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German Pages [457] Year 2020
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Strabismus Herausgegeben von Heimo Steffen Herbert Kaufmann Mit Beiträgen von Dorothea Besch, Anja K. Eckstein, Joachim Esser, Michael Gräf, Wolfgang Haase, Volker Herzau, Herbert Jägle, Gerold Kolling, Guntram Kommerell,
5., vollständig überarbeitete Auflage 470 Abbildungen
Georg Thieme Verlag Stuttgart • New York
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Wolf A. Lagrèze, Hermann Mühlendyck, Peter Roggenkämper, Walter Rüssmann, Helmut Wilhelm
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1. Auflage 1986, Ferdinand Enke Verlag 2. Auflage 1995, Ferdinand Enke Verlag 3. Auflage 2004 4. Auflage 2012
© 1986, 2020 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstr. 14 70469 Stuttgart Deutschland www.thieme.de Printed in Germany Zeichnungen: Angelika Brauner, Hohenpeißenberg; Roland Geyer, Weilerswist; Joachim Hormann, Stuttgart; Willibald Irmer (†) Mit Übernahmen aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. Stuttgart: Thieme. Umschlaggestaltung: Thieme Group Redaktion: Katharina Georgi, Stuttgart Satz: Druckhaus Götz GmbH, Ludwigsburg, gesetzt in 3B2 Unicode, Version 9.1 Druck: Aprinta Druck GmbH, Wemding
DOI 10.1055/b-006-149523 ISBN 978-3-13-241330-6 Auch erhältlich als E-Book: eISBN (PDF) 978-3-13-241331-3 eISBN (epub) 978-3-13-241332-0
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Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.
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Für Ellen und Kathrin von H. Steffen und H. Kaufmann
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1986 erschien die 1. Auflage dieses Lehrbuchs mit dem Ziel, den deutschsprachigen Augenärzten und Orthoptisten eine Darstellung der Strabismologie zur Verfügung zu stellen und die offenkundige Lücke zwischen bewährten deutschsprachigen Propädeutika und den großen englischsprachigen Lehrbüchern der Strabismologie zu schließen. Es war kein Zufall, dass fast alle Autoren auch an einer Lehranstalt für Orthoptisten unterrichteten und kurz zuvor mit dem Berufsverband Orthoptik Deutschland (BOD) den Lernzielkatalog der Orthoptisten-Ausbildung verfasst hatten. Die große Zustimmung, die diesem neuen Lehrbuch zuteil wurde, war ein großer Ansporn, nach jeweils 8 Jahren weitere Auflagen folgen zu lassen. Die 3. Auflage erschien 2003 und deutete einen Generationenwechsel der Autoren an, indem jüngere Strabismologen als Koautoren in die Überarbeitung und Neugestaltung der verschiedenen Kapitel integriert wurden. Dieser Generationenwechsel der Autoren setzte sich in der 4. Auflage fort, die einige neu abgefasste Kapitel enthielt. Das wichtige Kapitel über die Heterotropie, für das seit 1986 der 2010 verstorbene Prof. Dr. Wilfried De Decker verantwortlich war, wurde neu verfasst. Neu war auch das Erscheinungsbild mit mehrfarbigen Abbildungen, einer übersichtlicheren Gestaltung und der Einführung von Merksätzen und Hervorhebungen, um den didaktischen Wert des Buches zu erhöhen. Da die gedruckte Ausgabe der 4. Auflage bereits nach drei Jahren vergriffen war, bat uns der Verlag schon 2018, eine 5. Auflage zu planen. Die neue Auflage sollte vom Umfang her gestrafft sein, ohne auf wesentliche Inhalte zu verzichten. Das vorliegende Buch wendet sich an Augenärzte und Orthoptisten. Es gibt einen Überblick über Anatomie und Physiologie des Binokularsehens, über die Ätiologie und Pathogenese der unterschiedlichen Formen und Folgen
6
der nichtparetischen und paretischen Schielerkrankungen, der Blickstörungen sowie des Nystagmus und der wichtigen Pupillenstörungen und über die Untersuchung und Behandlung dieser Krankheitsbilder. Das Buch soll die Ausbildung zum Facharzt für Augenheilkunde ebenso erleichtern wie die Orthoptisten-Ausbildung und darüber hinaus – auch im Zeitalter des Internets – eine wichtige Referenz zum Nachschlagen für all diejenigen bleiben, die Schielpatienten untersuchen und behandeln. Schließlich soll die neue Auflage das Interesse an diesem so wichtigen Teilgebiet der Augenheilkunde wecken und zu weiterer Lektüre der klassischen Werke der Strabismologie, Neuroophthalmologie und Sinnesphysiologie anregen. Allen kritischen Lesern, die die bisherigen Auflagen gelesen und ihre Anmerkungen zur Verfügung gestellt haben, sei herzlich gedankt. Folge dieser Anregungen sind wesentliche Veränderungen in einzelnen Kapiteln. Wie bei den bisherigen Auflagen hat der Verlag alle Wünsche der Autoren erfüllt und die Herausgabe dieser 5. Auflage mit großem Verständnis begleitet, wofür wir uns bei allen Mitarbeitern des Thieme Verlags sehr herzlich bedanken. Den Verfassern der einzelnen Kapitel danken wir für die Bereitwilligkeit, an dieser Auflage mitgewirkt zu haben. H. Steffen, der an der 4. Auflage als Mitherausgeber beteiligt war, ist nunmehr erster Herausgeber und wird in dieser Funktion auch in Zukunft die Kontinuität dieses Lehrbuchs verantworten. Wir hoffen, dass auch die vorliegende 5. Auflage eine wohlwollende und kritische Leserschaft findet, und bitten darum, uns auf Mängel, Auslassungen, Fehler und Ungenauigkeiten aufmerksam zu machen. Genf/Gießen, 2020
Heimo Steffen Herbert Kaufmann
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Vorwort
Inhaltsverzeichnis 1
Normales Binokularsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
1.1
Anatomie und Physiologie der Orbita und des Bewegungsapparats . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
13
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
Anatomie der Orbita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Topografische Anatomie des Orbitainhalts Anatomie des Bandapparats . . . . . . . . . . . . Anatomie der Augenmuskeln . . . . . . . . . . . Physiologie der Augenbewegungen . . . . . .
13 15 19 21 26
1.2
Normales Binokularsehen, Neurophysiologie der Augenbewegungen . . . G. Kommerell, W. A. Lagrèze
39
Klassifizierung der Augenbewegungen . . . Innervation der Augenmuskeln. . . . . . . . . . Motorische Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Koordination beider Augen . . . . . . . . . . . . . Supranukleäre Organisation der Okulomotorik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 40 42 43 44
Angabe der Sehschärfe . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstufung der Prüfreize . . . . . . . . . . . . . . . . Projektoren, Prüftafeln, Instrumente . . . . . Strategien der Sehschärfebestimmung . . .
60 62 62 66
1.4
Sensorik des Binokularsehens . . . . . . . . . V. Herzau, D. Besch, H. Jägle
71
1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4
Monokulare relative Lokalisation . . . . . . . . Absolute Lokalisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sensorische Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beidäugiges Sehen bei disparater Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Binokular ausgelöste Hemmungsvorgänge Binokulare Summation. . . . . . . . . . . . . . . . . Interokulare Übertragung von Nacheffekten (interokularer Transfer). . . . . . . . . Nachweis binokularer Prozesse durch visuell evozierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . Nachweis binokularer Prozesse durch funktionelle Magnetresonanztomografie . Neurophysiologie des Binokularsehens . . .
72 73 74
1.4.5 1.4.6 1.4.7 1.4.8 1.4.9
78 88 90 91 92 93 94
1.3
Sehschärfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Gräf
56
1.3.1 1.3.2
Arten der Sehschärfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflüsse auf die Sehschärfe. . . . . . . . . . . . .
56 58
2
Störungen des Binokularsehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
2.1
Terminologie und Charakteristika verschiedener Augenbewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann
2.1.1 2.1.2
105
2.2
Heterophorie und Asthenopie . . . . . . . . G. Kommerell, W. Rüssmann
112
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.2.8
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typischer Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe und Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätiologie und Pathophysiologie . . . . . . . . . Heterophorie und Fixationsdisparität . . . . Asthenopische Beschwerden . . . . . . . . . . . . Messung und Bewertung der Heterophorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112 113 113 114 114 115 116
2.1.4
2.2.9 2.2.10
Korrektion der Heterophorie mit Prismen Orthoptische Übungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 128
2.3
Heterotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Steffen, G. Kolling
131
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.3.9 2.3.10 2.3.11 2.3.12
Historische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . Definition und allgemeine Ursachen . . . . . Frühkindliches Innenschielen . . . . . . . . . . . Erworbenes Innenschielen. . . . . . . . . . . . . . Mikrostrabismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konvergenzexzess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schielen bei hoher Myopie. . . . . . . . . . . . . . Obliquusstörungen, Alphabetsymptome . . Strabismus divergens intermittens. . . . . . . Primärer Strabismus divergens . . . . . . . . . . Sekundäres und konsekutives Schielen . . . Seltene Strabismusformen . . . . . . . . . . . . . .
131 132 134 140 144 146 148 149 157 162 162 164
2.4
Amblyopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Gräf, W. Haase
169
2.4.1 2.4.2
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufigkeit, soziale Bedeutung . . . . . . . . . . .
169 169
105
Allgemeine Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strabismus concomitans (sog. Begleitschielen, nichtparetisches Schielen) . . . . . . Strabismus incomitans (paretisches Schielen, Lähmungsschielen). . . . . . . . . . . . Pathologische Augenbewegungen . . . . . . .
2.1.3
1.4.10
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1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5
1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6
107 109 110
121
7
Inhaltsverzeichnis 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7
Ursachen und Formen der Amblyopie . . . . Funktionsstörungen bei Amblyopie . . . . . . Differenzialdiagnose der Amblyopie . . . . . Amblyopiediagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prophylaxe und Therapie der Amblyopie .
169 175 189 190 193
2.5.2
Binokulare Wahrnehmung bei frühkindlichem Strabismus mit anomaler binokularer Sensorik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau des binokularen Gesichtsfelds bei frühkindlichem Strabismus . . . . . . . . . . . . . Neurophysiologie des Binokularsehens bei Strabismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226
Untersuchung des Binokularsehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232
2.5.3 2.5.4
2.5
Binokulare Sensorik bei Strabismus . . . V. Herzau, H. Jägle, D. Besch
2.5.1
Binokulare Wahrnehmung bei Strabismus mit normaler binokularer Sensorik . . . . . .
3
216
219 220
216
W. Rüssmann Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232
3.2
Orientierende Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen . . . . . . . . . .
232
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.2.10
3.2.11 3.2.12
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6
8
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente/Geräte und Durchführung. . . Anamnese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der Kopfhaltung . . . . . . . . . . . . Beurteilung des Schielwinkels und der Binokularfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtung spontaner periodischer Augenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Binokulartests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung auf Zyklodeviation . . . . . . . . . . . . . Untersuchung bei Kopfposition entgegen Zwangshaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beurteilung der Augenstellung und -beweglichkeit in verschiedenen Blickrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung der Fixation und der Sehschärfe . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4
268
3.4.5 3.4.6
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über Diagnostik und Therapie . . Anamnese und erweiterte orientierende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Refraktion, Akkommodation und Aniseikonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung der Fusionsbreite . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268 271 272
242 242 247
3.5
Lähmungsschielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
249
3.5.1 3.5.2 3.5.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente/Geräte und Durchführung. . . Anamnese und erweiterte orientierende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung, Analyse und Messung der Kopfhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung des monokularen Blickfelds . . . . Messung des Fusionsblickfelds und des binokularen Blickfelds . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung der Schielwinkel . . . . . . . . . . . . . . Typische Untersuchungsbefunde bei verschiedenen Formen des Lähmungsschielens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272 273
232 232 232 232 235
250 253 253
Manifestes Begleitschielen. . . . . . . . . . . . W. Rüssmann
254
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente/Geräte und Durchführung. . . Untersuchung der Binokularfunktion bei kleinen Schielwinkeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . Messung des objektiven und des subjektiven Winkels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der Winkelmessung . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
254 254 255 258 265 267
3.4.1 3.4.2 3.4.3
Symptomatisches latentes Begleitschielen (heterophoriebedingte Asthenopie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.4
3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.5.7 3.5.8
3.5.9
268 268 268
273 275 278 279 280
287 289
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3.1
Inhaltsverzeichnis
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1
Myogene Augenbewegungsstörungen J. Esser, A. K. Eckstein, H. Mühlendyck
4.1.1 4.1.2
293
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einklemmung (Augenmuskeln oder perimuskuläre Hüllgewebe) . . . . . . . . . . . . . . . . Muskelelastizitätsminderung . . . . . . . . . . . Drehmomentänderung und Vernarbung . . Chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Okuläre Neuromyotonie. . . . . . . . . . . . . . . .
293
4.2
Neurogene Augenmuskellähmungen . . G. Kommerell, W. A. Lagrèze
322
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Allgemeine Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostische Bedeutung der Lähmung des III., IV. und VI. Hirnnervs . . . . . . . . . . . . Angeborene Fehlinnervationen. . . . . . . . . . Störung der neuromuskulären Übertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symptomatische Therapie der Augenmuskellähmungen . . . . . . . . . . . . . . .
322 327 328
4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6
4.2.5 4.2.6 4.2.7
4.3
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6
Supranukleäre Augenbewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Kommerell, W. A. Lagrèze Blicklähmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Okulomotorische Apraxie . . . . . . . . . . . . . . Blickrichtungsnystagmus . . . . . . . . . . . . . . . Dysmetrie der Blickzielbewegung . . . . . . . Pränukleäre Lähmungen . . . . . . . . . . . . . . . Störung der Augenfolgebewegung und des optokinetischen Nystagmus . . . . . . . . . . . .
293 303 316 316 317
331 336 339 342
344 344 346 346 347 347
4.3.7 4.3.8 4.3.9 4.3.10 4.3.11 4.3.12 4.3.13
Störung des vestibulookulären Reflexes und vestibulärer Spontannystagmus . . . . . Frühkindlicher Nystagmus. . . . . . . . . . . . . . Latenter Nystagmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erworbener Fixationsnystagmus . . . . . . . . Spasmus nutans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sakkadische Oszillationen . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Vergenz . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
352 354 356 358 358 359 359
4.4
Lidbewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . G. Kommerell, W. A. Lagrèze
362
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6
Physiologische Vorbemerkung . . . . . . . . . . Fazialislähmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blepharospasmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Levatorlähmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Levatorüberfunktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mandibulopalpebrale Synkinese (Marcus-Gunn-Phänomen) . . . . . . . . . . . . . Ptosis bei Horner-Syndrom . . . . . . . . . . . . .
362 362 363 364 364
4.5
Störungen der Pupillenmotorik . . . . . . . H. Wilhelm, G. Kommerell
366
4.5.1
Anatomische und physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Routineuntersuchung der Pupillen. . . . . . . Störung der parasympathischen Efferenz . Supranukleäre Störungen . . . . . . . . . . . . . . Störungen der sympathischen Efferenz . . . Störungen der Afferenz . . . . . . . . . . . . . . . . Seltene und seltsame Störungen . . . . . . . . .
4.4.7
4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.5.7
366 368 368 370 370 371 373
Topodiagnostik der Augenbewegungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Kommerell, W. A. Lagrèze
374
5
Augenmuskeloperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
378
5.1
Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
391
350
378
5.1.1 5.1.2 5.1.3
Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindehauteröffnung und -verschluss . . . . . Augenmuskeloperation . . . . . . . . . . . . . . . .
379 380 382
5.2
Operationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
385
5.2.1
Rücklagerung, Verlängerung und Tenotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorlagerung, Resektion und Faltung. . . . . . Adjustierbare Nähte und intraoperative Dosierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.2 5.2.3
4.6
365 366
385 388 391
5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7
Kombinierte Augenmuskelchirurgie versus Einmuskelchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderung der Muskelkraft und der Kontraktionsstrecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderung der Abrollstrecke (des wirksamen Hebelarms) . . . . . . . . . . . . Veränderung der Muskelzugrichtung. . . . .
5.3
Nichtparetisches Schielen . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
5.3.1
Ergebnisse verschiedener Operationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikation verschiedener Operationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3.2
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4
393 393 397 398
398 401
9
Inhaltsverzeichnis 5.4
Paretisches Schielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
413
5.6
Botulinumtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Roggenkämper
444
5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5
Allgemeine Operationsprinzipien . . . . . . . . Operation bei Abduzensparese . . . . . . . . . . Operation bei Retraktionssyndrom . . . . . . Operation bei Okulomotoriusparese . . . . . Operation bei Trochlearisparese . . . . . . . . .
413 416 421 422 429
5.6.1 5.6.2
444
5.5
Nystagmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Kaufmann, H. Steffen
432
5.6.5 5.6.6
5.5.1
Wirkungsweise verschiedener Operationsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationsindikation bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungsmechanismus von Botulinumtoxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Botulinumtoxinpräparate . . . . . . . . . . . . . . Methodik und apparative Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . Botulinumtoxin-Injektion bei Strabismus im Vergleich zur Operation . . . . . . . . . . . . . Indikationen für den Einsatz von Botulinumtoxin außerhalb der Augenheilkunde
5.5.2
5.6.7
444 444 444 445 446 448
435
........................................................................
449
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Sachverzeichnis
432
5.6.3 5.6.4
10
Anschriften Prof. Dr. med. Heimo Steffen Hôpitaux Universitaires de Genève Dépt. de Neurosciences Cliniques Service d’Ophtalmologie Rue Alcide-Jentzer 22 1205 Genève Schweiz Prof. Dr. med. Herbert Kaufmann Westanlage 13 35390 Gießen
Mitarbeiter Prof. Dr. med. Dorothea Besch Universitätsklinikum Tübingen Department für Augenheilkunde Elfriede-Aulhorn-Str. 7 72076 Tübingen Prof. Dr. med. Anja K. Eckstein Universitäts-Augenklinik Essen Hufelandstr. 55 45147 Essen Prof. Dr. med. Joachim Esser Universitäts-Augenklinik Essen Hufelandstr. 55 45147 Essen Prof. Dr. med. Michael Gräf Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH Standort Gießen Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Friedrichstr. 18 35392 Gießen Prof. Dr. med. Wolfgang Haase Bramkoppel 1c 22395 Hamburg
Prof. Dr. med. Volker Herzau Am Baylerberg 27 72070 Tübingen Prof. Dr. med. Herbert Jägle, FEBO Universitätsklinikum Regensburg Klinik für Augenheilkunde Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Prof. Dr. med. Gerold Kolling Hirtenaue 19 69118 Heidelberg Prof. Dr. med. Guntram Kommerell Universitätsklinikum Freiburg Klinik für Augenheilkunde Kilianstr. 5 79106 Freiburg Prof. Dr. med. Wolf A. Lagrèze Universitätsklinikum Freiburg Klinik für Augenheilkunde Killianstr. 5 79106 Freiburg
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Herausgeber
Prof. Dr. med. Hermann Mühlendyck Görlitzer Str. 10 37120 Bovenden Prof. Dr. med. Peter Roggenkämper Auf dem Heidgen 70 53127 Bonn Prof. Dr. med. Walter Rüssmann Nauheimer Str. 11 50969 Köln Prof. Dr. med. Helmut Wilhelm Universitätsklinikum Tübingen Department für Augenheilkunde Elfriede-Aulhorn-Str. 7 72076 Tübingen
11
1.1
Anatomie und Physiologie der Orbita und des Bewegungsapparats
13
Normales Binokularsehen, Neurophysiologie der Augenbewegungen
39
1.3
Sehschärfe
56
1.4
Sensorik des Binokularsehens
71
Normales Binokularsehen 1.2
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Kapitel 1
1.1 Anatomie und Physiologie
1 Normales Binokularsehen
H. Kaufmann, H. Steffen
Die unmittelbare Nachbarschaft der Orbita zu Nasenhöhle und Nasennebenhöhlen erklärt ihre häufige Mitbeteiligung an entzündlichen und neoplastischen Prozessen. Mediale Orbitawand und Orbitaboden sind wegen der geringen mechanischen Widerstandsfähigkeit bei Schädigungen sehr gefährdet.
H ●
1.1.1 Anatomie der Orbita
Merke
Die knöcherne Augenhöhle (Orbita) hat die Form einer unregelmäßigen Pyramide, deren Spitze am orbitalen Ende des Sehnervenkanals (Canalis opticus) liegt und deren Basis vom Orbitarand gebildet wird (▶ Abb. 1.1). Die Achse durch das Ende des Canalis opticus und die Mitte des Orbitadurchmessers nennt man die Orbitaachse. Beide Orbitaachsen konvergieren nach hinten und kreuzen sich etwa am Türkensattel (▶ Abb. 1.2). Man unterscheidet 4 etwa dreieckige Wände, die aus dünnen (teilweise papierdünnen) Knochenlamellen bestehen. Sie sind von einem derben Periost überzogen, der Periorbita. Das Orbitadach trennt die Orbita von der vorderen Schädelgrube. Der Orbitaboden enthält den Canalis infraorbitalis und trennt die Orbita von der darunterliegenden Kieferhöhle. Seine Wanddicke beträgt teilweise nur etwa 0,1 mm. Auch die mediale Orbitawand, insbesondere der vom Siebbein gebildete Wandanteil, ist sehr dünn und grenzt die Orbita von den Siebbeinzellen ab. Die laterale Orbitawand ist unter den 4 Orbitawänden die dickste, widerstandsfähigste und nur selten pneumatisiert.
Verbindungen der Orbita mit anderen Körperhöhlen: ● Canalis opticus mit der mittleren Schädelhöhle ↔ Sehnerv (N. opticus, N II) und A. ophthalmica ● Fissura orbitalis superior mit der mittleren Schädelhöhle ↔ N. oculomotorius, N III; N. trochlearis, N IV; N. abducens, N VI; N. ophthalmicus (1. Ast des N. trigeminus, N V1) und V. ophthalmica superior ● Fissura orbitalis inferior mit der Flügelgaumengrube ↔ N. infraorbitalis (aus dem N. maxillaris, N V2), V. ophthalmica inferior ● Canalis infraorbitalis mit der Wange ↔ N. infraorbitalis ● Canalis nasolacrimalis mit der Nasenhöhle
Mehrere natürliche Öffnungen verbinden die Orbita mit ihrer Nachbarschaft. Der kleine Keilbeinflügel enthält den Canalis opticus (Sehnervenkanal). Zwischen dem kleinen und großen Keilbeinflügel bleibt eine Spalte, die Fissura orbitalis superior (▶ Abb. 1.1). Sie ist etwa 20 mm lang
Os frontale Fissura orbitalis superior
Canalis opticus Incisura supraorbitalis
Os sphenoidale le Ala minor Ala major
Os ethmoidale Os lacrimale Canalis nasolacrimalis
Os palatinum
Maxilla
Foramen infraorbitale Sulcus infraorbitalis Fissura orbitalis inferior Os zygomaticum
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1.1 Anatomie und Physiologie der Orbita und des Bewegungsapparats
1
Abb. 1.1 Rechte Orbita, Ansicht von vorn lateral. Im Mittel beträgt die Tiefe bei Erwachsenen etwa 42 mm, die Breite (horizontaler Durchmesser am Orbitarand) etwa 40 mm und die Höhe (vertikaler Durchmesser) etwa 35 mm bei einem Volumen von etwa 27 cm3. Das Orbitadach wird vorne vom Stirnbein (Os frontale), hinten vom kleinen Keilbeinflügel (Ala minor ossis sphenoidalis) gebildet. Das Stirnbein schließt die Stirnhöhle ein. Der Orbitaboden besteht aus dem oberen Teil des Oberkiefers (Maxilla), in einem kleineren lateralen Teil aus dem Jochbein (Os zygomaticum) und hinten aus einem sehr kleinen Fortsatz des Gaumenbeins (Os palatinum). Die mediale Orbitawand setzt sich in ihrem vorderen Teil aus einem Fortsatz des Oberkiefers, aus dem Tränenbein (Os lacrimale), dem Siebbein (Os ethmoidale) und der Vorderfläche des Keilbeinkörpers (Os sphenoidale) zusammen. Die laterale Orbitawand wird von Jochbein (Os zygomaticum) und großem Keilbeinflügel (Ala major ossis sphenoidalis) gebildet.
13
Normales Binokularsehen
M. obliquus superior sup periior i
mediale Orbitawand
d le an ra te aw la rbit O
e chs itaa
Orb
M rectus M. superior su up p M. rectus medialis me e M. rectus lateralis
45° 5° 22,5°
Sehachse 90°
Abb. 1.2 Winkel zwischen lateraler und medialer Orbitawand, Orbitaachse und Sehachse.
und bis zu 6 mm breit und wird durch einen Sehnenring, den Anulus tendineus communis in mehrere Etagen unterteilt (▶ Abb. 1.3). Die Fissura orbitalis inferior (▶ Abb. 1.1), ein etwa 30 mm langer und bis zu 5 mm breiter Spalt zwischen großem Keilbeinflügel und Maxilla, öffnet die Orbita zu Flügelgaumengrube (Fossa pterygopalatina) und Schläfengrube. Sie wird vom M. orbitalis netzartig bedeckt, dessen glatte Muskelfasern den intraorbitalen Druck stabilisieren, wenn bei Kontraktion der Lid- und Augenmuskeln der Orbitainhalt nach hinten geschoben wird. An der Fissura orbitalis inferior beginnt eine offene Rinne, die im Orbitaboden nach vorne zieht und sich zum Canalis infraorbitalis schließt, der unterhalb des unteren Orbitarands im Foramen infraorbitale mündet (▶ Abb. 1.1), wo der hier austretende N. infraorbitalis die Wange erreicht (Druckpunkt für 2. Trigeminusast). Der obere Orbitarand zeigt einen Einschnitt oder ein Loch (Incisura supraorbitalis oder Foramen frontale, Druckpunkt für 1. Trigeminusast) für die Endäste des N. frontalis auf ihrem Weg zur Stirn. Im nasal-unteren Teil liegt hinter dem Orbitarand eine Grube (in der der Tränensack liegt), die sich nach unten im Canalis nasolacrimalis (Tränennasengang) fortsetzt.
N. lacrimalis N. frontalis N. trochlearis M. levator palpebrae M. obliquus superior V. ophthalmica
M. rectus superior M. rectus medialis
N. opticus A. ophthalmica N. abducens M. rectus inferior M. rectus lateralis Anulus tendineus communis V. ophthalmica inferior (Variation)
intrakonischer Raum
N. nasociliaris N. oculomotorius, ramus superior und ramus inferior
Abb. 1.3 Orbitaspitze. Schematische Darstellung der topografischen Verhältnisse im Bereich des Canalis opticus und der Fissura orbitalis superior.
14
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Bulbus oculi
1.1 Anatomie und Physiologie
1.1.2 Topografische Anatomie des Orbitainhalts Die Orbita lässt sich in 3 Etagen gliedern, die in frontoparallelen Schnitten deutlich werden. An der Orbitaspitze (▶ Abb. 1.3) ist ein bindegewebiger Ring, der Anulus tendineus communis, fest mit dem Knochen verwachsen und überbrückt an zwei Stellen die Fissura orbitalis superior. Dieser Sehnenring bildet den Ursprung aller geraden Augenmuskeln, des M. levator palpebrae und des M. obliquus superior. Diese geraden Augenmuskeln und die Membrana intermuscularis bilden den Muskelkonus, der sich nach vorne erweitert und die Orbita in einen intrakonischen und einen extrakonischen Raum teilt (▶ Abb. 1.3, ▶ Abb. 1.4). Die obere (extrakonische) Etage enthält den N. trochlearis und den N. frontalis (▶ Abb. 1.5) und die untere (ebenfalls extrakonische) Etage im Canalis infraorbitalis nur den N. infraorbitalis. In der mittleren (intrakonischen) Etage verlaufen alle anderen Nerven und Gefäße (▶ Abb. 1.6). Das Versorgungsgebiet des N. trigeminus, d. h. die Versorgung des Gesichts, zeigt ▶ Abb. 1.7.
H ●
Merke ●
●
1
N. trochlearis, N. frontalis und N. lacrimalis ziehen durch die obere Etage der Fissura orbitalis superior und verlaufen extrakonisch. Der N. oculomotorius, der N. nasociliaris und der N. abducens liegen in der mittleren Etage und verlaufen mit dem N. opticus und der A. ophthalmica intrakonisch.
Die sehnige Abgrenzung zweier Nervengruppen erklärt das unterschiedliche Erscheinungsbild bestimmter Syndrome (→ Orbitaspitzensyndrom, →Fissura-orbitalissuperior-Syndrom).
Darüber hinaus wird der Orbitainhalt durch septenartiges Bindegewebe, das von den Augenmuskeln zur Periorbita zieht, zusätzlich gekammert [48], [49], [50]. Im vorderen Teil der Orbita werden sowohl die bindegewebigen Verbindungen zwischen den Augenmuskeln (Membrana intermuscularis) als auch die Verbindungen zwischen den Augenmuskeln und der Periorbita dichter. Die stärksten
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M. rectus superior M. levator palpebrae
N. frontalis
M. obliquus superior A. ophthalmica
N. nasociliaris N. lacrimalis
V. ophthalmica M. rectus medialis
N. opticus mit Nn. u. Aa. ciliares
retrobulärer Fettkörper M. rectus lateralis
M. rectus inferior
Membrana intermuscularis N. oculomotorius (R. inferior zum M. obliquus inferior) Intrakonischer Raum mit dem intrakonischen Teil des retrobulären Fettkörpers
Extrakonischer Raum mit dem extrakonischen Teil des retrobulären Fettkörpers
Abb. 1.4 Orbita. Frontalschnitt durch den hinteren Teil der rechten Orbita.
15
Normales Binokularsehen
Trochlea N. infratrochlearis Lamina cribrosa A. u. N. ethmoidalis anterior A. supratrochlearis A. u. N. ethmoidalis posterior A. supraorbitalis N. nasociliaris N. frontalis N. trochlearis
R. medialis R. lateralis
N. supraorbitalis
N. supratrochlearis M. levator palpebrae superioris Glandula lacrimalis A. u. N. lacrimalis M. rectus superior N. abducens V. ophthalmica superior
A. ophthalmica
A. carotis interna Chiasma opticum
N. oculomotorius N. trochlearis
Abb. 1.5 Obere Etage der rechten Orbita nach Entfernung des Orbitadachs. In der Fissura orbitalis superior verläuft medial aus der Seitenwand des Sinus cavernosus kommend der N. trochlearis (N IV) und tritt mit 3–4 Zweigen von oben in den M. obliquus superior ein. Weiter lateral folgen die oberen Äste des N. ophthalmicus (N V1), der sich vor oder in der Fissura orbitalis superior in seine 3 Äste N. frontalis, N. lacrimalis und N. nasociliaris aufspaltet. Der letztgenannte zieht noch in der Fissura orbitalis superior nach unten in die mittlere Etage der Orbita (▶ Abb. 1.6). Der N. frontalis verläuft auf dem M. levator palpebrae nach vorn und versorgt sensibel Stirn, Oberlid und medialen Lidwinkel. Am weitesten lateral liegt der N. lacrimalis, der über den M. rectus lateralis hinweg zur Tränendrüse zieht, wo er eine Anastomose mit dem N. zygomaticus bildet und die Tränendrüse versorgt. Unter diesen Nerven und begleitenden Gefäßen liegen am weitesten medial der M. obliquus superior, etwa in der Mitte der M. levator palpebrae, den M. rectus superior größtenteils bedeckend, und am weitesten lateral der M. rectus lateralis und die Glandula lacrimalis (Tränendrüse). (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)
Faserzüge werden Haltebänder genannt. Dieses dreidimensionale, bindegewebige Netz in der Orbita bewirkt Augenbewegungsstörungen auch dann, wenn nicht die Augenmuskeln, sondern nur diese Septen in ihrer Beweglichkeit behindert sind. Letzteres kann durch Entzündungen, Hämatome, neoplastische Prozesse und Orbitafrakturen eintreten. Alle Bindegewebe, Augenmuskeln, Ner-
16
ven und Gefäße sind in den retrobulbären Fettkörper eingebettet, der sich sowohl intrakonisch als auch extrakonisch erstreckt (▶ Abb. 1.4, ▶ Abb. 1.8) und bei Augenbewegungen die Verlagerung von Augenmuskeln, Sehnerv, anderen Nerven und Gefäßen ermöglicht. Die vordere Begrenzung des retrobulbären Fettkörpers wird von
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N. opticus
1.1 Anatomie und Physiologie
1
M. levator palpebrae superioris
M. rectus medialis
M. rectus superior M. obliquus superior Glandula lacrimalis V. ophthalmica superior Bulbus oculi N. nasociliaris
A. u. N. lacrimalis
Nn. ciliares breves
M. rectus lateralis
N. trochlearis V. ophthalmica inferior
Aa. ciliares posteriores breves
N. abducens
N. opticus
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Ganglion ciliare
N. oculomotorius
Abb. 1.6 Mittlere Etage der rechten Orbita nach teilweiser Entfernung von M. levator palpebrae, M. rectus superior und N. ophthalmicus. Der N. nasociliaris (aus dem N. ophthalmicus) verläuft im Muskeltrichter zum inneren Lidwinkel und gibt Äste zum Ganglion ciliare und die Nn. ciliares longi ab, die mit dem N. opticus den Bulbus erreichen und sensibel versorgen. Der N. oculomotorius (N III) gelangt aus der Seitenwand des Sinus cavernosus in den Muskeltrichter und teilt sich in 2 Äste, von denen der obere zu M. rectus superior und M. levator palpebrae, der untere zwischen N. opticus und M. rectus inferior nach vorn verläuft und den M. rectus medialis, den M. rectus inferior und den M. obliquus inferior versorgt. Am weitesten lateral, dicht neben dem M. rectus lateralis auf dessen medialer Seite, liegt der N. abducens (N VI). (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)
N. ophtalmicus N. trigeminus N. maxillaris
N. frontalis
Stirn, Oberlid, medialer Lidwinkel
N. lacrimalis
Tränendrüse
N. nasociliaris
Auge
N. infraorbitalis u.a.
Unterlider, Wange, Oberkiefer
N. mandibularis
Kinn, Unterkiefer
Abb. 1.7 Sensible Versorgung des Gesichts (Versorgungsgebiet des N. trigeminus). Der intraorbitale Verlauf ist gelb markiert.
der Tenon-Kapsel und dem Septum orbitale (▶ Abb. 1.9) gebildet. Die vordere Begrenzung der Orbita bilden die Augenlider (▶ Abb. 1.9), denen jeweils eine bindegewebige, knorpelartige Platte, der Tarsus, die notwendige Festigkeit gibt. Der Tarsus hat eine Breite von etwa 25 mm, eine
Dicke von 1 mm, im Oberlid eine Höhe von 10 mm und im Unterlid von 5 mm. Zwischen Periorbita und Tarsus erstreckt sich hinter dem M. orbicularis oculi das bindegewebige Septum orbitale. Im Oberlid bildet die Sehne des M. levator palpebrae eine fächerartige Sehnenplatte, die Levatoraponeurose, die in das Septum orbitale und
17
Normales Binokularsehen
Sehne des M. obliquus superior
retrobulärer Fettkörper
M. rectus superior Tenon-Kapsel (Innenfläche) mit Ringband M. rectus lateralis M. obliquus inferior M. rectus inferior Tenon-Kapsel (Außenfläche) mit Ringband M. rectus medialis extrakapsuläre Membrana intermuscularis
Anulus tendineus communis
Spatium episclerale
knöchernes Orbitadach
Vagina bulbi (Tenon-Kapsel)
Periorbita
M. levator palpebrae superioris
Corpus adiposum orbitae
M. rectus superior
M. tarsalis Bulbus oculi
N. opticus mit Durascheide M. rectus inferior
Septum orbitale M. obliquus inferior
Sclera
N. infraorbitalis Orbitaboden
Sinus maxillaris
Abb. 1.9 Orbita. Sagittalschnitt durch die rechte Orbita von medial. (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)
die Tarsusaußenfläche einstrahlt. Hier ermöglicht ein Teil des Fettkörpers die Bewegungen der Aponeurose gegenüber der Periorbita. Septum orbitale, Tarsus und im Oberlid die Aponeurose des M. levator palpebrae bilden den bindegewebigen vorderen Abschluss der Orbita. Diese
18
Bindegewebsplatte ist jeweils mit dem inneren und äußeren Lidband (Lig. palpebrale mediale/laterale) am inneren und äußeren Orbitarand angeheftet. An der Unterseite des M. levator palpebrae entspringt der M. tarsalis (Müller-Lidmuskel) und zieht nach vorne
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Abb. 1.8 Bewegungs- und Aufhängungsapparat des rechten Auges von medial.
1.1 Anatomie und Physiologie
1.1.3 Anatomie des Bandapparats Der Augapfel ist in einem System von Bändern aufgehängt, das mit der Muskulatur eine funktionelle Einheit bildet. Dieser Bandapparat ist ein kompliziert verflochtenes Netzwerk elastischer und straffer Bindegewebsstrukturen, die sich an einigen Stellen abgrenzen und verdichten und dann Ligamentum (Band), Retinaculum (Halteband), Fascia (in der Regel die bindegewebige Faszienhülle eines oder mehrerer Muskeln) oder Membrana (Membran) genannt werden. Die Nomenklatur des okulären Bandapparats erscheint verwirrend, weil neben deskriptiv-anatomischen Termini (z. B. Retinaculum bulbi laterale) auch funktionell definierte verwendet werden (z. B. Ligament von Lockwood, an dessen Bildung mehrere Bänder beteiligt sind).
Tenon-Kapsel und Tenon-Pforten (Pulleys)
1
Die Sklera ist vom orbitalen Fettgewebe durch die TenonKapsel abgetrennt (▶ Abb. 1.8). Etwa 2 mm hinter dem Limbus beginnend, umhüllt diese Faszie den gesamten Bulbus bis zum N. opticus. Während diese Faszie im Limbusbereich und am Austritt des N. opticus fest mit der Sklera verwachsen ist, kann sie zwischen Limbus und Insertion der geraden Augenmuskeln leicht von der Sklera getrennt werden. Im Bereich der Muskelinsertionen werden die Fasern zwischen Faszie und Sklera noch spärlicher und lassen einen spaltförmigen Raum bis zum N. opticus entstehen. Während die (bulbusseitige) Innenfläche der Tenon-Kapsel glattwandig ist, strahlen von der (orbitaseitigen) Außenfläche Fasern in den retrobulbären Fettkörper des extrakapsulären Raumes ein. Alle den Bulbus erreichenden Nerven, Gefäße und Muskeln treten durch die Tenon-Kapsel hindurch. Während die Vortexvenen und insbesondere die Ziliargefäße durch die Tenon-Kapsel weitgehend fixiert werden, sind am Durchtritt der Augenmuskeln Tenon-Pforten ausgebildet, die den Muskeln in Zugrichtung eine ausreichende Beweglichkeit gestatten, sie gegen Querverschiebungen jedoch stabilisieren. Diese Tenon-Pforten werden auch als Pulleys bezeichnet [22], [61]. Der Begriff „Pulley“ entspricht in der Mechanik der Rolle (Umlenkschlaufe, Umlenkrolle) und deutet an, dass diese Tenon-Pforten die Verlaufsrichtung des Muskels stabilisieren. In der Tat haben Untersuchungen am Menschen [82] und an Affen [60] gezeigt, dass sich die Lage der geraden Augenmuskeln in der Orbita durch Blickbewegungen kaum ändert und lediglich der vordere Anteil der Sehne die Blickexkursionen des Bulbus begleitet [15], [16]. Auch nach einer Transpositionsoperation kommt es lediglich zur Verlagerung der vorderen Muskelanteile, während die Muskelbäuche weitgehend in ihrer Lage verbleiben [64], [76].
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zum Oberrand des Oberlid-Tarsus (▶ Abb. 1.9). Bei Kontraktion verkürzt er die Levatorsehne. M. levator palpebrae und M. tarsalis sind also „hintereinander geschaltet“. Der symphatisch innervierte M. tarsalis beeinflusst bei seiner dem vegetativen Nervensystem gehorchenden Kontraktion die unwillkürliche Lidspaltenweite, während der M. levator palpebrae, vom N. oculomotorius innerviert, die willkürliche Lidspaltenweite und die bei Blickbewegungen nötigen Lidbewegungen bewirkt. Im Unterlid ist nur ein sympathisch innervierter M. tarsalis vorhanden. Die größtenteils glatte Muskulatur des M. tarsalis kann das Oberlid um 2–3 mm höher, das Unterlid um 0,5–1 mm tiefer ziehen, während der kräftigere M. levator palpebrae das Oberlid um etwa 20 mm heben kann. Antagonist dieser lidöffnenden Muskulatur ist der M. orbicularis oculi, der vom N. facialis (N VI) innerviert wird. Durch seine Aufhängung am medialen und lateralen Lig. palpebrale zieht er sich nicht wie ein Ringmuskel konzentrisch zusammen, sondern bewirkt ohne Verkürzung der Lidspalte nur den Lidschluss.
Abb. 1.10 Horizontaler MRT-Schnitt durch die Orbitae einer gesunden Normalperson. Man erkennt den gebogenen Verlauf der geraden Augenmuskeln bei Rechtsblick (a) und Linksblick (b).
19
Normales Binokularsehen
Merke
H ●
Die Tenon-Pforten haben die Funktion von Umlenkschlaufen (Pulleys), die eine ausreichende Beweglichkeit des Muskels in Zugrichtung erlauben, aber den Muskelverlauf bei Blickexkursionen stabilisieren.
Im Bereich des Bulbusäquators ist die Tenon-Kapsel zu einem Ringband verdichtet, das den Bulbus gürtelartig umgibt (▶ Abb. 1.8). Die geraden Augenmuskeln treten etwa 10 mm hinter der Insertion durch die Tenon-Kapsel und werden sowohl vor als auch hinter dieser TenonPforte über mehrere Millimeter von der Tenon-Faszie umhüllt. Die Gesamtbewegung des Bulbus gegenüber der
Orbita wird auf mehrere Verschiebeflächen verteilt, so dass er sich zwar innerhalb der Kapsel, aber auch mit der Kapsel innerhalb des umgebenden Gewebes dreht.
Muskelscheiden und intrakapsuläre Fasern Im hinteren Orbitadrittel werden die Muskeln nur durch ein zartes Perimysium umhüllt, das sich vorne verdichtet und eine Muskelscheide (Fascia muscularis) bildet. Beginnend am Anulus tendineus communis verbinden Bindegewebsfasern benachbarte Augenmuskeln untereinander (▶ Abb. 1.3, ▶ Abb. 1.4, ▶ Abb. 1.8) und bilden die Membrana intermuscularis (Septum intermusculare), die bei Augenbewegungen den Abstand zwischen zwei Augenmuskeln stabilisiert. Die Muskelscheide des M. rectus superior ist an der (orbitaseitigen) Außenfläche mit der Faszie des M. levator palpebrae verschmolzen, so dass beide bei Lidhebung und Bulbuselevation zusammenwirken. Die Muskelscheide des M. obliquus superior geht im Bereich der Trochlea in eine „Sehnenscheide“ über. Als einziger aller Augenmuskeln ist der M. obliquus inferior über seine gesamte Länge von dichtem Bindegewebe umhüllt. Bindegewebige Verbindungen zwischen Augenmuskeln und Ringband verhindern die völlig freie Beweglichkeit der Muskeln gegenüber der Tenon-Kapsel. Auch intrakapsulär bilden wesentlich feinere bindegewebige Verbindungen eine Membrana intermuscularis. Unter funktionellen Gesichtspunkten lassen sich noch die Adminicula (adminiculum, lat. = Stütze, Aufhängung) von Merkel und Kallius [58] abgrenzen, die sich um die bulbäre Seite des Muskels herum zur Tenon-Kapsel schlingen. Sie sind mit Episklera und Muskeln nur locker verbunden, lassen sich leicht nach hinten schieben und treten deutlich hervor, wenn die Tenon-Kapsel vom Bulbus abgehoben wird.
Haltebänder Das Ringband wird über straffe Bindegewebsfasern, die Haltebänder (Retinacula bulbi), mit der Periorbita verbunden. Das etwa 10 mm breite und stärkste dieser Haltebänder, das Retinaculum laterale, setzt etwa 5 mm hinter dem lateralen Orbitarand an der Periorbita an und ver-
Abb. 1.11 Koronare MRT-Aufnahme kurz vor Eintritt des N. opticus in die Sklera bei derselben Person wie in ▶ Abb. 1.10a, b. Bei ausgedehnten Blickbewegungen nach unten (a) bzw. nach oben (c) verändert lediglich der N. opticus seine relative Lage in der Orbita im Vergleich zum Geradeausblick (b), während die Muskelbäuche die ausgedehnten Bulbusexkursionen nicht mitmachen. Gezeigt wird die Stabilität der Muskelverläufe bei Blickbewegungen.
20
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Diese Beobachtungen sowie die Entwicklung biomechanischer Modelle zur Simulation von Augenposition und Berechnung der Dosierung von Schieloperation [59], [62], [63], [72], [74], [86], [88] zeigen, dass die Funktion eines Muskels nicht nur durch seinen Ursprung, seine Insertion und seine Kontraktilität bzw. seinen Muskelquerschnitt charakterisiert ist. Vielmehr zieht jeder Augenmuskel durch die schlaufenähnliche Struktur der Tenon-Pforte, die sich etwa auf Höhe des Bulbusäquators befindet und mit der Orbitawand verbunden ist [61], [63]. Diese Schlaufen bestehen aus dichtem zirkulären Kollagen und enthalten reichlich Elastin sowie glatte Muskulatur [22]. Die glatte Muskulatur dieser Pulleys weist sowohl eine noradrenerge, sympathische als auch eine cholinerge, parasympathische Innervation auf, die ihren Ursprung im Ganglion cervicale superius bzw. im Ganglion pterygopalatinum hat [23], [25], [26]. Die Pulleys stabilisieren den Muskelverlauf bei Augenbewegungen und nach Augenmuskeloperationen mit der Folge, dass der Muskelverlauf von dem kürzesten Weg zwischen Ursprung und Insertion abweicht (▶ Abb. 1.10a, b, ▶ Abb. 1.11a–c). Neuere Studien haben ergeben, dass lediglich die bulbäre Schicht eines Augenmuskels direkt an der Sklera inseriert, während die orbitale Schicht nur bis zur Tenon-Pforte reicht [24], [25], [26]. Dies ist eine der anatomischen Voraussetzungen für die Hypothese der sog. aktiven Pulleys.
1.1 Anatomie und Physiologie
Ligament von Lockwood Die horizontalen Haltebänder mit dem Lig. palpebrale, der untere Teil des Ringbands, die Muskelscheiden und die Membrana intermuscularis der unteren Augenmuskeln werden unter funktionellen Gesichtspunkten zum Ligament von Lockwood zusammengefasst. Im Vergleich zur Kraft der Augenmuskeln ist das Augengewicht gering und würde ein derart kräftiges Bandsystem als Suspensorium (sog. Hängematte des Auges) nicht erfordern. Dem Ligament von Lockwood unter dem Bulbus entspricht ein analoges Fasersystem, das über dem Bulbus die mediale Orbitawand mit der lateralen verbindet (superior/inferior transverse fascial expansion von Fink [32], [33]).
Hemmbänder Die Haltebänder (Retinacula) bilden über die Tenon-Pforten eine durchgehende bindegewebige Verbindung zwischen Periorbita und Augenmuskeln. Sie werden bei Bulbusdrehungen gespannt, limitieren die Exkursionsfähigkeit des Bulbus und werden in dieser Funktion Hemmbänder genannt (▶ Abb. 1.12). Dieser Hemm-Mechanismus verhindert, dass bei zu großen Blickexkursionen Gefäße und Nerven durch Zerrung oder Abknickung geschädigt werden.
1
Abb. 1.12 Funktion der Hemmbänder.
1.1.4 Anatomie der Augenmuskeln Zusatzinfo Grundlagenliteratur
●V
Messungen von Augenmuskeln und -sehnen, Insertionsabständen und -formen wurden mehrfach durchgeführt. Die Untersuchungen von Volkmann (1869, 30 Augen) [97], Fuchs (1884, 55 Augen) [35] und Motais (1903) [65] gelten ebenso als klassisch wie die Messungen an Neugeborenen durch Schneller (1899) [75]. Ausgedehnte Messungen wurden durchgeführt an den vertikalen Augenmuskeln durch Fink (1951, 100 Augen) [32], [33] und an allen Augenmuskeln durch Lang et al. (1980, 59 Augen) [53], [54], [55], Mühlendyck (1978, 27 Augen) [66], Apt (1980, 100 Augen) [1] und Stärk (1986, 1219 Augen) [89]. Abweichungen der Messergebnisse verschiedener Autoren ergeben sich dadurch, dass einige Autoren an Leichenaugen, andere intraoperativ gemessen haben. Auch stellt der Limbus keine scharf begrenzte Linie dar.
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läuft direkt hinter dem Lig. palpebrale laterale. Der untere Teil zieht nach vorne zum M. obliquus inferior und ist Bestandteil des Ligaments von Lockwood. Das Retinaculum mediale ist vom Lig. palpebrale mediale kaum abgrenzbar und erreicht unmittelbar vor dem Tränensack den medialen Orbitarand. Das Retinaculum superius strahlt vom Ringband in das Orbitadach aus. Das Retinaculum inferius zieht vom unteren Teil der lateralen Orbitawand fast waagrecht zur Kreuzungsstelle der beiden unteren Augenmuskeln und erreicht das Ringband am Vorderrand des M. obliquus inferior. Das Retinaculum inferius bildet mit dem medialen Teil des M. obliquus inferior einen fibromuskulären Bogen zwischen der medialen und lateralen Orbitawand, der zusätzlich über das Ringband mit beiden horizontalen Haltebändern verbunden ist. Die Haltebänder und das Ringband sind der Halteapparat des Augapfels, der innerhalb der Orbita so eingespannt ist, dass eine nahezu kardanische Aufhängung (s. (S. 26)) resultiert. Die Zugrichtungen der einzelnen Augenmuskeln bewirken unterschiedliche Belastungen der Haltebänder. Alle 4 geraden Augenmuskeln üben einen zur Orbitaspitze gerichteten Zug aus, dem nur die 2 schrägen Augenmuskeln einen teilweise nach vorne gerichteten Zug entgegensetzen. Alle 6 Augenmuskeln, insbesondere die schrägen, ziehen den Bulbus medialwärts. Resultat ist eine nach hinten und nasal gerichtete Kraft. Dementsprechend ist das gesamte Haltesystem im lateral-vorderen Orbitabereich sehr kräftig ausgebildet.
Im mittleren Drittel haben alle Augenmuskeln eine durchschnittliche Breite von 6–9 mm und eine Dicke von etwa 3 mm. Die Länge der geraden Augenmuskeln (ohne Sehne) beträgt etwa 37 mm, die der schrägen reicht von 30–35 mm. Wegen der unterschiedlichen Sehnenlängen der geraden Augenmuskeln liegt die Gesamtlänge (mit Sehne) zwischen 40 mm (M. rectus medialis) und 45 mm (M. rectus lateralis). Die 30 mm lange Sehne des M. obliquus superior ergibt mit der Muskellänge eine Gesamtlänge von fast 60 mm, während die Gesamtlänge des M. obliquus inferior wegen der kurzen Sehne (0–2 mm) nur 35 mm beträgt (s. ▶ Tab. 1.1).
21
Normales Binokularsehen
Zusatzinfo Kompartimentierung von Augenmuskeln
●V
Neue Arbeiten [28], [29], [78], [79] zeigen eine Kompartimentierung von Augenmuskeln, die sich bei bestimmten Augenbewegungen unabhängig voneinander kontrahieren sollen. Dieses Konzept erinnert an anatomische Studien, in denen für den M. rectus lateralis eine Aufteilung des N. abducens in einen oberen und einen unteren Ast nachgewiesen wurde [68]. Mittels Kernspintomografie wurde gezeigt, dass in einigen Fällen von Abduzensparese ausschließlich das obere Muskelsegment des M. rectus lateralis von der Muskelatrophie betroffen ist [17]. Die klinische Erfahrung zeigt aber, dass bei Abduzensparesen nur selten wesentliche Höhenabweichungen gemessen werden, die allerdings auch dadurch erklärbar sind, dass die resultierenden Kräfte der vertikalen Augenmuskeln sich außerhalb der Primärposition nicht mehr aufheben. Ähnliche Befunde werden für den M. obliquus superior beschrieben, bei dem separate Teiläste des N. trochlearis verschiedene Muskelsegmente innervieren sollen [56]. Bei einer Parese des M. obliquus superior sind kernspintomografisch auch Atrophien entweder des gesamten Muskelquerschnitts oder aber von Teilen des Querschnitts beschrieben worden [90]. Eine Korrelation mit klinischen Parametern, wonach eine Atrophie des medialen, vorderen Muskelsegments mit mehr Verrollungsabweichung, eine Atrophie des hinteren lateralen Muskelsegments mit mehr Vertikalabweichung einhergehen müsste, ist noch nicht gelungen. Dass hintere Tenotomien an den schrägen Augenmuskeln vornehmlich Einfluss auf die Höhenabweichung haben, vordere Tenotomien eher die Verrollungsabweichung bewirken, ist allerdings schon sehr lange bekannt.
22
Zusatzinfo Muskelfasertypen
●V
Augenmuskeln bestehen aus unterschiedlichen Fasertypen. Man unterscheidet Muskelfasern vom Fibrillenstrukturtyp (A-Fasern, dicke Muskelfasern), die große Endplatten (en plaque) dicker Nerven (> 7 µ) aufweisen und einfach innerviert sind. Sie werden bei schnellen, phasischen Augenbewegungen aktiviert und deshalb auch „fast-fibers“ genannt. Demgegenüber sind Fasern vom Felderstrukturtyp dünn (< 7 µ), multipel innerviert (en grappe) und leisten tonische Bewegungs- und Haltearbeit („slow-fibers“). Büttner-Ennever konnte nachweisen, dass die unterschiedlichen Fasertypen in einem Augenmuskelkerngebiert gruppiert sind und eine eigene supranukleäre Ansteuerung haben. Dies unterstreicht, dass unterschiedliche Fasertypen unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen haben (8, 9, 10, 11, 12, 13).
Spezielle Anatomie der einzelnen Augenmuskeln Alle geraden Augenmuskeln ziehen vom Anulus tendineus communis nach vorn zum Bulbus und durchziehen etwa 10 mm hinter der Insertion die Tenon-Pforte. Sie inserieren in einer zum Limbus hin konvexen Linie, so dass die Mitte der Insertion den geringsten Limbusabstand aufweist (▶ Abb. 1.13, ▶ Abb. 1.14a, b). Der M. rectus superior zieht unter dem M. levator palpebrae nach vorn lateral und ist an seiner Unterseite der A. und V. ophthalmica und dem N. nasociliaris benachbart. An seiner lateralen Kante liegen N. lacrimalis und A. lacrimalis. Intrakapsulär verläuft er auf der Sehne des M. obliquus superior. Der M. rectus inferior ist an seiner bulbuszugewandten Seite dem unteren Ast des N. oculomotorius, an seiner Unterseite dem Canalis infraorbitalis mit den gleichnamigen Nerven und Gefäßen benachbart. Die Insertionen der geraden Vertikalmotoren sind insgesamt nach lateral verschoben, so dass etwa zwei Drittel lateral des vertikalen Meridians liegen (▶ Abb. 1.15). Der M. rectus medialis entspringt unmittelbar neben dem N. opticus, ist an der Oberkante dem M. obliquus superior und der A. ophthalmica benachbart und zieht nahe der Orbitawand nach vorn. Er ist der kräftigste Augenmuskel. Der M. rectus lateralis zieht nach vorn-lateral, ist hinten eng der Periorbita benachbart und vorne durch die Tränendrüse von ihr getrennt. Er wird oben von der A. lacrimalis und dem N. lacrimalis begleitet und liegt intrakapsulär der Insertion des M. obliquus inferior auf. Der M. obliquus superior entspringt oben medial am Anulus tendineus communis, zieht in fast sagittaler Richtung nach vorn, orbitaseitig vom N. trochlearis und unten von der A. ophthalmica begleitet. Er geht hinter der Trochlea in eine runde Sehne über, die in der Trochlea ihre Verlaufsrichtung ändert, von dort nach hinten und
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Der Abstand der Augenmuskeln von der Orbita variiert je nach Muskel und Ort innerhalb der Orbita und beträgt stellenweise nur 1–2 mm. Die embryonale Entwicklung der Augenmuskeln ist an eine normale Entwicklung der Orbita gebunden, während die Ausbildung des Bandapparats davon unabhängig ist. Fehlbildungen der Orbita können also mit Dysplasien der Augenmuskeln einhergehen ohne entsprechende Missbildungen des Bandapparats. Auch eine Muskelscheide kann bei Augenmuskelaplasie vorhanden sein [47].
1.1 Anatomie und Physiologie
10,1
Abb. 1.13 Insertionen der geraden Augenmuskeln (alle Angaben in mm). Sehnenlängen (im Kreis markiert), Insertionsbreiten und Distanz zwischen Insertionen und Limbus (Mittelwerte zwischen rechten und linken Augen nach [53]). Die Limbusabstände bei Neugeborenen betragen für den M. rectus medialis 3,9, für den M. rectus lateralis 4,8, für den M. rectus superior 5,0 und für den M. rectus inferior 5,2 ([75]).
4,4
7,7 9,8 8
7,6 7,9
7,4
7,1 7 ,
8,6 6
1
7,4 5,7 9,4
10,2 8,4 4
7,5
3,5 7,1
9,1
7,0
6,8
7,3
8,3
4,7
M. obliquus inferior
Trochlea M. obliquus superior M. rectus inferior M. rectus medialis Anulus tendineus communis N. opticus a
Sehne des M. obliquus superior
M. rectus superior
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8,6
M. obliquus superior
M. rectus superior
M. rectus lateralis M. rectus lateralis
M. levator palpebrae superioris
M. rectus inferior M. obliquus inferior
M. rectus medialis
b
Abb. 1.14 Lage der Augenmuskeln, rechtes Auge. (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018) a Ansicht von kranial. b Ansicht von vorne.
23
Normales Binokularsehen
Trochlea 2–3 mm
21
10 mm
14 4
M. rectuss superior
4
M. obliquus uu us superior
8 mm M. rectus superior
10 mm m
11 11 Vv. vorticosae cosae
sat
z
7 An
N. opticus Äquator M. rectus superior M. obliquus superior
30 mm
V. vorticosa 14
16
Muskellänge 30 mm Sehnenlänge 30 mm
M. rectus lateralis 18
10
10 2 M. obliquus inferior
Äqu Äquator
M. obliquus superior or Vv. vorticosae N. opticus Fovea
2
7
Ursprung
Abb. 1.16 M. obliquus superior. Räumliche Zuordnung von Muskel und Sehne zu Trochlea und M. rectus superior. Längenangaben nach Lang et al. ([53], [54], [55]).
2 4 8
Vv. vorticosae M. obliquus inferior rior Abb. 1.15 Insertionen der Augenmuskeln. Etwas größere Distanzen zwischen Insertion und Limbus ergeben sich aus den Untersuchungen von Lang et al. (Datenquelle: [53]).
dem Ringband der Tenon-Kapsel verbunden, so dass eine Myotomie/Tenotomie am M. obliquus inferior keinen völligen Funktionsausfall bewirkt. Diese Kreuzungsstelle beider Muskeln gilt als Pulley des M. obliquus inferior [27]. Der Muskel inseriert hinter dem Äquator auf Höhe des horizontalen Meridians und erreicht fast das Makulagebiet (▶ Abb. 1.15) (▶ Tab. 1.1, ▶ Tab. 1.2).
Innervation der Augenmuskeln lateral zieht (▶ Abb. 1.16) und sich erst intrakapsulär auffächert. Die Sehne inseriert bulbusseitig des M. rectus superior in einer konvexen Linie größtenteils hinter dem Äquator, der äußeren oberen Vortexvene (▶ Abb. 1.17) eng benachbart. Die Trochlea ist ein etwa 3 mm starker Knorpelring, der durch feste Bindegewebe am Stirnbein verankert ist. Der M. obliquus inferior entspringt als einziger Augenmuskel nicht in der Orbitaspitze, sondern von der Orbita unmittelbar seitlich des Tränennasengangs. In Ursprungsnähe dem Orbitaboden eng anliegend zieht der Muskel nach hinten-lateral. Im Bereich der Unterkreuzung des M. rectus inferior sind beide Muskeln untereinander und mit
24
Die Innervation der Augenmuskeln (▶ Abb. 1.3, ▶ Abb. 1.4, ▶ Abb. 1.5, ▶ Abb. 1.6) erfolgt bei allen geraden Augenmuskeln und beim M. levator palpebrae intrakapsulär am Übergang vom hinteren zum mittleren Drittel in einem Bereich, der bei Augenmuskeloperationen üblicherweise nicht freigelegt wird. Der N. trochlearis innerviert demgegenüber den M. obliquus superior im hinteren und mittleren Muskeldrittel auf der orbitaseitigen Oberfläche und ist deshalb durch retrobulbäre Injektion schwer erreichbar. Besonderheiten bietet auch der M. obliquus inferior: Der lange untere Ast des N. oculomotorius begleitet den lateralen Rand des M. rectus inferior nach vorn und dringt meist in die bulbuszugewandte Seite des Muskels ein [54], [55]. Die Nervenendigungen reichen bis
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V. vorticosa
1.1 Anatomie und Physiologie
M. rectus superior
Abb. 1.17 Insertionen des M. rectus superior und des M. obliquus superior mit den beiden oberen Vortexvenen.
1
Sehne des M. obliquus superior
Äquator
M. rectus superior
Muskel
Muskellänge
M. obliquus superior
30 mm
M. obliquus inferior
35–38 mm
Sehnenlänge 30 mm, davon 10 mm zwischen Muskel und Trochlea ● 2 mm innerhalb der Trochlea ● 18 mm zwischen Trochlea und Insertion ●
0–2 mm
Tab. 1.2 Sehnenmaß, Bogenmaß: Zwischen Sehnenmaß und Bogenmaß ergeben sich bei einem Augendurchmesser von 24,0 mm die folgenden Abweichungen. In dem vorliegenden Buch sind alle Längen im Bogenmaß angegeben. Bogenmaß
5 mm
10 mm
15 mm
20 mm
Sehnenmaß
4,96
9,71
14,04
17,76
Sehnenmaß
5 mm
10 mm
15 mm
20 mm
Bogenmaß
5,04
10,31
16,20
23,64
auf 10 mm an die Insertion heran, so dass sie bei Resektion oder Faltung gefährdet sind. In einigen Fällen zieht der Nerv durch den M. rectus inferior und kann bei retroäquatorialer Myopexie am M. rectus inferior lädiert werden.
Blutversorgung der Augenmuskeln Die Blutversorgung der Augenmuskeln erfolgt aus Ästen der A. ophthalmica (▶ Abb. 1.18a, b), entweder unmittelbar über Muskeläste dieser Arterie oder wie beim M. rectus lateralis mittelbar über die A. lacrimalis. M. rectus inferior und M. obliquus inferior werden zusätzlich über Äste der A. infraorbitalis versorgt, die durch die Fissura orbitalis inferior in die Orbita gelangt. Diese Arterien erreichen die Augenmuskeln im mittleren Drittel. Die vorderen Ziliararterien (Aa. ciliares anteriores) sind Unteräste dieser Muskelarterien, ziehen auf der Außenfläche der geraden Augenmuskeln nach vorne und dringen an der Insertion in die Sklera ein. In der Regel sind an den Mm. rectus superior, medialis und inferior je zwei dieser Arterien vorhanden und am M. rectus lateralis eine, wobei Anzahl und Anordnung oft variieren. Die schrägen Augenmuskeln sind bis zur Sehne vaskularisiert, ohne dass Gefäße den Bulbus erreichen.
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Tab. 1.1 Maße der schrägen Augenmuskeln (Datenquelle: [62], [63], [64], [65], [66], [67]).
Anomalien der Augenmuskeln An den geraden Augenmuskeln treten Anomalien nur selten auf (Aplasie, aberrierende retroäquatoriale Insertion, gemeinsame Insertion mit anderen Augenmuskeln oder doppelter Muskelbauch). Noch seltener ist ein zusätzlicher Muskel, der dem M. retractor bulbi anderer Säugetiere entspricht und von der Orbitaspitze intrakonisch zum hinteren Bulbuspol zieht und vom N. abducens innerviert wird. Der M. obliquus superior zeigt unter allen Augenmuskeln die häufigsten Anomalien (Muskel- oder Sehnenaplasien, verdünnte Sehne, die nicht am Bulbus, sondern
25
Normales Binokularsehen A. dorsalis nasi
A. supratrochlearis
A. supraorbitalis
A. palpebralis medialis
A. ciliaris posteriores longae
Aa. ciliares posteriores breves A. ethmoidalis anterior
A. lacrimalis
A. centralis retinae A. ethmoidalis posterior
V. supra- V. dorsalis nasi trochlearis V. ophthalmica V. angularis superior V. lacrimalis Sinus cavernosus
N. opticus A. carotis interna
A. ophthalmica
A. meningea media
R. anastomoticus
b
V. ophthalmica
V. ophthalmica inferior
V. facialis
Abb. 1.18 Gefäßversorgung der Orbita. Die A. ophthalmica (Ast der A. carotis interna) tritt mit dem N. opticus durch den Canalis opticus in die Orbita ein, gibt die A. centralis retinae und die Aa. ciliares für die Versorgung des Auges ab und versorgt mit der A. lacrimalis die Tränendrüse und mit Nebenästen den gesamten Orbitainhalt. Zum Gefäßgebiet der A. carotis externa bestehen kleinere Anastomosen, die bei Verschlüssen der A. carotis interna oder der A. ophthalmica die Blutversorgung des Orbitainhalts aufrechterhalten können. Der venöse Abfluss aus der Orbita ist variantenreicher und erfolgt meist über die V. ophthalmica, die über die Fissura orbitalis superior in den Sinus cavernosus mündet. Die Verbindungen zu den Venen des Gesichts können Keimverschleppung verursachen. (Der M. rectus lateralis ist durchtrennt, so dass die Insertion des M. obliquus inferior freiliegt.) (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018) a Äste der A. ophthalmica b Venen der Orbita
in der Tenon-Kapsel oder am medialen Rand des M. rectus superior inseriert). Anomalien gelten als eine Ursache des Strabismus sursoadductorius (siehe Kap. 2.3). Beschrieben werden alle Übergänge zwischen normaler Insertion und völliger Aplasie [41]. Beim M. obliquus inferior werden Anomalien (Aplasie, Bifurkation) selten beschrieben. Variationen des Ursprungsorts haben geringe funktionelle Bedeutung. Häufige Variationen der Insertion können aber funktionell bedeutsam werden. Neben den Anomalien der genannten Muskeln werden vereinzelt auch akzessorische Augenmuskeln bzw. Bänder mit augenmuskelähnlichem Gewebe beobachtet, die in seltenen Fällen zu einem atypischen Strabismus führen können [57], [93]. In einer neueren kernspintomografischen Arbeit wurden überzählige Augenmuskelstrukturen in 0,8 % der Fälle bei Nichtschielenden und in 2,4 % der Fälle bei Schielenden gefunden [46].
26
1.1.5 Physiologie der Augenbewegungen Allgemeine Bewegungsmechanik Der Augapfel ist ein nahezu kugelförmiger Körper, der sich innerhalb bestimmter Grenzen um beliebig viele Achsen drehen kann, aber seinen Ort innerhalb der Augenhöhle nicht verändert. Die jeweilige Drehachse ist nicht (wie bei einem Rad) vorgegeben, sondern nur abhängig von Angriffspunkt und Richtung einer Kraft. Alle möglichen Drehachsen schneiden sich in einem Punkt, der sich innerhalb der Orbita nur im Bereich von 1/10 mm verändert. Dieser Kreuzungspunkt aller Drehachsen ist der Drehpunkt des Auges (zum Begriff des „interaxialen Raumes“ siehe [44]). Er liegt beim emmetropen Auge durchschnittlich 13,5 mm hinter dem Hornhautscheitel, etwa auf der Sehachse. Erhebliche Ortsänderungen des Drehpunkts (um mehrere mm) treten nur unter pathologischen Bedingungen auf, z. B. Augenmuskelparalyse, Koinnervationssyndrom, Orbitafraktur.
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a
1.1 Anatomie und Physiologie
Merke
H ●
Bei normalen Augenbewegungen ist die Kontraktion eines Augenmuskels von einer entsprechenden Dehnung seines Antagonisten begleitet, die bei einigen Augenmuskelstörungen aber fehlen kann (z. B. Koinnervationssyndrom, Orbitafraktur).
Darüber hinaus werden die Begriffe synergistisch bzw. antagonistisch auch dann verwendet, wenn Teilfunktionen von Muskeln übereinstimmen bzw. einander entgegenwirken. Alle Kräfte greifen ausschließlich am Umfang des Bulbus an, ihre Übertragung auf den Bulbus lässt sich mit dem mechanischen Prinzip des Hebels oder der Rolle vergleichen (▶ Abb. 1.20a–c). Die Drehwirkung wird vom Drehmoment bestimmt, dem Produkt aus Kraft und Hebelarm. Hauptkomponenten der Kraft: ● aktive (kontraktile) Muskelkraft ● elastische Muskelkraft ● elastische Kräfte anderer Gewebe Wenn ein Augenmuskel sich kontrahiert, wird dadurch der Augapfel in eine bestimmte Richtung gedreht. Gleichzeitig werden andere Augenmuskeln gedehnt und setzen dieser Dehnung elastische Spannung entgegen. In Zugrichtung steigt die kontraktile und in Gegenrichtung die elastische Spannung, die den Bulbus in seine Ausgangslage zurückziehen will. Kontraktile Kraft und elastische Kraft der Augenmuskeln werden nach dem Prinzip der Rolle wirksam. Bei den häufigsten Augenbewegungen wirkt die Kraft der Augenmuskeln tangential auf den Augapfel und der wirksame Hebelarm (Radius des Augapfels) bleibt unverändert. Der Punkt, an dem der Augenmuskel den Augapfel tangential verlässt, wird Tangentialpunkt
1 Insertion Drehpunkt Tangentialpunkt
r
Ursprung Abb. 1.19 Muskelebene, Tangentialpunkt und Abrollstrecke. Die Muskelebene ist definiert durch Ursprung, Ansatz und Drehpunkt und liegt in der Zeichenebene. Abrollstrecke ist der Teil des Umfangs zwischen Insertion und Tangentialpunkt. Kontraktionskräfte und elastische Kräfte des Augenmuskels werden am Tangentialpunkt über den Hebelarm r wirksam.
genannt. Der Teil des Augenumfangs, dem der Muskel zwischen Insertion und Tangentialpunkt aufliegt, ist die Abrollstrecke dieses Muskels (▶ Abb. 1.19). Diese Definitionen von „Punkten“ entsprechen nicht der Wirklichkeit. Tatsächlich hat ein Augenmuskel bestimmter Breite eine Ursprungs- und Insertionsleiste, eine gebogene Tangentiallinie und eine Abrollfläche. Bei einer Bulbusdrehung wird auch das passive orbitale Gewebe (Bindehaut, Bandapparat, Nerven und Gefäße) gedehnt oder gestaucht. Die bei Augenbewegungen angespannte elastische Bindehaut liegt dem Augenumfang auf und wirkt durch tangentialen Zug der Drehung entgegen (▶ Abb. 1.21). Die Hemmbänder funktionieren aber nicht tangential. Ihr wirksamer Hebelarm ist normalerweise sehr kurz und wächst bei Augenbewegungen erheblich an. Dadurch sind kleine Augenbewegungen leicht möglich, während große Bewegungen gebremst werden. Wenn das Auge sich nicht bewegt, besteht Gleichgewicht der am Auge angreifenden Drehmomente. Bulbusruhe bedeutet nicht, dass am Bulbus keine Kraft angreift, sondern, dass jedes Drehmoment ebenso groß ist wie das Drehmoment in der Gegenrichtung. Dieses Gleichgewicht ist stabil (▶ Abb. 1.22), solange die Drehmomente unverändert bleiben. Sobald ein Hebel oder eine Kraft geändert wird, wird das Auge bewegt, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Die Kraft eines Muskels ist vor allem abhängig von seinem Querschnitt bzw. von der Menge seiner Muskelfasern. Ein dicker Muskel ist kräftiger als ein dünner. Der Muskel entwickelt Kraft durch aktive Kontraktion seiner Fasern. Er verfügt aber auch über elastische Eigenschaften. Wenn ein Muskel gedehnt wird, steigt die Spannung
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Die Zugrichtung einer Muskelkraft wird bestimmt durch Ursprung und Ansatz dieses Muskels. Die Muskelebene ist durch Ursprung, Ansatz und Drehpunkt definiert (▶ Abb. 1.19). Der wirksame Hebelarm liegt in dieser Muskelebene. Die Drehachse eines Muskels ist die Lotrechte im Drehpunkt auf die Muskelebene. Wenn mehrere Augenmuskeln sich gleichzeitig kontrahieren, ergibt sich ebenfalls nur eine Drehung um eine Drehachse, deren Lage von den Muskelursprüngen und -ansätzen und von der Kraft der beteiligten Augenmuskeln abhängt. Tatsächlich sind fast alle Augenbewegungen Folge einer Kontraktion mehrerer Augenmuskeln. Entsprechend kompliziert ist die mathematische Beschreibung der resultierenden Drehung. Jeweils 2 Augenmuskeln eines Auges weisen eine ähnliche Muskelebene auf und unterscheiden sich bei ähnlicher Drehachse nur durch die Drehrichtung. Muskeln mit gleicher Drehachse, aber unterschiedlicher Drehrichtung werden Antagonisten genannt.
