Grenzwert (BÄK: 1,6%») mit 0,80 mg/1 bemessen. Wenngleich sich die AAK-Messung in aller Regel zugunsten des Probanden auswirkt s. Rdn. 50 und Fn. 165. Schoknecht BA 36 (1999) Supplement 1 S. 4, 12 ff; s. ergänzend Fn. 165. In Sachsen-Anhalt ist es allerdings zu mehreren rechtskräftigen Verurteilungen durch Tatgerichte

(291)

180

181

182

allein aufgrund von Atemmessungen gekommen. Zur Berechnung im zugrunde liegenden Verfahren Schoknecht BA 37 (2000) 161, 165 ff. Hiergegen Krausei Wittigl Schmidt!Jachaul Bartels BA 37(2000) 154 ff. BGA-Gutachten 1955 S. 30 f; Forsterl Joachim Blutalkohol und Straftat S. 68: lediglich „vorsichtige Hinweise"; Weiler/Schütz Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts § 8 Rdn. 140. Vgl. Hentschel Trunkenheit Rdn. 128 unter Hinweis auf KluglHopfenmiller Schmidt-Festschrift S. 229: „unter günstigen Umständen"; Tröndlel Fischer Rdn. 8 b. S. auch BGA-Gutachten 1955 S. 30 f.

Peter König

§ 3 1 6

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

soluter" Fahrunsicherheit dementsprechend keine Rolle.183 Daß sie ggf. als eines von mehreren Beweisanzeichen für die Würdigung der Fahrunsicherheit herangezogen werden kann, bleibt davon unberührt. Gute Ergebnisse sind mit der Analyse der Harnprobe bei der Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen erzielt worden (Rdn. 87). 58

f) Alkoholgehalt im Speichel. Lediglich theoretische Bedeutung kommt der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration über die Alkoholkonzentration im Speichel zu. Beziehungen zwischen Speichel- und Blutalkoholkonzentrationen konnten zwar experimentell festgestellt werden,184 ein gesicherter Forschungsstand existiert jedoch nicht (vgl. aber Schulz!Magerl/Vock BA 23 [1986] 55, 61).185 Als Beweisanzeichen im Rahmen der Prüfung „relativer Fahrunsicherheit" kann der Alkoholgehalt im Speichel aber ggf. dienen. Daß er auf Mundalkohol oder Mundrestalkohol beruht, muß aber dann ausgeschlossen werden.

59

g) Die „absolute Fahrunsicherheit". Fahrunsicherheit ist gegeben, wenn der Täter das Fahrzeug wegen der Alkoholwirkung im Verkehr nicht mehr hinreichend zu beherrschen vermag; in der Beurteilung des Merkmals ist der Richter an zweifelsfrei als richtig anerkannte medizinisch-naturwissenschaftliche Erfahrungswerte gebunden (näher Rdn. 10, 14). Zur Wirkungsweise des Alkohols existiert umfängliches, sowohl in die Breite als auch in die Tiefe gehendes Untersuchungsmaterial. Einem zentrales Ergebnis der psychologischen, statistischen und experimentellen Alkoholforschung entspricht es, daß jeder Mensch ab einer bestimmten Alkoholmenge im Körper derart starke Leistungsminderungen und Persönlichkeitsveränderungen aufweist, daß er den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr gewachsen ist (Rdn. 16).186 Der Begriff der „absoluten" (bzw. „unbedingten") Fahrunsicherheit knüpft an diesen Erkenntnisstand an (BGHSt. 21 157, 160). Wird der jeweilige Alkoholisierungsgrad erreicht, so steht - was für die richterliche Überzeugungsbildung ausreicht187 - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß der Betreffende fahrunsicher ist. Der Beweis ist erbracht, womit eine gegenteilige richterliche Beweiswürdigung ausgeschlossen ist und dem Gegenbeweis der Fahrsicherheit von vornherein kein beachtlicher Beweiswert zukommt (Hafflce BA 9 [1972] 32, 34; Rdn. 77). Ist der Grenzwert andererseits nicht erreicht, ist er nicht nachweisbar oder existiert für die konkrete Art des Fahrzeugführens in der jeweiligen Verkehrsart kein absoluter Grenzwert, so bedarf es für die Feststellung der Fahrunsicherheit zusätzlicher Beweis-anzeichen („relative Fahrunsicherheit", im einzelnen Rdn. 90 ff). Die Grundsätze zur „absoluten" Fahrunsicherheit haben die Bedeutung prozessualer Beweisregeln.188

183

184

185

186

S. ergänzend O L G Düsseldorf VerkMitt. 1971 Nr. 96 S. 79: Dort war mit dem Ergebnis einer Urinprobe das Ergebnis einer Blutalkoholanalyse (erfolglos) in Frage gestellt worden. Weiler/Schütz Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts § 8 Rdn. 141. Zu in Apotheken für den Selbsttest angebotenen Sticks („Alco Screen") und deren beträchtlicher Unsicherheit: Lutz/Fröhlich/Reuhl BA 30 (1993) 240. Die Forschungsergebnisse sind in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BGHSt. 21 157, 160f). Verkannt von O L G Hamburg DAR 1966 133; 135.

187

188

BGHSt. 21 156, 161. AA Haffke JuS 1972 448, 449 f; s. auch Arbab-Zadeh N J W 1967 273, 274. Ganz h . M . S. nur BVerfG N J W 1990 3140; 1995 125, 126; Horn SK Rdn. 17; ders. Blutalkohol und Fahruntüchtigkeit S. 25 ff; Lackneri Kühl § 315c Rdn. 6 d; TröndletFischer Rdn. 6a; Haffke BA 9 (1972) 32, 34 f, 38; Nehm SalgerFestschrift S. 115, 120; Tolksdorf 33. VGT 1995 S. 79, 81. AA für den Grundwert Ranft JuS 1992 468, 470; Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 118 ff; Sarstedt Ernst E. Hirsch-Festschrift S. 171, 184f. AA u.a. Naucke N J W 1968 2321, 2324, sowie weit ausgreifend und wenig überzeugend Bialas Promille-Grenzen S. 73 ff, 112 f.

Stand: 1. 7. 2000

(292)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Wichtigster Gradmesser für die Feststellung absoluter Fahrunsicherheit ist die Alkoholkonzentration im Blut zur Tatzeit. Allerdings muß der maßgebende BÄK-Wert während der Fahrt noch nicht erreicht sein; vielmehr genügt es, wenn der Fahrzeugführer zu diesem Zeitpunkt eine Alkoholmenge im Körper hat, die eine Blutalkoholkonzentration von oder über dem Grenzwert bewirkt (Rdn. 81). Die Grenzwerte sind vornehmlich für das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr entwickelt worden (BGA-Gutachten 1966 S. 46). Auch zum Fahrradfahren (Rdn. 71) sowie für den Schiffsverkehr (Rdn. 74) liegen jedoch mittlerweile Forschungsergebnisse vor. Sofern ein Beweisgrenzwert nicht höchstrichterlich anerkannt ist, muß jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob die Maximen der „absoluten Fahrunsicherheit" herangezogen werden können (Rdn. 72 ff). Die Maßgaben zur Blutprobenanalytik, zur Rückrechnung auf die Tatzeit sowie zur „Hinrechnung" auf der Grundlage der Trinkmenge sind in den Rdn. 18 ff, 28 ff und 37 ff dargelegt. Mit der Schaffung des § 24 a Abs. 1 StVG hat der Gesetzgeber den Forschungsstand hinsichtlich des Alkoholgehalts in der Atemluft als hinreichend gesichert angesehen, um daran eine Bußgeldbewehrung zu knüpfen. Ein AAK-Grenzwert (Rdn. 44 ff) für die Annahme absoluter Fahrunsicherheit ist durch die Rechtsprechung aber noch nicht anerkannt (Rdn. 56). Keine Rolle spielt in der Praxis die Frage, ob aufgrund des Alkoholgehalts im Harn (Rdn. 57) bzw. im Speichel (Rdn. 58) absolute Fahrunsicherheit angenommen werden kann. aa) Der „absolute" Beweisgrenzwert. Der Beweisgrenzwert „absoluter" FahrUnsicherheit setzt sich zusammen aus einem Grundwert, bei dessen Erreichen der Fahrzeugführer als generell fahrunsicher anzusehen ist (Rdn. 16, 59), und einem Sicherheitszuschlag. Mit dem Sicherheitszuschlag wird ein weiteres Mal dem Umstand Rechnung getragen, daß der „Wahre Wert" der BÄK durch keines der Nachweisverfahren „punktgenau" ermittelt werden kann und daß sich eine gewisse Fehlerbreite auch bei Verwendung modernster Meßgeräte nicht vermeiden läßt (Rdn. 20, 22ff). Der Sicherheitszuschlag wird auf den Grundwert aufaddiert, um jede Benachteiligung des Beschuldigten auszuschließen, und ist damit Ausfluß des Zweifelssatzes. Liegt der durch ausgewiesene Institute ermittelte (Rdn. 63) konkrete Analysenmittelwert ζ. B. bei 1,1 %o, so beträgt der „Wahre Wert" der BÄK auch unter Berücksichtigung aller Fehlermöglichkeiten mindestens' 1,0 %o (BGHSt. 45 140, 148; Hentschel Trunkenheit Rdn. 87). Die zweimalige Herabsetzung des „absoluten" (Kraftfahrer-)Grenzwerts durch den B G H (Rdn. 62 ff) entfällt größtenteils auf den Sicherheitszuschlag, der von ursprünglich 0,5 %o auf nunmehr 0,1 %o zurückgeführt worden ist; dies ist durch die Verbesserung der Meßtechnik ermöglicht worden.

60

Die Entwicklung der Rechtsprechung ist im wesentlichen in drei Etappen verlaufen. Sie stellt sich in groben Zügen (umfänglich Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 49 ff) wie folgt dar: ( 1 ) Grenzwert von 1 , 5 / 1 , 3 %o ( 1 9 5 3 bis 1 9 6 6 ) . Seit der Grundsatzentscheidung des 6 1 BGH vom 5. November 1953 (BGHSt. 5 168) wurde absolute (unbedingte) Fahrunsicherheit des Kraftwagenfahrers ab einem BÄK-Wert von 1,5 %o angenommen (BGH a a O S. 170 ff).189 Schon damals ist der B G H aber davon ausgegangen, daß ein

189

S. auch B G H S t . 10 265, 268 f; 13 83, 84 ff; 278, 279 ff; 19 243, 244.

(293)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Blutalkoholwert (Grundwert) von 1,0 %o als das Höchstmaß dessen zu gelten habe, „was noch einigermaßen verantwortet werden" könne (aaO S. 171). Lediglich „wegen der Schwankungsbreite der sog. Widmarkschen Reaktion und wegen gewisser Ungenauigkeiten", die sich im Rahmen der Rückrechnung bei spät durchgeführten Blutentnahmen ergeben könnten, wurde ein - reichlicher - Sicherheitszuschlag von 0,5 %o für erforderlich gehalten (BGH aaO S. 170; BGHSt. 13 83, 85 ff). Für Kraftradfahrer hatte die Rechtsprechung allerdings den niedrigeren Grenzwert von 1,3 %o festgesetzt (BGHSt. 13 278, 281 ff).190 Dies ist mit der schwierigeren Handhabung des Zweirads und den daraus resultierenden, verkehrstechnisch höchsten Anforderungen im Straßenverkehr begründet worden (BGH aaO S. 281; BGHSt. 13 83, 89) 62

(2) Grenzwert von 1,3%» (1966 bis 1990). Mit Beschluß vom 9. Dezember 1966 hat der BGH den Grenzwert für Kraftwagenfahrer auf eine BÄK von 1,3 %o festgesetzt (BGHSt. 21 157). Dafür maßgebend war die Vorlage des aus drei Teilen bestehenden BGA-Gutachtens 1966 (BGH aaO S. 163). Der BGH ging dabei in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem Gutachten (und mit BGHSt. 5 169, 171) davon aus, daß auch ein noch so alkoholgewöhnter Kraftfahrer bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen 1,0 bis 1,1 %o nicht mehr als fahrsicher angesehen werden könne; den Grundwert setzte er unter Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Täters auf 1,1 %o fest (BGHSt. 21 157, 161 ff). Aufgrund gewisser Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit des Blutalkoholbestimmungsverfahrens bemaß er den Sicherheitszuschlag mit 0,2%o (BGH aaO S. 165ff). Das BGA-Gutachten 1966 hatte insoweit lediglich 0,15%o vorgeschlagen (S. 33 [Nr. 10], 49), weil nach dem durchgeführten Verfahrenskontrollversuch der Unterschied zwischen dem aus den Einzelwerten ermittelten Probenmittelwert und dem wirklichen Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,865 % nicht mehr als höchstens 0,15%o betragen habe (BGA-Gutachten 1966 S. 27 ff; Anl. 5). Fehlerquellen und Ungenauigkeiten des Rückrechnungsverfahrens (hierzu allgemein Rdn. 28 ff) sind bei der Bemessung des Sicherheitszuschlags nicht mehr berücksichtigt worden. Insoweit wurde die berechtigte Kritik des Bundesgesundheitsamts an der „alten" Rechtsprechung aufgegriffen (BGA-Gutachten 1966 S. 48 f). Die Rückrechnung sei eine Aufgabe des Tatrichters, die nur im konkreten Einzelfall bewältigt werden könne und sich generellen Festlegungen im „absoluten" Beweisgrenzwert entziehe (BGHSt. 21 157, 1630In BGHSt. 22 352 hat der BGH dann - abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung (Rdn. 61) - die Auffassung vertreten, daß für Kraftradfahrer keine andere Beurteilung gerechtfertigt sei als für die Führer von Kraftwagen. Es müsse insoweit gleichermaßen der Grenzwert von 1,3%o gelten (aaO S. 356 ff). Für diese Entscheidung war nicht zuletzt die Überlegung maßgebend, daß sonst „eine verwirrende Vielfalt von Werten und Begriffen für die Verkehrsteilnehmer" zu besorgen sei (aaO S. 359). Sie geht ebenfalls auf das BGA-Gutachtens 1966 (S. 51, 52) zurück (s. auch Rdn. 78).

63

(3) Grenzwert von 1,1/1,15 %o (seit 1990). Ihren vorläufigen Schlußpunkt hat die Entwicklung im Beschluß des BGH vom 28. Juni 1990 (BGHSt. 37 89) gefunden. 191 Angekündigt durch eine Publikation seines damaligen Vorsitzenden (Saiger BA 27 [1990] 1 = NZV 1990 1 = DRiZ 1990 16) setzte der 4. Strafsenat den für Kraftfahrer geltenden „absoluten" Beweisgrenzwert grundsätzlich auf eine BÄK von 1,1 %o fest. 192 190

191

Zahlreiche weitere Nachweise aus der älteren Rechtsprechung bei Rüth LK 10 Rdn. 10. M. krit. Anm. Ben NZV 1990 357; Heifer BA 27 (1990) 373; Janiszewski NStZ 199« 491;

192

v. Mutius BA 27 (1990) 375; Schneble BA 27 (1990) 374. So im Anschluß an Saiger BA 27 (1990) 1 bereits zuvor OLG Zweibrücken BA 27 (1990)

Stand: 1. 7. 2000

(294)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Der Grenzwert setzt sich zusammen aus einem Grundwert von nunmehr 1,0 %o und einem Sicherheitszuschlag von in der Regel nur noch 0,1 %>. Bei der Verminderung des Grundwerts wich der BGH von der im BGA-Gutachten 1966 getroffenen Aussage ab, absolute Fahrunsicherheit des Kraftfahrers trete erst bei einer BÄK zwischen 1,0 und 1,1 %o ein (BGA-Gutachten 1966 S. 50). Hierbei handele es sich lediglich um eine Bewertung statistischer Ergebnisse, an die der Richter nicht gebunden sei (BGHSt. 37 89, 93).193 Durch die nach 1966 veröffentlichten Ergebnisse vor allem der experimentellen Alkoholforschung (Rdn. 16)194 sei der Grundwert von 1,0 %o bestätigt worden, bei dessen Vorliegen bei jedem Kraftfahrer von absoluter Fahrunsicherheit ausgegangen werden müsse (BGH aaO S. 94). Hinzu kämen die seit 1966 stark veränderten Verkehrsverhältnisse (Zunahme der Verkehrsdichte, höhere Geschwindigkeiten), die alkoholbedingte Leistungsbeeinträchtigungen noch gefährlicher machten (BGH aaO S. 940Für die Halbierung des Sicherheitszuschlags stützte sich der BGH maßgebend auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten des Bundesgesundheitsamts zum „Sicherheitszuschlag auf die Blutalkoholbestimmung" (NZV 1990 1 0 4 = BA 27 [ 1 9 9 0 ] 2 0 2 ; „BGA-Gutachten 1 9 8 9 " ) . In einem durch das Bundesgesundheitsamt durchgeführten und von ihm als repräsentativ bewerteten Ringversuch hatte sich eine maximale Standardabweichung der Meßergebnisse von knapp 0,05 %o ergeben.195 Dies macht nur ein Drittel dessen aus, was das BGA-Gutachten 1966 ermittelt hatte (NZV 1990 1 0 4 , 1 0 6 ) . 1 9 6 Zum Ausgleich verbleibender Unsicherheiten ist der Sicherheitszuschlag mit 0,1 %o bemessen worden (BGHSt. 37 89, 97). Dabei wurde betont, daß dieser Sicherheitszuschlag nur für Institute gelte, die sich erfolgreich an Ringversuchen beteiligen; für Blutalkoholanalysen anderer Institute betrage er 0,15 %o, womit sich insoweit übergangsweise ein Grenzwert von insgesamt 1,15 %o ergebe (BGH aaO S. 9 8 0 · Mit dem „Übergangswert" wollte der BGH Bedenken aus dem rechtsmedizinischen Schrifttum 197 Rechnung tragen, daß die Institute den erhöhten Anforderungen an die Meßgenauigkeit nicht vollends entsprechen könnten (BGH aaO). Spätestens seit dem Inkraftsetzen der überarbeiteten RiBA in den Jahren 1 9 9 5 / 1 9 9 6 dürfte die Übergangszeit beendet sein; Nr. 3.6 Abs. 5 der RiBA (Rdn. 255) schreibt nämlich zwingend vor, daß die Untersuchungsstellen regelmäßig an Ringversuchen teilnehmen müssen. Der neue Grenzwert von 1,1 %o liegt seither der ständigen Praxis zugrunde, ohne daß nennenswerte verfahrenstechnische Schwierigkeiten aufgetreten wären. Nimmt man alles zusammen, so war die Herabsetzung des Grenzwerts gewiß vertretbar. Daß sie zwingend geboten war, wird man andererseits kaum sagen können.

195

194

441; LG Dortmund BA 27 (1990) 445; LG Landau NZV 1990 243; LG Lübeck BA 27 (1990) 232; L G Münster BA 27 (1990) 303; AG Osterholz-Scharmbeck BA 27 (1990) 229, 231 f. Anders noch, unter ausdrücklicher Würdigung der aktuellen Lage, BayObLG VRS 79 443; AG Höxter BA 27 (1990) 232, 233 f. Allerdings beruht das BGA-Gutachten 1966 nicht lediglich auf statistischen Berechnungen (Rdn. 16 a. E.). Ausdrückliche Bezugnahme auf Gerlach BA 9 (1972) 239; GilglLiebhardt/Schüller!Riedel BA 21 (1984) 235; Heifer BA 23 (1986) 364; Heppner BA 10 (1973) 166; LewrenzlBerghausl Dotzauer BA 11 (1974) 104; Strasser BA 9

(295)

195

196

197

(1972) 112 (Vilheimil Lindneri Audrlicky BA 9 (1972) 473. Dazu, daß die Standardabweichung kein Fehlerkriterium für die Einzelanalysen ist, Rdn. 25. In einer Auskunft aus dem Jahre 1984 hatte das Bundesgesundheitsamt freilich noch an dem „alten" Sicherheitszuschlag von 0,2 %o festgehalten (mitgeteilt in BGHSt. 34 133, 136f; vgl. auch Rdn. 71). Hierauf hatte sich das BayObLG bei seiner Ablehnung einer Verminderung des Grenzwerts in VRS 79 433 maßgebend gestützt. Grüner/Bilzer BA 27 (1990) 175, dies. BA 27 (1990) 222, 225 f; HeiferlBrzezinka N Z V 1990 134; dies. BA 27 (1990) 215; Heifer BA 27 (1990) 373 f.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Sofern Unzufriedenheit über eine Untätigkeit des Gesetzgebers im Hintergrund gestanden haben (z.B. über die Nichteinführung einer starren Promille-Grenze im Strafrecht) oder mittelbarer Druck auf die 0,8%o-Grenze im Bußgeldrecht ausgeübt werden sollte,198 bliebe freilich ein ungutes Gefühl zurück. 64

(4) Anwendung auf „Alttaten". Die unter Rdn. 62 und 63 referierten Entscheidungen zur Herabsetzung der „Promille-Grenze" haben (naturgemäß) jeweils Taten erfaßt, die noch unter der „Geltung" des jeweils „alten" Grenzwerts begangen worden sind. Dies sowie die generelle Anwendung der neuen Rechtsprechung auf „Alttaten" begegnet nach zutreffender h. M.,199 die in einem mit Recht knapp begründeten Nichtannahmebeschluß durch das BVerfG bestätigt worden ist (NJW 1990 3140), keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB), der Gleichheitsgrundsatz und das darin verankerte Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), Art. 2 Abs. 1 GG sowie das im Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Gebot des Vertrauensschutzes sind nicht in relevanter Weise tangiert. Eindeutig erscheint zunächst, daß das Rückwirkungsverbot auf die Anwendung des Gesetzes durch den Richter nicht unmittelbar anwendbar ist (BayObLG NJW 1990 2833). Aber auch eine entsprechende Anwendung oder ein Abstellen auf den Vertrauensgrundsatz wegen einer vorgeblich gesetzesergänzenden Bedeutung der „Promille-Grenze" (so u.a. Sehl Schröder!Eser § 2 Rdn. 9) kann nicht in Betracht kommen. Einmal ist der Grenzwert keine „Quasi-Norm" (BVerfG NJW 1995 125, 126), sondern Element einer Beweisregel (Rdn. 59). Selbst wenn man ihm aber Gesetzesgleichheit zugestehen wollte, würde dies nicht zu einem Verbot der „Rückwirkung" führen. Denn es stünde Verfahrensrecht in Frage (eingehend Horn Blutalkoholgehalt und Fahrunsicherheit S. 14 ff), bei dem nach h.M. das Rückwirkungsverbot nicht gilt (Tröndle Dreher-Festschrift S. 117, 120). Was den Vertrauensgrundsatz allgemein angeht, ist nicht recht ersichtlich, worin der schutzwürdige Vertrauenstatbestand gefunden werden könnte. Denn der Täter mußte immerhin damit rechnen, daß er wegen einer Ordnungswidrigkeit (§ 24 a StVG) zur Verantwortung gezogen wird. Er hat - sofern eine entsprechende Tätervorstellung in der Lebenswirklichkeit überhaupt vorkommen sollte - allenfalls gehofft, daß ihm seine Fahrunsicherheit nicht nachgewiesen werden kann ( H a f f k e BA 9 [1972] 32, 40; BayObLG NJW 1990 2833). Derartige Hoffnungen werden aber von der Verfassung nicht geschützt. Und schließlich würde die mit vielfältigen Begründungsansätzen und Differenzierungen (teils nur für den Grundwert) vertretene Gegenansicht, die explizit oder im Ergebnis ein Rückwirkungsverbot bei Rechtsprechungswandel anerkennen will,200 unüberwindliche prozessuale und praktische Folgeprobleme nach sich ziehen (eindrucksvoll Tröndle Dreher-Festschrift S. 117, 124 ff). Daß gravierende Schwierig198

1,9

Zur rechtspolitischen „Grenzwertdiskussion" Rdn. 15. Implizit sämtliche Entscheidungen zur Veränderung der Grenzwerte. Ausdrücklich: BayObLG NJW 199« 2833; OLG Bremen VRS 63 124, 125; OLG Düsseldorf VRS 91 179; OLG Frankfurt NJW 1969 1634; OLG Karlsruhe NJW 1967 2167 m. Anm. Eckert NJW 1968 1390; OLG Köln VRS 49 422, 423 f. Herzog N K Rdn. 14; Horn SK Rdn. 18; Gribbohm LK § 2 Rdn. 38; LackneriKühl § 315c Rdn. 6d; Sehl Schröder/ Cramer Rdn. 9; Tröndle/Fischer Rdn. 6 a; JaguschiHentschel Rdn. 14 a; Mühl-

200

haus/Janiszewski Rdn. 22 a; Hentschel Trunkenheit Rdn. 169 ff; Händel NJW 1967 537; ders. NJW 1974 247, 248; Saiger BA 27 (1990) I, 6f; Tröndle Dreher-Festschrift S. 117, 119 ff; Werny NZV 1990 137. LG Düsseldorf NJW 1973 1054 [zum Rechtsprechungswandel betreffend den „Sturztrunk"]; Sehl Schröder!Eser § 2 Rdn. 9; HütinglKonzak NZV 1991 255; Krahl NJW 1991 808; MüllerDietz Maurach-Festschrift S. 41; Naucke NJW 1968 758; ders. NJW 1968 2321; Neumann ZStW 103 (1991) 331; Ranft JuS 1992 468, 471; Schreiber JZ 1973 713 ff.

Stand: 1. 7. 2000

(296)

T r u n k e n h e i t im Verkehr

§316

keiten in Frage stehen, wird auch von Vertretern der Gegenansicht nicht verkannt. 201 Im Kontext mit der Veränderung der Grenzwerte werden teils auch Tatbestands- 6 5 und Verbotsirrtum in Erwägung gezogen.202 Ein Tatbestandsirrtum scheidet aber schon deswegen aus, weil der jeweils geltende Grenzwert kein Tatumstand ist, der vom Vorsatz umfaßt sein müßte (Rdn. 188). Für einen Irrtum über das Merkmal der Fahrunsicherheit müßte der Täter zunächst den absoluten Grenzwert kennen; sodann müßte ihm die Vorstellung zuzubilligen sein, bei einer BÄK zwischen 1,1 und l,3%o noch fahrsicher zu sein. Beides wirkt lebensfremd (Hentschel Trunkenheit Rdn. 178 m. w. N.). Zudem bliebe eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tat unberührt (§ 16 Abs. 1 Satz 2),203 weswegen dem Täter selbst bei Annahme eines Tatbestandsirrtums wenig geholfen wäre. Verurteilungen wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, § 316 Abs. 1 sind ohnehin sehr selten (Rdn. 181 ff). In Bezug auf den Verbotsirrtum wird erneut relevant, daß das Unrechtsbewußtsein bereits im Hinblick auf die Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG schwerlich in Abrede gestellt werden kann. Eine etwaige Unklarheit darüber, ob die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat geahndet werden kann, begründet nach h. M. keinen Verbotsirrtum (vgl. BGHSt. 11 263, 265 f; BayObLG NJW 1990 2833).204 Daß sich der Täter vorstellen könnte, zwar fahrunsicher zu sein, gleichwohl aber kein Unrecht zu tun, wenn er trotz der Fahrunsicherheit ein Fahrzeug führe, sofern er nur eine bestimmte BÄK nicht überschreite, liegt überdies fern ( H a f f k e BA 9 [1972] 32, 42). Demgemäß verbleibt nur, etwaigen Härten mit den vorhandenen prozessualen Instrumentarien sowie im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen. bb) Grenzwerte für die verschiedenen Fahrzeug- und Verkehrsarten. Der Grenzwert 6 6 „absoluter Fahrunsicherheit" ist im Schwerpunkt für den Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr entwickelt worden (Rdn. 16). Damit ist die Frage aufgeworfen, welche Maßstäbe für das Führen anderer Fahrzeuge im Straßenverkehr und für die anderen von § 316 erfaßten Verkehrsarten zu gelten haben. Aber auch für das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ist die Lage nur scheinbar klar. Denn der Begriff des „Führens" bezieht Bewegungsvorgänge ein, bei denen zweifelhaft sein kann, ob die Geltung des strengen „Kraftfahrer-Grenzwerts" zu rechtfertigen ist. Die damit verbundenen Probleme sind durch die Rechtsprechung noch nicht vollständig geklärt. Vielmehr ist eine zersplitterte Kasuistik zu konstatieren. Die „verwirrende Vielfalt von Werten", die BGHSt. 22 352 (359) zu vermeiden suchte, existiert in anderem Gewände bei der Begriffsinterpretation des (Kraft-)Fahrzeugführens und den daran anknüpfenden Grenzwerten. Die Verwerfungen sind dabei nicht der Rechtsprechung anzulasten, sondern gehen auf die vielfältigen Erscheinungsformen der Fortbewegung im Verkehr zurück. Die Einführung eines strikten Grenzwerts im Strafrecht ist gleichwohl keine überzeugende Alternative (Rdn. 15). Überdies ließe sich außer man würde zu radikalen Lösungen greifen - auch dadurch allenfalls ein Teil der Probleme bewältigen. 201

202

203

Sehl Schröder!Eser § 2 Rdn. 9; Neumann ZStW 103 (1991) 331, 352 ff; Ranft JuS 1992 468, 472; Schreiber JZ 1973 713, 716ff. So wohl OLG Bremen VRS 63 124, 126 [zum Grenzwert für Mofa-Fahrer]; OLG Frankfurt NJW 1969 1634; OLG Karlsruhe NJW 1967 2167; KG VRS 32 264, 265. BayObLG NJW 1990 2833; OLG Karlsruhe NJW 1967 2167; Hentschel Trunkenheit Rdn. 178; Haffke BA 9 (1972) 32, 41 f.

(297)

204

Lackneri Kühl § 17 Rdn. 2; Neumann NK § 17 Rdn. 28; Sehl Schröder! Cramer § 17 Rdn. 5; Tröndle!Fischer § 17 Rdn. 3; aA Schroeder LK § 17 Rdn. 8, alle m. w. N.; abw. [zum Grenzwert für Mofa-Fahrer] wohl auch OLG Bremen VRS 63 124, 126 und hierzu Hentschel Trunkenheit Rdn. 181.

Peter K ö n i g

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

67

(1) Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr. Der Grenzwert von 1,1 %o gilt für sämtliche Führer eines Kraftfahrzeugs (BGHSt. 37 89, 99).205 Wie aus der ausdrücklichen Bezugnahme des BGH (aaO) hervorgeht, sind die Führer von Krafträdern (BGHSt. 22 352; hierzu Rdn. 62)206 und auch von Fahrrädern mit Hilfsmotor Inbegriffen („Mofa 25"; BGHSt. 30 251, 253 f).207 Ein hinreichender Grund, das Führen von sog. Leichtmofas „unter Motorkraft" anders zu beurteilen, ist nicht ersichtlich (aA LG Oldenburg DAR 1990 72: Behandlung wie Fahrräder). 208 Entsprechendes gilt ζ. B. für das Führen eines Baggers209 im Straßenverkehr 210 sowie unzulässig als Kraftfahrzeug betriebener Fortbewegungsmittel wie etwa für ein Fahrrad, das durch einen auf den Rücken des Fahrers geschnallten Gleitschirmpropellermotor fortbewegt wird (vgl. OLG Oldenburg NZV 1999 390), motorisierte Rollbretter oder „Tretroller", aber auch für (zulässigerweise) motorisierte Krankenfahrstühle (zum Fahrzeugbegriff § 315 c Rdn. 7 ff). Schienengebundene Fahrzeuge (insbesondere die Straßenbahn) sind keine Kraftfahrzeuge (BayObLGSt. 1993 44, 47 f; zum diesbezüglichen Grenzwert Rdn. 73).

68

Wichtig ist, daß der Täter das jeweilige Kraftfahrzeug auch als solches geführt haben bzw. nach der konkreten Art der Fortbewegung denselben Anforderungen an die psycho-physische Leistungsfähigkeit ausgesetzt gewesen sein und eine entsprechende abstrakte Gefahr verursacht haben muß wie der „normale" Kraftfahrzeugführer. Problematisch ist dies namentlich in Fällen, in denen das Kraftfahrzeug ohne Nutzung der ihm eigenen Motorkraft fortbewegt wird. Es lassen sich im wesentlichen die folgenden, in der Kommentierung zu § 315 c näher erläuterten Unterscheidungen (§ 315 c Rdn. 15 ff, 18) vornehmen:

69

(a) Kraftwagen Der Grenzwert von 1,1 %o gilt nach freilich nicht unumstrittener Ansicht generell für das Ab- und Ausrollenlassen eines Kraftwagens ohne Inanspruchnahme der Motorkraft; dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kraftwagen zur Tatzeit betriebsbereit ist oder nicht (§ 315 c Rdn. 19), nach wohl h. M. für den Führer eines (ab-)geschleppten oder angeschleppten Kraftwagens, ohne daß es darauf ankäme, ob der Kraftwagen rechtlich als Kraftfahrzeug gilt (§ 315 c Rdn. 20), nach wohl herrschender, jedoch abzulehnender Meinung für das Anschieben eines Kraftwagens mit Muskelkraft (soweit es den Begriff des Führens erfüllt) sowie das Lenken eines mit Muskelkraft angeschobenen Kraftwagens, sofern das Anschieben zu dem Zweck erfolgt, den Motor in Gang zu setzen (§ 315 c Rdn. 17, 25), 205

Zum Begriff des Kraftfahrzeugs s. Geppert LK §69 Rdn. 22 f. 206 S. dazu, daß der Sozius auf einem Motorrad und der im Beiwagen Sitzende nicht Fahrzeugführer sind, § 315 c Rdn. 40. 207 Im Anschluß an SchewelSchuster! EnglertlLudwig/Stertmann BA 17 (1980) 298, 323 f; zust. Heifer BA 18 (1981) 270 f. Zuvor schon OLG Hamm VRS 34 367, 368; OLG Koblenz DAR 1972 50, 51. Anders noch BGHSt. 25 360, 362 ff; OLG Oldenburg VRS 46 346, 348 f [Vorlagebeschluß]. Weitere Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei Rüth LK 10 Rdn. 13. 208 w i e hier Hentschel Trunkenheit Rdn. 161; MühlhausUaniszewski Rdn. 22; Janiszewski

209

210

NStZ 1990 273. AA TröndlelFischer Rdn. 6; Grohmann BA 25 (1988) 143,144 ff. Zum Führen ohne Zuhilfenahme des Motors Rdn. 70. Der unzweifelhaft ein Kraftfahrzeug darstellt, s. O L G Hamm BA 13 (1976) 375. S. dazu, daß es beim bloßen Bewegen des Schwenkarms ohne Fortbewegung des Baggers selbst am „Führen" fehlt, § 315 c Rdn. 12a.E. Tröndlel Fischer Rdn. 6; offengelassen von OLG Düsseldorf VerkMitt. 1978 Nr. 41 S. 34; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 64 115. AA, unter unzutreffender Bezugnahme auf O L G Düsseldorf VRS 64 115 und Tröndlel Fischer Rdn. 6, Molketin KVR Trunkenheit Erläuterungen 1 (Lieferung 3/99) Bl. 46.

Stand: 1.7.2000

(298)

Trunkenheit im Verkehr

§316

nach wohl h. M. für das Führen eines Kraftwagens, der nach einem Anschiebevorgang selbsttätig weiterrollt (§ 315 c Rdn. 26). Der Grenzwert gilt nach soweit ersichtlich allgemeiner Meinung nicht für das Führen eines Kraftwagens, der ausschließlich durch Muskelkraft bewegt wird, ohne daß er in Eigenbewegung versetzt wird und ohne daß der Motor in Gang gesetzt werden soll (§ 315 c Rdn. 27); insoweit sind die Grundsätze der „relativen" Fahrunsicherheit anzuwenden. (b) Krafträder 70 Der Grenzwert von 1,1 %o gilt wohl, wenn der Fahrzeugführer ein schweres Motorrad ohne Betätigung der Motorkraft ab- oder ausrollen läßt oder wenn es sonst in Eigenbewegung versetzt wird (§ 315 c Rdn. 33), nach herrschender, aber abzulehnender Meinung, wenn der Fahrzeugführer das Kraftrad, eine Fortbewegung vorausgesetzt, mit Pedalkraft antritt, um auf diese Weise den Motor in Gang zu setzen (§ 315 c Rdn. 17, 33). Der Grenzwert von 1,1 %o gilt nicht, wenn der Fahrzeugführer jeweils ohne Zuhilfenahme der Motorkraft ein Mofa durch reine Pedalkraft in der Art eine Fahrrads oder das Kraftrad durch Abstoßen der Beine vom Boden fortbewegt oder per „Beinarbeit" aus einer Parklücke herausrangiert; es gilt dann jeweils der Grenzwert für Radfahrer (§ 315 c Rdn. 32), wenn der Täter ein „leichtes" Motorrad oder Mofa ohne Betätigung der Motorkraft ab- oder ausrollen läßt; auch dann dürfte der Grenzwert für Radfahrer anzusetzen sein (§ 315 c Rdn. 32), wenn der Täter ein Kraftrad unter Zuhilfenahme der Motorkraft schiebt; insoweit dürften die Grundsätze über die absolute Fahrunsicherheit nicht gelten (§ 315 c Rdn. 31).211 (2) Radfahrer. In seiner Grundsatzentscheidung vom 17. Juli 1986 (BGHSt. 34 133) 71 hat der BGH den Grenzwert für Radfahrer unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung 212 auf eine BÄK von l,7%o festgesetzt (Grundwert von l,5%o, Sicherheitszuschlag: 0,2 %o). Er stützte sich maßgebend auf zwei experimentelle Untersuchungen von Schewe u. α., in deren Rahmen Fahrversuche durchgeführt worden waren (BA 17 [1980] 298; BA 21 [1984] 97). Bei sämtlichen 150 Probanden war es ab einer BÄK von 1,5 %o zu deutlichen Leistungseinbußen im Vergleich zu nüchternen Personen und zu erheblichen Fahrfehlern gekommen, weswegen insoweit ein „absoluter" Grenzwert festgesetzt werden konnte (BGHSt. 34 133, 135; Schewe u.a. BA 21 [1984] 97, 108). Demgegenüber rechtfertigten die Ergebnisse trotz signifikant gesteigerter Gefährlichkeit keine Übertragung des damaligen „Kraftfahrer-Grenzwert" von 1,3 %o auf den Radfahrer (Schewe u. a. BA 17 [1980] 298, 320 f). Bei der Festsetzung des neuen Grenzwerts für Kraftfahrzeugführer in BGHSt. 37 89 (Rdn. 63) hat sich der BGH nicht dazu geäußert, ob der Wert für Radfahrer im Lichte neuerer Erkenntnisse gleichfalls herabzusetzen sei. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des BayObLG und der Oberlandesgerichte 213 sowie nach 211

212

Beim Schieben des Fahrzeugs ohne Unterstützung der Motorkraft liegt kein „Führen" vor (§ 315 c Rdn. 14). BGHSt. 19 82 hatte die Festsetzung eines Grenzwerts für Radfahrer aufgrund mangelnder

(299)

213

wissenschaftlicher Erkenntnisse noch abgelehnt. Nachweise zum Streitstand vor dem Rechtsprechungswandel bei Rüth LK.10 Rdn. 44 f. BayObLG NJW 1992 1906, 1907; OLG Celle N J W 1992 2169 f; O L G Hamm NZV 1992 198;

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

ganz h. M. im Schrifttum 214 wirkt sich der Rechtsprechungswandel zwar auf den Beweisgrenzwert aus, dies aber nur hinsichtlich des Sicherheitszuschlags. Danach ist für Radfahrer ein Grenzwert von nunmehr 1,6 %o zugrunde zu legen. Dem ist zuzustimmen. BGHSt. 34 133 (S. 136 f) hatte noch einen Sicherheitszuschlag von 0,2 %o angenommen und sich dabei ausdrücklich auf eine Auskunft des Bundesgesundheitsamts aus dem Jahre 1984 bezogen, wonach die verbesserte Analysetechnik einen geringeren Zuschlag als 0,2 %o nicht rechtfertige. Wenn sich die Situation aufgrund des BGAGutachtens 1989 nunmehr geändert hat (Rdn. 63), so muß dies zwingend für alle Blutproben gelten, gleich ob vom Kraft- oder vom Radfahrer entnommen (BayObLG NJW 1992 1 9 0 6 , 1 9 0 7 ) . Andererseits besteht kein hinreichender Anlaß, den Grundwert niedriger anzusetzen als noch 1986. Seither ist in Bezug auf Radfahrer kein fundamentaler Wandel der Verkehrsverhältnisse eingetreten. Darüber hinaus ist der gewachsenen Verkehrsdichte mit der vermehrten Schaffung von Radwegen und abgegrenzten Fahrradspuren begegnet worden (OLG Karlsruhe VRS 94 109, 111). Einen Grenzwert von 1 , 6 % o legen auch die RiBA (Rdn. 2 5 5 ) zugrunde (Nr. 3 . 2 . 1 , Spiegelstrich 3 ) . 72

(3) Andere Fahrzeuge im Straßenverkehr. Für die weiteren vom Fahrzeugbegriff umfaßten Fortbewegungsmittel (§ 315 c Rdn. 8 f) sind „absolute" Grenzwerte durch die Rechtsprechung nicht anerkannt. Im Hinblick auf die mit ihnen erreichbaren Geschwindigkeiten und die im Vergleich zum Fahrrad schwerere Beherrschbarkeit erscheint es jedoch gerechtfertigt, das Führen von Inline-Skates, sofern es den Begriff des Fahrzeugführens erfüllt (§ 315 c Rdn. 8), dem für das Radfahren geltenden Grenzwert von l,6%o zu unterstellen. Auf den Führer eines Pferdefuhrwerks kann der für den Kraftfahrer geltende Grenzwert nicht übertragen werden (BGHSt. 36 341, 348). Gleiches gilt nach AG Köln NJW 1989 921 für den „Radfahrer-Grenzwert". Einerseits komme es beim „Kutscher" nicht so sehr auf den Gleichgewichtssinn an wie beim Radfahrer, und würden Leistungsschwächen in gewissem Rahmen durch die den Pferden „eigene Intelligenz" kompensiert, andererseits sei etwa bei einem Scheuen der Pferde rasche und sichere Reaktion nötig; jedenfalls fehle es aber an statistischer und experimenteller Forschung. 215

73

(4) Bahnverkehr. Für den Bahnverkehr existieren keine höchstrichterlich anerkannten „absoluten" Grenzwerte. Mit Rücksicht darauf, daß die Anforderungen an die psycho-physische Leistungsfähigkeit des Führers einer Eisenbahn, von U- und SBahnen und auch von Straßenbahnen nicht geringer sind als an die des Führers eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr liegt es gleichwohl nahe, den Grenzwert von 1,1 %» grundsätzlich auch dort anzuwenden (näher § 315 a Rdn. 15).

74

(5) Schiffsverkehr. Im Vergleich zum Bahnverkehr gesicherter ist der Forschungsstand in Bezug auf den Schiffsverkehr. Jedenfalls für den Passagier- und FrachtschiffsOLG Karlsruhe VRS 94 109, 110; OLG Zweibrücken VRS 83 342, 343; offengelassen von OLG Düsseldorf NJW 1992 992. AA LG Verden NZV 1992 292f [l,5%o]; AG Karlsruhe DAR 1996 246 [l,7%o; aufgehoben durch OLG Karlsruhe VRS 94 109]. Im Hinblick auf diesen gefestigten Rechtsprechungsstand der Oberlandesgerichte verfehlt Molketin KVR Trunkenheit Erläuterungen 1 (Lieferung 2/99) Bl. 17 f: Es sei in der Rechtsprechung ein „Streit entbrannt", der - auf Vorlage eines (welchen?) Oberlandesgerichts - eine baldige Klärung durch den BGH erforderlich mache.

214

215

Herzog N K Rdn. 15; Horn SK Rdn. 20; Lackner /Kühl § 315 c Rdn. 6 a; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 12; Mühlhaus/Janiszewski Rdn. 25; Berz NZV 1990 359; Grohmann BA 28 (1991) 84, 89; wohl auch TröndlelFischer Rdn. 6. Unklar Molketin KVR Trunkenheit Erläuterungen 1 (Lieferung 2/99) Bl. 17 f. AA wohl weiterhin Hentschel [l,7°/oo] (JaguschiHentschel Rdn. 18; Hentschel Trunkenheit Rdn. 164; NZV 1991 329, 3331). Zust. Hentschel Trunkenheit Rdn. 166. Hinsichtlich der Wortwahl kritisch Schwerd Spendel-Festschrift S. 583, 584. Zum Pferdefuhrwerk auch BGA-Gutachten 1966 S. 46 f.

Stand: 1. 7. 2000

(300)

Trunkenheit im Verkehr

§316

verkehr, aber auch für das (sonstige) Führen motorisierter Schiffe und für größere Segelschiffe erscheint es gerechtfertigt, den Grenzwert von 1,1 %o anzuwenden. Ausnahmen müssen allerdings für Kleinfahrzeuge „unter Muskelkraft" und (geringer) Motorkraft vorgenommen werden. Insoweit gelten die Grundsätze der „relativen" Fahrunsicherheit (im einzelnen § 315 a Rdn. 16 ff). (6) Luftverkehr. Im Luftverkehr sollten für die Feststellung absoluter Fahr- 7 5 Unsicherheit zumindest keine geringeren Werte gelten als für das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr (näher § 315 a Rdn. 19). cc) Strikte Geltung der Grenzwerte. Die jeweiligen Grenzwerte sind strikt zu be- 7 6 achten. Dies bedeutet zunächst, daß der Täter bei Erreichen des „absoluten" Grenzwerts mit dem Gegenbeweis ausgeschlossen ist, er sei trotz seines hohen Alkoholspiegels fahrsicher gewesen (Rdn. 77). Bleibt die festgestellte BÄK andererseits hinter dem maßgebenden Grenzwert zurück, so darf nicht zu Lasten des Angeklagten von („absoluter") Fahrunsicherheit ausgegangen werden. Das gilt sowohl für das Hinzutreten erschwerender innerer oder äußerer Bedingungen (Rdn. 78) als auch in rechnerischer Hinsicht (Rdn. 79). (1) Kein Gegenbeweis bei erreichtem Grenzwert. Liegt die BÄK über dem jewei- 7 7 ligen Grenzwert, so ist der Fahrzeugführer, was keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (BVerfG NJW 1995 125, 126), unwiderleglich fahrunsicher (BGHSt. 31 42, 44). Für den Gegenbeweis der Fahrsicherheit, etwa durch nachträgliche Fahrproben oder sonstige Alkoholbelastungsversuche, ist daher kein Raum (s. auch Rdn. 59).216 Überdurchschnittliche Alkoholverträglichkeit, wie sie beispielsweise für Weinprüfer oder Bierfahrer mitunter behauptet wird,217 ist bei der Bemessung des Grenzwerts bereits berücksichtigt worden (Rdn. 16ee). Der Grenzwert gilt dementsprechend auch „beim Vorhandensein günstigster äußerer und innerer Bedingungen, also bei bester Alkoholverträglichkeit, bei besten psychischen und psychosensorischen Voraussetzungen, bei bester Fahrpraxis, bei besten Straßenverhältnissen und bei günstigster Koordination von Straße und Fahrzeug" (BGHSt. 31 42, 43). Theoretisch denkbar sind Ausnahmen von diesem Grundsatz allenfalls dann, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die bei der Festsetzung des Grenzwerts noch nicht gewürdigt worden sind (Horn SK Rdn. 19; s. auch Haffke JuS 1972 448, 449). Ob die Behauptung besonderer Alkoholverträglichkeit aufgrund einer Nebennierenerkrankung bzw. der insofern durchgeführten Langzeittherapie als relevante Behauptung in diesem Sinn gelten kann (vgl. TröndlelFischer Rdn. 6 b; Arbab-Zadeh NJW 1967 273, 275; Haffke JuS 1972 448, 449), erscheint höchst zweifelhaft (vgl. Volk/Burmeister/Gostomzyk/ Herrn BA 6 [1969] 265, 270 ff; WaltherlPierach BA 4 [1967] 277, 280 ff). (2) Keine Einzelfallkorrektur bei nicht erreichtem Grenzwert. Ist der maßgebende 7 8 Grenzwert andererseits nicht erreicht, so darf nicht mit Blick auf besonders schwierige Verkehrsverhältnisse und/oder erschwerende Umstände in der Konstitution oder Disposition des Täters gleichwohl von absoluter Fahrunsicherheit ausgegangen werden.218 Der Grenzwert gilt auch dann, „wenn die Fahrt des Angeklagten unter be216

217

U.a. BGHSt. 5 168, 170; 10 265, 268f; 13 83, 84; 278, 279; 31 42, 44. Horn SK Rdn. 19; Tröndlel Fischer Rdn. 6 b. S. etwa die in BGHSt. 10 265, 266 mitgeteilte Einlassung des dortigen Verurteilten, er trinke als Brauereivertreter seit zehn Jahren täglich etwa 25 Glas Bier und sei deshalb auch bei einer

(301)

218

BÄK von 1,92 %o noch fahrtüchtig. Zur Thematik besonderer Alkoholverträglichkeit interessant Reh BA 3 (1965/1966) 199. BGH VRS 31 107, 108; 33 118, 119; BGHSt. 31 42, 43; BayObLG N J W 1968 1200; OLG Düsseldorf VerkMitt. 1976 Nr. 18 S. 13, 14; O L G Hamburg DAR 1968 334, 335; OLG Zwei-

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sonders ungünstigen objektiven und subjektiven Umständen" erfolgt (BGHSt. 31 42, 43f). Schwierige äußere Bedingungen (z.B. Nacht, Nebel, Glatteis oder Großstadtverkehr) gestatten dessen Herabsetzung dementsprechend genausowenig wie Erschwernisse in der persönlichen Sphäre des Täters (u. a. Ermüdung, besondere Erregungszustände, psychische sowie physische Erkrankungen). In seiner Grundsatzentscheidung zur Fahrunsicherheit nach dem Konsum illegaler Drogen hat der BGH seinen Standpunkt nochmals dadurch bekräftigt, daß er der „sozusagen absoluten Fahrunsicherheit" eine ausdrückliche Absage erteilt hat (BGHSt. 44 219, 223; Rdn. 153). Für die Annahme der („relativen") Fahrunsicherheit müssen danach stets Ausfallerscheinungen im Leistungsverhalten des Beschuldigten festgestellt werden (Rdn. 90 ff). Auch in Fällen des Schluß-Sturztrunks ist es nicht zulässig, unterhalb der Grenze liegende Werte mit solchen oberhalb kurzerhand gleichzusetzen (Rdn. 82 a. E.). Die Rechtsprechung ist mit dieser allgemein ablehnenden Haltung gegenüber einer „Einzelfallkorrektur nach unten" von ihrer früheren Haltung abgerückt, wie sie in den vormals niedrigeren Grenzwerten für Kraftradfahrer zum Ausdruck gekommen war (hierzu Rdn. 61 f)· Sie ist damit dem BGA-Gutachten 1966 gefolgt. Das Bundesgesundheitsamt hatte vor einer „ganze(n) Skala von Grenzwerten für die verschiedenen Verkehrsteilnehmer sowie für besondere Verkehrslagen" und den Schwierigkeiten der Rechtsanwendung bei detailliert gestaffelten Grenzwerten gewarnt. In dieser Weise „aufgesplitterte" Grenzwerte ließen sich auch nicht hinreichend wissenschaftlich begründen (BGA-Gutachten 1966 S. 51 f)· Der Standpunkt der Rechtsprechung erscheint im Prinzip schlüssig. Bei seiner konsequenten Durchführung sind freilich gravierende Ungereimtheiten hinsichtlich des Zusammenwirkens von Alkohol mit anderen Rauschmitteln nicht zu verkennen. Insoweit wird auf das unter Rdn. 137 Gesagte verwiesen. 79

(3) Keine Aufrundung bei nicht erreichtem Grenzwert. Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung und ganz h. M. im Schrifttum ist es nicht zulässig, den aus den Ergebnissen der vier/fünf Einzelanalysen errechneten Mittelwert219 zum Nachteil des Täters aufzurunden. 220 Ergibt sich beim Führer eines Kraftfahrzeugs ein BÄK-Wert von knapp unter 1,1 %o (etwa l,099%o), so darf demnach nicht vom Vorliegen („absoluter") Fahrunsicherheit ausgegangen werden.221 Wie BGHSt. 28 1222 (zu § 24a StVG) mit eingehender Begründung darlegt, folgt das Verbot der Aufrundung daraus, daß bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration der ersten Dezimale hinter dem Komma die (allein-)entscheidende Bedeutung zukommt, während die „dritte Dezimale ... sowohl analytisch wie biologisch" keinerlei Aussagekraft besitzt (BGH aaO S. 3).223 Dies kann im Rahmen des § 316 verständlicherweise nicht abweichend beurteilt

219 220

brücken VRS 80 347, 349. Horn SK Rdn. 19; SchlSchröderICramer Rdn. 9; TröndlelFischer Rdn. 6 b; JaguschiHentschel Rdn. 13; Hentschel Trunkenheit Rdn. 168. Zur Bildung des Mittelwerts Rdn. 23. OLG Hamm NJW 1975 2551, 2252; VRS 56 147, 148 sowie zu § 24 a StVG: BayObLG VRS 53 53 f; OLG Hamm NJW 1976 2309 f; OLG Köln DAR 1976 81; VRS 67 459; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 13 a, 22 a und § 24 a Rdn. 3 c; Hentschel Trunkenheit Rdn. 151 f; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 353, 357, 414; Lundt BA 12 (1975) 400, 401. AA noch OLG Hamm NJW 1976 382 [zu § 24 a StVG] m. abl. Anm.

221

222

223

Lundt BA 13 (1976) 158 und abl. Bespr. Meurer JR 1976 454; aA Grüner BA 14 (1977) 215, 222f; wohl auch StaaklBerghaus NJW 1981 2500, 2502; Zweifel bei LackneriKühl § 315c Rdn. 8. Zu Anfangsproblemen betreffend das Aufrundungsverbot bei den Atemalkoholmeßgeräten Fn. 140. Mit zust. Anm. Schwerd BA 15 (1978) 298 und Lundt ebd. S. 298 f. S. allerdings dazu, daß es ein vermeidbarer Fehler sein soll, bei der Verwendung der Einzelergebnisse die dritte Dezimalstelle hinter dem Komma außer acht zu lassen, Sachs/Zink BA 28 (1991)321,323.

Stand: 1. 7. 2000

(302)

Trunkenheit im Verkehr

§

316

werden. Sind bei Werten knapp unter der maßgebenden Grenze relevante Ausfallerscheinungen nicht festgestellt, so kann die Tat demnach nur als Ordnungswidrigkeit (§ 24 a StVG bzw. entsprechende Bußgeldtatbestände) geahndet werden (vgl. auch Nr. 3.2.1 RiBA [Rdn. 255]). Die durchaus lebensnahe und gewiß auch rechtsmedizinisch abgesicherte Uberlegung, daß sich die leistungsbeeinträchtigenden Auswirkungen einer BÄK nahe der jeweiligen Grenze nicht sehr von einer solchen knapp über den Grenzwerten unterscheiden (in diese Richtung Brettel BA 12 [1975] 400), hat demzufolge außer Betracht zu bleiben (vgl. Hentschel Trunkenheit Rdn. 153). Abgesehen davon, daß man genauso gut anders herum argumentieren könnte, würden bei einer derartigen Vorgehensweise neue Abgrenzungsprobleme aufgeworfen (vgl. Schwerd BA 15 [1978] 298). Daß eine nahe am „absoluten" Grenzwert liegende BÄK bei der Prüfung der „relativen Fahrunsicherheit" von Belang ist (Rdn. 90, 94), bleibt davon unberührt. Das Aufrundungsverbot erstreckt sich auch auf die Analyseneinzelwerte (BGHSt. 28 1,4; Hentschel Trunkenheit Rdn. 153). dd) Grenzwert zur Tatzeit. Maßgebend ist die Fahrunsicherheit zur Zeit der Tat. 8 0 Demgemäß muß in den Fällen der absoluten Fahrunsicherheit grundsätzlich festgestellt sein, daß der jeweilige BAK-Grenzwert während der Fahrt erreicht oder überschritten war. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ist anhand der oftmals erst geraume Zeit nach Abschluß der Fahrt entnommenen Blutprobe ggf. durch Rückrechnung zu ermitteln (hierzu Rdn. 28 ff). (1) Hinreichende Alkoholmenge im Körper. Die Tatzeit-BAK muß den Grenzwert 8 1 allerdings noch nicht erreicht haben. Das ist seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 11. Dezember 1973 (BGHSt. 25 246) allgemein anerkannt (vgl. auch schon BGHSt. 24 200). Es genügt, wenn der Täter zur Zeit der Tat eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer BÄK von oder über dem maßgebenden Grenzwert führt (BGHSt. 25 246, 251 f)·224 Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen nicht umstrittenen Erkenntnis, daß die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen bei demselben Promillegehalt „im aufsteigenden Ast der Blutalkoholkurve allgemein stärker sind als im abfallenden" (BGHSt. 24 200, 202; vgl. auch BGHSt. 21 157, 165). Im Anschluß namentlich an Arbeiten Heifers225 hat es der BGH als gesichert angesehen, daß die Anflutungswirkung des Alkohols auf den Grenzwert oder auf einen höheren Wert hin den Konzentrationsfehlbetrag gegenüber dem Grenzwert zum Zeitpunkt der Fahrt zumindest ausgleicht. „Es macht also keinen Unterschied, ob der Alkohol in der für die Frage der Fahruntüchtigkeit entscheidenden Menge ... vor der Fahrt, während der Fahrt oder erst nach Beendigung der Fahrt in das Blut übertritt" (BGHSt. 25 246, 251 f). Die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse hatte der Gesetzgeber, was gleichfalls zu einem nicht geringen Teil auf das Engagement Heifers zurückzuführen ist (s. BA 10 [1973] 192), bereits vor dem Beschluß des BGH vom 11. Dezember 1973 im (damals) neuen § 24 a StVG aufgegriffen (BGBl. 1973 I S. 870). Dort wird - wie auch in den parallel ausgestalteten „Alkoholtatbeständen" der anderen Verkehrsordnungen - dem Erreichen des maßgebenden Tatzeitwerts im Blut (0,8 [0,5 %o]) die Alternative zur Seite gestellt, daß der 224

M. Anm. Händel N J W 1974 247 und Meyer NJW 1974 613. Hierzu auch Horn SK Rdn. 22; Lackner/Kühi § 315c Rdn. 6c; Sch/Schröderl Cramer Rdn. 18; TröndlelFischer Rdn. 7c; Hentsehet Trunkenheit Rdn. 154 fT; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 354 ff.

(303)

225

BA 7 (1970) 383 (Grundsatzgutachten); BA 9 (1972) 407, 409ff; BA 10 (1973) 1, 7ff; 192f. Hierzu auch ElbellSchleyer Blutalkohol S. 161; Gerchow BGA-Gutachten 1966 (Anl. 10) S. 174, 183; Händel BA 10 (1973) 353, 363 ff; Hentrich BA 10 (1973) 177, 180 ff.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Täter „eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen [Atem- oder] Blutalkoholkonzentration führt". 82

(a) „Schluß-Sturztrunk". Mit der neuen Rechtsprechung ist der vormals nicht seltenen (Schutz-) Behauptung im wesentlichen die Grundlage entzogen worden, man habe kurz vor Antritt der Fahrt erhebliche Mengen Alkohol 226 „hinuntergestürzt". Sie war vorgetragen worden, um sich einen Abzug von dem aus der Blutprobe ermittelten BÄK-Wert und damit u. U. einen Wert unterhalb der Grenze absoluter Fahrunsicherheit zu verschaffen. Ist nämlich im Einzelfall mit einem Ansteigen der BÄK auch noch bis zur Blutentnahme zu rechnen, so kann die BÄK, sofern die Tat nur relativ kurze Zeit nach Trinkende begangen worden ist, zur Tatzeit niedriger gewesen sein als im Zeitpunkt der Blutentnahme (Rdn. 29). Diesen Umstand hatte sich die Behauptung des Schluß-Sturztrunks zunutze gemacht. Sie hatte zu einer uneinheitlichen und komplizierten Rechtsprechung (eingehend Rüth LK 10 Rdn. 16 ff) und zu einer Bevorzugung des „cleveren" bzw. gut beratenen Trunkenheitsfahrers geführt. 227 Sofern der Entnahmewert über der jeweiligen Grenze liegt, hilft sie dem Täter heute nicht mehr (BGHSt. 25 256, 251). Daß die Behauptung des Schluß-Sturztrunks durch den Rechtsprechungswandel nicht völlig seine Bedeutung verloren hat, zeigt OLG Düsseldorf VRS 64 436. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Angeklagte (nicht widerlegbar) etwa sechs Minuten vor Antritt der Fahrt 32 g Alkohol, davon 18 g u. U. unbewußt, zu sich genommen und war wenig später von der Polizei angehalten worden. Die Blutprobe ergab l,42%o, wobei durch die 18 g Alkohol eine BÄK 0,37%o aufgebaut worden sein konnte. Das OLG Düsseldorf hält dem Angeklagten zugute, daß die - mit fünf bis zehn Minuten angesetzte 228 - Anflutungswirkung erst gegen Ende des Anflutungszeitraums und damit nach der Beendigung der Fahrt akut geworden ist. Im Hinblick darauf könne es an der Sorgfaltswidrigkeit gefehlt haben (OLG Düsseldorf aaO S. 438). Dies berücksichtigt freilich nicht hinreichend, daß mit der Möglichkeit der Fahrunsicherheit bereits aufgrund der bewußt aufgenommenen Alkoholmenge hätte gerechnet werden müssen (Rdn. 215).229 Ein Schluß-Sturztrunk kann, sofern absolute Fahrunsicherheit nicht feststellbar ist, als Beweisanzeichen im Rahmen der Prüfung („relativer") Fahrunsicherheit gewertet werden (BGHSt. 24 200, 204 f; Rdn. 116).

83

(b) „Vorausrechnung". Genügt für die Annahme der absoluten Fahrunsicherheit eine zum Grenzwert führende Alkoholmenge im Körper zur Tatzeit, so sind Fälle tatbestandsrelevant, in denen der Täter erst nach der Blutentnahme den maßgebenden Grenzwert erreicht. Dies ist vorstellbar, wenn die Resorption im Zeitpunkt der Blutentnahme noch nicht abgeschlossen war. Auch dann kann sich der Täter zur Tatzeit „in Anflutung auf sicher erreichte 1,1 %o" befunden haben. Der höchst erreichbare BÄK-Wert muß ggf. auf der Grundlage des Entnahmewerts für einen späteren Zeitpunkt „hochgerechnet" werden. Für diese, als „Vorausrechnung" bezeichnete Aufgabe,230 sind allerdings hinreichende Anknüpfungstatsachen u.a. zu Trinkmenge und Aufnahme von 0,5 oder mehr Gramm Alkohol pro Kilogramm Körpergewicht in einem Zeitraum von bis zu 15 Minuten; s. Hentschel Trunkenheit Rdn. 209 m.w.N.; dort [Rdn. 210] auch Beispiele aus der Rechtsprechung. Schlagwort „Wer rechnen kann, wird freigesprochen" (vgl. Heifer BA 9 [1972] 407).

228

229

230

Zur Dauer der Resorptionsphase bei Sturztrunk vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 63 62, 63 [20 bis 120 Minuten]. Grüner BA 21 (1984) 279, 280; Janiszewski NStZ 1983 404. Kritisch auch Hentschel DAR 1983 261. D. Härtung BA 12 (1975) 162, 163; zust. Hentschel Trunkenheit Rdn. 114.

Stand: 1. 7. 2000

(304)

Trunkenheit im Verkehr

§

3 1 6

Trinkverhalten erforderlich; sie kann ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht bewältigt werden (D. Härtung BA 12 [1975] 162, 163). Keinesfalls zulässig ist es, eine unterhalb der maßgebenden Grenze liegende BÄK unter Hinweis auf eine möglicherweise noch nicht abgeschlossene Resorption einer solchen oberhalb kurzerhand „gleichzusetzen" (OLG Zweibrücken VRS 80 347, 349; vgl. auch O L G Düsseldorf VRS 63 62, 63). (2) Nachtrank. Vom Schluß-Sturztrunk ist der sog. „Nachtrunk" zu unterschei- 8 4 den. Damit sind Fälle gemeint, in denen der Täter nach Abschluß der Fahrt, aber vor der Blutentnahme Alkohol zu sich genommen hat. Wie die „Sturztrunkbehauptung" ist auch die „Nachtrunkbehauptung" häufig nur ein bloßer Schutzeinwand, der oftmals nicht sogleich, sondern (nach Beratung) erst im weiteren Verlauf des Verfahrens erhoben wird (Bonte Die Polizei 1999 350 f). In der Praxis tritt die Nachtrunkbehauptung vergleichsweise selten auf, und zwar vornehmlich in Fällen, in denen der Täter vom Unfallort geflohen ist und erst später (z.B. in seiner Wohnung) angetroffen wird.231 Sofern die Nachtrunkbehauptung den Tatsachen entspricht oder nicht widerlegbar ist, darf sie nicht unberücksichtigt bleiben. Denn der nach der Fahrt genossene Alkohol kann während der Fahrt natürlich nicht gewirkt haben. Bei der Behauptung von Nachtrunk sind sorgfaltige Erhebungen der Ermittlungsbehörden erforderlich (vgl. OLG Karlsruhe VRS 92 346).232 Der Beschuldigte und etwaige Zeugen sind u. a. nach Art, Menge und Zeitpunkt des nach Abschluß der Fahrt konsumierten Alkohols zu befragen. Wichtig sind auch Feststellungen zu den äußeren Umständen (Flaschen, Dosen etc.); aufgrund besonderer „Cleverness" des ermittelnden Polizeibeamten konnte schon mancher Nachtrunkbehauptung auf relativ einfache Weise die Grundlage entzogen werden. 233 In der Hauptverhandlung ist ggf. auch der Vernehmensbeamte hinzuzuziehen (OLG Koblenz VRS 55 130, 131). (a) Doppelblutentnahme. Nach Nr. 3.5.4 der RiBA (Rdn. 255) ist u. a. bei Berufung 8 5 auf Nachtrunk bzw. wenn mit einer Berufung auf Nachtrunk gerechnet werden muß, eine zweite Blutentnahme anzuordnen. Sie soll, weil sonst anerkanntermaßen ohne jeden Wert,234 frühestens 30 Minuten nach der ersten Blutentnahme erfolgen (Nr. 3.5.4 Satz 3 RiBA). Die Anordnung der Doppelblutentnahme geht auf eine Empfehlung des BGA-Gutachtens 1966 zurück (S. 62, 63 [Nr. 6 Satz 2]). Der Ertrag der Maßnahme für die Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen wird jedoch im rechtsmedizinischen Schrifttum nicht einheitlich beurteilt (zusammenfassend Hentschel Trunkenheit Rdn. 75 ff). Die Auffassungen reichen von (teils schroffer) Ablehnung 235 über eine vorsichtige Befürwortung, weil in Einzelfällen Erkenntnisse vermittelt werden könnten, 236 bis hin zur Einstufung als sinnvoll.237 Die Unsicherheiten rühren u.a. 231

232

233

234

Burre Die Polizei 1999 286, 287; Meininger Die Polizei 1999 346. Burre Die Polizei 1999 286, 287ff; Ifßandl Staak/Rieger BA 19 (1982) 235, 240; Meininger Die Polizei 1999 346, 347. So kann die Schimmelschicht am Rand der „Nachtrunkflasche" oder eine dort befindliche, nicht durch GrifFspuren unterbrochene StaubSchicht eine Nachtrunkbehauptung widerlegen (Sehwerd Spendel-Festschrift S. 583, 590). Wegen der Fehlerbreite der Meßergebnisse kann die „wahre" BÄK bei einer zweiten Blutentnähme innerhalb von 30 Minuten trotz Ermittlung eines geringeren Meßwerts sogar angestiegen sein. Hierzu BayObLG NJW 1976 382;

(305)

235

236

237

OLG Karlsruhe VRS 92 346; MühlhauslJaniszewski Rdn. 24 a; Hentschel Trunkenheit Rdn. 75 ff m.w.N; Berghaus/Althoff BA 16 (1979) 375, 379; Haffner Die Polizei 1999 291, 293 f. Hoppe/Haffner NZV 1998 265; IfflandlStaakl Rieger BA 19 (1982) 235, 244f; Ifßand NZV 1996 129, 130; den. BA 36 (1999) 99, 104; Schleyer!Wichmann BA 1 (1961/1962) 234, 244f; SchöllkopßJainz BA 10 (1973) 397, 402 f. Bär BA 23 (1986) 304, 310ff; Berghausl Α Ithoff BA 16 (1979) 375, 379; ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 26 f. GrünerlLudwig! Rockenfeiler BA 17 (1980) 26, 34 ff; Zink!Reinhardt BA 18 (1981) 377, 383 ff.

Peter König

§316

.28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

aus der „Launenhaftigkeit" der Blutalkoholkurve her, die die treffgenaue Bewertung etwaiger Divergenzen zwischen erster und zweiter Blutentnahme (oder deren weitgehende Ubereinstimmung) gerade in Bezug auf das (behauptete) Trinkverhalten erschweren, sowie aus der Fehlerbreite, die jeglichem Meßergebnis grundsätzlich anhaftet (vgl. ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 26; s. auch oben Rdn. 20, 23 f, 28 ff). 86

(b) Begleitstoffanalyse. Sehr viel einheitlicher ist das Meinungsbild zur gaschromatographischen Begleitstoffanalyse.238 Die Ermittlung der Begleitalkohole kann, was auch in der Rechtsprechung sowie im juristischen Schrifttum anerkannt ist,239 geeignet sein, die Angaben des Beschuldigten zu Art und Menge der nach der Tat aufgenommenen Alkoholika zu bestätigen oder zu widerlegen,240 wobei in der Praxis die Entkräftung der Nachtrunkbehauptung im Vordergrund steht.241 Die Konfrontation des Beschuldigten mit einem Begleitstoffgutachten führt dabei gelegentlich sogar zu Geständnissen (Schütz! WeilerlErdmann BA 29 [1992] 336, 338). Die Möglichkeiten der Begleitstoffanalyse dürfen andererseits nicht überschätzt werden. Erforderlich sind exakte Daten zu Trinkzeit, Trinkmenge und Getränkeart; zu lange Trinkzeiten, zu langer Zeitabstand zwischen Vorfall und Blutentnahme, zu kleine Trinkmengen oder begleitstoffarme Getränke stehen dem Erfolg entgegen (Bonte Die Polizei 1999 350, 351).

87

(c) Harnanalyse. Daneben ist die Alkoholkonzentration im Harn ein wichtiges Beweismittel.242 Nach Iffland (BA 36 [1999] 99, 103) ist sie ein wirksamerer Schutz gegen Nachtrunkangaben als alle anderen Methoden einschließlich der Begleitstoffanalyse. Voraussetzung für ihren zweckentsprechenden Einsatz ist es, daß vor der Sistierung durch die Polizei die Blase des Probanden nicht entleert worden ist; sorgfaltiges Vorgehen der Polizei ist erforderlich ( I f f l a n d aaO). Die Harnprobe kann dabei nicht gegen den Willen des Beschuldigten erlangt werden (zur Harnprobe - freilich ohne Bezug zum Nachtrunk - Nr. 4 RiBA [Rdn. 255]).243

88

(d) Berechnung. Muß Nachtrunk zugrunde gelegt werden, so ist auf der Grundlage der angegebenen Nachtrunkmenge zu ermitteln, zu welcher Blutalkoholkonzentration der Nachtrunk geführt haben kann. Dieser Wert ist dann von dem anhand der Blutprobenanalyse ggf. durch Rückrechnung - ohne Berücksichtigung des Nachtrunks (also „theoretischen") - ermittelten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zu subtrahieren.244 Für den Beschuldigten ist es deswegen um so günstiger, je höher die 23» Vorgestellt von MachatalProkop 349. 239

240

BA 8 (1971)

Vgl. O L G Celle DAR 1984 121, 122; O L G Karlsruhe VRS 92 346, 347; MühlhauslJaniszewski Rdn. 24; Hentschel Trunkenheit Rdn. 109; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 356 b; Meininger Die Polizei 1999 346, 347 ff. BontelStöppelmannl RudelU Sprung BA 18 (1981) 303, 309; Bontel RüdelllSprung/BilzerlKühnholz N J W 1982 2109; Bontel RüdelllSprunglFrauenrath! Facius! Reihs! Walther BA 20 (1983) 313, 325 f; Bonte Begleitstoffe alkoholischer Getränke (1987); Hoppe/Haffner NZV 1998 265, 268; I f f land! Staakl Rieger BA 19 (1982) 235, 246ff;I f f land Kriminalistik 1984 446; Schütz/Weiler/Erdmann BA 29 (1992) 336, 338 ff; Schwerd Spendel-Festschrift S. 583, 590.

241

242

243

244

Nach Bonte (Die Polizei 1999 350, 351) konnten im dortigen Institut 75 % der Nachtrunkbehauptungen ausgeschlossen und lediglich 10% nicht widerlegt werden. MühlhauslJaniszewski Rdn. 26 c; Hentschel Trunkenheit Rdn. 108; Ifflandl Staakl Rieger BA 19 (1982) 235, 245 f; Iffland NZV 1996 129, 131; vgl. auch Staakl Springerl Baum BA 13 (1976) 100. Der Vorschlag Ifflands (BA 36 [1999] 99, 104), die neu gefaßten RiBA entsprechend zu ergänzen, hat sich nicht durchgesetzt. BayObLG VRS 58 391, 392; OLG Karlsruhe VRS 92 346; O L G Köln VRS 66 352 f; VRS 67 459, 460 f; O L G Stuttgart N J W 1981 2525 f. MühlhauslJaniszewski Rdn. 24 a; Hentschel Trunkenheit Rdn. 107, 110.

Stand: 1. 7. 2000

(306)

Trunkenheit im Verkehr

§316

durch den Nachtrank möglicherweise aufgebaute BÄK ist. Aufgrund des Zweifelssatzes muß für das Urteil die höchstmögliche durch den Nachtrunk erreichbare BÄK angesetzt werden. Genau umgekehrt liegt es bei der Bestimmung der Mindest-BAK zur Beurteilung der Fahrunsicherheit durch Trinkmengenberechnung (im einzelnen Rdn. 37 ff). Die Blutalkoholkonzentration, die sich aus dem Nachtrunk ergibt, wird in der Weise berechnet, daß die Menge des „nachgetrunkenen" Alkohols (in Gramm) durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht (in Kilogramm) geteilt wird (Widmark-Formel; Rdn. 38). Dabei ist der dem Beschuldigten günstigstmögliche Reduktionsfaktor zu verwenden, sofern der für ihn maßgebende Reduktionsfaktor nicht individuell festgestellt worden ist (näher Rdn. 38). Das ist der niedrigstmögliche; es darf also nicht mit Durchschnittswerten (0,7 bei Männern, 0,6 bei Frauen) gerechnet werden (BayObLG VRS 58 391, 392). Des weiteren muß der Richter das Körpergewicht des Beschuldigten zur Tatzeit feststellen. Denn je niedriger es ist, desto höher fallt die denkbare Alkoholbelastung durch den Nachtrunk und desto günstiger für den Beschuldigten demgemäß auch die Berechnung insgesamt aus. Der Tatrichter muß auch hier vom niedrigstmöglichen Körpergewicht ausgehen; er darf das Gewicht nicht kurzerhand mit einem ihm als real erscheinenden Wert schätzen (OLG Stuttgart VRS 61 379, 381 f)· Schließlich muß das Resorptionsdefizit abgezogen werden (Rdn. 39). Wiederum ist für den Beschuldigten die geringstmögliche Größe die günstigste, weil dann die herauszurechnende „Nachtrunk-BAK" den höchsten Wert erreicht. Das Resorptionsdefizit ist deshalb mit dem niedrigsten Wert, nämlich 10%, zu bemessen.245 Ein stündlicher Abbauwert muß für den Nachtrunk nicht in Ansatz gebracht werden. Denn es kann insgesamt nur eine bestimmte Alkoholmenge im Körper abgebaut werden; der Abbau ist aber bereits durch die Rückrechnung vom Entnahmewert auf den Tatzeitwert berücksichtigt worden (BGH vom 24. August 1993-4 StR 452/93).246 Zur Klärung der in der Regel komplizierten Frage des Nachtrunks wird sich das Gericht der Hilfe eines Sachverständigen bedienen müssen (u. a. OLG Karlsruhe VRS 92 346, 347; OLG Stuttgart VRS 61 379, 380). ee) Ordnungsgemäß festgestellte BÄK. Für den Nachweis der absoluten 8 9 Fahrunsicherheit muß der Untersuchungsbefund ordnungsgemäß zustande gekommen sein. Dafür sind nach gefestigter Rechtsprechung (mindestens) vier bzw. fünf Analysen erforderlich, die nach zwei voneinander unabhängigen Untersuchungsmethoden erhoben worden sind; aus allen Einzelwerten ist dann das arithmetische Mittel zu bilden (im einzelnen Rdn. 18 ff). In der Praxis geschieht es gelegentlich, daß die Mindestzahl von vier bzw. fünf Analysen nicht erreicht und/oder nur eine Untersuchungsmethode angewandt werden kann. Zumeist liegt dies daran, daß das Untersuchungsmaterial nicht genügt, um sämtliche Analysen durchzuführen. Die Problematik kann jedoch auch relevant werden, wenn sich bei der (Erst-)Untersuchung nicht alle Einzelwerte innerhalb der zulässigen Variationsbreite halten und eine Nachuntersuchung mangels ausreichenden Untersuchungsmaterials nicht möglich ist (s. auch Rdn. 24). Ein weiterer Anwendungsfall ist die Begutachtung von im Ausland durch245

Umgekehrt liegt es bei der Herausrechnung der Nachtrunk-BAK im Rahmen der §§ 20, 21. Da dort für den Beschuldigten der Maximalwert zur Tatzeit am günstigsten ist, kommt es ihm zugute, wenn die Nachtrunk-BAK möglichst niedrig ist. Das Resorptionsdefizit für den

(307)

246

Nachtrunk ist deshalb dort mit 30% anzusetzen (BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 10; BGH StV 1994 406, 407; NStZ-RR 1997 35, 36). Insoweit in StV 1994 14 nicht abgedruckt.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

geführten Untersuchungen, denen nur zwei Analysenwerte zugrunde liegen (vgl. LG Kiel SchlHA 1983 196f; GrünerILudwig BA 27 [1990] 316, 317). Was in derartigen Konstellationen zu gelten hat, ist noch nicht in allen Details geklärt: (1) Einigkeit247 dürfte zunächst darin bestehen, daß eine solchermaßen zustande gekommenen BÄK-Bestimmung nicht dieselbe („absolute") Beweiskraft entfaltet wie eine unter Einhaltung aller Mindestvoraussetzungen erfolgte. Ein auf der Grundlage des nicht richtliniengerechten Meßbefundes bestimmter Tatzeitwert von exakt 1,1 %o genügt für die Annahme („absoluter") Fahrunsicherheit demgemäß nicht. Dies gilt schon deswegen, weil die Wahrscheinlichkeit, dem „Wahren Wert" möglichst nahezukommen, um so geringer ist, je weniger Einzelanalysen vorhanden sind (Rdn. 20), sich die Einhaltung der zulässigen Variationsbreite (Rdn. 24) allenfalls sehr eingeschränkt überprüfen läßt und ggf. das Korrektiv der zweiten, von der ersten unabhängigen Untersuchungsmethode ausfallt (Rdn. 22). Andererseits wird soweit ersichtlich gleichfalls nicht bestritten, daß der Befund nicht schlechthin unverwertbar ist, vielmehr jedenfalls als Indiz im Rahmen der Prüfung relativer Fahrunsicherheit herangezogen werden kann (OLG Stuttgart VRS 66 450, 453; AG Gemünden DAR 1977 49). Für den Fall, daß die durch die Richtlinien verlangten vier bzw. fünf Untersuchungen durchgeführt worden sind, sich aber unter den Befunden ein „Ausreißer" befindet, zieht das BayObLG (bei Rüth DAR 1980 262 [zu § 24 a StVG]) in Erwägung, daß eine Grenzwertüberschreitung angenommen werden kann, sofern alle Werte über der Grenze liegen; dies sei allerdings nicht zulässig, wenn eine durchgeführte Nachuntersuchung Werte unterhalb des Grenzwerts ergeben habe. (2) Nicht einheitlich beurteilt wird hingegen, ob und ggf. unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen absolute Fahrunsicherheit angenommen kann, wenn der Einzelwert bzw. der Mittelwert aus den erhobenen Einzelwerten nicht unerheblich über dem maßgebenden Grenzwert liegt. (a) Ein Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums vertritt die Auffassung, die Einzelanalyse(n) und ein u. U. daraus gebildeter Mittelwert könnten in freier Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der konkreten Analyseumstände die alleinige Grundlage für die Annahme („absoluter") Fahrunsicherheit bilden. Der höheren Fehlerbreite könne durch einen großzügigen Sicherheitszuschlag Rechnung getragen werden; der Zuschlag sei unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu bemessen.248 Der Gefahr von (unbemerkten) „Ausreißern" bei nur wenigen Einzelwerten könne dadurch begegnet werden, daß das verwendete Gerät einer eingehenden Prüfung durch Vergleichsmessungen und deren statistische Auswertung unterzogen werde (so Hentschel Trunkenheit Rdn. 71).

247

248

Es sei denn, es ist eine Untersuchung im automatisierten Doppel-GC-Verfahren durchgeführt worden, und man verträte mit Machata die Auffassung dies genüge den Richtlinien des Bundesgesundheitsamts. Selbst dann wären aber vier Analyseneinzelwerte bei zwei Untersuchern erforderlich (zum ganzen Rdn. 22) OLG Hamm NJW 1974 2064, 2065 [zwei im GC-Verfahren]; BA 18 (1981) 261, 262 [drei nach Widmark]; VersR 1995 949 f [eine nach ADH; zu § 2 AUB]; OLG Köln [ZR] BA 37 (2000) 253, 254 m. zust. Anm. Gerchow [vier

nach ADH]; LG Kiel SchlHA 1983 196 [zwei im GC-Verfahren]; LG Mönchengladbach MDR 1985 428 [vier im GC-Verfahren]; AG Langen BA 26 (1989) 207 [zwei im GC-Verfahren] m. zust. Anm. Grüner 210, 211; Hentschel Trunkenheit Rdn. 71 f; GrünerILudwig BA 27 (1990) 316, 322 ff; Sachs NJW 1987 2915, 2916. Vgl. auch den Sonderfall in OLG Hamm BA 22 (1985) 484, 485 f [drei Einzelwerte, Nachuntersuchung des Blutkuchens mit einem Ergebnis außerhalb der zulässigen Variationsbreite]; hierzu Zink BA 23(1986) 144, 145.

Stand: 1. 7. 2000

(308)

Trunkenheit im Verkehr

§316

(b) Zumindest für den Fall, daß bei zwei Einzelwerten lediglich eine Untersuchungsmethode angewandt worden ist (also erst recht bei nur einem Einzelwert), darf das Ergebnis nach der Gegenansicht nicht zur Feststellung einer bestimmten BÄK und damit jedenfalls grundsätzlich auch nicht zur Feststellung absoluter Fahrunsicherheit herangezogen werden.249 OLG Stuttgart VRS 66 450 (S. 452) schließt dies auch dann aus, wenn die beiden zur Verfügung stehenden Einzelwerte im anerkannt überlegenen gaschromatographischen Verfahren (hierzu Rdn. 19) erhoben worden sind. Das Ergebnis einer Blutalkoholuntersuchung dürfe nach den Richtlinien nur verwertet werden, wenn die zulässige Variationsbreite eingehalten sei (Rdn. 24). Diese zusätzliche Kontrollfunktion werde aber ausgeschaltet, wenn man die Vornahme von nur zwei Einzelanalysen nach derselben Methode als ausreichende Grundlage der Blutalkoholbestimmung ansehen würde. Es könne nämlich keineswegs von vornherein davon ausgegangen werden, daß sich die weiteren (unterbliebenen) Einzelanalysen im Rahmen der zulässigen Streubreite gehalten hätten. Ebensowenig lasse sich hinreichend sicher ausschließen, daß die beiden im konkreten Fall durchgeführten Einzelanalysen fehlerhaft gewesen seien (BayObLG VRS 62 461, 464; zust. BGH VRS 75 444, 447; OLG Stuttgart VRS 66 450, 452). Auf dieser Linie dürfte auch die Bildung des Mittelwerts aus drei Einzelwerten nach zwei verschiedenen Methoden nicht ausreichen. Denn es ist nicht undenkbar, daß der (einzige) Einzelwert aus der „anderen" Methode auf einer Fehlmessung beruht. (c) Auf der Grundlage der bestehenden Richtlinien zur BAK-Bestimmung spricht mehr für die zuletzt angeführte „strenge" Auffassung. Sie mag auf den ersten Blick formalistisch erscheinen. Jedoch hat die Formalisierung ihren guten Sinn (vgl. oben). Man sollte sie nicht leichthin relativieren. Eine Aufweichung könnte unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen. Versuche, die Untersuchungsmethoden zu eigenen Gunsten „aufzusplitten", hat es in der Praxis bereits gegeben (vgl. OLG Düsseldorf VRS 94 352). Sie erhalten Nahrung, wenn dargelegt wird, daß dem „Wahren Wert" mit weniger als den geforderten Einzelwerten/Untersuchungsverfahren fast ebensogut nahezukommen sei wie bei Einhaltung der Anforderungen (vgl. u. a. Grüner/Ludwig BA 27 [1990] 316, 322f; Zink BA 23 [1986] 144, 145). Auch scheint die denkbare Schwankungsbreite bei Messungen unterhalb der erforderlichen Anzahl von Einzelwerten/Untersuchungsmethoden nach fundierten wissenschaftlichen Äußerungen zumindest bei Verwendung allein der ADH-Methode durchaus beträchtlich sein zu können (Gutachten Heifer, mitgeteilt in BayObLG VRS 62 461, 463 f)· Ob bei zwei Messungen im GC-Verfahren ein Sicherheitszuschlag im Bereich von 0,2 %o (AG Langen BA 26 (1989) 207) oder gar darunter (OLG Hamm NJW 1974 2064, 2065) generell genügt, um jegliche Benachteiligung des Beschuldigten auszuschließen, bedürfte der Absicherung. Fraglich kann vor diesem Hintergrund allenfalls sein, was bei Tatzeitwerten geschieht, die weit über dem maßgeblichen Grenzwert, ζ. B. bei oder jenseits der 2%o liegen und die auf zumindest zwei für sich genommen nicht unzulässig „streuenden" Einzelwerten beruhen. Es dürfte vertretbar sein, in einem solchen Befund eine hinreichend sichere Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung

249

BayObLG VRS 62 461, 463 f [zwei nach ADH] m. zust. Anm. Krauland BA 20 (1983) 76 f; OLG Stuttgart VRS 66 450, 452 [zwei im GC-Verfahren]; LG Hanau VRS 76 25, 27 [jedenfalls bei nur einer Probe im GC-Verfahren]; AG Gemünden DAR 1977 49 [zwei nach ADH]; wohl auch

(309)

O L G Düsseldorf VRS 93 455, 456. In diese Richtung auch, ohne die Frage abschließend zu entscheiden, BGH VRS 75 444, 445 ff [zwei nach A D H ; zu § 2 AUB], Sehl Schröder! Cramer Rdn. 15; TröndlelFischer Rdn. 8 c; Strate BA 15 (1978)405,407.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zu sehen.250 Das Ergebnis kann u.U. durch eine statistische Vergleichsmessung gestützt werden (insoweit skeptisch freilich BayObLG VRS 62 461, 464). Ansonsten verbleibt es dabei, daß es nur als ein Indiz im Rahmen der Prüfung („relativer") Fahrunsicherheit herangezogen werden kann (Rdn. 94, 96) Eine andere Frage ist, ob nicht die Richtlinien selbst einer grundsätzlichen Überprüfung unterzogen werden sollten. Forderungen des rechtsmedizinischen Schrifttums nach Zulassung der Doppelbestimmung im GC-Verfahren unter Verzicht auf eine weitere Methode erscheinen schlüssig (Rdn. 22). Auch kommen andere Staaten offensichtlich mit lediglich zwei Einzelwerten aus (vgl. diese Rdn. eingangs). Schließlich könnte auch die Zulassung der Atemalkoholanalyse und die in diesem Rahmen gerügten Divergenzen zur Blutalkoholanalytik (Rdn. 54 ff) den Anstoß geben, die mittlerweile mehr als dreißig Jahre „alten" und unter ganz anderen Voraussetzungen hinsichtlich der Meßgenauigkeit entwickelten formalen Kriterien zu überdenken. Dabei sollten auch Bestimmungen zu etwaigen Sicherheitszuschlägen in Fällen getroffen werden, in denen die Zahl der Einzelanalysen (der Untersuchungsmethoden) nicht eingehalten werden kann. Insoweit bedarf es breiter wissenschaftlicher Fundierung (hierzu auch Rdn. 22). 90

h) Die „relative Fahrunsicherheit". Wird der jeweilige „absolute" Grenzwert (Rdn. 59 ff) nicht erreicht, kann er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Weise nachgewiesen werden oder ist mangels hinreichender verkehrsmedizinischer Erkenntnisse für die konkrete Art des Fahrzeugführens in der jeweiligen Verkehrsart kein absoluter Grenzwert anzuerkennen, so bedarf es für die Feststellung der Fahrunsicherheit stets zusätzlicher Beweisanzeichen.251 Anders als bei der Beweislage der „absoluten Fahrunsicherheit" vermittelt der Alkoholisierungsgrad des Fahrzeugführers allein demnach keine hinreichende Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung. Erst die Gesamtheit der nach Lage des Falles vorhandenen Indizien kann die Annahme der Fahrunsicherheit begründen. Diese Beweislage meint der Terminus der relativen Fahrunsicherheit. Der Begriff beschreibt also nicht einen Zustand minderer Leistungsbeeinträchtigungen, als sie bei „absoluter Fahrunsicherheit" gegeben wären; vielmehr ist dasselbe Ergebnis („Fahrunsicherheit") nur auf unterschiedliche Art bewiesen worden (vgl. BGHSt. 31 42, 44 m. w. N.). Die Form des Nachweises ändert aber nichts daran, daß der Fahrzeugführer entweder fahrunsicher ist oder eben nicht, er ist im Rechtssinn nicht „absolut" oder „relativ" fahrunsicher. Den höchsten Stellenwert innerhalb der relevanten Indizien nimmt naturgemäß der Alkoholisierungsgrad des Fahrzeugführers ein (Rdn. 91 ff). Sein Ausmaß bestimmt zugleich die Anforderungen an die Signifikanz der zusätzlichen Indizien: Je höher der Alkoholspiegel ist, desto weniger ausgeprägt müssen diese sein, wie auch umgekehrt die zusätzlichen Indizien um so aussagekräftiger sein müssen, je niedriger der Alkox holspiegel ist (vgl. auch Rdn. 97). Hinsichtlich der Art der zusätzlichen Beweisanzeichen unterscheidet BGHSt. 31 42 (44 f) instruktiv zwischen 250

Einen hohen Sicherheitszuschlag zieht BGH VRS 75 444, 447 in Erwägung; BayObLG VRS 62 463, 464 schließt eine Verwertung bei einer weit über den Grenzwerten liegenden BÄK nicht kategorisch aus. BayObLGSt. 1995 181, 183 steht dem wohl nicht entgegen, weil die dortige Feststellung, bei einer Verfehlung der Mindestanforderungen müsse eine pauschale Er-

251

höhung des Sicherheitszuschlags ausscheiden, ersichtlich im Kontext mit einer zuvor in AngrifT zu nehmenden Nachuntersuchung steht. B G H VRS 19 296, 298; VRS 27 192, 193; VRS 32 40,43; BGHSt. 31 42, 44; O L G Köln VRS 90 119; Horn SK Rdn. 25; Lackneri Kühl § 315 c Rdn. 7; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 7; MühlhausUaniszewski Rdn. 26.

Stand: 1. 7. 2000

(310)

Trunkenheit im Verkehr

§316



dem konkreten äußeren, nicht notwendig gerade die Fahrweise betreffenden Leistungsverhalten des Fahrzeugführers, das durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mit beeinträchtigt sein muß (Ausfallerscheinungen; Rdn. 97 ff), • in der Person liegenden Gegebenheiten wie Krankheit oder Ermüdung (inneren Umständen; Rdn. 128 ff) und • den äußeren Bedingungen der Fahrt wie Straßen- und Witterungsverhältnissen (äußeren Umständen; Rdn. 138). Die aufgeführten zusätzlichen Indizien haben nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Beweisführung unterschiedliches Gewicht. Herausragende Bedeutung kommt der Ausfallerscheinung zu. Während es an erschwerenden inneren oder äußeren Umständen im Einzelfall fehlen kann, ist eine (geringfügige) Ausfallerscheinung grundsätzlich unverzichtbar (BGH aaO S. 45; näher Rdn. 97 ff). aa) Alkoholisierungsgrad. Vorliegen und Ausmaß der Alkoholisierung spiegeln 9 1 sich in der Blutalkoholkonzentration wider. Die Annahme von Fahrunsicherheit setzt grundsätzlich die Feststellung voraus, daß der Fahrzeugführer zur Tatzeit eine relevante BÄK (Rdn. 92 ff) aufgewiesen hat. Bei Anerkennung der Atemalkoholanalyse als forensisch verwertbares Beweismittel kann der Nachweis einer bestimmten Alkoholisierung desgleichen mit Hilfe des Alkoholgehalts in der Atemluft geführt werden (Rdn. 95). Aber auch dann, wenn in Ermangelung einer (ordnungsgemäßen) Blutprobenanalyse und eines (ordnungsgemäßen) Atemalkoholtests eine bestimmte Alkoholkonzentration nicht ermittelt werden kann, besteht unter besonderen Umständen die Möglichkeit, in freier richterlicher Beweiswürdigung auf Fahrunsicherheit zu schließen (Rdn. 96). (1) Beweisanzeichen BÄK. Wichtigstes Beweisanzeichen ist die BÄK des Fahrzeug- 9 2 führers zur Zeit der Tat. Sie wird ggf. ausgehend vom Ergebnis einer Blutprobenanalyse durch Rückrechnung auf die Tatzeit ermittelt (Rdn. 18 ff). Sind hinlängliche Beweismittel zum Trinkgeschehen vorhanden, so kann die BÄK auch anhand der aufgenommenen Alkoholmenge berechnet werden (Rdn. 37 ff). Der Nachweisbereich der relativen Fahrunsicherheit beginnt nach ganz h. M. schon bei geringen Alkoholkonzentrationen und reicht bis zu einem etwaigen Grenzwert „absoluter Fahrunsicherheit"; ist ein „absoluter" Grenzwert nicht anzuerkennen, so ist der Nachweisbereich nach oben hin nicht begrenzt. (a) Richtwert 0,3 %o. Der Schwellenwert, von dem ab alkoholbedingte Fahr- 9 3 Unsicherheit in Betracht kommt, wird seit vielen Jahrzehnten üblicherweise mit einer BÄK von 0,3 %o angegeben. 252 Diese Angabe stützt sich auf die allgemein anerkannten Ergebnisse der Alkoholforschung. Danach muß bereits bei Blutalkoholkonzentrationen im Bereich von 0,2 und 0,3 %o mit fahrsicherheitsrelevanten Beeinträchtigungen der psycho-physischen Leistungsfähigkeit gerechnet werden (näher Rdn. 16 bb)). Anklagen/Verurteilungen wegen Trunkenheitsfahrten mit BÄK-Werten zwischen 0,3 und 0,5 %o sind in der Praxis außerordentlich selten. 252

U.a. BGH VRS 19 296, 299; 21 54, 56; 27 192, 193; 47 178, 179; 49 429; BayObLG DAR 1989 427; OLG Hamm NJW 1967 1332; KG VRS 26 116, 117; OLG Koblenz VRS 45 118, 119; VRS 63 359, 361; OLG Köln DAR 1989 352; VRS 90 119; vgl. auch BGHSt. 13 278, 281 f; 83, 90f. Horn SK Rdn. 26; LackneriKühl § 315 c Rdn. 6; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 13; Tröndlel Fischer

(311)

Rdn. 7; JaguschiHentschel Rdn. 15; Mühlhausl Janiszewski Rdn. 26; Hentschel Trunkenheit Rdn. 183. Anfangs hatte die Rechtsprechung noch gelegentlich einen Wert von 0,5 %o genannt, s. etwa BGH VRS 5 550; 20 444, 445; 22 121, 123. Zusammengeführt in BGH VRS 27 192, 193; hierzu auch OLG Schleswig VerkMitt. 1970 Nr. 2 5 S. 2 3 .

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Fraglich ist, ob der BÄK-Wert von 0,3 %o eine „echte" Beweisgrenze darstellt, also strikte Ausschlußwirkung „nach unten hin" entfaltet. Teilweise wird dies angenommen. So findet sich in der Rechtsprechung (OLG Köln DAR 1989 3 5 2 ) 2 5 3 und im Schrifttum (z.B. Hentschel Trunkenheit Rdn. 183) 254 bisweilen die (nicht näher begründete) Aussage, eine BÄK von unterhalb 0,3 %o rechtfertige niemals die Annahme alkoholbedingter Fahrunsicherheit. Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Hierfür bedürfte es eines medizinisch-naturwissenschaftlich abgesicherten Erfahrungssatzes des Inhalts, daß bei einer geringeren BÄK mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Mensch alkoholbedingte Leistungsausfalle aufweist, die die Fahrsicherheit aufheben, und zwar selbst unter widrigsten inneren und äußeren Umständen. Ein solcher Erfahrungssatz dürfte nicht existieren. Die Alkoholforschung zu den Auswirkungen geringer Alkoholmengen hat sich soweit ersichtlich nicht vertieft mit der Frage befaßt, ob die Fahrsicherheit beseitigende Beeinträchtigungen unterhalb von 0,3 %o im Einzelfall vorkommen können. Die Untersuchungen standen vielmehr in engem Zusammenhang mit der Problematik des Gefahrengrenzwerts. Festgestellt werden sollte, ob in einer signifikanten Bandbreite von Fällen gefahrliche Leistungsbeeinträchtigungen nachweisbar sind, so daß ein gesetzlicher Grenzwert von 0 , 5 % o / 0 , 8 % o 2 5 5 zu rechtfertigen ist (s. z.B. die Synopse bei Heifer BA 28 [ 1 9 9 1 ] 1 2 1 ) . Daneben steht aber die auch im BGA-Gutachten 1966 referierte, unwidersprochen gebliebene und in den berufenen Fachkreisen wohl sogar allgemein konsentierte Aussage, daß es im Grunde gar keine für die Fahrsicherheit irrelevante Alkoholkonzentration gibt.256 Es ist wenig wahrscheinlich, wenn nicht gar ausgeschlossen, daß ein medizinischer Sachverständiger Fahrunsicherheit unter Hinweis auf das Nichterreichen des „Grenzwerts" beispielsweise in einem Fall ausschließen würde, in dem der Fahrzeugführer einen Tatzeitwert von 0,29 %o aufgewiesen und zugleich unter dem Einfluß eines Medikaments gestanden hat, das im Zusammenwirken mit Alkohol bekanntermaßen zu Leistungsausfällen führt, und in dem Ausfallerscheinungen festgestellt sind.257 Er würde vielmehr zu der Frage Stellung nehmen, ob die Ausfallerscheinungen anders als mit der (medikamentös verstärkten) Alkoholwirkung erklärt werden können. Entsprechendes gälte etwa für die Kombination Alkoholeinfluß und Übermüdung (vgl. ζ. B. BGH VRS 14 282, 284 f)-258 Bei näherem Hinsehen wird die „0,3 %o-Grenze" durch die Rechtsprechung in der Sache weithin auch gar nicht im Sinne einer strikten Beweisgrenze angewendet. Andernfalls müßten nämlich all die Regularien, die für den Grenzwert „absoluter" Fahrunsicherheit gelten, auf die „Untergrenze" übertragen werden. Insbesondere wäre ein Sicherheitszuschlag erforderlich.259 Der Mindestwert von 0,3 %o würde sich dann aus einem Grundwert von 0,2 %o und einem Sicherheitszuschlag von 0,1 %> 253

254

255

256

S. auch OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000 12, 13 und OLG Koblenz DAR 2000 371, 372. Nach Eisenberg Beweisrecht der StPO Rdn. 1850 d soll dies „allgemeine Ansicht" sein. In Richtung auf einen Beweisgrenzwert auch Nr. 3.2.1 erster Spiegelstrich RiBA (Rdn. 255). Im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht; zur diesbezüglichen kriminalpolitischen Diskussion Rdn. 15. Elbel BGA-Gutachten 1966 (Anl. 9) S. 166, 170. S. auch Heifer BA 28 (1991) 121, 138: „Jede Blutalkoholkonzentration kann auf die Fahrsicherheit Einfluß nehmen." LockemannlPüschel BA 34 (1997) 241, 256.

257

258

259

S. dazu, daß die Ergebnisse der experimentellen Alkoholforschung und der Fahrversuche an gesunden, auf die Situation eingestellten Personen gewonnen worden sind, Gerchow BA 6 (1969)399,409. Der dortige Sachverständige hatte allerdings die Auffassung vertreten, „die Psyche des Angeklagten" sei bei einer BÄK von noch nicht 0,5 %o „lediglich in einer gesellschaftlich wünschenswerten Weise beeinflußt" gewesen; dies ist vom BGH mit Unverständnis aufgenommen worden. S. aber OLG Hamm NJW 1967 1332, 1333, wo ein Sicherheitszuschlag (Abzug) erwogen wird.

Stand: 1. 7. 2000

(312)

T r u n k e n h e i t im Verkehr

§316

zusammensetzen (Rdn. 63). Das wäre zwar heute vertretbar. Allerdings war der Sicherheitszuschlag von der Rechtsprechung bis 1966 mit 0,5 %o (Rdn. 61) und bis 1990 mit 0,2 %o (Rdn. 62) bemessen worden. Dies hätte vormals entweder zu „Grundwerten" geführt, die statistisch und experimentell gar nicht (0,0 %o) oder nur schwer (0,1 %o) begründbar sind, oder aber es hätten unter Berücksichtigung des jeweiligen Sicherheitszuschlags Untergrenzen von 0,8 %o bzw. 0,5 %o festgelegt werden müssen. Für den letztgenannten Fall hätte aber beispielsweise in B G H VRS 21 54 unter der Geltung des Sicherheitszuschlags von 0,5 %o nicht offenbleiben können, ob der dortige Angeklagte nicht lediglich einen Tatzeitwert von „rund 0,76 %o" aufgewiesen hat (aaO S. 56), und B G H VRS 24 369 hätte sich nicht mit der Hilfserwägung begnügen dürfen, die BÄK habe „mindestens 0,5 %o" betragen, was für „relative Fahrunsicherheit" ausreiche (aaO S. 374; s. auch B G H VRS 14 282, 284 f). Die These vom Ausschlußcharakter der „0,3%o-Grenze" ist aber auch mit der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte schwerlich in Einklang zu bringen, wonach die Annahme alkoholbedingter Fahrunsicherheit selbst dann in Betracht kommt, wenn eine bestimmte BÄK nicht ermittelt werden kann (Rdn. 96). Denn es ist nicht ersichtlich, wie der Richter, der keine bestimmte BÄK festzustellen vermag, zu der Überzeugung gelangen sollte, es habe eine BÄK von mindestens 0,3 %o und nicht lediglich eine solche von 0 , 2 9 9 %o vorgelegen. 260 Eine „absolute" Untergrenze wäre im Nachweisbereich der „relativen Fahrunsicherheit" schließlich auch ein Fremdkörper. In Frage steht ein Indizienbeweis. Maßgebend ist die Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen. Der Alkoholisierungsgrad ist in diesem Rahmen nur eine (wenngleich die wichtigste) Variable. Je niedriger er ausfallt, desto schlagkräftiger müssen die zusätzlichen Beweisanzeichen und darunter vor allem die Ausfallerscheinung sein (Rdn. 90, 97). Das führt rein faktisch dazu, daß alkoholbedingte Fahrunsicherheit bei niedrigen BÄK-Werten zumeist nicht angenommen werden kann, weil die zusätzlichen Indizien zu schwach ausgeprägt sind, um die Defizite der Variablen BÄK ausgleichen zu können. Andererseits besteht kein Grund, dem Richter diese Prüfung aufgrund statistischer und experimenteller Forschungsergebnisse abzuschneiden, die für den konkreten Einzelfall keine absolute Gültigkeit beanspruchen. Daß allgemeingültige Erkenntnisse der Alkoholforschung in die Würdigung des Einzelfalls durch den Sachverständigen einfließen, bleibt davon unberührt. Die „0,3 %o-Grenze" ist nach alledem ein bloßer Richtwert. Sie bietet dem Richter Orientierungshilfe und ist insofern für die Rechtsfindung wertvoll. Rechtswirkungen im Sinne eines Ausschlusses der Annahme von Fahrunsicherheit bei Unterschreiten der 0,3 %o entfaltet sie nicht. 261 (b) Höhe der BÄK. Die Höhe der BÄK hat für die Feststellung des Merkmals der Fahrunsicherheit vor allem insoweit Bedeutung, als sie die Anforderungen an die Durchschlagskraft der zusätzlichen Indizien bestimmt (Rdn. 90). Deren präzise Angabe ist deshalb wünschenswert. Das gilt insbesondere dann, wenn die BÄK den jeweiligen Grenzwert absoluter Fahrunsicherheit knapp verfehlt und der Richter im 260

In diese Richtung aber OLG Koblenz VRS 45 118, 119; 54 282, 283; Horn SK Rdn. 26. S. hingegen OLG Hamm VRS 59 40, 41: „... wollte das LG mit seiner Formulierung, der Angekl. habe zur Tatzeit mindestens eine Blutalkoholkonzentration von 0,3 %o aufgewiesen, zum Ausdruck bringen, daß der Angeklagte nicht nur ganz geringfügig alkoholbeeinträchtigt war, son-

(313)

261

dern in einem erheblichen, seine Fahruntüchtigkeit herbeiführenden Maß." Im Ergebnis wie hier MühlhausUaniszewski Rdn. 26; Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 359. Die dort in Bezug genommene Entscheidung (BayObLG StVE Nr. 94 zu § 316) stützt diese Auffassung aber wohl nicht unmittelbar (näher Rdn. 96 a. E.).

Peter K ö n i g

94

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Hinblick darauf ein für sich genommen nur noch schwaches zusätzliches Indiz genügen lassen will (vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1974 179). Auch im Grenzbereich kommt es aber auf den exakten „Punktwert" der BÄK nicht entscheidend an (vgl. OLG Hamm VRS 41 41, 42; DAR 1975 249).262 Z.B. bei problematischen Rückrechnungen, aber auch bei schwierigen Trinkmengen- 263 oder Nachtrunkberechnungen kann es demgemäß ausreichen, wenn der dem Beschuldigten günstigstmögliche Wert oder lediglich der Bereich bezeichnet wird, in dem die BÄK gelegen hat. Entsprechendes gilt, wenn die Blutprobenanalyse zwar ein bestimmtes Ergebnis liefert, aber deswegen keine volle Beweiskraft entfaltet, weil die Richtlinien des Bundesgesundheitsamts zur Blutprobenanalyse nicht eingehalten werden konnten. Ist z.B. die Untersuchung anhand lediglich zweier, nicht unzulässig „streuender" Einzelwerte nach einem Meßverfahren vorgenommen worden (hierzu Rdn. 18 ff, 89) und hat sich danach ein Tatzeitwert von 1,5 %o ergeben, so wird der Richter davon ausgehen können, daß mindestens eine Alkoholisierung im Grenzbereich vorgelegen hat. 264 Voraussetzung ist natürlich immer, daß der angegebene BÄK-Wert bzw. BAK-Bereich hinreichend gesichert ist und daß er in Verbindung mit den sonstigen Indizien die Annahme der Fahrunsicherheit stützt. Lassen die vorhandenen Erkenntnisse hingegen keinen hinreichend zuverlässigen Schluß auf eine annähernd bestimmte BÄK zu, so gilt das in Rdn. 96 Gesagte. 95

(2) Beweisanzeichen Atemalkoholkonzentration. Durch die Atemalkoholanalyse mit Geräten, die von der PTB zugelassen sind (Rdn. 51), kann jedenfalls die AAK „beweissicher" festgestellt werden; daß AAK-Werte Aussagekraft hinsichtlich der alkoholischen Beeinflussung des Fahrzeugführers entfalten, steht dabei außer Frage (Rdn. 55). Trotz der Unsicherheiten in Bezug auf die Frage, ob aufgrund der statistischen Entsprechungen damit auch eine bestimmte Mindest-BAK erwiesen ist (Rdn. 56), kommt AAK-Werten hohe indizielle Wirkung für oder gegen die Annahme von Fahrunsicherheit zu. Hingegen sind die Resultate von Atemtests, die mit Hilfe von „Alcotestprüfröhrchen", Vortestgeräten und wohl auch von „reinen" Infrarotgeräten, durchgeführt worden sind, nur als mehr oder weniger starkes Indiz für Vorliegen und ungefähres Ausmaß einer Alkoholisierung verwertbar (nachstehende Rdn.). Wegen der näheren Einzelheiten zur beweissicheren Atemalkoholanalyse wird auf die Ausführungen unter Rdn. 48 ff Bezug genommen.

96

(3) Keine zuverlässig festgestellte Alkoholkonzentration. Wird eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration mangels Blutprobe, verläßlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder „beweissicheren" Atemtests nicht festgestellt, so scheidet die Annahme alkoholbedingter Fahrunsicherheit gleichwohl nicht notwendig aus. Nach gefestigter, vom Schrifttum soweit ersichtlich nicht angefochtener 265 obergerichtlicher Rechtsprechung kann der Richter vielmehr ausnahmsweise in freier Beweiswürdigung zum Urteil der Fahrunsicherheit gelangen; allerdings muß den Indizien und deren Gesamtwürdigung eine außergewöhnliche, überdurchschnittliche Überzeugungskraft

262 263

264

S. auch BGH VRS 19 296, 298; 21 54, 56. Zur Problematik von Trinkmengenberechnungen mit unrealistischem Ergebnis s. Rdn. 96 a. E. OLG Hamm VRS 41 41, 42 (bei einem „am Grenzwert liegenden" Mittelwert aus drei Einzelanalysen nach Widmark könne von einer nicht wesentlich unter dem Grenzwert liegenden BÄK ausgegangen werden); vgl. auch OLG

265

Hamm N J W 1975 2251, 2252; O L G Stuttgart VRS 62 461, 464, OLG Magdeburg vom 25. August 1997 - 2 Ss 428/96; Hentschel Trunkenheit Rdn. 187. Horn SK Rdn. 26; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 19; Tröndle!Fischer Rdn. 7d, 8f; Jaguschi Hentschel Rdn. 15; MühlhauslJaniszewski Rdn. 19, 19 a; Hentschel Trunkenheit Rdn. 226.

Stand: 1.7.2000

(314)

Trunkenheit im Verkehr

§316

innewohnen.266 Daß an die zusätzlichen Beweisanzeichen strenge Anforderungen zu stellen sind, folgt dabei aus der besonderen Beweissituation: Mit der zuverlässig erwiesenen Alkoholkonzentration fallt das wichtigste Indiz im wesentlichen aus. Das Defizit bei der Alkoholkonzentration muß durch das (nur) zweitwichtigste Indiz Leistungsverhalten (Ausfallerscheinung; Rdn. 97 ff) ausgeglichen werden. Dementsprechend muß diesem Indiz, ggf. ergänzt durch weitere Beweisanzeichen, außerordentliches Gewicht beizumessen sein. Selbstverständlich muß zunächst zur Überzeugung des Richters feststehen, daß der Fahrzeugführer überhaupt Alkohol zu sich genommen hat (OLG Düsseldorf VRS 78 281, 282).267 Belegtatsachen hierfür sowie für die Ausfallerscheinung(en) ergeben sich zumeist aus zuverlässigen Zeugenaussagen (vgl. u.a. OLG Düsseldorf VRS 82 125 f; OLG Koblenz VRS 50 288, 290; VRS 54 282, 293 f). U. U. muß (ergänzend) auf die Einlassung des Beschuldigten zurückgegriffen werden (s. auch Rdn. 120). Die Indizien müssen durch tatsächliche Feststellungen zum Fahrgeschehen sowie zur Disposition des Beschuldigten (Haltung, Gang, Sprache, Benehmen, Aussehen usw.) belegt und möglichst „unverwechselbar" sein (ζ. B. Lallen, Torkeln, starke Alkoholfahne; näher Rdn. 122). Auf die subjektive Einschätzung des Trunkenheitsgrads des Fahrzeugführers durch Zeugen (im einzelnen Rdn. 121 ff)268 darf die Annahme der Fahrunsicherheit hingegen nicht maßgebend gestützt werden (OLG Düsseldorf BA 19 [1982] 378, 379; Rdn. 1 19).269 Anhaltspunkte für Tatsache und ungefähres Ausmaß der Alkoholisierung können sich ferner ergeben aus einer Blutalkoholanalyse, von der nur ein Einzelwert zur Verfügung steht oder deren Ergebnisse unzulässig breit „streuen", aus einer Atemmessung mittels „Prüfröhrchen" (Rdn. 46), unter Einsatz eines Vortest- (Rdn. 47) oder Infrarotgeräts (Rdn. 49; vorstehende Rdn.), wobei hinsichtlich der Aussagekraft naturgemäß Differenzierungen geboten sind (ζ. B. Prüfröhrchen versus Infrarotgerät). Eine besondere Konstellation betrifft BayObLG vom 10. Januar 1991.270 Der dortige Angeklagte hatte während eines Aufenthalts in einer Gaststätte von etwas weniger als sieben Stunden vier Liter Bier getrunken. Im Hinblick auf die lange Trinkzeit und die unter Zugrundelegung von Maximalwerten durchzuführende „Hinrechnung" (Rdn. 37 ff) hatte sich eine unrealistisch niedrige (nämlich keine) Alkoholkonzentration zur Tatzeit ergeben. Das BayObLG sieht die indizielle Bedeutung der anhand Trinkmengenberechnung ermittelten BÄK auf der Grundlage von BGHSt. 35 308 und 36 286 (hierzu Rdn. 36) mit Recht als entkräftet an und stellt wesentlich auf das Leistungsverhalten ab. 2

« Grundlegend OLG Koblenz VRS 45 118, 119 f; s. auch BayObLG vom 10. Januar 1991 - 2 St 279/90; OLG Düsseldorf BA 17 (1980) 231, 232; BA 19 (1982) 378, 379 m. abl. Anm. Middendorf/ ebd. S. 379; VRS 78 281, 282; 82 125 f; OLG Hamm VRS 59 40, 41; OLG Koblenz VRS 50 288, 290; 54 282, 283; 67 256; OLG Köln VRS 61 365; DAR 1989 352, 353; OLG Magdeburg vom 25. August 1997 - 2 Ss 428/96; s. auch OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000 12, 13.

267

Im zugrunde liegenden Fall hatte der Angeklagte Alkoholgenuß bestritten. Obgleich offenbar ein „ordnungsgemäßer" Atemtest mit einem nicht näher beschriebenen Testgerät durchgeführt worden war (BÄK von l,4%o; VRS 78 281)

(315)

268

269

210

und weitere Beweisanzeichen vorgelegen hatten, sieht OLG Düsseldorf „keinerlei Belegtatsachen" für Alkoholkonsum (aaO S. 282). Allerdings hatten die Tatgerichte die Indizien wohl unzureichend festgestellt und gewürdigt, so daß nicht sicher beurteilt werden kann, ob der Strafsenat dem Atemtest keinerlei Indizwirkung zuerkennt, was schwerlich überzeugen könnte. Ζ. B. der Eindruck, der Fahrzeugführer habe „erheblich unter Alkoholeinfluß gestanden" oder „sei wie ein Betrunkener gefahren" (vgl. OLG Düsseldorf BA 19 [1982] 378 f). Emotionale und wenig substanzielle Kritik bei Middendorf/BA 19 (1982) 379. 2 St 279/90 [insoweit in StVE Nr. 94 zu § 316 nicht abgedruckt].

Peter König

§316 97

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

bb) Ausfallerscheinung (Leistungsverhalten). Dem Leistungsverhalten des Fahrzeugführers kommt im Rahmen der Prüfung „relativer Fahrunsicherheit" neben dem Grad der Alkoholisierung die ausschlaggebende Bedeutung zu (Rdn. 90). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist „eine - wenn auch geringe - Ausfallerscheinung ... für die richterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich unverzichtbar" (BGHSt. 31 42, 45).271 Spätestens seit BGHSt. 44 219 wird man das „grundsätzlich" im Sinne eines „stets" zu interpretieren haben. Dort ist der „sozusagen absoluten Fahrunsicherheit" eine Absage erteilt worden (BGH aaO S. 221, 223, 225 ff; Rdn. 153). Auf eine „sozusagen absolute Fahrunsicherheit" liefe es aber hinaus, wenn man allein den Grad der Alkoholisierung in Verbindung mit erschwerenden inneren (Krankheit, Übermüdung etc.) und/oder äußeren (Witterungsverhältnisse, Dunkelheit usw.) Umständen genügen ließe, ohne daß sich der Defektzustand wenigstens schwach im Leistungsverhalten gezeigt hat. 272 Der Standpunkt der Rechtsprechung erscheint dementsprechend in der Breite der Fälle plausibel. Allerdings sind gravierende Ungereimtheiten namentlich für Konstellationen nicht zu verkennen, in denen der Fahrzeugführer eine BÄK von knapp unter dem absoluten Grenzwert aufweist und in denen er zusätzlich unter dem Einfluß von anderen Rauschmitteln steht (näher Rdn. 137). Die Ausfallerscheinung muß nicht notwendig beim Fahren aufgetreten sein bzw. oder gar die Fahrweise selbst (Rdn. 98 ff) betreffen. Die Beeinträchtigungen des psycho-physischen Leistungsvermögens können sich vielmehr auch im Verhalten vor oder nach der Tat dokumentiert haben (BGHSt. 31 42,45 f) 273 sowie in Auffälligkeiten während der Fahrt (im einzelnen Rdn. 114 ff). Dabei sind die Anforderungen an die Signifikanz der Ausfallerscheinung(en) um so geringer, je näher die Alkoholkonzentration dem „absoluten" Grenzwert kommt, bzw. - in Ermangelung eines „absoluten" Grenzwerts - je stärker sie ist, und je ungünstiger die objektiven und subjektiven Bedingungen der Fahrt sind (vgl. BGH aaO). Dieses Prinzip gilt auch in seiner Umkehrung: Je schwächer ausgeprägt die Alkoholisierung ist und je günstiger die Umstände der Fahrt sind, um so aussagekräftiger muß das Leistungsverhalten sein.

98

(1) Beweisanzeichen Fahrverhalten. Aussagekräftige Indizien für das Vorliegen von Fahrunsicherheit können vornehmlich im Fahrverhalten gefunden werden. Das Beweisanzeichen auffalliges/regelwidriges Fahrverhalten ist allerdings zugleich das mit am schwierigsten zu beurteilende. § 316 verlangt den Nachweis alkoholbedingter Fahrunsicherheit. Aufgabe des Richters ist es, sich in freier Beweiswürdigung eine Überzeugung zu bilden, ob das spezifische Fahrverhalten (mit) auf die Alkoholwirkung zurückzuführen und als alkoholbedingte Ausfallerscheinung gemeinsam mit dem Grad der Alkoholisierung und etwaigen sonstigen Indizien hinreichende Gewißheit für die Aufhebung der im Verkehr zu fordernden Leistungsfähigkeit vermittelt. Der Richter ist dabei mit der Erkenntnis konfrontiert, daß nahezu alle denkbaren Fehlleistungen zumindest gelegentlich auch nüchternen Fahrzeugführern unterlaufen. 271

BGHSt. 44 219, 225 f [implizit]; BayObLG JR 1990 436; OLG Koblenz VRS 63 359, 361; 78 448; O L G Zweibrücken VRS 66 204; 80 347. Zust. Lackneri Kühl § 315 c Rdn. 7; Mühlhaus/ Janiszewski Rdn. 26 d; Hentschel Trunkenheit Rdn. 190. Vgl. aus der älteren Rechtsprechung auch BGH VRS 31 107, 108; BayObLG N J W 1968 1200; OLG Düsseldorf VRS 14 204; VerkMitt. 1976 Nr. 18 S. 13; O L G Saarbrücken DAR 1963 336 [Nachtfahrt],

272

273

Zur Kombination von Alkohol und Medikamenteneinfluß nach BayObLG BA 17 (1980) 220 s. Rdn. 137. Bekräftigt für den Konsum illegaler Drogen in BGHSt. 44 219, 226; verfehlt deshalb O L G Frankfurt N J W 1992 1571, 1572 sowie OLG Düsseldorf BA 36 (1999) 140, 142. Hierzu Rdn. 154.

Stand: 1. 7. 2000

(316)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Zwar existiert eine Palette von Leistungsausfällen, denen nach den Ergebnissen der Alkoholforschung starke Aussagekraft in Richtung auf fahrsicherheitsrelevante Defekte zukommt (Rdn. 102). Es kann aber kein Erfahrungssatz des Inhalts aufgestellt werden, daß eine bestimmte Fahrweise stets Ausdruck alkoholbedingter Fahrunsicherheit ist.274 „Die alkoholtypische Fahrweise" als von außen her bestimmbares, scharf konturiertes und keine andere Erklärung als die Alkoholwirkung zulassendes Phänomen275 gibt es nicht. Aus dem gleichen Grund ist es problematisch, wenn gelegentlich formuliert wird,276 es müsse feststehen, daß der konkrete Fehler nach seiner Art einem Nüchternen nicht unterlaufen wäre. Dieser Nachweis könnte nicht zuverlässig erbracht werden (Mayer BA 3 [1965/1966] 277, 280). Darüber hinaus kann es für die Bestrafung dieses Fahrers nach allgemeinen Regeln nicht entscheidend darauf ankommen, wie sich irgendein (nüchterner) Fahrer in der konkreten Situation verhalten hätte, sondern es ist maßgebend, ob die Fahrsicherheit dieses Fahrzeugführers aufgrund der Alkoholisierung aufgehoben war (hierzu auch § 315 c Rdn. 172). (a) Bezugspunkt: dieser Fahrer. Dementsprechend herrscht heute soweit ersichtlich 9 9 Konsens, daß Bezugspunkt der Würdigung dieser Fahrer ist. Davon ausgehend stellt die wohl herrschende Rechtsprechung die Frage, ob sich der betreffende Fahrzeugführer ohne den Alkoholkonsum anders verhalten hätte, als er es tatsächlich getan hat.277 In Fortführung dieses Gedankens ist dem Tatrichter gelegentlich aufgegeben worden, sich „von dem gewöhnlichen Fahrverhalten des Angeklagten im nüchternen Zustand einen bestimmten Eindruck zu verschaffen" (BGH bei Martin DAR 1968 123). Hierdurch gerät man jedoch in ein kaum auflösbares Dilemma. Zunächst ist nicht ersichtlich, wie der Richter zur Feststellung der Fahrweise im nüchternen Zustand imstande sein sollte (vgl. Martin DAR 1968 123 Fn. 11). So erbringt ein Fahrversuch keine hinreichende Sicherheit, weil die jeweilige Situation nicht originalgetreu wiederholt werden kann;278 auch müßte der Angeklagte ζ. B. die Kurve nur wieder genauso verwegen durchfahren wie zur Tatzeit, um sich in eine vorteilhafte prozessuale Lage zu bringen. Es verbleiben die Einlassung des Angeklagten und Zeugenaussagen. Abgesehen davon, daß es nicht sonderlich überzeugend wirkt, den Verfahrensausgang entscheidend von der unvorsichtigen Einlassung des Angeklagten abhängig zu machen, er fahre nüchtern besonnener (in diesem Sinne OLG Köln VRS 37 200),279 hilft aber auch dies nicht weiter. Selbst wenn man nämlich weiß, daß der Betroffene normalerweise vorsichtig und vorschriftsgemäß fahrt, läßt sich hieraus kein sicherer Schluß auf dessen Verhalten als Nüchterner zur Tatzeit ableiten. Auch der Gewissenhafte handelt nämlich zuweilen unvorsichtig, reagiert falsch, fährt, etwa aus Zeitnot, zu schnell usw. 274

275 276

277

278

Zum Fall des an einer Steigung Schlangenlinien fahrenden älteren Radfahrers Hentschel Trunkenheit Rdn. 196 und unten Rdn. 105 a. E. „So kann nur ein Betrunkener fahren." U.a. OLG Karlsruhe DAR 1958 252; OLG Saarbrücken VRS 22 69, 71; KG NJW 1962 1783. Hiergegen auch OLG Düsseldorf VerkMitt. 1972 Nr. 81 S. 63; OLG Düsseldorf VerkMitt. 1977 Nr. 37 S. 28, 29. U.a. BGH bei Martin DAR 1968 123; DAR 1969 105; VRS 36 174; BayObLGSt. 1988 38, 39; OLG Düsseldorf VerkMitt. 1972 Nr. 81 S. 63; OLG Köln VRS 89 446, 448; 90 119, 120. S. auch § 315 c Rdn. 175 ff. Insbesondere müßten - unter „Abzug" des Alkoholkonsums - der Tagesablauf, die Disposi-

(317)

279

tion des Täters, die Witterungs- und Straßenverhältnisse, der Verkehrsfluß identisch sein. Hierzu auch Mayer BA 3 (1965/1966) 277, 280; Peters M D R 1991 487, 488; Schnette BA 20 (1983) 177, 184 f. „Wie der BGH ... es verlangt, hat sich die Strafkammer von dem gewöhnlichen Fahrverhalten des Angeklagten im nüchternen Zustand einen bestimmten Eindruck verschafft. Es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie der Angabe des Angeklagten geglaubt hat, daß er sonst diese Kurven nachts langsamer durchfahren hat." Nach einer neueren Entscheidung des BGH kommt einer solchen Einlassung kein hinreichender Beweiswert zu, s. Rdn. 120.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Zugleich wird Raum für eine Fülle von Ersatzbedingungen geschaffen. Dem (gut verteidigten) Verkehrsrowdy müßte zunächst zugestanden werden, stets so zu fahren, dem jungen Menschen die jugendliche Unbekümmertheit, dem Eiligen die Zeitnot, dem ertappten Straftäter das Fluchtmotiv usw. Im Hinblick darauf, daß als Belegtatsachen im konkreten Fall oftmals nur der Grad der Alkoholisierung und die Fehlleistung zur Verfügung stehen, fallt es dann naturgemäß nicht leicht, diese anderen Umstände als alleinige Quelle der Fehlleistung jeweils auszuschließen.280 Die tat- und obergerichtliche Rechtsprechung muß sich vor diesem Hintergrund auf andere Weise behelfen (hierzu Rdn. 101). 100

(b) Aussagekraft des Alkoholspiegels. Der vorstehend angesprochene Lösungsansatz berücksichtigt indessen nicht hinreichend, daß der Fahrzeugführer einen mehr oder weniger ausgeprägten Alkoholspiegel im Blut aufweist, bei dem nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung bestimmte Leistungsbeeinträchtigungen zu erwarten sind, und zwar gleich, ob der Fahrer Verkehrsrowdy oder ob er jung ist, ob er es eilig hat oder ob er von der Polizei verfolgt wird. Mit dem Grad der Alkoholisierung allein kann der volle Schuldnachweis zwar nicht erbracht werden. Der Alkoholisierungsgrad ist aber unumstritten das stärkste Indiz für das Vorliegen von Fahrunsicherheit. Er ist deswegen Ausgangspunkt der Prüfung und in jedem Stadium der Würdigung mit zu berücksichtigen. Keinesfalls darf er „in der Rolle des die Prüfung der Frage der Fahruntüchtigkeit bloß anstoßenden Umstands" zurückgelassen werden (Mayer BA 3 [1965/1966] 277, 280). Dies im Blick läßt sich die Aufgabe des Richters - im Grundsatz einem Vorschlag von ForsterlJoachim (Blutalkohol und Straftat S. 169)281 entsprechend - in der Weise bewältigen, daß zunächst geprüft wird, ob sich die konkrete(n) Fehlleistung(en) nach den Ergebnissen der Alkoholforschung (Rdn. 16) „zwanglos" durch die Alkoholwirkung erklären läßt (lassen), um sodann zu fragen, ob konkrete Anhaltspunkte eine andere Erklärung nahelegen. Fehlen nach Lage des Falles Ansätze für eine solche andere Erklärung, so sind die verbleibenden Zweifel bloß theoretischer Natur und stehen als solche der Verurteilung nicht entgegen. Mathematische, jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewißheit verlangt der Indizienbeweis nicht (stRspr. u.a. BGH VRS 24 207, 210; VRS 49 429, 430). Der Richter kann sich zur Frage der alkoholbedingten Ausfallerscheinung der Hilfe eines medizinischen Sachverständigen bedienen (OLG Koblenz VRS 71 195).282 Klar ist, daß auch der skizzierte Weg keine Patentlösung bietet. Dies versteht sich bereits deswegen von selbst, weil die meisten Fehlleistungen auf die vielfaltigen Wirkungen des Alkohols zurückgeführt werden können. Zudem muß die Ausfallerscheinung nicht nur Ausdruck der Einwirkung des Alkohols sein, sondern auch Zeugnis für die Aufhebung der Fahrsicherheit liefern. Jedoch ist es nach der Art der in Frage stehenden Beweisführung vorgegeben, daß stärkere und schwächere Indizien vorhanden sind. Der Richter hat sie im Rahmen der Gesamtwürdigung zu wägen und freizusprechen, falls er begründete Zweifel nicht zu überwinden vermag. Kennt man 280

281 282

Beispiele in O L G Hamm JMB1NW 1966 259, 260 [Verkehrsrowdy]; O L G Köln VRS 37 35, 37 [junger Fahrer]; O L G Koblenz VRS 78 448, 450 f [aufzuholende Verspätung]; zu Fluchtfahrten Rdn. 110. Präzisierend Peters M D R 1991 487, 489. S. dazu, daß die Gerichtsmedizin die mit der „relativen Fahrunsicherheit" verbundenen Fra-

gen als Domäne des medizinischen Sachverständigen betrachtet, u. a. Forster/Joachim Blutalkohol und Straftat S. 168 ff; Krauland BA 8 (1971) 229. Für die regelmäßige Hinzuziehung eines Sachverständigen auch Rüth LK 1 0 Rdn. 36; v. Below BA 6 (1969) 378, 382.

Stand: 1. 7. 2000

(318)

Trunkenheit im Verkehr

§316

allerdings bei „entsprechenden relevanten Werten mit Sicherheit schwere Störungen, so besteht so lange kein Grund, andere Ursachen für Fahrweisen, die gerade auf solchen Störungen beruhen, anzunehmen, als dies nicht dargetan und nahegelegt ist" (ForsterlJoachim Blutalkohol und Straftat S. 169). Beispielsweise ist in den berufenen Fachkreisen allgemein anerkannt, daß der Alkohol das Sehvermögen gravierend beeinträchtigt (Rdn. 16aa)). Bei entsprechendem Alkoholisierungsgrad ist es deshalb ein ausreichendes Indiz für alkoholbedingte Fahrunsicherheit, wenn sich der Fahrzeugführer bei Nacht hinsichtlich der Entfernung eines anderen Fahrzeugs verschätzt und dieses deswegen nicht mehr weiter beobachtet. Die Überlegung, daß dem Angeklagten „ein so grober Fahrfehler" „auch ohne Alkoholeinfluß einmal" hätte unterlaufen können (vgl. BGH VRS 36 174, 175), begründet dann keinen vernünftigen Zweifel an der Alkoholbedingtheit der Fehlleistung (vgl. aber BGH aaO). 283 Vielfach nachgewiesen ist auch, daß der Alkohol Selbstüberschätzung und erhöhte Risikobereitschaft bewirkt, obwohl das Leistungsvermögen mit zunehmender Alkoholisierung stetig abnimmt (Rdn. 16aa)). Eine Ausfallerscheinung kann deshalb schon darin gesehen werden, daß der alkoholisierte Fahrzeugführer die Geschwindigkeit nicht seinem beeinträchtigten Zustand anpaßt und die höchstzulässige Geschwindigkeit ausschöpft oder gar überschreitet (Peters M D R 1991 487, 490). Wenn zusätzlich noch ein krasser Fahrfehler unterläuft, geben Umstände wie Zeitnot, Jugendlichkeit oder die auch sonst gegebene Rücksichtslosigkeit des Angeklagten keinen Anlaß zu vernünftigen Zweifeln an der (Mit-)Ursächlichkeit der Alkoholwirkung und der hierdurch aufgehobenen Fahrsicherheit dieses Fahrer bei dieser Fahrweise (im einzelnen Rdn. 106 ff). Entsprechendes gilt für den von der Polizei verfolgten Fahrer (Rdn. llOff). (c) Typizität der Fehlleistung. Wesentliche Bedeutung im Rahmen des zu führen- 1 0 1 den Indizienbeweises kommt der Typizität der jeweiligen Fehlleistung zu. In der Rechtsprechung wird dies mit der Formel zum Ausdruck gebracht, es könne um so eher angenommen werden, daß der Fehler dem jeweiligen Angeklagten in nüchternem Zustand nicht unterlaufen wäre, je seltener der in Frage stehende Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkomme (ζ. B. OLG Köln VRS 89 446,448), wohingegen umgekehrt nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, wenn die Fehlleistung erfahrungsgemäß auch zahlreichen nicht alkoholisierten Fahrern unterlaufe (u. a. BGH NZV 1995 80). Das erscheint vom Ansatz der Rechtsprechung her gesehen (Rdn. 99) nicht ganz schlüssig. Denn die statistische Verteilung des jeweiligen Fahrfehlers auf Alkoholisierte und nicht Alkoholisierte vermag an sich keinen Aufschluß darüber zu geben, wie gerade der Angeklagte in nüchternem Zustand gefahren wäre.284 Davon bleibt unberührt, daß Erfahrungswerte zu beachten sind, dies allerdings bei der Frage, ob die konkrete Fehlleistung mehr oder weniger „zwanglos" auf die Alkoholwirkung zurückgeführt werden kann (Rdn. 100). Es existieren eben Fehlleistungen mit höherer und solche mit minderer Aussagekraft. (aa) Fehlleistungen mit hoher Aussagekraft. Beispiele für Fehlleistungen mit hoher Aussagekraft in Richtung auf alkoholbedingte Fahrunsicherheit sind u. a. das 283

284

Der BGH hat nicht mit dieser Begründung aufgehoben, sondern lediglich die Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht beanstandet. Kritisch auch v. Below BA 6 (1969) 378, 383 f. Anders Hentschel Trunkenheit Rdn. 196: „Insoweit erlangt also die Frage, wie sich wohl die Mehrzahl der nüchternen Kraftfahrer in der

(319)

gleichen Situation verhalten haben würde, durchaus eine nicht unerhebliche mittelbare Bedeutung auch für die Überzeugungsbildung des Richters darüber, wie sich gerade der Angeklagte ohne Alkoholeinfluß verhalten hätte". Ähnlich OLG Köln VRS 90 119, 120.

Peter König

102

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(zumeist erst bei gravierender Alkoholisierung auftretende) Fahren in Schlangenlinien, das von der Verkehrslage nicht veranlaßte Abkommen von der (geraden) Fahrbahn, das Geradeausfahren in einer Kurve,285 die Fehleinschätzung von Entfernungen insbesondere in der Nacht, stark verzögerte oder unverständlich falsche Reaktionen bei plötzlich eintretenden Verkehrssituationen, waghalsige bzw. generell unsichere Fahrweise (ruckartige Lenkbewegungen und leichtere Abweichungen von der geraden Fahrlinie) 286 oder die „Blendhilflosigkeit".287 Derartige Phänomene lassen sich ohne weiteres mit alkoholbedingten Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens erklären. Es bedarf dann gewichtiger Anhaltspunkte, um zu dem Ergebnis zu gelangen, das Fahrverhalten sei nicht alkoholbedingt gewesen.288 Dies gilt erst recht, wenn die Variable „Grad der Alkoholisierung" stark ausgeprägt ist. 103

(bb) „Jedermannsfehler". Je mehr die Auffälligkeit andererseits nach außen hin als „Jedermannsfehler" erscheint (und je geringer die Alkoholisierung ist), desto höher sind die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung. „Jedermannsfehler" in diesem Sinn sind u.a. (geringfügige) Geschwindigkeitsverstöße (näher Rdn. 106 ff), zu nahes Vorbeifahren an der Straßenbegrenzung oder an einem zu überholenden Fahrzeug, leichte Fehler beim Abbiegen, Fehler beim Ein- und Ausparken etc. Sie dürfen allerdings nicht von vornherein ausgeschieden werden. Denn nicht das einzelne Indiz muß einen zwingenden Schluß auf das Beweisergebnis zulassen. Entscheidend ist vielmehr die Würdigung sämtlicher Beweisanzeichen, und in diesem Rahmen kann auch der „Jedermannsfehler" im konkreten Fall nicht anders als durch die Alkoholwirkung erklärbar sein, mithin zu einem Mosaikstein des Gesamturteils werden.289 Ein Anwendungsfall ist die Häufung jeweils für sich genommen „schwacher" Ausfallerscheinungen (ζ. B. überhöhte Geschwindigkeit, beim Abbiegen Blinker nicht gesetzt, Überfahren des Bordsteins) 290 oder auch das Zusammentreffen mit Ausfallerscheinungen im Vor- oder Nachtatverhalten (Rdn. 114 ff).

104

(cc) Weitere Parameter. In der Rechtsprechung scheinen immer wieder weitere Parameter auf, die im Einzelfall relevant werden können. Einer davon ist die Verkehrssituation. Je leichter sie zu bewältigen war und je unverständlicher der Fehler im Hinblick darauf erscheinen muß, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, es habe sich um die „typische Fehlreaktion eines Betrunkenen" (BGH VRS 27 192, 193) gehandelt (Möhl DAR 1971 4, 6). In diesem Zusammenhang ist u. U. beachtlich, wie gut der Fahrzeugführer mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist (BGH aaO; Möhl aaO). Zu Lasten des Fahrers kann es sich des weiteren auswirken, wenn er über eine

285

Zur Signifikanz von Kurvenunfallen u . a . Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 20; HaffnerlErathlKardatzki NZV 1995 301, 303; Legat BA 22 (1985) 272, 277; Metter BA 13 (1976) 241, 244; Utzelmann BA 11 (1974) 217, 227 f. 286 Penning Alkohol, Drogen und Verkehrssicherheit S. 20. 287 Hierzu B G H VRS 24 369 und § 315 c Rdn. 179. Das Phänomen geht auf die durch den Alkohol ausgelöste Pupillenweitstellung („Mydriasis") zurück. 288 Z.B. bei Fehlverhalten des Beifahrers (Forsterl Joachim Blutalkohol und Straftat S. 169), etwa einem „halluzinatorischen" Eingriff in die Steuerung (OLG Karlsruhe VRS 50 280, 283 f),

289

290

beim „Schlangenlinienfahren" eines eine Steigung hinauffahrenden betagten Radfahrers (BayObLG bei Bär DAR 1989 366) oder bei Straßenglätte (vgl. BayObLG JR 1990 436 f; andererseits KG VRS 48 204, 205), bei „Abwehr" einer Wespe. Insoweit sowie etwa beim Bücken nach einem heruntergefallenen Gegenstand handelt es sich nicht selten um Schutzbehauptungen. Letzteres ist auch schon als Ausfallerscheinung gewertet worden. S. dazu, daß die Revisionsgerichte (aber auch die Tatgerichte) nicht immer nach dieser Erkenntnis verfahren, Mayer BA 3 (1965/1966) 277, 279 ff; vgl. auch Strate BA 20 (1983) 188, 190 ff. Beispiele nach Peters M D R 1991 487,491.

Stand: 1. 7. 2000

(320)

Trunkenheit im Verkehr

§316

langjährige Fahrpraxis verfügt. Denn dann drängt sich u m so mehr die Annahme auf, daß der Betreffende die Situation in fahrsicherem Zustand gemeistert hätte. 291 (d) Kasuistik. Nicht außer acht gelassen werden darf, daß der Ausgang des vorzunehmenden Indizienbeweises mit den Umständen des konkreten Einzelfalls verwoben ist. Selbst wenn vordergründig dasselbe oder ein sehr ähnliches Fahrverhalten in Frage steht, darf dies nicht in dem Sinn verallgemeinert werden, daß jenes Beweisanzeichen „nach der Rechtsprechung" für die Annahme der Fahrunsicherheit ausreicht oder eben nicht. Genausowenig liefert es einen zwingenden Beweis für eine divergierende Beurteilung oder die „Unberechenbarkeit" „der Rechtsprechung", wenn dieselbe Auffälligkeit im einen Fall zu dem einen, im anderen Fall aber zum gegenteiligen Ergebnis führt. Denn erst die Gesamtwürdigung sämtlicher Details gibt den Ausschlag. Die Details aber sind bekanntlich kaum je völlig identisch und kommen in den veröffentlichten (zumeist obergerichtlichen) Entscheidungen zudem oft nur unvollkommen zum Ausdruck. Die nachfolgend aufgeführten Beispiele aus der Judikatur vermögen daher nur Anhaltspunkte für die generell maßgebenden Aspekte zu geben. Für die Beurteilung des konkreten Einzelfalls dürfen sie nur mit aller Vorsicht herangezogen werden. Ergänzend ist auf die Übersicht zum Zusammenhang zwischen alkoholbedingter Fahrunsicherheit und konkreter Gefahr (§ 315 c Rdn. 178 ff) zu verweisen, wo die hier relevante Frage jeweils implizit mitbehandelt wird. Hinsichtlich der angegebenen BAK-Werte ist der Rechtsprechungswandel bezüglich des Grenzwerts absoluter Fahrunsicherheit zu beachten (Rdn. 61 ff). Alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist z.B. angenommen worden bei einer ZickZack-Fahrt und längerem Verbleiben auf der linken Fahrbahn ohne jede äußere Veranlassung (BGH VRS 5 550, 551 [BÄK 1,07%»]), bei einem Kraftradfahrer, der während schneller Fahrt den Kopf gesenkt hatte und ohne ersichtlichen Grund auf den Seitenstreifen geraten war (BGH VRS 19 296, 298 [BÄK 1,22 %o, mindestens aber 0,77 bzw. 0,82 %o]), beim Abkommen von der Fahrbahn unter Hinzutreten schwieriger Bedingungen 292 (BGH VRS 22 121, 123 [BÄK mindestens 0,68%o]),293 beim Abkommen von einer überfrorenen und deswegen „außerordentlich glatt(en) Straße" wegen überhöhter Geschwindigkeit oder Fehlbedienung des Lenkrads (KG VRS 48 204, 205 [BÄK 0,64 %o]), bei überhöhter Geschwindigkeit in einer Kurve mit überladenem Kraftwagen (BGH VRS 21 54, 56 [BÄK rund 0,76 %o]),294 bei überhöhter Geschwindigkeit in Verbindung mit Drehnachnystagmus von 14 Sekunden (AG Tecklenburg N Z V 1989 83 [BÄK 1,25 %«]; näher Rdn. 126 und dort Fn. 357), beim Schneiden einer scharfen, schlecht beleuchteten und unübersichtlichen Kurve sowie Ausfallerscheinungen „auf optischem Gebiet" 2 9 5 (BGH VRS 32 40, 43 [BÄK 1,3%o]), beim zweimaligen 29

> S. etwa B G H VRS 17 21, 23; 19 29, 30; 24 369, 372, 374; 69 368, 370; KG VRS 48 204, 205; s. aber auch B G H VRS 36 174, 175. 292 Reger Fahrzeugverkehr, Nieselregen, Dämmerung, sehr schlechte Sicht, Müdigkeit. Außerdem Eindruck von Zeugen, der Angeklagte sei „angeheitert" gewesen. 293 Zu BGH VRS 47 19 und VRS 49 429 s. § 315c Rdn. 179. Vgl. auch BGHSt. 13 83, 90 f (Ermüdung nach langem Arbeitstag; Besuch mehrerer Wirtschaften und Entschluß, danach noch ein Festzelt aufzusuchen; Nachtfahrt [BÄK 1,12%»]); OLG Hamm VRS 59 40, 41 f (Geraten auf den Bürgersteig; keine zuverlässig festgestellte BÄK). (321)

294

Außerdem Entschluß zur Fortsetzung eines „Umtrunks" nach dem Besuch zweier Gastwirtschaften als Indiz für alkoholbedingte Enthemmung. Zum Fall eines 18-jährigen in Verbindung mit weiteren Umständen (leicht zu befahrende Kurve, keine Erfahrung mit dem betreffenden Fahrzeug, klinischer Befund) OLG Köln VRS 37 35, 37 [BÄK 1,1 %„]; s. auch O L G Köln VRS 37 200 (schnelles, mit Quietschen der Reifen verbundenes Durchfahren einer Kurve) und OLG Zweibrücken VRS 48 104, 105 (schlechte Witterungs- und Straßenverhältnisse).

295

Der Angeklagte hatte zwei Fußgänger, die hintereinander gingen, nebeneinander gehen gesehen. Weiteres Indiz: Ermüdung.

Peter König

105

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Geraten auf die linke Fahrbahn ohne jeden äußeren Anlaß (BGH VRS 27 192, 193 [BÄK mindestens l,3%o]);296 beim Fahren in Schlangenlinien über eine Strecke von 300 bis 400 Metern hinweg (OLG Hamm BA 3 [1965/1966] 393, 394 [BÄK 1,21 %o]),297 auch wenn dies bewußt aus Übermut und in „lustiger Festeßstimmung" geschieht (OLG Hamm VRS 11 307, 308 [BÄK l,49%o]), beim Auffahren auf einen parkenden Wagen, den der Täter aus größerer Entfernung für ein sich bewegendes, vorausfahrendes gehalten, und daher nicht mehr genügend die von ihm befahrene Fahrbahn beobachtet hatte298 (OLG Saarbrücken DAR 1963 336 [BÄK 1,03%«]), bei bewußt verkehrswidrigem Überqueren der ununterbrochenen Linie (OLG Düsseldorf VerkMitt. 1977 Nr. 37 S. 28 [BÄK l,22%o]), bei einer Vorfahrtsverletzung in Verbindung mit weiteren Beweisanzeichen299 (OLG Magdeburg vom 25. August 1997 - 2 Ss 428/96; l,66%o/l,68%o [Atemtest]), bei Mißachtung des Rotlichts (OLG Düsseldorf VRS 81 450 [BÄK 0,98 %o]), beim Übersehen von mehreren deutlichen Verkehrsschildern, Durchfahren eines Maschendrahtzauns und Überfahren einer weiteren Zaunabsperrung ohne erkennbare Reaktion (OLG Koblenz VRS 50 355, 357 f [BÄK mindestens 0,9%o]), bei „blindem" Verhalten aus grob unvernünftiger Motivation300 nach unrichtiger Einordnung (OLG Köln VRS 42 364, 365 [BÄK l,24%o]), beim Fahren gegen eine Hauswand im Rückwärtsgang trotz hinreichenden Raums, anschließendem Fahren in eine Sackgasse und Fahren in ein Blumenbeet in Verbindung mit wirrem Gerede und aggressivem Verhalten (OLG Koblenz VRS 54 282, 283 f [keine bestimmte BÄK festgestellt]), bei einem Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug ohne Grund vor einer Grünlicht zeigenden Verkehrsampel angehalten hatte und erst bei der nächsten Grünphase weitergefahren war (OLG Oldenburg BA 20 [1983] 364, 365 f [BÄK 0,85 %·>]). Alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist z.B. verneint bzw. in Zweifel gezogen worden bei einer Verletzung des Vorfahrtrechts (BGH VRS 34 211, 212 [keine zuverlässig festgestellte BÄK]),301 bei einem Kraftfahrer, der sich nachts hinsichtlich der Entfernung eines auf einer zu überquerenden Straße nähernden Fahrzeugs verschätzt hatte (BGH VRS 36 174, 175),302 bei zu schnellem Durchfahren einer Kurve durch einen jungen Menschen, weil das leichtsinnige Fahrverhalten jugendlicher Selbstüberschätzung entspringen könne (BGH bei Martin DAR 1968 123; [BÄK 0,75 %o]),303 bei einem Unfall nach unwiderlegbarem Ausweichmanöver vor einem Reh (OLG Köln VRS 89 446, 449 [BÄK 0,92 %o]), bei leichtem Fahrfehler in schwieriger Verkehrssituation (OLG 296

297

Zu einem Fall „törichten" Fahrverhaltens OLG Köln BA 11 (1974) 131. Der ortsunkundige Angeklagte hatte sich von einem gleichfalls betrunkenen Kollegen durch Vorausfahren leiten lassen; als dieser alkoholbedingt auf die Gegenfahrbahn abkam und sein Fahrzeug erst kurz vor einem dort am Straßenrand abgestellten Polizeiwagen zum Stehen bringen konnte, folgte er dem Kollegen auch darin blindlings [BÄK mindestens l,2%o], Der Angeklagte hatte als Ursache für die auffallige Fahrweise eine angeregte Unterhaltung mit seinem Beifahrer angegeben. O L G Hamm hält es für ausgeschlossen, daß dies bei einem fahrsicheren Fahrer zu derartigen Fahrfehlern führt, und weist darauf hin, daß auch die angeregte Unterhaltung Indiz für die Alkoholwirkung sein könne (Unbekümmertheit, Redseligkeit etc.). Zust. Anm. von Hein BA 3 (1965/1966) 394; kritisch hinsichtlich des Eingriffs in die tatrichterliche Beweiswürdigung Strate BA 20 (1983) 188,

298

299

300

301

302 303

192 f. S. auch O L G Hamburg BA 11 (1974) 433, 434 [BÄK 0,94 %«]. Statt dessen Fixieren einer Passantengruppe am Fahrbahnrand, um darin Begleiter für einen weiteren Gaststättenbesuch zu finden, was auch für sich genommen als Indiz für alkoholbedingte Enthemmung gewertet worden ist. Der Angeklagte konnte nicht mehr frei stehen, mußte sich am Auto festhalten, roch nach Alkohol. Der Angeklagte war aufgrund der Ungewißheit über den Weg zu einer weiteren Bar so sehr beschäftigt und abgelenkt, daß er einen neben ihm auffahrenden Polizeiwagen nicht bemerkte. Zur (in der Regel mangelnden) indiziellen Bedeutung von Vorfahrtverletzungen Boetzinger M D R 1989 512. Zu dieser Entscheidung Rdn. 100. Zur Problematik dieser Entscheidung Rdn. 99 sowie die in Fn. 294 zitierten Entscheidungen des OLG Köln.

Stand: 1. 7. 2000

(322)

Trunkenheit im Verkehr

§ 3 1 6

Karlsruhe DAR 1958 252, 253 [BÄK 1,09 %o]), bei fehlerhaftem Linksabbiegen (LG Osnabrück DAR 1995 79 [BÄK 0,76 %o]), beim Einfahren in eine Kreuzung bei RotGelb-Licht, Nichtbeachten des Rotlichts an einer weiteren Ampel, Fahrt mit erhöhter Geschwindigkeit und Mißachtung eines Haltegebots (vgl. BayObLG DAR 1971 161 [BÄK 0,7 %o]; zw.), beim Übersehen eines Verkehrsschilds zur Nachtzeit in einer fremden Stadt (OLG Köln BA 3 [1965/1966] 392f [BÄK l,45%o]), bei Abweichen von der geraden Fahrlinie aufgrund heftigen Windes (OLG Hamm NZV 1994 117 [BÄK 0,91 %o]), bei Fortsetzung der Fahrt trotz widriger Straßenverhältnisse und anschließendem Abkommen von der Fahrbahn aufgrund Schneeglätte, es sei denn, jeder nüchterne Kraftfahrer hätte angesichts der Straßenverhältnisse von einer Weiterfahrt Abstand genommen (BayObLG JR 1990 436 f [BÄK 0,93 %o] m. insoweit zust. Anm. Loos ebd. S. 438),304 bei „vollem Benutzen der Gegenfahrbahn" (OLG Düsseldorf VRS 78 281 f [keine BÄK festgestellt]),305 bei einem Fahrzeugführer, der während des Verlassens einer Parklücke ein neben ihm parkendes Fahrzeug beschädigte, obgleich die Lage für einen geübten Fahrer „äußerst leicht" gewesen war (OLG Koblenz VRS 52 350, 351 [BÄK 0,8 %o]), bei „unsicherem" Ausparken eines fremden Luxuswagens durch einen Fahrzeugführer ohne Fahrpraxis (OLG Köln VRS 90 119, 120 f [BÄK 0,76 %o]), bei reaktionslosem Verhalten vor einer Ampelanlage für etwa 30 Sekunden (BayObLG bei Rüth DAR 1974 179), beim „Schlangenlinienfahren" eines 74 Jahre alten Radfahrers, weil bereits bei geringen Steigungen und langsamem Fahren mehr oder weniger stark ausgeprägte Schlangenlinien beschrieben werden müßten, um das Gleichgewicht zu halten (BayObLG bei Bär DAR 1989 366 [BÄK 1,07 % (aaO S. 332). Bei sehr hohen Blutalkoholwerten [im konkreten Fall 2,32 %o] könne es „keinem ernsthaften Zweifel unterliegen, daß in jedem Fall deutlich erkennbare Warnsignale [aufträten], welche dem Kraftfahrer einwandfrei [bedeuteten], daß seine Fahrtüchtigkeit mehr als zweifelhaft" sei; wer sich dennoch in den Straßenverkehr begebe, handele „zumindest mit bedingtem Vorsatz" (aaO S. 333). Ein so formulierter Erfahrungssatz steht freilich in Widerspruch auch zur Rechtsprechung des OLG Düsseldorf selbst556 und ist in der Folge von anderen Oberlandesgerichten mit Recht (Rdn. 194) nicht aufgegriffen worden (ausdrücklich OLG Hamm BA 35 [ 1 9 9 8 ] 4 6 2 , 4 6 4 ; OLG Köln DAR 1997 4 9 9 , 5 0 0 ) . 557

193

(b) Weitergehende Ansätze. Die herrschende Rechtsprechung wird von einem Teil des Schrifttums (Rdn. 181), partiell aber auch durch die tatrichterliche Praxis558 kritisiert. Die Kritik erkennt dabei im Prinzip an, daß es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach der Fahrzeugführer jenseits einer bestimmten BÄK stets vorsätzlich handele (explizit Nehm Saiger-Festschrift S. 115, 125). Jedoch wird - einen „übersichtlichen Trinkverlauf" (hierzu Rdn. 197) vorausgesetzt - mit Unterschieden im Detail ein Regel-Ausnahmeverhältnis in dem Sinne postuliert, daß bei Alkoholmengen, die zum „absoluten" Grenzwert von 1,1 %o oder darüber 559 bzw. zu Blutalkoholkonzentrationen ab 2,0 %o560 führen, „grundsätzlich" vorsätzliches Handeln angenommen werden könne. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß die fahrsicherheitsrelevanten Wirkungen massiven Alkoholkonsums Bestandteil des dauernden Begleitwissens seien, das auch durch die toxischen Wirkungen des Alkohols nicht geschmälert werde und durch den Täter allenfalls überspielt, aber nicht ausgeschaltet werden könne (Lackner k + ν 555

556

557

Früher schon ähnlich OLG Celle VRS 61 35, 37 f [2,32 %o; geordnetes Trinkgeschehen; alkoholerfahrener Fahrer, bei dem trotz der hohen BÄK („insoweit jedenfalls nicht alltäglich") Ausfallerscheinungen nicht festgestellt wurden]; vgl. auch OLG Celle NJW 1969 1588, 1599 [zu § 330 a a. F.], Ζ. B. OLG Düsseldorf VRS 85 322, 323 [BÄK l,92%o]; NZV 1994 324, 325 [BÄK 1,91 %o], jeweils unter Hinweis darauf, daß die Kritikund Erkenntnisfähigkeit mit zunehmender Alkoholisierung abnehme. Eine Vorlage an den BGH nach § 121 Abs. 2 GVG kam dabei nicht in Betracht, weil im konkreten Fall weitere Beweisanzeichen vorhanden waren, weswegen es an der Entscheidungserheblichkeit fehlte (hierzu auch OLG Köln DAR

558

555

560

1997 499, 500). Entgegen Schmid (BA 36 [1999] 262, 267) genügt ein „in abstracto ausfechtbarer Unterschied" für die Divergenzvorlage nicht. AG Coesfeld BA 35 (1998) 319; AG Rheine NJW 1995 894. So Krüger DAR 1984 47, 52; Nehm Salger-Festschrift S. 115, 126 f; Schneble BA 21 (1984) 281, 293 [bei BAK-Werten zwischen absolutem Grenzwert und 2,0 %o]. In diesem Sinne auch OLG Celle VRS 61 35; OLG Düsseldorf VRS 87 330. Tolksdorf 33. VGT 1995 S. 79, 84. Nach Haubrich (DAR 1982 285, 287) ist dieser Wert Teil einer „Faustregel" zur Annahme des Vorsatzes in der „täglichen Verkehrsstrafrechtspraxis", was zumindest heute wohl nicht (mehr) den Tatsachen entspricht.

Stand: 1. 7.2000

(376)

Trunkenheit im Verkehr

§316

1969 397, 403). Die Verankerung im Begleitwissen folge dabei daraus, daß Kenntnisse über die Wirkungen der Alkoholintoxikation jedem Kraftfahrzeugführer bereits im Rahmen der Fahrausbildung vermittelt würden und daß die Thematik darüber hinaus ständig Gegenstand von Medienberichten sei (OLG Celle VRS 61 35, 37; OLG Düsseldorf VRS 87 330, 332). Soweit das voluntative Vorsatzelement problematisiert wird, wird maßgebend auf den bewußten Konsum gravierender Mengen Alkohol verwiesen: Wer so viel trinke, wie für den Aufbau hoher BÄK-Werte erforderlich sei, dem fehle es an einer „Wollens-Alternative", er finde sich dementsprechend mit der Tatbestandsverwirklichung ab (Nehm Saiger-Festschrift S. 115, 125; hierzu auch Rdn. 1 8 5 ) . (c) Stellungnahme. Selbstverständlich existiert kein Erfahrungssatz, wonach alko- 1 9 4 holbedingter Kontrollverlust vorsätzliches Handeln stets oder auch nur zumeist ausschließt (Nehm Saiger-Festschrift S. 115, 125). Weiterhin erscheint es - wohl entgegen der überwiegenden Rechtsprechung - plausibel, daß das Wissen um die fahrsicherheitsrelevanten Wirkungen des Alkohols zum „Bodensatz" des Bewußtseins des fahrenden Durchschnittsbürgers rechnet („Mitbewußtsein"). 561 Selbst bei starker Alkoholintoxikation dürfte das Einsichtsvermögen nicht in dem Maße beeinträchtigt werden, daß der Fahrzeugführer bei Antritt der Fahrt mit der Möglichkeit der Fahrunsicherheit nicht zumindest rechnen würde (vgl. Eisenmenger Saiger-Festschrift S. 619, 626). Auch der vielzitierte „Jurist in leitender Stellung", der es im Rahmen eines Trinkversuchs bei einem Β AK-Wert von 1,3 %o als völlig unverantwortlich bezeichnet hatte, jetzt noch ein Fahrzeug zu führen, der dann aber bei einem Blutalkoholspiegel von 1,5 %o lautstark nach einem Auto verlangte, um seine Fahrsicherheit unter Beweis zu stellen (Zink/Reinhardt/Schreiber BA 20 [ 1 9 8 3 ] 5 0 3 , 5 0 9 ) , wird den Eintritt der Fahrunsicherheit durchaus ins Kalkül gezogen haben. Wäre er danach gefragt worden, so hätte er wohl bekundet, daß nach Aufnahme der von ihm genossenen Alkoholmengen Fahrunsicherheit eintreten könne (vgl. allgemein Schroth Vorsatz und Irrtum S. 92). Genauso naheliegend ist aber, daß er nicht nur die vage Hoffnung hegte, er könne den im Verkehr zu stellenden Anforderungen noch genügen, sondern daß er darauf tatsächlich vertraut hat. Wenn dem aber so ist, so handelt er ohne Vorsatz (Rdn. 185). Der Schwerpunkt der Problematik dürfte demgemäß nicht auf der Wissensebene liegen, sondern beim Willenselement des Vorsatzes (nicht nur aus rechtsmedizinischer Sicht überzeugend Eisenmenger Saiger-Festschrift S. 619, 626 f)· Es mag dabei sein, daß der angesprochene Jurist „im Ernstfall" eine Probe aufs Exempel nicht gewagt hätte; aber ganz gewiß ist dies nicht. Auch wird nicht jeder nach derart massivem Alkoholkonsum der mehr oder minder ausgeprägten Uberzeugung sein, daß die Fahrt schon noch gut gehen werde. Jedoch dürften die Erkenntnisse der Alkoholforschung und die bei Fahrversuchen gesammelten Erfahrungen (Rdn. 192) hinreichend sicher belegen, daß es sich bei dem auf seine Fahrunsicherheit noch vertrauenden „Trunkenheitsfahrer" nicht nur um eine singuläre Erscheinung handelt. 562 In den Blick genommen werden müssen in diesem Rahmen auch eingeübte Verhaltensmuster, etwa die Erfahrung, daß „man in vergleichbarer Situation ja oft gefahren und immer gut nach Hause gekommen" sei (Eisenmenger aaO S. 627). 561

562

Hierzu kritisch und differenzierend Schroth Vorsatz und Irrtum S. 88 ff; s. auch Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 172 ff. Wenig überzeugend erscheint der Versuch Nehms (Saiger-Festschrift S. 115, 119), diese Aspekte unter Hinweis darauf wegzuwischen,

(377)

daß die Feststellung des inneren Tatbestands Domäne des Richters sei und der Sachverständige seine Kompetenzen überschreite, sofern er den Vorsatz aufgrund des Kontrollverlusts generell in Frage stelle.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Sofern nicht weitere Indizien hinzutreten, verbleibt alles in allem nur die durch die Lebenserfahrung gestützte Vermutung, daß der Täter fahrsicherheitsaufhebende Leistungsminderungen billigend in Kauf genommen hat. Auf eine auch noch so plausible Vermutung kann die Verurteilung aber nicht gestützt werden. Der herrschenden Rechtsprechung ist deshalb im Grundsatz zuzustimmen. Freilich werden die Anforderungen an die Vorsatzfeststellung in mancher revisionsgerichtlichen Entscheidung überspannt (s. insbesondere Rdn. 203). 195

(d) „Geringe" Blutalkoholkonzentration/Alkoholmenge. Nach herrschender Rechtsprechung liegt die Annahme des Vorsatzes bei hohen BÄK-Werten nahe (Rdn. 192). Anscheinend verfahrt die Praxis bei geringeren BÄK-Werten spiegelbildlich in der Weise, daß sie vorsätzliches Handeln dann eher nicht in Betracht zieht. Für eine dahingehende Annahme spricht die veröffentlichte Rechtsprechung, die die Vorsatzfrage vornehmlich bei Tatzeitwerten von (weit) über 1,1 %o problematisiert. Ungeachtet der Schwierigkeiten der Vorsatzfeststellung auch in derartigen Konstellationen vermag jedenfalls der Grundsatz nicht zu überzeugen. Denn leichtere Alkoholintoxikationen tangieren die Kritikfähigkeit des einzelnen wohl in minderem Maße als schwerere {ZinktReinhardt/Schreiber BA 20 [1983] 503, 509 f).

196

(2) Umstände des Alkoholkonsums/Fahrtantritt. Als Belegtatsachen im Rahmen des zu führenden Indizienbeweises werden Art und Zeitraum der Alkoholaufnahme sowie das Trinkverhalten und dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt genannt (Rdn. 192). Bei näherem Hinsehen sind diese Umstände für die Feststellung des Vorsatzes wenig ertragreich.

197

(a) Geordnetes Trinkgeschehen. Nicht unschlüssig ist die Überlegung, daß der Fahrzeugführer bei „geordnetem Trinkgeschehen" einen Überblick über die von ihm aufgenommene Alkoholmenge haben wird. Als typischer Fall wird der Gaststättenbesuch genannt, in dessen Verlauf mit etwa gleichbleibender Trinkgeschwindigkeit alkoholische Getränke meist derselben Art (Bier oder Wein) in insgesamt erheblicher Menge konsumiert werden (OLG Celle VRS 61 35, 37). Anders stellt sich die Lage z.B. bei Genuß unbekannter Mixgetränke oder bei Mitwirken von Restalkohol,563 aber auch bei einer Feier im privaten Kreis dar, bei der der Gradmesser des anschließenden Bezahlenmüssens (Striche auf dem Bierdeckel) nicht vorhanden ist. Das gleiche gilt für den Schützen- oder Volksfestbesuch, bei dem zumeist in unregelmäßigen Zeitabständen alkoholische Getränke jeweils unterschiedlicher Menge und Konzentration aufgenommen werden (OLG Celle aaO S. 36 f)· Um aus dem Trinkgeschehen Schlüsse ableiten zu können, muß dieses freilich hinreichend sicher festgestellt werden. Schweigt der Angeklagte, so fallt der Nachweis in der Praxis alles andere als leicht. Auch ist das Trinkgeschehen gerade bei beträchtlichem Alkoholkonsum selbst in der Gaststätte keinesfalls immer oder auch nur in der Breite der Fälle „geordnet" (im einzelnen Eisenmenger Saiger-Festschrift S. 619, 627). Deswegen kann ein Erfahrungssatz über Art und Weise der Alkoholaufnahme nicht anerkannt werden (vgl. OLG Zweibrücken DAR 1999 132, 133).564 Selbst wenn aber von einem übersichtlichen Trinkverlauf auszugehen ist, rechtfertigt allein das Wissen um den (hohen) Alkoholkonsum noch nicht die Verurteilung wegen vorsätzlicher Tat (Rdn. 191 ff). 563

564

Zur Bedeutung des Restalkohols bei der Prüfung der Fahrlässigkeit Rdn. 221. Insoweit auch Tolksdorf 33. VGT 1995 S. 79, 85 f, der darüber hinaus auf Verwertungspro-

bleme bezüglich der Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Arzt verweist.

Stand: 1. 7. 2000

(378)

Trunkenheit im Verkehr

§316

(b) Fahrtantritt in der Anflutungsphase. Sodann kann der unmittelbare Fahrtantritt nach Trinkende in gewissem Umfang deswegen für Vorsatz sprechen, weil sich der Fahrzeugführer u. U. noch in der Anflutungsphase befindet, in der die Alkoholwirkungen deutlicher spürbar sind als in der Eliminationsphase (z.B. O L G Köln DAR 1997 499, 500). Steht jedoch nicht fest, daß Leistungsbeeinträchtigungen (Ausfallerscheinungen) tatsächlich aufgetreten sind (nachstehende Rdn.), so bewegt sich die auf die typischen Alkoholwirkungen gestützte Annahme des Vorsatzes nach wie vor auf der Ebene der Vermutung. Hinzu kommt, daß das Ende der Resorptionsphase gerade bei länger währendem gleichmäßigem Trinken durchaus mit dem Trinkende zusammenfallen kann (Rdn. 30). Erkenntnisse, die maßgebend auf den Fahrtantritt unmittelbar nach Trinkende abstellen, sind dementsprechend selten (in diese Richtung OLG Celle VRS 61 35, 38)565 und problematisch.

198

(3) Verhalten vor der Tat (Ausfallerscheinungen). Als geeignetes Beweisanzeichen für die Annahme des Vorsatzes kann es gelten, wenn gewichtige, vom Fahrzeugführer wahrgenommene (s. auch Rdn. 203) Ausfallerscheinungen vor Fahrtantritt festgestellt sind (vgl. OLG Karlsruhe VRS 81 24, 25). Von (bedingtem) Vorsatz wird man beispielsweise ausgehen können, wenn der Betreffende nur noch unter Schwierigkeiten und/oder unter Hilfestellung anderer stehen und/oder gehen kann. Die Vorstellung, in einem solchen Zustand noch hinreichend sicher ein Fahrzeug führen zu können, ist reinem Wunschdenken zuzuschlagen, das den Vorsatz unberührt läßt. Das Beweisanzeichen „Ausfalle im Vortatverhalten" spielt allerdings in der veröffentlichten Rechtsprechung zur Vorsatzproblematik soweit ersichtlich keine beachtliche Rolle.566

199

Kein sicheres Indiz ist darin zu sehen, daß der Betreffende vor der Tat einen längeren „Ausnüchterungsspaziergang" unternimmt; denn es ist nicht auszuschließen, daß er nach dessen Abschluß an die Wiederherstellung der Fahrsicherheit glaubt und daher nur fahrlässig handelt (BGH VRS 80 279, 280; aA Nehm Saiger-Festschrift 115,123). Das gleiche gilt dann, wenn er wegen des aufgenommenen Alkohols zunächst Bedenken äußert, noch nach Hause zu fahren, sich darüber aber aufgrund des Verhaltens anderer hinwegsetzt (OLG Hamm BA 37 [2000] 117, 118). (4) Warnhinweise anderer. Indizielles Gewicht wird etwaigen Warnhinweisen drit- 2 0 0 ter Personen (des Gastwirts, der Mitzecher etc.) beigemessen (Saiger DRiZ 1993 311, 313). Diese vermögen ggf. das in der vorstehenden Rdn. erörterte Indiz „Ausfallerscheinungen" zu verstärken, soweit sie aus konkretem Anlaß erfolgt sind. Ein weiteres Beispiel geben Konstellationen, in denen der Fahrzeugführer von der Polizei aufgehalten worden, danach aber trotz Sicherstellung des Führerscheins weitergefahren ist (Hentschel DAR 1993 449, 452). Ansonsten können Warnungen auch lediglich mit Rücksicht auf den Alkoholkonsum gegeben worden sein, etwa mit Blick auf den Gefahrengrenzwert oder aus genereller Abneigung gegenüber „Alkohol im Straßenverkehr". Für diesen Fall dürfte die Warnung allein nicht genügen. Denn der Betreffende kann nach Selbstprüfung gleichwohl noch auf seine Fahrsicherheit vertraut haben.

565

566

Die Entscheidung ist auch insofern nicht widerspruchsfrei, als beim dortigen Angeklagten weder während der Polizeikontrolle noch später Ausfallerscheinungen festgestellt worden sind (hierzu Rdn. 205). Unerörtert geblieben etwa in OLG Koblenz VRS 50 288, 290 f [stolpernder, schwankender

(379)

Schritt, Notwendigkeit, sich an einer geöffneten Tür festzuhalten] und OLG Düsseldorf VRS 82 125 [Schwanken, Bitte um Hilfe, weil der Fahrzeugführer selbst nicht mehr „zu Rande komme"].

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

201

(5) Intelligenz/Selbstkritik. In ständiger Rechtsprechung verlangen die Oberlandesgerichte eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten, insbesondere mit seiner Intelligenz und (verbliebenen) Fähigkeit zur Selbstkritik (Rdn. 192). Solche Forderungen stellen den Tatrichter vor k a u m lösbare Aufgaben. Die Situation zur Tatzeit läßt sich nämlich nicht mehr mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren, wobei auch die Kritikfähigkeit intelligenter Personen aufgrund der Alkoholwirkung Schaden nimmt. 567 Ein Sachverständigengutachten wird in den meisten Fällen nicht weiterführen, weil es dem Sachverständigen - wie dem Richter nicht gegeben ist, die Innenwelt des Angeklagten zur Tatzeit zu ermitteln (aA wohl O L G H a m m N Z V 1998 334).568 Vor diesem Hintergrund wäre die regelmäßige Einschaltung eines Gutachters auch unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie nicht vertretbar (vgl. O L G Celle VRS 61 35, 37). Die den Tatsachengerichten angesonnenen detaillierten Darlegungen drohen auf fruchtlose Förmelei mit in der Regel vorgegebenem Ergebnis hinauszulaufen und erscheinen grundsätzlich verzichtbar (in diese Richtung wohl auch O L G Köln D A R 1987 126; Hentschel D A R 1993 449,452).

202

(6) Einschlägige Vorverurteilung. Nach herrschender Rechtsprechung kann die WarnWirkung, die mit einer Vorverurteilung wegen § 316 (§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a) verbunden ist, im Rahmen der Vorsatzprüfung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden. 569 Denn bei einem einschlägig erfahrenen Wiederholungstäter, dessen Vertrauen in die eigene Fahrsicherheit bereits einmal oder auch mehrfach erschüttert worden ist, wird man nicht davon ausgehen können, er habe erneut auf seine Leistungsfähigkeit vertraut. Die Annahme des Vorsatzes setzt freilich voraus, daß die frühere Verurteilung zeitlich nicht allzu weit zurückliegt und daß der ihr zugrunde liegende Sachverhalt mit dem aktuellen zumindest annähernd vergleichbar ist; aufgrund dessen muß der der Vorverteilung zugrunde liegende Sachverhalt im Urteil mitgeteilt werden (OLG Celle N Z V 1998 123).

203

(7) Ausfallerscheinungen während der Fahrt. Ausfallerscheinungen während der Fahrt können signifikante Beweisanzeichen darstellen. Voraussetzung ist jedoch, daß sie dem Fahrzeugführer (nachweisbar) bewußt geworden sind. Unter dieser Prämisse kann vorsätzliches Handeln zu bejahen sein, natürlich aber nur für die Weiterfahrt nach Auftreten der Fehlleistung, also nicht für den Zeitraum davor (OLG Zweibrücken VRS 82 33, 35). Die Wahrnehmbarkeit versteht sich beim Schlangenlinienfahren nicht von selbst, weil dieses typischerweise auf einer Störung des unreflektierten Lenkverhaltens (Übersteigerung der notwendigen Lenkbewegung) beruht (OLG H a m m N Z V 1998 291, 292); 570 ein Erfahrungssatz des Inhalts, daß der Fahrzeugführer die Leistungsstörung erkannt hat, existiert insoweit wie generell nicht (OLG Karlsruhe VRS 81 24, 25). Erkennbarkeit ist in der Regel dann anzunehmen, wenn der Fahrzeugführer aufgrund seiner Leistungsbeeinträchtigungen einen Unfall verursacht hat; 571 allerdings muß der Unfall seiner Art nach geeignet sein, dem Täter die alkoholbedingte Fahr567

568

569

S. das Beispiel vom „Juristen in leitender Stellung" in Rdn. 194. Zu den diesbezüglichen Schwierigkeiten Eisenmenger Saiger-Festschrift 619, 630. O L G Celle NZV 1996 204, 205; NZV 1998 123; O L G Düsseldorf VRS 87 330, 332; OLG Köln DAR 1987 126. Hentschel Trunkenheit Rdn. 367; ders. DAR 1993 449, 452. Nicht erörtert von OLG Hamm BA 15 (1978) 59.

570

571

S. auch OLG Hamm BA 15 (1978) 59, 60 m. krit. Anm. Seib sowie OLG Hamm BA 37 (2000) 117, 118. BayObLG bei Rüth DAR 1982 251; DAR 1983 395, 396; O L G Koblenz VRS 71 195, 198; O L G Zweibrücken VRS 82 33; Hentschel Trunkenheit Rdn. 367.

Stand: 1.7. 2000

(380)

Trunkenheit im Verkehr

§316

Unsicherheit vor Augen zu führen. Entgegen O L G H a m m N Z V 1999 92 ist der Vorsatz beispielsweise nicht zweifelhaft, wenn der Angeklagte in einer Kurve geradeaus gefahren ist und das Abkommen von der Fahrbahn erst im letzten Augenblick durch Herumreißen des Steuers verhindern kann; bei einem derart krassen Fahrversagen erscheint die tatrichterliche Überlegung ausreichend, daß die Ausfallerscheinung dem Fahrzeugführer „unmöglich verborgen geblieben sein" könne (aA O L G H a m m aaO). 572 Vorsatz kann des weiteren angenommen werden, wenn der Fahrzeugführer aufgrund einer Sinnestäuschung überreagiert und deswegen einen Schleudervorgang bewirkt hat ( O L G Koblenz VRS 71 195, 198). (8) Flucht/Verschleierung/besonders vorsichtige Fahrweise. Ergreift der Fahrzeugführer vor einer Polizeikontrolle die Flucht, so ist dies auch in Verbindung mit einem hohen BAK-Wert noch kein hinreichend aussagekräftiges Beweisanzeichen. 573 Denn ein solches Verhalten zeugt nur für schlechtes Gewissen; dahinter kann die Befürchtung stehen, den Gefahrengrenzwert überschritten zu haben. F ü r die Annahme des Vorsatzes genügt dies nicht (Rdn. 187). Aus denselben Gründen liefern etwaige Verschleierungsversuche, ζ. B. die Benutzung von Schleichwegen oder lebensfremde Nachtrunkbehauptungen, kein zulängliches Zeugnis für vorsätzliches Verhalten (Hentschel D A R 1993 449, 452). 574 Eine besonders vorsichtige Fahrweise muß gleichfalls nicht unbedingt für Vorsatz sprechen; vielmehr kann sich der Fahrzeugführer bei einer solchen Fahrweise gerade noch für fahrsicher halten (OLG Köln D A R 1987 157f; 575 Hentschel D A R 1993 449, 452).

204

(9) Nachtatverhalten. Wenig aussagekräftig für die Beurteilung des Vorsatzes zur Tatzeit sind Ausfallerscheinungen im Nachtatverhalten. Beispielsweise zeugen gravierende Leistungsbeeinträchtigungen bei Blutentnahme und klinischer Untersuchung nur für eine erhebliche Alkoholwirkung zu diesem Zeitpunkt. Zwar sind die Alkoholwirkungen in der Anflutungsphase stärker als in der Eliminationsphase, so daß vermutet werden kann, der Fahrzeugführer habe bereits bei Antritt der Fahrt dieselben oder stärkere Leistungsausfalle aufgewiesen. Ganz sicher ist dies jedoch nicht. Zudem müßte nachgewiesen werden, daß der Beschuldigte die Störungen auch wahrgenommen hat. Umgekehrt ist koordiniertes Verhalten bei der Sistierung durch die Polizei und bei der Blutentnahme kein geeignetes Beweisanzeichen für eine aufrechterhaltene Kritikfähigkeit zur Tatzeit; ein Auseinanderklaffen von Leistungsverhalten und Wirkstoffbefund kann auf die Anspannung aller verbliebenen Reserven (s. auch Rdn. 121) oder auch auf den sog. „Nüchternschock" zurückzuführen sein ( O L G Zweibrücken VRS 82 33, 34 f; vgl. auch O L G Karlsruhe NZV 1999 301; aA wohl O L G Celle VRS 61 35, 38).

205

ee) Andere berauschende Mittel. Die Rechtsprechung hatte sich bislang vornehmlieh mit der alkoholbedingten Fahrunsicherheit zu befassen. Die insoweit für die Vorsatzfrage einschlägigen Aspekte (Rdn. 190 ff) können grundsätzlich auch für die

206

572

573

Wenig einleuchtend ist auch die in diesem Zusammenhang getroffene Aussage des OLG Hamm, daß der Vorsatz nach Auftreten des Fahrfehlers nicht auf den Fahrtantritt zurückwirke. Denn der Angeklagte war nach dem Fahrfehler weitergefahren (und nach 200 Metern auf einen Straßenbaum geprallt). BayObLG bei Rüth DAR 1985 242; OLG Hamm BA 14 (1977) 122, 123; BA 15 (1978) 376, 377; BA 37 (2000) 117, 118; OLG Köln

(381)

574

575

DAR 1987 126; Hentschel Trunkenheit Rdn. 365. AA Krüger DAR 1984 47, 52; Nehm Salger-Festschrift S. 115, 123; Saiger DRiZ 1993 311,313; TolksdorfW. VGT 1995 79, 85. AA Krüger DAR 1984 47, 52; Nehm Salger-Festschrift S. 115, 123; Saiger DRiZ 1993 311, 313; Tolksdorfil. VGT 1995 79, 85. Die Fahrzeugführerin hatte vorzeitig und trotz Vorfahrtsrechts vor einer Einmündung im Kreisverkehr angehalten [BÄK ca. 1,81 %o].

Peter König

§ 316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Beurteilung nach Konsum anderer berauschender Mittel herangezogen werden. Zu den Besonderheiten der drogenbedingten Fahrunsicherheit existiert derzeit nur spärliches Material. 207

(1) Illegale Drogen. Die Lebenserfahrung spricht dafür, daß ein Täter, der im Drogenrausch ein Fahrzeug führt, hinsichtlich der Fahrunsicherheit zumindest bedingt vorsätzlich handelt. Namentlich kann angenommen werden, daß die fahrsicherheitsrelevanten Auswirkungen des Konsums „harter" wie „weicher" Drogen vom Vorstellungsbild des Konsumenten umfaßt sind (aA Tolksdorf 33. VGT 1995 79, 88). Jedoch dürfte - nicht anders als beim Alkohol - für die meisten illegalen Drogen davon auszugehen sein, daß die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit durch die Drogenintoxikation geschwächt wird. Die Dosis-Wirkungsbeziehungen nach Konsum illegaler Drogen sind überdies noch weitgehend ungeklärt und von Droge zu Droge unterschiedlich (Rdn. 146 ff). Deswegen können in der Regel weder aus der Tatsache des Drogenkonsums überhaupt sowie ggf. aus dem Wissen, daß die Drogenfahrt nach § 24 a Abs. 2 StVG ausnahmslos verboten ist (näher Rdn. 187), noch aus der aufgenommenen Drogenmenge hinreichend sichere Schlüsse auf die innere Tatseite gezogen werden.576 Das gleiche dürfte für die Drogenaufnahme in Fahrbereitschaft gelten.577 Wenig praktikabel erscheint das Abstellen auf die (überdies kaum aufklärbaren) Umstände des Rauschverlaufs oder auf die Drogenerfahrung des Täters; die Drogenaufnahme im Fahrzeug erweist nur den Vorsatz bezüglich des Konsums, nicht hinreichend sicher aber auch in Bezug auf die Fahrunsicherheit.578 Wie bei der alkoholbedingten Fahrunsicherheit wird es deshalb vor allem darauf ankommen, dem Täter wahrnehmbare Ausfallerscheinungen vor und während der Tat möglichst genau festzustellen (Rdn. 199, 203); auch aus einer einschlägigen Vorverurteilung können ggf. Schlüsse abgeleitet werden (Rdn. 202).

208

(2) Medikamente mit Rauschmitteleigenschaft. Bei Medikamenten mit Rauschmitteleigenschaft ist bezüglich der inneren Tatseite vor allem an die im Beipackzettel enthaltenen Warnhinweise zu denken. Jedoch muß dem Betroffenen zunächst nachgewiesen werden, daß er den Warnhinweis auch zur Kenntnis genommen hat. Selbst wenn dies gelingt, kann daraus in aller Regel nicht auf Vorsatz geschlossen werden. Denn im Beipackzettel wird zumeist nur auf die Möglichkeit von Leistungsbeeinträchtigungen verwiesen (Schöch DAR 1996 452, 455).579 Vorbehaltlich eindeutiger Beweisanzeichen zum Leistungsverhalten vor und während der Fahrt (Rdn. 199, 203) bzw. einschlägiger Vorverurteilungen (Rdn. 202) wird der Vorsatznachweis insgesamt kaum je geführt werden können (s. auch Rdn. 223, 225 sowie § 315 c Rdn. 67, 189). Anders kann es zu beurteilen sein, wenn strikt formulierte Warnungen des behandelnden Arztes festgestellt sind.

209

ff) Vorsatz und Strafbefehl. Mit Blick auf die Vielzahl der zu würdigenden Umstände wird teilweise die Auffassung vertreten, im summarischen Strafbefehlsverfahren dürfe grundsätzlich nicht wegen einer Vorsatztat verurteilt werden.580 Dem ist zumindest in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Liegt ein Geständnis vor, so steht der Wahl des Strafbefehlsverfahrens ohnehin nichts entgegen (insoweit auch Hent576

577

So für den Mischgebrauch von Alkohol und Cannabis OLG Frankfurt NJW 1996 1358, 1359. Hierzu auch Daldrup!Meininger in: Cannabis im Straßenverkehr [1998; Hrsg. Berghaus/Krüger] S. 181, 195 f. AA Harbort NZV 1996 432, 436; s. auch Rdn. 189.

578

579

580

Wenig klare Ausführungen zu beidem bei Harbort NZV 1996 432, 435 f. Zur Gestaltung der Warnhinweise s. auch Krüger Medikamenten und Alkohol S. 45 f. Zink/Reinhardt/Schreiber BA 20 (1983) 503, 511 und im Anschluß daran Hentschel Trunkenheit Rdn. 368.

Stand: 1.7. 2000

(382)

Trunkenheit im Verkehr

§316

schel Trunkenheit Rdn. 368). Die Annahme des Vorsatzes aufgrund hinreichender Beweisanzeichen (z.B. zeitnahe Vorverurteilung(en), deutliche Ausfallerscheinungen vor und während der Tat) kann aber gleichfalls bereits nach Aktenlage gerechtfertigt sein. 2. Fahrlässigkeit. Nach gefestigter Rechtsprechung 581 und ganz h. M. im Schrift- 2 1 0 tum 582 ist Fahrlässigkeit regelmäßig gegeben, sofern der Täter infolge bewußter Aufnahme von Alkohol in relevanter Menge objektiv fahrunsicher geworden ist. Dem Fahrzeugführer wird auferlegt, mit großer Sorgfalt zu prüfen, ob er trotz des Alkoholkonsums noch zur sicheren Führung eines Fahrzeugs in der Lage ist; über verbleibende Zweifel darf er sich nicht hinwegsetzen; sofern er nicht die Gewißheit hat, trotz des Alkoholkonsums noch fahrsicher zu sein, muß er vom Fahren Abstand nehmen (BayObLG VRS 66 280, 281). Tut er es doch, so liegt ein Fall der sog. Übernahmefahrlässigkeit vor. Bezugspunkt des Fahrlässigkeitsvorwurfs ist dabei der Eintritt der Fahrunsicherheit, nicht das Erreichen eines etwaigen „absoluten" Grenzwerts (Rdn. 186 f)· Dieselben Kriterien sind prinzipiell für die Fahrunsicherheit aufgrund anderer berauschender Mittel heranzuziehen (Rdn. 225). Nach einer Mindermeinung versteht es sich nicht von selbst, daß der Trunkenheitsfahrer bei Anwendung der ihm möglichen Sorgfalt seine Fahrunsicherheit hätte bemerken können und müssen; es grenze an einen Widerspruch in sich, wenn mit einem „alkoholgeschädigten Gehirn ... das Ausmaß der Alkoholbeeinträchtigung des Gehirns erfaßt" werden solle {ZinktReinhardt!Schreiber BA 20 [1983] 503, 510, 511). Wenn die Praxis nach Ablehnung des Vorsatzes gewissermaßen „automatisch" Fahrlässigkeit zugrunde lege, so laufe dies auf eine Verletzung des Zweifelssatzes und auf eine schuldstrafrechtlich bedenkliche Gefahrdungshaftung 5 8 3 hinaus. Mit einer solchen Betrachtungsweise wird allerdings nicht hinreichend beachtet, daß dem Täter nicht auferlegt wird, die Alkoholintoxikation exakt einzuschätzen. Vielmehr genügt es, wenn er den Eintritt der Fahrunsicherheit als möglich erkennt oder erkennen mußte. Daß ins Gewicht fallender Alkoholkonsum die Fahrsicherheit aufzuheben vermag, ist aber fester Bestandteil des (Mit-)Bewußtseins; dieses kann auch unter der akuten Wirkung der Droge grundsätzlich nicht ausgeschaltet werden (Rdn. 184, 193 f)· Wie in anderen Bereichen des Strafrechts auch darf (und muß) der Richter, dem ein Blick ins Innere des Täters naturgemäß nicht möglich ist, diesen Kenntnisstand im Rahmen der Beweiswürdigung zugrunde legen (Nehm Saiger-Festschrift S. 115, 124).584 Dem charakteristischen (nachweisbaren) Tatbild des § 316 entspricht mithin die Schuldform bewußter Fahrlässigkeit. Die „Automatik" Verneinung des Vorsatzes/Annahme der Fahrlässigkeit ist Ausdruck des Umstands, daß bei der „Trunkenheitsfahrt" rein tatsächlich Vorsatz und Fahrlässigkeit typischerweise kaum unterscheidbar ineinander übergehen (Rdn. 181). 581

Ζ. B. BGH DAR 1952 43, 44; BayObLG VRS 66 280, 281; O L G Düsseldorf BA 21 (1984) 277, 278 m. Anm. Grüner; O L G Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 114 S. 61; BA 8 (1971) 71, 72; OLG Hamm JMB1NW 1964 42; N J W 1975 660, 661; VRS 69 220, 221; KG VRS 5 477, 478; OLG Koblenz VRS 44 199, 201 f; OLG Köln VRS 5 78, 79; BA 15 (1978) 302, 303 m. zust. Anm. Schneble. Implizit in einer Vielzahl weiterer, auch zu § 315 c ergangener Entscheidungen.

582

Herzog N K Rdn. 32 f; Horn SK Rdn. 9; Lackner/Kühl Rdn. 5; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 27;

(383)

TröndlelFischer Rdn. 9 c; Hentschel Trunkenheit Rdn. 370 ff; MühlhauslJaniszewski Rdn. 29 b; Eisenmenger Saiger-Festschrift S. 619, 630. 583 So Koch DAR 1974 37, 40; ZinklReinhardt! Schreiber BA 20 (1983) 503, 510; Bialas Promille-Grenzen S. 134 f; Riemenschneider Fahrunsicherheit S. 185 ff. 584 Nehm gelangt allerdings mit dieser Begründung zur Regelannahme des Vorsatzes (hierzu Rdn. 193 f).

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

211

a) Alkoholbedingte Fahrunsicherheit. In der Praxis steht nach wie vor die alkoholbedingte Fahrunsicherheit ganz im Vordergrund. Es haben sich typische Fallgruppen herausgebildet, in denen die Fahrlässigkeitsproblematik erörtert wird.

212

aa) Blutalkoholkonzentration/aufgenommene Alkoholmenge. Der Großteil der einschlägigen Entscheidungen befaßt sich mit Konstellationen, in denen hohe Alkoholmengen aufgenommen und dementsprechend gravierende Blutalkoholkonzentrationen festgestellt sind. Jedoch ist der Fahrlässigkeitsvorwurf keineswegs nur dann begründet, wenn BÄK-Werte um oder (weit) über etwaigen „absoluten" Grenzwerten (insbesondere 1,1 %o) erreicht werden. 585 Daß selbst minderer Alkoholkonsum zur Fahrunsicherheit führen kann, gehört zum Allgemeingut (so bereits KG VRS 5 477, 478), weswegen es prinzipiell vorwerfbar ist, wenn der (objektiv fahrunsichere) Täter gleichwohl das Risiko eingeht, die Fahrt anzutreten (BayObLG VRS 66 280, 281). Zu berücksichtigen ist insoweit auch, daß es nicht ganz bedeutungsloser Alkoholmengen bedarf, um Blutalkoholspiegel von etwa 0,5 %o und darüber aufzubauen, bei denen die forensische Praxis in der Regel erst „beginnt". Eingehender Begründung bedarf die Annahme der Fahrlässigkeit demgegenüber, sofern eine noch darunter liegende Alkoholkonzentration festgestellt worden ist, die ggf. erst im Zusammenwirken mit weiteren ungünstigen Umständen Fahrunsicherheit bewirkt. Allerdings stellt die Rechtsprechung bei Umständen, aufgrund derer die nachteiligen Wirkungen des Alkohols bekanntermaßen verstärkt werden (z.B. Krankheit, Medikamenteneinnahme), erhöhte Sorgfaltsanforderungen (Rdn. 222 f).

213

bb) Bewußte Alkoholaufnahme. Daß der Täter die relevante Alkoholmenge bewußt konsumiert hat, ist in der großen Breite der Fälle nicht zweifelhaft. Gelegentlich lassen sich Beschuldigte aber dahin ein, sie hätten von der Alkoholaufnahme in der nach der Blutprobenanalyse anzunehmenden Menge keine Kenntnis gehabt. Hauptsächlich wird vorgetragen, Dritte hätten unbemerkt hochprozentige Alkoholika in das/die Getränk(e) des Beschuldigten gegossen (Rdn. 214 ff). Zuweilen gibt dieser aber auch an, alkoholhaltige Medikamente in Unkenntnis des (konkreten) Alkoholgehalts eingenommen zu haben (Rdn. 219). Schließlich gehören Konstellationen hierher, in denen der Betreffende unbekannte (Mix-)Getränke konsumiert haben will, deren hohen Alkoholgehalt er nicht zu erkennen vermochte (Rdn. 220). Nicht selten handelt es sich bei alledem um Schutzbehauptungen, mit denen man normalerweise nicht durchdringt. Die nachfolgend referierte Judikatur ist ganz überwiegend älteren Datums. Dies läßt vermuten, daß derartiges Verteidigungsvorbringen aufgrund der zumeist strengen Haltung der Rechtsprechung weitgehend an Bedeutung verloren hat.

214

(1) Heimliche Beigabe durch Dritte. Eine „ins Blaue hinein" abgegebene Behauptung des Angeklagten, es seien ihm hochprozentige Alkoholika unbemerkt beigebracht worden, darf der Richter nicht als unwiderlegbar hinnehmen (vgl. auch BGHSt. 34 29, 34); erscheint die diesbezügliche Einlassung mangels jeglicher für sie sprechender Anhaltspunkte als unglaubhafte Schutzbehauptung, so kann sie, ggf. nach insoweit durchgeführter Beweiserhebung, als solche behandelt werden (vgl. OLG Braunschweig DAR 1964 270, 271).586 Um derartige unglaubhafte Einlassungen han585

S. dazu, daß die leistungsbeeinträchtigenden Wirkungen bei geringeren Alkoholmengen spürbarer sind als bei höheren, Rdn. 192. Vgl. auch Reinhardt/Zink BA 9 (1972) 129.

586

Schwerlich überzeugend freilich Middendorf BA 20 (1983) 366, der meint, die „Ausrede [sei] zu alt und zu durchsichtig, als daß sie noch Beachtung finden dürfte", weswegen der „Grundsatz «in dubio pro reo» ... bei Massendelikten und

Stand: 1. 7. 2000

(384)

Trunkenheit im Verkehr

§316

delt es sich etwa, wenn der Beschuldigte vorträgt, ihm sei im Zustand der Bewußtlosigkeit ein großes Glas Klosterfrau-Melissengeist eingeflößt worden (vgl. OLG Hamm BA 7 [1970] 153),587 oder wenn er behauptet, innerhalb von zwei Stunden seien 12 Gläser Schnaps in die von ihm getrunkenen alkoholfreien Getränke gegossen worden, wobei er weder die zwölfmalige Beimischung noch den Alkoholgeschmack 588 wahrgenommen habe (vgl. OLG Köln BA 15 [1978] 302).589 Wenig plausibel ist auch die Einlassung, Freunde oder Verwandte, die anschließend durch den Fahrzeugführer noch nach Hause gebracht werden wollten, hätten heimlich zusätzlichen Alkohol beigemischt (OLG Hamm VRS 56 112, 114 [zu § 24 a StVG]). (a) Bemerkbarkeit der Alkoholwirkung. Kann die Tatsache der Beimischung nicht widerlegt werden, so stellt die nunmehr herrschende Rechtsprechung auf die Bemerkbarkeit der Alkoholwirkungen ab. Ausgehend von dem Grundsatz, daß der Täter bereits aufgrund des durch ihn eingeräumten Alkoholkonsums zu einer besonders gewissenhaften Selbstprüfung verpflichtet sei (Rdn. 210), wird betont, daß es auf die exakte Kenntnis der insgesamt aufgenommenen Alkoholmenge nicht ankomme (OLG Köln BA 15 [1978] 302, 303). Teilweise wird die Bemerkbarkeit bei hohen Alkoholkonzentrationen ohne weiteres angenommen. 590 Andere Entscheidungen verweisen maßgebend 591 oder ergänzend 592 darauf, daß der Fahrzeugführer die starke Alkoholisierung deswegen hätte bemerken können und müssen, weil sie mit der bewußt aufgenommenen Alkoholmenge nicht erklärt werden könne, und/oder, daß sich der Täter in der Resorptionsphase befunden habe, in der die Alkoholwirkungen nach verkehrsmedizinischen Erkenntnissen deutlich spürbar seien. Entscheidungen, in denen fahrlässiges Handeln in Zweifel gezogen bzw. verneint worden ist, sind vereinzelt geblieben.593 Teils war dies auf nach Meinung der Revisionsgerichte unzureichende tatsächliche Feststellungen oder Begründungen der Vorinstanz zurückzuführen. Teils schimmert aber auch ein „Grenzwertdenken" in dem Sinne durch, daß der Fahrzeugführer nach seinem Zustand mit dem Erreichen des „absoluten" Grenzwerts hätte rechnen müssen. 594 Das ist jedoch nicht überzeu-

587

588

589 590

591

in Fällen dieser Art nur eingeschränkt anzuwenden" sei. Es ist nach medizinischen Erkenntnissen nicht möglich, einem Ohnmächtigen den Inhalt eines großen Glases einzuflößen, da ein Bewußtloser nicht schluckt und folglich ersticken würde (OLG Hamm aaO). Zur Wahrnehmbarkeit des Alkoholgeschmacks Rdn. 217. Hierzu Schneble BA 15 (1978) 304. Z.B. BayObLG bei Rüth DAR 1977 204: „Bei einem Alkoholverzehr, der zu einem mittelgradigen Rauschzustand führt (hier 2,55 %o), sind die Alkoholisierung und die dadurch bedingte Fahruntüchtigkeit grundsätzlich auch dann erkennbar, wenn ein Teil des Alkohols ... unbewußt getrunken worden ist." oder OLG Braunschweig DAR 1960 270, 271: „Ein Blutalkoholgehalt von 1,89%o bzw. l,96%o ist subjektiv ohne weiteres bemerkbar". S. auch OLG Hamm DAR 1 9 6 0 84 [BÄK 2 , 1 5 % o , davon 0,75 % o unbewußt]; NJW 1975 660f [BÄK l,62%o]. Insbesondere OLG Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 114 S. 61, 62: Der Täter ist „für seine spätere Fahruntüchtigkeit nur verantwortlich, so-

(385)

592

593

594

weit diese auch aufgrund der bewußt getrunkenen Alkoholmengen gegeben ist, es sei denn, daß die Auswirkungen der zusätzlichen Alkoholmengen so erheblich gewesen sind, daß der Angeklagte sie nach der Lebenserfahrung schuldlos nicht hätte übersehen können" [BÄK 2,0 bis 2,1%«, davon 0,7 bis 0,8 %o bewußt], S. auch OLG Hamburg VerkMitt. 1973 Nr. 95 S. 69 [BÄK 2,3 %o, davon eine halbe Flasche Schnaps unbewußt], OLG Koblenz DAR 1973 106, 107 [BÄK 1,66%o, davon evt. 0,86%o unbewußt]; OLG Köln BA 15 (1978) 302, 303 [BÄK l,59%o, davon 0,7 bis 0,8 %o unbewußt], OLG Hamburg VRS 54 438 [BÄK l,42%o, davon 0,4 %> unbewußt]; OLG Hamm JMB1NW 1965 119 [BÄK 1,74%», davon 0,36%o unbewußt]; VRS 34 128 [1,6%«, davon 0,6%o unbewußt]; OLG Hamm DAR 1973 23 [BÄK 2,47 %o; atypischer Fall], In diesem Sinne wohl OLG Hamm JMB1NW 1965 119; auch OLG Hamm VRS 34 128, 129. Deutlich OLG Celle BA 18 (1981) 176 f hierzu Rdn, 219.

Peter König

215

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

gend, weil Bezugspunkt des Vorsatz- und Fahrlässigkeitsvorwurfs der Eintritt der Fahrunsicherheit ist und nicht das Erreichen des Grenzwerts (Rdn. 186, 210). Mit („relativer") Fahrunsicherheit muß der Fahrzeugführer nach nicht unerheblichem Alkoholkonsum aber immer rechnen. Aus diesem Grunde kommt es auch nicht darauf an, ob der bereits zuvor erheblich alkoholisierte Fahrzeugführer die Wirkungen eines „Schluß-Sturztrunks", dem heimlich Alkohol zugesetzt worden ist, bei Antritt der Fahrt bereits verspürt hat (aA O L G Düsseldorf VRS 64 436, 438; hierzu Rdn. 82). Eine besonders gelagerte Fallgestaltung betrifft O L G H a m m D A R 1973 23. Dort hatte es das Tatsachengericht bei einem kranken Fahrzeugführer, der Tabletten eingenommen hatte, dahingestellt sein lassen, ob eine eingetretene Übelkeit auf dem Alkoholkonsum (BÄK 2,47 %>) oder „auf anderen G r ü n d e n " beruhte; das O L G H a m m hat nähere Feststellungen zu Art und Ausmaß Krankheit sowie zu Art und Zahl der Medikamente vermißt. 595 216

(b) Kenntnis der Alkoholmenge. In deutlichem Widerspruch zur Rechtsprechung der anderen Oberlandesgerichte steht ein Urteil des OLG Saarbrücken aus dem Jahre 1963 (NJW 1963 1685).596 Dort wird die Auffassung vertreten, Anknüpfungspunkt für den Schuldvorwurf sei nicht der Umstand, daß der Täter anhand äußerer Symptome seine alkoholische Beeinflussung erkannt habe oder hätte erkennen müssen; hierzu sei er nach wissenschaftlichen Erkenntnissen namentlich in der Eliminationsphase außerstande. Vielmehr müsse darauf abgestellt werden, daß er sich in Kenntnis des genossenen Alkohols an das Steuer seines Fahrzeugs gesetzt habe, weswegen immer nur der Alkoholgenuß zugrunde gelegt werden dürfe, der dem Täter bekannt sei (OLG Saarbrücken a a O S. 1686). Spätere Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte sind, soweit sie sich mit dem Standpunkt des O L G Saarbrücken auseinandersetzen, einer Divergenzvorlage an den B G H ausgewichen. 597 Der Meinung des O L G Saarbrücken ist insoweit zuzustimmen, als der Täter gewußt haben muß, Alkohol in nicht unerheblicher Menge getrunken zu haben. Dies ist jedoch in dem der betreffenden Entscheidung zugrunde liegenden Fall wie auch in sämtlichen in der veröffentlichten Rechtsprechung relevant gewordenen Konstellationen nicht zweifelhaft gewesen. Unter dieser Prämisse kann es aber nicht darauf ankommen, ob der Täter genaue Kenntnis von der aufgenommenen Alkoholmenge hat. Exakte Mengenkenntnis ist irrelevant, weil der Täter, selbst wenn er sie hätte, keine Gewißheit über das M a ß etwaiger Leistungsbeeinträchtigungen haben kann. Entscheidend ist hier wie generell, daß er trotz des Wissens um nicht unerheblichen Alkoholkonsum die Fahrt in objektiv fahrunsicherem Zustand antritt, also im Rahmen der gebotenen Selbstprüfung versagt bzw. diese nicht hinreichend durchgeführt hat (Rdn. 210). In dieser Weise verfährt die einhellige Rechtsprechung auch sonst, etwa beim Genuß von Alkoholika mit unbekannter Wirkstoffkonzentration sowie beim Alkoholkonsum im Rahmen eines unkontrollierten Trinkgeschehens (Rdn. 220).

217

(c) Geschmackliche Wahrnehmbarkeit. Die naheliegende Annahme, der Beschuldigte habe die Beimischung hochprozentiger Alkoholika am Geschmack oder Geruch 595

596

Nach den veröffentlichten Entscheidungsgriinden wirkt das Urteil etwas beckmesserisch. Es war um einen Fall der Restalkoholwirkung gegangen. Der Angeklagte hatte am Vorabend der Tat seinen Angaben zufolge acht bis zehn Gläser Bier getrunken und danach sieben Stunden in seinem Wagen geschlafen. Der Tatzeitwert am nächsten Morgen betrug 2,33 %o. Die

597

Vorinstanz hatte es als nicht widerlegbar angesehen, daß ein Zechkumpan unbemerkt größere Mengen Schnaps in das Bier des Angeklagten gegossen hatte. S. auch schon OLG Saarbrücken JMBl. Saar 1963 23. Z.B. OLG Hamburg VerkMitt. 1966 Nr. 114 S. 61, 62; O L G Hamm JMB1NW 1965 119; VRS 48 100, 102 f.

Stand: 1. 7. 2000

(386)

Trunkenheit im Verkehr

§316

erkennen können, spielt in den einschlägigen Entscheidungen eine untergeordnete Rolle. Dies liegt vor allem daran, daß sich die Angeklagten der jeweiligen Verfahren nicht selten dahin eingelassen hatten, sie seien zur Tatzeit erkältet gewesen, woran ihr Geschmacks- und Geruchssinn gelitten habe. 598 Ob man bei unbeeinträchtigtem Geruchs- und Geschmackssinn davon ausgehen kann, daß der beigemischte Schnaps vom Trinkenden „herausgeschmeckt oder -gerochen" worden ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.599 So erscheint es von vornherein „schwer vorstellbar", daß ein erwachsener M a n n die Beimischung wenig verdünnten Klosterfrau-Melissengeists (Alkoholgehalt über 50%) in einem Glas Coca-Cola nicht bereits beim ersten Schluck bemerkt (OLG H a m m BA 7 [1970] 153, 154). Ein Erfahrungssatz in Richtung auf generelle Wahrnehmbarkeit existiert aber nicht. D a ß zugemischter Schnaps nicht immer wahrgenommen wird, findet vielmehr in den Ergebnissen eines kleineren Trinkversuchs seine Bestätigung. Dort hatten keiner der Probanden in 0,31 Bier und in Kaffee beigemischten Wodka (0,2 cl bzw. 0,1 cl) und nur zwei von sieben Probanden in Kaffee beigemischten Wodka (0,2 cl) erkannt (KernbichlerlRöpke BA 16 [1979] 399, 401 f). Ggf. muß ein Sachverständiger hinzugezogen werden. (d) Wahrscheinlichkeit der Beimischung. Gelegentlich wird in der Rechtsprechung erörtert, ob das Verschulden des Fahrzeugführers darin liege, daß er nach den Umständen mit der Beimischung habe rechnen müssen. Entscheidungserheblich ist dies soweit ersichtlich noch nicht geworden. Diesbezügliche Passagen finden sich in erster Linie in Hinweisen aufhebender Revisionsentscheidungen an die Vorinstanz. Als Umstände, die beim Beschuldigten Vorsicht aufkommen lassen müssen, werden z.B. ausgelassene Karnevalsstimmung und nicht ausgetrunkene Schnapsgläser auf dem Tisch genannt (OLG Düsseldorf VRS 64 436, 438). 600 Ein Fahrlässigkeitsvorwurf aufgrund solcher Aspekte wird freilich nur bei konkreteren Anzeichen in Betracht kommen (vgl. auch O L G H a m m VRS 34 128, 129), die u . a . darin liegen können, daß solche Beimischung vom Beschuldigten bereits einmal bemerkt worden ist oder daß derartige gefährliche Unsitten in den Kreisen, in denen der Fahrzeugführer verkehrt, auch sonst gepflogen werden. Dies muß dann allerdings bewiesen werden. Hat sich der Angeklagte bewußt von einem Mitzecher Schnaps zugießen lassen, so kann er sich nicht damit verteidigen, der Mitzecher habe mehr beigemischt als konsentiert; Fahrlässigkeit liegt bereits darin, daß er die unkontrollierte Beimischung zugelassen und im Anschluß daran die Fahrt angetreten hat. 601

218

(2) Alkoholhaltige Medikamente. D a ß sich der Angeklagte darauf beruft, die FahrUnsicherheit sei auf die Einnahme von Medikamenten zurückzuführen, von deren Alkoholgehalt er nichts gewußt habe, kommt in der Praxis eher selten vor. Dies ist dadurch bedingt, daß solche Mittel gewöhnlich nicht in Mengen konsumiert werden, mit denen relevante Blutalkoholkonzentrationen aufgebaut werden könnten. Es geht demnach ausnahmslos um Zusatzkonsum zu „normalen" Alkoholika. Der Fahrlässig-

219

598

Ζ. B. OLG Hamburg VRS 54 438, 439; OLG Hamm NJW 1975 660, 661; VRS 48 100, 101; VRS 56 112, 114 [zu § 24 a StVG]. Eine Verminderung des Geschmacks- und Geruchssinns aufgrund des Einatmens von Nitrolack-Dämpfen hatte der Angeklagte in OLG Hamm VRS 34 128, 129 geltend gemacht.

(387)

599

600

601

Vgl. OLG Düsseldorf VRS 64 436, 438 für beträchtliche Mengen Wodka; s. auch OLG Hamm DAR 1973 23. S. auch OLG Oldenburg DAR 1983 90, 91 [zu § 24 a StVG] m. Anm. Middendorf BA 20 (1983) 366. TröndlelFischer Rdn. 9c; Dittmer BA 16 (1979) 230. Abw. - freilich zu § 24 a StVG - OLG Köln BA 16(1979) 229 f.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

keitsvorwurf ist in solchen Fällen schon deswegen begründet, weil der Betreffende verpflichtet gewesen wäre, sich über die Zusammensetzung des Mittels zu informieren (OLG Braunschweig DAR 1964 170f;602 Rdn. 208, 225). Dies gilt aufgrund der Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit für die Problematik auch bei nicht rezeptund apothekenpflichtigen Hausmitteln wie Baldriantinktur (aA OLG Celle BA 18 [1981] 176, 177 f) 603 oder etwa auch homöopathischen Mitteln, die oftmals hohe Alkoholgehalte aufweisen. Bei sehr hoch konzentrierten Hausmitteln wie KlosterfrauMelissengeist604 ist zudem davon auszugehen, daß der Konsumenten den Alkoholgehalt verspürt (OLG Hamm BA 16 [1979] 501, 502 [zu § 24a StVG]).605 220

(3) Unbekannte Alkoholmenge. Es entlastet den Fahrzeugführer nicht, wenn er aufgrund eines außer Kontrolle geratenen Trinkgeschehens nicht darüber orientiert ist, wieviel er im einzelnen getrunken hat (BayObLG VRS 66 280, 281).606 Dasselbe gilt, wenn er (zugleich) Mix-Getränke, wie etwa Bowle, zu sich nimmt, deren Zusammensetzung ihm nicht bekannt ist (vgl. OLG Hamm JMB1NW 1964 42).607 In beiden Fällen ist er gerade aufgrund seiner Unkenntnis zu besonderer Sorgfalt verpflichtet und muß das Fahren unterlassen, sofern er nicht die Gewißheit hat, noch hinreichend leistungsfähig zu sein (BayObLG VRS 66 280, 281). Dasselbe dürfte letztlich für die vor allem in Großbritannien verbreiteten „Designerdrinks" bzw. Modegetränke (ζ. B. „Alcopops", „Cider", Hanfgetränke, Modebiere usw.) zu gelten haben, wenngleich der Alkoholgehalt vor allem bei den „Alcopops" durch deren Süße überdeckt wird (zu letzerem sowie zu Art und Zusammensetzung derartiger Getränke GlenewinkeUIfflandlGrellner BA 35 [1998] 36 ff).

221

cc) Restalkohol. Zur Beurteilung des Restalkohols in Bezug auf den Fahrlässigkeitsvorwurf existiert überwiegend ältere Rechtsprechung. Sie betrifft durchwegs Fälle, in denen der Fahrzeugführer geraume Zeit vor der Tat Alkohol in außerordentlichen Mengen zu sich genommen hat. Die Rechtsprechung geht im wesentlichen einheitlich davon aus, daß das Wissen um die postalkoholischen Wirkungen derart ausschweifenden Konsums wie auch um den Umstand, daß diese sich nicht durch einige Stunden Schlaf beheben lassen, dem allgemeinen Erfahrungswissen der „fahrenden" Bevölkerung zuzurechnen sei; demgemäß fallt es dem Fahrzeugführer zur Last, wenn er unter der Wirkung von Restalkohol im Zustand objektiv gegebener Fahrunsicherheit die Fahrt antritt.608 Entscheidungen, in denen der gegenteilige StandZu Klosterfrau-Melissengeist. M. kritischer Anm. Recktenwald ebd. S. 178. Die Entscheidung ist auch deswegen problematisch, weil der Tatrichter - vom O L G Celle unbeanstandet - hinsichtlich des subjektiven Tatbestands aus einem Tatzeitwert von l,52%o die durch die „löffelweise" eingenommene Baldriantinktur aufgebaute BÄK von 0,3 %> herausgerechnet hatte, hierdurch zu einem unter dem damaligen Grenzwert von l,3%o liegenden Wert gelangt war und den Angeklagten lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 StVG verurteilt hatte. Dem Angeklagte war aber bereits deswegen Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil er nach bewußtem, massivem Konsum anderer alkoholischer Getränke die Fahrt angetreten und hierdurch die Pflicht zu gewissenhafter Selbstprüfung verletzt hatte; ob er mit einer Überschreitung des „absoluten" Grenzwerts rechnete oder rechnen mußte, ist unerheb-

604

605

606

607 608

lieh (hierzu Rdn. 210, 215). Selbst wenn man aber dem Ansatz des OLG Celle folgen wollte, wäre ein „Rechnenmüssen" bei einer Unterschreitung des Grenzwerts um nur 0,08 %o anzunehmen gewesen. Anders aufgrund des „penetranten Baldriangeschmacks" für Baldriantinktur O L G Celle, BA 18 (1981) 176, 177. Zur unbewußten Aufnahme von Melissengeist Rdn. 214. Z.B. Mittrinken von den Getränken anderer (BayObLG aaO), Spendieren und Spendiertbekommen (Eisenmenger Saiger-Festschrift S. 619, 627), unübersichtlicher Trinkverlauf bei Volksfestbesuchen (OLG Celle VRS 61 35). Näher Rdn. 197. Zu mit Weinbrand gestreckter Ananasbowle, OLG Hamburg DAR 1957 54 f; VRS 54 438, 441; OLG Hamm BA 3 (1965/1966) 243 f; DAR 1970 192; KG VerkMitt. 1955 Nr. 88 S. 47 f;

Stand: 1. 7. 2000

(388)

Trunkenheit im Verkehr

§316

punkt eingenommen worden ist,609 können im Hinblick auf die seither ergangene, gefestigte Judikatur als überholt gelten. Denkbar ist allerdings, daß in extremen Ausnahmefallen eine andere Beurteilung geboten ist. Diskutabel erscheint dies, wenn zwischen Trinkende und Fahrtantritt ein sehr langer Zeitraum liegt.610 Nimmt man andererseits in den Blick, welch gewaltige Mengen ein Fahrzeugführer aufgenommen haben muß, um ζ. B. 24 Stunden nach Trinkende noch eine relevante Blutalkoholkonzentration aufzuweisen, so dürfte die Annahme von Fahrlässigkeit auch bei einer derart langen Karenzzeit nicht unvertretbar sein. dd) Alkohol und Krankheit. Krankheit zählt zu den inneren Bedingungen, die im 2 2 2 Zusammenwirken mit Alkohol Fahrunsicherheit bewirken können (s. auch Rdn. 129). Wenn ein Mensch krank ist, wird Alkohol schlechter vertragen; die Giftwirkung des Alkohols tritt zudem nach geringeren Alkoholmengen ein, als es sonst der Fall wäre (OLG Köln BA 9 [1972] 139, 140).611 Wer trotz seiner Krankheit Alkohol konsumiert und anschließend ein Fahrzeug führen will, hat diese allgemein bekannte Tatsache in Rechnung zu stellen; er kann sich also nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe die Leistungsstörungen nicht voraussehen und vermeiden können.612 Das gleiche würde etwa für den Einwand des an Diabetes mellitus leidenden Angeklagten gelten, er habe die krankheitsbedingte Alkoholabbauverzögerung nicht in sein Vorstellungsbild aufgenommen (vgl. OLG Düsseldorf VRS 60 219, 220 [zu § 24 a StVG]; s. auch Rdn. 42). Die subjektive Beeinträchtigung durch Alkohol, d.h. die deutliche Empfindung der spezifischen Alkoholwirkung, wird durch Krankheiten wie Angina oder Grippe nicht vermindert, sondern verstärkt (OLG Hamm NJW 1975 660 [unter Bezugnahme auf ein Gutachten von Elbel]). Allerdings muß der grippekranke Fahrzeugführer nicht ohne weiteres mit einer plötzlich eintretenden Bewußtseinsstörung rechnen (BayObLG NJW 1968 1200, 1201).613 ee) Alkohol und Medikamente. Es existiert eine Vielzahl von Arzneimitteln, die im 2 2 3 Zusammenwirken mit Alkohol die Fahrunsicherheit bewirken können (Rdn. 132 ff).614 Nach mittlerweile ganz h. M. hat sich der Fahrzeugführer, der zusätzlich zum Alkohol Medikamente einnimmt, über etwaige Wechselwirkungen im Beipackzettel zu informieren (dazu Rdn. 208); versäumt er diese Pflicht oder setzt er sich über die dort befindlichen Warnhinweise hinweg und tritt er im Zustand der Fahrunsicherheit die Fahrt an, so handelt er grundsätzlich fahrlässig.615 Ergänzend wird auf das unter § 315 c Rdn. 66 f Gesagte verwiesen.

609

610

611

VRS 33 265 f; OLG Koblenz VRS 45 450, 452; OLG Saarbrücken DAR 1963 21, 22; OLG Stuttgart VerkMitt. 1955 Nr. 116 S. 67; OLG Oldenburg DAR 1954 115, 116; O L G Zweibrücken VRS 66 136, 137. S. auch OLG Düsseldorf VRS 78 461, 462 und VRS 96 228, 229 [jeweils keine mildere Beurteilung in Bezug auf ein Fahrverbot bei Restalkohol]. Z.B. LG Frankfurt DAR 1953 140 [BÄK 2,18 %o, ca. fünf Stunden Karenzzeit]; abw. auch O L G Saarbrücken NJW 1963 1685, 1686f (hierzu Rdn. 216). OLG Frankfurt NJW 1953 1885 [BÄK 2,15%o; 24 Stunden Karenzzeit nach dem Genuß von zwei bis drei Litern Pfirsichbowle; ein Viertel Liter Wein vor der Fahrt aufgenommen], Im Anschluß an Osterhaus BA 2 (1963/1964) 399, 405.

(389)

6,2

613 614 615

O L G Düsseldorf VRS 60 219, 220; OLG Köln BA 9 (1972) 139, 140; Hentschel Trunkenheit Rdn. 385. Zu O L G Hamm DAR 1973 23 s. Rdn. 215. Zu Medikamenten mit Alkoholgehalt Rdn. 219. OLG Braunschweig DAR 1964 170; O L G Celle N J W 1963 2385, 2386; O L G Frankfurt VerkMitt. 1976 Nr. 19 S. 14 [zu § 330a a.F.]; O L G Hamburg JZ 1982 160, 161; O L G Hamm N J W 1974 614, 615 [zur actio libera in causa]; O L G Köln DAR 1967 195 [zu § 330a a.F.]; BA 9 (1972) 139, 140. Horn SK Rdn. 9; Tröndlel Fischer Rdn. 9 c; Jaguschi Hentschel Rdn. 25; Hentschel Trunkenheit Rdn. 247, 388. Differenzierend nach dem Bildungsgrad O L G Frankfurt DAR 1970 162, 163; Rüth LK'° § 316 Rdn. 104. Anders für im Krankenhaus abgegebene Medikamente O L G Stuttgart N J W 1966 410, 411. S.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

224

ff) Ernüchterungsmittel/-methoden. Es gibt bislang keine Mittel, mit denen die leistungsbeeinträchtigenden Wirkungen des Alkohols zuverlässig beseitigt oder spürbar vermindert werden können (Rdn. 42). Das ist allgemein bekannt. Die Berufung eines Angeklagten darauf, er sei aufgrund der Einnahme eines sog. „Promille-Killers" fest davon ausgegangen, daß die Alkoholwirkung nicht eintrete oder daß der Alkohol schneller abgebaut worden sei, muß daher fehlschlagen (Schlichting BA 7 [1970] 354, 357).616 Das gleiche gilt naturgemäß für „zur Ernüchterung" eingenommenen Kaffee. Die Durchführung eines zweistündigen „Ausnüchterungsspaziergangs" (BGH VRS 80 279, 280) oder einige Stunden Schlaf 617 entlasten den Beschuldigten ebensowenig.

225

b) Illegale Drogen/andere Rauschmittel. Auch der Täter, der unter dem Einfluß von illegalen Drogen im Zustand objektiv gegebener Fahrunsicherheit ein Fahrzeug führt, handelt grundsätzlich fahrlässig. Zu berücksichtigen ist insoweit ergänzend die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen (Rdn. 146), bei denen bereits geringe Dosen atypische Rauschverläufe bewirken können. Dies muß der Fahrzeugführer in Rechnung stellen. Für Medikamente mit Rauschmittelcharakter gilt das in Rdn. 219, 223 und § 315 c Rdn. 67 Ausgeführte sinngemäß. Es kann angenommen werden, daß die einschlägigen Medikamente mit entsprechenden Warnhinweisen versehen sind. Diese besagen meist, daß die Fahrsicherheit auch bei bestimmungsgemäßer Verwendung beeinträchtigt werden kann (s. auch Rdn. 208). Arztliche Verordnung und ordnungsgemäße Verwendung lassen die Fahrlässigkeit nicht entfallen, weil der Fahrzeugführer die Warnungen nicht außer acht lassen oder sich darüber hinwegsetzen darf. Anders ist es zu beurteilen, wenn ζ. B. der mit Levomethadon substituierte Drogenabhängige oder der mit morphinhaltigen Arzneimitteln behandelte Schmerzpatient (zu beidem Rdn. 166) durch den Therapeuten dahin unterrichtet wird, daß das Führen eines Fahrzeugs verantwortet werden könne; tritt Fahrunsicherheit ein, obwohl der Betreffende sich an die Anweisungen hält, ist der Fahrlässigkeitsvorwurf wohl nicht begründet. Die in Rdn. 221 für den Alkohol angesprochene Problematik der Wirkungsdauer der Droge stellt sich sowohl bei illegalen Drogen als auch bei „berauschenden" Medikamenten ähnlich bzw. in verstärktem Maße. Wirkstoffe aus beiden Kategorien ziehen nicht selten noch sehr lange Zeit nach dem Konsum gravierende Leistungsbeeinträchtigungen nach sich (Rdn. 157, 175). Auch daraufhin hat sich der Betreffende bei Fahrtantritt zu überprüfen.

226

c) Sorgfaltsmaßstab bei Ausländern. Der strenge Sorgfaltsmaßstab gilt nach OLG Hamm DAR 1963 255 f für einen der deutschen Sprache nicht mächtigen und erst kurz in Deutschland aufhältlichen Ausländer entsprechend, in dessen Land die Kenntnisse über die fahrsicherheitsrelevanten Wirkungen des Alkohols nicht so allgemein verbreitet sind wie in Deutschland. Der Betreffende habe sich über die im Inland geltenden Regularien zunächst gewissenhaft zu informieren; bei deren Unkenntnis dürfe er überhaupt kein Fahrzeug führen.

227

3. Verfahrensrechtliche Aspekte. Trotz des für Vorsatz und Fahrlässigkeit geltenden einheitlichen Strafrahmens muß die Schuldform - Verurteilung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger „Trunkenheit im Verkehr" - im Urteilstenor angegeben werden (BGH VRS 65 359, 361; bei Tolksdorf OAR 1996 175). Ist dies unterblieben und läßt auch Schulz/Hein in: Medikamente im Straßenverkehr S. 189, 195, wonach die Vorwerfbarkeit bei Einnahme Antidiabetika und Alkohol schwer feststellbar ist.

616 617

Zum Gewürzsaft „Sangrita". Zur Problematik des Restalkohols Rdn. 221.

Stand: 1. 7. 2000

(390)

Trunkenheit im Verkehr

§316

sich die Verurteilung wegen eines Vergehens nach § 316 Abs. 1 oder 2 auch nicht aus der exakten Bezeichnung in der Vorschriftenliste entnehmen (§ 260 Abs. 5 StPO), so kann eine Berufung nicht wirksam auf die Straffrage beschränkt werden (OLG Koblenz VRS 53 337, 338). Will das Gericht den wegen fahrlässiger Tat Angeklagten wegen einer Vorsatztat verurteilen, so hat es ihn vorher nach § 265 Abs. 1 StPO zu belehren (BGH VRS 49 184, 185 [zu § 315 c]). VIII. Vollendung, Versuch. Die Tat ist mit dem Anfang der Ausführungshandlung 2 2 8 (Beginn der Fortbewegung; § 315 c Rdn. 11) zugleich auch vollendet. Es handelt es sich um eine Dauerstraftat die erst beendet ist, wenn der Täter mit dem Weiterfahren endgültig aufhört 6 1 8 oder wenn die leistungsbeeinträchtigenden Wirkungen des Rauschmittels so weit abgeklungen sind, daß keine Fahrunsicherheit mehr besteht (vgl. BayObLGSt. 1980 130Der Versuch der „Trunkenheitsfahrt" ist nicht pönalisiert. Der Gesetzgeber ist damit - ohne nähere Begründung (BTDrucks. IV/2161 S. 5) - den der Vorschrift des §316 zugrunde liegenden Entwürfen 619 nicht gefolgt. Diese hatten sämtlich die Einführung der Versuchsstrafbarkeit vorgeschlagen. Dafür bestehe „ein unabweisbares kriminalpolitisches Bedürfnis, damit die Strafverfolgungsbehörden schon eingreifen können, wenn der Täter nach Alkoholgenuß unmittelbar zum Abfahren" ansetze (BTDrucks. III/2368 S. 23). Ergänzend ist auf den Gleichklang mit § 315 a a. F. und mit der neu einzuführenden Vorschrift der Gefahrdung des Straßenverkehrs verwiesen worden, wo der Versuch des Fahrzeugführens im Zustand der Fahrunsicherheit ebenfalls mit Strafe bedroht sei. Beide Erwägungen haben im Grundsatz nach wie vor Gültigkeit. Für die erste gilt dies sogar in verstärktem Maße, weil seit BGHSt. 35 390 Vorgänge des Ansetzens zum Abfahren nicht mehr strafrechtlich geahndet werden, die die frühere Rechtsprechung bereits dem Fahrzeugführen zugeordnet hatte (näher § 315 c Rdn. 11 f). Darüber hinaus ist in Bezug auf § 315 c Abs. 2 insofern eine Schieflage zu konstatieren, als die dort angeordnete Versuchsstrafbarkeit als „totes Recht" bezeichnet werden kann, weil im Zeitpunkt des Ansetzens zum Fahren spätestens der Gefahrdungsvorsatz kaum je nachweisbar sein wird (§ 315c Rdn. 197). Nicht verkannt werden darf allerdings, daß der Versuch des § 316 im Hinblick auf die restriktive Handhabung der h. M. zur Annahme des Vorsatzes (Rdn. 181 ff) gleichfalls nur sehr selten zur Anwendung käme. Vielleicht liegt es auch daran, daß der Gesetzgeber den Gedanken der Versuchsstrafbarkeit bislang nicht aufgegriffen hat. IX. Rechtswidrigkeit. Die Trunkenheitsfahrt wird nicht durch Notwehr bzw. Not- 2 2 9 hilfe gerechtfertigt. Ζ. B. der fahrunsichere Täter, der einen anderen verfolgt, um die Entführung einer Frau zu verhindern, beeinträchtigt das Universalrechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs, womit § 32 nach allgemeinen Regeln ausscheidet (vgl. OLG Celle NJW 1969 1775; Spendet LK § 32 Rdn. 208). In diesem (Extrem-)Fall kommt aber eine Rechtfertigung nach § 34 in Betracht. § 34 wird ansonsten nur selten erfüllt sein. Die Vorschrift ist namentlich in dem praktisch relevanten Fall nicht anwendbar, in dem der fahrunsichere Täter einem Kranken zu Hilfe eilen oder eine verunglückte/kranke Person ins nächstgelegene Krankenhaus verbringen will. Denn in aller Regel gibt es andere Möglichkeiten, mit denen dieses Ziel besser als durch die gefahrliche Trunkenheitsfahrt und (fast) ebenso schnell erreicht werden kann (Kran618

BGH VRS 48 354, 355; 49 177; 185; VRS 65 131; BayObLGSt. 1980 13.

(391)

619

§ 346 Abs. 2 Ε 1960; § 345 Abs. 2 Ε 1962; § 316 Abs. 2 i.d.F. des E-2. StraßenVSichG aus der 3. Wahlperiode des BT (BTDrucks. III/2368).

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

kenwagen, andere fahrsichere und -bereite Personen, Taxi etc.). Die Trunkenheitsfahrt ist dann weder ein geeignetes noch das relativ mildeste Mittel, mithin nicht erforderlich.620 Anders kann es zu bewerten sein, wenn der Täter der einzige ist, der ein Notfallfahrzeug bei einem dringlichen Einsatz zum Unfallort zu steuern vermag (OLG Celle V R S 6 3 449, 450 ff).621 230

X. Schuldfähigkeit. Die Schuldfrage wird in erster Linie dann relevant, wenn der Täter aufgrund des Rauschmittelkonsums (nicht ausschließbar) in einen Defektzustand nach § 20 verfallt. Dies ist bei der „Trunkenheit im Verkehr" naturgemäß nicht ganz selten der Fall. Aufgrund dessen hat das Rechtsinstitut der actio libera in causa in der Vergangenheit eine gewichtige Rolle gespielt (s. Rüth LK 10 § 316 Rdn. 106 ff; HentschellBorn Rdn. 222 ff, beide mit zahlreichen Nw.). Seit der Grundsatzentscheidung des 4. Strafsenats des BGH vom 22. Oktober 1996 (BGHSt. 42 235) existiert die actio libera in causa aber im Rahmen des § 316 in der Praxis nicht mehr (näher § 315 c Rdn. 68). Der Wegfall des Rechtsinstituts hat nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten geführt. Die einschlägigen Fälle werden durch den Auffangtatbestand des § 323 a erfaßt. Die mit der actio libera in causa zusammenhängenden Aspekte gehören in den Kontext des Allgemeinen Teils (eingehend Jähnke LK § 20 Rdn. Rdn. 76 ff). Im Hinblick darauf soll eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Dimensionen der Thematik an dieser Stelle unterbleiben.

XI. Täterschaft, Teilnahme 231

1. Täterschaft. § 316 ist nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Lehre ein eigenhändiges Delikt. Täter kann mithin nur sein, wer zumindest Teilfunktionen, die für die Fortbewegung des Fahrzeugs essentiell sind, mit eigener Hand verrichtet (Rdn. 9). Demgegenüber sind uneigenhändige Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft ausgeschlossen. Im Schulbeispiel des dolosen Mitzechers, der den anderen heimlich betrunken macht, um ihn danach zu einer Trunkenheitsfahrt zu veranlassen, kann daher der Hintermann nicht als Täter bestraft werden. Im Hinblick darauf, daß bereits die Beimischung (zusätzlichen) Alkohols schwer nachweisbar ist und daß außerdem der Vorsatz des „Hintermanns" bezüglich der Fahrunsicherheit des anderen festgestellt werden muß, dürfte der Konstellation freilich in erster Linie akademische Bedeutung beizumessen sein. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter § 315 c Rdn. 201 ff verwiesen.

232

2. Teilnahme. Anstiftung und Beihilfe setzen außer dem Teilnehmervorsatz eine vorsätzlich begangene Haupttat voraus (§§ 26, 27). Dies bringt es mit sich, daß der Teilnahme an einer Straftat nach § 316 eine sehr geringe praktische Bedeutung zukommt.622 Für die Anstiftung müßte man den Fall konstruieren, daß der die Fahrunsicherheit des Täters erkennende oder zumindest für möglich haltende und

621

OLG Koblenz M D R 1972 885; N J W 1988 2316, 2317 m. krit. Anm. Müsch JuS 1989 964; Hirsch LK § 34 Rdn. 51, 52; s. auch Sehl Schröder I Cramer Rdn. 29. Im konkreten Fall handelte es sich um einen Feuerwehrmann, der nach erheblichem Alkoholkonsum alarmiert worden war und als einziger über die Fahrerlaubnis für den Tank-

622

löschzug verfügte. Das O L G Celle sieht auch die Fahrt des Angeklagten mit seinem Privatwagen zum Gerätehaus als gerechtfertigt an. Zur Forderung nach Strafbarkeit der Teilnahme an fahrlässiger Haupttat für das schweizerische Recht Rehberg Schultz-Festschrift S. 72, 84 ff und für das deutsche Strafrecht vor der Strafrechtsreform Rudolphi GA 1970 353, 360 ff.