27
Normales Binokularsehen
½r
r
Tangentialpunkt
r
α
½r
A
A
A A
A A A
A b
c
Abb. 1.20 Hebel und Rolle. a An einem Hebel ist das Drehmoment = Kraft × Hebelarm. Das Drehmoment hat also in der waagrechten Hebelstellung den Betrag D = A × r. In dieser Formulierung des Hebelgesetzes wird unterstellt, dass die Kraft senkrecht auf den Hebelarm einwirkt. Ist das nicht der Fall, so gilt als effektiver Hebelarm die Lotrechte vom Drehpunkt auf die Wirkungsrichtung. In der geneigten Hebelstellung ist also D = A × ½ r. Das Drehmoment ist kleiner als in der Ausgangsstellung, obwohl die Kraft (angehängtes Gewicht A) gleich ist. Wenn eine Kraft über einen Hebel wirkt, so wird durch die Bewegung der Hebelarm verändert. b Die Rolle ist insofern ein Sonderfall, als während der Bewegung der Hebelarm unverändert bleibt, solange das Seil von der Rolle abrollt. Dreht sich die Rolle um einen kleineren Winkel als den Winkel α, so ist der effektive Hebelarm immer gleich dem Radius der Rolle, die Kraft A wird immer wirksam am Tangentialpunkt, an dem das Seil den Umfang tangential verlässt (D = A × r). c Rollt ein Seil aber nicht mehr tangential ab, so wird der wirksame Hebelarm kürzer. In der abgebildeten Stellung beträgt der effektive Hebelarm ½ r. Die Rolle ist im Gleichgewicht, weil die wirksamen Drehmomente gleich sind: 2 A × ½ r = A × r.
Hebelarm = r
Hebelarm =r r
Hemmband Hebelarm = a1
r Bindehaut D
D a1
a2 Hebelarm = a2
wie bei einer Feder, bis die Grenze der Reißfestigkeit erreicht ist (Spannungs-Dehnungs-Kurve) [84]. Der Muskel entwickelt also eine umso größere elastische Kraft, je mehr er gedehnt wird. Die Relation zwischen Länge und Spannung bei passiver Dehnung nennt man Ruhedehnungskurve. Kontraktile und elastische Kraft bilden die Gesamtkraft des Muskels. Die Augenstellung, in der die maximale Kraft des Agonisten die Spannung des gedehnten Antagonisten und die Anspannung der übrigen
28
Abb. 1.21 Wirksamer Hebelarm elastischer Gewebe. Bei Augenbewegungen bleibt der wirksame Hebelarm unverändert, wenn elastische Strukturen gedehnt werden, die dem Augenumfang aufliegen (Bindehaut, Muskeln). Der wirksame Hebelarm ändert sich aber erheblich, wenn vor der Augenbewegung die elastischen Gewebe radiär (oder in einem kleinen Winkel zum Radius) auf den Augapfel auftreffen (Hemmbänder).
Gewebe nicht mehr übersteigt, definiert die Grenze der Exkursionsfähigkeit. In Primärstellung des Auges stehen die Sehnen aller Augenmuskeln bereits unter einer Vorspannung von 5–10 p [77], [81], [85]. Diese Spannung setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: ● Jeder gedehnte Augenmuskel ist bestrebt, sich wie eine Feder zu verkürzen, auch wenn er nicht innerviert ist (Ruhedehnungskurve).
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a
A
1.1 Anatomie und Physiologie
Abb. 1.22 Stabiles und labiles Gleichgewicht.
D1 D2
●
●
labiles Gleichgewicht
Drehmoment1 = Drehmoment2
stabiles Gleichgewicht
Eine geringe Innervation erreicht den Augenmuskel auch in Ruhestellung. (Bei einer Augenmuskellähmung fehlt diese kontraktile Kraft, so dass schon im mittleren Blickfeld ein Schielwinkel entsteht.) Das passive orbitale Gewebe ist elastisch und schon in Primärstellung vorgespannt.
Z
X
In jeder Augenstellung außerhalb der Primärstellung sind alle elastischen Strukturen (Muskeln und passives orbitales Gewebe) zusätzlich gedehnt. Diese Gesamtspannung steigt mit der Exzentrizität der Augenposition.
Grundlagenbegriffe und „Gesetze“ der Augenbewegung Unter allen möglichen Drehachsen der Augenbewegung hat Fick [30], [31] drei besonders hervorgehoben: Die ZAchse verläuft senkrecht, die X-Achse waagrecht, beide liegen frontoparallel in der Ebene von Listing (▶ Abb. 1.23). Die Y-Achse bildet im Drehpunkt die Lotrechte auf diese Ebene. Auf der Definition dieser drei Achsen fußt die Terminologie der Augenbewegungen.
Definition
● L
Duktionen sind Bewegungen des einzelnen Auges. Versionen sind konjugierte Bewegungen beider Augen. Vergenzen sind disjugierte Bewegungen beider Augen.
Duktionen sind Drehbewegungen des einzelnen Auges. Horizontalduktionen erfolgen um die Z-Achse: Bei einer Adduktion wird die Hornhaut zur Nase hin, bei einer Abduktion von der Nase weg gedreht. Vertikalduktionen erfolgen um die X-Achse, als Supraduktion (Elevation), wenn die Hornhaut nach oben, als Infraduktion (Depression), wenn sie nach unten gedreht wird. Eine Drehung um die Y-Achse bezeichnet man als Zykloduktion oder Rollung (▶ Abb. 1.23). Bei einer Inzykloduktion wird der obere Umfang der Hornhaut zu der Nase hin, bei einer Exzykloduktion von der Nase weg gedreht. Versionen sind konjugierte Drehbewegungen beider Augen, also Drehungen beider Augen um parallele (oder identische) Achsen bei gleicher Drehrichtung. Die Blickwendung nach rechts wird Dextroversion genannt und besteht aus der Adduktion des linken und der Abduktion des rechten Auges. Die Lävoversion ist die Blickwendung
Y
Listing-Ebene
Abb. 1.23 Ebene von Listing mit X-, Y- und Z-Achse und schematische Darstellung der Bulbusaufhängung innerhalb des Ringbands und der horizontalen Haltebänder.
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stabiles Gleichgewicht
1
nach links. Die Blickwendung nach oben, eine Supraduktion beider Augen, wird als Supraversion bezeichnet und die Blickwendung nach unten als Infraversion. Die konjugierte Zykloduktion beider Augen nennt man Dextrozykloversion, wenn der obere Umfang beider Hornhäute nach rechts gedreht wird, und die entgegengesetzte Zykloduktion beider Augen heißt Lävozykloversion. Letztere besteht also in einer Exzykloduktion des linken und einer Inzykloduktion des rechten Auges. Vergenzen sind disjugierte Drehbewegungen beider Augen, also Drehungen um parallele (oder identische) Achsen bei entgegengesetzter Drehrichtung. Die Konvergenz ist eine Augenbewegung aus der Parallelstellung heraus mit der Folge, dass sich die Sehachsen vor den Augen schneiden. Sie besteht aus ein- oder beidseitiger Adduktion. Der Begriff der Konvergenz wird auch benutzt, wenn bei einer Exophorie oder Exotropie die Blickrichtungen dem Parallelstand angenähert werden oder wenn bei Strabismus convergens der Schielwinkel noch zunimmt. Divergenz ist eine Augenbewegung aus der Parallelstellung heraus mit der Folge, dass sich die Sehachsen hinter den Augen schneiden. Sie besteht aus ein- oder beidseitiger Abduktion. In Analogie zum Begriff der Konvergenz benutzt man den Begriff der Divergenz auch dann, wenn bei einer Esophorie, Esotropie oder nach erfolgter Kon-
29
Normales Binokularsehen
Merke
H ●
Die Primärstellung wird eingenommen, wenn bei gerader Kopf- und Körperhaltung der Blick geradeaus gerichtet ist.1
Aus der Primärstellung heraus kann das Auge eine reine Horizontalduktion durchführen oder eine reine Vertikalduktion. Diese Augenbewegungen nennt man Kardinalbewegungen. Nach einer Kardinalbewegung nimmt das Auge eine Sekundärstellung ein. Bei Betrachtung von vorn (▶ Abb. 1.24) werden der senkrechte und der waagrechte Hornhautmeridian unverändert senkrecht bzw. waagrecht erscheinen, d. h. senkrechte und waagrechte Objekte im Sehraum werden auf den Meridianen der Re-
1
Diese klinisch ausreichende Definition der Primärstellung genügt strengen kinematischen Kriterien nicht. Von Graefe [36] definiert die Primärstellung als die einzige Augenstellung, aus der heraus horizontale und vertikale Duktionen ohne Tertiärneigung möglich sind. Ähnliche Definitionen stammen von Hofmann [44] und von Tschermak-Seysenegg [91].
Abb. 1.24 Primärstellung und Sekundärstellungen. Die Dreiecke geben die Lage des vertikalen Hornhautmeridians an.
Z
X
30
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vergenz die Blicklinien wieder dem Parallelstand angenähert werden oder bei einem Strabismus divergens der Schielwinkel zunimmt. Weicht aus der Parallelstellung die Blicklinie eines Auges nach oben oder unten ab, entsteht (bei Beobachtung von lateral) ebenfalls eine Divergenz der Blicklinien. Diese Vertikaldivergenz wird positiv genannt, wenn die Blicklinie des rechten Auges (im Vergleich zur Blicklinie des linken Auges) nach oben abweicht, und negativ im entgegengesetzten Fall. So entsteht eine positive Vertikaldivergenz aus einer Supraduktion des rechten und/oder einer Infraduktion des linken Auges. Zyklovergenz besteht als Inzyklovergenz aus einoder beidseitiger Inzykloduktion, als Exzyklovergenz aus ein- oder beidseitiger Exzykloduktion. Versionen und Vergenzen finden selten isoliert statt. So kann Konvergenz auch dann entstehen, wenn ein Auge abduziert, das andere aber stärker adduziert, z. B. wenn der Blick aus der Primärstellung heraus auf ein Objekt im seitlichen Nahbereich gerichtet wird (▶ Abb. 1.26).
1.1 Anatomie und Physiologie
H ●
Merke
In den Sekundärstellungen stimmt die objektive Senkrechte mit dem vertikalen Netzhautmeridian überein.
Eine Tertiärstellung wird erreicht, wenn nach einer Horizontalduktion eine zusätzliche Vertikalduktion erfolgt oder nach einer Vertikalduktion eine zusätzliche Horizontalduktion (▶ Abb. 1.25). Tertiärstellungen sind alle Augenstellungen, die aus der Primärstellung heraus nicht durch eine reine Vertikal- oder Horizontalduktion, sondern durch eine Horizontal- und eine Vertikalduktion erreicht werden. Tertiärstellungen entstehen auch, wenn aus der Primärstellung eine Duktion weder um die XAchse noch um die Z-Achse erfolgt, sondern um eine
schräge Achse. In einer Tertiärstellung besteht immer auch eine Tertiärneigung (Tschermak-Seysenegg [91]). Der in Primärstellung senkrechte Hornhautmeridian projiziert sich nicht mehr senkrecht in den Außenraum oder – anders ausgedrückt – bei Betrachtung von außen (▶ Abb. 1.25) erscheint der ursprünglich senkrechte Hornhautmeridian nicht mehr senkrecht. Jede denkbare Blickrichtung des Auges ist vorstellbar als Resultat einer Bewegung um eine Achse aus der Primärstellung heraus. Für die endgültige Stellung des Auges ist nicht entscheidend, ob sie durch aufeinanderfolgende Horizontal- und Vertikalbewegung entstanden ist oder durch eine Bewegung um eine schräge Achse. Die Diskrepanz zwischen der Senkrechten im Außenraum und dem ursprünglich senkrechten Netzhautmeridian ist immer dieselbe. Ebenso wird bei Rückkehr zur Primärstellung das Auge dieselbe Stellung aufweisen wie vor Beginn seiner ursprünglichen Bewegung.
H ●
Merke Tertiärstellung mit Tertiärneigung
1
Zu jeder Blickrichtung gehört eine bestimmte Stellung des Augapfels mit einer bestimmten Ausrichtung der Netzhautmeridiane im Raum, gleichgültig, wie das Auge diese Blickrichtung erreicht hat (Gesetz von Donders).
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tina abgebildet, die auch in Primärstellung einen vertikalen oder horizontalen Seheindruck vermitteln.
A A´
B Rollung
β
Abb. 1.25 Rollung und Tertiärstellung. Die Dreiecke geben die Lage des horizontalen (grün) und vertikalen (rot) Hornhautmeridians an. Die Zeichenebene stellt die Ebene von Listing dar. Die endgültige Tertiärstellung und die resultierende Tertiärneigung sind identisch, gleichgültig ob nach einer Vertikalduktion eine Horizontalduktion (blaue Pfeile), nach einer Horizontalduktion eine Vertikalduktion (grüne Pfeile) oder primär eine Duktion um eine schräge Achse innerhalb der Ebene von Listing (gelber Pfeil) erfolgt.
α
Abb. 1.26 Aus Version und gleichzeitiger Vergenz zusammengesetzte Augenbewegung. Vor Beginn der Blickbewegung sind die Blicklinien beider Augen auf das Objekt A gerichtet. Um das Objekt B anzublicken, wird das rechte Auge um den Winkel α abduziert und das linke um den Winkel ß adduziert. Diese Blickbewegung kann zerlegt werden in eine Dextroversion (A → A‘) und eine Konvergenz (A‘ → B).
31
Normales Binokularsehen
H ●
Merke
Alle Augenbewegungen (aus der Primärstellung heraus) in Sekundär- und Tertiärstellungen sind denkbar als Duktionen um Achsen, die in einer Ebene liegen (Gesetz von Listing).
Zusatzinfo Grundlagenliteratur Bei gerader Kopfhaltung und Blick in die Ferne verläuft die Listing-Ebene nicht genau frontoparallel durch den Drehpunkt des Auges, sondern ist nach temporal gedreht. Die Ursache ist ungeklärt. Ebenso wenig gibt es eine schlüssige Erklärung für die „raison d‘ être“ des Listing-Gesetzes, wohl aber 2 grundsätzliche Hypothesen: Die 1. Hypothese hat von Helmholtz formuliert [40] und das Gesetz von Listing als Beschreibung einer möglichst effektiven, d. h. wenig Energie verbrauchenden Strategie für Augenbewegungen erklärt. Hepp [42] hat diese Theorie mathematisch formuliert und das Listing-Gesetz als physikalische Notwendigkeit für das Prinzip der geringsten Exzentrizität (von der Primärstellung) gedeutet. In dem 2. teleologischen Erklärungsansatz beschreibt Hering [43] das Listing-Gesetz als besten Weg, um über die Optimierung des „retinalen Flusses“ die neuronale Verarbeitung der visuellen Information zu erleichtern. Sowohl bei von Helmholtz als auch bei Hering ist Bezugspunkt für die Augenbewegungen das wahrgenommene Umfeld. Es gibt jedoch Arbeiten, in denen gezeigt wird, dass nicht die Augenposition in Relation zum Sehraum, sondern die Augenposition innerhalb der Orbita für die Gültigkeit des Listing-Gesetzes vorrangig ist [42], [70]. Dieses Argument ist für Tweed [92] der Anlass, die Helmholtzund Hering-Theorie mathematisch zu überprüfen und eine eigene, die sog. visomotorische Theorie, zu formulieren, die als Kompromiss der beiden genannten Erklärungsansätze gilt.
Halbwinkelgesetz und Hypothese der aktiven Pulleys
Eine Konsequenz aus dem Gesetz nach Listing ist das sog. Halbwinkelgesetz. Es besagt, dass sich die Drehachse eines Auges bei einer Orientierungsänderung des Auges um genau den halben Betrag dieser Orientierungsänderung mitdreht [69]. Die ▶ Abb. 1.27a, b und ▶ Abb. 1.28a, b verdeutlichen dies. Wenn ein Auge vom Geradeausblick um die X-Achse um den Winkel α nach oben dreht, so dreht sich die (ursprünglich vertikal verlaufende) Y-Achse (um die beim Geradeausblick horizontale Bewegungen erfolgen) um genau α/2° mit. Wenn die Tenon-Pforten (Pulleys) als funktioneller Ursprung der Augenmuskeln gelten, so kann das Halbwinkelgesetz nur dann gültig sein, wenn der Abstand der Pulleys zum Drehpunkt des Auges genauso groß ist wie der Abstand der Muskelinsertion zu diesem Drehpunkt (▶ Abb. 1.27a, b). Um diese topografische Beziehung der Tenon-Pforte als funktionellem Ursprung eines Augenmuskels, Drehpunkt des Auges und Muskelinsertion auch dann aufrechtzuerhalten, wenn eine Augenbewegung nicht – wie in ▶ Abb. 1.28a, b dargestellt – von der Primärstellung, sondern von einer Sekundärstellung aus erfolgt (z. B. die Hebung eines adduzierten Auges), müssen sich zur Erfüllung des Halbwinkelgesetzes die Abstände der Umlenkschlaufen vom Drehpunkt des Auges um denselben Betrag wie die Abstände der entsprechenden Muskelinsertionen vom Drehpunkt des Auges ändern. In Adduktion eines Auges muss sich die Umlenkschlaufe des M. rectus medialis nach hinten und die des M. rectus lateralis nach vorne verlagern.
α/2
45° Drehpunkt
●V
45°
Drehpunkt α
0°
0°
D1 D2 pulley a
b
Abb. 1.27 Fadenmodell, Pulley-Modell und Halbwinkelgesetz. Schematische Darstellung der Funktion eines horizontalen Augenmuskels mit und ohne Umlenkschlaufe (Ansicht von der Seite). a Fadenmodell: Bei einer Blickhebung des Auges ändert sich die Drehachse für horizontale Bewegungen in eine Tertiärposition nur unwesentlich. b Halbwinkelgesetz: Im sog. Pulley-Modell, in dem die Pulley als funktioneller Ursprung eines Augenmuskels gilt, ändert die Drehachse eines geraden Augenmuskels ihre Orientierung um den halben Betrag der Augenbewegung.
32
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Eine Konsequenz des Gesetzes von Donders ist das nach dem Mathematiker Listing benannte sog. Gesetz von Listing. Dieses Gesetz besagt, dass aus jeder Augenposition jede andere Augenposition durch Drehung um eine Achse erreicht werden kann. Die Gesamtheit dieser Drehachsen liegt in einer Ebene, der Ebene von Listing (▶ Abb. 1.23). Die Augenposition, deren Blickrichtung senkrecht zu dieser Ebene steht, wird Primärstellung (oder Primärposition) des Auges genannt.
1.1 Anatomie und Physiologie
nasal
orbitale Schicht
S1 S2
S1
bulbäre Schicht Pulley temporal a
temporal b
▶ Abb. 1.28a, b stellt dies schematisch dar. Die Hypothese der aktiven Pulleys besagt, dass diese anteroposterioren Verschiebungen der Tenon-Pforten durch die orbitale Schicht des jeweiligen Augenmuskels erfolgt, während die bulbäre Schicht eines Muskels das Auge dreht. Durch eine solche Doppelfunktion der Augenmuskeln wäre die präzise Stellung des Auges auch in den Tertiärpositionen gewährleistet (Übersicht in [24]). Das Halbwinkelgesetz hat bereits von Helmholtz detailliert beschrieben und den Begriff des sog. Okzipitalpunkts eingeführt [40]: „Ein Punkt im Blickfeld ist ausgezeichnet dadurch, dass er der Fixationspunkt des entsprechenden Auges in seiner Primärstellung ist; wir wollen ihn den Hauptblickpunkt (primären Fixationspunkt) nennen. Den gerade gegenüber liegenden, hinter dem Kopfe des Beobachters gelegenen Punkt, welcher das andere Ende des nach dem Hauptblickpunkt gerichteten Durchmessers des Blickfeldes bildet, nennen wir ... den Occipitalpunkt.“
Das Gesetz von Listing ist nicht auf alle Augenbewegungen anwendbar. Bei Kopfneigung finden Augendrehungen um die Blicklinie (siehe ▶ Tab. 2.1) statt, die auf der ListingEbene senkrecht steht. Diese Augenbewegungen werden Rollungen (Hering, [43]) oder Zykloduktionen genannt (▶ Abb. 1.25) und bewirken ebenfalls Abweichungen der objektiven Senkrechten von der subjektiven Vertikalen. Durch diese Gemeinsamkeit zwischen Tertiärstellung und Rollung ist eine erhebliche terminologische Verwirrung entstanden, die verdeckt, dass es sich um zwei prin-
S2
1
Über die kinematischen Zusammenhänge schrieb er: „Alle Kreißbögen, welche die Blicklinie bei der Drehung um eine feste Axe dem Listing‘schen Gesetze gemäß im kugeligen Blickfeld beschreibt, gehen verlängert durch den Occipitalpunkt des Blickfeldes.“ Anders ausgedrückt: Wenn die Blicklinie dem Listing-Gesetz entsprechend einen Kreisbogen im kugeligen Blickfeld beschreibt, der durch den Okzipitalpunkt des Blickfelds geht, so dreht sie sich dabei um eine festbleibende Achse, die senkrecht zur Ebene des betreffenden Kreises ist. Ob die Pulleys einschließlich ihrer willkürlichen und autonomen Innervation tatsächlich das (alleinige) anatomische Substrat für das Listing-Gesetz (und damit auch für das Halbwinkelgesetz) darstellen [69], ist nicht geklärt. Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass das Listing-Gesetz eine Konsequenz des mechanischen Aufhängeapparats des Auges innerhalb der Orbita ist [71], [73]. Andere Autoren favorisieren eine sog. neurale Implementierung des ListingGesetzes mit einer übergeordneten Kontrolle durch definierte ZNS-Regionen [18], [19], [20], [42], [94], [95], [96].
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nasal
Abb. 1.28 Schematische Darstellung der Hypothese der aktiven Pulleys (Ansicht von oben). Damit das Halbwinkelgesetz auch in Sekundär- und Tertiärpositionen gültig ist, müssen zur Aufrechterhaltung der in ▶ Abb. 1.27a, b dargestellten topografischen Beziehung von Pulleys, Drehpunkt des Auges und Muskelinsertion die Pulleys bei Augenbewegungen ihre Lage ändern. So kommt es beispielsweise bei Hebung in Adduktion zu Verschiebungen der Pulley des M. rectus medialis nach hinten, die Pulley des M. rectus lateralis verschiebt sich etwas nach vorne. Die Verschiebung der Pulleys erfolgt in diesem Modell durch die in ihnen inserierenden Fasern der orbitalen Schicht eines Augenmuskels.
zipiell verschiedene Bewegungsweisen handelt. Wenn ein Auge aus der Primärstellung um eine schräge Achse in der Ebene von Listing gedreht wird, resultiert eine Tertiärstellung mit einer Tertiärneigung, die die Rechtwinkligkeit der retinalen Abbildung von objektiven Waagrechten und Senkrechten aufhebt. Demgegenüber ist eine Rollung eine Drehung um die Blicklinie, also eine Achse außerhalb der Ebene von Listing. Bei einer Zykloduktion bleibt die Rechtwinkligkeit der retinalen Abbildung objektiv rechter Winkel erhalten.
33
Zusatzinfo
●V
Physiologische Grundlagen zur Ebene von Listing
Jede denkbare Blickrichtung des Auges aus der Primärstellung ist innerhalb des Blickfelds vorstellbar als Resultat einer Bewegung um eine Achse in der Ebene von Listing. Durch eine derartige Bewegung kann die Sehachse jedes Sehding im Sehraum erreichen. (Das bedeutet, dass alle diese Sehdinge foveolar abgebildet, nicht aber, dass senkrechte Linien im Sehraum auch vertikal empfunden werden.) Für diese Bewegungen (mit 2 Freiheitsgraden) wären lediglich gerade Augenmuskeln notwendig. In allen Tertiärstellungen kommt es zu Abweichungen der objektiven Senkrechten von der subjektiven Vertikalen. Wenn, wie z. B. beim Nahblick, durch gleichzeitige Konvergenz und Blicksenkung gegenläufige Tertiärneigungen entstehen, ist ein Ausgleichssystem notwendig, um Binokularität zu erhalten. Diese Ausgleichsbewegungen können nicht um Achsen stattfinden, die in der Ebene von Listing liegen, sondern sind Rollungen. Es gibt also 3 Freiheitsgrade der Augenbewegung. Die schrägen Augenmuskeln haben die wesentliche Funktion, einerseits die gleichgerichteten Rollungen beider Augen bei Kopfneigung, andererseits die gegenläufigen Rollungen zur Erhaltung des Binokularsehens in Tertiärstellungen durchzuführen. Die Bedeutung der schrägen Augenmuskeln liegt also nicht in der Bewegungsweise des Einzelauges, sondern dient der „Präzisionsregulierung beider Augen zur Vollauswertung des stereoskopischen Sehens“ (von Tschermak-Seysenegg, [91]). Da eine Tertiärneigung wegen der fehlenden Rechtwinkligkeit der retinalen Abbildung nicht durch eine Rollung völlig ausgeglichen werden kann, handelt es sich dabei immer um die Herstellung des für das Binokularsehen günstigsten Kompromisses.
Der Begriff Ruhelage wird häufig benutzt, obwohl seine Definition unklar ist. Bielschowsky bezeichnet (Hansen Grut [39]) als anatomische Ruhelage [3], [5] oder absolute Ruhelage [4] die Augenstellung, die unbeeinflusst von irgendeiner Innervation nur abhängig von mechanischen Faktoren ist. Da auch im Schlaf oder in tiefer Narkose die Muskelinnervation nicht völlig erlahmt, ist diese anatomische Ruhelage einer Messung kaum zugänglich. Bei totaler Ophthalmoplegie besteht leichte Divergenzstellung [36]. Auch während einer Allgemeinnarkose liegt in der Regel bei Normalpersonen Divergenz der Sehachsen vor, während Konvergenz bei Patienten mit Esotropie beobachtet wird.
Merke
H ●
Die Stellung der Augen nach Unterbrechung der Fusion nennt man relative Ruhelage, fusionsfreie Einstellung oder Vergenzruhelage.
34
Von der anatomischen Ruhelage zu unterscheiden ist die Stellung der Augen nach Unterbrechung der Fusion. Diese Vergenzruhelage nennt Bielschowsky relative Ruhelage [4] und Hofmann fusionsfreie Einstellung [44]. Die Messung der Vergenzruhelage kann in allen Blickrichtungen und in verschiedenen Blickentfernungen erfolgen (Fischer, [34]) und ist von großer klinischer Bedeutung.
Merke
H ●
Die Strabologie basiert auf der Annahme, dass Heterotropie und Heterophorie mit einer Veränderung der Vergenzruhelage gleichzusetzen sind. Die Normalisierung der Vergenzruhelage in allen Blickrichtungen und Blickentfernungen gilt als Ziel der Therapie.
Leider ist diese relative Ruhelage nicht unabhängig von Art und Zeitdauer der Fusionsunterbrechung. Die relative Ruhelage ist nicht „innervationslos“, vielmehr erhält jeder Muskel weiterhin die (z. B. labyrinthär induzierte) Innervation, die der aktuellen Stellung des Auges in der Orbita entspricht. Unter Ausgleichsinnervation versteht Bielschowsky [2], [4] die Dauerinnervation, die bei einer Abweichung der relativen Ruhelage die binokulare Fusion sicherstellt (also die Abweichung „ausgleicht“). Diese Ausgleichsinnervation kann bei kurzfristiger Fusionsunterbrechung persistieren. Aus diesem Grund ergibt die Messung mit dem alternierenden Abdecktest häufig andere Werte als die Messung nach mehrtägiger Okklusion eines Auges. Bielschowsky hat deshalb einmal zwischen funktioneller Ruhelage (bei fortbestehender Ausgleichsinnervation) und relativer Ruhelage (nach Abklingen der Ausgleichsinnervation) unterschieden. Eine der Ausgleichsinnervation analoge Innervation entsteht bei normalem Binokularsehen unter Prismenvorgabe. Steigert man den Prismenvorsatz (beispielsweise über eine Stunde ansteigend) und bleibt dabei die Fusion bestehen, wird eine Ausgleichsinnervation aufgebaut, so dass beim alternierenden Abdecktest die Abweichung dem vorgegebenen Prisma nicht mehr entspricht oder sogar verschwindet. Bei Entfernung des Prismas resultiert kurzfristig eine umgekehrte Abweichung als Folge dieser Ausgleichsinnervation.
„Kardanische“ Aufhängung des Bulbus Der Vergleich des okulären Bewegungsapparats mit einem Kugelgelenk, dessen Kugel der Bulbus und dessen Gelenkpfanne die Tenon-Kapsel bildet, ist irreführend. Es ist unter funktionellen Gesichtspunkten besser, von der kardanischen Aufhängung des Bulbus in der Orbita zu sprechen (Cüppers u. Schuchardt [21]). Der Bulbus kann sich zwar in allen Richtungen drehen, seinen Ort in der Orbita aber kaum verändern.
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Normales Binokularsehen
Kardanische Aufhängung des Bulbus
●V
Die Mechanik der Augenbewegung ähnelt einer kardanischen Aufhängung. Die Aufhängung im orbitalen Bandsystem gestattet dem Bulbus weitgehende Bewegungsfreiheit um den Drehpunkt, verhindert aber Translationsbewegungen. Alle an der Bulbusaufhängung beteiligten Gewebe sind elastisch. Die elastische Aufhängung erlaubt Augenbewegungen in alle Richtungen einschließlich der Rollungen und erfordert bei größeren Exkursionen immer auch größere Kräfte. Vermutlich stabilisiert der mäßige hydrostatische Überdruck durch den Muskeltonus die Bulbuslage innerhalb der Orbita zusätzlich [80].
Spezielle Bewegungsmechanik der einzelnen Augenmuskeln Die Bewegungen des Auges werden durch 6 äußere Augenmuskeln bewirkt, deren Funktionen sich aus der Lage der Muskelebenen innerhalb der Orbita ergeben.
Zusatzinfo Grundlegende Literatur zu Augenmuskelfunktionen
●V
Bereits 1869 hat Volkmann [97] Messungen bzw. Berechnungen von Abrollstrecken und Muskelebenen durchgeführt, auf deren Grundlage die Analysen von Krewson [51] und Boeder [6], [7] erarbeitet wurden. Sie setzen voraus, dass die Augenmuskeln von einem punktförmigen Ursprung aus am Augapfel punktförmig inserieren und bei Kontraktion immer auf dem kürzesten Weg zwischen Ursprung und Insertion verlaufen. Dieses Fadenmodell entspricht den natürlichen Verhältnissen nicht. Beispielsweise verlaufen bei Elevation die horizontalen Augenmuskeln keineswegs auf einer Geraden, sondern werden durch den Bandapparat auf einer nach unten konvexen Kurve gehalten (siehe ▶ Abb. 2.4). Die Berechnung der Zugrichtung nur aus Ansatz- und Ursprungslage ist fehlerhaft [37], [38], [52]. Simonsz hat die Abweichungen gezeigt, wenn an dem Modell von Robinson [72], [73] gerechnet wird, dem gleitende funktionelle Insertionspunkte, der Einfluss der passiven orbitalen Gewebe und durch den Bandapparat modifizierte Muskelzugrichtungen zugrunde liegen [80], [81], [83], [86], [87], [88]. Diese Berechnungen haben eine weitgehende klinische Bestätigung erfahren.
Je 2 der 6 Augenmuskeln werden üblicherweise zu einem Muskelpaar zusammengefasst: ● Horizontalmotoren ● gerade Vertikalmotoren ● schräge Vertikalmotoren
1
Die Horizontalmotoren verfügen über eine gemeinsame Muskelebene. Da diese Muskelebene sich mit dem horizontalen Meridian des Auges deckt, dient der M. rectus medialis fast ausschließlich der Adduktion und der M. rectus lateralis fast ausschließlich der Abduktion, solange das Auge nur horizontale Augenbewegungen durchführt. In Elevation können beide Muskeln auch eine hebende, in Depression eine senkende Wirkung entfalten, die nur unter pathologischen Verhältnissen erheblich werden kann, z. B. wenn die Entspannung des Antagonisten ungewöhnlich gering ist oder ausbleibt (siehe ▶ Abb. 2.2a, b und ▶ Abb. 2.3). Die geraden Vertikalmotoren weisen ebenfalls eine gemeinsame Muskelebene auf und wirken in ihrer Hauptfunktion, der Supra- und Infraduktion, antagonistisch. Der M. rectus superior ist im gesamten Blickbereich der wichtigste Heber, der M. rectus inferior der wichtigste Senker. Diese Hauptfunktionen sind in Abduktion ausgeprägter als in Adduktion, aber auch in Adduktion übersteigt die hebende bzw. senkende Funktion der geraden Vertikalmotoren die der schrägen deutlich. Beide Muskeln zeigen aber auch Nebenfunktionen, der M. rectus superior eine Inzykloduktion, der M. rectus inferior eine Exzykloduktion. Beide verfügen auch über eine geringe adduktorische Wirkung. Sie sind also an der Zykloduktion antagonistisch und an der Adduktion synergistisch beteiligt. Diese Nebenfunktionen sind in maximaler Adduktion am deutlichsten, spielen aber im Vergleich zur Hauptfunktion nur eine untergeordnete Rolle (▶ Abb. 1.29).
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Zusatzinfo
1.1 Anatomie und Physiologie
Tab. 1.3 Abrollstreckenlänge der einzelnen Augenmuskeln in Primärstellung (Volkmann [97]). In Klammern Werte von Boeder [7], der aus den Messwerten von Volkmann abweichende Abrollstrecken errechnete. Muskel
Abrollstreckenlänge Volkmann (Boeder)
M. rectus lateralis
13,25 (14,83)
M. rectus medialis
6,33 (6,27)
M. rectus superior
8,92 (8,38)
M. rectus inferior
9,83 (9,01)
M. obliquus superior
5,23 (4,93)
M. obliquus inferior
16,74 (16,98)
35
Normales Binokularsehen
54°
Sehachse 22,5°
Merke
Zugrichtung des M. rectus superior
Abrollstrecken
Abb. 1.29 Abrollstrecken der Horizontalmotoren und Winkel zwischen Zugrichtung der geraden Vertikalmotoren, Sehachse und Drehachse in Primärstellung (schematische Darstellung). Die Abrollstrecken der Horizontalmotoren (grün) sind unterschiedlich lang. Die Zugrichtungen der Vertikalmotoren bilden einen Winkel mit der Sehachse. Beide Muskeln erreichen bei leichter Abduktion ein Maximum vertikalmotorischer Funktion. In allen anderen Blickrichtungen nimmt die Hauptfunktion zugunsten anderer Teilfunktionen ab. Beide Muskeln inserieren vor dem Äquator und ihre nach hinten medial gerichtete Kraft greift vor dem Drehpunkt an. Der größte Teil der Insertionsleiste liegt lateral des vertikalen Bulbusmeridians, so dass die Muskelmitte etwa über den Drehpunkt hinwegzieht und die ad-/abduzierende Nebenwirkung minimiert wird. Diese Nebenwirkungen nehmen aber bei horizontalen Duktionen zu.
Merke
H ●
Hauptfunktionen der geraden Vertikalmotoren sind Hebung und Senkung. Sie sind die wichtigsten Heber bzw. Senker im gesamten Blickbereich. Bei der Paralyse eines geraden Vertikalmotors kann das Auge die Horizontale nicht überschreiten.
Die Muskelebenen der schrägen Vertikalmotoren stimmen nur annähernd überein. Hauptfunktion des M. obliquus superior ist die Inzykloduktion, die des M. obliquus inferior die Exzykloduktion. Die rollende Wirkung der Mm. obliqui ist antagonistisch und in Abduktion deutlicher als in Adduktion. Wichtigste Nebenfunktion der schrägen Augenmuskeln ist die antagonistische Vertikalfunktion, die mit fortschreitender Adduktion zunimmt, aber in keiner Blickrichtung die Bedeutung der geraden Vertikalmotoren erreicht. Beide schrägen Vertikalmotoren üben eine geringe synergistische abduktorische Nebenwirkung aus.
36
H ●
Hauptfunktionen der schrägen Vertikalmotoren sind In- und Exzykloduktion. Bei der Paralyse eines schrägen Vertikalmotors besteht deshalb eine erhebliche Zyklotropie, nicht aber eine deutliche Einschränkung der Vertikalfunktion.
Haupt- und Nebenfunktionen eines Augenmuskels werden am deutlichsten bei einer Parese. Der resultierende Schielwinkel ist die Negativkopie der Muskelfunktion. Bei einer Abduzensparese entsteht im gesamten Blickbereich eine Horizontaldeviation, deren Ausmaß in Abduktion zunimmt. Die Parese des M. rectus superior bewirkt einen mit der Elevation ansteigenden Vertikalschielwinkel. Bei einer Trochlearisparese imponiert vor allem die Exzyklotropie, während die Vertikaldeviation nie die Werte der Parese eines geraden Vertikalmotors erreicht und die Verkleinerung des monokularen Blickfelds gering sein kann.
Merke
H ●
Alle 6 Augenmuskeln arbeiten bezüglich ihrer verschiedenen Teilfunktionen sinnvoll zusammen. Wenn der M. rectus superior und der M. obliquus inferior innerviert werden, so addieren sich die hebenden Funktionen, während die zykloduzierenden Teilfunktionen sich teilweise ausgleichen. Durch eine bestimmte Verteilung der Innervation auf beide Elevatoren kann also eine rollungsfreie Hebung und Senkung oder eine Zykloduktion ohne Vertikalduktion erreicht werden.
Leistungen des Bewegungsapparats Das Ausmaß der Augenbewegungen, also die Exkursionsfähigkeit des Auges kann als Limbusbewegung in mm angegeben werden (▶ Abb. 1.30) oder als Winkel, um den die Blicklinie gedreht wird (▶ Abb. 1.31a, b). In der Regel kann das Auge etwa 50° adduziert und abduziert werden, während eine Depression um fast 60° möglich ist und die Elevationsfähigkeit selten 45° überschreitet. Diese Exkursionsfähigkeit nimmt im Alter ab [45]. Die monokulare Exkursionsfähigkeit in allen Blickrichtungen ergibt das monokulare Blickfeld. Es ist eine unmittelbare Funktion der Kraft einzelner Augenmuskeln und des Widerstands, den die Augenmuskeln und das passive orbitale Gewebe einer Bewegung entgegensetzen. Ist die Zugkraft eines Augenmuskels oder die Dehnbarkeit seines Antagonisten vermindert, ist das monokulare Blickfeld eingeschränkt. Unter dem binokularen Blickfeld wird der Blickbereich verstanden, in dem beide Augen gemeinsam foveolar fixieren können. Es ist kleiner als das monokulare Blickfeld, weil die beiden monokularen
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Zugrichtung des M. obliquus superior
1.1 Anatomie und Physiologie
9–10 mm
9–10 mm
P
9–10 mm Abb. 1.30 Normale Exkursionsfähigkeit des Auges nach Kestenbaum, angegeben als Limbusbewegungen in mm (P = Primärstellung).
60
40
20
0
20
40
60
60
40
20
0
20
40
60
a
Blickfeld und dem Fusionsblickfeld (Feld des binokularen Einfachsehens, BES-Feld) unterschieden. Letzteres gibt den Blickbereich an, in dem normales Binokularsehen durch Horizontal-, Vertikal- und Zyklofusion aufrechterhalten wird. Dieses Fusionsblickfeld wird in der Regel nicht ausgenutzt. Im täglichen Leben werden Exkursionen meist nur innerhalb eines Gebrauchsblickfelds durchgeführt, das Blickwendungen nach rechts und links von ca. 20°, eine Blickhebung von ca. 10° und eine Blicksenkung von ca. 30° enthält. Gleichzeitige Kopfbewegungen setzen nicht erst dann ein, wenn die Grenzen des Blickfelds erreicht sind, sondern sind auch bei kleinen Augenbewegungen nachweisbar, so dass jede Blickbewegung von einer Kopfbewegung begleitet wird. Das Umblickfeld gibt an, welche Richtungen die Blicklinie einnehmen kann, wenn bei unveränderter Standposition Körper- und Kopfbewegungen mit Blickbewegungen kombiniert werden. Die Winkelgeschwindigkeit sakkadischer Augenbewegungen ist abhängig von der Amplitude der Sakkade und beträgt bei großen individuellen Schwankungen etwa 600°/s. Folgebewegungen zeigen Winkelgeschwindigkeiten von etwa 100°/s. Vergenzbewegungen überschreiten selten Werte von etwa 20°/s. Daraus ergibt sich, dass sakkadische Blickbewegungen nach etwa 50 Millisekunden abgeschlossen sind, während Fusionsbewegungen ½ bis 1 Sekunde dauern können. Die Augenbewegungen erfordern normalerweise eine Muskelkraft zwischen 0,1 und 0,5 N, wobei bereits in Primärstellung die Muskeln unter einer geringen Spannung stehen. Die Muskelkraft ist einerseits notwendig zur Beschleunigung des Bulbus und der mitbewegten Gewebe und andererseits zur Überwindung des elastischen Widerstands der passiven orbitalen Gewebe. Experimentelle Muskelkraftmessungen unter isometrischen Bedingungen (bei artifizieller Immobilisierung des Bulbus oder bei Retraktionssyndrom) zeigen, dass die Kraft eines Augenmuskels auf über 100 p ansteigen kann, ohne dass subjektive Anzeichen von Muskelermüdung, Schmerz oder Asthenopie auftreten (alle Daten aus [14], [67]).
1
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5–7 mm
Literatur
b
Abb. 1.31 Normales monokulares Blickfeld. a Linkes Auge. b Rechtes Auge.
Blickfelder sich nicht decken. In extremen Blickrichtungen und bei Paresen kann durch Zyklotropie verrollte Diplopie auftreten, auch wenn die Blicklinien sich im Fixierobjekt treffen. Deshalb wird zwischen dem binokularen
Auf eine Auflistung der gesamten Literatur wurde verzichtet. Wir haben jedoch alte, grundlegende Literatur belassen, die durch neuere elektronische Suchtechniken kaum noch auffindbar ist. [1] Apt L. An anatomical reevaluation of rectus muscle insertions. Trans Amer Ophthal Soc 1980; 78: 365 [2] Bielschowsky A, Ludwig A. Das Wesen und die Bedeutung latenter Gleichgewichtsstörungen der Augen, insbesondere der Vertikalablenkungen. A v Graefes Arch Ophthalmol 1906; 62: 400 [3] Bielschowsky A. Die Lähmungen der Augenmuskeln. In: Graefe-Saemisch. Handbuch der gesamten Augenheilkunde, 2. Aufl. Bd. VIII, Kap. XI, Nachtrag 1. 1907/1932 [4] Bielschowsky A. Über die relative Ruhelage der Augen. Ber 39. Vers Ophthalmol Ges Heidelberg 1913: 67 [5] Bielschowsky A. Stellungsanomalien und Beweglichkeitsstörungen der Augen, Nystagmus, Störungen der Pupillenreaktion, Exophthal-
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Normales Binokularsehen
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1.2 Normales Binokularsehen, Neurophysiologie der Augenbewegungen G. Kommerell, W. A. Lagrèze
1.2.1 Klassifizierung der Augenbewegungen Die Okulomotorik kann als System mit mehreren Regelkreisen beschrieben werden. In diesen Regelkreisen dient die Netzhaut als Fühler, das Zentralnervensystem beherbergt die verschiedenen Regler, und die Augenmuskeln fungieren als Stellglied. Da die Stellungsänderung des Auges auf die Netzhaut zurückwirkt, schließt sich der Informationsfluss zum Kreis. Die einzelnen Bewegungstypen sind in ▶ Abb. 1.32 klassifiziert. Je nach Art der Augenbewegung „fühlt“ die Netzhaut verschiedene Regelgrößen: ● Bei den Blickzielbewegungen die Position des Netzhautbildes, das in die Fovea centralis gebracht werden soll. ● Beim optokinetischen Nystagmus die Geschwindigkeit der Bildverschiebung über die Netzhaut.
39
Normales Binokularsehen
Sakkaden (Synonym: Augenrucke)
Blickzielbewegung willkürliche Blickbewegung spontane Blickbewegung
rasche Phasen
des optokinetischen Nystagmus des vestibulären Nystagmus
rasche Augenbewegungen Versionen (Synonyme: Blickwendungen, konjugierte Augenbewegungen assoziierte Augenbewegungen)
langsame Phasen des optokinetischen Nystagmus langsame Augenbewegungen
Vergenzen (Synonyme: disjugierte Augenbewegungen disjunktive Augenbewegungen)
Folgebewegung (Synonym: gleitende Folgebewegung) vestibuläre Kompensationsbewegung (Synonym: vestibulookulärer Reflex; Entsprechung: langsame Phasen des vestibulären Nystagmus)
akkommodative Vergenzen fusionale Vergenzen
Regelgrößen der Augenfolgebewegung sind sowohl die Position des Netzhautbildes als auch die Geschwindigkeit der Bildverschiebung. Regelgrößen der Vergenz sind die Disparität und die Schärfe der Netzhautbilder. Die Netzhaut übermittelt alle diese Regelgrößen an die verschiedenen Regler im Zentralnervensystem. Dort werden die Ist-Werte mit den von der Aufmerksamkeitszuwendung abhängigen Soll-Werten verglichen, und es werden entsprechende Stellbefehle für die Augenmuskeln errechnet. Die vestibuläre Kompensationsbewegung wird zwar nicht direkt geregelt, da die retinale Bildverschiebung nicht sofort auf die Bogengänge zurückwirkt. Dieser Mangel wird aber dadurch ausgeglichen, dass die vestibuläre Kompensationsbewegung innerhalb weniger Minuten an geänderte Erfordernisse angepasst werden kann. Willkürliche und unwillkürliche Augenbewegungen können auch in Dunkelheit ausgeführt werden. Dabei ist die visuelle Regelung ausgeschaltet. Die folgende Beschreibung der Okulomotorik soll als Grundlage für das Verständnis der Augenbewegungsstörungen (siehe Kap. 4) dienen.
1.2.2 Innervation der Augenmuskeln Die Augenmuskeln werden von den Kernen dreier Hirnnerven angesteuert. Der Nucleus oculomotorius (III. Hirnnerv) versorgt den M. rectus medialis, den M. rectus superior, den M. rectus inferior und den M. obliquus inferior (außerdem den M. levator palpebrae sowie – mit seinem parasympathischen Anteil – den M. ciliaris und den M.
40
sphincter pupillae). Der Nucleus trochlearis (IV. Hirnnerv) versorgt den M. obliquus superior, der Nucleus abducens (VI. Hirnnerv) den M. rectus lateralis. In jeden Augenmuskel ziehen etwa 1000 Nervenfasern, die sich im Augenmuskel verzweigen und jeweils etwa 4–40 Muskelfasern versorgen [41]. Die Gesamtheit aller Muskelfasern, welche von einer Nervenfaser angesteuert werden, bezeichnet man als motorische Einheit. Das Gehirn nutzt 2 verschiedene Möglichkeiten, um die Zugkraft eines Muskels zu steigern: ● Es verstärkt die Aktivität motorischer Einheiten. ● Es setzt neue motorische Einheiten ein, die zuvor noch ruhten. Dies sei am Beispiel des M. rectus lateralis erläutert (▶ Abb. 1.33). In der Aus-Position, d. h. bei extremer Adduktion, ruhen fast alle motorischen Einheiten. Indem nach und nach weitere motorische Einheiten zugeschaltet werden, gelangt der Bulbus allmählich in die An-Position, bis in extremer Abduktionsstellung fast alle motorischen Einheiten aktiviert sind. Bei Wiederholung des Bewegungsablaufs wird jede motorische Einheit immer wieder ab der ihr zugeordneten Augenposition eingesetzt, also ab ihrer Schwelle. Niederschwellige motorische Einheiten arbeiten bereits in der nasalen Blickfeldhälfte, hochschwellige erst in der temporalen. In der extremen An-Position erreichen die meisten motorischen Einheiten eine Frequenz von etwa 300 Entladungen pro Sekunde. Während großer Sakkaden kann die Frequenz auf 600 Entladungen pro Sekunde ansteigen.
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Abb. 1.32 Klassifizierung der Augenbewegungen.
300 adduzierende
–4 0– Aus-
20
0+
20
+4 0 An-
Position des Auges (°) Abb. 1.33 Abhängigkeit der Entladungsrate einzelner motorischer Einheiten von der Augenposition . Jede Einheit beginnt in einer für sie spezifischen Schwellenposition zu arbeiten. Die Aktivität steigt, je weiter das Auge in das Wirkungsfeld des betreffenden Muskels gelangt. 0° bedeutet Mittelposition. Beim M. rectus lateralis entspricht die „An“-Position der Abduktion und die „Aus“-Position der Adduktion. Für die mit einem blauen Pfeil markierte Kurve sind die Originaldaten als rote Punkte eingetragen. (Datenquelle: [47])
Merke
H ●
Die Sprache, in der die Befehle des Gehirns übermittelt werden, ist die Frequenz der elektrischen Entladungen, die zu den Muskelfasern geleitet werden.
Bewegt werden die Augen durch gegenläufige Innervationsänderungen: Die Innervation der Agonisten wird verstärkt, die der Antagonisten vermindert. Bei horizontalen Augenbewegungen wird die Innervation fast ausschließlich in den Mm. rectus lateralis und medialis geändert; nur sehr gering ist die Innervationsverstärkung der schrägen Augenmuskeln bei Abduktion und der geraden Heber und Senker bei Adduktion. Bei vertikalen Augenbewegungen wird die Innervation fast ausschließlich in den Hebern und Senkern verändert [27]. Aufgrund hochauflösender MRT-Untersuchungen wurde angenommen, dass die oberen Faserbündel des M. rectus medialis die Hebung, die unteren Faserbündel des M. rectus medialis die Senkung des Auges unterstützen könnten [10]. Allerdings zeigen unter diesem Aspekt durchgeführte anatomische Studien, dass die Faserbündel der Augenmuskeln durch Bindegewebsbrücken so fest miteinander verbunden sind, dass eine unterschiedliche Kontraktion einzelner Faserbündel kaum möglich erscheint [43].
0
M. rectus lateralis
Mm. rectus medialis + lateralis
10 20
45
30
15 0 15 Augenposition (°)
Adduktion
30
45
Abduktion
Abb. 1.34 Mechanik der orbitalen Gewebe. Zugkräfte des M. rectus medialis (obere Kurve) und des M. rectus lateralis (untere Kurve) in Abhängigkeit von der Augenposition (Werte aus [12]). Die Summe der Kräfte beider Muskeln ergibt eine Gerade. Beide Muskeln zusammen halten den passiven orbitalen Geweben die Waage.
Wie ▶ Abb. 1.34 zeigt, steigt die Spannung des M. rectus medialis mit zunehmender Adduktion an, bis sie bei 45° einen Wert von 25 Gramm (etwa 0,25 N) erreicht. Die Spannung des antagonistischen M. rectus lateralis nimmt dabei zunächst ab und erreicht bei 15° Adduktion ein Minimum von 6 Gramm (etwa 0,06 N). Bei weiterer Adduktion steigt die Spannung des M. rectus lateralis wieder an, weil die Innervation dieses Muskels bei 15° Adduktion schon bei Null angekommen ist und nicht weiter absinken kann, während der Zug des M. rectus medialis den M. rectus lateralis weiter dehnt. Bei der Abduktion zeigen sich spiegelbildliche Muskelspannungen der beiden Horizontalmotoren. Bestimmt man die Summe der adduzierenden und abduzierenden Kräfte der Mm. rectus medialis und lateralis in den verschiedenen Augenpositionen, so ergibt sich eine Gerade mit der Steigung 0,3 Gramm (etwa 0,003 N) pro Grad. Diese muskuläre Kraft wird durch die Rückstellfederkraft der passiven orbitalen Gewebe aufgehoben. Aufgrund dieses Gleichgewichts der Kräfte kann das Auge in jeder Blickposition ruhig gehalten werden. Computertomografische [55] und kernspintomografische [38] Untersuchungen haben gezeigt, dass die Augenmuskeln im Orbitatrichter in derselben Lage verbleiben, auch wenn sich ihre Ansätze an der Sklera mit dem Auge aus der Ebene des jeweiligen Muskels herausbewegen. So rutschen z. B. die Horizontalmotoren bei Aufblick nicht etwa nach oben, um dem kürzesten Weg zwischen Ursprung und Ansatz zu folgen. Die Fixierung betrifft nur den retrobulbären Anteil der Muskeln. Aus der stabilen
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100
passives orbitales Gewebe
10
Kraft (g)
200
1
M. rectus medialis
20
abduzierende
Entladungen pro Sekunde
1.2 Normales Binokularsehen
41
Normales Binokularsehen
riMLF vertikale Sakkaden
PPRF horizontale Sakkaden NPH Blickhalten
42
III
IV
VI
Propriozeption und Efferenzkopie Das Gehirn muss darüber informiert sein, welche Stellung die Augen in der Orbita einnehmen. Nur so gelingt es, die Sehobjekte im Raum richtig zu lokalisieren. Die Propriozeption spielt dabei nur in Sondersituationen eine Rolle [34], und es ist noch ungeklärt, welche Sensoren in der Orbita die Stellung des Auges dem Gehirn melden [6]. Wichtiger ist die Efferenzkopie (englisch Corollary Discharge) [30], [34]. Man versteht darunter ein im Gehirn gespeichertes Signal über die Innervationsstärke, die an die Augenmuskeln ausgesendet wird, um eine bestimmte Augenstellung zu erreichen. Die Efferenzkopie bietet eine genaue Information über die Stellung der Augen in der Orbita, da die Kraft, die von den Augenmuskeln aufgewendet werden muss, um eine bestimmte Augenstellung zu erreichen, immer gleich ist. Anders ausgedrückt: Die „Last“, welche die Augenmuskeln in Form elastischer Gegenkräfte zu „tragen“ haben, hängt nur von der Stellung des Auges in der Orbita ab. Bei den Gliedmaßen ist das anders. Will man z. B. seinen Ellbogen um 90° gebeugt halten, so muss man den M. biceps stärker innervieren, wenn man ein Gewicht in der Hand hält. Verließe sich das Gehirn auf die dann stärkere Efferenzkopie, würde der Eindruck entstehen, als sei der Ellbogen stärker als 90° gebeugt. Wegen der wechselnden Last eignet sich die Efferenzkopie nicht für die Wahrnehmung der Positionen unseres Körpers. Vielmehr benötigen wir dafür die Propriozeption aus Sensoren der Muskeln und der Gelenkkapsel [19].
1.2.3 Motorische Kerne Die Zellkörper der zu den Augenmuskeln laufenden Nervenfasern liegen gruppiert in Kernen des Hirnstamms (▶ Abb. 1.35).
Abb. 1.35 Paramedian gelegene okulomotorische Schaltstrukturen, projiziert auf den Medianschnitt des Hirnstamms. Der riMLF (rostrale interstitielle Kern des medialen longitudinalen Faszikulus) ist für vertikale Sakkaden und rasche Nystagmusphasen zuständig, die PPRF (paramediane pontine retikuläre Formation) für horizontale Sakkaden und rasche Nystagmusphasen. Außerdem hat die PPRF die Aufgabe, die vertikalen und horizontalen raschen Augenbewegungen zu koordinieren. Die PPRF projiziert ihren Puls einerseits direkt zu den Augenmuskelkernen, andererseits über den Umweg des Nucleus praepositus hypoglossi. Dort wird aus dem Puls eine Stufe gebildet, die dann ebenfalls zu den Augenmuskelkernen geschickt wird. Die Stufe bewirkt, dass der Blick nach Ende der Sakkade in der neuen Position gehalten wird.
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Ausrichtung der Muskeln im retrobulbären Bereich folgt, dass die Muskeln abgewinkelt verlaufen müssen, wenn ihr Ansatz an der Sklera aus der Ebene des jeweiligen Muskelbauchs herausgedreht wird. So knicken etwa die Horizontalmotoren bei Aufblick nach oben ab (▶ Abb. 1.27a, b). Umstritten ist, welche Strukturen die Stabilisierung des retrobulbären Muskelverlaufs bewirken. Demer und Miller vermuten Schlaufen (Pulleys), durch welche die Muskeln geführt und je nach Blickrichtung umgelenkt werden [13], [39]. Dieser Auffassung entsprechend hat Tenon schon 1805 bei einem Vortrag in Paris „fasceaux tendineux“ beschrieben, denen er eine Umlenkfunktion zuschrieb. Auch Tenon benutzte dafür schon den Ausdruck „poulies“ [56], [58]. Anderer Auffassung ist die Arbeitsgruppe um Simonsz und Schutte. Nach ihnen erfolgt die retrobulbäre Stabilisierung des Muskelverlaufs durch die intermuskuläre Membran [55] und mehr noch durch die Stützfunktion des retrobulbären Fettes. Die „fasceaux tendineux“ könnten wegen ihrer sehnenartig geringen Elastizität nicht als Umlenkschlaufen dienen [14], [53], [60]. Auch passe die Ausrichtung der „fasceaux tendineux“ auf die jeweilige Muskelebene nicht zu der Vorstellung, sie könnten den retrobulbären Muskelverlauf stabilisieren. (Beispiel: Die „fasceaux tendineux“ seien nicht in der Lage, im Aufblick ein Abrutschen der Horizontalmotoren nach oben zu verhindern.) Vielmehr sei es die Aufgabe der „fasceaux tendineux“, eine übermäßige Drehung des Bulbus und damit eine zu starke Knickung des Sehnervs zu verhindern. Nach Simonsz und Schutte handelt es sich bei den „fasceaux tendineux“ also nicht um „poulies“ bzw. Pulleys, sondern um Check-Ligamente.
1.2 Normales Binokularsehen Das Kerngebiet der beiden Okulomotoriusnerven befindet sich im Mittelhirn. Die Anordnung der Teilkerne, die den einzelnen Augenmuskeln zugeordnet sind, ist kompliziert [7]. Merken sollte man sich, dass die Zellkörper für den M. rectus medialis, den M. rectus inferior und den M. obliquus inferior ipsilateral liegen, d. h. für das rechte Auge auf der rechten und für das linke Auge auf der linken Seite. Nur die Zellkörper für den M. rectus superior liegen kontralateral. Auf dem Weg zum M. rectus superior kreuzen die Nervenfasern noch innerhalb des Kerngebiets zur anderen Seite [2]. Die Zellkörper für den M. levator palpebrae liegen nahe an der Mittellinie, sowohl ipsilateral als auch kontralateral. Die beiden Trochleariskerne liegen ebenfalls im Mittelhirn, dicht unterhalb des Okulomotoriuskerngebiets. Der Nucleus trochlearis entspringt jeweils kontralateral. Er kreuzt hinter dem Aquädukt unterhalb der Vierhügelplatte. Die Abduzenskerne liegen in der Brücke und senden ihre Nervenfasern zum ipsilateralen M. rectus lateralis.
MLF
M. rectus medialis
●
Im Abduzenskern (▶ Abb. 1.36) entspringen die Nervenfasern, die den gleichseitigen Nucleus abducens bilden. Als man die genaue Lokalisation der dem Nucleus abducens zugeordneten Zellkörper noch nicht kannte, hat man den Abduzenskern größer definiert, als er nach der funktionellen Zuordnung eigentlich ist. Inzwischen weiß man: In den Abduzenskernen befinden sich nicht nur Zellen, die zum M. rectus lateralis projizieren, sondern auch Zellen, deren Neuriten über die Mitte kreuzen und im medialen longitudinalen Faszikulus (MLF) zum Okulomotoriuskerngebiet verlaufen und dort die für den M. rectus medialis bestimmten Nervenzellen ansteuern (▶ Abb. 1.36). Somit dienen die beiden Abduzenskerne als Blickzentrum für die horizontalen Versionen ([34], S. 391). Bei Rechtsblick wird der rechte Abduzenskern aktiviert und der linke gehemmt, bei Linksblick ist es umgekehrt. Der Begriff „Blickzentrum“ bedeutet, dass an dieser Stelle alle Signale gesammelt werden, die für horizontale Versionen erforderlich sind. Es sind die folgenden 3 Signale:
PPRF kaudal
M. rectus lateralis
Abb. 1.36 Schaltstrukturen für die raschen Augenbewegungen.
● ● ●
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Versionen
rostral
VI
H
Bei den Versionen bewegen sich beide Augen in gleicher Weise. Liegen die Sehobjekte im Unendlichen, so bleiben die Gesichtslinien beider Augen parallel. Im Unterschied dazu bewegen sich die Augen bei der Vergenz (Konvergenz, Divergenz) gegenläufig.
medial
III
1.2.4 Koordination beider Augen Merke
1
ri MLF
vestibuläres Signal vom Gleichgewichtsorgan Signal für Sakkaden von der PPRF Signal für die Haltefunktion vom NPH
Von dem als Blickzentrum fungierenden Abduzenskern werden die 3 Signale vereint an die Augenmuskeln geleitet (für den M. rectus medialis indirekt über den MLF). Das Blickzentrum für vertikale Versionen liegt im Mittelhirn. Dort werden die für vertikale Augenbewegungen zuständigen Zellen in den Okulomotorius- und Trochleariskernen von supranukleären Axonen angesteuert, die sich jeweils so aufzweigen, dass gleiche Signale auf Synergisten treffen ([34], S. 395).
Vergenz Im Mittelhirn, in der Nähe des Okulomotoriuskerngebiets, gibt es supranukleäre Zellen, die ihre Aktivität bei Konvergenz und Divergenz ändern [22], [23]. Von diesen Zellen gibt es Bahnen zu den einzelnen Augenmuskelkernen, welche bei Konvergenz die Mm. recti mediales aktivieren und die Mm. recti laterales hemmen. Demnach kann man das Zentrum für Vergenzen im Mittelhirn verorten. Bei Erscheinen der ersten beiden Auflagen dieses Buches galt noch die Meinung, dass für eine bestimmte Augenstellung immer dieselben Muskelfasern in gleicher Stärke innerviert würden, gleichgültig, ob das Auge durch eine Version oder eine Vergenz dorthin gelangt ist. Man sprach von einer gemeinsamen Endstrecke (Final common Pathway) für Version und Vergenz. Neue Unter-
43
Normales Binokularsehen suchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Vorstellung nicht ganz zutrifft [15], [40]. Auch supranukleär unterscheidet sich die Ansteuerung des M.-rectus-medialisGebiets im Okulomotoriuskern und Abduzenskern je nachdem, ob ein Auge über eine Vergenz oder eine Version in eine bestimmte Stellung gebracht wird ([34], S. 536).
1.2.5 Supranukleäre Organisation der Okulomotorik
Rasche Augenbewegungen: Sakkaden und rasche Nystagmusphasen Merke
H ●
Die raschen Augenbewegungen dienen dazu, die Fovea centralis möglichst schnell auf Objekte besonderen Interesses zu richten.
Prüfung der Blickzielbewegungen Der Patient erhält die Aufgabe, zwischen zwei kleinen Objekten hin und her zu blicken. Als Ziele haben sich die Enden eines ausziehbaren Stabes bewährt, an denen die Zeigefinger des Untersuchers etwa alle 2 Sekunden abwechselnd „winken“ (▶ Abb. 1.37). Die Fixierobjekte sollten unter einem Sehwinkel von etwa 20° dargeboten werden. Größere Winkel überwinden auch Gesunde nur mit Nachstellrucken. In der Regel genügt es, die Blickzielbewegungen zwischen Fixierobjekten zu prüfen, die symmetrisch um die Mitte angeordnet sind, also zwischen 10° rechts und 10° links sowie zwischen 10° oben und 10° unten. Achten sollte man sowohl auf die Geschwindigkeit als auch auf die Zielsicherheit. Die Geschwindigkeit der Blickzielbewegungen hängt von ihrer Amplitude ab. Große Blickzielbewegungen erreichen eine Geschwindigkeit von 700°/s.
Physiologische Grundlagen Die bei einer Sakkade in den Augenmuskeln registrierten Innervationsänderungen zeigt ▶ Abb. 1.38. Während der Sakkade erhält der Agonist einen Innervationsstoß. Gleichzeitig wird der Antagonist abgeschaltet. Diese nur während der Sakkade eintretenden Innervationsänderungen werden als Puls bezeichnet. Der Puls dient dazu, das Auge zu beschleunigen und dabei die Reibung in den orbitalen Geweben zu überwinden. Nach dem Puls stellt
44
Abb. 1.37 Prüfung der Blickzielbewegungen.
Augenposition
EMG des Agonisten
EMG des Antagonisten 125 ms Abb. 1.38 Innervationsänderungen bei einer Sakkade. Das Elektromyogramm (EMG) wurde mit einer Nadelelektrode aufgenommen. Es zeigt als „Stichprobe“ nur jene motorischen Einheiten, die sich im Einzugsbereich der Nadelspitze befanden. EMG des Agonisten: In der Ausgangsposition (links) ist nur eine motorische Einheit mit niedriger Entladungsfrequenz aktiv. In der Endposition (rechts) entlädt diese Einheit mit höherer Frequenz; außerdem arbeitet in der Endposition noch eine zweite motorische Einheit. Der Innervationsunterschied zwischen Ausgangs- und Endposition wird als Stufe bezeichnet. Während der Sakkade findet sich ein Puls von etwa 125 ms Dauer. Während des Pulses entladen alle motorischen Einheiten mit maximaler Frequenz. EMG des Antagonisten: Reziproke Innervationsänderungen bei Stufe und Puls. (Die Registrierung im Agonisten und Antagonisten erfolgte nicht synchron; vielmehr wurden passende Kurvenabschnitte untereinander montiert. Die Augenposition wurde gezeichnet.)
sich ein neues Innervationsniveau ein, das im Agonisten höher, im Antagonisten niedriger liegt als vor der Sakkade. Diese bleibende Innervationsänderung wird Stufe genannt. Die Stufe dient dazu, das Auge gegen den elastischen Zug der orbitalen Gewebe in der neuen Stellung zu halten.
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Die den okulomotorischen Kernen III, IV und VI vorgeschalteten Strukturen haben einerseits die Aufgabe, die beiden Augen zu koordinieren, andererseits müssen sie die Innervationsmuster für die in ▶ Abb. 1.32 aufgeführten Bewegungstypen herstellen.
1.2 Normales Binokularsehen
frontales Augenfeld dorsolaterale präfrontale Hirnrinde
oberer Schläfenlappen
MST MT
Für die horizontalen Sakkaden wird der Puls in der paramedianen pontinen retikulären Formation (PPRF) hergestellt, für die vertikalen Augenbewegungen im rostralen interstitiellen Kern des medialen longitudinalen Faszikulus (riMLF; ▶ Abb. 1.36). Der mediale untere Anteil der PPRF hat eine übergeordnete Funktion: Er bringt sowohl die horizontalen als auch die vertikalen Sakkaden in Gang. Bei schrägen Sakkaden koordiniert er die horizontale und die vertikale Komponente. Um das Innervationsmuster für die Stufe zu bilden, wird die Innervation von der PPRF nicht nur direkt zum Abduzenskern geleitet, sondern auch indirekt über einen Integrator. Für die horizontalen Sakkaden dient der in der Brücke gelegene Nucleus praepositus hypoglossi (NP) als Integrator, für die vertikalen Sakkaden der interstitiale Nucleus von Cajal (IC) im Mittelhirn. Puls und Stufe werden durch das Kleinhirn so genau aufeinander abgestimmt, dass die Augen ihr Ziel prompt erreichen und dort ruhig verharren [34]. Ist der Puls im Verhältnis zur Stufe zu klein, wird die Sakkade zu kurz und die Augen erreichen ihr Ziel erst mit einer nachfolgenden Drift. Ist die Stufe im Verhältnis zum Puls zu klein, driften die Augen nach der Sakkade zurück. Die Folge sind wiederholte Sakkaden zum Ziel und Rückdrifts, so dass ein Blickrichtungsnystagmus entsteht (siehe Kap. 4.3.3).
Auswahl der Blickziele Wenn wir unsere Umwelt betrachten, springt unser Blick so umher, dass die uns wichtigen Einzelheiten in rascher Folge auf der Netzhautmitte abgebildet werden. Dabei wechselt die Blickposition etwa 5-mal in der Sekunde. Die einzelnen Blickbewegungen können zwar willkürlich gesteuert werden, oft wird aber eine ganze Folge von Sakkaden nur von der allgemeinen Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst. Beim Lesen z. B. ruckt der Blick in mehreren Sprüngen über die Zeile, ohne dass be-
primäre Sehrinde
Abb. 1.39 Areale der Hirnrinde, die bei der Auswahl von Blickzielen und bei Augenfolgebewegungen beteiligt sind. In der primären Sehrinde (V1) werden die Details der Sehobjekte analysiert, unabhängig davon, ob sie von Bedeutung sind oder nicht. Von der primären Sehrinde erfolgt eine Meldung in weitere Areale der Hirnrinde. Durch Zusammenarbeit dieser Areale wird entschieden, ob eine Sakkade ausgelöst wird oder nicht. MST (mediale superiore temporale Area) und MT sind für Folgebewegungen und Optokinetik zuständig. Weitere Details siehe [34].
1
stimmte Buchstaben angezielt werden. Wenn wir ein menschliches Gesicht betrachten, wendet sich der Blick unwillkürlich den Konturen zu, die uns über den mimischen Ausdruck informieren, insbesondere den Augen und dem Mund. Wir planen also nicht bewusst jede einzelne Blickbewegung, sondern unsere Interessenlage bestimmt das Blickverhalten. Heruntergeladen von: Z-library. Urheberrechtlich geschützt.
supplementäres Augenfeld
Anatomische Strukturen Soll ein bestimmtes Sehobjekt angeblickt werden, meldet die Netzhaut den Abstand des Bildes von der Fovea zunächst in die primäre Sehrinde. Von dort gelangt die Meldung in verschiedene andere Gebiete der Hirnrinde (▶ Abb. 1.39) und des Hirnstamms. Durch Zusammenspiel dieser Gebiete wird ein motorischer Befehl errechnet, der das Auge zum Ziel lenkt. Die primäre Sehrinde meldet den oberen Vierhügeln, wo sich Blickziele befinden. Für die Entscheidung, ob diese Ziele von Bedeutung sind und ob sich ein Blick dorthin lohnt, sind andere Areale der Hirnrinde zuständig. In den oberen Vierhügeln (= Colliculi superiores) liegt eine wichtige Schaltstation, in der das visuelle Signal, z. B. ein in der Peripherie auftauchendes Objekt, in einen motorischen Befehl umgesetzt wird [34]. Die oberen Vierhügel übertragen den Befehl dann auf die retikuläre Formation (PPRF und riMLF). Im Parietallappen gibt es Gebiete, welche die Aufmerksamkeitszuwendung leiten. So hat man z. B. im hinteren Parietallappen (Area 7 des Affen) Zellen gefunden, die verstärkt entladen, wenn eine bestimmte Stelle der Umwelt besonders beachtet wird. Diese Zellen werden nicht nur dann aktiv, wenn die Stelle Ziel der folgenden Sakkade ist, sondern auch, wenn sie mit der Hand erreicht werden soll. Im Frontallappen existieren 3 für die Augenbewegungen wichtige Gebiete, nämlich das frontale Augenfeld, das supplementäre Augenfeld und der dorsolaterale präfron-
45
Normales Binokularsehen
Augenfolgebewegung und optokinetischer Nystagmus Mithilfe der Augenfolgebewegung gelingt es, kleine bewegte Sehobjekte kontinuierlich auf der Fovea centralis abzubilden. Die langsamen Phasen des optokinetischen Nystagmus (OKN) dienen dazu, ein Verwischen des Netzhautbilds zu vermeiden, wenn sich großflächige Objekte im Sehfeld eines ruhenden Betrachters bewegen oder – was häufiger vorkommt – wenn sich der Betrachter selbst in einer stabilen Umwelt bewegt. So benötigen wir z. B. den vertikalen optokinetischen Nystagmus beim Laufen über schwieriges Gelände, um z. B. nicht über Wurzeln zu stolpern. Den horizontalen optokinetischen Nystagmus brauchen wir, um beim Vorbeigehen an Schaufenstern die Auslagen zu mustern.