Stand: 1. 7. 2000

(392)

Trunkenheit im Verkehr

δ

3 1 6

sich damit abfindende Anstifter den seine Fahrunsicherheit für möglich haltenden und sich damit abfindenden Täter überredet, gleichwohl die Fahrt anzutreten. Das wird zumindest nicht nachweisbar sein.623 Näher liegt die Annahme, daß der „Anstifter" die Bedenken des Täters zerstreut hat, womit beim Lenker lediglich Fahrlässigkeit gegeben wäre. Beihilfe kann z.B. darin liegen, daß der andere dem Täter ein Fahrzeug zur Verfügung stellt (OLG Koblenz VRS 74 35, 36) oder daß der Gastwirt oder private Gastgeber dem Fahrzeugführer weiterhin Alkohol ausschenkt. Allerdings wird auch dies in der Regel nicht praktisch, weil die Vorsatztat in der Verfahrenswirklichkeit sehr selten angenommen wird (Rdn. 181 ff). Das gleiche gilt für die (grundsätzlich mögliche) Beihilfe durch Unterlassen. Dementsprechend hatte sich eine vornehmlich ältere Rechtsprechung nicht mit einer Teilnahme an der „Trunkenheitsfahrt", sondern mit der Haftung des Gastwirts, privaten Gastgebers oder Mitzechers nach §§ 222, 229 zu befassen, wobei insoweit der Bereich sozial adäquaten Verhaltens der genannten Personen erst dann überschritten ist, wenn der potentielle Fahrzeugführer erkennbar nicht mehr eigenverantwortlich handeln kann. 624 Ist nur fahrlässige „Trunkenheitsfahrt" gegeben bzw. nachweisbar, so kann der „Gehilfe" aber u. U. als Beteiligter (§ 14 OWiG) an der subsidiären Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG anzusehen sein. Dies setzt voraus, daß - was trotz Fahrlässigkeit hinsichtlich der Tat nach § 316 grundsätzlich auch beim Täter möglich ist (Rdn. 187) - in Bezug auf § 24 a StVG bei beiden Beteiligten Vorsatz gegeben ist (OLG Köln VRS 63 283; Göhler OWiG § 14 Rdn. 20; Rengier K K OWiG § 14 Rdn. 32). XII. Sanktionen. Das Verkehrsstrafrecht zählt zu einem der wenigen Gebiete der 2 3 3 Massenkriminalität, in dem - bei allen regionalen Divergenzen im Detail - eine annähernd gleichmäßige Sanktionspraxis besteht. Dies hat auch damit zu tun, daß über Art und Weise einer effektiven Verfolgung und Ahndung von Straftaten im Straßenverkehr und dabei vor allem von Straßenverkehrsdelikten „in Trunkenheit" im politischen Raum weithin Einigkeit besteht, während in anderen Bereichen (insbesondere Ladendiebstahl, Drogenkriminalität) vielfach durch politische Vorgaben auf eine großzügige Diversionspraxis der Staatsanwaltschaften hingewirkt wird. Im Unterschied zu den beiden letztgenannten Kriminalitätssparten und auch zu anderen Delikten, die im Straßenverkehr begangen werden, existiert die staatsanwaltschaftliche Einstellung wegen Geringfügigkeit bei Trunkenheitsdelikten bundesweit praktisch nicht (vgl. Schöch NStZ 1991 11, 13 ΟΙ. Sanktionspraxis der Gerichte. Hinsichtlich der Strafpraxis der Gerichte ist 2 3 4 gegenüber den sechziger Jahren eine fast radikal zu nennende Veränderung eingetreten. Während vormals die kurze Freiheitsstrafe weit im Vordergrund gestanden hat 0Schöch NStZ 1991 11, 130, dominiert seit dem 1. StrRG aus dem Jahre 1969 - wie in anderen Bereichen auch - die Geldstrafe, auf die fast 90% aller rechtskräftigen Verurteilungen entfallen. Hinsichtlich der Zahl der Tagessätze verteilt sich jeweils rund die Hälfte auf die Gruppe bis zu 30 Tagessätzen und die Gruppe zwischen 31 und 90 Tagessätzen; 625 lediglich etwas über zwei Prozent der verhängten Freiheitsstrafen wer623

624

Anstiftung ist - wahlweise zur Täterschaft angenommen worden von OLG Düsseldorf BA 13 (1976) 291. Die näheren Umstände zur subjektiven Tatseite werden jedoch nicht mitgeteilt. Insbesondere BGHSt. 19 152 unter Einschränkung von BGHSt. 4 20; BGHSt. 26 35; KG VRS 11 357, 359 f; OLG Saarbrücken NJW-RR

(393)

625

1995 986, 987. S. auch TröndlelFischer Rdn. 10; Rengier KK OWiG § 14 Rdn. 63; Geilen JZ 1965 469. Bei Taten nach § 316 mit Unfall liegt das Übergewicht in der Gruppe von 31 bis 90 Tagessätzen, bei Taten ohne Unfall in der von 5 bis 30 Tagessätzen (Jahre 1987 bis 1991).

Peter König

§ 316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

den nicht zur Bewährung ausgesetzt (Gotting Gesetzliche Strafrahmen [1997] S. 104 f).626 Die Abmilderung hat sich nicht nachteilig auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt (Rdn. I).627 235

2. Strafzumessung. Zu der verhältnismäßig wenig auseinanderlaufenden Strafzumessungspraxis der Gerichte haben die Empfehlungen mehrerer Verkehrsgerichtstage beigetragen (vgl. Tröndle!Fischer Rdn. 11). Sie sind nicht Ausdruck problematischen „Taxenstrafrechts";628 sondern entspringen dem legitimen Bestreben, die Trunkenheitsfahrt, die sehr viel mehr als andere Straftaten durch im wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte geprägt ist, auch möglichst gleichmäßig zu ahnden (Janiszewski Verkehrsstrafrecht Rdn. 397).629

236

a) Strafzumessungsfaktoren. Für die Strafzumessung gelten die allgemeinen Grundsätze. Sie sind in der Kommentierung zu den einschlägigen Vorschriften (insbesondere §§ 21, 46, 47 und 56) eingehend erläutert. Im Hinblick darauf sollen hier nur einige Aspekte hervorgehoben werden. Generell gilt, daß sich der Tatrichter nicht damit begnügen darf, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der Schuldform lediglich anzugeben, daß der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ein Fahrzeug geführt hat; vielmehr muß er die für und gegen den Täter sprechenden Umstände im einzelnen würdigen (BayObLG VRS 93 108, 109; OLG Köln VRS 98 140, 143).

237

aa) Schuldform. Trotz des einheitlichen Strafrahmens (Rdn. 181) kann bei vorsätzlicher Tat eine höhere Strafe gerechtfertigt sein als bei fahrlässiger.630 Das Maß der Schuld und damit die Höhe der Strafe wird auch dadurch beeinflußt, ob der Täter bewußt oder unbewußt fahrlässig gehandelt hat (BayObLG VRS 93 108, 109).

238

bb) Umstände des Alkoholkonsums. Die Gründe des Alkoholkonsums, z.B. ob dieser mit auf einen beruflichen Anlaß zurückzuführen (OLG Stuttgart VRS 80 212, 213) oder ob der Täter durch Dritte zum Alkoholkonsum gedrängt worden ist, müssen genauso gewürdigt werden wie die Frage, ob er sich in ausgeglichener Gemütslage oder einer psychischen Ausnahmesituation befunden hat (BayObLG VRS 93 108, 109). Das Trinken in Fahrbereitschaft wirkt sich in der Regel zum Nachteil des Täters aus, und zwar namentlich bei „reinen Vergnügungsfahrten" oder bei Zechtouren (BayObLG aaO; OLG Koblenz BA 17 [1980] 228, 229).

239

cc) Hoher Grad der Fahrunsicherheit. Der Grad der Fahrunsicherheit kann im Rahmen der Strafzumessung grundsätzlich einmal unter dem Aspekt eines besonders hohen Maßes der Pflichtwidrigkeit (Fahrtantritt trotz erheblichen Alkoholkonsums)631 und zum anderen aufgrund der gesteigerten abstrakten Gefährlichkeit der Tat (nachfolgende Rdn.) relevant werden.632 Jedoch ist hinsichtlich beider GesichtsBei der Arbeit Gottings handelt sich um eine empirische Untersuchung anhand der Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 1987 bis 1991. Zu Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz grundlegend die gleichnamige Arbeit Schöchs (1973). Zum „Taxenstrafrecht" eingehend Schöch Strafzumessungspraxis und Verkehrsdelinquenz S. 66 ff. S. auch Gribbohm LK § 46 Rdn. 44; Rüth LK 10 Rdn. 131; Hentschel Trunkenheit Rdn. 467 ff; Dünnebier JR 1970 241; Hassemer MschrKrim. 1986 21; Kaiser BA 9 (1972) 141; Kruse

630

631 632

BA 8 (1971) 15; Middendorf BA 8 (1971) 26; Seib BA 8 (1971) 18; Tröndle BA 8 (1971) 73 sowie die „Berliner Empfehlungen" BA 6 (1969) 456. Unberechtigte Kritik bei Jagusch NJW 1970 401; 1865. OLG Saarbrücken NJW 1974 1391, 1392; OLG Schleswig BA 18 (1981) 370, 371; Gribbohm LK § 46 Rdn. 87; Freund GA 1999 509, 520. Wenig überzeugende Ausführungen hierzu bei Tolksdorf 33. VGT 1995 S. 79, 87. AA womöglich OLG Karlsruhe NZV 1990 277 f. BayObLG NZV 1992 453; OLG Karlsruhe NZV 1990 277 f; Gribbohm LK § 46 Rdn. 115.

Stand: 1.7. 2000

(394)

Trunkenheit im Verkehr

§316

punkte Vorsicht geboten. In Bezug auf die Pflichtwidrigkeit müssen die enthemmenden Wirkungen gerade hoher Blutalkoholkonzentrationen (Rdn. 191 ff) bedacht werden (Brandenburg. OLG NStZ 1995 52, 53), und die Gefährlichkeit der Tat muß, um eine höhere Strafe zu rechtfertigen, nach den konkreten Umständen über der liegen, die der Tat bereits nach dem typischen Tatbild des § 316 innewohnt; andernfalls ist ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 gegeben (BayObLG NZV 1992 453 f)·633 Eine vergleichsweise niedrige Blutalkoholkonzentration wirkt sich in der Regel zugunsten des Täters aus (OLG Stuttgart VRS 80 212, 213). Der Umstand, daß sich der Fahrzeugführer bei Fahrtantritt in der Resorptionsphase befunden hat, darf prinzipiell nicht für eine Strafschärfung herangezogen werden (BayObLG VRS 28 31 f). dd) Gefährlichkeit der Tat. Von erheblicher Bedeutung für die Schuldschwere ist 2 4 0 das Ausmaß der durch die Tat ausgelösten abstrakten Gefahr. Es darf daher nicht unberücksichtigt bleiben, ob der Angeklagte nur wenige Meter gefahren ist oder eine viele Kilometer lange Fahrtstrecke zurückgelegt hat. 634 Daß der Täter wenig befahrene Straßen („Schleichwege") benutzt hat, um einer polizeilichen Kontrolle zu entgehen, führt aber nicht zur Strafmilderung (LG Verden DAR 1976 1370· Die generell mit der Trunkenheitsfahrt verbundene Gefahr an sich darf - da bereits Strafgrund des § 316 - nicht strafschärfend verwertet werden (vorstehende Rdn.). Das Maß der Gefahr kann nach der Art des benützten Fahrzeugs in einem günstigeren Licht zu sehen sein, etwa beim Führen eines Fahrrads oder Mofas (vgl. OLG Hamm NJW 1968 998, 999 f; Hentschel Trunkenheit Rdn. 474), aber auch beim Führen eines Paddelboots. Umgekehrt liegt es ζ. B. beim Steuern eines Lkw, Omnibusses, Schnellzugs, Passagierschiffs oder Flugzeugs in „Trunkenheit". ee) Stellung des Angeklagten. Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung 2 4 1 darf eine herausgehobene soziale und berufliche Stellung des Angeklagten hinsichtlich einer dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Straftat nur dann zu dessen Nachteil berücksichtigt werden, wenn zwischen ihr und der Tat ein innerer Zusammenhang besteht; ein Zusammenhang besteht, sofern die Verletzung der mit der Stellung verbundenen Pflichten der Tatausführung förderlich ist (Gribbohm LK § 46 Rdn. 103). Dies wird bei Straftaten nach § 316 nur selten der Fall sein. Die Rechtsprechung neigt im übrigen generell dazu, den inneren Zusammenhang im Zweifel zu verneinen (Gribbohm LK § 46 Rdn. 177). Eine ältere Rechtsprechung, die Strafschärfungen teilweise mit der beruflichen Stellung und einer damit verbundenen Vorbildfunktion bzw. dem Wissen um die Bedürfnisse des Straßenverkehrs 635 oder mit der überlegenen Kenntnis über die Wirkungsweise des Alkohols (OLG Frankfurt NJW 1972 1524 [Arzt])636 begründet hatte, dürfte deswegen als überholt gelten können (Gribbohm LK § 46 Rdn. 106 ff)·637 Strafschärfend kann es hingegen wirken, wenn die Tat (des Polizei633

634

635

Erhöhte Pflichtwidrigkeit noch nicht bei Anflutung auf eine BÄK von 1,39%O. BayObLG NZV 1992 453, 454; VRS 93 108, 109; OLG Karlsruhe VRS 81 19, 22; NZV 1990 277, 278; vgl. auch OLG Düsseldorf VRS 74 259, 260 f; OLG Stuttgart NJW 1987 142 [jeweils zu § 69]. Z.B. BGH VRS 15 412, 413 [Verkehrsstaatsanwalt; hierzu auch Rdn. 244]; OLG Braunschweig NJW 196« 1073 [Kriminalbeamte]; OLG Hamm BA 14 (1977) 428 [Angehörige der Wasserschutzpolizei]; NJW 1956 1849; 1957 1449 [Verkehrsrichter, Verkehrspolizisten, Fahr-

(395)

636

637

lehrer]; OLG Oldenburg NJW 1964 1333, 1334 [Taxifahrer]. M. abl. Anm. Hanack NJW 1972 2228. S. auch BGH v. 6. Februar 1993 - 5 StR 3/93 und v. 20. Januar 1999 - 5 StR 609/98 [keine Strafschärfung wegen der Stellung als Arzt bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln], Dahingestellt geblieben in OLG Hamm VRS 68 441, 443 f [bei Müllwagenfahrer aber keinesfalls]. S. auch BGH VRS 24 47, 50 [Bundeswehrangehöriger]; BGH NJW 2000 154 [Landtagsabgeordneter]; NStZ 2000 366 [„flugbegleitende Sicherheitskraft"]; BayObLG bei Rüth DAR

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

beamten, Bus- oder Taxifahrers) in Ausübung des Berufs begangen wird (vgl. Hentschel Trunkenheit Rdn. 475). Hat der Täter Fahrgäste zu befördern, so ist zugleich eine abstrakt erhöhte Gefahr gegeben (vorstehende Rdn.). 242

ff) Vorstrafen, Vortaten. Der bedeutendste Strafzumessungsfaktor ist - wie auch bei Straftaten außerhalb des Verkehrsstrafrechts - eine etwaige einschlägige Vorbelastung des Angeklagten, während es sich zugunsten des Angeklagten auswirkt, wenn er bislang unbeanstandet gefahren ist. Für Straftaten nach § 316 gelten keine Besonderheiten. Die Details sind bei Gribbohm LK § 46 Rdn. 158 ff erläutert.

243

gg) Erheblich verminderte Schuldfähigkeit. Nach früherer höchstrichterlicher Rechtsprechung war dem Schwellenwert von 2,0 %o (2,2 %o) eine „praktisch unwiderlegbare Indizfunktion für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21" zugekommen (.Jähnke LK § 20 Rdn. 45; BGHSt. 37 231, 235). Diese Rechtsprechung hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 29. April 1997 (BGHSt. 43 66) aufgegeben; nach seiner Auffassung kommt es aufgrund der bei jedem Menschen unterschiedlichen Wirkungsweise des Alkohols (aaO S. 72) auf die Gegebenheiten des Einzelfalls an (aaO S. 76). Allerdings sind Blutalkoholkonzentrationen von über 2%o weiterhin als gewichtiges Beweisanzeichen für das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfahigkeit zu werten, weswegen sich der Richter bei deren Vorliegen mit § 21 stets auseinanderzusetzen hat, nach BGH BA 37 ( 2 0 0 0 ) 2 5 6 (m. Anm. Scheffler) auch eine BÄK von knapp unter 2 , 0 % o . 638

Sind die Voraussetzung des § 21 gegeben, so hat der Tatrichter im Wege der Gesamtwürdigung (Jähnke LK § 21 Rdn. 20), die im Urteil mitzuteilen ist, zu entscheiden, ob er von der fakultativen Strafmilderung (§§ 21, 49 Abs. I)639 Gebrauch macht. Der Strafrahmenmilderung können schulderhöhende Gründe entgegenstehen. Einer davon ist die selbstverschuldete Alkoholaufnahme bzw. Drogenaufnahme. Dafür muß allerdings die Neigung des Täters festgestellt sein, nach dem Konsum von Alkohol oder anderen Drogen annähernd vergleichbare Straftaten zu begehen, sowie der Umstand, daß sich der Täter dieser Neigung bewußt ist oder doch hätte bewußt sein können (im einzelnen Jähnke LK § 21 Rdn. 22). Bei einschlägigen Vorverurteilungen wird dies in der Regel anzunehmen sein (vgl. OLG Düsseldorf VRS 75 43, 45). Die Strafrahmenmilderung kann bei Trinken in Fahrbereitschaft versagt werden (BGH VRS 69 436, 437; JaguschiHentschel Rdn. 41 m. w.N.). Ein allgemeiner Grundsatz, daß sie bei Straftaten nach § 316 stets oder jedenfalls in der Regel nicht in Betracht kommt, ist in der herrschenden Rechtsprechung nicht anerkannt (OLG Karlsruhe NZV 1990 277; OLG Stuttgart VRS 65 354; abw. OLG Hamm BA 17 [1980] 294, 295). hh) Nachtatverhalten. Die sog. qualifizierte Spurenbeseitigung kann sich nach all2 4 4 gemeinen Regeln zum Nachteil des Angeklagten auswirken; dies setzt allerdings voraus, daß der Täter dem tatbestandsmäßigen Unrecht ein in derselben Richtung liegendes zusätzliches Unrecht hinzufügt, das vom Richter als Ausdruck eines sich nicht in

638

639

1981 243; OLG Köln VRS 33 31, 32 [jeweils Rechtsanwalt]); OLG Hamm DAR 1958 192, 193 [Abgeordnete]. AA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 32; Mühlham!Janiszewski Rdn. 35. Z.B. OLG Düsseldorf DAR 2000 281; OLG Hamm NZV 1998 510; VRS 97 351, 352; weitergehend OLG Naumburg DAR 1999 228 Die vom vormaligen Bundesminister der Justiz eingesetzte Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (hierzu § 315c

Rdn. 68 a. E.) hat sich entsprechend Vorschlägen Schnarrs für ein gesetzliches Verbot der Strafrahmenmilderung nach selbstverschuldeter Trunkenheit ausgesprochen. Dies steht in Übereinstimmung mit der Situation in zahlreichen anderen Staaten (vgl. im einzelnen das vorbereitende Referat Schnarrs·, zur Veröffentlichung in der Reihe „Reform des Sanktionenrechts" vorgesehen).

Stand: 1. 7. 2000

(396)

Trunkenheit im Verkehr

§316

der Tatbestandsverwirklichung erschöpfenden Verhaltens gewürdigt werden kann (Gribbohm LK § 46 Rdn. 191). Im Rahmen des § 316 ist ein solches Verhalten bei einem Arzt angenommen worden, der auf einen Gerichtsmediziner eingewirkt hatte, die entnommene Blutprobe zu vertauschen (OLG Frankfurt NJW 1972 1524, 1525). Im Hinblick darauf, daß durch derartiges Handeln gewichtiges neues Unrecht unter versuchter Verstrickung anderer geschaffen wird, erscheint dies vertretbar (Gribbohm LK § 46 Rdn. 191 f; aA Hentschel Trunkenheit Rdn. 478; Hanack NJW 1972 2228). Das gleiche gilt für den Versuch, andere Personen zu einer Falschaussage zu veranlassen (Gribbohm LK § 46 Rdn. 205), beispielsweise eines mit Verkehrssachen befaßten Staatsanwalts, der drei Personen, darunter einen Polizeibeamten, zu beeinflussen versucht hatte (BGH VRS 15 412, 413 f)· Demgegenüber ist der Nachtrank der sog. „einfachen Spurenbeseitigung" zuzurechnen, die eine Strafschärfung bezüglich des § 316640 grundsätzlich nicht rechtfertigt (Hentschel Trunkenheit Rdn. 478 f; aA OLG Oldenburg NJW 1968 1293, 1294). Zur Benutzung von Schleichwegen s. Rdn. 240. ii) Nachschulung. Zum Nachtatverhalten rechnet auch der Umstand, daß der 2 4 5 Angeklagte an einem Nachschulungskurs/Aufbauseminar (§ 2 b Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 8 Satz 4 StVG) bzw. einer therapeutischen Maßnahme teilgenommen hat oder zuverlässig erklärt, daran teilnehmen zu wollen. Relevant werden solche Umstände namentlich im Rahmen der Entziehung der Fahrerlaubnis (hierzu Geppert LK § 69 Rdn. 97 ff) sowie bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Dies schließt es allerdings nicht aus, sie bereits bei der Strafzumessung im engeren Sinn zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. Gribbohm LK § 46 Rdn. 217).641 jj) Generalprävention. Für die Berücksichtigung generalpräventiver Aspekte gelten 2 4 6 die allgemeinen Grundsätze. Zu den Straftaten, bei denen die Abschreckung in besonderem Maße beachtet werden muß, gehört § 316 nicht (hierzu und zum ganzen Gribbohm LK § 46 Rdn. 30 ff [38]; s. auch unten Rdn. 248 a. E.). kk) Wechselwirkung mit §§ 69, 44. Nach ganz h.M. sind die Wirkungen, die von der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69) ausgehen, auch im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen (hierzu eingehend und mit zahlreichen Nw. Geppert LK § 69 Rdn. 3, § 69 a Rdn. 55 ff). Die spezialpräventiven Wirkungen der Maßregel vermögen die Strafe von ihrer sichernden und bessernden Funktion in gewissem Umfang zu entlasten (BTDrucks. IV/651 S. 16). Zur Wechselwirkung zwischen Hauptstrafe und Fahrverbot vgl. Geppert LK § 44 Rdn. 28.

247

b) Kurze Freiheitsstrafe. Freiheitsstrafe unter sechs Monaten darf nach § 47 Abs. 1 2 4 8 nur verhängt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die die Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen. Besondere Umstände liegen bei der Trunkenheit im Verkehr nicht schon per se vor, so daß auch hier die Geldstrafe die Regelstrafe ist (im einzelnen Gribbohm LK § 47 Rdn. 10). Die Praxis verfährt danach (Rdn. 234). Die Verhängung kurzer Freiheitsstrafe bedarf stets besonderer Begründung (OLG Düsseldorf VRS 92 329, 331). 640

641

Anders bei § 142; s. BGHSt. 17 143, 144; Gribbohm LK § 46 Rdn. 191; Hentschel Trunkenheit Rdn. 479. OLG Hamm BA 18 (1981) 274, 275 f; AG Homburg BA 21 (1984) 187, 188 m. zust. Anm. Zabel

(397)

ebd. S. 189 f; AG Westerode VRS 72 369, 370 [psychologische Beratung]; Hentschel Trunkenheit Rdn. 480; Bode BA 21 (1984) 31, 32f; Zabel BA 18 (1981) 273, alle m.w.N.

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Bei einem Ersttäter kommt die Verhängung der Freiheitsstrafe kaum je in Betracht (s. aber OLG Frankfurt DAR 1972 48, 49). Das Schwergewicht der Fälle, in denen kurze Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf den Täter unerläßlich sind, liegt beim Wiederholungstäter. Unerläßlichkeit ist jedoch nicht schon zwingend bei der ersten Wiederholungstat gegeben (Gribbohm LK § 47 Rdn. 18). Auch bei mehrfachem Rückfall darf nicht schematisch verfahren werden, und kann eine hohe Geldstrafe ausnahmsweise ausreichen. Dies gilt beispielsweise, wenn sich der Täter Nachschulungsmaßnahmen oder einer therapeutischen Behandlung unterzogen hat (vgl. Rdn. 245). Bei hoher Rückfallgeschwindigkeit, namentlich bei Taten innerhalb laufender Bewährungsfrist, ist regelmäßig Freiheitsstrafe angezeigt (etwa OLG Koblenz BA 14 [1977] 435, 436; OLG Köln BA 7 [1970] 250); deren Verhängung darf nicht mit der Erwägung unterbleiben, die Freiheitsstrafe sei, was der bisherige Verlauf zeige, nicht geeignet, den Täter zu beeindrucken (BayObLG VRS 76 130, 132f [zu § 242]). Eine kurze Freiheitsstrafe „zur Verteidigung der Rechtsordnung" wird kaum je in Betracht kommen. Sie läßt sich insbesondere schwer mit einem Anstieg der Trunkenheitsfahrten allgemein 642 oder im Gerichtsbezirk begründen (Gribbohm § 46 Rdn. 37 f; Hentschel Trunkenheit Rdn. 492 m. w. N.). In Betracht kommt sie bei schweren Folgen der Tat, also vor allem bei zugleich verwirklichter fahrlässiger Tötung. Jedoch wird in solchen Fällen in aller Regel eine Freiheitsstrafe von über sechs Monaten geboten sein, und zwar auch bei Ersttätern (hierzu § 315 c Rdn. 215; s. auch Gribbohm LK § 47 Rdn. 29 f). 249

c) Strafaussetzung zur Bewährung. Wie im Rahmen der Strafzumessung insgesamt gelten auch für die Strafaussetzung zur Bewährung die allgemeinen Grundsätze. Eine ungünstige Sozialprognose ist vor allem bei Taten innerhalb laufender Bewährungsfristen zu stellen; die nochmalige Strafaussetzung bedarf dann besonderer Umstände, die im Urteil im einzelnen darzulegen sind (Gribbohm LK § 56 Rdn. 18; Hentschel Trunkenheit Rdn. 502, beide mit zahlreichen Nw.). Besondere Umstände liegen beispielsweise vor, wenn hinreichende Anzeichen für einen grundsätzlichen Gesinnungswandel des Angeklagten vorhanden sind (ζ. B. BayObLG bei Rüth DAR 1985 239; LG Aschaffenburg VRS 74 28, 29 [Nachschulungskurs; Alkoholtherapie]). Die Versagung der Strafaussetzung kurzer Freiheitsstrafen darf nach § 56 Abs. 3 nicht mit dem Aspekt der Verteidigung der Rechtsordnung begründet werden (OLG Koblenz VRS 66 40). Bei einschlägigen Straftaten kommt der Therapieweisung (§ 56 c Abs. 3) hohe Bedeutung zu. Zur Bewährungsstrafe bei schweren Unfallfolgen wird auf das unter § 315 c Rdn. 215 Gesagte verwiesen.

250

3. Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahrverbot. Bei Straftaten nach § 316 ist in der Regel die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2). Wo dies unterbleibt, ist in der Regel ein Fahrverbot anzuordnen (§ 44 Abs. 1 Satz 2). Die Details sind in der Kommentierung von Geppert LK zu §§ 44 und 69 erläutert. Sowohl § 44 als auch § 69 setzen allerdings voraus, daß die Straftat bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder im Zusammenhang mit den Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen worden ist. Eine strafgerichtliche Anordnung kommt daher z.B. beim Radfahrer oder beim Führen eines (ab-)geschleppten Kraftfahrzeugs, das diese Eigenschaft aufgrund von Betriebsunfahigkeit verloren hat (hierzu Rdn. 68 ff), nicht in Betracht; gleichfalls gelten die §§ 44, 69 nicht 642

S. dazu, daß Trunkenheitsfahrten seit einiger Zeit real zurückgehen, Rdn. 1.

Stand: 1.7. 2000

(398)

Trunkenheit im Verkehr

§316

für das Führen von Schienen-, Wasser- und Luftfahrzeugen (Geppert LK § 69 Rdn. 22 f; s. auch König LK § 315 a Rdn. 40). 4. Einziehung des Fahrzeugs. Die Einziehung des durch den Täter benutzten Fahr- 2 5 1 zeugs ist in der Regel nicht möglich, da dieses bloßer Beziehungsgegenstand und nicht Tatwerkzeug im Sinne des § 74 Abs. 1 ist und eine Sondervorschrift nach § 74 Abs. 4 fehlt (anders ζ. B. § 21 Abs. 3 StVG).643 5. Verwarnung mit Strafvorbehalt. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59) ist bei 2 5 2 Verkehrsdelikten nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Gribbohm LK § 59 Rdn. 5), wird jedoch dort - wie auch allgemein - nur außerordentlich selten angeordnet. Initiativen, das Rechtsinstitut durch Aufhebung bzw. Erweiterung der sog. Würdigkeitsklausel (§ 59 Abs. 3) sowie dadurch auch für Verkehrsstraftaten stärker fruchtbar zu machen, daß eine Kombination mit dem Fahrverbot und der Entziehung der Fahrerlaubnis zugelassen wird (so ein Entwurf des BR; BTDrucks. 14/761), sind bislang aus guten Gründen nicht aufgegriffen worden (BTDrucks. 13/9612 S. δ).644

XIII. Konkurrenzen § 316 ist gegenüber §§ 315 a, § 315 c formell subsidiär (§316 Abs. 1 letzter Halbsatz) und tritt demgemäß dahinter zurück; mit § 315 c Abs. 1 Nr. 2 kann allerdings Tateinheit bestehen (§ 315 c Rdn. 211). Bei § 316 handelt es sich um eine Dauerstraftat die erst beendet ist, wenn der Täter mit dem Weiterfahren endgültig aufhört oder wenn die leistungsbeeinträchtigenden Wirkungen des Rauschmittels so weit abgeklungen sind, daß keine Fahrunsicherheit mehr besteht (Rdn. 228). Weiterhin eine Tat liegt vor, wenn die Fahrt bei aufrechterhaltener Fahrabsicht verkehrsbedingt kurzzeitig unterbrochen wird; auch längere Fahrtunterbrechungen etwa zum Zweck des Tankens oder eines Gaststättenbesuchs sollen nicht unterbrechen (näher Rissing-van Saan LK vor §§ 52 ff Rdn. 38; Seier NZV 1990 129, 131 f). Desgleichen bewirkt ein Wechsel der Schuldform keine Zäsur (§ 315c Rdn. 211). Tatmehrheit ist gegeben, wenn der Täter einen neuen TatentscMuB faßt; dieser bewirkt eine Zäsur des Tatgeschehens. Tatmehrheit des bis zu einem Unfallgeschehen verwirklichten § 316 mit danach begangenen Straftaten ist nach der Rechtsprechung regelmäßig gegeben, wenn sich der Täter zu einer Straftat nach § 142 entschließt; die erneut begangene Straftat nach § 316 steht dann mit § 142 in Tateinheit (im einzelnen und kritisch Rissing-van Saan LK vor §§ 52 fF Rdn. 39; zur Konkurrenzfrage bei Verwirklichung des § 315 c s. dort Rdn. 211 f)· Tateinheit ist möglich mit § 315, § 315 a Abs. 1 Nr. 2 und § 3 1 5 b ( z u § 3 1 5 c Abs. 1 Nr. 2 oben), desgleichen mit § 113 (BGH VRS 49 117), § 142 (s. oben), § 242 (BayObLG NJW 1983 406), § 323 a (eingehend Spendel LK § 323 a Rdn. 344), mit

643

OLG Hamm BA 11 (1974) 282; Lackneri Kühl § 74 Rdn. 5; Sch/Schröder/Eser § 74 Rdn. 12 a, 33; Schäfer LK 1 0 § 74 Rdn. 57, 61; Geppert DAR 1988 12, 14. Vgl. auch BGHSt. 10 28, 29ff; OLG Hamburg M D R 1982 515 [jeweils zum Fahren ohne Fahrerlaubnis]. Z.T. abw. Tröndlel Fischer § 74 Rdn. 16.

(399)

644

Die vom vormaligen Bundesminister der Justiz eingesetzte Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems schlägt eine Ausweitung des Instituts vor, lehnt aber die Kombination mit Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis ab (zum Abschlußbericht § 315c Rdn. 68 a. E.).

Peter König

253

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Verletzungsdelikten, namentlich Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, mit § 21 StVG und mit Waffendelikten (TröndlelFischer Rdn. 12). Zur Polizeiflucht gilt das in § 315 b Rdn. 98 f und § 315 c Rdn. 209 Gesagte. Erfüllt die Handlung neben § 316 zugleich einen Ordnungswidrigkeitentatbestand (insbesondere den Bußgeldtatbestand § 24 a StVG), so kommt nur § 316 zur Anwendung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter § 315 c Rdn. 214 verwiesen. Zur Beteiligung an der an sich verdrängten vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG s. unter Rdn. 232. 254

XIV. Wahlfeststellung. Nach OLG Hamm NJW 1982 192 (m. Anm. Schultz NJW 1983 265) ist Wahlfeststellung zwischen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und fahrlässigem Gestatten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StVG zulässig. OLG Düsseldorf BA 13 (1976) 291 hält Wahlfeststellung auch zwischen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und Anstiftung dazu für möglich.

255

XV. Interministerielle Richtlinien. Ende des Jahres 1999/im Jahr 2000 wurden bzw. werden in den Ländern die überarbeiteten interministeriellen Richtlinien zur Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluß bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung und Beschlagnahme von Führerscheinen (RiBA)645 in Kraft gesetzt. Sie sind in den wesentlichen Regelungen bundesweit inhaltsgleich.646 Im folgenden ist die Allgemeine Verfügung Niedersachsens vom 18. Oktober 1999 (Nds. MB1. S. 755) abgedruckt: 1. 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.6 4. 5.

645

Allgemeines Atemalkoholprüfung Verfahren bei der Atemalkoholmessung Belehrung Gewinnung der Atemprobe Meßprotokoll Löschung der personenbezogenen Daten Körperliche Untersuchung und Blutentnahme Rechtliche Grundlagen Beschuldigte und Betroffene Andere Personen Verstorbene Gründe für die Anordnung Regelfälle für die Anordnung Verkehrsordnungswidrigkeiten Unklare Verdachtslage Verdacht auf Medikamenten- und Drogeneinfluß Verzicht auf die Anordnung Privatklagedelikte, leichte Vergehen, Ordnungswidrigkeiten, Ergebnis der Atemalkoholprüfung Ausnahmen Zuständigkeit für die Anordnung Verfahren bei der Blutentnahme Entnahme der Blutprobe Protokoll Anordnung/Anwendung von Zwang Zweite Blutentnahme Sicherung der Blutproben Verfahren bei der Untersuchung Urinproben Haarproben

Die Abkürzung ist nicht amtlich.

646

Zur Abweichung bezüglich der Atemalkoholanalyse in Sachsen-Anhalt Rdn. 54, Fn. 162.

Stand: 1. 7. 2000

(400)

Trunkenheit im Verkehr 6. 6.1 6.2 7. 7.1 7.1.1 7.1.2 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 8. 8.1 8.2 8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 9.

§316

Vernichtung des Untersuchungsmaterials Untersuchungsproben Untersuchungsbefunde Sicherstellung/Beschlagnahme von Führerscheinen Voraussetzungen Atemalkoholprüfung Weigerung Verfahren Abgabe an die Staatsanwaltschaft Rückgabe an Betroffene Ausländische Führerscheine Bevorrechtigte Personen Abgeordnete Diplomatinnen, Diplomaten u. a. Stationierungsstreitkräfte Grundsätze Erlaubnisse zum Führen dienstlicher Kraftfahrzeuge Erlaubnisse zum Führen privater Kraftfahrzeuge Kosten

1. Allgemeines. Bei Verdacht einer unter der Einwirkung von Alkohol oder anderen, allein oder im Zusammenwirken mit Alkohol auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist zu prüfen, o b eine Atemalkoholprüfung, eine körperliche Untersuchung, eine Blutentnahme, eine Urinprobe oder eine Haarprobe in Betracht kommen. Besonders wichtig sind diese M a ß n a h m e n bei Verdacht schwerwiegender Straftaten und Verkehrsstraftaten, bei denen zudem eine Sicherstellung oder Beschlagnahme von Führerscheinen (Nr. 7) in Betracht kommen kann, sowie bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG. 2. Atemalkoholprüfung. Atemalkoholprüfungen (Vortest und Atemalkoholmessung) sind keine körperlichen Untersuchungen im Sinne des § 81 a StPO. Eine rechtliche Grundlage für ihre zwangsweise Durchsetzung besteht nicht. Sie können daher, und weil sie ein aktives Mitwirken erfordern, nur mit Einverständnis der betroffenen Person durchgeführt werden und sollen die Entscheidung über die Anordnung einer Blutentnahme erleichtern. Die Atemalkoholmessung mittels Atemalkoholmeßgerät dient darüber hinaus auch der Feststellung, ob die in § 24 a Abs. 1 StVG genannten Atemalkoholwerte erreicht oder überschritten sind. Wird die Atemalkoholprüfung abgelehnt oder das Test- bzw. Meßgerät nicht vorschriftsmäßig beatmet, sind bei Verdacht auf rechtserhebliche Alkoholbeeinflussung eine körperliche Untersuchung und die Blutentnahme anzuordnen. Für die Belehrung gilt Nr. 2.1.1 entsprechend auch für den Vortest. 2.1 Verfahren bei der Atemalkoholmessung. Die Verwertbarkeit der Atemalkoholmessung als Beweismittel hängt entscheidend davon ab, daß Fehlmessungen zu Lasten der betroffenen Person sicher ausgeschlossen werden. Deshalb darf die Atemalkoholmessung nur unter Beachtung der folgenden Regeln durchgeführt werden. 2.1.1 Belehrung. Vor Durchführung der Atemalkoholmessung ist die betroffene Person ausdrücklich darüber zu belehren, d a ß die Messung nur mit ihrem Einverständnis durchgeführt wird. Der betroffenen Person ist dabei zu eröffnen, welche Straftat oder Ordnungswidrigkeit ihr zur Last gelegt wird. Ablauf und Zweck der Messung sind zu erläutern, und auf die Folgen einer Weigerung oder einer nicht vorschriftsmäßigen Beatmung des Meßgerätes ist hinzuweisen. 2.1.2 Gewinnung der Atemprobe. Zur Atemalkoholmessung dürfen nur von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin zugelassene und von den zuständigen Eichbehörden gültig geeichte Atemalkoholmeßgeräte verwendet werden. Die Messung m u ß von dazu ausgebildeten Personen unter Beachtung des in D I N V D E 0405 Teil 3 beschriebenen Verfahrens und der für das jeweilige Meßgerät gültigen Gebrauchsanweisung durchgeführt werden. Der Meßvorgang, der sich aus zwei Einzelmessungen zusammensetzt, darf frühestens 20 Minuten nach Trinkende erfolgen (Wartezeit). (401)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Das Meßpersonal achtet dabei besonders auf Umstände, durch die der Beweiswert der Meßergebnisse beeinträchtigt werden kann, vergewissert sich, daß die Gültigkeitsdauer der Eichung nicht abgelaufen ist, die Eichmarke unverletzt ist, das Meßgerät keine Anzeichen einer Beschädigung aufweist und stellt namentlich sicher, daß die Daten der betroffenen Person ordnungsgemäß in das Meßgerät eingegeben werden, das Mundstück des Meßgerätes gewechselt wurde und die betroffene Person in einer Kontrollzeit von mindestens 10 Minuten vor Beginn der Messung keine Substanzen aufnimmt, also insbesondere nicht ißt oder trinkt, kein Mundspray verwendet und nicht raucht. Die Kontrollzeit kann in der Wartezeit enthalten sein. Während der Messung ist auf die vorschriftsgemäße Beatmung des Meßgerätes zu achten. Nach der Messung hat sich das Meßpersonal davon zu überzeugen, daß die im Anzeigefeld des Meßgerätes abgelesene Atemalkoholkonzentration mit dem Ausdruck des Meßprotokolls übereinstimmt. Zeigt das Meßgerät eine ungültige Messung an und liegt die Ursache in einem Verhalten der zu untersuchenden Person, so ist bei der Wiederholungsmessung auf eine Vermeidung zu achten. 2.1.3 Meßprotokoll. Die Einhaltung des für die Atemalkoholmessung vorgeschriebenen Meßverfahrens ist mittels Meßprotokollausdruck zu dokumentieren. Auf dem von dem Meßgerät erstellten Ausdruck bestätigt das Meßpersonal durch Unterschrift, daß es zur Bedienung des Gerätes befugt ist und die Messung nach Maßgabe der Gebrauchsanweisung des Geräteherstellers durchgeführt wurde. Auf dem Meßprotokoll ist für Rückfragen neben der Unterschrift auch der Familienname und die Dienststelle der den Test durchführenden Person anzugeben. Das Meßprotokoll ist zu den Ermittlungsakten zu nehmen. 2.2 Löschung der personenbezogenen Daten. Nach Durchführung der Messungen und Ausdruck des Meßprotokolls sind die personenbezogenen Daten aus dem Meßgerät zu löschen. 3. Körperliche Untersuchung und Blutentnahme. 3.1 Rechtliche Grundlagen. 3.1.1 Beschuldigte und Betroffene. Bei Beschuldigten und Betroffenen sind ohne ihre Einwilligung die körperliche Untersuchung sowie die Blutentnahme zur Feststellung von Tatsachen zulässig, die für das Verfahren von Bedeutung sind, wenn kein Nachteil für ihre Gesundheit zu befürchten ist (§ 81 a Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). Betroffene haben jedoch nur die Blutentnahme und andere geringfügige Eingriffe zu dulden (§ 46 Abs. 4 OWiG). 3.1.2 Andere Personen. Bei anderen Personen als Beschuldigten oder Betroffenen ist ohne ihre Einwilligung - die körperliche Untersuchung nur zulässig, wenn sie als Zeuginnen oder Zeugen in Betracht kommen und zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muß, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit befindet (§ 81 c Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG); - die Blutentnahme nur zulässig, wenn kein Nachteil für ihre Gesundheit zu befürchten und die Maßnahme zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich ist (§ 81 c Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). In diesen Fällen können die Untersuchung und die Blutentnahme aus den gleichen Gründen wie das Zeugnis verweigert werden; beide Maßnahmen sind ferner unzulässig, wenn sie der betroffenen Person bei Würdigung aller Umstände nicht zugemutet werden können (§ 81 c Abs. 3, 4 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). 3.1.3 Verstorbene. Bei Leichen sind Blutentnahmen zur Beweissicherung nach § 94 StPO zulässig. 3.2 Gründe für die Anordnung 3.2.1. Regelfälle für die Anordnung. Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sind in der Regel anzuordnen bei Personen, die verdächtig sind, unter der Einwirkung von Alkohol und/oder von sonstigen auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamenten, Drogen) Stand: 1. 7. 2000

(402)

Trunkenheit im Verkehr

§316

eine Straftat begangen zu haben, namentlich - ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben mit 0,3 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt, wenn es infolge des Alkoholkonsums zu Ausfallerscheinungen, einer verkehrswidrigen Fahrweise oder einem Verkehrsunfall gekommen ist; - ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben mit 1,1 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt; - ein Fahrrad im Straßenverkehr geführt zu haben mit 1,6 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt; - ein Schienenbahn- oder Schwebebahnfahrzeug, ein Schiff oder ein Luftfahrzeug geführt zu haben, obwohl aufgrund der Gesamtumstände angenommen werden muß, daß sie nicht in der Lage waren, das Fahrzeug sicher zu führen; eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben, namentlich - im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24 a StVG genannten berauschenden Mittels geführt zu haben (§ 24 a Abs. 2 StVG); - ein Wasserfahrzeug geführt zu haben mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,8 oder mehr Promille oder einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer solchen Blutalkoholkonzentration führt, sofern Schiffahrtspolizeiverordnungen entsprechende Bußgeldtatbestände enthalten; - nach § 3 Abs. 3 und § 61 Abs. 1 Nr. 1 SeeSchStrO i. V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 Seeaufgabengesetz oder § 7 Abs. 1 Binnenschiffahrtsaufgabengesetz; - nach § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4, 5 und § 45 Abs. 2 Nrn. 2 a, 3 a und 4 a BOKraft i. V.m. § 61 Abs. 1 Nr. 4 PBefG; - nach § 1 Abs. 3 und § 43 Nr. 3 LuftVO i. V. m. § 58 Abs. 1 Nr. 10 LuftVG. 3.2.2 Verkehrsordnungswidrigkeiten. Bei Personen, die ausschließlich verdächtig sind, eine vorsätzliche oder fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1, 3 StVG begangen zu haben, kann entsprechend Nr. 3.3.1 statt der körperlichen Untersuchung und Blutentnahme eine Atemalkoholmessung (Nr. 2.1) durchgeführt werden. Bei anderen Bußgeldtatbeständen, die entweder ebenfalls Atemalkoholgrenzwerte enthalten oder die keinen dem Wert nach bestimmten Grad der Alkoholisierung bei den Betroffenen verlangen (bspw. § 45 Abs. 2 Ziff. 2 a, 3 a und 4 a BOKraft i. V. m. § 61 Abs. 1 Nr. 4 PBefG), gilt dies entsprechend. 3.2.3 Unklare Verdachtslage. Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sind in der Regel auch anzuordnen - bei unter Alkoholeinwirkung oder der Einwirkung sonstiger auf das Zentralnervensystem wirkender Stoffe (Medikamente, Drogen) stehenden Personen, die sich in oder auf einem Fahrzeug befinden oder befunden haben, wenn die das Fahrzeug führende Person nicht mit Sicherheit festzustellen und der Tatverdacht gegen sie, das Fahrzeug geführt zu haben, nicht auszuschließen ist; - bei unter Alkoholeinwirkung oder unter der Einwirkung sonstiger auf das Zentralnervensystem wirkender Stoffe (Medikamente, Drogen) stehenden anderen Personen (z.B. Fußgängerinnen und Fußgänger, Beifahrerinnen und Beifahrer), wenn sie im Verdacht stehen, den Straßenverkehr gefährdet zu haben und wenn dadurch andere Personen verletzt oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist; - bei Verstorbenen, wenn Anhaltspunkte für die Einwirkung von Alkohol oder sonstigen auf das Zentralnervensystem wirkenden Stoffen (Medikamente, Drogen) vorhanden sind (ζ. B. Alkoholgeruch, Zeugenaussage, Art des zum Tode führenden Geschehens), es sei denn, ein Fremdverschulden ist auszuschließen; - bei schwerwiegenden Straftaten und bei schweren Unfällen, die sich anhand örtlicher oder tageszeitlicher Bedingungen, aufgrund der Straßen- und Witterungsverhältnisse oder durch übliche Fehlverhaltensweisen nicht oder nicht ausreichend erklären lassen; - wenn eine Atemalkoholprüfung nicht durchgeführt werden kann (vgl. Nr. 2 Satz 5). (403)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

3.2.4 Verdacht auf Medikamenten- oder Drogeneinfluß. Anhaltspunkte für das Einwirken sonstiger auf das Zentralnervensystem wirkender Stoffe (Medikamente, Drogen) sind insbesondere typische Ausfallerscheinungen oder unerklärliche Fahrfehler, die trotz auszuschließender Alkoholeinwirkung bzw. nicht eindeutiger oder ausschließlicher Alkoholbeeinflussung (z.B. nach vorhergegangenem Atemalkoholtest) festgestellt werden. Als weitere Anhaltspunkte kommen das Auffinden von Medikamenten, Drogen oder Gegenständen, die dem Konsum von Betäubungsmitteln dienen, sowie die positive Kenntnis früherer Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) in Betracht. 3.3 Verzicht auf die Anordnung 3.3.1 Eine körperliche Untersuchung und eine Blutentnahme sollen grundsätzlich unterbleiben - bei den Privatklagedelikten des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB), der Beleidigung (§§ 185 bis 189 StGB) und der einfachen Sachbeschädigung (§ 303 StGB); - bei leichten Vergehen und bei Ordnungswidrigkeiten, mit Ausnahme der unter Nr. 3.2.1 genannten Regelfälle, es sei denn, daß Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Täter oder die Täterin schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sein könnte (§§ 20, 21, 323 a StGB, § 12 Abs. 2, § 122 OWiG); - wenn im Rahmen der Atemalkoholpriifung bei vorschriftsmäßiger Beatmung des elektronischen Atemalkoholprüfgerätes (Vortest- oder Atemalkoholmeßgerät) weniger als 0,25 mg/1 (oder 0,5 Promille) angezeigt werden; - wenn die entsprechend Nr. 2.1 durchgeführte Atemalkoholmessung einen Atemalkoholwert unter 0,55 mg/1 ergeben hat und lediglich der Verdacht einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG besteht. -

-

-

3.3.2 Ausnahmen. Die Maßnahmen müssen auch in diesen Fällen angeordnet werden, falls sie nach pflichtgemäßer Überprüfung wegen der Besonderheiten des Einzelfalles (Schwere oder Folgen der Tat, Verdacht auf Medikamenten- oder Drogeneinfluß, relative Fahruntüchtigkeit) ausnahmsweise geboten sind; falls das Testergebnis zwar einen unter 0,25 mg/1 (oder 0,5 Promille) liegenden Atemalkoholwert ergibt, der Test aber erst später als eine Stunde nach der Tat durchgeführt werden konnte und äußere Merkmale (ζ. B. gerötete Augen, enge oder weite Pupillen, Sprechweise, schwankender Gang) oder die Art des nur durch alkoholtypische Beeinträchtigung erklärbaren Verkehrsverhaltens auf eine Alkoholbeeinflussung zur Tatzeit hindeuten; auf Weisung der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft an die Polizei.

3.4 Zuständigkeit für die Anordnung. Die Anordnung einer körperlichen Untersuchung sowie einer Blutentnahme steht der Richterin oder dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft, deren Hilfsbeamtinnen oder Hilfsbeamten und den Verfolgungsbehörden zu. Sollen Minderjährige oder Betreute, die nicht beschuldigt oder betroffen sind, körperlich untersucht oder einer Blutentnahme unterzogen werden, so kann ausschließlich die Richterin oder der Richter die Maßnahme anordnen, falls die gesetzliche Vertreterin oder der gesetzliche Vertreter zustimmen müßte, aber von der Entscheidung ausgeschlossen oder an einer rechtzeitigen Entscheidung gehindert ist (§ 81 a Abs. 2, § 81 c Abs. 3 und 5, § 98 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 OWiG). 3.5 Verfahren bei der Blutentnahme 3.5.1 Entnahme der Blutprobe. Blutentnahmen dürfen nur von Ärztinnen oder Ärzten (einschließlich solcher im Praktikum) nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden. Ersuchen um Blutentnahmen sind an Ärztinnen oder Ärzte zu richten, die dazu rechtlich verpflichtet oder bereit sind. Andere Ärztinnen oder Ärzte sind nicht verpflichtet, Ersuchen um Blutentnahmen nachzukommen. Da die Richtigkeit der bei der Untersuchung auf Alkohol sowie Drogen und Medikamente gewonnenen Meßwerte wesentlich von der sachgemäßen Blutentnahme abhängt, ist dabei grundsätzlich wie folgt zu verfahren: Stand: 1. 7. 2000

(404)

Trunkenheit im Verkehr -

-

§316

Das Blut ist möglichst bald nach der Tat zu entnehmen. Es ist durch Venen-Punktion mittels eines von der zuständigen Landesbehörde zugelassenen Blutentnahmesystems zu entnehmen, bei dem die Verletzungs- und Kontaminationsgefahr minimiert ist. Die Einstichstelle ist mit einem geeigneten nichtalkoholischen Desinfektionstupfer, der luftdicht verpackt gewesen sein muß, zu desinfizieren. Die Punktion ist in der Regel aus einer Vene der oberen Extremitäten vorzunehmen. Zumindest für die jeweiligen Nadelsysteme und Tupfer sind geeignete Entsorgungsgefäße vorzuhalten. Bei Leichen ist das Blut in der Regel aus einer durch Einschnitt freigelegten Oberschenkelvene zu entnehmen. Dabei ist darauf zu achten, daß keine Spuren vernichtet werden. Falls bei einer Obduktion die Blutentnahme aus der Oberschenkelvene nicht möglich ist, müssen die Entnahmestelle und die Gründe für ihre Wahl angegeben werden.

3.5.2 Protokoll. Die polizeiliche Vernehmung/Anhörung über die Aufnahme von Alkohol, Drogen oder Medikamenten sowie die körperliche Untersuchung sind nach Maßgabe der hierzu verwendeten Formblätter vorzunehmen. Sie sind möglichst umgehend nach der Tat durchzuführen, um den zur Zeit der Tat bestehenden Grad der alkohol-, drogen- oder medikamentenbedingten Einwirkung festzustellen. Das Protokoll ist zu den Ermittlungsakten zu nehmen. Sofern eine Ausfertigung der Untersuchungsstelle übersandt wird, ist sie in der Weise zu anonymisieren, daß zumindest Anschrift, Geburtstag und Geburtsmonat nicht übermittelt werden. 3.5.3 Anordnung/Anwendung von Zwang. Beschuldigte oder Betroffene, die sich der körperlichen Untersuchung oder Blutentnahme widersetzen, sind mit den nach den Umständen erforderlichen Mitteln zu zwingen, die körperliche Untersuchung und die Blutentnahme zu dulden. Gegen andere Personen als Beschuldigte oder Betroffene (vgl. Nr. 3.1.2) darf unmittelbarer Zwang nur auf besondere richterliche Anordnung angewandt werden (§ 81 c Abs. 6 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG). 3.5.4 Zweite Blutentnahme. Eine zweite Blutentnahme ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur in Ausnahmefallen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles anzuordnen. Dazu besteht ζ. B. Anlaß, wenn - Anhaltspunkte für die Annahme gegeben sind, daß Beschuldigte oder Betroffene innerhalb einer Stunde vor der ersten Blutentnahme Alkohol zu sich genommen haben; - sich Beschuldigte oder Betroffene auf Nachtrunk berufen oder Anhaltspunkte für einen Nachtrunk vorliegen. Die zweite Blutentnahme soll 30 Minuten nach der ersten Blutentnahme erfolgen. 3.5.5 Sicherung der Blutproben. Die die körperliche Untersuchung und Blutentnahme anordnende oder eine von ihr zu beauftragende Person soll bei dem gesamten Blutentnahmevorgang zugegen sein. Sie hat darauf zu achten, daß Verwechslungen von Blutproben bei der Blutentnahme ausgeschlossen sind. Die bei der Blutentnahme anwesende Person ist auch für die ausreichende Kennzeichnung der Blutprobe(n) verantwortlich. Zu diesem Zweck sollen mehrteilige Klebezettel verwendet werden, die jeweils die gleiche Identitätsnummer tragen. Die für die Überwachung verantwortliche Person hat die Teile des Klebezettels übereinstimmend zu beschriften. Ein Teil ist auf das mit Blut gefüllte Röhrchen aufzukleben. Der zweite Abschnitt ist auf das Untersuchungsprotokoll aufzukleben, das der Untersuchungsstelle übersandt wird. Ihm ist zugleich der dritte Abschnitt lose anzuheften. Er ist nach Feststellung des Blutalkohol- bzw. Drogengehalts für das Gutachten zu verwenden. Der vierte Teil des Klebezettels ist in die Ermittlungsvorgänge einzukleben. Bei einer zweiten Blutentnahme ist auf den Klebezetteln die Reihenfolge anzugeben. Die Richtigkeit der Beschriftung ist von der Ärztin oder dem Arzt zu bescheinigen. Die bruchsicher verpackten Röhrchen sind auf dem schnellsten Weg der zuständigen Untersuchungsstelle (Anlage ...) zuzuleiten. Bis zur Übersendung sind die Blutproben möglichst kühl, aber ungefroren zu lagern. (405)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

3.6 Verfahren bei der Untersuchung. Die Untersuchungsstelle hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß Verwechslungen von Blutproben ausgeschlossen werden. Die Aufzeichnungen über die Kennzeichnung der Proben und die Ergebnisse der Bestimmung von Blutalkohol und/oder von berauschenden Mitteln und deren Abbauprodukten sind für die Dauer von sechs Jahren aufzubewahren, damit sie ggf. dem Gericht oder der Verfolgungsbehörde vorgelegt werden können. Die Blutalkoholbestimmung für forensische Zwecke ist nach den vom Bundesgesundheitsamt aufgestellten Richtlinien durchzuführen. Wird die rechtlich zulässige Variationsbreite überschritten, muß die Analyse wiederholt werden. Dem Gutachten sind dann nur die Ergebnisse der zweiten Untersuchung zugrunde zu legen. Tritt ausnahmsweise auch bei dieser eine Überschreitung der zulässigen Variationsbreite ein, so ist dies im Gutachten zu erläutern. Weichen Sachverständige im Einzelfall von den vorstehenden Grundsätzen ab, so haben sie dem Gericht oder der Verfolgungsbehörde darzulegen, ob hierdurch die Zuverlässigkeit des Untersuchungsergebnisses beeinträchtigt wird. Die Untersuchungsstellen haben zur Gewährleistung einer gleichbleibenden Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse laufend interne Qualitätskontrollen vorzunehmen und regelmäßig an Ringversuchen teilzunehmen. Das Gutachten der Untersuchungsstelle ist umgehend der Behörde zuzuleiten, die die Untersuchung veranlaßt hat, sofern diese nicht die Ubersendung an eine andere Stelle angeordnet hat. Die Blutprobenreste sollen gekühlt, das Blutserum muß tiefgekühlt aufbewahrt werden. 4. Urinproben. Ergeben sich Anhaltspunkte für die Einnahme von Medikamenten oder Drogen, ist im Fall des Verdachts einer Straftat oder einer schwerwiegenden Ordnungswidrigkeit (ζ. B. nach § 24 a Abs. 2 StVG) neben der Blutentnahme auf die Abgabe einer Urinprobe hinzuwirken. Die Entscheidung trifft die die Blutentnahme anordnende Person grundsätzlich nach ärztlicher Beratung. Eine solche Maßnahme ist jedoch nur mit Einwilligung der betroffenen Person möglich. Diese ist hierüber zu belehren; die Belehrung ist aktenkundig zu machen. Für die Untersuchung der Urinprobe sollte Urin in ausreichender Menge (möglichst 50 bis 100 ml) zur Verfügung stehen. Gibt die betroffene Person eine Urinprobe nicht ab, ist bei der Blutentnahme darauf zu achten, daß nicht nur die für die Alkoholfeststellung übliche Blutmenge (ca. 8-10 ml) entnommen wird. In diesen Fällen sollen im Hinblick auf weitergehende Untersuchungen mindestens 15 ml Blut der betroffenen Person entnommen werden. Bis zur Übersendung sind Urinproben möglichst kühl zu lagern. Sie müssen in dichtschließenden Behältnissen sowie festem Verpackungsmaterial ggf. gemeinsam mit gleichzeitig entnommenen Blutproben auf schnellstem Weg der zuständigen Untersuchungsstelle zugeleitet werden. Dabei sollen mit der Blutprobe gleichlautende Identitätsnummern verwendet werden. Die Untersuchungsstelle hat die Urinprobe, soweit sie nicht einer sofortigen Untersuchung unterzogen wird, zur Sicherung einer gerichtsverwertbaren Untersuchung auf berauschende Mittel unverzüglich tiefzufrieren und tiefgefroren aufzubewahren. Forensisch relevante Analyseergebnisse sind durch Einsatz spezieller Methoden abzusichern. Der hierzu erforderliche Standard ist durch regelmäßige interne und externe Qualitätskontrollen zu gewährleisten. Für die Entnahme von Urinproben bei Verstorbenen gilt Nr. 3.1.3 entsprechend. 5. Haarproben. Daneben kommt die Sicherung einer Haarprobe durch Abschneiden in Betracht, wenn die länger dauernde Zufuhr von Medikamenten und Drogen in Frage steht. Die Entnahme einer Haarprobe stellt eine körperliche Untersuchung dar und darf gegen den Willen des Beschuldigten nur von der Richterin oder dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamtinnen oder Hilfsbeamten angeordnet werden (§ 81 a Abs. 2 StPO). Stand: 1. 7. 2000

(406)

Trunkenheit im Verkehr

-

-

§316

Die Haarprobe kann durch Angehörige des Polizeidienstes entnommen werden. Bei der Probenahme ist folgendes zu beachten: Die Probenahme, das Verpacken und Versenden darf nicht in der Nähe von Rauschmittelasservaten stattfinden. Die Entnahme sollte in erster Linie über dem Hinterhauptshöcker erfolgen. Ist dies nicht möglich, muß die Entnahmestelle entsprechend dokumentiert werden. Die Probe sollte aus einem mindestens bleistift- bis kleinfingerdicken Strang bestehen. Die Haare sind vor dem Abschneiden mit einem Bindfaden, möglichst 2-3 cm von der Kopfhaut entfernt, fest zusammenzubinden. Die zusammengebundenen Haare sind möglichst direkt an der Kopfhaut abzuschneiden. Sollte dies nicht möglich sein, ist die Länge der zurückgebliebenen Haarreste zu dokumentieren. Die entnommene Haarprobe ist fest in Papier oder Aluminiumfolie einzurollen. Die Probenbeschriftung mit Probenkennung, Bezeichnung der Entnahmestelle, Kennzeichnung von kopfnahem Ende und Haarspitze sowie Angaben zur Länge der verbliebenen Haarreste ist auf dem Bogen zu vermerken. Für die Sicherung der Qualität der Untersuchung gilt Nr. 4 Abs. 4 entsprechend. 6. Vernichtung des Untersuchungsmaterials

6.1 Untersuchungsproben. Die den Betroffenen entnommenen Untersuchungsproben einschließlich des aus ihnen aufbereiteten Materials und der Zwischenprodukte sind unverzüglich zu vernichten, sobald sie für das betreffende oder ein anderes anhängiges Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht mehr benötigt werden, im Regelfall nach rechtskräftigem Abschluß des oder der Verfahren. Etwas anderes kann sich im Einzelfall insbesondere dann ergeben, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen von Umständen vorhanden sind, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist rechtfertigen können. Die Entscheidung über die Vernichtung hat diejenige Stelle zu treffen, der jeweils die Verfahrensherrschaft zukommt. 6.2 Untersuchungsbefunde. Die Untersuchungsbefunde sind zu den Verfahrensakten nehmen und mit diesen nach den dafür geltenden Bestimmungen zu vernichten. 7. Sicherstellung/Beschlagnahme von Führerscheinen 7.1 Voraussetzungen. Liegen die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ l i l a Abs. 1, 6 StPO, §§ 69, 69 b StGB) vor, so ist der Führerschein sicherzustellen oder zu beschlagnahmen (§ 94 Abs. 3, § 98 Abs. 1, § 111 a Abs. 6 StPO). 7.1.1 Atemalkoholprüfung. Ist ein Kraftfahrzeug geführt worden, so hat dies jedenfalls dann zu erfolgen, wenn bei vorschriftsmäßiger Beatmung des elektronischen Atemalkoholprüfgerätes (Vortest- oder Atemalkoholmeßgerät) 0,55 mg/1 (oder 1,1 Promille) und mehr angezeigt werden oder Anhaltspunkte für eine relative Fahruntüchtigkeit bestehen. 7.1.2 Weigerung. Der Führerschein ist auch dann sicherzustellen oder zu beschlagnahmen, wenn von einer relativen oder absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist oder die beschuldigte Person sich weigert, an der Atemalkoholprüfung mitzuwirken und deshalb eine Blutentnahme angeordnet und durchgeführt wird. 7.2. Verfahren 7.2.1 Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Der sichergestellte - auch freiwillig herausgegebene - oder beschlagnahmte Führerschein ist unverzüglich mit den bereits vorliegenden Ermittlungsvorgängen der Staatsanwaltschaft zuzuleiten oder - bei entsprechenden Absprachen - dem Amtsgericht, bei dem der Antrag nach § 111 a StPO oder Antrag auf beschleunigtes Verfahren nach § 417 StPO gestellt wird. Die Vorgänge müssen vor allem die Gründe enthalten, die eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlich erscheinen lassen. 7.2.2 Rückgabe an Betroffene. Steht fest, daß lediglich eine Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt und befindet sich der sichergestellte oder beschlagnahmte Führerschein noch bei der (407)

Peter König

§316

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Polizeidienststelle, ist seine Rückgabe an die betroffene Person unverzüglich im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft zu veranlassen. 7.2.3 Ausländische Führerscheine. N u m m e r n 7.2.1 und 7.2.2 gelten auch für von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellte Führerscheine, sofern die Inhaberin oder der Inhaber ihren oder seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. Handelt es sich um andere ausländische Führerscheine, die zum Zwecke der Anbringung eines Vermerkes über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sichergestellt oder beschlagnahmt worden sind (§ 111 a Abs. 6 StPO), gelten sie mit der Maßgabe, daß diese Führerscheine nach der Anbringung des Vermerkes unverzüglich zurückzugeben sind. 8. Bevorrechtigte Personen 8.1 Abgeordnete. Soweit von Ermittlungshandlungen Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der Gesetzgebungsorgane der Länder oder Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland betroffen sind, wird auf das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 10.1.1983 (Ρ II 5-640180/9, GMB1. S. 37) verwiesen. Danach ist es nach der Praxis der Immunitätsausschüsse in Bund und Ländern zulässig, nach Maßgabe von N r n . 191 Abs. 3 Buchst, h, 192 b Abs. 1 RiStBV Abgeordnete zum Zwecke der Blutentnahme zur Polizeidienststelle und zu einer Ärztin oder einem Arzt zu bringen. Die sofortige Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheines eines oder einer Abgeordneten ist, sofern nicht die D u r c h f ü h r u n g von Ermittlungsverfahren durch die jeweiligen Parlamente allgemein genehmigt ist, 647 nicht zulässig. Die Staatsanwaltschaft ist unverzüglich fernmündlich zu unterrichten. Mitglieder des Europäischen Parlaments aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen im Bundesgebiet weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden. 8.2 Diplomatinnen, Diplomaten u.a. Bei Personen, die diplomatische Vorrechte und Befreiungen genießen, sind M a ß n a h m e n nach §§ 81 a, 81 c StPO und die Beschlagnahme des Führerscheins nicht zulässig (§§ 18, 19 GVG). Bei Angehörigen konsularischer Vertretungen sind sie nur unter gewissen Einschränkungen zulässig; danach kommt eine Immunität von Konsularbeamtinnen, Konsularbeamten und Bediensteten des Verwaltungs- und technischen Personals nur dann in Betracht, wenn die Handlung in engem sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben steht (ζ. B. nicht bei Privatfahrten). Soweit eine Strafverfolgung zulässig ist, werden bei Verdacht schwerer Straftaten gegen die zwangsweise Blutentnahme aufgrund einer Entscheidung der zuständigen Justizbehörde keine Bedenken zu erheben sein (vgl. Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 17.8.1993 - Ρ I 6 - 640 005/1 - , GMB1. S. 589 sowie Nrn. 193 bis 195 RiStBV). 8.3 Stationierungsstreitkräfte 8.3.1 Grundsätze. Bei Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte und des zivilen Gefolges sowie deren Angehörigen sind M a ß n a h m e n nach §§ 81 a, 81 c StPO grundsätzlich zulässig (vgl. Art. VII NATO-Truppenstatut), soweit die Tat -

647

nach deutschem Recht, aber nicht nach dem Recht des Entsendestaates (dessen Truppe hier stationiert ist) strafbar ist, oder sowohl nach deutschem Recht als auch nach dem Recht des Entsendestaates strafbar ist, jedoch nicht in Ausübung des Dienstes begangen wird und sich nicht lediglich gegen das Vermögen oder die Sicherheit des Entsendestaates oder nur gegen die Person oder das Vermögen eines Mitgliedes der Truppe, deren zivilen Gefolges oder anderer Angehörige richtet, und die deutschen Behörden nicht auf die Ausübung der Gerichtsbarkeit verzichten.

Die Voraussetzungen ergeben sich aus den jeweiligen Beschlüssen der gesetzgebenden Körperschaften. Stand: 1. 7. 2000

(408)

Trunkenheit im Verkehr

§316

In allen anderen Fällen ist von der Anwendung der §§ 81a, 81c StPO abzusehen, da das Militärrecht verschiedener Stationierungsstreitkräfte die Blutentnahme gegen den Willen der Betroffenen für unzulässig erklärt. 8.3.2 Erlaubnisse zum Führen dienstlicher Kraftfahrzeuge. Auf Führerscheine, die Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte oder des zivilen Gefolges von einer Behörde eines Entsendestaates zum Führen dienstlicher Kraftfahrzeuge erteilt worden sind, ist § 69 b StGB nicht anwendbar (Art. 9 Abs. 6 a und b NTS-ZA). Eine Sicherstellung oder Beschlagnahme eines Führerscheines ist deshalb nicht zulässig. Jedoch nimmt die Polizei den Führerschein im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung (Art. 3 NTS-ZA) in Verwahrung und übergibt ihn der zuständigen Militärpolizeibehörde. 8.3.3 Erlaubnisse zum Führen privater Kraftfahrzeuge. Führerscheine zum Führen privater Kraftfahrzeuge, die Mitgliedern der Stationierungsstreitkräfte oder des zivilen Gefolges und deren Angehörigen im Entsendestaat oder von einer Behörde der Truppe erteilt worden sind, können ausnahmsweise in den Fällen, in denen die deutschen Gerichte die Gerichtsbarkeit ausüben, nach Maßgabe des § 69 b StGB entzogen werden (Art. 9 Abs. 6 b NTS-ZA). Bis zur Eintragung des Vermerks über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kann der Führerschein sichergestellt oder nach § 111 a Abs. 6 Satz 2 StPO auch beschlagnahmt werden. Die Beschlagnahme ist jedoch nur anzuordnen, wenn die Militärpolizei erklärt, keine Ermittlungen führen zu wollen. Erscheint die Militärpolizei nicht oder nicht rechtzeitig, so ist unverzüglich eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Beschlagnahme einzuholen. 9. Kosten. Die Kosten der körperlichen Untersuchung, der Blutentnahme und "Untersuchung sowie der Urin- und Haarprobe und deren Untersuchung sind zu den Akten des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens mitzuteilen. Über die Pflicht der Kostentragung wird im Rahmen des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens entschieden. Eine vorherige Einziehung unterbleibt.

(409)

Peter König

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

§ 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (1) Wer zur Begehung eines Raubes (§§ 249 oder 250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

Schrifttum Beyer Zur Auslegung des § 316a StGB (Autostraßenraub), N J W 1971 872; Ch. Fischer Der räuberische Angriff auf Kraftfahrer nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz, Jura 2000 433 ff; Geilen Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, in: Ulsamer (Hrsg.) Lexikon des Rechts: Strafrecht, Strafverfahrensrecht 2. Aufl. (1996), S. 744; Geppert Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB), Jura 1995 310; Greiner Ein kriminologisches Phänomen in der Weimarer Republik: „Autofallen", Die Polizei 2000 121; Große Einfluß der nationalsozialistischen Strafgesetzgebung auf das heutige StGB am Beispiel des § 316a StGB, NStZ 1993 525; Grünauer Das Verbrechen des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, Diss. Hamburg 1970; Günther Der „Versuch" des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer, JZ 1987 16; Günther Der räuberische Angriff auf Fußgänger - ein Fall des § 316a StGB? JZ 1987 369; Ingelfinger Zur tatbestandlichen Reichweite der Neuregelung des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer und zur Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts vom Versuch, JR 2000 225; Meurer-Meichsner Untersuchungen zum Gelegenheitsgesetz im Strafrecht. Zugleich ein Beitrag zu § 316a StGB (Autostraßenraub), 1974; Mitsch Der neue § 316a StGB, JA 1999 662; Roßmüllerl Rohrer Der räuberische Angriff auf Kraftfahrer, NZV 1995, 253; Roth-Stielow Die gesetzwidrige Ausweitung des § 316a StGB, NJW 1969 303; Rusam Der räuberische Angriff auf Kraftfahrer - § 316a des Strafgesetzbuches, Diss. München 1960; Seibert Zum Autostraßenraub (§ 316a StGB), NJW 1971 781.

Entstehungsgeschichte I. Als Vorläufer des heutigen § 316 a bestimmte das „Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen" (AutofallenG) vom 22.6.1938 (RGBl. I, S. 651): „Wer in räuberischer Absicht eine Autofalle stellt, wird mit dem Tode bestraft." Anlaß für dieses (mit Rückwirkung zum 1.1.1936 versehene) Gesetz waren die großes Aufsehen erregenden Taten der Gebrüder Max und Walter Götze, die in der Umgebung von Berlin durch Umlegen von Straßenbäumen, Spannen von Drähten u. ä. zahlreiche Kraftwagen zum Anhalten gezwungen und die Insassen sodann ausgeraubt hatten. 1 Die weite Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorfeld des Raubes, die mit dem Terminus der „Autofalle" bewußt gewählte Unbestimmtheit 2 und die drakonische Rechtsfolge der absolut 1

Vgl. zu diesem Hintergrund Gruchmann Justiz im Dritten Reich 2. Aufl. (1990) S. 897ff; Geppert Jura 1995 311; Große NStZ 1993 526; Herzog N K Rdn. 1 f sowie ausführlich MeurerMeichsner S. 17, 2Iff. Das kriminologische

2

Phänomen der „Autofalle" trat bereits in der Weimarer Republik zutage; vgl. Greiner Die Polizei 2000 121. v. Gemmingen DStR 1939 1, 20 ff; Werle JustizStrafrecht und polizeiliche Verbrechensbe-

Stand: 1. 7. 2000

(410)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

angedrohten Todesstrafe weisen dieses „im Zorn" 3 geschaffene „Gelegenheitsgesetz" 4 als Akt rechtsstaatswidriger nationalsozialistischer Gesetzgebung aus. 5 Aus diesem Grunde wurde das Autofallengesetz durch das Kontrollratsgesetz Nr. 55 vom 20.6.1947 6 aufgehoben. II. Schon wenige Jahre später sah sich der Gesetzgeber aufgrund einiger schwerwiegender Verbrechen, die sich auf Autobahnen ereignet hatten, sowie infolge einer Häufung von Überfallen auf Taxifahrer veranlaßt, eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Nachfolgebestimmung des Autofallengesetzes in das StGB aufzunehmen. 7 Der durch das (Erste) „Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs" vom 19.12.1952 8 eingeführte § 316 a hatte folgenden Wortlaut: (1) Wer zur Begehung von Raub oder räuberischer Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs unternimmt, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, in besonders schweren Fällen mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. (2) Das Gericht kann die in Absatz 1 angedrohte Mindeststrafe unterschreiten, auf Gefängnis erkennen oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter aus freien Stücken seine Tätigkeit aufgibt und den Erfolg abwendet. Unterbleibt der Erfolg ohne Zutun des Täters, so genügt sein ernstliches Bemühen, den Erfolg abzuwenden. Ob der Gesetzgeber das Ziel einer angemessenen Restriktion des Strafbarkeitsbereichs mit dieser Tatbestandsfassung erreicht hat, ist vielfach bezweifelt worden. 9 Kritik hat ferner die immer noch sehr hohe Strafdrohung erfahren, in der der Rigorismus des Autofallengesetzes nachwirkte. 10 Von den nachfolgenden Gesetzesänderungen 11 ist insbesondere die Absenkung der Mindeststrafe für minder schwere Fälle (auf ein Jahr Freiheitsstrafe) 12 und die Einbeziehung des räuberischen Diebstahls (§ 252) als Bezugstat 13 hervorzuheben. III. Seine heutige Fassung hat der § 316a durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 14 erhalten. 15 Hierdurch wurde die frühere Ausgestaltung als echtes kämpfung im Dritten Reich (1989) S. 201. Zur extensiven Auslegung des AutofallenG durch die Rechtsprechung vgl. RGSt. 73, 7Iff; Ch. Fischer Jura 2000 435 und Meurer-Meichsner S. 27 ff. 3 v. Gemmingen DStR 1939 1, 7. 4 Allgemein zu dieser Kategorie Meurer-Meichsner S. 14ff. 5 Ch. Fischer Jura 2000 434f; Geilen S. 744; Meurer-Meichsner S. 23 ff; Eb. Schmidt Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege 3. Aufl. (1965) S. 435f; Schroeder, in: Maurach/Schroeder/Maiwald (= Maurach/ Schroeder) Strafrecht Besonderer Teil Teilband 1 8. Aufl. (1995) § 35 Rdn. 45; Werle (Fn. 2) S. 200f. 6 Amtsblatt des Kontrollrats Nr. 16 S. 284 (285). 7 Zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. insoweit Meurer-Meichsner S. 35 ff; s. auch BGHSt. 24 173, 175 ff. 8 BGBl. I S . 832. » Beyer NJW 1971 871; Geppert Jura 1995 311; Gössel Strafrecht Besonderer Teil Band 2 (1996) § 15 Rdn. 27; Grünauer S. 2f; Günther JZ 1987 (411)

10

11 12

13

14

15

369; Hentschel JR 1986 428, 429; Hübner LM Nr. 12; Rusam S. 2; Schmidhäuser Strafrecht Besonderer Teil 2. Aufl. (1983) 8/62. S. auch BTDrucks. 13/7164 S. 51; BTDrucks. 13/8587 S. 51. Geilen S. 744f; Müsch JA 1999 663; Seibert N J W 1971 781; s. auch BGHSt. 15 322, 325; 24 173, 175 ff = N J W 1971 2034 m. Anm. Beyer. Vgl. hierzu Schäfer LK'° Rdn. 1. Durch das 11. Strafrechtsänderungsgesetz vom 16.12.1971 (BGBl. I, S. 1977); vgl. hierzu Meurer-Meichsner S. 46 f. Durch Art. 19 Nr. 177 EGStGB vom 2.3.1974 (BGBl. I, S. 469). BGBl. I, S. 164. Zur Gesetzesbegründung s. BTDrucks. 13/8587 S. 51 (abgedruckt bei Jaguschi Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. [1999] Rdn. 1). Zur Gegenüberstellung zwischen alter und neuer Gesetzeslage (auch im Hinblick auf das intertemporale Strafrecht; vgl. § 2) Müsch JA 1999 664 ff.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Unternehmensdelikt (mit der Konsequenz einer Gleichstellung von Versuch und Vollendung; vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6) aufgegeben, indem die Neufassung die Tathandlung dahingehend umschreibt, daß der Täter einen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers „verübt" haben muß. Da als Folge dieser Änderung die Vorschriften über den Versuch (§§ 22 ff) und insbesondere die Bestimmung über den Rücktritt (§ 24) auf § 316a Anwendung finden, hat der Gesetzgeber die Regelung über die tätige Reue (§ 316a Abs. 2 a. F.) gestrichen. An die Stelle der Strafschärfung für unbenannte besonders schwere Fälle (§ 316a Abs. 1 S. 2 1. Hs. a. F.: lebenslange Freiheitsstrafe) ist die Erfolgsqualifikation des § 316 a Abs. 3 (bezüglich der wenigstens leichtfertigen Verursachung des Todes eines anderen Menschen; Strafdrohung: lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren) getreten. Für die minder schweren Fälle sieht § 316a Abs. 2 n. F. nunmehr einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor (im Gegensatz hierzu hatte § 316a Abs. 1 S. 2 2. Hs. a. F. allein eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe festgelegt). Auch die Neufassung des § 316 a ist rechtspolitisch umstritten;16 teilweise wird die völlige Streichung der Vorschrift angeregt.11 Dem Vorschlag des Bundesrats, die Mindeststrafdrohung in § 316a Abs. 1 auf drei Jahre Freiheitsstrafe zurückzunehmen, wurde nicht gefolgt.18 Übersicht Rdn. I. Dogmatische Bedeutung der Neufassung 1. Deliktsnatur 2. Beginn der Strafbarkeit 3. Privilegierung des Täterverhaltens . II. Geschütztes Rechtsgut III. Objektiver Tatbestand 1. Tathandlung a) Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit b) Verüben 2. Täter und Tatobjekt a) Täterkreis b) Tatobjekt 3. Tatsituation a) Darstellung der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung aa) Gefahren des fließenden Straßenverkehrs bb) Fortwirken der Gefahrenlage b) Kritik aa) Alternative Restriktionsansätze bb) Intrasystematische Kritik der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung . . .

1

Rdn.

1 2 5 6 7 8 IV.

9 12 16 17 20

V.

VI. VII.

21 24 28 31

VIII.

(1) Angriff und räuberisches Nötigungsmittel als situative Einheit (= 1. Konstellation) . . (2) Inkongruenz von Angriff und (geplanter) räuberischer Tat (= 2. Konstellation) . . Subjektiver Tatbestand 1. Vorsatz 2. Absicht bezüglich der räuberischen Tat Vollendung, Versuch und Rücktritt 1. Vollendung 2. Versuch 3. Rücktritt Täterschaft und Teilnahme Rechtsfolgen 1. Minder schwere Fälle 2. Erfolgsqualifikation 3. Einziehung Konkurrenzen 1. Verhältnis zur räuberischen Tat . . 2. Sonstige Delikte

34

38 42 43 44 46 47 48 51 52 53 56 57 58

33

I. Dogmatische Bedeutung der Neufassung. Der Erläuterung der Einzelmerkmale des § 316a soll ein gleichsam vor die Klammer gezogener kursorischer Überblick vorangestellt werden. Das Ziel dieser Tour d'horizon besteht darin, die dogmatische 16

17

Herzog N K Rdn. 2, 6; Kreß NJW 1998 633, 643 f; Wolters JZ 1998 397,400. Ch. Fischer Jura 2000 441; Freund ZStW 109 (1997) 455, 482f; Krey Strafrecht Besonderer

18

Teil Band 2 12. Aufl. (1999) Rdn. 238; s. auch Hörnle Jura 1998 169, 175 sowie (zur a.F.) Geilen S. 744. Vgl. BTDrucks. 13/8587, S. 75, 89.

Stand: 1. 7. 2000

(412)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

Bedeutung der Umgestaltung dieser Vorschrift im Zusammenhang zu betrachten, u m - losgelöst von den konkreten Facetten einzelner Tatbestandsmerkmale - allgemein jene Problemfelder zu beleuchten, in denen die bislang weitgehend gesichert erscheinenden Aussagen obsolet geworden sind oder einer kritischen Überprüfung, wenn nicht sogar einer grundsätzlichen Neuorientierung bedürfen. 1. Deliktsnatur. Von prinzipieller Bedeutung ist vor allem die Festlegung, daß 2 der Täter den Angriff „verübt" (und nicht mehr „unternommen") haben muß. Ist § 316a hiernach nicht mehr als echtes Unternehmensdelikt zu klassifizieren, so gehen die Meinungen über die Deliktsnatur der Neufassung auseinander. 19 Einerseits verfolgte der Gesetzgeber mit der Neufassung erklärtermaßen das Ziel, die Vollendungsstrafbarkeit im Vergleich zur früheren Gesetzeslage hinauszuschieben. 20 Andererseits ist zu bedenken, daß das beibehaltene Begriffsmerkmal „Angriff" eine feindselige Willensbetätigung umschreibt, die den anvisierten Erfolg nicht unbedingt erreichen muß und insoweit als „materielle" Versuchshandlung gedeutet werden kann. Vor diesem Hintergrund wird die Ansicht vertreten, daß § 316 a nunmehr zwar nicht mehr als echtes, aber immerhin noch als sog. „unechtes" Unternehmensdelikt anzusehen sei.21 Andere Autoren charakterisieren die Neufassung des § 316a als Kombination von Tätigkeits- und Absichtsdelikt, 22 doch wird die Norm vereinzelt auch als Erfolgsdelikt 23 bezeichnet. Die Bezeichnung als „unechtes Unternehmensdelikt" ist prinzipiellen Bedenken in- 3 sofern ausgesetzt, als sich diese Rechtsfigur lediglich zur Kennzeichnung einer spezifischen, aus der strukturellen Parallele zum Versuch resultierenden Problemlage eignet. Die maßgeblichen Antworten lassen sich nicht allgemein aus dieser Kategorie ableiten, sondern sie müssen im Wege einer Auslegung der betreffenden Einzeldelikte gewonnen werden. 24 Immerhin macht diese Einordnung deutlich, daß für die Neufassung des § 316a Anlaß zu der Frage besteht, wie die Grenze zwischen einem (wegen des Verbrechenscharakters gemäß §§ 22, 23 Abs. 1 strafbaren) Angriffsversuch und einem vollendeten „Angriff' zu ziehen ist. Hierbei sind zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte für eine mögliche Abschichtung zu erörtern: Zum einen ist - im Rahmen des Merkmals „Angriff - zu fragen, ob auch objektiv ungefährliche Verhaltensweisen als vollendete Tat strafbar sein können, zum anderen ist - bezüglich des „Verübens" des Angriffs - zu untersuchen, wie weit das Täterverhalten in zeitlicher Hinsicht vorangeschritten sein muß, um als vollendeter Angriff zu erscheinen (vgl. Rdn. 10 ff). Der Deutung als Kombination von Absichts- und Tätigkeitsdelikt ist insofern zu- 4 zustimmen, als es eines Erfolges im Sinne einer wirklichen Beeinträchtigung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit nicht bedarf. Zeigt sich der Kraftfahrer von der Drohung des Täters unbeeindruckt, so ist der Angriff gleichwohl vollendet. Deshalb wäre es zumindest mißverständlich, § 316a als „Erfolgsdelikt" zu bezeichnen. Andererseits soll diese Rubrizierung möglicherweise lediglich zum Ausdruck bringen, daß die bloße Handlungsvornahme durch den Täter für sich genommen nicht (stets) zur Tat19 20 21

22

Eingehend hierzu Ingelfmger JR 2000 225 ff. BTDrucks. 13/8587 S. 51. So insbesondere Stein, in: Dencker u . a . , Einf ü h r u n g in das 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 (1998) 4. Teil R d n . 114f; Ch. Fischer Jura 2000 439; vgl. auch schon Günther J Z 1987 27; Meurer-Meichsner S. 41 (Fn. 50). Küper Strafrecht Besonderer Teil 3. Aufl. (1999) S. 20; Herzog N K R d n . 6; Wessels!Hillenkamp

(413)

23

24

Strafrecht Besonderer Teil/2 22. Aufl. (1999) R d n . 382; s. auch Roßmüllerl Rohrer N Z V 1995 258. Bayer, in: Schlüchter (Hrsg.), Bochumer Erläuterungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz (1998) R d n . 3. Vgl. hierzu allgemein Sowada G A 1988 195 ff, 205 f; zustimmend Zieschang Die Gefährdungsdelikte (1998) S. 337 (Fn. 551).

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Vollendung ausreicht. So bezieht Bayer25 den „Erfolg" auf das Erfordernis eines „tatsächlich verübten Angriffs". Das ist nicht unbedingt dasselbe wie ein erfolgreicher (= gelungener) Angriff. Vergleichbare Schwierigkeiten bezüglich der Festlegung der Deliktsnatur bestehen im übrigen auch bei anderen Straftatbeständen, so z.B. hinsichtlich des Merkmals des „Hilfeleistens" in § 257. 26 5

2. Beginn der Strafbarkeit. Die vorstehend angesprochene Problematik betrifft die Binnenabgrenzung zwischen (strafbarer) versuchter und vollendeter Tatbegehung. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob die Umgestaltung des § 316a auch die Außengrenzen des Strafbarkeitsbereichs verschoben hat. Dogmatisch erzwungen ist eine solche Veränderung nicht. Denn die Besonderheit der echten Unternehmensdelikte, den Versuch als Vollendung zu behandeln (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6), bedeutet keine Modifizierung der Maßstäbe, nach denen der Deliktsversuch von dem Bereich strafloser Vorbereitung abzugrenzen ist. Vor diesem Hintergrund würde sich die Reform des § 316a allein auf der Rechtsfolgenseite auswirken, indem die vormals als Vollendung geahndeten Versuchsfälle bei grundsätzlich gleicher Reichweite dem Regime der §§ 22 ff unterfielen. 27 Andererseits ist zu konstatieren, daß die Strafbarkeitsgrenzen bezüglich der alten Fassung vielfach sehr früh angesetzt wurden. Die Orientierung an früheren Judikaten und die durch den Unternehmenscharakter implizierte Gesamtbetrachtung haben zu einer vielfach zu Recht kritisierten extensiven Vorverlagerung der Strafbarkeit geführt, die auch mit der allgemeinen Verengung des Versuchsbeginns auf Fälle des „unmittelbaren" Ansetzens (§ 22) nicht in Einklang zu bringen war. 28 In diesem Zusammenhang ist die Umgestaltung des § 316a mittelbar von („psychologischer") Bedeutung. Denn mit dem Erfordernis, daß der Angriff „verübt" worden sein muß, geht eine perspektivische Veränderung in dem Sinne einher, daß der Blick vom diffusen Gesamtgeschehen punktuell auf den Augenblick der Einwirkung auf das Opfer gelenkt wird. 29 Wenngleich also bei streng dogmatischer Betrachtung die Grenzziehung zwischen Vorbereitung und Versuch an sich unangetastet bleibt, kann die Neugestaltung der N o r m den Bemühungen u m eine restriktive Auslegung neuen Auftrieb geben und somit ein Nachrücken der Versuchsgrenze nahelegen. Insofern verstärkt die Reform des § 316a tendenziell die Notwendigkeit, die früheren Judikate zum Strafbarkeitsbeginn nicht unbesehen fortzuschreiben, sondern im Lichte der Neufassung kritisch zu würdigen.

6

3. Privilegierung des Täterverhaltens. Ein drittes Problem betrifft den Bereich der Privilegierung des Täterverhaltens. Für den im Versuchsstadium befindlichen Täter eröffnet der Rücktritt (§ 24) die Möglichkeit völliger Straflosigkeit (bezüglich § 316a). Die Streichung der Vorschrift über die tätige Reue (§ 316 a Abs. 2 a. F.) ist insoweit dogmatisch konsequent und benachteiligt den Täter nicht, zumal die frühere Bestimmung die Möglichkeit des Absehens von Strafe (neben einer fakultativen Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1) lediglich in das Ermessen des Gerichts gestellt hatte. Allerdings bedeutet der Wegfall des § 316a Abs. 2 a. F. unter Umständen in anderer Hinsicht zugleich eine Verschärfung für den Täter. Zum früheren Recht wurde teil25

26 27 28

In: Schlüchter (Fn. 23) Rdn. 3. Vgl. auch Geppert JK 00 § 255/10 („erfolgsbezogenes Tätigkeitsdelikt"); ferner (zu § 316a a. F.) Horn SK. Rdn. 7 („Einwirkungserfolg"). Vgl. insoweit Küper BT S. 184f (mwN). Ch. Fischer Jura 2000 438; Küper BT S. 20. Geppert NStZ 1986 552, 553 f; Günther JZ 1987 23 ff; Kindhäuser Strafrecht Besonderer Teil II

29

2. Aufl. (1999) § 19 Rdn. 24; Krey BT/2 Rdn. 226; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rengier Strafrecht Besonderer Teil I 4. Aufl. (2000) § 12 Rdn. 13; Wessels/Hillenkamp BT/2 Rdn. 388. Vgl. auch zum Begriff „Angriffsunternehmen" Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 260 f; s. auch Sowada GA 1988 195, 208 f.

Stand: 1. 7. 2000

(414)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

weise die Auffassung vertreten, daß eine tätige Reue im Sinne des § 316a Abs. 2 bis zur Vollendung des geplanten Raubes, des räuberischen Diebstahls oder der räuberischen Erpressung in Betracht komme (vgl. näher unten Rdn. 48). Ferner wird darauf hingewiesen, daß auch nach der Neufassung des § 316a die Vollendungsstrafbarkeit deutlich im Vorfeld des vom Täter intendierten Eigentums- oder Vermögensdelikts einsetzt.30 Dieser Befund schlägt sich nicht allein in dem Bemühen nieder, das Merkmal des „Verübens" möglichst erfolgsnah zu interpretieren, sondern es gibt auch Überlegungen, die auf eine partielle analoge Fortgeltung des § 316a Abs. 2 a. F. (oder auf eine analoge Anwendung sonstiger Vorschriften über tätige Reue) gerichtet sind.31 II. Geschütztes Rechtsgut.Von der Umgestaltung der Vorschrift unberührt ist dem- 7 gegenüber der Streit über das geschützte Rechtsgut dieser „gewissermaßen auf der Nahtstelle zwischen Vermögens- und Verkehrsdelikten" 32 angesiedelten Strafnorm. Die Rechtsprechung 33 und ein Teil des Schrifttums 34 interpretieren die Vorschrift als eine Norm, die (zumindest gleichrangig neben den Vermögensaspekten 35 ) dem Schutz des Kraftverkehrs und dem Vertrauen in dessen Sicherheit dient. Demgegenüber sieht die Gegenansicht 36 in § 316a (jedenfalls primär 37 ) eine durch die besondere Begehungsweise qualifizierte Form des Raubes, des räuberischen Diebstahls bzw. der räuberischen Erpressung. Wenngleich der zuletzt genannten Auffassung zuzugeben ist, daß es zur Verwirklichung des § 316a weder der Herbeiführung einer Gemeingefahr noch der konkreten Gefahrdung von Verkehrsteilnehmern bedarf, sprechen die besseren Gründe dafür, die straßenverkehrsrechtliche Dimension nicht als bloßen Schutzreflex, sondern als tragenden Bestandteil der Unrechtskonzeption (neben dem Vermögensschutz) anzusehen. Diese Deutung entspricht sowohl der systematischen Einordnung des § 316a in den 28. Abschnitt des StGB als auch den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers.38 Das Hauptargument resultiert jedoch daraus, daß die in § 316a Abs. 1 angedrohte hohe Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe für ein im Vorfeld des Raubes (etc.) angesiedeltes Verhalten (unabhängig von der Frage der kriminalpolitischen Notwendigkeit einer solchen Strafdrohung) allenfalls durch den Hinweis auf ein hinzutretendes Schutzgut von Gewicht legitimierbar erscheint.39 Das Bemühen um eine Stimmigkeit der Rechtsfolgensystematik und die Anerkennung einer verkehrsrechtlichen Schutzgutsbestimmung bilden zugleich die Anknüpfungspunkte für die gebotene enge Auslegung des § 316a.40

30

31

32

33

34

35

Freund ZStW 109 (1997) 455, 482; Joecks Studienkommentar (1999) Rdn. 6; Müsch JA 1999 664 f; TröndlelFischer Rdn. 2; Wolters JZ 1998 397, 400; s. auch BTDrucks. 13/8587 S. 51. Wessels!Ηillenkamp BT/2 Rdn. 389; s. auch Ingelftnger JR 2000231 f; Küper BT S. 20. Niederschriften der Großen Strafrechtskommission 9 366. BGHSt. 5 280, 281; 13 27, 29; 22 114, 117; 39 249, 250; BGH MDR bei Holtz 1991 104, 105. Günther JZ 1987 375 fT; Geppert Jura 1995 311; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 27 f; Hentschel JR 1986 428, 429; Schäfer LK.10 Rdn. 3. Für eine kumulative Schutzrichtung Joecks Studienkommentar Rdn. 1; Lackner/Kühl Rdn. 1; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 1; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 381 f.

(415)

36

37

38 39

40

Otto Grundkurs Strafrecht: Die einzelnen Delikte (= BT) 5. Aufl. (1998) § 46 Rdn. 69; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 1; Krey BT/2 Rdn. 224; Meurer-Meichsner S. 96fT, 106f; Maurach! Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 45 f. Herzog N K Rdn. 3 ff; Horn SK Rdn. 2 (in Verbindung mit Rdn. 1 a vor § 306). Grundsätzlich kritisch zum „teleologischen Grauschleier", der § 316a umgibt, Ch. Fischer Jura 2000 436, 438, 441 f. Günther JZ 1987 376 f. In diesem Sinne auch die (für die Reform des § 316a durch das 6. StrRG bedeutsame; vgl. Ingelftnger JR 2000 225) Begründung zu § 348 des Ε 1962 (BTDrucks. IV/650 S. 5330 Hierzu Küper BT S. 20 f.

Christoph Sowada

§ 316a 8

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

III. Objektiver Tatbestand. Der objektive Tatbestand des § 316 a Abs. 1 erfordert das Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit (= Tathandlung) des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers (= Tatobjekt) unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs (= Tatsituation). 1. Tathandlung

9

a) Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit. „Angriff ist jede auf die Beeinträchtigung der genannten Rechtsgüter gerichtete feindselige Handlung ohne Rücksicht darauf, ob ein verletzender Erfolg eintritt.41 Dieser tatbestandliche Angriff und die geplante Raubtat können, müssen aber nicht zusammenfallen.42 Angriffe gegen Leib oder Leben setzen eine unmittelbar auf den Körper zielende feindselige Einwirkung voraus, bei der die Gefahr der Tötung oder einer nicht ganz unerheblichen (teilweise enger: erheblichen43) Körperverletzung besteht;44 hiernach genügt jede Art tatbestandsmäßiger Körperverletzung oder Tötung.45 Das Merkmal des Angriffs auf die Entschlußfreiheit umfaßt alle Formen der Nötigung, soweit diese nicht bereits Leibes- oder Lebensangriffe darstellen.46 Neben Gewalt (auch gegen Sachen) und Drohungen unterfallen nach nahezu einhelliger Ansicht47 auch Täuschungen dieser Tatbestandsalternative (s. aber auch Rdn. 32). In Betracht kommen ζ. B. die Errichtung einer Straßensperre (durch Umlegen von Bäumen, Spannen von Drähten, Ausstreuen von Nägeln o. ä.), Veränderungen am Fahrzeug (heimliches Auslaufenlassen von Treibstoff), das Ergreifen des Lenkrades, das Aufstellen falscher Verkehrszeichen, ferner das Vortäuschen einer Panne (BGHR § 316a Strafzumessung 1), eines Unfalls oder einer Polizeikontrolle, das Versperren der Fahrbahn durch einen Fußgänger (BGH GA 1965 150) oder das Gerieren als Anhalter (vgl. BGH MDR bei Daliinger 1975 725) jeweils in der Absicht, den anhaltenden Kraftfahrer zu überfallen.

10

Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein vollendeter Angriff liege nur vor, wenn das Verhalten des Täters objektiv geeignet ist, Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers zu beeinträchtigen. Fehle es hieran, so sei stets nur ein untauglicher Versuch gegeben.48 Eine solche Restriktion ist erkennbar von dem Bestreben geleitet, die Tatvollendung so weit wie möglich an die Verwirklichung des Erfolgsunrechts anzunähern und dem Täter (insbesondere angesichts des unvermindert hohen Strafrahmens und der Streichung des § 316a Abs. 2 a. F.) die Rücktrittsoption so lang wie 41

42

43

44

45

Sehl Schröder! Cramer Rdn. 3; Geppert Jura 1995 312; JaguschiHentsehel Rdn. 2; Herzog N K Rdn. 7; Ingelfmger JR 2000 227 (mwN); Lackner/Kühl Rdn. 2; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 3; Schäfer LK 10 Rdn. 5; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 383. S. auch Grünauer S. 8 ff. Geppert NStZ 1986 552, 553 (mwN); ders. Jura 1995 312; Herzog N K Rdn. 9; Horn SK Rdn. 3. Tröndle!Fischer Rdn. 2 in Verbindung mit § 102 Rdn. 5; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 383. BGH NStE Nr. 2; BGHR § 316a Abs. 1 Angriff Nr. 1; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 4; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 32; Griesbaum Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht (= HK/StVR) 1993 Rdn. 4; Herzog N K Rdn. 9; Lackneri Kühl Rdn. 2 in Verbindung mit § 102 Rdn. 2. Geppert Jura 1995 312; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 3.

46

47

48

BGH NStE Nr. 2 und 3; BGHR § 316a Abs. 1 Angriff Nr. 1; § 255 Drohung Nr. 3; DAR bei Spiegel 1989 241; Seh!Schröder!Cramer Rdn. 4; Geppert Jura 1995 312; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 32; LacknerlKühl Rdn. 2; Krey BT/2 Rdn. 226; Tröndle!Fischer Rdn. 2. S. (außer den in der vorigen Fn. angegebenen Nachweisen) Herzog N K Rdn. 10; Horn SK Rdn. 3; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 383; gegen die Einbeziehung von List (ohne nähere Begründung) Maurach!Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 50. Zu den nachfolgend im Text genannten Beispielen vgl. ferner SchlSchröder/Cramer Rdn. 4; Jaguschi Hentsehel Rdn. 6; Schäfer LK 10 Rdn. 8. Ingelfmger JR 2000 232; Stein, in: Dencker u. a. (Fn. 21)4. Teil Rdn. 114; Ch. Fischer Jura 2000 439f; ebenso zu § 316a a. F. Gössel BT/2 § 15 Rdn. 31.

Stand: 1. 7. 2000

(416)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

möglich offenzuhalten. Ferner wird ζ. T. allgemein der Anwendungsbereich „unechter" Unternehmensdelikte auf taugliche Versuchshandlungen beschränkt. 49 Dennoch erscheint die Ausgrenzung untauglicher Angriffsformen im Rahmen des 11 § 316a zweifelhaft.50 Der tätigkeitsbezogene Begriff des „Angriffs" erfaßt nach seiner Wortbedeutung auch objektiv ungefährliche Verhaltensweisen.51 Die Beschränkung des Tatbestands ist auf der zeitlichen Schiene vorzunehmen. Insoweit bildet das Merkmal des „Verübens" zugleich einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt. Die These, daß der Gesetzgeber bei der Neufassung alle Arten von materiellen Versuchen zumindest weitgehend von der Vollendungsstrafbarkeit ausnehmen wollte,52 findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. Verlangt man für die Vollendung ein zeitlich fortgeschrittenes Täterhandeln, so ist auch ein zwingendes Privilegierungsbedürfnis nicht zu erkennen (z.B. beim Abdrücken eines ungeladenen Revolvers oder dem Aussprechen der Drohung in einer vom Kraftfahrer nicht verstandenen Sprache). Im übrigen wird die praktische Auswirkung dieses Auslegungsproblems dadurch vermindert, daß ein untauglicher Angriff auf Leib oder Leben sich zugleich als tauglicher (ggf. sogar erfolgreicher) Angriff auf die Entschlußfreiheit darstellen kann (Beispiel: Der Täter will das Opfer mit einem Schuß aus der ungeladenen Gaspistole aus dem Auto vertreiben; obwohl kein Gas freigesetzt wird, flieht der Fahrer). b) Verüben. Im Gegensatz zur früheren Gesetzesfassung muß der Angriff nicht (nur) „unternommen", sondern „verübt" sein. Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn der Angriff „ausgeführt" ist.53 Hierfür genügt jedoch nicht schon der Beginn einer Ausführungshandlung (so aber TröndlelFischer Rdn. 2). Mit dem ersten Spatenstich zu einer Autofalle, in der geraume Zeit später ein Kraftfahrer gefangen werden soll, wird kein Angriff „verübt", sondern lediglich ein solcher vorbereitet. Würde man auch für die Neufassung des § 316a das Überschreiten der Schwelle zum „Jetzt geht es los" als Vollendung ansehen, so würde das gesetzgeberische Anliegen einer Unrechtsabstufung zwischen Versuch und Vollendung konterkariert und der Rücktrittsmöglichkeit jeder Anwendungsbereich entzogen (sofern man nicht den Versuch unter Mißachtung des § 22 schon vor dem unmittelbaren Ansetzen zur Einwirkung auf das Opfer beginnen lassen will). Deshalb ist ein fortgeschrittenes Stadium des Handlungsvollzugs in Gestalt eines beendeten materiellen Versuchs, d.h. die Vornahme einer den Kernbereich der Opfersphäre berührenden Angriffstätigkeit zu verlangen. 54

12

Zustimmung verdienen insoweit auch die zur Verdeutlichung gebildeten Beispiele von Joecks:55 Das Einsteigen in ein Taxi mit einer Schußwaffe, um den Taxifahrer zu überfallen, ist als straflose Vorbereitung zu beurteilen. Das Ergreifen der Waffe, um sie dem Taxifahrer wenig später an den Kopf zu halten, stellt ein unmittelbares Ansetzen zum Verüben (mithin einen Versuch des § 316a) dar. Hält der Täter dem Taxifahrer die Waffe an den Kopf, ist der Angriff verübt (= Vollendung). Weitere Beispiele für das Vorliegen einer vollendeten Tat sind das Aussprechen der Drohung oder die Abgabe eines Schusses.56

13

49

50 51 52 53

Rudolphi SK Rdn. 29; s. aber auch Sch/SchröderlEser Rdn. 53 f jeweils zu § 11; vgl. ferner Sowada GA 1988 195, 203ff. Ablehnend auch Horn SK Rdn. 7 (a. E.). Grünauer S. 14,40. Ingeifinger JR 2000 232. Küper BT S. 17; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 2; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 383.

(417)

54

55 56

In diesem Sinne Ingeifinger JR 2000 232; Joecks Studienkommentar Rdn. 6; Stein, in: Dencker u.a. (Fn. 21)4. Teil Rdn. 114. Studienkommentar Rdn. 6. LacknerlKühl Rdn. 4; Stein, in: Dencker u.a. (Fn. 21)4. Teil Rdn. 114.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

14

Diese Grenzziehung bedarf jedoch weiterer Präzisierung. Das Erfordernis eines „beendeten Versuchs" für die Annahme einer Vollendung des § 316a bringt zutreffend zum Ausdruck, daß es nicht genügt, wenn nach der Vorstellung des Täters weitere Zwischenschritte zur Beeinträchtigung von Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers vonnöten sind. Umgekehrt erscheint es jedoch zu weitgehend, jedes Verhalten, das im Rahmen der zu § 24 entwickelten Dogmatik als beendeter Versuch anzusehen wäre, als Vollendung zu qualifizieren. Denn abgesehen davon, daß diese Unterteilung auf die zur Erlangung der Straffreiheit notwendigen Anforderungen zugeschnitten ist (und der insoweit maßgebliche Rücktrittshorizont für die Auslegung des Merkmals des „verübten Angriffs" nicht paßt), hätte eine schematische Übertragung dieses Kriteriums zur Folge, daß für eine Straflosigkeit durch eine aktive Umkehrleistung des Täters kein Raum ist. Dieses Leerlaufen des § 24 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ist jedoch unangemessen. Kappt der Täter das von ihm gespannte Seil (oder deaktiviert er eine von ihm installierte Lichtschrankenkonstruktion) unmittelbar vor der Berührung des herannahenden Fahrzeugs, so ist der Angriff nicht „verübt", obwohl ein beendeter Versuch gegeben ist. Gleiches gilt, wenn der Täter, der dem Opfer den mit K.O.-Tropfen versetzten Kaffee gereicht hat, dem Opfer den Becher im letzten Augenblick aus der Hand schlägt.57 Während es für einen beendeten Versuch darauf ankommt, daß der Täter das seiner Vorstellung nach zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat und das Opfer in den Gefahrenbereich gelangt ist, muß das Täterverhalten für ein „Verüben" des Angriffs das Opfer (zumindest in der Tätervorstellung) tatsächlich erreicht haben.58 „Ausgeführt" ist der Angriff mithin erst mit der (vom Täter im Sinne eines „point of no return" verstandenen) Einwirkung auf das Opfer.

15

Dieser Restriktion kann nicht entgegengehalten werden, sie mache den § 316a zum Erfolgsdelikt.59 Auch die Einordnung anderer Straftatbestände als schlichte Tätigkeitsdelikte wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Täter mit seiner Handlung die Sphäre des Opfers oder eines Dritten erreichen muß.60 Das gilt etwa bezüglich des Hausfriedensbruchs (§ 123: „eindringen") oder der Eidesdelikte (§§ 153 ff: Vollendung mit Abschluß der Aussage vor Gericht). Der Tätigkeitsbezug des Merkmals „Angriff" ist dadurch gewahrt, daß es unerheblich ist, ob das Opfer getötet oder verletzt wird oder ob Drohungen oder Täuschungen tatsächlich zu einem entsprechenden Opferverhalten führen. Wegen der dem „Angriff" immanenten Subjektivierung reicht es aus, wenn der Täter die für erforderlich gehaltenen Handlungen erbracht und hierbei irrig das Eindringen in die Opfersphäre angenommen hat. So ist § 316a ζ. B. vollendet, wenn der Täter eine nicht funktionierende ferngesteuerte Autobombe zündet. 2. Täter und Tatobjekt

16

a

) Täterkreis. Der Täterkreis ist nicht beschränkt. Deshalb kommen neben den von außen angreifenden Dritten auch die Insassen des Fahrzeugs (unabhängig von ihrer Rolle im Straßenverkehr) als taugliche Täter in Betracht. Angreifer können somit auch der Fahrer selbst (BGHSt. 13 27 ff; 15 322, 324; BGH NJW 1971 765; BGH VRS 55 [1978] 262; Grünauer S. 42 ff; aA Beyer NJW 1971 873) oder ein Mitfahrer (gegenüber dem Führer des Kraftfahrzeugs 61 oder einem anderen Mitfahrer 62 ) sein.63 Vgl. zu den Beispielen Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 389; Ingelfinger JR 2000 232. Vgl. Ingelfinger JR 2000 232 („Berührung des Kembereichs der Opfersphäre"; „unmittelbaren Kontakt des AngrifTsmittels mit den geschützten Rechtsgütern").

59 60

61 62 63

Vgl. Roßmüller/Rohrer NZV 1995 258 f. Vgl. Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. I 3. Aufl. (1997) § 10 Rdn. 103 f. BGHSt. 6 32ff; 33 378fT. BGHSt. 13 27fT; 22 114ff. Geppert Jura 1995 312; Horn SK Rdn. 9; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 12.

Stand: 1. 7. 2000

(418)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

b) Tatobjekt. Als taugliches Tatobjekt nennt das Gesetz den Führer eines Kraft- 1 7 fahrzeugs sowie den Mitfahrer. Kraftfahrzeuge sind alle durch Maschinenkraft angetriebenen, nicht an Gleise gebundene Landfahrzeuge (§ 1 Abs. 2 StVG; s. auch § 248b Abs. 4). Hierzu rechnen auch Mofas, d.h. mit Maschinenkraft angetriebene Fahrräder mit Hilfsmotor und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h (BGHSt. 39 249 fr 64 ). Von einem „Führer" kann (ebenso wie von einem „Mitfahrer") nur bezüglich eines in Betrieb befindlichen Fahrzeugs gesprochen werden (BGH M D R bei Holtz 1976 988 = DAR bei Spiegel 1977 141). Anders als im Rahmen der §§ 315c, 316 ist hierfür nicht unbedingt erforderlich, daß das Fahrzeug erfolgreich in Bewegung gesetzt wurde oder sich im Augenblick des Angriffs in Bewegung befindet (BGHSt. 38 196ff = JR 1992 514 m. Anm. Keller6''). Maßgeblich ist insoweit vielmehr die Teilnahme am fließenden Straßenverkehr, so daß als „Führer" eines Kraftfahrzeugs anzusehen ist, wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen (auch während eines verkehrsbedingten Halts, ζ. B. an einer Ampel oder Bahnschranke) beschäftigt ist.66 „Mitfahrer" sind alle an diesem Verkehrsgeschehen (zumeist nur passiv) beteiligten 1 8 Insassen des Fahrzeugs (Beifahrer, Fahrgast), wobei es (ebenso wie für den Fahrzeugführer 67 ) unerheblich ist, ob die (Mit-)Fahrt freiwillig, aufgrund einer Täuschung oder infolge einer Nötigung erfolgt. 68 Auch der Umstand, daß sich das Opfer im Augenblick des Angriffs außerhalb des 1 9 Fahrzeugs befindet, schließt eine Verwirklichung des § 316a nicht zwingend aus (ζ. B. während des Tankens, der Sicherung einer Unfallstelle oder dem Einsammeln verlorener Ladung 69 ). Im Gegensatz zu Bemühungen im Schrifttum, für bestimmte Fallkonstellationen eine Restriktion des § 316 a durch eine Verneinung der Tatobjektsqualität zu erreichen (Gössel BT/2 § 15 Rdn. 33 f, 36 ff70), schenkt die Rechtsprechung den Merkmalen „Führer" und „Mitfahrer" vergleichsweise wenig Beachtung 71 und legt den Akzent auf das (stärker auf den funktionalen Zusammenhang abstellende 72 ) Kriterium des „Ausnutzens der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" (s. hierzu Rdn. 20 ff). Unter dem Gesichtspunkt des untauglichen Tatobjekts lassen sich aber zumindest jene Fallgestaltungen herausfiltern, die in deutlichem zeitlichen Abstand dem eigentlichen Führen eines Fahrzeugs vorgelagert sind (z.B. Überfall eines vor Fahrtantritt auf dem Weg zu seinem Fahrzeug befindlichen Kraftfahrers; vgl. BGH M D R bei Holtz 1976 988 = DAR bei Spiegel 1977 141) oder ihm nachfolgen (z.B. Raub in der Schlafkoje eines geparkten Lkw, wo der Täter zuvor mit dem Opfer Geschlechtsverkehr hatte 73 ). 64

Ebenso Sehl Schröder! Cramer Rdn. 5; Geppert Jura 1995 312; JaguschiHentschel Rdn. 3; Horn SK Rdn. 3; ablehnend Große NStZ 1993 527. 65 Vgl. ferner BGHSt. 25 315 ff; BGH NStE Nr. 3; NJW 1969 1679; Geppert Jura 1995 312; Herzog N K Rdn. 13 (mwN); Schäfer LK'° Rdn. 6. « Roßmüller JR 1997 162; Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 254f; Geppert Jura 1995 312; Horn SK Rdn. 3. 67 BGH JR 1997 162 m. Anm. Roßmüllen Geilen S. 746. 68 Horn SK Rdn. 3; Lackner/Kühl Rdn. 2; s. femer BGH NStZ 19% 435 = NZV 1997 236 m. Anm. Roßmüller, aber auch BGHR § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 11. (419)

69

70

71

72

73

S. auch BGHSt. 33 378, 381; BGH NStZ 1996 435 = NZV 1997 236 mit Anm. Roßmüller, SehlSchröder/Cramer Rdn. 5; Geppert Jura 1995 312; enger Horn SK Rdn. 3. S. auch Ch. Fischer Jura 2000 437; Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 261 f; ferner Gunther JZ 1987 369 ff. Vgl. Ch. Fischer Jura 2000 437; Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 254 f; Roßmüller NZV 1997 236. Vgl. Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 17; Wessels! Hillenkamp BT/2 Rdn. 383. BGH vom 1 1 . 2 . 1 9 7 0 - 2 StR 600/69 (allerdings als Frage des Ausnutzens der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs; ebenso BGH NStZ 2000 144 [mwN]).

Christoph Sowada

§ 316a 20

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

3. Tatsituation. Die vom Gesetz zur Umschreibung der Tatsituation verwandte Formel von der „Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" bereitet seit jeher erhebliche Auslegungsschwierigkeiten.74 In Wahrheit umfaßt dieser „Schlüssel"Begriff des § 316a zwei voneinander zu trennende (wenngleich vielfach ineinander übergehende) Erfordernisse.75 Das Merkmal der „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" ist auf die opferbezogenen Besonderheiten der Tatsituation zugeschnitten.76 Demgegenüber ist das Kriterium des „Ausnutzens" täterbezogen.77 Es bringt zum einen (negativ) zum Ausdruck, daß der Täter die spezifische Situation nicht geschaffen haben muß, sondern daß es ausreicht, wenn er die vorgefundenen Umstände in seinen Tatplan integriert (BGHSt. 18 170, 171; BGH VRS 29 [1965] 198, 199; Herzog NK Rdn. 16). Umgekehrt ist jedoch (positiv) das Bewußtsein des Täters unverzichtbar, sich die Gegebenheiten des Straßenverkehrs für die Tatbegehung zunutze zu machen. Das Gesetz bezieht die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausschließlich auf die Tathandlung (also das Verüben des Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit), nicht hingegen auf die (möglicherweise spätere) Durchführung des geplanten Raubes, räuberischen Diebstahls bzw. der räuberischen Erpressung78 (s. aber auch Rdn. 28, 38ff, 43). a) Darstellung der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung

21

aa) Gefahren des fließenden Straßenverkehrs. Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darüber, daß das Merkmal der „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" auf jene Gefahrenlage abstellt, die dem fließenden Straßenverkehr eigentümlich ist; so in ständiger Rechtsprechung (u.a.) BGHSt. 18 170, 171; 25 315, 317; 37 256, 258; 38 196, 197 = JR 1992 514 m. Anm. Keller sowie Geppert JK 92 § 316a/4; 39 249, 250f; BGH NJW 1971 765; BGH NStZ 1989 476, 477; 1994 340, 341 m. Anm. Häuf NStZ 1996 40 f = NZV 1994 444 m. Aufs. Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 253, 255 ff; BGH NStZ 1996, 435 = NZV 1997 236 m. Anm. Roßmüller; BGH NStZ 2000 144. Das ist auch einhellige Ansicht im Schrifttum.79 Eine solche typische Gefahrenlage resultiert „in erster Linie" aus der Beanspruchung des Fahrers durch das Lenken eines Kraftfahrzeugs, insbesondere aus der damit verbundenen Konzentration und der hieraus folgenden Erschwerung einer Gegenwehr (BGHSt. 38 196, 197; BGH NStZ 1994 340, 341; BGH NStZ-RR 1997 35680). Als weitere (bezüglich ihrer Reichweite jedoch umstrittene; vgl. Rdn. 22, 33) Gefahrenmomente werden für alle Insassen die Erschwerung von Flucht oder Gegenwehr (BGHSt. 5 280, 281; 15 322, 324; 25 315, 317; BGH VRS 7 [1954] 125, 127), daneben aber auch die Isolierung und Unerreichbarkeit 74

Küper BT S. 21; vgl. auch Frankel LM Nr. 1; Hentschel JR 1986 428, 429; Rusam S. 72 ff sowie die von Beyer (NJW 1971 2034) wiedergegebene Äußerung aus dem Bundesjustizministerium (in der Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vom 21.1.1971), „daß die Rechtsprechung auch des BGH zu § 316a gezeigt habe, daß man mit der Formulierung .unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs' machen könne, was man wolle". Die durch das 6. StrRG bewirkte Änderung (statt „unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" heißt es nunmehr „und dabei [= beim Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit] die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt") ist rein sprachlicher Natur; Ch. Fischer Jura 2000 440.

75 76 77 78

79

80

Geppert Jura 1995 313. Günther JZ 1987 378, 380. Günther JZ 1987 378, 381. Ch. Fischer Jura 2000 438; Geppert NStZ 1986 552; ders. JK 91 § 316a/3; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 14; Roßmüller NZV 1997 237. Vgl. ζ. B. (auch zum Folgenden) Sch/Schröderl Cramer Rdn. 6; Geppert Jura 1995 313f; Jaguschi Hentschel Rdn. 5; Horn SK Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 3; Rengier BT/2 § 12 Rdn. 4; TröndlelFischer Rdn. 3; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 385 f. Ohne eine entsprechende Hervorhebung („in erster Linie") BGHSt. 5 280, 281; 24 173, 176; BGH, VRS 29 (1965) 198, 199; BGH NStZ 1989 476, 477.

Stand: 1. 7. 2000

(420)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

fremder Hilfe (gegebenenfalls infolge der schnellen Verbringung an einsame Orte) angeführt (BGHSt. 5 280, 281; 13 27, 30; 24 173, 176; BGH NStZ 1989 476, 477; BGH MDR bei Holtz 1991 104, 105). Auf dieser Grundlage ist zu konstatieren, daß sich die neuere Rechtsprechung um 2 2 eine (jedenfalls im Vergleich zur früheren Judikatur 81 ) restriktive Auslegung bemüht. So wird § 316a in den Fällen verneint, in denen der Angriff „im ruhenden Verkehr stattfindet, also erst in zeitlichem Abstand, nachdem das Fahrzeug auf einem Parkplatz, am Fahrtziel oder einem Zwischenziel angekommen und die Fahrt damit zumindest vorerst beendet ist" (BGH NStZ 1996 435, 43682); zum Angriff vor dem Losfahren vgl. BGH DAR bei Martin 1970 114; BGH MDR bei Holtz 1980 629 (anders bezüglich der erzwungenen Mitfahrt; vgl. BGH MDR bei Holtz 1977 638; BGH JR 1997 162 m. Anm. Roßmüller, Krey BT/2 Rdn. 2330; zum Verbringen eines gefesselten Opfers an einen entlegenen Ort (§ 316a verneinend) BGHR § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 11. Ferner werden die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs nicht bereits dadurch ausgenutzt, daß Gegenstand des Raubes ein fahrbereites Kraftfahrzeug ist oder daß darüber hinaus der Täter das Fahrzeug als Fluchtmittel nutzen will (BGHSt. 38 196, 19783). Des weiteren genügt es nicht, daß lediglich die Abwehrmöglichkeiten des Fahrers durch die Enge im Fahrzeug eingeschränkt ist (BGH NStZ 1996 389, 390; 2000 144; s. aber auch BGH NStZ 1994 340, 341). Ungeachtet dieser Einschränkungen umfaßt der B e r e i c h des fließenden Straßen- 2 3 nach einhelliger Ansicht auch die Phasen eines verkehrsbedingten Halts im Verlauf einer noch andauernden Fahrt (ζ. B. an einer roten Ampel 84 ); anders hingegen beim Parken in zweiter Reihe, um jemandem das Aussteigen zu ermöglichen.85 Verkehrs

bb) Fortwirken der Gefahrenlage. Darüber hinaus wird auch bei Überfallen nach 2 4 dem (nicht verkehrsbedingten) Anhalten des Fahrzeugs eine Verwirklichung des § 316a unter einschränkenden Voraussetzungen für möglich gehalten (BGH NStZ 1994 340, 341; BGH NStZ-RR 1997 356 jeweils mwN). Das gilt selbst dann, wenn das Opfer das Fahrzeug bereits verlassen hat (BGHR § 316a Straßenverkehr 3 [mwN]; BGH NStZ 1989 476, 477). Der maßgebliche Grundgedanke besteht auch insoweit darin, daß die Tat in naher Beziehung zur Benutzung des Kraftfahrzeugs als Verkehrsmittel stehen und es im Tatplan eine Rolle in der Weise spielen muß, daß die durch seine Fortbewegung geschaffene Gefahrenlage zu dem räuberischen Überfall ausgenutzt wird oder wenigstens ausgenutzt werden soll.86 Ein Fortwirken der auf den Verhältnissen des fließenden Verkehrs beruhenden 2 5 Gefahrenlage 87 ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen muß der räuberische Entschluß bereits (vor oder) während der Fahrt gefaßt worden sein. Bezüglich eines (möglicherweise) erst nach Fahrtende gefaßten Entschlusses fehlt es an einem Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs (BGHSt. 37 256, 258; BGH NStZ 81 82

83

84

Vgl. hierzu Meurer-Meichsner S. 59 ff. S. auch BGHSt. 38 196, 198 m. Anm. Keller JR 1992 515, 516; BGH NStZ 1994 340, 341 m. Anm. Häuf NStZ 1996 40; weiter hingegen noch BGHSt. 18 170, 171. S. auch BGHSt. 22 114, 117; 24 320, 321 = ausführlicher in NJW 1972 913, 914; BGH NJW 1969 1679; BGH NStZ 1996 389, 390; BGH NStZ-RR 1997 356. BGHSt. 38 196, 197 f m. Anm. Keller JR 1992 515, 516; s. auch BGHR § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 1.

(421)

85

86

87

BGH NStZ-RR 1997 356; s. auch BGH NStZ 1996 435 = NZV 1997 236 m. Anm. Roßmüller, Gössel BT/2 § 15 Rdn. 37. BGHSt. 6 82, 83f; 19 191 f; 22 114, 116f; BGH GA 1979 466; BGH EzSt Nr. 1; Krey BT/2 Rdn. 227 ff; Otto BT § 46 Rdn. 71 f. BGHSt. 5 280, 282; 22 114, 116; BGH NStZ 1989 476; Lackner/Kühl Rdn. 3; s. auch (jeweils zu § 316a a. F.) Geilen S. 746; MaurachlSchroeder BT/1, §35 Rdn. 51 f.

Christoph Sowada

§ 316a

28. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

2000 144 [mwN]88). Das gilt auch dann, wenn der Täter bereits während der Fahrt beabsichtigte, gegen den Kraftfahrer unmittelbar nach dem Anhalten des Fahrzeugs eine andere Straftat als die in § 316a genannten Delikte zu begehen.89 Doch wird § 316a bejaht, wenn der aus einem anderen Grunde begonnene Angriff unter fortdauernder Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs in räuberischer Absicht fortgesetzt wird.90 Umgekehrt fehlt es an einem derartigen Ausnutzen, wenn der Täter zu Fuß an ein zufällig (nicht fahrtechnisch bedingt) haltendes Fahrzeug herantritt, um dessen Insassen während des Aufenthalts zu berauben (BGH GA 1979 466, 467; BGH EzSt Nr. 1; BGH NStZ-RR 1997 356; TröndlelFischer Rdn. 3; s. auch BGH MDR bei Holtz 1980 629); anders bezüglich eines vom Täter zum Tatort gelockten Fahrzeugs BGH NStZ 1994 340 mit Anm. Häuf NStZ 1996 40 f und Aufs. Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 255 ff. 26

Die zweite Einschränkung betrifft jene Fälle, in denen das Opfer außerhalb des Fahrzeugs angegriffen wird. Für eine Bejahung des § 316a genügt es nicht, daß das Fahrzeug lediglich als Beförderungsmittel zum Tatort benutzt wird, wenn dieser selbst zum fließenden Verkehr keine ihm wesenseigene Beziehung hat (BGHSt. 5 280, 282; 22 114, 116;91 kritisch Ch. Fischer Jura 2000 436). Der erforderliche Bezug zum fließenden Straßenverkehr wird deshalb nur unter der Voraussetzung für gegeben erachtet, daß der geplante Überfall in „unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang" mit dem Anhalten und Aussteigen steht (BGHSt. 33 378, 381 m. Anm. Geppert NStZ 1986 552 f und Hentschel JR 1986 428, 429 f 92 ). Im Schrifttum wird dieses Erfordernis zumeist (wohl sachlich gleichbedeutend) als „enge räumlichzeitliche Beziehung zur Benutzung des Fahrzeugs als Verkehrsmittel" umschrieben.93

27

Abgesehen von der allgemeinen Feststellung, daß ein Angriff „in unmittelbarer Nähe des Kraftfahrzeugs" ausreicht,94 ist der Kasuistik zu § 316 a a.F. zu entnehmen, daß der BGH die Beziehung zum Straßenverkehr bei einer Entfernung von 100 m zunächst (in BGHSt. 5 280, 282) unzweifelhaft als gegeben angesehen, diese Beurteilung später jedoch als „weit gehend" bezeichnet hatte (BGHSt. 22 114, 116). Hinsichtlich eines Überfalls in 750 m (nach längerem Fußmarsch in den Weinbergen) bzw. 155 m Entfernung vom Fahrzeug (in einem Schrebergartengelände) wurde eine Unterbrechung des räumlichen Zusammenhangs angenommen (BGHSt. 22 114ff; 33 378, 380 f). Ferner wird betont, daß es vorrangig nicht auf den tatsächlichen Ablauf des Überfalls und die hierbei zwischen Fahrzeug und Tatort liegende Entfernung, sondern auf die diesbezüglichen Vorstellungen des Täters bei Fahrtbeginn (bzw. während der Fahrt) ankomme (BGH NStZ 1989 476, 477). Ein hinreichender zeitlicher Zusammenhang wurde bezüglich eines Überfalls verneint, der mindestens zehn Minuten 88

89

90

91

BGH StV 1985 415 (L); BGH VRS 29 (1965) 198 f; BGH DAR bei Spiegel 1976 86; Sehl Schröder/Cramer Rdn. 6; Griesbaum HK/StVR Rdn. 7; Hentschel JR 1986 428, 429; Hühner JR 1975 201, 202 (mwN); Joecks Studienkommentar Rdn. 15; Rengier BT/1 § 12 R d n . l l ; Wessels/ Hillenkamp BT/2 Rdn. 385. BGHSt. 37 256, 258; BGH VRS 55 (1978) 262, 263. BGHSt. 25 315, 317 m. Anm. Hübner JR 1975 201 f; BGH VRS 55 (1978) 262, 263; Geppert JK 91 § 316a/4. BGH NStZ 1989 119 und 476, 477; BGH NStZ 1996 435, 436 = NZV 1997 236 m. Anm. Roßmüller; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 385.

92

93

94

BGH NStZ 1989 476, 477; BGH NStZ 1996 435, 436 = NZV 1997 236; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 6; Otto BT § 46 Rdn. 71 f. Küper BT S. 18. Vgl. ferner Geppert Jura 1995 314; Jaguschi Hentschel Rdn. 5; Herzog N K Rdn. 18 f; HohmannlSander Strafrecht Besonderer Teil I (1998) § 15 Rdn. 12; Horn SIC Rdn. 4; Lackneri Kühl Rdn. 3. Tendenziell restriktiver (auf einen „[sehr]" engen Zusammenhang abstellend) Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 17; weniger eng hingegen (zu § 316a a.F.) Geilen S. 746 und MaurachlSchroeder BT/1 § 35 Rdn. 51 f. BGHR § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 3 (mwN).

S t a n d : 1. 7. 2000

(422)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

nach Beendigung der Fahrt außerhalb des Fahrzeugs erfolgte (BGH DAR bei Tolksdorf 1997 178); ferner in einem Fall, in dem der Täter den räuberischen Zugriff auf den Dirnenlohn erst nach dem Geschlechtsverkehr und mithin in längerem zeitlichen Abstand zum Anhalten am Tatort beabsichtigte (BGH NStZ 1996 435 f = NZV 1997 236 mit Anm. Roßmüller). b) Kritik. Die dargestellte Konzeption der herrschenden Meinung hat in den letzten 2 8 Jahren zunehmende Kritik 95 erfahren, die sich allerdings bislang nicht entscheidend hat durchsetzen können. In ihrer Stoßrichtung zielen die Gegner der Judikatur auf eine stärkere Verengung des § 316 a. Die Kontroversen betreffen vornehmlich die Fälle, in denen der räuberische Überfall erst nach Beendigung der Fahrt (insbesondere außerhalb des Fahrzeugs) erfolgt bzw. erfolgen soll. Eine solche „Auslegung mit Metermaß und Stoppuhr" erweckt sowohl unter Praktikabilitäts- als auch unter Bestimmtheitsaspekten Bedenken. 96 Zudem mutet es widersprüchlich an, wenn einerseits § 316a bei einem Überfall auf den Insassen eines am Rastplatz stehenden Fahrzeugs verneint, andererseits aber ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer selbst in 100m Entfernung vom Fahrzeug allein deshalb bejaht wird, weil der Täter bereits während der Fahrt einen entsprechenden Angriffsvorsatz gefaßt hatte. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die Bedeutung der von der Rechtsprechung entwickelten Gefahrenmomente (Ablenkung des Fahrers, räumliche Enge, Vereinzelung) für die Auslegung des § 316a zu bestimmen. Schließlich wird von der Rechtsprechung nicht stets mit genügender Klarheit beachtet, daß der Täter nach der Konzeption des Gesetzes die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs im Zeitpunkt der Tathandlung, also des Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers, ausnutzen muß. 97 Dieser tatbestandsmäßige Angriff ist von der auf die Begehung des Raubes, des räuberischen Diebstahls oder der räuberischen Erpressung gerichteten Gewalt oder Drohung prinzipiell zu trennen, auch wenn beide Aspekte sich im Einzelfall in einem identischen Verhalten manifestieren können. 98 Im Gegensatz zur restriktiven Grundtendenz eröffnet das Abstellen auf den Angriff allerdings tendenziell die Möglichkeit zu einer Ausweitung des Tatbestandes (vgl. unten Rdn. 38). Die kritische Auseinandersetzung mit der von der Rechtsprechung und der herr- 2 9 sehenden Meinung vertretenen Konzeption kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen geführt werden. Zum einen ist es denkbar, auf der „Makroebene" alternative Restriktionsansätze zu formulieren, um eine vergleichsweise radikale Verengung des § 316a herbeizuführen. Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Grundansatz der herrschenden Auffassung - die Differenzierung zwischen dem fließenden und dem ruhenden Straßenverkehr - zugrunde zu legen und auf dieser Basis (intrasystematisch) die konkrete Umsetzung dieses Modells kritisch zu würdigen. Den Ausgangspunkt jeglicher Restriktionsbemühungen bildet die hohe Regelstraf- 3 0 drohung des § 316a Abs. 1. Wenn bereits im Vorfeld des Raubes (bzw. der §§ 252, 255) angesiedelte Verhaltensweisen eine gegenüber § 249 auf das Fünffache gesteigerte Mindeststrafe nach sich ziehen sollen, so läßt sich dies (wenn überhaupt) nur durch 95

96

Vgl. insbesondere CA. Fischer Jura 2000 436 ff; Günther JZ 1987 23 fT und 369 ff; Herzog N K Rdn. 15 fF; Horn SK Rdn. 3 ff; Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 253 ff. Günther JZ 1987 375; Herzog NK Rdn. 19; s. auch Gössel BT/2 § 15 Rdn. 42.

(423)

9

' Geppert NStZ 1986 552; Günther JZ 1987 373; Horn SK Rdn. 4a (weitere Nachweise oben in Fn. 78). Zur Kritik an der Rechtsprechung s. auch CA. Fischer Jura 2000 438; Geppert JK 91 § 316a/3. 98 MaurachlSchroeder BT/1 § 35 Rdn. 57; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 22; weitere Nachweise oben in Fn. 42.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

das Hinzutreten einer beträchtlichen zusätzlichen Unrechtskomponente legitimieren, die angesichts des dualen Schutzguts der Vorschrift (s. Rdn. 7) gerade auf die Verkehrssicherheit zu beziehen ist. Den historischen Regelungsanlaß für das Autofallengesetz bildeten die Fälle der mechanischen Hindernisse (ζ. B. durch das Spannen von Drahtseilen). Dieser „Prototyp" des räuberischen Angriffs ist dadurch gekennzeichnet, daß es sich (1) um Angriffe von außen handelt, die sich (2) gegen ein in Bewegung befindliches Fahrzeug richten und bei denen (3) der Angriff in einer räumlich und zeitlich engen Beziehung zum sich (in der Vorstellung des Täters) unmittelbar anschließenden räuberischen Akt steht. Diese ursprünglich im Vordergrund stehenden Gesichtspunkte kommen heute kumulativ kaum noch vor." Vielfach sind die Täter Fahrzeuginsassen; überdies richten sich die Angriffe zumeist gegen stehende (teilweise sogar abgestellte und von den Beteiligten verlassene) Kraftfahrzeuge. Verglichen mit den früher vorherrschenden Konstellationen weisen diese „modernen" Fallgestaltungen ein deutlich geringeres Unfallrisiko auf. Wenngleich der Wortlaut des § 316 a weder eine Gemeingefahr noch den Eintritt einer konkreten Gefahr für den Angegriffenen oder sonstige Verkehrsteilnehmer voraussetzt, bildet die Überlegung, daß das räuberische Vorhaben des Täters die Gefahr eines Verkehrsunfalls mit erheblichen Rechtsgutsverletzungen des Opfers und unbeteiligter Dritter heraufbeschwört, den naheliegendsten und einleuchtendsten Grund für eine deutliche Verschärfung der für das Raubdelikt vorgesehenen Strafdrohung. Fraglich ist jedoch, in welcher Weise und in welchem Ausmaß dieser Aspekt die Tatbestandsrestriktion bestimmen soll. 31

aa) Alternative Restriktionsänsätze. Einen grundsätzlich eigenständigen Charakter hat die von Beyer (NJW 1971, 872f) befürwortete Beschränkung des § 316a auf von außen kommende Angriffe auf den Führer eines Kraftfahrzeugs. Diese Konzeption vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sowohl die Einbeziehung der „Mitfahrer" als taugliche Tatobjekte als auch der vom Gesetzgeber 1952 beabsichtigte Schutz von Taxifahrern vor Überfallen seitens der Fahrgäste sprechen gegen diese Tatbestandsverengung.100 Es kommt hinzu, daß der während der Fahrt von einem Mitfahrer bedrohte (aber auch der einen Beifahrer bedrohende) Kraftfahrer erheblich abgelenkt ist und aus der besonderen psychischen Anspannung erhebliche Unfallgefahren resultieren. 32 Einen weiteren selbständigen Restriktionsansatz bildet die vollständige Ausblendung von Täuschungsangriffen.101 Für diese Tatbestandsreduktion läßt sich ins Feld führen, daß der irrtumsbefangene Kraftfahrer in der Beherrschung der von ihm zu bewältigenden Verkehrsvorgänge grundsätzlich nicht beeinträchtigt ist. Der Umstand, daß der Fahrer an eine bestimmte (einsame) Stelle gelockt oder zum Anhalten veranlaßt wird, erhöht zwar für ihn die Gefahr, Opfer einer räuberischen Tat zu werden. Hierin läßt sich allgemein auch ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs sehen, wenn man es ζ. B. für unerheblich erklärt, ob der Täter das Opfer durch mechanische Fallen oder durch List zum Halten bringt. Legt man den Akzent dieses Tatbestandsmerkmals aber nicht auf die Raubgefahren, sondern (unter Betonung der Verkehrssicherheit) auf eine signifikante Steigerung latenter Unfallgefahren, so erscheint eine generelle Herausnahme von Täuschungsangriffen durchaus diskutabel. Zumindest besteht Veranlassung, der Fallgruppe der mit List verübten Angriffe auf die Entschlußfreiheit einen restriktiven Zuschnitt zu geben (s. unten Rdn. 39f). 99

Grünauer S. 23, 55. Vgl. aber BGHSt. 39 249 (Angriff auf Mofa-Fahrer).

100 101

Günther JZ 1987 373 (Fn. 72). Hierfür MaurachlSchroeder BT/1 § 35 Rdn. 50 (s. auch oben Fn. 74).

Stand: 1. 7. 2000

(424)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

bb) Intrasystematische Kritik der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung. 3 3 Unterzieht man die von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung vertretenen Resultate einer intrasystematischen Kritik, so bildet die Gegenüberstellung zwischen fließendem und ruhendem Verkehr den alleinigen dogmatischen Beurteilungsmaßstab. Die Aspekte der Ablenkung, der räumlichen Enge und der Vereinzelung sind lediglich unselbständige Hilfsüberlegungen ohne eigenständige dogmatische Relevanz. Die Beengtheit ist dem Fahrzeug stets immanent, und die Abgelegenheit des Überfallortes ist keine spezifische Eigenschaft des fließenden Straßenverkehrs. 102 Ausweislich der Gesetzesmaterialien 103 sollen Angriffe in Garagen oder Gasthöfen jedoch nicht der Strafvorschrift des § 316a unterfallen. Hieraus folgt, daß nicht die statischen Faktoren des Fahrzeugs oder des Tatorts entscheidend sind, sondern die dynamische Komponente des fließenden Straßenverkehrs. Im Hinblick darauf, daß der Gesetzeswortlaut die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausschließlich auf den tatbestandlichen Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers bezieht und daß dieser Angriff mit dem Raubakt identisch sein kann, aber nicht muß, lassen sich die Überlegungen in zwei unterschiedliche Fallkonstellationen einteilen. (1) Angriff und räuberisches Nötigungsmittel als situative Einheit (= 1. Konstellation). 3 4 Sofern der tatbestandsmäßige Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit und der geplante Raubakt im konkreten Fall eine situative Einheit bilden (sollen), muß sich dieses Gesamtgeschehen im fließenden Verkehr abspielen. Für die Abgrenzung zwischen fließendem und ruhendem Verkehr gibt es zwei Eckpunkte: Einerseits sind Angriffe auf ein fahrendes oder in einem in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeug stets dem fließenden Straßenverkehr zuzuordnen, 104 während umgekehrt das Parken die Ausgliederung des Fahrzeugs in den ruhenden Verkehr darstellt. Zwischen diesen Polen sind die Konstellationen des Angriffs auf ein haltendes 3 5 Fahrzeug angesiedelt. Insoweit wird nach einhelliger Auffassung 105 der verkehrsbedingte Halt dem Bereich des fließenden Verkehrs zugerechnet. Für diese der straßenverkehrsrechtlichen Beurteilung entsprechende Zuordnung 106 wird angeführt, daß der Kraftfahrer auch während verkehrsbedingter Haltesituationen seine Konzentration auf die Verkehrsvorgänge richtet. 107 Diese Sichtweise ist vertretbar, wenn man das Abstellen auf den fließenden Straßenverkehr als Ausdruck eines formalisierten, von den Umständen des Einzelfalles strikt abstrahierenden Regelungsmodells sieht. Immerhin erscheint insoweit auch eine restriktivere Position denkbar, die darauf verweist, daß die Ablenkung lediglich die Raubgefahr erhöht, aber keine verkehrstypische Unfallgefahr begründet. Weithin ungeklärt sind sonstige kurzzeitige Fahrtunterbrechungen. Diesbezüglich 3 6 könnte man wegen der freiwilligen Entscheidung des Fahrers zum Anhalten eine Zuordnung zum fließenden Verkehr pauschal verneinen oder darauf abstellen, ob der Halt aus verkehrsbedingten Gründen veranlaßt war (ζ. B. Tanken, Blick in die Karte, Ein- und Aussteigenlassen). 108 Schließlich wäre es auch möglich, auf die Dauer der Fahrtunterbrechung abzustellen und danach zu fragen, ob der Kraftfahrer bei einer 102

Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 254, 255 ff; HornI Hoyer JZ 1987 965, 968; s. auch Häuf NStZ 1996 40f; Horn SK Rdn. 4. 103 BTDrucks. 1/3774, Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen S. 6; s. auch Hentschel JR 1986 428, 429. 104 Herzog N K Rdn. 16; Horn SK Rdn. 4.

(425)

105

Vgl. Rdn. 23; Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 255 und die in der vorigen Fn. angegebenen Nachweise. '« Jaguschi Hentschel Rdn. 16, 19; Mühlhausl Janiszewski StVO 15. Aufl. (1998) Rdn. 3 jeweils z u § 12StVO. 107 BGHSt. 38 196, 197 f m. Anm. Geppert JK. 92 § 316a/4 und Keller JR 1992 515, 516. 108 Vgl. Rusam S. 21 f.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Gesamtwürdigung weiterhin „unterwegs" und somit durch diese andauernde Lage in seiner Aufmerksamkeit beansprucht ist. Die äußerste Grenze markiert aber die (in § 12 Abs. 2 StVO normativ vorgezeichnete109) Abschichtung zwischen Halten und Parken: Der Angriff auf den Führer (oder den Mitfahrer) eines parkenden Kraftfahrzeugs unterfallt nicht dem Anwendungsbereich des § 316a. Ob das Fahrzeug geparkt wird, bestimmt sich aus der Perspektive des Fahrers;110 der Status des Mitfahrers ist akzessorisch. Wenn man die Haltephasen zum Ein- und Aussteigen bzw. zum Be- und Entladen dem fließenden Verkehr zurechnet, bleiben deshalb Taxifahrer auch nach Erreichen des vom Fahrgast angegebenen Zielortes im Schutzbereich des § 316a, sofern sie (wie regelmäßig) ihre Fahrt in unmittelbarem Anschluß fortzusetzen beabsichtigen.111 37

Die Rechtsprechung mißt der Abgrenzung zwischen fließendem und ruhendem Verkehr nur eine eingeschränkte Bedeutung zu.112 Zwar wird eine Strafbarkeit gemäß § 316a verneint, wenn der Täter in räuberischer Absicht von außen an ein ohne sein Zutun haltendes Fahrzeug herantritt oder wenn er als Fahrzeuginsasse den Angriffsentschluß (möglicherweise) erst nach Fahrtende (aus seiner Sicht113) gefaßt hat. Im Gegensatz hierzu werden aber selbst Überfalle nach dem Parken und Verlassen des Fahrzeugs gemäß § 316a geahndet, sofern der Entschluß zum räuberischen Angriff bereits während der Fahrt gefaßt worden ist und der Überfall in unmittelbarem räumlichen und zeitlichem Zusammenhang mit dem Anhalten und Aussteigen steht. Diese Differenzierung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Das Merkmal der „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" dient im Tatbestandsgefüge der Umschreibung der spezifischen Opfersituation.114 Für die Frage, ob das Opfer den spezifischen Verkehrsgefahren ausgesetzt ist, ist es aber grundsätzlich ohne Bedeutung, ob es den Tatort gemeinsam mit dem Täter erreicht und ob dieser den AngrifTsentschluß bereits während der Fährt gefaßt hat. Solche Gesichtspunkte mögen für das täterorientierte Merkmal des „Ausnutzens" von Bedeutung sein, doch rechtfertigt eine derartige subjektive Verklammerung zur Phase des fließenden Verkehrs keine Ausdehnung des durch § 316 a vermittelten Strafrechtsschutzes in den Bereich des ruhenden Verkehrs.115 Vielmehr setzt das „Ausnutzen" das Bestehen einer spezifischen Situation, die sich der Täter zunutze machen kann, gerade voraus. Ob eine solche Situation gegeben ist, muß aber anhand der objektiven Opferlage entschieden werden. Diesem Ansatz entspricht es, die Eigenständigkeit des Merkmals der „besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs" zu wahren und insoweit (täterunabhängig) auf das Kriterium des fließenden Verkehrs zu rekurrieren. Wird der räuberische Überfall erst nach dem Parken des Fahrzeugs ausgeführt, so kommt eine Strafbarkeit gemäß § 316 a nur dann in Betracht, wenn sich bereits für die Phase des fließenden Verkehrs ein Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers feststellen läßt. Diese Voraussetzung wird aber nicht schon dadurch erfüllt, daß der Täter vor Fahrtantritt oder während der Fahrt den Entschluß faßt, den Führer des Kraftfahrzeugs oder einen Mitfahrer im ruhenden Verkehr zu überfallen.

38

(2) Inkongruenz von Angriff und (geplanter) räuberischer Tat (= 2. Konstellation). Der fehlende Bezug des Raubakts zum fließenden Straßenverkehr würde mit dem 109

110

112 113

Vgl. näher JaguschiHenlschel Rdn. 42; MühlhauslJaniszewski Rdn. 5 jeweils zu § 12 StVO. Demgegenüber auf die Perspektive des Täters abstellend Grünauer S. 76. Grünauer S. 73. Vgl. zum Folgenden oben Rdn. 25 ff. Vgl. BGH NStZ 2000 144.

114 115

S. oben Rdn. 20. Zu einer Wechselbezüglichkeit zwischen Gefahrschaffung und Ausnutzung vgl. aber Sehl Schröder!Cramer Rdn. 6; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 17; kritisch hierzu Roßmüller/Rohrer NZV 1995 261.

Stand: 1 . 7 . 2000

(426)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§

316a

Gesetzeswortlaut dann nicht kollidieren, wenn sich ein dem (geplanten) Raub (etc.) vorgelagerter Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers feststellen läßt, der seinerseits unter Ausnutzung der dem fließenden Straßenverkehr eigentümlichen Gefahrenlage verübt worden ist. Dann käme es streng genommen auf die Vorstellungen des Täters über Zeitpunkt und Ort der Ausführung der beabsichtigten räuberischen Tat gar nicht mehr an, und das Erfordernis eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs wäre lediglich (mit möglicherweise weiter gesteckten Grenzen) als ungeschriebenes Restriktionsmerkmal116 zu diskutieren. Bei einer hinreichend konkretisierten Absicht des Täters, das Opfer alsbald nach 3 9 dem Anhalten und Aussteigen zu berauben, hat der BGH § 316a a. F. bereits mit dem Beginn der Fahrt (bzw. mit dem Einsteigen in ein Taxi) als erfüllt angesehen.117 Die Vorstellung, das Täterverhalten vor Fahrtantritt sei als (wegen des echten Unternehmenscharakters formell als Vollendung strafbarer) Versuch der räuberischen Tat zu beurteilen, bedeutete eine extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit, die (jedenfalls) mit der seit 1975 geltenden Formel vom „unmittelbaren Ansetzen" (§ 22) nicht zu vereinbaren ist.118 Das Erschleichen der Mitfahrt durch Verschweigen der räuberischen Absicht stellt aber auch keinen (vollendeten) Angriff auf die Entschlußfreiheit des Kraftfahrers dar (Ch. Fischer Jura 2000 436f;119 Roßmüllerl Rohrer NZV 1995 263f [anders jedoch für Taxifahrer im Hinblick auf die ihnen obliegende Beförderungspflicht]). Eine solche Ausweichkonstruktion stünde nicht nur in bedenklicher Nähe zum reinen Gesinnungsstrafrecht,120 sondern sie würde auch das mit dem 6. StrRG verfolgte Anliegen einer Abstufung zwischen dem Versuchs- und dem Vollendungsunrecht des § 316a n. F. konterkarieren. Überdies würde eine derartige Täuschung lediglich einen Motivirrtum des Opfers über den Zweck der (Mit-)Fahrt begründen, durch den zwar die Gutgläubigkeit des Opfers, nicht aber die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt werden. Aus den gleichen Gründen ist das Hinlocken des Opfers an einen verkehrsarmen Ort noch nicht als Angriff anzusehen (problematisch insoweit - wenngleich anknüpfend an den späteren Überfall - BGH NStZ 1994 340 f121); denn letztlich kann es keinen Unterschied machen, ob der Täter den zur Begehung des Raubes ausgesuchten Tatort als Mitfahrer oder als Außenstehender (ζ. B. als Lieferkunde) vorgibt. Ein tatbestandsmäßiger Angriff auf die Entschlußfreiheit kann hingegen bejaht 4 0 werden, wenn sich aus der Täuschung unmittelbare Auswirkungen auf das Verkehrsverhalten des Kraftfahrers ergeben. Das gilt insbesondere für Täuschungsangriffe von außen, so ζ. B. bei der Vortäuschung einer Polizeikontrolle oder einer Reifenpanne oder beim Aufstellen falscher Schilder (z.B. Umleitung) zu dem Zweck, den Kraftfahrer von seinem Weg abzubringen. Das Argument, es sei gleichgültig, ob der Täter den Fahrer mittels mechanischer Fallen oder durch List zum Halten bringe (s. aber Herzog NK Rdn. 18; Horn SK Rdn. 4; Rusam S. 15; s. auch Grünauer S. 62f. BGHSt. 6 82, 84; 33 378, 381 (mwN); BGH JZ 1957 226f; BGHR § 316a Abs. 1 Angriff 1; BGH NStZ 1989 119 und 476, 477; s. auch Μ eurer- Meichsner S. 28 ff, 60 f. Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 24; Krey BT/2 Rdn. 226; Lackner/Kühl Rdn. 4; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 13; SanderlHohmann NStZ 1998 273, 278; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 388; zu § 316a a. F. ebenso Geppert NStZ 1986 552, 553 f; Günther JZ 1987 23flf; RoßmüllerlRohrer NZV 1995 260; Welzel Das Deutsche Strafrecht (427)

119

120 121

11. Aufl. (1969), S. 467; s. aber auch Gössel BT/2 § 15 Rdn. 47. Ebenso ferner Geppert NStZ 1986 552, 554; Herzog NK Rdn. 27; Horn SK Rdn. 4a; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 3, 8. Herzog NK Rdn. 27 (mwN). Dem BGH zustimmend Jaguschi Hentschel Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 3; Otto BT § 46 Rdn. 41 f; TröndlelFischer Rdn. 5; Wessels! Hillenkamp BT/2 Rdn. 386, 391; kritisch hingegen Häuf NStZ 1996 40f; Horn SK Rdn. 4; Maurach/Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 52; RoßmüllerlRohrer NZV 1995 257.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

auch oben Rdn. 32), läßt sich auch auf solche Konstellationen übertragen, in denen der Täter den Halt an einer bestimmten Stelle als Mitfahrer veranlaßt. Dennoch trägt diese Parallele nicht so weit, daß hierdurch auch die für den ruhenden Verkehr geplanten Überfalle einbezogen werden. Denn die zum Vergleich herangezogenen Angriffe von außen sollen nicht das Parken, sondern lediglich das Anhalten zur Ermöglichung des sofortigen Losschlagens bewirken. Aus Konstellationen, in denen Angriff und räuberischer Überfall eine situative Einheit bilden, kann aber nicht geschlossen werden, daß der Raubakt auch erst für einen Zeitpunkt nach dem Verlassen des geparkten Fahrzeugs vorgesehen sein könne (s. auch Rdn. 34, 36). Vielmehr ist § 316a auch insoweit, als sich ein eigenständiger Täuschungsangriff feststellen läßt, auf jene Fälle zu beschränken, in denen die räuberische Tat nach der Vorstellung des Täters während eines kurzfristigen Haltens durchgeführt werden soll. Nicht erfaßt sind hingegen Sachverhalte, in denen der räuberische Akt erst nach dem Parken des Fahrzeugs erfolgen soll. Das Parken fungiert somit als „Schallmauer", jenseits derer es entgegen der Rechtsprechung auf die räumliche und zeitliche Distanz zum räuberischen Überfall nicht ankommt. 41

Von den Täuschungskonstellationen zu unterscheiden sind jene Fälle, in denen der Täter vor Fahrtantritt seine Mitfahrt erzwingt oder den Kraftfahrer während der Teilnahme am fließenden Verkehr mit Nötigungsmitteln in der Absicht angreift, ihn zu einem bestimmten Ort zu dirigieren und dort (außerhalb des Fahrzeugs) zu berauben. Hier stellt bereits die Fahrt unter fortwährender Bedrohung des Fahrers eine erhebliche Verkehrsgefahr dar, die einen verstärkten verkehrsstrafrechtlichen Schutz rechtfertigt. Zudem wird das Fahrzeug nach Beendigung der Fahrt nicht - wie es für das Parken erforderlich wäre - freiwillig aus dem fließenden Verkehr ausgegliedert. Ob in solchen Fällen gleichwohl bezüglich des geplanten Raubes zusätzlich ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang gegeben sein muß (und wie er gegebenenfalls zu bestimmen ist), erscheint fraglich. Auch die Rechtsprechung bietet insoweit kein einheitliches Bild: Einerseits scheint der BGH (NStZ 1989 119) die Maßstäbe zu lockern, wenn er in einem obiter dictum den engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang auch für einen Fall bejaht, in dem das Opfer nach einer erzwungenen Autofahrt genötigt wird, ca. 500m über einen Acker zu gehen, und dort der Raub erfolgt. Andererseits wird in einem anderen Fall122 eine Strafbarkeit gemäß § 316a u.a. mit der Begründung verneint, daß es schon nach dem Tatplan am unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang gefehlt habe, weil der Täter erst nach dem Geschlechtsverkehr mit der von ihm entführten und gefesselten Prostituierten auf den Dirnenlohn zugreifen wollte.

42

IV. Subjektiver Tatbestand. Der subjektive Tatbestand des § 316a enthält zwei Elemente: zum einen den Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestandes, zum anderen (im Sinne einer überschießenden Innentendenz) die auf die Begehung eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer räuberischen Erpressung gerichtete Absicht.

43

1. Vorsatz. Bezüglich der Merkmale des objektiven Tatbestandes muß der Täter mit zumindest bedingtem Vorsatz handeln, der spätestens bei Vornahme der Tathandlung, also dem Verüben des Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit eines tauglichen Tatobjekts, gegeben sein muß. Hierbei ist das Bewußtsein des Täters erforderlich, sich die besonderen Verhältnisse des (fließenden) Straßenverkehrs bei der Tatbegehung zunutze zu machen (zur Möglichkeit gesteigerter Anforderungen an das Ausnutzungsbewußtseins entsprechend den zum Heimtückemerkmal in § 211 ent122

BGH NStZ 1996 435f = NZV 1997 236 m. Anm.

Roßmüller.

Stand: 1. 7. 2000

(428)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

wickelten Grundsätzen vgl. Günther JZ 1987 381). Vom Angriff zu trennen ist die Durchführung des Raubvorhabens, das als solches nicht zum objektiven Tatbestand gehört und dessen Einzelheiten deshalb an sich auch nicht Vorsatzgegenstand sind. Allerdings ergibt sich eine mittelbare Vorsatzrelevanz als Folge einer restriktiven Auslegung des Merkmals des „Ausnutzens" der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs: Fallen der tatbestandsmäßige Angriff und die Anwendung der „RaubGewalt" (bzw. Drohung) auseinander, so ist § 316a nur verwirklicht, wenn auch der räuberische Teilakt nach der Tätervorstellung in einem hinreichend engen räumlichen und zeitlichen Bezug zum fließenden Straßenverkehr erfolgen soll (vgl. BGH NStZ 1989 119; BGH JR 1997 162 m. Anm. Roßmüller; BGH NStZ 1996 435, 436 = NZV 1997 236 m. Anm. Roßmüllerm). Nach anderer Ansicht124 ist ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bezüglich der räuberischen Tat nur zu verlangen, wenn Angriffs- und räuberisches Verhalten zusammenfallen (s. aber oben Rdn. 33 f, 38). Zum Verbotsirrtum vgl. BGH VRS 65 (1983) 127. 2. Absicht bezüglich der räuberischen Tat. Des weiteren verlangt der subjektive Tat- 4 4 bestand des § 316a, daß der Täter den Angriff in der Absicht verübt, einen Raub, einen räuberischen Diebstahl oder eine räuberische Erpressung (§§ 249 oder 250; 252; 255) zu begehen. Die Absicht (= zielgerichtetes Wollen) kann in dem Sinne „bedingt" sein, daß der Täter den Einsatz von Nötigungsmitteln nur für den (nicht nur fernliegenden) Fall vorsieht, daß er das Wegnahmeobjekt nicht unbemerkt erlangen kann (BGH NJW 1970 1381, 1382; BGH NStZ 1997 236, 237125). Eine wahlweise Feststellung der auf die Begehung eines der in § 316a genannten Delikte gerichteten Absicht genügt.126 Hingegen scheidet eine Strafbarkeit gemäß § 316a aus, wenn der Täter lediglich ein sonstiges Delikt (z.B. Körperverletzung oder Vergewaltigung) beabsichtigt127 oder wenn die Gewalttätigkeit allein die Einschüchterung des Opfers bezweckt, um den nicht näher konkretisierten finanziellen Forderungen des Täters allgemein Nachdruck zu verleihen (BGH NStZ 1997 236, 237). Die Absicht des Täters muß auf die täterschaftliche Begehung der räuberischen Tat 4 5 gerichtet sein (BGHSt. 24 284; TröndlelFischer Rdn. 4). Seit dem 6. StrRG genügt insoweit auch ein auf eine Drittzueignung abzielendes Raubvorhaben.128 Unzureichender Gegenstand einer Bereicherungsabsicht (im Rahmen des § 255) ist regelmäßig der durch die erzwungene Mitfahrt verbrauchte Kraftstoff.129 Zu Irrtümern bezüglich der räuberischen Tat vgl. Joecks Studienkommentar Rdn. 10; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 390. Aus der funktionalen Verknüpfung zwischen dem tatbestandsmäßigen Angriff und der räuberischen Absicht folgt, daß beide Aspekte zeitlich zusammenfallen müssen. Die räuberische Absicht muß daher zwar nicht unbedingt bei Beginn, spätestens aber bei Beendigung des Angriffs vorhanden sein (BGHSt. 25 315ff m. Anm. Hübner JR 1975 201 f130). Ferner muß der Täter auch in diesem 123

124

125

126

Vgl. ferner BGHSt. 33 378, 38 lf m. Anm. Geppert NStZ 1986 552 ff; s. auch Sch/Schröderl Cramer Rdn. 8; Herzog NK Rdn. 21; Horn SK Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 4 sowie oben Rdn. 24ff. Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 384, 387; s. auch Roßmüller NZV 1997 236 f. Geilen S. 747; JaguschiHentschel Rdn. 7; LacknerlKühl Rdn. 5; Maurach/Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 57. BGHSt. 5 280, 281; BGH VRS 21 (1961) 206, 207; Herzog NK Rdn. 23.

(429)

127

128

129

130

Sehl Schröder! Cramer Rdn. 7; Horn SK Rdn. 6; TröndlelFischer Rdn. 4. CA. Fischer Jura 2000 440 (auch zu § 252 als Bezugstat); Herzog NK Rdn. 24. BGH DAR bei Spiegel 1981 186; Jagusch/Hentschel Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 4. BGHSt. 37 256, 258; BGH VRS 55 (1978) 262, 263; BGH NStZ 1989 119; 1997 236, 237; Geppert Jura 1995 315; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 49; Herzog NK Rdn. 22; Horn SK Rdn. 6; Maurach/Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 58; Wessels! Hillenkamp BT/2 Rdn. 387.

Christoph Sowada

§ 316a

28. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

Zeitpunkt noch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs für seinen Angriff ausnutzen (BGHSt. 37 256, 258f m. Anm. Geppert JK 91 § 316a/3; Horn SK Rdn.6).

V. Vollendung, Versuch und Rücktritt 46

1. Vollendung. Das Delikt des § 316a ist vollendet, wenn der Täter den Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs „verübt" (= ausgeführt) und hierbei in räuberischer Absicht gehandelt hat. Das Verhalten des Täters muß auf die Angriffsgüter einwirken, ohne daß es jedoch zu einer realen Beeinträchtigung dieser Güter kommen muß (Horn SK Rdn. 7; vgl. näher oben Rdn. 9ff).

47

2. Versuch. Der Versuch ist wegen des Verbrechenscharakters des § 316a strafbar (§ 23 Abs. 1). Der Versuchsbeginn bestimmt sich nach § 22. Hiernach ist eine Versuchsstrafbarkeit nur dann gegeben, wenn der Angriffszeitpunkt nach dem Täterplan unmittelbar bevorsteht und Täter und Opfer sich bereits in unmittelbarer Nähe des vorgesehenen Angriffsortes befinden (so im Anschluß an Günther JZ 1987 26, 28 [zu § 316a a. F.] Horn SK Rdn. 8; Krey BT/2 Rdn. 226; Lackneri Kühl Rdn. 4; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 388131)· Insbesondere begründet der Umstand, daß der Täter die Mitfahrt unter Verdeckung seiner räuberischen Absicht vornimmt, noch keine Versuchsstrafbarkeit (.Herzog N K Rdn. 27; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 13; s. auch Rdn. 39).

48

3. Rücktritt. Bis zur Vollendung der Tat eröffnet § 24 die Möglichkeit des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch. Da der Rücktritt zur uneingeschränkten Straflosigkeit bezüglich des Versuchsdelikts führt, ist die Regelung des § 24 für den Täter günstiger als die frühere Vorschrift über die tätige Reue (§ 316 a Abs. 2 a.F.), nach der das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von der Bestrafung nach § 316a absehen konnte, „wenn der Täter freiwillig seine Tätigkeit aufgibt und den Erfolg abwendet" oder wenn der Täter, sofern der Erfolg ohne sein Zutun unterbleibt, sich ernsthaft bemüht, den Erfolg abzuwenden. Im Hinblick auf die jetzt unmittelbar geltende weitergehende Privilegierung gemäß § 24 hat der Gesetzgeber des 6. StrRG § 316a Abs. 2 a. F. wegen des Wegfalls des Unternehmenscharakters als überflüssig angesehen und ersatzlos gestrichen.132 Allerdings ist diese legislatorische Maßnahme nicht so unproblematisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Zur alten Gesetzeslage wurde im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, als „Erfolg" im Sinne des § 316a Abs. 2 a. F. sei nicht der tatbestandsmäßige Angriff auf Leib, Leben oder Entschlußfreiheit des Opfers (so aber die herrschende Ansicht 133 ), sondern die geplante räuberische Tat anzusehen. 134 Auf dem Boden dieser Sichtweise bedeutet die Streichung des § 316a Abs. 2 a. F. zugleich eine Verschärfung insofern, als eine dem Angriff nachfolgende tätige Reue dem Täter nicht mehr zur Straflosigkeit verhelfen kann. 135 Zur Vermeidung dieses Ergebnisses wird teilweise erwogen, die Vorschrift des § 24 oder die Regelung(en) über die tätige Reue auch 131

132 133

Zur gebotenen Restriktion auch Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 24; SanderlHohmann NStZ 1998 273, 278; ferner (zu § 316a a.F.) Roßmüller/ Rohrer NZV 1995 259. BTDrucks. 13/8587 S. 51. BGHSt. 10 320, 322f; BGH VRS 21 (1961) 206 ff; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 51; Griesbaum

134

135

HK/StVR Rdn. 15; Schäfer LK.10 Rdn. 31 (mwN); Maurach/Schroeder BT/1 § 35 Rdn. 61; s. auch Grünauer S. 128 ff. So Blei BT S. 357 f; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 11; Geilen S. 748; Geppert Jura 1995 315 f. Mitsch JA 1999 665.

S t a n d : 1. 7. 2000

(430)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§ 316a

bezüglich der neuen Fassung des § 316a analog anzuwenden {Wessels!Hillenkamp BT/2, Rdn. 389; s. auch Ingelfinger JR 2000 231 f; Küper BT S. 20). Derartige Überlegungen verdienen keine Zustimmung. 136 Die extensive Interpretation 4 9 des § 316a Abs. 2 a. F. war erkennbar von dem kriminalpolitischen Bestreben getragen, die Umkehr des Täters in möglichst weitem Umfang zu honorieren. Dieses Anliegen erscheint zwar angesichts der (fortbestehenden) hohen Strafdrohung (weiterhin) begrüßenswert, doch war eine solche Auslegung schon in der Vergangenheit kaum mit dem Gesetzeswortlaut des § 316a Abs. 2 a. F. zu vereinbaren. 137 Selbst wenn man aber jene Extensivierung zur früheren Gesetzeslage für noch vertretbar erachten wollte, weil der Begriff des „Erfolges" im Rahmen eines Tätigkeitsdelikts auf ein der Vollendung nachfolgendes Ereignis bezogen werden könne, läßt sich diese Lesart nicht auf den nunmehr maßgeblichen § 24 übertragen, der nicht auf einen „Erfolg", sondern auf die „Ausführung der Tat" (bzw. auf die Verhinderung der Vollendung) abstellt. Eine analoge Anwendung des § 24 scheidet aus, weil sie in ihrer Privilegierungswirkung über den Status quo ante zu § 316a a. F. hinausgehen würde und auch Spannungen zur Rechtsfolgenseite der übrigen Regelungen über die tätige Reue bestünden. 138 Eine analoge Fortgeltung des § 316a Abs. 2 a. F. kommt nicht in Betracht, weil eine 5 0 aufgehobene Vorschrift als nicht existent anzusehen ist und daher nicht (auch nicht analog) angewendet werden darf. Doch auch das allenfalls denkbare Ausweichen auf den parallel gestalteten § 83 a liefe darauf hinaus, die Gesetzesänderung für einen Teilbereich außer Kraft zu setzen. Eine solche Gesetzeskorrektur ist dem Rechtsanwender verwehrt. Insbesondere fehlt es an einer planwidrigen Lücke des Gesetzes, zumal eine (möglicherweise unbeabsichtigte) Verschärfung der Neufassung (jedenfalls im wesentlichen 139 ) nur auf dem Boden einer literarischen Minderansicht vorliegt,140 die sich der Gesetzgeber erkennbar nicht zu eigen gemacht hat. 141 Soweit man § 316a eine die Verkehrssicherheit betonende Schutzrichtung zuweist, ist mit der VerÜbung des Angriffs neben der formellen Deliktsvollendung regelmäßig auch eine materielle Rechtsgutsgefährdung verbunden. Die Härten, die sich aus der hohen Strafdrohung und der Vorverlagerung der Strafbarkeit gegenüber den §§ 249, 250; 252 und 255 ergeben, sind de lege lata durch die Annahme eines minder schweren Falles (§ 316a Abs. 2 n. F.)142 sowie durch eine „rücktrittsfreundliche" Tatbestandsauslegung abzumildern, die dem Täter auch in Fällen des beendeten Versuchs die Möglichkeit einer Strafbefreiung gemäß § 24 eröffnet (s. oben Rdn. 14). Die Forderung nach einer noch weiter gehenden Strafbefreiung ist rechtspolitischer Natur; sie zielt in letzter Konsequenz auf die (in der Tat ernsthaft zu erwägende) Entbehrlichkeit des § 316a. 143 VI. Täterschaft und Teilnahme. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teil- 51 nähme erfolgt nach den allgemeinen Regelungen. Täter des § 316a ist jeder, der mit 136

131

138 139

So auch JaguschiHentschel Rdn. 13; Herzog N K Rdn. 26; Krey BT/2 Rdn. 235 ff; LacknerlKühl Rdn. 4; Masch JA 1999 665; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 12; TröndlelFischer Rdn. 6. Herzog N K Rdn. 26; MaurachlSchroeder BT/1 §35 Rdn. 61. Vgl. Berz Stree/Wessels-FS (1993) 331, 339. Die teilweise auch gegenüber der engeren herrschenden Meinung zu § 316a Abs. 2 a. F. angenommene Verschärfung (Wessels! Hillenkamp BT/2 Rdn. 389 durch Gegenüberstellung zwischen Einwirkung auf das und Auswirkung

(431)

140 141

142

143

beim Opfer) kommt allenfalls für seltene Fallgestaltungen in Betracht. CA. Fischer Jura 2000 440f; Müsch JA 1999 665. Vgl. Herzog N K Rdn. 26; Schäfer LK IÜ Rdn. 34. Rengier BT/1 § 12 Rdn. 12; Tröndlel Fischer Rdn. 6; Wessels!Hillenkamp BT/2 Rdn. 389. In diesem Sinne Freund ZStW 109 (1997) 455, 482; Krey BT/2 Rdn. 237 f; Wessels!Hillenkamp BT/2, Rdn. 382; s. auch Stein, in: Dencker u. a (Fn. 21) 4. Teil Rdn. 115.

Christoph Sowada

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Tatherrschaft (gegebenenfalls auch in mittelbarer Täterschaft 144 ) den tatbestandlichen Angriff verübt und hierbei die (mit-)täterschaftliche Begehung eines Raubes (oder eines diesem gleichgestellten Delikts) beabsichtigt. Sukzessive Mittäterschaft zu § 316a ist möglich, solange auf das Opfer unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs eingewirkt wird. Die erst nach Erlöschen des Bezuges zum fließenden Straßenverkehr erfolgende Mitwirkung genügt hingegen nicht; insoweit kommt lediglich eine Beteiligung an der (Quasi-)Raubtat in Betracht. Für eine Teilnahmestrafbarkeit ist die Kenntnis des Teilnehmers erforderlich (aber auch ausreichend), daß der den Angriff verübende Täter mit der spezifischen Absicht handelt. 145 Ein Kraftfahrer, der den ohne sein Wissen von Mitfahrern gegenüber einem weiteren Insassen verübten Überfall bemerkt und gleichwohl weiterfahrt, kann sich der Beihilfe durch aktives Tun schuldig machen. 146

VII. Rechtsfolgen 52

1. Minder schwere Fälle. Für minder schwere Fälle sieht § 316a Abs. 2 (n. F.) einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Damit ist die Annahme eines minder schweren Falles für den Täter günstiger als die über § 49 Abs. 1 vorgesehene Milderung. 147 Über das Vorliegen eines minder schweren Falles entscheidet das Gericht im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung (BGH VRS 45 [1973] 363, 364; BGH NStZ-RR 1996 133; Herzog N K Rdn. 29). Als Anlaß zur Milderung kommt neben dem geringeren Gewicht der geplanten oder auch schon verwirklichten Tat (vgl. § 249 Abs. 2) auch eine vergleichsweise geringe Intensität des Angriffs in Betracht. 148 Allerdings begründet weder der Umstand, daß sich der Angriff nicht gegen Leib oder Leben, sondern ausschließlich gegen die Entschlußfreiheit des Opfers richtet, noch das Ausbleiben einer Gemeingefahr einen so gravierenden Unterschied gegenüber den Normalfällen des § 316a, daß allein aus diesem Grund ein minder schwerer Fall anzunehmen wäre.149

53

2. Erfolgsqualifikation. Für (unbenannte) besonders schwere Fälle hatte § 316a Abs. 1 S. 1 1. Hs a. F. die lebenslange Freiheitsstrafe angedroht. Diese Strafschärfung hat das 6. StrRG durch die neu eingeführte Erfolgsqualifikation (§ 316a Abs. 3 n. F.) ersetzt. Hiernach ist mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren zu bestrafen, wer durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht. Diese Regelung bedeutet eine zeitliche Vorverlagerung des durch § 251 intendierten (verstärkten) Strafrechtsschutzes auf die (gegebenenfalls sogar dem Raubversuch vorangehende) Phase des Angriffs. Sofern der Angriff zugleich den Versuch der (anschließend nicht vollendeten) räuberischen Tat darstellt, entfallen im Vergleich zu einer Strafbarkeit gemäß §§ 251, 22 sowohl die (fakultative) Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 als auch die Möglichkeit des Rücktritts vom erfolgsqualifizierten Versuch.150 Aus der Formulierung „Tod eines anderen Menschen" (im Gegensatz etwa zu §§ 239 Abs. 4, 239a Abs. 3: „Tod des Opfers"; § 227: „Tod der verletzten Person") folgt, daß über das Angriffsopfer hinaus auch 144 145

146

147

Horn SK Rdn. 9. BGH DAR 1981 226 = VRS 61 (1981) 213, 214; Horn SK Rdn. 9. BGH DAR 1981 226 = VRS 61 (1981) 213; s. auch BGHSt. 13 27,31. Vgl. hierzu Horn SK Rdn. 12.

148

149

150

TröndlelFischer Rdn. 5; s. auch BGH NStZ-RR 1996 133. BGH VRS 45 (1973) 363; JaguschiHentschel Rdn. 10; Schäfer LK10 Rdn. 38. Mitsch JA 1999 665.

Stand: 1.7. 2000

(432)

Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer

§

3 1 6 a

dritte Personen taugliche Tatobjekte der Erfolgsqualifikation sind. Die überwiegend befürwortete Herausnahme der Tatbeteiligten aus dem Schutzbereich der Strafschärfungsklausel 151 vermag nicht zu überzeugen; 152 den geeigneten dogmatischen Ansatzpunkt bilden die Aspekte der freiverantwortlichen Selbst- bzw. der einverständlichen Fremdgefahrdung. 153 Im Hinblick auf den (für alle erfolgsqualifizierten Delikte als besonderes Merkmal 5 4 der objektiven Zurechnung geforderten 154 ) sog. „Unmittelbarkeitszusammenhang" muß sich in der schweren Folge gerade die spezifische Gefahr des Grunddelikts realisiert haben. Zum Kreis der grunddeliktstypischen Todesverläufe gehören auch Unfälle, die aus Fehlreaktionen des während der Fahrt angegriffenen Kraftfahrers (Lenkfehler, gegebenenfalls auch abruptes Bremsen) oder aus den hierauf bezogenen Verhaltensweisen anderer Verkehrsteilnehmer (z.B. Ausweichmanöver) resultieren. 155 Ergibt sich hieraus ein weit gezogener Zurechnungsrahmen, so ist der Bezug auf die mit dem „Angriff' und die mit diesem zusammenhängenden, vom Täter ausgenutzten Gefahren des fließenden Straßenverkehrs unverzichtbar. Deshalb scheidet eine Strafbarkeit gemäß § 316 a Abs. 3 aus, wenn der Tod lediglich die unmittelbare Folge eines (ohne Verkehrsbezug) zur Verwirklichung der tatbestandsspezifischen Absicht eingesetzten Nötigungmittels ist (so aber TröndlelFischer Rdn. 5; Wessels!Hillenkamp BT/1 Rdn. 381; wie hier Horn SK Rdn. 13; Herzog N K Rdn. 31); in solchen Fällen ist allein § 251 (bzw. §§251, 22) einschlägig. Mit der Gesetzesformulierung, daß die Todesverursachung „wenigstens leichtfertig" 5 5 erfolgt sein muß, ist klargestellt, daß auch die mit Tötungsvorsatz verübten Angriffe dem Anwendungsbereich des § 316a Abs. 3 (gegebenenfalls in der Form des Versuchs) unterfallen. Leichtfertigkeit ist gleichbedeutend mit einem gesteigerten, der groben Fahrlässigkeit im Sinne des Zivilrechts vergleichbaren Grad der Fahrlässigkeit bezüglich der Todesfolge.156 Die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafen wird allerdings regelmäßig nur in Fällen vorsätzlicher Todesherbeiführung in Betracht kommen. 157 Zur Beteiligung am erfolgsqualifizierten Delikt sowie zum Komplex der Versuchsstrafbarkeit und zum Rücktritt vom Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts gelten die allgemeinen Grundsätze; 158 doch dürfte für die Konstellation des sog. erfolgsqualifizierten Versuchs (= Eintritt der schweren Folge bei lediglich versuchtem Grunddelikt) angesichts des frühen Vollendungszeitpunkts des § 316a Abs. 1 praktisch kaum Raum sein.159 3. Einziehung. Die Einziehung des Kraftfahrzeugs als Tatmittel richtet sich nach §74

151

152

153

154

155

i60

Herzog N K Rdn. 31; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 26; TröndlelFischer Rdn. 5. Ablehnend auch Horn SK Rdn. 13 in Verbindung mit § 306c Rdn. 3 ff. Vgl. allgemein zu dieser Problematik Sowada Die „notwendige Teilnahme" als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht (1992) S. 35ff; ferner (bezüglich § 315c) Geppert Jura 1996 47 ff sowie König LK § 315 b Rdn. 71 fT. Vgl. hierzu Ahenhain GA 1996 19fT; Sowada Jura 1994 643, 645f. Stein, in: Dencker u. a. (Fn. 21)4. Teil Rdn. 116f; Tröndlel Fischer Rdn. 5; s. auch (bei Panikreak-

(433)

156

157 158 159 160

tionen des Angriffsopfers eine besondere Prüfung der spezifischen Zurechnungsvoraussetzungen fordernd) Horn SK Rdn. 13. JaguschiHentschel Rdn. 10; Herzog NK Rdn. 32; vgl. allgemein BGHSt. 33 66, 67; 35 257, 258; OLG Nürnberg NStZ 1986 556; LacknerlKühl § 15 Rdn. 55; Sowada Jura 1995 644 (mwN). Horn SK Rdn. 13; Tröndlel Fischer Rdn. 5. Vgl. hierzu Sowada Jura 1995 644, 646 ff. Ch. Fischer Jura 2000 441. Jaguschi Hentschel Rdn. 10; s. auch BGH NJW 1955 1327.

Christoph Sowada

56

§ 316a

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

VIII. Konkurrenzen 57

1. Verhältnis zur räuberischen Tat. Im Verhältnis zwischen § 316 a und dem bei der Verübung des Angriffs beabsichtigten Raub, räuberischen Diebstahl oder der räuberischen Erpressung ist zu unterscheiden: Gelangen diese Taten zur Vollendung, so stehen sie zu § 316a regelmäßig in Tateinheit ( B G H N J W 1 9 6 3 1413f; BGHSt. 25 224, 229 161 )· Das gilt jedenfalls dann, wenn der Angriff zugleich die Ausführungshandlung des anderen Delikts darstellt (BGH N S t Z 1999 350f; TröndlelFischer Rdn. 7) oder wenn der Angriff und die später zur Absichtsverwirklichung eingesetzten Nötigungsmittel als Bestandteil einer natürlichen Handlungseinheit erscheinen (Grünauer S. 118). Eine Gesetzeskonkurrenz kommt nicht in Betracht, da eine Verurteilung allein wegen § 316a das begangene Unrecht nur unvollständig wiedergeben würde 1 6 2 (aA - für Konsumtion der Raubdelikte mit Ausnahme des § 251 - Otto BT § 46 Rdn. 75 in Verbindung mit Rdn. 69). Hingegen wird ein versuchter einfacher Raub (etc.) als regelmäßige Begleittat vom strafhöheren § 316a im Wege der Konsumtion gesetzeskonkurrierend verdrängt (BGHSt. 25 373f = L M Nr. 7 zu § 316a StGB 1969 m. Anm. Martin-, Sehl Schröder! Cramer Rdn. 15;163 zweifelnd Tröndlel Fischer Rdn. 7). Handelt es sich jedoch um einen qualifizierten Raubversuch etc. (§§ 250, 251), so soll aus Klarstellungsgründen wiederum Tateinheit anzunehmen sein. 164 Ein solches Klarstellungsbedürfnis ist seit dem 6. StrRG bezüglich des versuchten Raubes mit Todesfolge (§§ 251, 22) nicht mehr gegeben; denn durch die Einführung der dem § 251 entsprechenden Erfolgsqualifikation in § 316a Abs. 3 kommt bei einer Verurteilung nach dieser Vorschrift eindeutig zum Ausdruck, daß der Täter durch den räuberischen Angriff (und den hierdurch verdrängten Raubversuch) wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen herbeigeführt hat.

58

2. Sonstige Delikte. Beim Zusammentreffen mit sonstigen Delikten kommt wegen der eigenständigen Schutzrichtung regelmäßig Tateinheit in Betracht. 165 Das gilt insbesondere für Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, aber auch für Sexualstraftaten (BGH VRS 60 [1981] 102f) sowie für § 315b (BGHSt. 39 249).

161

162

163

BGHSt. 14 386, 391; 15 322, 323; 25 373f; BGH NJW 1969 1679; Herzog NK Rdn. 33; Horn SK Rdn. 10; Krey BT/2 Rdn. 232. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 15; Geppert Jura 1995 316. Ebenso Geppert Jura 1995 316; Gössel BT/2 § 15 Rdn. 53; Griesbaum HK/StVR Rdn. 16; Krey BT/2 Rdn. 232; Rengier BT/1 § 12 Rdn. 14.

"» Herzog NK Rdn. 33; HohmanntSander BT/1 § 15 Rdn. 21; LacknerlKühl Rdn. 8; Otto BT § 46 Rdn. 75 f; bezüglich §§ 250, 22 ebenso BGH MDR bei Holtz 1977 807, 808; Kindhäuser BT/2 § 19 Rdn. 27; Krey BT/2 Rdn. 232. 165 Geppert Jura 1995 316; JaguschlHentschel Rdn. 11; MaurachtSchroeder BT/1 § 35 Rdn. 63; TröndlelFischer Rdn. 7.

Stand: 1.7. 2000

(434)

Störung öffentlicher Betriebe

§

316b

§ 316b Störung öffentlicher Betriebe (1) Wer den Betrieb 1. von Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Postdienstleistungen oder dem öffentlichen Verkehr dienen, 2. einer der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienenden Anlage oder eines für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen Unternehmens oder 3. einer der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienenden Einrichtung oder Anlage dadurch verhindert oder stört, daß er eine dem Betrieb dienende Sache zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht oder die für den Betrieb bestimmte elektrische Kraft entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar. (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter durch die Tat die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern, insbesondere mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft, beeinträchtigt. Schrifttum Bernstein

§ 3 1 6 b S t G B - S t ö r u n g ö f f e n t l i c h e r B e t r i e b e Our. D i s s . G ö t t i n g e n 1989);

Stree

Beschädigung eines Polizeistreifenwagens - BGHSt. 31 185, JuS 1983 836.

Entstehungsgeschichte I. Die Vorschrift gegen die Störung öffentlicher Betriebe ist durch das (1.) StrÄndG vom 30. August 1951 (BGBl. I S. 739) als § 316 a in das StGB eingefügt worden. Sie erhielt mit dem Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I S. 832) ihren heutigen Standort. Vor Inkrafttreten des (1.) StrÄndG existierte im Kernstrafrecht1 in Bezug auf Sabotageakte an gemeinwichtigen Betrieben lediglich die Strafnorm des § 317 (Verhinderung bzw. Gefahrdung des Betriebs einer Telegraphenanlage; hierzu im einzelnen Wolff LK § 317 Entstehungsgeschichte). § 316 b geht auf die durch die Entwürfe von 1927 und 1930 jeweils in § 238 vorgeschlagenen Tatbestände gegen die „Verhinderung eines lebenswichtigen Betriebes"2

1

S. allerdings § 2 Abs. 1 („Störung eines wichtigen Betriebs") der Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes vom 25. November 1939 (RGBl. I S. 2319): „Wer das ordnungsgemäße Arbeiten eines für die Reichsverteidigung oder die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Betriebs dadurch stört oder gefährdet, daß er eine dem Betrieb dienende Sache ganz oder teilweise unbrauchbar macht oder außer Tätigkeit setzt, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.". § 1 der Verordnung enthielt ähnlich ausgestaltete Tatbestände gegen die Wehrmittelbeschädigung.

(435)

2

§ 238 Abs. 1 Ε 1927 hatte folgenden Wortlaut: „ Wer den Betrieb einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahn, Straßenbahn, Schwebebahn, Kraftfahrlinie, Schiffahrts- oder Luftfahrtsunternehmung, eines Schiffs- oder Flughafens, der Post, eines zur öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienenden Werkes, einer dem Schutze gegen Feuersgefahr dienenden öffentlichen Einrichtung oder einer staatlichen Anstalt, die der Landesverteidigung dient, dadurch verhindert oder stört, daß er Bestandteile oder Zubehör beschädigt, zerstört, beseitigt, verändert oder außer Tätigkeit setzt, wird mit Gefängnis bestraft." Im Ε 1930 ist die Vorschrift

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zurück. Spätere Reformarbeiten (§ 314 Ε 1936;3 § 321 Ε 1939)4 sind berücksichtigt worden (vgl. Schafheutie JZ 1951 609, 618).5 II. Überlegungen des Entwurfs von 1936 aufgreifend wurden im Ε 1960 und im Ε 1962 Vorschriften konzipiert, in denen die §§ 316 b und 317 zusammengefaßt waren („Sabotage an lebenswichtigen Betrieben").6 Trotz der weitgehend identischen Tatbestandsausgestaltung der §§316 b, 317 und des übereinstimmenden Schutzzwecks ist es zu dieser Vereinheitlichung - anders als im Rahmen des § 88 - bis heute nicht gekommen. Vorschläge, einen allgemeinen Straftatbestand gegen die Betriebssabotage zu schaffen (§ 179 AE [1977]; Lampe ZStW 89 [1977] 325), sind bislang gleichfalls nicht aufgegriffen worden (vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht zum 2. WiKG [BTDrucks. 10/5058 S. 35]; Möhrenschlager wistra 1986 128, 141). III. Durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) ist der vormals in § 316 b Abs. 3 eingestellte unbenannte Strafschärfungsgrund für besonders schwere Fälle aufgehoben worden. Eine redaktionelle Änderung (Sireichung des Wortes „vorsätzlich" in Absatz 1) erfolgte durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 495, 502); zugleich erhielt § 316 b seine amtliche Überschrift. IV. Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und der Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) wurde der durch ein Regelbeispiel erläuterte Strafzumessungsgrund des geltenden Rechts eingeführt. Anlaß dafür waren vor allem Anschläge auf Strommasten und Anlagen der Deutschen Bundesbahn (BTDrucks. 11/2834 S. 7; BRDrucks. 563/86 S. 13 f; Rdn. 1). V. Absatz 1 Nr. 1 ist durch Art. 2 Abs. 13 des Begleitgesetzes zum Telekommunikationsgesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108) neu gefaßt worden. Die Bestimmung hatte zuvor auf die Verhinderung/Störung des Betriebs „einer Eisenbahn, der Post oder dem öffentlichen Verkehr dienender Unternehmen oder Anlagen" abgestellt. Die Änderung ist aufgrund der Privatisierung von Postdienstleistungen notwendig geworden. Mit der Streichung der „Eisenbahn" als eigenständigem Schutzobjekt sollte - entsprechend der schon vorher herrschenden Meinung - klargestellt werden, daß im Grundsatz nur eine dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahn dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Nr. 1 unterfällt (BTDrucks. 13/8016 S. 28; Rdn. 12).

3

nur noch unwesentlich verändert worden. S. auch § 184 Ε 1909, § 268 Ε 1919 und § 214 Ε 1925. § 314 Abs. 1 StGB-E lautete: „ Wer das ordnungsgemäße Arbeiten eines dem öffentlichen Verkehr dienenden Unternehmens, einer öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldeanlage, einer der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienenden Anlage oder eines anderen lebens- oder kriegswichtigen Betriebes dadurch stört oder gefährdet, daß er eine dem

4

5

6

Betrieb dienende Sache beschädigt, verändert, beseitigt, unbrauchbar macht oder außer Tätigkeit setzt, wird mit Zuchthaus bestraft." Er entsprach im wesentlichen § 314 Ε 1936; abgedruckt bei Bernstein § 316 b StGB S. 10. Eingehend zur Entstehungsgeschichte Bernstein § 316 b StGB S. 2 ff; s. auch Lampe ZStW 89 (1977) 325, 326. Jeweils § 335. Im einzelnen BTDrucks. III/2150 S. 474; IV/650 S. 512.

Stand: 1.7. 2000

(436)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

Übersicht Rdn.

Rdn. I. II. III. IV.

Bedeutung der Vorschrift Deliktsaufbau und -Charakter Schutzgut Die Schutzobjekte 1. Begriffsbestimmungen a) Unternehmen, Betrieb b) Einrichtung c) Anlage aa) Ortsfestigkeit bb) Anlage - Hilfsmittel . . . . cc) Dynamischer Prozeß . . . . 2. „Besonders wichtige" Betriebe, „Unersetzlichkeit" 3. Die einzelnen Schutzobjekte . . . . a) Postdienst, Verkehr (Absatz 1 Nr. 1) aa) Postdienstleistungen . . . . bb) Öffentlicher Verkehr . . . . b) Versorgungsunternehmen (Absatz 1 Nr. 2) aa) Wasser-, Energieversorgung (1) Öffentliche Versorgung . (2) Wasser, Energie (3) Leitungsgebundene Versorgung (4) Nicht leitungsgebundene Versorgung

1 2 3 4 5 5 6 7 8 9 10 11 12 12 13 14

V.

15 16 17 18

VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII.

19 20

(5) Energieerzeugungsanlagen bb) Lebenswichtige Unternehmen c) Öffentliche O r d n u n g oder Sicherheit (Absatz 1 Nr. 3) aa) Gefahrenabwehr - Repression bb) Zweck der Gefahrenabwehr (1) Der Gefahrenabwehr „dienen" (2) N u r Abwehr konkreter Gefahren? cc) Einzelne Einrichtungen . . . dd) Einzelne Anlagen Angriff auf eine betriebsdienliche Sache 1. D e m Betrieb dienende Sache . . . . 2. Angriffsformen Entziehung elektrischer K r a f t Verhinderung, Störung des Betriebs . . Subjektiver Tatbestand Versuch (Absatz 2) Besonders schwerer Fall (Absatz 3) . . Konkurrenzen Sonstiges

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

I. Bedeutung der Vorschrift. Die quantitative Bedeutung des § 316b ist Vergleichs- 1 weise gering. Nach der Strafverfolgungsstatistik hat es in den Jahren 1992 bis 1998 jeweils zwischen rund 120 und etwas über 200 rechtskräftige Verurteilungen wegen Straftaten nach §§ 316 b und 3177 gegeben. In der jüngeren Vergangenheit hat die Vorschrift vor allem im Zusammenhang mit militanten Protesten gegen die Errichtung von Großprojekten und den Transport von „Atommüll" eine Rolle gespielt.8 II. Deliktsaufbau und -Charakter. § 316 b ist zweistufig aufgebaut. Durch Angriffe 2 auf betriebsdienliche Sachen oder durch die Entziehung von betriebsbestimmter elektrischer Energie muß eine Beeinträchtigung des Betriebs von Unternehmen, Einrichtungen oder Anlagen bewirkt werden. § 316 b trägt dabei hinsichtlich des Zerstörens etc. Züge eines Verletzungsdelikts, zielt jedoch maßgebend auf die Sicherstellung von Leistungen ab, die für die Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung sind, und ist deshalb als abstraktes Gefährdungsdelikt anzusehen. Im Hinblick darauf, daß es zur Störung/Verhinderung kommen muß, ist § 316 b zugleich Erfolgsdelikt (vgl. BGHSt. 27 307, 309 [zu § 88]). III. Schutzgut. Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherheit des Betriebs bestimmter, 3 gemeinwichtigen Zwecken dienender Unternehmen, Einrichtungen und Anlagen (vgl. BTDrucks. 13/8016 S. 28; BGHSt. 27 307, 310 f [zu § 88]).9 Im Hintergrund steht ein Bündel von Individualrechtsgütern wie etwa Gesundheit, Leben, Handlungsfreiheit 7

8

Straftaten nach §§ 316 b und 317 werden in der Strafverfolgungsstatistik nicht gesondert ausgewiesen. Vgl. BTDrucks. 11/2834 S. 7; BRDrucks. 563/86 S. 13 f; B G H N S t Z 1993 341; 1994 33.

(437)

9

Dies entspricht trotz mancher abweichender Formulierung im Detail der ganz h. M. Zusammenstellung bei Bernstein § 316 b StGB S. 13 ff.

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

oder Eigentum. Der mit § 316 b intendierte Strafschutz wird durch § 88 (verfassungsfeindliche Sabotage) und § 109e (Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln) sowie durch § 303 b (Computersabotage) und § 305 a (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel) ergänzt bzw. spezifisch ausgeformt oder vorverlagert. 4

IV. Die Schutzobjekte. Die Objekte, deren störungsfreien Betrieb § 316 b gewährleisten soll, sind in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 aufgeführt. Belanglos ist nach allgemeiner Meinung, ob die Unternehmen etc. öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich organisiert sind und ob sie in öffentlichem oder privatem Eigentum stehen. Mit dem Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz aus dem Jahre 1997 hat sich der Gesetzgeber endgültig von der partiell auch noch dem davor geltenden Recht zugrunde liegenden Systematik der Reformentwürfe gelöst, einzelne öffentliche Objekte (Post, Eisenbahn etc.) enumerativ zu benennen (Entstehungsgeschichte). Absatz 1 Nr. 1 bis 3 beschreibt die Schutzobjekte nunmehr nur noch nach deren Funktion, bestimmten, im Gemeinwohl liegenden Zwecken zu dienen. Diese Technik bringt es mit sich, daß weite Auslegungsspielräume bestehen. Der darin liegende Vorteil ist allerdings teuer erkauft. Aufgrund der übergreifenden Tatbestandsbeschreibung wird ein breites Spektrum von Objekten dem Wortlaut nach zunächst einmal erfaßt, deren besondere Schutzwürdigkeit teils nicht auf der Hand liegt. Die Eingrenzung wirft gravierende Interpretationsschwierigkeiten auf. Hinzu kommt, daß § 316 b durch eine wenig stringente Terminologie geprägt ist (Rdn. 5 ff). Die inmitten stehenden Probleme sind von einer abschließenden Klärung weit entfernt. Daß sie bislang nur vereinzelt zutage getreten sind, ist dem Schattendasein des § 316 b in der Praxis der Strafverfolgung (Rdn. 1) zu verdanken. 1. Begriffsbestimmungen

5

a) Unternehmen, Betrieb. Zum Merkmal des Unternehmens existieren im Schrifttum mannigfaltige Definitionen. 10 Viele davon heben die in der Regel wirtschaftliche (kaufmännische) bzw. kapitalmäßige Prägung des Unternehmens gegenüber der mehr technischen des Betriebs hervor. 11 Eine wirtschaftliche Determination des Unternehmensbegriffs in diesem Sinne vermag jedenfalls im Rahmen des auf den Schutz von gemeinwichtigen Einheiten ausgerichteten § 316 b aber nicht zu überzeugen und würde beispielsweise zweifelhaft erscheinen lassen, ob ein Krankenhaus als Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2, 2. Alt. (Rdn. 22) angesehen werden kann. Näher liegt es, daß der Unternehmensbegriff im Grundsatz sinngleich mit dem des Betriebs zu deuten ist (so für § 14 Schünemann LK § 14 Rdn. 55), zumal dessen Einstellung in § 316 b womöglich sprachliche Gründe hat (andernfalls „Wer den Betrieb 1. von Betrieben ..."). Vom Unternehmensbegriff umfaßt sein dürften nicht lediglich Betriebe größeren Umfangs (aA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 2); vielmehr entfaltet die Größe der jeweiligen Einheit lediglich mittelbar Bedeutung hinsichtlich der Ersetzbarkeit bei deren Ausfall (Rdn. 11). Nach herkömmlichen Regeln ist Betrieb eine, gleich in welcher Rechtsform, auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln zur Erreichung des nicht notwendig wirtschaftlichen Zwecks, Güter oder Leistungen zu erzeugen oder zur Verfügung zu stellen 10

11

SehlSehlLenckner § 14 Rdn. 28; Schünemann LK § 14 Rdn. 55; Göhler OWiG 12 § 9 Rdn. 44; Rehmannt Roth!Herrmann OWiG § 9 Rdn. 52; Rogall K K OWiG § 9 Rdn. 68, alle m. w. N. Z.B. Göhler OWiG 12 § 9 Rdn. 44: durch die Rechtsform (OHG, KG etc.) sowie den wirt-

schaftlichen Zweck bestimmter Betrieb; RebmannlRoth!Herrmann OWiG § 9 Rdn. 52: „rechtlich-wirtschaftliche Einheit", Rogall K K OWiG § 9 Rdn. 68: „organisatorische, kapitalmäßige Einheit".

S t a n d : 1. 7. 2000

(438)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

(LackneriKühl Rdn. § 11 Rdn. 15; Schünemann LK § 14 Rdn. 54).12 In dieser Bedeutung ist der Betriebsbegriff allerdings wohl nur in der amtlichen Überschrift verwendet. Das im Tatbestand dreimal gebrauchte Wort „Betrieb" („Wer den Betrieb ..."; „eine dem Betrieb dienende Sache", „für den Betrieb bestimmte elektrische Kraft") dürfte hingegen funktional im Sinne des ordnungsgemäßen Arbeitens zu verstehen sein (Rdn. 9). Der „Betrieb" als organisatorischer Zusammenschluß wird durch das „Unternehmen" „vertreten" (s. oben). b) Einrichtung. Der Begriff der Einrichtung findet sich in zahlreichen Strafvorschrif- 6 ten. Einrichtungen sind allgemein Gesamtheiten von Personen und/oder Sachen, die einem bestimmten Zweck dienen sollen, gleich ob sie auf Dauer angelegt sind oder nur vorübergehend bestehen, ob sie mit Grund und Boden fest verbunden oder beweglich, ob sie zu einer sachlichen Einheit verbunden sind oder die Verbindung nur durch den gemeinsamen Zweck hergestellt wird (BGHSt. 31 1, 2). Nach Ansicht des BGH kann der Terminus sachgerecht nur im Lichte des ihn jeweils verwendenden Tatbestands ausgefüllt werden; für § 316 b Abs. 1 Nr. 3 folge aus dem dortigen Nebeneinander von „Einrichtung" und der (sächlich zu verstehenden) „Anlage", daß die „Einrichtung" hier jedenfalls auch Gesamtheiten von Personen sowie von Personen und Sachen umfasse (BGH aaO). Das durch den BGH gebrauchte Argument ist dabei - wie u.a. § 248c 13 und § 88 Abs. 1 Nr. 4 14 zeigen - nicht zwingend (Stree JuS 1983 836, 840). Gleichwohl überzeugt das gefundene Ergebnis.15 § 316 b verwendet in Absatz 1 Nr. 1 das Begriffspaar „Unternehmen - Anlage", wobei „Unternehmen" personalen Bezug aufweist (Stree aaO). Daß das Gesetz in Absatz 1 Nr. 3 Gesamtheiten mit personalem Bezug unberücksichtigt lassen will, kann ausgeschlossen werden. Wenn der Gesetzgeber hier statt des Begriffs des „Unternehmens" den der „Einrichtung" wählt, so ist dies wohl darauf zurückzuführen, daß „Unternehmen" für die von Absatz 1 Nr. 3 betroffenen Gesamtheiten (Polizei, Feuerwehr etc.) nicht paßt (vgl. auch § 88 Abs. 1 Nr. 4). c) Anlage. Der Terminus der „Anlage" setzt seinem Wortsinn nach eine „Kon- 7 struktion aus technischen Materialien" voraus (BGHSt. 31 1, 2). Er bezeichnet im Regelfall reine Sachgesamtheiten. Jedoch dürfte es nicht zwingend sein, ihn auf reine Sachgesamtheiten zu beschränken (in diese Richtung aber BGH aaO). Eine dahingehende Interpretation zöge im Rahmen des § 316b Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt., wo nur der Anlagenbegriff verwendet wird, seltsame Konsequenzen nach sich (näher Rdn. 16). In Abgrenzung zum Unternehmen und zur Einrichtung dürfte der Anlagenbegriff des § 316 b als vornehmlich aus sächlichen Mitteln bestehende Funktionseinheit zur planmäßigen Erreichung eines auf eine gewisse Dauer berechneten Erfolgs annähernd zutreffend beschrieben sein. Hinzu kommen muß, daß die Funktionseinheit ortsfest eingesetzt wird (Rdn. 8), daß sie den gemeinwichtigen Zwecken selbständig dient (Rdn. 9) und daß sie „dynamisch" arbeitet (Rdn. 10). aa) Ortsfestigkeit. Essentielles Element des Anlagenbegriffs im Sinne des § 316 b 8 dürfte die Ortsfestigkeit sein.16 Vor allem das einzelne Fahrzeug kann deshalb - wohl 12

13

14

Eingehend zum Begriff des Betriebs Lampe ZStW89(1977) 325, 328 ff. „Einrichtung" ist dort im Sinne einer reinen Sachgesamtheit zu interpretieren (vgl. Ruß LK § 248 c Rdn. 2). Dort werden außer „Einrichtungen" und „Anlagen" noch „Dienststellen" und „Gegenstände" aufgeführt.

(439)

15

16

AA womöglich Horn SK Rdn. 3: Einrichtung als Sachkomplex geringeren Ausmaßes; s. aber dort Rdn. 7. Daß die Einrichtung nicht auch reine Sachgesamtheiten umfaßt, läßt sich der Entscheidung nicht entnehmen (aA wohl Mäurach!SchroederlMaiwald BT/2 § 57 Rdn. 17). Für § 316 b kommt es aber hierauf nicht an. So - freilich ohne nähere Begründung - auch Bernstein § 316b StGB S. 43.

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

entgegen der herrschenden Lehre17 und entgegen dem Sprachgebrauch des Umweltstrafrechts 18 - nicht als eigenständiges Schutzobjekt des § 316 b gelten. Für diese Interpretation läßt sich anführen, daß die „Anlage" im Verkehrsstrafrecht (§315 Abs. 1 Nr. 1, § 315 b Abs. 1 Nr. 1), also in nahem örtlichem und sachlichem Regelungszusammenhang mit § 316 b, gesondert neben dem Beförderungsmittel bzw. Fahrzeug genannt und dementsprechend dort als ortsfestes Gebilde verstanden wird (König LK § 315 Rdn. 28, § 315b Rdn. 21). Ferner wäre § 305a Abs. 1 Nr. 2 andernfalls überflüssig.19 Auch das früher geltende Recht spricht eher für als gegen den Ausschluß von beweglich eingesetzten Gegenständen; denn der Aufführung der (einer) Eisenbahn hätte es nicht bedurft, wenn diese bereits vom Begriff der Anlage umfaßt wäre.20 Schließlich kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe beispielsweise das Fahrrad des Briefträgers dem erhöhten Strafschutz des § 316 b unterstellen wollen. Eine Auslegung im vorgenannten Sinn, die womöglich implizit auch der zu § 316 b ergangenen - freilich spärlichen - Rechtsprechung zugrunde liegt,21 reißt keine unvertretbaren Schutzlücken. Denn Fahrzeuge und andere beweglich eingesetzte Gegenstände sind dem Betrieb (des Unternehmens oder der Einrichtung) dienende Sachen. Es ist zu fragen, ob aufgrund deren Störung der Betrieb des Unternehmens/der Einrichtung beeinträchtigt wird. Dies ist bei Ausfall/Störung eines Flugzeugs, eines Passagierschiffs, einer Schienenbahn (ICE, U- oder S-Bahn, Straßenbahn) oder eines Omnibusses etc. in aller Regel der Fall, bei einem Ausfall des Fahrrads des Briefträgers, aber auch etwa eines Einsatzwagens der Polizei hingegen nicht unbedingt. Folgt man dem nicht, so kann eine Ausgrenzung unter dem Aspekt des „Hilfsmittels" erfolgen (nachfolgende Rdn.). Ortsfest meint nicht „unbeweglich" bzw. mit dem Boden fest verbunden, sondern bedeutet ortsfest eingesetzt. Beispielsweise ein fahrbares Notstromaggregat kann somit Anlage im Sinne des § 316 b (Abs. 1 Nr. 2) sein. 9

bb) Anlage - Hilfsmittel. Im Rahmen des § 316 b Abs. 1 Nr. 3 geht die wohl bereits h. M. dahin, daß technische Einsatzmittel, derer sich Unternehmen/Einrichtungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen, nicht schon per se als Schutzobjekte des § 316 b gelten können, wenn sie den Anlagenbegriff formal erfüllen. Zumeist wird der Terminus jedoch nicht problematisiert.22 Demgegenüber stellt OLG Stuttgart NStZ 1997 342 f mit eingehender Begründung darauf ab, ob das Objekt als unselbständiges Hilfsmittel einer übergeordneten „Organisationseinheit" zu dienen bestimmt sei. Für diesen 17

18

" 20

Vgl. Seh!Schröder!Cramer Rdn. 5; Tröndlel Fischer Rdn. 4; Maurach/SchroederlMaiwald BT/2 § 57 Rdn. 17; wohl auch Lackneri Kühl Rdn. 2 i.V.m. § 325 Rdn. 2. S. auch Prot. V S. 1167 [zu §88], Dort sind Fahrzeuge prinzipiell umfaßt. Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeuge mußten deswegen aus dem Anwendungsbereich der Tatbestände gegen die Luftverunreinigung ausdrücklich ausgenommen werden (§ 325 Abs. 5 und hierzu Steindorf LK § 325 Rdn. 21). Zur Konzeption des § 305 a als Tatbestand im Vorfeld des § 316b BTDrucks. 11/6635 S. 13. Wobei nicht ganz klar ist, ob nicht schon damit der Bahnbetrieb gemeint war (in diesem Sinne wohl die Entwurfsbegründung zum TKGBegleitgesetz BTDrucks. 13/8016 S. 28: „rein

21

22

privaten Zwecken dienende Bahnbetriebe" und „an sich privat genutzter Bahnbetrieb"). Deutlicher in Richtung auf Einbeziehung einzelner Fahrzeuge allerdings die Reformentwürfe (Entstehungsgeschichte). BGHSt. 31 185, 188 f [Einsatzfahrzeug der Polizei]; OLG Koblenz VRS 46 33, 35 [Feuerlöschfahrzeug]. U. U. sind die Fahrzeuge auch als bloße Hilfsmittel (nachstehende Rdn.) angesehen worden. BGHSt. 31 1, 2 f [Maschinengewehre einer Einsatzhundertschaft der Polizei]; 185, 188f; OLG Koblenz VRS 46 33, 35. S. dazu, daß den letztgenannten Entscheidungen u.U. auch die Auffassung zugrunde liegt, Fahrzeuge seien als beweglich eingesetzte Gegenstände keine Anlagen, die vorstehende Rdn.

Stand: 1.7. 2000

(440)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

Fall genüge die Beeinträchtigung des „Hilfsmittels" allein nicht; der Tatbestand sei vielmehr nur erfüllt, sofern aufgrund der Beeinträchtigung des Hilfsmittels der Betrieb der „übergeordneten Organisationseinheit" gestört oder verhindert werde.23 Dies sei aus dem Gesetzeswortlaut herzuleiten, „der eindeutig zwischen dem öffentlichen Betrieb, der gestört [werde], und der Ursache der Störung, nämlich der Beschädigung einer dem Betrieb dienenden Sache" unterscheide (OLG Stuttgart aaO S. 342). Mit dem Gesetzes Wortlaut läßt sich eine solche Interpretation freilich nicht überzeugend begründen. Der (öffentliche) „Betrieb" als organisatorischer Zusammenschluß (Rdn. 5) wird im Tatbestand selbst nämlich nicht ausdrücklich aufgeführt. Er findet sich dort nur als Substrat des „Unternehmens", dies allerdings nicht als „übergeordnete Organisationseinheit", sondern gleichrangig neben den anderen Schutzgegenständen, mithin auch der Anlage. Er ist als Oberbegriff auch nicht deswegen verdeckt im Tatbestand enthalten, weil dort hinsichtlich der Tathandlungen (Zerstörung, Beschädigung etc.) an eine „dem Betrieb dienende Sache" angeknüpft wird. Denn „Betrieb" kann - genauso wie im diesbezüglich wort- und strukturgleichen § 317 - nur im Sinne des ordnungsgemäßen Arbeitens24 von Unternehmen, Einrichtungen und Anlagen verstanden werden. 25 Nicht durchführbar erscheint es ferner, die (Einzel-)Sache von der sächlichen Funktionseinheit abgrenzen zu wollen (so Stree JuS 1983 836, 839). Denn in Frage stehen in aller Regel Funktionseinheiten. Ζ. B. bei der Computeranlage ist dies augenfällig. Beschädigt der Täter den Prozessor oder die Festplatte, so beschädigt er eine dem Betrieb der Computeranlage dienende Sache, mit der Folge, daß diese Anlage nicht benutzt werden kann. Ein weiteres Beispiel gäbe der zerstochene Reifen eines hochtechnisierten Feuerlöschfahrzeugs. 26 Nicht anders liegt es aber letztlich beim Fahrrad. Kein gangbarer Weg ist es schließlich, dem öffentlichen Betrieb als generell übergeordneter Einheit mit Hilfe der amtlichen Uberschrift Eingang in den Tatbestand verschaffen zu wollen.27 Das gilt schon deswegen, weil der Betrieb eine Kombination von Personen und Sachen voraussetzt (Rdn. 5), wohingegen die Anlage zumindest in erster Linie rein sächliche Gesamtheiten umfaßt (Rdn. 7). Der Oberbegriff würde demnach ein gesondertes Schutzobjekt größtenteils nicht abdecken. Dem Anliegen nach Eingrenzung eines sehr weit geratenen Tatbestands kann jedoch mit einer am Normzweck orientierten Auslegung Rechnung getragen werden. In Ubereinstimmung mit der der h. M. zugrunde liegenden funktionalen Betrachtungsweise ist das in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 fast durchgehend verwendete Wort „dienen" in dem Sinn zu lesen, daß das jeweilige Schutzobjekt den vom Tatbestand vorausgesetzten Zwecken selbständig dienen muß (ähnlich Bernstein § 316b StGB S. 106ff). 28 Bei Zerstörung, Beschädigung etc. einer den gemeinwichtigen Zwecken selbständig dienenden Anlage (ζ. B. einer Ampelanlage, Schleuse, Notrufsäule) entsteht nämlich 23

24

Im Ergebnis auch Lackner/Kühl Rdn. 4; Bernstein § 316 b StGB S. 106 ff und mehrfach; Loos JR 1984 169; Stree JuS 1983 836, 839. Vgl. auch, teils widersprüchlich, Schl Schröder/Cramer Rdn. 5; TröndlelFischer Rdn. 4; Maurach/ SchroederlMaiwald BT/2 § 57 Rdn. 17. AA wohl Horn SK Rdn. 5 ff. In diesem Sinne auch Wolff LK § 317 Rdn. 4, 6. Die gegenteilige Interpretation hätte i.ü. zur Folge, daß demselben Begriff innerhalb einer Vorschrift zwei verschiedene Bedeutungen beigemessen würden.

(441)

25

26 27

28

Bezüglich der Anlage ausformuliert lautet die Vorschrift; Wer den Betrieb einer Anlage ... dadurch behindert ..., daß er eine dem Betrieb der Anlage dienende Sache ... Zur Frage der Ortsfestigkeit vorstehende Rdn. So OLG Stuttgart NStZ 1997 342, 343, im Anschluß an Loos JR 1984 169. Anders wohl der Ε 1962, der „die Einsatzmittel" u.a. der Polizei und Feuerwehr als geschützt ansah; dies bezieht sich freilich auf § 370 Abs. 1 Nr. 4 StGB-E, der § 88 Abs. 1 Nr. 4 des geltenden Rechts entspricht und „Gegenstände" einbezieht (BTDrucks. IV/650 S. 566).

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

typischerweise sofort die durch § 316 b ins Auge gefaßte Gefahrenlage. Hingegen gibt es bei Anlagen, die „als unselbständiges Glied in die Kette der betrieblichen Vorgänge" 29 eines Unternehmens oder einer Einrichtung integriert sind, oftmals Möglichkeiten, den Ausfall dieses „Glieds" zu kompensieren; u. U. ist dessen Ausfall überhaupt nicht zu spüren. Die tatbestandsspezifische Gefährdungssituation entsteht dann erst gar nicht. Strafschutz gerade durch § 316 b ist nur notwendig, sofern der Betrieb der „Hauptsache" verhindert oder gestört wird. Klar ist, daß eine Eliminierung des „Hilfsmittels" nicht ohne Auswirkungen auf den subjektiven Tatbestand bleibt. Denn der Täter muß die Verhinderung oder Störung des Betriebs der „Hauptsache" in seinen Vorsatz aufgenommen haben (Rdn. 35). 10

cc) Dynamischer Prozeß. § 316 b setzt voraus, daß die Anlage geeignet ist, „betrieben" zu werden, also im Sinne eines dynamischen Prozesses „arbeiten" können muß (vgl. Horn SK Rdn. 8). Daran fehlt es bei Gegenständen, deren Funktion sich „in ihrem unbeeinträchtigten Bestand bzw. in ihrem gegenständlichen Sein" erschöpft (Bernstein § 316 b StGB S. 58). Beispiele sind Gleisanlagen des Bahnverkehrs, Landebahnen, Brücken, Straßen, aber auch Verkehrsschilder. Deren Beeinträchtigung ist allerdings tatbestandsrelevant, sofern hierdurch das Funktionieren eines Unternehmens, einer Einrichtung oder Anlage gestört wird, dem/der die Gegenstände dienen. Etwa bei Gleisanlagen oder der Landebahn eines Flughafens macht dies keine Schwierigkeiten, weil bei deren Beeinträchtigung regelmäßig der Betrieb des Bahnunternehmens oder des Flughafens beeinträchtigt wird. Anders ist dies freilich im Straßenverkehr (Straße, Verkehrsschild), wo Vergleichbares nicht existiert. Zudem sind Wertungswidersprüche nicht zu verkennen, wenn etwa die Beeinträchtigung der Ampelanlage als solche genügt, die des Verkehrsschilds jedoch nicht, obwohl letzterem dieselbe wichtige Funktion zukommen kann. Auf den Straßenträger oder die Straßenverkehrsbehörde abzustellen, würde dabei wohl zu weit führen. Letztlich können die Verwerfungen aber hingenommen werden. Strafschutz besteht ggf. über die §§ 303 ff, 315 b (für den Bahn-, Luft- und Schiffsverkehr ggf. § 315).

11

2. „Besonders wichtige" Objekte; „Unersetzlichkeit". Verschiedentlich wird die Auffassung vertreten, der Kreis der wortlautgemäß erfaßten Objekte müsse interpretatorisch auf „besonders wichtige" Betriebe bzw. Betriebe „von ganz besonderer Bedeutung" reduziert werden.30 Dem Gedanken ist insoweit beizupflichten, als der Tatbestand der Beschränkung bedarf. Jedoch ist der Topos der „besonderen Wichtigkeit" viel zu vage, um ein Abgrenzungskriterium bilden zu können. Demgegenüber kann namentlich im Rahmen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 die Überlegung Anhaltspunkte für die Beurteilung liefern, ob das Objekt (in weitestem Sinn verstandene) „Leistungen" erbringt, die nicht, nicht ohne weiteres oder nicht in angemessener Zeit ersetzbar sind, bei deren Ausfall/Störung also (in weitestem Sinn verstandene) „Versorgungsengpässe" entstehen oder die „Versorgung" ausbleibt (Rdn. 14, 20, 22).31 Die Prüfung kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls erfolgen, wobei in diesem Rahmen u. U. die - für sich genommen nicht hinreichend aussagekräftige - Größe der Funktionseinheit Bedeutung erlangt (Bernstein § 316 b StGB S. 46). Denn die „Versorgungsengpässe" werden um so spürbarer sein, je umfänglicher die Leistungen sind, 29 30

O L G Stuttgart NStZ 1997 342. Bernstein § 316 b StGB S. 18 f und vielfach; im Anschluß daran auch O L G Stuttgart NStZ 1997 342, 343.

31

Zum Aspekt der Ersetzbarkeit Bernstein § 316 b StGB S. 54 und vielfach.

Stand: 1. 7. 2000

(442)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

die die Einheit erbringt. Wo die jeweiligen Objekte allerdings ihrer Natur nach „unersetzlich" sind, ist für eine gesonderte Prüfung, ob sie „nur wichtig" oder schon „besonders wichtig" sind, kein Raum (vgl. LG Ravensburg NStZ 1997 191, 192). Das gilt vor allem für die der Gefahrenabwehr dienenden Einrichtungen und Anlagen (Rdn. 25 ff). 3. Die einzelnen Schutzobjekte a) Postdienst, öffentlicher Verkehr (Absatz 1 Nr. 1). Absatz 1 Nr. 1 hat seine heutige 1 2 Fassung durch das Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz aus dem Jahr 1997 erhalten (Entstehungsgeschichte V). Die Neufassung trug der Privatisierung der Deutschen Bundespost Rechnung. Neben der Deutschen Post AG treten z.B. im Frachtbereich (Päckchen und Pakete) und bei Massendrucksachen (Info-Post) andere Anbieter auf, weitere werden hinzukommen. Dem Gesetzgeber erschien die ordnungsgemäße Versorgung mit diesen Leistungen weiterhin im bisherigen Umfang schützenswert (BTDrucks. 13/8016 S. 28). Für Unternehmen und Anlagen, die dem öffentlichen Verkehr dienen, hat sich aufgrund des Umstandes, daß die Eisenbahn nicht mehr ausdrücklich benannt wird, keine wesentliche sachliche Änderung ergeben. aa) Postdienstleistungen. Mit Postdienstleistungen ist die Versendung, der Trans- 1 3 port und die Zustellung von Briefen, Drucksachen, Päckchen und Paketen gemeint (BTDrucks. 13/8016 S. 28; TröndlelFischer Rdn. 2). Demgemäß fallen die früher von der Deutschen Bundespost verrichteten Leistungen des Girodienstes und der Telekommunikation nicht unter Absatz 1 Nr. 1 (Horn SK Rdn. 4).32 Der Dienst muß der öffentlichen Versorgung gewidmet sein, also im Grundsatz jedermann offenstehen. Beispielsweise die Hauspost in (größeren) Betrieben ist deswegen nicht tatbestandsrelevant (weitergehend TröndlelFischer Rdn. 2). Das in der nachstehenden Rdn. zur Eisenbahn Gesagte gilt aber sinngemäß. Fahrzeuge (Fahrrad des Briefträgers, Paketwagen; Rdn. 8) und andere Hilfsmittel (ζ. B. EDV-, Postverteileranlage; Rdn. 9) sind nicht als selbständige Anlagen anzusehen, weswegen insoweit maßgebend ist, ob bei deren Beeinträchtigung die „Hauptsache" gestört wird. Gesondertes Schutzobjekt ist demgegenüber ζ. B. der Briefkasten; seine Bedeutung beschränkt sich nicht auf das „gegenständliche Sein" (s. Rdn. 10), sondern er wird „betrieben" (Leerung, Einstellung der Leerungszeiten etc.). bb) Öffentlicher Verkehr. Die Unternehmen/Anlagen des öffentlichen Verkehrs 1 4 müssen im Grundsatz jedermann zur Benutzung offenstehen, weswegen ζ. B. die Busfahrlinie eines Hotels (vgl. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 3), reine Werksbahnbetriebe und andere lediglich für einen von vornherein beschränkten Benutzerkreis bestimmte Privatbahnen von Absatz 1 Nr. 1 nicht erfaßt werden (BTDrucks. 13/8016 S. 28)." Deren Beeinträchtigung kann allerdings eine Strafbarkeit nach Absatz 1 Nr. 2 auslösen, sofern die übergeordneten Unternehmen und Einrichtungen für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind, oder auch nach Absatz 1 Nr. 3, falls diese der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen (in diesem Sinne u.U. BTDrucks. 13/8016 aaO; Sehl Schröder/Stree § 88 Rdn. 4).

32

Die zum vormaligen Recht teilweise vertretene Auffassung, daß der gesamte Betrieb der Deutsehen Bundespost § 316 b unterfalle (Rüth LK 10 Rdn. 3; Bernstein § 316 b StGB S. 37), ist überholt.

(443)

33

AA OLG Celle GA 1965 214 f; weitergehend auch TröndlelFischer Rdn. 2.

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(Öffentliche) Verkehrsunternehmen (Rdn. 5) sind insbesondere die Deutsche Bahn AG, die kommunalen Nahverkehrsunternehmen, Luft- und Schiffahrtunternehmen sowie, da Gesamtheit aus Personen und Sachen (Rdn. 5, 7), Bahnhöfe, Flug- und Schiffshäfen. 34 Speditionen und Taxiunternehmen können taugliche Schutzobjekte sein, sofern sie „unersetzlich" sind (Rdn. 11), was jedoch kaum je gegeben sein wird. 35 Anlagen (Rdn. 7) des öffentlichen Verkehrs sind u.a. die Signalanlagen sämtlicher Verkehrsarten, aus dem Bahnverkehr auch Bahnschranken, Weichenstellenanlagen, aus dem Schiffsverkehr Schleusen (s. auch König LK § 315 Rdn. 28) und aus dem Straßenverkehr Verkehrsleiteinrichtungen (s. auch König LK § 315 b Rdn. 21). Für Rolltreppen und Fahrstühle in öffentlich zugänglichen Gebäuden und in Bahnhöfen oder Flughäfen fallt die Beurteilung schwer.36 Deren Einbeziehung liegt aber nicht außerhalb des Schutzzwecks, weil sie namentlich für alte, behinderte und erkrankte Personen im echten Sinne unersetzlich sind, weswegen sie als vom Tatbestand umfaßt gelten können. In geringer gewichtigen Fällen wird an die §§ 153, 153 a StPO zu denken sein. Beweglich eingesetzte Funktionseinheiten, vor allem die Beförderungsmittel (Fahrzeuge), sind keine gesonderten Schutzobjekte (Rdn. 8). Entsprechendes gilt für Gegenstände mit bloßer Hilfsfunktion, so etwa die Computer- oder Fernsprechanlage des Verkehrsunternehmens (im einzelnen Rdn. 9). Gleise, Straßen, Brücken etc. fallen gleichfalls nicht unmittelbar unter § 316b Abs. 1 Nr. 1 (näher Rdn. 10). In allen Fällen ist entscheidend, ob der Betrieb einer übergeordneten Organisationseinheit beeinträchtigt wird (Rdn. 8 bis 10). 15

b) Versorgungsanlagen/-unternehmen (Absatz 1 Nr. 2). § 316 b Abs. 1 Nr. 2 differenziert zwischen Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht etc. dienen und Unternehmen, die für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind. Durch die Vorschrift wird dem Wortlaut nach ein außerordentlich breites Spektrum von Objekten erfaßt (eingehend Bernstein § 316 b StGB S. 59 ff).

16

aa) Wasser, Energieversorgung. Auffallend ist, daß das Gesetz in der ersten Variante der Nummer 2 nur den Begriff der „Anlage" verwendet und nicht zugleich den des Unternehmens bzw. der Einrichtung. Wäre Anlage im Sinne einer ausschließlich sächlichen Funktionseinheit zu verstehen (Rdn. 7), so müßten Objekte mit personalem Bezug an sich ausscheiden. Dies erschiene freilich ungereimt, weil zahlreiche Versorgungseinheiten naturgemäß nicht ohne Personal auskommen. Allzu spitzfindig wäre es wohl, die der Versorgung mit Energie oder Wasser dienende Funktionseinheit mit personalem Bezug der Variante 2 (lebenswichtiges Unternehmen) zuzuschlagen und nur die ausschließlich sächliche bei der Variante 1 zu belassen. Näher liegt, daß im Rahmen der Variante 1 der personale Bezug nicht schadet. Daß der Gesetzgeber den personalen Bezug ausschließen wollte, kann nicht angenommen werden. Dementsprechend ist die vormals auch in § 90 Abs. 1 Nr. 3 a. F. enthaltene Unstimmigkeit mit der Neufassung dieser Vorschrift in § 88 Abs. 1 Nr. 3 durch das 8. StrÄndG bereinigt worden (vgl. auch BTDrucks. 13/8016 S. 28).

17

(1) Öffentliche Versorgung. Die betreffenden Anlagen müssen zunächst der öffentlichen Versorgung dienen, d. h. im Prinzip jedermann zur Verfügung stehen (Horn SK Rdn. 6). Versorgt sich beispielsweise ein großes Krankenhaus selbst mit „Wärme" so 34 35

AA Bernstein § 316 b StGB S. 56 ff: Anlagen. Für Taxiunternehmen strikt ablehnend Bernstein § 316b StGB S. 55f.

36

Bejahend Horn SK Rdn. 5; aA Cramer Rdn. 3.

Stand: 1. 7. 2000

SchlSchröderl

(444)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

dient die diesbezügliche Anlage nicht der Öffentlichkeit. Deren Zerstörung/Beschädigung beeinträchtigt jedoch den Betrieb des Krankenhauses, also eines lebenswichtigen Unternehmens (Rdn. 22) und ist deshalb tatbestandsrelevant (§ 316 b Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt.). (2) Wasser, Energie. Wasser umfaßt neben dem Trinkwasser auch das Brauchwasser (Bernstein § 316 b StGB S. 63). Mit Licht, Wärme und Kraft ist offensichtlich die Versorgung mit Energie gemeint. Da das Gesetz hinsichtlich der Energieträger keine Einschränkungen vornimmt, ist nicht nur die Versorgung mit Strom, Gas und Dampf tatbestandsrelevant, sondern auch die mit Heizöl, Kohle und anderen Brennstoffen; mit Rücksicht auf die gesonderte Benennung der „Kraft" ist Treibstoff (ζ. B. Benzin, Dieselöl, Kerosin) inbegriffen (Bernstein aaO S. 64 f).

18

(3) Leitungsgebundene Versorgung. Unzweifelhaft in den Tatbestand einbezogen sind die leitungsgebundenen Wasser-, Strom-, Gas-, Fernwärmeversorgungssysteme namentlich der Kommunen. Die zunehmend auf den liberalisierten Markt drängenden privaten Stromversorger fallen gleichfalls in den Anwendungsbereich (s. auch Rdn. 4, 11). Die Leitungen selbst sind ebenso wie andere in den Betriebsablauf eingegliederte Funktionseinheiten (z.B. Brunnen, Pumpen, Wassertürme, Belüftungsanlagen; Strommasten) keine eigenständigen Schutzobjekte (Bernstein § 316 b StGB S. 77 f; aA Horn SK Rdn. 6), so daß es darauf ankommt, ob durch ihre Beeinträchtigung der Betrieb der gesamten „Anlage" beeinträchtigt ist (im einzelnen Rdn. 9), was zumeist der Fall sein wird.

19

(4) Nicht leitungsgebundene Versorgung. Aus dem in Rdn. 18 Ausgeführten folgt, 2 0 daß § 316 b Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. die nicht leitungsgebundene Versorgung mit Energieträgern umfaßt, also z.B. die Lieferung von Heizöl oder Kohle, aber auch die Leistungen einer Tankstellenanlage (Bernstein § 316b StGB S. 64f, 78 f). Deren Einbeziehung liegt grundsätzlich im Schutzzweck der Norm. Allerdings wird § 316 b nur selten erfüllt sein, weil die Versorgungsleistungen etwa eines Heizöllieferanten oder einer Tankstelle - von Notzeiten abgesehen - substituierbar sind (Rdn. 11; Bernstein aaO S. 79). Anders kann die Beurteilung ausfallen, wenn die einzige Tankstelle in einem größeren Einzugsbereich beeinträchtigt wird. Werkstankstellen dienen nicht der öffentlichen Versorgung (Rdn. 17). (5) Energieerzeugungsanlagen, Lagerstätten. Energieerze«gu«gÄanlagen und Lager- 2 1 Stätten sind § 316 b Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. (mittelbar) zuzuordnen, sofern sie unselbständiger Teil eines Energieversorgungsunternehmens sind (Rdn. 19). Ansonsten wird man die Vorschrift in dem Sinn lesen müssen, daß die Anlage im Prinzip jedermann (Rdn. 17) selbständig (unmittelbar) dienen muß (vgl. auch Rdn. 9). Sofern es an einer unmittelbaren Versorgung des „Endverbrauchers" fehlt, dürften z.B. Atom- oder Wasserkraftwerke, Verbrennungsanlagen, Windräder, Solaranlagen, Erdölraffinerien, Kohlegruben, Tank- und Kohlenlager nicht unter die Bestimmung fallen (aA Bernstein § 316 b StGB S. 78 f)· Lebenswichtigkeit vorausgesetzt ist allerdings § 316 b Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. erfüllt; sie wird in aller Regel gegeben sein. bb) Lebenswichtige Unternehmen. Daß unter einen nicht näher eingegrenzten 2 2 Begriff des Versorgungsunternehmens eine nicht überschaubare Fülle von Unternehmen fallen würde, liegt auf der Hand. Umfaßt wäre u. a. der gesamte Einzelhandel, aber auch eine Vielzahl von Dienstleistungsbetrieben. Vor diesem Hintergrund beschränkt das Gesetz den Strafschutz auf das lebenswichtige Unternehmen, wobei der Begriff „lebenswichtig" ein Substrat der dem § 316 b vorausgehenden Reformers)

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

entwürfe sein dürfte (Entstehungsgeschichte I). Der nicht sehr scharf konturierte Terminus muß im Lichte des § 316 b Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. interpretiert werden. Das Unternehmen muß die Bevölkerung mit ähnlich wichtigen Gütern und Leistungen versorgen wie Wasser und Energie. Das sind vor allem Grundnahrungsmittel, Kleidung, Medikamente sowie ärztliche und pflegerische Leistungen. Naturgemäß kann es nicht ausreichen, daß die Güter/Leistungen als solche lebensnotwendig sind. Andernfalls würde ζ. B. die Betriebsstörung einer Bäckerei, Metzgerei oder eines Getränkemarkts die Strafdrohung des § 316 b auslösen. Derartige Störungen sind aber nicht tatbestandsrelevant, weil an die Stelle von solchen, in ihrem Betriebsablauf beeinträchtigten Unternehmen - ausgenommen in Notzeiten - zahlreiche andere treten (Rdn. 11). Vielmehr muß bei Ausfall des jeweiligen Unternehmens eine ausreichende Versorgung zumindest von Teilen der Bevölkerung in Frage gestellt sein (Lackner/Kühl Rdn. 4). Demgemäß ist vorwiegend an Unternehmen zu denken, die eine Monopol- bzw. Schlüsselstellung innehaben (KohlrauschiLange § 316 b Nr. 2 Anm. II). Nicht erforderlich ist, daß bei Ausfall des Unternehmens gemeine Not ausbrechen würde (vgl. auch § 316 b Abs. 3). Es genügen spürbare Versorgungsengpässe. Lebenswichtige Versorgungsunternehmen sind u.a. der Schlachthof, die Milchzentrale, die Großmarkthalle, das Krankenhaus, Blut- oder andere Organ- und Gewebebanken oder auch pharmazeutische Unternehmen. Weiter gehören hierher die Müllabfuhr (TröndlelFischer Rdn. 3), Abwasser- und Kläranlagen, Bestattungsunternehmen und Friedhöfe. Daß ζ. B. die Müllabfuhr und die Abwasseranlage der Entsorgung dienen, steht dem nicht entgegen (aA Horn SK Rdn. 6; Bernstein § 316 b StGB S. 82); maßgebend ist nämlich die jeweilige Dienstleistung, mit der die Bevölkerung unzweifelhaft versorgt wird. Mit Blick auf den im Vergleich zu § 316 b Abs. 1 Nr. 2, 1. Alt. gelockerten Bezug („für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen") sind die meisten Energieerzeugungsunternehmen u. ä. - sofern nicht bereits unter Absatz 1 Nr. 2, 1. Alt. fallend - den lebenswichtigen Unternehmen zuzurechnen (vorstehende Rdn.). 23

24

c ) Öffentliche Ordnung oder Sicherheit (Absatz 1 Nr. 3). Schutzobjekte des Absatzes 1 Nr. 3 sind Einrichtungen (Rdn. 6) und Anlagen (Rdn. 7), die der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienen. aa

) Gefahrenabwehr - Repression. Das Gesetz verwendet den im Polizei- und Sicherheits- bzw. Ordnungsrecht gebräuchlichen Fachbegriff der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit.37 Daraus wird man schließen müssen, daß jedenfalls grundsätzlich nur der Bereich der Gefahrenabwehr (Prävention) erfaßt ist (Bernstein § 316 b StGB S. 96). Das bedeutet zugleich, daß Einrichtungen, die ausschließlich auf die Strafverfolgung und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (Repression) ausgerichtet sind, vom Strafschutz des § 316 b nicht erfaßt sind. Namentlich die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte, aber auch zentrale Bußgeldbehörden 38 sind damit keine Einrichtungen im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 3. Gehen allerdings präventive und repressive Zwecke ununterscheidbar ineinander über, so ist der Anwendungs37

Allerdings in ungebräuchlicher Reihenfolge (sonst „öffentliche Sicherheit oder Ordnung"). Damit ist jedoch kein sachlicher Unterschied verbunden; die Unstimmigkeit ist ursprünglich auch in § 90 (Abs. 1 Nr. 4) a. F. enthalten gewesen und durch das 8. StrÄndG bereinigt worden (s. auch Rdn. 16). Zur Formulierung ausführlich Bernstein § 316 b StGB S. 95 f.