46
Prüfung der Augenfolgebewegung Der Untersucher bewegt ein an der Spitze eines Zeigestocks angebrachtes Fixierobjekt vor einer konturlosen Wand gleichmäßig hin und her und beobachtet dabei die Augen des Patienten (▶ Abb. 1.40). Details lassen sich erkennen, wenn man mit dem Ophthalmoskop ein eingeblendetes Fixationssternchen hin und her bewegt. Man sollte nicht nur die horizontalen, sondern auch die vertikalen Folgebewegungen prüfen, und zwar über einen Exkursionsbereich von etwa ± 20°. Bis zu einer Reizgeschwindigkeit von etwa 30°/s sind glatte Folgebewegungen zu erwarten. Bewegt man das Fixierobjekt schneller, wird das Folgesystem überfordert. Um das Bild des Fixierobjekts trotzdem nahe der Fovea zu halten, werden Sakkaden eingestreut. Man spricht dann von einer sakkadierten Folgebewegung. Zwischen den Sakkaden kann die Folgebewegung in der horizontalen Ebene Geschwindigkeiten bis zu 150°/s erreichen. Vertikale Folgebewegungen werden nicht so schnell. Die Folgebewegung ist in erheblichem Maß von der Aufmerksamkeitszuwendung abhängig.
Merke
H ●
Ein krankhafter Befund liegt nur vor, wenn die Augenfolgebewegung schon bei geringer Geschwindigkeit des führenden Objekts sakkadiert ist oder wenn ein deutlicher Unterschied zwischen dem Folgen nach rechts und links besteht.
Wird das Fixierobjekt nicht vor einem homogenen Hintergrund, sondern vor Konturen bewegt, so verlangsamt sich die Augenfolgebewegung um etwa 20 %.
Prüfung des optokinetischen Nystagmus Zur klinischen Diagnostik sind keine komplizierten Apparate nötig. Vielmehr genügt es, ein gemustertes Band in etwa 50 cm Entfernung vor den Augen des Patienten vorbeizuziehen, sowohl zwischen rechts und links als auch zwischen oben und unten (▶ Abb. 1.41). Dabei sind zwei Reizgeschwindigkeiten zu empfehlen, zunächst etwa 10°/s, dann 40°/s. Der Patient erhält die Anweisung, das bewegte Muster aufmerksam zu betrachten. Mit diesem Reiz wird nicht nur die Optokinetik angesprochen, sondern auch das Folgesystem. Wie der vestibuläre wird auch der optokinetische Nystagmus nach der Richtung der schnellen Phasen benannt. So entsteht bei Konturenbewegung zur linken Seite des Patienten ein optokinetischer Rechtsnystagmus. Um Verwechslungen bei der Befundbeschreibung zu vermeiden, empfiehlt es sich, nicht die Schlagrichtung der raschen Phasen, sondern die Reizrichtung zu notieren, also nicht „Störung des optokinetischen Rechtsnystag-
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tale Kortex (▶ Abb. 1.39). Vom Frontallappen werden Sakkaden gesteuert, die nicht reflexmäßig ablaufen, sondern eine gedankliche Vorbereitung erfordern. So versagen z. B. Patienten mit einer Läsion des frontalen Augenfelds bei der Aufgabe, auf eine Stelle zu blicken, an der sich ein Gegenstand einige Zeit zuvor befunden hat. Diese Patienten versagen auch bei dem sog. Antisakkadentest, der darin besteht, bei einem auf einer Seite auftauchenden Sehreiz zur Gegenseite zu blicken. Sie können der Versuchung nicht widerstehen, den auftauchenden Sehreiz anzublicken [24]. Man darf sich nicht vorstellen, nur ein einziges Hirnrindenareal könne entscheiden, ob eine bestimmte Sakkade auszuführen sei oder nicht. Vielmehr werden die Sakkaden aufgrund einer Koordination vieler Hirnteile gesteuert. Auf diese Weise können auch Kompromisse zwischen widerstreitenden Motivationen „erarbeitet“ werden, z. B. zwischen geistigem Interesse und emotionalen Wünschen. Der resultierende Befehl wird teils direkt, teils über Umwege (z. B. über Nucleus caudatus, Pars reticulata der Substantia nigra und obere Vierhügel) an die PPRF und den riMLF geschickt. Die dafür zuständigen, von den Großhirnhemisphären absteigenden Bahnen kreuzen im Mittelhirn. Das Kleinhirn ist für die Auslösung der Sakkaden nicht erforderlich. Es erfüllt aber die Aufgabe, die Treffsicherheit der Blickzielbewegungen zu eichen. Da die Sakkaden über mehrere Bahnen veranlasst werden können, führt der Ausfall eines einzigen Hirngebiets nur zu geringen Defekten. Komplizierte Versuchsanordnungen sind erforderlich, um diese Defekte zu identifizieren. Erst die Kombination mehrerer Läsionen bewirkt eine schwere Störung. So entsteht z. B. bei separatem Ausfall des frontalen Augenfelds oder der oberen Vierhügel keine Blicklähmung, wohl aber bei Ausfall beider Hirngebiete [51].
1.2 Normales Binokularsehen
1
mus“, sondern „Störung des optokinetischen Nystagmus bei Reizbewegung nach links“. Die Optokinetik wird danach beurteilt, ob die Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphasen in angemessenem Verhältnis zur Geschwindigkeit des Reizes steht. Die Frequenz des Nystagmus ist nicht maßgebend, denn zwei kleine Nystagmusschläge sind einem großen Nystagmusschlag gleichwertig, wenn nur die Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphasen gleich ist. Wichtig ist, ob der optokinetische Nystagmus bei Reizbewegung nach rechts und links gleich gut auslösbar ist. Eine Differenz zwischen oben und unten ist meist nicht krankhaft. Normalerweise ist die Optokinetik bei Reizbewegung nach unten schwächer.
Spiegelraumbewegung Eine sog. Spiegelraumbewegung [46] ergibt sich, wenn man den Patienten in einen Spiegel schauen lässt, den man um die vertikale bzw. die horizontale Achse dreht. Geeignet sind z. B. die über Waschbecken angebrachten Wandspiegel. Für den Patienten scheint sich der in die Tiefe gestaffelte Raum zu bewegen. Blickt er ohne besondere Fixationsabsicht geradeaus in den Raum, so entsteht ein optokinetischer Nystagmus. Fixiert er bestimmte Details, z. B. sein eigenes Spiegelbild, so ergeben sich Augenfolgebewegungen. Bei konventionellen optokinetischen Reizen gelingt es manchen Personen, die Augen durch Konzentration auf einen hinter dem Reiz liegenden imaginären Fixierpunkt ruhig zu halten. Einer Spiegelraumbewegung kann man sich dagegen kaum entziehen, da sich sowohl nahe als auch ferne Objekte bewegen. Die Spiegelraumbewegung kann daher genutzt werden, um eine vorgebliche Augenbewegungsstörung oder Blindheit zu widerlegen. Außerdem eignet sich die Spiegelraumbewegung bei Säuglingen und Kleinkindern zum Nachweis der optokinetischen Funktion.
Abb. 1.41 Prüfung des optokinetischen Nystagmus. Der Proband soll die vorbeiziehenden Figuren auf dem Band aufmerksam betrachten.
Physiologische Grundlagen Das Folgesystem und die Optokinetik wirken häufig zusammen. Oft kommt es aber zum Wettstreit beider Systeme. Dann entscheidet die Aufmerksamkeitszuwendung, ob ein kleines Sehobjekt eine Augenfolgebewegung auslöst oder ob ausgedehnte Konturen einen optokinetischen Nystagmus hervorrufen. Wenn man z. B. einen Vogel beobachten will, der vor windgepeitschten Wolken fliegt, gewinnt das Folgesystem, und das Bild des Vogels bleibt auf der Netzhautmitte, während die Verschiebung der Wolkenbilder über die Netzhaut ohne Wirkung bleibt. Auch vor ruhenden Konturen kann sich ein Wettstreit zwischen Optokinetik und Folgesystem ergeben. Man kann dies an sich selbst erproben, indem man seinen Finger vor einer bebilderten Wand hin und her bewegt. Wenn man die Aufmerksamkeit auf den Finger konzentriert, gewinnt das foveale Folgesystem und die optokinetische Reizung der Netzhautperipherie bleibt wirkungslos. Wie werden Augenfolgebewegung und Optokinetik ausgelöst und in Gang gehalten? Beginnt sich ein Objekt zu bewegen, so verschiebt sich sein Bild über die Netzhaut. Dieser Reiz startet die Augenfolgebewegung bzw. die Optokinetik. Je mehr sich die Winkelgeschwindigkeit der Augen der des Objekts anpasst, umso weniger verschiebt sich das Bild über die Netzhaut. Dennoch hören die Augen nicht auf, dem Objekt zu folgen, denn das Gehirn ist über die aktuelle Augenbewegung informiert, es gibt ja selbst den Befehl dazu. Ein Fehlen der retinalen Bildverschiebung nimmt das Gehirn dann als Bestätigung dafür, dass die Bewegung fortzusetzen sei. Folgen die Augen zu langsam oder zu schnell, verschiebt sich das Netzhautbild erneut. Dies veranlasst das Gehirn, die Geschwindigkeit der Augenbewegung zu korrigieren. Im Gegensatz zur Optokinetik reagiert das Folgesystem nicht nur auf Verschiebung, sondern auch auf die Position des Netzhautbilds. Eine Abbildung des Fixierobjekts dicht
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Abb. 1.40 Prüfung der Augenfolgebewegung. Ein Stab wird vor konturlosem Hintergrund hin und her bewegt.
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neben der Foveola regt nicht nur Sakkaden an, sondern stimuliert auch das Folgesystem. Das kann man z. B. am Verfolgen eines parazentral eingeblitzten Nachbilds studieren. Das Nachbild scheint zu schwimmen und zieht dabei den Blick nicht in Rucken, sondern gleitend mit sich [33], [44]. Im täglichen Leben dient dieser Mechanismus dazu, das Bild eines bewegten, dem Blick vorauseilenden Objekts auf die Foveola zu bringen. Ein weiterer Unterschied zwischen optokinetischem und Folgesystem besteht darin, dass das Folgesystem auf einen plötzlichen Bewegungsreiz sofort anspricht, während das optokinetische System langsam reagiert und 10 Sekunden braucht, um sich dem Bewegungsreiz anzupassen. Diese Anpassung geschieht in den vestibulären Kernen, die wie ein Speicher funktionieren. Die Aufladung des Speichers zeigt sich als optokinetischer Nachnystagmus. Um ihn zu registrieren, muss man nach der Bewegungsreizung den Raum verdunkeln. Da optokinetische Reize normalerweise auch das schnell reagierende Folgesystem in Gang setzen, findet man ein allmähliches Anlaufen der Optokinetik nur nach Läsionen, die isoliert das Folgesystem ausgeschaltet haben. Dies ist selten, da viele Strukturen des Gehirns gemeinsam vom optokinetischen und vom Folgesystem benutzt werden.
Anatomische Strukturen Die Strukturen des Augenfolgesystems und der Optokinetik haben sich phylogenetisch viel stärker weiterentwickelt als das vestibuläre System, das bei niederen Tieren schon ziemlich ausgereift ist. Beim Menschen ist die Optokinetik an die Funktionstüchtigkeit der Hirnrinde gebunden, bei Tieren jedoch nicht. Selbst beim Affen, dessen okulomotorisches System ansonsten dem des Menschen weitgehend entspricht, ist die Optokinetik nach Abtragung der Hirnrinde nicht völlig ausgelöscht. In den großen Ganglienzellen der Netzhaut beginnt die für das Sehen von Bewegung zuständige magnozelluläre Bahn. Im Gegensatz dazu beginnt in den kleinen Ganglienzellen der Netzhaut die parvozelluläre Bahn, die vorwiegend für das Erkennen von Form und Farbe zuständig ist. Die magnozelluläre Bahn sendet die Bewegungsinformation zum Corpus geniculatum laterale und weiter in die primäre Sehrinde. Von dort wird die Bewegungsinformation in andere Hirnrindenareale übertragen, insbesondere zu den beim Affen identifizierten Areae MT (mittlere temporale Area) und MST (mediale superiore temporale Area) und zum frontalen Augenfeld. Zusammen mit der primären Sehrinde bewerkstelligen MT, MST und das frontale Augenfeld den Übergang vom sensorischen auf das motorische System, d. h. sie bringen die Folgebewegungen und die Optokinetik in Gang. Die Areale des Menschen, die der MT und der MST des Affen entsprechen, liegen an der Grenze zwischen temporalem, parietalem und okzipitalem Lappen (▶ Abb. 1.39).
48
Es genügt die primäre Sehrinde einer Seite, um Folgebewegungen und langsame Phasen des optokinetischen Nystagmus nach beiden Seiten auszulösen. Daher bleiben Folgebewegung und Optokinetik bei Ausfall einer Sehrindenhälfte mit entsprechender homonymer Hemianopie erhalten. Unterhalb der Sehrinde sortieren sich aber die Bahnen so, dass die Fasern für rechts gerichtete Folgebewegungen und langsame Nystagmusphasen im rechten, die für links gerichtete im linken parietookzipitalen Marklager verlaufen (▶ Abb. 1.42a, b). Eine Läsion des parietookzipitalen Marklagers kann also zu einem Halbseitenausfall der Folgebewegung und der Optokinetik führen, im Gegensatz zu einer auf die Sehrinde beschränkten Läsion [32]. Damit eine Sehrindenhälfte auch zur Gegenseite gerichtete Folgebewegungen und langsame Nystagmusphasen auslösen kann, muss sie über den Balken zusätzlich in das gegenseitige parietookzipitale Marklager projizieren (▶ Abb. 1.42a, b). Von der Hirnrinde (MT-MST) gelangt die Bewegungsinformation zum dorsolateralen pontinen Nukleus (DLPN) [18]. Vom DLPN kreuzt die Bewegungsinformation zum Kleinhirn, insbesondere zum hinteren Kleinhirnwurm und zum Flocculus. Schließlich wird die Bewegungsinformation zu den vestibulären Nuklei (VN) weitergeleitet. Die vestibulären Nuklei fungieren dann als gemeinsame Befehlsstation für alle langsamen Augenbewegungen, also sowohl für die visuellen als auch für die vestibulären. Die vestibulären Nuklei projizieren in die Augenmuskelkerne, teils direkt, teils über den als Integrator wirkenden Nucleus praepositus hypoglossi. Der Weg von MT und MST über den dorsolateralen pontinen Nukleus (DLPN) und das Zerebellum ist für die Folgebewegung der wichtigste [34]. Außerdem spielt das akzessorische optische System (AOS) eine erhebliche Rolle, vorwiegend bei großflächigen optokinetischen Reizen. Umschaltstationen des AOS sind der Nukleus des optischen Trakts (NOT) und der ihm benachbarte dorsale terminale Nukleus des akzessorischen optischen Trakts (DTN). Der NOT und der DTN liegen im Mittelhirn zwischen Colliculus superior und Pulvinar. Der rechte NOT-DTN ist für rechts gerichtete und der linke NOT-DTN für links gerichtete Folgebewegungen und langsame Phasen des OKN zuständig (▶ Abb. 1.42a, b). Bei Tieren mit seitlich angeordneten Augen, wie z. B. dem Kaninchen, erhält der NOT-DTN die Bewegungsmeldung nur von der gegenseitigen Netzhaut, nicht über die Hirnrinde (gestrichelte Pfeile in ▶ Abb. 1.42a, b). Wenn nur ein Auge gereizt wird, ist die Optokinetik des Kaninchens asymmetrisch: Nur die nach nasal gerichtete Bewegung führt zu Nystagmus. Beim Menschen spielt die subkortikale Bahn zum NOTDTN nur in den ersten 2–3 Lebensmonaten eine Rolle. Entsprechend zeigt sich bei monokularer Reizung nur im Säuglingsalter eine deutliche nasotemporale Asymmetrie der Optokinetik. Die nach temporal gerichtete Bewegung
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Normales Binokularsehen
1.2 Normales Binokularsehen
nasal gerichtete Bewegung
temporal gerichtete Bewegung
1
Corpus geniculatum laterale
Corpus geniculatum laterale
NOT-DTN
NOT-DTN
Bahn im parietookzipitalen Marklager
V1→MT→MST R+L
R+L
V1→MT→MST
Balken
R+L
a
Bahn im parietookzipitalen Marklager
R+L
V1→MT→MST
R+L
R+L
R+L
Hirnrinde Area V1 mit Binokularzellen
R+L
V1→MT→MST
Balken
R+L
b
R+L
R+L
R+L
Hirnrinde Area V1 mit Binokularzellen
wirkt sich schwächer aus als die nach nasal gerichtete [25]. Mit weiterer Reifung und Ausbildung des Binokularsehens übernimmt die Sehrinde plus MT und MST die Übertragung der Optokinetik [17], [28]. Danach wirkt eine monokulare, nach temporal gerichtete Reizung nahezu gleich stark wie eine nach nasal gerichtete [36], [42], [59]. Nur beim frühkindlichen Schielen kann die nasotemporale Asymmetrie zeitlebens bestehen bleiben.
Vestibuläre Kompensationsbewegung Der von den Bogengängen des Innenohrs gesteuerte vestibulookuläre Reflex (VOR) stabilisiert unsere Augen im Raum, wenn wir den Kopf hin und her drehen. Dadurch
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Abb. 1.42 Bahnen der horizontalen Augenfolgebewegung und der Optokinetik NOT-DTN sind Kerne, die lateral vor den Vierhügeln im Mittelhirn liegen. Der rechte NOT-DTN kann nur rechts gerichtete Folgebewegungen auslösen, der linke nur links gerichtete. Weisungen erhalten die beiden NOT-DTN über 2 Wege, einen subkortikalen und einen kortikalen. Bei Tieren mit geringem Binokularsehen (Kaninchen) ist der subkortikale Pfad vom gegenseitigen Auge der einzige Weg (gestrichelte Pfeile). Zum Beispiel steuert das linke Auge nur den rechten NOT-DTN an. Daher lassen sich beim Kaninchen vom linken Auge nur nach rechts (nasal) gerichtete Folgebewegungen auslösen. Die vom Kaninchen „geerbte“ subkortikale Bahn ist auch beim Menschen als akzessorischer optischer Trakt nachweisbar [21], spielt aber wahrscheinlich nur in den ersten 3 Lebensmonaten eine Rolle. Danach reifen Schaltungen über die Hirnrinde aus, die es ermöglichen, dass von einem Auge beide NOT-DTN angesteuert werden [37], [28]. a Diese Abbildung zeigt die Verbindung über die rechte und linke Hirnrinde zum gegenseitigen NOT-DTN, welche die nasal gerichtete Folgebewegung vermittelt. (V1 ist die primäre visuelle Area, von dort werden die für Bewegung zuständigen Areae MT und MST angesteuert.) b Diese Abbildung zeigt die Verbindung zum gleichseitigen NOT-DTN, welche die temporal gerichtete Folgebewegung vermittelt. Normalerweise funktioniert die nach temporal gerichtete Folgebewegung ebenso gut wie die nach nasal gerichtete. Beim frühkindlichen Schielen ist die nach temporal gerichtete Folgebewegung gestört (▶ Abb. 4.55). Beim Primaten projiziert MT-MST nicht nur in den ipsilateralen NOT-DTN, sondern auch in den ipsilateralen dorsolateralen pontinen Nukleus (DLPN) [16], [18], [29]. Diese Projektion ist für die foveal ausgelösten Folgebewegungen wichtiger als die zum NOT-DTN.
verhindert der VOR, zusammen mit der Optokinetik, ein Verwischen des Netzhautbilds. Das vestibuläre System ist für den Ausgleich kurzfristiger, starker Drehbeschleunigungen des Kopfes spezialisiert, das optokinetische System für den Ausgleich langanhaltender, langsamer Kopfbewegungen. Vestibuläres und optokinetisches System ergänzen sich daher in idealer Weise. So verhindert der VOR z. B. ein Wackeln des Netzhautbilds beim Kopfnicken. Die Optokinetik allein wäre dafür zu träge. Der Einfluss propriozeptiver Meldungen vom Hals ist bei der Kopfdrehung normalerweise gering [1]. Nur bei Ausfall beider Gleichgewichtsorgane gewinnt die Propriozeption vom Hals an Bedeutung.
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Normales Binokularsehen
rechter vorderer Bogengang rechter seitlicher Bogengang
linker seitlicher Bogengang linker hinterer Bogengang
Abb. 1.43 Bogengänge im rechten und linken Felsenbein. Die Bogengänge der beiden Seiten arbeiten zusammen. Gereizt wird jeweils der Bogengang, zu dem der Kopf hingedreht wird. Gehemmt wird jeweils der Bogengang, von dem der Kopf weggedreht wird. So wird z. B. bei einer Kopfdrehung nach rechts der rechte seitliche Bogengang aktiviert, der linke seitliche gehemmt. Bei einer Kopfdrehung schräg nach rechts vorne unten wird der rechte vordere Bogengang aktiviert und der linke hintere gehemmt. Bei den meisten im täglichen Leben vorkommenden Kopfdrehungen werden mindestens 2 Bogengänge gleichzeitig aktiviert und 2 gehemmt. So werden z. B. bei einer Kopfdrehung nach gerade vorne unten (beim Nicken) die vorderen Bogengänge beider Seiten aktiviert und die hinteren beider Seiten gehemmt. Bei der Kopfneigung zur rechten Schulter wird der vordere und hintere Bogengang der rechten Seite aktiviert, der vordere und hintere Bogengang der linken Seite wird gehemmt.
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bewegung der Augen nach links. In den beiden anderen Raumebenen wird der VOR durch reziproke Aktivitätsänderungen der vertikalen Bogengänge ausgelöst.
Merke
H ●
Beim vestibulookulären Reflex (VOR) „fließen“ die Augen während der langsamen Nystagmusphasen in der gleichen Richtung wie die Endolymphe in den Bogengängen.
Die Reaktionszeit des VOR ist sehr kurz. Dies hängt damit zusammen, dass nur 3 hintereinander geschaltete Neurone benötigt werden, um die Reizung der Bogengänge auf die Augenmuskeln zu übertragen. Die Zellen des 1. Neurons liegen bei den Bogengängen im Ganglion vestibuli. Diese Zellen nehmen das Signal von der Kupula-Membran auf, verwandeln es in Aktionspotenziale und senden es zum Nucleus vestibularis in der Brücke. Dort befinden sich die Zellen des 2. Neurons, die das Signal zu den Augenmuskelkernen (III, IV und VI) senden. Die in den Augenmuskelkernen liegenden Zellen des 3. Neurons leiten die Erregung über die entsprechenden Hirnnerven zu den Augenmuskeln. Eine Ausnahme von diesem Drei-Neuronen-Reflex macht nur der M. rectus medialis. Für ihn ist ein internukleäres Neuron zwischengeschaltet, so dass die Reflexbahn aus 4 Neuronen besteht. Die internukleären Neurone entspringen im Abduzenskern und ziehen nach Kreuzung im medialen longitudinalen Faszikulus zum Nucleus oculomotorius (▶ Abb. 1.44).
Prüfung des vestibulookulären Reflexes Man lässt den Patienten kleine Optotypen lesen und fordert ihn auf, seinen Kopf mit zunehmender Frequenz hin und her zu drehen. Damit prüft man den horizontalen VOR. Zur Prüfung des vertikalen VOR lässt man den Patienten nicken. Dabei kommt es zu Ausgleichsbewegungen, die auch als Puppenkopf-Phänomen bezeichnet werden. Als gestört ist der VOR zu bewerten, wenn der Patient Scheinbewegungen und Verschwommensehen bei allmählicher Frequenzsteigerung der Kopfdrehung früher bemerkt als der Untersucher, der – unauffällig hinter dem Patienten stehend – seinen VOR vergleichend prüft [62]. Als weiterer Test ist der Drehimpulstest nach Halmagyi zu empfehlen, der in Kap. 4.3.7 erklärt wird. Für eine getrennte Prüfung des rechten und linken Gleichgewichtsorgans ist eine kalorische Spülung des Gehörgangs erforderlich (▶ Abb. 1.45). Hinweise zur Prüfung des VOR bei Säuglingen sind in Kap. Entwicklung der Augenbewegungen im Säuglingsalter zu finden.
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Mit einem Selbstversuch kann man sich vor Augen führen, dass der VOR hohe Drehbeschleunigungen des Kopfes sehr gut ausgleicht. Ein Lesetext bleibt erkennbar, wenn man den Kopf rasch hin und her dreht. Das Augenfolgesystem versagt dagegen, wenn man den Text bei ruhigem Kopf mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit hin und her bewegt. Der Lesetext erscheint dann völlig verwischt. Reizaufnehmendes Organ für den VOR sind die in 3 Raumebenen angeordneten Bogengänge (▶ Abb. 1.43). Bei Geschwindigkeitsänderung bleibt die Flüssigkeit in den Bogengängen im Verhältnis zum Schädel zurück. Dies führt zu einer Scherströmung, welche die Sinneshärchen (Stereozilien) der Haarzellen abbiegt, die in die KupulaMembran hineinragen. Je nach Richtung der Biegung werden die zum Hirnstamm laufenden Nervenfasern erregt oder gehemmt. Bei unbewegtem Kopf halten sich die Aktivitäten aller 6 Bogengänge die Waage. Bei einsetzender Rechtsdrehung wird der rechte horizontale Bogengang aktiviert und der linke gehemmt. Diese reziproken Aktivitätsänderungen bewirken eine Kompensations-
1.2 Normales Binokularsehen
Physiologische Grundlagen
44°
Abb. 1.45 Kalorische Vestibularisprüfung. Bei zurückgelegtem Kopf wird durch Spülung des äußeren Gehörgangs mit Wasser von 44°C der seitliche Anteil des horizontalen Bogengangs erwärmt. Dadurch zirkuliert die Endolymphe, denn warme Endolymphe ist leichter und steigt, während kalte Endolymphe schwerer ist und fällt. Obwohl die Zirkulation nur winzig ist, reicht sie aus, um die Sinneshaare in der Kupula-Membran abzubiegen.
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Abb. 1.44 Prüfung auf Spontannystagmus mit der FrenzelLeuchtbrille. Der Proband siehtFrenzel-Leuchtbrille keine Konturen, da der Untersuchungsraum abgedunkelt ist und er durch schläfenwärts im Brillengehäuse angebrachte Glühbirnchen geblendet ist. Die hier gezeigte Modifikation der Leuchtbrille nach Blessing [4] ist zu bevorzugen, weil sie ein weißes Gehäuse hat, das viel Streulicht reflektiert. Dadurch kann der Proband die Purkinje-Aderfigur nicht sehen. Deren Beachtung würde Augenbewegungen auslösen, die mit einem Nystagmus verwechselt werden könnten.
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Mit dem VOR erreicht das Auge Geschwindigkeiten bis zu 300°/s. Bei aktivem Hin- und Herdrehen des Kopfes funktioniert der Reflex bis zu einer Frequenz von 6 Hz. In Dunkelheit ist der VOR abgeschwächt, es sei denn, man fordert den Probanden dazu auf, sich ein stationäres Fixierobjekt vorzustellen. Im Gegensatz zu den Augenfolgebewegungen gibt es beim VOR keine Regelung. Die Augenfolgebewegungen werden der Geschwindigkeit des fixierten Objekts prompt angepasst. Folgen die Augen zu langsam oder zu schnell, bewirkt die Verschiebung des Netzhautbilds einen Korrekturbefehl. Beim VOR gibt es statt der sofort wirkenden Regelung nur eine Nacheichung, für die das Gehirn einige Minuten Zeit braucht [9]. Von dieser Nacheichung kann man sich mit einem Selbstversuch überzeugen: Setzt man sich Gläser von etwa + 5,0 sph in einem Brillengestell vor die Augen und dreht den Kopf, so nimmt man eine Verschiebung des Netzhautbilds als Scheinbewegung wahr, denn der VOR ist zunächst zu schwach, um die prismatische Nebenwirkung der Plusgläser auszugleichen. Es erfolgt jedoch eine Umeichung. Innerhalb von etwa 30 Minuten passt das Gehirn den VOR so an, dass die Scheinbewegung aufhört. Das Umschalten zwischen 2 Eichungen kann auch trainiert werden. Daher leiden Fehlsichtige kaum unter Schwindelerscheinungen, wenn sie zwischen Brillenkorrektion (mit prismatischer Nebenwirkung) und Kontaktlinsen (ohne prismatische Nebenwirkung) hin und her wechseln. Ein Nystagmus entsteht, wenn die Drehbeschleunigung des Kopfes länger als 0,2 Sekunden anhält. Dann wechseln sich kompensatorische langsame Phasen und rückstellende rasche Phasen ab. Bei der Kopfneigung zur Schulter kommt es zu einer Gegenrollung um die sagittale Achse. Dabei ist ein statischer von einem dynamischen Reflex zu unterscheiden. Der statische VOR wird von der Schwerkraft auf den Otolithenapparat bestimmt. Man spricht daher vom Otolithenreflex: Bei anhaltender Neigung des Kopfes zu einer Schulter verbleiben die Augen in Gegenrollung. Zwischen Rechts- und Linksneigung um je 45° beträgt der Rollungsunterschied etwa 11° [54]. Da die Gegenrollung nur einen kleinen Teil des Neigungswinkels ausgleicht, werden senkrechte Sehkonturen bei Kopfneigung zur Schulter nicht auf dem 12-Uhr-Meridian der Netzhaut abgebildet. Dennoch nimmt man die Umwelt aufrecht wahr. Der Grund: Der Otolithenapparat und die Propriozeptoren des Halses melden dem Gehirn die Lage des Kopfes. Aufgrund dieser Meldungen deutet das Gehirn das Netzhautbild um. Beim dynamischen VOR wird die Gegenrollung von den Bogengängen ausgelöst. Man kann den dynamischen Reflex gut beobachten, wenn man den Kopf einer Versuchsperson zwischen rechter und linker Schulter rasch hin und her neigt und dabei die Gegenrollung der Augen an den Strukturen der Iris oder an den Bindehautgefäßen
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Normales Binokularsehen verfolgt. Das Ausmaß der Gegenrollung ist während der dynamischen Kopfneigung zur Schulter viel höher als bei anhaltender, statischer Neigung. Die der Neigungsgeschwindigkeit des Kopfes bis zu 70 % angepasste Gegenrollung wird durch gegenläufige rasche Phasen unterbrochen, so dass ein rotatorischer Nystagmus zustande kommt.
Akkommodative und fusionale Vergenz
Mikrobewegungen und Fixationskontrolle Auch wenn wir glauben, einen Punkt völlig ruhig zu fixieren, führen unsere Augen dauernd kleine Bewegungen aus. Von diesen Mikrobewegungen kann man sich mithilfe des in ▶ Abb. 1.46 wiedergegebenen Experiments überzeugen. Die Mikrobewegungen kann man in 3 Arten einteilen: ● Langsame Mikrobewegung, auch Drift genannt, mit einer Amplitude in der Größenordnung von 2,5 Winkelminuten und einer Geschwindigkeit von etwa 2–8 Winkelminuten pro Sekunde. ● Mikrosakkaden mit einer Amplitude zwischen 3 und 50 Winkelminuten und einer linear von der Amplitude abhängigen Maximalgeschwindigkeit: 8 Grad pro Sekunde bei einer Amplitude von 50 Winkelminuten [52]. ● Mikrotremor mit einer Amplitude von weniger als 1 Winkelminute, einer Geschwindigkeit bis zu ca. 10 Winkelminuten pro Sekunde und einer Frequenz von etwa 30 Hz.
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Abb. 1.46 Nachbildmethode zum Nachweis von Mikrobewegungen bei der Fixation [61]. Man fixiere monokular zuerst den weißen Punkt für die Dauer von 15 Sekunden, dann den schwarzen Punkt. Die Schwankungen des Gitternachbilds zeigen die Mikrobewegungen des Auges an. Gut sind die Nachbildschwankungen auch beim Blick zurück auf den weißen Punkt zu sehen.
Die Drifts und die Mikrosakkaden erfolgen horizontal, vertikal und torsional. Die torsionalen Mikrobewegungen sind am größten; sie sind an beiden Augen konjugiert und erreichen 1°. Während der Mikrotremor als „Rauschen“ zu deuten ist, wie etwa das Rauschen eines nicht optimal eingestellten Radios, sind die langsamen Mikrobewegungen und die Mikrosakkaden Ausdruck der Fixationsregelung: Die langsamen Mikrobewegungen und die Mikrosakkaden entstehen zwar durch zufällige Schwankungen der Versions- und Vergenz-Zentren, sie haben aber auch eine korrigierende Funktion, indem sie die beiden Augen immer wieder auf das geforderte Fixierobjekt zurückführen. Die langsamen Mikrobewegungen und die Mikrosakkaden sind an beiden Augen nicht ganz gleich, so dass die Vergenz bei freiem Kopf um etwa 30 Winkelminuten, bei fixiertem Kopf um etwa 3 Winkelminuten schwankt [11], [57]. Nur darüber hinaus gehende, störende Disparitäten werden mit der Fusionsregelung korrigiert [8]. Früher nahm man an, die Fixation werde allein durch das Folgesystem geregelt. Bei der Fixation führt jede zufällige Drift der Augen zu einer Verschiebung des Netzhautbilds, und diese Verschiebung dient als Fehlersignal, gerade so wie bei den Folgebewegungen. Inzwischen weiß man aber, dass es zusätzlich ein Fixationssystem gibt. Man hat dies u. a. daraus geschlossen, dass die Geschwindigkeit der Augen beim Fixieren stillstehender Ob-
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Die Vergenz dient dazu, die Augen so auszurichten, dass Fixationsobjekte auf korrespondierenden Netzhautstellen abgebildet werden. Die akkommodative Vergenz wird durch Annäherung oder Entfernung eines Sehobjekts ausgelöst. Dabei meldet die Netzhaut die entstehende Unschärfe des Bildes. Die fusionale Vergenz kommt durch disparate Reizung beider Netzhäute zustande. Unter natürlichen Sehbedingungen arbeiten die akkommodative und die fusionale Vergenz zusammen. Mit der horizontalen Vergenz sind die Akkommodation und die Pupillenweite gekoppelt, so dass man von einer Naheinstellungstrias spricht. Nachfolgend wird der Bewegungsablauf bei der Vergenz besprochen. Die statische Beziehung zwischen Vergenz und Akkommodation ist im Kapitel über die Heterophorie (Kap. 2.2) nachzulesen. Im täglichen Leben ist der Wechsel zwischen Nah- und Fernblick meist mit einer Blickwendung verbunden, so z. B. wenn man von einer Uhr links hinten an der Wand auf eine Tasse rechts vorne auf dem Tisch schaut. In diesen Fällen führen die beiden Augen verschieden große Sakkaden aus, so dass sich die Vergenz sehr schnell ändert [20].
1.2 Normales Binokularsehen
Prüfung der Fixation Mit einem Ophthalmoskop spiegelt man ein Fixationssternchen auf den Fundus und fordert den Patienten auf, das Sternchen genau anzusehen. Um dem Patienten die Konzentration auf das Sternchen zu erleichtern, muss man das nicht untersuchte Auge verdecken. Man beurteilt die Abweichungen der Foveola vom Fixationssternchen. Die normalen Mikrobewegungen kann man dabei nicht erkennen, vor allem, weil man das Ophthalmoskop nicht ruhig genug halten kann. Ein als krankhaft zu wertender Fixationsnystagmus ist aber gut zu sehen. Drifts, die immer in einer Richtung laufen, sind als langsame Phasen eines Rucknystagmus zu deuten. Um die Augenbewegungen bei der Fixationsprüfung quantitativ beurteilen zu können, sollte man den Durchmesser des Fixationssternchens kennen. Man kann ihn leicht bestimmen, indem man sich selbst das Fixationssternchen in ein Auge einspiegelt und mit dem anderen Auge auf eine Tangententafel blickt. Bei den üblichen Ophthalmoskopen beträgt der Durchmesser des Sternchens 1°.
Augenbewegungen bei Ausschluss der Fixation
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Wenn ein vestibulärer Spontannystagmus festzustellen oder auszuschließen ist, sollte man die Augenbewegungen bei Ausschluss der Fixation in einem möglichst dunklen Raum prüfen. Der Patient wird aufgefordert, geradeaus zu blicken. Man beleuchtet die Augen mithilfe einer hellen Taschenlampe von unten. Dadurch wird der Patient so geblendet, dass Restkonturen des Raumes überstrahlt und dadurch unsichtbar werden. Auch bei der Frenzel-Leuchtbrille (▶ Abb. 1.44) beruht die Ausschaltung der Fixation auf der Blendung durch die eingebauten Glühbirnchen. Die starken Plusgläser der Leuchtbrille dienen lediglich dazu, dass man die Augenbewegungen leichter beobachten kann. Die herkömmliche schwarze Version der FrenzelLeuchtbrille hat den Nachteil, dass die Glühbirnchen die Purkinje-Aderfigur auslösen können. Wendet der Patient seine Aufmerksamkeit einer bestimmten Stelle der Aderfigur zu, wird eine Drift in die dieser Stelle entsprechende Richtung ausgelöst, so als könnte man diese Stelle in die Fovea centralis bringen. Wenn die Drift durch Rückstellsakkaden unterbrochen wird, kann ein Nystagmus vorgetäuscht werden [3]. In der von Blessing empfohlenen weißen Leuchtbrille entsteht so viel Streulicht, dass der Patient die Aderfigur nicht sehen kann [4]. Eine weitere gute Methode zur Prüfung der Augenbewegungen bei Ausschluss der Fixation besteht darin, mit dem Punktlicht des Ophthalmoskops die Papille anzuleuchten [63]. Der Patient nimmt dabei nur Streulicht wahr, und der Untersucher kann die Augenbewegungen gut beurteilen, indem er deren Amplitude und Geschwindigkeit an der etwa 7° breiten Papille abschätzt. Sakkaden ohne nachfolgende langsame Phasen dürfen nicht als Nystagmus angesehen werden, auch dann nicht, wenn die Sakkaden mehrmals hintereinander in derselben Richtung auftreten. Entscheidend für die Frage, ob ein Nystagmus vorliegt oder nicht, sind langsame Phasen. Auch Gesunde können bei Ausschluss der Fixation aufgrund einer Asymmetrie des vestibulären Systems einen geringen Nystagmus aufweisen. Langsame Phasen bis zu 5°/s können als normal gelten.
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jekte weniger schwankt als beim Verfolgen bewegter Objekte [34]. Die bei den langsamen Mikrobewegungen entstehenden Verschiebungen des Netzhautbilds verhindern die Lokaladaptation. Wenn man das Netzhautbild experimentell stabilisiert, indem man es durch einen am Hornhautrand festgesaugten winzigen Diabetrachter darbietet, schwindet das Sehen aufgrund von Lokaladaptation nach wenigen Sekunden. Das ist jedoch nur der Fall, wenn das stabilisierte Netzhautbild einäugig dargeboten und das Partnerauge okkludiert wird. Offenbar spielt in dieser Situation binokularer Wettstreit zwischen dem stabilisierten Netzhautbild des einen Auges und dem „Eigengrau“ des anderen Auges eine Rolle. Wenn man in beiden Augen auf korrespondierenden Netzhautstellen ein gleichartiges Bild stabilisiert, schwindet das Sehen kaum noch [50]. Die Lokaladaptation kann man sich an der PurkinjeAderfigur vor Augen führen. Die Netzhautgefäße entwerfen stabilisierte Schattenbilder auf die Zapfen und Stäbchen. Da das Licht normalerweise immer aus Richtung der Pupille auf die Netzhaut fällt, trifft der Schatten der Netzhautgefäße immer dieselben Sinneszellen. Diese gewöhnen sich an den Gefäßschatten und melden ihn nicht mehr. Lässt man das Licht aus wechselnden Richtungen auftreffen, indem man im Dunkelzimmer eine kleine Lichtquelle dicht vor dem Auge hin und her bewegt, so wird die Lokaladaptation unterlaufen, und es erscheint der Gefäßschatten.
Zusammenspiel der verschiedenen Augenbewegungen Zur Diagnostik müssen die einzelnen Augenbewegungsarten isoliert geprüft werden. Im täglichen Leben überlagern sie sich in vielfältiger Weise. Wenn man z. B. wandernd eine Landschaft betrachtet, ziehen Vorder- und Hintergrund in unterschiedlichen Winkelgeschwindigkeiten vorüber. Zudem können sich einzelne Sehobjekte selbst bewegen. Unsere Aufmerksamkeitszuwendung entscheidet, welchen Konturen wir die langsamen Phasen unseres optokinetischen Nystag-
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Normales Binokularsehen
Entwicklung der Augenbewegungen im Säuglingsalter Rasche Augenbewegungen Mit der Ultraschallechografie lassen sich bereits 5 Monate vor der Geburt rasche Augenbewegungen nachweisen [45]. Beim Neugeborenen machen die Sakkaden zunächst den Eindruck zufälliger Suchbewegungen, aber schon nach wenigen Tagen werden sie gezielt. Zu den ersten Objekten, für die sich der Säugling interessiert, gehören die Augen in einem menschlichen Gesicht [26]. Diese Vorliebe sollte man als Untersucher ausnützen, indem man sein Gesicht als Fixierobjekt hin und her bewegt und dabei die Reaktionen des Säuglings beobachtet. In der Peripherie auftauchende Objekte blickt der Säugling meist nicht in einem Zug an, sondern mit einer Serie kleiner Sakkaden.
Optokinetischer Nystagmus Optokinetische Reaktionen lassen sich bei manchen Säuglingen schon wenige Tage nach der Geburt auslösen, bei anderen reift die Optokinetik erst im Laufe der ersten Lebenswochen. Bei monokularer Reizung findet man in den ersten 3 Lebensmonaten eine Asymmetrie: Reizmusterbewegungen von nasal nach temporal lösen einen sehr viel geringeren optokinetischen Nystagmus aus als solche von temporal nach nasal [5], [25], [59].
Augenfolgebewegung Gleitende Folgebewegungen lassen sich bei manchen Säuglingen schon in den ersten Tagen nach der Geburt auslösen, jedoch nur dann, wenn das führende Objekt sehr langsam bewegt wird [35], [48], [49]. Bei höherer Geschwindigkeit resultiert eine Serie kleiner Sakkaden [49].
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Vestibulookulärer Reflex Die vestibuläre Kompensationsbewegung funktioniert bereits unmittelbar nach der Geburt. Zur Prüfung sitzt der Untersucher auf einem Drehstuhl. Er hält den Säugling so, dass dieser über eine Schulter des Untersuchers auf die Zimmerwand schaut. Dreht sich der Untersucher nun gemeinsam mit dem Säugling hin und her, so resultiert eine kombinierte optokinetische und vestibuläre Reizung. Bei raschem Hin- und Herdrehen wirkt überwiegend der vestibuläre Reiz. Der Untersucher beobachtet die dadurch ausgelösten langsamen und raschen Augenbewegungen und achtet besonders darauf, ob beide Augen konkomitant bewegt werden und ob die schnellen Nystagmusphasen eine normale Geschwindigkeit erreichen. Mit diesem Test lässt sich feststellen, ob eine Augenmuskellähmung vorliegt, z. B. eine Abduzenslähmung.
Vergenz Sensorische und motorische Binokularfunktionen bedingen sich gegenseitig. Einerseits verlangt die Regelung der Vergenz eine Analyse der Disparität (im Interesse des Tiefensehens), andererseits erfordert das Erkennen von Disparität eine genaue Einstellung der Vergenz. Im Laufe der ersten 3–4 Lebensmonate entwickeln sich die sensorischen und motorischen Binokularfunktionen Hand in Hand zu immer größerer Präzision. Ob die Vergenz genau der Sehentfernung entspricht, lässt sich nur mithilfe des einseitigen Abdecktests feststellen. Um diesen Test anwenden zu können, muss der Säugling bereits in der Lage sein, Blickzielbewegungen auszuführen. Ist dies noch nicht der Fall, kann man die Stellung der Augen zueinander nur an den Hornhautreflexbildern abschätzen. Dabei findet man bei etwa 10 % der gesunden Neugeborenen eine konvergente, divergente oder vertikale Schielstellung [31].
Augenbewegungen im Schlaf In den durch lebhafte Träume gekennzeichneten REMPhasen des Schlafs kommt es zu raschen Augenbewegungen (REM = Rapid Eye Movements). Irrtümlich glaubte man früher, die REMs seien auf die im Traum erlebten Objekte gerichtet. Dazu passt aber nicht, dass die REMs an beiden Augen unterschiedlich ablaufen, so dass kurzfristig horizontale und vertikale Schielstellungen bis zu 30° zustande kommen können [64].
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mus anpassen, welches Sehobjekt wir als Ziel einer Sakkade oder Folgebewegung wählen und auf welche Entfernung wir unsere Vergenz einstellen. Außerdem kommt es während des Schreitens unvermeidlich zu kleinen Wippbewegungen des Kopfes, die durch den vestibulookulären Reflex ausgeglichen werden. In natürlicher Umgebung wenden wir uns Objekten nicht nur mit den Augen zu, sondern auch mit dem Kopf. Da die Augen wegen ihrer wesentlich geringeren Masse schneller beschleunigt werden können als der Kopf, eilen sie bei der kombinierten Augen-Kopf-Sakkade voraus. Während der Augen-Kopf-Sakkade wird der vestibulookuläre Reflex unterdrückt; er würde das Erreichen des Blickziels stören. Nach der Sakkade werden die Augen jedoch durch den vestibulookulären Reflex wieder in den mittleren Teil des Blickfelds gebracht.
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Normales Binokularsehen ● ●
die kortikale Organisation perzeptiver Felder und höhere kortikale Fähigkeiten.
Die Lücke im Landoltring wird erst erkennbar, wenn sie unter einem Sehwinkel von mindestens 30‘‘ erscheint. Ein schwarzer Punkt auf hellem Grund wird schon bei ca. 15‘‘ wahrnehmbar, eine längere schwarze Linie unter optimalen Bedingungen schon bei einer Dicke von ca. 1‘‘, ein 1 cm starkes Seil also aus bis zu 2 km Entfernung. Die Sichtbarkeit hängt offenbar von der Interaktion vieler rezeptiver Einheiten ab.
Merke 1 Grad = 1° = 60 Winkelminuten (60‘) 1 Winkelminute = 60 Winkelsekunden (60‘‘)
H ●
Punktsehschärfe Als Punktsehschärfe bezeichnen wir den Kehrwert des kleinsten Gesichtswinkels (Minimum visibile) in Winkelminuten, unter dem ein dunkles Objekt auf hellem Grund wahrnehmbar ist (▶ Abb. 1.47). Durch Abbildungsfehler der brechenden Medien werden kleine Punkte der Außenwelt als unterschiedliche geometrische Flächen auf der Netzhaut abgebildet. Deren Durchmesser kann nicht unter ca. 35‘‘ absinken, wenn man den Radius über den Ort definiert, an dem die Leuchtdichte nur noch halb so hoch ist wie am Mittelpunkt [12], [18], [77]. Die Sichtbarkeit sehr kleiner Objekte ist daher nicht durch die Bildgröße, sondern durch den Bildkontrast auf der Netzhaut limitiert. Das Bild eines Punktes hebt sich umso weniger von der Umgebung ab, je
1.3 Sehschärfe M. Gräf Sehschärfe ist die Fähigkeit, Details der Außenwelt aufgrund ihrer Größe und Lagebeziehung visuell zu erfassen. Scharf zu sehen spielt im natürlichen Leben und in einer von Bild und Schrift geprägten Umwelt eine immense Rolle. Die Sehschärfe ist eine messbare, gut reproduzierbare und interindividuell einfach vergleichbare Größe. Traditionell wird als Sehschärfe das visuelle Auflösungsvermögen verstanden. Andere Arten der Sehschärfe sind davon abzugrenzen [60], [66].
1.3.1 Arten der Sehschärfe Auf dem Weg durchs Auge verliert das Bild der Außenwelt durch Abbildungsfehler an Schärfe und Kontrast. Die erreichbare Sehschärfe ist begrenzt durch ● die Qualität des Netzhautbilds, ● die Photorezeptordichte, ● deren Verschaltung zu rezeptiven Feldern,
56
Sehobjekt (Punkt)
Leuchtdichteprofil
abbildende Optik
Leuchtdichteprofil des Netzhautbildes Abb. 1.47 Minimum visibile. Ein Objekt wird erst sichtbar, wenn es auf der Netzhaut einen Helligkeitsunterschied erzeugt, der größer ist als die Lichtunterschiedsempfindlichkeit. Ein zu kleiner schwarzer Punkt wird auch bei optimalem Kontrast nicht mehr wahrgenommen, weil sein Netzhautbild durch Streulicht überlagert ist.
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[52] Schulz E. Binocular micromovements in normal persons. Graefe‘s archive for clinical and experimental ophthalmology = Albrecht von Graefes Archiv fur klinische und experimentelle Ophthalmologie 1984; 222: 95–100 [53] Schutte S, van den Bedem SP, van der Helm FC et al. Reply to the letter to editor by J.L. Demer regarding: van den Bedem, Schutte, van der Helm, and Simonsz: Mechanical properties and functional importance of pulley bands or ‚Faisseaux Tendineux‘ (Vision Research 2005; 45: 2710–2714). Vision Res 2006; 46: 3039–3040 [54] Simonsz HJ, Crone RA, van der Meer J et al. Bielschowsky head-tilt test – I. Ocular counterrolling and Bielschowsky head-tilt test in 23 cases of superior oblique palsy. Vision Res 1985; 25: 1977–1982 [55] Simonsz HJ, Harting F, de Waal BJ et al. Sideways displacement and curved path of recti eye muscles. Archives of Ophthalmology 1985; 103: 124–128 [56] Simonsz HJ. First description of eye muscle ‚poulies‘ by Tenon in 1805. Strabismus 2003; 11: 59–62 [57] Steinman RM, Levinson JZ, Collewijn H et al. Vision in the presence of known natural retinal image motion. J Opt Soc Am A 1985; 2: 226–233 [58] Tenon FR. Anatomical observations on some parts of the eye and eyelids. Translated from Memoire et observations sur l‘anatomie, la pathologie et la chirurgie, et principalement sur l‘organe de l‘oeil (1816). Strabismus 2003; 11: 63–68 [59] Valmaggia C, Rutsche A, Baumann A et al. Age related change of optokinetic nystagmus in healthy subjects: a study from infancy to senescence. The British Journal of Ophthalmology 2004; 88: 1577–1581 [60] van den Bedem SP, Schutte S, van der Helm FC et al. Mechanical properties and functional importance of pulley bands or ‚faisseaux tendineux‘. Vision Res 2005; 45: 2710–2714 [61] Verheijen FJ. A simple after image method demonstrating the involuntary multidirectional eye movements during fixation. Opt Acta (Lond) 1961; 8: 309–311 [62] Vital D, Hegemann SC, Straumann D et al. A new dynamic visual acuity test to assess peripheral vestibular function. Archives of Otolaryngology – Head & Neck Surgery 2010; 136: 686–691 [63] Zee DS. Ophthalmoscopy in examination of patients with vestibular disorders. Ann Neurol 1978; 3: 373–374 [64] Zhou W, King WM. Binocular eye movements not coordinated during REM sleep. Exp Brain Res 1997; 117: 153–160
1.3 Sehschärfe
Auflösungssehschärfe Die Auflösungssehschärfe ist durch den Kehrwert des kleinsten Gesichtswinkels (Minimum separabile = minimaler Auflösungswinkel = Minimum Angle of Resolution, MAR) definiert, unter dem zwei Punkte oder Linien gerade noch getrennt erscheinen.
Merke Auflösungssehschärfe = 1/Minimum separabile
H ●
Nähern sich 2 Punkte auf weniger als ca. 30‘‘, zeigt ihr unscharfes Netzhautbild nur noch eine einzige Helligkeitsmulde, die Auflösung ist nicht mehr möglich. Damit sie getrennt wahrgenommen werden, muss zwischen den zwei stimulierten Rezeptoreinheiten mindestens eine Einheit durch die Lücke zwischen den Punkten stimuliert werden. Die Auflösungssehschärfe ist also durch die Kontrastempfindlichkeit, die Abbildungsunschärfe und die Rezeptordichte begrenzt. Der Durchmesser der fovealen Photorezeptoren von 30‘‘ entspricht der durch die Abbildungsschärfe möglichen Auflösung. Der Mensch erreicht daher keinen wesentlich höheren Visus als 2,0. Der durchschnittliche Visus augengesunder junger Erwachsener liegt zwischen 1,25 und 1,6 (▶ Abb. 1.48).
Sehobjekt (2 Punkte)
H ●
Merke
1
Der normale Visus Erwachsener beträgt mehr als 1,0.
Besonders bei Schielamblyopie wird deutlich, dass auch das Minimum separabile von der Art des Reizes abhängt. Ein Gittermuster ist bei Amblyopie besser auflösbar als ein Landoltring. Aus dem verzerrten kortikalen Bild ist die Richtung der Gitterlinien eher rekonstruierbar als die Öffnung des Landoltrings.
H ●
Merke
Das Minimum separabile hängt vom visuellen Reiz ab.
Lokalisationssehschärfe Die Lokalisationssehschärfe ist durch die kleinste erkennbare Veränderung der räumlichen Beziehung zweier Objekte zueinander (Minimum discriminibile) definiert. Diese kann in der Verkippung zweier Linien, der Durchbiegung einer Linie oder der kleinen Verschiebung einer Linie bestehen. Die Begriffe Noniussehschärfe (Pedro Nuñes, 1502–1578) und Vernier acuity (Pierre Vernier 1580– 1637) werden identisch verwendet. Die Schwelle liegt bei 2–10‘‘.
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kleiner der Punkt ist. Ein dunkler Punkt ist bei idealem Kontrast ab ca. 15‘‘ Durchmesser sichtbar. Das Bild kleinerer Punkte wird von der Umgebung überstrahlt. Ein heller Punkt in dunklem Umfeld ist unter beliebig kleinem Winkel wahrnehmbar, seine Lichtintensität muss nur ausreichen, mindestens einen Photorezeptor überschwellig zu reizen.
Erkennungssehschärfe Die Erkennungssehschärfe wird mit Sehzeichen (Optotypen) bestimmt. Die Norm-Optotype ist der Landoltring [47], [48]. Der Visus ist der Kehrwert des kleinsten Sehwinkels, unter dem die Lücke im Ring erkannt wird. Andere Sehzeichen werden so kalibriert, dass sie an Augengesunden denselben Visuswert liefern wie der Landoltring (▶ Abb. 1.49).
Leuchtdichteprofil
abbildende Optik
1
Leuchtdichteprofil des Netzhautbildes Abb. 1.48 Minimum separabile. Um 2 Punkte als getrennt unterscheiden zu können, muss mindestens eine rezeptive Einheit durch den Helligkeitsunterschied des Intervalls zwischen ihren Netzhautbildern überschwellig gereizt werden. Die Mulde zwischen den Helligkeits- bzw. Dunkelgipfeln muss dazu tief genug sein.
1 5 Abb. 1.49 Landoltring. Der Außendurchmesser des Rings entspricht dem 5-Fachen der Liniendicke, die Größe der Lücke der Liniendicke. Zur Prüfung auf Sehschärfestufe 1,0 erscheint die Lücke unter einem Sehwinkel von 1 Winkelminute (in 5 m Prüfdistanz ca. 1,5 mm).
57
Merke
H ●
Amblyopie geht mit Trennschwierigkeiten einher. Dadurch sind eng stehende Sehzeichen schlechter zu erkennen als einzelne Sehzeichen.
Anders als beim Vorlesen eng benachbarter Sehzeichen werden beim Lesen von Texten größere Buchstaben- und Wortgruppen en bloc erfasst. Störungsfreies Lesen erfordert daher die funktionelle Integrität parazentraler Netzhautareale. Kleine Skotome durch Makulopathie, kortikal bedingte Skotome und Trennschwierigkeiten können das Lesevermögen erheblich beeinträchtigen. Es kann auch durch höhere kognitive Störungen wie Alexie gestört sein. Umgekehrt kann ein einfacher, klein gedruckter Text auch bei schlechter Beleuchtung oder trotz Makulopathie noch lesbar sein, während unter gleichen Bedingungen unbekannte Wörter oder Zahlen derselben Größe nicht mehr eindeutig erkennbar sind. Intellektuelle Faktoren und Erfahrung beeinflussen das Lesevermögen [44]. Das Abbruchkriterium für Lesetexte ist schwer definierbar. Wie sollen Zögern, die Lesegeschwindigkeit und Fehler bewertet werden? Auch standardisierte Tests mit Berücksichtigung der Fehlerrate lösen dieses Problem nur teilweise, gerade wenn sie bekannte Wörter verwenden [62], [72]. In Silbentests wurde versucht, eine sinnvolle Ergänzung aus dem Kontext zu verhindern [46].
1.3.2 Einflüsse auf die Sehschärfe Helligkeit Mit zunehmender Helligkeit steigt die Sehschärfe [43]. Zwischen einer Leuchtdichte von 100 und 1000 cd/m2, wo Sättigung erreicht ist, beträgt der Anstieg nur noch ca. 1 dekadisch-logarithmische Stufe [35]. Bei Nacht besteht ein Zentralskotom, da die Foveola ausschließlich Zapfen enthält, deren Funktion im skotopischen Bereich erlischt. Die stäbchengebundene Sehschärfe erreicht maximal 0,2 [37]. Unter skotopischen Bedingungen entwickeln viele Menschen akkommodativ eine Nachtmyopie [16], [54], [65].
Merke Bei Helligkeit nimmt die Sehschärfe zu.
H ●
Kontrast Der Kontrast K wird für scharf begrenzte Flächen unterschiedlicher Leuchtdichte bisweilen angegeben als Verhältnis der Leuchtdichtedifferenz ΔL zur mittleren Leuchtdichte L beider Flächen oder zur Leuchtdichte L der größeren – meist helleren – Fläche: K = ΔL/L. Eindeutig
58
grobe Strukturen
feine Strukturen
ΔLO
ΔLO Objekt
Optik
ΔLO a
Bild
ΔLB b
Abb. 1.50 Einfluss von Abbildungsunschärfe auf den Bildkontrast. Ein grobes Gitter (a) verliert bei der Abbildung auf der Netzhaut an Konturenschärfe, der Kontrast bleibt aber erhalten, da Lmax und Lmin gleich bleiben. Ein feines Gitter (b) erleidet zusätzlich einen Kontrastverlust, da Hell und Dunkel ineinander fließen und sich dadurch Lmax und Lmin einer mittleren Helligkeit nähern. a Grobes Gitter. b Feines Gitter.
definiert ist der Michelson-Kontrast. Sein Wert liegt zwischen 0 und 1: Michelson-Kontrast: K = (Lmax – Lmin) / (Lmax + Lmin) Die Abbildungsunschärfe des Auges bewirkt eine Kontrastminderung für fein strukturierte Reize (▶ Abb. 1.50a, b). Medientrübungen und unkorrigierte Ametropien reduzieren den retinalen Bildkontrast zusätzlich (▶ Abb. 1.51).
Merke Hoher Kontrast verbessert die Sehschärfe.
H ●
Ametropie Unkorrigierte, akkommodativ nicht kompensierte Fehlsichtigkeit vermindert die Sehschärfe. Ein Defokus von 1 dpt Sphäre reduziert den Visus auf ca. ¼ [82], ein zylindrischer Defokus von 1 dpt auf ca. ½ des Normalwerts [64]. Besonders stört schräger Astigmatismus. Die Hyperopiekorrektion durch Brillengläser, weniger durch Kontaktlinsen, wirkt vergrößernd, Myopiekorrektion verkleinert. Wegen des Unterschieds von 20 bzw. 25 % benachbarter Visusstufen ist dies nur bei hohen Korrektionswerten relevant.
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Normales Binokularsehen
1.3 Sehschärfe
log Kontrastempfindlichkeit
1,0
1
Kontrast (%) 0,8 1
3,1
10
1,0
20
c
0,5
40 60 80
Liniendichte
0,0 1
2
0,03
4 0,1
8 0,2
16
32
0,5
1,0
Sehschärfe (linear)
b
1,5
0,8
a 0,4
0,6
0,4
0,2
b a
0,2
Sehschärfe (logarithmisch)
2,0
Visus 0,1 0 0°
Pupillengröße Eine enge Pupille bewirkt größere Schärfentiefe, aber auch eine Zunahme von Lichtbeugung, welche die Abbildungsschärfe reduziert. Eine weite Pupille führt zu höherer Lichtstärke, aber auch zur Zunahme der sphärischen und chromatischen Aberration. Die Sehschärfe ist relativ konstant bei Pupillendurchmessern von 2,5–6 mm [49] mit einem Bestwert bei 3 mm [69].
Darbietungszeit Je weiter die Größe eines Sehzeichens über der Erkennungsschwelle liegt, umso geringer ist die für seine Erkennung erforderliche Reizdauer. Die meisten Beobachter erzielen bei einer Zeit von mehr als 0,5 s eine etwas bessere Sehschärfe als bei kürzerer Darbietung [5], [57].
Bewegung Die Augen führen auch beim Fixieren eines kleinen Objekts ständig Mikrobewegungen von Winkelsekunden bis mehreren Winkelminuten aus [20]. Größere Augenbewegungen reduzieren ab einer Geschwindigkeit von 2°/s die
20° Exzentrizität
30°
Abb. 1.52 Zentrifugale Abnahme der Sehschärfe. Kurve a zeigt die zentrifugale Abnahme der Gitter-Sehschärfe, bezogen auf die lineare Sehschärfeskala (linke Ordinate). Das Gefälle erscheint dabei übertrieben steil. Kurve b ist auf die logarithmische Skala (rechte Ordinate) bezogen.
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Abb. 1.51 Kontrastempfindlichkeit in Abhängigkeit von der Ortsfrequenz. Zur Prüfung der Kontrastempfindlichkeit werden Sinusgitter verwendet. Die Kontrastschwelle ist dann erreicht, wenn der Beobachter das Gitter gerade noch erkennt. Trägt man diese gegen die Ortsfrequenz des Gitters auf, resultiert die Kontrastempfindlichkeitsfunktion. Ihr Endpunkt zeigt die höchste Ortsfrequenz (das feinste Gitter) an, die bei maximalem Kontrast noch erkannt wird. Kurve a: Normale Kontrastempfindlichkeitsfunktion (KEF) im photopischen Bereich. Kurve b: KEF bei herabgesetzter Beleuchtung. Kurve c: KEF z. B. bei neuroophthalmologischer Erkrankung.
10°
Sehschärfe [80]. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Fähigkeit, Bewegungen als solche wahrzunehmen. Deren Schwelle liegt ohne Vergleichsobjekt bei einer Reizgeschwindigkeit von 15–20‘/s [6].
Netzhautort Von der Foveola ausgehend nimmt die Sehschärfe mit der Exzentrizität im Gesichtsfeld zuerst steil, dann reizabhängig weniger steil ab. Wertheim ermittelte eine klassische Kurve unter Verwendung von Drahtgittern und wies schon 1894 auf die Flächenabhängigkeit der exzentrisch gemessenen Werte hin. Kleine Gitter ergaben geringere Sehschärfewerte als größere Gitter [76] (▶ Abb. 1.52).
Kontureninteraktion und Trennschwierigkeiten Eng angeordnete Sehzeichen sind schwerer erkennbar als einzeln stehende Sehzeichen [12], [26], [71]. Die Beeinflussung durch benachbarte Konturen tritt auch bei Diskriminations- [79], [82] und Stereoreizen [15] auf. Die Überlagerung mehrerer Sehzeichen durch Doppel- oder Fehllokalisation, wie bei Amblyopie möglich, wird als Trennschwierigkeit bzw. Crowding bezeichnet. Zur Feststellung des für Amblyopie typischen Crowding und zum Ausschluss von Amblyopie ist die Prüfung mit Reihensehzeichen unerlässlich. Kinder bis zum 10. Lebensjahr können eng stehende Sehzeichen noch nicht so gut erkennen wie Erwachsene. Bei einem Abstand über 30‘ (entspre-
59
Normales Binokularsehen
Merke
H ●
Sichere Amblyopiediagnostik erfordert enger stehende Sehzeichen, als viele Visusprojektoren liefern!
Untersuchungsentfernung Bei sonst gleichen Bedingungen und Korrektion für die Nähe ist am gesunden Auge kein wesentlicher Unterschied zwischen dem bestkorrigierten Fern- und Nahvisus zu erwarten. Ein schlechterer Nahvisus kann durch eine subkapsuläre Katarakt in Verbindung mit der Miosis bedingt sein, ein besserer Nahvisus dadurch, dass ein Nystagmus durch Konvergenz gedämpft wird. Ein vermeintlicher Unterschied kann dadurch entstehen, dass in der Ferne der Visus, in der Nähe das Lesevermögen, also unterschiedliche Funktionen bestimmt werden. Weitere Gründe für vermeintlich entfernungsabhängige Unterschiede sind Abstandsungenauigkeiten und Beleuchtungsunterschiede. Eine Abnahme der Leuchtdichte unter 10 cd/m2 bewirkt bei Presbyopie und Medientrübungen eine deutliche Visusreduktion. Deshalb ist auf ausreichende Beleuchtung von Sehproben (ca. 100 cd/m2) und adäquate Nahkorrektion zu achten. Wenn bei geringem Visus die Untersuchung in der Ferne nicht möglich ist, weil der Projektor oder die Sehprobentafeln keine ausreichend großen Sehzeichen bieten, ist es nicht nur erlaubt, sondern unumgänglich, die Distanz zu verkürzen. Damit ist auch im unteren, für die Beurteilung einer Sehbehinderung und bei tiefer Amblyopie wichtigen Visusbereich eine valide, zuverlässige Bestimmung möglich. Der in 4 oder 5 m geltende Wert einer bestimmten Zeile entspricht in 0,5 m (2 dpt Nahaddition) einem Achtel bzw. Zehntel des Nennwerts. Die Zeile „0,32“ einer für 4 m kalibrierten ETDRS-Karte entspricht in 1 m der Visusstufe 0,08. Die Zeile „0,25“ des für 5 m kalibrierten C-Tests entspricht in 0,5 m der Visusstufe 0,025, weil die Sehzeichen nun zehnmal so groß auf der Netzhaut abgebildet sind. Der Optotypenabstand nimmt z. B. von 17,2‘ auf 172‘, also ca. 3° zu. (Diese proportionale Umrechnung ist nur im Bereich kleiner Winkel zulässig, wo die Tangensfunktion annähernd linear ist, nicht bei großen Winkeln!)
Merke
● H
Visuswerte auf Sehprobentafeln gelten für eine bestimmte Prüfdistanz. Wird diese um den Faktor X verändert, ist der Visuswert mit X zu multiplizieren.
60
Binokulare Interaktion Durch Summationseffekte ist der binokulare Visus normalerweise um einen Faktor bis zu 1,1 höher als der monokulare Visus [4], [39], was weniger als der Hälfte der dekadisch-logarithmischen Stufe entspricht, bei der Untersuchung aber durch Zufall zu einer Stufe Unterschied führen kann. Bei Patienten mit Strabismus kann der Visus binokular besser oder – wenn das amblyope Auge stört – schlechter sein als am Führungsauge allein. Ein Nystagmus vom Latenstyp nimmt bei Okklusion eines Auges zu. Die monokulare Visusbestimmung bei Nystagmus sollte daher nicht nur bei Okklusion des anderen Auges erfolgen, sondern auch, indem man es durch Konvexlinsen vernebelt oder durch Polarisationsfilter einen anderen Seheindruck vermittelt als dem geprüften Auge. So kann man den Nystagmus beruhigen.
1.3.3 Angabe der Sehschärfe Die Angabe der Sehschärfe erfolgt definitionsgemäß als Kehrwert des kleinsten Sehwinkels in Winkelminuten, unter dem der konkrete Reiz gerade noch erkannt wird. Je kleiner die erkannten Details, desto höher ist die Sehschärfe.
Angabe als Bruch oder Dezimalbruch Für den Visus ist die Angabe als Dezimalbruch üblich (▶ Tab. 1.4). Wird eine 5‘ große Öffnung des Landoltrings eben noch erkannt, beträgt die Sehschärfe ⅕ = 0,2. Im unteren Visusbereich ist auch die Angabe als Bruch geläufig. Im Zähler steht die Prüfdistanz, im Nenner die Entfernung, in der das erkannte Sehzeichen dem Visus 1,0 entspricht. Würde dies konsequent umgesetzt, enthielte die Angabe auch eine Information über die Prüfdistanz, was aber nicht regelmäßig der Fall ist. Für alle Arten der Sehschärfe gilt: Sehschärfe ¼
1 60arctan ðkritisches Detail/PrüfdistanzÞ
Dabei sind die Größe des Details und die Distanz in derselben Einheit (m oder cm) einzusetzen. Beim Landoltring ist die Lücke das einzige kritische Detail. Andere Sehzeichen weisen mehrere Details auf, deren Größe schwer zu definieren ist. Deshalb ist der Landoltring als Normsehzeichen ideal.
logMAR statt Sehschärfe Der dekadische Logarithmus des Minimum separabile steht in einer festen Beziehung zur Sehschärfe. Die Sehschärfe ist der Kehrwert des Minimum separabile (daher „Schärfe“: je geringer das Minimum separabile, umso schärfer die Sicht). Sehschärfe = 1/MAR = 1/10logMAR = 10–logMAR
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chend 4,4 cm in 5 m Entfernung; Sehzeichenreihen sind noch keine Reihensehzeichen) erreichten bereits 5-Jährige 1,0 und 10-Jährige 1,25–1,6.
1.3 Sehschärfe Tab. 1.4 Stufung der Sehschärfewerte (gerundet). Snellen-Fraktion
5-m-Wert
Minimum separabile MAR (‘‘)
LogMAR
Zyklen/Grad (cpd)
0,020
20/1000
5/250
50
1,7
0,6
0,025
20/800
5/200
40
1,6
0,75
0,032
20/630
5/160
32
1,5
1,0
0,04
20/500
5/125
25
1,4
1,2
0,05
20/400
5/100
20
1,3
1,5
0,063
20/320
5/80
16
1,2
1,9
0,08
20/250
5/63
12,5
1,1
2,4
0,10
20/200
5/50
10,0
1,0
3,0
0,125
20/160
5/40
8,0
0,9
3,8
0,16
20/125
5/32
6,3
0,8
5,0
0,2
20/100
5/25
5,0
0,7
6,0
0,25
20/80
5/20
4,0
0,6
7,5
0,32
20/63
5/16
3,2
0,5
10
0,4
20/50
5/12,5
2,5
0,4
12
0,5
20/40
5/10
2,0
0,3
15
0,63
20/32
5/8
1,6
0,2
19
0,8
20/25
5/63
1,25
0,1
24
1,0
20/20
5/5
1,0
0
30
1,25
20/16
5/4
0,8
–0,1
38
1,60
20/12,5
5/3,2
0,63
–0,2
50
2,0
20/10
5/2,5
0,5
–0,3
60
2,5
20/8
5/2
0,4
–0,4
75
1
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Dezimale Schreibweise
MAR: Minimum Angle of Resolution cpd: cycles per degree
Die verbreitete Angabe 0,3 logMAR bedeutet logMAR = 0,3. Das entspricht einem Visus von 0,5 (▶ Tab. 1.4). Unsinnig und verwirrend ist der (Un-)Term logMAR-Visus (wie vielleicht Zentimeter-Dioptrie für die Akkommodationsfähigkeit). Eine Zunahme des Visuswerts, z. B. um den Faktor 2, 4, 5 oder 10, entspricht in der logMAR-Skala einer Abnahme um 0,3, 0,6, 0,7 bzw. 1,0, eine Abnahme des Visuswerts auf ½, ¼, ⅕ oder 1/10 entspricht einer Zunahme des logMAR um 0,3, 0,6, 0,7 bzw. 1,0 (▶ Tab. 1.4).