M

Zur Bußgeldbehörde O L G Stuttgart NStZ 1997 342, 343; Horn SK Rdn. 7. Zweifelnd Tröndlel Fischer Rdn. 4; Maurach! Schroederl Maiwald BT/2 § 57 Rdn. 17. Zu den Folgerungen für die Beurteilung von Geschwindigkeitsmeßanlagen Rdn. 29.

Stand: 1. 7. 2000

(446)

Störung öffentlicher Betriebe

§

316b

bereich des § 316 b eröffnet. Davon betroffen ist insbesondere die Polizei, aber auch der Justiz- und Maßregelvollzug (näher Rdn. 26). Daß das Gesetz die Verfolgung und Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ausspart, erscheint wenig gereimt und sollte überdacht werden. Denn mit der „Repression" werden zu einem guten Teil auch präventive Zwecke verfolgt. Deren essentielle Bedeutung für Sicherheit und Ordnung steht außer Zweifel. bb) Zweck der Gefahrenabwehr. Von dem Begriff der „öffentlichen Ordnung oder 2 5 Sicherheit" wird im Prinzip die Bandbreite von Tätigkeiten umfaßt, die durch das Polizei- und Sicherheits- bzw. Ordnungsrecht abgedeckt wird. Dazu rechnen neben der gefahrenabwehrenden Tätigkeit der Polizeien der Länder und des Bundes beispielsweise Tätigkeiten auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, der Gewerbe- und Bauaufsicht oder des Katastrophen- und des Umweltschutzes. (1) Der Gefahrenabwehr „dienen". Anders als § 88 Abs. 1 Nr. 4 verlangt § 316b 2 6 Abs. 1 Nr. 3 nicht, daß die Einrichtung/Anlage der Ordnung oder Sicherheit „ganz oder überwiegend" dient. § 316 b Abs. 1 Nr. 3 reicht deshalb weiter als die korrespondierende Regelung des § 88.39 Die Vorschrift schließt Einrichtungen/Anlagen ein, die auch der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienen, ohne daß die gefahrenabwehrende Aufgabenstellung im Vordergrund stehen müßte. Wollte man die Vorschrift des §316 Abs. 1 Nr. 3 demgegenüber in dem Sinne lesen, daß die Funktionseinheiten nur der Ordnung oder Sicherheit dienen müssen, so wäre sie zu einem guten Teil ihres Anwendungsbereichs entkleidet. Insbesondere würde mit der Polizei wohl diejenige Einrichtung herausfallen, die von der allgemeinen Meinung als ein Hauptfall für eine tatbestandsrelevante Einrichtung anerkannt ist. Denn gleichrangig neben der Aufgabe der Gefahrenabwehr nimmt die Polizei Aufgaben der Strafverfolgung wahr. Bei Einnahme des gegenteiligen Standpunkts würde es auch nicht weiterhelfen, auf den konkreten Einsatzzweck einer Polizeieinheit abzustellen. In zahlreichen Fällen sind präventive und repressive Zwecke nämlich untrennbar miteinander verwoben (z.B. um sich schlagender Randalierer, Geiselnahme usw.). Dies erweist zugleich, daß der Gesetzgeber gut daran getan hat, die mit der Gemengelage von Prävention und Repression bei polizeilichem Vorgehen verbundenen Probleme nicht in § 316 Abs. 1 Nr. 3 hineinzutragen. Im Hinblick darauf, daß eine der wesentlichen Aufgaben des Strafvollzugs die Sicherung der Rechtsgemeinschaft vor gefahrlichen Straftätern ist (§ 2 Satz 2 StVollzG), können Justizvoüzugsanstalten als Schutzobjekte angesehen werden (im Ergebnis auch Horn SK Rdn. 7). Dasselbe gilt für die (sichernden) Einrichtungen des Maßregelvollzugs. (2) Nur Abwehr konkreter Gefahren? Nach Auffassung des OLG Stuttgart ist der 2 7 Schutzbereich des § 316 b Abs. 1 Nr. 3 auf Einrichtungen und Anlagen begrenzt, „deren Hauptzweck die unmittelbare Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des einzelnen" ist (NStZ 1997 342, 343 im Anschluß an Bernstein § 316 b StGB S. 98 f, 101 ff; Hervorh. durch Verf.). Dies ergebe sich daraus, daß öffentliche Versorgungsbetriebe, die in einer Nebenfunktion der vorbeugenden Gefahrenvorsorge dienten, gesondert als Schutzobjekte in Nummer 2 aufgenommen Einzelbegründung zu § 370 Ε 1962 BTDrucks. IV/650 S. 567; Krauth Prot. V S. 1167; s. allerdings die Einzelbegründung zu § 335 Ε 1962 aaO S. 512, wonach der Anwendungsbereich „verdeutlicht" werde. Wenig überzeugende, bei(447)

spielsbezogene Kritik bei Bernstein § 316 b StGB S. 102 f; im Ergebnis wie Bernstein freilich Willms LK'° § 88 Rdn. 2 und wohl auch Laufhütte § 88 Rdn. 2.

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

worden seien und daß die Abwehr konkreter Gefahren „besonders wichtig" sei; für eine Auslegung in diesem Sinne sprächen auch die dem § 316 b vorausgehenden Reformentwürfe (§ 238 Ε 1927; hierzu Entstehungsgeschichte I). Der vom OLG Stuttgart eingenommene Standpunkt ist jedoch keinesfalls haltbar. Daß Maßnahmen der „Gefahrenvorsorge" „weniger wichtig" sein könnten als Verrichtungen, mit denen gegenwärtige Gefahren abgewehrt werden, läßt sich nicht schlüssig begründen. Vorbeugende Gefahrenvorsorge ist für die Allgemeinheit offensichtlich von herausragender Bedeutung. Die Störung von Einrichtungen und Anlagen in diesem Bereich kann dementsprechend beträchtliche Gefahren und Schäden nach sich ziehen. Dies wird deutlich, wenn man ζ. B. an die Atomaufsicht, die Lebensund Arzneimittelkontrolle, die Fleischhygiene, die Gewerbe- und Bauaufsicht oder die Kontrollen durch die Umweltverwaltung denkt. Die Beispiele ließen sich beliebig fortführen. Solche „Gefahrenvorsorge" müßte demnach selbst dann einbezogen werden, wenn man der (hier abgelehnten) Auffassung folgen wollte, §316b beziehe nur „besonders wichtige Betriebe" ein (Rdn. 11). Darüber hinaus sollte man sich nicht zu sehr an Reformentwürfe klammern, die der Gesetzgeber in ihrer engen Fassung gerade nicht umgesetzt hat. Hinzu kommt, daß § 238 Ε 1927 mit der „Anstalt, die der Landesverteidigung" dient, eine Einrichtung aufgeführt hat, die in Friedenszeiten als Paradebeispiel für „vorbeugende Gefahrenvorsorge" gelten kann; es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber des (1.) StrÄndG diesbezüglich andere Intentionen verfolgt hat. 40 Für eine Beschränkung auf Institutionen, die überwiegend der Abwehr konkreter Gefahren dienen, findet sich demnach weder im Gesetz noch in der Entstehungsgeschichte ein hinreichender Anhaltspunkt. 28

cc) Einzelne Einrichtungen. Hauptbeispiele für Einrichtungen (Rdn. 6) im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 sind Polizei und Feuerwehr. Der BGH hat offengelassen, ob „die Polizei" als solche eine Einrichtung im Sinne des Gesetzes sein kann (BGHSt. 31 1, 2). Die Frage ist, wie auch die ausdrückliche Benennung der Post im früheren Recht zeigt, im Grundsatz zu bejahen (im einzelnen Bernstein § 316b StGB S. 109f)· Relevant werden kann sie beispielsweise, wenn eine durch ein Landeskriminalamt gepflegte zentrale Datei beeinträchtigt oder wenn ein behördliches Intranet lahmgelegt wird; in solchen Fällen kann die Arbeit der gesamten (Landes-)Polizei gestört werden. Entsprechendes würde für durch das Bundeskriminalamt geführte Dateien gelten. Ansonsten ist auf die Einheiten, Inspektionen etc. der Polizei abzustellen und in Bezug auf die Feuerwehr ζ. B. auf die Feuerwache. Der Erörterung des Problems, ob etwa die Störung einer Polizeiinspektion auf die Landespolizei „hochgerechnet" werden kann und welche Voraussetzungen dafür gelten, bedarf es nicht. Relevante Einrichtungen sind des weiteren die Sicherheits- bzw. Ordnungsbehörden (vorstehende Rdn.), die Organisationen des Rettungsdienstes, die Bundeswehr41 sowie Einheiten des Technischen Hilfswerks und ähnlicher Organisationen. Bereits durch § 316 b Abs. 1 Nr. 2, Alt. 2 erfaßt werden Entsorgungsbetriebe, wie etwa die Müllabfuhr oder eine Kläranlage (Rdn. 22), so daß es nicht mehr darauf ankommt, ob sie auch § 316 b Abs. 1 Nr. 3 erfüllen. Ein Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen den einzelnen Nummern des Absatzes 1 ist ungeachtet dessen nicht 40

S. auch Einzelbegründung zu § 370 Ε 1962 BTDrucks. IV/650 S. 566: „... gegen die Einsatzmittel der Polizei, des Grenzschutzes, der Feuerwehr oder anderer öffentlicher Organe, die dem Schutz der inneren Sicherheit oder Ordnung dienen" [Hervorhebung durch Verf.],

41

Einzelbegründung zu IV/650 S. 567; aA S. 104f: nur, sofern Katastrophenschutzes

Stand: 1. 7. 2000

§ 370 Ε 1962 BTDrucks. Bernstein § 316 b StGB sie auf dem Gebiet des tätig ist.

(448)

Störung öffentlicher Betriebe

§

3 1 6 b

anzuerkennen (aA wohl OLG Stuttgart NStZ 1997 342, 343; Bernstein § 316 b StGB S. 98 f). dd) Einzelne Anlagen. Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 sind u. a. Notruf- 2 9 säulen oder Feuermelder 42 und Sprinkleranlagen (Horn SK Rdn. 7). Auch Radaranlagen (Geschwindigkeitsmeßanlagen) sowie Geräte zur Überwachung von Rotlichtverstößen („Starenkästen") 43 fallen unter § 316b Abs. 1 Nr. 3. Sie tragen allein durch ihr (einsatzbereites) Vorhandensein und das abstrakte Wissen der Verkehrsteilnehmer darum entscheidend zur Erhaltung der Verkehrsdisziplin, zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben sowie zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten bei und dienen deshalb - was genügt (Rdn. 26) - zumindest auch der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung; daß ihnen daneben repressive Funktion zukommt, ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Demgemäß spielt es auch keine Rolle, ob die Radaranlagen im Zuge „verdeckter" oder „offener", also angekündigter Geschwindigkeitsmessungen eingesetzt werden oder ob „Geschwindigkeitssünder" durch die vor Ort befindliche Polizei angehalten und entsprechend belehrt werden (abw. OLG Stuttgart NStZ 1997 342, 343).44 Entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart (aaO) wird der Betrieb der genannten Anlagen durch eine Verschmutzung der Fotolinse auch im Sinne des Gesetzes verhindert, ohne daß von Belang wäre, ob die die Anlage passierenden Kraftfahrer von deren „Lahmlegung" Kenntnis haben. Das Gerät arbeitet nicht mehr ordnungsgemäß (Rdn. 34). Die präventive Zwecksetzung kann aber nur mit einsatzfahigen Geräten erfüllt werden. Eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung verlangt § 316 b gerade nicht. Dementsprechend hat BGHSt. 31 1, 2f mit Recht kein Wort darüber verloren, ob die durch den dortigen Täter unbrauchbar gemachten Maschinenpistolen einer Polizeieinheit ihren Zweck nicht auch als abschreckende „Attrappen" erfüllt hätten. Einsatzfahrzeuge der Polizei oder der Feuerwehr sind als beweglich eingesetzte Funktionseinheiten sowie als bloße Hilfsmittel nicht per se Schutzobjekte des § 316 b. Das gleiche gilt für Maschinenpistolen einer Einheit der Polizei sowie auch für Computeranlagen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das in Rdn. 8, 9 Gesagte verwiesen. Zu Entsorgungsanlagen s. Rdn. 22. Die öffentliche Fernsprechzelle dürfte den Anforderungen genügen (Horn SK Rdn. 7); sie ist zugleich Telekommunikationsanlage im Sinne des § 317. V. Angriff auf eine betriebsdienliche Sache. In seiner ersten Variante kann § 316 b 3 0 dadurch verwirklicht werden, daß der Täter eine „dem Betrieb dienende Sache" zerstört, beschädigt usw. 1. Dem Betrieb dienende Sache. Für den Begriff der - nicht notwendig fremden - 31 Sache gelten die allgemeinen Regeln {Wolff LK § 303 Rdn. 3). Dem Betrieb dient eine Sache dann, wenn ein störungsfreies Arbeiten des Unternehmens, der Einrichtung oder der Anlage im Sinne der in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 beschriebenen Zweckbestimmung ohne sie nicht möglich ist (Horn SK Rdn. 10). Betriebsdienliche Sachen können Bestandteile oder Zubehör sein, ohne daß es auf eine exakte Abgrenzung ankäme. Bestandteile sind u.a. die Postverteileranlage eines Postdienstes (Rdn. 13), die Gleisoder Signalanlagen des Bahnverkehrs, die Landebahn eines Flughafens (Rdn. 14) 42

43

Beide sind zugleich Telekommunikationsanlagen nach § 317; zum Konkurrenzverhältnis Rdn. 38. Der Ausdruck ist auch für fest installierte Geschwindigkeitsmeßanlagen gebräuchlich.

(449)

44

Überwiegen der Gefahrenabwehrfunktion nur bei „offenen" Geschwindigkeitskontrollen. AA Bernslein NZV 1999 316, 318 f, 320 f: Die systematische Verkehrsüberwachung sei der Beginn der Verfolgungstätigkeit.

Peter König

§ 316b

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

oder die Leitungen, Pumpen oder Wasserbecken eines Wasserwerks (Rdn. 19). Zum Zubehör würden etwa die EDV-Anlage eines Unternehmens oder die Einsatzwagen der Polizei- oder Feuerwehr rechnen (Rdn. 9, 29). Die Sache muß dem Betrieb zur Tatzeit dienen, also bereits in den Betriebsablauf eingegliedert sein. Dies ist auch aus der Gegenüberstellung mit der 2. Variante (für den Betrieb bestimmte Energie) abzuleiten. Deswegen genügen Eingriffe in einen Zulieferbetrieb des jeweiligen Unternehmens nicht (Horn SK Rdn. 10; s. auch Bernstein § 316 b StGB S. 113 f). Die Angriffshandlungen müssen der betriebsdienlichen Sache gelten, weswegen Angriffe auf Menschen, ζ. B. im Rahmen eines Streiks (s. aber Rdn. 33), die eine Betriebsstörung zur Folge haben, nicht tatbestandsrelevant sind (Horn SK Rdn. 10). 32

2. Angriffsformen. Die möglichen Angriffsformen sind im Gesetz abschließend aufgeführt. Zum Zerstören und Beschädigen s. Wolff LK § 303 Rdn. 5 ff, König LK § 315 Rdn. 27 ff, zum Beseitigen König LK § 315 Rdn. 34, zum Verändern 45 und Unbrauchbarmachen Wolff LK § 317 Rdn. 5; zum ganzen auch Schroeder LK § 109e Rdn. 6. § 316 b kann etwa auch in der Weise begangen werden, daß der Täter eine Computeranlage eines Unternehmens durch ein „Virenprogramm" (vorübergehend) unbrauchbar macht.

33

VI. Entziehung elektrischer Kraft. Der Täter „entzieht" elektrische Kraft, wenn er, gleich an welchem Ort ( W o l f f \JK. § 317 Rdn. 5), eine Unterbrechung oder Beeinträchtigung der Stromzufuhr verursacht (vgl. Horn SK Rdn. 15). Es ist - anders als im Rahmen des § 248 c - nicht erforderlich, daß dies gerade durch Ableiten geschieht; dem Gesetz ist für eine gegenteilige Interpretation keinerlei Anhaltspunkt zu entnehmen. 46 Im Hinblick darauf, daß im Prinzip jeder Handlungsakt 47 (auch ein Unterlassen) genügt, fallt die Betriebsstörung von Schutzobjekten, die durch einen Streik in einem Stromversorgungsunternehmen verursacht wird, unter § 316 b.48 Das Merkmal der „Entziehung" beinhaltet weder ein Gewaltelement noch setzt § 316 b generell gewaltsames Handeln voraus. Für die Strafbarkeit der Streikenden kommt es - Vorsatz vorausgesetzt - maßgebend darauf an, ob der Streik rechtmäßig gewesen ist (Tröndlel Fischer Rdn. 6). „Für den Betrieb bestimmt" ist die elektrische Energie auch dann, wenn sie im allgemeinen Stromversorgungsnetz zur Verfügung gestellt wird (Bernstein § 316 b StGB S. 121). Die Entziehung anderer Energieträger als Strom (Gas, Dampf) fallt nicht unter § 316 b (SehlSchröder!Cramer Rdn. 8).

34

VII. Verhinderung/Störung des Betriebs. Durch 49 die unter Rdn. 30 ff und Rdn. 33 angesprochenen Angriffshandlungen muß der Betrieb des Schutzobjekts gestört oder verhindert werden. „Betrieb" ist dabei im Sinne des „Betreibens" als eines dynamischen Geschehens zu verstehen (Horn SK Rdn. 8; oben Rdn. 9). „Verhindern" und Eine Veränderung stellt es beispielsweise dar, wenn der Täter Platten auf Bahngleise legt (OLG Celle G A 1965 214, 215; zust. Bernstein § 316b StGB S. 119). Vgl. Wolff LK § 317 Rdn. 5; Bernstein § 316 b StGB S. 122; aA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 8. In diesem Sinne auch Bernstein § 316 b StGB S. 122, freilich widersprüchlich (aaO S. 122: „grundsätzlich jede Handlung"; aaO S. 123: „gewaltlose Sabotage" genüge nicht) bzw. gänzlieh unklar (aaO S. 124: bloßes Untätigbleiben

48

49

genüge nicht, erforderlich sei eine Beeinträchtigung durch ein „gewisses aktives Verhalten", das eine Beeinträchtigung „in technisch wirksamer Weise" zur Folge habe). Horn SK Rdn. 15; Tröndlel Fischer Rdn. 6; aA Bernstein § 316b StGB S. 122ff. Offengelassen vom Ε 1962 (Einzelbegründung zu § 370, BTDrucks. IV/650 S. 567). S. auch Prot. V S. 1167fr [zu § 88], Zu denkbaren Kausalitätsproblemen Bernstein § 316 b StGB S. 134 ff.

Stand: 1. 7. 2000

(450)

Störung öffentlicher Betriebe

§ 316b

„Stören" unterscheiden sich nur graduell. Kann der mit dem Objekt verfolgte Zweck jedenfalls für eine gewisse Zeitdauer überhaupt nicht mehr erreicht werden, so ist der Betrieb verhindert (Horn SK Rdn. 8). Stören bedeutet nach der im Ε 1962 gegebenen Begriffsbestimmung „eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Fortführung des Betriebs". 50 O b eine tatbestandsrelevante Beeinträchtigung gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.51 Gradmesser sind u. a. Ausstattung und Organisation der jeweiligen Funktionseinheit (vgl. BGHSt. 31 185, 188). Nach dem Gesetzeswortlaut genügt jede Verhinderung/Störung des ordnungsgemäßen Arbeitens. Würde man dies konsequent durchführen, so fiele der Anwendungsbereich des § 316 b aber vielfach mit dem der Sachbeschädigungsdelikte zusammen. Das kann nicht gewollt sein. Dementsprechend müssen nicht spürbare und unerhebliche Beeinträchtigungen ausgegrenzt werden. Werden z.B. unselbständige Hilfsmittel eines Unternehmens/einer Einrichtung zerstört/beschädigt, die ohne weiteres ersetzt werden können, so ist der Tatbestand nicht gegeben (vgl. BGHSt. 31 185, 188; Stree JuS 1983 836, 840; oben Rdn. 9). Solange die betrieblichen Funktionen aufrechterhalten werden können, genügt auch eine geringfügige Erschwerung der Arbeitsbedingungen nicht (vgl. BGHSt. 27 307, 311 [zu § 88]). Nicht erforderlich ist aber, daß die Zweckerfüllung des Schutzobjekts konkret gefährdet wird. Beispielsweise wird der „Betrieb" einer Einheit der Polizei bereits dann gestört, wenn deren Schußwaffen nicht einsatzfähig sind; es muß also nicht erst zu einem Einsatz mit Schußwaffengebrauch kommen (vgl. BGHSt. 31 1, 2f). Zur Verhinderung des Betriebs einer Radarmeßanlage Rdn. 29. Eine relevante Störung ist nicht gegeben, wenn der Täter die Anlage durch bestimmungsgemäße - wenn auch unbefugte - Inbetriebnahme temporär unbenutzbar macht und für die Ingangsetzung eine Sicherungsvorrichtung zerstören muß (RGSt. 65 133, 134 [Inbetriebnahme eines Feuermelders]). VIII. Subjektiver Tatbestand. Der zumindest bedingte Vorsatz muß neben den Angriffshandlungen gegen ein taugliches Angriffsobjekt auch die Störung/Verhinderung des Betriebs eines geeigneten Schutzobjekts umfassen. Hinsichtlich der in Absatz 1 beschriebenen Objekte und deren Zwecksetzung genügt Tatsachenkenntnis; exakte juristische Bedeutungskenntnis ist nicht notwendig. Zerstört/beschädigt der Täter ein bloßes Hilfsmittel, so muß er auch die Betriebsstörung/-verhinderung des Unternehmens/der Einrichtung in seinen Vorsatz aufgenommen haben (Rdn. 9). Fahrlässiges Verhalten ist anders als bei § 317 (dort Absatz 3) nicht pönalisiert.

35

IX. Versuch. Nach Absatz 2 ist der Versuch strafbar. Versucht ist die Tat, wenn der Täter mit Tatvorsatz zu einer der Angriffshandlungen unmittelbar ansetzt. Vollendung ist gegeben, sobald die Verhinderung bzw. Störung des Betriebs eintritt.

36

X. Besonders schwerer Fall (Absatz 3). Der Strafzumessungsgrund des Absatzes 3 ist im Jahr 1989 eingeführt worden (Entstehungsgeschichte V). 52 Er sieht für Fälle exzeptionellen Unrechts einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Erfaßt werden sollen vor allem Konstellationen, in denen aufgrund der Tat die Stromversorgung einer ganzen Gemeinde oder eines Gemeindegebiets ausfällt und/oder die medizinische Versorgung in Krankenhäusern gefährdet

37

50

51

Einzelbegründung zu § 335 Ε 1962, BTDrucks. IV/650S. 512. Zum ganzen eingehend, aber nicht widerspruchsfrei Bernstein § 316 b StGB S. 125 ff.

(451)

52

Kritisch zur Fassung Achenbach Kriminalistik 1989 633, 634f; Dt. Richterbund DRiZ 1988 152; KunertlBernsmann NStZ 1989 449, 452.

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

wird; es ist ferner an den Fall gedacht, daß im Winter die Versorgung größerer Gebiete mit Heizkraft nicht mehr gewährleistet werden kann (BTDrucks. 11/2834 S. 10). Wie die Tatbestandsfassung und die Motive erweisen, ist Absatz 3 auf Schutzobjekte nach Absatz 1 Nr. 2 zugeschnitten. Hat die Betriebsbeeinträchtigung eines Schutzobjekts im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 oder 3 ähnlich einschneidende Auswirkungen, so kommt die Annahme eines atypischen besonders schweren Falls in Betracht (vgl. BRDrucks. 563/86 S. 13 0-

XI. Konkurrenzen 38

Tateinheit ist u. a. möglich mit § 88 {TröndlelFischer Rdn. 10), mit §§ 242, 246, 303, weil diese anders als § 316 b auf eine Eigentumsverletzung abstellen (Horn SK Rdn. 14), mit § 303 b (Computersabotage) und mit § 315 (BGH NStZ 1988 178; NStZ-RR 1997 200) sowie mit den §§ 315 b, 316c. Hinter § 109e tritt § 316 b zurück (TröndlelFischer Rdn. 10; aA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 11). § 316 b verdrängt aber seinerseits § 87, § 304 und - weil dieser im Verhältnis zu § 316 b Vorfeldtatbestand ist - § 305 a (SchlSchröder/Stree § 305 a Rdn. 15; aA Wolff LK § 305 a Rdn. 19). Das Verhältnis zu § 317 dürfte sich wie folgt darstellen: Sofern der Täter eine selbständige Telekommunikationsanlage beeinträchtigt, die als solche eigenständiges Schutzobjekt des § 316 b ist (Notrufsäule, Feuermelder, Rdn. 29), geht § 317 vor; zerstört, beschädigt etc. er hingegen eine Telekommunikationsanlage, die einem Unternehmen oder einer Einrichtung als unselbständiges Hilfsmittel dient, und beeinträchtigt er dadurch den Betrieb der übergeordneten Einheit (Rdn. 9),53 so konkurrieren die §§ 316 b, 317 idealiter (aA Bernstein § 316 b StGB S. 31 ff: stets Idealkonkurrenz).

39

XII. Sonstiges. § 316 b ist ganz oder teilweise in §§ 87, 129 a und 305 a inkorporiert.

§ 316c Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer 1. Gewalt anwendet oder die Entschlußfreiheit einer Person angreift oder sonstige Machenschaften vornimmt, um dadurch die Herrschaft über a) ein im zivilen Luftverkehr eingesetztes und im Flug befindliches Luftfahrzeug oder b) ein im zivilen Seeverkehr eingesetztes Schiff zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken, oder 2. um ein solches Luftfahrzeug oder Schiff oder dessen an Bord befindliche Ladung zu zerstören oder zu beschädigen, Schußwaffen gebraucht oder es unternimmt, eine Explosion oder einen Brand herbeizuführen. Einem im Flug befindlichen Luftfahrzeug steht ein Luftfahrzeug gleich, das von Mitgliedern der Besatzung oder von Fluggästen bereits betreten ist oder dessen Beladung bereits 53

Zur - teilweise umstrittenen - Beurteilung privater Telefonanschlüsse im Rahmen des § 317 Wolff LK § 317 Rdn. 3; s. auch BTDrucks.

13/8016 S. 28, wo die tatbestandliche Relevanz von Telekommunikationsanlagen in privater Hand ausdrücklich bestätigt wird.

Stand: 1. 7. 2000

(452)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

begonnen hat oder das von Mitgliedern der Besatzung oder von Fluggästen noch nicht planmäßig verlassen ist oder dessen planmäßige Entladung noch nicht abgeschlossen ist. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. (4) Wer zur Vorbereitung einer Straftat nach Absatz 1 Schußwaffen, Sprengstoffe oder sonst zur Herbeiführung einer Explosion oder eines Brandes bestimmte Stoffe oder Vorrichtungen herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überläßt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Schrifttum Hailbronner Luftpiraterie in rechtlicher Sicht - Von Tokyo bis Montreal - (1972); ders. Aktuelle Fragen der Luftpiraterie, N J W 1973 1636; Hsueh Luftpiraterie § 3 1 6 c (jur. Diss. Göttingen 1993); Jescheck Flugzeugentführungen und ihre internationale Bekämpfung, G A 1981 65; Kunath Zur Einführung eines einheitlichen Straftatbestandes gegen „Luftpiraterie" durch das Elfte Strafrechtsänderungsgesetz vom 16. Dezember 1971, JZ 1972 199; Mannheimer Luftpiraterie, JR 1971 227; Maurach Probleme des erfolgsqualifizierten Delikts bei Menschenraub, Geiselnahme und Luftpiraterie, Heinitz-Festschrift (1972) S. 403; Meyer Luftpiraterie - Begriff, Tatbestände, Bekämpfung (1972); Pätz D i e strafrechtliche A h n d u n g von Flugzeugentführungen, Z S t W 86 (1974) 489; Schmidt-Räntsch Zur Luftpiraterie, JR 1972 146; Wille D i e Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen (1974, zugl. jur. Diss. Berlin 1973).

Entstehungsgeschichte I. Bei § 316c handelt es sich um eine verhältnismäßig junge Strafnorm. Sie ist durch das 11. StrÄndG vom 16. Dezember 1971 (BGBl. I S. 1977) in das StGB eingestellt worden. Die Vorschrift geht auf einen Gesetzentwurf des BR (BTDrucks. VI/1478) zurück. Anlaß der Initiative war eine besorgniserregende Zunahme von Fällen der Luftpiraterie und der Luftsabotage (Flugzeugentführungen und schwere Anschläge auf Flugzeuge) im In- und Ausland, die im Jahre 1970 einen Höhepunkt erreicht hatte (vgl. BTDrucks. VI/1478 S. 3).' Dem Gesetzentwurf erschien der über allgemeine Strafbestimmungen (u.a. §§ 239, 240, 249ff, 311, 311a, 315, 211, 212) sowie über Tatbestände des Luftverkehrs-, Sprengstoff-, Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz gewährleistete strafrechtliche Schutz als unangemessen; durch eine umfassende Tatbestandsbeschreibung bei weitgehender Erfassung des Vorfelds und durch Einführung des Weltrechtsprinzips sollte die Handhabe geschaffen werden, einschlägigen Handlungen effektiver zu begegnen (BTDrucks. VI/1478 S. 3). Als Vorbild diente dem Entwurf der Tatbestand des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316a). Das Gesetzgebungsverfahren ist begleitet worden durch Bemühungen gegen die Luftpiraterie auf internationaler Ebene, die in die Abkommen von Den Haag vom Zusammenstellung der Flugzeugentführungen und Sabotageakte auf Flugzeuge bei Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 1 fT; Potz ZStW 86 (1974) 489 ff. Auch der AE hatte die Einführung einer (453)

spezifischen Strafvorschrift vorgeschlagen (§163 StGB i. d. F. des AE; AE BT 2. Halbband [1971] S. 102 ff).

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

16. Dezember 19702 und von Montreal vom 23. September 19713 sowie in Entschließungen der Interparlamentarischen Union aus dem Oktober 1970 (BTDrucks. VI/1430 S. 2 bis 4) einmündeten. Dem war das Abkommen von Tokio vom 14. September 19634 vorausgegangen. Der Gesetzentwurf des BR ist durch den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform beraten worden. Maßgebend unter dem Einfluß des durch die BReg. bereits gezeichneten Haager Übereinkommens sind sowohl hinsichtlich des Aufbaus als auch der Ausgestaltung einzelner Tatbestandsmerkmale wesentliche Änderungen vorgenommen worden (im einzelnen BTDrucks. VI/2721; Prot. VI S. 1167ff; 1582ff). In einigen Punkten ist der Sonderausschuß über das Abkommen hinausgegangen (s. etwa Rdn. 12ff). Er formulierte in seinem Bericht ferner einen Entschließungsantrag, in dem die BReg. gebeten wurde, verstärkte Anstrengungen zur Gefahrenabwehr im Luftverkehr zu unternehmen (BTDrucks. VI/2721 S. 5). Das Gesetz ist dann entsprechend der Beschlußempfehlung (BTDrucks. VI/2721 S. 6f) gemeinsam mit der Entschließung durch den BT verabschiedet worden. II. Die Vorschriften über die Tätige Reue (Absatz 4 a. E) sind durch Art. 19 Nr. 179 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) neu gefaßt worden. III. Durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 13. Juni 1990 (BGBl. 1990 II S. 494) zu dem Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschiffahrt und zum Protokoll vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, ist § 316c auf im zivilen Seeverkehr eingesetzte Schiffe ausgedehnt worden. Dem entspricht die durch dieses Gesetz ergänzte amtliche Überschrift. IV. Das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) hat § 316c nur geringfügig verändert (vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 51). Der minder schwere Fall ist aus Absatz 1 herausgelöst und in Absatz 2 eingestellt worden, wobei zugleich das Höchststrafmaß auf zehn Jahre Freiheitsstrafe begrenzt wurde (zuvor Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr); letzteres entspringt dem generellen Bestreben des 6. StrRG nach Harmonisierung der Strafrahmen (BTDrucks. 13/8587 S. 19ff). Die Ergänzung der Erfolgsqualifikation nach § 316c Abs. 3 um das Wort ^wenigstens" („wenigstens leichtfertig") erfolgte - wie auch in vergleichbaren Tatbeständen - zum Zweck der Klarstellung, daß bezüglich der schweren Folge neben Leichtfertigkeit auch Vorsatz umfaßt ist (BTDrucks. 13/8587 S. 79). Das Wort „Menschen" in § 316c Abs. 3 (früher „eines anderen") ist zur Herstellung einer geschlechtsindifferenten Fassung eingefügt worden; die Änderung hat also lediglich redaktionelle Bedeutung (BTDrucks. 13/8587 S. 18f). Die zuvor in § 316c Abs. 4 enthaltenen Regelungen zur Tätigen Reue wurden in die „Sammelvorschrift" des § 320 übernommen (dort Absatz 1, 3 Nr. 2, Absatz 4). S. hierzu auch König LK § 315 Entstehungsgeschichte VI. „Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen" (BGBl. 1972 II S. 1505; 1975 II S. 1204). Hierzu eingehend Hailbronner Luftpiraterie in rechtlicher Sicht S. 29 ff; Hsueh Luftpiraterie S. 19 ff. „Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt" (BGBl. 1977 II S. 1229). Hail-

bronner Luftpiraterie in rechtlicher Sicht S. 54 ff; Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 21 f. „Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen" (BGBl. 1969 II S. 121; 1970 II S. 276). Hailbronner Luftpiraterie in rechtlicher Sicht S. 24fT; Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 16fT.

Stand: 1. 7. 2000

(454)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr Übersicht Rdn. I. II. III. IV.

Bedeutung der Vorschrift Deliktsaufbau und -Charakter Schutzgut Angriffsobjekte 1. Ziviler Einsatz a) Ziviler Luft- und Seeverkehr . . b) Hoheitlicher Verkehr c) Konkreter Einsatzzweck . . . . 2. Luftfahrzeug a) Begriff des Luftfahrzeugs . . . . b) Im Flug befindlich c) Gleichstellungsklausel (Absatz 1 Satz 2) aa) Betreten bb) Beladen cc) Verlassen, Entladung „nach Plan" 3. SchifT a) Keine tatbestandliche Eingrenzung b) Einsatz im Seeverkehr V. Luftfahrzeugs- und Schiffspiraterie (Absatz 1 Nr. 1) 1. Tathandlungen a) Anwendung von Gewalt . . . . aa) Arten der Gewalt bb) Gewalt gegen Sachen . . . cc) „Adressaten"/Ort der Gewaltanwendung dd) Zeitpunkt der Gewaltanwendung ee) Keine Vollendung b) Angriff auf die Entschlußfreiheit einer Person

Rdn.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

aa) bb) cc) dd)

12 13 14 VI.

15 16 17 18 19 20 20 21 22 23 24 25 26

§ 316c

VII. VIII. IX. X. XI. XII.

XIII. XIV. XV.

Vis compulsiva, Drohung . List Schweregrad Ort/Zeit/Adressaten/Vollendung c) Vornahme sonstiger Machenschaften 2. Innerer Tatbestand a) Vorsatz aa) (Gewaltsame) Wegnahme . bb) Nötigung/Geiselnahme . . b) Absichtserfordernis aa) Herrschaftserlangung . . . bb) Einwirken auf die Führung c) Zusammenhang („um dadurch") Luftfahrzeugs- und Schiffssabotage (Absatz 1 Nr. 2) 1. Tathandlungen a) Schußwaffengebrauch b) Unternehmen der Herbeiführung einer Explosion/eines Brandes . 2. Innerer Tatbestand Versuch, Vollendung Rechtswidrigkeit Minder schwerer Fall (Absatz 2) . . . . Erfolgsqualifikation (Absatz 3) . . . . Vorbereitungshandlungen (Absatz 4) . Tätige Reue (§ 320) 1. Straftaten nach § 316c Abs 1 . . . . 2. Vorbereitungstaten (§ 316c Abs. 4) . Täterschaft, Teilnahme Konkurrenzen Sonstiges

27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

I. Bedeutung der Vorschrift. Die praktische Bedeutung des § 316c ist gering. Die 1 Strafverfolgungsstatistik weist für die Jahre 1992 bis 1998 zwischen zwei und zehn rechtskräftige Verurteilungen aus. Dies entspricht der geringen Verbreitung des zugrunde liegenden Phänomens. II. Deliktsaufbau und -Charakter. Die Vorschrift normiert in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 2 und 2 Tatbestände mit unterschiedlicher Ausrichtung. Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erfaßt die Luft- und Seepiraterie („Entführung"), Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 die Luft- und Schiffssabotage („Attentat"). Absatz 3 enthält eine Erfolgsqualifikation für den Fall der zumindest leichtfertigen Verursachung des Todes eines anderen. Absatz 4 pönalisiert Vorbereitungshandlungen in Bezug auf Straftaten nach Absatz 1. § 316c ist nach allgemeiner Meinung abstraktes Gefahrdungsdelikt. Weder zur „Entführung" (Erlangen der Herrschaft; Einwirkung auf das Fahrzeugführen) noch zum „Attentat" (Zerstörung, Beschädigung) muß es kommen. Absatz 1 Satz 1 enthält durchgehend Tätigkeitsdelikte mit überschießender Innentendenz (Maurach HeinitzFestschrift S. 403, 409);5 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. ist ferner „echtes" Unternehmensdelikt im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 6. 5

Ebenso Herzog N K § 316c Rdn. 28; Tröndlel Fischer Rdn. 1. AA Horn SK Rdn. 17; Sehl

(455)

Schröder!Cramer Rdn. 17: Unternehmenstatbestand; dies steht freilich weder mit dem Wort-

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

3

III. Schutzgut. Geschütztes Rechtsgut ist - entsprechend der Einstellung in den 28. Abschnitt des StGB („Gemeingefährliche Straftaten") - die Sicherheit des zivilen Luft- und Seeverkehrs.6 Geschützt werden sollen zugleich die im Luft- und Seeverkehr beförderten Personen sowie das Flugpersonal vor Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit, das Leben und die Freiheit. Daneben will die Norm entsprechend dem Haager Übereinkommen (Entstehungsgeschichte) auch das Vertrauen der Völkergemeinschaft in die Sicherheit der zivilen Luft- und Seefahrt erhalten (Kunath JZ 1972 199, 200). Sachgüter (das Luftfahrzeug oder Schiff selbst, die Fracht) sind insoweit einbezogen, als ein Angriff auf sie auch die Verkehrssicherheit und die höchstpersönlichen Rechtsgüter der an Bord befindlichen Menschen gefährdet (vgl. BTDrucks. VI/2721 S. 2; 11/4946 S. 6). Normzweck ist es hingegen nicht, das Eigentum der Fluggesellschaften (Kunath JZ 1972 199, 200) oder der Seeschiffahrtsbetriebe einem erhöhten strafrechtlichen Schutz zu unterstellen. Die scharfen Strafdrohungen wären unter dem Aspekt des Eigentumsschutzes nicht zu rechtfertigen. Das Eigentum an diesen Sachgütern ist demnach nur faktisch mitgeschützt (anders die h. M.; zum ähnlichen Problem bei den §§ 315ff König LK § 315 Rdn. 3ff). Entsprechendes hat für das Eigentum der Passagiere am Gepäck sowie das Eigentum an der Fracht zu gelten.

4

IV. Angriffsobjekte. Geeignete AngrifTsgegenstände sind in der zivilen Luft- bzw. Seefahrt eingesetzte Luftfahrzeuge und Schiffe (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 2; Rdn. 5 ff, 16ff). Für das Luftfahrzeug präzisiert das Gesetz die Einsatzphase in der Weise, daß sich dieses im Flug befinden muß (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 a, 2; Rdn. 11); Absatz 1 Satz 2 erweitert den Schutzzeitraum aber auf das Stadium vor dem Abheben und nach der Landung (Rdn 12 ff). Stets im Auge behalten werden muß, daß die solchermaßen bestimmten Angriffsobjekte Elemente des subjektiven Tatbestandes sind; sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Eingrenzung des nach § 316c strafbaren Verhaltens (Rdn. 32 ff).

5

1. Ziviler Einsatz. § 316c setzt voraus, daß das Luftfahrzeug oder Schiff im zivilen Luft- oder Seeverkehr eingesetzt ist. Dies trägt der besonderen Anfälligkeit gerade der zivilen Luft- und Seefahrt Rechnung, bei der Außenstehende leichter Zutritt finden als bei Flügen/Fahrten zu hoheitlichen Zwecken; darüber hinaus wäre es völkerrechtlich nicht unproblematisch, ausländischen hoheitlichen Diensten ubiquitär strafrechtlichen Schutz zu gewähren (vgl. BTDrucks. VI/2721 S. 2).

6

a) Ziviler Luft- und Seeverkehr. Einbezogen ist der gesamte zivile Luft- und Seeverkehr. Dazu rechnen nicht nur der Linien- und Charterverkehr, sondern auch der Verkehr mit Sport- und Privatflugzeugen sowie Überführungs-, Schau-, Arbeits- und Werksflüge (BTDrucks. VI/2721 S. 2) und Schiffsfahrten zu Sport- und Vergnügungszwecken (BTDrucks. 11/4946 S. 6). Daß der konkrete Flug/die konkrete Fahrt im Grundsatz jedem Bürger offenstehen muß, läßt sich aus dem Merkmal „zivil" nicht ableiten; denn damit soll lediglich die Abgrenzung zum hoheitlich eingesetzten Luft-

6

laut noch mit der Entstehungsgeschichte in Einklang: Der Gesetzgeber hat den Vorschlag des BR, in Anlehnung an § 316a durchgehend Unternehmenstatbestände zu normieren (BTDrucks. IV/1478 S. 2), bewußt nicht aufgegriffen (BTDrucks. VI/2721 S. 3); vertretbar ist allenfalls die Annahme „unechter" Unternehmenstatbestände. BTDrucks. 11/4946 S. 5f; Herzog N K Rdn. 4; Lackner/Kühl Rdn. 1; Tröndle!Fischer Rdn. 2;

Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 217f; wohl auch Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 34f; Kunath JZ 1972 199, 200. AA Horn SK Rdn. 2; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 2; Mäurach!Schroeder!Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 58: nur Leib und Leben sowie fremdes Eigentum. In diese Richtung auch BMJ Prot. VI S. 1168f, 1173.

Stand: 1.7. 2000

(456)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

oder Seefahrzeug geleistet werden (nachstehende Rdn.). 7 Umfaßt sind demgemäß auch Flüge/Fahrten ohne Passagiere und ohne Ladung (TröndlelFischer Rdn. 3). b) Hoheitlicher Verkehr. Nicht tatbestandsrelevant sind Flüge/Fahrten, die hoheit- 7 liehen Zwecken dienen, namentlich solche im Rahmen des Staats-, Militär-, Zoll- und Polizeidienstes (BTDrucks. VI/2721 S. 2; 11/4946 S. 6).8 Hoheitlichen Zwecken dienen auch Hilfstransporte der Bundeswehr in Katastrophengebiete. 9 Ein weiteres Beispiel ist die Beförderung von Mitgliedern der Bundes- oder einer Landesregierung mit einer Militärmaschine zur Wahrnehmung der Amtsgeschäfte (vgl. Sehl Schröder! Cramer Rdn. 6). Der hoheitliche Charakter eines solchen Flugs bleibt erhalten, sofern die Amtsperson Journalisten oder Vertreter der Wirtschaft an Bord einer ausschließlich für einen Staatsbesuch eingesetzten Maschine nimmt. Andererseits kann der Linienflug oder die Fahrt mit einem Linienschiff nicht schon deswegen als hoheitlich angesehen werden, weil der Bundeskanzler oder ein Minister in amtlicher Eigenschaft mit an Bord ist. Der „zivile" Einsatzzweck wird hierdurch nicht verändert. c) Konkreter Einsatzzweck. Maßgebend ist der konkrete („tatsächliche") 8 Einsatzzweck. Ob das Fahrzeug Eigentum des Staates und ob es als „hoheitliches" Fahrzeug „registriert" ist (Prot. VI S. 1177), spielt keine Rolle. Deswegen ist § 316c beispielsweise nicht anwendbar, sofern ein in privatem Eigentum stehendes Flugzeug zur Verkehrsüberwachung eingesetzt oder von der Bundeswehr für militärische Zwecke „ausgeliehen" wird. Demgegenüber greift die Vorschrift ein, wenn, ζ. B. nach der Zerstörung einer Großzahl von Zivilflugzeugen durch ein Unglück, Militärflugzeuge für zivile Verkehrszwecke eingesetzt werden (BTDrucks. VI/2721 S. 2; Prot. VI S. 1177) oder wenn ein im staatlichen Eigentum stehendes Schiff für Fischereiforschungszwecke genutzt wird (BTDrucks. 11/4946 S. 6). Der zuvor verfolgte Einsatzzweck des Fahrzeugs bleibt erhalten, nachdem sich „Entführer" dessen bemächtigt haben (Horn SK Rdn. 4). 2. Luftfahrzeug. Taugliches Tatobjekt ist das - zivil eingesetzte (Rdn. 5 ff) - Luft- 9 fahrzeug. Der Strafschutz besteht freilich nicht generell, sondern - dem Normzweck gemäß - nur während bestimmter Zeiten. a) Begriff des Luftfahrzeugs. Die in § 1 Abs. 2 Satz 1 LuftVG normierte Begriffs- 1 0 bestimmung des Luftfahrzeugs gilt grundsätzlich auch für § 316c. Danach sind als Luftfahrzeuge anzusehen Flugzeuge, Drehflügler, Luftschiffe, Segelflugzeuge, Motorsegler, Frei- und Fesselballons, Drachen, Fallschirme, Flugmodelle und sonstige für die Benutzung des Luftraums bestimmte Geräte. Raumfahrzeuge, Raketen und ähnliche Flugkörper gelten als Luftfahrzeuge, solange sie sich im Luftraum (und nicht im Weltraum) befinden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 LuftVG). Allerdings können nicht sämtliche in § 1 Abs. 2 Satz 1 LuftVG aufgeführten Fluggeräte als Luftfahrzeuge im Sinne des § 316c gelten. § 316c Abs. 1 Satz 2 läßt sich entnehmen, daß das Luftfahrzeug gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllen muß. Insbesondere muB es im Wortsinn betreten werden können und wohl auch geeignet sein, zumindest in gewissem Umfang Ladung aufzunehmen (vgl. Prot. VI S. 1587). Daß Kinderdrachen oder Flugmodelle diesen Voraussetzungen nicht genügen, liegt auf der Hand; aber auch Fallschirme einschließlich des „Drachenfallschirms", fallen mangels Betretungsmöglichkeit nicht unter § 316c. 10 Im Hinblick auf die alternative AufAA soweit ersichtlich nur Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 47. S. auch Art. 3 Abs. 2 des Haager und Art. 4 Abs. 1 des Abkommens von Montreal. (457)

® AA wohl Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 46f. Α Α für (wohl Kinder-)Drachen Kunath )Z 1972 199, 200 Fn. 9, der meint, die „Regulierung" könne über die Handlungsmodalitäten erfolgen.

10

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

zählung in § 316c Abs. 1 Satz 2 ist die Vorschrift hingegen einschlägig, sofern das Luftfahrzeug nur keinen Platz für Fluggäste bietet. Luftfahrzeuge ohne eigenen Motorantrieb wie z.B. Fesselballons oder Segelflugzeuge sind umfaßt (Prot. VI S. 1587).11 11

b) Im Flug befindlich. Nach Wortlaut und Wortsinn des Gesetzes befindet sich ein Luftfahrzeug im Flug, wenn es den Boden nicht mehr oder noch nicht wieder berührt, also vom Abheben bis zum Wiederaufsetzen. Eine Interpretation im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Haager Übereinkommens, wonach der Flugphase auch der Zeitraum vom Schließen aller Außentüren vor dem Start bis zum Öffnen zumindest einer Tür nach der Landung zugerechnet wird,12 würde das Analogieverbot verletzen.13 Einer erweiternden Auslegung bedarf es auch nicht, weil der Gesetzgeber der Notwendigkeit verlängerten strafrechtlichen Schutzes (und den Verpflichtungen des Haager Übereinkommens) mit der Gleichstellungsklausel nach § 316c Abs. 1 Satz 2 (nachfolgende Rdn.) Rechnung getragen hat.

12

c) Gleichstellungsklausel (Absatz 1 Satz 2). § 316c Abs. 1 Satz 2 erweitert den strafrechtlichen Schutz über die eigentliche Flugphase hinaus auf Vorgänge vor dem Abheben des Luftfahrzeugs und nach dessen Landung. Der Strafschutz beginnt vor dem Start bereits mit dem Betreten (Rdn. 13) bzw. dem Beladungsvorgang (Rdn. 14) und endet nach der Landung erst, nachdem das Luftfahrzeug ordnungsgemäß verlassen und entladen worden ist (Rdn. 15). Das Gesetz geht insoweit über die Verpflichtungen aus dem Haager Übereinkommen (vorstehende Rdn.) noch hinaus.

13

aa) „Betreten" ist das Luftfahrzeug, sobald sich mindestens eine Person in seinem Innenraum befindet. Außenarbeiten am Luftfahrzeug oder das Besteigen der Tragfläche genügen somit nicht. Wie die Person in das Luftfahrzeug gelangt ist (über die Tür oder etwa über eine Ladeluke), spielt keine Rolle. Die Person muß zur Besatzung gehören oder Fluggast sein. Deshalb genügt es nicht, wenn sich ein Monteur, eine externe Kontrollperson oder ein Beamter des Polizei- oder Zolldienstes im Innenraum aufhält. Aus dem Zusammenhang mit dem Erfordernis des „im Flug befindlichen" Luftfahrzeugs und dem Begriff des „zivilen Einsatzes" ist des weiteren zu folgern, daß das Betreten der Maschine durch das Mitglied des Bordpersonals gerade der Startvorbereitung dienen muß (aA - ohne Begründung - Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 220). Unter dem Aspekt des § 316c straflos handelt deswegen der Täter, der das Flugzeug in seine Gewalt bringt, während es vom Piloten zu einer Reparatur oder Überprüfung in den Hangar verbracht wird (insoweit auch Wille aaO). Zu Taten in Bezug auf abgestellte Flugzeuge wird auf das in Rdn. 33ff Gesagte verwiesen.

14

bb) Beladung. Die Beladung beginnt in dem Augenblick, in dem Transportgüter oder Reisegepäck in das Luftfahrzeug verbracht werden (BTDrucks. VI/2721 S. 3). Der maßgebende Zeitpunkt dürfte bereits beim Öffnen der Tür zum Frachtraum anzusetzen sein; daß sich schon ein Stück im Frachtraum befindet, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen („... begonnen hat").14 Das Einladen von Ausrüstungsgegen-

11

Dies trifft insofern zu. Demgegenüber ist zweifelhaft, ob nicht ζ. B. der Stoß gegen einen startenden „Drachenflieger" (Drachenfallschirm) den Wortlaut des § 316c Abs. 1 Nr. 1 erfüllt. Das Tatbild des § 316c ist in solchen Fällen nicht gegeben. AA soweit ersichtlich nur Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 47.

12

13 14

Ebenso Art. 2 Buchst, a des Abkommens von Montreal (Entstehungsgeschichte II), AA Rüth LK 1 0 Rdn. 5f. AA Sehl Schröder! Cramer Rdn. 10. Allerdings stehen hier filigrane Unterscheidungen in Frage, die wohl nicht praktisch werden.

Stand: 1. 7. 2000

(458)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

ständen, des Gepäcks der Besatzung sowie der Bordverpflegung und das Auftanken des Luftfahrzeugs genügen unbestritten nicht. 15 Dies erscheint hinsichtlich der Ausrüstung und des Gepäcks des Personals nicht ganz unzweifelhaft, weil Absatz 1 Satz 2 nicht ausdrücklich auf bestimmte Gegenstände (das Frachtgut) beschränkt ist. Gleichwohl wird man der allgemeinen Meinung mit Blick auf das Merkmal der „an Bord befindlichen Ladung" (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2) in Verbindung mit dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der die „Ladung" als etwas von der „Ausrüstung" zu Scheidendes verstanden hat (BTDrucks. VI/2721 S. 3; Prot. VI S. 1179), letztlich zustimmen können. cc) Verlassen, Entladung „nach Plan". § 316c erweitert die eigentliche Flugphase über die Landung hinaus. Die Intentionen des Gesetzgebers sind klar: Strafrechtlicher Schutz gegen Entführung und Sabotage soll grundsätzlich gewährleistet sein, solange der Flug noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Endgültig abgeschlossen ist er erst, nachdem das Luftfahrzeug durch alle Mitglieder der Besatzung und alle Fluggäste verlassen worden ist und nachdem die Transportgüter vollständig entladen sind. Anders als bezüglich des Beginns der „erweiterten Flugphase" (Betreten, Beladen) knüpft die Vorschrift nicht nur an tatsächliche Merkmale an (Verlassen/Entladen), sondern stellt diesen das normative Merkmal „planmäßig" an die Seite. Auch hier ist das Gewollte nicht zweifelhaft. Gedacht ist an außergewöhnliche Situationen, in denen die normspezifische Gefahrenlage trotz an sich „leeren" Flugzeugs fortbesteht. Namentlich soll eine vom Täter erzwungene Zwischenlandung den Schutzzeitraum nicht beenden können (BTDrucks. VI/2721 S. 3); § 316c soll beispielsweise eingreifen, wenn das Flugzeug nach erzwungener Notlandung und erzwungenem Verlassen der Maschine durch Personal und Passagiere in die Luft gesprengt wird (Prot. VI S. 1587). Derartige Taten zu ahnden, ist Deutschland nach dem Haager Übereinkommen verpflichtet. 16 Einer verbreiteten Auffassung im Schrifttum zufolge bringt die Regelung das Gewollte allerdings nicht zutreffend zum Ausdruck.17 Sei das Flugzeug völlig verlassen und entladen, so fehle es an den Gleichstellungsvoraussetzungen. Dies ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut („noch nicht ... verlassen"; Horn SK Rdn. 5). Bedeutung habe das Wort „planmäßig" demgemäß in Konstellationen, in denen das Luftfahrzeug planwidrig noch nicht „leer" sei, ζ. B. wenn sich ein Fluggast im Flugzeug verstecke, um dort stehlen zu können, oder die Stewardeß vorschriftswidrig im Flugzeug verbleibe (Beispiele nach Sehl Schröder! Cramer Rdn. 11). Ungereimte Ergebnisse seien hinzunehmen, weil der Gesetzeswortlaut aufgrund des Analogieverbots nicht zum Nachteil des Täters korrigiert werden dürfe (Lackner/Kühl Rdn. 5). Die vorstehend skizzierte Tatbestandsauslegung vermag freilich nicht nur im Ergebnis schwerlich zu überzeugen. Sie verkehrt den Sinn des Gesetzes in sein Gegenteil, ohne daß dessen Wortlaut hierzu zwingen würde. § 316 b Abs. 1 Satz 2 stellt nicht auf das planwidrige Verbleiben (Stewardeß, Dieb) ab und er schneidet den Strafschutz auch nicht strikt ab, sobald das Flugzeug verlassen und entladen ist. Das Gesetz macht vielmehr die Beendigung der erweiterten Flugphase von der zusätzlichen Voraussetzung abhängig, daß Verlassen und Entladung ordnungsgemäß („planmäßig") 15

16

Herzog N K Rdn. 11; Horn SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 5; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 10; TröndlelFischer Rdn. 3; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 220. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des Haager Übereinkommens gilt der Flug bei Notlandungen als

(459)

17

fortdauernd, bis die zuständigen Behörden die Verantwortung über das Flugzeug übernommen haben. Herzog N K Rdn. 12; Horn SK Rdn. 5; Lackner/Kühl Rdn. 5; Rüth LK 10 Rdn. lOf; Sehl Schröder!Cramer Rdn. 11.

Peter König

15

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

erfolgt sind. Das bedeutet umgekehrt mit aller wünschenswerten Klarheit, daß die erweiterte Flugphase nicht abgeschlossen ist, das Flugzeug also weiterhin dem im Flug befindlichen gleichsteht, wenn Verlassen und/oder Entladung nicht ordnungsgemäß erfolgt sind. Die gegenteilige Wortlautinterpretation („noch nicht... verlassen") krankt daran, daß sie mit dem Wort „planmäßig" gerade den Begriff kurzerhand ausblendet, auf dem in den einschlägigen Fällen die Betonung liegt. § 316b Abs. 1 Satz 2 ist demnach in dem Sinne zu lesen, daß Verlassen und/oder Entladung noch nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen sein dürfen.18 Der strafrechtliche Schutz bleibt demnach stets solange erhalten, wie das Luftfahrzeug noch nicht vollständig „leer" ist. Es schadet nicht, wenn beides oder eines von beidem planwidrig verzögert wird, z.B., weil Verlassen und/oder Entladung wegen eines Streiks des Flughafenpersonals vorerst nicht durchgeführt werden können;19 dasselbe gilt in den o.g. - etwas lebensfremden - Beispielen vom Dieb und der Stewardeß, deren Verbleiben im Luftfahrzeug der Täter im übrigen in seinen Vorsatz aufgenommen haben muß. Das Ergebnis ist sachgerecht, weil die vom Gesetz vorausgesetzte Gefahrenlage fortbesteht. Das Merkmal „planmäßig" wird erst dann relevant, wenn das Luftfahrzeug „leer" ist. An einem ordnungsgemäßen Abschluß fehlt es unzweifelhaft bei einem vom Luftpiraten erzwungenen Verlassen (vgl. oben). Anders liegt es, wenn der „Sportflieger" plötzlich auf den Gedanken verfallen sollte, „er könne den Rest des Tages besser in einem Lokal verbringen als im Cockpit" (Beispiel nach MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 56). Der Flug ist dann ordnungsgemäß abgeschlossen, weil es dem Sportflieger jederzeit freisteht, seine ursprünglichen Absichten zu ändern, somit das Verlassen des Luftfahrzeug dem (neuen) Plan entspricht. 16

3. Schiff. Schiff ist „ein nicht dauerhaft am Meeresboden befestigtes Wasserfahrzeug jeder Art und Größe" (BTDrucks. 11/4946 S. 6). Daraus ergibt sich zugleich, daß Plattformen, da dauerhaft am Meeresboden befestigt, dem § 316c nicht unterfallen. Für die Nichteinbeziehung von Plattformen waren systematische Überlegungen maßgebend. Fest verankerte Meeresplattformen stehen nämlich „nicht zu einem bestimmten Beförderungsvorgang in Beziehung"; Angriffe auf solche fest verankerten Objekte weisen zudem nicht die gleiche Art von Gefährlichkeit auf wie die durch die Vorschrift sonst erfaßten Angriffe auf Fahrzeuge (BTDrucks. 11/4946 S. 6).

17

a) Keine eigenständige Begrenzung. Im Unterschied zur Lage beim Luftfahrzeug (§ 316c Abs. 1 Satz 2; Rdn. 11ff)enthält das Gesetz keine eigenständigen Bestimmungen zur Eingrenzung des Schutzzeitraums. Dem Gesetzgeber erschien insoweit das Merkmal des Einsatzes im zivilen (hierzu Rdn. 4 ff) Seeverkehr (Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 b) ausreichend (nachstehende Rdn.); zudem könne Art. 4 des Seeschiffahrtsübereinkommens (Entstehungsgeschichte IV) als Auslegungshilfe herangezogen werden (BTDrucks. 11/4946 S. 6).20 Die Motive begründen die Nichtregelung mit Unterschieden Im Ergebnis wie hier TröndlelFischer Rdn. 3; Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 58ff; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 220; Kunath JZ 1972 199, 200. Differenzierend MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 56: Strafschutz dann, wenn der Ausnahmezustand durch die Luftpiraten herbeigeführt worden ist. Von ihrem Standpunkt aus inkonsequent wollen Rüth LK 10 Rdn. 10, 11 sowie Herzog N K Rdn. 12 hier Strafschutz gewähren. Art. 4 lautet: „ (1) Dieses Übereinkommen findet Anwendung, wenn das Schiff in Gewässer ein-

fährt, Gewässer durchfährt oder aus Gewässern kommt, die jenseits der seewärtigen Grenze des Küstenmeers eines einzelnen Staates oder jenseits der seitlichen Grenzen seines Küstenmeers zu angrenzenden Staaten liegen, oder der Fahrplan des Schiffes dies vorsieht. (2) In Fällen, in denen dieses Übereinkommen nicht nach Absatz 1 Anwendung findet, ist es dennoch anzuwenden, wenn der Täter oder Verdächtige im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats als des in Absatz 1 bezeichneten Staates aufgefunden wird."

Stand: 1. 7. 2000

(460)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

zwischen Schiffsverkehr und Luftfahrt; ob dies vollends zu überzeugen vermag, ist nicht unzweifelhaft. b) Einsatz im Seeverkehr. „Eingesetzt" ist das Schiff jedenfalls für die Dauer der 1 8 eigentlichen Fahrt. Strafrechtlicher Schutz unter dem Aspekt des § 316c dürfte aber wie beim Luftfahrzeug über die Dauer der Fahrt hinaus auch in der Phase unmittelbar vor dem Auslaufen und unmittelbar nach der Landung gegeben sein. Vom Begriff „eingesetzt" wird eine Interpretation in diesem Sinn gedeckt; ein eingrenzendes Merkmal, vergleichbar dem „im Flug befindlichen Luftfahrzeug" enthält der Tatbestand nicht. Durch den Verzicht auf eine ausdrückliche Regelung des Schutzzeitraums (vorstehende Rdn.) sollte eine Auslegung in diesem Sinn wohl nicht ausgeschlossen werden. Das Schiff muß gerade im Seeverkehr eingesetzt sein. Dazu rechnet auch das Fahren auf Binnenwasserstraßen, sofern es in engem Zusammenhang mit dem Einsatz im Seeverkehr steht; der Zusammenhang ist gegeben, wenn die Fahrt zum Zweck des Ladens und Löschens erfolgt (BTDrucks. 11/4946 S. 6).21 Die Wortlautgrenze überschreitet eine Auslegung in diesem Sinne nicht, weil das Gesetz nicht auf das Fahren auf hoher See, sondern auf den Einsatz im Seeverkehr abstellt. Der Einsatz im Seeverkehr dauert aber fort, wenn das Schiff zeitweise andere Gewässer befahrt. Voraussetzung ist allerdings, daß die Fahrt auf einem Binnengewässer dem Fahren auf hoher See unmittelbar vorausgeht oder dieses unmittelbar abschließt {LackneriKühl Rdn. 6). V. Die Luftfahrzeugs- und Schiffspiraterie (Absatz 1 Nr. 1). Tathandlungen der 1 9 Luft- und Schiffspiraterie sind die Anwendung von Gewalt, der Angriff auf die Entschlußfreiheit und die Vornahme „sonstiger Machenschaften". Mit deren Ausführung ist der Tatbestand vollendet. Nicht erforderlich ist, daß ihnen Erfolg beschieden ist; es handelt sich um Tätigkeitsdelikte mit überschießender Innentendenz (Rdn. 2; s. auch Rdn. 44). Der Täter muß bei Ausführung der Tathandlung von der Absicht geleitet sein (Rdn. 36 ff), die Herrschaft über das im zivilen Verkehr eingesetzte Luftfahrzeug oder Schiff (Rdn. 4 ff) zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken. 1. Tathandlungen a) Anwendung von Gewalt. Nach dem Gesetz genügt jede Form von Gewalt. 2 0 Gewalt setzt jedenfalls grundsätzlich die Entfaltung physischer Kraft zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands voraus (im einzelnen m.w. N. Gribbohm LK § 234 Rdn. 10). aa) Arten der Gewalt. Nach allgemeinen Regeln (näher Gribbohm LK § 234 Rdn. 11) 21 kann Gewalt in der Form angewandt werden, daß dem Betroffenen eine Willensbildung oder -betätigung schlechthin unmöglich gemacht wird (vis absoluta), wie auch in der Weise, daß der Wille des Betroffenen gebeugt und in eine bestimmte Richtung getrieben wird (vis compulsiva). Beide Arten der Gewaltanwendung erfüllen auch die Gewaltaiternative des § 316c Abs. 1 Nr. 1. Die gegenteilige Auffassung, die die vis compulsiva der Tatbestandsvariante des Angriffs auf die Entschlußfreiheit zuordnet, 22 vermag nicht zu überzeugen. Der zweiten Tatalternative ist kein Ausschlußcharakter 21

Ebenso Herzog N K Rdn. 14; Lackneri Kühl Rdn. 6; Tröndle! Fischer Rdn. 3.

(461)

22

Herzog N K Rdn. 15f; Horn SK Rdn. 8; Rüth LK 10 Rdn. 15; Sehl Schröder/Cramer Rdn. 14; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 221 f.

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

beizumessen; vielmehr soll ihr ersichtlich die Funktion zukommen, Konstellationen aufzufangen, die vom GewaltbegrifT nicht erfaßt werden. Überdies kann nicht schlüssig begründet werden, warum der „Angriffsalternative" ggf. nur die vis compulsiva zugeschlagen werden sollte; denn auch vis absoluta stellt einen „Angriff auf die Entschlußfreiheit" dar (aA wohl Sehl Schröder! Cramer Rdn. 14). Der Gewaltbegriff ist nicht im Lichte der Tatalternative der „sonstigen Machenschaften" anders als sonst auszulegen (hierzu Rdn. 31). Die Gewaltalternative ist beispielsweise erfüllt, wenn der Täter den Piloten oder Schiffsführer fesselt, niederschlägt oder erschießt, um sich des Steuers des Luftfahrzeugs zu bemächtigen. Nach den durch BGHSt. 41 182, 185f zur Nötigung entwickelten Grundsätzen kann auch der Fall als Gewaltanwendung angesehen werden, daß der Täter mit einem Fahrzeug die Startbahn blockiert (Beispiel nach BTDrucks. VI/2721 S. 3); denn das Fahrzeug bildet für das startende Flugzeug ein faktisch unüberwindliches Hindernis. Im Hinblick auf BVerfGE 92 1 zweifelhaft geworden ist die Frage, ob Konstellationen des gewaltlosen Beibringens von Betäubungs- oder Rauschmitteln noch unter den Gewaltbegriff subsumiert werden können (letztlich verneinend Gribbohm LK § 234 Rdn. 14f). Einer abschließenden Entscheidung bedarf dies im Rahmen des § 316c jedoch nicht, weil solche Fälle jedenfalls als Angriff auf die Entschlußfreiheit gewertet werden können. Entsprechendes gilt für die Bedrohung mit einer Schußwaffe oder mit dem Einsatz von Sprengstoffen etc. 22

bb) Gewalt gegen Sachen. Gewalt gegen Sachen ist einbezogen, 23 sofern damit der (geleistete oder erwartete) Widerstand des Betroffenen überwunden werden soll. Dies kann beispielsweise angenommen werden, wenn der Täter ein Leck in das Schiff schlägt, um den Schiffsführer zum Anlaufen eines bestimmten Hafens zu zwingen, oder wenn er mit einem Gegenstand wuchtige Schläge gegen das Fenster des Flugzeugs oder gegen essentielle technische Einrichtungen (z.B. die Navigationsanlage) vornimmt, um den Piloten hierdurch auf den von ihm gewollten Kurs zu bringen.

23

cc) „Adressaten"/Ort der Gewaltanwendung. Der Gesetzgeber hat bewußt davon abgesehen, die Tatalternative der Gewaltanwendung (wie auch die anderen Tatbestandsvarianten) örtlich und personell zu beschränken. Weder muß die Tathandlung „an Bord" des Luftfahrzeugs oder Schiffs begangen werden noch ist sie in ihrer Richtung auf den Führer des Luftfahrzeugs oder Schiffs beschränkt. 24 Das Gesetz ist damit sowohl über Art. 1 des Haager Übereinkommens als auch über die Gesetzesvorlage des BR (Entstehungsgeschichte I) hinausgegangen (BTDrucks. VI/2721 S. 3; Kunath JZ 1972 199, 200). Die Gewaltalternative ist u.a. verwirklicht, wenn der Entführer Bordpersonal, ζ. B. eine Stewardeß bzw. einen Rudergänger oder einen Fahrgast gefangennimmt, vielleicht sogar foltert, um den Widerstand des Flugzeug-/ Schiffsführers zu überwinden. Gegeben ist sie ferner, wenn er durch Entfaltung physischer Kraft den Direktor eines Luftfahrtunternehmens zwingt, dem Flugsicherungslotsen einen bestimmten Befehl zu geben, ohne daß letzterer oder der Pilot die Lage erkennt (BTDrucks. VI/2721 S. 3), bzw. wenn er in dieser Weise auf den Lotsen einwirkt, ohne daß der Pilot die Situation erfaßt.

23 24

AA Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 67 f. AA Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 61 ff (66 ff) mit problematischer Interpretation des Gewalt-

begriffs und problematischen Abgrenzungen bezüglich des Gewichts der einzelnen Tatalternativen.

Stand: 1. 7. 2000

(462)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§

316c

dd) Zeit der Gewaltanwendung. Die Gewaltanwendung muß in engem zeitlichem und funktionalem Zusammenhang mit der intendierten „Entführung" stehen. Zu den Einzelheiten Rdn. 39.

24

ee) Keine Vollendung. Der Täter muß nicht zum Ziel kommen, also den Widerstand des „Gewaltopfers" nicht tatsächlich brechen. Die Anwendung der Gewalt genügt.

25

b) Angriff auf die Entschlußfreiheit einer Person. Die Tatalternative des Angriffs 2 6 auf die Entschlußfreiheit einer Person ist § 316a Abs. 1 entnommen. Rechtsprechung und Schrifttum hierzu können für deren Interpretation herangezogen werden; unter „Angriff" ist dabei jede feindselige Einwirkung auf die Entschlußfreiheit zu verstehen (im einzelnen Sowada LK § 316 a Rdn. 9). aa) Vis compulsiva/Drohung. Dem Merkmal des „Angriffs auf die Entschluß- 2 7 freiheit" kommt im Rahmen des § 316c kein Ausschließlichkeitscharakter gegenüber der Gewaltanwendung zu; die Anwendung von vis compulsiva ist deshalb durch die Gewalt- und nicht durch die Angriffsalternative umfaßt (Rdn. 21). Die Angriffsalternative entfaltet vielmehr eine Auffangfunktion für Handlungen, die nicht (mehr) als Gewalt anzusehen sind. Betroffen ist vor allem die Drohung (ζ. B. mit Schußwaffenoder Sprengstoffeinsatz), ggf. auch das gewaltlose Beibringen von Betäubungs- oder Rauschmitteln (näher Rdn. 21). bb) List. Nach herrschender Lehre zur gleichgelagerten Problematik bei § 316a 2 8 kann der Angriff auf die Entschlußfreiheit auch durch das Tatmittel der List erfolgen {Sowada LK § 316a Rdn. 9, 32, 39f)· Für eine divergierende Beurteilung im Rahmen des § 316c ist kein überzeugender Grund vorhanden; das Vorgehen mit List ist somit nicht erst der dritten Tatalternative (Machenschaft), sondern bereits der Angriffsalternative zuzuordnen. 25 Sie wird beispielsweise verwirklicht, wenn der Täter den Piloten durch eine falsche Schadensmeldung zur Landung (auf einem bestimmten Flughafen oder in einem bestimmten Hafen) veranlaßt. Demgegenüber müssen Fälle ausscheiden, in denen der Adressat des „Angriffs" frei entscheidet, so wenn der Pilot oder Schiffsführer zur Kursänderung überredet oder insoweit bestochen wird. 26 Geht allerdings die bestochene Person ihrerseits „listig" gegenüber dem Piloten/Schiffsführer vor, so verübt sie nach dem zuvor Gesagten einen Angriff die Entschlußfreiheit im Sinne des Gesetzes (vgl. TröndlelFischer Rdn. 7 [zur Machenschaft]); der „Hintermann" ist dann Mittäter oder Anstifter. cc) Schweregrad. Einen bestimmten Schweregrad des „Angriffs" legt das Gesetz 2 9 nicht fest. Jedoch kann die Ankündigung von nachteiligen Lappalien, bei denen erwartet werden kann, daß der Adressat ihnen standhält, nicht als „Angriff" gewertet werden (allg. M.); das Merkmal ist mit Blick auf die hohe Strafdrohung eng auszulegen. Ebensowenig genügen leicht durchschaubare Lügen (Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 224). dd) Ort/Zeit/Adressaten/Vollendung. Hinsichtlich des Orts und der Adressaten des „Angriffs" sowie des zeitlichen Zusammenhangs und der Vollendung sind dieselben Maßstäbe anzulegen wie bei der Gewaltanwendung (Rdn. 23ff). Herzog N K Rdn. 17; Sehl Schroder! Cramer Rdn. 15; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 223 f. AA Horn SK Rdn. 9; Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 63. Ebenso Horn SK Rdn. 9; LacknerlKühl Rdn. 7; Sehl Schröder! Cramer Rdn. 16 Tröndlel Fischer (463)

Rdn. 6; MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 54 [jeweils zur „Machenschaft"]; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 226. AA Kunath JZ 1972 199, 201; Maurach HeinitzFestschrift S. 403, 411 [zur „Machenschaft"].

Peter König

30

§ 316c 31

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

c) Vornahme sonstiger Machenschaften. Die Tatalternative der „Vornahme sonstiger Machenschaften" ist erst im Laufe der Beratungen des Sonderausschusses eingefügt worden. 27 Sie wird im StGB ansonsten nur durch § 109 a verwendet. Gegeben ist sie bei einem „methodischen, berechneten Gesamtverhalten". 2 8 D a ß ein solchermaßen auszufüllender Terminus wenig Konturen aufweist (Lackner/Kühl Rdn. 7), liegt auf der Hand. Überdies ist das in § 109 a enthaltene, richtunggebende Arglist- und Täuschungsmoment nicht in § 316c übernommen worden (Maurach Heinitz-Festschrift S. 403, 410). Schließlich wirft die Verkoppelung mit dem Attribut „sonstigen" zusätzliche Fragen auf. Entsprechend allgemeinen Auslegungsmaximen könnte dies in dem Sinn verstanden werden, daß die (sonstige) Machenschaft den Oberbegriff bildet, womit dann auch die anderen Tatalternativen einem berechneten Gesamtverhalten entspringen müßten (vgl. Maurach/SchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 53). Jedoch hat der Gesetzgeber eine solche Ausstrahlungswirkung gewiß nicht beabsichtigt (Kunath JZ 1972 199, 201), und wäre dieser Ansatz auch nicht weiterführend (vgl. Maurachl Schroederl Maiwald BT/2 § 53 Rdn. 53). Richtig dürfte es sein, die dritte Tatalternative als Auffangtatbestand zu begreifen (Maurach Heinitz-Festschrift S. 403, 410). Mit Rücksicht darauf, daß durch die Tathandlungen der Gewaltanwendung und des Angriffs auf die Entschlußfreiheit bereits die typischen Angriffsformen der Luftpiraterie einschließlich des Vorgehens mit List und Täuschung erfaßt werden, bleibt für sie allerdings nicht viel übrig. Sie bildet das „letzte Auffangbecken". Bei der Auslegung des Begriffs darf der Zusammenhang mit den anderen Varianten („sonstige") nicht ausgeblendet werden. Zumindest ist zu fordern, daß die freie Willensbildung und -betätigung eines anderen aufgrund der „Machenschaft" außer Kraft gesetzt oder überspielt wird. Damit kann das in den Motiven genannte Beispiel erfaßt werden, daß der Täter „mit technischen, elektronischen und anderen Mitteln Kommunikations-(Funk) und Navigationsgeräte eines Flugzeugs" beeinflußt (BTDrucks. VI/2721 S. 3; s. auch Prot. VI S. 1179). Wer den Verantwortlichen nur überredet oder besticht, nimmt hingegen keine sonstigen Machenschaften vor, weil der Adressat frei entscheidet, ob er dem Ansinnen entsprechen will (vorstehende Rdn., m. w. N. auch zur Gegenansicht). 29

32

2. Innerer Tatbestand. Die objektive Tatseite der Luft- und Seepiraterie ist sehr weit ausgeformt. Erst durch den subjektiven Tatbestand wird die Eingrenzung des nach § 316c Abs. 1 Nr. 1 strafbaren Handelns geleistet. Die Konstruktion des Gesetzes ist dabei gewiß nicht unkompliziert. Jedoch wird § 316c im wesentlichen der Aufgabe gerecht, den strafwürdigen Kern einschlägiger Handlungen zutreffend zu erfassen.

33

a) Vorsatz. Der innere Tatbestand erfordert zunächst (zumindest bedingten) Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung(en). (Bedingter) Vorsatz genügt auch hinsichtlich des Merkmals des im Flug befindlichen (Rdn. 11) bzw. schon betretenen/beladenen oder noch nicht planmäßig verlassenen/entladenen (Rdn. 12 ff) Luftfahrzeugs (Rdn. 10) bzw. Schiffs (Rdn. 16) sowie des zivilen Einsatzes des Luftfahrzeugs/Schiffs (Rdn. 5 ff) und - in Bezug auf das Schiff - des Einsatzes gerade im Seeverkehr (Rdn. 18). Von zentraler Bedeutung ist es, daß der Täter das Merkmal eines bereits eingesetzten Luftfahrzeugs oder Schiffs in seinen (bedingten) Vorsatz aufgenommen haben muß. Aufgrund dieses Erfordernisses fallt eine Reihe von Konstellationen aus dem AnSie beruht auf einem Vorschlag von MdB de With (s. Prot. VI S. 1172). Lackner/Kühl § 109a Rdn. 3; TröndlelFischer § 109 a Rdn. 3; enger Schroeder LK § 109 a Rdn. 5.

29

Bei den Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform war dies umstritten, s. Prot. VI S. 1172, 1173f, 1179f.

Stand: 1.7. 2000

(464)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

Wendungsbereich des § 316c heraus, die auf den ersten Blick als tatbestandsrelevant angesehen werden könnten: aa) (Gewaltsame) Entwendung. Nicht erfaßt werden zunächst bestimmte Fall- 3 4 gestaltungen der (gewaltsamen) Entwendung sowie des unbefugten Gebrauchs von Luftfahrzeugen oder Schiffen. Ein Beispiel gibt der Fall, daß der Täter den Eigner des Fahrzeugs unter einem Vorwand wegschickt (listiges Vorgehen), um sich dann an das Steuer zu setzen und wegzufahren bzw. wegzufliegen (Prot. VI S. 1173), oder daß er ihm (mit demselben Ziel) einen Fuß stellt (Gewalt), um ihm zuvorzukommen (Prot. VI S. 1176, 1178). Anders ist es freilich zu beurteilen, wenn das Luftfahrzeug, wie der Täter weiß, bereits beladen ist (Rdn. 14). Dann wäre wohl - je nach den konkreten Umständen - ein Anwendungsfall für den minder schweren Fall gegeben (Rdn. 46). bb) Nötigung/Geiselnahme. Eine große Rolle hat bei den Beratungen des Sonder- 3 5 ausschusses für die Strafrechtsreform die Beurteilung von Nötigungsfallen auch im Zusammenhang mit Geiselnahmen gespielt. Kontrovers diskutiert wurden insbesondere Konstellationen, in denen der Pilot durch den Täter dazu gezwungen wird, ein noch im Hangar abgestelltes Flugzeug herauszufahren und mit ihm zu starten oder in denen die Verantwortlichen gezwungen werden, dem Täter ein abgestelltes Flugzeug bereitzumachen und - mit einer Besatzung versehen - zur Verfügung zu stellen, beispielsweise unter der Drohung, ansonsten Geiseln zu töten. 30 § 316c ist in solchen Konstellationen nicht gegeben, weil das Fahrzeug nach dem Vorstellungsbild des Täters noch nicht „eingesetzt" ist (Rdn. 33).31 Wendet der Täter allerdings im weiteren Verlauf (während der Startphase, des Flugs) Gewalt an usw., um auf die Führung des Flugzeugs Einfluß zu nehmen, oder wirkt die Drohung fort, so erscheint die Anwendung der Vorschrift diskutabel. 32 Denn ein „planmäßiges" Betreten fordert das Gesetz - anders als für die Phase nach der Landung (hierzu Rdn. 15) - nicht. 33 Ob die Konstruktion trägt, ist gleichwohl zweifelhaft. Deren Konsequenz ist nämlich, daß das Merkmal des zivilen Einsatzes hinfallig wird; es würde sich die Frage stellen, wie zu verfahren ist, wenn sich derselbe Vorgang auf eine Militärmaschine bezieht ( W u l f Prot. VI S. 1174; s. aber dens. aaO S. 1587 und andererseits Sturm aaO S. 15870b) Absichtserfordernis. Darüber hinaus muß der Täter beabsichtigen, die Herr- 3 6 schaft über das Luftfahrzeug oder Schiff zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken. Er muß diese Ziele allerdings nicht erreichen; auch müssen das Fahrzeug oder die Passagiere nicht gefährdet werden. Den Übergang einer bereits anderweitig bestehenden Herrschaft muß der Täter nicht erstreben (aA Horn SK Rdn. 13). Denn beim Luftfahrzeug genügt es, wenn sich ein Mitglied der Besatzung (nicht notwendig der Fahrzeugführer) oder Frachtgut im Innenraum befindet (Rdn. 13f); „Herrschaft" muß in diesem Zeitpunkt somit noch nicht begründet sein. Herrschaftserlangung und Einwirken auf das Führen lassen sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen; die beiden Modalitäten unterscheiden sich lediglich in der Intensität der Einwirkung {Rüth LK 10 Rdn. 18). Der Pilot/Schiffsführer selbst kann 30 31

32

Prot. VI S. 1174, 1177, 1587f und mehrfach. Eingehend Horn SK Rdn. 13 f; unrichtig ist allerdings, daß eine bereits bestehende Herrschaft auf den Täter übergehen muß; hierzu Rdn. 36. In diesem Sinne im Anschluß an Sturm Prot. VI S. 1587 Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 227.

(465)

Im ursprünglichen Formulierungsvorschlag des BMJ vom 19. Januar 1971 war das Merkmal „planmäßig" auch für die Phase vor dem Start vorgesehen (Prot. VI S. 1182). U.U. ist es in den endgültigen Vorschlag nicht aufgenommen worden, um die im Text angesprochene Interpretation nicht auszuschließen.

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

nicht Täter sein, weil er die Herrschaft bereits innehat und aufgrund der Vornahme essentieller Steuerungsfunktionen in eigener Person „führt". 37

aa) Herrschaft über das Fahrzeug. Herrschaft über das Luftfahrzeug/Schiff hat der Täter unzweifelhaft dann, wenn er dessen Steuer übernimmt, also das Fahrzeug selbst führt. Das Merkmal ist aber auch erfüllt, sofern der Entführer die volle Befehlsgewalt innehat, also die Art und Richtung der Fortbewegung des Luftfahrzeugs/Schiffs allein von seinen Anweisungen abhängt, ohne daß dem Bordpersonal noch ein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Herrschaft hat auch derjenige erlangt, der das Luftfahrzeug auf dem Flughafen besetzt hält und den Besitz zu Erpressungen nutzt (SehlSchröder!Cramer Rdn. 19).

38

bb) Einwirken auf die Führung. Die Alternative des Einwirkens auf die Führung beschreibt ein Verhalten, mit dem der Täter mehr punktuell Einfluß nimmt, ohne die vollständige Kontrolle zu übernehmen. Als Beispiel nennen die Motive den Fall, daß der Täter den Bordkommandanten daran hindert, an einem bestimmten Ort zu landen, daß er ihm aber die Möglichkeit beläßt, sich einen beliebigen Flugplatz zur Landung auszusuchen (BTDrucks. VI/2721 S. 3).

39

c) Zusammenhang („um dadurch"). Zwischen den Tathandlungen (Gewaltanwendung usw.) und der intendierten „Entführung" muß ein enger zeitlicher und funktionaler Zusammenhang bestehen; die Tathandlung muß nach dem Vorstellungsbild des Täters unmittelbar in die Herrschaftserlangung bzw. das Erlangen der Möglichkeit des Einwirkens einmünden („um dadurch"; Horn SK Rdn. 14). Demgemäß ist § 316c nicht erfüllt, wenn sich der Täter „beispielsweise drei Monate vor der beabsichtigten Entführung ... gewaltsam die zur Ausführung der Tat benötigte Pistole besorgt". 34 Am erforderlichen Zusammenhang fehlt es weiterhin, wenn sich der Täter Zugang zum Rollfeld verschafft, indem er eine Aufsichtsperson niederschlägt. Demgegenüber dürfte der erforderliche nahe Zusammenhang gegeben sein, wenn er zunächst Personen angreift, die die Herrschaft über das Fahrzeug nicht selbst innehaben oder mittragen; schlägt er etwa einen Fluggast nieder, um dies sogleich zu Drohungen gegenüber dem Piloten zu nutzen, so ist der Tatbestand vollendet und nicht nur versucht (aA wohl Horn SK Rdn. 14).

40

VI. Luftfahrzeugs- und Schiffssabotage (Absatz 1 Satz 1 Nr. 2). Die Luftfahrzeugsund Schiffssabotage zerfällt in zwei Tatbestände, nämlich einerseits in den Gebrauch von Schußwaffen und andererseits das Unternehmen, eine Explosion oder einen Brand herbeizuführen. Hinsichtlich des Gebrauchs der Schußwaffe hat der Gesetzgeber bewußt von einer Ausgestaltung als Unternehmenstatbestand abgesehen, um dem Täter die Rücktrittsmöglichkeit zu belassen (Prot. VI S. 1170). Die Tathandlungen müssen in der Absicht vollführt werden, das Luftfahrzeug oder Schiff, das den in den Rdn. 4 ff dargelegten Voraussetzungen genügen muß („solches"), oder dessen an Bord befindliche Ladung zu zerstören oder zu beschädigen. Die Tatbestände schneiden sich mit § 315 Abs. 1 Nr. 1 und § 308. Dem Gesetzgeber des 11. StrÄndG erschienen die erhöhte Strafdrohung und die Vorverlegung der Strafbarkeit aufgrund der besonderen Anfälligkeit eines Luftfahrzeugs gegen Explosionen, Brände und Schußwaffengebrauch angezeigt. Ob man diese Überlegungen in vollem Umfang auf das im Seeverkehr eingesetzte Schiff übertragen kann, ist nicht gänzlich unzweifelhaft (s. aber BTDrucks. 11/4946 S. 6). 34

Beispiel nach MaurachlSchroederlMaiwald BT/2 § 53 Rdn. 53, wo allerdings die Auffassung ver-

treten wird, eine solche Handlung erfülle den Buchstaben des Gesetzes.

Stand: 1.7. 2000

(466)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§

316c

Tatbestandsrelevant sind nur die in der Vorschrift beschriebenen Tathandlungen. Beispielsweise das Ansägen der Steuerseile oder das Gießen von Wasser in die Tanks genügt dementsprechend nicht {SehlSchröder!Cramer Rdn. 28). Die Luftfahrzeugs- und Schiffssabotage ist nach der Tatbestandsfassung ein Delikt im Vorfeld der Sachbeschädigung.35 Dem Gesetz geht es jedoch nicht um den Schutz von Sachgütern, sondern um die (abstrakte) Gefährdung der Sicherheit des Luft- und Seeverkehrs sowie von Menschenleben, die durch einen Schußwaffeneinsatz oder eine Explosion typischerweise stets in hohem Maße beeinträchtigt werden. Die Verkoppelung mit der Zerstörungs- oder Beschädigungsabsicht hat der Gesetzgeber gewählt, weil Fälle rechtmäßigen Waffengebrauchs durch bewaffnete Begleiter ausländischer Gesellschaften nicht ausgeschlossen werden konnten (Prot. VI S. 1175). 1. Tathandlungen a) Schußwaffengebrauch. „Gebrauch" von Schußwaffen 36 bedeutet im Rahmen 4 1 des § 316c Abs. 1 Nr. 2, daß der Täter tatsächlich schießen muß (TröndlelFischer Rdn. 8), ist also nicht mit dem Begriff des „Verwendens" nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 identisch. Grund für die scharfe Strafdrohung ist nämlich die hohe Gefahr, die gerade mit der Abgabe eines Schusses in einem Luftfahrzeug verbunden ist (vorstehende Rdn.). 37 Sie ist bei einem Gebrauch der Schußwaffe als Schlagwerkzeug nicht in gleicher Weise gegeben. Aus demselben Grund sowie mit Blick auf das Erfordernis der Zerstörungsoder Beschädigungsabsicht reicht es auch nicht aus, wenn der Täter mit Hilfe der Schußwaffe Drohungen unterstützt (vgl. Maurach Heinitz-Festschrift S. 403, 411).38 In solchen Fällen ist in aller Regel § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 erfüllt. Die Abgabe eines Warnschusses, mit dem der Täter nicht schon zerstören/beschädigen will, kann aufgrund des diesbezüglichen Absichtserfordernisses nicht genügen (aA wohl Maurach Heinitz-Festschrift S. 403, 411). Dies erscheint ungereimt, weil der Warnschuß an Bord eines Luftfahrzeug zumeist genauso riskant sein wird wie der gezielte Schuß; 39 freilich dürfte die Bedeutung des Problems gering sein, weil beim „Schreckschuß" mit einer scharfen Schußwaffe in einem Luftfahrzeug die Beschädigung als (möglicherweise unerwünschtes) Zwischenziel stets mitgedacht ist. Relevanz erlangen kann sie allerdings auf Schiffen, wo der Schußwaffengebrauch nicht dieselben verheerenden Folgen haben muß. Versagt die in Zerstörungs- oder Beschädigungsabsicht gebrauchte Waffe etwa aufgrund einer Ladehemmung, so liegt untauglicher Versuch vor. b) Unternehmen der Herbeiführung einer Explosion/eines Brandes. Die Herbeiführung 4 2 eines Brandes (zum Begriff Wolff LK § 306 Rdn. 2) oder einer Explosion (hierzu Wolff LK § 311 Rdn. 3) unternimmt, wer es zumindest versucht (§ 11 Abs. 1 Nr. 6), die genannten Erfolge zu herbeizuführen. Die Explosion muß dabei nicht gerade durch Sprengstoff verursacht werden. Implosionen sind Inbegriffen (Wolff LK § 311 Rdn. 3 m. w. N. auch zur Gegenansicht). Die Tat muß ins Versuchsstadium eingetreten sein. Die Abgrenzung zu bloßen Vorbereitungshandlungen hat nach den allgemein hierfür entwickelten Kriterien zu erfolgen. Das Anbringen eines Sprengsatzes mit Zeitzünder oder einer mit dem Nach Sehl Schröder! Cramer Rdn. 23; Herzog N K Rdn. 22 und Horn SK Rdn. 20 handelt es sich um ein Sachbeschädigungsdelikt. Zum Begriff der Schußwaffe im einzelnen Ruß LK § 244 Rdn. 3. S. dazu, daß das BMJ überlegt hatte, allein auf das Schießen abzustellen, Prot. VI S. 1175. (467)

38

39

AA Herzog N K Rdn. 24; Horn SK Rdn. 21; Lackner/Kühl Rdn. 10. Zu den der Verkoppelung mit der Zerstörungs-/ Beschädigungsabsicht zugrunde liegenden Überlegungen vorstehende Rdn. sowie Fn. 37.

Peter König

§ 316c

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Höhenmesser verkoppelten Vorrichtung, die bei Erreichen einer bestimmten Flughöhe die Explosion auslöst, erfüllt den Tatbestand. Versagt die Vorrichtung aufgrund eines technischen Fehlers, so ist untauglicher Versuch gegeben, der zur Vollendung des Unternehmensdelikts genügt (zu letzterem Gribbohm LK § 11 Rdn. 90). Das Einschmuggeln eines Sprengsatzes ist Vorbereitungshandlung (Rdn. 44). Die Zerstörungswirkung kann über andere Objekte (etwa ein Tankfahrzeug) vermittelt werden (Horn SK Rdn. 22). 43

2. Innerer Tatbestand. Für den Vorsatz gilt das in Rdn. 32 Gesagte entsprechend. Darüber hinaus muß es dem Täter darauf ankommen (Absichtserfordernis), das Luftfahrzeug oder Schiff bzw. die an Bord befindliche Ladung zu zerstören oder zu beschädigen (hierzu § 315 Rdn. 31 ff; Wolff LK § 303 Rdn. 5 ff). Der Erfolg muß nicht eintreten.

44

VII. Versuch, Vollendung. Der Versuch einer Straftat nach Absatz 1 Nr. 1, 2, 1. Alt. ist im Hinblick auf den Verbrechenscharakter der Norm strafbar (§ 23 Abs. 1). Im Rahmen des Unternehmenstatbestandes nach Absatz 1 Nr. 2, 2. Alt. ist der Versuch der Vollendung gleichgestellt, weswegen eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 sowie der Rücktritt vom Versuch nicht in Betracht kommen (zur Tätigen Reue Rdn. 49 ff). Der Versuch des Unternehmens ist nach h. M. nicht möglich (Prot. VI S. 1173; im einzelnen Gribbohm LK § 11 Rdn. 90). Generell ist zu beachten, daß aufgrund des subjektiven Einschlags der Vorschrift Vollendung in der Regel bereits zu einem frühen Zeitpunkt gegeben ist (s. zu den einzelnen Tathandlungen). Namentlich müssen die vom Absichtserfordernis erfaßten schweren Folgen nicht tatsächlich eintreten. Gelingt es dem Täter, mit einer Waffe oder mit Sprengstoff die Durchgangskontrollen namentlich am Flughafen zu überwinden, ist allerdings nur eine Vorbereitungshandlung gegeben.40 Auch bei einer Mitnahme von Tatmitteln an Bord des Luftfahrzeugs oder Schiffs dürfte unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 noch nicht gegeben sein (aA Herzog NK Rdn. 29).

45

VIII. Rechtswidrigkeit. Rechtfertigung kommt zunächst dann in Betracht, wenn Luft- oder Seepiraten, die das Luftfahrzeug oder Schiff bereits unter Kontrolle haben, wieder aus ihrer Stellung verdrängt werden sollen (TröndlelFischer Rdn. 16; Notwehr oder Amtsrechte). Das Völkerrecht kann es erlauben, Flugzeuge, die widerrechtlich in den inländischen Luftraum eingedrungen sind, durch Warnschüsse, ggf. auch durch gezielte Schüsse zum Landen zu zwingen (TröndlelFischer Rdn. 16; Hsueh Luftpiraterie [1993] S. 172). Rechtfertigender Notstand (§ 34) ist grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Rechtfertigung danach kann jedoch in Erwägung zu ziehen sein, falls die Entführung des Luftfahrzeugs oder Schiffs dem Täter die einzige Möglichkeit bietet, schwerwiegenden Willkürmaßnahmen eines totalitären Unrechtsregimes zu entkommen; ob § 34 eingreift, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei dem Vorgehen des Täters (gewalttätige Ausführung, Gefahrdung von Dritten) und dem in Frage stehenden Fahrzeug (ζ. B. Passagierflugzeug versus Motorboot) Bedeutung für die Abwägung zukommt. 41

40

Herzog N K Rdn. 29; in diese Richtung auch Horn SK Rdn. 17 und Tröndlel Fischer Rdn. 11; unentschieden Sturm Prot. VI S. 1170; aA Rüth LK 1 0 Rdn. 35 (dort, Rdn. 36, zur Beurteilung der Aufstellung eines Raketenabschußgeräts).

Ebenso Tröndlel Fischer Rdn. 16; für den „Regelfall" der Entführung einer Passagiermaschine ablehnend Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 234f; strikt ablehnend Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 172 ff.

Stand: 1. 7. 2000

(468)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

IX. Minder schwerer Fall (Absatz 2). Absatz 2 sieht für den minder schweren Fall 4 6 einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren vor.42 Der minder schwere Fall ist nach allgemeinen Grundsätzen im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung festzustellen.43 Das Vorliegen des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 320 Abs. 1 kann zur Annahme des § 316c Abs. 2 führen (vgl. Gribbohm LK § 46 Rdn. 258 m.w. N.). Ein minder schwerer Fall kann ferner gegeben sein, wenn der Täter in notstandsähnlicher Lage gehandelt hat {SehlSchröder!Cramer Rdn. 29; s. auch vorstehende Rdn.). Zu berücksichtigen ist es, wenn hinreichende Vorkehrungen gegen eine Gefahrdung von Menschen oder Gütern getroffen worden sind, wobei allerdings eine „Automatik" in Richtung auf Annahme des Absatzes 2 nicht anzuerkennen ist.44 X. Qualifikationstatbestand (Absatz 3). Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren 4 7 oder lebenslange Freiheitsstrafe ist zu verhängen, wenn der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines Menschen verursacht hat. Seit dem Inkrafttreten des 6. StrRG ist gesetzlich klargestellt, daß vorsätzliches Handeln hinsichtlich der schweren Folge einbezogen ist („wenigstens"). Die Normierung des Leichtfertigkeitserfordernisses (im einzelnen Schroeder LK § 16 Rdn. 208 ff) ist in dem zum 11. StrÄndG führenden Gesetzgebungsverfahren umstritten gewesen;45 der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat sich mit knapper Mehrheit (Prot. VI S. 1590) für die engere Lösung ausgesprochen. Beispielsweise sollte der Fall aus Absatz 3 ausgeschlossen werden, daß ein herzkranker Passagier „vor Aufregung über eine vom Täter erzwungene und über Lautsprecher durchgegebene Kursänderung an Herzschlag stirbt" (BTDrucks. VI/2721 S. 4). Leichtfertigkeit wird demgegenüber zu bejahen sein, wenn die Herzattacke durch die Bedrohung mit einer „scharfen" Pistole, aber auch einer Schußwaffenattrappe ausgelöst wird (Prot. VI S. 1180), desgleichen, sofern dem Täter von vornherein klar ist, daß es zu einem Feuergefecht kommen werde, weil bewaffnete Begleitpersonen an Bord sind, und er das Risiko gleichwohl eingeht (Prot. VI S. 1171). Weitere Beispiele sind brutales Vorgehen des Täters oder durch diesen veranlaßte gefahrliche Flugoder Landemanöver {Rüth LK10 Rdn. 33) Relevant ist die Tötung irgendeines Menschen. Es sind demgemäß nicht nur Passagiere oder Mitglieder der Besatzung einbezogen, sondern ζ. B. auch Flughafenpersonal oder unbeteiligte Personen, die bei einer durch den Täter zu verantwortenden Notlandung zu Tode kommen. Auch der Tod eines Tatbeteiligten genügt46 Daran hat die seit dem 6. StrRG geltende geschlechtsindifferente Gesetzesfassung (eines anderen Menschen-, Entstehungsgeschichte VI) nichts geändert (aA Herzog NK Rdn 31). Daß der „andere" nur ein Mensch sein kann, war bereits vor der Gesetzesänderung nicht zweifelhaft. Eine „Lagertheorie" ist sowohl generell wie auch im Rahmen des § 316c nicht anzuerkennen. Mit Rücksicht darauf, daß die Vollendung bei § 316c sehr frühzeitig eintritt (Rdn. 44), werden sich die mit dem erfolgsqualifizierten Versuch verbundenen Probleme (hierzu Schroeder LK § 18 Rdn. 24, 37ff)nur selten stellen. 42

43 44

Der minder schwere Fall ist im Gesetzgebungsverfahren umstritten gewesen (Prot. VI S. 1582F; Kunath JZ 1972 199, 200). Eingehend Gribbohm LK § 46 Rdn. 254 ff. BTDrucks. VI/2721 S. 4; SehlSchröder!Cramer Rdn. 29. Kritisch Hsueh Luftpiraterie (1993) S. 177f und Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen S. 236 f.

(469)

S. Prot. VI S. 1170f, 1180, 1582, 1584, 1589f. Horn SK Rdn. 26; Tröndle!Fischer Rdn. 13. AA Herzog N K Rdn. 31; Lackner/Kühl Rdn. 12; SchlSchröderICramer Rdn. 30. S. auch einerseits Wulf Prot. VI S. 1171 und andererseits de With ebd. S. 1589.

Peter König

§ 316c 48

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

XI. Vorbereitungshandlungen (Absatz 4). In Absatz 4 sind nach dem Vorbild ähnlicher Tatbestände (insbesondere § 310) bestimmte Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt. Tathandlungen sind das Herstellen (tatsächliches Fertigstellen einschließlich Zwischenstufen), Sich- oder einem anderen Verschaffen (Bewirken eigener Verfügungsgewalt bzw. der Verfügungsgewalt eines anderen), Verwahren (Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt) und Überlassen (Übertragung der Verfügungsgewalt) von Gegenständen (zum ganzen Wolff LK § 311b Rdn. 7 ff). An relevanten Gegenständen sind zunächst Schußwaffen (Rdn. 41) und Sprengstoffe ( W o l f f aaO Rdn. 3) genannt, daneben aber auch „sonst zur Herbeiführung einer Explosion oder eines Brandes bestimmte Stoffe oder Vorrichtungen", also etwa ein Brandsatz. Anders als im Rahmen des § 310 (hierzu Wolff aaO Rdn. 6) ist eine Eingrenzung auf „besondere" Vorrichtungen (und Stoffe) nicht vorgenommen worden. Damit genügt der Einkauf von Benzin und Streichhölzern (TröndlelFischer Rdn. 15) oder eines Weckers ( W o l f f LK § 311b Rdn. 6). Der Täter muß zur Vorbereitung einer Straftat nach § 316c Abs. 1 handeln. Hinsichtlich der vorbereiteten Straftat genügt Vorsatz; der Täter muß also zumindest damit rechnen, daß seine Handlung diese Straftat fördert (BayObLG NJW 1973 2038, 2039; aA [Absicht] Wolff LK § 311b Rdn. 13 m.w.N.). Ob die geplante Straftat von ihm oder einem anderen begangen werden soll, ist ohne Belang, Teilnahme ist nach allgemeinen Regeln möglich (im einzelnen Wolff aaO Rdn. 15). Der Versuch einer Tat nach Absatz 4 ist nicht strafbar. Zur Rechtfertigung gilt das in Rdn. 45 Gesagte entsprechend.

49

XII. Tätige Reue. Die vormals für Straftaten § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowie für Vorbereitungstaten (heute: § 316c Abs. 4) gegebene Möglichkeit, von Strafe ganz abzusehen, ist durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469) beseitigt worden. § 316c Abs. 4 a. Ε ermöglichte nur noch die Strafmilderung. Seit Inkrafttreten des 6. StrRG sind die für Taten nach § 316c Abs. 1 und 4 einschlägigen Regelungen zur Tätigen Reue in § 320 Abs. 1, 3 Nr. 2, Abs. 4 enthalten. Sie sind in der Systematik und im Sprachgebrauch auf der Grundlage des früheren § 311 c vereinheitlicht worden (BTDrucks. 13/8587 S. 52). Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht mehr darauf an, ob ein erheblicher Schaden eingetreten ist (s. hingegen § 316c Abs. 4 a. F.). Was mit der in den Motiven nicht näher erläuterten Änderung gewollt ist, erschließt sich mit Blick auf die generell unklare Regelung (nachstehende Rdn.) nicht ohne weiteres. In der Sache dürfte der Tatbestand eher verengt worden sein. Zudem normiert § 320 Abs. 3 Nr. 2 für Vorbereitungstaten nach § 316c Abs. 4 einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, geht also zugunsten des Täters noch über die Rechtslage vor dem EGStGB hinaus (wie § 311c Abs. 3 Nr. 2 a. F.). Die Regelungen wirken sich nur für Taten nach § 316 c aus, gelten also für konkurrierende Delikte nicht.

50

1. Straftaten nach § 316c Abs. 1. Um sich die Strafmilderung zu verdienen, muß der Täter freiwillig47 die weitere Ausführung der Tat aufgeben bzw. sonst den Erfolg (freiwillig) abwenden (§ 320 Abs. 1) oder sich - bei Gefahr- oder Erfolgsabwendung ohne sein Zutun - freiwillig und ernsthaft bemühen, dieses Ziel zu erreichen (§ 320 Abs. 4). Beim Unternehmensdelikt des § 316c Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. ist § 320 Abs. 1 nach allgemeiner Meinung anwendbar, wenn der Täter den Brand oder die Explosion 47

Eingehend Vogler LK 1 0 Rdn. 82ff.

Stand: 1.7. 2000

(470)

Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr

§ 316c

verhindert, z.B., indem er rechtzeitig mitteilt, wo der Brand- oder Explosionssatz angebracht ist (BTDrucks. VI/2721 S. 4). Im übrigen werfen die Tatbestände deswegen Interpretationsschwierigkeiten auf, weil sie als schlichte Tätigkeitsdelikte (Rdn. 2) keinen „Erfolg" im eigentlichen Sinne haben (vgl. TröndlelFischer Rdn. 17). „Erfolg" ist die Tätigkeit an sich, also die Gewaltanwendung, der Angriff etc.; Herrschaftserlangung, Einwirken auf die Führung und die Zerstörung/Beschädigung sind nur das Ziel des Täters (vgl. BGHSt. 10 320, 323 [zu § 316a]). 48 Es kommt damit allenfalls in Betracht, die Regelungen zur Tätigen Reue im Hinblick auf die mit ihnen verfolgten und durch das 6. StrRG nochmals bekräftigten Intentionen analog anzuwenden, falls es zur Erreichung der ursprüngliche Ziele des Täters aufgrund dessen (freiwilliger) Beiträge nicht mehr kommt bzw. falls insoweit die Situation des § 320 Abs. 4 gegeben ist. 2. Vorbereitungstaten (§ 316 c Abs. 4). § 320 Abs. 3 Nr. 2 verlangt, daß der Täter 5 1 freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst die Gefahr abwendet; dem steht es gleich, daß er sich nach Maßgabe des § 320 Abs. 4 um die Abwendung des Erfolgs bemüht. Ein (eher theoretischer) Beispielsfall wäre es, daß der Täter davon Abstand nimmt, eine „Höllenmaschine" fertigzustellen, mit deren Herstellung er begonnen. Für Fälle, in denen die Vorbereitungstat vollendet ist und der Täter nur den Plan aufgibt, eine Straftat nach § 316c Abs. 1 zu begehen, paßt der Wortlaut des § 320 hingegen nicht. Die „weitere Ausführung" einer vollendeten Tat kann nicht aufgegeben werden. Sachgerecht erscheint die Anwendung des § 320 Abs. 3 Nr. 2, falls der Täter die Gefahr abwendet, daß ein anderer die Tat weiter vorbereitet oder begeht, bzw. sich unter den Voraussetzungen des § 320 Abs. 4 freiwillig und ernsthaft um das Unterbleiben der Tat des anderen bemüht (TröndlelFischer Rdn. 17).49 XIII. Täterschaft, Teilnahme. § 316c normiert Allgemeindelikte. Täter kann jeder sein, in der vom Gesetz verlangten Absicht handelt. Die Absicht ist tatbezogenes Merkmal, so daß § 28 nicht gilt (Horn SK Rdn. 15).

52

XIV. Konkurrenzen Im Hinblick auf die Klarstellungsfunktion der Tateinheit konkurrieren Straftaten nach § 316c Abs. 1, 3 mit Verletzungs- und konkreten Gefahrdungsdelikten idealiter, so insbesondere mit Körperverletzungs- und Tötungsdelikten (bei Vorsatz hinsichtlich der Todesfolge auch im Fall des § 316c Abs. 3; ansonsten s. unten) sowie mit den § 240 (s. aber unten), § 306 Abs. 1 Nr. 4, § 306 a Abs. 2, §§ 308, 315. Tateinheit kann außerdem gegeben sein mit §§ 239, 239a, 239b sowie mit Straftaten nach dem Waffen- und Luftverkehrsgesetz (teilweise aA Tröndlel Fischer Rdn. 14). Sofern die §§ 239, 240 notwendig mit der Entführung des Luftfahrzeugs oder Schiffs einhergehen, treten sie hinter § 316c zurück (SehlSchröder!Cramer Rdn. 33). § 222 tritt hinter § 316c Abs. 3 zurück (TröndlelFischer Rdn. 14). Vorbereitungstaten nach § 316c Abs. 4 treten hinter Straftaten nach § 316c Abs. 1, 3 zurück, falls diese unter Beteiligung des Täters begangen werden; § 316c Abs. 4 verdrängt seinerseits § 310 (vgl. Wolff L K § 311b Rdn. 18 m.w.N.) sowie § 40 Abs. 1, 2 SprengG (vgl. BayObLG N J W 1973 2038, 2039 [zu § 311 a a. F.]). Mit Straftaten nach § 316c Abs. 1, § 30 steht § 316c Abs. 4 in Tateinheit (vgl. Tröndlel Fischer § 310 Rdn. 11). 48

AA (implizit) Horn SK Rdn. 18a; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 32; § 316a Rdn. 11.

(471)

49

AA Herzog NK Rdn. 29; Rdn. 311 e Rdn. 4.

Peter König

Sch/Schröder/Cramer

53

§ 316 C

54

28. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

XV. Sonstiges. § 316c ist insgesamt dem Weltrechtsprinzip unterstellt (§ 6 Nr. 3). Folgende Straftaten inkorporieren § 316c ganz oder zum Teil: Agententätigkeit (§ 87 Abs. 2 Nr. 1); Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung (§ 126 Abs. 1 Nr. 6); Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a Abs. 1 Nr. 3); Anzeigepflicht (§ 138 Abs. 1 Nr. 9); Belohnung und Billigung (§ 140); Vortäuschung (§ 145 d). Führungsaufsicht kann in den Fällen des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 angeordnet werden (§321). Die erweiterte Einziehung von Tatwerkzeugen und Produkten der Tat sowie die Einziehung von Beziehungsgegenständen wird durch § 322 ermöglicht. § 316c ist Katalogtat für die Überwachung der Telekommunikation (§ 100a Satz 1 Nr. 2 StPO). Zur Verfolgung von Straftaten nach § 316c ist die Verwendung von personenbezogenen Stasi-Unterlagen möglich (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b StUG).

Stand: 1. 7. 2000

(472)

Störung von Fernmeldeanlagen

§ 3 1 7

§ 3 1 7

Störung von Fernmeldeanlagen (1) Wer den Betrieb einer öffentlichen Zwecken dienenden Fernmeldeanlage durch verhindert oder gefährdet, daß er eine dem Betrieb dienende Sache zerstört, schädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar macht oder die für den Betrieb stimmte elektrische Kraft entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

dabebemit

(2) Der Versuch ist strafbar. (3) Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Schrifttum Brauner/Göhner Die Strafbarkeit „kostenloser Störanrufe", NJW 1978 1469; Delaille Delikte gegen Fernsprechhäuschen der Deutschen Bundespost unter bes. Berücksichtigung der Phänomene des Vandalismus, Diss. Köln 1982; Eck Strafrechtliche Probleme der neuen Datendienste der Deutschen Bundespost, Archiv f. Post- u. Fernmeldewesen 1986 38; Ehmke Zur rechtlichen Beurteilung von Telefonbelästigungen, Die Polizei 1981 247; Hahn Wann dient eine Fernmeldeanlage i.S. d. § 317 StGB „öffentlichen Zwecken"? Archiv f. Post u. Telekommunikation 1992 37; Herzog Telefonterror (fast) straflos? G A 1975 257; Krause/Wuermeling Mißbrauch von Kabelfernsehanschlüssen, NStZ 1990 526; Mahnkopf Forum: Probleme der unbefugten Telefonbenutzung, JuS 1982 885; Niggl Deutsches Post- und Telegraphen-Strafrecht, 3. Aufl. (1926); Schumann Der strafrechtliche Schutz im Fernmeldewesen, Diss. Köln 1961; Thieme Zur Einführung: Telekommunikationsrecht, JuS 1989 791; v. Ulimann Hinderung und Gefährdung des Telegraphenbetriebs, VDB IX S. 95. — Niederschriften V S. 295; VIII S. 418, 643 ff; IX S. 285ff, 429, 550, 553, 561; X S. 159, 457, 464; XII S. 621.

Entstehungsgeschichte § 317 in der Fassung des Strafgesetzbuches f ü r das Deutsche Reich (RGBl. 1871 S. 127, 188 0 bedrohte vorsätzliche H a n d l u n g e n gegen eine öffentlichen Zwecken dienende Telegraphenanstalt, welche die Benutzung dieser Anstalt verhinderten oder störten, mit Gefängnis von einem M o n a t bis zu drei Jahren. § 318 stellte in Absatz 1 entsprechende fahrlässige H a n d l u n g e n unter Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundert Thalern; in Absatz 2 wurden bestimmte Pflichtversäumnisse von Bediensteten der Telegraphenanstalten als Delikt erfaßt. § 3 1 9 sah ein Beschäftigungsverbot unter anderem von Straftätern nach § 318 Abs. 2 im Telegraphendienst vor. § 320 stellte Verstöße gegen ein solches Beschäftigungsverbot unter Strafe. Mit Art. I des Gesetzes vom 26. Februar 1876 (RGBl. S. 25, 33) wurde der Anwendungsbereich des Beschäftigungsverbots nach § 319 erweitert. Durch Art. II u n d III des Gesetzes betreffend Ä n d e r u n g des StGB vom 13. Mai 1891 (RGBl. S. 107) wurden die §§ 317 und 318 dahin umgestaltet, d a ß nach § 317 mit Gefängnis von einem M o n a t bis zu drei Jahren bestraft werden sollte, wer vorsätzlich u n d rechtswidrig den Betrieb einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanlage d a d u r c h verhindert oder gefährdet, d a ß er Teile oder Z u b e h ö r u n g e n derselben beschädigt oder Veränderungen d a r a n vornimmt, während § 318 Abs. 1 entsprechende fahrlässige H a n d l u n g e n mit Gefängnis bis zu einem J a h r oder mit Geldstrafe bis zu n e u n h u n d e r t Mark b e d r o h t e ; außerdem wurde ein § 318 a in das StGB eingestellt, dessen Absatz 1 die A n w e n d u n g von §§317,318 auf öffentlichen Zwecken dien e n d e Rohrpostanlagen erstreckte u n d dessen Absatz 2 Fernsprechanlagen Telegraphenanlagen gleichstellte. Wenig später erging das Gesetz über das Telegraphenwe(l)

Hagen Wolff

§ 3 1 7

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sen des Deutschen Reichs vom 6. April 1892 (RGBl. S. 467), das in § 1 ebenfalls den Begriff Telegraphenanlagen unter Einschluß von Fernsprechanlagen verwendete. Es wurde nach vorherigen Änderungen auf der Grundlage des Gesetzes vom 3. Dezember 1927 (RGBl. I S. 331) als Gesetz über Fernmeldeanlagen neu bekanntgemacht (RGBl. I 1928 S. 8), wobei der Begriff Telegraphenanlage durch den Begriff Fernmeldeanlage abgelöst wurde; das Fernmeldeanlagengesetz gilt heute in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 1989 (BGBl. I S. 1455), geändert durch Art. 5 des Postneuordnungsgesetzes vom 14. September 1994 (BGBl. I S. 2325, 2363 ff), und wird mit Ablauf des 31. Dezember 1997 außer Kraft treten. Obwohl dieses Gesetz ergänzende Straftatbestände enthielt (und enthält), wurde der Begriff Fernmeldeanlage zunächst nicht in das StGB übernommen. Dies geschah erst durch das 1. StRÄndG vom 30. August 1951 (BGBl. I S. 739, 745), durch dessen Artikel 2 Nr. 8 § 317 Abs. 1 weitgehend der heute geltenden Fassung angenähert, mit Absatz 2 die Versuchsstrafbarkeit eingefügt und in einem Absatz 3 ein strengerer Strafrahmen für besonders schwere Fälle vorgesehen wurde; außerdem wurden der Fahrlässigkeitstatbestand des § 318 Abs. 1 als Absatz 4 in § 317 aufgenommen und die §§ 318, 318a aufgehoben. Zugleich wurde die Yorläufervorschrift des jetzigen § 88 geschaffen (BGH NJW 1978 431, 432). §§ 319, 320 waren bereits durch Art. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839, 841) gestrichen worden. Durch Art. 1 Nr. 92 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 656) wurde § 317 Abs. 3 gestrichen und der bisherige Absatz 4 in Absatz 3 umgewandelt; außerdem wurde die angedrohte Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe übergeleitet (Artikel 4 und 5 — S. 657). Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Nr. 178 und 207 EGStGB 1974 eröffneten für § 317 Abs. 1 die Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafe und haben zu der derzeit geltenden Fassung geführt. Im Ε 1962 war mit §§ 335, 340 Abs. 2 Nr. 2 eine Verschmelzung der geltenden §§ 316 b, 317 ohne tiefgreifende sachliche Änderung vorgesehen (BTDrucks. IV/650 S. 65, 66, 512, 517 0In den erwähnten Gesetzen wurden weder die ursprünglich verwendeten Begriffe Telegraphenanstalt und Telegraphenanlage noch der spätere Begriff Fernmeldeanlage (über die noch heute im Fernmeldeanlagengesetz verwendete Begriffsbestimmung hinaus) definiert. Man wollte die Begriffe für zukünftige technische Entwicklungen offenhalten (BVerfGE 46 120, 146 ff; BVerwG NJW 1987 2096). Diese Absicht hatte Erfolg (s. Rdn. 2). § 317 und sein Normenumfeld geben auf diese Weise ein Spiegelbild der Entwicklung der Nachrichtenübertragung in den vergangenen einhundertundzwanzig Jahren. 1

I. §§ 316 b und 317 schützen bestimmte, öffentlichen Zwecken dienende Einrichtungen gegen Betriebsstörungen. Der Gesetzgeber hat also u. a. durch diese Vorschriften wichtige Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge besonderem strafrechtlichen Schutz unterstellt (vgl. BGH NJW 1983 1437). Daneben tritt § 88 als Strafvorschrift gegen Sabotageakte. Dabei schützt § 317 Fernmeldeanlagen wie § 316 b die dort erfaßten öffentlichen Betriebe gegen Eingriffe in den Betrieb, also gegen Eingriffe in die Funktionsfähigkeit, und dient damit der Aufrechterhaltung der störungsfreien technischen Verwendungsmöglichkeit von Fernmeldeanlagen (BGH NJW 1978 431, 432).

2

II. 1. § 317 betrifft Fernmeldeanlagen. Das sind: Telegraphenanlagen für die Vermittlung von Nachrichten, Fernsprechanlagen und Funkanlagen (i.e. elektrische Sendeeinrichtungen sowie elektrische Empfangseinrichtungen, bei denen die Übermittlung oder der Empfang von Nachrichten, Zeichen, Bildern oder Tönen ohne Stand: 1. 10. 1995

(2)

Störung von Fernmeldeanlagen

§

317

Verbindungsleitung oder unter Verwendung elektrischer, an einem Leiter entlang geführter Schwingungen stattfinden k a n n ) ; so § 1 des Fernmeldeanlagengesetzes in der Fassung der B e k a n n t m a c h u n g vom 3. Juli 1989 (BGBl. I S. 1455), welche Begriffsbestimmung auch für § 317 Gültigkeit hat 1 . Allerdings sind auch die Unterbegriffe Telegraphenanlage u n d Fernsprechanlage ausfüllungsbedürftig. Allgemein gesprochen geht es bei Fernmeldeanlagen um technische Einrichtungen zur körperlosen Übermittlung von Informationen. Dazu gehören neben dem Fernsprechnetz (vgl. dazu als frühere Benutzungsverordnung zunächst die Fernmeldeverordnung in der Fassung der B e k a n n t m a c h u n g vom 5. Mai 1971 — BGBl. I S. 541, zuletzt geändert am 16. Juli 1986 — BGBl. I S. 1028) namentlich R u n d f u n k u n d Fernsehfunk einschließlich des Breitbandkabelnetzes 2 , aber auch Schiffsfunk. Einbezogen sind die Telekommunikationsnetze u n d -dienste entsprechend der am 1. J a n u a r 1988 in Kraft getretenen Telek o m m u n i k a t i o n s o r d n u n g vom 5. N o v e m b e r 1986 (BGBl. I S. 1749) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 1987 (BGBl. I S. 1761), zuletzt geändert durch VO vom 26. Februar 1991 (BGBl. I S. 504), d a r u n t e r Fernschreibanlagen (vgl. zuvor VO über den Fernschreib- u n d Datexdienst vom 26. Februar 1974 — BGBl. I S. 388, zuletzt geändert am 22. Mai 1986 — BGBl. I S. 777) u n d Anlagen zur elektronischen Datenübertragung (vgl. zuvor VO über das öffentl. Direktrufnetz für die Übertragung digitaler Nachrichten vom 24. Juni 1974 — BGBl. I S. 1325, zuletzt geändert durch VO vom 16. Juli 1986 - BGBl. I S. 1023; vgl. auch BVerfG N J W 1978 313, 314 u n d Eck Archiv f. Post- u. Fernmeldewesen 1986 38, 40) sowie Signalanlagen; dagegen nicht bloße Klingelanlagen ( D r e h e r / T r ö n d l e Rdn. 1; vgl. auch Herzog G A 1975 257, 272). Die jeweiligen Endeinrichtungen gehören dazu. Fernmeldeanlagen im Sinne von § 317 sind weiter ζ. B. die Notrufsysteme an Fernstraßen (vgl. Fischer JuS 1985 328). Die zeitweise ebenfalls geschützten Rohrpostanlagen unterfallen dem Strafrechtsschutz nicht mehr, weil es sich nicht um Fernmeldeanlagen im erörterten Sinne handelt (vgl. RGSt. 4 406). 2. öffentlichen Zwecken dienen Fernmeldeanlagen, deren Betrieb im allgemeinen 3 Interesse liegt. Das trifft zunächst auf diejenigen zu, die dem allgemeinen G e b r a u c h zugänglich sind (RGSt. 29 244, 246). Es gilt aber auch, wenn die Anlagen f ü r den internen G e b r a u c h von Behörden oder für die Benutzung durch öffentlich Bedienstete (RGSt. 34 249) oder für den Dienstbetrieb eines in privater H a n d stehenden Straßenb a h n u n t e r n e h m e n s (RGSt. G A 51 [1904] 50) bestimmt sind. Das Fernsprechnetz dient zweifelsohne einem öffentlichen Zweck in diesem Sinne, denn es hat sich zu dem wichtigsten Kommunikationsmittel entwickelt, das es dem einzelnen Fernsprechteilnehmer erlaubt, mit der Öffentlichkeit in Verbindung zu treten, u n d umgekehrt der Öffentlichkeit die Möglichkeit eröffnet, den jeweiligen

1

(3)

Dreher/Trondle R d n . 1; Horn SK R d n . 4 ; Lackner R d n . 2 ; Sch/Schrtider/Cramer R d n . 3 ; Otto BT S. 394. Siehe a u c h Frank A n m . I sowie Eidenmuller D e r F e r n m e l d e a n l a g e n b e g r i f f im Telek o m m u n i k a t i o n s r e c h t , DVB1. 1987 603 u. Postund Fernmeldewesen § 1 Fernmeldeanlagengesetz A n m . 4, d e r d e n Begriff f u n k t i o n a l i s i e r e n will; Meyer in Erbs/Kohlhaas § 1 Fernmeldeanlag e n g e s e t z A n m . 2 ; Scherer T e l e k o m m u n i k a t i o n s recht u n d T e l e k o m m u n i k a t i o n s p o l i t i k (1985) S. 63 ff, 169 f. Vgl. weiter d i e D e f i n i t i o n in d e n Int e r n a t i o n a l e n F e r n m e l d e v e r t r ä g e n v. 25. O k t .

1973 ( B G B l . II 1976 S. 1089) u n d v. 6. N o v . 1982 ( B G B l . II S. 425), jeweils A n l a g e 2 S t i c h w o r t : F e r n m e l d e v e r k e h r , s o w i e in d e r K o n s t i t u t i o n d e r I n t e r n a t i o n a l e n F e r n m e l d e u n i o n Nizza 1989, A n lage S t i c h w o r t : F e r n m e l d e v e r k e h r ( B G B l . II 1994 S. 147). F ü r H ö r f u n k u n d F e r n s e h e n Lackner R d n . 2; Otto BT S. 3 9 4 ; vgl. O L G B r a u n s c h w e i g N J W 1951 6 1 3 ; O L G S t u t t g a r t J Z 1951 116, 117; vgl. a u c h B V e r f G Ε 12 205, 225 ff. F ü r d a s B r e i t b a n d k a b e l netz vgl. B V e r w G N J W 1987 2096, 2097; Krause/ Wuermelmg N S t Z 1990 526, 527.

Hagen Wolff

§317

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Fernsprechteilnehmer zu erreichen (BGHSt. 25 370; 39 288). Schon bisher war allerdings streitig, ob der einzelne Telephonanschluß an das Fernsprechnetz von dem Schutz des § 317 StGB erfaßt wird. Die herrschende Meinung insbesondere in der Rechtsprechung bejahte dies ohne Rücksicht auf die — in der Tat unerhebliche — Eigentumslage, weil der Einzelanschluß notwendiger Teil des Telephonnetzes sei3. Teilweise wurde ein öffentlicher Zweck bei dem einzelnen privaten Anschluß verneint 4 . Das Problem hat an Schärfe gewonnen, seit einerseits Endeinrichtungen des Telephonnetzes mit diesem nicht mehr fest, teilweise noch nicht einmal per Leitung verbunden sind und andererseits beginnend mit dem Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost vom 8. Juni 1989 (BGBl. I S. 1026) und fortgesetzt mit dem Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 14. September 1994 (BGBl. I S. 2325) die Post umorganisiert und privatisiert worden ist. Insbesondere hat sie ihr Monopol für die an das Telephonnetz anzuschließenden Endeinrichtungen verloren. Auf der Grundlage dieser Entwicklung hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht auf den Standpunkt gestellt, der Einzelanschluß einer Privatperson diene nicht mehr öffentlichen Zwecken und unterstehe somit nicht mehr dem Schutz von § 317 StGB (BayObLG NStZ 1993 190). Diese Auffassung hat im Schrifttum weithin Zustimmung gefunden 5 . Der Bundesgerichtshof hat sich dem mit einer entsprechend kritisierten Entscheidung nicht angeschlossen (BGHSt. 39 288). Dies zu Recht (ebenso Lackner Rdn. 2; Otto BT S. 394; grundsätzl. auch Statz Archiv f. Post u. Telekommunikation 1994 67): Die erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf § 317 StGB. Sie erfordern es auch nicht, den Begriff des öffentlichen Zwecks einzuschränken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mit der Herausnahme des privaten Einzelanschlusses aus dem Anwendungsbereich des § 317 StGB der strafrechtliche Schutz auch für Fälle aufgegeben würde, in denen er nötig und sinnvoll ist; wenn nämlich durch Zerstörung des Telephons oder der Verbindung zum Netz dem Teilnehmer in Notlagen das Herbeitelephonieren von Hilfe unmöglich gemacht wird. Es geht dabei nicht um den Schutz eines lediglich privaten Interesses. Entscheidend ist unverändert, daß das Telephonnetz zu einem zweckentsprechenden Funktionieren den schadlosen Bestand und die Betriebsmöglichkeit der Endeinrichtungen voraussetzt und deshalb der mit Hilfe von § 317 StGB angestrebte Schutz dieses Kommunikationssystems sich zwangsläufig auf die Endeinrichtungen erstreckt. Das gleiche gilt für die Endeinrichtungen der öffentlichen Telekommunikationsnetze6. Doch dient der privat genutzte Rundfunk- oder Fernsehempfänger ebensowenig öffentlichen Zwecken wie die verbotswidrig errichtete Anlage 7 , auch wenn 3

4

RGSt. 29 244; R G G A 60 [1913] 284; R G Recht 1907 Nr. 1581; R G J W 1920 1036; BGHSt. 25 370; O L G H a m m J M B 1 N R W 1966 94; Dreher/ Tröndle 46. Aufl. R d n . 2; Lackner 20. Aufl. R d n . 2; Otto BT 3. Aufl. S. 367; Krause J R 1975 380; Mahnkopf J u S 1982 885, 886; Martin LM § 317 S t G B 1969 Nr. 1. B a y O b L G S t . 1970 242; 1972 7, 10; Horn SK R d n . 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 4; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 57 III 4; Eifert J u S 1993 1032, 1037; neuestens insbesondere Hahn Archiv f. Post u. T e l e k o m m u n i k a t i o n 1992 37; kritisch auch Momberg J Z 1982 574.

5

6

7

Dreher/Tröndle R d n . 2; Hahn N S t Z 1994 190 u. C R 1994 640; Helgerth J R 1994 122; Rütter Archiv f. Post u. T e l e k o m m u n i k a t i o n 1993 76; Schmittmann N S t Z 1994 587; a b l e h n e n d demgegenüber Krause C R 1994 172. Vgl. Scherer T e l e k o m m u n i k a t i o n s r e c h t u n d Telek o m m u n i k a t i o n s p o l i t i k (1985) S. 65; Thieme J u S 1989 791,793. Dreher/Tröndle R d n . 2; Lackner R d n . 2; Olshausen A n m . 3; Sch/Schröder/Cramer R d n . 4.

Stand: 1. 10. 1995

(4)

Störung von Fernmeldeanlagen

§317

H ö r f u n k u n d Fernsehen selbst als Massenkommunikationsmittel einer öffentlichen Zweckbestimmung unterliegen. Diese öffentliche Zweckbestimmung erstreckt sich auch auf das Breitbandkabelnetz (BVerwG N J W 1987 2096, 2097; Krause/Wuermeling NStZ 1990 526, 527). III. 1. Tatobjekte sind Sachen, die dem Betrieb einer Fernmeldeanlage im zuvor 4 umschriebenen Sinne dienen. Dabei entspricht der Sachbegriff dem des § 303 (vgl. dort Rdn. 3). Eine Sache dient d a n n dem Betrieb einer Fernmeldeanlage, wenn sie zu deren bestimmungsmäßiger Benutzung erforderlich oder jedenfalls nützlich ist. Tatobjekt ist d a r ü b e r hinaus die zum Betrieb der Anlage nötige elektrische Energie. 2. Mögliche Tathandlungen sind zum einen das Beschädigen oder Zerstören (vgl. 5 zu diesen Begriffen zunächst bei § 303 Rdn. 5 ff) einer dem Betrieb der Fernmeldeanlage dienenden Sache; so das D u r c h t r e n n e n eines Glasfaserfernmeldekabels oder das Abreißen des Hörers eines Münzfernsprechers. Eine Beschädigung k a n n allerdings nicht darin gesehen werden, d a ß die Steckverbindung von T e l e p h o n a p p a r a t und Anschlußdose gelöst wird (vgl. BGHSt. 39 288). Ebensowenig ist es eine Beschädigung, wenn eine Fernmeldeanlage zwar unbefugt, aber o r d n u n g s g e m ä ß in Betrieb gesetzt wird; so das Auslösen eines Feuermelders (RGSt. 65 133) oder die Benutzung eines Telephons durch einen Einbrecher {Mahnkopf JuS 1982 885, 886), das Ausnutzen von Vermittlungsmöglichkeiten über nichtöffentliche F e r n s p r e c h n u m m e r n , der Mißbrauch von Calling-Card-Codes, mißbräuchliche N u t z u n g von Rufumleitungen mittels Mobilfunktelephonen. T a t h a n d l u n g e n sind aber auch das Beseitigen oder Verändern einer dem Betrieb der Anlage dienenden Sache. Beseitigen bedeutet das Aufheben der Gebrauchsmöglichkeit durch räumliche Entfernung. Verändern ist die Beseitigung des bisherigen Zustands u n d die Ersetzung durch einen davon abweichenden Zustand einer zu der Fernmeldeanlage gehörenden Sache; ζ. B. das Verstopfen des M ü n z k a n a l s eines Münzfernsprechers. Ein Verändern ist es weiter, wenn durch A n k o p p e l n eines G e r ä t s / C o m p u t e r p r o g r a m m s (Blue-Box) an einen Telep h o n a p p a r a t das Frequenzspektrum des Telephonnetzes manipuliert wird, um über Servicenummern auf Kosten einer Telephongesellschaft Verbindungen a u f z u b a u e n . Einer Substanzverletzung oder der Beseitigung der Verbindung mit anderen Teilen der Anlage bedarf es dazu nicht 8 . Unbrauchbarmachen, eine weitere Variante u n d meist, aber nicht zwingend ein Unterfall des Beschädigens, liegt bei einem erheblichen Mindern der bestimmungsgemäßen Verwendbarkeit vor. Verändern oder Unb r a u c h b a r m a c h e n ist aber noch nicht das Ausnutzen einer in der Konstruktion der Fernsprechanlage liegenden Mißbrauchsmöglichkeit wie das Blockieren eines Fernsprechanschlusses durch Anwählen aus einer Fernsprechzelle, ohne d a ß der Hörer wieder eingehängt wird 9 , oder die Benutzung eines Telephonanschlusses zu allein 8

(5)

RGSt. 37 53, 54 f; R G J W 1920 1036; Dreher/ Trondle R d n . 3; Frank A n m . 2; Lackner Rdn. 3; Sch/Schroder/Cramer § 3 1 6 b R d n . 7; Maurach/ Schroeder/Matwald BT § 5 7 1 1 1 2 ; Fickel Archiv f. Post- u. Fernmeldewesen 1983 380, der das Anschließen eines von der Post nicht zugelassenen A n r u f b e a n t w o r t e r s als V e r ä n d e r u n g i. S. des § 317 ansieht; vgl. auch BGHSt. 25 3 7 0 , 3 7 2 ; O L G Celle V R S 2 8 129; Behm N o c h m a l s : Z u r Sachbeschädigung durch Plakatieren u n d Beschmieren, J R 1988 360, 361; B G H N J W 1978 431, 432 steht nicht entgegen. Einen Eingriff in die Sachsub-

9

stanz halten d e m g e g e n ü b e r f ü r erforderlich: O L G H a m m VRS 36 51, 53; O L G H a m m J M B 1 N R W 1966 94; O L G Celle, Beschl. v. 4. Juli 1968 - 2 Ss 2 5 3 / 6 8 ; zum Teil wird das Verändern als Unterfall des Beschädigens gesehen, s. § 303 R d n . 7 A n m . 6 u. 7. B a y O b L G S t . 1970 242; O L G H a m m VRS 36 51, 53; O L G H a m m J M B 1 N R W 1966 94; Ehmke Die Polizei 1981 247 f; Herzog G A 1975 257, 259 f; a. M. LG Bielefeld Archiv f. Post- u. Fernmeldewesen 1983 99.

Hagen Wolff

§317

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

der Störung oder Belästigung dienenden Anrufen (Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; Brauner/Göhner NJW 1978 1469, 1472). Tathandlung ist schließlich der Entzug der zum Betrieb der Anlage bestimmten elektrischen Energie; eine Regelung, die sich aus dem Streit um die Sachnatur des elektrischen Stroms erklärt. Bei dieser Variante kommt es nicht darauf an, daß die elektrische Energie unmittelbar der Fernmeldeanlage oder den zu ihrem Betrieb dienenden Sachen entzogen wird (vgl. ζ. B. Mahnkopf JuS 1982 885, 886). Ein Abschalten, Unterbrechen oder Ableiten des elektrischen Stroms außerhalb der Fernmeldeanlage reicht aus. Es ist weiter bedeutungslos, ob der Täter die elektrische Energie anderweit nutzen will oder nicht. Ist der Stromentzug Folge eines legalen Streiks, ist zwar der Tatbestand erfüllt, doch greift das Streikrecht als Rechtfertigungsgrund ein. — Die Einwirkung muß auf die Anlage selbst vorgenommen werden (RG DStRZ 1916 Sp. 337). Wer lediglich einen Postbeamten hindert, ein Telegramm weiterzugeben, erfüllt den Tatbestand nicht (Frank Anm. II). Die Tat kann allerdings auch an einer vorübergehend nicht in Betrieb befindlichen Anlage begangen werden 1 0 ; so ζ. B. wenn der Telephonanschluß wegen nicht gezahlter Gebühren gesperrt worden ist (OLG Breslau LZ 1917 Sp. 1200). — Der mögliche Täterkreis ist nicht auf außerhalb des Fernmeldeanlagenbetriebs stehende Personen beschränkt (Horn SK Rdn. 2). 6

3. Die einzelnen Verhaltensweisen müssen zum Erfolg haben, daß der Betrieb der Fernmeldeanlage verhindert oder — insoweit ist § 317 konkretes Gefährdungsdelikt — gefährdet wird. Ersteres ist der Fall, wenn die bestimmungsgemäße Benutzung der Anlage jedenfalls zeitweise ausgeschlossen ist. Gefährden bedeutet Schaffen eines Zustands, der Betriebsstörungen wahrscheinlich m a c h t " . Insofern unterscheidet sich § 317 von § 316 b, der eine tatsächlich eingetretene Störung des Betriebs voraussetzt. An dem nötigen Erfolg wird es meist fehlen, wenn beispielsweise das Breitbandkabelnetz ohne die nötige Genehmigung angezapft wird (Krause/Wuermeling NStZ 1990 526, 527). — Ohne Belang ist, ob die Anlage gerade zur Zeit der Tat zu öffentlichen Zwecken gebraucht wurde oder gebraucht werden sollte 12 .

7

IV. 1. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz (Absatz 1 und 2). Vorsätzlich handelt, wer sämtliche äußeren Merkmale des Tatbestandes einschließlich der Verhinderung oder Gefährdung des Betriebs kennt und verwirklichen will (RGSt. 22 393). Verfolgung eines besonderen Zwecks ist nicht nötig. Insbesondere braucht es dem Täter nicht um sicherheitsgefährdende oder gar verfassungsfeindliche Bestrebungen zu gehen (BGH NJW 1978 431, 432). Bedingter Vorsatz genügt (RGSt. 22 393, 394).

8

2. Nach Absatz 3 ist die fahrlässige Begehungsweise gleichfalls strafbar. Auch die Fahrlässigkeit muß sich auf die Verhinderung oder Gefährdung des Betriebs einer Fernmeldeanlage erstrecken (Horn SK Rdn. 11; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 6). Gerät ein Kraftfahrer infolge eines Fahrfehlers mit seinem Fahrzeug gegen einen neben der Straße stehenden Telegraphenmast, so ist die Anwendbarkeit von § 317 Abs. 3 111

11

OLG Hamm JMB1NRW 1967 68; Dreher/Tröndle Rdn. 3; aA OLG Düsseldorf MDR 1984 1040, 1041; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; auch Meyer in Erbs/Kohlhaas § 19 Fernmeldeanlagengesetz Anm. 2 a. RGSt. 29 244, 246; Frank Anm. II; Lackner Rdn. 3; Otto BT S. 394; einen engeren Gefährdungsbe-

12

griff vertreten Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 III 3; abweichende Abgrenzung von Betriebsverhinderung und -gefährdung bei Horn SK Rdn. 6 und Sch/Schroder/Cramer Rdn. 5. RG GA 40 [1892] 336; RG JW 1920 1036; BGH St. 25 370, 372; vgl. auch Meyer in Erbs/Kohlhaas § 19 Fernmeldeanlagengesetz Anm. 2 a.

S t a n d : 1. 10. 1995

(6)

§317

Störung von Fernmeldeanlagen 13

nicht grundsätzlich mangels Vorhersehbarkeit ausgeschlossen ; dies entscheidet sich vielmehr nach den allgemeinen f ü r Fahrlässigkeit geltenden Regeln. Ist für den Täter also erkennbar gewesen, d a ß es sich um eine Fernsprechleitung handelte u n d der Betrieb der Anlage durch die schadensstiftende Fahrweise gefährdet werden konnte, so ist § 317 Abs. 3 gegeben 1 4 . V. Der Versuch ist nach Absatz 2 strafbar. Als Beispiel sei e r w ä h n t : wenn der Tä- 9 ter mit Steinen nach den Isolatoren einer Telegraphenleitung wirft, ohne zu treffen (vgl. R G Recht 1915 Nr. 2777 15 ). VI. Die Strafen k ö n n e n bei dem vorsätzlichen Delikt nach Absatz 1 Freiheitsstra- 10 fe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe sein. Die fahrlässige Tat nach Absatz 3 ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Zu dem darin im Vergleich zu verwandten Strafbestimmungen liegenden Wertungsbruch vgl. insbesondere Bohnert Strafmaßdiskrepanzen bei den Sachbeschädigungsdelikten, J R 1988 446, 447. VII. Konkurrenzen. Tateinheit ist möglich mit § 88; ebenso zwischen § 317 Abs. 3 11 u n d §§ 303, 304' 6 . Dagegen besteht zwischen § 317 Abs. 1 u n d 2 u n d § 304 Gesetzeseinheit; letztere Vorschrift tritt zurück, weil die gemeinschädliche Sachbeschädigung zu den gesetzlichen Merkmalen des vorsätzlichen Vergehens nach § 317 gehört (RGSt. 34 249, 251). § 317 Abs. 1 u n d 2 verdrängen auch § 248c Abs. 3. § 19 Abs. 1 Fernmeldeanlagengesetz in der Fassung der B e k a n n t m a c h u n g vom 3. Juli 1989 (BGBl. I S. 1455) geht als lex specialis dem § 317 vor 1 7 . — Ergänzend sei auf die Strafund Bußgeldvorschriften des Fernmeldeanlagengesetzes hingewiesen; insbesondere auf den bereits erwähnten § 19 Abs. 1, in welcher Vorschrift bestimmte Störungen einer öffentlichen Zwecken dienenden Funkanlage unter Strafe gestellt sind. Erwähnt seien ferner die Straf- und Bußgeldvorschriften, mit denen der am 14. März 1884 unter Beteiligung des Deutschen Reichs abgeschlossene u n d noch geltende Internationale Vertrag zum Schutze der unterseeischen Telegraphenkabel (RGBl. 1888 S. 151 mit ergänzender Deklaration vom 1. Dezember 1886/23. März 1887 — RGBl. 1888 S. 167) bewehrt ist (Ausführungsgesetz vom 21. N o v e m b e r 1887 — RGBl. 1888 S. 169, geändert durch Art. 151 E G S t G B 1974). VIII. Recht des Einigungsvertrages. § 317 gilt seit dem Wirksamwerden der Bei- 1 2 trittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern u n d in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u n d II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deut" BGHSt. 15 110 m. zust. A n m . Marlin LM S t G B § 317 Nr. 1; B a y O b L G VRS 19 49; B a y O b L G S t . 1972 7; Dreher/Tröndle R d n . 5; Lackner R d n . 5; Maurach /Schroeder/Maiwald BT § 57 III 6 ; a A O L G Stuttgart D A R 1957 243; Sch/Schrdder/ Cramer R d n . 6. 14 BGHSt. 15 110, 112; O L G Schleswig SchIHA 1956 272; vgl. aber auch B a y O b L G bei Rüth D A R 1965 2 8 1 , 2 8 3 ; B a y O b L G S t . 1972 7. (7)

Ifl

16

17

Dort wird allerdings eingetretene Beschädigung verlangt, weil Versuch seinerzeit nicht s t r a f b a r war; vgl. Olshausen A n m . 7. R G G A 39 [1891] 425; Dreher/Trondle R d n . 6; Sch/Schroder/Cramer R d n . 8; Maurach/Schweder/Maiwald BT § 57 III 6 ; hinsichtlich § 304 aA Frank § 318 A n m . III. Dreher/Trondle R d n . 6; a. M. Meyer in Erbs/ Kohlhaas § 19 Fernmeldeanlagengesetz A n m . 7.

Hagen Wolff

§ 3 1 8

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sehen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I und II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der DDR vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). 13 In der früheren DDR ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I S. 526), geändert worden. Das dem § 317 StGB entsprechende Delikt war davon nicht betroffen. Dies ergab sich damit aus der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung des Strafgesetzbuchs der DDR vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). Es hatte folgenden Wortlaut: §204 Nachrichtenverkehrsstörungen (1) Wer Post- oder Fernmeldeanlagen zerstört, beschädigt, u n b r a u c h b a r macht, u n b e f u g t ändert oder in sonstiger Weise u n b e f u g t auf diese einwirkt u n d d a d u r c h den Nachrichtenverkehr behindert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei J a h r e n oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder mit öffentlichem Tadel bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer den Nachrichtenverkehr durch Entzug oder Verwendung elektrischer Energie gefährdet oder unzulässig stört. (3) Wer die H a n d l u n g nach Abs. 1 fahrlässig unter vorsätzlicher Verletzung gesetzlicher oder beruflicher Pflichten zum Schutze von Fernmeldeanlagen begeht u n d d a d u r c h den Nachrichtenverkehr behindert, wird von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen oder mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe, Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.

Für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten einer Störung von Fernmeldeanlagen wird ergänzend auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§ 3 1 8

Beschädigung wichtiger Anlagen (1) Wer Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, Deiche, Dämme oder andere Wasserbauten oder Brücken, Fähren, Wege oder Schutzwehre oder dem Bergwerksbetrieb dienende Vorrichtungen zur Wasserhaltung, zur Wetterführung oder zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter zerstört oder beschädigt und durch eine dieser Handlungen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit anderer herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) Ist durch eine dieser Handlungen eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ein. Schrifttum V. Ulimann G e f ä h r d u n g von Leben u n d G e s u n d h e i t durch Beschädigung von Wasserbauten und a n d e r e n Anlagen, V D B IX S. 113. - Niederschriften V S. 293, 295; VIII S. 643 ff, 664; IX S. 272, 273f, 2 8 2 f f , 4 2 6 f f , 553, 561; X S. 371, X I I S. 552, 6 2 0 f ; X I I I S. 5 2 4 f f , 7 6 8 f f , 782, 791 f.

Entstehungsgeschichte Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich sah in seiner ursprünglichen Fassung als § 321 bereits einen praktisch gleichlautenden Schutz der heute in § 318 aufgezählstand: 1. 10. 1995

(8)

Beschädigung wichtiger Anlagen

§318

ten Anlagen mit A u s n a h m e der dem Bergwerksbetrieb dienenden Vorrichtungen vor; darüber hinaus war die Störung des Fahrwassers in schiffbaren Strömen, Flüssen oder K a n ä l e n mit Strafe bedroht (RGBl. 1871 S. 127, 189). Die dem Bergwerksbetrieb dienenden Vorrichtungen wurden durch Gesetz vom 26. Februar 1876 in die Bestimmung einbezogen (RGBl. S. 25, 33). Durch Art. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des StGB vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839, 841) wurde die Störung des Fahrwassers in schiffbaren Strömen, Flüssen oder Kanälen als Tatbestandsvariante gestrichen. Durch Art. 4, 5 des 1. S t r R G vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 657) sind die ursprünglichen Strafdrohungen — Gefängnis u n d Zuchthausstrafe — in Freiheitsstrafe übergeleitet worden. Art. 19 Nr. 180, 207 E G S t G B 1974 brachte Fassungsänderungen ohne sachliche Veränderung. Die heutige Numerierung der Vorschrift geht auf Art. 1 Nr. 9 des 18. S t R Ä n d G vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373, 374) zurück. I. § 318 bedroht mit Strafe Beschädigungen von 1. Wasserbauten, von denen 1 Wasserleitungen, Schleusen, Wehre, Deiche u n d D ä m m e beispielhaft aufgezählt sind, 2. Schutzwehren, 3. Brücken, Fähren und Wegen u n d schließlich 4. bestimmten Einrichtungen des Bergwerkbetriebs. Damit faßt die Vorschrift verschiedene G r u n d gedanken z u s a m m e n : Z u m einen sollen Anlagen geschützt werden, die dazu dienen, dem Menschen das in der Natur v o r h a n d e n e Wasser nutzbar zu m a c h e n ; weiter Anlagen, die vor der Naturgewalt Wasser schützen sollen — wobei den Wasserbauten vielfach D o p p e l f u n k t i o n z u k o m m e n wird, nämlich Schutz und N u t z b a r m a c h u n g —; daneben ist der Schutz von Anlagen, die bestimmte Betriebsgefahren abwehren sollen, bezweckt; u n d schließlich der Schutz von Verkehrsanlagen. Der Gesetzgeber hat also u . a . mit § 318 eine besondere Strafvorschrift zum Schutz wichtiger Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge geschaffen (BGH N J W 1983 1437; auf den Schutz der gefährdeten Menschen stellt ζ. B. ab Horn SK Rdn. 2). Im Ε 1962 ist, wie bereits bei vorangegangenen Entwürfen, eine Aufteilung dieser verschiedenen Schutzzwekke auf mehrere Vorschriften bei gleichzeitiger A u s d e h n u n g u n d Verallgemeinerung vorgesehen gewesen (vgl. §§ 333, 334, 342 ff - BTDrucks. IV/650 S. 65, 67, 509 ff, 520 ff). Soweit es den Schutz von Verkehrsanlagen betrifft, ist die Reformabsicht durch das 2. StraßenverkehrssicherungsG vom 26. N o v e m b e r 1964(BGB1.1 S. 921) in die Tat umgesetzt worden. Da § 318 unverändert geblieben ist, bestehen hinsichtlich der Verkehrsanlagen gewisse Überschneidungen mit § 315 b (vgl. Rdn. 5). 1. Wasserbauten sind Bauwerke, die der Regulierung, Speicherung, Leitung oder 2 A b d ä m m u n g von Wasser dienen. Die Eigentumslage ist ohne Bedeutung. Das Gesetz selbst führt die Hauptbeispiele auf 1 . Die Wasserbauten k ö n n e n das Grundwasser, Flüsse, Seen oder das Meer betreffen. Es fallen offene oder gedeckte Kanäle darunter, gleichgültig, ob sie Trink-, Brauch- oder Abwasser f ü h r e n ; auch Kanäle, die der Schiffahrt dienen. — Der Begriff Wasserleitung schließt dem Sprachgebrauch nach Rohrleitungen ein, die Häusern Nutzwasser z u f ü h r e n , wenn auch der u m f a s s e n d e Begriff Wasserbauten dies vielleicht nicht nahelegt. Die Frage ist streitig. Frank (Anm. I 1) u n d Olshausen (Anm. 3 a) beziehen Wasserleitungen lediglich auf offene oder geschlossene Kanäle. Doch ist diese Einschränkung von dem Sinn der Bestimmung her, u . a . Wasserversorgungsanlagen zu schützen, nicht gerechtfertigt 2 . Die 1

(9)

Vgl. auch R G G A 51 [1904] 406; ob ein an einer Brücke für Arbeiten angebrachtes Gerüst als Wasserbau angesehen werden kann, erscheint allerdings sehr zweifelhaft.

Vgl. auch Dreher/Trondle Rdn. 3; Lackner Rdn. I; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 2; Sack Umweltschutz-Strafrecht § 318 StG Β Rdn. 2.

Hagen Wolff

§318

27. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

Wasserleitungen in den einzelnen Häusern einzubeziehen besteht allerdings kein Bedürfnis. — Der Schutz vor dem Wasser steht bei dem Begriff Schutzwehre im Vordergrund. 3

2. Brücken, Fähren und Wege. Zum Begriff der Brücke vergleiche § 305 Rdn. 6. Es gehören auch Schiffsbrücken dazu (Olshausen Anm. 3 b unter Hinweis auf eine — soweit ersichtlich — nicht veröffentlichte RG-Entscheidung). — Unter Fähre ist nicht nur das Fährschiff, sondern sind auch die an Land befindlichen Anlagen wie Landungsbrücken oder die Verankerung des Fährseils zu verstehen. — Der Begriff Weg umfaßt Wege jeder Art (RGSt. 28 117, 119), auch Notwege (RGSt. 27 363, 364) oder sonstige rein tatsächlich entstandene Wege wie ζ. B. einen über die Eisdecke eines Flusses führenden Weg (BayKassH GA 24 [1876] 644). Es kommt also weder auf die Erstellung eines Bauwerks wie bei § 305 noch auf eine Widmung an. Es macht auch keinen Unterschied, ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Weg handelt (RGSt. 20 393, 395). Danach kann derjenige gegen § 318 verstoßen, der zur Sperrung eines auf seinem Grund und Boden verlaufenden Privatweges Dritten gegenüber befugt ist, wenn er den Weg durch Beschädigungen sperrt, die Gefahr für das Leben oder die Gesundheit anderer herbeiführen (RGSt. 27 363), oder den Weg mit der Folge einer solchen Gefahr beschädigt, ohne ihn zu sperren. Zur Absperrung genügt nicht das Aufstellen von Warntafeln, denn auch ein verbotener Weg bleibt ein Weg, der von Dritten tatsächlich benutzt werden kann.

4

3. Zum Begriff des Bergwerksbetriebs vergleiche zunächst § 308 Rdn. 6. § 318 erfaßt allerdings nur dem Bergbau dienende Vorrichtungen zur Wasserhaltung, zur Wetterführung, also zur Frischluftzufuhr und zur Abluftableitung, und zum Ein- und Ausfahren der Arbeiter. Auch hier spielt keine Rolle, wem die Betriebsvorrichtungen gehören (RG Rspr. 4 692, 693).

5

II. Die Tathandlung besteht im Beschädigen oder Zerstören. Über diese Begriffe siehe zunächst § 303 Rdn. 5 ff. Dabei ist, vom Sinn der Vorschrift her gesehen, im Rahmen des § 318 für die Beantwortung der Frage, ob eine Beschädigung oder Zerstörung vorliegt, wie bei der Sachbeschädigung auf die Beeinträchtigung oder Aufhebung der bestimmungsmäßigen Funktion der einzelnen Gegenstände abzustellen (die Vergleichbarkeit mit den gleichlautenden Begriffen in § 303 ist verneint in BGHSt. 29 129, 133). Danach bedeutet das Anbringen außergewöhnlicher und besonders gefährlicher Hindernisse auf Wegen, die dadurch für den gesamten Verkehr oder für besondere Arten des Verkehrs unbrauchbar werden, eine Zerstörung oder Beschädigung im Sinne des § 318 3 . Es besteht kein Anhalt, daß § 318 durch § 315 b Abs. 1 Nr. 2 eingeschränkt worden ist (aA Horn SK Rdn. 5; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 5; wohl auch Μaurach/Schroeder/Maiwald BT § 57 V). Die neuere Judikatur wendet allerdings, soweit zu sehen, letztere Vorschrift allein an (vgl. die bei Rüth LK 10. Aufl. § 315 b Rdn. 20 zitierte Rechtsprechung). Demgegenüber erfüllt das bestimmungsmäßige Bedienen von Wasserbauten, das eine Überschwemmung zur Folge hat, den Tatbestand nicht (vgl. BGH Z. f. Wasserrecht 1994 15).

3

Z . B . R G S t . 74 13; R G H R R 1940 Nr. 1216; in R G J W 1936 456 wird §321 (jetzt § 318) j e d o c h bei vergleichbarem Sachverhalt nicht e r w ä h n t ; vgl. auch

B a y O b L G N Z V 1994 116; wie hier Dreher/Trönd/ e R d n . 1; Kohlrausch/Lange A n m . II.

S t a n d : 1. 10. 1995

(10)

Beschädigung wichtiger Anlagen

§318

III. Folge der Beschädigung oder Zerstörung eines der erfaßten Tatobjekte m u ß 6 eine Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer sein (vgl. zu dem nötigen G r a d der Gefahr z. B. § 311 Rdn. 5). § 318 ist ebenfalls konkretes Gefährdungsdelikt. Eine gemeine G e f a h r ist nicht gefordert. Aus dem Wortlaut ist nicht zu schließen, d a ß stets mehrere Personen gefährdet sein müssen, vielmehr genügt die G e f a h r für eine einzelne Person 4 . IV. Der Vorsatz des Täters m u ß sich auf die Beschädigung oder Zerstörung einer 7 wichtigen Anlage, aber auch darauf erstrecken, d a ß die H a n d l u n g eine G e f a h r f ü r Leib oder Gesundheit anderer herbeiführt 5 . Bedingter Vorsatz genügt. Die fahrlässige Tat ist in § 320 unter Strafe gestellt (vgl. dort). V. Der Versuch ist bei dem Vergehen nach Absatz 1 der Vorschrift nicht mit Strafe 8 bedroht. Doch kann Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung in Betracht k o m m e n ( R G Rspr. 4 692). VI. Absatz 2 sieht erhöhte S t r a f r a h m e n f ü r den Fall vor, d a ß durch eine H a n d - 9 lung nach Absatz 1 eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 224 oder der Tod eines Menschen verursacht worden ist. N a c h § 18 m u ß dieser Erfolg vom Täter mindestens fahrlässig herbeigeführt worden sein. VII. Konkurrenzen. Tateinheit ist namentlich möglich mit § 211; § 212; §§ 223 ff 1 0 ( R G S t . 7 4 13, 15); § 304 u n d § 305 ; § 3 1 2 ; § 3 1 5 ; § 3 1 5 b ; § 3 1 6 a ; § 3 2 4 . Gesetzeseinheit liegt vor im Verhältnis zu §§ 222 u n d 230 sowie § 303 ( R G Rspr. 4 692, 693; aA Horn SK Rdn. 10); diese Vorschriften treten zurück. VIII. Früher k o n n t e im Falle des § 321 a. F. nach § 325 a. F. auf Polizeiaufsicht er- 11 kannt werden. Nach der derzeitigen Fassung des § 321, die auf Art. 19 Nr. 182 E G S t G B 1974 zurückgeht, ist die Möglichkeit von Führungsaufsicht f ü r § 318 nicht vorgesehen. IX. Recht des Einigungsvertrages. § 318 gilt seit dem Wirksam werden der Beitritts- 1 2 erklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern u n d in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u n d II sowie Abschnitt III Nr. I) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen f ü r fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u n d II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, f ü r die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag). In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Straf- 1 3 rechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am l. Juli 1990 (GBl. I S. 526), geändert worden. Davor, ab dem l. Juli 1989, galt das Strafgesetzbuch der D D R in der Fassung vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). In beiden Gesetzen 4

(Π)

RGSt. 74 13, 15; Dreher/Trondle R d n . 6; Horn SK R d n . 6; Sch/Schröder/Cramer Rdn. 6; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 57 V; aA Olshausen A n m . 7.

RGSt. 35 53; R G H R R 1940 Nr. 1216; Dreher/ Trondle R d n . 7; Frank A n m . II; Horn SK R d n . 8; Lackner R d n . 3; Sch/Schröder/Cramer R d n . 7; a. M. Olshausen A n m . 8.

Hagen Wolff

§ 3 1 9

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

war ein dem § 318 unmittelbar entsprechender Straftatbestand nicht enthalten. Fälle von Beschädigung wichtiger Anlagen im Sinne des § 318 konnten deshalb nur durch Straftatbestände des 5. Kapitels des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches der D D R — Straftaten gegen das Eigentum und die Wirtschaft oder Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft —, des 6. Kapitels — Straftaten gegen das persönliche und private Eigentum — und des 7. Kapitels — Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit — erfaßt werden. Dazu sei ergänzend auf § 303 Rdn. 24, § 306 Rdn. 20 und § 312 Rdn. 11 verwiesen. Daneben wird für in der Deutschen Demokratischen Republik begangene Taten von Beschädigung wichtiger Anlagen auf Art. 315 bis 315 b EGStGB hingewiesen.

§ 3 1 9

Gemeingefährliche Vergiftung Wer Brunnen- oder Wasserbehälter, welche zum Gebrauch anderer dienen, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, vergiftet oder denselben Stoffe beimischt, von denen ihm bekannt ist, daß sie die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet sind, desgleichen wer solche vergifteten oder mit gefährlichen Stoffen vermischten Sachen mit Verschweigung dieser Eigenschaft verkauft, feilhält oder sonst in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Schrifttum Geerds W a r e n f ä l s c h u n g — Sammelbezeichnung oder einheitliche Wirtschaftsstraftat? ZStW 74 (1962) 245; Geerds Herstellen u n d Absatz gesundheitsgefährdender Ver- u n d Gebrauchsgüter (§§319, 320 StGB), Tröndle-Festschrift S. 241; Gretenkordt Herstellen u n d Inverkehrbringen gesundheitsgefährlicher Verbrauchs- u n d Gebrauchsgüter, Diss. Bochum 1993; Hilgendorf Strafrechtliche P r o d u z e n t e n h a f t u n g in der „Risikogesellschaft" (1993); Horn Strafrechtliche H a f t u n g f ü r die Produktion von und den Handel mit vergifteten G e g e n s t ä n d e n , N J W 1986 153; Η oyer Die Eignungsdelikte (1987); Kitzinger Die gemeingefährliche Vergiftung und die G e f ä h r d u n g der G e s u n d h e i t durch schädliche Nahrungsmittel, Gebrauchs- u n d Verbrauchsgegenstände, V D B IX S. 119; Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen P r o d u k t h a f t u n g (1989); Landry Inverkehrbringen u n d Herstellen gesundheitsschädlicher G e g e n s t ä n d e (§§ 324, 326 StGB, 3 und 11 LMG). Eine strafr. u n d kriminol. Unters, unter bes. Berücks. der Verfahren im OLG-Bezirk Schleswig-Holstein i. d. Jahren 1962—1964, Diss. Kiel 1966; Ohm Der Giftbegriff im Umweltstrafrecht (1985). - Niederschriften V S. 45, 229, 293 f; VIII S. 417, 643 f f ; IX S. 275f, 2 9 8 f , 4 2 0 f , 4 3 0 f f , 552ff, 5 6 0 f f ; X I I S. 6 2 0 f f ; X I I I S. 768, 771.

Entstehungsgeschichte Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich sah von Anfang an, zunächst als § 324, eine dem jetzigen § 319 weitgehend gleichlautende Strafbestimmung vor, die bereits seinerzeit Verbrechen war (RGBl. 1871 S. 127, 1890· Durch Art. 4 und 5 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) wurde die Zuchthausstrafe in Freiheitsstrafe übergeleitet. Art. 19 Nr. 181, 207 EGStGB 1974 brachte Fassungsänderungen ohne sachliche Änderung. Durch Art. 1 Nr. 10 des 18. S t R Ä n d G vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373) ist die Numerierung der Vorschrift von § 324 in § 319 umgewandelt worden. Im Ε 1962 war vorgesehen, das Delikt der gemeingefährlichen Vergiftung in S t a n d : 1. 10. 1995

(12)

Gemeingefährliche Vergiftung

§319

die beiden Straftatbestände der Brunnenvergiftung (§ 329) u n d der Vergiftung von Lebensmitteln, Arzneimitteln u n d Bedarfsgegenständen (§ 330) aufzulösen u n d in konkrete Gefährdungsdelikte umzugestalten; in § 340 sollte u. a. die fahrlässige Begehung von § 329 unter Strafe gestellt werden. Damit sollte eine A u s d e h n u n g des Strafschutzes verbunden werden (vgl. BTDrucks. IV/650 S. 1, 64, 66, 496, 506 ff, 517 ΟΙ. § 319 faßt verschiedene Tatbestände z u s a m m e n , mit deren Verwirklichung Ge- 1 fahr f ü r die Allgemeinheit verbunden ist: 1. die Vergiftung von Brunnen oder Wasserbehältern; 2. das Vergiften von Gegenständen, welche zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind u n d 3. das Inverkehrbringen der unter 2. bezeichneten Gegenstände 1 . Die Gemeingefährlichkeit ist lediglich Motiv des Gesetzgebers geblieben u n d nicht Tatbestandsmerkmal geworden, wobei bei der Brunnenvergiftung dieses Motiv noch nicht einmal konsequent umgesetzt ist. § 319 ist also ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Auf eine tatsächliche G e f ä h r d u n g von Personen k o m m t es nicht an. Die praktische Bedeutung der Bestimmung ist gering (dagegen Horn N J W 1986 153). Meist werden die spezielleren Strafvorschriften des Nebenstrafrechts wie des Gesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln u n d sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- u n d Bedarfsgegenständegesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juli 1993 (BGBl. I S. 1169), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. N o v e m b e r 1994 (BGBl. I S. 3538), u n d des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445) in der Fassung der B e k a n n t m a c h u n g vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3018) herangezogen (vgl. insbes. Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 249 ff mit Nachweisen); oder es wird bei eingetretenen Schäden allein aus den Verletzungsdelikten bestraft 2 . II. Tatobjekte sind:

2

1. Brunnen oder Wasserbehälter, die zum G e b r a u c h anderer dienen. Der Bindestrich hinter Brunnen, der trotz Ä n d e r u n g e n in der Fassung der Vorschrift erhalten geblieben ist, beruht sicherlich auf einem Redaktionsversehen; es sind offensichtlich nicht Brunnenbehälter, sondern Brunnen gemeint. § 319 stimmt weitgehend mit § 304 pr. StGB überein. In dieser Vorschrift war der Ausdruck Brunnen gebraucht. — G r u n d g e d a n k e des Tatbestandes ist, d a ß Wasser, das in besonderen Vorrichtungen aufgefangen ist, um einwandfreie Beschaffenheit zum G e b r a u c h f ü r Menschen sicherzustellen, geschützt werden soll. Doch ist dieser Schutzgedanke nicht umfassend verwirklicht; so ist weder das Wasser in Trinkwassertalsperren noch in Leitungen in den Schutzbereich einbezogen. Auf fließendes Wasser bezieht sich die Bestimmung ebenfalls nicht, insoweit ist auf §§ 324, 330 a zurückzugreifen; wohl aber auf gefaßte Quellen ( D r e h e r / T r ö n d l e R d n . 2; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 242 Anm. 11).— Der G e b r a u c h durch a n d e r e bedeutet menschlichen Gebrauch. Dazu gehört nicht 1

:

(13)

Wie hier: Otto BT S. 430; « / / g i W o r / S t r a f r e c h t l i che P r o d u z e n t e n h a f t u n g S. 165. Eine Zweiteilung nehmen vor: Dreher/Trondle Rdn. 1; Frank A n m . I; Horn SK R d n . 2 f f u. N J W 1986 153: Lackner R d n . 2 u. 4 ; Sch/Schrdder/Cramer R d n . 1; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 245. Vgl. auch Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen P r o d u k t h a f t u n g S. 152. So ist in BGHSt. 37 106 — Lederspray-Entscheid u n g — § 319 nicht e r w ä h n t ; dazu auch Kuhlen

S t r a f h a f t u n g bei unterlassenem Rückruf gesundheitsgefährdender Produkte, N S t Z 1990 566; Hilgendorf Strafrechtliche Produzentenhaftung S. 164ff. Gleiches gilt f ü r d a s Urteil des B G H v. 2. Aug. 1995 - 2 StR 2 2 1 / 9 4 - ( N J W 1995 2930, zur Veröffentlichung in B G H S t . vorgesehen) — Holzschutzmittelfall. Als weiteren Beleg d a f ü r siehe Schmidt-Saher P r o d u k t h a f t u n g Bd. I Strafrecht 2. Aufl. (1988), der § 319 nicht anspricht.

Hagen Wolff

§319

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

nur Trink-, sondern auch Wasch- u n d Badewasser. Wasserbehälter zum Viehtränken sowie f ü r gewerbliche oder feuerpolizeiliche Zwecke fallen nicht unter die Vorschrift 3 . — Es ist nicht erforderlich, d a ß der Brunnen oder Wasserbehälter zum öffentlichen G e b r a u c h bestimmt ist; Privatgebrauch genügt, so d a ß auch der Eigentümer Täter sein k a n n , solange er nicht der einzige Benutzer ist. Ebensowenig ist es nötig, d a ß die anderen der Zahl oder Individualität nach unbestimmt sind. 3

2. Gegenstände, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt, also vom Täter oder einem Dritten d a f ü r vorgesehen sind. Dabei ist Verkauf als Veräußerung gegen Entgelt, Verbrauch als Verzehr oder A u f b r a u c h e n zu verstehen. Für öffentlichen Verkauf im Sinne des § 319 ist nicht ein Verkauf an ζ. B. öffentlichen Orten oder in öffentlicher Versteigerung wesentlich, vielmehr ein Verkauf an das allgemeine Publikum. Das Merkmal liegt nicht nur vor, wenn die Ware einer unbestimmten Mehrheit von Personen zum Kauf zugänglich gemacht werden soll, sondern auch d a n n , wenn sie an eine bestimmte Person zum Zwecke der Weiterveräußerung an das Publikum abgegeben werden soll (vgl. auch B G H N S t Z 1987 514). Dabei ist ohne Bedeutung, ob die Weiterveräußerung erst nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung stattfinden soll. Um welche Art Gegenstände es sich handelt, ist gleichgültig. In Betracht k o m m e n nicht nur die zum Verbrauch geeigneten Dinge, sondern ζ. B. auch Kleidungsstücke, Spielsachen, Farben, Tapeten.

4

Dem öffentlichen Verbrauch dienen Gegenstände, die zum Verbrauch durch einen unbestimmten Personenkreis bestimmt sind ( D r e h e r / T r ö n d l e R d n . 3; Frank Anm. I 2; Horn SK R d n . 8). Zu diesen Gegenständen gehören Nahrungs- u n d Genußmittel, Arzneien, aber auch ζ. B. Seife oder Waschmittel. Jedoch genügt es nicht, d a ß Gegenstände durch eine ihrem Zweck entsprechende Verwendung abgenutzt werden. — Die besondere H e r v o r h e b u n g der Gegenstände des öffentlichen Verbrauchs neben denjenigen des öffentlichen Verkaufs hat praktische Bedeutung für den Fall, d a ß ζ. B. Nahrungs- u n d Genußmittel in Gaststätten oder dergleichen oder bei Werbeveranstaltungen dem Publikum unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.

5

III. 1. Die Tathandlung besteht zum einen im Vergiften oder in dem Beimischen von Stoffen, die die menschliche Gesundheit zu zerstören geeignet sind. Bei beiden Merkmalen bietet § 229 eine Parallele; das Gesetz verwendet dort dieselben Worte, sie unterliegen im R a h m e n des § 319 auch keiner grundsätzlich anderen Auslegung (Bedenken gegen die Gleichstellung bei Geerds Tröndle-Festschrift S. 241,244 f). Dabei m u ß auch Gift zur Gesundheitszerstörung geeignet sein. Die Eignung zur Gesundheitszerstörung m u ß , soll der Tatbestand ausgefüllt sein, feststehen (Horn SK Rdn. 10). Ein derartiges Vergiften k a n n Teilakt einer Erpressung sein (vgl. B G H N S t Z 1994 187).

6

Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der durch im menschlichen K ö r p e r ausgelöste chemische oder chemisch-physikalische Reaktionen die G e s u n d heit zu zerstören vermag. D a n e b e n k o m m e n auch entsprechende Reaktionen auf der K ö r p e r o b e r f l ä c h e in Betracht (vgl. BGHSt. 32 132 = N S t Z 1984 165 mit krit. Anm. Bottke\ einschränkend z.B. auch Hirsch LK 10. Aufl. § 229 R d n . 13; dort weitere Nachweise). Die Eignung hängt von der Wirkungsweise des Stoffes, seiner Dosis, der 3

Dreher/Tröndle R d n . 2; Frank A n m . I 1; Horn SK R d n . 5; Lackner R d n . 2; Sack UmweltschutzStrafrecht § 319 S t G B R d n . 2; Sch/Schröder/Cra-

mer Rdn. 3; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 242 A n m . 12; weitergehend Olshausen A n m . 3 a.

S t a n d : 1. 10. 1995

(14)

§319

Gemeingefährliche Vergiftung 4

Anwendungsweise u n d der menschlichen Konstitution ab . Dabei ist im R a h m e n des § 319 zu beachten, d a ß der Benutzer-, Käufer- oder Verbraucherkreis im Zeitpunkt der Deliktsverwirklichung noch nicht individualisiert ist 5 . Eine Gesundheitszerstörung verlangt den nicht lediglich vorübergehenden Ausfall wesentlicher Körperf u n k t i o n e n (s. auch Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen P r o d u k t h a f t u n g S. 164f)· Vergleiche ergänzend Hirsch LK 10. Aufl. § 229 Rdn. 5 ff mit weiteren Nachweisen, der jedoch die Eignung zur Gesundheitszerstörung enger abgrenzt (ebenso Horn N J W 1986 153, 154). Vergiftet ist das Wasser eines Brunnens oder ein Gegenstand d a n n , wenn es oder er geeignet ist, die Gesundheit zu zerstören (RGSt. 67 360, 361; vgl. auch R G J W 1930 3403). Das Vergiften kann auch durch Unterlassen geschehen (vgl. B G H LM StGB § 326 Nr. 1; Bedenken bei Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 246); was insbesondere bei Fällen in Betracht k o m m t , in denen Giftstoffe mangelhaft aufbewahrt werden u n d deshalb in Nahrungsmittel geraten (vgl. RGSt. 21 76). Zur Gesundheitszerstörung geeignete Stoffe sind solche, die wesentliche körperli- 7 che Funktionen auf mechanischem oder thermischem Wege auszuschalten in der Lage sind. Vergleiche auch insoweit ergänzend Hirsch LK 10. Aufl. § 229 Rdn. 5 ff. Bei dem Beimischen von Stoffen, welche die menschliche Gesundheit zerstören können, oder, gleichbedeutend, von gefährlichen Stoffen, k o m m t es nicht darauf an, in welchem Verhältnis ein an sich harmloser Stoff mit einem gefährlichen Stoff vermischt wird, noch welches der G r u n d s t o f f ist, noch ob die Vermischung von vornherein oder erst nachträglich geschieht (RGSt 67 360, 362). Das Beimischen setzt nicht etwa voraus, d a ß der Täter die Stoffe selbst z u s a m m e n f ü g t oder den gefährlichen Stoff selbst in einen Brunnen oder Wasserbehälter einleitet. So mischt auch derjenige gefährliche Stoffe bei, der durch Ablassen von Fäkalien im G e l ä n d e bewirkt, d a ß die Jauche in Trinkwasserquellen und über diese in einen der Trinkwasserversorgung dienenden Hochbehälter mit der Folge von Typhuserkrankungen bei Wasserbenutzern eindringt ( B G H , Urt. v. 11. Juli 1957 — 4 StR 569/56). Vergleiche die ähnlichen Fälle R G Rspr. 8 750 u n d B G H N J W 1966 1570 sowie B a y O b L G N J W 1995 540. Die Beispielsfälle zeigen zugleich, d a ß gefährliche Stoffe im Sinne des § 319 neben anorganischen Substanzen auch Bakterien oder andere krankheitserregende Mikroorganismen sein können. In jedem Falle ist es erforderlich, d a ß die Gegenstände bei bestimmungsgemäßer 8 Verwendung ihre Giftwirkung oder ihre G e f a h r für die menschliche Gesundheit entfalten 6 , weil bei bestimmungswidrigem Ge- oder Verbrauch fast jeder Gegenstand gesundheitszerstörend wirken kann. Die allgemeine Gesundheit wird durch § 319 also nur gegen im Vergleich zur normalen, vorausgesetzten Beschaffenheit künstlich herbeigeführte, gesundheitsgefährdende Veränderungen von Gegenständen geschützt. Diese Einschränkung hat insbesondere für Arzneimittel Bedeutung. Bei die-

4

5

(15)

Z u r — zunächst verneinten — E i g n u n g von bestimmten Holzschutzmitteln zur Gesundheitszers t o r u n g s. L G F r a n k f u r t a. M . N S t Z 1990 592 u n d Z U R 1994 33 m . B e s p r . v o n Schuh Z U R 1994 2 6 : s o w i e n e u e s t e n s B G H , U r t . v. 2. A u g . 1995 — 2 S t R 2 2 1 / 9 4 - N J W 1995 2 9 3 0 , z u r V e r ö f f e n t l i c h u n g in B G H S t . v o r g e s e h e n . Vgl. a u ß e r d e m Bollke/Maver Krankmachende Bauprodukte Z f B R 1991 183, 2 3 3 : Kulimann Aktuelle Rechtsf r a g e n z u r P r o d u k t h a f t u n g bei B a u s t o f f e n B a u R 1993 153. Vgl. a u c h Arzt/Weber

II R d n . 2 3 1 ; Horn

1986 153, 1 5 4 f ; Höver Die Eignungsdelikte S. 160 f f , Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen P r o d u k t h a f t u n g S. 158 f f : Ohm D e r G i f t b e g r i f f im U m w e l t s t r a f r e c h t S. 11 ff. 6

R G S t . 67 360, 3 6 1 ; vgl. a u c h R G S t . 2 177; Frank A n m . I ; Hilgendorf Strafrechtliche Produzentenh a f t u n g S. 166; Horn S K R d n . 9 ; Lackner R d n . 3 ; Horn N J W 1986 153, 1 5 4 f ; Ohm D e r G i f t b e g r i f f im U m w e l t s t r a f r e c h t S. 13 f f ; e i n s c h r ä n k e n d Kuhlen F r a g e n e i n e r s t r a f r e c h t l i c h e n P r o d u k t h a f t u n g S. 160.

NJW

Hagen Wolff

§319

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

sen sind auch Giftbeimengungen nicht tatbestandsmäßig, die um ihrer Heilwirkung erfolgt sind. — Die bloße Verunreinigung erfüllt den Tatbestand nicht (RG JW 1930 3403). 9

2. Bei der anderen Alternative besteht die Handlung im Verkaufen, Feilhalten oder sonstigem Inverkehrbringen von im Sinne der vorstehenden Ausführungen vergifteten oder mit gefährlichen Stoffen vermischten Sachen unter Verschweigen ihrer gefahrbringenden Eigenschaft. Der Begriff Inverkehrbringen, der den Oberbegriff zu Verkaufen und Feilhalten bildet (RGSt. 3 119, 122; aA Horn SK Rdn. 18), ist in verschiedenen Gesetzen verwendet. So definiert § 7 Abs. 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz das Inverkehrbringen als: das Anbieten, Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, Feilhalten und jedes Abgeben an andere (vgl. auch die ähnliche Begriffsbestimmung in § 4 Abs. 17 Arzneimittelgesetz). Doch geht die Einbeziehung des Anbietens und des Vorrätighaltens zum Verkauf im Rahmen des § 319, bedenkt man den Strafrahmen, zu weit (für Vorrätighalten zum Absatz ebenso Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 261 Anm. 75). Danach ist Inverkehrbringen für den § 319 zu bestimmen als — unter Einschluß des Feilhaltens — jede Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt auf einen anderen, so daß dieser mit dem Gegenstand nach Belieben verfahren kann. Auch Verschenken bedeutet somit ein Inverkehrbringen (RGSt. 3119). Das Anbieten oder Vorrätighalten vergifteter oder mit gefährlichen Stoffen vermischter Sachen kann Versuch des Inverkehrbringens sein (vgl. auch Horn SK Rdn. 27, 30 u. NJW 1986 153,156); Versuch ist, da es sich bei dem Delikt um ein Verbrechen handelt, strafbar. Vergleiche ergänzend zum Begriff des Inverkehrbringens allgemein Horn NJW 1977 2329. — Verkaufen bedeutet nicht den Abschluß des Kaufvertrags, sondern ist als Veräußerung zu verstehen (BayObLG J W 1930 1603; a. M. Horn SK Rdn. 28 u. NJW 1986 153, 156). - Feilhalten ist das äußerlich als solches erkennbare Bereitstellen zum Zwecke des Verkaufs an das Publikum; neben dem darin liegenden objektiven Moment ist als subjektives Moment die Verkaufsabsicht, zu fordern 7 . Das bloße Ankündigen genügt nicht (BayObLG JW 1930 1603; KGJ 42 C 426).

10

In Verkehr gebracht werden müssen im behandelten Sinne vergiftete oder mit gefährlichen Stoffen vermischte Sachen. Damit fallen alle Sachen heraus, die nicht durch menschliche Tätigkeit, sondern ζ. B. durch inneren Verderb oder Bakterienoder Virenbefall vergiftet sind 8 ; so läßt sich Verkauf von trichinenverseuchtem Fleisch nicht mit § 319 erfassen (vgl. RGSt. 6 121); ebensowenig der Vertrieb von verdorbenen Backwaren (vgl. BGH NStE § 223 Nr. 5). Gifte scheiden ebenfalls aus 9 . Die Vergiftung pp. braucht nicht notwendig rechtswidrig geschehen zu sein (Beispiel: mit Rattengift getränktes Getreide wird als Brotgetreide verkauft; vgl. auch NStZ 1994 37).

11

Schließlich ist notwendig, daß der Täter die gefährliche Eigenschaft der Sache verschweigt, also nicht für klare, sachgerechte Unterrichtung seines Abnehmers sorgt 7

R G S t . 4 274, 275; Dreher/Tmndle R d n . 6; Horn SK R d n . 19; Lackner R d n . 5; offengelassen in BGHSt. 23 286, wobei der Bundesgerichtshof in dieser E n t s c h e i d u n g der A u f f a s s u n g zuneigt, d a ß billigendes I n k a u f n e h m e n oder fahrlässiges Geschehenlassen des Verkaufs durch a n d e r e ausreicht.

8

9

Dreher/Tröndle R d n . 5; Lackner R d n . 4; Ηilgendorf Strafrechtliche P r o d u z e n t e n h a f t u n g S. 168; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 245 f; aA Horn SK R d n . 18. Dreher/Trondle R d n . 5; Horn SK R d n . 18; aA Olshausen A n m . 2; offengelassen in RGSt. 67 3 6 0 , 3 6 1 ; vgl. auch B G H N S t Z 1987 514.

Stand: 1. 10. 1995

(16)

Gemeingefährliche Vergiftung

§319

(vgl. auch Horn N J W 1986 153, 156 f). Macht er diesem von der Gefährlichkeit des Gegenstandes Mitteilung, entfällt der Tatbestand des § 319 10 . IV. Der innere Tatbestand erfordert Vorsatz. Bedingter Vorsatz genügt (allgem. 12 Meinung); und zwar auch, soweit das Wissen um die gefährlichen Eigenschaften der in Verkehr gebrachten Sachen in Frage steht (vgl. RGSt. 16 191, 192). Das in der ursprünglichen Fassung der Vorschrift in diesem Zusammenhang verwendete „wissentlich", das es zweifelhaft machte, ob insoweit bedingter Vorsatz ausreichte, ist durch Art. 19 Nr. 181 E G S t G B 1974 gestrichen worden. — Das fahrlässige Delikt ist in § 320 unter Strafe gestellt. V. Rechtfertigung. Die allgemeinen Rechtfertigungsgründe dürften kaum je prak- 13 tisch werden. Auch eine Rechtfertigung durch Verlautbarungen von Verwaltungsbehörden über die Ungefährlichkeit von zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmten oder in den Verkehr gebrachten Gegenständen im Sinne des § 319 scheidet aus. Selbst einer verwaltungsrechtlichen Genehmigung oder Erlaubnis ζ. B. zur Einleitung giftiger Stoffe im Einzugsbereich eines d a n n dadurch vergifteten Brunnens oder zur Produktion oder zum Inverkehrbringen von mit gefährlichen Stoffen versetzten Gegenständen in Verkennung ihrer Gefährlichkeit wird rechtfertigende Wirkung nicht beigemessen werden können. Zunächst werden derartige Genehmigungen oder Erlaubnisse nur ausnahmsweise Gesundheitsgefahren für die Allgemeinheit in ihren Regelungsbereich einschließen. Aber auch wenn dies der Fall sein sollte, läßt sich daraus kein wirksamer Rechtfertigungsgrund ableiten. Denn die menschliche Gesundheit steht nicht zur Disposition von Verwaltungsbehörden; diese können nicht schwerwiegende Eingriffe in die menschliche Gesundheit e r l a u b e n " . Auch § 3 1 9 schützt die menschliche Gesundheit; ist der Tatbestand ausgefüllt, ist damit eine ernste Gefahr für die Gesundheit eines unbestimmten Personenkreises verbunden. Eine derartige Gefahr kann aber eine Verwaltungsbehörde nicht legitimieren. Ob es für dieses Ergebnis des Gedankens des Mißbrauchs von Genehmigung oder Erlaubnis bedarf (so speziell zu § 319 Horn N J W 1986 153, 156), erscheint fraglich 1 2 . Es mögen allerdings Irrtumsfragen in Betracht kommen. VI. Qualifiziert ist der Tatbestand für den Fall, daß durch eine der in § 319 um- 14 schriebenen Tathandlungen in Auswirkung der dadurch geschaffenen Gefahrenquelle mindestens fahrlässig (§ 18) der Tod eines Menschen verursacht wird. VII. Die nach der früheren Fassung des § 325 mögliche Polizeiaufsicht ist auch in 15 der Form der an deren Stelle getretenen Führungsaufsicht in § 321 n. F. für § 319 nicht mehr vorgesehen. — Zur Einziehung vgl. § 322. VII. Konkurrenzen. Zu den Körperverletzungs- und vorsätzlichen Tötungsdelik- 16 ten besteht Idealkonkurrenz; desgleichen zu § 229. § 222 tritt zurück. Tateinheit ist 10

11

(17)

RGSt. 6 121, 122; Dreher/Tröndle Rdn. 6; Horn Rdn. 18, 21, 24; Lackner Rdn. 5; Sack Umweltschutz-Strafrecht § 319 StGB Rdn. 4; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 246; Horn N J W 1986 153,156. Vgl. insbes. Dreher/Tröndle § 324 Rdn. 7 a. E.; Lackner § 324 Rdn. 13 u. § 330 a Rdn. 6; Sch/ Schröder/Lenckner vor §§ 32 ff Rdn. 62; Sch/

12

Schröder/Cramer § 330 a Rdn. 8; Sieindorf LK 10. Aufl. § 324 Rdn. 107 u. § 330a Rdn. 15 ff. Siehe auch O L G Celle NdsRpflege 1993 133. Zu behördlichen Genehmigungen pp. als Rechtfertigungsgrund allgemein vgl. ζ. B. Dreher/ Trondie vor § 324 Rdn. 4 b ff, § 324 Rdn. 7; Sch/ Schröder/Lenckner vor §§ 32 ff Rdn. 61 ff; Roxin AT I § 17 E; jeweils mit weiteren Nachweisen.

Hagen Wolff

§ 320

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

auch mit §§ 51, 52 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (s. Rdn. 1), §§ 95, 96 Arzneimittelgesetz (s. Rdn. 1), § 64 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2262), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1416), denkbar (aA — Spezialität von Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz und Arzneimittelgesetz — Horn SK Rdn. 31; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 56 III 1; vgl. auch Horn NJW 1986 153, 157). 17

IX. Recht des Einigungsvertrages. § 319 gilt seit dem Wirksam werden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern und in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I u. II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag).

18

In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990 (GBl. I 526), geändert worden. Davor — seit dem 1. Juli 1989 — galt das Strafgesetzbuch der D D R in der Fassung vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). Eine dem § 319 entsprechende Strafbestimmung war in beiden Gesetzen nicht enthalten. Ergänzend wird auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§ 320 Fahrlässige Gemeingefährdung Ist eine der in den §§ 318 und 319 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden, so ist, wenn durch die Handlung ein Schaden verursacht worden ist, auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder auf Geldstrafe und, wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, auf Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen. Schrifttum S. bei § 318 und § 319.

Entstehungsgeschichte § 326 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich drohte in dessen zunächst geltender Fassung für fahrlässige Handlungen u.a. nach §§ 321 und 324 — weitgehend den jetzigen §§ 318 und 319 — bei Verursachung eines Schadens Gefängnis bis zu einem Jahr und bei Verursachung des Todes eines Menschen Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren an (RGBl. 1871 S. 127, 190). Art. 1 Nr. 29 des 3. StRÄndG vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735, 737) beschränkte die Anwendbarkeit von § 326 auf die §§ 321 und 324; zudem wurde in Nr. 9 der Strafrahmen erweitert (S. 739). Durch Art. 4 und 5 Abs. 4 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 657) sind Stand: 1. 10. 1995

(18)

Fahrlässige Gemeingefährdung

§

320

die ursprünglichen Strafdrohungen in Freiheitsstrafe übergeleitet worden. Die derzeitige Fassung folgt aus Art. 11 ( M i n d e s t m a ß von einem M o n a t Freiheitsstrafe entfallen), 12 Abs. 1 (Geldstrafe hinzugetreten), 19 Nr. 207 (Überschrift) E G S t G B 1974. Durch Art. 1 Nr. 11 des 18. S t R Ä n d G vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373, 374) sind lediglich die N u m e r i e r u n g der Bestimmung (§ 320 statt § 326) u n d die Verweisung geändert worden. Vgl. ergänzend bei §§ 318, 319. I. In § 320 sind zwei verschiedene Straftaten (nach § 318 und § 319) zusammenge- 1 faßt. Gleichartig ist dabei nur die fahrlässige Begehung sowie die Verursachung eines Schadens. O h n e schädlichen Erfolg bleiben die H a n d l u n g e n straflos; er bildet eine Bedingung der Strafbarkeit (vgl. Rdn. 6). Dementsprechend müssen entweder die äußeren Merkmale des § 318 vorliegen oder die des § 319; u n d zwar einschließlich des Merkmals der G e f ä h r d u n g , soweit es zum gesetzlichen Tatbestand gehört (vgl. RGSt. 2 85, 87). II. Aus Fahrlässigkeit ist die T a t h a n d l u n g auch d a n n begangen, wenn der Täter 2 den Vorsatz hatte zu handeln, aber ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal — ζ. B. die Gefährlichkeit der beigemischten Stoffe im Falle des § 319' — vorwerfbar nicht k a n n t e (so bereits R G G A 59 [1912] 143, 144). Die Fahrlässigkeit m u ß sich also sowohl auf die Gefährlichkeit der Stoffe nach § 319 als auch auf die nach § 318 erforderliche G e f ä h r d u n g beziehen 2 . Ζ. B. handelt der Leiter eines Gesundheitsamts, dem die Beaufsichtigung eines Molkereibetriebs obliegt, fahrlässig, wenn ihm bekannt wird, d a ß in diesem Betrieb bakteriell verseuchtes Brunnenwasser verwendet wird, u n d er sich auf die A n g a b e des Molkereileiters verläßt, dieses Wasser k o m m e mit Nahrungsmitteln nicht in Berührung; er hat sich vielmehr durch eigene Ermittlungen davon zu überzeugen ( B G H LM StGB § 326 Nr. 1). III. Der Schaden im Sinne des § 320 stellt eine selbständige Tatsache dar, welche 3 zum objektiven Tatbestand des § 318 oder des § 319 h i n z u k o m m e n m u ß . Dabei ist nicht der in der Beschädigung oder Zerstörung von Wasserbauten usw. (§318) liegende Schaden gemeint, sondern ein d a r ü b e r hinausgehender Erfolg 3 . Sehr bestritten war u n d ist, in welchem Sinn der Begriff Schaden auszulegen ist. 4 Das Reichsgericht folgerte aus dem Wortlaut der Bestimmung, d a ß jede Art von Schaden, also auch Sachschaden u n d Vermögensschaden, genügt 4 . Z u m Teil wird a n g e n o m m e n , d a ß der Schaden in einer Verletzung derjenigen Rechtsgüter bestehen muß, auf deren G e f ä h r d u n g sich die Tatbestände der §§318,319 beziehen, wobei diese in der menschlichen Gesundheit gesehen werden 5 . Bei der P r ü f u n g dieser Frage ist davon auszugehen, d a ß der Ausdruck Schaden in 5 den einzelnen Vorschriften des StGB eine unterschiedliche Bedeutung haben kann. 1

3

J

(19)

B G H , Urt. v. 11. Juli 1957 - 4 StR 569/56 - unter Hinweis auf R G S t . 67 360,362. RGSt. 25 312; B G H N J W 1966 1570; Dreher/ Trondle R d n . 1; Horn SK R d n . 3, 4; Frank A n m . ; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241,249. R G S t . 2 85, 87; 8 218, 221; R G Rspr. 8 750; R G G A 51 (1904) 406, 407; Dreher/Tröndle R d n . 2; Frank A n m . ; Horn SK R d n . 5; Kohlrausch/Lange A n m . II; Lackner R d n . I; Ohhausen Anm. 4; Sack Umweltschutz-Strafrecht § 320 S t G B R d n . 3; Sch/Schröder/Cramer R d n . 2; Otto BT S. 430.

4

5

R G S t . 8 218, 221; 35 399, 400; 49 94, 100; R G Rspr. 8 750; R G Recht 1914 Nr. 1510; so auch Dreher/Tröndle R d n . 2; Kohlrausch/Lange A n m . II; Lackner R d n . 1; Olshausen A n m . 4 ; Sack U m weltschutz-Strafrecht § 320 S t G B R d n . 3. Frank A n m . ; Horn SK R d n . 5; Sch/Schröder/ Cramer R d n . 2; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 56 III 1 u. § 57 V; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 248; Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen P r o d u k t h a f t u n g S. 167.

Hagen Wolff

§321

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Aus dem Wortlaut allein kann der Begriff deshalb nicht ausgelegt werden, vielmehr kommt es auch auf Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift an (RGSt. 49 94, 100). Dabei liegt es zwar nahe, sich an dem Schutzgut der §§318 und 319 zu orientieren. Dies ist aber nur bei § 319 die menschliche Gesundheit (vgl. dort Rdn. 1), während § 318 wichtige Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge schützt (s. § 318 Rdn. 1). Dann leuchtet eine Verkürzung auf einen Gesundheitsschaden im Rahmen des § 320 jedoch nicht ein. Zu einer weiterreichenden Begriffsziehung paßt, daß das Gesetz in § 320 nicht von der Verletzung eines Menschen als Strafbarkeitsvoraussetzung spricht, was sich angeboten hätte, wenn nur dies gemeint wäre, sondern den allgemeineren Begriff Schaden verwendet. Insbesondere zeigt der heutige deutliche Unterschied der Strafrahmen des Normalfalls des § 320 und des qualifizierten Falls, daß eine Beschränkung auf Gesundheitsschäden nicht gemeint sein kann. Zusammengefaßt reichen danach auch Sach- und Vermögensschäden aus. 6

Bezüglich dieses Sonderschadens ist zur inneren Tatseite keine Feststellung erforderlich. § 18 ist insoweit nicht anwendbar, weil der Eintritt dieses Schadens nicht strafschärfend, sondern strafbegründend wirkt 6 . Anders dagegen verhält es sich, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht worden ist; dieser Erfolg muß fahrlässig herbeigeführt sein, weil in diesem Falle § 18 eingreift 7 .

7

IV. Recht des Einigungsvertrages. Siehe bei §318 Rdn. 12 f u n d bei § 319 Rdn. 17 f.

§321 FUhrungsaufsicht In den Fällen der §§ 306 bis 308, des § 310 b Abs. 1 bis 3, des § 311 Abs. 1 bis 4, der §§ 311a, 311b und 316c Abs. 1 Nr. 2 kann das Gericht Fiihrungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1). Entstehungsgeschichte Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich sah in seiner ursprünglichen Fassung in § 325 die Möglichkeit der Polizeiaufsicht neben der Bestrafung mit Zuchthaus aus den §§ 306 bis 308, 311 bis 313, 315 und 321 bis 324 vor (RGBl. 1871 S. 127, 190). Durch Art. 1 Nr. 29 des 3. StRÄndG vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735, 737) ist aus der Aufzählung „321 bis 324" durch „321 und 324" ersetzt worden. Mit Art. 1 Nr. 4 des 7. StRÄndG vom 1. Juni 1964 (BGBl. I S. 337, 338) wurden die aufgeführten §§ „311 bis 313" durch die Aufzählung „311,312,313" ersetzt; dies weil die §§ 311 a bis c eingefügt wurden und § 311 a nur Gefängnis androhte. Nach § 325 in der Fassung von Art. 1 Nr. 93 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 657) konnte neben einer wegen einer vorsätzlichen Tat nach §§ 306 bis 308, 311, 312, 313 Abs. 1, § 315 Abs. 3, 315 b Abs. 3, 316 a Abs. 1, 321 Abs. 2 und 324 erkannten Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Laut 6

Ebenso Dreher/Tröndle R d n . 2; Frank A n m . ; Horn SIC R d n . 6 ; Lackner R d n . 1; Otto BT S. 430; a A Kohlrausch/Lange A n m . I I I ; Sch/Schröder/ Cramer R d n . 3; Geerds Tröndle-Festschrift S. 241, 248; Kuhlen Fragen einer strafrechtlichen Prod u k t h a f t u n g S. 167.

7

Dreher/Tröndle R d n . 2; Lackner R d n . 2; Sack Umweltschutz-Strafrecht § 320 S t G B R d n . 4; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 56 III 1 u. § 57 V; Otto B T S . 431; a. M. Horn SK R d n . 10.

Stand: 1. 10. 1995

(20)

Einziehung

§ 322

Art. 14 EGStGB 1974 traten die Vorschriften, die Polizeiaufsicht zuließen, außer Kraft; statt dessen fügte Art. 19 Nr. 182 EGStGB 1974 unter entsprechender Überschrift als § 325 die Bestimmung ein, daß in den Fällen der §§ 306 bis 308, des § 310 b Abs. 1 bis 3, des § 311 Abs. 1 bis 4, der §§ 311 a, 311 b und 316 c Abs. 1 Nr. 2 Führungsaufsicht angeordnet (§ 68 Abs. 1 Nr. 2) werden könne. Mit Art. 1 Nr. 12 des 18. StRÄndG vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373, 374) ist die Numerierung in § 321 geändert worden. In Art. 1 Nr. 18 des 23. StRÄndG vom 13. April 1986 (BGBl. I S. 393,395) ist u. a. in § 321 die Verweisung auf § 68 Abs. 1 Nr. 2 durch die Verweisung auf § 68 Abs. 1 ersetzt worden. Im Ε 1962 war mit § 339 Abs. 2 in vergleichbarem Umfang wie heute Führungsaufsicht die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsaufsicht vorgesehen (vgl. BTDrucks. IV/650 S. 1, 66, 517). Bei den in der Vorschrift aufgezählten gemeingefährlichen Straftaten ist im Rahmen des § 68 Abs. 1, also bei Verwirkung von mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe und bei Bestehen der Gefahr, daß der Täter weitere Straftaten begehen wird, die Anordnung von Führungsaufsicht möglich. Dabei kann sich die Anordnung mit der Regelung des § 68 f — Führungsaufsicht bei Nichtaussetzung des Strafrestes — überschneiden. Die Konsequenzen bei angeordneter Führungsaufsicht ergeben sich aus §§ 68 a ff. Vgl. im übrigen die Bemerkungen Hanack LK zu §§ 68 ff.

§ 322 Einziehung Ist eine Straftat nach den §§ 310 b bis 311 b, 311 c, 311 d, 316 c oder 319 begangen worden, so können 1. Gegenstände, die durch die Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind, und 2. Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach den §§ 311 b, 311 c, 311 d, 316 c oder 319 bezieht, eingezogen werden. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift, die durch Art. 1 Nr. 21 EGOWiG vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 503, 507) unter Einbeziehung des aufgehobenen § 311 c a. F., der die Einziehung bei Explosionsdelikten regelte und durch Art. 1 Nr. 1 des 7. StRÄndG vom 1. Juni 1964 (BGBl. I S. 337) in das StGB eingefügt gewesen war, zunächst als § 325 a eingefügt worden war, ist durch Art. 19 Nr. 183, 207 EGStGB 1974 erweitert und mit ihrer Überschrift versehen worden. Die spätere Fassung beruhte auf Art. 1 Nr. 13 des am 1. Juli 1980 in Kraft getretenen 18. StRÄndG — Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität — vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373, 374), mit welcher Änderung die Einziehungsmöglichkeit auf die Straftaten nach §§ 311 d und 311 e erstreckt worden ist. Die seit dem 1. November 1994 geltende Fassung ist Ergebnis des Austausches von § 311 c und § 311 e StGB durch das 31. StRÄndG vom 27. Juni 1994 (BGBl. I 1440). Eine vergleichbare Einziehungsvorschrift sah bereits der Ε 1962 mit § 339 Abs. 3 vor (vgl. BTDrucks. IV/650 S. 1, 66, 517). I. Soweit vorsätzliche Taten nach den in § 322 aufgezählten Strafbestimmungen in 1 Frage stehen, deckt sich die Einziehungsmöglichkeit nach § 322 Nr. I mit derjenigen (21)

Hagen Wolff

§ 323

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

nach § 74 Abs. 1; irgendwelche Besonderheiten gelten insoweit nicht. Es kann deshalb auf die Kommentierung zu § 74 und den Folgebestimmungen verwiesen werden. 2 Eine Sondervorschrift im Sinne des § 74 Abs. 4 bedeutet § 322 Nr. 1 insofern, als die Einziehung der producta und instrumenta sceleris auch bei den Fahrlässigkeitstaten nach §§ 310 b Abs. 4, 311 Abs. 5, § 311 c Abs. 5, 311 d Abs. 3 möglich ist. Die weiteren Voraussetzungen der Einziehung ergeben sich wieder aus § 74 nebst Folgebestimmungen. 3

II. Bei den Tatbeständen der §§ 311 b, 311 c, 311 d, 316 c und 319 ist daneben nach § 322 Nr. 2 die Einziehung der sog. Beziehungsgegenstände (vgl. zu diesem Begriff BGHSt. 10 28 und bei § 74) zulässig, also im wesentlichen der Objekte der Tat wie ζ. B. der nach § 311 b aufbewahrte Sprengstoff oder die feilgehaltene, im Sinne des § 319 mit gefährlichen Stoffen vermischte Sache. Auch insoweit greifen ergänzend die §§ 74 ff ein.

4

III. Eine Verweisung auf § 74 a enthält § 322 nicht. Die Einziehung nicht dem Täter oder Teilnehmer gehörender Gegenstände ist deshalb nur nach den allgemeinen Regeln (§ 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 76 a Abs. 2) zulässig. Die Gefährlichkeit der Gegenstände im Sinne von § 74 Abs. 2 Nr. 2 wird im Rahmen des § 322 meist zu bejahen sein.

§ 323 Baugefährdung (1) Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern, gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen gefährdet. (3) Wer die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) Wer in den Fällen der Absätze 1 und 2 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Das Gericht kann von der Strafe nach den Absätzen 1 bis 3 absehen, wenn der Täter freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Unter denselben Voraussetzungen wird der Täter nicht nach Absatz 4 bestraft. Schrifttum Althans Die gemeingefährliche B a u f ü h r u n g (1909); Berlowitz Der Verstoß gegen die allgemein a n e r k a n n t e n Regeln der Baukunst (1915); Bindhardt/Jagenburg Die H a f t u n g des Architekten, 8. Aufl. (1981); Bockelmann D a s strafrechtliche Risiko der am Straßenbau Beteiligten, K r a f t f a h r t und Verkehrsrecht 1966 104; Gallas Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am S t a n d : 1. 10. 1995

(22)

Baugefährdung

§ 323

Bau Beteiligten unter besonderer Berücksichtigung des „verantwortlichen Bauleiters" (1963); Hammer Technische „ N o r m e n " in der Rechtsordnung, MDR 1966 977; Kromik/Schwager Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei der Durchführung von Bauvorhaben (1982); Marburger Die Regeln der Technik im Recht (1979); Neumeyer Gefährliche Bauführung VDB IX S. 179 ff; Nickusch § 330 StGB als Beispiel für eine unzulässige Verweisung auf die Regeln der Technik, NJW 1967 811; Rabe Die Verantwortlichkeit des Bauleiters, BauR 1981 332; Scherer Strafrecht in der Baupraxis (1965); Schneider Die Baugefährdung (1906); Schünemann Grundfragen der strafrechtlichen Zurechnung im Tatbestand der Baugefährdung (§ 330 StGB), ZfBR 1980 4, 113, 159; Schünemann Die Regeln der Technik im Strafrecht, Lackner-Festschrift S. 367 ff; Veit Die Rezeption technischer Regeln im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Problematik (1989); R.-J. Velten Die Baugefährdung (§ 330 StGB), Eine strafr. und kriminologische Untersuchung, Diss. Kiel 1965. - Niederschriften V S. 293, 294; VIII S. 644ff; IX S. 272f, 275, 287, 298ff, 419f, 430ff, 553, 554, 561, 562f; XII S. 621, 622; XIII S. 768, 771, 782.

Entstehungsgeschichte Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich sah ursprünglich als § 330 folgende Strafbestimmung vor (RGBl. 1871 S. 127, 191): Wer bei der Leitung oder Ausführung eines Baues wider die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt handelt, daß hieraus für Andere Gefahr entsteht, wird mit Geldstrafe bis zu dreihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu Einem Jahre bestraft.

Die Bestimmung, die nach herrschender Meinung vorsätzliche und fahrlässige Begehung erfaßte, blieb, sieht man von Anpassungen betreffend die angedrohte Geldstrafe ab, zunächst für etwa ein Jahrhundert unverändert. Mit Art. 4, 5 Abs. 4 des 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645, 657) ist dann die angedrohte Gefängnisstrafe in Freiheitsstrafe übergeleitet worden. Die geltende Gestaltung der Vorschrift geht auf Art. 19 Nr. 185 EGStGB 1974 zurück (zu den Gesetzesmaterialien vgl. insbesondere BTDrucks. 7/550 S. 1, 30 f, 267 f). Diese seitdem unverändert gebliebene Fassung des Tatbestandes entspricht praktisch den §§ 337 Abs. 1, 2 und 4, 340 Abs. 1 Nr. 2, 341 Abs. 2 Nr. 3 Ε 1962, in dem mit § 336 noch ein Straftatbestand: Gefährdung durch Einsturz eines Bauwerkes und mit § 337a ein Tatbestand: Gefährdung durch Elektrizität oder Gas vorgeschlagen waren (vgl. BTDrucks. I V/650 S. 1, 65 f, 512 ff; s. auch bereits die entsprechenden Bestimmungen des Ε 1960). Die Neufassung bedeutete eine Erweiterung durch Einbeziehung der Planung in Absatz 1 und durch Einfügung von Absatz 2. Eine Klarstellung ist die ausdrückliche Erwähnung des Abbruchs eines Bauwerks in Absatz 1 (für Strafbarkeit bereits nach der alten Fassung RGSt. 25 90; 28 318, 320; anders noch RGSt. 21 142). Zugleich ist die Strafdrohung verschärft und — bei entsprechend § 315 gestuften Schuldformen — differenziert worden. Durch Art. 1 Nr. 14 des 18. StRÄndG vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373, 374) ist lediglich die Numerierung von § 330 in § 323 geändert worden. I. Bei den in Absatz 1 und 2 normierten Tatbeständen handelt es sich um konkre- 1 te Gefährdungsdelikte 1 . Die Bestimmung des § 323 will Schutz gewähren gegen die Gefahren, die aus dem fehlerhaften Betrieb des Baugewerbes entspringen 2 . Da für ' S. ζ. B. Dreher/Tröndle R d n . 1; Horn SK R d n . 2, 12; Lackner R d n . 1; Arzt/Weber II R d n . 227; Blei II § 85 III I; Gallas S. 14; Ostendorf G r u n d z ü g e des konkreten G e f ä h r d u n g s d e l i k t e , J u S 1982 426, 428; Scherer S. 25; Schünemann Z f B R 1980 163. Vgl. auch Frank Anm. III. (23)

RGSt. 25 9 0 , 9 2 , 9 3 ; 28 318, 3 2 0 : 2 9 71, 73; 31 180, 181; 39 417, 418; vgl. auch Dreher/Trondle R d n . 1; Horn SK Rdn. 2; Lackner R d n . 1; Gallas S. 13; SchererS. 13.

Hagen Wolff

§ 323

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

die Täterschaft besondere persönliche Merkmale Voraussetzung sind, handelt es sich um Sonderdelikte 3 . Es ist dabei auch an § 14 u n d § 28 Abs. 1 zu denken. 2

II. § 323 Abs. 1 betrifft diejenigen, die bei der Planung, Leitung oder A u s f ü h r u n g eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerks tätig werden. Die Tätigkeit braucht, anders als bei Absatz 2, nicht berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübt zu w e r d e n ; auch wenn dies meist der Fall sein wird.

3

1. Das Reichsgericht bezeichnete in Übereinstimmung mit dem Schrifttum als Bau „ j e d e in das Gebiet der Bauthätigkeit, der A u s ü b u n g des Bauhandwerkes fallende Thätigkeit ..., f ü r deren V o r n a h m e allgemein a n e r k a n n t e Regeln der Baukunst von solcher Bedeutung, d a ß ein Z u w i d e r h a n d e l n gegen sie mit G e f a h r f ü r A n d e r e verbunden ist, b e s t e h e n " (RGSt. 25 90, 92; vgl. auch RGSt. 56 343, 347; R G G A 56 [1909] 219). N a c h dieser Begriffsbestimmung, die unverändert gilt 4 , bedeutet also Bau im Sinne des § 323 nicht Bauwerk, s o n d e r n Bauarbeit oder Bautätigkeit. Dazu gehört auch die vom Gesetz jetzt aufgezählte Planung (und Berechnung). Unerheblich ist, ob die Bauarbeiten die A u s f ü h r u n g von G e b ä u d e n (Hochbau), von Straßen u n d Eisenbahnen usw. (Tiefbau) oder sonstige Bauwerke wie Wasserbauten u n d Bergwerke zum Gegenstand haben (RGSt. 23 277; s. auch BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 267 u. IV/650 S. 513); ob sie die Errichtung eines neuen, die Erweiterung (RGSt. 23 277, 278) oder die Ausbesserung eines bereits v o r h a n d e n e n Bauwerks, die Herstellung des R o h b a u s , den Putz (RGSt. 27 388) oder Innenarbeiten (RGSt. 29 71, 72) betreffen. Ein Unterschied zwischen der Bautätigkeit im engeren Sinne u n d Nebenarbeiten wird nicht gemacht. Z u m Bau zählen daher auch die Ausschachtung einer Baugrube (RGSt. 23 277, 278) u n d die Aufstellung eines Baugerüsts (RGSt. 23 277, 278; R G Rspr. 10 242) u n d einer zu dessen Besteigung d i e n e n d e n Leiter (RGSt. 39 417, 418), das Anbringen von Schutzvorrichtungen gegen das Herabfallen von Baustoffen oder Werkzeugen 5 , die Errichtung eines Bauzauns (Olshausen A n m . 3 b ; aA K G LZ 1917 Sp. 421), das H e r a n f ü h r e n der Baustoffe u n d -gerätschaften, ebenso das Absprengen von Felswänden zur S c h a f f u n g des Baugrunds (RGSt. 23 277, 278) u n d die Wegnahme von Lehrbögen (RGSt. 31 180). Sogar die Anlage von Sand- u n d Kiesgruben zur G e w i n n u n g von Baumaterialien k a n n unter den Begriff des Baus fallen (RGSt. 29 71; vgl. aber auch RGSt. 47 426 u. R G Recht 1914 Nr. 151).

4

2. Entsprechend weit ist der Begriff des Abbruchs eines Bauwerks zu verstehen. So wird nicht nur die völlige Niederlegung eines G e b ä u d e s erfaßt, sondern auch der Abbruch eines Gebäudeteils.

5

3. Mit Planung sind die Erstellung des Bau- oder Abrißplans, die Anfertigung der Bauzeichnungen u n d die statische Berechnung gemeint (vgl. BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 267 u. I V / 6 5 0 S. 513; d a n e b e n auch O L G K ö l n M D R 1963 156), so d a ß der Bauherr im Normalfall als Täter ausscheidet (aA Schünemann Z f B R 1980 7, 113).

3

4

Dreher/Tröndle R d n . 2; Sch/Schröder/Cramer R d n . 14; Arzl/Weber II R d n . 227; Maurach/ Schroeder/Maiwald BT § 54 I; vgl. auch Lackner R d n . 5, 6; Gallas S. 13; Veit S. 155. Horn SK R d n . 14 sieht n u r Absatz 2 als Sonderdelikt an. S. BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 267; Dreher/Tröndle R d n . 3; Horn SK R d n . 3, 4 ; Lackner R d n . 4, Sch/

5

Schröder/Cramer R d n . 2; Gallas S. 13; Scherer S. 13. R G S t . 56 343, 347; R G G A 56 (1909) 219; B G H , Urt. v. 10. Mai 1955 - 5 StR 3 9 / 5 5 ; O L G Celle, Beschl. v. 19. N o v e m b e r 1992 - 3 Ss 9 8 / 9 2 ; a A Frank A n m . II, soweit es den Schutz von Passanten betrifft.

Stand: 1. 10. 1995

(24)

Baugefährdung

§ 323

4. Bauleiter im Sinne von § 323 ist die Person, die über die Art und Weise der tech- 6 nischen Ausführung des Baues als eines Ganzen — nicht also nur nebensächlicher Arbeiten — entscheidet; mit anderen Worten derjenige, dessen Gebote und Verbote für die Ausführenden in technischer Beziehung maßgebend sind 6 . Wesentlich kommt es dabei auf die tatsächliche Stellung des Betreffenden an, nicht auf das Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er tätig wird (RG GA 45 [1897] 263; RG DJ 1940 707). Die Erteilung eines formellen Auftrags ist daher nicht notwendig. — Bauleiter ist in aller Regel der Bauunternehmer oder dessen — vgl. dazu ergänzend § 14 — Beauftragter (BGH NJW 1965 1340), denn der Bauunternehmer kann seine Funktion auf einen Angestellten übertragen (RG Recht 1906 Nr. 124). Es ist denkbar, daß mehrere Personen zugleich oder nacheinander Bauleiter sind. Zieht der für das gesamte Bauvorhaben verantwortliche Bauunternehmer für bestimmte Arbeiten, ζ. B. für das Putzen, Akkordkolonnen oder, ζ. B. für die Zimmermannsarbeiten, selbständig tätig werdende und damit als Bauleiter für ihren Arbeitsabschnitt einzuordnende Handwerker heran, so bleibt seine Pflicht, auf die Einhaltung der Regeln der Technik zu achten, dennoch bestehen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1977 1930). Werden mehrere Bauunternehmer in Folge für getrennte Baubereiche tätig, sind sie jeweils für ihren Bereich Bauleiter. — Wer in Urlaub fährt, hat meist nicht mehr die Leitung des Baues in der Hand; seine Verantwortung beschränkt sich auf vorher erteilte Weisungen, die fortwirken (OLG Karlsruhe Justiz 1970 52). Bauleiter ist regelmäßig nicht der Bauherr, selbst wenn er dem von ihm beauftrag- 7 ten Bauunternehmer oder einer bestellten Aufsichtsperson einzelne Anweisungen über die Art der Ausführung erteilt (RG Recht 1926 Nr. 1551; OLG Celle NdsRpfl. 1986 133, 134). Solche Anweisungen werden unter der stillschweigenden Voraussetzung gegeben, daß sie mit den anerkannten Regeln der Technik nicht in Widerspruch stehen (RG GA 50 [1903] 390; BayObLGSt. 1958 217, 221). Errichtet der Bauherr dagegen einen Bau in Selbsthilfe (OLG Hamm GA 1966 250, 251) oder Eigenregie (RG GA 38 [1890] 439), so ist er auch Bauleiter. So ζ. B. eine Behörde, die den Bau durch einen ihrer Beamten verantwortlich leiten läßt; dieser wird damit Bauleiter nach § 323 (RGSt. 57 205). — Der den Bauplan entwerfende Architekt ist deswegen allein noch nicht Bauleiter. Das gilt selbst dann, wenn ihm vom Bauherrn die künstlerische oder technisch-geschäftliche Oberleitung oder die Bauüberwachung (örtliche Bauaufsicht) übertragen ist; denn § 323 stellt nicht die Vernachlässigung von Aufsichtspflichten unter Strafe, sondern die Verletzung der Regeln des Bauhandwerks (RG DJ 1940 707; BGH NJW 1965 1340; BayObLGSt. 1958 227). Auch der verantwortliche Bauleiter der Landesbauordnungen ist nicht allein schon deshalb Bauleiter im Sinne von § 323 (BGH NJW 1965 1340; einschränkend Schünemann ZfBR 1980 8f)· Schließlich ist Bauleiter nicht, wer vom Bauherrn mit der Überwachung vertragsgemäßer Durchführung der Bauarbeiten durch den Unternehmer betraut ist 7 ; ebensowenig, wer Baumaterialien abzunehmen hat (RG Recht 1914 Nr. 150). Bei Errichtung von Fertighäusern ist Bauleiter derjenige, der die Zusammensetzung der Einzelteile 6

RGSt. 57 205; R G Rspr. 9 203, 204; R G G A 39 (1891) 323; R G G A 46 (1898/99) 209; R G Recht 1907 Nr. 1582; R G LZ 1 9 1 4 S p . 4 7 9 ; R G DJ 1940 707; B a y O b L G S t . 1958 217, 220; B a y O b L G O L G S t . zu § 367 Nr. 15 a. F. S. 5; O L G F r a n k f u r t a. M. M D R 1958 425; O L G H a m m G A 1966 250; Dreher/Trondle R d n . 5; Frank A n m . IV 1; Horn SK R d n . 5; Lackner R d n . 5; Sch/Schröder/Cramer R d n . 8; Maurach/Schroeder/Maiwald BT

(25)

7

§ 54 II 3; Gallas S. 15; Rabe B a u R 1981 332, 347 A n m . 66; Scherer S. 26; Schünemann Z f B R 1980 6, 7 f. B G H N J W 1965 1340; O L G Celle N d s R p f l . 1986 133; O L G H a m m N J W 1969 2211; vgl. auch BGHSt. 19 286; O L G H a m m N J W 1971 442; O L G Stuttgart N J W 1984 2897 m. A n m . Henke N S t Z 1985 124.

Hagen Wolff

§ 323

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

tatsächlich leitet; nicht aber, wer die Einzelteile nach von ihm entworfenen Plänen herstellt (vgl. BayObLGSt. 1955 21). 8 Vom Bauleiter wird nicht ständige Überwachung des Baus verlangt (BGH, Urt. v. 15. April 1955 — 1 StR 15/55). Allerdings muß er die herangezogenen Hilfskräfte sorgfältig ausgewählt haben (OLG Celle NdsRpfl. 1986 133, 134 f; OLG Celle, Beschl. v. 19. November 1992 — 3 Ss 98/92). Und er ist verpflichtet, wenn Veranlassung dazu besteht, für die Arbeiten konkrete Anweisungen und Belehrungen zu geben und das Arbeitsergebnis zu überprüfen (RGSt. 19 204, 205; RG Rspr. 5 8, 9). Er muß sich auch bei einer erkannt gefährlichen Baumaßnahme über die Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen vergewissern (RG DJ 1940 707, 708) und dabei in seine Überlegungen die Gefährdung von Nachbargebäuden einbeziehen (RG GA 39 [1891] 208). Ist bereits das Fundament eines Bauwerks derart fehlerhaft, daß es den Bau nicht zu tragen vermag, so muß der für den Weiterbau verantwortliche Bauleiter, der die Mängel erkannt hat, die Fortsetzung des Bauwerks ablehnen, wenn er den Bauherrn nicht zu einer ordnungsgemäßen Fundamentierung bestimmen kann (RG JW 1914 379). Erfährt der Bauleiter von einer ohne sein Wissen begangenen, gefahrbringenden Abweichung vom Bauplan, so muß er für Abhilfe sorgen (BayObLGSt. 1964 1). 9

5. An der Ausführung eines Baues sind alle Personen beteiligt, die bei Vornahme der Bauarbeiten mitwirken (RG GA 46 [1898/99] 209; RG LZ 1914 Sp. 479; RG DJ 1940 707, 708). Zu diesen Personen gehören nicht nur der Polier (OLG Hamm JMB1NRW 1962 246; OLG Koblenz GA 1974 87) und Bauarbeiter, sondern auch die Unternehmer und Handwerksmeister, in deren Dienst die Arbeiter tätig sind (RG J W 1914 379); nur ausnahmsweise Bauaufseher, welche die Bautätigkeit überwachen, so regelmäßig nicht die vom Bauherrn bestellte Aufsichtsperson, die die vertragsgemäße Ausführung des Bauwerks durch den Unternehmer kontrollieren soll (RGSt. 43 326); lediglich im Ausnahmefall auch der Bauherr (vgl. BGH bei Schäfer/Finnern S. 2.1 Bl. 9, 10). Es genügt, daß der Täter an der Ausführung des Baus irgendwie beteiligt gewesen ist (RG DR 1940 2239); Bauleiter und Bauplaner sind aber nicht ohne weiteres auch Bauausführende (RG GA 39 [1891] 323; RG GA 50 [1903] 390; BayObLG MDR 1954 312). Doch ist jeder nur im Kreis der ihm zugewiesenen Tätigkeit und im Rahmen der ihm zustehenden Bewegungsfreiheit verantwortlich (RG DJ 1940 707, 708); dort allerdings auch für die selbständige Anordnung und Durchführung von Sicherungsmaßnahmen (BGH, Urt. v. 21. September 1960 — 2 StR 196/60). — Zur Herstellung des Baus gehören die Ausführung von Einzelteilen (RG GA 53 [1906] 440) und Nebentätigkeiten, wie sie bei Rdn. 4 aufgeführt sind. — Alternative Feststellung von Bauleitung und Bauausführung ist zulässig (a. M. Olshausen Anm. 3 b).

10

III. Nach Absatz 2 ist möglicher Täter, wer in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes, also nicht ζ. B. als Gebäudeeigentümer oder Mieter, ein Vorhaben plant, leitet oder ausführt, durch das technische Einrichtungen in ein Bauwerk eingebaut oder eingebaute technische Einrichtungen geändert werden. Mit der Beschränkung auf berufliche oder gewerbliche Tätigkeit wollte man eine zu weitgehende Ausweitung der Strafvorschrift vermeiden (BTDrucks. 7/550 S. 268 u. IV/650 S. 513). Zu den technischen Einrichtungen gehören etwa Maschinen, Heizanlagen, Gasrohre, elektrische Anlagen, Aufzüge (vgl. BTDrucks. 7/550 S. 268 u. IV/650 S. 513). Sie müssen fest mit dem Bauwerk verbunden werden oder sein. Daß das Bauwerk bereits vollendet wäre, wird Stand: 1. 10. 1995

(26)

Baugefährdung

§ 323

nicht verlangt. Deshalb sind Überschneidungen zwischen Absatz 1 u n d Absatz 2 denkbar. Reparaturen von technischen Einrichtungen gehören nicht zur Ä n d e r u n g , solange sie nicht mit einer Umgestaltung v e r b u n d e n sind 8 . Die E n t f e r n u n g derartiger Einrichtungen unterfällt dem Tatbestand nicht. — Wer als F a c h m a n n in einen Duschraum einen Gasdurchlauferhitzer einbaut, m u ß ζ. B. f ü r o r d n u n g s g e m ä ß e Belüftung u n d A b f ü h r u n g der Abgase Sorge tragen ( B G H , Urt. v. 19. Mai 1953 — 5 StR 472/52). IV. Der bisher verwendete Begriff Regeln der Baukunst ist durch den Ausdruck 11 Regeln der Technik ersetzt worden. M a n wollte den denkbaren Bezug zu den künstlerischen Regeln der Architektur vermeiden. Ein Bedeutungswandel ist damit nicht verbunden. Gemeint sind neben den bautechnischen Regeln im engeren Sinne ζ. B. Regeln, die die Feuersicherheit des Bauwerks betreffen, solche, die die an einen Bau zu stellenden gesundheitlichen A n f o r d e r u n g e n festlegen (RGSt. 27 388, 389; s. auch BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 268 u. I V / 6 5 0 S. 513), schließlich Regeln, die der Unfallverhütung (ζ. B. O L G Koblenz G A 1974 87: Notwendigkeit des Abschaltens einer Stromleitung bei Bauarbeiten in deren N ä h e ) oder der baulichen Sicherung dienen. Allen gemeinsam ist, d a ß ihre Verletzung zu G e f a h r e n f ü r Menschen führen kann. Die Regeln der Technik haben sich, sozusagen als geronnenes Fachwissen, vielfach in baupolizeilichen Vorschriften, in N o r m e n k a t a l o g e n (wie D I N - u n d VDE-Vorschriften), in Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften — letztere keine Rechtsnormen, so d a ß sie tatrichterlicher Feststellung b e d ü r f e n (RGSt. 52 42; Pikart K K StPO § 337 Rdn. 14) — niedergeschlagen. D o c h ist nicht j e d e Baupolizeivorschrift oder Unfallverhütungsbestimmung eine allgemein a n e r k a n n t e Regel der Technik 9 . Verfassungsrechtliche Bedenken — m a n g e l n d e Tatbestandsbestimmtheit — gegen die Verweisung auf im Gesetz nicht näher bestimmte Regeln der Technik äußern Hammer ( M D R 1966 977,979 0 u n d Nickusch ( N J W 1967 811), die dabei von der Prämisse ausgehen, § 323 sei eine Blankettnorm (so auch Arzt/Weber II Rdn. 227; vgl. zudem Schünemann Z f B R 1980 160ff); dies trifft indes nicht zu 1 0 . Mit dem Begriff der allgemein a n e r k a n n t e n Regeln der Technik wird nicht auf einen außerhalb des StGB stehenden, von privater Seite aufgestellten, sich w a n d e l n d e n Normenkatalog verwiesen u n d dieser zum Bestandteil der Bestimmung g e m a c h t " . Vielmehr handelt es sich dabei um einen vom Richter im Einzelfall auszufüllenden, also unbestimmten Rechtsbegriff 1 2 , der allerdings auch tatsächliche, dem Sachverständigenbeweis zugängliche Elemente enthält (was als bewährtes Fachwissen unter Baupraktikern a n e r k a n n t ist). Horn (SK Rdn. 7) u n d Veit (S. 210 ff) verweisen mit Recht auf die Parallelität zum Begriff der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im R a h m e n der Fahrlässigkeit (vgl. auch Marburger S. 151); Schünemann ( Z f B R 1980 162 u. " Einschränkend auch Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 54 II 2. AA Dreher/Tröndle Rdn. 9; zweifelnd Sch/Schröder/Cramer Rdn. 13. * RGSt. 56 343, 346; R G Recht 1915 Nr. 2417; BayObLGSt. 30 36; Dreher/Tröndle Rdn. 10; Horn SK Rdn. 7; Lackner Rdn. 3; Sch/Schroder/Cramer Rdn. 4; Scherer S. 18 ff. Bedenklich daher die Begründung von OLG H a m m J M B I N R W 1962 246 und O L G Koblenz G A 1974 87,88. 10 Dreher/Trondle Rdn. 10; Horn SK Rdn. 7; Lackner Rdn. 3; Olshausen A n n . 4; Veil S. 160 ff. Vgl. auch Schünemann Lackner-Festschrift S. 367, 375 ff. (27)

11

12

Vgl. zum Begriff des Blankettgesetzes allgemein BVerfGE 14 245, 252; RGSt. 46 393, 395 f; BGHSt. 6 30, 40 f sowie z.B. Roxin AT I S. 80 f, 303 f und Schünemann Lackner-Festschrift S. 367,370 ff. Horn SK Rdn. 7; Schünemann Lackner-Festschrift S. 367, 380 ff; Veil S. 170 ff; vgl. auch Marburger S. 345 ff u. Michalke Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren — eine „ W a f f e für den Umweltschutz"? Z R P 1 9 8 8 273, 274 f.

Hagen W o l f f

§ 323

27. A b s c h n i t t . G e m e i n g e f ä h r l i c h e S t r a f t a t e n

Lackner-Festschrift S. 367, 381 f, 396) sieht in der Verletzung der allgemein anerkannten Regeln der Technik sogar nichts anderes als objektiv grobe Fahrlässigkeit. Nach BVerfGE 49 89,134 ff (vgl. auch BVerfGE 75 329 u. zu dem Verbot unbestimmter Strafnormen allgemein z. B. Roxin AT 1 S. 89 ff) bestehen gegen genügende Bestimmtheit einer derartigen Gesetzesfassung, für die ein praktisches Bedürfnis spricht, keine Bedenken. 12

Allgemein anerkannt sind Regeln, wenn sie in den Kreisen der einschlägigen Bautechniker bekannt und als richtig anerkannt sind und deshalb angewendet werden. Die Billigung allein durch die Theorie genügt nicht. Es reicht also nicht aus, daß die Regeln im Fachschrifttum vertreten und auf Fachschulen gelehrt werden; sie müssen in der Praxis erprobt und bewährt sein (RGSt. 44 75,79). Unerheblich ist, ob einzelne Personen oder Personengruppen die Regeln nicht kennen oder nicht anerkennen (RG Recht 1907 Nr. 2228). Maßgebend ist die Durchschnittsmeinung, die sich bei Praktikern gebildet hat 13 . Auf Arbeiten, für die ihrer Einfachheit wegen besondere Regeln der Technik nicht bestehen, ist § 323 nicht anwendbar (RGSt. 47 426,427; RG Recht 1914 Nr. 151).

13

V. Die Zuwiderhandlung kann in einem Tun oder in einem Unterlassen bestehen. Der erste Fall liegt ζ. B. vor, wenn der Täter schlechtes Material oder mangelhafte Gerätschaften verwendet (vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1986 133, 135) oder eigenmächtig vom Bauplan abweicht. Der zweite Fall ist u. a. gegeben, wenn der Täter es versäumt, Absperrvorrichtungen und Warntafeln anzubringen (RGSt. 56 343, 347), ein Baugerüst mit Schutzlehnen oder einer Dachfangvorrichtung zu versehen (OLG Celle, Beschl. v. 19. November 1992 - 3 Ss 98/92), ein Schutzdach zu errichten (RGSt. 56 343, 347), einen als fehlerhaft erkannten Zustand zu beseitigen. Dabei ergibt sich für den Täter die Pflicht zu handeln aus seiner Funktion im Rahmen der entfalteten Bautätigkeit. Die Beschäftigung von Arbeitern an gefährlicher Stelle bedeutet für sich allein noch keinen Verstoß gegen § 323 (RGSt. 56 343, 348).