Zyklen pro Grad Das mit periodischen Mustern bestimmte Auflösungsvermögen kann durch die Muster-Ortsfrequenz in Perioden pro Grad (cycles per degree, cpd) angegeben werden. Eine Periode bzw. ein Zyklus entspricht einem schwarzen und einem weißen Streifen. Eine Streifendicke von 1‘ entspricht einer Sehschärfe von 1,0 und einer Ortsfrequenz von 30 cpd. Beim Schachbrett entspricht die Diagonale durch ein Kästchen einer Periode der fundamentalen Ortsfrequenz der hellen und dunklen Diagonalen (▶ Abb. 1.53a, b).
1 Periode
a
1 Periode
b
Abb. 1.53 Musterortsfrequenz. a Bei einem Rechteckgitter entspricht 1 Periode 2 Streifen (1 heller und 1 dunkler Streifen), bei einem Sinusgitter dem Abstand zwischen 2 benachbarten Helligkeitsgipfeln. b Beim Schachbrett entspricht 1 Periode der fundamentalen Ortsfrequenz der Diagonalen durch ein Kästchen. Ein Schachbrettmuster mit einer Kantenlänge der hellen bzw. dunklen Quadrate von 1‘ hat also eine fundamentale Ortsfrequenz von 42,4 cpd.
61
Merke
H ●
Dezimale Mustersehschärfe = Perioden pro Grad/30
1.3.4 Abstufung der Prüfreize
1.3.5 Projektoren, Prüftafeln, Instrumente
Arithmetische Folge
Projektoren und Sehprobentafeln
Bei einer arithmetischen Folge ist die Differenz von einer zur nächsten Stufe konstant. Die Abstufung im oberen Visusbereich ist daher unnötig fein, … 1,6 – 1,5 – 1,4 – 1,3 – 1,2 – 1,1 – 1,0 – 0,9 – 0,8 – … im unteren Visusbereich zu grob. … 0,3 – 0,2 – 0,1 – 0 (?) Die arithmetische Folge verleitet zur Unterschätzung der physiologischen Bedeutung von Unterschieden im unteren Visusbereich.
Sehzeichen werden mit Projektoren oder auf Sehprobentafeln dargeboten. Projektoren werden für die Visusbestimmung in der Ferne eingesetzt. Tafeln eignen sich zur Visusbestimmung in der Ferne, in der Nähe und bei geringer Sehschärfe, wofür moderne Projektoren nur eine ungenügende Auswahl an Sehzeichen enthalten. Zur Messung im unteren Visusbereich kann man den Patienten aber auch näher an die Projektionstafel heranführen.
Merke
Harmonische Folge Bei einer harmonischen Folge bilden die Kehrwerte eine arithmetische Folge. Es resultiert eine unsinnig hohe Auflösung im unteren Visusbereich, 1/25 – 1/24 – 1/23 – 1/22 – 1/21 – 1/20 – 1/19 – … bei geringer Trennschärfe im oberen Visusbereich: ... 1/3 – 1/2 – 1/1 – ? Auch diese Abstufung ist unphysiologisch.
Geometrische Folge Die Sehzeichen sollen deswegen so abgestuft sein, dass das Verhältnis (der Zuwachsfaktor) von einer zur nächsten Stufe konstant ist [19], [60]. Ein Anstieg um das X-fache entspricht dann auf jedem Niveau gleich vielen Stufen. Durch die Festlegung eines Zuwachsfaktors von 10√10 = 1,2589 wird eine Verzehnfachung des Wertes alle 10 Stufen erreicht. Annähernd ergibt dies eine Verdoppelung alle 3 Stufen, denn 10√10 entspricht ca. 3√2 = 1,2599. Daraus ergibt sich die in ▶ Tab. 1.4 gezeigte Folge: … 1,6 – 1,25 – 1,0 – 0,8 – 0,63 – 0,5 – 0,4 – 0,32 – 0,25 – 0,2 – 0,16 … Diese Folge setzt sich nach oben und unten fort und ist in modernen Projektoren und Sehprobentafeln wenigstens im oberen Visusbereich realisiert. Zusätzliche Stufen – wie 0,7 – sind für bestimmte Tauglichkeitsprüfungen enthalten.
Merke
H ●
Die geometrische Folge entspricht der Empfindung von Unterschieden.
62
In der Literatur zum Preferential-Looking ist mit Oktavbzw. Halboktavschritten die Verdoppelung bzw. Halbierung des Wertes mit jeder bzw. jeder zweiten Stufe gemeint.
H ●
Für den Sehschärfewert der projizierten Zeichen gilt dann: Sehschärfewert = Nennwert × Prüfdistanz/Projektionsdistanz
Eine für eine suffiziente Amblyopiediagnostik genügend enge Anordnung der Sehzeichen ist in Projektoren meist nicht gegeben. Von hinten beleuchtete transparente Tafeln erlauben die Sehzeichendarstellung unter sehr hohem Kontrast. Auflichttafeln sind jedoch handlicher. Zur Visusbestimmung im Kindesalter sind exzellente Sehprobentafeln erhältlich. Lea-Symbole [40], ETDRS-Buchstaben [24] und das Snellen-E [71] liefern bei gutem Visus nahezu identische, im unteren Visusbereich geringfügig höhere Werte als der Landoltring. Rezente Studien haben gezeigt, dass diese Differenz bei gleicher Anordnung der Sehzeichen für ETDRS-Buchstaben, Lea-Symbole und das Snellen-E zum Landoltring auch im Visusbereich unter 0,1 und bei Amblyopie kaum mehr als 1 Stufe beträgt [7], [8], [10], [30]. Sie ist beim Vergleich von Werten zu beachten, die mit unterschiedlichen Sehzeichen ermittelt wurden, und kann bei Verwendung irgendwelcher Druckbuchstaben als Sehzeichen größer sein [63]. ETDRS-Karten decken einen großen Messbereich in dekadisch logarithmischer Skalierung ab. Die Buchstaben sind so angeordnet, dass die Abstände der Sehzeichengröße entsprechen. Dadurch werden im oberen Visusbereich auch Trennschwierigkeiten erfasst (▶ Abb. 1.54, ▶ Abb. 1.55, ▶ Abb. 1.56).
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Normales Binokularsehen
1.3 Sehschärfe
1
Abb. 1.56 Lea-Symbole (nach Lea Hyvärinen). Unterschiedliche Anbieter. Wandtafel (crowded symbols), links davor Einzelsymbol-Ringbuch, beide kalibriert für 3 m Abstand. Rechts vorne Karte mit Abstandskordel für die Nähe, kalibriert für 40 cm.
Der C-Test nach Haase und Hohmann [32] enthält Landoltringe in 4 geraden Ausrichtungen. Der Abstand zwischen den Ringen beträgt in 5 m Prüfdistanz für die eng benachbarten Ringe 17,2‘ und 2,6‘. In kürzerer Prüfdistanz ist der Winkelabstand der Sehzeichen um den Faktor 5/Prüfdistanz[m] größer. In 1 m Entfernung beträgt er 5 × 17,2‘ = 86‘ ≈ 1,5° bzw. 5 × 2,6‘ = 13‘.
3,20
ETDRS-Sehschärfe
1,00
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Abb. 1.54 Sehprobentafel im ETDRS-Design, hier retroilluminiert in fahrbarer Leuchtbox.
logMARETDRS = 0,95 logMARLR −0,02 r = 0,97 −15 p = 10
0,32
Merke 0,10
H ●
Zur Amblyopiediagnostik eng benachbarte Sehzeichen verwenden.
0,03
0,01 0,01
0,03
0,10 0,32 1,00 Landoltring-Sehschärfe
3,20
Abb. 1.55 ETDRS-Visus versus Landoltring-Visus. Im oberen Visusbereich liefern ETDRS-Symbole und Landoltringe nahezu identische Werte. Im unteren Visusbereich liefern die ETDRSSymbole geringfügig höhere Werte (n = 113). Mehrfach gemessene Wertepaare sind nicht gekennzeichnet.
Für Kleinkinder ist auch der gröber abgestufte H-Test gedacht, bei dem das Kind eine Tastatur betätigen soll und korrekte Antworten musikalisch belohnt werden [38]. Zur Messung in der Nähe sind ebenfalls Landoltringe in Abständen von 17,2‘ und 2,6‘ sowie einzeln und in Reihe angeordnete (crowded) Lea-Symbole erhältlich. Birkhäuser-Tafeln enthalten neben Texten auch Landoltringe und Zahlen (▶ Abb. 1.57). Die Kombination von Bildschirm und Computer eröffnet eine große Variabilität des Sehzeichensatzes. Es ist aber zu beachten, dass keine ungeeichten Sehzeichen zur Anwendung kommen. Probleme ergeben sich bezüglich der vorgeschriebenen Leuchtdichte und in der Nähe eventuell durch die Auflösung des Monitors.
63
Normales Binokularsehen
Preferential-Looking (PL) Bei Säuglingen und geistig Behinderten kann die Sehschärfe objektiv (unabhängig von der Willkür des Patienten) bestimmt werden. Als psychophysische Methode ist vor allem das Preferential-Looking (PL) gebräuchlich. Es nutzt die Tatsache, dass ein gemusterter Reiz den Blick stärker auf sich zieht als ein gleichzeitig angebotener ungemusterter Reiz derselben mittleren Leuchtdichte [23]. Die Präferenz lässt sich recht einfach mittels Acuity-Karten feststellen, die auf einer Hälfte ein Streifenmuster zeigen und auf der anderen Hälfte homogen grau sind [14], [21], [50], [51], [52], [73], [74], [75]. Der Untersucher bietet dem Kind die Karte dar und schließt aus Blickbewegungen, Fixationsdauer oder Kopfbewegungen des Kindes auf die Lage des Musters. Anschließend kontrolliert er die Entscheidung auf Richtigkeit. Für klinische Anwendungen ist die Stufen-Strategie vorteilhaft. Beginnend mit einem sicher erkennbaren Muster werden nach einer definierten Regel immer feinere Muster angeboten, um schließlich das feinste Muster zu ermitteln, das bei der Mehrzahl der Darbietungen noch eindeutig lokalisiert wird. In der Suchphase wird z. B. bei korrekter Lokalisation des Musters in 2 von 2 sukzessiven Darbietungen zu einem 2 Stufen feineren Muster fortgeschritten. Wird ein Muster in einer der beiden Darbietungen nicht korrekt lokalisiert, erfolgt die nächste Darbietung mit einem 1 Stufe gröberen Muster. In der damit begonnenen Messphase wird bei korrekter Lokalisation in 2 von 2 Darbietungen nur noch um 1 Stufe vorangeschritten und bei falscher Lokalisation zum nächstgröberen Muster zurückgekehrt. Nach einer bestimmten Zahl von Umkehrpunkten oder Darbietungen wird das Verfahren beendet und aus den Sehschärfewerten der in der Messphase angebotenen Karten der Mittelwert bestimmt. Das
64
Vorgehen kann in verschiedener Weise variiert werden. Die Testbedingungen sollten bei wiederholten Prüfungen konstant sein (mittlere Leuchtdichte der Karten ca. 40– 80 cd/m2). Zur Abschirmung des Untersuchers kann eine Stellwand dienen (▶ Abb. 1.58, ▶ Tab. 1.5).
Merke
H ●
Eine objektive Sehschärfebestimmung ist anhand unwillkürlicher Reaktionen auf definierte visuelle Reize möglich.
Außer den Teller-Acuity-Karten, die in Oktav- und Halboktav-Abstufungen erhältlich sind, ist der dekadisch-logarithmisch abgestufte Cardiff-Test (▶ Abb. 1.59) mit Bildern aus schwarz-weiß-schwarzen Linien gebräuchlich, die jenseits ihrer visuellen Auflösung im isoluminanten Grau des Hintergrunds verschwinden [1], [27]. Zur Dokumentation notiert man den benutzten Test, die höchste noch lokalisierte Musterortsfrequenz und die Prüfdistanz.
Merke
H ●
Das Preferential Looking (PL) erlaubt die Bestimmung einer Auflösungssehschärfe. Sie ist nicht mit dem Visus identisch.
Aus dem Design der Karten ist ersichtlich, dass man damit keine foveolare Sehfunktion, sondern ein parazentrales bis peripheres Auflösungsvermögen für relativ großflächige periodische Reize misst. Dieses kann bei Amblyopie erheblich besser sein als der Visus. Daher ist das PL
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Abb. 1.57 C-Test nach Haase. Die Karten zeigen Landoltringe mit 4 möglichen Alternativen als Einzelsehzeichen (links) und Reihensehzeichen mit 17,2‘ Abstand (Mitte) und 2,6‘ Abstand (rechts) zwischen den Sehzeichen, kalibriert für 5 m.
Abb. 1.58 Preferential Looking (PL). Objektive Sehschärfebestimmung nach dem Prinzip des PL unter Verwendung von Acuity-Karten nach Davida Teller. Die Stellwand, in deren Fenster die Karten gezeigt werden, schirmt Umgebungsreize ab. Zwischen den Darbietungen lenkt das Gesicht des Untersuchers die Aufmerksamkeit des Kindes auf das Fenster.
1.3 Sehschärfe Tab. 1.5 Sehschärfeentwicklung vom 1.–36. Lebensmonat, ermittelt mit Preferential-Looking. In grober Näherung entspricht die Gitterauflösung (in Perioden/Grad) im 1. Lebensjahr dem Lebensalter in Monaten, wobei mitarbeits- und entwicklungsabhängig das Doppelte oder die Hälfte des altersentsprechenden Mittelwerts erreicht werden kann. Alter in Monaten
Zahl der Publikationen
PL-Gittersehschärfe
Zahl der Kinder
PL-Gittersehschärfe
1
8
0,03
–
–
2
10
0,05
n = 16
0,07
4
9
0,12
n = 34
0,12
6
9
0,14
n = 49
0,16
9–10
9
0,21
n = 44
0,27
11–12
4
0,26
n = 47
0,24
13–14
1
0,27
n = 44
0,27
17–19
5
0,32
n = 40
0,34
20–26
3
0,41
n = 33
0,42
27–36
3
0,58
n = 18
0,64
1
Abb. 1.59 Cardiff-Acuity-Test. Karten zur Sehschärfebestimmung nach dem Prinzip des Preferential Looking.
zum Screening auf Amblyopie ungeeignet [27], [41], [53], [55], [56]. Im Säuglingsalter sind Unterschiede zwischen beiden Augen und bei wiederholten Messungen in einem Verhältnis von 1:2 bzw. 2:1 nicht ungewöhnlich. Andere Methoden der objektiven Sehschärfebestimmung verwenden Muster oder Punktreize, um Folgebewegungen oder einen optokinetischen Nystagmus auszulösen (Literatur hierzu in [28]). Sie sind weniger gebräuchlich und im Hinblick auf Amblyopie nicht weniger problematisch.
Merke
H ●
Preferential-Looking-Tests erlauben keine genaue Amblyopiediagnostik.
Entdeckungstests Mit Entdeckungstests wird die visuelle Wahrnehmung eines Objekts geprüft („Ist da etwas?“), ohne spezifische
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Details des Objekts („Was ist da?“) zu erfragen. Als Reaktionen werden Augenbewegungen und Verhaltensantworten beobachtet [67] (weitere Literatur in [36]). Im Dot-Visual-Acuity-Test [42] und im sog. Punkte-Erkennungstest – der nicht Erkennung, sondern nur eine Wahrnehmung misst – wird geprüft, ob ein schwarzer Punkt in einer bestimmten Entfernung eine Blickbewegung auslöst. Es ist bei allen derartigen Tests sinnvoll, Folgendes zu dokumentieren: ● verwendetes Objekt ● dessen Größe ● Prüfdistanz ● beobachtete Reaktion Unspezifische periphere Reize, z. B. der Arm des Untersuchers oder die Kante der Prüfkarte, können Augenbewegungen auslösen, die nicht mit einer Reaktion auf den Prüfreiz verwechselt werden dürfen. Der Test ist zur Amblyopieerkennung ungeeignet, die Punktwahrnehmung kann erheblich vom Visus abweichen. Da der Messwert in keinem festen Verhältnis zum Visus steht, ist die Angabe sog. Visusäquivalente nicht sinnvoll.
Merke
H ●
Entdeckungstests prüfen eine visuelle Wahrnehmung. Sie erlauben keine suffiziente Amblyopiediagnostik.
Interferenztests Interferenztests sollen klären, welchen Anteil Trübungen der optischen Medien an einer Visusreduktion haben. Sie erfordern eine gewisse Transparenz der brechenden Medien und erzeugen mit einem Laserstrahl (RodenstockRetinometer) oder gefiltertem Licht (Heine-Handretinometer Lambda 100) ein Gittermuster auf der Netzhaut, dessen Ortsfrequenz und Richtung verändert werden
65
Normales Binokularsehen
Entoptische Phänomene Wenn eine dichte Medientrübung keine Netzhautabbildung erlaubt, ist die potenzielle Sehfunktion nur grob schätzbar. Mit einem auf das Lid gehaltenen Diaphanoskop lässt sich die Netzhautaderfigur als Schattenbild der Netzhautgefäße visualisieren. Im Zentrum der Figur, das dem avaskulären Bereich der Fovea centralis entspricht, nimmt der Untersuchte bei genauer Beobachtung eine feine Tüpfelung wahr. Dieses Makulachagrin weist auf eine relativ gute zentrale Netzhautfunktion hin. Mit dem Blaufeld-Entoptoskop wird die Wahrnehmung rasch bewegter gelber Punkte ausgelöst. Sie werden von Leukozyten in den parafoveolaren Kapillaren hervorgerufen. Das Phänomen beweist die Funktion parazentraler Netzhautareale [68]. Der Vorhersagewert dieser Phänomene ist begrenzt. Aus der fehlenden Wahrnehmung kann man nicht auf eine Störung schließen, auch viele Augengesunde nehmen sie nicht wahr.
Elektrophysiologische Verfahren Das Muster-VEP, das Muster-ERG und das multifokale ERG können zur objektiven Beurteilung der zu erwartenden Sehschärfe beitragen. Das Muster-VEP liefert Informationen über die Reizweiterleitung von der zentralen Netzhaut zum visuellen Kortex. Es setzt eine Funktion der zentralen Netzhaut voraus. Bei Reizung mit Streifen- oder Schachbrettmustern bewirkt ein sehr grobes Muster geringere VEP-Amplituden als ein feineres Muster, während noch feinere Muster, deren Ortsfrequenz dem Auflösungsvermögen nahekommt, schließlich zur steilen Abnahme der VEP-Amplitude führen. Dieses vereinfacht dargestellte Verhalten wird als Musterübertragungsfunktion bezeichnet. Der VEP-Schwellenwert entspricht dem feinsten Muster, welches noch eine Antwort auslöst [3], [34], [58], [59]. Unabhängig davon, wie er ermittelt wird, entspricht er nicht zwangsläufig der visuellen Auflösung des Musters. Das VEP erlaubt auch keine Aussage über die zerebrale Weiterverarbeitung [13]. In dieser Beziehung gehen psychophysische Methoden wie das PL weiter, die eine motorische Reizantwort fordern. Sie können das VEP aber nicht restlos ersetzen, denn Behinderte sind unter Umständen nicht in der Lage, adäquat zu reagieren. Die Kombination elektrophysiologischer und psychophysischer Verfahren kann also sinnvoll sein.
66
1.3.6 Strategien der Sehschärfebestimmung Die Sehschärfebestimmung erfolgt unter photopischen Bedingungen bei Raumbeleuchtung. Der Patient soll normalerweise sitzen und nicht durch Lichtquellen oder vorangegangene Diagnostik geblendet sein. Die Testzeichen und die Aufgabe bei der Prüfung müssen ihm erläutert werden. Die Messung erfolgt unter optimaler Korrektion der Refraktion, in der Nähe mit einer adäquaten Addition. Der sog. Rohvisus ohne Korrektion wird als Sehleistung bezeichnet.
Merke
H ●
Die Sehschärfebestimmung erfolgt mit Korrektion der Refraktion monokular und binokular.
Antworten Der Patient soll die Sehzeichen in der Regel verbal benennen. Die Richtung von E-Haken oder Landoltringen kann man auch mit der Hand zeigen lassen. Wenn dies zu schwierig ist, kann man das Kind ein Zeichen, das dem gezeigten Sehzeichen entspricht, aus einer vor ihm befindlichen Auswahl herausgreifen, darauf deuten oder auf eine entsprechende Taste drücken lassen. In der Nähe kann man das Kind auffordern, auf das Sehzeichen zu deuten, das man ihm nennt.
Merke
H ●
Die geforderte Antwort wird der Kooperation angepasst.
Forced-Choice (erzwungene Wahl) Die psychometrische Funktion der Sehschärfe (Kurve der prozentual richtigen Antworten, aufgetragen über der Sehzeichengröße bzw. Visusstufe) ist nicht durch eine abrupte Schwelle charakterisiert, ab der kleinere Sehzeichen nicht mehr erkannt werden (▶ Abb. 1.60). Vielmehr sind die richtigen Antworten im Schwellenbereich eine Mischung aus Erkennen und Raten. Das impliziert die Aufforderung, die Sehzeichen bei nicht eindeutigem Erkennen zu raten. Jedes Sehzeichen muss benannt werden (Forced-Choice-Strategie). Antworten wie „das sehe ich nicht mehr“ sind nicht zulässig. Hilfreich ist die Erklärung, dass nicht festgestellt werden soll, welche Zeichen noch gut erkennbar sind, sondern wo die Erkennungsgrenze liegt. Aus den folgenden Gründen wird die für eine sorgfältige Visusbestimmung unerlässliche Forced-Choice-Strategie oft unterlassen:
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können. Der Patient muss die Richtung der Streifen angeben. Das so bestimmte Auflösungsvermögen kommt bei einem ansonsten gesunden visuellen System dem zu erwartenden Visus nahe, kann aber bei Amblyopie und Makulopathien stark vom erreichbaren Visus abweichen [45].
1.3 Sehschärfe
Merke
d
a
40 b 20
0
c d Schwellenwert Messgröße (z.B. Sehwinkel)
Abb. 1.60 Psychometrische Funktion. Die Kurven a, b und c zeigen den unkorrigierten Verlauf der Rate richtiger Antworten bei 2, 4 und 8 Antwortmöglichkeiten, die Kurve d den Verlauf der korrigierten Erkennungsrate.
● ● ● ●
●
Zeitmangel Bequemlichkeit Desinteresse Vermeiden des unangenehmen Ratens für den Patienten Unkenntnis der korrekten Vorgehensweise
Merke
1
Der Visus entspricht der Sehzeichengröße, bei der mehr als die Hälfte der Antworten korrekt ist.
80 a b 60 c
H ●
H ●
Der Patient muss jedes Sehzeichen benennen. Raten ist nicht nur erlaubt, sondern gefordert.
Da gelegentliche Ausrutscher durch Unachtsamkeit vorkommen, wäre es nicht sinnvoll, den Sehschärfewert von einer 100 %igen Trefferrate abhängig zu machen. Die Reproduzierbarkeit dieses Wertes wäre gering. Am höchsten ist die Reproduzierbarkeit und am geringsten die Auswirkung einer Änderung der Trefferrate am Umkehrpunkt der psychometrischen Funktion. Er liegt in der Mitte zwischen 100 % und der reinen Ratewahrscheinlichkeit, für Sehzeichen mit 8 Alternativen also bei (100 % + 12,5 %) : 2 = 56,25 %. Für 4 Alternativen liegt er bei 62,5 % und für 2 Alternativen, wie beim PL, bei 75,0 %. Diese Raten entsprechen jeweils einer korrigierten Erkennungsrate von 50 % (s. u.).
Der Untersucher stellt fest, ob ein Sehzeichen richtig benannt wurde. Eine richtige Antwort kann resultieren aus eindeutigem Erkennen, unsicherem Erkennen mit richtigem Raten oder reinem Raten. Wenn ein Patient mehrere Sehzeichen in nicht vorhersehbarer Reihenfolge durchweg richtig benennt, ist davon auszugehen, dass er die Zeichen erkennt. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass dies Zufall war, nimmt mit der Zahl der Fragen exponentiell ab, umso stärker, je größer die Auswahl möglicher Antworten ist. Die Rate der richtig erkannten Sehzeichen (korrigierte Erkennungsrate, KER) lässt sich berechnen nach der Abbot-Formel, wobei n die Zahl der verwendeten Optotypen bzw. Alternativen darstellt, N die Zahl der Darbietungen und F die Zahl der falschen Antworten. Abbot Formel: KER = [N·(n–1) – Fn]/[N·(n–1)] Eine falsche Antwort ist möglich ● durch Unaufmerksamkeit, obwohl das Sehzeichen sicher erkannt wird, ● als Folge falschen Ratens bei unsicherer Erkennung oder ● als Folge reinen Ratens, wenn das Zeichen gar nicht mehr erkannt wird.
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Zahl der richtigen Antworten (%)
100
Außerdem könnte die Antwort absichtlich falsch sein. Der Übergang vom überschwelligen Bereich, in dem alle Sehzeichen klar erkannt werden, zur puren Ratewahrscheinlichkeit (Kehrwert der Zahl möglicher Antworten) wird als Transitionszone oder Schwellenbereich bezeichnet.
Merke
H ●
Nachfragen, wenn ein Sehzeichen falsch benannt wurde, ist nicht erlaubt.
Aufgelöst nach der Rate R/N richtiger Antworten R ergibt sich aus der Abbot-Formel mit R = N–F und einer Einzelratewahrscheinlichkeit p = 1/n allgemein: R/N = KER [1 – p] + p Eine korrigierte Erkennungsrate von 50 % bzw. 0,5 entspricht also einer Rate richtiger Antworten von (1 + p)/2. Die Annäherung an diesen Punkt ist auf verschiedene Art möglich.
Konstanzverfahren (Constant-Stimulus-Methode) Beim Konstanzverfahren wird der Prozentsatz richtiger Antworten für eine bestimmte Optotypengröße festgestellt, indem eine große Zahl von Sehzeichen einer Grö-
67
Normales Binokularsehen ße angeboten wird. Es sind sehr viele Darbietungen nötig, um aus dem Prozentsatz der jeweils richtigen Antworten eine psychometrische Funktion mit genügender Genauigkeit ableiten zu können. Die Visusbestimmung nach DIN 58220 ist eine Abkürzung des Konstanzverfahrens [60], [61].
1,00 0,80 0,63 0,50 0,40
Grenzmethode Bei der Grenzmethode wird jeweils nur 1 Zeichen jeder Größe angeboten. Man beginnt mit einer sicher erkennbaren Optotype und stoppt bei der ersten falschen Antwort. Dies wird mehrfach wiederholt. Der Visus ergibt sich als Mittelwert der Werte der letzten richtigen Antworten (Transitionspunkte) in jedem Durchgang (▶ Abb. 1.61). Der Patient wird dadurch nicht lange im unangenehmen Schwellenbereich gefordert, sondern erhält regelmäßig Zeichen, die er wieder gut erkennen kann. Die Standardabweichung der Einzelwerte ist ein Maß für die Zuverlässigkeit des Messwerts.
Stufenstrategie (Staircase-Methode)
0,32 0,25
Durch die Stufenstrategie wird das Aufsuchen des Schwellenbereichs abgekürzt (Suchphase), um dort das Gros der Antworten zu sammeln (Messphase). Das Vorgehen ist beispielhaft in ▶ Abb. 1.62 dargestellt. Der ermittelte Sehschärfewert hängt von den Kriterien ab, nach denen der Messvorgang festgelegt ist. Die Stufenstrategie wird vor allem beim Preferential-Looking eingesetzt.
0,16 0,12 0,10 1
2
3
4
5
6
Zahl der Durchgänge Abb. 1.61 Grenzmethode. + : richtige Antwort, o: falsche Antwort. Nacheinander erfolgen mehrere (hier 6) Bestimmungen nach dem Kriterium 1/1, d. h. wenn die Antwort auf ein Sehzeichen richtig ist, wird zur nächsthöheren Visusstufe fortgeschritten, bis eine falsche Antwort erfolgt. Damit endet der Durchgang, und es wird wieder mit einem großen Sehzeichen begonnen. Die Ergebnisse mehrerer Durchgänge werden geometrisch gemittelt, hier: MW logMAR = (0,6 + 0,4 + 0,7 + 0,5 + 0,5 + 0,6) : 6 = 0,55 logMAR = 0,55 → Visus = 10–0,55 ≈ 0,28
Herstellungsmethode Die Herstellungsmethode kommt im Prinzip zur Anwendung, wenn die Sehzeichen auf einer Tafel zu klein sind und die Tafel angenähert wird, bis der Patient die größten Zeichen erkennt. Viele Personen antworten erst dann, wenn sie die Sehzeichen sicher erkennen. Deshalb sollte man in der gefundenen Entfernung nach der ForcedChoice-Strategie auch auf den folgenden, schwierigeren Zeilen prüfen.
1,00 0,80 Suchphase
0,63
Messphase
0,50 0,40 0,32 0,25 0,20 0,16 0,12 0,10 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Reihenfolge der Darbietungen Abb. 1.62 Stufenstrategie. + : richtige Antwort, o: falsche Antwort. In der Suchphase wird die Sehzeichengröße nach 2 korrekten Antworten auf einer Visusstufe um 2 Stufen reduziert. In der Messphase, die nach der 2. falschen Antwort beginnt, wird nach 1 falschen Antwort 1 Visusstufe tiefer fortgefahren, nach 2 korrekten Antworten 1 Stufe höher. Das Ende der Messphase kann durch unterschiedliche Kriterien definiert sein, z. B. nach einer bestimmten Zahl von Darbietungen oder Richtungsänderungen (↑) oder Paaren (in diesem Beispiel 6 Paare) richtiger Antworten. Die Sehschärfe kann als geometrisches Mittel aller Darbietungen in der Messphase bestimmt werden (hier: 0,29).
68
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0,20
1.3 Sehschärfe
Das Verfahren der Best Parameter Estimation by sequential Testing beruht darauf, dass man eine psychometrische Funktion wie in ▶ Abb. 1.60 voraussetzt und die Kurve nach jeder Antwort auf ein Sehzeichen nach rechts bzw. links so weit verschiebt, dass sie am besten zu allen bisherigen Antworten passt. Dies ist im Freiburger Visustest realisiert [2]. Ein Nachteil ist, dass Fehler durch Unachtsamkeit starken Einfluss haben können. Für wenig kooperative Patienten ist die Strategie daher ungeeignet. Bei guter Mitarbeit sind die kurze Untersuchungszeit und die Unabhängigkeit vom Untersucher vorteilhaft.
Prüfung nach DIN 58220–3, EN ISO 8596 Die DIN 58220–3 beschreibt ein Verfahren zur Messung der Sehschärfe für die Ferne unter Tageslichtbedingungen für gutachtliche Zwecke und Zulassungsverfahren [19]. Sie ist nicht als Norm für klinische Messungen oder zur Bestätigung von Blindheit oder Sehbehinderung vorgesehen. In der Norm sind vorgeschrieben: ● Untersuchungsabstand (≥ 4 m) ● Testfeldgröße (∅ 2,0°–5,0°) ● Testfeldleuchtdichte (80–320 cd/m2) ● Zeichenkontrast (L Optotype < 0,15 L Testfeld ) ● Optotypenabstand (> 15‘, abhängig von der Visusstufe) ● Abstand der Optotypen vom Testfeldrand (0,5°) ● Vorgehen bei der Visusbestimmung Als Sehzeichen ist der Landoltring [48] mit 8 möglichen Orientierungen vorgeschrieben. Bei 3 von 5 gezeigten Ringen muss die Öffnung horizontal oder vertikal sein. Für Sehschärfewerte von 0,05–0,1 ist eine Mindestanzahl von 2, für Werte von 0,12–0,2 von 3 und ab einem Wert von 0,25 von 5 Darbietungen gefordert. Zur genauen Bestimmung bei geringem Visus ist eine Verkürzung der Prüfdistanz erlaubt. Die bevorzugte Zahl von Darbietungen beträgt 5, 8 oder 10. Das Kriterium bestanden liegt dann bei 3, 5 oder 6 korrekt benannten Zeichen. Die Prüfung ist beim ersten Sehschärfewert, bei dem dieses Kriterium unterschritten wird, zu beenden. Der Patient muss jedes dargebotene Zeichen benennen (Forced-Choice).
Merke
H ●
Die Reproduzierbarkeit des Visuswerts hängt vom Prüfkriterium ab.
Die systemimmanente Streuung der Visuswerte bei korrekter Bestimmung hängt vom Prüfkriterium und der Zahl der Antwortalternativen ab. Das Kriterium 6/10 liefert besser reproduzierbare Werte als das Kriterium 3/5. Im ersten Fall weichen 10 % der Wiederholungsmessungen um mehr als 1 Stufe vom vorher gemessenen Wert ab, im zweiten Fall 19 % [61]. Derselbe Messwert ist im ersten
Fall bei 42 %, im zweiten Fall bei 34 % zu erwarten. Abweichungen von 1 Stufe sind demnach bei korrektem Vorgehen häufiger als identische Messwerte. Auch eine Visusdifferenz von 1 Stufe zwischen beiden Augen ist demnach bei einmaliger Messung nicht signifikant. Geringer ist die Streuung, wenn man die Messung – aus welchem Grund auch immer – auf einem bestimmten Niveau, z. B. 1,0, abbricht. Der Wert 1,0 entspricht dann aber nicht unbedingt der Sehschärfe, die höher sein kann.
1
Interpolated logMAR und Letter-Score Ein Patient, der bis zur Stufe 1,25 fehlerfrei bleibt und Stufe 1,6 mit 2 von 5 korrekt benannten Zeichen nicht mehr besteht, verfügt vermutlich über einen besseren Visus als ein Patient, der schon Stufe 0,8 nur mit 4 von 5 Zeichen sowie die Stufen 1,0 und 1,25 mit 3 von 5 Zeichen besteht und bei Zeile 1,6 scheitert. Gemäß der Norm ergibt sich aber in beiden Fällen ein Visuswert von 1,25. In wissenschaftlichen Studien wird daher jeder Fehler in den bestandenen Zeilen in Rechnung gestellt. Bei dekadisch-logarithmisch abgestuften Sehtests mit 5 Zeichen pro Zeile wird jedes Zeichen mit 0,02 logMAR gewichtet. Die Addition von 0,02 (logMAR) für jeden Fehler zum logMAR-Wert der letzten bestandenen Zeile ergibt den interpolated logMAR-Score. Er beträgt für den ersten Patienten –0,1, für den anderen Patienten wegen seiner 5 Fehler 0. Das entspricht einem Visus von 1,25 für den ersten und 1,0 für den anderen Patienten (▶ Abb. 1.63).
1,00
logMAR = 0,0
0,80
logMAR = 0,1
0,63
logMAR = 0,2
0,50
logMAR = 0,3
0,40
logMAR = 0,4
0,32
logMAR = 0,5
0,25
logMAR = 0,6
0,20
logMAR = 0,7
0,16
logMAR = 0,8
0,12
logMAR = 0,9
0,10
logMAR = 1,0
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Best-PEST-Strategie
Abb. 1.63 Ermittlung von Zwischenwerten. Durch Berücksichtigung falscher Antworten auf den bestandenen Visusstufen erhält man den „interpolated logMAR-Score“, der in einen Visuswert transformiert werden kann. + : richtige Antwort, o: falsche Antwort. Auf der Stufe 0,2 (logMAR = 0,7) sind noch alle 5 Antworten korrekt, auf Stufe 0,25 sind 4 von 5, auf Stufe 0,32 nur 3 von 5 Antworten richtig. Zum logMAR Wert der letzten bestandenen Zeile wird für jeden Fehler einschließlich dieser Zeile 0,02 addiert: logMAR = 0,5 + 0,06 = 0,56 → Visus = 10–0,56 ≈ 0,28. Das gilt für logarithmisch abgestufte Tests mit 5 Zeichen pro Zeile.
69
Demselben Zweck dient der sog. Letter-Score. Er bezieht sich auf die Buchstaben der ETDRS-Tafel und ein bestimmtes Untersuchungsdesign [31]. Für Studienzwecke scheint sich ein Vorgehen zu etablieren, bei dem – vereinfacht beschrieben – zu einer Zahl von 30 Buchstaben (die fehlerfreie Erkennung der 6 größten Zeilen im Abstand von 1 m, mithin ein Visus > 0,1, wird damit vorausgesetzt) die Zahl der aus 4 m Entfernung korrekt benannten Buchstaben aller bestandenen (≥ 3 der 5 Antworten korrekt) Zeilen addiert wird. 5 Buchstaben entsprechen 1 Visusstufe bzw. 1 Zeile. Die Angabe von Buchstaben statt Zeilen hebt also geringe Unterschiede quasi in 5-facher Vergrößerung hervor. Wegen des recht hoch angesetzten Nullpunkts ist der Score für den wichtigen Visusbereich unter 0,1 wenig geeignet. Der Letter-Score wird in vielen pharmakologischen und retinologischen Studien verwendet. In der Amblyopiediagnostik ist er nicht verbreitet.
Berechnen von Mittelwerten Der Mittelwert mehrerer Letter-Scores oder logMARWerte ergibt sich als arithmetisches Mittel der Einzelwerte (Summe aller Einzelwerte/Anzahl der Werte). Der Mittelwert aus 0,0 logMAR und 1,0 logMAR beträgt 0,5 logMAR. Als Mittelwert mehrerer Visuswerte ist das geometrische Mittel korrekt. Das geometrische Mittel zweier Werte ist das X-fache des einen und der X-te Teil des anderen Wertes. Es liegt bei logarithmisch abgestuften Tests so viele Stufen unter dem einen wie über dem anderen Wert. Der Mittelwert aus Visus 0,1 und Visus 1,0 ist somit 0,32. Um den Mittelwert mehrerer Visuswerte zu bestimmen, bildet man das arithmetische Mittel der entsprechenden logMAR-Werte (▶ Tab. 1.4) und kehrt von dort zum Visus zurück. Das Mittel aus Visus 0,02 (1,7 logMAR), 0,1 (1,0 logMAR) und 0,5 (0,3 logMAR) ist also 0,1 (1,0 logMAR) [9]. Soll auch die Standardabweichung angegeben werden, ist es sinnvoll, beim Letter-Score oder bei logMAR zu bleiben.
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Normales Binokularsehen
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1.4 Sensorik des Binokularsehens V. Herzau, D. Besch, H. Jägle Unter binokularer Sensorik, einem Teilaspekt der physiologischen Optik [67], verstehen wir das neuronale System des Gehirns, das die Netzhautbilder des rechten und linken Auges zu einem Seheindruck verarbeitet. Normalerweise dient die binokulare Sensorik zusammen mit dem Vergenzsystem der Verschmelzung der Netzhautbilder des rechten und linken Auges, die von denselben Objekten stammen, also der binokularen Fusion. Sie wird durch einen sensomotorischen Regelkreis erreicht ([10], [53]), der in ▶ Abb. 1.64 stark vereinfacht wiedergegeben ist. Die binokulare Sensorik im „sensorischen Fusionszentrum“ stellt den Fühler des Regelkreises dar. Sie ermittelt, um welchen Betrag die Bilder auf der Netzhaut beider Augen gegeneinander durch einen Vergenzfehler verschoben sind, und überträgt daraufhin ein Signal an das „motorische Fusionszentrum“. Von dort gehen dann Korrekturimpulse an die äußeren Augenmuskeln, die diese zur fusionalen Vergenz veranlassen. Die motorische Fusion
71
Normales Binokularsehen
a b c d e
Abb. 1.64 Sensomotorischer Regelkreis der binokularen Fusion
disparitätssensitive Mechanismen
V1
III
IV
sensorisches Fusionszentrum
VI
a b c d e
bewirkt die Abbildung eines Fixationsobjekts auf korrespondierenden Netzhautbereichen. Wird dieser Regelkreis an seinem motorischen Schenkel (Hirnnerv, Muskel) aufgebrochen, resultiert ein Strabismus paralyticus. Läsionen an allen anderen Stellen (Optik, Sehnerv, „sensorisches Fusionszentrum“) führen zu den verschiedenen Formen des sog. Begleitschielens. Die Rolle der Akkommodation bei der Vergenz und die Ebene der Bildwahrnehmung sind in diesem Schema nicht berücksichtigt.
Merke
H ●
Der motorische Anteil an der Fusion entspricht der fusionalen Vergenzbewegung und führt zur Abbildung eines Fixationsobjekts auf korrespondierenden Netzhautbereichen. Die sensorische Fusion beinhaltet die neuronalen Vorgänge im Gehirn, die die Netzhautbilder des rechten und des linken Auges zu einem einzigen Seheindruck verschmelzen.
Das normale beidäugige Sehen vermittelt eine weitgehend einheitliche Wahrnehmung der Außenwelt nach Ort, Helligkeit und Farbe. In welcher Weise dies erfüllt wird, soll im Folgenden durch psychophysische Befunde
72
dargestellt werden. Der letzte Abschnitt versucht, diese subjektiven Beobachtungen mit den bisher bekannten neurophysiologischen Mechanismen in der Sehrinde zu korrelieren.
1.4.1 Monokulare relative Lokalisation Wenn wir die Objekte in unserem Gesichtsfeld betrachten, ist gleichzeitig deren Anordnung zueinander in unserer Wahrnehmung enthalten [92]. Dies setzt voraus, dass alle Netzhautorte durch ihre Koppelung mit der Sehrinde neben den bekannten visuellen Funktionen weitgehend fixierte Raum- oder Richtungswerte (Lokalzeichen nach Lotze, 1852, [116]) besitzen, deren Verteilung der optischen Geometrie entspricht. Wie auch alle anderen visuellen Wahrnehmungen wird der Raumwert dabei subjektiv in den Außenraum projiziert. Dies gilt für adäquate Reize (Netzhautbilder) und Nachbilder ebenso wie für inadäquate, z. B. den als Blitz (Phosphen = Lichterscheinung ohne physikalisches Licht) empfundenen Glaskörperzug an der Netzhaut. Die Feinabstufung der einzelnen Richtungswerte entspricht dem visuellen räumlichen Auflösungsvermögen, das im Netzhautzentrum feiner ist als der Durchmesser einer retinalen Sinneszelle. Daher wird von einer Errechnung der Raumwerte (Mean visual
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motorisches Fusionszentrum
1.4 Sensorik
L GII F
K L
Direction) im visuellen Kortex ausgegangen [119]. Die weitgehend exakte Kartografie der Raumwerte bis in die Sehrinde erlaubt es aber, zur besseren Verständigung von retinalen Raumwerten zu sprechen, auch wenn sich der Sitz einer Funktion in höher gelegenen Zentren befindet. Die Koppelung zwischen Sinneszelle und Kortex verhindert zumindest im Erwachsenenalter eine Adaptation der Raumwerte an neue Abbildungsverhältnisse oder eine erworbene Änderung der Anordnung retinaler Sinneszellen. Narbige Verziehungen der Netzhaut, wie bei einer epiretinalen Gliose, führen deshalb zu bleibendem Verzerrtsehen (Metamorphopsie) gerader Konturen, und ein Makulaödem führt zur regionären Mikropsie.
Merke
1
H ●
Erworbene morphologische Veränderungen der Netzhaut, z. B. eine Narbe, Gliose oder ein Ödem der Makula, sind meist asymmetrisch und verhindern die sensorische Fusion.
In schematischen Zeichnungen wird der Ort der retinalen Bildpunkte durch Richtungslinien dargestellt, die vom Gegenstandspunkt zu einem für diese Zwecke mit hinreichender Genauigkeit vereinigten Knotenpunkt des „reduzierten Auges“ [113] ziehen und dann auf die Netzhaut treffen (▶ Abb. 1.65). Sie geben die Richtung an, in welcher der Bildpunkt liegt. Der vereinigte Knotenpunkt findet sich nach Helmholtz [67] in der hinteren Linsenrinde; Donders [40] legt ihn 15 mm vor die Fovea des „norma-
len“ Auges, Grüsser gibt einen Wert von 16,67 mm an [60]. Diejenige Richtungslinie, die auf die Foveola trifft, heißt Gesichtslinie, ihr subjektives Korrelat Hauptsehrichtung. Alle auf andere Netzhautstellen treffenden Richtungslinien entsprechen Nebensehrichtungen. Bei der monokularen relativen Lokalisation liegt die Hauptsehrichtung im Zentrum des subjektiven retinalen Koordinatensystems.
Merke
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um
GI
ps Lore m i
FI
KI KII
hI hII
Abb. 1.65 Reduziertes Schema des Auges im horizontalen Schnitt. Der vereinigte Knotenpunkt findet sich nach Helmholtz in der hinteren Linsenrinde [67]. FI und FII: optische Achse; GI und GII: Gesichtslinie; K: zusammengelegte Knotenpunkte; GII: Foveola; hI und hII: 1. und 2. Hauptpunkt; gestrichelter Bogen II: die einzige brechende Kugeloberfläche des reduzierten Auges mit K als Mittelpunkt.
H ●
Im theoretischen Idealfall der schematischen Grafik entsprechen die Richtungslinien den subjektiven Sehrichtungen, also der Projektion der retinalen Lokalzeichen in den Außenraum.
Genauere psychophysische Messungen zeigen jedoch eine Asymmetrie in der Anordnung der Richtungswerte der Netzhaut. So wird z. B. beim Streckenteilungsversuch nach Kundt der retinonasale sowie der retinal obere Anteil einer Linie in der Regel um etwa 1/16 größer gewählt [81], [108], [179]. Für die monokulare relative Lokalisation sind diese Asymmetrien von untergeordneter Bedeutung.
1.4.2 Absolute Lokalisation Neben der relativen Lokalisation, also der subjektiv empfundenen Anordnung der Objekte im Gesichtsfeld (und damit auch deren scheinbarer Form und Größe), hat un-
73
Normales Binokularsehen
74
Selbst pathologische Stellungsänderungen um die sagittale Achse, wie sie bei der frischen Lähmung des M. obliquus superior auftreten, führen bei einäugiger Beurteilung mit dem betroffenen Auge nur anfangs zur Schrägempfindung der Außenwelt. Bei Vorhandensein von Vergleichskonturen, deren stets senkrechte oder waagrechte Orientierung uns bekannt ist, erfolgt eine Adaptation an einen neuen funktionellen Längsmittelschnitt und die Welt erscheint wieder im Lot. Wird jetzt die Abdeckung vom nicht gelähmten zum gelähmten Auge gewechselt, sieht man zunächst mit dem nicht betroffenen Auge gekippt, bis das ursprüngliche Programm wieder in Erinnerung kommt. Diese sensorische Umwertung der Netzhautmeridiane bezeichnet man als sensorische Zykloversion [76].
Merke
H ●
Die absolute Lokalisation ist bei Vorhandensein von Vergleichskonturen durch physiologische Anpassung und Erfahrung modifizierbar. Dies gilt jedoch nur, wenn wir uns bei der einäugigen Schätzung an bekannten Vergleichsmotiven orientieren können. Im Dunkelraum wird die scheinbare oder subjektive Vertikale (wie auch die subjektive Horizontale) wieder entsprechend der primären Mittelschnitte eingestellt [78].
Die hier dargestellte physiologische Anpassung der absoluten Lokalisation darf nicht mit einer interokularen Anpassung der die Orientierungsempfindung vermittelnden Netzhautmeridiane, also mit einer anomalen Korrespondenz der Netzhautmeridiane verwechselt werden. Erworbene Zyklophorien oder -tropien werden bei normaler Netzhautkorrespondenz subjektiv stets um den vollen Betrag der motorischen Verrollung angegeben. Selbst die physiologische Disklination der Längsmittelschnitte (subjektive Vertikale) lässt sich bei der subjektiven Messung der Zyklovergenz nachweisen (Winkel V nach Donders, Tschermak-Seysenegg [180]). Bei der Messung der Zyklovergenz (Kap. 3.2.8) hängt das Ergebnis somit davon ab, ob die Testlinie vertikal oder horizontal einzustellen ist.
1.4.3 Sensorische Fusion Die bisher für den Raumsinn bei einäugiger Sehweise dargestellten Regeln können zunächst unverändert auf unsere zweiäugige Sehweise übertragen werden. Die frontale Stellung der Augen führt dabei zu einer weitgehenden Überlappung der beiden monokularen Gesichtsfelder oder besser zu einer Ineinanderlegung der Gesichtsräume, da dieser Ausdruck auch die in verschiedener Tiefe gelegenen Sehdinge berücksichtigt.
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ser Auge oder – genauer – unsere visuelle Sensorik auch eine subjektiv „klare Vorstellung“ von vertikal und horizontal, also die Fähigkeit zur absoluten Lokalisation im Sinne Tschermaks [179]. Im Dunkelraum, d. h. ohne Erfahrungsmotive und Vergleichskonturen, sind wir bei aufrechter Kopfhaltung in der Lage, drehbare Leuchtlinien weitgehend lotrecht oder waagrecht einzustellen. Unsere in Primärposition „primären“ Längsmittelschnitte und Quermittelschnitte der Netzhaut (= die Reihe der durch die Foveola laufenden Netzhautelemente, die die Empfindung „vertikal“ und „horizontal“ vermitteln) sind also für das praktische Leben recht zuverlässig. Dies gilt vor allem für die subjektive Horizontale, während die subjektive Vertikale bei den meisten Menschen gegen den objektiven Lotmeridian diskliniert, d. h. mit ihrem oberen Ende nach temporal gekippt ist [154]. Das Ausmaß der Disklination ist individuell unterschiedlich, auf beide Augen weitgehend symmetrisch verteilt und beträgt im Mittel etwa 1°. Werte von 3° Disklination bis 1° Konklination gelten im Fixationsabstand von 50 cm noch als normal [78]. Inkongruenzen der Netzhäute [68], [69], [70], wie sie sich im Teilungsversuch von Kundt und bei der Orientierung der subjektiven Vertikalen ergeben, sind die Grundlagen für die Abweichung des empirischen vom geometrischen Horopter [82], [179], [185]. Die oben genannte Schätzung der subjektiven Vertikalen oder der Horizontalen bezieht sich auf eine aufrechte Kopf- und Körperhaltung in Primärposition der Augen bei fern gelegenem Fixationsobjekt. Wird der Kopf zur Seite geneigt, mit oder ohne den Rumpf, tritt neben der unvollständigen motorischen Gegenrollung kompensatorisch eine sensorische Umwertung der Netzhautmeridiane für vertikale und horizontale Empfindung ein, solange bekannte Vergleichskonturen sichtbar sind. Im Dunkelraum wird die Rollung der Bildmeridiane allerdings nicht vollständig kompensiert (Aubert-Phänomen [8]). Eine gleichartige korrektive Umwertung erfolgt auch in vielen anderen Situationen, ohne dass wir uns dessen beim naiven Gebrauch unserer Augen bewusst sind. So geschieht dies z. B. bei der zwangsläufigen Tertiärneigung des senkrechten oder waagrechten anatomischen Netzhautmeridians, wenn wir die Augen von der Primärposition in eine Tertiärstellung bringen (siehe Kap. 1.1). Anderenfalls müssten wir z. B. lotrechte Konturen bei Blickwendungen nach rechts oben als gegen den Uhrzeigersinn gedreht empfinden. Dementsprechend erscheint ein in Primärposition senkrecht gesetztes Nachbild bei gleicher Blickwendung im Uhrzeigersinn gekippt, entsprechend der Tertiärneigung des primär lotrechten anatomischen Netzhautmeridians zur Außenwelt. Der primäre Längsmittelschnitt verliert also in der Tertiärstellung den Empfindungswert „vertikal“ und gibt ihn an einen primär schrägen Mittelschnitt ab [8], [179], [180].
H ●
1
Um eine ungestörte visuelle Orientierung zu ermöglichen, müssen die beiden zunächst getrennt aufgenommenen visuellen Informationen zu einem gemeinsamen Sammelbild verarbeitet, d. h. sensorisch fusioniert werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die sich entsprechenden Bilddetails im rechten und linken Auge auf Netzhautstellen mit gleichem Lokalzeichen abgebildet, also in derselben Richtung lokalisiert werden.
Fensterscheibe
P
Gesetz der identischen Sehrichtungen beider Netzhäute, Zyklopenauge Wenn beide Augen sukzessiv einen einzelnen Punkt fixieren, besitzt jedes Auge für sich eine Blicklinie und damit je eine Hauptsehrichtung. Bei simultaner beidäugiger Fixation des Punktes nehmen wir aber das Bild dieses Punktes nicht etwa als im Kreuzungspunkt zweier Hauptsehrichtungen gelegen wahr. Vielmehr empfinden wir das Bild des Punktes in einer zusammengelegten, beiden Foveolae gemeinsamen Richtung, der Hauptsehrichtung bei binokularer Fixation. Bei symmetrischer Konvergenz ist sie geradeaus nach vorne gerichtet und nimmt ihren Ursprung in einem zwischen beiden Augen gelegenen „imaginären Einauge“ [72] oder dem „Zyklopenauge“ von Aguilonius [2] und Helmholtz [67]. Ein Kind unter 2 Jahren demonstriert diese Empfindung, wenn man ihm eine Röhre zum Durchschauen gibt: es hält die Röhre nicht vor das rechte oder linke Auge, sondern an die Nasenwurzel (Cyclops Effect nach Church [32]). Die Identität der Sehrichtungen beider Foveolae hat Hering [72] in seinem klassischen Fensterversuch nachgewiesen: Die Bilder aller Objekte, die in den Gesichtslinien des rechten und des linken Auges liegen, werden in derselben Richtung, nämlich der binokularen Hauptsehrichtung, wahrgenommen, obwohl die Objekte im objektiven Raum weit auseinander stehen. ▶ Abb. 1.66 gibt das Prinzip der Hering-Beobachtung wieder. So wie beide Foveolae den Eindruck ein und derselben Sehrichtung vermitteln, teilen auch alle übrigen Netzhautstellen eines Auges ihr Lokalzeichen mit einer Partnerstelle der Netzhaut des anderen Auges innerhalb der Grenzen des binokularen Gesichtsfelds [68], [69], [70]. Tschermak spricht daher von einer Sehrichtungsgemeinschaft und nennt damit das beim Namen, was mit dem üblicheren Begriff Korrespondenz gemeint ist. Die Begriffe korrespondierende oder disparate Netzhautstellen werden von den meisten klassischen Autoren Fechner zugeschrieben [67], [81]. Nach Kretzschmar [106] hat der schwäbische Amtsphysikus Johann Georg Steinbuch [173] den Terminus „Korrespondenz“ als erster verwandt. Das Konzept der identischen Sehrichtungen und des Zyklopenauges oder des sensorischen Doppelauges (Hering) lässt sich grafisch darstellen, indem man die Netz-
α F LA
β
A
βα B
F A
B
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Merke
1.4 Sensorik
F RA
Abb. 1.66 Darstellung des Hering-Beweises (1879) für die Identität der Sehrichtungen. Beide Augen fixieren in symmetrischer Konvergenz einen Punkt (P) auf einer Fensterscheibe. In Verlängerung der Gesichtslinie des rechten Auges (F‘P) befindet sich ein scheibenförmiges Objekt weit hinter der Fixationsebene und links vom Fixierpunkt. Auf die linke Foveola (F) projiziert sich ein hinter der Fixationsebene gelegenes Kreuz. Zwischen beiden Augen ist Herings „imaginäres Einauge“ dargestellt, gewonnen durch Übereinanderlegen beider Netzhäute. Die empfundene relative Lokalisation der 3 in den Gesichtslinien liegenden Objekte ist in dem Rechteck wiedergegeben: Scheibe, Kreuz und Fixierpunkt werden in einer Richtung quasi aufeinanderliegend geradeaus vorn lokalisiert. Scheibe und Kreuz bilden sich zusätzlich auf nasal exzentrischen Netzhautstellen ab und werden als Doppelbilder, den Lokalzeichen von A und B entsprechend, neben der Hauptsehrichtung empfunden. Das mittlere, gemeinsame foveolare Bild liegt in der binokularen Hauptsehrichtung und gleichzeitig – wegen der Symmetrie der Konvergenz – in der egozentrischen Richtung „gerade vorn“. Der zusammengelegte Knotenpunkt des Zyklopenauges stellt das Projektionszentrum für die relative und die egozentrische Lokalisation dar.
häute beider Augen übereinanderlegt, so dass sich korrespondierende Netzhautstellen decken. Auf diese Weise lässt sich die Identität der Sehrichtungen korrespondierender Netzhautstellen und die relative Richtungslokali-
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sation beim beidäugigen Sehen anschaulich darstellen (▶ Abb. 1.66). Dabei werden allerdings die physiologischen Inkongruenzen der Netzhäute nicht berücksichtigt.
Egozentrische Lokalisation Wir nehmen die Sehdinge nicht nur in ihrer Anordnung nach Breiten- und Höhenabständen zueinander wahr, sondern auch in Beziehung zum vorgestellten Ort des eigenen Ichs. Diese Beziehungsqualität wird als egozentrische Lokalisation bezeichnet. Hierzu gehören subjektive Lokalisationskriterien wie ● gerade vorn/rechts/links – bezogen auf die subjektive Medianebene, ● in Augenhöhe/scheitelwärts („oben“)/kinnwärts („unten“) – bezogen auf die subjektive Horizontalebene, ● fern/nah (egozentrische Abstandslokalisation nach Hofmann [81]). Die ersten beiden genannten Kriterien gehören zur egozentrischen Richtungslokalisation, für die das Zyklopenauge den Ausgangsort darstellt. Sie darf nicht mit der relativen Richtungslokalisation verwechselt werden, da beide Systeme isoliert gestört sein können. Ein Schielender mit anomaler Netzhautkorrespondenz hat eine gestörte relative Lokalisation, denn die Lokalzeichen der Netzhaut des abgewichenen Auges besitzen unter binokularen Bedingungen einen veränderten Richtungswert. Die egozentrische Lokalisation ist davon in der Regel nicht betroffen. Andererseits bleibt die relative Richtungslokalisation bei einem Patienten mit akuter Augenmuskelparese erhalten, die egozentrische Lokalisation ist jedoch durch das Ungleichgewicht von lnnervation und effektiver retinaler Bildverschiebung gestört (verschobene „Reafferenz“ nach von Holst und Mittelstaedt, 1950, [83]).
Geometrisch-mathematischer Horopter Mit der Frage, wo die Objektpunkte im Gesichtsraum liegen müssen, um bei einer bestimmten Konvergenzstellung der Augen einfach gesehen zu werden, hat sich schon Claudius Ptolemeus (um 150 n. Chr.) [151] in Alexandria beschäftigt. Er nahm an, dass der gesuchte Ort in einer frontoparallelen Linie durch den Fixierpunkt verläuft. Der Jesuitenpater Franciscus Aguilonius (1613) [2] ging von der gleichen Vorstellung aus und nannte die Linie Horopter, was so viel wie Sehgrenze bedeutet (horos = Grenze, Ziel, opt = Wortwurzel für Vorgänge des Sehens). Nach Entwicklung des Konzepts fixierter Lokalzeichen und Richtungslinien haben Vieth (1818) [186] und Johannes Müller (1826) [125] erstmals eine geometrische Ableitung des Horopters durchgeführt und die Bezeichnung von Aguilonius übernommen. Sie sind damals von der (nicht exakt zutreffenden) Vorstellung ausgegangen, dass alle Netzhautpunkte, die am rechten und linken Auge in derselben Richtung und mit derselben Exzentrizität von
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der Foveola entfernt sind, dasselbe Lokalzeichen besitzen. Die zusammengehörigen Netzhautpunkte am rechten und linken Auge nannte Müller [125] identische Stellen, Hering [68], [69], [70] Deckstellen und schließlich Fechner [49] korrespondierende Stellen. Unter den genannten Voraussetzungen bestimmten Vieth und Müller einen Kreis von Objektpunkten im Gesichtsraum, der die Knotenpunkte beider Augen (ursprünglich Mittelpunkte) und den Fixierpunkt verbindet (Vieth-Müller-Horopterkreis, ▶ Abb. 1.67a). Außerhalb des Kreises liegende Punkte projizieren sich nach diesem Konzept auf disparate Netzhautpunkte und werden doppelt gesehen. Definiert wurde der Horopter als der geometrische Ort der korrespondent abgebildeten Außenpunkte. Diese Definition trifft auch auf eine vertikale Linie [150] durch den Fixierpunkt zu, solange die Längsmittelschnitte der Netzhäute eine lotrechte Orientierung einhalten. In diesem strengen Sinne besteht der geometrische Horopter – auch Punkthoropter [67] oder Totalhoropter [68], [69], [70] genannt – also nur in dem deduzierten Konstrukt aus dem binokular sichtbaren Anteil des Vieth-MüllerKreises und dem Prevost-Lot (▶ Abb. 1.67b). Alle Reize außerhalb dieser beiden Linien projizieren sich in horizontaler (Querdisparation) und/oder vertikaler (Höhenoder Längsdisparation) Abweichung von der exakt korrespondierenden Abbildung auf die Netzhäute beider Augen. Der so mathematisch-geometrisch konstruierte Horopter ist also keine Fläche, solange der Fixierpunkt in endlicher Nähe liegt. Nur bei Fixation eines im Unendlichen gelegenen Punktes (z. B. eines Sternes) wird er zu einer in der Ferne gelegenen frontoparallelen Fläche, da von dort aus die Strahlen aller Punkte parallel in das rechte und linke Auge fallen, so dass sich deren Netzhautbilder nicht mehr unterscheiden. Die in der Literatur meist angegebene Horopterfläche des nach Hering benannten Längshoropters (Longitudinalhoropter ist der aus dem Englischen zurückübersetzte Terminus!) in Zylindermantelform entsteht geometrisch erst, wenn die Längsdisparation, in der sich alle Objekte abbilden, die seitlich vom Fixierpunkt und gleichzeitig über oder unterhalb des Horopterkreises liegen, vernachlässigt wird. Der Längshoropter wird so konstruiert, dass man sich durch den Knotenpunkt und jeden der einzelnen Längsschnitte der Netzhaut, der die Empfindung „vertikal“ vermittelt, eine Längsschnittebene für beide Augen gelegt denkt. Korrespondierende Längsschnitte treffen sich dann in einer vertikalen Linie, deren Gesamtheit den Ausschnitt eines Zylindermantels ergibt. Von jedem Punkt der Fläche des Längshoropters werden Netzhautorte am rechten und linken Auge ohne Querdisparität stimuliert (▶ Abb. 1.67b). Die zwangsläufig entstehenden vertikalen Disparitäten oder Längsdisparitäten und die damit verbundenen sensorischen Einflüsse bleiben beim Längshoropter unberücksichtigt [185].
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Normales Binokularsehen
1.4 Sensorik
Ex
EI
FP
1
Er
β1
PL PX FP β2
geom. L. H.
VKM
h
F. γ1
K
F’
γ2 d
d
K’
P P’ E’ F’ RA
a
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FE LA
b
Abb. 1.67 Vieth-Müller-Horopterkreis und geometrischer Längshoropter. a Vieth-Müller-Horopterkreis von oben gesehen. Er verbindet den Fixierpunkt FP mit den beiden Knotenpunkten K und K‘ (ursprünglich die Mittelpunkte) des rechten und des linken Auges. Sein Radius r lässt sich nach Pythagoras berechnen: r = h2 + d2: 2 h, wobei d den halben Knotenpunktabstand und h die Distanz zwischen FP und KK‘ bedeuten. Die Richtungslinien eines jeden Kreispunkts (z. B. Px) treffen auf Netzhautstellen mit identischen Abständen zu den Foveolae F und F‘, denn nur wenn β1 = β2, kann γ1 = γ2 sein. Bei diesem Konzept wird vorausgesetzt, dass objektiver retinaler Lagewert und subjektiver Funktionswert sich spiegelsymmetrisch entsprechen, P und P‘ also korrespondierende Netzhautorte darstellen. Außerhalb des Kreises liegende Punkte projizieren sich nach diesem Konzept auf disparate Netzhautpunkte und werden doppelt gesehen. Punkt Ex wird z. B. beidseits auf nasalen Netzhautstellen abgebildet und deshalb von beiden Augen jeweils temporal lokalisiert und in der Fixationsebene bei Er vom rechten Auge und bei E1 vom linken Auge wahrgenommen (homonyme physiologische Diplopie). b Geometrischer Längshoropter. Er stellt einen Zylindermantel mit dem Vieth-Müller-Kreis (VMK) als Umfang und dem Prévost-Lot (PL) als senkrecht durch den Fixierpunkt (FP) verlaufende Gerade dar ([179]).
Empirischer Horopter Der bisher dargestellte mathematisch-geometrische Horopter besitzt aufgrund seiner vereinfachenden Schematisierung vor allem theoretischen und didaktischen Wert. Untersucht man jedoch die Lage der korrespondent auf der Netzhaut abgebildeten Punkte im Gesichtsraum durch ein psychophysisches Experiment (beidäugiges Sehen bei disparater Abbildung, Nadelexperiment, Kap. 1.4.4), so zeigt der dabei ermittelte empirische Horopter [68], [69], [70] neben individuellen Varianten 2 prinzipielle Abweichungen vom mathematisch-geometrischen Horopter. Die 1. Abweichung führt zu einer Abflachung der Horopterkrümmung mit der Fixationsdistanz. In ca. 30 cm
besitzt der empirische Längshoropter in der Blickebene etwa Kreisbogenform mit dem Zentrum zwischen den Knotenpunkten der Augen. Mit größeren Abständen flachen die Horopterlinien mehr und mehr ab und nähern sich zunehmend einer frontoparallelen Ebene, in noch größerer Fixationsdistanz nimmt der Horopter eine gegen den Beobachter konvexe Krümmung ein [135], [179]. Die Ursache dieser nach Hering [71] und Hillebrand [79] benannten Horopterabweichung kann auf die Inkongruenz der Netzhäute, wie sie sich im Kundt-Streckenteilungsversuch zeigt, zurückgeführt werden [79], [129], [185]. Für denselben seitlichen Richtungswert haben korrespondierende Netzhautorte retinonasal eine größere Distanz zur Fovea als retinotemporal (▶ Abb. 1.68).
77
FP OPE EH
Pe VMK
K
Pg
K’
P F LA
P’e P’ F’ g RA
Abb. 1.68 Horopter im horizontalen Gesichtsfeldmeridian bei symmetrischer Konvergenz und horizontaler Blickebene. Die Richtungslinien des vom empirischen Horopter ausgehenden Punktes Pe und die Richtungslinien von Pg auf dem geometrischen Horopter (Vieth-Müller-Kreis) sind gestrichelt eingezeichnet. Die durchgezogenen Richtungslinien stellen die Gesichtslinien dar. Die geringe Krümmung des empirischen Längshoropters entsteht durch die physiologische nasotemporale Asymmetrie der retinalen Richtungswerte in Bezug auf ihre Distanz zur Foveola: eine temporale Netzhautstelle hat eine geringere Distanz zur Foveola als die mit ihr korrespondierende Stelle der nasalen Netzhaut am anderen Auge (P’eF‘ > PF; aber P’gF‘ = PF). Objekte, die auf dem empirischen Horopter liegen, werden vom Beobachter in einer frontoparallelen Ebene (der „Kernfläche“ Herings) empfunden, da sie sich ohne Querdisparation auf der Netzhaut abbilden. Die Krümmung des EH gegen die objektive frontoparallele Ebene (OFPE) in Bezug auf Ausmaß und Richtung wird durch die Fixationsdistanz bestimmt.
Die 2. Abweichung des empirischen vom geometrischen Horopter wird durch den Schiefstand der die Empfindung vertikal vermittelnden Längsmittelschnitte der Netzhäute verursacht, der beide Augen weitgehend spiegelsymmetrisch um 1–2° betrifft, wobei die Quermittelschnitte nicht oder nur minimal betroffen sind [67], [154]. Folge der ungleichmäßigen, aber systematischen Verteilung der meridionalen Raumwerte ist für den Horopter bei symmetrischer Konvergenz eine Kippung des Prevost-Lots mit seinem oberen Ende vom Beobachter weg und dem unteren Ende zu ihm hin. Der Längshoropter wird dadurch bei symmetrischer Konvergenz zu einer kegelmantelähnlichen Fläche mit nach unten gerichteter Kegelspitze und entsprechender Kippung [179]. Bei geradeaus in weite Ferne gerichtetem Blick und aufrechter Körperhaltung treffen sich die Längsmittelschnittebenen aufgrund ihres V-förmigen Schiefstands etwa in der Fußbodenebene [67]. In dieser beim Gehen häufig eingenommenen Blickrichtung liegt der Horopter also in der Ebene,
78
auf der wir laufen, so dass stereoptische Informationen über den Boden vor uns optimal genutzt werden können. Ein Schiefstand der Längsmittelschnitte tritt aber auch durch die individuell unterschiedlich starke Näherungsdisklination auf, eine echte mit Konvergenz und Akkommodation gekuppelte Exzyklovergenz. Das Prevost-Lot erfährt dadurch eine noch stärkere Kippung und kann dann z. B. in der Ebene eines auf dem Tisch liegenden Buches verlaufen [179], [185]. Gleichzeitig kommt es zu vertikalen Disparitäten im seitlichen Gesichtsfeld auch neben dem Fixierpunkt, da die Quermittelschnitte bei dieser anatomischen Bulbusrollung ebenfalls schräg stehen. Nachdem der empirische Horopter für einen Beobachter ermittelt wurde, also für eine bestimmte Fixationsdistanz die Orte korrespondent abgebildeter Objekte im Außenraum feststehen, vermitteln alle auf dem Horopter liegenden Objektpunkte 2 Qualitäten des Raumsinns für den Beobachter: ● Jeder einzelne Objektpunkt wird vom rechten und linken Auge in derselben Richtung relativ zur Hauptsehrichtung empfunden. Das ist natürlich selbstverständlich, da es das Horopterkriterium darstellt. ● Die Gesamtheit der Punkte, die sich korrespondent oder nur mit Längsdisparation abbilden, erscheint für den Beobachter in derselben Entfernung wie der binokulare Fixierpunkt, also in einer Ebene, die Hering Kernfläche genannt hat, um den objektiven Raum vom subjektiven Sehraum auch sprachlich zu unterscheiden [71], [72], [179]. Dabei bezieht sich der Begriff Kernfläche in der Regel auf die subjektive frontoparallele Ebene bei symmetrischer Konvergenz für Objekte auf dem Längshoropter, weil die Wahrnehmung der Frontoparallelität nur durch die fehlende Querdisparation vermittelt wird.