14

VI. Durch die Handlung muß eine Gefahr für Leib oder Leben eines anderen herbeigeführt sein (s. OLG Celle NdsRpfl. 1986 133, 136). Unter Gefahr ist ein Zustand zu verstehen, der die ernste und naheliegende Besorgnis eines entsprechenden Schadens begründet. Gefahr für Sachwerte reicht nicht aus (RG GA 43 [ 1895] 295; BGHZ 39 366, 367). Eine gemeine Gefahr ist nicht notwendig. Die Gefahr muß gegenwärtig sein (RG Recht 1915 Nr. 2417). Dieser Grundsatz ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die Wahrscheinlichkeit einer sofortigen Verwirklichung der Gefahr vorliegen m u ß ; vielmehr ist eine gegenwärtige Gefahr auch dann vorhanden, wenn der Zustand, aus dem sie entspringt, bereits besteht, mag auch die Verwirklichung der Gefahr von einem späteren Ereignis abhängen (vgl. näher Hegler JW 1926 589; a. M. Schünemann ZfBR 1980 164). So ist bei einem Gebäude gegenwärtige Gefahr schon dann zu bejahen, wenn sie sich erst mit zukünftiger bestimmungsgemäßer Benutzung manifestiert (RG Rspr. 9 203, 204). Hiernach kann die Erstellung eines brandgefährdeten Bauwerks unter die Vorschrift fallen, auch wenn noch kein Brand ausgebron

RGSt. 44 75, 80; R G G A 39 [1891] 208; Dreher/ Tröndle R d n . 10; Frank A n m . II; Horn SK R d n . 8; Lackner R d n . 3; Sch/Schroder/Cramer R d n . 4 ; Maurach/Schroeder/Maiwald BT § 54 II 4; Backherms Zur E i n f ü h r u n g : Recht u n d Tech-

nik, J u S 1980 9, 10; Marburger S. 145 f f ; Siegburg A n e r k a n n t e Regeln der Bautechnik — D I N - N o r m e n , BauR 1985 367, 372 ff; Scherer S. 15 f f ; Veit S. 172 ff. Abweichend Schünemann Z f B R 1980 162 f.

S t a n d : 1. 10. 1 9 9 5

(28)

Baugefährdung

§ 323

14

chen ist . Wird die Errichtung einer notwendigen Brandmauer unterlassen, so liegt darin eine gegenwärtige Gefahr (RG GA 47 [1900] 442). Eine Gefahr ist demgegenüber dann nicht gegenwärtig, wenn sie erst in Zukunft durch Veränderung eines bestehenden Zustande — ζ. B. durch Fortsetzung eines auf schlechten Fundamenten errichteten Rohbaus — herbeigeführt wird (RGSt. 5 254; 31 180, 182); vgl. aber auch RG GA 53 [1906] 440: Ist die Einsturzgefahr infolge eines fehlerhaft gemauerten Pfeilers durch planmäßigen Weiterbau akut geworden, so ist der Tatbestand des § 323 erfüllt. Ist der Verantwortliche von vornherein bereit und in der Lage, einer bestimmten Baugefahr zu begegnen, so scheidet § 323 aus (RGSt. 31 180, 182). — Ob die Gefahr zur Zeit der Aburteilung fortdauert, ist unerheblich; sie muß nur zu irgendeiner Zeit bestanden haben (RG JW 1926 589). Von den Umständen des einzelnen Falles hängt es ab, ob vor der baupolizeilichen Abnahme eines Neubaus eine gegenwärtige Gefahr besteht. Soweit sich die Gefahr auf Bauarbeiten erstreckt, wird sie regelmäßig vor dem erwähnten Zeitpunkt eintreten. Unter den unbestimmten Begriff andere lassen sich alle ordnen, die nicht Täter 15 oder Teilnehmer der Tat sind' 5 . Es können danach Personen darunter fallen, die bei dem Bau beschäftigt sind (RGSt. 31 180, 182); bei einem Gebäude dessen Bewohner und Benutzer; Nachbarn; Passanten. Ein Bauunternehmer, der schuldhaft den Einsturz einer Mauer verursacht, ist auch für Verletzungen verantwortlich, die sich Rettungsmannschaften bei der Bergung von Verschütteten zuziehen (BGH, Urt. v. 21. September 1960— 2 StR 196/60; kritisch dazu Schünemann ZfBR 1980 165). VII. Verschulden. Im Falle der Absätze 1 und 2 ist mindestens bedingter Vorsatz 16 für alle Merkmale des objektiven Tatbestands erforderlich, also auch für die herbeigeführte Gefahr. Ist der Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik vorsätzlich begangen, die Gefahr aber fahrlässig herbeigeführt, gilt Absatz 3 in Verbindung mit den Absätzen 1 oder 2. Es handelt sich um eine vorsätzliche Tat (§ 11 Abs. 2), so daß Teilnahme möglich ist 16 . Liegt insgesamt Fahrlässigkeit vor, greift Absatz 4 in Verbindung mit den Absätzen 1 oder 2 ein. Die möglichen Straffolgen sind dem Verschuldensgrad entsprechend gestuft. Bereits bei der früheren Fassung der Bestimmung wurde die fahrlässige Tat für strafbar angesehen (RG Rspr. 5 8; BGHSt. 6 131). Fahrlässigkeit ist immer dann gegeben, wenn der Täter die allgemeine Gefährlich- 17 keit eines von ihm geschaffenen Zustandes erkennen und dementsprechend allgemein mit Schadensfolgen von der Art rechnen mußte, wie sie dann tatsächlich eingetreten sind (BGH, Urt. v. 13. Februar 1962 — 1 StR 11/62). Fahrlässigkeit ist ζ. B. zu bejahen, wenn der Täter hätte erkennen können, daß seine Kenntnisse und Fähigkeiten und die Ausrüstung seines Unternehmens nicht hinreichten, um bestimmte, gefahrträchtige Bauarbeiten sicher auszuführen (RG GA 38 [1890] 439, 440). Zu der Wechselwirkung von Sorgfaltspfiichten bei Bauplanung und Bauleitung vgl. OLG Köln M D R 1963 156. Ein Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften bedeutet nicht ohne weiteres Fahrlässigkeit; doch können diese Vorschriften zur Begründung eines fahrlässigen Verhaltens in tatsächlicher Beziehung herangezogen werden (RG Recht 1906 Nr. 123). — Irrt der Täter trotz Kenntnis aller Umstände über den Begriff des Bauleiters, so liegt ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum vor (vgl. RGSt. 57 205; RG GA 39 [1891] 323). 14

15

RGSt. 6 129; R G Recht 1915 Nr. 2417; K G D R i Z 1929 Nr. 914; Dreher/Tröndle R d n . 11; Bedenken gegen diese R e c h t s p r e c h u n g bei Frank A n m . III. BTDrucks. 7 / 5 5 0 S. 268 u. I V / 6 5 0 S. 514; Dreher/

(29)

Trondle R d n . 11, Lackner R d n . 1. Sch/Schroder/ Cramer R d n . 6. " Einen Fall von Anstiftung behandelt R G G A 46 [1898/99] 110.

Hagen Wolff

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

18

VIII. Das Gesetz sieht in Absatz 5 die Möglichkeit tätiger Reue vor. Vgl. im einzelnen bei § 311 c, wo eine entsprechende Regelung gilt.

19

IX. Konkurrenzen. Tateinheit kommt mit §§ 211, 212, 222, 223 ff, 230 in Betracht; denkbar auch mit § 311 Abs. 5 (Dreher/Tröndle Rdn. 14). Absatz 2 tritt hinter § 318, der spezielleren Vorschrift, zurück. — Vgl. im übrigen ergänzend die Bauordnungen der Länder.

20

X. Die Verjährung beginnt, wenn die konkrete Gefahr eingetreten ist (RGSt. 31 180, 182; RG GA 53 [1906] 440), bei einem Bauwerk also spätestens mit Fertigstellung und Abnahme, weil dann die Tat jedenfalls vollendet ist. Bei § 323 handelt es sich nicht um ein Dauerdelikt (RGSt. 6 129, 130; 9 152, 156; 26 261, 262).

21

XI. Recht des Einigungsvertrages. § 323 gilt seit dem Wirksamwerden der Beitrittserklärung zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 auch in den auf dem Gebiet der früheren D D R gegründeten Bundesländern und in ganz Berlin. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, am 29. September 1990 in Kraft getreten, sieht insoweit weder in Anlage I — Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I und II sowie Abschnitt III Nr. 1) — noch in Anlage II — Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Kapitel III Sachgebiet C Abschnitte I und II) — etwas Abweichendes vor (zum Zeitpunkt der Überleitung von Bundesrecht vgl. Art. 8, für die Fortgeltung des Rechts der D D R vgl. Art. 9 Einigungsvertrag).

22

In der früheren D D R ist das dortige Strafgesetzbuch zuletzt durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft getreten am 1. Juli 1990, geändert worden (GBl. I S. 526). Das dem § 323 entsprechende Delikt wurde davon nicht berührt. Es ergab sich aus der seit dem 1. Juli 1989 geltenden Fassung des Strafgesetzbuchs der D D R vom 14. Dezember 1988 (GBl. 1989 I S. 33). Dort war als § 195 Gefährdung der Bausicherheit — normiert: (1) Wer vorsätzlich als Verantwortlicher im Bauwesen unter Verletzung seiner Rechtspflichten gegen baurechtliche oder bautechnische Bestimmungen verstößt und dadurch fahrlässig eine Gemeingefahr verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Verantwortliche im Bauwesen im Sinne dieses Gesetzes sind Projektanten, Bauauftragnehmer sowie Verantwortliche für die Fertigung von Baustoffen und Bauelementen oder für den Abbruch eines Bauwerks oder die von diesen mit der Leitung oder Beaufsichtigung derartiger Arbeiten beauftragten Personen.

Für die in der Deutschen Demokratischen Republik begangenen Taten von Baugefährdung wird ergänzend auf Art. 315 und 315 a EGStGB verwiesen.

§ 323 a Vollrausch (1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. Stand: 1. 8. 1995

(30)

Vollrausch

§ 323 a

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist. (3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte. Mit § 323 a StGB I und II inhaltlich übereinstimmend § 122 I und II OWiG für Ordnungswidrigkeiten als Rauschtaten. Wortlaut des § 7 Wehrstrafgesetz für selbstverschuldeten Rausch im Militärstrafrecht ; (1) Selbstverschuldete Trunkenheit führt nicht zu einer Milderung der angedrohten Strafe, wenn die Tat eine militärische Straftat ist, gegen das Kriegsvölkerrecht verstößt oder in Ausübung des Dienstes begangen wird. (2) Der Trunkenheit steht ein Rausch anderer Art gleich. Wortlaut des § 827 BGB für verschuldete Unverantwortlichkeit im Zivilrecht: 'Wer im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. 2 Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist. Wortlaut des früheren § 15 III StGB-DDR von 1968, der für den Fall einer Straftat im selbstverschuldeten Vollrausch eine Ausnahme vom allgemeinen Schuldgrundsatz statuierte (dazu in der Geschichte Rdn. 3): (3) Wer sich schuldhaft in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, wird nach dem verletzten Gesetz bestraft. Schrifttum Arbab-Zadeh Zurechnungsfähigkeit, Rauschtat und spezifisches Bewußtsein, N J W 1974 1401; Arndt, Herbert Verkehrsverstöße im Rauschzustand, D A R 1954 148; Backmann Anwendbarkeit des § 330 a bei unterlassener Hilfeleistung im Zustand des Vollrauschs, JuS 1975 698; Bemmann Welche Bedeutung hat das Erfordernis der Rauschtat in § 330a StGB? GA 1961 65; Bertram Zur Bestrafung der im Vollrausch begangenen Straftaten im Entwurf 1960 des StGB (§ 351), MSchrKrim. 1961 101; Boldt Zur Handlung des Zurechnungsunfähigen in § 330a StGB, DR 1939 1035; Brandenberger Bemerkungen zu der VerÜbung einer Tat in selbstverschuldeter Zurechnungsunfähigkeit, Diss. Bern 1970; Brandstetter G r u n d f r a g e n der Deliktsverwirklichung im Vollrausch (Wien 1992); Bruns, Hans-Jürgen Die Bedeutung des krankhaft oder rauschbedingten Irrtums für die Feststellung „einer mit Strafe bedrohten H a n d l u n g " i.S. der §§ 42 b, 330 a StGB, DStrR 1939 225; Bruns, H.-J. Zur neuesten Rechtsprechung über die Strafbarkeit der Volltrunkenheit, J Z 1958 105; Bruns, H.-J. Zur Problematik rausch-, krankheitsoder jugendbedingter Willensmängel des schuldunfähigen Täters im Straf-, Sicherungs- und Schadensersatzrecht (§§ 330 a, 42 b StGB, 829 BGB), J Z 1964 473; Cramer Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt (1962); Dahm Zur Bestrafung der Rauschtat nach § 330 a StGB, Z A k D R 1939 267; Dencker Vollrausch und „der sichere Bereich des § 21 StGB", N J W 1980 2159; Dencker § 323 a StGB - Tatbestand oder Schuldform? J Z 1984 453; Derwort Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Rauschtäters, in: Würtenberger/Hirschmann (31)

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(Hrsg.), Kriminalbiologische Gegenwartsfragen, H. 6 (1964) S. 70; Dollinger Die H a n d l u n g des Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g e n im Strafrecht, Diss. M ü n c h e n 1938; Dollinger Zur H a n d l u n g des Zur e c h n u n g s u n f ä h i g e n in § 330 a StGB, D R 1939 1033; Domning Mit Strafe b e d r o h t e H a n d l u n g e n Schuldunfähiger, Ein Beitrag zur Auslegung der §§ 4 2 b u n d 3 3 0 a StGB (1939); Dreher Im Irrgarten der Wahlfeststellung, M D R 1970 369; Ernst Arzneimittelmißbrauch u n d Sucht, P h a r m a zeut. Zeit. 1984 173; Flück Alkoholrausch u n d Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t (1968), Fortlage Tatbestand der Volltrunkenheit nach § 3 3 0 a StGB, D J Z 1935 Sp. 480; Forster/Rengier Alkoholbedingte Schuldunfähigkeit und Rauschbegriff des § 323 a StGB aus medizinischer u n d juristischer Sicht, N J W 1986 2869; Gerchow Z u r Schuldfähigkeit D r o g e n a b h ä n g i g e r , Blutalk. XVI (1979) 97; Gerchow Sogenannte b e r a u s c h e n d e Mittel u n d ihre medizinisch-rechtliche Problematik, Sarstedt-Festschr. (1981) S. 1; Gerland Der Rauschmittelmißbrauch nach § 3 3 0 a StGB, ZStrW 55 (1936) 784; Gollner „ Z u r ü s t u n g e n " bei § 3 3 0 a StGB, M D R 1976 182; Graf Aus der Praxis der Rauschtat, D R i Z 1934 235; Gramsch Der T a t b e s t a n d des Rauschmittelmißbrauchs nach § 3 3 0 a StGB, StrAbh. H. 395 (1938); Grasmann Die mit Strafe b e d r o h t e H a n d l u n g in § 330 a StGB mit einem Ausblick auf die §§ 42 b, 4 8 , 4 9 StGB unter besonderer Berücksichtigung neuerer Lehrmeinungen, Diss. M ü n c h e n 1951; Grühn/Pribila Blutalkoholkonzentrationen nach G e n u ß von W e i n b r a n d b o h n e n , Blutalk. XXI (1984) 363; Grüner Zur A n w e n d b a r k e i t des § 3 3 0 a StGB bei chronischen Alkoholikern, Blutalk. XVI (1979) 300; Grüner/Rentschier Manual zur Blutalkohol-Berechnung (1976); Hardwig Studien zum Vollrauschtatbestand, Eb. Schmidt-Festschr. (1961) S. 459; Hardwig Der Vollrauschtatbestand, G A 1964 140; Hartl Der strafrechtliche Vollrausch (§ 323 a StGB) speziell im Straßenverkehrsrecht, Diss. M ü n c h e n 1988; Heimberger T r u n k e n h e i t u n d T r u n k s u c h t im Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, ZStrW 32 (1911) 563; Heinitz Die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Auslegung des § 3 3 0 a StGB, Dtsch. Zschr. f. d. ges. gerichtl. Medizin 44 ( 1 9 5 5 - 5 6 ) 509; Heinitz Z u m Verhältnis der Wahlfeststellung zum Satz in d u b i o p r o reo, J R 1957 126; Heiß Verurteilung nach § 323 a StGB trotz Zweifel über das Vorliegen eines Vollrausches? N S t Z 1983 67; Hentschel/Born Trunkenheit im Straßenverkehr, 6. Aufl. (1992); Herrmann D e r D r o g e n m i ß b r a u c h u n d seine B e k ä m p f u n g , ZStrW 86 (1974) 423; Heuermann Die B e h a n d l u n g der T r u n k s u c h t u n d der Gewohnheitstrinker, Materialien zur Strafrechtsreform 2. Bd., I Allgem. Teil (1954) S. 209; Hirsch, Hans Joachim Alkoholdelinquenz in der Bundesrepublik Deutschland, Z S t r W Beih. 1981 2; Hirschmann Z u r Kriminologie der akuten Alkoholpsychosen, in: W ü r t e n b e r g e r / H i r s c h m a n n (Hrsg.) Kriminalbiologische Gegenwartsfragen, H. 6 (1964) S. 55; Hodes Fallen unter § 330 a R S t G B auch Unterlassungen? Z W e h r R 1936/37 47; Hodes § 3 3 0 a StGB in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung u n d in der Rechtslehre, Z W e h r R 1939/40 129; Hogräfer D a s Schuldproblem in § 330 a StGB, StrAbh. H. 418 (1940) Horn K a n n die „ m i n d e s t e n s erheblich verminderte Schuldfähigkeit" den „ R a u s c h " - B e g r i f f i. S. des § 3 3 0 a StGB d e f i n i e r e n ? J R 1980 1; Hwang Die Rechtsnatur des Vollrauschtatbestandes (§ 323 a StGB) — Ein abstraktes oder ein konkretes G e f ä h r d u n g s d e l i k t ? Diss. Göttingen 1987; Kaufmann, Arthur Unrecht u n d Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, J Z 1963 425; Kohlrausch Trunkenheit u n d Trunksucht im Deutschen Vorentwurf, Z S t r W 32 (1911) 645; Kreuzer Der D r o g e n m i ß b r a u c h u n d seine B e k ä m p f u n g , Z S t r W 86 (1974) 379; Krumme Rechtliche Überlegungen zum § 330 a StGB, Blutalk. I (1961/62) 282; Kusch Der Vollrausch, § 323 a StGB in teleologischer Auslegung (1984); Lackner Vollrausch u n d Schuldprinzip, J u S 1968 215; Lackner Neuorientierung der Rechtsprechung im Bereich des Vollrauschtatbestandes, in: Jescheck-Festschr. (1985), 1. HBd., S. 645; Lange, Richard Der gemeingefährliche Rausch, Z S t r W 59 (1940) 574; Lange, Rieh. Die B e h a n d l u n g der Volltrunkenheit in der Strafrechtsreform, J R 1957 242; v. Lilienthal Zurechnungsfähigkeit, V D A V. Bd. (1908) S. 33; Maurach Schuld u n d Verantwortung im Strafrecht (1948); Mayer, Hellmuth Die folgenschwere Unmäßigkeit (§ 330 a StGB), Z S t r W 59 (1940) 283; Mezger/Mikorey Volltrunkenheit u n d Rauschtat gemäß § 330 a StGB, M s c h r K r i m P s y c h . 1936 410; Mittermaier Über Einf l u ß der T r u n k e n h e i t auf die Z u r e c h n u n g u n d S t r a f a n w e n d u n g , Neues Arch. d. Criminalrechts 12 (1830) 1; Montenbruck Z u m Tatbestand des Vollrausches, G A 1978 225; Naeve/Schmutte Rechtsmedizinische Stellungnahme zu dem Begriff „ a n d e r e b e r a u s c h e n d e Mittel" im Sinne der §§ 315 c, 316 StGB, Kraftf. + Verkehrsr. 1971 325; Niederreuther Der Rauschmittelmißbrauch nach § 3 3 0 a RStGB, Z W e h r R 1936/37 284; Niederreuther Z u r A n w e n d u n g des § 3 3 0 a StGB, GerS 114 (1940) 322; Otto Der Vollrauschtatbestand (§ 323 a StGB), J u r a 1986 478; Paeffgen S t a n d : 1. 8. 1995

(32)

Vollrausch

§ 323 a

Die Ausweitung des „Rausch"-Begriffs (§ 323 a StGB) — ein unaufhaltsamer Prozeß? NStZ 1985 8; Puppe Die N o r m des Vollrauschtatbestandes, G A 1974 98; Puppe Neue Entwicklungen in der Dogmatik des Vollrauschtatbestandes, Jura 1982 281; Ranft Strafgrund der Berauschung und Rücktritt von der Rauschtat, Μ D R 1972 737; Ranft G r u n d p r o b l e m e des Vollrauschtatbestandes (§ 323 a StGB), JA 1983 193, 239; Ranft Die rauschmittelbedingte Verkehrsdelinquenz, Jura 1988 133; Ruisinger Die selbstverschuldete Trunkenheit im deutschen Strafrecht der Gegenwart u n d Zukunft, StrAbh. H. 263 (1929), Sattes Gefahren von G e w ö h n u n g u n d Abusus, Ärztl. Prax. XVIII (1966) 655; Sattes Tablettensucht, BayÄrztebl. 1969 665; Sattes Forensische Fragen bei Alkoholmißbrauch, Therapiewoche 33 (1983) 3231; Schewe Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz (1972); Schewe Juristische Probleme des § 330 a StGB aus der Sicht des Sachverständigen, Blutalk. XIII (1976) 87; Schewe Alkoholdelinquenz aus medizinischer Sicht, ZStrW, Beih. 1981 39; Schewe § 323 a — Definitions- und Beweisprobleme an der „unteren Rauschgrenze"? Blutalk. XX (1983) 369; Schliwienski Die schuldhafte Herbeiführung des Rausches und die Schuldunfähigkeit bei der Rauschtat nach § 323 a StGB, Diss. Köln 1988; Schlosky Straftaten in Volltrunkenheit, JW 1936 3425; Schmidt-Leichner Zur Problematik des Rauschmittelmißbrauchs nach § 330 a StGB, DStrR 1940 109; Schneidewin Vollrausch und Wahlfeststellung, J Z 1957 324; Schröder Der subjektive Tatbestand des § 330a StGB, D R i Z 1958 219; Schultz, Hans in: W a a b e n / S c h u l t z / L e a u t e / S i m s o n / S e r i n i , Die Behandlung der Trunkenheit im Strafrecht, Arbeiten zur Rechtsvergleichung, H. 8 (1960), S. 17; Schuppner/Sippel Nochmals: Verurteilung nach § 323 a StGB trotz Zweifels über das Vorliegen eines Vollrausches? NStZ 1984 67; Schwarz Rauschtat und Wahlschuldfeststellung, N J W 1957 401; Schwarze Die Zurechnung der im Zustande hochgradiger Trunkenheit begangenen Handlungen, GerS 33 (1881)430; Streng Unterlassene Hilfeleistung als Rauschtat? J Z 1984 114; Täschner Forensischpsychiatrische Probleme bei der Beurteilung von Drogenkonsumenten, N J W 1984638; Tröndle Vollrauschtatbestand und Zweifelsgrundsatz, Jescheck-Festschr. (1985) 1. HBd., S. 665; Uhse Kritik des § 330a StGB, Diss. F r a n k f u r t / M . 1954 (Mschr.); Weber, Gunther Das Delikt der folgenschweren Volltrunkenheit nach § 330a StGB, Diss. Saarbrücken 1970; v. Weber, Hellmuth Die Bestrafung der Rauschtat, GerS 106 (1935) 329; v. Weber, Hellm. Die Bestrafung von Taten Volltrunkener, M D R 1952 641; v. Weber, Hellm. Die Bestrafung von Volltrunkenheit, G A 1958 257; v. Weber, Hellm. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Rauschtat, Stock-Festschr. (1966) S. 59; Wolter Vollrausch mit Januskopf, NStZ 1982 54; Zimmermann, Rudolf Trunksucht, in StrAbh. H. 342 (1934).

Weiteres Schrifttum zu d e n A b s c h n i t t e n v o r R d n . 21 ( R a u s c h t a t als actio libera in causa), R d n . 185 (subjektiver T a t b e s t a n d d e r Rauschtat?), R d n . 263 ( T ä t e r s c h a f t u n d Teilnahme), R d n . 286 (Strafzumessung), R d n . 3 2 5 (Konkurrenzen), R d n . 345 ( V e r f a h r e n s r e c h t l i ches). Entstehungsgeschichte E i n g e f ü g t ist d i e — a u f § 367 d e s E n t w u r f s e i n e s A l l g e m e i n e n D e u t s c h e n S t r a f g e s e t z b u c h s v o n 1927 (S. 3 9 , 1 9 0 ) z u r ü c k g e h e n d e — S t r a f v o r s c h r i f t a l s § 3 3 0 a d u r c h d a s Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher u n d über Maßregeln der Sicherung u n d B e s s e r u n g v o m 24. 11. 1933 ( R G B l . I S. 9 9 5 , 9 9 9 ) , in K r a f t g e t r e t e n a m 1. 1. 1934, in f o l g e n d e r F a s s u n g : (1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in einen die Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. 1) ausschließenden Rausch versetzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. (2) Die Strafe darfjedoch nach Art und Maß nicht schwerer sätzliche Begehung der Handlung angedrohte Strafe. (33)

Günter Spendel

sein als die für die

vor-

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

(3) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein, wenn die begangene Handlung nur auf Antrag verfolgt wird. Geändert ist die Bestimmung durch das Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. 9. 1941 (RGBl. I, S. 549, 550) in der Strafdrohung (Androhung von Gefängnis schlechthin, d. h. bis zu fünf statt nur bis zu zwei Jahren), in Kraft getreten am 11. 9. 1941. Neu gefaßt ist die Vorschrift durch das EGStGB vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S. 469, 495) in der heutigen Form („Legalisierung" der Rechtsprechung zur Frage zweifelhafter Schuldunfähigkeit bei der Rauschtat — BT-Drucks. 7/550, S. 268 und Rdn. 105 ff, 148 ff — und ausdrückliche Bezeichnung des Vergehens als „Vollrausch"), in Kraft getreten am 1. 1. 1975. Neu numeriert, aber sonst unverändert ist die Bestimmung (statt § 330 a n. F. nunmehr § 323 a) durch das 18. StrÄndG vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 373, 374), in Kraft getreten am 1.7. 1980. Nach der kurzen Begründung im Dtsch. RAnz. u. Preuß. StAnz. Nr. 277 vom 27. 11. 1933 (1. Beil.) sollte die neue Strafvorschrift § 330 a eine Lücke des geltenden Rechts ausfüllen, da ein wegen Vollrauschs zurechnungsunfähiger Täter nach der ursprünglichen Gesetzesregelung straflos blieb, seine schuldhafte Herbeiführung des Rauschzustandes aber strafwürdig erschien (s. auch RGSt. 70 85; 73 11, 14; BGHSt. 1 275, 277; [GrS] 9 390, 397 unt.; ferner Entw. eines StGB 1962, S. 536). Zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung im übrigen näher die nachfolgenden Rdn. 8 ff, 12. Übersicht Rdn. I. Allgemeine G r u n d l a g e n 1. Das Problem u n d seine Entwicklung 2. D a s Delikt u n d seine Bedeutung . . 3. Die Rauschtat u n d ihre Bestrafung als actio libera in causa (alic) . . . . 4. Der Vollrausch u n d seine Bestraf u n g als selbständiges Vergehen . . . a) Rechtsnatur b) Rechtsgut II. Der objektiver T a t b e s t a n d des Vollrausches 1. Der T ä t e r : der S i c h b e r a u s c h e n d e (Volltrunkene) 2. Die T a t h a n d l u n g : das Sich-in einen-Rausch-Versetzen 3. Die Tatmittel: die R a u s c h m i t t e l . a) Alkoholische G e t r ä n k e . . . . b) A n d e r e b e r a u s c h e n d e Mittel . 4. Die erste T a t f o l g e : der schuldaus schließende (Voll-)Rausch . . . a) Der s c h u l d b e f r e i e n d e Rausch u n d seine inhaltliche Bestimmung aa) Die gesetzliche N o r m i e r u n g als Vollrausch bb) Die begriffliche Einteilung in R a u s c h a r t e n cc) Die rechtliche Kennzeichn u n g als Schuldunfähigkeit .

Rdn.

1 13 21

47 48 69 71 73 80 83 83

104 III. IV. 104 105 112

V. VI.

126

Stand: 1. 8. 1995

dd) Die ursächliche Beziehung zum Rauschmittel b) Die rauschbedingte S c h u l d u n fähigkeit u n d ihre prozessuale Feststellung 5. Die weitere T a t f o l g e : die G e f ä h r lichkeit des (Voll-)Rausches a) Der Vollrausch als Ursache der schuldlosen Rauschtat b) Die Rauschtat als Beweis des gefährlichen Vollrausches aa) D e r objektive Tatbestand der Rauschtat bb) Die Rechtswidrigkeit der Rauschtat cc) D e r subjektive T a t b e s t a n d der Rauschtat d d ) D e r Schuldausschluß bei der Rauschtat ee) D e r Strafausschluß bei der Rauschtat Das U n r e c h t des Vollrausches Der subjektive T a t b e s t a n d des Vollrausches 1. Der Vorsatz 2. Die Fahrlässigkeit 3. Das Unrechtsbewußtsein Die Schuld beim Vollrausch V o l l e n d u n g u n d Begehung des Vollrausches

133

148 157 158 161 163 180 185 211 216 223 230 233 237 244 246 249 (34)

§ 323 a

Vollrausch 1. Versuch u n d Vollendung 2. T a t o r t u n d Tatzeit VII. T ä t e r s c h a f t u n d T e i l n a h m e 1. Die Beteiligung an der Selbstberauschung a) Mittelbare T ä t e r s c h a f t b) Mittäterschaft c) A n s t i f t u n g u n d Beihilfe 2. Die Beteiligung an der Rauschtat . . a) Mittelbare Täterschaft b) Mittäterschaft c) A n s t i f t u n g u n d Beihilfe VIII. Rechtsfolgen 1. Die Strafzumessung 2. D a s Fahrverbot 3. Die Entziehung d e r F a h r e r l a u b n i s 4. Die U n t e r b r i n g u n g in einer Entziehungsanstalt 5. Die Unterbringung in einem psychiatrischen K r a n k e n h a u s . . . 6. Die S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g . . . . 7. Die F ü h r u n g s a u f s i c h t 8. D a s Berufsverbot 9. Die Einziehung 10. Verwaltungsrechtliche Folge . . . .

Rdn.

Rdn.

250 254 263

IX. K o n k u r r e n z e n 325 1. M e h r e r e Rauschtaten 326 2. Mehrere Vollräusche 329 3. Vollrausch u n d Rauschtat 331 a) Ausschluß 332 b) Z u s a m m e n t r e f f e n 334 aa) Gesetzeseinheit 335 bb) Tateinheit 337 4. Vollrausch u n d N a c h t a t 341 a) T a t m e h r h e i t 342 b) Tateinheit 344 X. Verfahrensrechtliches 345 1. Prozeßart 346 2. Prozeßvoraussetzungen 349 a) Strafantrag 349 b) S t r a f v e r f o l g u n g s v e r j ä h r u n g . . . 350 c) Strafklageverbrauch 353 d) Sachliche Zuständigkeit 354 3. Prozessuale Z w a n g s m a ß n a h m e n . . 355 4. Prozeßgegenstand 359 5. P r o z e ß a b s c h l u ß 363 a) Urteilsbildung 364 b) Urteilsformel 367 c) Urteilsgründe 369 d) Urteilsanfechtung 372

264 264 268 269 273 273 280 281 286 286 301 302 304 311 314 317 318 319 324

Stich wortverzeich η is Zahlen = R a n d n u m m e r n , Hauptstellen halbfett Abartigkeit, seelische — T r u n k s u c h t als - 75, 79, 311, 373 Abbruch einer Bedingungsreihe 137 Absehen von S t r a f e 222 Abstraktes Cefährdungsdelikt als Rauschtat 61 Fn. 133, 178, 230 Fn. 385 nicht als Vollrausch(delikt) 55 ff Actio libera in causa (alic) Begriff 24 fährlässige 40, 42, 236, 238, 336, 338 Geschichte 5 f, 9, 22 f K o n k u r r e n z zu § 323 a 21, 43 f, 331 ff R e c h t s p r e c h u n g 25 Fn. 64, 37 Rechtswidrigkeit 33 u n d Fn. 81, 46 a . E . subjektive T a t b e z i e h u n g 38 f Strafbarkeit 23, 27 Versuch u n d Vorbereitung 32, 36 vorsätzliche 3 9 f , 236, 238, 335, 339 Äther 90, 103 Äquivalenztheorie 33, 138, 140, 277 Akuter Rausch 10, 116 ff Akzessorietät, limitierte — 281 ff Alkohol 83 ff alkoholfreie G e t r ä n k e 87 alkoholische G e t r ä n k e 83 — 87 Heilkräuterdestillate 84 in S c h o k o l a d e n w a r e n 86 — u n d Ü b e r m ü d u n g 142, 145 Fn. 271 Z u s a m m e n w i r k e n mit a n d e r e n Mitteln 142 ff (35)

Alkoholempfindlichkeit (Alkoholintoleranz) 87 Fn. 181, 122, 125, 140, 141, 145, 311, 320 Alkoholismus, chronischer — 74 ff u n d Fn. 156, 76, 124 f, 132, 304, 357 Alkoholkonsum 110, 111, 116 Statistisches 13 Alkoholmißbrauch 13, 76, 125 u n d Fn. 255, 132, 304, 306 Alkoholpsychose 76, 124 f, 132, 211 Alkoholrausch F o r m e n 112 ff K e n n z e i c h n u n g 89, 114, 126 ff, 131 Alkoholsucht 75 ff Amnestie 250, 261 Amphetamine, A u f p u t s c h - u n d Rauschmittel 101 Analgetika (schmerzstillende Mittel) als Rauschmittel 99, 145 Angeheitert 117 Angetrunkenheit 106, 108, 117 Anregungs- und Aufputschmittel als Rauschmittel 101 Anstiftung zur Rauschtat 281 ff z u m Vollrausch 269, 274 Antabus, Mittel gegen T r u n k s u c h t 92, 142 Antiadipositum X 112, suchterzeugendes Mittel 102

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Appetitzügler als Rauschmittel 102 Arzneimittel als Rauschmittel, s. M e d i k a m e n t e Aspirin 100 Auffangtatbestand, Vollrausch als — 108 Aufputschmittel 101 Aussichtslosigkeit einer Entziehungskur 309 Automatisches Verhalten 167, 172 Ausfallerscheinungen infolge Alkoholgenusses 110 u n d Fn. 222 Baldrian(wein) $5 u n d Fn. 172 Barbiturate als Rauschmittel 97 Bedeutung des Vollrausches f ü r Kriminalität 14, 18, 142ff, 194f, 2 0 4 f f Bedingungen der S t r a f b a r k e i t , s. S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g e n , objektive — Bedingungstheorie 33, 138, 140, 277 Beendigung des Vollrausches 259, 262 Begehung des Vollrausches 80, 249 ff, 259, 264 f Beihilfe fahrlässige — 272, 276 — zur Rauschtat 276, 281 ff — zum Vollrausch 269, 272 Benzedrin als A u f p u t s c h - u n d Rauschmittel 101 Berauschende Mittel 88 ff, 142 ff Berauschung a n d e r e r als Fremdverletzung 267 durch a n d e r e 80, 265 f Selbstberauschung als Selbstverletzung 1 ff, 4 ff, 12, 70, 80, 264 f Berufsverbot 318 Beruhigungsmittel (Tranquilizer) als Rauschmittel 98 Betäubungsmittelgesetz 17, 19,91 Betrunkenheit 117 Beweisregel im Kausalsatz des § 323 a I 107 ff, 109, 148 ff, 153 ff, 231, 333 Beweisschwierigkeiten bei Feststellung — der Rauschtat 1, 185 ff, 187, 191, — des Vollrausches 108, 148 ff, 153 ff, 155 Beweistatsache, Rauschtat — für Rauschgefährlichkeit 61 ff, 71, 157 f, 161 Bewußtlosigkeit des Berauschten 10, 168 Bewußtseinserweiterung 114 Bewußtseinsstörung Vollrausch als - 10, 114, 124, 131, 140 Bewußtseinstrübung 1, 10 Bier (Vol.-%) 83, 87 Fn. 181 Blutalkoholkonzentration (BÄK) 117, 127 ff, 130 Blutdrucksenkendes Medikament Omca u n d Alkohol 143 Blutkoller u n d Alkohol 139 f Branntwein (Vol.-%) 83 Cannabis sat. var. ind., indisches H a n f k r a u t 96

Captagon, A u f p u t s c h - u n d Rauschmittel 101 Charaktermangel als G r u n d d e r Rauschsucht 75 f, 79 Chloroform als Rauschmittel 103 Chronischer Alkoholismus, s. diesen Conditio-sine-qua-non-Formel 159 Crack, gefährliche D r o g e 94 Delikt, eigenhändiges — Vollrausch kein — 264, 278 Demenz als Folge des A l k o h o l m i ß b r a u c h s 76, 125, 132 Depravation des Drogensüchtigen 76 „ D e s i g n e r - D r o g e n " 101 Dessertweine (Vol.-%) 83 Dolviran, schmerzlinderndes Mittel als Rauschmittel 19, 99 D O M , Rauschgift 95 Dopingmittel 101 Droge 91 Drogenrausch 19, 114, 115, Fn. 231 Drogensucht 15, 7 4 f , 76, 304, 3 0 6 f , 311 f, 314 Statistisches 15 Ecstasy, Designer-Droge 101 Eierlikör (Vol.-%) 83 a . E . „Einheitstheorie" f ü r Zeit u n d Ort der Tat 260 Einstweilige Unterbringung in einer Anstalt 357 Einziehung 319 ff Einwilligung in Rauschtat 184 Einziehung 319 „ E n g e l s s t a u b " (Phecyclidin, PCP), gefährliche D r o g e 95 Enthemmung durch Alkohol 55, 89, 114 Entschuldigungsgründe u n d Rauschtat 211 beim Vollrausch 247 Entziehung der Fahrerlaubnis, s. Fahrerlaubnis, W a f f e n b e s i t z k a r t e 324 Entziehungsanstalt U n t e r b r i n g u n g in - 304 ff, 313, 356, 373 Statistisches 310 Entziehungskur 309 Ephedrin, A u f p u t s c h - u n d Rauschmittel 101 Epileptische Veranlagung des Rauschtäters 141 Erfolg, Bedeutung f ü r den Tatort 254 ff E r f o l g s h a f t u n g u n d Vollrausch 3, 49 f Erregung des Rauschtäters 114,141 Ermächtigung zur Strafverfolgung 349

Stand: 1. 8. 1995

(36)

Vollrausch Ersatzstoffe als Rauschmittel 103 Ex-ante- Betrachtung bei der versuchten actio 1. i. c. 32 beim Vollrausch als G e f ä h r d u n g s d e l i k t 60 f bei der Rechtswidrigkeit des Vollrausches 227 f Ex-post-Betrachtung bei der vollendeten actio l . i . c . 33 beim Vollrausch als G e f ä h r d u n g s d e l i k t 60, 220 bei der Rechtswidrigkeit des Vollrausches 227 f Fälle aus der Judikatur 18 f f , 142 f f , 194f, 204 ff Fahrerlaubnis, Entziehung der — endgültige 302 ff, 375 vorläufige 358 Fahrlässigkeit bei d e r actio 1. i. c. 40 generelle 52, 62 u n d Fn. 137 u n d Rauschtat 7, 27, 5 2 f , 172, 201, 241 beim Vollrausch 7, 27, 66, 145, 209, 231, 237 ff, 240, 321 f, 371 Urteilsfeststellung 243 Wegfall infolge V o r k e h r u n g e n gegen Vollrausch 240 f Fahrlässigkeitshaftung f ü r verschuldeten Rausch 7 Fahrunsicherheit infolge Alkohols 117 Fahruntüchtigkeit, absolute — 109,117 rauschbedingte — 142 relative — 109 Fahrverbot 301 „Flash back" 127 a. E. Fortsetzungszusammenhang beim Vollrausch 329 f Franzbranntwein 85 Freiheitsentziehende Maßregeln 304 ff Freiheitsstrafe wegen Vollrausches 286 Fruchtsäfte 87 Fugoa Depot, Schlankheitsmittel als Rauschmittel 102 Führungsaufsicht 317 Gaststättengesetz 1 Fn. 3 Gefahr, Begriff der - 62 ff, 227 f „Gefahriiberlagerung" 214 Gefährdungsdelikt als Rauschtat 61 Fn. 133, 178, 230 Fn. 385 als Vollrausch kein abstraktes 55 ff kein k o n k r e t e s 58 f subjektiv-generelles 67, 157, 223, 230, 235 Gefährdungsfahrlässigkeit 62, 66, 145, 231, 237 ff, 240, 371 Gefährdungsvorsatz 62, 66, 233 ff, 371 Gefährlichkeit des Vollrausches als ungeschriebenes T a t b e s t a n d s m e r k m a l 61, 65. 71, 157f, 223 (37)

§ 323 a

Gegenstand der Urteilsfindung 359 ff Gehirnerschütterung u n d Alkohol 130, 134 ff Geisteskrankheit ( k r a n k h a f t e seelische Störung) 73, 211, 311 ff als Grund der T r u n k - o d e r Drogensucht 78 als Folge der Sucht 76, 125 Geistesschwäche ( D e m e n z ) als Folge des R a u s c h m i t e l m i ß b r a u c h s 76 Geldstrafe 286 Gemeingefährlichkeit des Rauschtäters 58 ff, 230 „Genuß" geistiger G e t r ä n k e 82, 99 a. E., 114 Gesamtstrafenbildung 327 Geschichte zur R a u s c h s t r a f b a r k e i t 3 ff, 8 ff, 12 Gesetzesänderung zur Rauschtat 262 Gesetzeskonkurrenz zwischen Vollrausch u n d Rauschtat 21, 42, 335 f Getränke, alkoholfreie — 87 alkoholische — 83 ff Gewohnheitstrinker 118 Haftbefehl wegen des Vollrausches 355 wegen der Rauschtat 356 Halluzinogene 95 Handlung des Volltrunkenen 164 ff Bedeutung f ü r den Tatort 254 ff Hang zum Rauschmittelgenuß 3 0 4 f f , 314 zu Rechtsverletzungen insbesondere im Rausch 58 f, 314 Haschisch, Rauschgift 82, 96, 127, 310 Heilkräuter-Destillate 83 Heilzweck Rauschmittel zum — 82 a. E. Heroin, Rauschgift 94 H e r o i n r a u s c h 19 Heroinsucht 75, 79 U n t e r b r i n g u n g in Entziehungsanstalt 308, 310 Hirntrauma u n d Alkohol 141 Horrortrip 114 Hypnose 81, 168 Idealkonkurrenz (Tateinheit) zwischen Vollrausch u n d Rauschtat 43 f, 337 ff zwischen Vollrausch u n d „ N a c h t a t " 221, 344 In dubio pro reo 108 Fn. 217, 149 ff, 155 f, 204 ff Intoxikation (Vergiftung), Vollrausch als - 89, 114, 131 Irrtum 197 ff, 209, 282, 284 Kausalität bei der actio I. i. c. 33, 46 zwischen Rauschmittel u n d Vollrausch 133 ff, 140, 146 zwischen Vollrausch u n d Rauschtat 158 f f , 200, 210, 212 ff, 369 Kausalsatz in § 323 a I als Beweisregel 107 ff, 109, 149 ff

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Klebstoffe als „ S c h n ü f f e l s t o f f e " 103 Klosterfrau-Melissengeist als Rauschmittel 84 Kodein, Rauschmittel 94 Koinzidenz von Tat u n d Schuld 28 ff, 46 Kokain, Rauschgift 94 Konditionaler Z u s a m m e n h a n g 140 Fn. 269 Konkurrenzen 21, 42 f f , 221, 325 ff Körperbeschaffenheit des T r i n k e n d e n 118 Krankenhaus, psychiatrisches — U n t e r b r i n g u n g in - 76, 307, 31 I f f , 356, 373 Krankhafte seelische Störung (s. auch Geisteskrankheit) 73, 76, 131, 211, 311 Krankheitswert, Rauschsucht mit o d e r o h n e — 74, 75, 312 Kurzschlußreaktionen 172 Lexotanil, Beruhigungsmittel als Rauschmittel 92, 98 Librium, Beruhigungsmittel als Rauschmittel 98 Likör (Vol.-%) 83 LSD, gefährliches Rauschgift 19, 95, 127, 239 Luminal, Schlafmittel als Rauschmittel 97, 144 Magenbitter (Vol.-%) 83 Magenerkrankung u n d Alkohol 130, 311 a. E. Marihuana, Rauschgift 96 Maßregeln, präventive als Rechtsfolgen 302 ff Medikamente als Rauschmittel 85, 97 ff Medikamentemißbrauch 77, 142 ff Mescalin, Rauschgift 82, 95 Methadon 99 Militärstraf recht u n d selbstverschuldeter Rausch 8 Mischgetränke 83 a. E. Mißbrauch, s. A l k o h o l m i ß b r a u c h Mißgriff, gesetzgeberischer — • Fassung des § 323 a als — 1 Mittäterschaft bei der Rauschtat 280 beim Vollrausch 268 Mitursachen des Vollrausches bei A l k o h o l g e n u ß 138, 140 ff, 143, 145, 147 Möglichkeit der Verletzung als G e f a h r 62 ff, 68 Morphine als Rauschgift 94 Mutantrinken 37, 339 Nachtrunk 153 Nebenfolge, Einziehung als — 319 ff Nebenklage 348 Nebenstrafe 3 0 1 , 3 1 9 Neigung ( H a n g ) zum R a u s c h m i t t e l g e n u ß 304 ff, 314 zu Rechtsverletzungen 58 f, 314

Nichtrausch 110, 146 Nikotin kein Rauschmittel 93 u n d Fn. 192, 142 — sucht ebd. Normatives Element d e r Fahrlässigkeit 201, 248 Notstand, entschuldigender - (§ 35) 212, 229, 247 Putativnotstand 215 rechtfertigender — (§ 34) 229 Notwehr ( N o t h i l f e ) als Rauschtat 184 gegen den Rauschtäter 32, 227 als Selbstberauschung 229 Notwehrexzeß 212, 213 Objekt des Vollrausches, der Berauschte als — 73, 264 Objektive Strafbarkeitsbedingung Rauschtat nach h. L. als — 55, 250 Rauschtat keine — 61 — bei der Rauschtat selbst 217 Objektiver Tatbestand der Rauschtat 163 ff des Vollrausches 71 ff Obstweine (Vol.-%) 83 Omca, M e d i k a m e n t 143 Opium, Rauschgift 90, 94, 96 Ordnungswidrigkeiten 18 a. E., 163 Pathologischer R a u s c h 120ff, 129, 232, 311 P C P (Phencyclidin), synthetisiertes Rauschgift 95 Pepsinweine 85 Periodischer R a u s c h 124 ff Persönlichkeitsveränderung d u r c h R a u s c h m i t t e l g e n u ß 76 Pervitin, A u f p u t s c h m i t t e l als Rauschmittel 90, 101

Pflichtwidrigkeit als n o r m a t i v e s Fahrlässigkeitselement 248 Phanodorm, Schlafmittel als Rauschmittel 97 Phencyclidin ( P C P , „ E n g e l s s t a u b " ) 95 Planmäßiges H a n d e l n des Berauschten 130 Polamidon, Analgetikum als Rauschmittel 99 Pralinen 86 Preludin, A u f p u t s c h - u n d Rauschmittel 101 Privatklagedelikt Rauschtat als — 346 f Prozeßrechtliches 345 ff Prozeßart 346 f Prozeßgegenstand 359 ff Prozeßvoraussetzungen 349 ff Urteilsanfechtung 372 ff Urteilsformel 367 f Urteilsgründe 369 ff V e r ä n d e r u n g des rechtlichen G e s i c h t s p u n k tes 360 Zuständigkeit 354 Z w a n g s m a ß n a h m e n 355 ff

Stand: 1. 8. 1995

(38)

Vollrausch Psychologisches Element d e r Fahrlässigkeit 240 Putativnotstand bei der Rauschtat 215 Putativnotwehr bei der Rauschtat 199 Pyramiden 100 Quadronox, Schlafmittel als Rauschmittel 97 Rausch, insbesondere A l k o h o l A b g r e n z u n g vom Nichtrausch l l O f , 146 Begriff 72, 89, 110, 112 ff, 114, 116 F o r m e n des Rausches: akuter 10, 1 1 6 f f , 119, 131 pathologischer 120ff, 129, 232, 311 periodischer 124 ff Schweregrad des —es 117, 148 als Strafausschließungsgrund 6 als S t r a f m i l d e r u n g s g r u n d 5 ff als S t r a f s c h ä r f u n g s g r u n d 3 Vollrausch 109, 119, 127 ff Rauschgefahr 14, 18, 61, 68, 157 Rauschgift 91, 94 ff, 225 Rauschmittel 19, 88 ff, 94 ff Rausch(mittel)sucht 74 ff als seelische Abartigkeit 75 als C h a r a k t e r - u n d Willensschwäche 75, 79 als Folge einer E r k r a n k u n g e 76, 78 als G r u n d einer E r k r a n k u n g 76 f als k r a n k h a f t e seelische Störung 76 Fn. 160 Rauschtat, Anlaßtat f ü r H a f t b e f e h l 356 Bedeutung f ü r Selbstberauschung: keine Erfolgsqualifizierung 49 f, kein T a t b e s t a n d s m e r k m a l 5 1 f , 61, keine objektive S t r a f b a r k e i t s b e d i n g u n g 55 ff, 61 kein S y m p t o m f ü r Gefährlichkeit des Rauschtäters 58 f, Beweistatsache f ü r Gefährlichkeit des Vollrausches 60 f f , 158, 161, 223, 230, 289, 291, 314 a. E. - als Unfallflucht 343 Begehung, mittelbare 273 Beispiele aus d e r J u d i k a t u r 18 f, 204 ff als G e f ä h r d u n g s d e l i k t 61 Fn. 133, 178, 230 Fn. 385, 255 Geschichtliches 3 ff, 9 ff Gewicht f ü r die R a u s c h b e s t r a f u n g 288 ff H a n d l u n g der — 164 ff, 173 Höchststrafe f ü r - 203 ff als N o t w e h r 184 als Privatklagedelikt 346 f Rechtswidrigkeit der — 180 ff T a t b e s t a n d , objektiver, d e r — 163 ff kein subjektiver der — 185 ff, 201, 210 T e i l n a h m e a n — 281 ff S c h u l d a u s s c h l u ß g r u n d u n d — 211 ff S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d u n d — 219 S t r a f a u s s c h l u ß g r u n d u n d — 218 als Unterlassungsdelikt i. d. F. d e r alic 45, i.V. m. § 323 a 175 ff (39)

§ 323 a

V o r k e h r u n g e n ( „ Z u r ü s t u n g e n " ) gegen — 40 f, 240 ff, 292 Rauschtäter, U n t e r b r i n g u n g des - s 3 0 4 f f , 311 ff, 3 1 4 f f , 357 Realkonkurrenz (Tatmehrheit) der Rauschtaten 327 der Vollräusche 329 Rechtfertigungsgründe bei d e r Rauschtat 1 8 4 , 2 1 4 beim Vollrausch 229 Rechtsfolgen des Vollrausches 286 ff Rechtsgut des Vollrausches 69 f, 342 Rechtsmittelbeschränkung 372 Rechtsnatur des Vollrausches 48 ff, 60 ff, 65 ff, 230 Rechtsvergleichendes 12, 22 Rechtswidrigkeit der actio 1. i.e. Fn. 74 zu 32, 33 Fn. 81, 46 a. E. der Rauschtat 180ff d e r Selbstberauschung 223 ff Reflexhandlungen 164, 168, 170 Regenon, Schlankheitsmittel als Rauschmittel 102 Res iudicata 353, 360 Rückfall 294 ff, 300, 317 Rücktritt von der versuchten Rauschtat 219 ff Saridon, Auffrischungstabletten u n d Alkohol 143 Schlafmittel als Rauschmittel 97 Schlaftrunkenheit 25 Schlafwandeln als H a n d l u n g 168 Schlankheitsmittel als Rauschmittel 102 Schlank-Schlank EB 2000 als Rauschmittel 102 Schmerzstillende M e d i k a m e n t e als Rauschmittel 9 9 f , 142 a . E . „Schnüffelstoffe" als Rauschmittel 103 Schreckreaktionen 164 Schuld, „ v o r v e r l a g e r t e " — bei d e r actio l.i.c. 28 Schuldausschließungsgründe, s. E n t s c h u l d i g u n g s g r ü n d e Schuldfähigkeit, erheblich verminderte — 128, 155, 357, 373 f e h l e n d e — vor Selbstberauschung 73, 246 Schuldprinzip bei der actio 1. i. c. 28 ff, 46 beim Vollrausch 2 ff, 5 ff, 9, 12, 52, 70, 230 ff, 246 Schuldspruch 368, 373 Schuldunfähigkeit BÄK u n d - 117, 127 f f , 129 ff bezogen auf k o n k r e t e Rauschtat 132 erwiesene — 108 Feststellung im Prozeß 148 ff, 370 nicht ausschließbare - 107 ff, 148 ff, 155

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

rauschbedingte — 104, 148 ff als rechtliche Seite des Vollrausches 104, 126 als T a t b e s t a n d s a u s s c h l u ß bei Selbstberauschung 73, 246 Schweregrad des Rausches 109, 117, 148 Schwips 117 Sekundal, Schlafmittel als Rauschmittel 19, 97 Selbstberauschung Gefährlichkeit der - 5 5 , 6 1 , 157 ff als „ S e l b s t e n t m ü n d i g u n g " 73, 231, 244, 264 als T a t h a n d l u n g bei d e r alic 24, 27, 32 beim Vollrausch 80 als Versuch oder Vorbereitung der Rauschtat 32 f, 36 oder des Vollrausches 250 ff, 252 f, 256 Selbstverschuldeter R a u s c h 2 ff, 8, 70 Selbstversuch mit Rauschmitteln 82 Sexualdelikte im Rausch als A n l a ß t a t f ü r H a f t b e f e h l 356 Sicherungsverwahrung, U n t e r b r i n g u n g in — 314 ff, 317 Sinnlose T r u n k e n h e i t 10, 120, 164, 168, 174, 187, 206 f, 209, 322 Sonderdelikt, echtes — als Rauschtat 283 Sorgfaltspflichtverletzung als n o r m a t i v e s Element der Fahrlässigkeit 248 Sozialtherapeutische Anstalt 313 Statistisches zur Rauschmittelsucht 13 f f , 17, 310, 313 zum Vollrausch 1 7 , 3 1 0 Steuerungsfähigkeit, m a n g e l n d e — 109 Stimmenverhältnis bei A b s t i m m u n g über Rauschtat 366 Strafantrag 349, 351 ( E r m ä c h t i g u n g zur Strafverfolgung, Strafverlangen) Straffreiheitsgesetze 250, 261 Strafaufhebungsgründe bei d e r Rauschtat 218, 219 ff Strafausschließungsgründe bei der Rauschtat 216, 218, 370 Strafaussetzung zur Bewährung 299 f, 372 Strafausspruch 373 f Strafbarkeitsbedingung, objektive — bei der Rauschtat selbst 217 Rauschtat beim Vollrausch keine — 61 Strafdrohung 203 ff, 259, 286 f, 327 Strafe, Absehen von — 222 Freiheitsstrafe 286 G e l d s t r a f e 286 G e s a m t s t r a f e 327 N e b e n s t r a f e n 301 Strafgrund der actio I. i. c. 27 ff, 46 des Vollrausches 48 ff, 60 ff, 70 Strafklageverbrauch 353, 361 Strafmilderung 292 Strafrahmen

allgemein 286 Begrenzung 203 f f , 286 f, 327 Strafschärfung 293 ff Strafverfolgung, V e r j ä h r u n g der — 259, 350 ff Voraussetzungen der — 349 ff Strafzumessung, allgemeine — 203 ff, 240, 286 ff, 327, 372 G r ü n d e , reale der — 290, 294 ff, finale der — 298 Stufenverhältnis 155 f Subjekt des Vollrausches, der S i c h b e r a u s c h e n d e als — 73, 264 Subjektiver Tatbestand d e r R a u s c h t a t ? 185 ff, 201 ff, 210, 282 des Vollrausches 230 ff Sucht, Alkoholsucht 75 ff Drogensucht 75 ff Nikotinsucht 93 u. Fn. 192, 142 T r u n k s u c h t 74 ff s. auch Rausch(mittel)sucht Suchtmittel o h n e R a u s c h w i r k u n g 93 Süßmost 87 „Tanzdroge", s. Ecstasy 101 „Taschengeld-Droge", s. Crack 94 Tatbegriff, prozessualer — 359 Tatbestand s. objektiver —, subjektiver — Tatbestandsirrtum des Rauschtäters 197, 199 Tateinheit, s. I d e a l k o n k u r r e n z Tatfolge der Selbstberauschung 71, 104ff, 157ff Tathandlung, Sichberauschen als — 72, 80 ff Tatmehrheit, s. R e a l k o n k u r r e n z Tatmittel 72, 83 ff Tatort 249 ff, 254 Tatzeit 249 ff, 254, 258 ff Täter, extensiver Begriff 33, 140, 277 des Vollrausches 71, 73 Täterschaft 263 ff Mittäterschaft 268, 280 mittelbare — 80, 264, 273 Tätigkeitstheorie f ü r Zeit u n d Ort der Tat 260 Teilnahme Rauschtat als — 179 an Rauschtat 281 ff am Vollrausch 269 ff Torkeln des Betrunkenen 164, 168, 171, 192 Tranquilizer (Beruhigungsmittel) als Rauschmittel 98 Trinker, Definition des —s 74 Trunkenheit 117 Trunksucht, s. Rausch(mittel)sucht

Stand: 1. 8. 1995

(40)

Vollrausch Übermüdung 25, 130, 142, 145 Fn. 271 Ungeschriebenes T a t b e s t a n d s m e r k m a l , Gefährlichkeit des Vollrausches als — 61, 71, 157, 223 Unfallflucht als Rauschtat 343 Unfallschock u n d Alkohol 130 Unrecht der Rauschtat 180 ff des Vollrausches I Fn. 3, 50, 223 ff Unrechtsbewußtsein bei Rauschtat 196 beim Vollrausch 230 Fn. 382, 244 Unrechtselemente, subjektive — 184, 189 Unterbringung in Anstalt g e m ä ß § 81 StPO 357 in Entziehungsanstalt 76, 79, 3 0 4 f f , 313, 317, 373 in psychiatrischem K r a n k e n h a u s 76, 307 f, 311 f f , 373 in Sicherungsverwahrung 314 ff Unterlassung bei der actio I. i. c. 45 bei der Rauschtat 175 ff, 181 ff Untersuchungshaft 309, 355 f Ursächlichkeit, s. Kausalität Urteil Bildung 364 ff Formel 367 f G e g e n s t a n d 358 G r ü n d e 369 ff Ü b e r p r ü f u n g 372 ff Valamin, f r ü h e r e s Schlafmittel als Rauschmittel Fn. 188, 97 a. E. Valium, Beruhigungsmittel als Rauschmittel 98, 144 Valoron, schmerzstillendes Mittel als Rauschmittel 100 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes 360 Verbotsirrtum bei der Rauschtat 197 beim Vollrausch 244 Verbrechensvorbeugung 356 Verfahrensrechtliches, s. Prozeßrechtliches Verfahressicherung 356 VerfassungsmäOigkeit des § 323 a 286 f Vergehen Vollrauschals 71,286,346 Verjährung der S t r a f v e r f o l g u n g 259, 350 ff Beginn der — 352 Versari in re illicita 5 Versicherungsrecht und Trunksucht 74 a. E. Versuch der Rauschtat (i.d. F. alic) 32 f, 35 f; 179 des Vollrausches 227 f, 252, 256 (41)

§ 323 a

Verwaltungsmaßnahmen 324 Vis absoluta 169 Vis compulsiva 214 Vollendung 249 ff, 251 Vollrausch als A n l a ß t a t für einen Haftbefehl 355 als Antragsdelikt 349 als A u f f a n g s t a t b e s t a n d 56 Fn. 119, 108 seine Bedeutung für die Kriminalität 13 ff, 17 f Begriff 104, 117, 119, 123, 1 2 6 f f , 131 als Bezeichnung 71, 106, 116 Fn. 235 Deutungsversuche zur Vorschrift 48 ff E i n o r d n u n g in § 20 131 Entstehungsgeschichte des § 323 a 9 ff, 12 Feststellung im Prozeß 148 ff als (subjektiv-generelles) G e f ä h r d u n g s d e likt 60 ff, 66 f f , 71, 161 ff, 223, 230 ff Rauschtat u n d — 60 ff, 66 ff Rechtsfolgen 286 ff Rechtsgut 69 f R e c h t s n a t u r als Delikt 48 ff, 60 f f , 66 ff Schuldprinzip u n d - 1 ff, 5 ff, 9, 12, 70, 230 ff als Schuldunfähigkeit 104, 126ff, 131 als Vergehen 71, 346 als tatsächlicher Z u s t a n d 104, 126 Volltrunkenheit, s. sinnlose T r u n k e n h e i t , im übrigen Vollrausch Vorbereitung d e r Rauschtat i. d. F. der alic 32, 35 f des Vollrausches 227, 253, 256 Vorkehrungen gegen die Rauschtat i. F. d. alic 40 f, 240 ff, 292 gegen den Vollrausch 232 a. E., 240 ff Vorläufige Entziehung der F a h r e r l a u b n i s 358 Vorleben des Rauschtäters 293 Vorsatz bei der actio 1. i. c. 39 bei der Rauschtat u n n ö t i g 27, 52, 315 beim Vollrausch 62, 66, 145, 2 3 0 f f , 2 3 3 f f , 315, 321 f, 371 s. auch G e f ä h r d u n g s v o r s a t z genereller — 53, 62 u n d Fn. 137 G e s a m t v o r s a t z 329 „ n a t ü r l i c h e r " — 194 ff Vorstrafen 293 Waffenbesitz 324 Wahlfeststellung zwischen Vollrausch u n d Rauschtat 328, 332 f Weckamine (Anregungsmittel) als Rauschmittel 101 Wehrstrafrecht, s. Militärstrafrecht 8 f Wein (Vol.-%) 83, 85 Weinbrand (Vol.-%) 83 Wiederholungstäter 294, 300 Willensschwäche als G r u n d der Rauschsucht 75 f, 79

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Zivilrecht u n d H a n d l u n g s b e g r i f f 168 u n d Selbstberauschung 7 u n d T r u n k s u c h t 74 Zumutbarkeit als normatives Fahrlässigkeitselement 248 Zurechnungsunfähigkeit, s. Schuldunfähigkeit Zurücknahme des Strafantrages 349 „Zuriistungen", s. V o r k e h r u n g e n

Zusammenwirken von Alkohol u n d a n d e r e n Mitteln 142 ff Zustand Vollrausch als k r a n k h a f t e r — 76 ff, 89, 114, 116 ff, 131 Vollrausch als tatsächlicher — 104, 114, 117 f f , 126 ff Zwangshandlungen 164 Zweck des § 323 a 56, 70, 198

I. Allgemeine Grundlagen 1. Das Problem und seine Entwicklung 1 Die Vorschrift ist eine der umstrittensten, wenn nicht die strittigste des ganzen Strafgesetzbuchs, die den Kommentator vor kaum lösbare Schwierigkeiten stellt'. Wie groß sie sind, zeigen sowohl die Unzahl von Streitfragen, die der Paragraph heraufbeschworen hat, als auch die Unmenge von Schriften, die in keinem Verhältnis zu dem Ertrag der Auslegungsversuche steht. Das Delikt ist „von allen anderen Straftatbeständen tatsächlich und rechtlich verschieden" (BGHSt. 1 275, 277), ja „ein durchaus monströses Gebilde" (Boldt D R 1939 1035), „eine Rechtsfigur, die bis jetzt jeder befriedigenden Eingliederung in unser Strafrechtssystem getrotzt h a t " (Maurach JuS 1961 373), kurz: seine Fassung ist ein gesetzgeberischer Mißgriff 2 , der einen willkommenen Gegenstand subtiler, aber oft praktisch wenig brauchbarer Untersuchungen abgibt. Denn es wird, wenigstens nach dem gesetzlichen Wortlaut und der wissenschaftlichen Deliktssystematik, das Sichberauschen für tatbestandsmäßig und widerrechtlich erklärt (so auch die Interpretation ζ. B. von BGHSt. 16 124, 125; BayObLG N J W 1974 1520, 1521 1. Sp.; 1989 1685 r. Sp.; s. dazu Rdn. 223 ff), obwohl die Maßlosigkeit im G e n u ß von Rauschmitteln zwar verderblich und verächtlich, aber an sich nicht verboten ist, gelegentlich sogar „verklärt" wird („Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver M a n n " ) 3 ; und der Vollrausch wird — soweit als solcher verschuldet und eine (tatbestandsmäßige und rechtswidrige) Rauschtat verursachend — mit Strafe bedroht, die rauschbedingte Handlung also doch wieder in die Strafbarkeit einbezogen, obwohl deren Charakter oft nur durch Berücksichtigung der subjektiven Tatseite eindeutig bestimmbar ist (so besonders RGSt. 73 11, 14 u n t . / 15), infolge der getrübten Geistesverfassung des berauschten und schuldunfähigen Täters aber zuweilen gar nicht genau bestimmt werden kann (Ist das Rollen von drei Zentner schweren Zementrohren auf die Straße durch zwei sinnlos Betrunkene, wo1

2

3

Ebenso z.B. Lay LK" III (1977) § 3 3 0 a a. F. R d n . 4 ; Welzel S. 473 (Die Vorschrift „bietet dogmatisch k a u m überwindliche Schwierigkeiten"). So auch Lay a a O ( „ D e r T a t b e s t a n d des § 330 a ist gesetzgeberisch ... nicht geglückt"); Hellmuth v. Weber M D R 1952 641, 643 ( „ m i ß g l ü c k t e Lös u n g " ) ; Lackner J u S 1968 215, 216 r . S p . („gesetzgeberisch . . . mißglückt"). N a c h B G H S t . (GrS) 9 390, 396 (im G e g e n s a t z zu B G H S t . 1 275, 277; 16 124, 125!) „ist das bloße s c h u l d h a f t e Sichberauschen o h n e n a c h f o l g e n d e Rauschtat nach allgemeiner Ü b e r z e u g u n g kein

« r a / w ü r d i g e s U n r e c h t " ; s. ferner BGHSt. 19 152, 154 (26 35, 38): D e r A l k o h o l g e n u ß in Gastwirtschaften gehört „zu den allgemein als sozial üblich a n e r k a n n t e n Verhaltensweisen". Ausschenken wie E i n n a h m e b e r a u s c h e n d e r G e t r ä n ke seien erst d a n n zu mißbilligen, w e n n sie zu einer den T r i n k e r u n d Dritte g e f ä h r d e n d e n T r u n k e n h e i t f ü h r t e n , s. b e s o n d e r s §§ 20 Nr. 2, 28 1 Nr. 9 G a s t s t G v. 1970, die die Verabreichung alkoholischer G e t r ä n k e an e r k e n n b a r Betrunkene in A u s ü b u n g eines G e w e r b e s als O r d n u n g s widrigkeit a h n d e n .

Stand: 1. 8. 1995

(42)

Vollrausch

§ 323 a

durch beinahe ein Kraftfahrer schwer verunglückt wäre, ein strafloser Versuch des Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung, ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b, eine Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c oder nur eine Verkehrs- oder Ordnungswidrigkeit?! Vgl. den Fall in RG JW 1936 456 und dazu Rdn. 187, 206). Ein Grund für die mißglückte Gesetzesregelung ist allerdings nicht zuletzt das ihr 2 zugrundeliegende schwierige Problem: eine gerechte Reaktion auf den Täter zu finden, der seinen Vollrausch zwar selbst verschuldet hat, seiner darin verübten Rauschtat aber im Augenblick ihrer Begehung mangels Schuldfähigkeit nicht schuldig erscheint. Denn auf der einen Seite steht es mit unserem Schuldprinzip nicht im Einklang, einen Menschen, der seiner Sinne nicht mehr mächtig ist, für seine Entgleisung zur Rechenschaft zu ziehen; auf der anderen Seite tritt es zu dem Gedanken der Verantwortung geradezu in Widerspruch, solch einem Täter, der sich schuldhaft berauscht und dadurch schuldunfähig gemacht hat, einen Freibrief für seine Ausschreitung zu geben. Es widerstrebt unserem Rechtsgefühl wie Schutzbedürfnis, ,,daß der Rausch ... entschuldigend wirken soll, während er selber nicht entschuldbar ist" 4 . Dabei steht der Gesetzgeber vor dem Dilemma, sich der Gefahr und dem Vorwurf auszusetzen, entweder mit seinem Vorgehen gegen das Sichbetrinken die persönliche Freiheit oder aber mit seinem Nichteinschreiten die individuelle Veranwortung für Trunkenheitstaten zu sehr einzuschränken 5 . Die Lösung des Problems hat denn auch in der geschichtlichen Entwicklung zwi- 3 sehen zwei Klippen einer verfehlten Regelung geschwankt, zwischen der Szylla der auf eine üV/o/^shaftung hinauslaufenden Straf barkeit der Rauschtat und der Charybdis einer den Sc/iwWgrundsatz überspannenden Straflosigkeit des (eine solche Tat auslösenden) Vollrauschs6. Ursprünglich ist das Sichbetrinken nicht als Schuld- und Strafausschließungsgrund bei der rauschbedingten Handlung anerkannt worden, und zwar weder im alten römischen noch im alten deutschen Recht7. Für das letztere sind, wenngleich diese Auffassung nicht uneingeschränkt gegolten haben dürfte 8 , aufschlußreich die Rechtssprichwörter: „Trunken gesündigt, nüchtern gebüßt", „Trunken gestohlen, nüchtern gehenkt" 9 , ein Gedanke, der sich noch heute im englischen Recht findet10. Ausdruck solch einer Denkweise sind ζ. B. die „Reuterbestallung" Kaiser Maximilians II. von 1570, der „Artikulsbrief Augusts des Starken von 1700 oder das „Allgemeine Edikt wegen Abstellung des Vollsauffens" von Friedrich Wilhelm I. von Preußen aus dem Jahre 1718, nach denen der Rauschtäter strenger bestraft werden k o n n t e " . Insbesondere im älteren französischen und englischen 4 5

6

(43)

Kohlrausch Z S t r W 32 (1911) 652. Vgl. dazu Kohlrausch a a O S. 645 u n d Heimberger S. 568. Zur Gescbichte u n d Rechtsvergleichung s. die instruktive B e g r ü n d u n g zum Gesetzentwurf betr. die Bestrafung der T r u n k e n h e i t , in: Stenogr. Berichte über die Verhandl. des Reichtstags, 4. Legislaturper., IV. Session 1881, 3. Bd.: Anlagen . . . (1881) S. 401, 402 ff, 404 f f ; Millermaier Neues Arch. d. Criminalr. 12 (1830) I; v. Bar Gesetz u n d Schuld im Strafrecht, II. Bd. (1907) S. 104ff; Otto Neumann (s. vor R d n . 21) S. 30 f f ; Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 3 ff; zur neueren Zeit s. Heuermann S. 209; Hellm. v. Weber in: StockFestschr. S. 59, 65 ff; Brandneuer S. 109 ff, 139 ff.

7 8 9

10

11

Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 3 / 4 u n d 7 / 8 . W i e a u c h v. B a r l l . S . 1 1 4 ( A n m . 2 5 2 ) v e r m u t e t . Hillebrand Deutsche Rechtssprichwörter (1858) S. 187/188; Graf/Dietherr Deutsche Rechtssprichwörter (1869) S. 391, Nr. 5 8 2 - 5 8 7 ; Winkler Deutsches Recht im Spiegel deutscher Sprichwörter (1927) S. 133; Eisenharls Werk „ G r u n d sätze d e r deutschen Rechte in Sprichwörtern'" (I. Aufl. 1759) in der Ausgabe von Waldmann Deutsches Recht in Sprichwörtern (1935) S. 174, Nr. 216. Vgl. den Satz: „ P h i l i p sober must pay the penalty for the misdeeds of Philip d r u n k " , zit. nach Hellm. v. Weber in: Stock-Festschr. S. 72. Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 12.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Recht sah man bis ins 18. Jahrhundert hinein die selbstverschuldete Volltrunkenheit nicht als Strafmilderungs-, sondern sogar als Strafschärfungsgrund an 12 . 4 Das Sichbetrinken selbst ist wiederholt von den Gesetzgebern zum eigenen Delikt gestempelt und als solches bestraft worden. Das geschah vor allem in militärischen Strafordnungen. Bereits Karl der Große verbot das gegenseitige Zutrinken im Heer. Aber auch allgemein erklärten später Polizeiordnungen noch im 16. und 17. Jahrhundert das übermäßige Trinken für strafbar 1 3 . 5

Im Gegensatz dazu billigten das kanonische Recht und zum Teil die italienische Rechtslehre dem Rauschtäter Strafmilderung zu, und zwar das erstere deshalb, weil es nur das Sichberauschen als die schuldhafte unerlaubte Handlung (als culpa praecedens) ansah, hierzu allerdings als deren Folge die Rauschtat zählte — eine den Gedanken des , .versari in re illicita " , 4 einführende Konstruktion 1 5 , die letztere (sofern sie nicht sogar zum Strafausschluß gelangte) deswegen, weil sie die Rauschtat selbst für weniger strafwürdig erachtete und hierin in der Regel ein schon durch das Trinken als Ursache verschuldetes Delikt erblickte — eine die Figur der „actio libera in causa"]6 entwickelnde Begründung 17 . Das vorsätzliche Sichbetrinken, um im Rausch ein Verbrechen zu begehen, wurde daher von der italienischen Doktrin der dolosen Deliktsausführung, ohne Strafmilderung, gleichgestellt.

6

Unter dem Einfluß dieser Lehren bahnte sich allmählich auch im neueren deutschen Recht eine mildere Beurteilung der Rauschtat an, und zwar zunächst bei einzelnen Delikten. Im 18. Jahrhundert wurde die ««verschuldete Volltrunkenheit weitgehend als Strafausschließungsgrund anerkannt, so ζ. B. im Codex Juris Bavarici Criminalis von 175118, in der Constitutio Criminalis Theresiana von 1768 (Art. 11, §5 II S. 2) oder im Strafgesetzbuch Josephs II. von 1787 (I. Teil, 1. Kap., § 5 c) 19 . Bei der verschuldeten Volltrunkenheit unterschieden die Gesetzgeber begrifflich und bei den Strafdrohungen: Soweit nur der Rausch verschuldet war, Vorsatz oder Fahrlässigkeit sich also nur auf das Sichbetrinken, nicht auch auf die Trunkenheitstat bezog, wurde teils Strafmilderung bei der Rauschtat gewährt (so z.B. der Bayerische Codex von 1751), teils sogar volle Strafbarkeit angenommen (so ζ. B. die Constitutio Criminalis 12

13

14

15

Minermaier N. Arch. d. Criminalr. 12 (1830) 9 / 1 0 , 14; v. Bar Gesetz u n d Schuld, II. B d . ( l 9 0 7 ) S. 115; Gramsch a a O S. 11/12. Gramsch a a O S. 13/14; s. ferner Schaffslein Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts (1930) S. 103 f. Zu diesem seit d e m 12. J a h r h u n d e r t ausgebildeten Z u r e c h n u n g s p r i n z i p allgemein Löffler Die S c h u l d f o r m e n des Strafrechts, I. Bd. (1895) S. 139 ff, 147 ff, 171, 205, 209, 216; Klee Der dolus indirectus als G r u n d f o r m der vorsätzlichen Schuld (1906) S. 7 f f ; Kollmann Die Lehre vom versari in re illicita im R a h m e n des C o r p u s juris canonici, Z S t r W 35 (1914) 46 ff, 82; Kuttner Kanonistische Schuldlehre von G r a t i a n bis auf die Dekretalen G r e g o r s IX. (1935) S. 185ff, 2 0 0 f f , 202/203, 208, der in dem G e d a n k e n des „versari in re illicita" „ n u r einen S o n d e r f a l l " der k a n o n i stischen „ T h e o r i e von der culpa p r a e c e d e n s " sieht.

Zu diesem Z u r e c h n u n g s p r i n z i p n ä h e r im nachf o l g e n d e n R d n . 21 ff. " So Engelmann Die Schuldlehre der Postglossatoren u n d ihre Fortentwicklung (1895) S. 3 0 / 3 1 ; v. Bar Gesetz u n d Schuld, II. Bd. (1907) S. 114; Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 5 ff, 7. Vgl. aber auch Kuttner a a O S. 119, nach d e m bereits die Kanonisten den G e d a n k e n d e r actio libera in causa entwickelt h a b e n , s. nachfolg. A n m . 54 zu R d n . 21. 18 D e r in seinem I. Teil, 1. Kap., § 19 S. 1 bestimmte: „ T r u n k e n h e i t , welche aus keinem mercklichen Verschulden herrühret, u n d den gantzen Verstand b e n i m m t , entschuldiget von aller Straff." " Dazu Gramsch a a O S. 15 ff. Auch Katzenstein Die Straflosigkeit der actio libera in causa, Diss. Berlin 1901, S. 71, hebt hervor, d a ß seit 1750 die Ansicht allgemeiner wird, unverschuldete Volltrunkenheit b e g r ü n d e Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t u n d Strafausschluß.

„ E i n e b e s o n d e r e A u s p r ä g u n g des Satzes vom versari in re illicita" ist f ü r Gunther Weber S. 76 der § 330 a ehem. Fass.

Stand: 1. 8. 1995

(44)

§ 323 a

Vollrausch 20

Theresiana von 1768 [Art. 11, § 5 III] u n d das Preuß. A L R von 1794) . Soweit sich der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit beim Sichberauschen auch auf die spätere Rauschtat erstreckte, diese also n a c h der Rechtsfigur der actio libera in causa mittelbar verschuldet war, wurden Normal- u n d Rauschtäter meist g/e/cAgestellt. „ W e r sich" — so sagt der Bayerische Strafkodex von 1751 (I. Teil, 1. Kap., § 19 S. 3) — „gar fürsetzlicher Weiß in der bösen Absicht, um die That desto behertzter vollbringen zu k ö n n e n , mit Fleiß b e t r i n c k t . . . , verdienet keine Straff-Milderung, sondern wird dißfalls f ü r nüchtern gehalten." Im 19. J a h r h u n d e r t wurde auf G r u n d der nicht lückenlosen oder nicht zweifeis- 7 freien Regelung in den Strafgesetzbüchern der deutschen Partikularstaaten bei unverschuldeter Volltrunkenheit meist Straflosigkeit oder Strafmilderung, bei verschuldeter — abgesehen vom Fall der vorsätzlichen Berauschung zwecks A u s f ü h r u n g einer Straftat (der absichtlichen actio libera in causa) — ζ. T. die f ü r die fahrlässige Begehung angedrohte Strafe a n g e n o m m e n 2 1 . Diese Auffassung hat noch bis zu Anfang des 20. J a h r h u n d e r t s fortgewirkt u n d sich im „Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch" von 1909 niedergeschlagen; d e n n dessen § 64 sah bei selbstverschuldeter Volltrunkenheit („Bewußtlosigkeit") für die Trunkenheitstat, soweit sie auch bei Fahrlässigkeit eines schuldfähigen Täters strafbar gewesen wäre, die Fahrlässigkeitsstrafe vor. Die Ansicht gilt schließlich heute noch im Recht der unerlaubten Handlungen. Eine Entsprechung zu der früheren s/ra/rechtlichen Fahrlässigkeitshaftung f ü r die im selbstverschuldeten Vollrausch begangene Rauschtat findet sich nämlich dort in § 827 S. 2 BGB von 1900, u n d zwar mit der zm/rechtlichen FahrlässigA:e/7ihaftung f ü r die in selbstverschuldeter Zurechnungsunfähigkeit verursachte Schadenszufügung. Über die Bestimmung bestanden anfangs noch unklare u n d unzutreffende Vorstellungen, wie ältere Äußerungen ζ. T. n a m h a f t e r Straf- und Zivilrechtler zeigen 2 2 . Richtiger Auslegung nach enthält die Vorschrift eine Fiktion der Fahrlässigkeit bezüglich der im schuldunfähigen Zustand verübten unerlaubten H a n d l u n g , soweit diese auch bei fahrlässiger Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet (also ζ. B. nicht in den Fällen der §§ 825, 826 u n d ζ. T. 823 II BGB) u n d soweit sich das Verschulden nicht auf die widerrechtliche H a n d l u n g , sondern nur auf das Sichberauschen bezieht; sie läßt aber im übrigen die S c h a d e n s h a f t u n g f ü r die in

20

Vgl. einerseits Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751, I.Teil, 1. Kap., § 19 S. 2 ( „ W o aber das Verschulden groß, oder der Rausch nur mittelmaßig ist, da hört nicht alle, sondern nur die ordentliche Straff auf."), andererseits ζ. B. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (Neue Ausg. von 1817, 4. Bd., II. Teil, 20. Tit., § 22 („Wer sich selbst vorsätzlich, oder vermittelst eines groben Versehens, es sey durch Trunk oder auf andere Art, in Umstände versetzt hat, wo das Vermögen frey zu handeln, aufgehoben oder eingeschränkt ist, dem wird das unter solchen Umständen begangene Verbrechen nach Verhältniß dieser seiner Verschuldung zugerechnet."). Vgl. Stenogr. Ber. ub. d. Verhandl. des Reichstags, 4. Legislaturper., IV. Session 1881, 3. Bd.: Anlagen ... (1881) S. 401 ff, 405 l.Sp. (s. vorsteh. Anm. 6) und noch Schwarze GerS 33(1881) 430, 431 unt., 446, 460 ff, 463; dazu v. Lilienthal VDA

(45)

22

V. Bd. (1908) S. 84/85; Ruisinger StrAbh. H. 263 (1929) S. 8 ff; Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 18/19; zu den einzelnen Landesstrafgesetzbüchern s. die breite und doch einseitige Darstellung von Katzenstein (s. Lit. vor Rdn. 21) S. 136 ff. Vgl. ζ. B. von seiten der Srra/rechtslehre v. Liszt Die Deliktsobligationen im Systeme des Bürgerl. Gesetzbuches (1898) S. 50 f; Katzenstein S. 271 ff — dagegen mit Recht Ludw. Schmidt (s. Lit. vor Rdn. 21) S. 53 f; Ptanck-Greiff BGB, 4. Aufl., 11. Bd. 2. H. (1928) § 827 Anm. 3 a - ; in der Ziv//rechtslehre Siber G r u n d r i ß des Deutschen bürgerl. Rechts, 2. Bd.: Schuldrecht (1931) S. 458 ob. (wo § 827 S. 2 BGB irreführend als ein Fall der actio libera in causa bezeichnet wird), s. heute noch Deutsch Haftungsrecht, I. Bd. (1976) S. 310/311 („erweiterte" Alic-Haftung des § 827 S. 2 BGB).

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Form der actio libera in causa vorsätzlich verschuldete Rauschtat unberührt 2 3 . Von einer einheitlichen und eindeutigen Rechtsauffassung zum Verbrechen im Vollrausch konnte jedenfalls im 19. Jahrhundert noch keine Rede sein. 8 Das RStGB von 1871 kannte — außer dem andersartigen früheren Übertretungstatbestand des § 361 I Nr. 5 StGB, der den durch Trunk herbeigeführten unterstützungsbedürftigen, öffentliche Mittel beanspruchenden Zustand des Täters bestrafte — ursprünglich keine besondere Regelung des Alkoholrausches. Nur das MilStGB von 1872 enthielt in § 49 II eine Vorschrift zur ,,selbstverschuldeten Trunkenheit"14, an die sich heute § 7 WStG von 1957 i. d. F. von 1974 anlehnt; danach führt jetzt der verschuldete Rausch bei militärischen Straftaten und bei den gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßenden oder in der Dienstausübung begangenen Taten „nicht zu einer Milderung der angedrohten Strafe". Damals wie heute ist diese Sonderbestimmung dahin zu interpretieren, daß sie nur ein Abweichen von der Regelstrafe zugunsten eines Ausnahmestrafrahmens und die Annahme eines „minder schweren Falles" oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) verbietet, nicht aber eine „Strafminderung" innerhalb des gesetzlichen Regelstrafrahmens oder den Strafausschluß bei Ko//trunkenheit 25 . 9

Sowohl für das alte RStGB von 1871 wie für das alte MilStGB von 1872 galt folglich als herrschende Ansicht und allgemeine Regel: Wer infolge (unverschuldeter oder auch verschuldeter) Volltrunkenheit schuldunfähig war, blieb trotz seiner Trunkenheitstat straflos; wer sich dagegen im Hinblick auf diese gewollte oder auch nur vorhersehbare bestimmte Tat vorsätzlich oder fahrlässig betrank und sie dann im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit ausführte, war wie ein schuldfähiger Täter dafür strafbar. Das erste Ergebnis folgt aus dem Prinzip der Schuldhaftung, das zweite aus der Konstruktion der actio libera in causa.

10

Die geschilderte Rechtslage wurde bald als unbefriedigend empfunden, und zwar um so mehr, als die höchstrichterliche Rechtsprechung Zurechnungsunfähigkeit nach § 51 a. F. nicht erst im Falle des bis zur Bewußtlosigkeit gehenden ,.sinnlosen" (gesteigerten) Rausches annahm, in dem oft weitgehend auch die Handlungsfähigkeit aufgehoben ist, sondern schon bei einem zur Bewußtseinsiiörung (führenden ,.akuten" (gewöhnlichen) Rausch, der mit erheblichen Bewußtseinstrübungen verbunden ist 26 . Zehn Jahre nach Erlaß des RStGB wurde mit dem Gesetzentwurf betr. die Bestrafung der Trunkenheit vom 23. 3.1881 die erste Reform versucht, die sich im 23

24

So richtig in der Sfra/rechtslehre schon Binding G r u n d r . 7. Aufl. (1907) S. 104; Ludw. Schmidt S. 54; s. jetzt auch Fr.- W. Krause J u r a 1980 169, 170; in der Zivi/rechtslehre heute Karl Schäfer in v. Staudingers K o m m , zum BGB, 12. Aufl., II. Buch (1986) § 827 R d n . 15 ff, 19; Steffen in R G R bzw. B G H - K o m m . , 12. Aufl., 44. Lfg. (1981) § 827 R d n . 10, 12; Teichmann in Jauernig u . a . BGB, 7. Aufl. (1994) § 827 A n m . 2; Mertens in M ü n c h K o m m . zum BGB, 3. Bd. 2. HB. (1980) § 827 R d n . 7 f ; Soergel-Zeuner BGB, 11. Aufl. 4. Bd. (1985) § 8 2 7 R d n . 4. Zu § 64 Vorentwurf von 1909 in Z S t r W 32 (1911) 657 kritisch Kohlrausch; 566 ff, 570 f z u s t i m m e n d Heimberger. N a c h § 49 II MilStGB bildete „bei s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n gegen die Pflichten der militärischen U n t e r o r d n u n g sowie bei allen in Ausü b u n g des Dienstes b e g a n g e n e n s t r a f b a r e n

H a n d l u n g e n die selbstverschuldete Trunkenheit keinen Strafmilderungsgrund". 25 Für das alte Militärstrafrecht s. ζ. B. Rotermund K o m m , zum M i l S t G B f. d. Dtsch. Reich, 2. Aufl. (1911) § 49 A n m . 11 u n d 12; Schwinge Militärstrafgesetzbuch, 6. Aufl. (1944) § 49 A n m . II 1 u n d 2 (S. 124f); f ü r das neue Wehrstrafrecht Scholz Wehrstrafgesetz, 3. Aufl. (1988) § 7 R d n . 6 ff, 10. 26 Vgl. RGSt. 5 3 3 8 / 3 3 9 ; 63 46, 48; 64 349, 353; 67 149/150; R G D J Z 1907 Sp. 1260; J W 1938 2270; 2947; Mezger Lehrb. S. 288; Frank § 51 a. F. A n m . II 1. Die Untergerichte neigten dagegen zur A n n a h m e von Schuldunfähigkeit nur bei hochgradigen R a u s c h z u s t ä n d e n , Hellm. v. Weber in: Stock-Festschr. S. 6 2 / 6 3 ; s. auch RGSt. 67 , 1 4 9 / 1 5 0 ; R G H R R 1936 Nr. 1149 (besonders strenger M a ß s t a b anzulegen).

Stand: 1. 8. 1995

(46)

Vollrausch

§ 323 a

wesentlichen auf eine allgemeine Strafmilderung für die vorsätzliche Rauschtat beschränkte (s. § 2 I —IV des Entw.), d.h. eine Modifikation des alten § 51 (jetzt § 20) StGB bezweckte und außerdem die volle Strafbarkeit der Rauschtat in Form der absichtlichen actio libera in causa bestätigte (§ 2 IV S. 2) 27 . Dagegen erschienen dem 21. Deutschen Juristentag von 1891 „besondere strafgesetzliche Bestimmungen gegen Trunksucht und Trunkenheit nicht geboten" (!?) 28 · Gleichwohl enthielten im Zuge der allgemeinen Strafrechtsreform alle StGB-Ent- 11 würfe Vorschriften gegen den Vollrausch. Aber erst der „Gegenentwurf" von 1911 (zu dem schon erwähnten „Vorentwurf" von 1909) enthielt in § 190 die Regelung, daß der Täter, der sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen die Zurechnung(sfähigkeit) ausschließenden Zustand der Trunkenheit versetzt, für seinen selbstverschuldeten Rausch mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft werden sollte, wenn er in diesem Zustand eine ihm sonst als Verbrechen oder Vergehen zuzurechnende Handlung begehe. Die Bestimmung erscheint damit als Ausgangspunkt für die spätere Schaffung des § 330 a StGB a. F. Die nachfolgenden Entwürfe brachten keine wesentlichen Verbesserungen der Deliktsfassung, nur eine Erhöhung der Strafdrohung. § 367 des Entwurfs eines Allgem. Deutschen Strafgesetzbuchs von 1927 war dann 12 das Vorbild für den in den beiden ersten Absätzen wörtlich mit ihm übereinstimmenden, 1933 in das StGB eingefügten § 330 a. F. Danach wurde das selbstverschuldete Sichberauschen bestraft, allerdings nur unter der Voraussetzung einer zwar durch den Vollrausch verursachten, aber gerade wegen des Vollrausches nicht verschuldeten und darum straflosen Rauschtat. Diese Regelung, die nach 1945 auch in § 122 OWiG von 1968 für Ordnungswidrigkeiten aufgenommen worden ist, hat nur in wenigen Ländern Nachahmung gefunden 2 9 , so in der Schweiz (Art. 263 Schw. StGB von 1942) und in Österreich (1952 Neufassung des § 523 Öst. StGB von 185230, jetzt § 287 Öst. StGB von 1975). Im schweizerischen Recht soll jedoch die Strafvorschrift „die Rolle eines kriminalrechtlichen Mauerblümchens" spielen 31 . Für das deutsche Recht ist diese Einschätzung sicherlich nicht haltbar, wie die Fakten zeigen. 2. Das Delikt und seine Bedeutung Der gefährliche, weil leicht zu Rauschtaten führende Vollrausch ist zwar „krimi- 13 nologisch und vor allem kriminalistisch noch wenig erforscht" 3 2 . Gleichwohl läßt sich schon jetzt mit Sicherheit sagen, daß der Alkohol- und Drogenmißbrauch für die moderne Gesellschaft und damit auch für das Strafrecht zu einem immer ernsteren Problem geworden ist. Der Alkoholkonsum hat in der Bundesrepublik innerhalb einer Generation um 30—40% zugenommen und ab 1967 erstmals über 20 33 , 1977 über 36 Milliarden DM an Ausgaben verschlungen 34 . 1979 waren es — bei einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 12,74 Litern reinen Alkohols in Bier, Schnaps

27

:s

10

(47)

Stenogr. Ber. üb. d. Verhandl. des Reichstags, 4. Legislaturper., IV. Session 1881, 3. Bd.: Anlagen ... (1881) S. 401; dazu näher Katzenstein S. 266 f; Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 22 unt. ff; Hellm. Mayer ZStrW 59 (1940) 283,284 ff. Verhandl. d. 21. DJT 1891,1 II. Bd. (1892) S. 476. Dazu und zu verwandten Vorschriften Hellm. v. Weber in Stock-Festschr. S. 65 ff, 69 f. § 523 Öst.StGB von 1852 lautete ursprünglich: ,, Trunkenheit ist an demjenigen als Übertretung zu bestrafen, der in der Berauschung eine Hand-

31

32

33

lung ausgeübt hat, die ihm außer diesem Zustande als Verbrechen zugerechnet würde (§ 236)..." Hans Schultz Die Behandlung der Trunkenheit im Strafrecht S. 33. Groß/Geerds Handb. der Kriminalistik, 10. Aufl., I. Bd. (1977) S.402. Lang-Hmrichsen LK' I (1974) § 42 c a. F. Rdn. 45. Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, DHS-Informationsdienst, 31. Jg. (1978) Nr. 1/2, S.8.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten 35

und Wein — über 39 , 1983 — bei einem Pro-Kopf-Konsum von 12,411 — über 41 Milliarden DM 36 . Die Zahl der alkoholgefährdeten Personen wurde für das Jahr 1968 auf 1 %37, für das Jahr 1976 schon auf 2,2% der Gesamtbevölkerung geschätzt38. Nach amtlicher Auffassung (1981) verursachten die ungefähr 1,5 Millionen Alkoholiker in der Bundesrepublik durch Behandlungskosten einen volkswirtschaftlichen Schaden von 17 Milliarden DM jährlich; für 1993 bzw. 1994 wurde die Zahl der Alkoholiker auf mindestens 2,5 Millionen geschätzt. 1992 seien etwa 40 000 Menschen im Zusammenhang mit dem Rauschmittel Alkohol gestorben 39 . 14 Daß der Alkohol ein wichtiger Kriminalitätsfaktor ist, wird heute allgemein anerkannt 40 , auch in der Rechtsprechung, so ζ. B. in BGHSt. 16 124, 125: „Der Rausch ist seit j e . . . als Quelle von Gewalttaten, Sittlichkeits verbrechen und anderen Rechtsbrüchen bekannt." Trunksucht und Trunkenheit sind schließlich nicht nur auf der Seite der Trinker, sondern auch auf Seiten der unter ihnen Leidenden Ursache für strafrechtlich erhebliche und abzuurteilende Taten. Das zeigen die sich immer wieder ereignenden Familientragödien, in denen der gewalttätige und gefährliche Trunkenbold und Haustyrann von verzweifelten Angehörigen getötet wird (RGSt 60 318; RG JW 1934 422 mit ζ. T. verfehlter Anm. Wegner; BGHSt. 3 194; BGH NJW 1966 1823/ 1824; BGH StV 1983 458, dazu Spendet StV 1984 45; OLG Celle HannRpfl. 1947 15). 15 Ebenso beunruhigend wie die Zahl der Alkoholiker stieg die der Drogensüchtigen41. 1981 gab es 360, 1982 383, 1983 432, 1984 361 Rauschgifttote 42 . Im Jahr 1978 sind sogar 430, 1979 623 Personen dieser Sucht erlegen. Für 1988 rechnete man mit mindestens 700 Opfern; 1990, im Jahr der deutschen Wiedervereinigung, waren es 1491 (1480 in den alten Bundesländern), 1991 sogar 2125. Erst 1993 ging die Zahl der Toten auf 1738 zurück; aber 1994 zählte man noch immer 1624, 1995 noch 1565 Rauschgifttote und konstatierte ein weiteres Ansteigen des Rauschgiftkonsums! 43 Der Drogenmißbrauch hat allerdings eine andere kriminalistische Bedeutung als der Alkoholgenuß. Die Kriminalität liegt hier weniger in verbrecherischen Rauschtaten als Folge der Volltrunkenheit denn in Rauschgiftdelikten als Grund für den Drogen35

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. Do., 30. 10. 1980, Nr. 253/S. 7, 1 Liter reiner Alkohol entspricht ungefährt 101 Wein ä 10 Vol.-% = 20 1 Bier a 5 Vol.-% = 2,5 1 Spirituosen ä 40 Vol.-% Alkohol, s. Solms in: Steinbrecher/Solms Sucht und Mißbrauch, 2. Aufl. 1975, S. III Π Anm. 6. 3i DHS-Informationsdienst, 37. Jg. (1984) Nr. 1/2, S. 7 / 8 ; Würzburger „ M a i n - P o s t " v. Sa., 13. 11. 1982, Nr. 263 - S. 23 und v. Fr., 26. 11. 1982, Nr. 272 - S. 26; s. auch H. J. Hirsch Beih. zur ZStrW 1981, S. 2. " Lang-Hinrichsen L K ' I (I974) § 42 c a. F. Rdn. 46. 38 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit am 21. 9. 1977 zu „Alkohol- und Drogenmißbrauch und Kriminalität von Kindern und Jugendlichen", BT-Drucks. 8/922 (Verh. d. DBT, 8. Wahlper., Bd. 235 [1977]) S. 4. 39 Äußerung des Staatssekretärs im Bundesgesundheitsministerium Prof. Steinbach, Frankf. Allgem. Zeit. v. Mo., 4. 5. 1981, Nr. 1 0 2 - S. 10. Zur Zahl der Alkoholiker s. Jahrb. zur Frage der Suchtgefahren (1980) S. 86; FAZ v. Mi., 3 1 . 8 . 1983, Nr. 201 - S. 7; Würzb. „ M a i n - P o s t " v. Fr., 17. 12. 1993, Nr. 291 - S. 1 bzw. Fr., 8. 4. 1994, Nr. 8 0 - S . 3.

40

41

42

43

Vgl. z.B. Gerland ZStrW 55 (1936) 784; Langeluddeke Gerichtliche Psychiatrie, 3. Aufl. (1971) S. 69 ( „ D a ß der Alkoholgenuß verbrechensfördernd wirkt, ist allgemein a n e r k a n n t " ) ; s. dagegen Langelüddeke/ßresser Gerichtliche Psychiatrie, 4. Aufl. (1976) S. 288 (diese Aussage müsse „sehr differenziert" gesehen werden); s. noch Lang-Hinrichsen L K ' I § 42 c a. F. Rdn. 50. Vgl. Hanack LK § 64 Rdn. 8, der allerdings das verdienstliche Unternehmen Lang-Hmrichsens in L K ' I (1974) § 42 c a. F. nach Rdn. 43 ff, 56 ff, auf das Suchtproblem näher einzugehen und die Rauschmittel systematisch darzustellen, nicht fortsetzt; F A Z v . Sa., 8. 10.1983, Nr. 2 3 4 - S . 7 . Nach Mitteilung des Bundesinnenministers laut Würzburger „ M a i n - P o s t " v. Mo., 28. 2. 1983, Nr. 48 - S. 1; „ M a i n - P o s t " v. Mi., 13. 2. 1985, Nr. 37 - S. 5. Nach Mitteilung des Bundeskriminalamtes laut Würzburger „ M a i n - P o s t " v. Sa., 5. 7. 1980, Nr. 153 - S. 3; für 1988 s. „ M a i n - P o s t " v. Di., 13. 12. 1988, Nr. 287 - S. 2; für 1 9 9 0 - 1 9 9 5 F A Z v. Di., 22. 1. 1991, Nr. 18 - S. 7; v. Mi., 2. 11.1994, Nr. 2 5 5 - S . 3 ; V.Mi., 14.2.1996, N r . 3 8 - S . 14.

Stand: 1. 8. 1995

(48)

§ 323 a

Vollrausch

rausch. Solche Rechtsverletzungen sind also in erster Linie illegaler Drogenhandel, Rezeptfälschungen, Einbrüche in Apotheken usw. (vgl. ζ. B. den Fall bei BGH NJW 1977 590 Nr. 17). Insofern könnte man beinah sagen, daß der Gebrauch von Rauschgift eine geringere kriminogene Wirkung hat als der von Alkohol 44 . Die Gerichtsentscheidungen betreffen denn auch fast ausschließlich die Volltrunkenheit als Grund der Rauschtat. Für die Anwendung des § 323 a StGB steht folglich der Alkoholrausch ganz im Vordergrund. Die Verurteilungen wegen Vollrauschs haben nach dem zweiten Weltkrieg erheb- 16 lich zugenommen und sich ζ. B. in den Jahren von 1950 bis 1955 mehr als verdoppelt, und zwar von 2685 auf 5496 jährlich 45 . Sie betrugen von 1976 bis 1979 über 10000 (genau in diesen vier Jahren jeweils 10 631,10 862,10 898 und 10 082), davon über ein Viertel in Verbindung mit einem Straßenverkehrsdelikt als Rauschtat. In den Jahren 1980—82 war die Zahl der Bestrafungen mit 9676,9029 und 8909 erstmals wieder etwas rückläufig. 1980/81 stand das Delikt des Vollrauschs aber unter den Verbrechen und Vergehen nach dem StGB (einschließlich der Straßenverkehrsdelikte) mit fast 10000 Verurteilungen an achter, 1982 an zehnter Stelle der am häufigsten begangenen Straftaten. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die Zahl der übrigen „Trunkenheitsdelikte" (s. §§315 c, 316 StGB) viel höher ist 46 . Das verdeutlicht folgende Tabelle: 1980

Verurteilungen nach StGB 1. D i e b s t a h l ( § § 2 4 2 - 2 4 4 ) 2. Trunkenheit im Verkehr (§ 316) 3. K ö r p e r v e r l e t z u n g ( § § 2 2 3 - 2 2 5 , 2 3 0 ) 4. U n f a l l f l u c h t (§ 142) (ab 1982:5. Platz)

154751 117419 97 601 43 338

1982 181 112 89 43

1988

1991

124 728 877 859

158 5 2 7 103347 75 942 40959

152 3 0 5 112903 66908 40991

5. B e t r u g (§§ 2 6 3 - 2 6 5 b ) (ab 1982:4. Platz)

37712

48 829

67 092

63 664

6. S t r a ß e n v e r k e h r s g e f ä h r d u n g (§ 3 1 5 c) 7. U r k u n d e n f ä l s c h u n g ( § § 2 6 7 — 2 6 9 )

36 830 14157 9676

34 505 17 139 8909

31 106 17 5 3 9 7116

31663 17 0 7 7 6921

9057

8 789

3 944

4009

8 377

9112

9 271

8 403

8012

9192

9733

9 389

8. Vollrausch (§ 3 3 0 a b z w . § 3 2 3 a) ( a b 1 9 8 2 : 10. P l a t z ) 9. V e r l e t z u n g d e r U n t e r h a l t s p f l i c h t ( § 1 7 0 b ) ( 1 9 8 1 : 1 0 . , a b 1 9 8 2 : 11. P l a t z ) 10. S a c h b e s c h ä d i g u n g ( § § 3 0 3 — 3 0 5 ) (ab 1981:9. Platz) 11. B e l e i d i g u n g s d e l i k t e (§§ 185 — 189) ( a b 1 9 8 2 : 8. P l a t z )

Zur Abrundung sei noch angeführt, daß die Zahl der Verurteilungen nach dem Betäubungsmittelgesetz, also wegen Rauschgiftdelikten im eng. Sinn, für das Jahr Erhardt Rauschgiftsucht, in: Ponsold Lehrb. der Gerichtl. Medizin, 3. Aufl. (1967) S. 116, 124 1. Sp. ( „ I m Gegensatz zum Alkohol haben die . . . Suchtmitel n u r eine bescheidene k r i m i n o g e n e W i r k u n g " ) . Dagegen soll in den USA im J a h r e 1979 j e d e r dritte S t r a f g e f a n g e n e seine Straftat unter D r o g e n e i n f l u ß begangen haben, s. F A Z v. Di., d. 22. 3. 1983, Nr. 68 - S. 7; s. noch Kreuzer ZStrW 86 (1974) 385 ff, 393. Für die Zeit von 1950 bis 1953 s. Rieh. Lange J R 1957 242, bis 1955 s. Cramer Der Vollrauschtatbestand S. 1. (49)

Zahlenmaterial n a c h : Statistisches Bundesamt W i e s b a d e n , Fachserie 10, Rechtspflege, Reihe 3, Strafverfolg., Jg. 1 9 7 6 - 1 9 8 3 , I 9 8 8 - 1 9 9 1 (nur bis d a h i n vorliegend!), wobei einzelne dort a u f geführte Zahlengruppen zusammenzufassen s i n d ; die Zahlen betreffen d a s Gebiet der allen Bundesrepublik u n d W « / - B e r l i n s ! Die von H.J. Hirsch Beih. zur Z S t r W 198I S. 8 A n m . 29 u n d S. II u n d A n m . 39 angegebene Zahl f ü r 1978 (l I 353) bezieht sich irrtümlich auf die „ Abgeurteilten" (also auch Freigesprochenen), nicht auf die „ Verurteilten" (10 898). F ü r 1983 s. R d n . 3 1 0 .

Günter Spende!

17

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

1980 14786, für 1981 17 054, für 1982 17 105, für 1983 17 802, für 1988 21 629, für 1990 24295, für 1991 27781 betrug 4 7 . 18

In der Volltrunkenheit werden die verschiedensten, nicht selten schwersten Rauschtaten begangen, wie etwa folgende Fälle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung veranschaulichen: Mord (Erdrosselung der Ehefrau bei einer BÄK um 3%>): B G H N J W 1969 1581; BGHSt. 26 363; 38 88 (Tötung der Freundin, BÄK mindestens 3,3%o)48 _ Mordversuch: BGHSt. 27 99, 100; 38 356, 361 = (z.T. etwas anders formuliert) M D R 1992 1162 (Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung) — Totschlag (Erstechen nach Handgemenge): RGSt. 73 132; BGH bei Holtz M D R 1986 624 (Erwürgen der Ehefrau) — Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge (Erwürgung zweier Mädchen durch volltrunkene Frau, in einem Fall mit Tötungsvorsatz): BGHSt. 1 196 — Körperverletzung mit Todesfolge (im ersten Falle durch Niederschlagen und Fußtritte nach Wortwechsel): BGHSt. 23 375; B G H NStZ 1994 131 mit abzulehn. Anm. Kusch — Gefährliche Körperverletzung (im ersten Falle durch Schießen auf zwei Personen): RGSt. 70 85, 87 Anm. 1; BGHSt. 2 14/15, 18 Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr (Trunkenheitsfahrt): BGHSt. 4 20 (daneben fahrlässige Körperverletzung und Unfallflucht bei einem Blutalkoholgehalt von 3,06%o); 6 89, 13 223/224; 22 8 / 9 Fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung (Anfahren einer Leitplanke bei Trunkenheitsfahrt): BGHSt. 23 261 Trunkenheit im Straßenverkehr (mit BÄK bis zu 3,36%o): O L G Düsseldorf StV 1993 425 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort: BayObLG N J W 1989 1685 — Notzucht bzw. Notzuchtsversuch (in den drei letzten Fällen auch noch mit Körperverletzung) : RGSt. 69 187/188; BGHSt. 1 124; 4 73; 16 187 (bei einem Blutalkoholgehalt von 2,36%o); 20 284/285 Nötigung: B G H NStZ 1994 131 — Versuchte schwere Unzucht mit Kindern nach §§ 176 I Nr. 3, 43 StGB a. F.: RGSt. 70 326/327; s. auch BGHSt. 24 378/379 Erregung öffentlichen Ärgernisses (im ersten Falle durch unzüchtige Reden und Berührungen in einer Gastwirtschaft, im zweiten durch exhibitionistische Handlungen an einer Bushaltestelle): RGSt. 70 159; O L G Köln N J W 1966 412 — Störung der Religionsausübung nach § 167 StGB (lautes Sprechen während des Gottesdienstes): RGSt. 5 338, 339 Beleidigung (schwere Beschimpfung mehrerer Polizeibeamten): BGHSt. 9 390 — Verleumdung (Vorwürfe eines Maschinistenmaats gegen Offiziere): RGSt. 69 189, 190 f — Diebstahl (Wegnahme eines Mantels): RGSt. 73 77/178 — Versuchter Diebstahl oder sogar versuchter schwerer Raub in Tateinheit mit Kör47

48

Statist. Bundesamt aaO (Fn. 46) Jg. 1980, S. 20, Jg. 1981, S. 22; Jg. 1982, S. 22, Jg. 1983 S. 22, Jg. 1988, S.37, Jg. 1991, S.37. Es ist also keineswegs so, wie gelegentlich be-

hauptet wird, daß Mord als Rauschtat mangels klarer Überlegungen des Rauschtäters nicht in Betracht komme.

Stand: 1. 8. 1995

(50)

Vollrausch

§ 323 a

perverletzung (Versuch, einem im Freien Schlafenden unter Schlägen Geld wegzunehmen): BGHSt. 14 114/115 Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt (Eindringen in Geschäfts- und Wohnräume durch Zertrümmern von Scheiben und Tätlichkeiten gegen Polizisten): BGHSt. 10 57/58 Leichte Gesetzesverstöße wie die früheren Übertretungen, für die, soweit sie heute Ordnungswidrigkeiten sind, nunmehr § 122 OWiG gilt, so ζ. B. grober Unfug nach dem ehemaligen § 360 I Nr. 11: RGSt. 70 42, 44. Gegenüber diesen zahlreichen Trunkenheitstaten findet § 323 a seltener bei Delik- 19 ten im Drogen- und Tablettenrausch Anwendung, so z.B. in folgenden Fällen: Verstoß gegen das BtMG (Handeln eines süchtigen Artzes im Betäubungsmittelrausch): BGH bei Dallinger MDR 1967 725 Neben Verstoß gegen das BtMG Urkundenfälschung, Raub, Diebstahl, Steuerhehlerei (Handlungen von Drogensüchtigen im //m>/n-Rausch): BGH NJW 1977 590 Nr. 17 (wo allerdings das LG eine unbegründete Strafbarkeit für die Rauschtaten als vorsätzliche actiones liberae in causa angenommen hatte) — Straßenverkehrsdelikte, Körperverletzung und Sachbeschädigung (Pkw-Fahrt im LSD-Rausch): OLG Hamm NJW 1975 2252 Fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung, fahrlässige Körperverletzung und Fahren ohne Fahrerlaubnis (Anfahren eines Motorradfahrers und eines Zauns im möglicherweise fahrlässig verschuldeten Rausch infolge übermäßiger Einnahme des schmerz&üWenden Mittels Dolviran i.V.m. dem Schlafmittel Sekundal): OLG Hamm VRS 52 (1977) 194; aber auch Tötungsdelikte sind möglich, so Totschlag, schwerer Raub und Diebstahl, allerdings hier im „leichten HeroinRausch" (Erdrosselung der Frau durch jugendlichen Täter): LG Hamburg nach FAZ v. Fr., 14. 7. 1989, Nr. 160/S. 9; Amoklauf eines 18jährigen nach Haschisch- und LSD-Konsum (z.T. lebensgefährliche Verletzungen von sechs Menschen mit dem Messer): FAZ v. Mi., 6. 12. 1995, Nr. 284/S. 11. Alle vorstehend angeführten Fakten erweisen die große praktisch-forensische Be- 20 deutung der Strafvorschrift. Die Meinung, daß „§ 330 a (a. F.) in der Praxis bisher nicht allzu häufige Anwendung findet"49, ist somit schon lange überholt. 3. Die Rauschtat und ihre Bestrafung als actio libera in causa (alic) Schrifttum Berlel Begehungs- oder Unterlassungsdelikt? Zu der Lehre von der actio libera in causa, JZ 1965 53; Burkhardt Tatschuld und Vorverschulden, in: Drittes deutsch-poln. Kolloquium über Strafr. u. Kriminol., hrsg. v. E s e r / K a i s e r / W e i g e n d (1988) S. 147; Cramer Verschuldete Zurechnungsunfähigkeit — actio libera in causa — § 330 a StGB, JZ 1971 766; Herzberg G e d a n k e n zur actio libera in causa: Straffreie Deliktsvorbereitung als „Begehung der Tat" (§§ 16, 20, 34 StGB)? in: Spendel-Festschr. (1992) S. 203; Hetlinger D i e „actio libera in causa": Strafbarkeit wegen Begehungstat trotzt Schuldunfähigkeit? (1988); Hettinger Zur Strafbarkeit der „fahrlässigen actio libera in causa", G A 1989 1; Horn Actio libera in causa — eine notwendige, eine zulässige Rechtsfigur? G A 1969 289; Hruschka Der Begriff der actio libera in causa und die Begründung ihrer Strafbarkeit, JuS 1968 554; Hruschka Methodenprobleme bei der Tatzurechnung trotz Schuldunfähigkeit des Täters, SchwZStR 9 0 (1974) 48; Hruschka Ordentliche und außerordentliche Zurechnung bei Pufendorf. Zur Geschichte und zur Bedeutung von actio libera in se und actio libera in sua causa, ZStW 96 (1984) 661; Hruschka Probleme der actio libera in 49

(51)

So noch Hellm. v. Weber GerS 106 (1935) 329, 331. Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

causa heute, J Z 1989 310; Katzenstein Die Straflosigkeit der actio libera in causa, Diss. Berlin 1901; Koch Die actio libera in causa im ausländischen Strafrecht, Diss. Freiburg i. Br. 1956 (Mschr.); Kolz Die Problematik der actio libera in causa, Diss. F r a n k f u r t a. M. 1970; Krause, Friedr. Wilh. Betrachtungen zur actio libera in causa, insbesondere in der Form vorsätzlicher Begehung, in Hellm. Mayer-Festschr. (1966) S. 305; Krause, Friedr. Wilh. Probleme der actio libera in causa, J u r a 1980 169; Küper Aspekte der „actio libera in causa". Ein Dialog, in: Leferenz-Festschr. (1983) S. 573; Kuhn-Päpst Die Problematik der actio libera in causa, Diss. M a n n heim 1984; Maurach Fragen der actio libera in causa, J u S 1961 373; Neumann, Otto Die actio libera in causa, Diss. Breslau 1921 (Mschr.); Neumann, Ulfrid Z u r e c h n u n g u n d „Vorverschuld e n " (1985); Neumann, Ulfried Konstruktion u n d Argument in der neueren Diskussion zur actio libera in causa, in: Arthur K a u f m a n n - F e s t s c h r . (1993) S. 581; Otto Actio libera in causa, Jura 1986 426; Paeffgen Actio libera in causa u n d § 323 a StGB, ZStW 97 (1985) 513; Puppe G r u n d z ü g e der actio libera in causa, J u S 1980 346; Rath Z u r actio libera in causa bei Schuldunfähigkeit des Täters, J u S 1995 405; Roxin Bemerkungen zur actio libera in causa, in: LacknerFestschr. (1987) 307; Saiger/Mutzbauer Die actio libera in causa — eine rechtswidrige Rechtsfigur, N S t Z 1993 561; Schmidhäuser Die actio libera in causa: ein symptomatisches Problem der deutschen Strafrechtswissenschaft (1992); Schmidt, Ludwig Z u r Lehre von den sog. actiones liberae in causa, Diss. Würzburg 1908; Schröder Verbotsirrtum, Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t , actio libera in causa, G A 1957 297; Schwinghammer Die Rechtsfigur der actio libera in causa u n d ihr Anwendungsbereich über den R a h m e n des § 51 StGB hinaus, Diss. M ü n c h e n 1966; Streng Schuld o h n e Freiheit? . . . , ZStW 101 (1989) 273; Streng Der neue Streit um die „actio libera in causa", J Z 1994 273; Timm Der Streit um die actiones liberae in causa im deutschen Strafrecht, Diss. Greifswald 1926. Vgl. auch Rieh. Lange L K 1 0 §§ 20, 21 R d n . 72 f; Jähnke L K " § 20 R d n . 76 ff. W ä h r e n d der Drucklegung erschienen: Hettinger Die „actio libera in c a u s a " : eine unendliche Geschichte? Eine Kritik neuer Begründungsversuche, in: Geerds-Festschr. (1995) S. 623.