1.4.4 Beidäugiges Sehen bei disparater Abbildung Objekte außerhalb des Horopters bilden sich auf disparaten, nicht miteinander korrespondierenden Netzhautorten ab, werden also von jedem Auge in anderer Richtung lokalisiert und müssten deshalb streng genommen bei simultaner beidäugiger Betrachtung stets doppelt wahrgenommen werden. Bei querdisparater Abbildung wird diese Form der Diplopie physiologisch genannt, da sie sich aus der physiologischen Optik zwangsläufig ergibt. Unser Sehsystem verfügt aber über eine gewisse Toleranz für geringe Quer- und Längsdisparationen, so dass in einem engen Bereich außerhalb des Horopters, trotz nicht exakt korrespondenter Abbildung, einfach gesehen werden kann. In einem einfachen Nadelexperiment kann man sich diese Verhältnisse für die Querdisparation selbst vor Augen führen, indem man 2 übereinander gehaltene Nadeln mit aufgestützten Unterarmen vor einem weißen Blatt Papier in der Medianebene gegeneinander vor und zurück bewegt. Die nach oben gehaltene Spitze der Nadel in der linken Hand wird ca. 10 cm vor dem homogenen Hin-
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Normales Binokularsehen
1.4 Sensorik
Merke
H ●
Das Nadelexperiment führt dem Beobachter 4 binokularsensorische Phänomene vor Augen, auf die in den folgenden Abschnitten ausführlicher eingegangen wird: ● Die sensorische Fusion gelingt auch bei gering querdisparater Abbildung des Objekts. ● Die querdisparate Abbildung eines Objekts führt zur Wahrnehmung eines Tiefenabstands dieses Objekts vom fixierten Objekt (relative Tiefenlokalisation, Stereopsis). Die ungekreuzte Disparation erzeugt die Empfindung „ferner“, die gekreuzte „näher“ als das fixierte Objekt. ● Die beiden Halbbilder des querdisparat abgebildeten und fusionierten Objekts werden im einäugigen Rechts-Links-Vergleich breitendistant lokalisiert. Die sensorische Fusion mittelt also die beiden monokularen Raumwerte zu einem neuen binokularen Wert. ● Die querdisparative Stereopsis ist nicht an die sensorische Fusion gebunden; es besteht auch während physiologischer Diplopie eine eindeutige Tiefenwahrnehmung.
Unser orientierendes Experiment mit den 2 Nadeln kann man mit Instrumenten zur Bestimmung des Längshoropters auch im seitlichen binokularen Gesichtsraum durchführen. Je nach Apparatetyp und Fragestellung an den Beobachter lassen sich so verschiedene Bereiche ermitteln. In ▶ Abb. 3.63 ist ein Horopterapparat dargestellt, mit dem der empirische Planhoropter ermittelt werden kann. Die Einstellung der vertikalen Stäbe soll bei ständiger Fixation des mittleren Stabes in einer subjektiven frontoparallelen Ebene, also ohne Querdisparation erfolgen. Die Streuung der Einstellung ist damit auch ein Maß für die Stereosehschärfe. Mit der gleichen Apparatur lässt sich der Bereich der sensorischen Fusion für querdisparate Abbildungen feststellen. Der dabei ermittelte Fusionshoropter [185] stellt keine Linie oder Ebene mehr dar, sondern einen um den Längshoropter gelegenen Raum, für den sich der Begriff Panum-Raum eingebürgert hat. Die genaueste und eine der Definition des Horopters entsprechende Ermittlung des Längshoropters nach dem reinen Korrespondenzkriterium erfolgt unter Trennung der Binokularität entweder durch Einstellen der Linienläufigkeit eines binokularen mit einem monokular dargebotenen Lot (Noniusmethode nach Tschermak-Seysenegg [180]) oder nach Ogle [133] durch Einstellung zweier monokularer Halblote allein. Blickt man von oben auf das Ergebnis der Horoptereinstellung nach den verschiedenen Kriterien, erhält man schematisch die in ▶ Abb. 1.69 wiedergegebenen Befunde. Der Fusionshoropter für querdisparate Bilder (PanumRaum) ist homogen grün gefärbt. Linien mit schwarzen Punkten umgrenzen ein auch von Hering [71] beschriebenes weiteres Areal, in dem zwar schon doppelt gesehen wird, aber dennoch eine exakte Tiefenlokalisation möglich ist (quantitative Stereopsis nach Ogle [130]). Daran anschließend findet sich ein Areal noch größerer Disparitäten, in dem das Doppelbildpaar noch als „näher“ oder „ferner“ empfunden wird, aber nicht mehr exakt lokalisiert werden kann (qualitative Stereopsis nach Ogle).
1
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tergrund fixiert, die nach unten gerichtete Nadelspitze in der rechten Hand hält man dicht vor das Papier. Diese Nadel erscheint jetzt in homonymer oder ungekreuzter Diplopie (das rechte Doppelbild wird vom rechten, das linke vom linken Auge wahrgenommen). Nähert man nun unter konzentrierter Fixation der unteren Nadelspitze die obere Nadel der Fixationsebene, also dem Längshoropter, nimmt man eine horizontale Annäherung der Doppelbilder wahr. Der Tiefenunterschied zwischen Fixierebene und der Ebene der Doppelbilder, zu Beginn nur angedeutet erkennbar, wird immer merklicher und gleichzeitig im Ausmaß geringer, bis bei ca. 2 mm Tiefenabstand kein Doppelbild mehr wahrgenommen wird, obwohl die Horopterebene noch nicht erreicht ist und die obere Nadel querdisparate (nach Tschermak „nasal disparate“) Netzhautorte stimuliert. Man kann nun die Nadeln so halten, dass beide in der Medianebene zu liegen scheinen, die obere eindeutig ein wenig hinter der unteren. Unter Beibehaltung der Fixation der unteren Nadelspitze erkennt man aber bei abwechselndem Zukneifen eines Auges immer noch eine parallaktische Verschiebung der Nadeln gegeneinander in derselben Weise wie zu Beginn des Versuchs, als noch physiologische Diplopie bestand. Bei weiterer Annäherung der oberen Nadel gelangt diese in die Horopterebene, und beide Nadelspitzen werden in derselben Distanz vom Betrachter in einer frontoparallelen Ebene empfunden. Noch weitere Annäherung der oberen Nadel führt zunächst zu gekreuzter oder temporaler Disparität mit dem eindeutigen Eindruck „davor“ und dann zur gekreuzten oder heteronymen Diplopie, wobei die Eindeutigkeit der Tiefendistanz abnimmt.
Panums Areale binokularen Einfachsehens Der dänische Physiologe P. L. Panum [141] konnte durch Experimente mit einem Stereoskop beweisen, dass binokulares Einfachsehen (sensorische Fusion) auch mit einer begrenzten Längs- und/oder Querdisparation der Netzhautbilder möglich ist. Mit einem Projektionshaploskop (Kap. 3) kann man sich dieses Phänomen klar vor Augen führen, muss dabei jedoch Augenbewegungen vermeiden und der rasch einsetzenden Lokaladaptation der peripheren Netzhaut durch intermittierende Bilddarbietung vorbeugen (▶ Abb. 1.70). Die Fusion allein querdisparater Netzhautstellen wird bei der Ermittlung des Fusionshoropters dokumentiert und ist im Rahmen der querdisparativen Stereopsis gut bekannt. Beim normalen Sehvorgang kommt es aber
79
Normales Binokularsehen
–16°
–12°
–8°
–4°
0°
4°
8°
12°
16°
Maßstab für die Querdisparation:
Abb. 1.69 Empirischer Längshoropter (dicke Linie) sowie Bereichsgrenzen für sensorische Fusion querdisparater Bilder (horizontale Ausdehnung der Panum-Areale = Panum-Raum, helle Kreise), für quantitative Stereopsis (Punkte) und für qualitative Stereopsis (äußere helle Kreise). Die Krümmung des Längshoropters ist maßstabsgetreu, die Tiefenausdehnung der 3 Bereiche aus Platzgründen im Bogenmaß verkürzt dargestellt. Die Werte entsprechen in der Größenordnung den Angaben von Ogle [134] für eine Fixationsdistanz von 40–50 cm.
ständig auch zu vertikal- oder längsdisparaten Abbildungen, die uns gar nicht bewusst sind, da sie keinen „Nebeneffekt“ wie die Querdisparation hervorrufen. Die Höhendisparation ergibt sich schon geometrisch aus der unterschiedlichen Distanz aller Sehdinge zum rechten und linken Auge, wenn sie im seitlichen Gesichtsfeld über oder unter dem Punkthoropter liegen (siehe geometrisch-mathematischer Horopter, Kap. Geometrischmathematischer Horopter). So bildet sich z. B. jeder Punkt im rechten oberen Gesichtsfeld auf der nähergelegenen rechten Netzhaut tiefer ab als auf der weiter entfernten linken. Bei starker Näherungsdisklination, vor allem aber bei paretisch bedingtem Rollungsschielen, treten im seitlichen Gesichtsfeld erhebliche Höhendisparationen auf, wie natürlich auch Querdisparationen im oberen und unteren Gesichtsfeld. Eine weitere Situation, in der die sensorische Fusion besonders beansprucht und möglicherweise überfordert wird, ist die Aniseikonie, bei der meridional gegenüberliegende Netzhautorte gegensinnige und damit sich addierende Disparitäten überwinden müssen.
80
Die Durchmesser der Panum-Areale stellen keine fixen Größen dar, sondern hängen von den Abbildungsbedingungen ab, unter denen sie geprüft werden. Die Durchmesser nehmen mit der Exzentrizität des Netzhautorts zu, wie die nach außen divergierenden Grenzen des Fusionshoropters für die Querdisparation (Panum-Raum) zeigen. Gleiches gilt für die vertikale Ausdehnung des Panum-Areals. Weitere Parameter, die zur Vergrößerung der Panum-Areale führen – vor allem in der Horizontalen – sind: Reizvergrößerung oder Verminderung der Reizkomplexität [184] und langsame Zunahme der Disparation (Hysterese-Effekt, [50], [167]). Unter strengen Kriterien (kurz dargebotene feine Linienreize, reine Diplopieschwellenbestimmung) beträgt der horizontale Durchmesser der Panum-Areale im Zentrum etwa 10 Bogenminuten und bei 20° Exzentrizität 1–2°. Die vertikalen Durchmesser sind stets etwas kleiner und begrenzen somit die sensorische Zyklofusion [36], [52]. Hiervon kann man sich leicht mit 2 als Halbbilder dienenden, gegen sich verrollten Kreuzen an einem Haploskop überzeugen: die Enden der horizontalen Linien werden bei zunehmender Verrollung zuerst doppelt gesehen.
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≙ 20’
1.4 Sensorik
1
PA-h
LA
PL
PA-v
RA
Abb. 1.70 Panum-Areal des rechten Auges für eine temporale Netzhautstelle am linken Auge. Vom rechten Auge (RA) und linken Auge (LA) sind nur die Netzhäute (von hinten und oben gesehen) mit ihren Längs- und Quermittelschnitten dargestellt. Die Gesichtslinien beider Augen sind auf einen binokular dargebotenen Fixierpunkt (FP) im Zentrum der Projektionsfläche gerichtet. Im rechten Gesichtsfeld des LA wird ein 2. Punkt (PL) als Fusionshalbbild dargeboten. Das Fusionshalbbild des rechten Auges entspricht dem Punkt PL und wird schrittweise so weit von PL entfernt auf die Fläche projiziert, bis beide Halbbilder gerade noch einfach gesehen werden. Die Grenzen bilden das horizontal elliptische Panum-Areal in der Fixationsebene mit einem horizontalen (PA-h) und vertikalen (PA-v) Durchmesser für den jeweils gewählten Ort für PL im binokularen Gesichtsfeld. Die auf die nasale Netzhaut des rechten Auges eingezeichnete Scheibe stellt die retinale Abbildung des ermittelten Areals dar und wird ebenfalls PanumAreal (ursprünglich „Empfindungskreis“ nach Panum) genannt.
Abb. 1.71 Fusionsbildpaar mit längsdisparaten Querlinien zur Demonstration der Sehrichtungsangleichung. Die Referenzebene ist durch die fusionierten Rechtecke mit zentraler vertikaler Linie bestimmt. Die vertikal-exzentrischen Querlinien mit zentralem Punkt bilden sich dann längsdisparat ab. Sie werden bei ausreichendem Fixationsabstand (ca. 50 cm) sensorisch fusioniert und scheinen dann im Zentrum des Rechtecks zu liegen.
genminuten führen [65], [172]. Bei frei bewegtem Kopf und normalen Augenbewegungen treten wahrscheinlich Vergenzfehler von bis zu 2,5° in absoluter Exo- oder Esodisparität auf, ohne dass die Erkennbarkeit von RandomDot-Stereogrammen verlorengeht [34]. Diese objektiv erhobenen Befunde zeigen die Notwendigkeit der Existenz der Panum-Areale beim normalen Sehen. Außerdem müssen bei der Beurteilung der Größe von Panum-Arealen die spontanen Vergenzfehler zu den subjektiven Messungen der Panum-Areale addiert werden, solange die Bilder nicht auf der Netzhaut stabilisiert wurden. Die spontanen Vergenzschwankungen führen im Übrigen nicht zu entsprechenden Schwankungen der egozentrischen Abstandslokalisation, da eine Referenzkontur mit konstanter Disparität fehlt [47]. Ein weiteres Phänomen der sensorischen Fusion mit disparaten Netzhautstellen ist die relative Lokalisation des disparat abgebildeten Sehdings. Schon bei dem orientierenden Experiment mit 2 Nadeln (siehe Nadelexperiment (S. 78)) konnte man sich überzeugen, dass die fusionierte, hinter der fixierten Nadel gehaltene obere Nadel monokular breitendistant zur unteren Nadelspitze gesehen wird, binokular aber kein seitlicher Abstand mehr besteht.
Merke Wenn statt Linienreizen Random-Dot-Stereogramme benutzt werden (Stereofusion), können wesentlich größere, bis zu 2° messende Panum-Areale ermittelt werden [50], [142]. Nach Crone [37] können die Durchmesser sogar mehr als 4° betragen. Es erscheint aber nicht endgültig geklärt, ob nicht durch die Einführung eines Stereotestbilds nur die Schwellen der quantitativen Stereopsis geprüft worden sind [23]. Bei all diesen Messungen im Bereich von Bogenminuten muss bedacht werden, dass die Mikrosakkaden und die langsamen Mikrobewegungen während der Fixation (Kap. 1.2) binokular keineswegs exakt konjungiert sind und bei ruhiger Fixation zu ständig variierenden vertikalen und horizontalen Vergenzfehlern von mehreren Bo-
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FP
H ●
Disparate Netzhautstellen ändern ihre ursprüngliche (monokulare) Sehrichtung im Moment der Fusion, und zwar erscheint das fusionierte Bild zwischen den beiden monokularen Sehrichtungen [71], [169], [179].
Diese Sehrichtungsangleichung hat Tschermak-Seysenegg [181] Allelotropie (Aufeinanderbezogenheit oder Zusammengehörigkeit) genannt und beschrieben, dass auch stereoskopisch lokalisierbare physiologische Doppelbilder eine gleichsinnige, wenn auch nur unvollständige Angleichung der Sehrichtungen beobachten lassen. Diese Richtungsangleichung während der sensorischen Fusion gilt auch für höhendisparate Netzhautstellen (▶ Abb. 1.71).
81
Normales Binokularsehen
distale Stereopsis F2
d
proximale Stereopsis
p
p
F1
F1 ∂ 2
F2 e
β
α
α
KR
KL
b
KR
Abb. 1.72 Geometrie der Stereopsis in der Medianebene bei symmetrischer Konvergenz. F1: Fixierpunkt F2: disparat abgebildeter Objektpunkt KR und KL: Knotenpunkte b: Knotenpunktabstand KRKL (entspricht bei größeren Fixationsabständen der lnterpupillardistanz) e: Abstand zwischen Fixierpunkt und Mitte des Knotenpunktabstands δ: relative binokulare (stereoskopische) Parallaxe im Gradmaß d: geometrisches Tiefenintervall F1 F2 p: Strecke der stereoskopischen Parallaxe in der Fixationsebene Zur Berechnung der häufig zu ermittelnden Größen d und p ergeben sich folgende Formeln: a) Für die distale Stereopsis: aa) ½ δ = α – β, wobei man α aus tg α = (e + d) : ½ b und β aus tg β = e: ½ b errechnen kann. In einer zusammengefassten Formel ergibt sich auch: tg ½ δ = (2b × d) : (b2 + 4e2 + 4d × e) bb) d = ½ b × tg (β + ½ δ) – e, wobei tg (β + ½ δ) = (e + d) : ½ b nach d aufgelöst wurde und β sich aus der Formel unter aa) errechnen lässt. Auf diese Weise kann man berechnen, wie weit ein Objekt mindestens hinter dem Fixierpunkt liegen muss, um bei bekannter Tiefensehschärfe und Pupillendistanz lokalisiert werden zu können. cc) p = (b × d) : (e + d) nach dem Strahlensatz. Wenn statt d nur δ bekannt ist (z. B. zur Herstellung von Stereohalbbildern), kann d nach der Formel unter bb) eingesetzt werden. b) Für die proximale Stereopsis gilt entsprechend: aa) ½ δ = α – β oder tg ½ δ = (2b × d) : (b2 + 4e2 – 4d × e) bb) d = e – ½ b × tg (α – ½ δ) cc) p = (b × d) : (e – d)
Die Verminderung der Sehschärfe eines Auges, z. B. durch Vorhalten eines falschen Brillenglases oder eines Graufilters, verschiebt die binokulare Sehrichtung aus der Mittelstellung in die Richtung der monokularen Sehrichtung des nicht beeinträchtigten Partnerauges. Bei Querdisparation geht dabei der Tiefeneindruck nicht vollständig verloren. Gleiches gilt natürlich auch für einseitige pathologische Veränderungen der optischen Medien oder der sensorischen Afferenz sowie für die Dominanz eines Auges bei normalem oder pathologischem (Mikrostrabismus) Binokularsehen. Mit dem Titmus-Test (speziell Ring 1) kann man sich die geschilderte Verschiebung der relativen Sehrichtung selbst vor Augen führen und sie als klinischen Test einsetzen.
82
Fixationsdisparität Die Existenz der Panum-Areale erlaubt unserem Vergenzsystem kleine Fehleinstellungen, so dass die Kreuzung der Gesichtslinien nicht exakt im Fixierpunkt liegen muss, sondern davor oder dahinter erfolgen kann (fixation disparity nach Ogle [136]). Mit geeigneten Apparaten lässt sich die Größe dieses „Fehlers“ subjektiv messen [82]. Das Prinzip der Messung der Fixationsdisparität (Kap. 2.2.6) besteht darin, beiden Augen gleichzeitig ein Fusionsbild und – haploskopisch getrennt – eine monokulare Prüfmarke (z. B. je eine nach dem Noniusprinzip angeordnete feine Linie) anzubieten. Meist wird die horizontale Vergenzabweichung der Gesichtslinien vom theoretischen Soll, ihrer Kreuzung in der Ebene des Fusionsbilds, untersucht. Wird das theoretische Soll erfüllt, liegen die subjektiv übereinanderstehenden Linien auch ob-
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b
e
∂ 2
β
KL
d
1.4 Sensorik
Stereopsis Unter Stereopsis versteht man die relative Tiefenwahrnehmung aufgrund querdisparater Netzhautbilder. Es werden also mindestens 2 Objekte in ihrem relativen Abstand vor den Augen lokalisiert.
Merke
H ●
Stereopsis gibt Auskunft über den relativen Abstand zweier oder mehrerer Objekte und nicht über den Tiefenabstand eines Objekts vom Beobachter (egozentrische Abstandslokalisation), und sie darf auch nicht mit den zahlreichen Kriterien der nichtdisparativen Entfernungswahrnehmung (Tiefenauslegung nach Tschermak) verwechselt werden.
● ●
Schatten- und Glanzverteilung auf den Objekten sog. Luftperspektive für die Ferne
1
Will man Stereopsis prüfen, müssen solche sekundären Faktoren gezielt ausgeschlossen werden (siehe Kap. 3.3). Im Folgenden sollen einzelne grundsätzliche Aspekte der Stereopsis dargestellt werden.
Geometrie des querdisparativen Tiefensehens Mit der Erfindung seines Stereoskops hat Charles Wheatstone 1838 als Erster in der Querdisparation den Schlüssel für die Stereopsis erkannt. Der geometrische Wert der Querdisparation (Winkel δ) lässt sich aus dem Knotenpunktabstand zwischen beiden Augen (in der Regel reicht für praktische Zwecke die Interpupillardistanz) und den objektiven Abständen der zu lokalisierenden Objekte vom Auge berechnen (▶ Abb. 1.72). Unter natürlichen Sehbedingungen werden mindestens 2 reale Objekte (F1 und F2) in ihrem relativen Tiefenwert aus der Sicht des Beobachters miteinander verglichen (z. B. 3-StäbchenApparat nach Helmholtz oder Frisby-Test [67], [104]. Ein gleichartiger Stereoeffekt kann auf einer Ebene erzeugt werden, wenn die monokularen Bilder des Stereoobjekts (F) in ihrer Breitendistanz zum Fixationspunkt (F1) für beide Augen getrennt in der Fixationsebene dargeboten werden (haploskopisch erzeugte Stereopsis oder Stereoskopie, z. B. beim Titmus-Test). Bei der haploskopischen oder (aus dem Englischen übertragen) dichoptischen Bilddarbietung wird der beidäugige visuelle Reiz durch unterschiedliche Trennverfahren (siehe Kap. 3.3) aus 2 monokularen Bildern zusammengesetzt. Stereoskopie ist somit Haploskopie mit querdisparat dargebotenen Bildelementen. Freiäugiges Haploskopieren oder Stereoskopieren ist durch willkürliche Divergenz- oder Konvergenzstellung der Augen möglich, indem 2 nebeneinander liegende Halbbilder auf korrespondierende Netzhautareale fallen und dann sensorisch vereinigt werden. Die beiden unterschiedlichen Arten der Stereotests bedingen eine unterschiedliche Abhängigkeit des Augenabstands und der Fixationsdistanz vom Testergebnis: bei realen Stereotests wird die ermittelte Tiefenschärfe stark vom Augenabstand, bei haploskopischen Tests vor allem von der Fixationsdistanz beeinflusst. Das Stereointervall (d) haploskopischer Tests wird durch den Augenabstand bestimmt und entspricht der subjektiv empfundenen Tiefe [109]. Die Tiefensehschärfe ist aus dem subjektiven Tiefeneindruck jedoch nicht ablesbar.
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jektiv übereinander. Kreuzen sich die Gesichtslinien erst hinter der Testebene – besteht also ein Konvergenzdefizit –, spricht man nach Ogle von Exodisparität. Bei Esodisparität liegt die Gesichtslinienkreuzung vor der Testebene, die Noniuslinie des rechten Auges wird deshalb objektiv links von der des linken Auges eingestellt (▶ Abb. 2.7a, b und ▶ Abb. 2.8a–c). Messung und Bedeutung der Fixationsdisparität sind ausführlich in Kap. 2.2.6 dargestellt. Die für das Verständnis der binokularen Sensorik interessante Untersuchung der Fixationsdisparität benutzt die sensorisch fixierte Identität der monokularen Hauptsehrichtungen zur Bestimmung eines motorischen Wertes. Die Verlagerung der retinalen Raumwerte beim Stereosehen (Allelotropie) zeigt aber, dass diese Werte prinzipiell unter binokularem Einfluss einer Änderung unterliegen können. Außerdem setzt die frontoparalIele Darbietung des peripheren Fusionsmusters eine gleichartige Ausrichtung der Horopterebene voraus, da anderenfalls eine fusionale Vergenz eine obligate Fixationsdisparität vortäuschen würde. Das Messergebnis hängt außerdem davon ab, wie die Fusionskonturen gewählt sind und ob ein zentrales oder nur ein peripheres Fusionsbild dargeboten wird [74]. Ein Vergleich der subjektiven Einstellung mit der objektiven Augenstellung ergab bei einer Untersuchung von Hebbard [65] eine gute Entsprechung. Simonsz et al. [170], vor allem aber Kertesz und Lee [103] fanden dagegen doch Diskrepanzen von teilweise mehreren Bogenminuten. Die Interpretation der Fixationsdisparität erscheint daher vor allem bei kleineren Abweichungen problematisch. Bei gesicherter oder möglicher Anomalie der Korrespondenz sind die Befunde nicht mehr eindeutig verwertbar (bezüglich der klinischen Aspekte siehe Kap. 2.2.6).
Grenzen des querdisparativen Tiefensehens Zu den sekundären Faktoren (oder „Schlüsseln“) der nichtdisparativen Entfernungswahrnehmung gehören vor allem die folgenden Parameter [81], [179]: ● retinale Bildgröße (lineare Perspektive) ● partielle Objektüberlappung (Linienüberschneidung) ● Bewegungsparallaxe (scheinbare Positionsänderung des Objekts bei Bewegung des Beobachters)
Die Tiefensehschärfe oder Stereosehschärfe, also die geringste Querdisparation, die bei optimalen Abbildungsbedingungen noch stereoskopisch aufgelöst wird, beträgt bei Personen mit normalem beidäugigen Sehen 5–10 Bogensekunden im zentralen Gesichtsfeld [112] und entspricht der Noniussehschärfe (S. 57) (vgl. Kap. Lokalisationssehschärfe).
83
Normales Binokularsehen
H ●
Merke
10
Distales Intervall
Proximales Intervall
0,3
0,06 mm
0,06 mm
1
0,7 mm
0,7 mm
5
17,4 mm
17,3 mm
10
69,7 mm
68,8 mm
30
0,64 m
0,61 m
50
1,79 m
1,67 m
100
7,4 m
6,5 m
1000
2253 m
409 m
1444
∞
722 m
malen Darbietungsbedingungen recht gut mit empirisch gewonnenen Werten überein [182]. 100
Merke 20
15
10 links
5
0
5
10 15 rechts
20
Exzentrizität (°)
Abb. 1.73 FTiefensehschärfe im peripheren binokularen Gesichtsfeld. Die Schwellen wurden durch die Einstellschwankungen (Mean Variation) bei der Bestimmung des Planhoropters ermittelt. Rote Punkte: Werte von H. M. Burian [27] für den Fixierpunktabstand von 40 cm; blaue und grüne Symbole: Werte von K. N. Ogle [135], Quadrate Fixierpunktabstand von 40 cm, Dreiecke: 76 cm.
Geometrisch lässt sich aus der zentralen Stereosehschärfe ermitteln, dass wir in einem Fixationsabstand von 30 cm Tiefenunterschiede von bis zu 0,06 mm noch erkennen können. Beim Blick in die Ferne muss das stereoskopische Intervall aber etwa im Quadrat der Fixationsdistanz zunehmen, damit es noch über die Querdisparation aufgelöst werden kann. Für die distale Stereopsis lässt sich bei gegebener Stereosehschärfe und einem bestimmten Augenabstand die Fixationsdistanz errechnen, von der ab auch unendlich entfernte Objekte stereoskopisch nicht mehr in anderer Tiefe als der Fixierpunkt wahrgenommen werden. Diese Distanz wird stereoskopische Grenze (e) genannt. Für sie gilt: e ¼ b : ð2 tg δ=2Þ: Für einen Augenabstand b von 70 mm und eine Stereosehschärfe δ von 10 Bogensekunden beträgt sie z. B. 1444 m. ▶ Tab. 1.6 gibt die Verhältnisse für einzelne Distanzen wieder. Die errechneten Werte stimmen bei opti-
84
Fixationsdistanz in m
H ●
Mit zunehmender Fixationsdistanz bekommen nichtdisparative Faktoren bei der relativen Entfernungsbeurteilung immer mehr Gewicht. Bei Abständen von 30 m oder mehr werden sie fast ausschließlich eingesetzt [162] (▶ Tab. 1.6).
Quantitative und qualitative Stereopsis Die oben genannten niedrigen stereoskopischen Schwellenwerte können neben den aufgeführten Darbietungsbedingungen nur erreicht werden, wenn sich die Halbbilder des Testobjekts weitgehend ähneln und fusioniert werden. Für diese quantitative Stereopsis [130] wird auch der Begriff „Fine Stereopsis“ [17] verwandt und gegen die „Coarse Stereopsis“ (grobe Stereopsis, entspricht qualitativer Stereopsis) abgegrenzt. Wie schon in ▶ Abb. 1.69 dargestellt, ist grobe Stereopsis nicht an beidäugiges Einfachsehen gebunden, was schon früh bekannt [66], [71], [81], aber lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Die Halbbilder können sogar völlig verschieden in Form, Leuchtdichte und Kontrast sein, ohne dass der Eindruck der relativen Tiefe verlorengeht [125]. Grobes quantitatives Stereosehen („davor“ oder „dahinter“, ohne genauere Abstandsempfindung) ist außerdem über einen sehr großen Bereich von Disparitäten außerhalb des Panum-Raums möglich. Nach Blakemore [22] werden im zentralen Gesichtsfeld noch Disparitäten von ca. 8° über die Querdisparation verlässlich in der Tiefe lokalisiert, in der Peripherie fand er Grenzwerte bis zu 14°. Die stereoskopische Auflösung noch größerer Disparitäten fanden Mehdorn (40°! [120]) sowie Dengler und Kommerell (bis
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Tiefensehschärfe (Bogensekunden)
In der Peripherie des binokularen Gesichtsfelds nimmt die Tiefensehschärfe, ähnlich wie die Sehschärfe, mit der Exzentrizität ab (▶ Abb. 1.73). Eine einfache Korrelation zwischen Sehschärfe und Stereopsis besteht jedoch nicht, denn auch bei Visusherabsetzungen auf 0,3 oder 0,1 durch Sichtokklusive oder selbst durch eine Schielamblyopie bei Mikrotropie findet sich bei vielen Personen eine nur geringfügig reduzierte Stereosehschärfe [161].
Tab. 1.6 Abhängigkeit des minimalen geometrischen Tiefenintervalls von der Fixationsdistanz für distale und proximale Stereopsis bei einer Stereosehschärfe von 10 Bogensekunden und einem Knotenpunktabstand von 70 mm.
1.4 Sensorik
Lokale und globale Stereopsis, „Korrespondenzproblem“ Im täglichen Leben wird unsere Stereopsis nur selten für einzelne Linien oder Punkte auf homogener Ebene, sondern viel häufiger für verschiedene, in der Tiefe gestaffelte Oberflächen beansprucht, so dass die Stereopsis auch zur dreidimensionalen Formerkennung beiträgt. Zum Studium der allein durch die Stereopsis vermittelten Form- und Raumerkennung hat Ames einen quadratischen Kasten von 2 m Kantenlänge benutzt, der auf einer Seite für den Beobachter offen war [90]. Die inneren Wände waren dicht mit Eichenblättern (Ittelson WH. The Ames demonstrations in perdeption. New York: Hafner Publishing; 1968) besetzt und gleichmäßig hell beleuchtet. Bei monokularer Betrachtung ohne Kopfbewegung erscheint das Innere des Blätterraums als eine Fläche von unbestimmter Konkavität, da sekundäre Faktoren der Tiefenwahrnehmung weitgehend ausgeschaltet sind. Erst unter binokularen Bedingungen erkennt man die kubische Form [135]. Eine weitere globale Stereowahrnehmung liegt den Tapetenbildern von Meyer [121] zugrunde (im englischen Sprachraum Wallpaper-Phenomenon nach Brewster [25]). Das Phänomen tritt auf, wenn man ein Muster mit gleichförmig sich wiederholenden Details (z. B. eine gemusterte Tapete, ein Streifen- oder Punktmuster) in unterschiedlicher Vergenzstellung betrachtet. Hierdurch kommen gleichartige, aber nicht identische Musterelemente zur Fusion und die betrachtete Fläche wird in einer anderen Ebene wahrgenommen, solange Referenzpunkte im Raum einen Tiefenvergleich ermöglichen. Die Gesamtheit der fusionierten Details vermittelt den Eindruck einer soliden Fläche. Im praktischen Leben spielt diese Fähigkeit der stereoskopischen Oberflächenbeurteilung in vielen handwerklichen Berufen eine Rolle. So können bei diffusem Licht geringfügige Dellen eines Karosserieblechs monokular unerkannt bleiben, während sie binokular sofort wahrgenommen werden. Dabei ist man sich der einzelnen stereoskopischen Elemente überhaupt nicht bewusst. Bela Julesz [94] hat diese Form der stereoskopischen Wahrnehmung globale Stereopsis genannt und sie der lokalen Stereopsis gegenübergestellt, bei der die Disparität lokalisiert an einer Stelle des Gesichtsfelds verarbeitet wird – wie bei den meisten herkömmlichen Stereobildern mit einzelnen Flächen oder Strichen. In seiner reinsten Form lässt sich die globale Stereopsis mit sog. Random-Dot-Stereogrammen nachweisen, die erstmals von Julesz [93] mit einem Computer entwickelt wurden. Die beiden Halbbilder zeigen ein Muster zufällig verteilter und gleichartiger Punkte. Eine zusammenhän-
gende Teilmenge dieser Punkte ist in einem der Halbbilder horizontal verschoben. Diese Verschiebung ist wegen der zufälligen Verteilung der Punkte bei Betrachtung der einzelnen Halbbilder nicht erkennbar. Wird das Bildpaar aber fusioniert, so bildet sich der verschobene Anteil des Musters querdisparat ab und wird, je nach Richtung der Verschiebung, über den Prozess der globalen Stereopsis als zusammenhängende Fläche oder Figur vor oder hinter dem Referenzanteil des Bildes wahrgenommen. Die globale Stereopsis integriert somit die zahlreichen lokalen Stereoprozesse bei der sensorischen Fusion der einzelnen zusammengehörigen Punktpaare zu einem Gesamtbild in räumlich gestaffelter Tiefe. Dabei bewirken die disparaten und die nichtdisparaten Anteile eines Random-Dot-Stereogramms eine Erregung verschiedener Tiefendetektoren, deren regionale Abgrenzung die Formerkennung der querdisparat abgebildeten Musteranteile ermöglicht.
Merke
1
H ●
Da die Formerkennung in Random-Dot-Stereogrammen nicht durch vorgegebene Konturen erfolgt, sondern erst nach der stereoskopischen Reizverarbeitung möglich ist, stellt die globale Stereopsis eine der 5 Funktionen dar, mit deren Hilfe wir eine Figur vor ihrem Hintergrund unterscheiden können [156]: die Unterscheidungsvermögen für ● Leuchtdichten, ● Farben, ● Texturen, ● binokulare Disparitäten und für ● Geschwindigkeiten.
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zu 21°, [39]) bei kurzer Darbietung großer Testbilder. Die Reize waren dabei symmetrisch um das Gesichtsfeldzentrum verteilt. Die Stereoempfindung solch großer Disparitäten kann nur bei kurzer Darbietungszeit hervorgerufen werden.
Untersuchungen mit Random-Dot-Stereogrammen und Versuche, ein unserem visuellen System entsprechendes Computermodell zu entwickeln, haben die Komplexität des Binokularsehens und der Stereopsis deutlich vor Augen geführt. Eines der viel untersuchten Probleme ist das sog. Korrespondenzproblem, das bei der globalen Stereopsis bewältigt werden muss. ▶ Abb. 1.74a, b zeigt, dass in einem Random-Dot-Stereogramm mit gleichen Einzelelementen mehr als eine binokulare Kombinationsmöglichkeit (und damit mehr als eine mögliche Tiefenlokalisation) besteht [191]. Dennoch nehmen wir eine Ebene und nicht eine unregelmäßige Oberfläche stereoskopisch wahr. Die globale Stereopsis beinhaltet also einen Mechanismus, der die verschiedenen Paarungsmöglichkeiten der lokalen Stereopsis ermittelt und diejenigen heraussucht, deren Gesamtheit ein einheitliches Formelement bildet. Alle anderen Elementkombinationen müssen gleichzeitig gehemmt werden. Unter natürlichen Bedingungen unterscheiden sich die Einzelelemente. Fehlpaarungen sind deshalb kaum möglich, so dass sich die Frage erhebt, warum unser Kortex einen so komplizierten Mechanismus überhaupt entwickelt hat.
85
Normales Binokularsehen
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
RA
LA a
6‘ 7‘ 8‘ 9‘ 10‘ 11‘ 12‘ 13‘ 14‘ 15‘ 16‘ 17‘ 18‘ 19‘ 20‘ 21‘ 22‘ 23‘ 24‘ 25‘ 27 28 29 30 31 32
b
Positionsdisparität, Orientierungsdisparität und dynamische Disparität (Motion in Depth) Einzelzellableitungen in der Sehrinde von Affen und psychophysische Adaptationsexperimente beim Menschen haben gezeigt, dass unsere Sehrinde die verschiedenartigen visuellen Reize an anatomisch unterschiedlichen Stellen verarbeitet. Die Kenntnis einer derartigen Spezialisierung hat auch bei der Psychophysik der Stereopsis zu einer weiteren Unterteilung nach der Darbietungsart der Disparität geführt. Schon beschriebene Formen der Stereopsis sind die lokale und die globale, die qualitative und die quantitative Stereopsis. Die Positionsdisparität vermittelt statische relative Tiefenunterschiede zwischen 2 oder mehreren Objekten, wie sie bei allen üblichen Stereotesten vorkommen. Ein Spezialfall ist die Orientierungsdisparität, die beim Betrachten vertikaler Konturen mit unterschiedlichem Abstand des oberen und unteren Endes vom Beobachter auftritt. Am Haploskop wird die subjektive Schrägstellung in der Tiefe durch eine spiegelsymmetrische Verkippung vertikaler Halbbilder erreicht, da sich hierdurch die oberen und unteren Konturenenden in gegensinniger Querdisparität abbilden. Die scheinbare Verkippung ist besonders deutlich, wenn umgebende Konturen keine Orientierungsdisparität besitzen. Bei Zyklophorien, die motorisch nicht vollständig kompensiert werden, besteht keine relative, sondern nur noch eine absolute Disparität oder ein Vergenzfehler. Alle Konturen des Gesichtsfelds kommen mit den gleichen Winkeln disparat auf der Netzhaut zur Abbildung. Da eine Referenzkontur fehlt, führt Adaptation rasch zum Verschwinden der subjektiven Verkippung in der Tiefe.
86
Die relative Anordnung von Objekten in der Tiefe ist nicht nur statisch, sondern auch dynamisch von hoher biologischer Wichtigkeit. Die Wahrnehmung einer Bewegung in der Tiefe kann durch 2 verschiedenartige dynamische Reize ausgelöst werden: durch Größenänderung des Netzhautbilds und durch Änderung der Querdisparation [157], [183]. Psychophysische und neurophysiologische Befunde sprechen dafür, dass querdisparative Positions- und Bewegungsstereopsis sowie die durch Größenänderung hervorgerufene Wahrnehmung einer Bewegung in der Tiefe von verschiedenen Zentren der Sehrinde vermittelt werden. Es gibt Skotome im Gesichtsfeld für Bewegungsstereopsis, während die Positionsstereopsis dort noch erhalten ist [85], [160], und auch die umgekehrte Funktionsstörung wurde beobachtet [163]. Lange Stimulation der Bewegungsstereopsis senkt die Empfindlichkeit für diese Funktion (Adaptation), ohne die Schwelle für die Positionsstereopsis zu erhöhen [15]. Einen entsprechenden Adaptationseffekt fanden Regan und Beverly [155] bei den beiden Schlüsselzeichen für Tiefenbewegung (Adaptation an einen sich in der Größe ändernden Reiz senkt nicht die Empfindlichkeit für oszillierende Querdisparationen).
Pulfrich-Phänomen Eine besondere, zufällig beobachtete Form der Bewegungsstereopsis ist von dem funktionell einäugigen Physiker Carl Pulfrich [152] beschrieben und erklärt worden (Pulfrich-Phänomen). Man beobachtet ein Objekt, das in frontoparalleler Ebene hin- und herschwingt, z. B. ein Pendel mit einer weißen Kugel vor dunklem Hintergrund. Der Pendelreiz auf der Netzhaut eines Auges ist durch einen Graufilter in sei-
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Abb. 1.74 Darstellung der Vieldeutigkeit eines Random-Dot-Stereogramms. a Ein zusammengehöriges Zeilenpaar der beiden Halbbilder ist untereinander angeordnet. Die Punktpaare 1–4 sowie 28–32 bilden sich ohne Disparität ab (vertikale Pfeile). Die Punkte 6–25 des rechten Auges (RA) haben am linken Auge (LA) eine querdisparate, nach rechts verschobene Entsprechung (Pfeile nach rechts unten). Neben den genutzten Elementkombinationen, die zur Wahrnehmung einer glatten Fläche beitragen, bestehen wegen der Gleichheit der Einzelelemente noch zahlreiche andere Kombinationsmöglichkeiten, von denen 2 durch gestrichelte Pfeile angedeutet sind. Wäre die Kombination der Elemente innerhalb der Panum-Areale zufällig, resultierte der Eindruck eines in der Tiefe völlig irregulären Musters. Durch die globale Stereopsis erscheint aber der querdisparate Teil des fusionierten Zeilenpaars in einer Ebene angehoben. b Querschnitt der stereoskopischen Wahrnehmung.
1.4 Sensorik ner Intensität herabgesetzt. Er erreicht aufgrund retinaler Mechanismen [12] die Sehrinde später als der intensivere Pendelreiz des Partnerauges. Simultan in der Sehrinde eintreffende Pendelreize vom rechten und linken Auge stammen deshalb von querdisparaten Netzhautorten, so dass kortikale Stereodetektoren erregt werden [31]. Wird der Reiz des linken Auges langsamer fortgeleitet und schwingt das Pendel von links nach rechts, ergibt sich für den Kortex ein binokularer Stimulus, der einer Abbildung mit ungekreuzter Disparität entspricht. Der fusionierte Reiz, also die weiße Kugel, scheint hinter der Fixationsebene zu schwingen. An den Umkehrpunkten besteht keine Querdisparation. Das Rückschwingen des Pendels kehrt die Richtung der Disparität und damit auch die Tiefenempfindung um. In ▶ Abb. 1.75 ist die durch die Leitungsverzögerung verursachte scheinbare räumliche Disparität der Objekte für einen Pendelzyklus in 45°-Schritten schematisch wiedergegeben. Das Ausmaß der scheinbaren Querdisparation und damit der Tiefenempfindung hängt von der Geschwindigkeit der Kugelbewegung ab sowie von der Dichte des Graufilters. Nach Tychsen [183] verursacht eine einseitige Leuchtdichteminderung um 0,1 log Einheit eine Reizleitungsverzögerung von ca. 1,5 ms mit schon deutlich sichtbarem Stereoeffekt [182]. Da die einseitige Minderung der Reizintensität auch durch Farbfilter hervorgerufen werden kann, wurde der Pulfrich-Effekt als Methode zur lsoluminanzmessung vorgeschlagen [152].
45°
90°
Farbenstereopsis Die meisten Menschen empfinden ein leuchtend rotes Objekt näher als ein gleichweit entferntes blaues. Bei Abdecken eines Auges verschwindet der relative Tiefeneindruck weitgehend. Diese Farbenstereopsis kann mit der temporal exzentrischen Lage der Pupille zur Gesichtslinie erklärt werden. Die Optik des Auges wirkt wie ein Prisma mit nasaler Basis. Aufgrund der chromatischen Aberration wird daher das blaue Licht stärker gebrochen, also weiter nasal auf der Netzhaut abgebildet als das schwächer gebrochene
135°
180°
Pendelphasen objektiv
scheinbare Querdisparation
L/R 360°
L R
L
315°
R
L R
270°
L/R
225°
180°
Pendelphasen objektiv
scheinbare Querdisparation
L/R
R L
R
L
hinten
Pendelbahn subjektiv
subjektive Frontoparallele
1
Bei krankhafter Verzögerung der visuellen Afferenz eines Auges (z. B. bei oder nach einer Neuritis nervi optici) kann ein spontanes Pulfrich-Phänomen auftreten und dann als sehr feiner Indikator einer relativen afferenten Störung klinisch eingesetzt werden [58] [159], [177]. Die Befunde korrelieren gut mit Latenzdifferenzen der visuell evozierten Potenziale (VEP) zwischen beiden Augen [192]. Wie die Pupillenwechselbelichtung ist das spontane Pulfrich-Phänomen nur ein Indikator für einen Unterschied der visuellen Afferenz von rechtem und linkem Auge. Mit den VEP kann auch der Absolutwert der Latenz beider Seiten gemessen werden.
R L
L/R
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0°
H ●
Merke
Abb. 1.75 Schema zur Erklärung des Pulfrich-Phänomens bei Beobachtung eines Pendels mit einem Graufilter vor dem linken Auge (siehe Text). 8 Zeitpunkte eines links beginnenden Pendelzyklus sind in 45°-Schritten wiedergegeben. Oben: Kugelbewegung von links nach rechts. Mitte: Kugelbewegung von rechts nach links. Unten: Resultierende Wahrnehmung der Kugelbahn, von oben gesehen. Für die einzelnen Pendelphasen ist die scheinbare Querdisparation der Halbbilder in der subjektiven frontoparallelen Ebene dargestellt. Das Halbbild des linken Auges (⊘) hinkt während der Kugelbewegung scheinbar hinter dem Halbbild des rechten Auges (⊘) nach. An den Umkehrpunkten (0°, 360° und 180°) bewegt sich die Kugel nicht und es besteht keine Disparation der Halbbilder (⊗).
vorn
87
Normales Binokularsehen
1.4.5 Binokular ausgelöste Hemmungsvorgänge Beim normalen beidäugigen Sehvorgang bildet sich nur ein kleiner Teil der Objekte des binokularen Gesichtsraums so auf der Netzhaut des rechten und linken Auges ab, dass eine unmittelbare Bildverschmelzung ohne zusätzliche Informationsverarbeitung möglich erscheint. Solche Voraussetzungen bestehen nur im Punkthoropter. Binokulares Einfachsehen außerhalb des Horopters setzt verschiedene Hemmungsvorgänge voraus.
Sehrichtungsangleichung (Allelotropie) Bei Besprechung der Panum-Areale wurde ein Hemmungsvorgang schon erwähnt: Zugunsten eines gemeinsamen Raumwerts werden die Lokalzeichen beider Augen in ihrem Richtungswert gemittelt und die monokularen Richtungswerte gehemmt, sobald disparate Netzhautstellen stimuliert werden (Allelotropie). Die Suppression ist aber nur partiell, denn sie betrifft nur die bewusste Wahrnehmungsebene. Zur Unterscheidung zwischen gekreuzter und ungekreuzter Disparität geht das monokulare Lokalzeichen sehr wohl in die Verarbeitung mit ein (Eye Signature Mechanism).
Hemmung binokularer Doppelbilder Für weit außerhalb des Horopters liegende Objekte besteht die Möglichkeit einer solchen Angleichung der Sehrichtungen nicht mehr. Identische Objekte werden dann doppelt gesehen (physiologische Diplopie, siehe ▶ Abb. 1.67a, b, vgl. Kap. 2.5.1). Gleichzeitig können identische Netzhautorte (korrespondierende Netzhautstellen) von verschiedenen Objektbildern stimuliert werden, so dass verschiedene Sehdinge des Gesichtsraums an gleicher Stelle wahrgenommen werden und superponiert erscheinen müssten (Konfusion). Obwohl wir den Reizbedingungen für die physiologische Diplopie und für die Konfusion ständig ausgesetzt sind, werden uns diese bei-
88
den störenden Phänomene nur selten bewusst. Viele naive Beobachter bemerken das physiologische Doppelbild erst durch konzentrierte Aufmerksamkeitszuwendung und nach abwechselndem Verdecken eines Auges. Wir sind offenbar normalerweise in der Lage, ein störendes Doppelbild durch Nichtbeachtung aus unserem Bewusstsein weitgehend auszuschalten. Die unscharfe Abbildung aller Sehdinge außerhalb des Horopters im Vergleich zu dem scharfen, solide wirkenden fusionierten Bild ist dabei eine natürliche Hilfe. Die Hemmung des pathologischen Doppelbilds beim akuten Lähmungsschielen oder bei einer dekompensierten Heterophorie ist dagegen sehr viel schwieriger, denn die Abbildungsverhältnisse sind neu – wir haben die visuelle Orientierung mit einem solchen Doppelbildmuster nicht gelernt. Außerdem fehlt der überwiegende Eindruck des binokularen Bildes. Dennoch können viele Patienten eine weitgehende einäugige Bildhemmung nach einem erworbenen Strabismus erlernen. Diese Fähigkeit der Bildhemmung entspricht der Nichtbeachtung [129] des physiologischen Doppelbilds und ist im Gegensatz zur Suppression beim Begleitschielen durch gering dissoziierende Maßnahmen sofort zu durchbrechen.
Binokularer Wettstreit Zur Vermeidung der Konfusion bei der Abbildung unterschiedlicher Reize auf korrespondierenden Netzhautstellen tritt eine weitere physiologische Form der binokular ausgelösten und monokular wirksamen Bildhemmung auf. So lehrt die Erfahrung, dass auch beim akuten Lähmungsschielen nur ausnahmsweise unterschiedliche Objekte superponiert erscheinen. Das klassische Experiment hierzu stammt von Panum [141]: In einem Stereoskop wird eine Schar paralleler Linien dargeboten. Die mit dem rechten Auge sichtbaren Linien stehen senkrecht zu den Linien, die das linke Auge sieht (▶ Abb. 2.41a–c und (S. 173)). Ein derartiger Reiz ist nicht fusionierbar. Statt eines Musters sich kreuzender Linien sieht man innerhalb der Grenzen der Zeichnung ein Mosaik rechts- und linksäugiger Bildanteile, wobei die Zusammensetzung der regionären monokularen Dominanzareale ständig wechselt. Diese Form der interokularen Hemmung wird binokularer Wettstreit, Wettstreit der Sehfelder oder auch (irreführenderweise) retinaler Wettstreit genannt. Er tritt bei Beobachtern mit normalem Binokularsehen immer dann auf, wenn sich auf korrespondierenden Netzhautstellen über einen längeren Zeitraum unterschiedliche nicht fusionierbare Reize abbilden. Hierzu gehören neben Konturen unterschiedlicher Ausrichtung auch Farbdifferenzen (Farbenwettstreit z. B. für Rot und Grün), krasse Leuchtdichteunterschiede und unterschiedliche Musterbewegungen. Sind die Unterschiede zwischen den monokularen Reizen gering, erfolgt eine Mischung der monokularen Anteile. Geringe Verdrehung des Linienmusters führt zu
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rote Licht. Die Blaubildpunkte kommen dadurch relativ zu den Rotbildpunkten in ungekreuzter Querdisparation zur Abbildung, wodurch sie als weiter entfernt empfunden werden. Mit einer nach nasal verschobenen künstlichen Pupille lässt sich dieser Stereoeffekt vermindern oder sogar umkehren [43]. Farbenstereopsis kann aber auch durch den Lichtleitereflex der Netzhaut (Stiles-Crawford-Effekt erster Art) ausgelöst werden. Er führt dazu, dass blaue Flächen vor roten Objekten wahrgenommen werden. Da das Ausmaß des Stiles-Crawford-Effekts und der chromatischen Aberration durch geringe anatomische Varianten individuell differiert, ist die Farbenstereopsis bei verschiedenen Menschen in Ausmaß und Richtung unterschiedlich ausgeprägt [29].
1.4 Sensorik
Beim natürlichen Sehvorgang haben wettstreitauslösende Reize in der Regel eine deutliche Intensitätsdifferenz. Der charakteristische regionale Wechsel der monokularen Dominanz ist daher nur unter künstlichen Abbildungsverhältnissen gut zu beobachten. Dennoch hat sich die Forschung auf dem Gebiet des Binokularsehens in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder mit dem Wettstreitphänomen befasst (Übersichten in [52], [67], [111]). Ursache hierfür war u. a. die von Porta [149] und Du Tour [41] sowie einzelnen Forschern der heutigen Zeit vertretene Ansicht, dass unser beidäugiges Sehen durch ein ständiges Alternieren der monokularen Seheindrücke zustande kommt (Suppressionstheorie, Übersichten in [129], [139]. Die Theorie wurde durch zahlreiche Befunde bei Wettstreitexperimenten gestützt und gegenüber den Anhängern der Fusionstheorie des Binokularsehens vertreten (beginnend bei Kepler [102] und Newton [126]). In Abhängigkeit von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit zur Fusion zweier Halbbilder haben wahrscheinlich beide Theorien ihre Berechtigung (Compromise Theory [138]. Unter natürlichen Sehbedingungen heißt das: Wo sensorische Fusion nicht möglich ist, werden die „schlechten“ Anteile der beidäugigen Reize supprimiert und die „guten“, ins visuelle Gesamtkonzept passenden Teile erreichen das Bewusstsein [48] – eine auch teleologisch befriedigende Hypothese. Aus der schier unübersehbaren Flut von Wettstreitbeobachtungen seien im Folgenden noch einzelne wichtige Phänomene des binokularen Wettstreits erwähnt.
Latenz
1
Konturenwettstreit tritt erst nach einer Latenz von ca. 150 ms auf. Kürzere Reize werden superponiert (anomale Fusion nach Wolfe [194]). Nach Fox [52] passt diese relativ lange Latenz zur Hypothese, dass Wettstreit erst nach vergeblicher Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Fusion auftritt, einem Rechenvorgang, für den die binokulare Sensorik Zeit benötigt. Da Stereopsis schon für Reizzeiten von weniger als 6 ms nachweisbar ist [131] und quantitative Stereopsis Fusion nicht voraussetzt, können kurze, querdisparate Wettstreitreize eine relative Tiefenwahrnehmung hervorrufen [122].
Löschfeld Die Größe des Suppressionsareals, das von einer Netzhautstelle des hemmenden Auges ausgelöst wird, hat Kaufmann [100] durch den Abstand zweier paralleler Linien (Halbbild des hemmenden Auges) bestimmt, die eine senkrecht dazu verlaufende Linie (Halbbild des gehemmten Auges) in ihrer Mitte noch löschen können. Bei dieser statischen Musterdarbietung fand er im Gesichtsfeldzentrum ein Areal maximaler Suppression von 40 Bogenminuten Durchmesser; außerhalb dieses Bereichs nahm der Wettstreit deutlich ab und ließ sich 1° jenseits der Linienüberkreuzung nicht mehr nachweisen. Aulhorn [9] und Niethammer [127] untersuchten die interokulare Hemmung mit einer kampimetrischen Methode, bei der ein zuerst dargebotenes umschriebenes Halbbild (Erstreiz) durch ein nachfolgendes Halbbild des Partnerauges (Zweitreiz) supprimiert wird. Sie bezeichneten das schon von Remky [158] beobachtete Phänomen als Löschphänomen und interpretierten diese Form der Suppression als provozierten Wettstreit. Durch den Abstand des Zweitreizes vom Erstreiz lassen sich mit dieser Methode die räumlichen Grenzen der interokularen Hemmungsvorgänge auch im peripheren Gesichtsfeld bestimmen. Wie bei der Dauerdarbietung des Wettstreitmusters entsprach das Zentrum des Löschfelds mit der höchsten Suppressionsbereitschaft der mit dem Zweitreiz korrespondierenden Netzhautstelle. Die maximale, eine Löschung auslösende vertikale Disparität zwischen Erst- und Zweitreiz betrug neben dem Fixierpunkt 1° und nahm bis zu einer Exzentrizität von 8° auf etwa 3° zu. Das Löschphänomen geht damit weit über die Grenzen der klassischen Panum-Areale hinaus, entspricht aber in der Größenordnung den erweiterten Panum-Arealen bei Darbietung von Random-Dot-Stereogrammen (Kap. 1.4.4) und den Grenzen der qualitativen Stereopsis [134]. Besonders eindrucksvoll lassen sich der zeitliche und räumliche Aufbau sowie das anschließende Zusammenbrechen des Löschfelds beobachten, wenn als Erstreiz ein dichtes Raster gekreuzter Linien und als Zweitreiz ein umschriebener Lichtpunkt verwendet wird [75] (▶ Abb. 1.76).
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Orientierungsstereopsis mit Angleichung der monokularen Sehrichtungen. Ungesättigtes Gelb und ungesättigtes Rot werden als binokulare Mischfarbe (Orange) wahrgenommen, und ein Leuchtdichteunterschied zwischen beiden Augen unter einer halben logarithmischen Einheit (z. B. durch einen Graufilter von weniger als 70 % Absorption vor einem Auge) wird recht genau gemittelt [44], [112]. Die Abhängigkeit der binokularen Helligkeitsempfindung vom Ausmaß des Leuchtdichteunterschieds der monokularen Bilder beobachtete Fechner [49] bei dem nach ihm benannten Versuch (Fechners Paradox): Beim Blick auf eine helle weiße Fläche scheint sich diese zu verdunkeln, wenn man vor ein Auge einen Graufilter hält. Schließt man jetzt dieses Auge, verringert also die Summe des einfallenden Lichtes, kommt es wieder zur Erhellung der Fläche, fast wie beim binokularen Blick ohne Filter. Zu relativer oder absoluter Dominanz des betroffenen Auges führen (Übersicht in [51]): ● einseitig höherer Kontrast ● Bewegung gegenüber einem stationären Muster ● Konturenreichtum gegenüber Konturenarmut ● einseitig höhere Leuchtdichte (> 1 log E)
89
Normales Binokularsehen
LA
RA
Löschreiz
Fix.-P.
+
doppelt erscheint, und sie wird die Gesichtslinie des dominanten Auges verdecken. Mit dieser einfachen Methode wird die Richtungsdominanz ermittelt. Sie muss keineswegs mit der Dominanz für die binokulare Helligkeitsempfindung [44] oder für Farben und Konturen [35] identisch sein.
Abb. 1.76 Löschphänomen an einem Gitterraster. Oben: schematische Darstellung der Reize. An einem Haploskop wird dem linken Auge ein stationäres Gitterraster mit zentralem Fixierpunkt dargeboten, dem rechten Auge nach kurzem Intervall ein Lichtreiz (Zweitreiz) auf homogenem Umfeld. Unten: Darstellung der binokularen Wahrnehmung. Kurz nach Auftauchen des Zweitreizes kann der zeitliche und räumliche Aufbau des Löschfelds an der regionären Hemmung des Rasterbilds beobachtet werden.
Nystagmuswettstreit Das Betrachten eines vertikalen Streifenmusters, das sich vor beiden Augen in temporonasaler Richtung bewegt, löst neben einer ausgeprägten subjektiven Wettstreiterscheinung auch einen optokinetischen Nystagmus aus, dessen Schlagrichtung der jeweiligen Dominanz eines Auges entspricht [51]. Auf diese Weise können Wettstreitphänomene auch objektiv gemessen werden. Zur Umkehr der Bewegungsrichtung ließen Fox et al. [51] ihre Versuchspersonen durch Dove-Prismen blicken.
Okuläre Dominanz Beim normalen Beobachter führt ein Wettstreitmuster symmetrischer Intensität zu wechselseitiger Dominanz eines Auges, wobei die Dominanz- und Suppressionsphasen auf beide Augen gleich verteilt sind. Dennoch gibt es für viele sensorische und sensomotorische Funktionen ein einseitiges Überwiegen, obwohl beide Augen bei monokularer Prüfung keine Funktionsunterschiede aufweisen. Die in der Literatur zur „Äugigkeit“ oder okulären Dominanz geprüften Kriterien sind sehr unterschiedlich [132], [189], und es ist fraglich, inwieweit bei Personen mit normalem Binokularsehen eine im Test gefundene Dominanz überhaupt eine Rolle spielt. Die bekannteste Art der Dominanzbestimmung ist der Rosenbach-Visierversuch [162] oder eine Variante davon: Die Versuchsperson blickt binokular auf ein fernes Objekt und soll es mit einem ausgestreckten Finger verdecken. Ist die Testperson naiv, wird sie nicht sofort bemerken, dass der Finger
90
Zwei Personen sehen mehr als eine. Diese Lebensweisheit bezieht sich auf die statistische Wahrscheinlichkeit, dass zwei unabhängige Beobachter einen schwellennahen Reiz eher erkennen als nur einer. Eine solche erhöhte Erkennungswahrscheinlichkeit oder Empfindlichkeit wird probabilistische Summation genannt und trifft auch für das beidäugige Sehen gegenüber dem einäugigen zu. Wird z. B. ein so schwacher Lichtreiz dargeboten, dass einäugig im Durchschnitt nur jeder 2. Reiz zur Wahrnehmung kommt, so ergibt sich bei beidäugiger Darbietung eine WahrnehmungswahrscheinIichkeit von p=1– (0,50 × 0,50) = 0,75 oder 75 % [144]. Von neuraler oder physiologischer [38] binokularer Summation spricht man, wenn die beiden monokularen Informationen auf ein System konvergieren und die Verarbeitung der beiden Reize eine veränderte Empfindlichkeit bewirkt. Nach Green und Swets [57] errechnet sich für die binokulare probabilistische Summation ein Summationsindex von √2 (≈ 1,4). Der Summationsindex ist dabei das Verhältnis von binokularem zu monokularem Funktionsergebnis. Partielle Summation liegt vor bei einem Index zwischen 1 und 2; Werte unter 1 ergeben sich bei binokularer Hemmung. Werte über 2 bedeuten Potenzierung. In psychophysischen Experimenten muss bei einem Index zwischen 1 und 1,4 aufgrund der Art der Versuchsbedingungen beurteilt werden, inwieweit eine physiologische Summation oder nur eine probabilistische vorliegt. Wenn die Summation nur dann nachweisbar ist, solange die Reize fusioniert werden können, bei Stimulation außerhalb der Panum-Areale aber nicht mehr besteht, muss zumindest eine partielle physiologische Summation angenommen werden (▶ Abb. 1.77). Das Gleiche gilt für die Summation monokular unterschwelliger Reize, die nur binokular wahrgenommen werden [19]. Psychophysische Summationsexperimente sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur aus allgemeinem Interesse an der Funktionsweise des visuellen Systems durchgeführt worden, sondern auch, um die Summation als Funktionsprüfung des Binokularsehens einzusetzen. Für viele visuelle Funktionen kann im Schwellenbereich eine partielle binokulare Summation nachgewiesen werden, wobei die Summationsindizes meist zwischen 1,2 und 1,5 liegen, z. B.: ● Kontrastempfindlichkeit und Flimmerverschmelzungsfrequenz [63] ● Reaktionszeit [20] ● Helligkeitsempfindung [46] Dabei verringert sich die binokulare Summation, sobald das Auflösungsvermögen beansprucht wird [84].
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1.4.6 Binokulare Summation binokular
1.4 Sensorik
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1
Abb. 1.77 Mono- und binokulare Reaktionszeit einer normalen Versuchsperson für einen gering überschwelligen Lichtreiz 5° links vom Fixierpunkt (dargestellt sind Mittelwerte und Standardfehler). Der binokulare Reiz wurde mit vertikaler Disparität von 0–46 Bogenminuten dargeboten und bei den Disparitäten über 23 Bogenminuten doppelt gesehen. Die signifikante Verkürzung der Reaktionszeit bei binokularer Darbietung ohne Disparität und die fast wieder monokularen Werte der Reaktionszeit weit außerhalb der Panum-Areale beweisen bei diesem Experiment eine physiologische binokulare Summation. Die im Vergleich zur monokularen Reaktionszeit noch eindeutig kürzere Reaktionszeit für den doppelt empfundenen Lichtreiz mit 35 Bogenminuten Disparität zeigt, dass eine binokulare Koppelung auch noch jenseits der Panum-Areale bestehen kann (Datenquelle: [77]).
1.4.7 Interokulare Übertragung von Nacheffekten (interokularer Transfer) Nach Beendigung eines äußeren visuellen Reizes bestehen temporäre Nachwirkungen am visuellen System, die psychophysisch messbar sind. Hierzu gehören die periodischen Nachbilder nach kurzen Lichtblitzen [59] sowie die negativen Nachbilder, die nach längerer Belichtung
eines umschriebenen Netzhautareals auftreten. Beide Nacheffekte haben ihren Sitz in der Netzhaut und stellen ein klassisches Paradigma stabilisierter Netzhautbilder zur Bestimmung der visuellen Lokalisation unter monound binokularen Bedingungen dar ([16], [68], [69], [70]; siehe Nachbild).Eine Reihe weiterer Nacheffekte spiegelt Prozesse wider, deren Sitz wahrscheinlich überwiegend im visueIIen Kortex gelegen ist. Sie eignen sich zum Studium der binokularen Sensorik, da der Nacheffekt nach
91
Normales Binokularsehen
Nacheffekte für überschwellige Reize Der bekannteste Nacheffekt dieser Art ist das schon im Altertum beschriebene Bewegungsnachbild (historischer Überblick in [11]). Betrachtet man gleichförmig bewegte Konturen (Vorbild, Adaptationsreiz) über einen längeren Zeitraum und richtet dann den Blick auf eine stationäre Kontur (Testbild), so scheint sich diese in der Gegenrichtung des Vorbilds zu bewegen. Trotz des Bewegungseindrucks kommt ein solches negatives Bewegungsnachbild „nicht vom Fleck“ [140]. Bewegungsnachbilder sind durch geradlinig bewegte ([1], [153]; Waterfall Illusion) oder rotierende Vorbilder auslösbar. Zu den letzteren gehören die Spiralennachbilder von Plateau [145], für die Dvorak [42] als Erster einen interokularen Transfer beschrieb. Der übertragene Anteil beträgt etwa 70 %, wenn der Beobachter eine normale binokulare Sensorik besitzt [122]. Mit Bewegungsnachbildern, aber auch mit anderen Nacheffekten ließ sich zeigen, dass neben dieser interokularen Bildverarbeitung außerdem noch rein binokulare Prozesse existieren. Monokulare Adaptation auf eine Musterdrehung im Uhrzeigersinn im Wechsel mit binokularer Adaptation auf eine Musterdrehung in der Gegenrichtung führt zu einem monokularen Bewegungsnacheffekt gegen den Uhrzeigersinn, während sich bei binokularer Betrachtung das Testbild im Uhrzeigersinn zu drehen scheint [4], [168], [193]. Ein weiterer Nacheffekt, dessen interokularer Transfer häufig untersucht wurde, ist der Tilt-after-Effect [28], [55], [193]. Nach längerem Betrachten eines Streifenmusters mit schrägen Konturen werden anschließend angeblickte vertikale oder horizontale Streifen in der Gegenrichtung verkippt wahrgenommen (▶ Abb. 1.78). So wird z. B. nach längerem Betrachten eines Vorbilds mit Streifenorientierung von 75° ein anschließend angebotenes Testbild mit vertikalen Streifen um ca. 3° gegen den Uhrzeigersinn gekippt wahrgenommen.
A
B
C
Abb. 1.78 Schematische Darstellung des Orientierungsnacheffekts (Tilt-after-Effect). Nach Adaptation an das Vorbild A erscheinen die objektiv vertikalen Linien des Testbilds B in der Gegenrichtung der Linien in A gekippt, wie in C (übertrieben) dargestellt (Muster nach [193]).
92
Schwellenerhöhung durch Adaptation Nach Betrachten eines überschwelligen Musters ist die Schwelle für die Wahrnehmung eines ähnlichen Musters erhöht. Mit derartigen Adaptationsexperimenten können einzelne Systeme der Bildanalyse im visuellen System isoliert „ermüdet“ und damit psychophysisch identifiziert werden. Dieses Prinzip hat schon Helmholtz [67] für die Netzhaut erkannt: „Die Ermüdung der Netzhaut erstreckt ihre Wirkung demnach nicht gleichmäßig auf jede Art von Reizung, sondern hauptsächlich auf eine solche Reizung, welche der primären ähnlich ist.“ Ein derartiges Adaptationsparadigma, das beim normalen Binokularsehen transferiert wird, ist die Verminderung der Kontrastempfindlichkeit für Streifenmuster nach vorausgegangener Stimulation mit einem stark kontrastierenden Streifenmuster gleicher Streifenabstände und -orientierung [21], [174]. Der Nacheffekt vermindert die Kontrastempfindlichkeit am ipsilateralen Auge um ca. 50 %, etwa 65 % davon werden auf das Partnerauge übertragen [167]. Der Wert solcher Untersuchungen zur Funktionsprüfung des Binokularsehens ist umstritten, da auch bei Schielenden ein Transfer bestehen kann [3], [124]. Auch mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) kann die interokulare Adaptation in der primären Sehrinde (V1) nachgewiesen werden. Bei Amblyopen wurde hierbei unabhängig vom adaptierten Auge jedoch keine interokulare Adaptation in V1 gefunden [96].
Merke
H ●
Je nach Art des Vorbilds können prinzipiell 2 Formen der Adaptation beobachtet werden: Schwellenerhöhung und Änderung der Wahrnehmungsform überschwelliger neutraler Reize.
1.4.8 Nachweis binokularer Prozesse durch visuell evozierte Potenziale Die im Gehirn ablaufenden visuell-sensorischen Verschmelzungs- und Hemmungsvorgänge können in relativ engen Grenzen elektroenzephalografisch durch Untersuchung der visuell evozierten Potenziale (VEP) objektiviert werden. Da die an der Kopfhaut ableitbaren elektrischen Reaktionen auf einen visuellen Reiz nur sehr schwach sind, müssen die Reize mehrfach dargeboten und die reizspezifischen Potenziale mithilfe der Signalmittelung rechnerisch aus der unspezifischen Gehirnaktivität herausgefiltert werden. Der Reiz kann z. B. ein Lichtblitz (Blitz-VEP) oder eine Kontur sein. Der methodisch notwendige Wechsel bei der Konturenstimulation erfolgt üblicherweise durch rhythmischen Austausch der hellen und dunklen Anteile eines Reizmusters (schwarz-weißes
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monokularer Adaptation eines Auges häufig auch am nicht gereizten Partnerauge zu beobachten ist. Der Nacheffekt wird gleichsam von dem einen auf das andere Auge übertragen.
1.4 Sensorik
Merke
H ●
Sowohl Blitz- als auch Muster-VEP haben bei Personen mit normalem Binokularsehen größere Amplituden, wenn der Reiz binokular angeboten wird (binokulare Summation oder Addition; Literaturübersicht in [30]), wobei das Ausmaß der Summation stark von den Reizbedingungen abhängt. Die binokulare Summation des Muster-VEP verschwindet, wenn der binokulare Reiz durch ein Vertikalprisma in Doppelbilder zerfällt [30], [165] oder die beiden Augen dargebotenen Muster in der Größe um mindestens 5 % unterschiedlich sind [62].
Eine Aniseikonie von 5 % führt dabei zur Verminderung der binokularen Summation, durch Bildgrößenunterschiede von 7–17 % wird die Summation aufgehoben [99], [105]. Nach Schmidt et al. [165] findet sich nicht bei allen Personen mit normalem Binokularsehen eine binokulare Summation der VEP bei Schachbrettmuster-Umkehrreizung. Unter Darbietung rein fovealer Reize vermindere sich jedoch die Amplitude der VEP, wenn ein Auge durch Vorsetzen eines Prismas keine foveale Stimulation mehr erhält. Diese Amplitudenverkleinerung war bei Normalpersonen deutlicher als bei Schielenden, wodurch eine Differenzierung der binokularen Sensorik möglich sei. Neben der Amplitudensummation im VEP ermittelte Keller [101] in Analogie zur binokular kürzeren Reaktionszeit im psychophysischen Versuch auch eine Latenzverkürzung im VEP für den P1-Gipfel (den ersten positiven Gipfel der Reizantwort). Wie schon Apkarian et al. [5] beobachtete auch er unter günstigen Reizbedingungen eine Potenzierung (Summationsindex > 2) des VEP bei binokularer Darbietung. Ein weiterer Nachweis kortikaler Binokularität im VEP ist durch die haploskopische Reizung mit Random-DotMustern möglich [176]. Der Phasenwechsel erfolgt entweder durch Alternieren von korrelierten und unkorrelierten Arealen (Korrelogramm) oder durch Alternieren der Querdisparation in umschriebenen Arealen (Stereogramm). Damit die Musterumkehr monokular unsichtbar bleibt, müssen die Einzelelemente zusätzlich hochfrequent oszillieren (dynamisches Random-Dot-Muster). Die so abgeleiteten binokularen VEP beweisen die binokulare Integration im visuellen Kortex. Ohne sensorische Fusion ergibt die Signalmittelung kein reizspezifisches Potenzial. Mit diesen relativ aufwendigen Untersuchungsmethoden konnte der psychophysisch erbrachte Nachweis für die Entwicklung des Binokularsehens im 3.–4. Lebensmonat [7], [57] objektiviert werden (Korrelogramm: Braddick et al. [24]; Stereogramm: Petrig et al. [142]). Nach Skarf et al. [171] kann mit Korrelogrammen
schon in einem Alter von 5 Wochen binokulare Fusion nachgewiesen werden, während Stereogramme erst nach der 11. Lebenswoche reizspezifische VEP ermitteln ließen. Für die klinische Anwendung kann mit RandomDot-Stereogrammen unter Darbietung verschiedener Querdisparationen das stereoskopische Auflösungsvermögen von Personen mit normalem und eingeschränktem Binokularsehen qualitativ durch die Ableitung der VEP bestimmt werden [187].
1
1.4.9 Nachweis binokularer Prozesse durch funktionelle Magnetresonanztomografie Während das VEP keine genauere Lokalisation der Reizverarbeitung im visuellen Kortex erlaubt, können mittels der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) sowohl die Grenzen der visuellen Areale als auch deren Aktivierung dargestellt werden. Hierbei wird die Kopplung der lokalen Durchblutung mit der neuronalen Aktivität genutzt und die Änderung des kernspintomografischen Signals durch Veränderung der Oxy- und Desoxyhämoglobin-Konzentrationen erfasst [115]. Im ersten Schritt werden zur Identifikation der visuellen Areale durch das Gesichtsfeld wandernde Schachbrett-Musterreize dargeboten, die zu einer Wanderwelle von Aktivität im visuellen Kortex führen und dadurch die kortikale Repräsentation des Gesichtsfelds markieren. Wird im zweiten Schritt die Aktivierung durch stereoskopische Reize aufgezeichnet, kann diese den zuvor bestimmten visuellen Arealen zugeordnet werden. Erstmals konnten Backus et al. den Zusammenhang zwischen Aktivierung der visuellen Areale und Stimulusdisparität zeigen, wobei V3A die größte Antwort zeigte [13]. Nachfolgende Untersuchungen zeigten eine besondere Empfindlichkeit für stereoskopische Reize in den Arealen V3A, V7, V4d-topo sowie in einem Areal, welches als kaudale parietale Disparitätsregion (CPDR) bezeichnet wird [178]. Die Untersuchungen tragen nicht nur zum Verständnis des normalen, sondern auch des pathologischen Binokularsehens bei. So konnten Jurcoane et al. das Fehlen interokularer Adaptation bei alternierender Fixation und fehlendem Stereosehen zeigen [95]. Die meisten Untersuchungen wurden bislang mit Tomografen mit einer Feldstärke von 3 Tesla durchgeführt. Eine deutliche Verbesserung der Ortsauflösung wird durch eine neuere Gerätegeneration mit 7 Tesla erwartet. Hiermit konnten Goncalves et al. zeigen, dass die vorrangige Empfindlichkeit für Disparitäten in den visuellen Arealen, insbesondere in V3A, in Cluster angeordnet sind und dass höhere dorsale Areale (V3A, V3B/KO) für die Entfernungsschätzung charakteristische Eigenschaften zeigen [56].
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Schachbrett oder schwarz-weiße Streifen unterschiedlicher Ortsfrequenz) auf einem Bildschirm (Musterwechsel- oder Muster-VEP).
93
Normales Binokularsehen
Den ersten neurophysiologischen Beweis einer neuronalen Integration der rechts- und linksäugigen Reize erbrachten Hubel und Wiesel 1959 durch den Nachweis von Zellen in der primären Sehrinde der Katze, die von beiden Augen stimuliert werden konnten. In den darauffolgenden Jahrzehnten nahm unser Wissen über den funktionell-anatomischen Aufbau der Sehrinde und der assoziierten visuellen Gehirnzentren – auch dank der funktionellen Kernspintomografie – rapide zu, und es entstand eine kaum noch zu übersehende Literatur über dieses Spezialgebiet. Im Folgenden soll daher nur ein Überblick über die für die binokulare Sensorik wesentlichen Befunde gegeben werden. (Detaillierte Darstellungen mit Angaben der primären Referenzen in [146], [183] sowie dem ins Deutsche übersetzten Buch von Hubel [89].)
Zentrale Sehbahn Die Signalübertragung der retinalen Information erfolgt nach der Sehnervenkreuzung zu verschiedenen Kerngebieten des Gehirns. Der Hauptanteil der retinalen Ganglienzellaxone (ca. 90 %) endet bei Primaten im Corpus geniculatum laterale (CGL) und vermittelt die sensorische Information zur visuellen Wahrnehmung in der Sehrinde. Alle anderen retinofugalen Projektionen dienen überwiegend der Steuerung von Augenbewegungen (z. B. Colliculi superiores und die überwiegend binokularen Neurone des Nucleus tractus optici, NOT, [80], im Mittelhirn), dem Pupillenlichtreflex (prätektale Kerne des Mittelhirns), dem Schlaf-Wach-Rhythmus (Hypothalamus) oder sind noch weitgehend unbekannt (Pulvinar). In der retinogenikulokortikalen Bahn bleibt die Art der Kodierung des Netzhautbilds durch die verschiedenen retinalen Ganglienzellen weitgehend erhalten. Prä- und postgenikulär finden sich Neurone, die durch Reizung eines umschriebenen rundlichen Netzhautareals, ihrem rezeptiven Feld (RF), erregt werden. Peripherie und Zentrum der rezeptiven Felder reagieren auf Licht bei den meisten Neuronen antagonistisch, wobei die einen Neurone eine Belichtung des Zentrums ihres rezeptiven Feldes mit Erregung (Erhöhung der Impulsrate), eine Belichtung der Peripherie mit Hemmung (Verminderung der lmpulsrate) beantworten. Man nennt sie daher On-Zentrum-Neurone. Off-Zentrum-Neurone verhalten sich funktionell spiegelbildlich. Durch Unterschiede der RFGröße der einzelnen Neurone und durch ein vom Adaptationszustand gesteuertes Verhältnis der Fläche von Zentrum und Peripherie der RF erfolgt dabei eine elektrische Kodierung der Kontraste und der Leuchtdichteänderung für die einzelnen rezeptiven Felder der gesamten stimulierten Netzhaut. Zusätzlich kodieren die retinalen Ganglienzellen mittlerer Zellkörpergröße sowie deren nachgeschaltete Neurone im CGL Farbe.
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Merke
H ●
Neurone vom rechten und linken Auge bleiben auf dem Weg zum visuellen Kortex funktionell getrennt, verlaufen aber im retrochiasmalen Tractus opticus und in der genikulären Sehstrahlung so, dass Neurone mit korrespondierenden rezeptivem Feld nebeneinander liegen. Läsionen des Tractus opticus oder der Radiatio optica verursachen deshalb homonyme (kongruente) Ausfälle in der zugehörigen Gesichtsfeldhälfte beider Augen.
Im CGL sind rechts- und linksäugige Neurone in mehreren übereinanderliegenden Schichten getrennt (meist werden beim Menschen 6 Schichten angegeben). Wie die Querschnitte der prä- und postgenikulären Sehbahn zeigt jede einzelne Schicht eine retinotope (von griechisch topos = Ort) Verteilung der Neurone. Die neuronale Landkarte der CGL-Schichten ist jedoch nicht im Bogenmaß maßstabsgetreu. Die Repräsentation der einzelnen Netzhautareale entspricht vielmehr der Dichte der retinalen Ganglienzellen. Der Querschnittanteil, welcher der Netzhautmitte entspricht, ist deshalb durch eine relativ große Fläche repräsentiert – ein Prinzip, das sich auch im visuellen Kortex wiederfindet (sog. Vergrößerungsfaktor). Neben der Äugigkeit unterscheiden sich die Schichten des CGL auch durch die Größe der Zellkörper. Jeder Kniehöcker hat 2 Schichten mit großen Zellkörpern und weit verzweigten Dendritenfeldern, die Signale großer retinaler Ganglienzellen erhalten sowie 4 Schichten mit kleinen Zellkörpern und kleinen dichten Dendritenfeldern der zugehörigen Neurone. Diese zwei morphologisch heterogenen Neuronenklassen projizieren getrennt in unterschiedliche Schichten (4 Cα und 4 Cβ) der Area striata. Zwischen diesen Schichten liegen jeweils dünne Schichten mit Neuronen mit sehr kleinen Zellkörpern und wenig dichten Dendritenfeldern. Nach Auffassung vieler Autoren kann man daher funktionell-anatomisch 3 parallele Bahnen oder Systeme der visuellen Afferenz annehmen [175], die sich die verschiedenen Aufgaben bei Übermittlung und Verarbeitung visueller Signale teilen: ● Magnozelluläres System, dessen Zellen ein hohes zeitliches und ein geringes räumliches Auflösungsvermögen besitzen und in erster Linie bewegte Reize und Helligkeitsunterschiede verarbeiten. ● Parvozelluläres System mit geringem zeitlichen, aber hohem räumlichen Auflösungsvermögen und der Fähigkeit, Farbreize und Form zu unterscheiden. ● Koniozelluläres System, dessen Zellen Blau-ON-/GelbOFF-Information verarbeiten. Zusätzlich zur Projektion in die primäre Sehrinde wurden Projektionen in die bewegungsempfindlichen medial-temporalen Areale beschrieben, weshalb auch eine Bedeutung für die Bewegungswahrnehmung angenommen wird.
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1.4.10 Neurophysiologie des Binokularsehens
1.4 Sensorik ist durch die vorderen Teile der Fissur repräsentiert. Die anterior-posterior orientierte Basis der Fissur entspricht dem horizontalen Gesichtsfeldmeridian, die obere Grenze der Area 17 dem unteren vertikalen, die untere AreaGrenze dem oberen vertikalen Meridian des Gesichtsfelds [91]. Spiegelsymmetrisch schließen sich an diese oberen und unteren Grenzen der Area 17 je 2 weitere horizontale kortikale Streifen an, die wiederum die gesamte kontralaterale Gesichtsfeldhälfte repräsentieren, aufgeteilt in einen oberen und einen unteren Quadranten. Die beiden äußeren Streifen werden V3, die intermediären V2 genannt. Weiter vorn (rostral) finden sich noch 2 weitere, wiederum das kontralaterale Gesichtsfeld repräsentierende Areale: V4 und V5, letzteres auch Area MT (mediotemporal) genannt. V4 zeigt sich bei Darbietung flächig-farbiger Bilder im Gyrus fusiformis der medialen Seiten der Hemisphären. V5 liegt weiter seitlich und ist deutlich von V4 getrennt. Wir wissen heute, dass die verschiedenen visuellen Areale auf verschiedene Aufgaben der neural kodierten Bildanalyse spezialisiert sind (siehe auch ▶ Abb. 1.79b).
Funktionell-anatomischer Überblick Primäre Sehrinde, primärer visueller Kortex, Area striata, Area 17 (nach der zytoarchitektonischen Einteilung der gesamten Hirnrinde durch Brodmann [26]) oder V1 (für visuelle Area 1) sind Synonyme für die anatomisch und physiologisch abgrenzbare Eingangsstation der visuellen Afferenz. Dies ist ähnlich zu anderen primären sensorischen Arealen der Hirnrinde, deren spezifische Signale ebenfalls im dorsalen Thalamus (beim visuellen System im CGL) umgeschaltet werden. Area 17 liegt beim Menschen am hinteren Pol der Hirnrinde in einer an der Innenseite beider Hirnhälften von hinten nach vorn verlaufenden Hirnfurche, der Fissura calcarina [87], [88]. Beim intakten Gehirn sieht man nur das hinterste Ende der primären Sehrinde, deren gesamte Oberfläche erst überblickt werden kann, wenn man die Hirnhälften trennt und die Fissura calcarina auffaltet (▶ Abb. 1.79a–c). Die obere Hälfte des aufgefalteten ovalen Bereichs der Fissuroberfläche repräsentiert den unteren, die untere Hälfte den oberen Quadranten der kontralateralen Gesichtsfeldhälfte. Fasern der Netzhautmitte projizieren in den hintersten Teil der Fissur, der auch beim nicht entfalteten Hirn von außen sichtbar ist. Die Netzhautperipherie
90
V3A
45
5 710
FFovea ovea
3
3
5
10 0 71
2 20 0
OM 90 4 40 0
V2 V3v/VP
1 cm
20 40 HM
Peripherie
Fovea
270 UM
unterer veretikaler Meridian
V2
oberer veretikaler Meridian
V3
1
1
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Organisation der Sehrinde
3→ 7→ 10 20
horizontaler Meridian
180
40
315
V4
a
b
c
270
Abb. 1.79 Schematische Darstellung der Innenseite des linken Hinterhauptlappens. Mit partiell entfalteter Fissura calcarina (a), der retinotopen Verteilung auf den flach ausgebreiteten Areae V1, V2, V3, V3v, V3A und V4 (b) und des zugehörigen Gesichtsfelds. a Die Grenzen der Area V1 zur Area V2 nach oben und unten sind gestrichelt eingezeichnet, die Zahlen an der unteren Linie bezeichnen die Exzentrizität der zugehörigen retinalen rezeptiven Felder. b Hier ist die Projektion der rechten Gesichtsfeldhälfte beider Augen auf die ausgebreitete visuelle Hirnrinde dargestellt. Der schwarze Fleck auf dem horizontalen Gesichtsfeldmeridian (HM) von V1 entspricht dem blinden Fleck des rechten Auges. Innerhalb von V1 ist die Repräsentation des rechten unteren Gesichtsfeldquadranten über HM, die des rechten oberen Quadranten unter HM gelegen. Die Grenze zwischen V1 und V2 entspricht daher dem vertikalen Gesichtsfeldmeridian. In V3 ist die Gesichtsfeldhälfte wiederum in einen oberen und einen unteren Quadranten aufgeteilt, wobei die Grenzen abwechselnd dem horizontalen und vertikalen Meridian entsprechen. c Grenzen der in b dargestellten Exzentrizitätslinien und Meridiane im Gesichtsfeld. Der grau markierte Bereich wird nur einäugig wahrgenommen.
95
Merke
H ●
Die neurale Verbindung der einzelnen Areale erfolgt offenbar so, dass die in der Area striata in verschiedenen Schichten ankommenden Botschaften des parvozellulären und des magnozellulären Systems nach Aufbereitung in einer höhergelegenen Schicht von V1 (Konturorientierung) direkt oder über V2 [14] an die nachfolgenden Areale weitergegeben werden: ● an V3 zur Analyse von bewegten Formen [6] ● an V4 zur Bearbeitung farbiger Konturen ● an V5 zur Analyse der Bewegung [33], [107], [164]
Die einzelnen Funktionen sind aber nicht exklusiv an die genannten Felder gebunden. Diese Vorwärtsprojektionen erfolgen retinotopisch mit kleinen rezeptiven Feldern in V1, das deshalb das neurale Substrat der Lokalzeichen und des Auflösungsvermögens darstellt, und in einem immer gröber werdenden Raster in den nachfolgenden Arealen, die damit ihre speziellen Aufgaben von einer höheren Warte aus „global“ erfüllen können. Ein weitverzweigtes, nicht mehr retinotopisch geordnetes System rückläufiger Projektionen könnte nach Zeki die Integration der Informationen in die topografisch präzise organisierte Area V1 ermöglichen. Neuere Arbeiten bei Patienten zeigen, dass wahrscheinlich auch direkte Projektionen in höhere visuelle Areale (z. B. für Bewegungsverarbeitung) unter Umgehung von V1 existieren [73].
Die partielle Kreuzung des Sehnervs im Chiasma und die daraus folgende Teilung in eine rechte Hälfte des visuellen Kortex für die linke Gesichtshälfte und eine linke Hälfte des visuellen Kortex für das rechte Gesichtsfeld macht ein weiteres neuronales System erforderlich, das die Sinneseindrücke der beiden Gesichtsfeldhälften miteinander verbindet. Diese interhemisphärische, kortikokortikale Verbindung erfolgt über das Corpus callosum. Dieses kann in seinem hinteren Anteil visuelle Signale, in den vorderen Teilen andere somatosensorische Funktionen – wie den Tastsinn – mit schnell leitenden markhaltigen Fasern zwischen den Hirnhälften übertrage. Die präzise Topografie und die kleinen RF ermöglichen eine solche Koppelung in V1 natürlich nur in einem schmalen Streifen entlang der vertikalen Trennlinien der Gesichtsfeldhälften. Dies entspricht in V1 den Zellen, die an der Grenze zu V2 liegen. Man konnte dort Zellen nachweisen, deren RF vom vertikalen Meridian des Gesichtsfelds in 2 Hälften geteilt sind, wobei die im Gesichtsfeld kontralaterale Hälfte direkt über die gleichseitige Sehbahn, die im Gesichtsfeld ipsilaterale Hälfte über Vermittlung des Corpus callosum versorgt wurde. In den auf V1 folgenden Arealen, deren retinotope Präzision zugunsten einer generalisierten Bildanalyse geringer wird, nimmt die Überlappung schrittweise zu und kann in V5 bis zu 20° betragen. So ist es auch verständlich, dass Mehdorn [120] sowie Dengler
96
und Kommerell [39] bei Darbietung der symmetrisch um den vertikalen Gesichtsfeldmeridian verteilten Stereobilder Tiefenwahrnehmung bis zu Disparitäten von über 20° (!) beim Menschen nachweisen konnten.
Funktioneller Aufbau der Sehrinde Die Area striata stellt in aufgefaltetem Zustand eine etwa 2 mm dicke Platte dar. Sie ist mit ihrer anatomisch auffallenden oberflächenparallelen Schichtung in 6 Zelllagen der am genauesten untersuchte Teil der Sehrinde. Die rezeptiven Felder ihrer Neurone haben – bis auf die Eingangsneurone in Schicht IV und die Zellen zur Farbkodierung – keine runde Zentrum-Umfeld-Organisation mehr und sind stattdessen von verschiedener rechteckiger Form mit unterschiedlichen Kriterien für Hemmung und Erregung. Einfache Zellen (Simple Cells) reagieren auf ruhende und auf bewegte Konturen auf der Netzhaut. Komplexe Zellen (Complex Cells) werden fast ausschließlich durch bewegte Konturen oder intermittierende Reizdarbietung erregt; vor allem ist der Grad der Erregung im Unterschied zu den einfachen Zellen innerhalb des rezeptiven Feldes unabhängig vom Reizort. Die meisten dieser beiden Zelltypen sind orientierungsspezifisch, d. h. sie sind nur erregbar, wenn der Konturenreiz in einem bestimmten Winkel auf die Netzhaut trifft. Ein Teil der Zellen reagiert dabei nur auf eine bestimmte Bewegungsrichtung (Bewegungsspezifität). Unter beiden Zelltypen finden sich Neurone, die nur bei bestimmten Konturenlängen optimal reagieren (sog. Endinhibition, weil eine größere als die optimale Reizlänge zur Hemmung der Zelle führt). Schließlich existieren noch farbspezifische Zellen mit runden RF, die im Unterschied zu den „farbenblinden“ einfachen und komplexen Zellen symmetrisch organisiert und damit nicht orientierungsspezifisch sind. Zusätzlich wird das Ausmaß der Erregbarkeit kortikaler Neurone nach V2 offenbar noch durch die Blickrichtung moduliert, was als blickrichtungsspezifische Kodierung der egozentrischen Richtungslokalisation gedeutet werden kann [190]. Elektrophysiologische Untersuchungen haben vor allem an der Area striata gezeigt, dass die neuronale Koppelung in erster Linie senkrecht zur Oberfläche erfolgt. In Analogie zum primären somatosensorischen Kortex, für den Mountcastle (1957) bei der Katze eine gleichartige vertikale Organisation fand, wurde von Hubel und Wiesel [89] der Begriff der Kolumne (Säule) übernommen. In einer Linie senkrecht zur Oberfläche angeordnete Zellen zeigen gleichartige optimale Reizbedingungen wie Äugigkeit, Farbe und Orientierung. Ihre rezeptiven Felder entstammen dem gleichen Netzhautareal. Bei einem Schnitt senkrecht zur Oberfläche des primären visuellen Kortex stellt sich diese funktionelle Architektur nach entsprechender Färbung wie aus Säulen zusammengesetzt dar, wobei die einzelnen Säulen verschiedene Funktionen kodieren [98], [110], [137].
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Normales Binokularsehen
1.4 Sensorik
▶ Farbenkolumnen. Im Zentrum der okulären Dominanzstreifen liegen farbenkodierende Zellen (Farbenkolumnen), die (mit Unterbrechung in Schicht IVC) von der Pia zur weißen Substanz in Zylinderform angeordnet sind und in V2 bis V4 projizieren. Nach ihrer Entdeckung an Tangentialschnitten, die die Zellzylinder im Querschnitt zeigen, werden sie Blobs (Flecke, Kleckse) genannt. Sie sind empfindlich für Farben, überwiegend monokular, haben keine oder nur geringe Orientierungsempfindlichkeit, zeigen bevorzugte Reaktion auf geringe zeitliche und hohe örtliche Frequenzen und weisen eine hohe Kontrastempfindlichkeit auf. Davon abzugrenzen sind die Neurone der „InterblobRegion“, die primär für hohes Auflösungsvermögen – Sehschärfe; qualitative („feine“) statische Stereopsis – und die Aufrechterhaltung einer exakten Vergenzstellung zur bifoveolaren Abbildung des Fixationsobjekts verantwortlich zu sein scheinen. Beide Systeme gehören dem parvozellulären System an. Das magnozelluläre System verläuft direkt in V2 zu V3 und V5. Es ist spezialisiert für das Bewegungssehen ohne und mit (Motion in Depth) Disparitätsänderung und damit auch geeignet zur Einleitung einer Vergenzbewegung auf weit disparat abgebildete Objekte hin. ▶ Orientierungskolumnen. Zusätzlich bilden Zellen gleicher Orientierungsspezifität unregelmäßige, durch alle Schichten (bis auf IVC) laufende Bänder mit „Pinwheel“Struktur (Orientierungskolumnen), deren Verlauf bei Blick auf die Kortexoberfläche keinen Zusammenhang mit den okularen Dominanzstreifen erkennen lässt [97].
Arten binokularer Neurone Nach der Entdeckung binokularer Neurone durch Hubel und Wiesel [89] an der anästhesierten Katze wurde die binokulare Konvergenz von vielen Neurophysiologen untersucht. Die zahlreichen Befunde von binokularen Zel-
len und vor allem von solchen Neuronen des Kortex, die auf disparat abgebildete Konturen reagieren, wurden noch erweitert durch die elektrophysiologischen und histologischen Untersuchungen am wachen Affen durch Poggio et al. [146], [147] (Übersicht in [148]). Vor allem zeigte sich an der hohen Zahl binokularer Neurone, dass der bewusste Sehvorgang die binokulare Verschaltung noch erheblich aktiviert, selbst wenn das Versuchstier den disparaten Reiz gar nicht fixiert. Die folgende Darstellung der kortikalen binokularen Reizverarbeitung beschränkt sich im Wesentlichen auf die beim wachen Affen erhobenen Befunde, da sie wahrscheinlich am ehesten der Funktionsweise des menschlichen Gehirns entsprechen. Die binokularen Anteile des Gesichtsfelds sind in den Eingangszellen des visuellen Kortex zunächst doppelt repräsentiert, wobei bis zu einer Exzentrizität von ca. 20° von der Fovea beide Augen gleich stark vertreten sind. Mit zunehmender Exzentrizität nimmt die Zahl der Zellen zu, die mit dem kontralateralen Auge verbunden sind. Dies entspricht der geringeren Dichte retinaler Ganglienzellen der temporalen gegenüber der nasalen Netzhautperipherie. Der Bereich der Sehrinde, der der monokularen Sichel im temporalen Gesichtsfeld entspricht, sowie das mit dem blinden Fleck korrespondierende Areal enthalten natürlich nur Projektionen vom gegenüberliegenden Auge. Nach der Eingangsschicht (im Wesentlichen IVC) und auch schon dort finden sich zunehmend viele Neurone, die von beiden Augen in unterschiedlicher Weise erregt werden können. Zusätzlich projizieren spezielle, disparitätempfindliche Neurone direkt in V1 (▶ Abb. 1.79b). Im extrastriären Kortex erhalten praktisch alle Neurone Eingang von beiden Augen. Binokulare Zellen besitzen ein rezeptives Feld im rechten und im linken Auge. Funktion und Größe des rezeptiven Feldes entsprechen einander weitgehend. Die Form der „BinokuIarität“ einer kortikalen Zelle kann sehr unterschiedlich sein. Wird nach Erregung der Zelle durch monokulare Stimulation des rezeptiven Feldes auch im RF des Partnerauges stimuliert, kann eine Hemmung, eine Steigerung (Summation) oder auch keine Änderung der Erregung auftreten. Im letzteren Fall können die Zellen auch vom Partnerauge allein stimulierbar sein. Summation kann auftreten, wenn sich die Reize am rechten und linken Auge in Form, Kontrast und Struktur entsprechen, also korreliert sind. Neurone, die auf korrelierte Reize reagieren, stellen wohl das Substrat für die zweidimensionale sensorische Fusion dar. Unkorrelierte Reize in den beiden RF dieser Neurone am rechten und linken Auge (wie z. B. vertikale und horizontale Konturen) führen zur Hemmung, entsprechend der Suppression beim binokularen Wettstreit. Verwirrenderweise lassen sich aber auch Neurone finden, die auf unkorrelierte Reize reagieren. Bei einer länger dauernden überschwelligen Reizung zeigt sich zumindest bei der Katze eine den psychophysischen Experimenten vergleichbare Adaptation bei der Mehrzahl der Neurone. Unter den binokularen Zellen sind
1
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▶ Okuläre Dominanzkolumnen. Obwohl bei wachen Affen (Makaken) der absolut überwiegende Teil der V1Neurone auf einen Reiz am linken und/oder rechten Auge reagiert, fällt die Reaktion der meisten Zellen bei Reizung einer Seite stärker aus. Die verschiedenen Ausprägungen einer solchen okulären Dominanz sind nicht homogen über das Volumen der Area striata verteilt, sondern in senkrecht zur V1/V2-Grenze orientierten Schichten angeordnet. Diese laufen von der Oberfläche bis zur weißen Substanz durch und bilden beim Blick auf die Oberfläche ein Muster paralleler Kolumnen mit alternierend rechtsund linksäugiger Dominanz. Senkrecht zur Schichtung verlaufende, nebeneinander liegende Zellen zeigen im Zentrum der jeweiligen Schicht ausgeprägte Dominanz. In der Übergangszone sind die binokularen Zellen bezüglich ihrer Äugigkeit weitgehend balanciert. Solche Zellen sind vor allem in den Schichten II, III und V von V1 zu finden, wodurch die Trennung der Dominanzen dort weniger scharf ist [86].
97
Normales Binokularsehen
H ●
Merke
Die sensitive Periode zur Entwicklung und Festigung der neuronalen binokularen Summation ist interessanterweise beim Rhesusaffen mit über 2 Jahren deutlich länger als die sensitive Periode der Deprivationsamblyopie (1–2 Jahre [64]).
Zellen, die für eine maximale Erregung eine bestimmte Querdisparation der Reize verlangen, werden als stereoempfindlich bezeichnet. Für statische Disparitäten können verschiedene Typen stereosensitiver Neurone im visuellen Kortex (V1–V5) unter den einfachen und den komplexen Zellen nachgewiesen werden [45], [148] (▶ Abb. 1.80): ● Exzitatorische Neurone für einen schmalen Bereich von Disparitäten (Tuned Excitatory): ○ T 0(Tuned Zero)-Neurone mit einer maximalen Reaktion bei Querdisparationen zwischen 0 und 3 Bogenminuten. Sie sind in der Regel Binocular-only-Zellen, d. h. sie reagieren nur bei simultan binokularer Reizung. ○ TF(Tuned Far)- und TN(Tuned Near)-Neurone mit einer maximalen Reaktion für ungekreuzte (TF) oder
neurale Antwort (Impulse pro s)
TO
●
Stereosensitive Neurone der Gruppen 1 und 3 reagieren mit einer wechselnd deutlichen Hemmung, wenn die Reize in einer Querdisparation außerhalb ihrer spezifischen Bandbreite dargeboten werden. Die Zahl der Stereoneurone, ihr bevorzugtes Ausmaß an Disparität sowie die Größe und die Exzentrizität ihrer RE nehmen von V1 bis V3 zu. In V1 soll das Verhältnis der einzelnen Typen stereosensitiver Zellen weitgehend gleich sein. Eine weitere Gruppe binokularer Neurone erweist sich als unempfindlich für Querdisparation. Diese Zellen werden Flachneurone (FL, Flat Neurons) genannt und reagieren zum großen Teil nur auf korrelierte Reize. Sie könnten das Substrat für zweidimensionales Binokularsehen und für den interokularen Transfer [111] darstellen. Das Verhältnis der stereosensitiven Zellen zu den Flachneuronen wird für V1 mit 1:1, für V2 mit 2:1 und für V3 mit 4:1 angegeben.
TF
75
75
50
50
25
25
−0,5
0
0,5
FA
−0,5
0
0,5
−0,5
0
0,5
TI
75
75
50
50
25
25
−0,5
0
0,5
horizontale Disparität (°)
98
●
gekreuzte (TN) Querdisparationen von 3 – 30 Bogenminuten. Inhibitorische Neurone für einen schmalen Disparitätsbereich am Horopter: TI(Tuned Inhibitory)-Neurone, deren Erregung bei Disparitäten unter 6 Bogenminuten vor oder hinter dem Horopter maximal supprimiert wird. Reziproke Neurone für einen größeren Bereich gekreuzter oder ungekreuzter Querdisparation: NE(Near)-Neurone und FA(Far)-Neurone, deren Erregung über einen Disparitätsbereich von 1° oder mehr vor oder hinter dem Horopter nachweisbar ist.
Abb. 1.80 Schematische Darstellung der Erregungsprofile von Stereoneuronen in V1, V2 und V3 in Abhängigkeit von der Reizdisparität (siehe Text). Die horizontalen grünen Linien zeigen das Erregungsniveau bei monokularer Stimulation. Liegt die Kurve darunter, ist die Zelle bei der jeweiligen Disparität gehemmt (TN-Neurone und NE-Neurone haben spiegelbildliche Profile zu den dargestellten TF- und FA-Neuronen). Darstellung nach den Befunden am wachen Affen [148].
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Nacheffekte auch über das nichtadaptierte Auge nachweisbar (interokularer Transfer: Jurcoane et al. [95], [96]; für Bewegungsnacheffekte: Hammond und Mouat [61]; für Schwellenerniedrigung: Maffei et al. [118]).
1.4 Sensorik
●
Die Anzahl exzitatorischer und inhibitorischer Neurone für ein schmales Disparitätsareal ist am höchsten im Bereich des Horopters (für die Katze: Nikara et al. [128]; für den Affen: Poggio und Fischer [146]). Vor und hinter dem Horopter lassen sich stereoempfindliche Neurone zunehmend seltener nachweisen.
Die Häufigkeit der optimalen Reizdisparitäten ist also um die Disparität Null statistisch verteilt (▶ Abb. 1.81). Die Breite einer solchen Verteilungskurve stellt somit das Korrelat des Panum-Areals dar. Wird ein bestimmter Disparitätsgrad der Abbildung überschritten, stehen im visuellen Kortex nicht mehr genügend Stereoneurone zur Verfügung, um eine sensorische Fusion zu ermöglichen. Der Reiz wird doppelt wahrgenommen, selbst wenn noch eine geringe Zahl von Neuronen auf die vorgegebene Disparität anspricht und eine vage Vorstellung von „davor“ oder „dahinter“ vermitteln sollte (stereoskopische Wahrnehmung von Doppelbildern). Elektrophysiologisch könnte der Horopter demnach als der Reizort im Außenraum definiert werden, der eine maximale Anzahl binokularer kortikaler Neurone erregt [18]. Dies entspricht der ebenfalls von Bishop aufgestellten Definition der monokularen Fixation. Das Auge ist dabei auf einen Objektpunkt gerichtet, der ein Maximum an rezeptiven Feldern (also auch von kortikalen Neuronen) erregt. Es liegt deshalb nahe, anzunehmen, dass die Maximierung der Anzahl erregter visueller Neurone ein Grundprinzip der mono- und binokularen Steuerung der Augenstellung darstellt [54]. Richtung und Ausmaß notwendiger Vergenzbewegungen würden dann durch das spezifische Erregungsprofil der verschiedenen Disparitätsdetektoren bestimmt. In der Tat gelingt es, die Fusion einfach strukturierter Objekte durch Überlagerung mit disparat angebotenen Random-Dot-Mustern (die hochkomplex sind) zum Abreißen zu bringen, so dass das ursprünglich fusionierte Objekt doppelt und das viele Neurone ansprechende Random-Dot-Muster binokular einfach gesehen wird [54]. Die zahlreichen Einzelbefunde zur Funktion der verschiedenen Zellen der Sehrinde beim wachen Affen zeigen, dass das visuelle System der Primaten über das Rüstzeug verfügt, alle Einzelheiten eines retinalen Bildes zu
ungekreuzt
gekreuzt
1
25 20 15 10 5 0 −0,2
−0,1
0 0,1 Disparität (°)
0,2
Abb. 1.81 Häufigkeit optimaler Stimulusdisparitäten von T 0Neuronen im zentralen Gesichtsfeld beim Affen (n = 80 in V1 und V2). Die einzelnen Balken stehen für Neurone innerhalb des unterschiedlichen Disparitätsbereichs. Das Diagramm zeigt, dass diejenigen Neurone am häufigsten sind, die durch korrespondent abgebildete Reize am stärksten erregt werden, also das neuronale Substrat des Horopters bilden. Die Anzahl der Neurone, deren rezeptive Felder (RF) eine gekreuzte (rechts) oder ungekreuzte (links) Disparität zeigen, nimmt mit dem Ausmaß der Disparität ab. Der Bereich zwischen den maximalen Disparitäten entspricht psychophysisch dem Panum-Areal. Die Form der Kurve scheint einer Gauss-Verteilung (Glockenkurve der statistischen Normalverteilung) der RF-Disparitäten zu entsprechen. Die Darstellung basiert auf Befunden von Poggio und Fischer [146].
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Merke
H
30 Anzahl Neuronen (Affe)
Etwa 20 % der für Linien- und Balkenstereogramme sensitiven Neurone sowie ein Teil der Flachneurone reagieren auf gleiche Disparitäten in einem Random-DotStereogramm. Diese Zellen haben fast ausschließlich komplexe RF-Eigenschaften. Für die im psychophysischen Experiment selektiv adaptierbaren Sonderformen der Stereopsis, die Orientierungsdisparität [188] und die Tiefenbewegung [147], konnten in V1 und V2 Neurone nachgewiesen werden, die selektiv auf einen der beiden Stereoreize reagieren.
analysieren. Dabei erfolgt die Analyse in funktionell verschiedenen retinotopisch angeordneten Neuronengruppen, die für die Bearbeitung der einzelnen Bildeigenschaften spezialisiert sind. Die durchschnittlich zunehmende Größe der RF in der Reihe der visuellen Areale von V1–V5 und die Koppelung der „Spezialisten“ in den verschiedenen Arealen über „Kanäle“ wie das magno- und parvozelluläre System legen den Schluss nahe, dass in V1 neben der Aufnahme von Signalen das Auflösungsvermögen und in den extrastriären Arealen die Bearbeitung zusammenhängender Funktionen repräsentiert ist [195], [196]. Wie aber bei den vielen anatomischen Synapsen die Wahrnehmung des Bildes unserer Umwelt schließlich zustandekommt, ist bislang unklar. Neuere Befunde weisen darauf hin, dass räumlich getrennte Neuronengruppen, die ein Objekt im Gesichtsfeld analysieren, durch Synchronisation ihrer Entladungen zu einem Ensemble verbunden werden (Übersicht in [45]). Durch zeitlich unterschiedliche Entladungsmuster könnte so die Abgrenzung einzelner Objekte von ihrem Hintergrund erfolgen. Eine derartige Zeitkodierung lässt sich bei der Katze auch für Neurone des rechten und linken Auges nachweisen, die dasselbe Bild analysieren, wenn normales Binokularsehen besteht. Die Synchronisation fehlt jedoch bei schielenden Tieren.
99
Als morphologisches Substrat der Synchronisation lassen sich im visuellen Kortex weitreichende horizontale Fasern (Long-ranging horizontal Fibers) nachweisen, die die Information weit auseinander liegender Gesichtsfeldorte integrieren [114]. Diese Fasern verbinden bei normalen Versuchstieren rechts- und linksäugig dominante Neurone gleichermaßen. Bei schielenden Tieren koppeln sie fast ausschließlich Neurone derselben Äugigkeit [117].
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Normales Binokularsehen
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103
Störungen des Binokularsehens
2.1
Terminologie und Charakteristika verschiedener Augenbewegungsstörungen
105
2.2
Heterophorie und Asthenopie
112
2.3
Heterotropie
131
2.4
Amblyopie
169
2.5
Binokulare Sensorik bei Strabismus
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Kapitel 2
2.1 Augenbewegungsstörungen
2 Störungen des Binokularsehens
H. Kaufmann
2.1.1 Allgemeine Begriffe Normales Binokularsehen erfordert, dass ein Fixierobjekt bifoveolar und winkeltreu abgebildet wird. Dieser Zustand wird durch die Fusion herbeigeführt und aufrechterhalten. Diese Orthotropie (= Orthostellung2) ist daran erkennbar, dass beim einseitigen Abdecktest keine Einstellbewegungen erfolgen [11], [21] [22]. Normales Binokularsehen liegt vor, wenn sich bei bifovealer Fixation alle am Bulbus angreifenden Drehmomente in einem Gleichgewicht befinden (siehe Kap. 1.1.5). Strabismus bedeutet, dass dieses Gleichgewicht gestört ist, so dass der Bulbus so weit bewegt wird, bis ein neues Gleichgewicht in einem Schielwinkel erreicht wird. Störungen des normalen Gleichgewichts können hervorgerufen werden durch pathologische Änderungen der ● Zugkräfte: Änderung der Kontraktionskraft eines Augenmuskels durch vermehrte (z. B Konvergenzspasmus) oder verminderte Innervation (z. B. Augenmuskellähmung). ● Entspannungsfähigkeit: Erhöhung des Widerstands, den ein Augenmuskel (z. B. Fibrose, Muskel-Narbe), eine Sehne (z. B. Brown-Syndrom) oder das orbitale Bindegewebe (z. B. Gewebseinklemmung durch Blow-out-Fraktur) einer Dehnung entgegensetzen. ● Hebelarme: (z. B. Muskelabriss mit spontaner Anlagerung an falscher Stelle). ● Zugrichtungen: (z. B. die traumatische Verschiebung der Trochlea oder die Verlaufsänderung eines Muskels bei hoher Myopie). Wenn bei Unterbrechung der Fusion, beispielsweise durch Abdecken eines Auges, die Sehachsen beider Augen auf das Fixierobjekt gerichtet bleiben, liegt Orthophorie [1], [21], [22] vor. In diesem Fall entstehen beim alternierenden Abdecktest keine Einstellbewegungen. Demgegenüber versteht man unter Heterophorie eine Abweichung der relativen Ruhelage, die binokular fusioniert wird, den Zustand also, bei dem Einstellbewegungen nur beim alternierenden Abdecktest, nicht aber beim (einseitigen) Abdecktest deutlich werden [21], [22].
2
Dieser Terminus ist eine Definition des Deutschen Instituts für Normung = DIN (5) und entspricht dem in der wissenschaftlichen Literatur eingeführten Terminus Orthotropie.
Merke
H ●
2
Orthotropie besteht, wenn beim einseitigen Abdecktest keine Einstellbewegungen erfolgen. Wenn auch beim alternierenden Abdecktest keine Einstellbewegungen vorhanden sind, liegt Orthophorie vor. Bei Heterophorie entsteht eine Einstellbewegung nur beim alternierenden Abdecktest, nicht aber beim einseitigen Abdecktest.
Fast alle Menschen zeigen nach Unterbrechung der Fusion mehr oder weniger geringe Abweichungen von dem Idealzustand der Orthophorie, die bei fehlenden Beschwerden unter dem Begriff Normophorie zusammengefasst werden. Für Heterophorien mit asthenopischen Beschwerden (Kopfschmerzen, schnelle Ermüdbarkeit, Augenbrennen usw., siehe Kap. 2.2) wurde der Begriff Pathophorie eingeführt [18]. Falls sich zu diesen Beschwerden auch zeitweise Diplopie gesellt, handelt es sich um eine dekompensierende Heterophorie und bei dauernder Diplopie um eine dekompensierte Heterophorie. Die Bewegung eines Auges nennt man Duktion (Adduktion, Abduktion, Supra-/Infraduktion, In-/Exzykloduktion), die gleichgerichtete Bewegung beider Augen Version (Dextro-/Laevoversion, Supra-/Infraversion, Dextro-/Laevozykloversion), die nicht gleichgerichtete Bewegung Vergenz (Konvergenz, Divergenz, In-/Exzyklovergenz). Der Terminus Fixationsdisparität wird zur Beschreibung zweier verschiedener Phänomene verwendet. Physiologische Systeme sind prinzipiell sparsam und leisten nicht das mögliche Maximum, sondern das Erforderliche. Hofmann und Bielschowsky hatten bemerkt, dass die Vergenz bei Belastung der motorischen Fusion hinter den geometrisch notwendigen Werten zurückbleibt, und diesen Schlupf Disparation genannt [15] (S. 4ff). Diesem Phänomen entspricht die fakultative Fixationsdisparität, die bei Heterophorie oder Fusionsbelastung mittels Prismen oder Haploskopen auftritt [4]. Falls in der Netzhaut eines Auges einige Netzhautstellen mit einem definierten Richtungswert ihren Ort verändern, kommt es monokular zu einer Störung der relativen Lokalisation dieser Areale. Im Binokularsehen resultieren daraus innerhalb der Grenzen der Panum-Areale pseudostereoptische Raumtäuschungen, bei Überschreiten der Panum-Areale aber partielle Diplopie innerhalb des binokularen Gesichtsfelds. Diese Verschiebungen können mit Horopter-Apparaten gemessen werden und werden obligate Fixationsdisparität genannt. Es handelt sich also um monokulare Fehler, die das Binokularsehen stören und nur binokular messbar sind. Die Ursachen sind vielfältig. Denkbar sind zentroperiphere Verschiebungen durch retinale Flächenverschiebungen während
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2.1 Terminologie und Charakteristika verschiedener Augenbewegungsstörungen
105
Störungen
Tab. 2.1 Definition verschiedener Augenachsen. Die unterschiedliche Definition von Sehachse und Blicklinie bedeutet nicht, dass diese Linien räumlich auseinanderfallen. Tatsächlich sind die Unterschiede zu vernachlässigen [16].
106
Achsen und Winkel
Definition
Anatomische Achse
Gerade zwischen dem vorderen Pol und dem hinteren Pol. Genauer: Gerade zwischen der Hornhautmitte und dem Krümmungsmittelpunkt des hinteren Augenabschnitts
Optische Achse
Gerade zwischen den Krümmungsmittelpunkten der brechenden Flächen (in einem zentrierten System)
Sehachse (Gesichtslinie, Sehlinie)
Gerade zwischen Fixierobjekt und Foveola
Blicklinie
Gerade zwischen Fixierobjekt und Drehpunkt
Pupillenachse
Gerade zwischen Hornhautmitte und Pupillenmitte
Winkel Alpha
Winkel zwischen optischer Achse und Sehachse
Winkel Gamma
Winkel zwischen optischer Achse und Blicklinie
Winkel Kappa
Winkel zwischen Sehachse und Pupillenachse
Unter Strabismus sursoadductorius (sursoabductorius) versteht man die Zunahme einer Hypertropie bei zunehmender Adduktion (Abduktion), analog dazu unter Strabismus deorsoadductorius (deorsoabductorius) die Zunahme einer Hypotropie bei zunehmender Adduktion (Abduktion). Diese rein deskriptiven Begriffe beschreiben nur das Schielwinkelverhalten, nicht aber die Ätiologie. Ist die Ätiologie bekannt, werden meist Begriffe wie Trochlearisparese oder Brown-Syndrom verwendet. Änderungen des Horizontalschielwinkels bei Elevation oder Depression werden als Alphabet-Symptome zusammengefasst. Bei einem A-Symptom nimmt die Konvergenz der Sehachsen bei zunehmender Elevation zu (bzw. die Divergenz ab). Bei einem V-Symptom nimmt die Konvergenz der Sehachsen bei zunehmender Depression zu (bzw. die Divergenz ab). Insbesondere bei quantitativen Untersuchungen werden die Begriffe positive Vertikaldivergenz (wenn die Sehachse des rechten Auges im Verhältnis zur linken nach oben weist) und negative Vertikaldivergenz (wenn die Sehachse nach unten weist) benutzt [3], [12], [14]. Sie beinhalten keine Aussagen über die Führungsverhältnisse, während z. B. der Begriff Hypotropie des rechten Auges auch festlegt, dass das rechte Auge schielt und das linke führt.
Merke
H ●
Typisierung einer Motilitätsstörung: ● monokulares Blickfeld ● Schielwinkel ○ Konkomitanz – Inkomitanz des Schielwinkels ○ Inkomitanz in verschiedenen Blickrichtungen ○ Inkomitanz in verschiedenen Blickentfernungen ○ Schielwinkelgröße bei Rechts- und Linksfixation Abschätzung der Folgen einer Motilitätsstörung: ● Fusionsblickfeld
Die wichtigsten Kriterien zur Typisierung einer Motilitätsstörung sind das monokulare Blickfeld und der Schielwinkel in verschiedenen Blickrichtungen. Das monokulare Blickfeld ist die Gesamtheit der durch maximale Exkursionen erreichbaren Blickrichtungen eines Auges, während unter dem binokularen Blickfeld der Blickbereich verstanden wird, in dem beide Augen gemeinsam foveolar fixieren können. Das Fusionsblickfeld ist der Blickbereich, in dem normales Binokularsehen durch Horizontal-. Vertikal- und Zyklofusion aufrechterhalten wird. Es wird nicht nur durch motorische, sondern auch durch sensorische Parameter begrenzt. Gutes Fusionsvermögen kann einen motorischen Defekt verdecken. Das Fusionsblickfeld dient vor allem der (z. B. gutachterlichen) Quantifizierung der Folgen einer Motilitätsstörung.
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des Augenwachstums oder auch unregelmäßige Verschiebungen der Netzhaut bei altersbedingter Makuladegeneration, die als Metamorphopsien imponieren [32]. Ist die Fusion nicht in der Lage, normales Binokularsehen aufrechtzuerhalten, besteht eine Heterotropie. Diese manifeste Störung des Binokularsehens ist entweder konkomitierend oder inkomitierend. Obwohl nur sehr selten in allen Blickrichtungen und Blickentfernungen dieselbe Kombination aus Horizontal-, Vertikal- und Zyklodeviation vorliegt, hat sich der Begriff Strabismus concomitans (sog. Begleitschielen) für alle Motilitätsstörungen eingebürgert, bei denen jedes Auge über eine normale Beweglichkeit verfügt. Strabismus incomitans (paretisches Schielen, Lähmungsschielen) liegt vor, wenn die Augenbeweglichkeit eingeschränkt ist. Die Richtung einer Schielabweichung wird bezeichnet durch die Praefixe eso- (innen), exo- (außen), hyper(über) oder hypo- (unter). Wenn unter binokularen Bedingungen keine Abweichung besteht, die relative Ruhelage aber von der normalen Stellung abweicht, wird dieser Zustand durch das Suffix -phorie gekennzeichnet. Das Suffix -tropie bedeutet, dass die Abweichung auch durch Fusion nicht normalisiert werden kann [33]. Wenn sich ein Auge nach Unterbrechung der Fusion um die Sehachse dreht, liegt eine Zyklophorie vor, eine Inzyklophorie, wenn der obere Teil des vertikalen Augenmeridians zur Nase, eine Exzyklophorie, wenn er nach außen geneigt wird. Kann diese Augenstellung nicht fusioniert werden, handelt es sich um eine Exzyklotropie oder Inzyklotropie [1] (▶ Tab. 2.1) [6], [7], [33].
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Ein Schielwinkel ist eine Bilanzgröße, die sich aus der Zugkraft mehrerer Muskeln ergibt. Überfunktion eines Augenmuskels bedeutet nicht, dass dieser Muskel mehr Kraft entfaltet als ein normaler Muskel, sondern dass er im Verhältnis zu seinen Antagonisten überwiegt. Auch der Begriff Unterfunktion beschreibt keine absolute Kraftminderung, sondern eine relative Unterlegenheit im Vergleich mit den Antagonisten.
Der Schielwinkel allein sagt wenig über die Funktion eines einzelnen Augenmuskels. So kann ein konvergenter Schielwinkel entstehen durch Lähmung des M. rectus lateralis, aber auch durch überschießende Kontraktion des M. rectus medialis. Möglich ist auch, dass alle horizontalen Augenmuskeln gelähmt sind und die Lähmung eines M. rectus medialis nicht vollständig ist. Alle Schielformen weisen gemeinsame mechanische Charakteristika auf: 1. Der Schielwinkel wird bestimmt durch die relative Zugkraft mehrerer Muskeln in der jeweiligen Blickrichtung. Da die Horizontalmotoren nahezu ausschließlich horizontale Augenbewegungen bewirken, wird eine Motilitätsstörung dieser Muskeln meist nur als Horizontaldeviation auffällig werden (siehe aber Retraktionssyndrom – Kap. Retraktionssyndrom (Stilling-Türk-Duane)). Demgegenüber weisen die schrägen Augenmuskeln in verschiedenen Blickrichtungen unterschiedliche Funktionen auf. Bei einer Motilitätsstörung dieser Muskeln wird die Vertikaldeviation umso größer sein, je mehr das Auge adduziert ist. Die Zyklodeviation ist dagegen in Abduktion deutlicher. Vertikaldeviation und Zyklodeviation werden also wesentlich vom Ausmaß einer gleichzeitigen Horizontaldeviation beeinflusst. 2. Der horizontale Schielwinkel ergibt sich bei beidseits gleichartigen Störungen aus der Summe der Unterfunktionen an beiden Augen. Die Horizontaldeviation ist bei einer beidseitigen Abduzensparese größer als bei einer einseitigen. Für Zyklodeviationen gilt dasselbe: Bei einer beidseitigen Trochlearisparese ist die Exzyklodeviation größer als bei einer einseitigen. Dagegen ist die Vertikaldeviation kleiner, weil diese sich aus der Differenz der rechts- und linksseitigen Überund Unterfunktion ergibt. Die Vertikaldeviation kann deshalb bei einer beidseitigen Trochlearisparese oder bei einer beidseitigen Entspannungsminderung der Mm. recti inferiores bei endokriner Orbitopathie sehr gering sein. 3. Bei jedem Strabismus ist das monokulare Blickfeld des schielenden Auges verschoben. Bei einer rechtsseitigen Esotropie wird der rechte M. rectus medialis im Linksblick häufig außerhalb seiner Abrollstrecke arbeiten
oder das Auge den linken Rand des monokularen Blickfelds erreichen. Folge ist eine Verkleinerung des Schielwinkels bei Linksblick. In dieser Blickrichtung kann bei großen Schielwinkeln sogar eine Bewegung des linken Auges beobachtet werden ohne Mitbewegung des rechten Auges, weil das rechte in maximaler Adduktion verharrt. Allgemein gilt, dass bei großen Schielwinkeln der Schielwinkel abnimmt, wenn ein Auge den Rand des monokularen Blickfelds erreicht hat und das andere weiter in dieser Blickrichtung bewegt wird.
Merke
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1. Bei einer M.-obliquus-Störung ist die Größe des Vertikalschielwinkels von der Größe des Horizontalschielwinkels abhängig. Bei gleichzeitiger Horizontaldeviation ist die Vertikaldeviation einer M.-obliquus-Störung in Primärstellung diagnostisch unbrauchbar. 2. Bei beidseitigen Motilitätsstörungen entstehen Horizontaldeviation und Zyklodeviation als Summe, die Vertikaldeviation aber als Differenz der einseitigen Abweichungen. 3. In extremen Blickrichtungen ist der Schielwinkel kleiner als im Geradeausblick.
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Merke
2.1 Augenbewegungsstörungen
Allen diesen Störungen, in denen die Stellung der Sehachsen zueinander fehlerhaft ist (Strabismus), stehen Störungen der Augenbewegung gegenüber, bei denen eine normale Stellung der Augen zueinander besteht. Zu dieser Gruppe gehören die Blicklähmungen (siehe Kap. 4) und einzelne Formen des Nystagmus.
2.1.2 Strabismus concomitans (sog. Begleitschielen, nichtparetisches Schielen) Der Strabismus concomitans (sog. Begleitschielen, nichtparetisches Schielen) ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Augenmuskeln über eine unverminderte Zugkraft und auch das schielende Auge über eine normale Exkursionsfähigkeit verfügen [12]. Das monokulare Blickfeld beider Augen ist in der Regel nicht eingeschränkt. Das Gleichgewicht zwischen Agonist und Antagonist hält aber nicht die Parallelstellung, sondern eine Schielstellung aufrecht. Es besteht ein Schielwinkel, dessen Größe sich in verschiedenen Blickrichtungen nicht oder nur wenig ändert. Das schielende Auge „begleitet“ das führende Auge. Darüber hinaus ist der Schielwinkel nicht davon abhängig, welches Auge führt.
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Merke
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Strabismus concomitans (sog. Begleitschielen): ● Konstanz des Schielwinkels in Zugrichtung eines Muskels und in der Gegenrichtung ● Identität zwischen primärem und sekundärem Schielwinkel ● normale Augenbeweglichkeit, monokulares Blickfeld nicht eingeschränkt
Beim konkomitierenden Horizontalschielen zeigt der Schielwinkel im gesamten Gebrauchsblickfeld keine wesentlichen Abweichungen, weil das betroffene Augenmuskelpaar im gesamten Blickbereich die gleiche Funktion hat. Beim Horizontalschielen sind die Begriffe Begleitschielen oder Strabismus concomitans offenkundig gerechtfertigt. Der konkomitierende Charakter wird lediglich beeinträchtigt durch die oben genannten Schielwinkeländerungen am Rande des Blickfelds. Das konkomitierende Vertikalschielen bei einer nichtparetischen Störung der geraden Vertikalmotoren ist durch eine assoziierte Vertikaldeviation ohne wesentliche Zyklodeviation charakterisiert. Verwirrender ist das Erscheinungsbild einer nichtparetischen Störung der schrägen Augenmuskeln. In Adduktion besteht in der Regel eine große Vertikaldeviation mit geringer Zyklodeviation, in Abduktion eine geringe Vertikaldeviation mit größerer Zyklodeviation. Diese Schielformen zeigen ihren konkomitierenden Charakter dadurch, dass in Adduktion des geführten Auges die Vertikaldeviation sich bei Hebung und Senkung nicht oder nur wenig ändert. Zur Abgrenzung von den Paresen der schrägen Augenmuskeln werden diese Schielformen als Strabismus sursoadductorius bzw. deorsoadductorius bezeichnet. Diese Termini kennzeichnen nur ein bestimmtes Motilitätsverhalten und enthalten keinen Hinweis auf die Ätiologie der Störung.
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Bei den schrägen Augenmuskeln gelingt die Unterscheidung einer konkomitierenden Störung von einer inkomitierenden Störung am besten durch Vergleich der Vertikalschielwinkel in Aufblick und Abblick bei Adduktion des betroffenen Auges.
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Unter den konkomitanten Störungen der schrägen Augenmuskeln sind die häufigsten dekompensierende M.-obliquus-Störungen (Fälle mit Binokularsehen, die mangels hinreichender Fusion dekompensieren und deren Ursache oft eine angeborene Hypoplasie/Aplasie des N. trochlearis oder des M. obliquus superior bzw. seiner Sehne ist) und M.-obliquus-Störungen als Begleitsymptom eines Horizontalschielens (z. B. Strabismus sursoadductorius beim frühkindlichen Innenschielen), deren Ursache ungeklärt ist (siehe Kap. 2.3). Basiswinkel eines Strabismus concomitans ist der Winkel, der bei Dissoziation des Binokularsehens (z. B. durch den alternierenden Abdecktest) gemessen wird. Der Terminus wird vor allem benutzt zur Beschreibung des Horizontalwinkels, der bei Vollkorrektion unter Dissoziation bei Blick in die Ferne gemessen wird. Diesem Basiswinkel ist überlagert eine Abhängigkeit des Schielwinkels von der Blickrichtung (z. B. Strabismus sursoadductorius), der Blickentfernung bzw. der Akkommodation (z. B. Konvergenzexzess) oder der Zeit. Änderungen der Stellungsabweichung bei unterschiedlichen Blickentfernungen (bzw. Akkommodationsanforderungen) werden mit den Begriffen Vergenzexzess und Vergenzinsuffizienz beschrieben. Zum zyklischen Schielen gehören Schielformen, die in einem bestimmten Rhythmus (alternate day squint) auftreten. Strabismus intermittens bezeichnet eine zeitweise auftretende Heterotropie mit typischen sensorischen Kompensationsmechanismen, während eine typische dekompensierende Phorie während der Dekompensation mit Diplopie einhergeht. Der kleinste Winkel bezeichnet die kleinste jemals sichtbare Abweichung. Sie wird ohne Dissoziation bestimmt (z. B. mit Hornhautreflexen oder dem einseitigen Abdecktest). Schwankender (variabler) Schielwinkel [17] beschreibt die Eigenart mancher Fälle, auch bei gleichen Untersuchungsbedingungen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Schielwinkel aufzuweisen. Schielwinkelschwankungen sind meist einem Basiswinkel aufgesetzt und werden hervorgerufen durch eine entsprechende Schwankung der Innervation. Basiswinkel und Schielwinkelschwankung ergeben zusammen den größten Winkel. Der Begriff des statischen Winkels ist nicht eindeutig. Er wird benutzt als Synonym des Basiswinkels oder zur Beschreibung des Anteils eines Schielwinkels, der keiner zeitlichen Schwankung unterliegt. Die Begriffe periodisches und dynamisches Schielen bezeichnen unterschiedliche Krankheitsbilder [12], [34], sind nicht eindeutig und sollten nicht mehr benutzt werden.
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Störungen
2.1 Augenbewegungsstörungen
Paretisches Schielen ist gleichbedeutend mit der Funktionsminderung eines oder mehrerer Augenmuskeln. Auffälligste motorische Folge dieses Kraftverlusts ist die Einschränkung des monokularen Blickfelds. Bei der frischen Paralyse eines geraden Augenmuskels wird die Exkursion über die Primärposition hinaus unmöglich sein. Weitere Folge des Funktionsverlusts ist ein Schielwinkel, der in Zugrichtung des paretischen Muskels zunimmt und in Zugrichtung des Antagonisten abnimmt oder verschwindet. Typisch für das Verhalten bei einer Augenmuskelparese ist auch die Differenz zwischen primärem und sekundärem Schielwinkel (siehe Kap. 4.2), der bei paretischen Horizontal- und Vertikaldeviationen deutlich wird [1], bei Zyklodeviationen aber fehlen soll [2]. Oft finden sich auch folgende Kennzeichen: ● Störung der egozentrischen Lokalisation ● typische Doppelbilder ● Kopfzwangshaltung Dieser paretische Strabismus kann verursacht sein durch eine neurogene Parese und wird dann als Trochlearisparese, Okulomotoriusparese oder Abduzensparese nach dem geschädigten Augenmuskelnerv benannt. Ist die ursächliche Lähmung vollständig, handelt es sich um eine Paralyse. Strabismus incomitans kann auch verursacht sein durch mechanisch bedingte Motilitätsstörungen, beispielsweise durch primäre Erkrankungen des Augenmuskels (myogene Parese) oder der Sehne oder durch eine Orbitafraktur (siehe Kap. 4.1).
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Strabismus incomitans (paretisches Schielen, Lähmungsschielen): ● Vergrößerung des Schielwinkels in einer Blickrichtung und Abnahme in der Gegenrichtung ● Unterschied zwischen primärem und sekundärem Schielwinkel ● Einschränkung der Augenbeweglichkeit (des monokularen Blickfelds)
Bei Paresen der geraden Augenmuskeln ist die Einschränkung des monokularen Blickfelds immer deutlich; bei Paresen der schrägen Augenmuskeln kann die geringe Einschränkung des monokularen Blickfelds wegen des Überwiegens der geraden Vertikalmotoren bei Elevation und Depression übersehen werden.
Der Schielwinkel beim paretischen Schielen ist abhängig vom Ausmaß des Funktionsdefizits in der jeweiligen Blickrichtung, entspricht also einer Negativkopie der Muskelkraft in dieser Blickrichtung. Bei der Paralyse eines Muskels wird die Spannung seines Antagonisten den Bulbus so weit drehen, bis die elastischen Rückstellkräfte mit dieser Spannung ein neues Gleichgewicht bilden. Bei einer frischen Augenmuskelparese entsteht im Geradeausblick ein Schielwinkel von etwa 10° [28]. Der Schielwinkel nimmt in Zugrichtung des gelähmten Muskels auf bis zu 50° zu und verschwindet in der Gegenrichtung. Der Schielwinkel wird wegen der Sekundärveränderungen des passiven Bindegewebes über Monate zunehmen.
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Bei beidseitigen Augenmuskelparesen entstehen Horizontaldeviation und Zyklodeviation als Summe, die Vertikaldeviation aber als Differenz der einseitigen Bewegungsdefizite. Eine beidseitige Abduzensparese weist einen wesentlich größeren Schielwinkel auf als eine einseitige. Dagegen zeigt die einseitige Trochlearisparese eine größere Vertikaldeviation als die beidseitige. Typisch für die beidseitige Trochlearisparese sind die große Exzyklotropie, das deutliche V-Symptom und die geringere Vertikaldeviation.
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2.1.3 Strabismus incomitans (paretisches Schielen, Lähmungsschielen)
Das eingeschränkte monokulare Blickfeld und das typische Schielwinkelverhalten bewirken typische Kopfzwangshaltungen, die die mangelnde Exkursionsfähigkeit ersetzen (▶ Abb. 2.1) oder Diplopie vermeiden, d. h. binokulares Einfachsehen erhalten sollen.
Merke
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Bei einer Kopfzwangshaltung wird der Kopf in die Richtung bewegt, in die der paretische Muskel das Auge bewegen soll. (Die Kopfbewegung ersetzt die mangelnde Augenbewegung.)
Bestehen gleichzeitig Horizontal-, Vertikal- und Zyklodeviationen, vermeidet die Kopfzwangshaltung vor allem die Winkelkomponente, die am schlechtesten fusioniert werden kann. Bei einer rechtsseitigen Trochlearisparese imponiert also vor allem die typische Kopfneigung nach links.
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Störungen
Abb. 2.1 Kopfzwangshaltung zur Fixationsaufnahme. Die Patientin (mit beidseitiger Abduzensparese) kann ohne Kopfdrehung weder mit dem rechten noch mit dem linken Auge den Geradeausblick aufnehmen. Binokularsehen ist in keiner Blickrichtung möglich. Hier gestattet nur eine erhebliche Kopfdrehung die Fixationsaufnahme wenigstens eines Auges, während das andere umso mehr von der normalen Stellung abweicht.
2.1.4 Pathologische Augenbewegungen
▶ Sekundärfolgen pathologischer Augenbewegungen. Adduktion ohne gleichzeitige Entspannung des M. rectus lateralis ist möglich, wenn der Bulbus sich nicht um seinen Drehpunkt dreht, sondern am entspannungsunfähigen M. rectus lateralis entlang nach hinten gerollt wird. Dabei nähert sich das Auge den Muskelursprüngen. Diese Bulbusretraktion mit Lidspaltenverengung ist eine typische Folge aller Erkrankungen mit Verlust der Entspannungsfähigkeit eines geraden Augenmuskels (▶ Abb. 2.2). Die bei analogen Störungen der schrägen Augenmuskeln zu erwartende Protrusio bulbi ist selten auffällig. Die Zugkraft des Augenmuskels, die hierbei 80 g [28] erreichen kann, bewirkt eine Augeninnendruckerhöhung. Andererseits kann die Kontraktion des M. rectus medialis sogar bei totaler Starre oder Kokontraktion des Antagonisten eine Bulbusdrehung um den Drehpunkt bewirken, wenn das Resultat dieser Kontraktion eine Vertikaldeviation ist [19], [23], [29]. Weil die Insertionen beider Horizontalmotoren vor dem Äquator liegen, führt jede Hebung oder Senkung des Bulbus zu einer Verkür-
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b
a
a=b
a
a
a >> b
b
Abb. 2.2 Bulbusretraktion bei mangelnder Entspannung des Antagonisten. a Bei einer normalen Augenbewegung verkürzt sich der Agonist in dem Maß, um das der Antagonist verlängert wird. Die Lage des Augendrehpunkts bleibt unverändert. b Wenn diese entsprechende Verlängerung nicht eintritt, ist eine Verkürzung des Agonisten möglich, sofern das Auge nicht um seinen Drehpunkt dreht, sondern insgesamt zu den Muskelursprüngen hin bewegt wird. Diese Retraktion wird deutlicher sein, wenn sogar eine Verkürzung des Antagonisten eintritt (Koinnervationssyndrome).
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Normalerweise ist jede Kontraktion eines Augenmuskels mit der Erschlaffung seines Antagonisten verbunden. Bestimmte Krankheitsbilder sind aber dadurch charakterisiert, dass die Minderung der Entspannungsfähigkeit Ursache der Motilitätsstörung ist. Bei den Koinnervationssyndromen (siehe Kap. 4.2) und bei Bindegewebsoder Muskeleinklemmung durch eine Orbitafraktur oder bei einigen Muskelerkrankungen (siehe Kap. 4.1) ist primär die physiologische Entspannung eines Muskels gestört. Wenn beim Versuch der Adduktion der M. rectus lateralis nicht nachgibt, bewirkt die Innervation des M. rectus medialis entweder keine Adduktion oder gleichzeitig mit dieser eine pathologische Augenbewegung.
2.1 Augenbewegungsstörungen
2
Abb. 2.3 Patientin mit rechtsseitigem, divergentem Retraktionssyndrom. Zu beachten ist die Vertikaldeviation des betroffenen Auges (Hypotropie beim Adduktionsversuch unterhalb der Horizontalen und Hypertropie beim Adduktionsversuch oberhalb der Horizontalen, jeweils mit roten Linien markiert).
S1
Abb. 2.4 Vertikaldeviation bei mangelnder Entspannung des Antagonisten. Wenn bei der Kontraktion eines geraden Augenmuskels die entsprechende Entspannung des Antagonisten nicht eintritt, ist eine Verkürzung des Agonisten auch dann möglich, wenn der Bulbus nach oben oder unten ausweicht. Verlauf der Augenmuskeln in Primärposition (gestrichelte Linie), nach Elevation bei intakter Intermuskularmembran und normal funktionierenden Pulleys (gepunktete Linie) und nach Elevation bei pathologisch gedehnter Intermuskularmembran (fette Linie).
satz nimmt. Durch die Verlagerung wird die Abduktion vermindert und die Senkung verstärkt. Besteht die Störung nur einseitig, resultiert eine Eso-Hypotropie, besteht sie beidseitig, kann eine reine Esotropie entstehen, weil die Hebungsdefizite sich aufheben (sog. Strabismus fixus bei hoher Myopie). Frühkindlicher Strabismus convergens mit großem Schielwinkel zeigt manchmal eine auffällige Einschränkung der Abduktionsfähigkeit beider Augen. Diese Patienten benutzen beim Blick nach rechts nur das linke, beim Blick nach links nur das rechte Auge (Kreuzfixation – gekreuzte Fixation – crossed fixation). Der gesamte Blickbereich wird überdeckt durch zwei jeweils monokulare Blickfelder, die sich kaum überschneiden. In diesem Stadium ähnelt die Erkrankung einer Abduzensparese. Die Untersuchung und der weitere Verlauf der Erkrankung (spontane oder durch Okklusionsbehandlung unterstützte Vergrößerung des monokularen Blickfelds beider Augen) erlauben in der Regel den Ausschluss einer Parese.
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Literatur
zung der Distanz zwischen Ursprung und Insertion der Horizontalmotoren (▶ Abb. 2.3, ▶ Abb. 2.4). Diese Vertikaldeviation ist ein häufiges Symptom der Kokontraktionssyndrome und wird begleitet von Sekundärveränderungen des Bandapparats (Hemmbänder, Tenon-Kapsel, Intermuskularmembran). Strabismus kann auch Folge der Verlagerung eines Augenmuskels sein. Die Eso-Hypotropie (selten Exo-Hypotropie) bei hoher Myopie geht mit einer kaudalen Verlagerung des M. rectus lateralis einher, der – einer Bulbusektasie ausweichend – im lateral-unteren Quadranten den kürzesten Weg zwischen Ursprung und An-
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Die strabologische Terminologie hat sich seit dem 19, Jahrhundert entwickelt und ist ohne die Kenntnis klassischer Literatur kaum verständlich. Deshalb enthält die Literaturauflistung auch Publikationen, die die Entwicklung der Terminologie beeinflusst haben, ohne im Text diskutiert zu werden.
2.2 Heterophorie und Asthenopie G. Kommerell, W. Rüssmann Hermann Mühlendyck danken wir für viele gute Ideen und anregende freundschaftliche Diskussionen über viele Jahre.
2.2.1 Einleitung Ist es nicht erstaunlich, dass die meisten Menschen ihre Augen gemeinsam benutzen können und nicht schielen? Man bedenke: Die Augen müssen genau auf die richtige Entfernung konvergieren, auch bei Rechts-, Links-, Aufund Abblick. Dass das Gehirn diese Aufgabe bewältigen kann, verdankt es dem Fusionsregelkreis. Wenn die Augen von der zur Sehentfernung passenden Vergenzstellung abweichen, „bemerkt“ das Gehirn die Disparität: Die Bilder beider Augen liegen nicht mehr auf korrespondierenden Netzhautstellen. Daraufhin sendet das Gehirn so lange Korrekturbefehle an die Augenmuskeln, bis die Vergenzstellung zur Sehentfernung passt. In diesem Fusionsregelkreis fungiert die Disparität als Fehlersignal, das Gehirn als Regler und die Augenmuskeln sind die Stellglieder. In einem Selbstversuch kann man sich vom Funktionieren des Fusionsregelkreises überzeugen, indem man durch ein Prisma (am besten mit Basis außen) schaut. Die zunächst wahrgenommenen Doppelbilder werden durch eine Korrekturbewegung der Augen prompt zusammengeführt. Wird ein Auge verdeckt, ist es nicht mehr nötig, die Augen der Entfernung entsprechend genau auszurichten. Der Fusionsregelkreis funktioniert dann nicht mehr, da ihm das Fehlersignal der Disparität vorenthalten wird. Die Folge ist, dass sich die Vergenzstellung bei vielen Menschen ein wenig ändert. Die resultierende Abweichung von der Idealstellung (Orthostellung) wird als verborgenes Schielen, latentes Schielen oder Heterophorie bezeichnet. Bei den meisten Menschen ist die Heterophorie kleiner als 3°. Dies liegt daran, dass die Vergenzstellung beim natürlichen Sehen dauernd nachgeeicht wird. Nach einer Unterbrechung des Fusionsregelkreises „erinnert“ sich das Gehirn noch eine Zeit lang an die Innervation, die es an die Augenmuskeln während des natürlichen Sehens ausgesandt hat.
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2.2 Heterophorie, Asthenopie Auch diesen Eichvorgang kann man in einem Selbstversuch studieren. Man trägt ein Prisma für etwa 5 Minuten (das Prisma sollte nicht zu stark sein, so dass man noch fusionieren kann und nicht doppelt sieht). Misst man die Heterophorie vor und nach dem Tragen des Prismas, wird man feststellen, dass sich die Heterophorie der durch das Prisma aufgezwungenen Augenstellung weitgehend angepasst hat. Bei einigen Menschen funktioniert diese Eichung nicht gut. Die Folge ist, dass die Heterophorie große Werte annehmen kann. Manche Menschen strengt es an, ihre Heterophorie, ob klein oder groß, durch Fusion zu überwinden. In diesen Fällen ist eine Behandlung angezeigt.