21

Der Bestrafung des Vollrauschs bedarf es nicht, wenn die Rauschtat selbst angemessen bestraft werden kann. Deshalb ist vor der Anwendung des § 323 a die Anwendbarkeit der jeweils verletzten Strafvorschrift nach der Rechtsfigur der actio libera in causa (alic) zu prüfen50. Die Strafbarkeit nach der letzteren schließt die nach der ersteren an sich aus 51 ; es besteht also Subsidiarität des § 323 α gegenüber der anderen in der Form der alic verletzten Strafbestimmung 52 , wenigstens in der Regel 53 ; zur Konkurrenzfrage Rdn. 334 ff. 22 Die Konstruktion ist in der Sache, wie schon der kurze geschichtliche Überblick (Rdn. 5) zeigte, den italienischen Juristen, d. h. den Postglossatoren, und in Deutsch50

51

So Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 57; Maurach J u S 1961 375 (alic „die p r i m ä r e Rechtsfig u r " ) ; Wessels B T / 1 1 9 R d n . 1004 (§ 23 I 4); Ranft J A 1983 193, 195; O L G H a m b u r g V R S 12 (1957) 40,41. So uneingeschränkt in d e r Rechtslehre; ζ. B. Schäfer/ Wagner/Schaftteutie Gesetz gegen gefährliche G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r u n d über Maßregeln der Sicherung u n d Besserung (1934) § 3 3 0 a a. F. A n m . 2 (S. 209); Gramsch a a O S. 53; Mezger LK 8 I (1957) § 51 a. F. A n m . II 12 (S. 386); Schmidhäuser BT 2 S. 192 ( 1 5 / 3 2 ) ; H. J. Hirsch Beih. zur Z S t r W 1981, S. 16 A n m . 5 4 / 1 7 ; in der Rechtsprechung·. R G S t . 70 85, 8 7 / 8 8 ; 73 177, 182; O L G H a m b u r g VRS 12 (1957) 40; O L G Bremen VRS 20 (1960) 439, 441; O L G Köln N J W 1967 3 0 6 / 3 0 7 r. Sp. Dagegen modifizierend in der Rechtslehre: z.B. Kohlrausch/Lange § 3 3 0 a a. F. A n m . VIII 4

52

53

(S. 669); Maurach J u S 1961 373, 375, 381 r. Sp.; Cramer D e r Vollrauschtatbestand S. 136f; Preisendanz30 § 330 a a. F. A n m . 6; Maurach/Schroeder/Maiwatd BT, 2. Bd.' § 96 II 8 / R d n . 26; in der Rechtsprechung: BGHSt. 2 14/15, 18; 17 333, 3 3 6 / 3 3 7 ; B G H VRS 23 (1962) 435, 438; O L G H a m m V R S 40(1971) 191/192; D A R 1974 23, 24. Maurach J u S 1961 375 r. Sp., 381 f; Welzel S. 476 Nr. 4. d); B G H S t . 10 247, 251; 17 333, 335; O L G Braunschweig N d s R p f l . 1962 71; O L G Celle V R S 25 (1963) 3 3 / 3 4 ; O L G Köln N J W 1967 306, 307 r. Sp.; O L G Karlsruhe VRS 53 (1977) 461/462. Maurach J u S 1961 381 r. Sp.; Horn SK II § 3 2 3 a R d n . 32; Preisendanz § 3 3 0 a a. F. A n m . 6 a ) ; Hentschel/Born'' S. 89, R d n . 245; zu A u s n a h m e n s. ζ. B. BGHSt. 2 14/15, 18; 17 333, 337 im Gegensatz zu RGSt. 70 85, 88 ob.

S t a n d : 1. 8. 1995

(52)

§ 323 a

Vollrausch 54

land der späteren Lehre vom gemeinen Strafrecht bekannt gewesen . Über die Herkunft des Ausdrucks wird dagegen gerätselt55. Er soll „erst späteren Datums" sein 56 und hat sich in Deutschland wohl ab Ende des 18. Jahrhunderts eingebürgert. Eine gesetzliche Anerkennung der absichtlichen alic findet sich heute z.B. in Art. 12 Schweiz. StGB 57 ; die fahrlässige Form wird aber in der schweizerischen Rechtsprechung und Rechtslehre ebenso angewandt 58 . Auch nach der deutschen Doktrin 59 und Judikatur (s. Rdn. 37) ist ein deliktisches 23 Verhalten, vor allem eine Rauschtat, nach der angeführten Konstruktion strafbar 60 . Die Bestrafung der vorsätzlichen Form sollte, wie schon im vorhergehenden bemerkt (s. Rdn. 10), nach einem Gesetzentwurf von 1881 gleich den Landesstrafgesetzbüchern des 19. Jahrhunderts ausdrücklich normiert werden. Man versteht unter der Rechtsfigur die Begehung eines Verbrechens (actio) in 24 schuldunfähigem Zustand mittels vorsätzlichen oder fahrlässigen In-Gang-Setzens der Ursache (causa) für dieses Delikt durch einen „freien", d. h. eines „freien" Willens mächtigen und damit verantwortlichen (schuldfähigen) Täter (liber in causa). Jemand betrinkt sich vorsätzlich, um sich Mut zu machen und dann in der Trunkenheit um so hemmungsloser sein Opfer töten zu können (ζ. B. der Fall des K.Z-Schergen, der Häftlinge erschießen soll und will). Es liegt ein mehraktiges Verhalten vor, dessen späterer Akt (actio) als Wirkung oder Erfolg (effectus) des ersten erscheint: dieser ist das Sichberauschen als actio praecedens und causa für den zweiten Akt, die Rausch54

Zu den ersteren Engelmann Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung (1895) S. 3 0 f ; zum letzteren z.B. Joh. Sam. Friedr. v. Böhmer Meditationes in constitutionem criminalem Carolinam (Halle 1770) S. 869 f (ad Art. 179, § X) und schon früher; ferner Schaffnern Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts (1930, Neudr. 1973) S. 103/104; Boldt J o h a n n Samuel Friedrich von Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft (1936) S. 161, 203, 513. Zur Geschichte eingehend Hellinger Die „actio . . . " S. 57 ff; s. ferner Kuhn-Päpst S. 12 ff; Hruschka Strafr. nach logisch-analyt. Methode 1 (1988) S. 343 ff; den. J Z 1989 310; Brandslelter S. 9 ff.

^ Nach Engelmann aaO S. 31 haben „erst die ilahemschen Juristen die actiones liberae in causa richtig gewürdigt", nach Fr. W. Krause in Hellm. Mayer-Festschr. S. 306 Anm. 7 die Kanonislen das Verhalten der Mutter, die fahrlässig (oder gar vorsätzlich) im Hinblick auf solch eine Folge ihr kleines Kind zu sich ins Bett genommen und im Schlaf erdrückt habe, noch „nicht als Fall der actio libera in causa e r k a n n t " ; dagegen ergibt für Kuttner aaO S. 119 gerade die Behandlung dieses Falles in der Kanonistik „die Anerkennung ... des G e d a n k e n s der actio libera in causa"! Loentng Die Zurechnungslehre des Aristoteles (1903) S. 234 findet die Bildung des Terminus in der Naturrechtslehre, Hruschka SchwZStR 90 (1974) 48, 55 einen Anklang an den Ausdruck bei Thomas von Aquin und die Anwendung des Gedankens bei Pufendorf (s. dens. ZStW 96 [1984] 661; J Z 1989 310), Fr. W. Krause aaO S. 307 den ersten Gebrauch der Forme! bei Kletnschrod Sy(53)

stematische Entwicklung der Grundbegriffe u. Grundwahrheiten des peinlichen Rechts .... 1. Bd., 1. Aufl. (1794) § 17 (S. 16); § 64 (S. 106); 3. Aufl. (1805) S. 37/38, S. 142 ff. 56 So Schaffstem aaO (Fußn. 54) S. 104 Anm. 3. ^ Er bestimmt als „ A u s n a h m e " von den Vorschriften zur Zurechnungsfähigkeit, d a ß sie „nicht anwendbar sind, wenn die schwere Störung oder die Beeinträchtigung des Bewußtseins vom Täter selbst in der Absicht herbeigeführt wurde, in diesem Zustande die strafbare Handlung zu verüben". Zu entsprechenden anderen ausländischen Gesetzesregelungen s. Koch S. 16, 63; Heuermann S. 209, 215 f; H. J. Hirsch Beih. zur ZStrW 1981 S.9. 58 Hans Schultz Die Behandlung der Trunkenheit im Strafrecht, S. 28. 59 Ζ. B. Binding Normen II 1 S. 612 ff; Rob. ν. Hippel II S. 296 Anm. 2; v. Liszl/Schmidt AT S. 242; Mezger Lehrb. S. 281 f; Jähnke L K " § 20 Rdn. 78; Dreher/Trondle41 § 20 Rdn. 19; Sch/ Schröder/Lenckner* § 20 Rdn. 33 ff; Maurach JuS 1961 373; Fr. W. Krause in: Hellm. MayerFestschr. S. 305; ders. Jura 1980 169. Für Straflosigkeit dagegen Katzenstein S. 1, 48 ff, 63 (allerdings nur de lege lata, S. 27 Anm. 5) und im vergangenen Jahrhundert ζ. B. v. Savigny als Justizminister nach Goltdammer Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preuß. Staaten, 1. Bd. (1851) S. 353; s. auch Katzenstein S. 108; neuerdings besonders Hetlinger Die „actio . . . " S. 436ff u. passim; Paeffgen ZStW 97 (1985) 516 ff; Salger/Mutzbauer NStZ 1993 561. Wenig klar v. Lilienthal Zurechnungsfähigkeit, VDA V. Bd. (1908) S. 1,34 ff, 84.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

tat als actio subsequens, „libera in causa" und non libera in actu 61 , und zugleich als effectus des ersten. Daß der Terminus „mißverständlich" sei, weil die Strafe nur an den ersten Akt im schuldfähigen Zustand — das Sichberauschen —, nicht aber an den zweiten Akt im schuldunfähigen Zustand — die Rauschtat — angeknüpft werden dürfe 6 2 , ist nicht zutreffend; denn das zu bestrafende Delikt ist und bleibt die durch die Berauschung rechtswidrig verursachte und vorsätzlich oder fahrlässig verschuldete Rausch tat und deren Auswirkung als Ganzes63 (s. dazu näher nachfolg. Rdn. 30025 Der schuldunfähige Zustand wird meist, muß aber nicht durch Voll trunkenheit und kann ζ. B. auch durch SWi/a/trunkenheit begründet werden. Beispiele: Der betrunkene Kutscher überfährt und verletzt einen Straßenarbeiter, obwohl er beim Sichbetrinken vor der Fahrt einen solchen Unfall hätte voraussehen können — fahrlässige Körperverletzung (RGSt. 22 413, 415); der übermüdete Kraftfahrer gibt seinem Schlafbedürfnis nach und nickt ein, statt das Steuer aus der Hand zu geben, obgleich der tödliche Verkehrsunfall beim Einnicken für ihn voraussehbar war — fahrlässige Tötung (RGSt. 60 29, 31; BGH VRS 5 [1953] 210) 64 . 26

Die Konstruktion der alic ist auch anwendbar, wenn sich der Täter als vermindert Schuldfähiger in Beabsichtigung oder trotz Vorhersehbarkeit einer bestimmten Rauschtat vorsätzlich oder fahrlässig betrinkt und in den Zustand völliger Zurechnungsunfähigkeit versetzt (OLG Düsseldorf NJW 1962 684; OLG Hamm NJW 1974 614, 615 1. Sp.; s. dagegen noch RG H R R 1939 Nr. 1316 zu 2 a. E.) 65 oder wenn er umgekehrt als voll Verantwortlicher unter den genannten Umständen nur den Zustand verminderter Schuldfähigkeit bewirkt und darin das beabsichtigte oder vorhersehbare Delikt ausführt (BGHSt. 21 381, 382 ob.; OLG Hamm NJW 1956 274; OLG Schleswig NStZ 1986 511) 66 . In dem ersten Falle kommt eine Strafmilderung für die Rauschtat gemäß § 21 StGB in Betracht (OLG Düsseldorf NJW 1962 684, 685 1. Sp. unt.; OLG Hamm NJW 1974 614, 615 l.Sp.), in dem zweiten dagegen nicht (BGH VRS 21 [1961] 45, 47; BayObLG VRS 36 [1969] 170, 173 ob.; OLG Hamm VRS 40 [1971] 447; OLG Koblenz M D R 1972 622; VRS 46 [1974] 440, 442).

27

Fraglich erscheint heute wieder wie früher, ob eine Rauschtat in der Form der alic überhaupt strafbar ist (s. Anm. 60); überwiegend ist aber nur strittig, wie die (weitgehend als selbstverständlich angenommene) Strafbarkeit eines solchen Verhaltens be"

62

63

64

D a ß in den Erörterungen die zweite actio zuweilen mit der ersten verwechselt wird o d e r die Formulierung nicht e i n w a n d f r e i ist — s. ζ. B. Sch/ Schröder/Lenckner" § 20 R d n . 33: „ D i e in causa freie", das aber heißt: die als actio unfreie ..Handlung" liege in der Herbeiführung der S c h u l d u n f ä h i g k e i t ! ? (richtig: in der Rauschtat\) — kritisiert Hruschka JuS 1968 55 r. Sp. und A n m . 14; ders. Z S t W 96 (1984) 668 Fn. 12 mit Recht. So Kotz S. 19; s. auch Hrmchka J u S 1968 555 r. Sp.; dens. SchwZStR 90 (1974) 48,49. Vgl. ζ. B. auch BGHSt. 23 133, 135 (bei der alic werde „die eigentliche T a t " , also die Rauschtat, im s c h u l d u n f ä h i g e n Z u s t a n d a u s g e f ü h r t ) ; BayO b L G N J W 1967 306, 307 1. Sp. (bei der alic werde „ d i e Rauschtat in den strafrechtlichen Vorwurf einbezogen"). Aus den zahlreichen Entscheidungen zum mod e r n e n S t r a ß e n v e r k e h r z.B. BGHSt. 17 333;

B G H VRS 6 (1954) 428, 430; 21 (1961) 45, 47; 2 6 3 / 2 6 4 ; 23 (1962) 438, 4 3 9 / 4 4 0 ; D R i Z 1975 184; B a y O b L G J Z 1967 502 = VRS 33 (1967) 271; 60 (1981) 369; 61 (1981) 339; O L G Köln N J W 1967 3 0 6 / 3 0 7 ; O L G Stuttgart VRS 37 (1969) 121/122; O L G Celle VRS 40 (1971) 16; O L G Koblenz V R S 46 (1974) 440, 442; N Z V 1989 240; O L G H a m m VRS 47 (1974) 257; O L G Karlsruhe VRS 53 (1977) 461; s. ferner R d n . 37. 65 Ebenso ζ. B. Maurach JuS 1961 373 r. Sp.; Maurach/Zipf AT, I. TBd." § 36 II E / R d n . 58; Dreher-Tröndle'1 § 20 R d n . 19; Hentschel/Born'· T r u n k e n h e i t im S t r a ß e n v e r k e h r S. 89 ( R d n . 244). /o/g.seintritts und der Werbrechensvollendung völlig betrunken ist oder in Narkose liegt. Für die zeitliche „Begehung der Tat" (s. § 20 StGB) ist somit die (vorgenommene oder vorzunehmende, aber unterlassene) Handlung maßgeblich (§ 8 StGB 73 ). 31

Bei der Rauschtat in der Form der alic besteht die Eigentümlichkeit in folgendem : Das verantwortliche Handeln liegt im Sichberauschen (das Unterlassen u. U. in der mangelnden Vorsorge gegen die Berauschung), der „ E r f o l g " aber nicht nur in einer Endwirkung wie dem Eintritt eines Personen- oder Sachschadens, sondern in einer Zwischen- und in einer Endfolge: sowohl in einem den Täter selbst „verletzenden", d. h. seine „Freiheit" und Verantwortlichkeit aufhebenden (oder erheblich mindernden) Rauschzustand als auch in der darauf beruhenden und einen anderen verletzenden (oder gefährdenden), d.h. dessen Leben, Leib, Eigentum usw. angreifenden Rausch tat.

32

Die Frage, ob das Sichbetrinken eine straflose Vorbereitungs- oder aber eine strafbare Versuchshandlung ist, stellt sich nur, wenn es nicht zur gewollten oder voraussehbaren Rauschtat gekommen ist; sie erfordert in diesem Falle eine Ex-ante-Betrachtung, da kein aktueller, sondern nur ein potentieller Kausalzusammenhang zwischen der vorgenommenen Handlung (Berauschung) und dem erstrebten oder erkennbaren, aber ausgebliebenen Erfolg (Rauschtat und deren Auswirkung) in Betracht kommt und daher eine Blickrichtung vom zweifel/ia/ien Verbrechensanfang (Sichbetrinken) voraus in die Zukunft erforderlich wird (nachträgliche Prognose) 74 . 71

72

So schon treffend RGSt. 22 413, 414 unt.; Binding N o r m e n II 1 S. 618, 620; Rob. ν. Hippel II S. 173, 296; Mezger Lehrb. S. 155 f, 281; ders. LK" I (1957) § 51 a. F. A n m . 11 (S. 385); v. Liszl/ Schmidt A T S. 242; Allfeld S. 155 u n d A n m . 22 (z.T. unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die alic!); Maurach J u S 1961 374; Horn G A 1969 289, 292. Nach Hardwig Eb. Schmidt-Festschr. (1961) S. 475 ist die Konstruktion der alic „ d i e selbstverständliche Berichtigung des falschen § 51 Abs. 1 S t G B " (a. F. = § 20 n. F.). Dazu Engisch Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen T a t b e s t ä n d e (1931) S. 4 ff.

73

74

Auf den auch Sch/Schröder/Lenckner-4 § 20 R d n . 32 f zum Verhältnis von § 20 u n d der Rechtsfigur der alic ausdrücklich hinweisen. Zu dieser Frage- u n d Blickstellung bei einer Gefährdungshandlung (und das ist j a nach richtiger Versuchsauffassung das versuchte Delikt) s. näher Spendet Z u r N e u b e g r ü n d u n g der objektiven Versuchstheorie, in Stock-Festschr. (1966) S. 89, 102/103; s. a u c h später Kolz S. 62 ff, 75 A n m . 162, der allerdings die Ex-ante-Betrachtung irrig auch zur U n r e c h t s b e s t i m m u n g bei der vollendeten Rauschtat in der Form der alic a n w e n d e t .

Stand: 1. 8. 1995

(56)

Vollrausch

§ 323 a

Danach kann das Sichberauschen je nach Lage des Falles bald als Vorbereitung, bald als Versuch der Rauschtat erscheinen. Das wird von all denen verkannt, die in der Selbstberauschung entweder nur das erstere oder das letztere sehen und ζ. T. nur im zweiten Fall eine Strafbarkeit in der Form der alic für begründbar halten 75 . Die erstere läge etwa vor, wenn sich der potentielle Rauschtäter in einer Wirtschaft mit dem Vorsatz betrinkt, nach seiner Rückkehr zu Hause in der Trunkenheit seine Frau mit dem Stock zu verprügeln oder totzuschlagen, da hier noch keine unmitelbare Gefährdung der Ehefrau eingetreten wäre (der Trinker kann unterwegs verunglücken, vom Nachhauseweg abkommen usw.). Der letztere, d.h. ein Versuch der gefährlichen Körperverletzung oder der Tötung, könnte jedoch dann bejaht werden, wenn sich der Täter in der vorgenannten Absicht daheim betrinkt, so daß sich die Frau bereits in zutreffender Befürchtung des jeden Augenblick beginnenden Angriffs in einem Zimmer verbarrikadiert hat, weil hier mit der Herbeiführung des Rauschzustandes die Leibes- oder Lebensgefahr der Bedrohten unmittelbar gegeben ist (die Frau könnte hier auch gegen den sich betrinkenden Ehemann schon Notwehr üben, ihn z.B. ihrerseits einsperren usw.!). Soweit dagegen die Rauschtat nach Eintritt der Schuldunfähigkeit des Täters ganz 3 3 oder teilweise ausgeführt, d. h. vollendet oder wenigstens versucht 76 worden ist, ist eine Ex-post-Betrachtung einzunehmen, weil ein effektiver oder aktueller Kausalnexus zwischen dem Handeln und dem Erfolgt vorliegt und darum eine Blickrichtung vom zweifels/reie« Tatausgang zurück in die Vergangenheit notwendig wird. Das ist kein unzulässiger Blick- oder „Bewertungswechsel", sondern folgt aus der Natur der Sache: Bei Vorbereitung oder Versuch einer Tat schaut man in die Zukunft, nach ihrer Ausführung in die Vergangenheit! 77 Danach ist, wie nicht geleugnet werden kann, das Sichberauschen eine notwendige Vorbedingung und entscheidende Mitursache für die Rauschtat und deren Auswirkung (ζ. B. Erschlagen oder Erdrosseln der Ehefrau im Vollrausch). Nach dem strafrechtlichen Ursachenbegriff der Bedingungs- oder Äquivalenztheorie 78 und dem extensiven Täterbegriff ist damit der ob-

"

(57)

Ebenfalls auf die k o n k r e t e Fallgestaltung abstellend Horn G A 1969 297 ff, 300; nur für Vorbereitung: Katzenstem S. 48 ff, 53 ff; Hruschka J u S 1968 557 u n d A n m . 31; Jescheck 4 Lehrb. S. 403 (§ 40 VI 2); in Schänke/Schröder* Lenckner § 20 R d n . 3 4 u n d Eser§ 22 R d n . 55; Olio Jura 1986 428; Streng Z S t W 101 (1989) 101, 2 7 3 , 3 0 9 ; Saiger/Mutzbauer N S t Z 1993 561, 563; für Versuch uneingeschränkt oder weitgehend: Ludw. Schmidt S. 18 ff, 2 1 / 2 2 , 46 f; Otto Neumann S. 21; Rudolphi SK I § 22 R d n . 21; Kotz S. 88 f f ; Puppe J u S 1980 348 r. S p . f f , 349 A n m . 21; Roxm in; Lackner-Festschr. S. 307, 3 1 3 f f , ders. StR A T I : § 2 0 / R d n . 60; für Versuch zu allgemein u n d u n b e s t i m m t : Maurach J u S 1961 374 1. Sp., 377 r. Sp., 379; uneinheitlich: Schwinghammer einerseits S. 31 ( u . U . bereits Versuch mit dem Aufsuchen eines Lokals!?) u n d S. 36 (Trinken als Versuch der T r u n kenheitsfahrt), andererseits richtig S. 4 0 / 4 1 (nicht jedes Sichberauschen i. S. d. alic sei „autom a t i s c h " ein Versuch der Rauschtat). Zu der Frage a b w ä g e n d u n d „ f r a g m e n t a r i s c h " Kitperin: Leferenz-Festschr. S. 5 8 4 f f , 591.

76

77

1,1

Dieser Versuch d e r Rausch/αί im s c h u l d u n f ä h i gen Z u s t a n d (Rausch) ist natürlich von d e m u. U. bereits im Sicbberauschen liegenden, also im schuld/d/iigen Z u s t a n d begangenen Versuch scharf zu unterscheiden! Das beachtet nicht Rath J u S 1995 405, 408 Fn. 21, der vor einer Auseinandersetzung mit dem obigen Lösungsweg von vornherein kapituliert; eine Diskussion vermeidend auch Burkhardi S. 156 Fn. 18. G e g e n ü b e r der Kritik von Streng J Z 1994 711 I. Sp., die unterschiedliche Betrachtungsweise sei nicht „ v e r s t ä n d l i c h " gemacht, ist b e s o n d e r s noch auf das Tretminen-Beispiel (s. R d n . 34) zu verweisen. Zum G e f a h r - u n d Versuchsbegriff n ä h e r Spendet in Stock-Festschr. S. 100. Vgl. auch noch Küper in LeferenzFestschr. S. 582/583. So auch treffend B G H VRS 6 (1954) 428, 429 (nicht a b g e d r u c k t in BGHSt. 6 89!): „ A u s der im Strafrecht für den U r s a c h e n z u s a m m e n h a n g geltenden Bedingungstheorie folgt, d a ß der Täter für eine im Z u s t a n d der Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t b e g a n g e n e Straftat verantwortlich ist, wenn er vorher im z u r e c h n u n g s f ä h i g e n Z u s t a n d schuld-

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

jektive Tatbestand ζ. B. des Totschlags erfüllt 79 , auch wenn das Sichbetrinken mit Berauschungs- und Tötungsvorsatz äußerlich, für sich allein betrachtet, zunächst als „Vorbereitungshandlung" erscheinen mag 80 . Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ergibt sich aus der Rechtsgutsverletzung (Tötung im Rausch), die die besondere und gesteigerte Gefährlichkeit der Berauschung als Durchgangsstadium für die Rauschtat nachträglich erwiesen hat, bestimmt sich also beim vollendeten Delikt wie die tatsächliche Kausalbeziehung vom deliktischen Erfolge her 81 . Schlagwortartig formuliert: Wie sich eine Handlung für eine Ex-anie-Beurteilung, d.h. vor oder bei dem Tun oder Unterlassen, als Vorbereitung oder Versuch erweisen kann, so umgekehrt für eine Ex-/?osi-Betrachtung, d.h. nach dem Unternehmen, entweder — weil den erstrebten Erfolg nicht bewirkend und insofern „untauglich" und „ungefährlich" — als nicht versuchte Tat 8 2 oder aber — weil diesen Erfolg verursachend — als rechtswidrig vollendete 83 (die hier entwickelte Lösung anerkennend und vertiefend Herzberg in Spendel-Festschr. S. 203, 207, 213f, 236; zustimmend auch Lackner21 § 20 Rdn. 25 a. E.) 84 .

haft eine Bedingung f ü r den Erfolg gesetzt h a t . " E b e n s o O L G Düsseldorf N J W 1962 684: D e r Täter habe als Verantwortlicher „die entscheidende Ursache f ü r ein eigenes Tun gesetzt"; B G H S t . 21 381: „ D u r c h die V e r a b r e d u n g u n d P l a n u n g der Diebstähle" vor d e m Sichbetrinken „ d i e ents c h e i d e n d e Ursache f ü r die d a n n folgende Ausf ü h r u n g " der Rauschtaten (Diebereien) gesetzt, d . i . eine „ V o r b e r e i t u n g " der E n t w e n d u n g e n ! H. Arndt D A R 1954 149 1. Sp. Vgl. ferner Kuper in: Leferenz-Festschr. S. 579.

82

Wie die mit M o r d v o r s a t z v o r g e n o m m e n e Gifteinschüttung in das G e t r ä n k kann das in Tötungsabsicht e r f o l g e n d e Sichbetrinken des potentiellen Rauschtäters ex ante beurteilt, d. h. im Augenblick des Trinkens, schon einen rechtswidrigen MordvmwcA darstellen (s. oben R d n . 32 a. E.), obwohl es sich ex post gesehen, d h. nach Ausbleiben der Rauschtat, i m m e r als „ u n t a u g lich" u n d von diesem Blickpunkt aus als „ungef ä h r l i c h " erwiesen hat — eine für die Versuchsfrage verfehlte Betrachtungsweise, die bekanntlich RGSt. 8 198, 202 zur subjektiven, auch den „absolut u n t a u g l i c h e n " Versuch für s t r a f b a r erklärenden Versuchstheorie verleitet hat!

83

Wie das Herrichten der M o r d w a f f e k a n n das Sichberauschen des späteren, wirklichen Rauschtäters ex ante betrachtet, d. h. zur Zeit der Berauschung, als M o r d Vorbereitung erscheinen, obwohl es sich ex post geurteilt, d. h. nach Verwirklichung des Mordvorsatzes im Rausch, als ents c h e i d e n d e M i t b e d i n g u n g u n d n o t w e n d i g e r Bes t a n d s / / des vollendeten M o r d e s ergeben hat. An der V e r k e n n u n g dieser Sachlage kranken schon die ganzen A u s f ü h r u n g e n von Katzenstein S. 5 3 / 5 4 ff!

84

Zu einem ähnlichen Ergebnis k o m m e n , unter Nichtberücksichtigung des oben A u s g e f ü h r t e n , in einer „ A u s d e h n u n g " des „ f/nrecArstatbestand e s " Schmidhäuser (Die alic . . . [1992] S. 5 4 f f ) bzw. besonders des „ S c / w M t a t b e s t a n d e s " Streng (ZStW 101 [1989] 273, 308 f f ) ; zu dessen n o c h m a liger E n t w i c k l u n g seines „AusdehnungsmodeWs" u n d Abgrenzungsversuchs von der hier vertretenen Lösung nach der Kritik Herzbergs aaO S. 203 Fn. 3 s. Streng J Z 1994 709, 711 [Fn. 24] ff (zwischen „ A u s d e h n u n g " u n d „ V o r v e r l e g u n g " der Schuld d ü r f t e aber kein wesentlicher Unterschied bestehen).

7

' Das wird in der Literatur nicht klar e r k a n n t , wie die E i n w ä n d e zum Problem der Tatbestandsh a n d l u n g (s. ζ. B. n ä h e r Kuper in LeferenzFestschr. S. 580 f f ; Saiger/Mutzbauer N S t Z 1993 564, deren Kritik nicht auf A u s f ü h r u n g e n wie die zu R d n . 34 eingeht) zeigen. Z u r T a t b e s t a n d s f r a g e s. auch Spendet Fahrlässige T e i l n a h m e an Selbstu n d F r e m d t ö t u n g , J u S 1974 749, 754 f. 80 Für T a t b e s t a n d s m ä ß i g k e i t ζ. B. auch Rittler Lehrb. d. Österr. Strafrechts, 2. Aufl. I. Bd. (1954) S. 171, 184 A n m . 1.; Bertel J Z 1965 53, 54 A n m . 8; Kolz S. 75, 81; Baumann/Vir. Weber" S. 362 (§ 23 III 1 a ß); s. dagegen z.B. Hruschka J u S 1968 556 r. Sp., 557 1. Sp.; Jescheck AT 4 S. 402 (§ 40 VI I Q ; Sch/Schroder/Eser § 22 R d n . 56; Wessels AT 24 R d n . 415 (§ 10 III 4); Schilling D e r Verbrechensversuch des Mittäters u n d des mittelbaren Täters (1975) S. 58. 81 D a s verkennt Kolz S. 5 2 / 5 3 , 7 6 ff, 84 ff bei seinen Überlegungen zur Rechtswidrigkeit des Sichberauschens, auch w e n n er im übrigen richtig betont, d a ß die h. M. bei der B e g r ü n d u n g d e r Strafbarkeit der Rauschtat als alic die Frage des Unrechts der actio praecedens völlig übersieht; s. ferner die unrichtige Bemerkung zur Rechtswidrigkeitsfrage bei Timm S. 17. Vgl. dagegen die interessante Überlegung von Küper in LeferenzFestschr. S. 578, 583, 586 f zu der Frage, ob das Unrecht der „ D e f e k t t a t " (Rauschtat) nicht das Unrecht der actio p r a e c e d e n s mitkonstituiere.

Stand: 1. 8. 1995

(58)

Vollrausch

§ 323 a

Daß ein Teilakt — je nach Fallgestaltung und Blickrichtung — Vorbereitung oder 34 (Teil-)Ausführung des Delikts sein kann, ist nichts Ungewöhnliches. Wenn von zwei Bankräubern Α und B, die ihre Millionenbeute in einer nur ihnen bekannten verborgenen Felshöhle in unwegsamer Gebirgsgegend versteckt haben, der eine (B) verhaftet und zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, der andere (A) die spätere Beseitigung seines Komplizen damit einleitet, daß er eine Tretmine vor dem von ihm vorher ausgeräumten Versteck vergräbt, so liegt darin — auf Grund der großen zeitlichen und räumlichen Distanz zwischen Handlung und erstrebtem Erfolg und mangels jeder konkreten, unmittelbaren Gefahr für den auf „Nummer Sicher" sitzenden Banditen und für irgendeine andere Person in der menschenleeren Gegend — zunächst nur eine straflose Mordvorbereitung85. Erst falls sich der Verurteilte (B) nach seiner Entlassung aus jahrelanger Haft der einsamen Höhle nähert, geht die Vorbereitung der Tat in einen strafbaren Mordversuch und schließlich, sobald das Opfer beim Betreten des Verstecks durch die explodierende Bombe getötet wird, in einen vollendeten Mord über. Dabei ist es gleichgültig, ob der Bombenleger (A) zu diesem Zeitpunkt schlief oder völlig betrunken war. Für die Ex-/?oi/-Betrachtung stellt sich später das Vergraben der Mine, das nach Jahren zum Tode des früheren Mittäters führte, als rechtswidrige tatbestandsmäßige Ausführungshandlung des Mordes dar, die, weil vorsätzlich-schuldhaft begangen, als solche zu betrafen ist. Es muß jedoch „gleichgültig" sein, ob die Täterhandlung durch das spätere Verhalten des Opfers Β (hier: Aufsuchen des Verstecks) oder durch eine weitere Handlung des Α (wie im Fall der Rauschtat) zu Ende geführt („voll-endet") wird; denn zum Gelingen, d.h. zur Ausführung eines Verbrechens, haben immer mehrere Faktoren (Bedingungen) zusammenzuwirken. Natürlich ist die Rauschtat nicht, wie Hettinger (Die „alic" ... S. 420 Fn. 436) schreibt, eine Tretmine, also ein mechanisches Werkzeug, oder ihr gleichzusetzen, wohl aber dem mitwirkenden Verhalten des Opfers. Im Fall der alic tut der Täter sogar noch mehr als der Bombenleger — er wartet nicht auf die zur Ergänzung seines Handelns notwendige Mitwirkung des Opfers, sondern „ergänzt" seine vorbereitende Selbstberauschung durch die Rauschtat selbst. Daß im Tretminen-Beispiel das Vergraben der Mine durch Α zur Ausfiihrungshzndiung des Mordes an Β geworden ist, erkennt Hettinger sogar ausdrücklich an. Warum soll dann das Sichberauschen nicht zur ,,Begehung" eines Mordes im Vollrausch in der Form der alic gehören? Für das Fahrlässigkeitsdelikt, bei dessen Durchführung nicht zwischen den ein- 35 zelnen Stadien der Vorbereitung, des Versuchs und der Vollendung unterschieden wird, werden die vorstehenden Grundsätze allgemein anerkannt; insbesondere ist auch von „Finalisten" ausgesprochen worden, daß die zeitlich-räumliche Distanz zwischen dem fahrlässigen Sichberauschen oder Einschlafen und dem späteren Überfahren eines Passanten keine Rolle spielt, sofern nur die genannte Vorbedingung in Vorhersehbarkeit des Verkehrsunfalls rechtswidrig gesetzt worden ist 86 (s. Diese Εχ-αη/e-Beurteilung w ü r d e durch eine Expost-Betrachtung bestätigt, wenn der Inhaftierte nach drei J a h r e n in d e r S t r a f h a f t stürbe u n d der S p r e n g k ö p r e r weiter dahinrostete. Eine Bestraf u n g des Α wegen M o r d Versuchs wäre d a n n doch nach B e k a n n t w e r d e n seiner Handlungsweise eine b l o ß e G e s i n n u n g s s t r a f e . Vgl. auch RGSt. 66 141, 142, wonach die Anbringung einer Brandstiftungsanlage nur d a n n über eine bloße Vorbereitung hinausgegangen wäre, wenn sie „bei ungestörtem Fortgang, also in ihrem regelmäßigen (59)

Verlauf, u n m i t t e l b a r " zum Inbrandsetzen des G e b ä u d e s geführte hätte! So Horn G A 1969 289, der deshalb der fahrlässigen actio libera in causa (zu Unrecht) „irgendeinen dogmatischen S i n n " abspricht; s. auch Puppe J u S 1980 350, d a ß „ d i e t a t b e s t a n d s m ä ß i g e H a n d l u n g theoretisch beliebig weit in der Ursachenkette des Erfolgs zuruckverlegt werden k a n n " . Gegen die Figur der fahrlässigen alic k o n s e q u e n t Hetlinger G o l t d . Arch. 1989 I.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

RGSt. 22 413, 414; 60 29, 30; BGHSt. 17 333, 335). Das gleiche muß f ü r das Vorsatzdelikt gelten, da „ t ö t e n " objektiv nichts anderes als „Tod verursachen" bedeutet, wenn man sich nicht von verfehlten modernen „Handlungslehren" verwirren läßt. Es ist schwerlich einzusehen, warum das Sichbetrinken eines Kutschers (s. den Fall von RGSt. 22 413) dann keine tatbestandliche (Teil-)Ausführung einer späteren Körperverletzung des Straßenarbeiters sein sollte, wenn es im Hinblick auf die Folgen nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich erfolgt wäre, wenn sich also der Täter, ζ Β. aus Ärger über beleidigende Zurufe des Arbeiters auf der Hinfahrt, betrunken hätte, um diesem mit dem Anfahren bei der Rückkehr einen Denkzettel zu verpassen, sich selbst aber einen Freibrief für seine Rauschtat zu verschaffen. Der fragwürdige, in BGHSt. 23 133, 136 bewußt noch nicht aufgestellte Satz, daß wohl beim Versuch (BGHSt. 7 325/326; 23 133, 136), nicht aber bei der Vorbereitung eines Verbrechens die Schuldunfähigkeit eingetreten sein dürfe, wenn die vollendete Tat als solche strafbar sein solle (BGHSt. 23 356, 358), kann weder in dieser Allgemeinheit noch für die Deliktsbegehung in Form der alic gelten (so für den zweiten Fall BGHSt. 23 358 offenbar selbst!). 36

Wie nicht nur beim vollendeten, sondern auch beim unvollendeten Vergehen ein Verhalten je nach Fallgestaltung und Blickrichtung bald als Vorbereitung, bald als Versuch zu qualifizieren ist, zeigen folgende Beispiele: Wenn j e m a n d ein Messer in die H a n d nimmt und in die Tasche steckt, um einen anderen zu erstechen, so ist das straflose Mord Vorbereitung des eigenhändig handelnden (««mittelbaren) Täters; drückt er es mit dem entsprechenden Auftrag einem schuldunfähigen Betrunkenen in die Hand, kann das bereits ein straf barer Mord versuch des fremdhändig handelnden (mittelbaren) Täters sein, da er für seine Person die Herrschaft über das weitere Geschehen in der Regel „aus der H a n d gegeben", das tödliche „ G e s c h o ß " gewissermaßen abgefeuert hat 8 7 . Es macht aber sicherlich keinen Unterschied, ob der Mörder einen Fremden als Volltrunkenen auf das Opfer hetzt u n d die Tötung ausführen läßt oder ob er sich selbst durch das Sichberauschen vom „ F r e i e n " und Verantwortlichen zu einem ,,anderen", d.h. „ U n f r e i e n " und Schuldunfähigen wandelt 8 8 , um die Deliktsverwirklichung durch einen solchen Täter zu veranlassen 8 9 . Sofern sich der schuldhaft Trinkende als schuldunfähig Handelnder „einsetzt", ist die Deliktsbegehung in Gestalt der alic — wiewohl ein Fall der unmittelbaren Täterschaft 9 0 ! — mit der mittelbaren vergleichbar, bei der eine andere nicht verantwortliche Person als „Werkzeug" benutzt wird 9 1 , wie sich j a unmittelbare und mittelbare Tatausführung prinzipiell nicht wesentlich voneinander unterscheiden 9 2 . 87

Vgl. z.B. RGSt. 53 45; BGHSt. 3 110, 129; 4 270/271, 273; 30 363, 365; B G H N S t Z 1986 547; Mezger Lehrb. S. 386 A n m . 10, 401 vor § 55; Busch LK" I (1974) § 43 a a. F. R d n . 33 ; zum Streitstand s. Sch/Schröder/Eser1 § 22 R d n . 54, 54 a; Küper Der Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft J Z 1983 361. "" ν Bar Gesetz u n d Schuld, II. Bd. (1907) S. 105 zu A n m . 232 b zitiert einen älteren Autor (Hopker): „ D e r b e w u ß t e M e n s c h steht sich im u n b e w u ß t e n " (besser; volltrunkenen) „ Z u s t a n d f r e m d geg e n ü b e r . " Vgl. auch Binding N o r m e n II 1, S. 619 u n d A n m . 15. "9 Vgl. etwa Rob. ν. Hippe! II S. 296 A n m . 2 ( „ . . . g e nau ebenso, wie wenn d e r T ä t e r die B e d i n g u n g d a f ü r gesetzt hätte, d a ß ein u n z u r e c h n u n g s f ä h i ger Dritter die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g vor-

n a h m . " ) ; RGSt. 22 413, 415 unt. (mit seiner T r u n k e n h e i t s f a h r t h a b e der Kutscher „rechtlich nichts a n d e r e s g e t a n " , als wenn er in verantwortlichem Z u s t a n d e „ d i e Zügel ... einem bewußtlosen Dritten in die H a n d gegeben hätte".). 90 So treffend Rittler (Fn. 80) S. 184 Fn. 1 a. E. Anders zu Unrecht Koch S. 10, 12, 27 ff; Puppe J u S 1980 349; Jakobs StR AT 2 1 7 / R d n . 67, der verfehlt eine T r u n k e n h e i t s t a t als eigenhändiges Delikt f ü r nicht in d e r Form der alic b e g e h b a r hält; richtig dagegen Jescheck AT 4 S. 402 (§ 40 VI 1). " So schon Joh. Sam. Fr. v. Boehmer Meditationes in constitutionem C a r o l i n a m (Halle 1770) S. 868 ad Art. 179 § 8; f e r n e r ζ. B. Kohlrausch Z S t r W 32 (1911) S. 645, 652; Rob. ν. Hippel 11 S. 296 A n m . 2; Frank § 51 a. F. A n m . V (s. 151); Gramsch StrAbh. H. 395 (1938) S. 53; Mezger Lehrb.

Stand: 1. 8. 1995

(60)

Vollrausch

§ 323 a

Die Rechtsprechung hat, unbekümmert um alle theoretischen Bedenken und Ein- 37 wände der Rechtslehre, mit sicherem Instinkt die Konstruktion der actio libera in causa stets anerkannt, so die vorsätzliche alic: RGSt. 73 177, 182; RG JW 1936 514 mit Anm. Hodes; RG HRR 1939 Nr. 1316; RMilG 17 156; BGHSt. 2 14/15, 18; 10 247/248, 251; 17 259/260 = NJW 1962 1578 (mit Sachverh.); 17 333, 335; 21 381; 23 356, 358; 34 29, 33; BGH NJW 1955 1037; BGH bei Daliinger M D R 1967 724; BGH NStZ 1995 282 (Fall des „Mut-Antrinkens"); OLG Koblenz NZV 1989 240 Nr. 24; ebenso die fahrlässige alic: RGSt. 22 413, 415; 60 29 (jeweils in der Sache ohne den Ausdruck); 70 85, 87 unt.; RG JW 1930 909 Nr. 7 mit Anm. Honig-, BGHSt. 10 247/248, 251; 17 259/260, 263; 333, 335; BGH VRS 6 (1954) 428/429; 21 (1961) 45, 47; 263/264; BGH DRiZ 1975 184 Nr. 3; BayObLG JZ 1967 502 = VRS 33 (1967) 271; NJW 1969 1583; VRS 60 (1981) 369; 61 (1981) 339; OLG Celle NJW 1968 1938/1939; OLG Koblenz MDR 1972 622; OLG Hamm VRS 47 (1974) 257; NJW 1977 344; OLG Düsseldorf NJW 1989 1557; OLG Zweibrücken VRS 81 (1990) 282, 283 f. In subjektiver Hinsicht ist in der Rechtslehre umstritten, worauf sich der Vorsatz 38 oder die Fahrlässigkeit des schuldfähigen Täters beziehen muß. Unzweifelhaft haben sie sich auf die Rauschtat, das Tun oder Unterlassen im schuldunfähigen Zustand, zu erstrecken. Fraglich ist dagegen, ob ein „doppeltes Verschulden" zu verlangen ist, d. h. ob die jeweilige Schuldform auch hinsichtlich des Sichberauschens gegeben sein muß. Eine M/Wermeinung verneint dies, so daß ζ. B. der Dieb, der sich vor dem nächtlichen Einbruch mit kräftigen Schlucken aus der Flasche aufwärmt, ohne an die Folgen zu denken, wegen Diebstahls, also einer Vorsatztat, in höchstens fahrlässig verschuldeter Volltrunkenheit zu bestrafen wäre 93 . Eine Μζ'ί/e/meinung begnügt sich bezüglich der Herbeiführung des Vollrauschs mit dem Vorliegen der intellektuellen Seite, d. h. der Kenntnis oder Erkennbarkeit des Defekts, und fordert bei der vorsätzlichen alic keinen entsprechenden Willen 94 . Nach herrschender, zutreffender Ansicht hat sich dagegen der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit auch auf die Berauschung zu erstrecken; denn es muß wie ein äußerer so auch ein innerer Zusammenhang zwischen der Herbeiführung des Vollrauschs und der Rauschtat bestehen, d. h. der Täter muß vorsätzlich oder fahrlässig seine Berauschung als Mittel oder Ursache für die Rauschtat einsetzen und wirken lassen 95 . Wer die Absicht hat, bei Gelegenheit einen

92

93

(61)

S. 281; Jescheck AT 4 S. 403 (§ 40 VII 2: Die vorsätzliche alic eine „Parallele zur mittelbaren Tät e r s c h a f t " ) ; Fr. W. Krause in: Hellm. MayerFestschr. S. 306. Als einen Unterfall mittelbarer Täterschaft im Sinne Nowakowskis, d. h. unter Z u h i l f e n a h m e des , , T a t h e r r s c h a f t s " g e d a n k e n s betrachtet Brandstetter S. 83 ff, 249 f die Figur der a. I. i c. Vgl. Spendet Fahrlässige T e i l n a h m e an Selbstu n d F r e m d t ö t u n g , J u S 1974 749, 754 1. Sp.; ders. Der „ T ä t e r hinter dem T ä t e r " — eine notwendige R e c h t s f i g u r ? i n : Rich. Lange-Festschr. S. 147, 149/150. So vor allem Cramer D e r Vollrauschtatbestand S. 132; ders. J Z 1968 274 r. Sp.; 1971 768 1. Sp.; Hruschka J u S 1968 558; ders. S c h w Z S t R 90 (1974) 73 f; s. auch Maurach J u S 1961 376; Maurach/Zipf A T 1. TBd. 7 § 36 I I / R d n . 57 (wie Text zu Fußn. 95 jetzt 8. Aufl.); Schwinghammer S. 37; dagegen mit Recht Oehler A n m . J Z 1970 380, 381.

94

95

So Fr. W. Krause in: Hellm. Mayer-Festschr. S. 3 1 2 / 3 1 3 ; 316; ders. J u r a 1980 173, dessen Ansicht sich der h. M. a n n ä h e r t , d a bei der fahrlässigen alic hinsichtlich der Rauschtat ü b e r h a u p t kein W i l l e n s m o m e n t erforderlich ist u n d dort, wo d e r Täter weiß oder f ü r möglich hält, d a ß er in s c h u l d u n f ä h i g e m Z u s t a n d immer wieder eine bestimmte Straftat (Sexualdelikt) begehen wird (Krause aaO), das voluntative Vorsatzelement in Form des billigenden I n - K a u f - N e h m e n s vorliegen dürfte. Z u r Rechtsprechung: BGHSt. 2 14/15, 17; 10 247/248, 251; 17 259/260, 262 ob.; 333, 3 3 4 / 3 3 5 ; 21 381, 383; 23 133, 135; 356, 358; B G H N J W 1977 590; O L G Celle V R S 40 (1971) 16, 17; in der Rechtslehre: ζ. B. Mezger Lehrb. S. 281; Jescheck AT* S. 402 (§ 40 VI 2); Dreher/Tröndte4" § 20 R d n . 20; Sch/Schröder/Lenckner' § 20 R d n . 36; Oehler A n m . zu BGHSt. 23 133 in J Z 1970 380, 381; Puppe J u S 1980 349, Otto Jura 1986431.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Feind zu überfallen und zu mißhandeln oder zu töten, diese Handlung aber im Rausch begeht, in den er, ohne an seinen Plan zu denken, in einer Runde von Zechern geraten ist, ist nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung oder Tötung strafbar 96 . Es fehlt hier am „Schuldzusammenhang" zwischen seinem Vorsatz im schuldfähigen Zustand, als er zu dessen Verwirklichung noch nichts unternommen, d. h. sich noch nicht einmal betrunken hatte, und seiner Handlung im schuldunfähigen Zustand, als er betrunken und nicht mehr bei Sinnen war. 39 Die subjektive Beziehung des Täters zur Rauschtat bedeutet, daß sich der Vorsatz, aber auch die Fahrlässigkeit auf eine bestimmte Straftat erstrecken muß (RGSt. 73 177, 182; BGHSt. 2 14/15, 17; 10 247/248, 251; 17 259/260, 261; 21 381,382; BGH NJW 1977 590; NStZ 1992 536). Besonders für die Vorsatztat ist „eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der Vorstellung des Täters und der späteren Tatausführung" notwendig (BGHSt. 21 381/382). Das allgemeine Bewußtsein des Sichbetrinkenden, unter Alkoholeinfluß zu Gewalttaten zu neigen, genügt daher noch nicht, den Vorsatz zu einer später im Rausch begangenen Körperverletzung (s. BGHSt. 17 259/260, 261) oder zu einem Raub oder einer Notzucht (s. BGHSt. 21 382) anzunehmen ; in dieser Kenntnis des Trinkers von seiner Neigung zu Ausschreitungen in der Trunkenheit ist nur ein „Beweisanzeichen" zu sehen, aus dem in freier Beweiswürdigung auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit beim Sichbetrinken in bezug auf eine spätere Körperverletzung, nicht aber auf Vorsatz bezüglich eines Diebstahls und wohl auch nicht eines Raubes geschlossen werden kann (BGHSt. 17 262/263). 40

Während die Form der vorsätzlichen alic „nicht allzu häufig" sein wird (so BGHSt. 17 259/260, 263; ferner BGH NJW 1955 1037; BGH LM § 51 I a. F. Nr. 7)97, spielt die Figur des fahrlässig-schuldhaften In-Gang-Setzens eines vorhergesehenen oder vorhersehbaren Tatgeschehens im schuldunfähigen Zustand heute im Straflenverkehrsrecht eine bedeutsame Rolle (vgl. schon Fußn. 64). So ist etwa eine fahrlässige Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit am Steuer als fahrlässige alic gegeben, falls sich der Lkw-Fahrer einer Firma in Gastwirtschaften herumtreibt und betrinkt, obwohl er weiß, daß er den vor der Tür stehenden Wagen abends zu seinem Arbeitgeber zurückgefahren haben muß, und deshalb den späteren tödlichen Unfall voraussehen konnte (BGH VRS 21 [1961] 45, 57 = VerkMitt. 1961 47 Nr. 68). Auch wenn ein Autofahrer in einem Gasthof dem Alkohol zuspricht, bevor er sich dort eines Nachtquartiers versichert hat, und dann, entgegen seiner ursprünglichen Absicht im nüchternen Zustand, mangels der erwarteten Übernachtungsmöglichkeit im betrunkenen Zustand weiterfährt, handelt er im Hinblick auf das spätere Verkehrsunglück fahrlässig, weil er es unterlassen hat, gegen die Änderung seines Entschlusses und die Fortsetzung der Reise Vorsorge zu treffen, obwohl er als Nüchterner mit einem solchen Sinneswandel als Betrunkener rechnen konnte und mußte (BayObLGSt. 1967 76/77 = VRS 33 [1967] 271/272 = JZ 1967 502; s. auch BayObLG NJW 1969 1583, 1584 1. Sp.; OLG Zweibrücken VRS 81 [1991] 282, 284).

41

Dagegen wird demjenigen, der sich in seiner Wohnung betrinkt, „in der Regel nicht vorzuwerfen sein, er habe voraussehen müssen, daß er entgegen seiner vorgefaßten Absicht anschließend noch ein Kraftfahrzeug führen könnte" (BayObLG 96

97

S o s c h o n v. Bar Gesetz u n d Schuld, II. Bd. (1907) S. 105 A n m . 232a). Vgl. bereits Schwarze G e r S 33 (1881) 430, 431; den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch (1909) S. 235 („die selten v o r k o m m e n d e n F ä l l e " d e r vorsätzlichen alic); Ludwig Schmidt

S. 9 ; Otto Neumann S. 3; heute z.B. Maurach/ Zipf AT, I . TBd.» § 36 II E / R d n . 57. Zu einem Fall der vorsätzlichen alic (§ 175 I N r . I a. F.) s. B G H bei Daliinger M D R 1969 903 zu § 330 a a. F.; B G H N S t Z 1995 282 ( „ M u t a n t r i n k e n " ) .

Stand: 1. 8. 1995

(62)

Vollrausch

§ 323 a

VRS 60 [1981] 369/370; ferner VRS 61 [1981] 339, 340/341). Das gleiche gilt, wenn der Trinkende in einer Herberge eine gesicherte Übernachtungsmöglichkeit hat und nicht mehr fahren will (BayObLG VRS 61 [1981] 340). Daß der Sichberauschende aber in diesem Falle, ja selbst dann, wenn er sich hinlegt, zwar nicht wegen der später noch begangenen fahrlässigen Rauschtat, wohl aber wegen fahrlässigen Vollrauschs nach § 323 a zu bestrafen sei, weil selbst „bloßes Zubettgehen" keine ausreichende ,,Zurüstung" gegen die Begehung eines Straßenverkehrsdelikts im Rausch sei und „die Unerreichbarkeit des Kraffahrzeugschlüssels sichergestellt sein" müsse (OLG Celle NJW 1969 1588, 1589; s. ferner OLG Hamm VRS 42 [1972] 197, 199), ist wohl zu weitgehend. Auch daß der an einem Zechgelage in einer Gastwirtschaft teilnehmende Kraftfahrer, entgegen seiner ursprünglichen Absicht im nüchternen Zustand, später doch die Trunkenheitsfahrt angetreten und nach der Rechtsfigur der fahrlässigen alic verschuldet habe, obwohl er seinen Wagen auf dem Hof des Lokals abgestellt und von einem Freunde das Angebot, bei diesem zu übernachten, angenommen hatte (OLG Celle NJW 1968 1938, 1939 r. Sp.), ist nicht unbedenklich. Demgegenüber hat OLG Köln VRS 34 [1968] 127 in dem „Grenzfall", in dem sich der Kraftfahrer vor Trinkbeginn in einer Gastwirtschaft von seiner Mutter telephonisch hatte zusagen lassen, daß ihn sein Vater im Lokal abholen werde, dann aber doch nicht abgeholt wurde und deshalb mit einem Blutalkoholgehalt von 2,9%o heimfuhr und einen Auffahrunfall verursachte, keine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung in der Form der fahrlässigen alic, sondern nur einen fahrlässigen Vollrausch nach § 330 a a. F. angenommen. Bezieht sich der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit sowohl auf das Sichberauschen als 42 auch auf die Rauschtat, so ist der Täter nur wegen der letzteren, begangen in der Form der vorsätzlichen oder fahrlässigen alic, strafbar (ζ. B. RGSt. 73 177, 182; BGHSt. 2 14/15, 17; BGH VRS 21 [1961] 45, 47; 263 = VerkMitt. 1961 47; OLG Koblenz MDR 1972 622; OLG Karlsruhe VRS 53 [1977] 461, 462 s. schon Rdn. 21) 98 . Wer sich fahrlässig berauscht hat und dabei hätte erkennen können, daß er im Rausch Auto fährt und so leicht einen tödlichen Verkehrsunfall herbeiführen werde, ist bei einem tödlichen Zusammenstoß wegen einer fahrlässigen Tötung und Straßenverkehrsgefährdung schuldig zu sprechen, was eine Anwendung des § 323 a wegen Gesetzeseinheit (Subsidiarität) ausschließt (ζ. B. OLG Hamburg VRS 12 [1957] 40 41; OLG Bremen VRS 20 [1960] 439, 441; OLG Celle VRS 25 [1963] 33, 34; OLG Braunschweig Nds.Rpfl. 1962 71,72 r. Sp.). Wer sich vorsätzlich betrank, um mit einem minderjährigen Mann homosexuelle Handlungen vorzunehmen, und diesen Plan in der Volltrunkenheit auch ausführte, war nach dem ehem. § 175 StGB (heute u. U. § 182 II) i. d. F. der vorsätzlichen alic zu bestrafen (BGH bei Dallinger MDR 1969 903, s. aber Rdn. 42). Etwas anderes, und zwar Tateinheit zwischen der durch eine alic verletzten Vor- 4 3 schrift und § 323 a ist anzunehmen, soweit sich die beiden Schuldformen hinsichtlich des Sichberauschens und der Rauschtat unterscheiden. Wer sich fahrlässig und in Vorhersehbarkeit einer tätlichen Ausschreitung im Rausch betrinkt, dann aber sogar in der Volltrunkenheit vorsätzlich auf einen anderen schießt, um ihm „einen Denkzettel zu geben" (Fall von RGSt. 70 85), ist nicht nur wegen fahrlässiger Körperverletzung in der Form der fahrlässigen alic strafbar (so jedoch RGSt. 70 88 ob.), sondern auch tateinheitlich wegen eines (sich in einer vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung auswirkenden) fahrlässigen Vollrausches, da sonst dem Mehr, der größeren Ge98

(63)

And. f ü r die fahrlässige alic Cramer D e r Vollrauschtatbestand S. 138/139; Sch/Schröder/

Cramer4 R d n . 31 b ; Hardwig Festschr. S. 485/486.

Günter Spendel

in: Eb. Schmidt-

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

fährlichkeit des Sichbetrinkens, erwiesen durch eine vorsätzliche Rauschtat, nicht genügend Rechnung getragen würde (so BGHSt. 2 14/15, 18 ff)· Ebenso ist derjenige, der in Erkennbarkeit einer späteren Trunkenheitsfahrt mit tödlichem Verkehrsunfall fahrlässig zuviel dem Alkohol zuspricht, im Rausch dann aber noch eine vorsätzliche Unfallflucht begeht, tateinheitlich sowohl wegen fahrlässiger Tötung und Straßenverkehrsgefährdung als auch wegen eines (mit dem vorsätzlichen Vergehen des § 142 gegebenen) Delikts nach § 323 a zu belangen (s. ζ. B. BGHSt. 17 333, 337; BGH VRS 23 [1962] 435,438; OLG Köln NJW 1967 306, 307 r. Sp.; OLG Hamm VRS 40 [1971] 191, 192; DAR 1974 23, 24 r.Sp.; BayObLG bei Rüth DAR 1981 249 Nr. 16c); and. - Tatmehrheit - zu Unrecht OLG Köln NJW 1960 1264 = VRS 19 [1960] 32)". 44

Entsprechendes muß gelten, wenn sich umgekehrt der Täter (A) vorsätzlich und in der Absicht, seine Frau (B) zu erschießen, betrinkt, dann aber in der Volltrunkenheit nicht die abwesende Ehefrau, sondern einen anderen Familienangehörigen (C) durch das unvorsichtige Hantieren mit der Waffe tötet. Hier ist Α sowohl wegen fahrlässiger Tötung in der Form der fahrlässigen alic strafbar, da sein Vorsatz, im Rausch einen bestimmten Menschen umzubringen, regelmäßig auch die Vorhersehbarkeit, in diesem Zustand einen anderen tödlich zu verletzen, umschließen wird, als auch tateinheitlich wegen vorsätzlichen Vollrausches, da eine Bestrafung nur wegen der fahrlässigen Rauschtat nicht genügend das (hierdurch bestätigte gefährliche) vorsätzliche Berauschen erfassen würde. Erst recht ist Tateinheit zwischen der in Gestalt der alic verletzten Vorschrift und § 323 a anzunehmen, falls der Täter neben dem beim Trinken beabsichtigten und in der Volltrunkenheit begangenen Delikt eine weitere Rauschtat verübt: Α betrinkt sich vorsätzlich, um im Rausch an einem minderjährigen Mann (B) homosexuelle Handlungen vorzunehmen, vergreift sich dann aber auch noch an einem zweiten Minderjährigen (C). In diesem Fall hat Α tateinheitlich bezüglich Β ein Vergehen nach dem (jetzt aufgehobenen) § 175 (heute u. U. § 182 II) in der Form der vorsätzlichen alic, hinsichtlich C einen vorsätzlichen Vollrausch nach § 323 a begangen (BGH bei Dallinger M D R 1969 903 zu § 330 a a. F.).

45

Die Rauschtat als alic kann auch durch Unterlassen begangen werden, sei es, daß dieses in der Rauschtat als omissio non libera, sei es, daß es in der actio praecedens als causa libera liegt. Bei der ersten Sachlage berauscht sich der Täter und handelt damit aktiv, um dann im schuldausschließenden Rausch eine gebotene Handlung zu unterlassen, bei der zweiten Fallgestaltung unterläßt er die Vorsorge dagegen, sich zu betrinken und in der Volltrunkenheit eine verbotene Handlung vorzunehmen. Beispiel für das erstere ist der alte Schulfall des Bahnwärters, der sich vorsätzlich oder fahrlässig betrinkt, obwohl er weiß oder wissen konnte, daß er dann im Rausch nicht rechtzeitig die Weiche stellt oder die Schranke herunterläßt und so ein schweres Zugunglück auslöst 100 . Beispiel für das letztere ist der (allerdings problematische) praktische Fall des schweren Alkoholikers, der in einer „Phase der Nüchternheit" fahrlässig nichts gegen seine Alkoholabhängigkeit und das wiederholte Betrinken unternimmt und sich nicht des Zündschlüssels oder gar des Kraftwagens entäußert, um so eine sonst voraussehbare Trunkenheitsfahrt und damit ein Straßenverkehrsdelikt zu vermeiden (so BayObLG JR 1979 289 mit krit. Anm. Horn). "

Kohlrausch/Lange § 3 3 0 a a. F. A n m . V I I I 4 ; Lay L K ' III § 3 3 0 a a. F. R d n . 107 f f ; Preisendanz §§ 3 3 0 a a. F. A n m . 6 b ) u. c); Lackner/Kühl R d n . 19; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 2. TBd. 7 § 96 I I / R d n . 26; Hentschel/Born S. 8 9 / 9 0 ( R d n . 245); and. H. J. Hirsch Beih. zur ZStrW 1981, S. 16 A n m . 5 4 / 1 7 .

1011

Vgl. ζ. B. schon v. Lilienlhal V D A V. Bd. (1908) S. 33, 34; Ludw. Schmidt S. 8; Rob. ν. Hippel II S. 296 A n m . 2; Mezger Lehrb. S. 281; in neuerer Zeit u n d z.T. kritisch Maurach J u S 1961 373, 376; Beriet J Z 1965 53, 55 (der kein Unterlassungs-, s o n d e r n ein H a n d l u n g s d e l i k t a n n i m m t ) ; Ranft JA 1983 239,240.

Stand: 1. 8. 1995

(64)

Vollrausch

§ 323 a

Die Bestrafung der Rauschtat als actio libera in causa beruht nach alledem auf 46 einer vertieften Erfassung des Verursachungs- und Verschuldungsprinips (s. z.B. Rob. ν. Hippel II S. 296 Anm. 2), die allerdings noch durch eine Berücksichtigung der Rechtswidrigkeitsfrage zu ergänzen ist (Rdn. 33 u. Fußn. 81). Sie bedeutet keine „besondere strafrechtliche Haftung" (so jedoch BGHSt. 17 333, 334), keine wirkliche 101 , sondern nur eine scheinbare Ausnahme vom Grundsatz des zeitlichen Einklangs von Tatbegehung und Schuld 102 . 4. Der Vollrausch und seine Bestrafung als selbständiges Vergehen Soweit die Rauschtat nicht in der Form der actio libera in causa bestraft werden 47 kann, kommt eine Bestrafung der /toiwc/ibegründung, d. h. des Vollrausches selbst, in Betracht. Damit sind zunächst Rechtswa/ur und Rechtsgui des Delikts zu klären; denn Klarheit hierüber ist bei § 323 a für die Auslegung dieses Tatbestandes besonders wichtig. a) Rechtsnatur: Da das Gesetz — in zumindest fragwürdiger, wenn nicht verfehl- 48 ter Technik 103 — für die Strafbarkeit des Sichberauschens noch eine als solche nicht strafbare, weil nicht schuldhafte Rauschtat verlangt, erhebt sich sofort die Frage, wie das Verhältnis dieser Handlung zu der Selbstberauschung zu bestimmen ist, anders ausgedrückt: ob als eigentlicher Strafgrund des § 323 a die erstere oder die letztere oder aber eine besondere Verbindung beider Verhaltensweisen anzunehmen ist. Im wesentlichen sind fünf Erklärungsmöglichkeiten zu unterscheiden, wenn man von mehrdeutigen oder unzureichenden, sich überschneidenden oder gar exzentrischen Lösungsversuchen einmal absieht 104 : (1) Nach der ersten möglichen Deutung ist das Schwergewicht auf das bis zur 4 9 Schuldunfähigkeit getriebene Sichberauschen zu legen und in dem Vollrausch ein Fall „folgenschwerer Unmäßigkeit" zu sehen. Für diese Absicht, die doch zur Berücksichtigung der Rauschtat führt, bildete § 323 a eine Art „erfolgsqualifiziertes Delikt", enthielte also ein Stück Erfolgshaftung105. In der Vorschrift würde dann „die Rauschtat zwar formell nur als Bedingung der Strafbarkeit behandelt, aber materiell mit einen Grund der Bestrafung" darstellen 106 . So j e d o c h Hruschka J u S 1968 559; ders. SchwZStR 90 (1974) 62; Jescheck AT 4 § 40 VI 2; s. Art. 12 Schweiz. S t G B u n d § 15 I I I S t G B - D D R (Texts. F u ß n . 5 7 z u R d n . 22 u n d oben S. 31). So ζ. B. Mezger LK" I (1957) § 51 a. F. A n m . II 11 (S. 385); Maurach/Zipf AT, I. TBd." § 36 II E / R d n . 54; Stratenwerth A T ' R d n . 547, 551; Oehler A n m . zu BGHSt. 23 133 in J Z 1970 380. Zur grundsätzlichen Kritik an der verfehlten Ausgestaltung des § 323 a s. Uhse S. 3, 11 ff, 23 ff, 25, 27,28 ff, 67. So ζ. B. von d e m Bemühen Schweikerls Z S t r W 70 (1958) 394, 403 ff, § 323 a als einen Fall der zwisehen Vorsatz u n d Fahrlässigkeit stehenden Ver.schuldensform des riskanten Verhaltens zu erklären (hierzu kritisch Bemmann G A 1961 71/72). Zu welch verfehlten u n d mit dem Gesetz unvereinbaren K o n s t r u k t i o n e n die verunglückte Gesetzesfassung verleitet, zeigt neuerdings der Versuch von Wolter N S t Z 1982 54, 58 ff, das Delikt in zwei T a t b e s t ä n d e a u f z u s p a l t e n , in einen „ e n g e n " mit einer psychischen Beziehung zwi.sehen Vollrausch u n d Rauschtat u n d in einen „ w e i t e n " o h n e eine solche Relation, u n d f ü r den (65)

letzteren einen M i n i m a l s t r a f r a h m e n von Freiheitsstrafe bis zu 6 M o n a t e n oder G e l d s t r a f e bis zu 180 Tagessätzen aufzustellen; wie hier ablehn e n d auch Lackner/Kühl R d n . I a. E. Unvollständige W i e d e r g a b e der Lösungsversuche ζ. B. in der Dissertation von Hanl S. 51 ff, 57 ff. 105 So insbesondere Hellm- Mover ZStrW 59 (1940) 283, 324 ( „ D i e S t r a f d r o h u n g des § 3 3 0 a [a.F.] läßt sich gar nicht erklären, wenn m a n nicht den Gedanken der Erfolgshaftung zu Hilfe n i m m t . " ) ; ferner Siegerl G r u n d z ü g e des Strafrechts im neuen Staate (1934) S. 50 („begrenzte E r f o l g s h a f t u n g " ) ; Ernst Schäfer in: Gürtner Das k o m m e n d e deutsche Strafrecht, AT, 2. Aufl. (1935) S. 55 („Art E r f o l g s h a f t u n g " ) ; Hografer StrAbh. H. 418 (1940) S. 46 („ein den erfolgsqualifizierten Delikten ähnliches G e b i l d e " ) ; Gunther Weber S. 6 9 f f ( „ e r f o l g s b e g r ü n d e t e s Delikt"); Montenbruck G A 1978 225, 236 ff, 241 („eine Art Erfolgsdelikt"). Schon zu § 335 StGB-Entw. von 1925, der u n v e r ä n d e r t als § 3 3 0 a in das geltende S t G B eingefügt wurde, b e m e r k t e Oetker G e r S 92 (1926) 13: „ E r f o l g s h a f t u n g übelster Art", ι0< · Hellm. Mayer Z S t r W 59 (1940) 307.

Günter Spendel

§ 323 a

50

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Diese Auffassung scheint das eigenartige Gebilde des § 323 a am ungezwungensten zu erklären, tritt jedoch zum ganzen Strafrechtssystem in Widerspruch. Denn seit dem 3. StrÄndG vom 4. 8. 1953 (§ 56 a. F. = § 18 n. F.) sind die erfolgsqualifizierten Delikte als Reste einer Erfolgshaftung in der gesetzlichen Strafbemessung, d. h. die nur durch eine schwere Folge qualifizierten Tatbestände wie die schwere Körperverletzung (§§ 223, 224) als gesetzliche Strafschärfungsgründe, abgeschafft. Bei § 323 a würde jedoch nach der vorstehenden Ansicht die Rauschtat als Erfolg des Sichberauschens neben dieser Handlung zum strafbegründenden Umstand, da die Selbstberauschung als solche kein strafbares Grunddelikt 1 0 7 und selbst ihre Rechtswidrigkeit nicht unproblematisch ist. Verlangte man aber in Entsprechung zu § 18 wenigstens Fahrlässigkeit hinsichtlich der konkreten Rauschtat 108 , so ergäbe sich deren Strafbarkeit bereits aus der Konstruktion der actio libera in causa und § 323 a wäre entbehrlich.

51

(2) Die zweite entgegengesetzte Deutungsmöglichkeit ist, den eigentlichen Strafgrund in der Rauschtat selbst und darin mehr oder etwas anderes als bloß eine Strafbarkeitsbedingung zu erblicken 109 , und zwar ein Tatbestandsmerkmal, wie es das Sichberauschen ist 110 . Es fragt sich dann sofort, ob und wieweit sich Vorsatz und Fahrlässigkeit hierauf erstrecken müssen. 52 Soweit keine psychische Beziehung des Täters zu seiner Rauschtat als notwendig angesehen w ü r d e 1 1 l i e f e § 323 a im Ergebnis auf eine Ausnahme vom Schuldprinzip hinaus, das sonst eine strafrechtliche Haftung für die im Zustand der Schuldunfähigkeit (Vollrausch) begangene Tat ausschlösse 112 . Diese Deutung der Vorschrift wird in 107

108

109

So auch schon ausdrücklich Maurach BT ! (1969) S. 511 (§5611 1 a). Sie ist j e d o c h g e r a d e nicht erforderlich, wie ζ. B. BGHSt. 6 89 = VRS 6 (1954) 428, 431 (ungekürzt) ausdrücklich klarstellt. Deshalb ist f ü r Hardwig in: Eb. Schmidt-Festschr. S. 4 6 5 / 4 6 6 § 3 2 3 a „ n a c h der praktischen H a n d h a b u n g . . . ein erfolgsqualifiziertes Delikt, auf das § 56 S t G B " (a. F. = § 18 n. F.) „keine A n w e n d u n g findet". In der Rechtslehre: Welze! ZStrW 58 (1939) 491, 523 A n m . 44 (die Rauschtat „ d a s eigentlich gravierende M o m e n t , der eigentlich unrechtsbed e u t s a m e Teil"); ders. StR S. 476; Domnmg S. 41 ( S t r a f g r u n d materiell die Rauschtat); Hardwig in: Eb. Schmidt-Festschr. S. 473 (der sogar wegen der Rauschtat selbst im T e n o r verurteilen will!); ders. G A 1964 1 4 0 ( „ R a u s c h t a t die eigentliche Unrechtstat"). Verwirrend Maurach BTS (1969) S. 5 1 2 / 5 1 3 (der „ H a f t g r u n d [Verantwortlichkeit]" bestimme sich nach der Rauschtat, der „ S c h u l d v o r w u r f nach der Berauschung). In der Rechtsprechung: Ein Kriegsgericht, s. Gerland ZStrW 55 (1936) 797 A n m . 41; n a c h Hellm. v. Weber in A n m . zu R G D R 1939 1150 = RGSt. 73 177, 180 das R G , d a es bei der Frage, o b der Rauschtäter ein „ g e f ä h r l i c h e r Gewohnheitsverb r e c h e r " i. S. d. f r ü h e r e n § 20 a sei, „ausschließlich auf die Rauschtat u n d nicht auf das Sichber a u s c h e n " abstelle. Eindeutig BGHSt. 2 14/15, 18 ( „ D e r G r u n d g e d a n k e des § 330 a S t G B [a. F.], ist es aber gerade, den T ä t e r für die Rauschtat

1111

111

112

verantwortlich zu m a c h e n , wenn auch aus einem andersartigen strafrechtlichen Verschulden"). Vgl. dagegen BGHSt. 1 275, 277 (der „ U n r e c h t s g e h a l t " des Vergehens werde d u r c h die Herbeif ü h r u n g des „ g e m e i n g e f ä h r l i c h e n " Z u s t a n d e s , also des Vollrausches „ b e s t i m m t " , von der Rauschtat j e d o c h „nicht berührt"). So in der Tat Welzel StR S. 476 (die Rauschtat „ein Stück des T a t b e s t a n d e s . . . " ) ; Bemmann G A 1961 63, 72 („eindeutig ein Tatbestandsm e r k m a l " ) ; s. noch Hografer StrAbh. H. 418 (1940) S. 32 ( f ü r die v o r h e r r s c h e n d e M e i n u n g werde die Rauschtat zu einem „selbständigen t a t b e s t a n d s a h n l i c h e n Sachverhalt"). And. ausdrücklich B G H S t . 17 333, 334; 20 284, 285 (die Rauschtat gehöre nicht zum Deliktstatbestand, s o n d e r n sei n u r Strafbarkeitsbedingung). So Welze! StR S. 476 (die Rauschtat ein Tatbestandsstück, „ d a s ausnahmsweise nicht vom Vorsatz des Sich-Berauschenden u m f a ß t zu sein braucht"). Fur eine e n t s p r e c h e n d e Ä n d e r u n g des § 51 a. F. = § 20 n. F. de lege ferenda Hellm. v. Weber M D R 1952 641 r. Sp.; s. ferner dens. a a O S. 642 1. Sp., w o n a c h auch nach der geltenden Fassung das „Schwergewicht bei der Erweiterung der Verantwortlichkeit für die R a u s c h t a t " liege; ebenso Bertram M s c h r K r i m 44 (1961) 101, 106. Im obigen Sinn Hruschka Strafrecht nach logisch-analytischer Methode 2 S. 296 ff, 300 f. Vgl. auch den ehem. § 15 III S t G B - D D R (s. vorsteh. Textwiedergabe S. 31).

Stand: 1. 8. 1995

(66)

Vollrausch

§ 323 a

113

BGHSt. (GrS) 9 390,395 erwogen : „ M a n könnte daran denken, daß § 330 a StGB" (a. F.) „seinem wahren Wesen nach überhaupt keinen selbständigen Straftatbestand aufstellt, sondern — als Ausnahme zu § 51 Abs. 1" (jetzt § 20) „eine besonders geartete strafrechtliche Verantwortlichkeit des Rauschtäters" für die im selbstverschuldeten Vollrausch begangene Rauschtat „begründet". Gegen diese Auslegung spricht u. a., daß sie „einen Bruch mit dem herrschenden Schuldbegriff bedeuten würde" (BGHSt. 9 396); denn die Rauschtat als solche vermag nur dann eine Strafe zu rechtfertigen, wenn sie selbst „verschuldet", d. h. vom Vorsatz oder von der Fahrlässigkeit eines schuldfähigen Täters konkret umfaßt ist. Soweit dagegen eine psychische Beziehung des Rauschtäters zu seiner Tat verlangt 53 würde 114 , wäre höchstens „ein gleichsam genereller Vorsatz bzw. eine generelle Fahrlässigkeit" zu fordern, d. h. die Vorstellung oder das Wissenkönnen des Täters, im Rausch „möglicherweise irgend etwas mit Strafe Bedrohtes" zu tun 1 1 5 , um nicht die Grenzen zur actio libera in causa, insbesondere zur fahrlässigen zu verwischen" 6 . Diese Auffassung dürfte sich — freilich nur im Ergebnis — weitgehend mit der Deutung des § 323 a im nachfolgenden zu 5 decken. (3) Wie sich zeigt, läßt sich eine einseitige Betrachtungsweise nicht durchhalten: 54 Wer den Nachdruck nur auf das Sichberauschen legt, muß doch die Rauschtat als die für die Bestrafung erforderliche Folge mitberücksichtigen; und wer das Schwergewicht auf die Rauschtat verlagert, kann nicht am Vollrausch als dem für die Strafbarkeit bestimmenden Grund vorbeikommen. Es liegt daher nahe, beide Elemente, den selbstverschuldeten, aber nicht entschuldbaren Vollrausch und die durch ihn verursachte, aber „entschuldigte" Rauschtat, als Einheit zu sehen und zwischen den beiden extremen Deutungsmöglichkeiten eine vermittelnde Lösung zu suchen. Bereits in RGSt. 73 177, 181 ( = DR 1939 1150, 1151) wird - obwohl für diese Entscheidung der Akzent auf der Rauschtat zu liegen scheint (s. Fußn. 109) — mit Recht ausgesprochen, daß „das Vergehen des § 330a StGB ... in seiner Gesamierscheinung, so wie es als einheitlicher Vorgang unter Strafe gestellt ist", zu betrachten sei. Als dritter Lösungsweg bietet sich an, den Vollrausch als Gefährdungsdelikt auf- 55 zufassen, weil der Berauschte enthemmt und seine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung weitgehend gemindert ist, der Strafgrund des § 323 a daher in der Gefährlichkeit des leicht zu deliktischen Handlungen führenden Sichberauschens gesehen werden kann. Die Frage ist nur, ob diese Gefährlichkeit des Vollrausches lediglich gesetzgeberisches Motiv, besser: Zweckgrund der Vorschrift oder aber Tatbestandsmerkmal ist. Die Rechtslehre nimmt meist das erstere an, sieht also in § 323 a meist ein abstraktes Gefährdungsdelikt und in der Rauschtat ein objektive Bedingung der Strafbarkeit 117 .

1,4

115

116

(67)

Vgl. auch die Frage von Hardwig in: Eb. Schmidt-Festschr. S. 473. So Bemmann G A 1961 65, 72 (die Rauschtat ein „ T a t b e s t a n d s m e r k m a l " , das „ v o m Vorsatz oder von der Fahrlässigkeit des Täters u m s p a n n t werden m u ß " ) . Bemmann G A 1961 73, Hervorheb. vom zitier. Verf. W ä h r e n d sich bei der Rauschtat i.d. Form der ahc Vorsatz oder Fahrlässigkeit beim Sichberauschen auf „eine ganz bestimmte S t r a f t a t " erstrekken müsse, hätte sie sich nach der obigen Bedeutung bei § 323a auf ,,irgendeine mit Strafe bed r o h t e H a n d l u n g " zu beziehen, so Bemmann

117

a a O 7 2 / 7 3 ; vgl. ferner Montenbruck G A 1978 225,241. 4 So ausdrücklich z.B. Dreher/Trondle R d n . 1; Lackner/Kühl·' R d n . 1, Lackner J u S 1968 215, 216; Sch/Schröder/Cramer' Rdn. I.; Lay in L K ' III R d n . 5 u n d 6; Jescheck AT 4 S. 238 (§ 26 II 2 a. E.); Maurach/Schroeder/Maiwald BT, 2. TBd. 7 , S. 375 (§ 96 1 / R d n . 4); Otto G r K StR II 4 S. 411 (§ 81 I); Blei B T , : S. 362 (§ 94 I); Krev BT 1', R d n . 797; Pfeise/i B T / 1 " R d n . 992 (§ 23 I 1); Cramer Der Vollrauschtatbestand S. 92 (mehr d e m Wort als der Sache nach); Puppe G A 1974 115; dies. Jura 1982 281; Kusch S. 27.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

56

Die Rechtsprechung ist nicht einheitlich und eindeutig und nur zum Teil dieser Ansicht zuzurechnen. Das RG hat in § 330 a a. F. zunächst teils noch ein Verletzungs-, teils schon ein Gefährdungsdelikt erblickt. Nach RGSt. 73 181 unt. hat die Vorschrift „nicht allein den" (repressiven) „ S i n n " , . . . einen „Ausgleich bei Rechts Verletzungen zu schaffen", sondern auch die Aufgabe, „die Allgemeinheit vor solchen Personen zu schützen, die im Rausche strafbare Handlungen begehen und sich damit als gefährlich für den Rechtsfrieden erwiesen haben", also den präventiven Zweck, Schutz vor gefährlichen Rauschtätern zu gewähren" 8 . BGHSt. 1 124, 125 f ( = JZ 1951 460 mit Anm. Rieh. Lange) bezeichnet das Vergehen zurückhaltend als ein „Gefährdungsdelikt eigener Art", das „wegen der Gefährdung der Allgemeinheit" durch „die schuldhafte Unmäßigkeit" geschaffen sei, lehnt aber „ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der,Gemeingefährlichkeit'" und eine subjektive Beziehung des Täters hierzu ausdrücklich ab. BGHSt. 2 275, 277; 32 48, 53 zu Nr. III 2 a; BGH NJW 1992 1519 nennen es dagegen schlicht nur „Gefährdungsdelikt". Andere Entscheidungen sind noch allgemeiner gehalten 119 . Von § 323 a als einem „abstrakten Gefährdungsdelikt" sprechen z.B. ausdrücklich OLG Braunschweig VRS 7 (1954) 123, 125 und BayObLG NJW 1974 1520, 1521 r. Sp. (obwohl das nicht ganz im Einklang mit dessen sachlichen Auslassungen steht); OLG Hamburg JR 1982 345, 346 r. Sp.

57

Gegen die vorstehende Erklärung des Vollrauschtatbestandes spricht — von Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit dem Schuldgedanken abgesehen 120 —, daß das schuldhafte Sichberauschen nur bestraft wird, wenn es zu einem „Erfolg", d. h. zu einer Rauschtat in Gestalt eines Verletzungs- oder Gefährdungsdelikts, geführt hat, die Gefährlichkeit des Vollrauschs sich also immer im konkreten Fall erwiesen haben muß. Damit ist für § 323 a doch mehr erforderlich als nur eine abstrakte Gefährdung.

58

(4) Als vierte Lösungsmöglichkeit kommt in Betracht, § 323 a als konkretes Gefährdungsdelikt zu begreifen. Diese Deutung wird teilweise in dem Sinne vertreten, daß ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Vergehens die ,,Gemeingefährlichkeit" des Rausch täters, das hierfür allein zulässige Indiz die Rauschtat sei. Der Sichberauschende müßte danach objektiv die für die Allgemeinheit gefährliche ,,Neigung" zur Begehung von Ausschreitungen strafbarer Art im Rausch haben und subjektiv diese seine Eigenschaft entweder kennen (Gefährdungsvorsatz) oder erkennen können (Gefährdungsfahrlässigkeit). Mit einer solchen Auslegung wäre über das schuldhafte Sichberauschen hinaus eine innere Beziehung des Täters zu seiner Gefährlichkeit, aber nicht zu seiner konkreten Rauschtat selbst hergestellt 121 .

59

Gegen diese Konstruktion ist einzuwenden, daß sie sich zu weit vom Gesetzestext entfernt, den Tatbestand des Vollrausches mit dem schwer faßbaren Begriff der „Ge"» Vgl. noch RGSt. 70 159, 160; „ Z w e c k " des § 323 a, „ d i e vom Berauschten der Allgemeinheit u n d den einzelnen d r o h e n d e n G e f a h r e n zu bekämpfen". 119 Vgl. ζ. B. BGHSt. 1 275,277 (ein „ v o n allen a n d e ren S t r a f t a t b e s t ä n d e n " verschiedenes Vergehen); 9 390, 398 (die Vorschrift enthalte eine „ A u f f a n g s t r a f d r o h u n g " ) ; 16 124, 128; 20 284, 285 (Schutz der Allgemeinheit vor den G e f a h r e n des Rausches); B G H J R 1958 28 1. Sp. (kein „konkretes Gefährdungsdelikt"). 120 Hierzu ζ. B. Arth. Kaufmann J Z 1963 431 r. Sp.; B G H S t . ( G r S ) 9 390, 396. 121 So unter A n k n ü p f u n g an rechtspolitische Überlegungen von Kohlrausch Z S t r W 32 (1911) 645,

661 g r u n d l e g e n d Rieh. Lange Z S t r W 59 (1940) 574, 584 ff, 5 8 7 , 5 9 0 ; ders. J Z 1951 460 zu B G H S t . 1 124; ders. J R 1957 242, 245 (seine These abs c h w ä c h e n d ) ; Kohlrausch/Lange § 3 3 0 a a. F. A n m . I f f , III (S. 664); Jagusch A n m . zu B G H LM Nr. 2; Heinitz Dt. Ztschr. f. d. ges. gerichtl. Med. 44 (1955) 509, 513; ders. Urt.-Anm. J R 1957 347; Ranft M D R 1972 7 4 1 / 7 4 2 ; ders. JA 1983 194; Hirsch Beih. z. ZStrW 1981 16; Ufr. Weber in Arzt/Weher StR BT, LH 2 R d n . 427; s. auch Welzel StR S. 474,476. In der Rechtsprechung O L G Celle N d s R p f l . 1950 128; O L G O l d e n b u r g J Z 1951 460 (s. aber später O L G O l d e n b u r g N J W 1955 233).

Stand: 1. 8. 1995

(68)

Vollrausch

§ 323 a

meingefährlichkeit" des Rauschtäters, also eines gewissen ,, Tätertyps", belastet und die Anwendbarkeit der Strafvorschrift zu sehr einschränkt. Denn ein derartiges persönliches Merkmal i. S. einer Neigung zur Begehung von Delikten, die nur wegen eines die Schuldfähigkeit ausschließenden Rausches nicht strafbar sind, ist oft nicht sicher feststellbar; praktisch läßt es sich eindeutig erst bejahen, wenn der Täter wenigstens eine Rauschtat begangen hat, die nach der vorstehenden Auffassung meist straflos bleiben müßte (so schon BGH VRS 7 [1954] 3 09, 311) 122 . Die Selbstberauschung kann auch ohne solch eine Anlage infolge anderer psychischer Bedingungen gefährlich werden und den Berauschten zu einem wesensfremden Verhalten veranlassen 123 . Schließlich muß auch der eine Individualgefahr begründende Rausch von § 323 a erfaßt werden 124 . (5) Eine theoretisch wie praktisch befriedigendere Lösung verspricht folgende 60 fünfte Deutung: Ausgangspunkt muß die Einsicht bleiben, daß § 323 a am ehesten als Gefährdungsdelikt zu erklären ist. Anknüpfungspunkt hat aber nicht die Gefährlichkeit des Rauschtäters, also eine persönliche Eigenschaft des Handelnden, zu sein, sondern die Gefahr des Sichberauschens oder der Rauschbegründung, also die sachliche Eigenart einer Handlung125. Jeder vorsätzlich oder fahrlässig verschuldete Vollrausch erweist sich eben dadurch, daß er zu einer Rauschtat, d. h. einem Verletzungsoder Gefährdungsdelikt geführt hat, als gefährlich für das angegriffene Rechtsgut, ob es nun eines der Allgemeinheit oder des einzelnen ist, ob damit die von dem Rausch ausgehende Gefahr eine generelle oder individuelle, eine Gemein- oder Sondergefahr war 126 . Denn die Gefährdung ist gedanklich gesehen, wenn auch zeitlich oft damit zusammenfallend, das Durchgangsstadium oder die Vorstufe der Verletzung 127 . Wer in angetrunkenem, aber noch schuldfähigem Zustand fahrlässig einen Passanten anfährt und tötet, hat nicht allein das Leben eines anderen verletzt und eine fahrlässige Tötung verübt, sondern notwendig auch das Leben des anderen zunächst gefährdet und eine fahrlässige Lebens- und Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit am Steuer begangen. Es ist also verfehlt, den Verletzungserfolg des Sichberauschens, d. h. die Rauschtat, deshalb als untaugliches Beweismittel für die Gefährlichkeit des Vollrausches zu bezeichnen, weil der Gefahrbegriff nur eine Ex-ante-Betrachtung zulasse 128 . Er erfordert vielmehr zur Ergänzung dieser Blickweise und Ausgangsstellung oft eine Ex-/>osi-Beurteilung, und zwar ζ. B. dann, wenn nicht allein eine in der Entwicklung begriffene und ,,werdende", also in die Zukunft weisende 122

123

124 125

(69)

So auch H. Schröder D R i Z 1958 219, 222 r. Sp.; Cramer D e r Vollrauschtatbestand S. 45. Vgl. auch H. Schroder D R i Z 1958 222; Cramer a a O S. 4 3 / 4 4 ; Lackner J u S 1968 215, 218, 219; BGHSt. 16 124, 125; B a y O b L G N J W 1974 1520, 1521. Ebenso CrameraaOS.40/41. Insofern richtig H. Schroder D R i Z 1958 219 gegenüber Rieh. Lange. D a ß die Gefährlichkeit des Talers von der Gefährlichkeit der Tat zu unterscheiden ist, betont allgemein schon Henckel Der G e f a h r b e g r i f f im Strafrecht, StrAbh. H. 270 (1930) S. I. Die obige D e u t u n g wird z.B. verk a n n t von Schhwienksi S. 52, wenn er von der Gefährlichkeit des Täters (des Sichberauschenden) statt der der Tat (der Selbstberauschung) redet, obwohl er im Ergebnis (S. 60) von d e r hier vertretenen Ansicht (s. R d n . 66) nicht soweit entfernt ist.

126

127

128

Eine objektiv-konkrete G e f ä h r d u n g , bei der die G e f a h r im Einzelfall nachgewiesen sein m u ß , k a n n j a in einer individuellen oder generellen Gef a h r bestehen, Henckel in StrAbh. H. 270 (1930) S. 51; H. Schröder in Z S t r W 81 (1969) 7 / 8 , 2 3 . So schon klar Binding N o r m e n IV S. 394; Rob. ν. Hippel II S. 327 u n d A n m . 4; Spendet in StockFestschr. S. 89, 104; H. Schröder Die G e f ä h r dungsdelikte im Strafrecht, Z S t r W 81 (1969) 7, 12; Demuth Zur Bedeutung der „ k o n k r e t e n Gef a h r " im R a h m e n der Straßenverkehrsdelikte, Z f V e r k O R 1973 436, 445 f f ; Horn K o n k r e t e Gef ä h r d u n g s d e l i k t e (1973) S. 51 f f ; Ulr. Weber in Arzt/Weber StR BT, LH 2 S. 24 A n m . 41. Wie Bemmann G A 1961 7 0 f ; Cramer Vollrauschtatbestand, S. 82; Arth. Kaufmann J Z 1963 425, 431 r. Sp. u n d Kusch S. 70/71 zu Unrecht meinen.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

und ungewisse Handlung, sondern auch ein feststehender und ,,seiender", also der Gegenwart angehörender und gewisser Zustand (Begleitumstand) zu beurteilen ist 129 . Die Ex-post-Betrachtung darf freilich ein anfänglich, d. h. ex ante gesehen gefährlich erscheinendes Verhalten nicht nachträglich wegen der ausgebliebenen Verletzung für ungefährlich erklären, weil dies eine Aufhebung des Gefahrbegriffs bedeuten würde 130 , wohl aber eine anfangs, d.h. bei ihrer Vornahme nicht bedrohlich dünkende Handlung im nachhinein wegen der bereits bestehenden (ex ante nur noch nicht feststellbaren oder festgestellten) Begleitumstände als gefahrvoll erweisen 131 . Schon RGSt. 31 198, 200 hat richtig bemerkt: „Der Erfolg kann zwar beweisen, daß die Gefahr seines Eintretens bestanden hatte, sein Ausbleiben aber bedeutet nichts für das McA/bestehen der Gefährdung, da deren Wesen gerade in der Ungewißheit des Zusammentreffens aller Umstände besteht, das die Bedingung des Erfolges ist." Die Rauschtat ist weder eine (von Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht umspannte) Strafbarkeitsbedingung im techn. Sinn noch ein (von Vorsatz oder Fahrlässigkeit umfaßtes) Tatbestandsmerkmal, sondern eine unwiderlegliche Beweistatsache für die Gefährlichkeit des Sichberauschens und seiner unmittelbaren Wirkung, des Vollrausches, im konkreten Fall; dieser Charakter der Tat ist somit ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 323 a 132 . Mit dem Mehr, der Verletzung oder Gefährdung eines bestimmten Rechtsguts durch die Rauschtat 1 3 3 , ist notwendig auch das Weniger, die Gefährlichkeit des Vollrausches in dem betreffenden Sachverhalt, zweifelsfrei erwiesen. Ob sich eine solche Gesetzestechnik empfiehlt, ist eine andere Frage und kann 129

Dazu u n d zum G e f a h r b e g r i f f n ä h e r SpendeI Z u r N e u b e g r ü n d u n g d e r objektiven Versuchstheorie, in Stock-Festschr. S. 89, 104 ff, 106; ausdrücklich z u s t i m m e n d Ulr. Weber in Arzt/Weber StR BT, LH 2 (1983) R d n . 76 f f ; ebenso im Ergebnis H. Schroder Z S t r W 8 1 (1969) 11 f, 14; s. auch Gallas in Heinitz-Festschr. S. 171, 178. Mißverständlich, wenn nicht bedenklich Lackner Das konkrete G e f ä h r d u n g s d e l i k t im Verkehrsstrafrecht (1967) S. 18.

130

Diesen Fehler hat bekanntlich das RG (s. RGSt. 8 198, 202) bei seiner B e g r ü n d u n g der subjektiven Versuchstheorie b e g a n g e n , indem es jede versuchte Tat wegen des ausgebliebenen Taterfolges, d. h. vom S t a n d p u n k t ex post, als untauglich, d . h . ungefährlich ansah, s. schon F u ß n . 82 u n d n ä h e r Henckei in StrAbh. H. 270 (1930) S. 24; Spende! Kritik der subjektiven Versuchstheorie, NJ W 1965 1881, 18841. Sp. Ebenso H. Schröder in Z S t r W 8 1 (1969) 14; Horn K o n k r e t e G e f ä h r d u n g s d e l i k t e (1973) S. 59; Ulr. Weber in Arzt/Weber StR BT, LH 2 R d n . 67, 76 ff. Ein anschauliches Beispiel ist in d e m Gedicht von Gustav Schwab der Fall des Reiters über den vereisten Bodensee, der im tiefen Winter ahnlungslos über die wie ein Schneefeld aussehende z u g e f r o r e n e Wasserfläche geritten ist u n d nun vor tödlichem Schreck „ a m U f e r ein trocken G r a b " findet, n a c h d e m erst nachträglich o f f e n b a r w i r d : „dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr"!

131

132

Ähnlich z.B. Gerland in ZStrW 55 (1936) 784, 798: die „ G e f ä h r l i c h k e i t " des Sichberauschens

33

k ö n n e „retrospektiv aus der Rauschtat erkannt werden"; Gramsch in Str. Abh. H. 395 (1938) S. 108 ff: die Rauschtat das „in die F o r m einer Strafbarkeitsbedingung gekleidete Indiz", „ein sicheres u n d zuverlässiges E r k e n n t n i s m e r k m a l " für die Rauschgefährlichkeit; Dollinger Diss. S. 13: die Rauschtat „Beweis f ü r die G e f ä h r d u n g " durch den Vollrausch; Uhse S. 14: die Rauschtat „ d a s einzige Indiz f ü r die Gefährlichkeit des R a u s c h e s " ; H. Schröder D R i Z 1958 219, 222: die Rauschtat „als objektive Bedingung der Strafbarkeit lediglich das Indiz f ü r die konkrete Gefährlichkeit des Rauschzustandes"; auch Montenbruck G A 1978 237 f: in d e m Erfordernis der Rauschtat k ö n n e m a n eine ,,Beweisregel" für die b e s o n d e r e Gefährlichkeit des Berauschens sehen. B G H N J W 1992 1519 = M D R 1992 504 (Rauschtat „ A n z e i c h e n der Gefährlichkeit des Rauschzustandes"); B G H S t . 38 356, 361 ( U m f a n g u n d Schwere der [objektiven] R a u s c h t a t „ A n z e i c h e n f ü r den Gefährlichkeitsgrad des R a u s c h e s " ) ; O L G Zweibrücken (1993) O L G S t . § 323 a Nr. 4 (Rauschtat „indiziert den Rausch als gefährlich"). Besteht die Rauschtat selbst wieder in einem (konkreten oder abstrakten) Gefährdungsdelikt, d a n n ist dieses eben der „ V e r l e t z u n g s e r f o l g " in bezug auf den ihn auslösenden Vollrausch! Vgl. auch O L G Celle N J W 1969 1588, 15891. Sp. unt.

Stand: 1. 8. 1995

(70)

Vollrausch

§ 323 a

134

hier dahinstehen . Sie vermeidet, den objektiven Vollrauschtatbestand mit dem Begriff der „ G e f a h r " zu belasten, der nie ganz scharf zu bestimmen ist (so schon RGSt. 10 173, 175 unt.; ebenso BGHSt. 18 271,272), u n d ersetzt die Feststellung der G e f ä h r lichkeit (oder Nichtgefährlichkeit) des jeweiligen Vollrausches auf G r u n d einer nicht ganz sicheren Ex-ante-Beurteilung durch die sichere Ex-post-Betrachtung. Die Aufgabe, den Gefahrbegriff zu bestimmen, wird damit aber in den subjektiven Bereich des § 323 a verlagert, d. h. ihre Lösung ist beim Gefährdungsvorsatz bzw. bei der Gefährdungsfahrlässigkeit nachzuholen. Bei dieser Bestimmung sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Gefahr bedeutet „die Möglichkeit einer Verletzung" 1 3 5 , gleichviel, wie groß diese Schadensmöglichkeit ist 1 3 6 ; u n d : Die Gefährlichkeit des Sichberauschens vermag sich so gut wie in jeder deliktischen Tat auszuwirken. Es ist daher nicht erforderlich, d a ß dem Täter (dem Sichberauschenden) die Verletzung oder G e f ä h r d u n g eines bestimmten Rechtsguts in seinem Rausch möglich erscheint oder hätte erscheinen können u n d müssen (dann wäre er für seine spätere Rauschtat nach der Konstruktion der actio libera in causa verantwortlich), sondern ausreichend, d a ß er die Beeinträchtigung irgendwelcher Rechtsgüter f ü r möglich gehalten hat oder hätte halten k ö n n e n u n d müssen. Es ist folglich ein genereller (allgemeiner u n d unbestimmter) G e f ä h r dungsvorsatz (eine generelle Gefährdungsfahrlässigkeit) genügend 1 3 7 , dessen (deren) subjektiv weite oder „extensive" Fassung durch die objektiv strenge oder „intensive" Fixierung der Rauschgefährlichkeit (Nachweis nur durch einen konkreten Verletzungserfolg in Gestalt einer deliktischen Rauschtat) ausgeglichen wird.

62

Wer sich ζ. B. aus Ärger vorsätzlich betrinkt und dabei hätte sagen k ö n n e n u n d 6 3 müssen, d a ß er in der Volltrunkenheit ausfällig wird oder etwas „anrichtet", macht sich nach § 323 a i.V. m. einer schweren Rauschtat schuldig, wenn er später im Vollrausch sogar eine tätliche Ausschreitung begeht, d . h . einen Dritten körperlich angreift oder tödlich verletzt. Umgekehrt ist ein Rauschtäter auch d a n n nur nach § 323 a i.V.m. einer leichteren Rauschtat strafbar, wenn f ü r ihn schwere Exzesse voraussehbar waren. Wer sich ζ. B. aus Wut betrinkt u n d hierbei damit rechnen konnte u n d mußte, d a ß er randaliert u n d Personen anfällt, ist wegen Vollrausches zu bestrafen, falls er nur Sachen zertrümmert, u n d zwar wegen fahrlässigen ( B G H VRS 7 [1954] 309, 311; BayObLG N J W 1968 1897; s. dagegen N J W 1974 1520, 1522 l.Sp.) u n d nicht wegen vorsätzlichen Vollrausches (so jedoch O L G Celle N J W 1969 1916 = N d s R p f l . 1970 64; BayObLG N J W 1974 1520, 1522/23 = J R 1975 30 mit Anm. Lenckner). Denn die f ü r die zwei Fälle durch seine Trunkenheitstaten zur Gewißheit erwiesene Gefährlichkeit seines Sichbetrinkens war für den Täter beidemal allgemein erkennbar. Wenn „ VerletzungsdeUkte als Gefährdungsdelikte mit Verletzungserfolg zu formulieren" nach Binding Normen IV S. 394 Anm. 1 zwar „technisch möglich, freilich schlechte Technik" der Gesetzgebung ist, so ist es noch fragwürdiger, ein Gefährdungsdehkt als scheinbares Verletzungsdelikt zu fassen. Engisch Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht (1930. Neudr. 1964) S. 402; Rabl Der Gefährdungsvorsatz, StrAbh. H. 312 (1933) S. 5, 7; SpendeI in Stock-Festschr. S. 101; H. Schroder ZStrWSl (\969) S.8. Ob die Schadensmoglichkeil eine ..nahe" (s. ζ. B. RGSt. 10 173, 176; 30 178/179; BGHSt. 13 66, 70; 18 271, 272, 274) oder entfernlere ist, ändert (71)

daran nichts und ist nur eine Frage des Gefahrgrades (so klar Rabl aaO S. 5 ff, 7/8) und des „terminologischen Ermessens" (so mit Recht Engisch a a O S. 402). Damit taucht der Begriff eines generellen Vorsatzes (dolus generalis) und dementsprechend einer generellen Fahrlässigkeit — s. schon Bemmann G A 1961 73 und oben Rdn. 53 — in einer neuen und anderen Form auf, als er gemeinhin verstanden und in Verbindung mit einer bestimmten Fallgestaltung erörtert wird. Von einer „generellen Voraussehbarkeit" der Rauschtaten zur Strafbarkeit eines fahrlässigen Vollrausches spricht z.B. auch O L G Köln NJW 1966 412 r. Sp.!

Günter Spendel

§ 323 a

64

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

Dagegen ist die Voraussehbarkeit u n d erst recht die Voraussicht der sich später erweisenden generellen Gefährlichkeit des Sichberauschens u n d damit die Strafbarkeit wegen Vollrausches zu verneinen, wenn sich ζ. B. ein alter Seemann einen heißen G r o g macht u n d vorsätzlich einen schweren Rausch antrinkt, um darauf sein Bett aufzusuchen u n d seine starke Erkältung auszuschwitzen, d a n n aber aus Ärger über eine ganz unerwartete Ruhestörung eine Rauschtat begeht, ζ. B. den Störer beschimpft oder schlägt (s. aber ζ. B. O L G Celle N J W 1969 1588, 1589 1. Sp.). H a t jedoch der Betrunkene wie üblich friedlich im Bett seinen Rausch ausgeschlafen u n d seinen Schnupfen auskuriert, so ist im konkreten Falle sein Trinken tatsächlich als nicht gefährlich bewiesen u n d daher auch rechtlich nicht als rechtswidrig zu bewerten. D e n n „in Wahrheit ist" — nur — „ein Rausch, der zu Straftaten führt, v e r b o t e n " ( B G H J R 1958 28,29)!

65

§ 3 2 3 a ist d e m n a c h f o l g e n d e r m a ß e n zu lesen u n d zu ergänzen: „ W e r sich vorsätzlich oder fahrlässig . . . in einen sich stets u n d nur dann als gefährlich erweisenden Rausch versetzt, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht, ihretwegen aber auf G r u n d feststehender oder nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit infolge des Rausches straflos bleibt, wird wegen Vollrausches . . . bestraft." Oder anders u n d übersichtlicher formuliert: „ W e r sich vorsätzlich oder fahrlässig . . . in einen gefährlichen Vollrausch versetzt, wird . . . bestraft. Als gefährlich ist der Rausch stets und nur d a n n erwiesen, wenn der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat u n d ihretwegen nicht bestraft werden k a n n , weil . . . " Die Rauschtat ist also, logisch gesprochen, die schon hinreichende, aber auch notwendige Bedingung f ü r die Feststellung der Gefährlichkeit u n d Strafwürdigkeit eines Vollrausches. 66 § 323 a enthält damit weder ein abstraktes noch ein konkretes Gefährdungsdelikt im herkömmlichen Sinne; der „Vollrausch" ist zwar der Form nach „als Verletzwngsdelikt gestaltet" 1 3 8 , dagegen der Sache nach, wie BGHSt. 1 124, 125 mit Recht bemerkt hat, ein ,, Gefährdungsdelikl eigener Art". Er ist objektiv ein G e f ä h r d u n g s d e likt mit konkretem „Verletzungserfolg" und subjektiv ein Gefährdungsdelikt mit generellem Gefährdungsvorsatz oder genereller Gefährdungsfahrlässigkeit. Anders ausgedrückt: Subjektiv betrachtet hat das Sichberauschen im allgemeinen, d. h. für irgendwelche Rechtsgüter gefährlich zu erscheinen, objektiv gesehen hat es sich im konkreten Falle, d. h. f ü r ein bestimmtes Rechtsgut durch dessen Verletzung oder Gefährd u n g (s. Fußn. 133) als gefährlich zu erweisen. Der Sichberauschende m u ß also die Gefährlichkeit seiner Berauschung erkennen oder erkennen können.

67

M a n k a n n d a h e r das Vergehen des § 323 a als ein allgemeines, genauer: subjektivgenerelles Gefährdungsdelikt bezeichnen 1 3 9 . Seine Eigenart u n d sein Unterschied zu einem sonst gelegentlich de lege f e r e n d a erwogenen allgemeinen G e f ä h r d u n g s d e likt 1 4 0 bestehen darin, d a ß nicht schon irgendein beliebiges Verhalten wegen seiner So Arth. Kaufmann J Z 1963 425, 431 r. Sp. Die Begriffe ..abstraktes" u n d „generelles Gef ä h r d u n g s d e l i k t " sind also nicht zu verwechseln oder gleichzusetzen, wie dies gelegentlich in der älteren Literatur geschieht, s. ζ. Β. Μ. E. Mayer A T S. 129; Rob. ν. Hippel II S. 101! D e r G e d a n ke, die Selbstberauschung im „Bewußtsein genereiler Gefährlichkeit gegen Rechtsgüter schlecht-

1411

hin" als „ G e f ä h r d u n g s d e l i k t " zu gestalten, wird schon von Kohlrausch Z S t r W 32 (1911) 660f berührt, aber in die falsche Richtung gelenkt, Vgl. dazu etwa Hans Henckel Der G e f a h r b e g r i f f im Strafrecht, StrAbh. H. 270 (1930) S. 77 ff; H. Schroder Die G e f ä h r d u n g s d e l i k t e im Strafrecht, Z S t r W 8 1 (1969) S. 7 , 2 5 ff.

S t a n d : 1. 8. 1995

(72)

Vollrausch

§ 323 a

subjektiv und objektiv konkreten Gefährdung bestimmter (spezifizierter) Rechtsgüter (insbesondere Leib und Leben), sondern gerade ein bestimmtes, genau umschriebenes Verhalten (Sichberauschen) wegen der subjektiv-generellen Gefährdung irgendwelcher (nicht spezifizierter oder individualisierter) Rechtsgüter bestraft wird 141 . „Konkret" ist ein solches Gefährdungsdelikt nur insofern, als das objektive Verhalten im jeweiligen Fall eine Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut oder für verschiedene Rechtsgüter, also eine individuelle (einzelne und besondere) oder generelle (allgemeine und unbestimmte) Gefahr verwirklicht haben muß, , .generell" (nicht „abstrakt"!) dagegen insoweit, als Vorsatz oder Fahrlässigkeit nur auf eine allgemeine Gefährlichkeit des Sichberauschens, d. h. auf die Möglichkeit irgendeiner Verletzung bezogen zu sein braucht. In der Richtung der hier vertretenen Deutung des § 323 a bewegt sich auch teilwei- 68 se die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des BGH, die allerdings trotz gegenteiliger Beteuerung nicht einheitlich ist 142 . Denn obwohl er die Rauschtat noch als Strafbarkeitsbedingung bezeichnet, verlangt der 5. Sen. des BGH 1 4 3 zur Strafbarkeit des Vollrausches nach § 323 a zwar nicht, daß der Täter eine gemeingefährliche Neigung zur Begehung bestimmter deliktischer Ausschreitungen im Rausch haben und sein Vorsatz oder seine Fahrlässigkeit sich hierauf erstrecken müsse, wohl aber, daß er die Möglichkeit der Begehung irgendwelcher, also nicht näher bestimmter Rauschtaten vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können und müssen: BGH VRS 7 (1954) 309, 311; BGHSt. 10 (1957) 249/250; BGH JR 1958 28; BGH VRS 17 (1959) 340; sich anschließend OLG Braunschweig NdsRpfl. 1962 71, 72 l.Sp.; OLG Köln NJW 1966412; BayObLGSt. 196844 = NJW 1968 1897; 1974 1520,1522l.Sp.; 1990 2334, 2335 = NStE § 323a Nr. 8; OLG Celle NJW 1968 759, 760 l.Sp.; 1969 1588, 1589 l.Sp.; 1916, 1917; OLG Hamm NJW 1975 2252, 2253; OLG Schleswig SchlHolst. Anz. 1976 169 (zur anderslautenden Rechtspr. s. Fußn. 143). Auch BGHSt. (GrS) 9 390, 396 hat richtig ausgesprochen, „ d a ß der § 330 a StGB" (a. F. = § 323 a n. F.) „sich — strenggenommen — nur dann in das geltende Schuldstrafrecht eingliedern ließe, wenn man fordern würde, der sich schuldhaft Betrinkende habe damit gerechnet oder doch damit rechnen müssen, daß er eine allgemeine (unbestimmte) Gefahr für die Rechtsordnung herbeiführe" (Hervorh. vom zitier. Verf.). Diese Judikatur bedeutet: Nur eine gefährliche Berauschung ist objektiv tatbestandsmäßig und nur bei ihrer allgemeinen Erkenntnis oder Erkennbarkeit strafbar. Zu einem gleichen oder ähnlichen Ergebnis, wenngleich von verschiedenen Ausgangspunkten her, kommen in der Sache auch einige Autoren in der Rechtslehre144. 141

D a ß § 323 a „ e i n e n allgemeinen" (irrig u n d irreführend auch „abstrakten" genannten) „Gefährd u n g s t a t b e s t a n d " e n t h ä l t , d e r „ d i e s e Bezeichn u n g nicht wegen d e r ^ / i / z a h l möglicher G e f ä h r d u n g s h a n d l u n g e n , sondern w e g e n d e r Vieh'dhl d e r möglichen Gefährdungsobjekle rechtfertigt", e r k e n n t a u c h Cramer D e r V o l l r a u s c h t a t b e s t a n d . . . S. 78.

142

D a ß in d e r B G H - R e c h t s p r e c h u n g ein Bruch besteht, b e t o n e n ζ. B. a u c h H. J. Brum J Z 1958 106 r. Sp. ( „ d e r b e d a u e r l i c h e E i n d r u c k e i n e r Divergenz innerhalb der Rechtsprechung . . . " ) ; Schweikerl Z S t r W 70 (1958) 394, 403 A n m . 3 6 ; Arth. Kaufmann J Z 1963 425, 426 r. S p . ; Lackner J u S 1968 216 I. S p . ; O L G B r a u n s c h w e i g N J W 1966 679, 680 1. S p . ; O L G F r a n k f u r t / M . O L G S t . § 3 3 0 a a. F. S. 31, 32. And. z . B . B G H S t . 10 2 4 7 / 2 4 8 , 249; Gollner M D R 1976 182, 183 r. Sp.

(73)

141

144

Zur abweichenden Rechtsprechung der anderen B G H - S e n a t e B G H S t . 1 124; 2 14, 18; 6 8 9 ; 16 124, 126; 17 333, 3 3 4 ; s. f e r n e r O L G B r a u n s c h w e i g N J W 1966 679, 6 8 0 ; O L G Z w e i b r u c k e n V R S 32 (1967) 4 5 5 ; O L G F r a n k f u r t / M . O L G S t . § 330 a a. F. S. 31, 33; O L G H a m b u r g J R 1982 345 mit A n m . Horn. So v o r allem Bemmann G A 1961 73; Cramer D e r V o l l r a u s c h t a t b e s t a n d . . . S. 106; Sch/Schröder/ Cramer R d n . 10; Otto S t R II4 S. 4 l 4 / § 81 II N r . 3 ; ders. J u r a 1986 4 7 8 , 4 8 6 ; Montenbruck GA 1978 2 4 0 / 2 4 1 ; s. n o c h Rieh. Lange J R 1957 242, 245 r. S p . ; Ulr Weber in Arzt/Weber S t R B T LH 2 R d n . 427 (S. 139). Ablehnend z . B . Horn S K ! R d n . 7; Lackner/KühF' R d n . 14; Preisendan; § 3 3 0 a a. F. A n m . 4 b ) ; Krey BT 1" R d n . 7 9 8 ; Puppe G A 1974 98, 101; Brandstetter S. 144.

Günter Spendel

§ 323 a

27. Abschnitt. Gemeingefährliche Straftaten

69

b) Rechtsgut: Fragt man nach dem von § 323 a zu schützenden Rechtsgut, „dann gerät man in einige Verlegenheit" 145 . Auch hier stehen sich verschiedene Definitionen gegenüber, die nicht immer scharfe Bestimmungen und klare Unterscheidungen erkennen lassen und nur Ausdruck der unbefriedigenden Gesetzesfassung sind. Einerseits werden alle Rechtsgüter als durch § 323 a geschützt angesehen, da grundsätzlich jedes Delikt im Rausch begangen werden könne 1 4 6 (s. ebenso BGHSt. 26 363: § 323 a solle den vom Vollrausch ausgehenden Gefahren „für die Gesamtheit der Rechtsgüter und damit für jedes einzelne von ihnen" entgegenwirken; ähnlich etwas verklausuliert BGH NJW 1992 1519 = NStE § 323 a Nr. 9, die Vorschrift solle „der generellen Gefährlichkeit entgegenwirken, die allen ... Rechtsgütern mit jedem" Vollrausch erwächst). Andererseits wird gerade nicht jedes einzelne im Rausch verletzbare Rechtsgut, sondern die Allgemeinheit als Schutzobjekt des § 323 a betrachtet (so BGHSt. 1 275, 277; s. auch wieder BayObLGSt. 1986 8, 9 = VRS 70 [1986] 446, 447), weil es sonst mit der Rauschtat „von Fall zu Fall, in verschiedenster Weise wechseln würde" (so BGHSt. 16 124, 128) und weil dieses Rechtsgut im Augenblick der Berauschung noch nicht feststünde (so BGHSt. 20 284, 285; BayObLG NJW 1974 1520, 1522 l.Sp.) 147 . Statt dessen wird z.T. die „Gesamtheit der Rechtsgüter" (BGHSt. 1 27 5 , 277) 148 oder die Rechtsgüterordnung als einheitliches Schutzobjekt aufgefaßt 1 4 9 . Bald soll durch § 323 a der „Rechtsfrieden'· (RGSt. 73 177, 181; Lay LK 9 III § 330 a a. F. Rdn. 19) oder die Sicherheit „der Allgemeinheit" vor den vom Rauschtäter ausgehenden Gefahren (RGSt. 73 177, 181; BGHSt. 2 14/15, 19; 16 124, 125, 128; 20 284, 285), bald auch zugleich die Sicherheit des einzelnen geschützt werden (RGSt. 70 159, 160; BGHSt. 1 275, 277; BGH VRS 7 [1954] 309, 310; OLG Hamburg JR 1982 345, 347 1. Sp.)

70

Nach der hier vertretenen Erklärung der Strafvorschrift ist ihr Zweck, das für andere Rechtsgüter gefährliche Selbstberauschen zu vergelten und zu verhindern, wenn und weil der eine Rauschtat „entschuldigende", aber selbstverschuldete Vollrausch als solcher nicht entschuldbar erscheint. Der Täter, der sich in Erkenntnis oder Erkennbarkeit der Gefährlichkeit seines Tuns in einen schuldunfähig machenden Vollrausch versetzt und darin eine deliktische Tat verübt hat, soll nicht straflos davonkommen. Er wird zwar nicht für seine schuld/