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2 b
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2.2.2 Typischer Befund
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Die untersuchte Person hat beidseits eine Sehschärfe von 1,25 und eine Exophorie (latentes Außenschielen, häufigste Heterophorieform). Sie fixiert mit gerade gehaltenem Kopf bei Blick geradeaus ein kleines Fixierobjekt (Sehzeichen entsprechend der Sehschärfe 0,8) in 5 m Entfernung (▶ Abb. 2.5a). Zunächst prüft man das linke Auge auf manifestes Schielen mit dem einseitigen Abdecktest: Das rechte Auge wird abgedeckt, das linke wird beobachtet. Das linke Auge bewegt sich nicht. Es liegt kein manifestes Schielen des linken Auges vor (▶ Abb. 2.5b). Nun folgt der Aufdecktest rechts: Beide Augen werden beobachtet. Das rechte Auge wird freigegeben. Es macht eine langsame Bewegung von außen nach innen (Fusionsbewegung), weil es hinter der Abdeckscheibe nach außen abgewichen war. Das linke Auge bleibt unbewegt (▶ Abb. 2.5b, c). Dann untersucht man das rechte Auge auf manifestes Schielen: Das linke Auge wird abgedeckt, das rechte wird beobachtet. Das rechte Auge bewegt sich nicht. Es liegt kein manifestes Schielen des rechten Auges vor (▶ Abb. 2.5d). Es folgt der Aufdecktest links: Beide Augen werden beobachtet. Das linke Auge wird freigegeben. Es macht eine langsame Bewegung von außen nach innen (Fusionsbewegung), weil es hinter der Abdeckscheibe nach außen abgewichen war. Das rechte Auge bleibt unbewegt (▶ Abb. 2.5d, e). Verwendet man eine Abdeckscheibe aus Mattglas (wie in ▶ Abb. 2.5 angedeutet), kann man die Stellung des abgedeckten Auges unmittelbar beobachten. Bei dem beschriebenen Befund diagnostiziert man eine Exophorie, wenn man sicher ist, dass ● die Vertikalmeridiane (12-Uhr-Meridiane) beider Augen parallel stehen, dass also keine Zyklodeviation vorliegt, ● beide Augen foveolar fixieren, ● keine intermittierende Form des manifesten Außenschielens vorliegt und ● eine Augenmuskellähmung ausgeschlossen ist.
Abb. 2.5 Typischer Befund bei Exophorie. Erläuterungen im Text. a Beide Augen sind auf das geforderte Blickziel ausgerichtet: Keine Schielabweichung b Nach Verdecken des rechten Auges weicht dieses in eine divergente Position ab, das linke Auge fixiert weiter das geforderte Blickziel c Nach Freigabe des rechten Auges kehrt dieses auf das geforderte Blickziel zurück d Nach Verdecken des linken Auges weicht dieses in eine divergente Position ab e Nach Freigabe des linken Auges kehrt dieses auf das geforderte Blickziel zurück
Bei der hier gegebenen Sehschärfe (1,25 beidseitig) kann foveolares Fixieren unterstellt werden. Ist dies nicht der Fall, bedarf es weiterer Untersuchungen.
2.2.3 Begriffe und Häufigkeit Der Winkel zwischen den Fixierlinien beider Augen wird als Vergenzstellung bezeichnet, der Winkel zwischen den Vertikalmeridianen als Zyklovergenzstellung. Wenn sich die Fixierlinien beider Augen im angeblickten Objektpunkt schneiden und ihre Vertikalmeridiane zueinander parallel sind, dann liegt Orthostellung (Orthovergenz) vor. Besteht eine Differenz zwischen der Orthostellung und der bei Öffnung des fusionalen Regelkreises gefundenen Vergenzstellung, so spricht man von Heterophorie.
113
Störungen Seit Ogle (1967) [16] unterscheidet man zwischen der dissoziierten und der assoziierten Heterophorie.
▶ Assoziierte Heterophorie. Fixationsdisparität weist auf eine assoziierte Heterophorie hin. Wie groß eine assoziierte Heterophorie ist, zeigt sich nicht an der Größe der Fixationsdisparität, sondern an der Stärke des Prismas, das zum Verschwinden der Fixationsdisparität benötigt wird (siehe Kap. Messung der Fixationsdisparität, ▶ Abb. 2.8a–c). Statt Heterophorie sind auch die Begriffe latentes Schielen und latenter Strabismus gebräuchlich. Besteht keine Heterophorie, spricht man von Orthophorie.
Orthophorie ist – insbesondere bei Blick in die Nähe – mehr Ideal- als Normalzustand. Statistische Untersuchungen (Tait, 1951 [22]) haben ergeben, dass Heterophorien bei 70–80 % der Bevölkerung vorkommen. Heterophorie führt nur selten zu Beschwerden [8].
2.2.4 Klassifikation Heterophorien können nach folgenden Kriterien eingeteilt werden (▶ Tab. 2.2): ● Richtung der Abweichung ● Abhängigkeit von der Blickrichtung ● Abhängigkeit von der Sehentfernung
2.2.5 Ätiologie und Pathophysiologie Die Ursache der Heterophorie ist weitgehend unklar. Diskutiert wurden mechanisch-anatomische, akkommodative und neurogene Faktoren. Mechanisch-anatomische Momente scheinen von untergeordneter Bedeutung zu sein. Es ist nämlich bekannt, dass weder starke Verdrängungen des Auges, z. B. durch
Tab. 2.2 Klassifikation der Heterophorien nach verschiedenen Gesichtspunkten. Heterophorien
Kennzeichen
Einteilung nach der Richtung der Abweichung Horizontalphorie Esophorie
nach innen
Exophorie
nach außen
Vertikalphorie Positive Vertikalphorie (+ VD) (Hyperphorie rechts = Hypophorie links)
rechtes Auge höher als linkes
Negative Vertikalphorie (–VD) (Hyperphorie links = Hypophorie rechts)
linkes Auge höher als rechtes
ZyklophorieVertikalmeridiane in A- oder V-Stellung Inzyklophorie
in A-Stellung
Exzyklophorie
in V-Stellung
Einteilung nach der Änderung der Abweichung mit der Blickrichtung Heterophorie
keine Änderung der Blickrichtung (konkomitierend)
Anisophorie (latente Parese, unterschiedliche prismatische Wirkung seitenverschiedener Brillengläser)
Änderung der Blickrichtung (inkomitierend)
Einteilung nach der Differenz der Abweichungen für Ferne und Nähe
114
H ●
Esophorie mit Divergenzinsuffizienz
größere Abweichung bei Fernblick nach innen
Exophorie mit Divergenzexzess
größere Abweichung bei Fernblick nach außen
Esophorie mit Konvergenzexzess
größere Abweichung bei Nahblick nach innen
Exophorie mit Konvergenzschwäche
größere Abweichung bei Nahblick nach außen
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▶ Dissoziierte Heterophorie. Bei der Messung werden die Augen sensorisch dissoziiert, indem man völlig unterschiedliche Bilder anbietet, z. B. dem linken Auge ein kleines Sehzeichen und dem rechten Auge die homogene Fläche eines Okkluders oder einen Lichtpunkt durch ein Dunkelrotglas. Besteht eine Differenz zwischen der Orthostellung und der bei Aufhebung der Fusion gefundenen Vergenzstellung, so spricht man von dissoziierter Heterophorie (nicht zu verwechseln mit dissoziiertem Schielen, bei dem nicht der Sehreiz, sondern die Motorik der beiden Augen dissoziiert ist).
Merke
2.2 Heterophorie, Asthenopie
abc
Akkommodationssteuerung Gläser
−
+ a a b b c c SFZ
Bild scharf
Annäherung + disparate Prisma − Abbildung
ein Bild
Vergenzsteuerung
3,4,6 MFZ a
Unschärfe
2
b
eine Mukozele der Stirnhöhle, noch ausgedehnte Eingriffe an den äußeren Augenmuskeln oder ihren Hüllen (z. B. Kestenbaum-Operation, Plombenaufnähung oder Cerclage wegen Netzhautablösung) eine Heterophorie induzieren. Offenbar kann der Grundtonus der äußeren Augenmuskeln so angepasst werden, dass keine Heterophorie entsteht. Vieles spricht dafür, dass Heterophorie eine ungenügende Anpassungsfähigkeit des sensomotorischen Regelsystems anzeigt (▶ Abb. 2.6a, b).
2.2.6 Heterophorie und Fixationsdisparität Schon Hofmann und Bielschowsky (1900) haben vermutet, dass die motorische Fusion hinter der Verschiebung haploskopischer Objekte zurückbleibt. Ogle hat dieses Phänomen als Fixation Disparity = Fixationsdisparität bezeichnet [16].
Messung der Fixationsdisparität Bei der Fixationsdisparität ist die Vergenzfehlstellung so klein, dass sie beim einseitigen Abdecktest nur mithilfe aufwendiger Registriertechnik beobachtet werden kann. Als gangbaren Weg für die Praxis haben Ogle et al. [16]
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Abb. 2.6 Neurovisuelles Regelsystem. a Fusionsregelkreis. Gegenstände auf dem Horopter (abc) werden am Augenhintergrund auf korrespondierenden Netzhautstellen abgebildet. Die Bildinformation gelangt über die Sehbahn in das „Sensorische Fusionszentrum“ (SFZ). Dort werden die bei Vergenzfehlern auftretenden Bildunterschiede (Bilddisparitäten) ermittelt und dem „motorischen Fusionszentrum“ (MFZ) mitgeteilt. Das MFZ generiert Korrekturimpulse über die Augenmuskelkerne und -nerven (3, 4, 6 = oculomotorius, trochlearis und abducens) an die Augenmuskeln, die eine fusionale Vergenzbewegung auslösen. Dadurch wird die Bilddisparität beseitigt. b Akkommodations- und Fusionsregelung. Bildunschärfe bei Übersichtigkeit, Objektannäherung oder Vorsatz eines Minusglases aktivieren die Akkommodation (oberer Bildteil), bis das Bild scharf ist. Parallel zur Akkommodation wird die Konvergenz aktiviert (unterer Bildteil). Objektentfernung oder Vorsatz eines Plusglases bewirken eine entgegengesetzte Reaktion mit Abnahme von Akkommodation und Konvergenz. Disparate Abbildung (Diplopie) bei Prismenvorsatz oder Fehlstellung der Augen (unterer Bildteil) aktivieren das Vergenzsystem zu einer Fusionsbewegung (fusionale Konvergenz oder Divergenz).
eine Messmethode vorgeschlagen, bei der abgefragt wird, wie der Untersuchte eine bestimmte Testfigur wahrnimmt (▶ Abb. 2.7a, b). Bei orthophoren Versuchspersonen kann eine Fixationsdisparität mit Prismen induziert werden: ● Prismen Basis außen führt zu Exodisparität. ● Prismen Basis innen führt zu Esodisparität. Mit vertikaler Ausrichtung der Prismenbasis lassen sich Hyper- bzw. Hypodisparitäten hervorrufen. Wird die Prismenbelastung auf der Abszisse (nach rechts Basis außen, nach links Basis innen), die Fixationsdisparität auf der Ordinate (nach oben Esodisparität, nach unten Exodisparität) in ein Diagramm eingetragen, erhält man eine Fixationsdisparitätskurve (▶ Abb. 2.8a–c). Die Abbrüche der Fixationsdisparitätskurve zeigen an, dass die Prismenbelastung zu Diplopie des binokular dargebotenen Hintergrundbilds oder zu Exklusion eines Noniusstrichs geführt hat. Die horizontale Ausdehnung (Länge) der Kurve entspricht der motorischen Fusionsbreite, die vertikale Ausdehnung (Höhe) der Kurve der Fähigkeit, Bildunterschiede im Binokularsehen ohne Diplopie oder Exklusion zu verarbeiten.
115
Störungen
Bedeutung der Fixationsdisparität R
R
L
L
subjektiv
objektiv
R L
a R L subjektiv
R L objektiv L
R
Heterophorie und AkkommodationsKonvergenz-Kopplung Die Kopplung von Akkommodation und Konvergenz äußert sich so (▶ Abb. 2.6b): Akkommodation, ausgelöst durch Objektannäherung oder durch Vorsatz von Gläsern mit negativem Brechwert, bewirkt eine Zunahme der akkommodativen Konvergenz. Nachlassen der Akkommodation bei Objektentfernung oder Vorsatz von Gläsern mit positivem Brechwert bewirkt eine Abnahme der akkommodativen Konvergenz.
2.2.7 Asthenopische Beschwerden Bei Diagnostik und Therapie der Heterophorie sind zu bewerten: ● Beschwerden ● Allgemeinzustand ● Organbefund ● Refraktion ● Akkommodationsverhalten ● Abweichung von der Orthostellung bei Ausschluss der Fusion ● motorische und sensorische Fusion Patienten mit Heterophorie können über Missempfindungen klagen. Dabei kommen vor allem die folgenden Beschwerden in Betracht: ● allgemeines Unwohlsein ● rasche Ermüdbarkeit ● Kopfschmerzen ● gelegentliches Doppeltsehen ● Verschwommensehen
116
b Abb. 2.7 Messung der Fixationsdisparität. Die beiden Augen fixieren durch ein Haploskop einen jeweils monokular sichtbaren Noniusstrich auf einem binokular angebotenen Hintergrund (hier schematisch durch den rechteckigen Rahmen angedeutet). a Orthophore Personen schieben den oberen (nur dem rechten Auge sichtbaren) Noniusstrich so, dass er auch objektiv genau über dem unteren (nur dem linken Auge sichtbaren) Noniusstrich steht: Sie haben keine Fixationsdisparität. b Der Untersucher kann an der Versetzung zwischen oberem und unterem Noniusstrich die Richtung und das Ausmaß der Fixationsdisparität ablesen. Exophore zeigen meist eine ExoFixationsdisparität. Um zu erreichen, dass der obere Noniusstrich genau über dem unteren zu stehen scheint, schieben sie den oberen (nur dem rechten Auge sichtbaren) Noniusstrich so weit nach rechts, bis er sich in der Netzhautmitte des rechten Auges abbildet. Esophore zeigen meist eine Eso-Fixationsdisparität.
Solche Beschwerden sind allerdings nicht ohne Weiteres auf die Augen zu beziehen. Im Einzelfall kann man nie mit Sicherheit von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Beschwerden und Heterophorie ausgehen. Immer gilt es, Wahrscheinlichkeiten abzuwägen. Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein und rasche Ermüdbarkeit können auch durch viele nichtokuläre Krankheiten hervorgerufen werden. Auf eine ursächliche Rolle der Heterophorie weisen mangelnde Ausdauer bei Naharbeit oder beim Distanzwechsel sowie vor allem
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Die Fixationsdisparität, die an monokularen Markierungen (z. B. Noniusstrichen) wahrgenommen wird, entspricht nicht genau der unter natürlichen Sehbedingungen vorhandenen Fixationsdisparität. Der Grund ist, dass die Fusion durch Lücken im Hintergrundmuster gestört ist. Im Bereich der monokularen Markierungen sind Lücken unvermeidlich. Diese Lücken stören die Fusion selbst dann, wenn – wie bei dem in ▶ Abb. 2.11 dargestellten Mallett-Test – auch ein zentrales binokulares Fixierobjekt angeboten wird [5]. Trotz oder gerade wegen der Abweichung vom natürlichen Sehen zeigt eine mit monokularen Markierungen festgestellte Fixationsdisparität, dass die Vergenz dazu neigt, in eine bestimmte Richtung auszubrechen. Entsprechend weist Fixationsdisparität auf das Vorliegen einer Heterophorie hin. Ob die Fixationsdisparität klein oder groß ist (gemessen, wie in ▶ Abb. 2.7a, b dargestellt), spielt in der Praxis keine Rolle. Von Bedeutung ist allein, ob überhaupt eine Fixationsdisparität vorhanden ist und wie stark das Prisma sein muss, mit dem die Fixationsdisparität beseitigt werden kann. Die Stärke dieses Korrektionsprismas entspricht der Größe der assoziierten Heterophorie (▶ Abb. 2.8a–c).
2.2 Heterophorie, Asthenopie
–5
a
0 –5
0
5
10
15
20
cm/m 25 Basis außen
Exo-FD
assoziierte Exophorie cm/m Basis innen –10
–5
Eso-FD 10 Bogenminuten 5 0 –5
0
5
10
15
20
cm/m 25 Basis außen
20
cm/m 25 Basis außen
–10 Exo-FD
b
35
Bogenminuten 30 Eso-FD 25 20 15 assoziierte Esophorie
10 cm/m Basis innen –10 c
5 0 –5
0
–5 Exo-FD
5
10
15
Doppelbildwahrnehmung hin. Unscharfes Sehen bei strukturell normalen Augen lässt an eine (eventuell nicht altersbedingte) Akkommodationsstörung denken. Bei Schmerzen oder Brennen im Bereich der Augen und vermehrter Lichtempfindlichkeit muss weniger an Heterophorie als an Konjunktivitis, Iritis oder Glaukom gedacht werden.
Merke
H ●
Von hoher diagnostischer Bedeutung ist, zu welcher Zeit die Beschwerden auftreten und wann sie sich verschlimmern.
Charakteristisch für eine Fehlfunktion der Augen ist, wenn die Beschwerden im Lauf des Tages stärker werden, morgens beim Aufwachen aber noch nicht vorhanden sind. Ferner kann ein zeitlicher Zusammenhang mit Tätigkeiten, die genaues Sehen über lange Zeit erfordern, einen Hinweis auf eine Fehlfunktion der Augen bieten. Stets sind aber andere Erklärungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. So können z. B. Beschwerden, die an einem neuen Computerarbeitsplatz aufgetreten sind, damit zusammenhängen, dass die Aufgabe komplexer wurde oder dass sich Spannungen mit neuen Mitarbeitern ergeben haben.
Merke
Abb. 2.8 Fixationsdisparitätskurven. Die Fixationsdisparität (Ordinate in Bogenminuten, nach oben Eso-Fixationsdisparität = EsoFD), nach unten Exo-Fixationsdisparität = Exo-FD) wird gegen die Prismenbelastung aufgetragen (Abszisse in cm/m, nach rechts Basis außen, nach links Basis innen). [3], [16]. a Orthophore zeigen ohne Prismenvorsatz und bei geringen bis mittleren Prismenbelastungen keine oder wenig Fixationsdisparität). b Bei Exophoren findet sich häufig schon ohne Prismen eine Exo-Fixationsdisparität, in diesem Fall 2 Bogenminuten (ExoFD, grüner Pfeil von unten). Zu Null wird die Fixationsdisparität mit 5 cm/m Basis innen. Der Wert dieses „Nullstellungsprismas“ entspricht der assoziierten Exophorie (roter Pfeil von oben). c Esophore zeigen ohne Prismen oft eine Eso-Fixationsdisparität, in diesem Fall 14 Bogenminuten (Eso-FD, grüner Pfeil von oben). Zu Null wird die Fixationsdisparität mit 7 cm/m Basis außen (= assoziierte Esophorie, roter Pfeil von oben).
2
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cm/m Basis innen –10
Eso-FD 10 Bogenminuten 5
H ●
Von asthenopischen Beschwerden oder von Asthenopie spricht man, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit einer fehlerhaften Funktion der Augen wahrscheinlich ist. Beschwerden durch strukturelle Veränderungen der Augen fallen nicht unter den Begriff Asthenopie.
Oft wird im Nachhinein ein ursächlicher Zusammenhang angenommen, wenn sich die Beschwerden eines Patienten nach einer bestimmten Behandlung gebessert haben, z. B. nach dem Tragen einer neuen Brille mit oder ohne Prismen oder nach Sehübungen. Leider ist diese Beurteilung „ex juvantibus“ (= aufgrund einer Hilfe) nicht treffsicher. Zum einen können sich die Beschwerden allein durch eine verständnisvolle Anteilnahme und Zuwendung des Therapeuten gebessert haben. Zum anderen ist eine „Regression to the mean“ in Betracht zu ziehen. Darunter versteht man Folgendes: Bei vielen Patienten wechselt die Intensität der Beschwerden spontan. Zum Beispiel können Kopfschmerzen an manchen Tagen schlimm, an anderen Tagen kaum vorhanden sein. Ärztlichen Rat suchen die Patienten in der Regel zu einer Zeit, in der die Beschwerden stark sind. Nach der schlimmen Phase pendeln sich die Beschwerden allein durch den Spontanverlauf auf das mittlere Ausmaß ein, unabhängig davon, ob eine Behandlung erfolgte.
117
Störungen
118
Merke
H ●
Eine sorgfältige Anamnese erleichtert und verkürzt die Diagnostik: ● frühere Schielerkrankungen ● familiäre Häufung von Anisometropie, Amblyopie oder Schielerkrankung ● zeitlicher Zusammenhang mit Brillenwechsel
Wenn man dem Patienten zuhört und sich zunächst darauf beschränkt, durch gelegentliche nichtverbale Äußerungen („hmm“ oder Kopfnicken) Teilnahme zu signalisieren, wird man in den meisten Fällen ein ziemlich vollständiges Beschwerdebild bekommen und sich auf wenige Nachfragen beschränken können. Dabei ist zu klären, ob es sich um ein monokulares oder binokulares Problem handelt (Verschwinden der Diplopie oder Besserung der Beschwerden oder der Sehschärfe bei Verschluss eines Auges). Auch den Arbeitsbereich sollte man sich genau beschreiben lassen.
Asthenopie und Organbefund Die Klagen des Patienten führen zu Verdachtsdiagnosen, die geklärt werden müssen (▶ Abb. 2.9) Augenbrennen, Fusionsstörungen und monokulare Diplopie werden bisweilen durch organische Erkrankungen des Auges oder seiner Anhangsgebilde verursacht. Deshalb müssen ausgeschlossen werden: ● Störungen der Tränensekretion ● Bindehautentzündung ● einäugiges Doppeltsehen durch Unregelmäßigkeit der brechenden Medien ● Gesichtsfeldstörungen durch Schäden an Netzhaut oder Sehbahn
Refraktion und Akkommodation Bei Brillenträgern wird erfragt, wann und wie die letzte Brille bestimmt und verordnet wurde (subjektiver Abgleich oder nach vorheriger objektiver Refraktionsbestimmung) und ob sich seitdem die Beschwerden geändert haben. Die getragene Brille muss überprüft werden. Gleitsichtgläser haben manchmal eine falsche Seitenzentrierung oder eine zu hohe/zu tiefe Progressionszone. Bei Zylindergläsern ist auf die Ausrichtung der Achsen zu achten. Bei starkem Astigmatismus können Achsenfehler neben asthenopischen Beschwerden auch eine Kopfneigung in die Richtung verursachen, in welche die Zylinderachse gedreht werden muss. Asthenopische Beschwerden sind häufiger auf eine nicht oder falsch korrigierte Refraktionsanomalie als auf eine Heterophorie zurückzuführen. Deshalb muss man besonders achten auf eine angemessene Korrektion
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Um Fehlschlüsse aufgrund von Suggestion und „Regression to the mean“ zu vermeiden, wird die Wirksamkeit einer Behandlung durch doppeltblinde Studien geprüft, bei denen weder der Therapeut noch der Patient weiß, ob eine Therapie erfolgte oder ein Placebo verabreicht wurde. Leider gibt es für die Behandlung heterophoriebedingter Beschwerden noch keine Studie, die diesem Anspruch genügt. Deshalb muss man sich bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Heterophorie und Beschwerden und bei der Auswahl des Behandlungsverfahrens auf Erfahrung stützen, die an einzelnen Patienten oder Fallserien ohne Kontrollgruppe gewonnen wurde. Für die Wirksamkeit einer Therapie spricht, wenn eine beobachtete Besserung mit einem bekannten Mechanismus erklärt werden kann. Ist dies nicht der Fall, sollte man die Wirksamkeit der Therapie skeptisch beurteilen. Leider ist unklar, auf welche Weise eine Heterophorie zu den oben genannten Beschwerden führen kann. Dies sei am Beispiel des Kopfschmerzes erläutert. Unwahrscheinlich ist, dass die mit der motorischen Fusion einhergehende Anspannung die Augenmuskeln überfordert. Dagegen spricht, dass Schmerz auch bei kleinwinkliger Heterophorie vorkommt und dass großwinklige Heterophorie nicht immer zu Schmerz führt. Ferner spricht gegen eine Überforderung der Augenmuskeln, dass diese bereits bei Geradeausblick, also „in Ruhe“, in einer Spannung von ca. 8 Gramm (0,08 Newton) gehalten werden (siehe Kap. 1.2.2) und dass die Änderung ihrer Spannung bei Blickwendungen wesentlich größer ist als die zur Überwindung üblicher Heterophoriewinkel verlangte. Eher kommt in Betracht, dass die fusionale Überwindung der Heterophorie nicht die Augenmuskeln überfordert, sondern die für Fusion zuständigen Hirnregionen. Nach dieser Hypothese ist der durch Heterophorie hervorgerufene Kopfschmerz ein Spannungskopfschmerz, vergleichbar dem Kopfschmerz, der durch psychischen Stress oder durch schwierige gedankliche Aufgaben ausgelöst werden kann [2]. Spannungskopfschmerzen betreffen den ganzen Kopf. Demnach ist zu erwarten, dass durch Heterophorie erzeugte Schmerzen nicht bevorzugt in der Augenregion auftreten. Umgekehrt sollte man die Angabe eines Patienten, er verspüre seine Schmerzen vor allem im Bereich der Augen, nicht als Hinweis darauf werten, dass eine Heterophorie die Ursache sei. Zuweilen wird angenommen, dass Heterophorie zu Bindehautreizung mit Augenbrennen führen könnte. Ob es diese ursächliche Verknüpfung tatsächlich gibt und wie sie funktionieren könnte, ist jedoch unklar. Es sind Fälle von Legasthenie berichtet worden, in denen sich die Lese-Rechtschreib-Schwäche nach Prismenkorrektion einer Heterophorie bzw. einer „Winkelfehlsichtigkeit“ besserte [21]. Nicht belegt ist jedoch, dass es sich dabei um eine therapeutische Wirkung handelte, die über Suggestion hinausging.
2.2 Heterophorie, Asthenopie
Klagen des Patienten
Verdachtsdiagnose
Klären
Augenbrennen Augenrötung
endokr. Orbitopathie
Lidzeichen, Bewegungsdefizit Internist, Nuklearmedizin Schirmer-Test ohne/mit Anästhesie, Break up- Time Spaltlampe, Abstrich Tonometrie, Ophth (Papille), GF Refraktion vgl. unten Druckdolenz NAP V, 1 u. V, 2 HNO Tonometrie, Ophth (Papille), GF Refraktion
Augendruck, Stirnkopfschmerz
Helmkopfschmerz Hemiekranie, Flimmern Blendung
Unschärfe
Verzerrtsehen
Binok. Diplopie – F, N, alle BR gleich – vorwiegend F
Konjunktivitis Glaukom Astigmatismus Heterophorie Sinusitis Glaukom latente Hyperopie überkorrig. Myopie Heterophorie Zervikalmigräne Migräne Dyslakrimie, Konjunktivitis, Glaukom Medientrübung Astigmatismus intermitt. Exotropie Heterophorie Refraktionsproblem Akkommodativ komp. Fernexophorie Astigmatismus Makulopathie Nystagmus latentes/manifestes Begleit- oder Lähmungsschielen (Immer auch an Myasthenie denken!!) dekomp. Mikrotropie Heterophorie dekomp. Esophorie Abduzensparese
– vorwiegend N
dekomp. Nahexophorie Konvergenzparese Trochlearisparese
– vorwiegend Abblick
Senkerparese Trochlearisparese endokr. Orbitopathie
– vorwiegend Aufblick
2
vgl. unten Orthopäde Neurologe Spaltlampe Refraktion Abdecktest, Binokularprüfung vgl. unten Mydriasis bei Abdecktest Fernvisus binok. + 4,0 sph) Kandidaten für eine spontane Schielwinkelverkleinerung [149], [151]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Vollkorrektion bei vorhandener Hyperopie [151]. In 50–90 % der Fälle kann ein frühkindliches Innenschielen mit einem sog. Nystagmus vom Latenstyp oder kurz Nystagmus latens assoziiert sein [104]. Der Nystagmus latens ist ein Rucknystagmus, der sich typischerweise erst durch Abdecken oder Zuhalten eines Auges (daher der Name) auf beiden Augen manifestiert oder verstärkt, wenn er schon ohne Zuhalten manifest ist. Er schlägt immer in Richtung des fixierenden Auges, wird bei Adduktion des fixierenden Auges ruhiger und in Abduktion stärker. Ist der Nystagmus latens schon ohne Zuhalten eines Auges vorhanden, spricht man von einem manifesten Nystagmus vom Latenstyp. Die Besonderheit der Nystagmusberuhigung in Adduktion des fixierenden Auges führt zu einer entsprechenden Kopfzwangshaltung. So wird bei Fixation mit dem rechten Auge der Kopf nach rechts gedreht, damit das fixierende Auge in Adduktionsstellung kommt und durch die Nystagmusberuhigung besser gesehen wird. Diese Kopfzwangshaltung darf nicht mit der Kopffehlhaltung verwechselt werden, die ebenfalls bei Patienten mit frühkindlichem Innenschielen vorhanden sein kann. Hierbei wird häufig der Kopf zu einer Seite geneigt oder gedreht, ohne dass es zu einer funktionellen Besserung kommt. Die Beruhigung des Latenstyp-Nystagmus in Adduktion führte zu der Vorstellung, dass Innenschielen sekundär durch Blockierung des Nystagmus entstehen könnte. Cüppers prägte den Begriff Nystagmus-Blockierungssyndrom für Kleinkinder mit großem Innenschielen und deutlichem Latenstyp-Nystagmus, deren Innenschielen unter Narkose abnahm. Ein Nystagmus latens wird heute als Zeichen einer frühen Unterbrechung des beidäugigen Sehens interpretiert und kommt z. B. auch bei Strabismus divergens vor (was dem Konzept einer Nystagmusblockierung widerspricht). Wenn bei einem Kind in den ersten Lebensmonaten eine dichte Glaskörperblutung, ein Morbus Coats oder eine dichte einseitige Katarakt auftreten oder wenn (z. B. wegen eines Retinoblastoms) ein
2.3 Heterotropie de. Eine interessante Hypothese wurde von ten Tusscher und van Rijn beschrieben [158]. Demnach sei die DVD Ausdruck eines ungleichen Einflusses kortikotektaler Bahnen auf die Colliculi superiores. Bei fehlenden Binokularfunktionen würde es zu einer ungleichen Ausbildung dieser kortikotektalen Projektionen kommen und damit zu einer nicht balancierten Stimulation von Zellen der oberen Vierhügel. Dies wiederum würde zu einer ungleichen Erregung von Omnipause-Neuronen und Neuronen des Cajal-Kerns führen mit der einer vertikalen Vergenzbewegung ähnelnden DVD. Eine Störung kortikotektaler Bahnen zu den Colliculi superiores als Ursache einer DVD wurde bereits von Lang in Erwägung gezogen [107]. Die DVD ist in der Regel nicht gleich bei Manifestation des frühkindlichen Innenschielens sichtbar. Meistens manifestiert sie sich erst im 1. oder 2. Lebensjahr, manchmal auch später. Unklar ist, ob eine Operation ihre Manifestationshäufigkeit und ihre Ausprägung beeinflusst oder nicht [4], [74]. Diese Frage ist nicht ganz trivial, weil sie unter Umständen die Operationsplanung beim frühkindlichen Innenschielen mit beeinflusst. Das beabsichtigte Ergebnis einer frühen Operation würde z. B. konterkariert werden, wenn sich postoperativ eine störende DVD manifestieren würde, die dann ihrerseits einen erneuten Eingriff erforderlich machen würde. Ein weiteres zusätzliches Teilsymptom des frühkindlichen Innenschielens ist eine Störung der schrägen Augenmuskeln. Diese kann sich als assoziierter Strabismus sursoadductorius mit V-Symptom (▶ Abb. 2.14) oder seltener als Strabismus deorsoadductorius mit A-Symptom (▶ Abb. 2.15) manifestieren.
2
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sich spontan manifestieren oder wird erst durch Abdecken des nicht fixierenden Auges ausgelöst. Das Vorhalten eines Filters, z. B. eines Dunkelrotglases, vor das fixierende Auge bewirkt meist eine Abnahme der DVD. Auch Änderungen der Aufmerksamkeitszuwendung, Müdigkeit, Vernebelung des Seheindrucks und Blendung des fixierenden Auges können zur Manifestation einer DVD führen. Eine immer wieder „spontan“ sich manifestierende DVD wird von vielen Patienten als äußerst störend empfunden. Die Abgrenzung des dissoziierten Höhenschielens von einem assoziierten Schielen, z. B. einem Strabismus sursoadductorius, ist mittels Dunkelrotglas oder aber dem sog. Fixationswechseltest möglich. Die DVD darf – wie auch der Nystagmus latens – als Zeichen einer frühen Störung des Binokularsehens interpretiert werden. Die Tatsache, dass es (wenige) Patienten mit beidseitiger DVD und Binokularfunktion gibt, ändert an dieser Sichtweise wenig. Die beidseitige DVD wird im englischsprachigen Schrifttum auch als alternierende Hyperphorie bezeichnet. Der Begriff ist insofern falsch, als es sich bei der DVD eben nicht um ein latentes Schielen handelt. Die Ursache der DVD ist unklar. Guyton erklärte die DVD als Kombination einer (vertikalen) Vergenzbewegung mit Zykloversion zur Unterdrückung eines zyklovertikalen Nystagmus [64]. Brodsky verglich die DVD mit dem dorsalen Lichtreflex bei Fischen [25] und erklärt die Unterdrückung dieses atavistischen Reflexes durch das Vorhandensein von Binokularsehen und Stereopsis. Erst durch das Ausbleiben von Stereopsis und Binokularsehen werde die DVD manifest (Invest Ophthalmol Vis Sci. 2014 56:1081-7). Gegen diese beiden Theorien gibt es Einwän-
Abb. 2.14 Patient mit einem frühkindlichen Innenschielen und alternierender Fixation. Man erkennt die assoziierte M.-obliquusStörung mit relativer beidseitiger Überfunktion der Mm. obliqui inferiores, die zu einem Höherstand des jeweils adduzierten Auges führt (= assoziierter Strabismus sursoadductorius). Typischerweise ist hierbei ein V-Symptom vorhanden. Der Innenschielwinkel ist im Abblick deutlich ausgeprägter als im Aufblick.
137
Störungen
Therapie des frühkindlichen Innenschielens Merke
H ●
Therapieziele beim frühkindlichen Innenschielen: ● Behandlung/Prophylaxe einer Amblyopie ● (Wieder?)Herstellung von grobem Binokularsehen ● Beseitigung einer eventuellen Kopfzwangshaltung ● Vergrößerung des beidäugigen Gesichtsfelds bei großen Schielwinkeln ● operative Geradestellung der Augen oder äußerliche Schielwinkelreduktion
Amblyopietherapie/-prophylaxe Etwa die Hälfte aller Kinder mit einem frühkindlichen Innenschielen alterniert spontan, so dass zur Amblyopieprophylaxe eine Okklusion nicht erforderlich ist. Vielmehr sollte das Alternieren durch ophthalmologische Kontrollen, z. B. alle 3–6 Monate, insbesondere in den ersten Lebensjahren gesichert werden. Bei einer einseitigen Führung oder einer Fixationspräferenz ist zur Behandlung/Prophylaxe einer Amblyopie eine entsprechende Teilzeitokklusion des führenden Auges sinnvoll. Diese sollte schon im präverbalen Alter einsetzen. Sobald Angaben zur Sehschärfe, am besten zur Reihen-Sehschärfe, gemacht werden können, sollten diese zusätzlich zum Fixationsverhalten für die Dosierung der Teilzeitokklusion mit herangezogen werden. Manche Orthoptistinnen und Augenärzte versuchen ein spontanes Alternieren dadurch zu unterstützen, dass für eine begrenzte Zeit – z. B. 1 Stunde täglich – im Wechsel abgeklebt wird. Eine wechselseitige Teilzeitokklusion wird auch bei einem Abduktionsdefizit, wie es typischerweise bei großen Schielwinkeln vorkommen kann, von manchen Autoren empfohlen. Ob dies tatsächlich die Motilität bessert, darf bezweifelt
138
werden. Wahrscheinlich kommt es auch ohne diese Okklusion zu einer Besserung des Abduktionsdefizits im weiteren Verlauf. Manchmal kann die wegen einer Amblyopie erforderliche Teilzeitokklusion eines Auges einen Nystagmus latens manifest werden lassen bzw. einen solchen verstärken. Grundsätzlich ist ein (manifester) Nystagmus vom Latenstyp keine Kontraindikation für eine Teilzeitokklusion. Die klinische Erfahrung lehrt, dass es in vielen Fällen bei Teilzeitokklusion – z. B. nach 1 Stunde oder mehr – zu einer Beruhigung des Nystagmus latens kommt. Falls die Durchführung einer Teilzeitokklusion nicht möglich ist, sollte auf alternative Verfahren einer Amblyopiebehandlung/-prophylaxe wie der Bangerter-Folie oder der Penalisation zurückgegriffen werden (S. 136).
Operative Therapie Die Kontroverse um die richtige Therapie des frühkindlichen Innenschielens konzentriert sich in erster Linie auf den idealen Operationszeitpunkt. Befürworter einer sog. Frühoperation (z. B. vor Vollendung des 2. Lebensjahrs) bzw. einer sehr frühen Operation (= Operation wenige Wochen nach Manifestation des Schielens) argumentieren dahingehend, dass nur ein frühestmöglicher Operationszeitpunkt die Aussichten auf postoperatives Binokularsehen deutlich erhöht [17], [18], [19], [55], [69], [89], [112], [126], [137], [153], [155], [157], [180]. Man überträgt mit diesem Konzept die Vorstellung des normosensorischen Spätschielens auf das frühkindliche Innenschielen – das bedeutet, dass Patienten mit einem frühkindlichen Innenschielen über eine normale binokulare Anlage verfügen. Es ist deshalb nicht überraschend, wenn als Konsequenz dieser Vorstellungen einige Operateure eine operative Geradestellung unmittelbar nach Schielbeginn fordern. Die Empfehlung zur Frühoperation wird durch viele elektrophysiologische, tierexperimentelle sowie klinische
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Abb. 2.15 Patientin mit einem frühkindlichen Innenschielen und relativer beidseitiger Überfunktion der Mm. obliqui superiores. Dies führt zu einem Tieferstand des jeweils adduzierten Auges (= assoziierter Strabismus deorsoadductorius). Typischerweise ist hierbei ein A-Symptom assoziiert. Der Innenschielwinkel ist im Abblick kleiner als im Aufblick.
2.3 Heterotropie
Weiterhin wurde die Abnahme der horizontalen Querverbindungen (der okulären Dominanzsäulen) im Bereich der primären Sehrinde bzw. der metabolischen Aktivität mit der Schieldauer korreliert. Unisono verschlechterten sich in diesen Versuchsreihen alle Parameter mit der prä-
operativen Schieldauer bzw. es persistierten Asymmetrien des OKN, des VEP sowie des Nystagmus latens. Auch waren der Verlust horizontaler Querverbindungen und die Abnahme der metabolischen Aktivität der primären Sehrinde umso ausgeprägter, je länger die Schieldauer bei den Versuchstieren war [153], [161], [163], [164], [165], [178], [179]. Auch hier werden die pathophysiologischen Vorstellungen des normosensorischen Schielens auf das frühkindliche Innenschielen übertragen. Die Durchführung entsprechender Versuche mit „natürlich schielenden Tieren“, z. B. Affen, ist insofern problematisch, als natürlich schielende Affen häufig anatomische Besonderheiten aufweisen wie zusätzliche, fehlende oder dickere Augenmuskeln im Vergleich zu nichtschielenden Tieren oder eine sehr ausgeprägte Hyperopie [21], [99] [166]. Um etwas mehr Licht auf den Einfluss des Operationszeitpunkts auf die postoperativen Binokularfunktionen beim frühkindlichen Innenschielen zu werfen, wurde von Simonsz und Kolling die sog. ELISS-Studie (Early Versus Late Infantile Strabismus Surgery Study) aufgelegt [149]. In dieser multizentrischen, prospektiven, aber nicht randomisierten Studie wurde versucht zu klären, ob eine Frühoperation, d. h. ein operativer Eingriff vor Abschluss des 2. Lebensjahrs die Chance auf postoperatives Binokularsehen im Vergleich zu einer später durchgeführten Operation erhöht. Rekrutiert wurden 532 Kinder, von denen 231 vor Abschluss des 2. Lebensjahrs operiert wurden (durchschnittliches Operationsalter 20,8 Monate + /– 8,4 Monate). Demgegenüber standen 301 Kinder, die zwischen dem 32. und 60. Monat operiert wurden (durchschnittliches Operationsalter 49,1 Monate + /–12,7 Monate). Das Alter der Erstuntersuchung war in beiden Gruppen etwa 11 Monate + /–3,7 Monate. Die Abschlussuntersuchung erfolgte nach dem 6. Lebensjahr bzw. 1 Jahr nach der letzten Schieloperation. In der frühoperierten Gruppe erkannten 13,5 % aller Patienten die Titmusfliege im Vergleich zu 3,9 % bei den spätoperierten Kindern. Dieser Unterschied war statistisch signifikant – ob er auch klinisch relevant ist, ist eine andere Frage. Noch bessere Binokularfunktionen als Titmusfliege positiv waren in beiden Gruppen mit 3 % bzw. 3,9 % gleich selten zu finden. Dieses gering bessere beidäugige Sehen wurde statistisch gesehen mit einer höheren Operationszahl erkauft (1,18 + /–0,67 Operationen bei den Frühoperierten im Vergleich zu 0,99 + /–0,64 Operationen in der Gruppe mit den Spätoperierten). 20 % (!) aller für eine Spätoperation rekrutierten Kinder wurden wegen einer spontanen Schielwinkelverkleinerung oder gar wegen eines Verschwindens des Strabismus nicht operiert. Die entsprechende Zahl betrug bei den Frühoperationen nur 8,2 %. Mittlerweile werden vor allen Dingen in Nordamerika noch frühere Operationszeitpunkte propagiert, zum Teil nach nur wenigen Wochen oder gar unmittelbar nach Diagnose eines Schielens [180]. Die Zahlen der ELISS-
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Studien gestützt, die gute postoperative Binokularfunktionen bei früher Operation nahelegen. Jedoch reichen sie bei kritischer Wertung nicht aus, um eine definitive Empfehlung zur möglichst frühen Operation beim frühkindlichen Innenschielen geben zu können [17], [88], [89], [156]. Das liegt zum einen daran, dass es sich bei klinischen Studien entweder um recht kleine Kohorten oder aber retrospektive Analysen handelt. So untersuchte Wright [182] bei 7 Patienten mit frühkindlichem Innenschielen die postoperativen Binokularfunktionen nach einem Beobachtungszeitraum von 2–8 Jahren. Der Eingriff selbst erfolgte bei den Patienten zwischen der 13. und 19. Woche. Die Patienten mit dem frühesten Operationszeitpunkt hatten langfristig die besten Binokularfunktionen, wobei der Patient mit der frühesten Operation (13. Woche) über nahezu normales Binokularsehen verfügte. Die Schlussfolgerung dieser Studie war, dass nur eine sehr frühe Operation eine funktionelle Vollheilung ermöglicht. Diese Empfehlung konnte wenig später von Helveston nicht bestätigt werden, der in einer prospektiven Studie 10 Kinder mit frühkindlichem Innenschielen rekrutieren konnte und diese im Alter von 3–5 Monaten zum Teil mehrfach operierte [75]. Das funktionelle Ergebnis in dieser Gruppe war enttäuschend. Während die Hälfte der Patienten langfristig gar keine Binokularfunktionen zeigten, war bei der anderen Hälfte ein postoperativer Mikrostrabismus convergens mit nur groben Binokularfunktionen vorhanden. Weitere Studien von Ing, die auf retrospektiven Auswertungen beruhten, bestärkten die Verfechter der Frühoperation in ihrer Überzeugung [87], [88], [89]. Unabhängig davon konnte Birch bei 3–5 Monate alten Kindern mit frühkindlichem Innenschielen mit Preferential-Looking-Verfahren Stereopsis nachweisen. Bei diesen Kindern wurde der Schielwinkel mittels Prismen ausgeglichen. Im weiteren Verlauf konnten die Binokularfunktionen bei diesen Kindern trotz Prismenausgleich nicht aufrechterhalten werden. Tierexperimentelle Arbeiten, meist an Affen, liefern den Befürwortern einer Frühoperation weitere Argumente. Bei den Versuchstieren wurde z. B. mit Prismenbrillen ein Schielen induziert [137], [153], [165], [177], [178], das nach unterschiedlichen Zeitintervallen durch Augenmuskelchirurgie beseitigt wurde. Die Schieldauer wurde in den Versuchen mit Folgendem korreliert: ● postoperativer Qualität des Binokularsehens ● Persistenz der nasotemporalen Asymmetrie der Folgebewegungen und des optokinetischen Nystagmus ● mittels VEP gemessene Asymmetrie für bewegte Reize ● Intensität eines Nystagmus latens
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Störungen
2.3.4 Erworbenes Innenschielen Wenn ein Kind plötzlich ein Innenschielen entwickelt, so können dem unterschiedliche Ursachen bzw. Schielformen zugrunde liegen. Dies gilt auch für einen plötzlichen Schielbeginn im Erwachsenen- und im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Hier folgt ein Überblick über unterschiedliche erworbene Innenschielformen aller Altersgruppen = Differenzialdiagnose des akuten Innenschielens: ● akkommodatives Schielen ● normosensorisches Spätschielen im Kindesalter (Lang) ● akutes Innenschielen im Erwachsenenalter, Typ Burian
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akutes Innenschielen nach Unterbrechung der Fusion, Typ Franceschetti dekompensierte und dekompensierende Esophorie akutes Innenschielen bei Myopie, Typ Bielschowsky zyklisches oder zirkadianes Schielen Strabismus im Senium sekundäres Innenschielen
Der erste Schritt bei einem neu aufgetretenen Innenschielen, sei es nun intermittierend oder permanent, ist der Ausschluss eines sekundären Schielens. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass eine ein- oder beidseitige Abduzensparese als klinische Erstmanifestation einer neurologischen Erkrankung in jedem Alter zu einem Innenschielen führen kann. Deshalb sollte man bei jedem erworbenen Innenschielen die Motilität beider Augen genau prüfen und gezielt nach klinischen Zeichen suchen, die mit einer Abduzensparese vereinbar sind. Auch ein Hirntumor mit Hirndruck oder eine Kleinhirnerkrankung können ursächlich für ein plötzliches Innenschielen sein [5], [131], [173]. Neben einer Motilitätsanalyse sind die Prüfung der Folgebewegungen und der Fixationssuppression, der Sakkaden und des vestibulookulären Reflexes sowie der Ausschluss eines Blickrichtungsnystagmus wichtig. Bei unauffälligem Befund ist eine zeitnahe Kontrolluntersuchung (nach 1–2 Wochen) zu empfehlen. Bei progredienten Befunden ist eine neurologische/neuropädiatrische Abklärung einzuleiten.
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Bei jedem akuten Schielen sollte immer an eine neurologische Ursache gedacht werden.
Der zweite Schritt besteht in einer Refraktionsbestimmung in Zykloplegie und der Vollkorrektion einer eventuell vorhandenen Hyperopie. Dies führt z. B. bei einem rein akkommodativen Schielen zu einem Parallelstand einschließlich der Wiederherstellung/Stabilisierung von Binokularfunktionen. Bei anderen Schielformen wird durch den Ausgleich der Hyperopie nicht selten der Schielwinkel verkleinert. Grundsätzlich sollte man sich bei einem neu auftretenden Schielen nach Ausschluss organischer Erkrankungen und refraktiver Ursachen immer die Frage stellen, ob vor Schielbeginn Binokularsehen vorhanden war. Diese Frage lässt sich – insbesondere im Kindesalter – nicht immer zweifelsfrei beantworten. Zwischen anamnestischem und tatsächlichem Schielbeginn gibt es erhebliche Diskrepanzen. Vieles trägt dazu bei, dass man den tatsächlichen Schielbeginn nicht immer zweifelsfrei festlegen kann: ● unterschiedliche Beobachtungsgabe der Eltern ● manchmal inkongruente Ergebnisse früherer augenärztlicher Untersuchungen
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Studie zeigen, wie problematisch die Diagnose eines frühkindlichen Innenschielens bei einem Kind im Alter von 4–6 Wochen ist. Der klinische Nachweis, dass eine noch frühere Frühoperation beim frühkindlichen Innenschielen mit besseren Binokularfunktionen einhergeht, ist bisher noch nicht erbracht worden. Zusammenfassend darf man feststellen, dass sowohl ein früherer als auch ein späterer Operationszeitpunkt mit entsprechenden Argumenten gerechtfertigt werden kann. Die Verfechter der Frühoperation führen neben der Aussicht auf bessere postoperative Binokularfunktionen auch einen sog. Entwicklungsschub betroffener Kinder an. Die diesbezüglich vorliegenden Studien lassen bei kritischer Wertung eine solche Schlussfolgerung nicht ohne Weiteres zu, da das berücksichtigte Krankheitsgut, an dem Entwicklungsschritte vor und nach einer Operation beim frühkindlichen Innenschielen gemessen wurde, in den meisten Studien nicht einheitlich war [150], [152]. Der richtige Operationszeitpunkt beim frühkindlichen Innenschielen sollte von unterschiedlichen Faktoren abhängen. Bei sehr großem Schielwinkel und/oder eingenommener Kopfzwangshaltung bei Fixationsaufnahme (Fixation in ausgeprägter Adduktion, Kreuzfixation) sollte früher operiert werden. Bei eher unauffälligen Schielwinkeln, insbesondere wenn ein relativ kleiner Schielwinkel (d. h. < 15°) mit einer höheren Hyperopie (> 4,0 sph) vergesellschaftet ist, darf bei eindeutig frühem Schielbeginn die Operation verschoben werden., da es bei diesen Kindern häufig zu einer spontanen Schielwinkelverkleinerung kommt. Bei zu frühem OP-Zeitpunkt steigt bei diesen Kindern das Risiko einer postoperativen Divergenz. [151]. Wenn die Entscheidung zur operativen Korrektion gegeben ist, sollte – auch bei eingeschränkter Aussicht auf postoperative Binokularfunktionen – im Kindergartenalter oder vor der Einschulung operiert werden. Die Aufschlüsselung des frühkindlichen Innenschielens in unterschiedliche Subtypen mit unterschiedlicher funktioneller Prognose wird möglicherweise in Zukunft einige der Kontroversen zum richtigen Operationszeitpunkt lösen [152].
2.3 Heterotropie Schielformen: ○ intermittierend ○ schwankender Winkel ○ Dekompensation eines Mikrostrabismus
Manchmal kann die Anamnese mit Fotografien aus dem Familienalbum weiterhelfen. Unabhängig davon können bei einem erworbenen Innenschielen folgende Therapieziele definiert werden: ● Beseitigung möglicher zugrunde liegender Ursachen, z. B. der Ausgleich einer Hyperopie oder das Weglassen eines Augenverbands ● Therapie einer eventuell vorhandenen Amblyopie ● Wiederherstellung des „alten Zustands“, d. h. operative Beseitigung der Schielstellung und im Idealfall Wiederherstellung normaler Binokularfunktionen
Akkommodatives Schielen Definition Ein rein akkommodatives Schielen liegt vor, wenn nach Ausgleich einer bisher nicht korrigierten Hyperopie das Schielen vollständig verschwindet und Orthotropie vorliegt.
Merke
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Akkommodatives Schielen wird allein durch den Vollausgleich einer Hyperopie behandelt. Deshalb sollte bei jedem Innenschielen immer eine Refraktionsbestimmung in Zykloplegie mit Vollkorrektur einer Hyperopie erfolgen.
Leider ist die Definition eines akkommodativen Schielens nicht einheitlich. Im englischsprachigen Schrifttum wird als akkommodatives Schielen ein Schielen definiert, das nach Ausgleich refraktiver Ursachen eine Restabweichung von + /–10 pdpt aufweist. Kinder mit einem rein akkommodativen Schielen werden häufig im 2.–3. Lebensjahr auffällig, können aber auch schon früher beginnen zu schielen. Bei genauem Nachfragen wird nicht selten darüber berichtet, dass betroffene Kinder, insbesondere bei Nahblick „immer mal wieder“ nach innen geschielt hätten. Hinweise, dass es zu diplopischen Beschwerden kommt (Zukneifen eines Auges) fehlen in der Regel. In Einzelfällen manifestiert sich ein akkommodatives Schielen auch deutlich später. Bei höheren Hyperopien ist dann nicht nur ein intermittierendes Innenschielen, sondern eine ein- oder beidseitige Amblyopie auffällig.
Pathophysiologische Vorstellungen Der Zusammenhang zwischen einer (nicht korrigierten) Hyperopie und einem Innenschielen wurde erstmals von
Donders detailliert beschrieben [45]. Auch wenn eine unkorrigierte Hyperopie nicht immer zu einem Schielen führt, gilt sie als einer der wichtigsten Risikofaktoren [47]. Eine nicht korrigierte Hyperopie führt zu einer unscharfen retinalen Abbildung. Durch Akkommodation wird die Bildschärfe wiederhergestellt. Kann die überschießende akkommodative Konvergenz durch fusionale Divergenz nicht ausgeglichen werden, manifestiert sich ein Innenschielen, das nicht selten zu Beginn intermittierend ist. Wird trotz erhöhter Akkommodation bei Nahblick die Augenstellung kompensiert, besteht häufig eine Nahesophorie. Bei Diagnose einer Nahesophorie sollte immer eine latente Hyperopie ausgeschlossen werden. Manche Kinder mit Hyperopie ziehen es vor, den Parallelstand beizubehalten, auch wenn sie bei kompensierter Augenstellung permanent unscharf sehen. Bei diesen Kindern liegt dann nicht selten eine beidseitige, durch Deprivation induzierte Amblyopie vor, die jedoch eine gute Prognose hat und nach regelmäßigem Brillentragen meist vollständig verschwindet.
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Therapie Es hat sich bewährt, nach Refraktionsbestimmung und Brillenverordnung die Kinder kurzfristig, d. h. nach 2–4 Wochen Brillentragen, wieder einzubestellen und zu kontrollieren. Viele Kinder sind mit der richtigen Brille geheilt und stabilisieren ihre Binokularfunktionen wieder. Ein Teil der Kinder mit der Diagnose eines akkommodativen Innenschielens kann jedoch Monate bis Jahre später – trotz Ausgleich refraktiver Ursachen – wieder anfangen zu schielen. Bei diesen Kindern liegt dann eine Mischform aus akkommodativem Schielen und einem nichtakkommodativen erworbenen Innenschielen vor. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder mit einem akkommodativen Schielen auch nach Brillenverordnung lange nachkontrolliert werden.
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Normosensorisches Spätschielen Definition Kinder können ohne erkennbare Ursache plötzlich anfangen zu schielen. Manchmal wird als vermeintliche Ursache eine Virusgrippe oder eine Durchfallerkrankung Tage oder wenige Wochen vor Schielbeginn von den Eltern angegeben. Diplopie wird selten angegeben, allenfalls wird kurzfristiges Zukneifen eines Auges beobachtet. Der Begriff normosensorisch beinhaltet, dass diese Kinder vor Schielbeginn über eine normale Korrespondenz verfügten. Die Untersuchung dieser Kinder erbringt keinerlei sensorische Auffälligkeit. Nach einer erfolgreichen operativen Behandlung sind Kinder mit einem normosensorischen Spätschielen von nichtschielenden Kindern orthoptisch nicht zu unterscheiden. Lang, der das Krankheitsbild als besondere Schielform im Kindesalter herausstellte [105], [107] und die Notwen-
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Störungen
Merke
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Die Abgrenzung eines normosensorischen Spätschielens von einem dekompensierten Mikrostrabismus ist schwierig, aber für prognostische Aussagen wichtig.
Die Abgrenzung eines normosensorischen Spätschielens von einem dekompensierten Mikrostrabismus ist nicht immer zweifelsfrei möglich. Bei beiden Erkrankungen sind die therapeutischen Überlegungen aber ähnlich, auch wenn sie sich in ihrer Prognose im Hinblick auf mögliche postoperative Binokularfunktionen unterscheiden.
Therapie Therapeutisches Ziel beim normosensorischen Spätschielen ist die Beseitigung des Schielwinkels und die Wiederherstellung voller Binokularfunktionen. Bei zeitnaher Operation (d. h. Wochen bis wenige Monate nach Schielbeginn) ist die Prognose ausgezeichnet. Möglicherweise tolerieren viele Kinder auch längere Intervalle zwischen
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Schielbeginn und operativer Therapie ohne Einschränkung die Qualität postoperativer Binokularfunktionen. Bis zur Operation sollte, wenn möglich, der Schielwinkel mittels Prismenfolie(n) ausgeglichen oder eine Amblyopie behandelt werden. Binokularsehen ist eine aktive Hirnleistung, die zum Erhalt derselben regelmäßig ausgeübt werden sollte. Kommt es zu längeren Unterbrechungen des Binokularsehens, besteht die Gefahr eines irreversiblen Schadens.
Merke
H ●
Normosensorisches Spätschielen ist eine Schielform, bei der funktionelle Vollheilung möglich ist. Nach Refraktion und Ausgleich des Schielwinkels mittels Prismen sollte durch eine Operation der Schielwinkel beseitigt werden. Nur so lassen sich die Binokularfunktionen erhalten. Je größer das Zeitintervall zwischen Schielbeginn und Augenmuskeloperation bei normosensorischem Spätschielen ist, desto schlechter ist die Prognose im Hinblick auf postoperative Binokularfunktionen.
Schwieriger ist die Situation, wenn orthoptische Hinweise auf normales Binokularsehen vorliegen, eine supressionsbedingte Amblyopie besteht und der Schielbeginn länger (z. B. 1–3 Jahre) zurückliegt. Hier sollte zunächst einmal die Amblyopie rasch und konsequent therapiert werden. Die Augenmuskeloperation liefert in einer solchen Konstellation manchmal überraschend gute funktionelle Ergebnisse. Eine dem normosensorischen Spätschielen analoge Schielform kann auch im Erwachsenenalter auftreten. Man spricht dann von einem akuten Innenschielen, Typ Burian oder Typ Burian-Franceschetti [28], [52]. Die Terminologie ist hier nicht einheitlich. Manche gebrauchen den Ausdruck „Typ Franceschetti“ nur bei einem akuten Innenschielen, das sich nach einer Unterbrechung des beidäugigen Sehens z. B. durch einen Augenverband manifestiert. Einige akute Esotropien nach Unterbrechung des beidäugigen Sehens sind wahrscheinlich dekompensierte Esophorien. Klinisch werden auch im Erwachsenenalter bei einem akut auftretenden Innenschielen ein großer Schielwinkel, Diplopie und normale Korrespondenz beobachtet. Wie beim normosensorischen Spätschielen des Kindesalters ist die Prognose nach operativer Schielwinkelbeseitigung im Hinblick auf stabile Binokularfunktionen auch hier sehr gut.
Dekompensierte und dekompensierende Esophorie, dekompensierter Mikrostrabismus Definition Dekompensierte Esophorie liegt vor, wenn sich aus einem latenten Innenschielen plötzlich ein manifestes Innen-
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digkeit einer zeitnahen Operation unterstrich, definierte das Krankheitsbild mit einem Beginn ab dem 2. Lebensjahr. Manche Autoren sprechen von normosensorischem Schielen erst bei einem Beginn nach dem 3. Lebensjahr. Typischerweise entwickeln betroffene Kinder akut einen großen Innenschielwinkel. In selteneren Fällen ist der Schielbeginn intermittierend. Man sollte sich immer vergegenwärtigen, dass bei einem normosensorischen Spätschielen diplopische Beschwerden wegen der Suppressionsfähigkeit der Kinder – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit (Stunden bis Tage) anhalten. Bei der Anamnese sollte deshalb immer gezielt nach einem eventuellen Zukneifen eines Auges rund um den Schielbeginn gefragt werden. Liegt der Schielbeginn schon länger (Monate bis Jahre) zurück, ist die Anamnese nicht immer richtungsweisend. Das Vorlegen von Porträtfotos vor Schielbeginn kann in einer solchen Situation hilfreich sein. Der orthoptische Befund bei einem normosensorischen Spätschielen ist nicht immer einheitlich. Erwarten würde man normale Korrespondenz und eventuell sogar die Angabe von Binokularfunktionen nach Schielwinkelausgleich mittels Prismen. Tatsächlich wird bei einer für normosensorisches Spätschielen typischen Anamnese nicht selten der Schielwinkel im Prismentrageversuch „nachgestellt“, d. h. immer wieder vergrößert. Überraschenderweise verschwindet dieses „Nachstellen“ nach operativer Beseitigung des Schielwinkels bei einigen Patienten, so dass die genaue Diagnose, insbesondere die Abgrenzung gegenüber einem dekompensierten Mikrostrabismus, erst retrospektiv gestellt werden kann. Eine Amblyopie oder eine Anisometropie können Zeichen eines vorbestehenden Mikrostrabismus sein, dessen Beginn schon länger zurückliegt.
2.3 Heterotropie
Merke
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Unterbrechung der Fusion – z. B. durch einen Augenverband – kann zu einem akuten Schielen führen. Als Ursache kann eine vorbestehende Esophorie angenommen werden.
Viele Autoren postulieren, dass ein akutes Innenschielen nach Fusionsunterbrechung in erster Linie durch Dekompensation einer vorbestehenden Esophorie entstehen kann. Dies erscheint plausibel.
Akutes Innenschielen bei Myopie Von Graefe, später Schoen und Bielschowsky [10] beschrieben bei Patienten mit Myopie ein plötzlich einsetzendes Innenschielen, das sich insbesondere bei Fernblick manifestiert, im weiteren Verlauf aber auch bei Nahblick zu Doppelbildern führen kann. Nicht selten ist auch die beidseitige Abduktion etwas eingeschränkt. Bei der Konstellation „Fernschielwinkel größer als Nahschielwinkel“ in Verbindung mit einem beidseitigen Abduktionsdefizit ist stets eine beidseitige diskrete Abduzensparese als Ursache der Störung auszuschließen. Möglicherweise handelt es sich bei dem akuten Innenschielen, Typ Bielschowsky um einen Subtyp des Schielens bei hoher Myopie (siehe Kap. 2.3.7). Eine dezente Änderung der Verlaufsrichtung des M. rectus lateralis nach unten würde die klinische Symptomatik gut erklären.
Zirkadianes und zyklisches Innenschielen Ein in seinem Verständnis und seiner Klinik sehr rätselhaftes Schielen ist das sog. zirkadiane oder zyklische Schielen, das sich häufig als ein plötzlich auftretendes Innenschielen manifestiert. Es wurde erstmals von Böhm 1845 beschrieben. Charakteristischerweise ist das Schielen jedoch nicht immer vorhanden, sondern manifestiert sich periodisch [130], [140], [144]. Häufig wird nur an jedem 2. Tag geschielt (daher der englische Begriff „alternate day squint“). In seltenen Fällen ist auch ein periodisches Höhenschielen [115], [176], in noch selteneren Fällen ein periodisches Außenschielen beschrieben worden [40]. Typischerweise fehlt an den Nichtschieltagen eine größere Phorie. Es ist also keineswegs so, dass eine Schielabweichung an den Nichtschieltagen latent, an den Schieltagen manifest ist. Einen Erklärungsversuch für dieses rätselhafte Verhalten beinhaltet die Annahme, dass Binokularsehen – wie viele andere körperliche Funktionen auch – einem zirkadianen Rhythmus unterliegt und – wie andere zirkadiane Rhythmen – selektiv gestört sein kann. Über zusätzliche Verhaltensauffälligkeiten oder neurologische Symptome an Schieltagen wurde in einzelnen Fällen bei Patienten mit zirkadianem Schielen berichtet [54], [133], die bei anderen Patienten trotz gezielter Untersuchung jedoch nicht nachweisbar waren. Zyklisches Innenschielen ist aber auch nach einer AmotioOperation [159], einer entzündlichen Pathologie der Orbita [6] oder auch nach Contusio bulbi beschrieben worden. Die Entwicklung eines zyklischen Schielens ist nicht zwingend an das Vorhandensein intakter Binokularfunktionen gebunden [138]. Von spontan auftretendem zyklischen Innenschielen sind meistens Kinder im Alter von 3–7 Jahren betroffen, während ein zyklisches Schielen durch zusätzliche Augenerkrankungen eher im Erwachsenenalter entsteht. Meist geht ein zyklisches Schielen nach Monaten oder Jahren in ein permanentes Schielen über. Kinder mit einem zyklischen Innenschielen geben an den Schieltagen manchmal, aber keineswegs immer, Diplopie an. Bemerkenswert ist, dass manche Kinder an den Schieltagen Änderungen in ihrem Verhalten aufweisen, was dafür spricht, dass mehr als lediglich das Binokularsehen gestört ist. Die Therapie der Wahl ist eine entsprechend des Schielwinkels dosierte Augenmuskeloperation. Als Dosierungsgrundlage dient der an einem „Schieltag“ größte gemessene Winkel. Die Sorge, dass es durch einen solchen Eingriff an den Nichtschieltagen zu einer entsprechenden Überkorrektion kommt, ist unbegründet. Fälle von operativer Überkorrektion bei zyklischem Schielen sind in der Literatur nicht beschrieben.
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schielen entwickelt. Dekompensierende Phasen bei Müdigkeit oder beim Nahsehen sind häufig. Diplopie wird regelmäßig, aber keineswegs konstant angegeben. Eine dekompensierte Esophorie kann entweder spontan oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma oder aber plötzlich nach Unterbrechung des Binokularsehens entstehen. Letztere wird z. B. durch das Tragen eines Augenverbands bei einer Hornhautverletzung oder nach einem chirurgischen Eingriff verursacht. Gar nicht so selten wird die Dekompensation eines Mikrostrabismus durch die dringend notwendige Amblyopietherapie ausgelöst. Wenn das Fusionshindernis beseitigt ist (nach Entfernung der Okklusion), kann auch das Innenschielen wieder kompensiert werden, manchmal persistiert es jedoch. Dann wird – eventuell im Anschluss an eine Amblyopietherapie und nach möglichem Prismenausgleich – wie beim normosensorischen Innenschielen behandelt, d. h. mit einer zeitnahen Operation. Wenn bei einem Patienten mit Mikrostrabismus die Amblyopietherapie zur Dekompensation in einen größeren Schielwinkel führt, sollte die Amblyopietherapie trotzdem fortgesetzt und nach einem Visusanstieg die ursprüngliche Augenstellung mittels Operation wiederhergestellt werden.
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Störungen
Strabismus im Senium ist eher ein deskriptiver Begriff als ein bestimmtes Krankheitsbild. Menschen im fortgeschrittenen Erwachsenenalter können ohne ersichtlichen Grund plötzlich zu schielen beginnen. Meist entwickeln sie dann ein Innen- und/oder ein Höhenschielen. Bei kleineren Abweichungen wird das Schielen von den Betroffenen nicht selten als „Verschwommensehen“ empfunden und auch entsprechend verbalisiert. Liegen – was nicht selten der Fall ist – weitere Augenerkrankungen wie z. B. eine Makulopathie vor, kann das Schielen bei inspektorisch unauffälliger Augenstellung leicht übersehen werden. Die Ursachen für einen sog. Strabismus im Senium sind nicht einheitlich. Infrage kommt auch hier die Dekompensation einer vorbestehenden Phorie. Darüber hinaus kann der Elastizitätsverlust im Alter auch das Bindegewebe der Orbita einschließlich der Tenon-Pforten (Pulleys) erfassen. Dies könnte für eine spontane Änderung der Verlaufsrichtung der geraden Augenmuskeln, insbesondere des M. rectus lateralis prädisponieren [142]. Geringgradige Änderungen der Verlaufsrichtung des M. rectus lateralis können seine abduktorische Wirkung so weit beeinträchtigen, dass sich ein kleinwinkliges Innenschielen manifestiert. Für diese Erklärung spricht die Tatsache, dass nicht wenige Patienten mit sog. Strabismus im Senium auch eine geringgradige Abduktions-, manchmal auch eine geringgradige Hebungseinschränkung aufweisen. Die Atrophie des orbitalen Bindegewebes mit einer nach unten dislozierten Tenon-Pforte des M. rectus lateralis in Verbindung mit einer leichten Ptosis und tief liegenden Augen wird in der englischsprachigen Literatur als Sagging Eye Syndrome beschrieben [33]. Es ist klinisch unerheblich, ob man den Elastizitätsverlust orbitalen Bindegewebes in Verbindung mit einer entsprechenden Motilitätseinschränkung noch als „altersentsprechend“ einstuft oder als separates Krankheitsbild darstellt. Ein weiteres Erklärungsmuster für den Strabismus im Senium haben die anatomischen Arbeiten von Büttner und Ennever geliefert. Die Neurone der tonischen Muskelfasern eines Augenmuskels sind im Kerngebiet eines Augenmuskels peripher gelegen und um die Neurone der phasischen Muskelfasern gruppiert [30], [31], [32]. Denkbar wäre eine selektive Schädigung dieser Neurone durch Minderperfusion im Hirnstamm. Schließlich kann ein sog. Strabismus im Senium Erstsymptom einer sonst nicht klinisch auffälligen Kleinhirndegeneration sein. Unabhängig von den möglichen Ursachen lässt sich ein Strabismus im Senium meist gut behandeln. Bei kleineren Abweichungen kann die Anpassung entsprechender Prismen hilfreich sein. Bei größeren Abweichungen sollte – wenn möglich – eine Schieloperation durchgeführt werden. Die Indikation zur Augenmuskeloperation darf auch
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im fortgeschrittenen Alter großzügig gestellt werden. Diplopie oder auch durch kleinwinkliges Innenschielen empfundenes „Verschwommensehen“ kann insbesondere im höheren Alter rasch zu Fehleinschätzungen einer Bordsteinkante oder Türschwelle führen. Eine Diplopiebeseitigung ist in solchen Situationen eine wirksame Sturzprophylaxe.
2.3.5 Mikrostrabismus Definition Unter Mikrostrabismus oder Mikrotropie versteht man ein kleinwinkliges (Innen-)Schielen zwischen 0,5 und 5° mit obligat anomaler Netzhautkorrespondenz. Diese Definition lehnt sich eng an Lang an, der den Mikrostrabismus als eigenständiges Krankheitsbild mit seinen sensorischen Besonderheiten beschrieben und benannt hat [106]. Langs hervorragende Leistung beim Mikrostrabismus besteht darin, dass er eine Vielzahl von Einzelbeobachtungen und -beschreibungen richtig gedeutet und zu einem schlüssigen pathophysiologischen Konzept zusammengefügt hat. Häufige, insbesondere im englischsprachigen Schrifttum gebrauchte Synonyme zur Beschreibung von kleinwinkligen Schielformen sind: ● Esophorie mit Fixationsdisparität ● monofixational Phoria ● monofixational Syndrome ● Retinal Slip Fusion Disparity Diese Synonyme sind verwirrend und zum Teil auch falsch, weil sie den Besonderheiten des Krankheitsbilds des Mikrostrabismus in keiner Weise gerecht werden. Das gilt auch für den in der englischsprachigen Literatur sehr etablierten Begriff des Monofixationssyndroms, der von Parks initiiert wurde. Die Besonderheit des Mikrostrabismus liegt darin, dass Patienten mit dieser Schielform häufig zu (meist reduziertem) Binokularsehen in der Lage sind sowie über (begrenztes) Fusionsvermögen verfügen. Der Schielwinkel ist so klein, dass er im Grunde genommen fusioniert werden könnte, was durch die vorhandene anomale Netzhautkorrespondenz jedoch verhindert wird. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb man mit Prismen den Schielwinkel bei Mikrostrabismus nicht beseitigen kann, was natürlich auch für einen operativen Eingriff gilt. Rein formal unterscheidet man einen primären Mikrostrabismus von einem konsekutiven und sekundären Mikrostrabismus. Ein konsekutiver Mikrostrabismus mit groben Binokularfunktionen kann z. B. nach operativer Behandlung eines frühkindlichen Innenschielens entstehen. Von einem sekundären Mikrostrabismus würde man sprechen, wenn vor der Diagnose „Mikrostrabismus“ andere Augenerkrankungen vorgelegen haben. Der genaue Mechanismus, der zu einem Mikrostrabismus führt, ist unbekannt. Lang postulierte eine ausgeprägte Dominanz des Führungsauges mit einer Unfä-
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Strabismus im Senium (oder involutiver Strabismus)
2.3 Heterotropie higkeit des geführten Auges, dem dominanten Auge präzise zu folgen Das könnte zu einer Lockerung bzw. falschen Verschaltung binokularer Verbindungen mit anomaler Netzhautkorrespondenz führen [106], [107]. Möglicherweise spielt auch ein ungleiches Wachstum von Netzhautmitte und Netzhautperipherie mit nur minimaler Verschiebung des Netzhautzentrums im Vergleich zur Peripherie bei einem Mikrostrabismus eine Rolle [116]. Die Übergänge zwischen einem Mikrostrabismus convergens und einer dekompensierenden Esophorie mit (obligater) Fixationsdisparität sind fließend. Wahrscheinlich entsteht ein Mikrostrabismus innerhalb des 1. Lebensjahrs, möglicherweise auch innerhalb der ersten 2 Lebensjahre. Der primäre Mikrostrabismus convergens wird je nach Fixationsverhalten des schielenden Auges weiter eingeteilt: ● Mikrostrabismus mit zentraler Fixation und harmonisch anomaler Korrespondenz ● Mikrostrabismus mit exzentrischer Fixation und anomaler Korrespondenz ● Mikrostrabismus mit Identität
nisch bedingte Visusreduktion gehalten, insbesondere dann, wenn der Mikrostrabismus ein Zufallsbefund ist oder aber spät diagnostiziert wird. Die einseitige, anderweitig nicht richtig erklärbare Visusreduktion kann dann zu umfangreichen Untersuchungen, einschließlich bildgebender Verfahren und inklusive Lumbalpunktion führen, die bei sorgfältiger Untersuchung vermieden werden könnten.
Bei einem primären Mikrostrabismus mit zentraler Fixation des abweichenden Auges beobachtet man im einseitigen Abdecktest eine kleine Einstellbewegung, die dem tatsächlichen Schielwinkel entspricht. Die bei dieser Form des Strabismus assoziierte Amblyopie ist meistens nicht so ausgeprägt wie bei den beiden anderen primären Mikrostrabismusformen. Ein Ausgleich des Schielwinkels mittels Prismen würde wegen der harmonisch-anomalen Korrespondenz zu einem vollständigen Nachstellen des ursprünglichen Schielwinkels führen. Bei einem Mikrostrabismus mit exzentrischer Fixation liegt das Fixationszentrum häufig zwischen der Foveola und dem Korrespondenzzentrum. Hier ist die beobachtete Einstellbewegung im einseitigen Abdecktest je nach Ort der exzentrischen Fixation kleiner als der tatsächliche Schielwinkel. Die assoziierte Amblyopie ist häufig schwerer als bei Mikrostrabismus mit zentraler Fixation. Rechtzeitige Diagnosestellung und eine konsequente Okklusionsbehandlung ermöglichen es jedoch manchmal, die exzentrische Fixation in eine zentrale überzuführen mit entsprechendem Visusanstieg. Sehr viel seltener als die beiden erstgenannten Formen ist der Mikrostrabismus mit Identität. Hierbei stimmen der kleine konvergente Schielwinkel mit dem Anomaliewinkel und dem Winkel der Exzentrizität der Fixation überein. Die Identität von Schielwinkel, Anomaliewinkel und Abstand des Ortes der exzentrischen Fixation führt dazu, dass bei diesem Krankheitsbild im einseitigen Abdecktest keine Einstellbewegung zu beobachten ist. Die mit Mikrostrabismus mit Identität assoziierte Amblyopie ist häufig sehr ausgeprägt. Wegen einer fehlenden oder aber nur kleinen, leicht zu übersehenden Einstellbewegung im einseitigen Abdecktest wird die mit Mikrostrabismus assoziierte Amblyopie nicht selten für eine orga-
Von den seltenen Fällen des Mikrostrabismus mit Identität einmal abgesehen, beobachtet man im einseitigen Abdecktest häufig eine kleine, aber eindeutige Einstellbewegung von 0,5–5°. Das gleichzeitige Vorhandensein einer Anisometropie verstärkt den Verdacht, wobei das mikrotrope Auge häufig das hyperopere oder das Auge mit dem stärkeren Astigmatismus ist. Der Befund einer nichtfoveolaren Fixation des amblyopen Auges, der mit dem Cüppers-Stern im direkten Ophthalmoskop erhoben werden kann, bestätigt die Diagnose eines Mikrostrabismus. Ein weiterer wichtiger diagnostischer Baustein ist die Prüfung der Netzhautkorrespondenz, z. B. mit der bifovealen Fixation nach Cüppers oder aber mit dem Streifentest nach Bagolini. Trotzdem kann es manchmal schwierig sein – insbesondere bei Fehlen einer Anisometropie und einer sichtbaren Einstellbewegung im einseitigen Abdecktest –, mit uneindeutigen oder nicht erhebbaren Angaben in der Fixations- und Korrespondenzprüfung die Diagnose einer mikrostrabismusbedingten Amblyopie von einer organischen Sehverschlechterung zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, dass ein ausgeprägtes relatives afferentes Pupillendefizit (RAPD) bei ausgeprägter Visusreduktion für einen organischen Schaden spricht, während selbst bei schweren Schielamblyopien die Pupillomotorik normal oder fast normal ist.
Definition Einteilung des Mikrostrabismus ● Primärer Mikrostrabismus: ○ Mikrostrabismus mit zentraler Fixation ○ Mikrostrabismus mit exzentrischer Fixation ○ Mikrostrabismus mit Identität ● Primär dekompensierender Mikrostrabismus ● Konsekutiver Mikrostrabismus ● Sekundärer Mikrostrabismus
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L ●
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Diagnose
Therapie Die wichtigste therapeutische Maßnahme bei Mikrostrabismus ist die Amblyopiebehandlung durch Okklusion des führenden Auges. Die Prognose im Hinblick auf eine Visusverbesserung durch Okklusion des führenden Auges ist umso besser, je eher der Mikrostrabismus diagnostiziert und behandelt wird. Allerdings ist auch bei Patien-
145
Störungen
Konsekutiver Mikrostrabismus Ein Mikrostrabismus kann manchmal auch Residualzustand nach Behandlung einer anderen Schielform sein. So gilt der konsekutive Mikrostrabismus convergens mit groben Binokularfunktionen nach operativer Behandlung des frühkindlichen Innenschielens für viele als optimales funktionelles Ergebnis. Auch hier bestehen die Grundsätze, dass bei noch nicht abgeschlossener visueller Entwicklung eine Amblyopieprophylaxe oder -therapie vonnöten ist. Ein Mikrostrabismus kann sich auch spontan aus einer anderen Schielform entwickeln, z. B. aus einer phasenweise dekompensierenden kleinwinkligen Esotropie. Allerdings sollte man sich bei aller Notwendigkeit für eine möglichst präzise Terminologie immer vergegenwärtigen, dass es bei kleinwinkligen Schielformen im Hinblick auf Fixationsverhalten und Korrespondenzbeziehungen fließende Übergänge geben kann. Nicht selten ist auch unterschiedliches Korrespondenzverhalten bei dem gleichen Patienten nachweisbar. So können bei ein und demselben Patienten entweder nebeneinander oder in zeitlicher Abfolge normale und anomale Netzhautkorrespondenz wechseln. Die notwendigen therapeutischen Maßnahmen – insbesondere eine mögliche Amblyopiebehandlung/-prophylaxe vor Abschluss der Ausreifung des visuellen Systems – sollte von diesen Ueberlegungen nicht beeinflusst werden. Sehr viel seltener als der Mikrostrabismus convergens ist der Mikrostrabismus divergens oder der Mikrostrabismus verticalis. Auch diese Formen können primär, sekundär oder konsekutiv nach Augenmuskeloperationen entstehen [65].
Sekundärer Mikrostrabismus Entsteht ein Mikrostrabismus durch eine Augenerkrankung, spricht man von einem sekundären Mikrostrabismus. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Mikrostrabis-
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mus verticalis, der durch Makulopathie entstehen kann. Diese Schielform wird in Kap. 2.3.12 behandelt.
Dekompensierender Mikrostrabismus Ein Mikrostrabismus kann unabhängig von seiner primären Abweichung in einen größeren Schielwinkel dekompensieren. Auch hier sollte ein akkommodativer Anteil ausgeschlossen werden. Von der Anamnese ähnelt beispielsweise ein dekompensierter Mikrostrabismus einem normosensorischen Spätschielen. Eine mögliche Amblyopie, eventuell in Verbindung mit einer Anisometropie sowie die typischen Befunde von Fixation, Korrespondenz und Nachstellen eines kleinen Winkels nach Prismenausgleich lassen in der Regel eine präzise Diagnose zu. Auch beim dekompensierten Mikrostrabismus convergens ist die Wiederherstellung des alten Zustands unabhängig von einer Amblyopietherapie erklärtes Ziel einer Behandlung. Dieses kann nach Prismenausgleich und zeitnaher Augenmuskeloperation häufig erreicht werden. Es gibt Autoren, die gewisse Formen des Strabismus divergens intermittens als phasenweise dekompensierten Mikrostrabismus divergens klassifizieren. Das Auftreten eines dekompensierten Mikrostrabismus divergens als intermittierendes Außenschielen oder ein konsekutiver Mikrostrabismus divergens als Residualzustand einer operativen Behandlung eines intermittierenden Außenschielens ist möglicherweise häufiger als allgemein angenommen [67].
2.3.6 Konvergenzexzess Definition
L ●
Ein Konvergenzexzess liegt vor, wenn nach Ausgleich einer Fehlsichtigkeit bei Fernblick Parallelstand oder ein kleinwinkliges Innenschielen besteht, bei Nahblick jedoch ein größerer Innenschielwinkel auftritt.
Merke
H ●
Diagnose und Therapie des Konvergenzexzesses setzen eine genaue Refraktionsbestimmung und die Verordnung der richtigen Brille voraus!
Wir unterscheiden 3 Formen des Konvergenzexzesses: 1. (Norm)akkommodativer Konvergenzexzess, bei dem durch Vorsatz von Nahgläsern der Nahschielwinkel verschwindet (reiner akkommodativer Konvergenzexzess) oder sich dem Fernwinkel angleicht (Esotropie mit akkommodativem Konvergenzexzess). Diese Fälle erfordern die Verordnung von Bifokalgläsern (mit Trennungslinie über der Pupillenmitte).
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ten im Alter von 6 Jahren, bei denen z. B. erst bei der Einschulungsuntersuchung die Erkrankung zutage tritt, ein Okklusionsversuch angebracht. Man muss jedoch sagen, dass hierbei die Prognose für eine deutliche Visusbesserung schlechter ist. In Ausnahmefällen kann die Okklusion des Führungsauges zu Diplopie führen, insbesondere dann, wenn die Amblyopiebehandlung relativ spät, d. h. ab dem 3.–4. Lebensjahr, begonnen wird. Bei diesen Kindern persistiert die Diplopie nach Abnahme des Pflasters für eine gewisse Zeit bevor wieder vollständig supprimiert wird. Kurzzeitige Diplopie sollte kein Hinderungsgrund dafür sein, mittels Teilzeitokklusion bei Mikrostrabismus doch eine Visusverbesserung zu erzielen. Kontraindiziert ist jede Behandlung mit Prismen oder aber der Versuch, normale Netzhautkorrespondenz wiederherzustellen. Der Eingriff in die natürlichen Suppressionsmechanismen ist nicht nur wirkungslos, sondern erhöht auch ein mögliches Diplopierisiko.
2.3 Heterotropie
Merke
H ●
Die Bestimmung des Akkommodationsvermögens, des AC/A-Quotienten sowie das Verhalten des Nahschielwinkels bei Vorhalten von Plusgläsern erlaubt eine Differenzierung des Konvergenzexzesses. Die richtige diagnostische Einordnung ist wichtig, da die therapeutischen Maßnahmen unterschiedlich sind.
Normakkommodativer Konvergenzexzess Definition Beim normakkommodativen Konvergenzexzess haben die Patienten ein normales Akkommodationsvermögen. Allerdings besteht bei der Akkommodation eine nichtphysiologische Koppelung von akkommodativer Konvergenz und Akkommodation (d. h. der Brechkrafterhöhung der Linse). Das Ausmaß der Konvergenz pro akkommodierter Dioptrie ist überproportional. Man spricht auch von einem erhöhten AC/A-Quotienten (siehe AC/A-Quotient (S. 120), Messung des AC/A-Quotienten). Hier sei nur erwähnt, dass zur Bestimmung des AC/A-Quotienten die Gradientenmethode zwar genauer ist, bei der Beurteilung des Konvergenzexzesses jedoch die Heterophoriemethode die für die Diagnose und Behandlung relevanten Daten liefert. Kinder mit einem normakkommodativen Konvergenzexzess fallen dadurch auf, dass sie bei Nahblick anfangen zu schielen. Da ein rein akkommodatives Schielen durch eine nichtkorrigierte Hyperopie sich klinisch ähnlich manifestieren kann, wird noch einmal auf die Notwendigkeit einer Refraktionsbestimmung in Zykloplegie und den vollständigen Ausgleich einer eventuellen Hyperopie hingewiesen. Besteht trotz Hyperopieausgleich und normalem Akkommodationsvermögen bei Nahblick ein Innenschielen, erlaubt das Vorhalten von Plusgläsern (zur Neutralisierung des Akkommodationsaufwands) eine weitere Differenzierung. Beim normakkommodativen Konvergenzexzess verschwindet das Innenschielen bei Nahblick durch das Vorhalten der Plusgläser.
Therapie Die Therapie besteht in der Verordnung einer Bifokalbrille. Die Stärke des Nahzusatzes richtet sich nach der Stärke der Plusgläser, die erforderlich ist, um das Schielen bei Nahblick zu neutralisieren. Damit die Nutzung des Nahteils auch gewährleistet ist, sollte bei der Bifokalbrille bei gerader Kopfhaltung und Geradeausblick die Trennungslinie zwischen Fern- und Nahteil durch das untere Pupillendrittel verlaufen. Theoretisch wäre auch eine Gleitsichtbrille möglich. Allerdings müsste bei letzterer eine dezidierte Kopfzwangshaltung eingenommen werden, insbesondere dann, wenn bei sehr naher Blickdistanz der am stärksten wirkende Bereich des Gleitsichtglases benutzt wird. Erfahrungsgemäß wird eine Gleitsichtbrille, insbesondere bei jüngeren Kindern mit normakkommodativem Konvergenzexzess, nicht oder nicht ausreichend genutzt. Bei vielen Kindern verschwindet der normakkommodative Konvergenzexzess nach einigen Jahren bzw. er schwächt sich ab [51]. Deshalb empfehlen viele Autoren das Tragen einer Mehrstärkenbrille bis zur Pubertät. Bleibt eine solche spontane Besserung aus, kann der Konvergenzexzess nur operativ gebessert werden.
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Hypoakkommodativer Konvergenzexzess Heruntergeladen von: Z-library. Urheberrechtlich geschützt.
2. Hypoakkommodativer Konvergenzexzess, der durch eine verminderte Akkommodationsbreite gekennzeichnet ist. Er erfordert Bifokalgläser, wobei häufig von Kindern sogar (kosmetisch unauffälligere) Progressivgläser akzeptiert werden. 3. Nichtakkommodativer Konvergenzexzess: Er ist erkennbar daran, dass er kaum abnimmt, wenn durch Vorsatz von Nahgläsern die Akkommodationsanforderung entfällt. In diesem Fall ist die Verordnung von Bifokalgläsern nicht hilfreich.
Beim hypoakkommodativen Konvergenzexzess besteht reduziertes Akkommodationsvermögen. Der Nahpunkt ist bei diesen Kindern trotz Hyperopieausgleich unphysiologischerweise weit entfernt. Das reduzierte Akkommodationsvermögen führt bei Nahblick zu einem erhöhten Akkommodationsaufwand in dem Bestreben, scharf zu sehen. Dies wiederum hat ein Überschießen der an die Akkommodation gekoppelten Konvergenz zur Folge. Den erhöhten Akkommodationsaufwand erkennt man bei den Kindern an der sehr ausgeprägten Miosis bei Akkommodationsanforderung. Die einzig wirksame Therapie ist hier die Mehrstärkenbrille, die auch nicht durch eine Operation ersetzt werden kann. Im Gegensatz zum normakkommodativen Konvergenzexzess wird hier eine Gleitsichtbrille eher genutzt. Während beim normakkommodativen Konvergenzexzess mit einem Nahzusatz die Patienten am Akkommodieren gehindert werden sollen, ist der Nahzusatz bei Patienten mit Hypoakkommodation erforderlich, weil hier nicht (ausreichend) akkommodiert werden kann. Hypoakkommodation kann – auch ohne Konvergenzexzess – eine Ursache für Lese- und Schreibschwierigkeiten in der Schule sowie für asthenopische Beschwerden sein. Hypoakkommodation ist jedoch nicht zwangsläufig mit einem Konvergenzexzess vergesellschaftet, sondern kann auch mit Konvergenzinsuffizienz und/oder Nahexophorien vergesellschaftet sein.
147
Störungen Tab. 2.4 Unterschiedliche Formen des Konvergenzexzesses. Akkommodationsbreite
AC/A-Quotient
Therapie
Normakkommodativer (= hyperkinetischer) Konvergenzexzess
normal
erhöht
Bifokal- oder Mehrstärkenbrille, später eventuell Operation (retroäquatoriale Myopexie)
Hypoakkommodativer Konvergenzexzess
reduziert
erhöht
Bifokal- oder Mehrstärkenbrille, Operation ist wirkungslos
Nichtakkommodativer Konvergenzexzess
normal
Konvergenz von Akkommodation unabhängig
Operation (retroäquatoriale Myopexie)
Beim nichtakkommodativen Konvergenzexzess besteht normales Akkommodationsvermögen und ein mit der Gradientenmethode bestimmter normaler AC/A-Quotient (mit der Heterophoriemethode wird ein hoher AC/AQuotient gemessen!). Der Konvergenzüberschuss bei Nahblick ist nicht an die Akkommodation gekoppelt. Dementsprechend beeinflusst das Vorhalten von Plusgläsern bei Nahblick den Schielwinkel nicht. Der Konvergenzexzess kann hier nur mit einer operativen Maßnahme (siehe Kap. 5) reduziert werden. Nicht immer lässt sich ein Konvergenzexzess vollständig einem ganz bestimmten Typ zuordnen (vgl. ▶ Tab. 2.4). So sind Mischformen von hypoakkommodativem und nichtakkommodativem Konvergenzexzess gar nicht so selten. Auch bei einem frühkindlichen Innenschielen kann der Nahschielwinkel manchmal deutlich größer sein als der Fernschielwinkel. Der Begriff Konvergenzexzess sollte hierbei – wenn überhaupt – nur deskriptiv verwendet werden.
2.3.7 Schielen bei hoher Myopie Patienten mit einer hohen Myopie entwickeln manchmal ein Innenschielen, das zusammen mit einem Abduktionsdefizit und einem Hebungsdefizit entstehen kann. Sind beide Augen betroffen, imponiert ein sehr großer Innenschielwinkel mit der erwähnten Bewegungseinschränkung. In Extremfällen steht das Auge nasal und unten und ist nahezu unbeweglich. Man spricht in einer solchen Situation auch von einem Strabismus fixus. Der Ausdruck wird allerdings auch im Zusammenhang mit der Augenstellung beim Fibrosesyndrom und bei kindlichem Innenschielen mit sehr großen Schielwinkeln gebraucht. Der Begriff Heavy-Eye-Syndrom beruht auf der überholten Vorstellung, dass dieses Auge durch sein Eigengewicht nach unten sackt. Mittlerweile weiß man, dass eine durch die Myopie induzierte Änderung der Verlaufsrichtung der geraden Augenmuskeln, vor allem des M. rectus lateralis und des M. rectus superior, für diese Schielform ursächlich ist [101], [102], [113], [136]. Der im Verhältnis zur Orbita viel zu große Bulbus bewirkt, dass es – insbesondere in der lateralen und oberen Orbita – zu Platzproblemen kommt. Der M. rectus lateralis wird durch den großen Bulbus nach unten disloziert,
148
Abb. 2.16 MRT-Aufnahme der Orbita (koronare Schicht) bei dem Patienten aus ▶ Abb. 2.17. Man erkennt eine deutliche Änderung der Verlaufsrichtung des M. rectus lateralis, der nach unten verlagert ist (roter Pfeil). Außerdem fällt eine Verlagerung des M. rectus superior nach nasal auf (grüner Pfeil). Die Veränderung der Verlaufsrichtungen der genannten Muskeln ist auf beiden Seiten ähnlich. Man sieht, dass durch die Muskelverlagerung der temporal-obere Teil des Bulbus jetzt extrakonal liegt. Die Aufnahme zeigt auch, dass die myopen Augen temporal und oben nahezu Kontakt mit der Orbitawand haben.
der M. rectus superior nach nasal verschoben. Eine eventuelle Staphylombildung begünstigt die Verdrängung der Muskeln und bewirkt, dass ein Teil des Auges aus dem Muskeltrichter „herausluxiert“ ist. Ein nach unten dislozierter M. rectus lateralis wirkt nicht mehr als Abduktor, sondern als Senker. Die Hebungseinschränkung wird durch eine zusätzliche Verlagerung des M. rectus superior nach nasal verstärkt, der dann auch adduktorisch wirkt. Die Verlagerung der geraden Augenmuskeln lässt sich kernspintomografisch gut darstellen, und sie sind auch quantifiziert worden. ▶ Abb. 2.16 zeigt einen kernspintomografischen Koronarschnitt, auf dem der nach unten dislozierte M. rectus lateralis sowie der nach nasal verlagerte M. rectus superior gut zu erkennen sind. Betroffene Patienten sind durch die Augenstellung nicht nur entstellt, sondern funktionell durch die Bewe-
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Nichtakkommodativer Konvergenzexzess
2.3 Heterotropie
2 Abb. 2.17 Patient mit beidseits hoher Myopie von ca. –38,0 sph, ausgeprägtem Innenschielwinkel mit Abduktions- und Hebungseinschränkung an beiden Augen. Die Motilitätseinschränkung führt zu einer Kopfzwangshaltung mit Fixation in Adduktion und Kopfdrehung in Richtung des fixierenden Auges. Wegen der gleichzeitigen Hebungseinschränkung wird der Kopf auch etwas gehoben. a Fixation mit dem rechten Auge. b Fixation mit dem linken Auge.
gungseinschränkung erheblich belastet. Eine Fixationsaufnahme ist dann nur bei ausgeprägter Kopfzwangshaltung möglich. ▶ Abb. 2.17 zeigt einen Patienten mit einem beidseitigen Innenschielen bei hoher Myopie (R/L ca. –38,0 sph). Das Innenschielen nahm bei diesem Patienten über mehrere Jahre zu, desgleichen ein ansteigendes Abduktionsund Hebungsdefizit beidseitig. Die Motilitätseinschränkung führte zu einer entsprechenden Kopfzwangshaltung. Postoperativ (▶ Abb. 2.18) erkennt man nicht nur eine gebesserte Augenstellung, sondern auch eine deutlich gebesserte Motilität. Ein mechanisch bedingtes Schielen durch Änderung der Verlaufsrichtung der äußeren Augenmuskeln mit den oben beschriebenen Charakteristika ist auch bei älteren Patienten ohne Myopie beschrieben worden [43], [142]. Im Unterschied zum Schielen bei hoher Myopie ist bei diesen Patienten das Ausmaß der Innenschielabweichung geringer, manchmal stehen auch nur das Höhenschielen und die Hebungseinschränkung im Vordergrund. Ein mechanisch bedingtes Schielen bei älteren Patienten ist eine der wichtigen Differenzialdiagnosen bei „akutem Schielen“. Der Verdacht besteht immer dann, wenn zusammen mit der Stellungsänderung eine entspreche Bewegungseinschränkung manifest wird.
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Abb. 2.18 Postoperativer Befund des Patienten aus ▶ Abb. 2.17 nach beidseitiger Yokoyama-Operation. Gleichzeitig wurde eine hochdosierte Rücklagerung (13 mm) des M. rectus medialis an hängenden Fäden durchgeführt. Augenstellung, Kopfzwangshaltung und Motilität sind deutlich gebessert.
2.3.8 Obliquusstörungen, Alphabetsymptome Ein Horizontalschielen kann je nach vertikaler Blickrichtung seine Winkelgröße ändern. So kann z. B. ein Innenschielen im Abblick zunehmen und im Aufblick abnehmen. Der (horizontale) Schielwinkel in den unterschiedlichen vertikalen Blickrichtungen gleicht dann in seiner Ausprägung dem Buchstaben V. Man spricht bei einer solchen Konstellation auch von einem Innenschielen mit V-Symptom oder kurz von einer V-Esotropie (vgl. ▶ Abb. 2.14). Nimmt bei einem Innenschielen der Schielwinkel im Abblick ab und im Aufblick zu, so kann man die Ausprägung des Schielwinkels in Abhängigkeit von seiner vertikalen Blickrichtung mit dem Buchstaben A (einem auf dem Kopf stehenden V) vergleichen (vgl. ▶ Abb. 2.15) Auch für das Außenschielen gelten entsprechende Definitionen. Eine Exotropie, die im Abblick zu und im Aufblick abnimmt, würde man dann als A-Exotropie, im umgekehrten Fall als V-Exotropie bezeichnen. Unabhängig davon, ob ein Außenschielen oder ein Innenschielen vorliegt, wird mit dem Zusatz V (A) lediglich beschrieben, dass der Schielwinkel im Abblick konvergenter (divergenter) und im Aufblick divergenter (konvergenter) ist.
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Störungen blick jedoch divergent ist. Ein λ-Symptom beschreibt eine divergentere Augenstellung lediglich im Abblick. Beim seltenen X-Symptom besteht im Auf- und Abblick eine divergente(re) Augenstellung. Y-, λ- und X-Symptome kommen fast nur bei divergenter Augenstellung vor.
I ●
Fallbeispiel Bei einem 6-jährigen gesunden Jungen fällt hin und wieder – insbesondere bei Müdigkeit – ein Außenschielen auf. Es besteht auf beiden Augen voller Visus, und volle Binokularfunktionen sind gegeben. Der Junge selbst hat keinerlei Beschwerden. ▶ Abb. 2.19 zeigt die Augenstellung im Geradeausblick und in den Sekundärpositionen. Lediglich im
Aufblick ist eine divergente Augenstellung zu erkennen. Nach den oben genannten Definitionen liegt hier ein YSymptom vor. Da keine Kopfzwangshaltung eingenommen und das Schielen nicht als störend empfunden wird, besteht kein Handlungsbedarf.
Abb. 2.19 6-jähriger Junge mit einem nicht therapiebedürftigen Y-Symptom.
Die Ursachen für A-/V-Inkomitanzen sind vielfältig. Obliquusstörungen gehen typischerweise mit einem A- oder V-Symptom einher. So ist ein V-Symptom typisch bei einer Trochlearisparese oder beim Strabismus sursoadductorius (Kap. Strabismus sursoadductorius). Die abduktorische (Tertiär-)Wirkung der Mm. obliqui superiores fehlt im Abblick (dem Blickbereich, in dem die oberen schrägen Augenmuskeln ihr Wirkungsmaximum haben), was zu einer konvergenteren Augenstellung im Abblick führt. Beim Strabismus deorsoadductorius ist es umge-
kehrt, hier führt die relative Überfunktion der Mm. obliqui superiores zu einer vermehrten abduktorischen Wirkung, mit einer divergenteren Augenstellung im Abblick (A-Symptom). Einige Ursachen für eine Obliquusstörung werden bei der Beschreibung des Strabismus sursoadductorius behandelt. Obliquusstörungen als Ursache für ein Alphabetsymptom erkennt man an der Vertikalabweichung im Seitblick (vgl. ▶ Abb. 2.14, ▶ Abb. 2.15, ▶ Abb. 2.25, ▶ Abb. 2.29). Schädelmalformationen bei Kraniosynostosen können durch Änderungen der Anatomie
Abb. 2.20 Ausgeprägte Störung im Innervationsmuster der M. obliqui bei einem Kind mit Morbus Crouzon. Intraoperativ zeigte sich beidseitig eine hypoplastische, nasal inserierende Sehne des M. obliquus superior sowie ein sehr kurzer, äußerst strammer M. obliquus inferior.
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Der Vergleich dieser horizontalen Inkomitanzen mit Buchstaben hat zu dem Begriff Alphabetsymptom geführt [2]. Zusätzlich zu den genannten A- und V-Inkomitanzen haben sich weitere Buchstaben dazugesellt. Ein YSymptom bringt zum Ausdruck, dass die Augenstellung beim Geradeausblick und beim Abblick gleich, im Auf-
2.3 Heterotropie
2
Abb. 2.21 Postoperativer Befund nach beidseitiger Reinsertion des M. obliquus superior und maximaler Rücklagerung des M. obliquus inferior.
Strabismus sursoadductorius
a
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der Orbita bevorzugt zu Obliquusstörungen mit sehr ausgeprägtem Alphabetsymptom führen (▶ Abb. 2.20). Dies ist nicht weiter verwunderlich, da eine normale Funktion der Mm. obliqui an eine intakte Anatomie der Orbita geknüpft ist [109]. Weiss hat als ursächlich für die Alphabetsymptome eine Verrollung (Zyklotorsion) des Auges beschrieben, die er kampimetrisch bei Patienten mit Alphabetsymptomen nachwies [175]. So würde eine Auswärtsverrollung den M. rectus superior im Aufblick gleichzeitig als Abduktor und im Abblick als Adduktor wirken lassen, was zu einem V-Symptom führen würde. Auch Piper hat die Assoziation von Auswärtsverrollung mit einem V-Symptom sowie die Assoziation einer Inzyklotropie beim A-Symptom beschrieben [134]. Während es für Alphabetsymptome aufgrund von Obliquusstörungen plausible Erklärungen gibt, ist die Ursache für die (selteneren) Alphabetsymptome ohne Obliquusstörung letztlich unklar. Der von Weiss und Piper beschriebene Mechanismus sowie die von Clark und Demer beschriebenen Änderungen der Lage der Tenon-Pforte (S. 155) können nicht erklären, warum ein Patient ohne jede Vertikalabweichung im Seitblick ein Alphabetsymptom entwickeln kann. Bei den selteneren Patienten mit einem Alphabetsymptom ohne Obliquusstörung, z. B. einer V-Esotropie ohne Höhenabweichung im Seitblick, richtet sich die Therapie nach der Qualität der Binokularfunktionen und den Beschwerden des Patienten einschließlich einer möglichen Kopfzwangshaltung. Operativ sind Muskelverlagerungen an den Horizontalmotoren hilfreich (siehe Kap. 5).
b
Abb. 2.22 Verlaufs- und Zugrichtung der schrägen Augenmuskeln bei verschiedenen Augenstellungen. a Bei Adduktion muss die Sehne des M. obliquus superior um den nasalen Rand der Insertion des M. rectus superior wie um ein Hypomochlion herumziehen. Durch die veränderte Zugrichtung wirkt der M. obliquus superior verstärkt als Abduktor, wohingegen seine inzykloduzierende und senkende Wirkung vermindert ist. b Bei Abduktion ist die Sehne des M. obliquus superior unter dem M. rectus superior frei beweglich.
Definition Der Begriff Strabismus sursoadductorius wird einmal als deskriptiver Terminus verwendet und bedeutet „Höherstand in Adduktion“, wenn selbiger Teilsymptom einer Schielform ist. So zeigt z. B. ▶ Abb. 2.14 ein Innenschielen mit einem beidseitigen Höherstand in Adduktion. Die Ursache der Obliquusstörungen, die ein kindliches Innenschielen begleiten, ist ungeklärt. Eine mögliche Erklärung bietet die Hypomochlion-Wirkung des M. rectus superior (▶ Abb. 2.22a, b), durch welche die Zugrichtung
des M. obliquus superior so verändert wird, dass eine Verminderung der senkenden Wirkung vor allem in Adduktion resultiert [96]. Dieser Hypomochlion-Effekt würde erklären, dass ein Strabismus sursoadductorius sehr häufig bei fehlender Fusion (frühkindliches Innenschielen, Verlust der Sehkraft eines Auges) auftritt, in Adduktion zunimmt und bei Strabismus convergens häufiger ist.
151
Störungen
Isolierter einseitiger Strabismus sursoadductorius Definition Der isolierte einseitige Strabismus sursoadductorius ist ein umschriebenes Krankheitsbild mit typischer Klinik. Er ist 5-mal häufiger als der Strabismus deorsoadductorius, und ist etwa doppelt so häufig wie die neurogene Trochlearisparese. Klinisch wird der Strabismus sursoadductorius immer wieder mit einer einseitigen, erworbenen (neurogenen) Trochlearisparese verwechselt, obwohl eine diesbezügliche Abgrenzung fast immer möglich ist. Deshalb werden die differenzialdiagnostischen Unterschiede zur erworbenen Trochlearisparese hier mitbesprochen.
Fallbeispiel Bei einem 8-jährigen Mädchen fiel schon seit dem 2. Lebensjahr eine Kopfneigung nach rechts auf. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits die Diagnose eines angeborenen Höhenschielens gestellt. Die Kopfneigung wird von dem Mädchen selbst nicht registriert. In letzter Zeit hatte die Mutter immer häufiger ein Schielen bei ihrer Tochter beobachtet. Das Mädchen selbst klagt manchmal über müde Augen. ▶ Abb. 2.23 zeigt die für einen Strabismus sursoadductorius typische Kopfneigung (zur Gegenseite), ▶ Abb. 2.24 den positiven Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel. Bei Neigung des Kopfes zur Seite des betroffenen Auges kommt es zu einer deutlich sichtbaren Abweichung des betroffenen Auges nach oben. (Der Kopfneigetest ist in Kap. Trochlearisparese erklärt.) ▶ Abb. 2.25 zeigt die Augenstellung bei unterschiedlichen Blickrichtungen der Patientin. Man erkennt einen deutlich sichtbaren Höherstand des betroffenen linken Auges im Rechtsblick. Im Geradeausblick kann bei gerader Kopfhaltung das Höhenschielen nur kurzzeitig kompensiert werden. ▶ Abb. 2.26 zeigt die an der Tangententafel nach Harms gemessenen Schielwinkel. Nach großstreckiger einseitiger Rücklagerung des linken M. obliquus inferior (12 mm) kam es zu einem Verschwinden von Kopfzwangshaltung, Schielwinkel und Beschwerden.
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Die meisten Betroffenen mit isoliertem Strabismus sursoadductorius wissen zunächst gar nicht, dass sie ein angeborenes Höhenschielen haben. Sie kompensieren dieses in der Regel unbewusst mit einer Kopfneigung oder Kopfdrehung zur nicht betroffenen Seite. Nicht selten werden Patienten mit dieser Störung erst im Jugend- oder späteren Erwachsenenalter von ihrer Umwelt auf die Kopfzwangshaltung und/oder die sichtbare Vertikaldeviation im Seitblick angesprochen. Auf älteren Bildern, z. B. auf Klassenfotos oder dem Führerschein, ist die kompensatorische Kopfneigung häufig zu erkennen. Unabhängig davon kann sich die Störung durch das allmähliche Auftreten von vertikalen Doppelbildern bemerkbar machen, die in Verbindung mit asthenopischen Beschwerden stehen können, aber nicht müssen. Der genaue Zeitpunkt der Erstmanifestation kann häufig nicht angegeben werden. Im Gegensatz dazu können Patienten mit einer Trochlearisparese den zeitlichen Beginn ihrer Diplopie sehr präzise benennen und nehmen ganz bewusst eine Kopfneigung zur Gegenseite ein.
I ●
Abb. 2.23 8-jähriges Mädchen mit einer für den Strabismus sursoadductorius links typischen Kopfneigung zur nicht betroffenen Seite.
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Zum anderen bezeichnet der Begriff Strabismus sursoadductorius ein eigenständiges Krankheitsbild mit typischer Kopfzwangshaltung und Höhenabweichung.
2.3 Heterotropie
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Abb. 2.24 Positiver Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel bei der Patientin
Abb. 2.25 Augenstellung in den verschiedenen Blickrichtungen der Patientin aus ▶ Abb. 2.23 und ▶ Abb. 2.24. Man erkennt eine deutliche Sursoadduktion des linken Auges. Beim Geradeausblick kann die Höhenabweichung bei gerader Kopfhaltung nur phasenweise kompensiert werden.
einseitiger Strabismus sursoadductorius 30° 11° Ex 3°
D4°
6°
Ex 4° 15°
3°
30°
Ex 4° 9°
5°
links
rechts Ex 4°
Ex 4° 14°
Ex 3°
C3° Ex 4°
Ex 5° 9°
5° Ex 5°
Abb. 2.26 Mittelwerte der Schielwinkel von 87 Patienten mit Strabismus sursoadductorius. Die Schielwinkel sind so dargestellt, dass immer das rechte Auge das betroffene ist. Jeder Blickrichtung entspricht ein Kästchen mit 3 Zahlen. In dem Kästchen oben links steht der horizontale Schielwinkel (C = konvergenter Schielwinkel, D = divergenter Schielwinkel), oben rechts der vertikale Schielwinkel (+ = rechtes Auge steht höher als linkes Auge, – = linkes Auge steht höher als rechtes Auge). Die Zahl unter dem horizontalen und vertikalen Schielwinkel gibt die Zyklodeviation wieder (Ex = Exzyklo-, In = Inzyklodeviation).
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Merke
H ●
einseitige Trochlearisparese 30°
Die Doppelbilder sind bei Patienten mit Strabismus sursoadductorius immer vertikal versetzt, bei Patienten mit Trochlearisparese dagegen vertikal versetzt und häufig verkippt.
1° 3° Ex
D1°
0°
4° Ex 8°
1° 3° Ex
3°
2°
links
rechts 3° Ex
Während die Doppelbildwahrnehmung bei Patienten mit Strabismus sursoadductorius im Seitblick (bei Adduktion des betroffenen Auges) zunimmt, vergrößert sich der Doppelbildabstand bei Patienten mit Trochlearisparese vor allem im Abblick. Auch die Verteilung der für Obliquusstörungen typischen Vertikal- und Verrollungsabweichungen ist bei beiden Erkrankungen unterschiedlich (▶ Abb. 2.26, ▶ Abb. 2.27). Bei der erworbenen Trochlearisparese spielt neben der Vertikalabweichung auch die Zyklotropie eine fusionsstörende Rolle, Beide nehmen im Abblick zu. Im Gegensatz dazu wird beim länger bestehenden Strabismus sursoadduktorius die Zyklodeviation weniger wahrgenommen. Schließlich unterscheidet sich bei beiden Erkrankungen auch der Verlauf der Grenze zwischen binokularem Blickfeld und Diplopiefeld. Während beim Strabismus sursoadductorius Diplopiefeld und binokulares Blickfeld durch eine vertikal verlaufende Linie voneinander getrennt sind, verläuft diese Grenze bei der Trochlearisparese eher horizontal. ▶ Abb. 2.28 veranschaulicht dies. Als typisch für einen Strabismus sursoadductorius gilt auch eine erhöhte vertikale Fusionsbreite, die je nach Ausprägung der Störung 10° und mehr betragen kann. Allerdings kann auch bei einer länger bestehenden Trochlearisparese die vertikale Fusionsbreite erhöht sein und die Vertikaldeviation ihre Inkomitanz verlieren, so dass ein Strabismus sursoadductorius vorgetäuscht wird. Somit kann man als Untersucher auf eine ganze Reihe klinischer Kriterien zurückgreifen, die eine Unterscheidung beider Erkrankungen ermöglichen. Diese Unterscheidung ist nicht trivial, da bei Trochlearisparesen oft eine neurologische und neuroradiologische Diagnostik erforderlich ist, während eine entsprechende „Abklärung“ bei Patienten mit Strabismus sursoadductorius entfällt. Außerdem muss vor operativer Therapie einer Trochlearisparese mindestens 1 Jahr eine mögliche Spontanremission abgewartet werden, während ein Strabismus sursoadductorius sofort operiert werden kann. ▶ Tab. 2.5 fasst die differenzialdiagnostischen Kriterien beider Erkrankungen zusammen. Patienten mit einem Strabismus sursoadductorius haben häufig normale Binokularfunktionen. Letztere können aber auch subnormal sein, was bei einem beidseitigen isolierten Strabismus sursoadductorius häufiger ist. Manchmal geben Patienten bei Manifestation des Strabismus keine Diplopie an, sondern supprimieren.
154
30°
4° Ex 11°
5° Ex
C5°
5° Ex 9°
7° Ex
5° 9° Ex
Abb. 2.27 Mittelwerte der Schielwinkel von 25 Patienten mit Trochlearisparese. Im Vergleich zum Strabismus sursoadductorius (▶ Abb. 2.26) erkennt man deutlich inkomitantere Abweichungen von oben nach unten. Die Höhenabweichung ist in Adduktion und Abblick am größten, die Verrollungsabweichung in Abduktion und Abblick. Außerdem erkennt man – ähnlich wie beim Strabismus sursoadductorius – ein VSymptom.
Blickfeld bei Trochlearisparese
Strabismus sursoadductorius Doppelbilder
BES
BES Doppelbilder
Abb. 2.28 Binokulares Blickfeld und Diplopiefeld bei Strabismus sursoadductorius und Trochlearisparese (Schema jeweils rechtsseitige Störung).
Ursache Ursache des Strabismus sursoadductorius ist oft eine angeborene Hypoplasie oder Aplasie des N. trochlearis und/ oder des M. obliquus superior bzw. seiner Sehne. Letztere ist schon lange bekannt und wurde z. B schon von Cüppers [38] beschrieben. Neuere bildgebende Verfahren haben sowohl die Hypoplasie des M. obliquus superior als auch das Fehlen des IV. Hirnnervs bei vielen Patienten immer wieder bestätigt [42], [98], [108], [168], [184], [185]. Auffallend ist die große Streubreite, die eine einheitliche Bewertung des Krankheitsbilds erschwert. Siepmann und Herzau haben diese Variabilität ebenfalls bei 20 Patienten mit einem Strabismus sursoadductorius beschrieben [147]. Sie fanden fast seitengleich kräftige Muskeln bis hin zu fast völlig atrophierten, fadendünnen Muskeln. Kim und Hwang konnten bei 10 Patienten mit einseiti-
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Störungen
2.3 Heterotropie Tab. 2.5 Differenzialdiagnose zwischen isoliertem Strabismus sursoadductorius und erworbener Trochlearisparese. Kriterien
Strabismus sursoadductorius
Trochlearisparese
Doppelbilder
allmählich, können fehlen, vertikal
stets vorhanden, vertikal und verkippt
Beschwerden
Asthenopien, abends zunehmend
Schwindel, Orientierungsstörungen
Beginn der Symptome
schleichend
plötzlich
Schielen
sichtbar, bei Seitblick
kaum sichtbar
Kopfzwangshaltung
unbewusst, seit Jahren bekannt
bewusst eingenommen
Kopfneigungstest nach Bielschowsky
positiv bei Blickhebung und -senkung
positiv, vor allem bei Blicksenkung
Vertikaldeviation (VD)
konkomitant, VD in Adduktion: 10–15°
inkomitant, VD in Adduktion: 5–10°
Exzyklotropie
konkomitant, 3–5°
im Aufblick: 1–5°, im Abblick: 5–10°
Grenze zwischen Fusions- und Diplopiefeld
vertikal verlaufend
horizontal verlaufend
Vertikale Fusionsbreite
normal
erhöht
quus inferior) ebenfalls vermehrt innervieren. Diese kompensatorische Mehrfachinnervation würde dann als Höherstand in Adduktion auf dem kontralateralen Auge imponieren. Wie häufig solch isolierte Dislokationen von Tenon-Pforten ohne Motilitätsstörung sind, ist leider nicht belegt. Eine Verlagerung des M. rectus lateralis nach unten müsste neben einer kontralateralen Sursumduktion auch zu einer Esotropie führen.
Merke
H ●
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gem Strabismus sursoadductorius auf der betroffenen Seite keinen N. trochlearis nachweisen, während sie bei 15 Normalpersonen auf beiden Seiten mit ihrer Untersuchungstechnik den N. trochlearis zeigen konnten [98]. Damit bewiesen sie, dass in diesen Fällen der Strabismus sursoadductorius durch eine wohl angeborene neurogene Parese ohne Fehlinnervation verursacht wurde. Wenn man postuliert, dass je nach Ausmaß der embryonalen Störung die Anzahl der noch vorhandenen Nervenfasern variieren kann, dann ist sogar zu erwarten, dass solch große Unterschiede existieren. Das morphologische Bild von sehr dünnen bis hin zu normalen Muskeln hat ein passendes klinisches Korrelat: Bei sehr schlaffen Muskeln war sowohl die Vertikaldeviation in Primärposition mit 13° höher als diejenige bei normalen Muskeln (unter 8°). Auch der Ausfall des Kopfneigetests nach Bielschowsky war bei schlaffen Muskeln positiver: der Unterschied betrug einmal 20° zu 10°. Damit unterstützt die Klinik die Aussagekraft der morphologischen Befunde im MRT. Die frühe Einnahme einer Kopfzwangshaltung ist nach einer neueren Arbeit mit einer Hypoplasie des M. obliquus superior positiv korreliert [184]. Diese neuen Fakten haben bei manchen Autoren zu der Interpretation geführt, dass es sich bei dem Krankheitsbild um eine CCDD-Störung handelt [92], [93], [125]. Das Fehlen des 4. Hirnnervs als Ursache des isolierten Strabismus sursoadductorius lässt die englischsprachige Bezeichnung „kongenitale Trochlearisparese“ (kongenitale obliquus superior parese) für diese Fälle nicht mehr als so falsch erscheinen wie noch vor einigen Jahren. Als ursächlich für den Strabismus sursoadductorius sind auch Verschiebungen der Tenon-Pforte des M. rectus lateralis nach unten beschrieben worden [35]. Eine nach unten dislozierte Tenon-Pforte (Pulley) des M. rectus lateralis würde in Abduktion eine Senkung des Auges nach sich ziehen. Um dies zu verhindern, müsste die Innervation für die gleichseitigen Heber steigen. Nach dem HeringGesetz ist eine solche kompensatorische Innervationserhöhung jedoch nur für beide Augen möglich, so dass die kontralateralen Heber (Mm. rectus superior et obli-
2
Gründe für eine operative Behandlung: ● Kopfzwangshaltung, die langfristig zu Haltungsschäden und subjektiven Beschwerden (Nackenschmerzen) führen kann. ● Störende Diplopie im Seitblick oder bereits in Primärposition. ● Stabilisierung des Binokularsehens, insbesondere im Kindes- und Jugendalter. ● Suppression, die nicht selten als störend empfunden wird, weil das Sehen dann „anders“ ist als mit beiden Augen zusammen. ● Auffälliges Höhenschielen, auch bei Patienten, die keine der oben genannten Beschwerden aufweisen.
Therapie Unabhängig von den zugrunde liegenden Ursachen kann die Störung gut behandelt werden. Bei kleineren Abweichungen und diplopischen/asthenopischen Beschwerden kann – insbesondere im höheren Alter – ein Vertikalprisma hilfreich sein. Bei größeren Abweichungen oder wenn ein Prisma nicht toleriert wird, empfiehlt sich eine operative Behandlung (siehe Kap. 5).
155
Störungen
Beidseitiger isolierter Strabismus sursoadductorius
Isolierter Strabismus deorsoadductorius
Der beidseitige isolierte Strabismus sursoadductorius ist seltener als der einseitige. Patienten mit einem isolierten beidseitigen Strabismus sursoadductorius haben in Primàrposition eine parallele Augenstellung. Typisch sind ein ausgeprägtes V-Symptom sowie der sichtbare Höherstand des im Seitblick adduzierten Auges. Sensorisch sind subnormales Binokularsehen und eine anomale Zyklokorrespondenz typisch. Die beidseitige Fundusuntersuchung und Abschätzung der Verrollung eines jeden Auges ergibt eine deutliche Exzyklotropie, die von den Betroffenen jedoch nicht als solche empfunden wird. Ist die Störung annähernd symmetrisch ausgeprägt, fehlt auch die Kopfzwangshaltung. Der Kopfneigetest ist zwar zu beiden Seiten positiv, aber nicht so ausgeprägt wie bei der einseitigen Störung. Asthenopische Beschwerden sind ebenfalls seltener.
Strabismus deorsoadductorius bedeutet Tieferstand in Adduktion. Er ist viel seltener als der Strabismus sursoadductorius und kann genauso als isolierte Störung vorkommen bzw. mit einer anderen Schielform vergesellschaftet sein, z. B. einem frühkindlichen Innenschielen (▶ Abb. 2.15) oder einem Strabismus divergens. Als isolierte Störung geht er typischerweise mit einer Kopfneigung zur betroffenen Seite und einem Tieferstand in Adduktion des betroffenen Auges einher. Patienten mit einem Strabismus deorsoadductorius können normale oder subnormale Binokularfunktionen haben. Die Störung kann ein- oder beidseitig auftreten.
Definition
44-jähriger Mann, der bei Anstrengung und Müdigkeit über Doppelbilder bei Fern- und Nahblick klagt. Auf Nachfrage erklärt er, dass sie beim Linksblick stärker sind. Während der Unterhaltung fällt eine leichte Kopfrechtsneigung auf, die vom Orthopäden als Ausdruck einer Funktionsstörung der Wirbelsäule gedeutet wurde.
I ●
▶ Abb. 2.29 zeigt den Patienten und seine Augenstellung in den unterschiedlichen Blickrichtungen, ▶ Abb. 2.30 die dazugehörenden, an der Tangententafel gemessenen Schielwinkel. Man erkennt einen Tieferstand des rechten Auges im Linksblick. Passend dazu ein A-Symptom.
Abb. 2.29 Augenstellung in den verschiedenen Blickrichtungen bei einem Patienten mit rechtsseitigem Strabismus deorsoadductorius. Gut zu erkennen sind der Tieferstand des rechten Auges in Adduktion sowie das A-Symptom.
einseitiger Strabismus deorsoadductorius 30° C2°
-8° In 3°
0°
C1°
-6° In 3°
-8°
D3°
C1°
-3°
30°
In 3° -7°
D1°
0°
links
rechts In 3° D2°
-14°
In 5°
In 3° D5° In 8°
In 3° -8°
D2°
-1°
In 8°
Abb. 2.30 Schielwinkel des Patienten aus ▶ Abb. 2.29 in Grad, gemessen an der Tangententafel nach Harms. Zur Erklärung siehe die Legende in ▶ Abb. 2.26.
156
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Fallbeispiel
2.3 Heterotropie
Kombination des Strabismus sursoadductorius mit dem Strabismus deorsoadductorius Es gibt Patienten, die auf einem Auge einen Strabismus sursoadductorius und auf dem anderen Auge einen Strabismus deorsoadductorius aufweisen. Das gemeinsame Auftreten dieser beiden Schielformen auf je einem Auge hat zu der Hypothese geführt, dass es sich möglicherweise um eine CCDD-Erkrankung mit unterschiedlicher Manifestation an beiden Augen handelt [92], [93], [125]. Klinisch imponiert bei diesen Patienten eine deutlich konkomittierende Höhe mit ausgeprägter Kopfzwangshaltung (Kopfneigung zur Seite des Auges mit dem Strabismus deorsoadductorius). Bei asymmetrischer Ausprägung der Störung sollte man zunächst die Störung angehen, die im Vordergrund steht. Eine gleichzeitige operative Behandlung des Strabismus sursoadductorius auf einem Auge und eines Strabismus deorsoadductorius auf dem anderen Auge lässt sich schwer dosieren. Nicht selten ist auch ein Eingriff an den geraden Vertikalmotoren der Eingriff erster Wahl.
2.3.9 Strabismus divergens intermittens
als auch Patienten mit dekompensierender Exophorie. Diese Ungenauigkeit begrenzt die Aussagekraft vieler Studien mit „intermittierend divergenten“ Patienten. Neben der Klinik ist eine Unterscheidung beider Erkrankungen zusätzlich durch Untersuchung der Netzhautkorrespondenz möglich. Während bei dekompensierender Exophorie sowohl bei kompensierter (paralleler) als auch bei dekompensierter (divergenter) Augenstellung normale Korrespondenzverhältnisse vorliegen, geben Patienten mit einem Strabismus divergens intermittens nur bei Parallelstand eine normale Korrespondenz an. In der Abweichphase supprimieren die Patienten oder es besteht sog. Panoramasehen. Hierbei wird der Seheindruck des abgewichenen Auges sinnvoll in das beidäugige Gesichtsfeld integriert. Bei Vorhalten eines Rotglases vor das abgewichene Auge gibt der Patient (wenn er denn etwas angibt) paradoxerweise ungekreuzte Lokalisation an. Da bei einer divergenten Augenstellung normalerweise gekreuzte Diplopie wahrgenommen wird, spricht man bei Strabismus divergens intermittens auch von paradoxer Diplopie, womit die ungekreuzte (d. h. gleichnamige) Lokalisation in der Abweichphase gemeint ist, die als typisches Zeichen dieser Schielform gilt. Die Patienten haben bezeichnenderweise keine Spontandiplopie. Auch wenn es zwischen intermittierendem Strabismus divergens und dekompensierender Exophorie klinische Mischformen gibt, ist es hilfreich, zwischen beiden Schielformen zu unterscheiden, da therapeutisches Vorgehen und Prognose der Erkrankungen verschieden sind. ▶ Tab. 2.6 fasst wichtige Unterschiede beider Erkrankungen zusammen.
2
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Da lediglich bei großer Müdigkeit Beschwerden auftreten und der Patient sich dadurch nicht beeinträchtigt fühlt, wurde keine Therapie geplant. Grundsätzlich wäre hier eine Rücklagerung des M. obliquus superior der Eingriff erster Wahl.
Ursache
Definition Der Strabismus divergens intermittens (syn. intermittierende Exotropie) ist eine Schielform, bei der es zu einem zeitweisen Außenschielen bei Fern- und/oder Nahblick kommt, vor allem dann, wenn Stereosehen nicht gefordert wird. Typischerweise haben die Betroffenen weder diplopische noch asthenopische Beschwerden, wodurch sich der Strabismus divergens intermittens von der dekompensierenden Exophorie unterscheidet. Bei letzterer sind Diplopie in der Abweichphase und asthenopische Beschwerden typische Symptome. Leider ist der Begriff Strabismus divergens intermittens auch rein deskriptiv benutzt worden und beinhaltet dann sowohl Patienten mit Strabismus divergens intermittens
Die Ursachen der Erkrankung sind letztlich nicht geklärt, auch wenn es mehrere Hypothesen gibt. Duane [48], der neben einem aktiven Konvergenzmechanismus auch einen aktiven Divergenzmechanismus postulierte, ging von einer Überfunktion der aktiven Divergenz bei vielen Patienten aus. Die Vorstellung einer aktiven Divergenzinnervation, die bei Strabismus divergens pathologisch erhöht ist (sog. Divergenzexzess), wird insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum heute noch favorisiert. Demgegenüber postulierten Albrecht von Graefe und Bielschowsky [9], [12], [13] eine anomale divergente Ruhelage der Augen, bedingt durch anatomische Besonderheiten der Orbita und des Aufhängeapparats der Augen
Tab. 2.6 Differenzialdiagnose zwischen intermittierendem Strabismus divergens intermittens und dekompensierender Exophorie. Kriterien
Dekompensierende Exophorie
Strabismus divergens intermittens
Korrespondenz
immer normal
Bei Parallelstand: normal In der Abweichphase: Panoramasehen oder Suppression
Asthenopische Beschwerden
häufig
selten
Diplopiewahrnehmung
häufig
nie
Prismentherapie
hilfreich
häufig ohne Erfolg
157
Störungen
Einteilung Der Strabismus divergens intermittens kann je nach Schielwinkelgröße bei Fern- und Nahblick klassifiziert werden. Verbreitet ist die Einteilung nach Burian [29], die sich an die Einteilung von Duane [48] anlehnt, die allerdings nicht zwischen Patienten mit Typ Divergenzexzess und solchen mit Typ Pseudodivergenzexzess differenziert. Diese Unterscheidung ist für das therapeutische Vorgehen jedoch wichtig. Deshalb ist die rein deskriptive Einteilung nach Burian empfehlenswert. ▶ Divergenzexzesstyp. Bei dieser Form ist der divergente Schielwinkel bei Fernblick um mindestens 7° größer als bei Nahblick. Der Begriff Divergenzexzess geht auf Duane zurück und insinuiert eine verstärkte aktive Divergenzinnervation als Ursache des Schielens. Tatsächlich ist ein echter Divergenzexzesstyp beim intermittierenden Außenschielen sehr selten. ▶ Pseudodivergenzexzesstyp. Die meisten Patienten mit einem deutlich größeren Fernschielwinkel als Nahschielwinkel vergrößern ihren Nahschielwinkel häufig nach einer kurzzeitigen diagnostischen Okklusion (ca. 1 Stunde). Die permanente Aktivierung der fusionalen Konvergenz bei Nahblick hält auch nach kurzzeitiger Dissoziation im Abdecktest an, weshalb erst durch eine längere Unterbrechung der fusionalen Vergenz der „echte“ Nahschielwinkel freigegeben wird. Die Unterscheidung zwischen Divergenzexzesstyp und Pseudodivergenzexzesstyp ist im Hinblick auf einen möglichen operativen Eingriff wichtig. Letzterer kann mit
158
einer kombinierten Divergenzoperation behandelt werden, während dieser Eingriff bei einem richtigen Divergenzexzesstyp zu einer Überkorrektion des Nahschielwinkels mit entsprechender Diplopie führen würde. ▶ Neutraltyp. Bei dieser Form des Strabismus divergens intermittens ist der Schielwinkel bei Fern- und Nahblick gleich groß. ▶ Konvergenzschwächetyp. Bei diesem Schieltyp ist der gemessene Schielwinkel bei Nahblick um mindestens 7° größer als bei Fernblick. Der Strabismus divergens intermittens kann sich unilateral, aber auch alternierend manifestieren.
Klinische Zeichen und Symptome Patienten mit einem Strabismus divergens intermittens leiden typischerweise nicht unter Doppelbildern oder asthenopischen Beschwerden. Nicht wenige Patienten „spüren“ – möglicherweise über einen propriozeptiven Mechanismus –, wenn ihr Auge abweicht. Einige dieser Patienten fühlen sich dann verunsichert und geben auf gezieltes Nachfragen eine veränderte Sehweise an, ohne dass dies präzisiert werden kann. Andere geben eindeutig eine Vergrößerung des beidäugigen Gesichtsfelds bei Manifestation des Strabismus an. Nicht selten manifestiert sich der Strabismus bei starker Lichteinstrahlung. Häufig kneifen dann die Betroffenen ein Auge zu, was von vielen als typisches Krankheitszeichen gewertet wird. Warum Patienten mit intermittierender Exotropie (und hier insbesondere Kinder) bei starker Sonneneinstrahlung ein Auge zukneifen, ist letztlich unklar. Möglicherweise bewirkt eine hellere Umweltleuchtdichte eine stärkere Suppression mit Manifestation des Strabismus vor dem Hintergrund einer erhöhten binokularen Blendempfindlichkeit. Es gibt aber auch viele Normalpersonen ohne Strabismus divergens intermittens, die ein Auge zukneifen, ohne dass es hierfür eine schlüssige Erklärung gibt.
Merke
H ●
Wichtig ist, die Eltern eines Kindes mit Strabismus divergens intermittens dahingehend aufzuklären, dass das Zukneifen eines Auges bei Sonnenlicht nicht zur Vermeidung von Diplopie erfolgt und deshalb kein (zusätzliches) Argument für eine Operationsindikation sein sollte.
Manche Patienten kompensieren ihren Schielwinkel durch akkommodative Vergenz, was dann zu Verschwommensehen bei Fernblick führt. Unabhängig davon kann bei diesen Patienten der binokulare Visus dann schlechter sein als der monokulare und sollte deshalb immer mitgeprüft werden.
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als wahrscheinliche Ursache. Donders vermutete in der Myopie ein (vermeintliches) Risiko. Bei Myopie würde bei Nahblick die Akkommodation und mit ihr die akkommodative Vergenz zu wenig in Anspruch genommen werden, was deshalb zu einem Außenschielen führen würde. Auch eine Störung der Propriozeption auf dem dominanten Auge wurde als Ursache des Strabismus divergens intermittens diskutiert [117], [118]. Jampolsky postulierte, dass die Vorstufe eines Strabismus divergens intermittens immer eine (dekompensierende) Exophorie sei. Auch wenn es Übergänge zwischen beiden Krankheitsbildern gibt und einige Patienten mit Strabismus divergens intermittens früher möglicherweise an einer Exophorie ohne die für den Strabismus divergens typischen sensorischen Anpassungen litten, kann auch umgekehrt aus einem Strabismus divergens intermittens eine Exophorie, manchmal sogar eine Orthophorie entstehen. Bei kritischer Wertung der unterschiedlichen Theorien könnte man mit dem Konzept einer anomalen (divergenten) Ruhelage sowie gestörten bzw. nicht ausreichenden innervatorischen Kompensationsmechanismen das Schielwinkelverhalten der meisten Patienten mit Strabismus divergens erklären.
2.3 Heterotropie
Untersuchung des Patienten ▶ Sehschärfe. Auf die Notwendigkeit der Visusprüfung bei beidseits offenen Augen wurde bereits hingewiesen, um ein mögliches Verschwommensehen durch Kompensation mittels akkommodativer Konvergenz auszuschließen. ▶ Schielwinkel. Bei der Schielwinkelmessung mit den üblichen Methoden sollte bedacht werden, dass erst die Messung des Fernschielwinkels bei weit entfernten Objekten den vollständigen Schielwinkel preisgibt. Eine Untersuchung des Fernschielwinkels bei Betrachten eines 5 Meter entfernten Optotypen ist manchmal nicht ausreichend. Insbesondere vor einer geplanten Operation sollte auch der Blick in die Ferne (aus dem Fenster heraus) geprüft werden. Wichtig ist auch die Messung der Schielwinkel im Rechts- und Linksblick, die deutlich kleiner sein können als in der Hauptblickrichtung. Kleinere Schielwinkel im Seitblick sind bei der Dosierung einer eventuellen Operation unbedingt zu berücksichtigen. ▶ Binokularfunktionen. Umstritten ist, ob eine Messung der Fernstereopsis zur Basisdiagnostik bei Patienten mit Strabismus divergens intermittens zwingend ist und ob eine reduzierte Binokularfunktion bei Fernblick bereits eine Operationsindikation darstellt. Einige Arbeitsgruppen versuchen, durch die Korrektion jedes manifesten Schielens die binokulare Zusammenarbeit so zu stärken, dass ein manifestes Schielen mit Suppression nicht mehr vorkommt. Es fehlen jedoch randomisierte, prospektive Studien, die mit diesem Vorgehen eine geringere Rezidivrate gezeigt hätten. Es ist von fundamentaler Wichtigkeit, Patienten mit einem Strabismus divergens intermittens häufiger zu untersuchen, insbesondere wenn die Frage einer operativen Therapie im Raum steht. Es ist bekannt und in vielen Studien leider unberücksichtigt, dass sowohl die Kompensationsfähigkeit [70] als auch die Qualität der Binokularfunktionen [71] erheblichen Schwankungen unterworfen sein kann, die nicht nur vom Vigilanzzustand des Patien-
ten abhängen. Diese Schwankungen relativieren die tatsächliche Wirkung therapeutischer Effekte.
Therapie Nichtoperative Therapie
2
▶ Ametropieausgleich. Grundsätzlich sollte bei einem Patienten mit Strabismus divergens intermittens eine bestehende Refraktionsanomalie voll ausgeglichen werden. Strittig ist, ob dies auch bei einer leichten Hyperopie geschehen soll. Empfehlenswert ist bei Beschwerdefreiheit und guten Binokularfunktionen, jede Hyperopie über 2 dpt bei einem Kind auszugleichen. Der Effekt eines Refraktionsausgleichs ist bei den oben beschriebenen Schwankungen von Kompensationsfähigkeit und Güte der Binokularfunktionen nicht immer genau einzuordnen. ▶ Amblyopietherapie. Amblyopien sind bei Strahbismus divergens intermittens selten. Muss okkludiert werden, ist nicht ausgeschlossen, dass als Folge einer Teilzeitokklusion trotz Visusverbesserung eine Verschlechterung der Kompensationsfähigkeit auftreten kann. Bei einer Güterabwägung hat in einer solchen Situation immer der Visus Vorrang. Umgekehrt beobachtet man nicht selten bei einer Visusbesserung nach Amblyopietherapie auch eine Verbesserung der Kompensationsfähigkeit. Bei streng unilateralem Strabismus ohne Amblyopie des abweichenden Auges wird immer wieder über eine verbesserte Kompensationsfähigkeit nach kurzer, z. B. halbstündiger, täglicher Teilzeitokklusion des Führungsauges berichtet. Die schon erwähnten Schwankungen der Kompensationsfähigkeit relativieren möglicherweise auch diese Maßnahme. Evidenzbasierte Studien liegen zur tatsächlichen Wirkung des Effekts einer Teilzeitokklusion nicht vor.
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Stereosehen und Qualität der Binokularfunktionen sind bei vielen Patienten mit Strabismus divergens intermittens normal. Bei subnormalen oder stark reduzierten Binokularfunktionen ist nicht immer zweifelsfrei zu klären, ob die Einschränkung des Binokularsehens Folge der intermittierenden Exotropie ist oder ob möglicherweise subnormales Binokularsehen selbige begünstigt oder sogar ausgelöst hat. Eine Amblyopie, insbesondere eine tiefe Amblyopie, ist bei unilateralem Strabismus divergens intermittens selten und sollte immer ein Anlass sein, gezielt nach anderen möglichen Ursachen einer Sehverschlechterung zu fahnden.
▶ Orthoptische Übungen und Schulung. Bei Patienten mit Strabismus divergens intermittens vom Konvergenzschwächetyp werden von manchen Autoren Übungen empfohlen. Im englischsprachigen, mehr noch im französischsprachigen Raum haben orthoptische Übungen und „rehabilitative Maßnahmen“ einen hohen Stellenwert bei der Behandlung. Evidenzbasierte Studien zur Wirksamkeit solcher Schulungen liegen nicht vor. ▶ Prismentherapie. Im Gegensatz zur dekompensierten Exophorie ist eine Therapie mit Prismen häufig frustran, auch wenn in einigen Studien die Wirksamkeit von Prismen beschrieben wurde. In manchen speziellen Situationen (kleiner Schielwinkel, begleitende Konvergenzschwäche) kann der Einsatz von Prismen jedoch sinnvoll sein. Wenn über eine verbesserte Kompensationsfähigkeit durch Prismen berichtet wird, handelt es sich möglicherweise um Außenschielformen, bei denen die Klinik eine eindeutige Zuordnung zur intermittierenden Exotropie
159
Störungen
▶ Minusgläser. Insbesondere im englischsprachigen Raum, aber auch in Südeuropa wird bei einem moderaten Außenschielen und guten Binokularfunktionen eine Hyperopisierung mit Minusgläsern zur Stabilisierung von Binokularfunktionen empfohlen. Die Therapie mit Minusgläsern bei Strabismus divergens intermittens geht auf Landolt zurück [103]. Es ist aber zweifelhaft, ob durch dauerhafte Anregung akkommodativer Konvergenz Fusi-
onsverhalten und Binokularsehen sinnvoll stabilisiert werden können. Evidenzbasierte Studien zum Einsatz von Minusgläsern liegen nicht vor.
Operative Therapie Eine funktionelle Indikation zur Operation besteht immer dann, wenn eine Verschlechterung der Binokularfunktionen droht. Diese Gefahr ist immer dann gegeben, wenn die Manifestationshäufigkeit des Strabismus zu- und die Rekompensationsfähigkeit abnimmt. Ist der Patient durch sein intermittierendes Schielen gestört und verunsichert, besteht auch hier eine Operationsindikation.
I ●
Fallbeispiel Eine 25-jährige Frau stellt sich mit der Frage einer Schieloperation vor. Der Visus beträgt R/L 1,25, das Binokularsehen in der Nähe 60‘‘ im TNO-Test, der Lichtschweiftest nach Bagolini ist in Ferne und Nähe positiv. Die Frau hat keinerlei Beschwerden und kann willentlich entweder das rechte oder das linke Auge nach außen „wegrutschen“
lassen (▶ Abb. 2.31). Bei Müdigkeit würde sie „spüren“, dass ein Auge nach außen wegrutscht. Ihren Lebenspartner, der das abends manchmal beobachtet, stört die divergente Augenstellung. Nach Aufklärung entscheidet sich die Frau für den Eingriff (kombinierte Divergenzoperation auf einem Auge), der komplikationslos verläuft.
Abb. 2.31 Präoperative Augenstellung bei einer Frau mit Strabismus divergens intermittens. Die Patientin hat keine Beschwerden und kann willkürlich das rechte oder linke Auge nach außen wegrutschen lassen.
Fallbeispiel Ein 5-jähriges Mädchen mit einem klassischen Strabismus divergens intermittens wird vom Augenarzt mit der Bitte einer operativen Korrektion zugewiesen. Das Schielen bestünde mindestens seit dem 2. Lebensjahr und habe in letzter Zeit zugenommen. Die Eltern würden den Eingriff gerne vor der Einschulung durchführen lassen. Befund: beidseitiger Visus 1,25, Landoltringe 17,2‘‘. Binokularfunktionen: TNO-Test: 120‘‘, Lang 1:550‘‘, Bagolini bei Nahblick positiv, bei Fernblick Dekompensation. Bei der Untersuchung fällt auf, dass bei Fernblick die Augenstellung leicht dekompensiert und eine Refusionsbewegung manchmal spontan, manchmal erst nach Blickrichtungsänderung eintritt. Bei
160
I ●
Nahblick wird meist spontan rekompensiert. Schielwinkel im alternierenden Abdecktest bei Fernblick 18°, bei Nahblick 15°. Nach einem längeren Gespräch mit den besorgten Eltern, ob ein operativer Eingriff zwingend sei und ob man nicht doch noch ein paar Monate warten könne, wird die Entscheidung der Operation vertagt. Bei den folgenden Untersuchungen deutliche Besserung der Kompensationsfähigkeit bei Fernblick, Qualität der Binokularfunktionen stabil. Mittlerweile ist das Mädchen 10 Jahre alt. Der Strabismus divergens intermittens ist nur nach längerem Abdecken nachweisbar, die Schielwinkel betragen bei Fern- und Nahblick zwischen 5° und 8°.
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oder aber zur dekompensierenden Exophorie nicht zulässt. Da natürlich auch diese Mischformen behandelt werden müssen, ist bei entsprechenden Beschwerden bzw. drohender Verschlechterung der Binokularfunktionen ein Versuch mit Prismen legitim.
2.3 Heterotropie larfunktionen (bei Fernblick) zeigen, welche Herausforderung eine echte Verlaufskontrolle und zuverlässige Operationsindikation darstellen kann.
Wahl des Operationsverfahrens
2
Steht die Indikation, stellt sich die Frage, welches Operationsverfahren am geeignetsten ist. Grundsätzlich sollte, wenn möglich, eine kombinierte Operation auf dem nichtdominanten Auge durchgeführt werden (siehe Kap. 5.1). Alternativ befürworten manche Autoren eine beidseitige Rücklagerung des M. rectus lateralis, die genauso effektiv sein soll, wie eine einseitige kombinierte Operation (Pediatric Eye Disease Investigator Group. A randomized trial comparing bilateral lateral rectus recession versus unilateral recess and resect for basic-type intermittent exotropia. Ophthalmology. 2019;126:305-317). Eine kombinierte Operation ist beim Neutraltyp und beim Pseudodivergenztyp die Methode der Wahl. Auch beim Konvergenzschwächetyp kann manchmal eine kleine Rücklagerungsstrecke des M. rectus lateralis mit einer größeren Verstärkung des M. rectus medialis kombiniert werden. Die beidseitige Medialisresektion, die manche Autoren favorisieren, hat zum einen eine relativ große Schwankungsbreite, zum anderen kann sie einen erheblichen (unerwünschten) Effekt auf den Fernschielwinkel aufweisen. Beim zum Glück seltenen echten Divergenzexzesstyp gestaltet sich die Operationsplanung schwierig, vor allem dann, wenn ausschließlich bei Fernblick ein (häufig) manifester Schielwinkel besteht und in der Nähe so gut wie keine Abweichung mit guten Binokularfunktionen nachweisbar ist. Hier wird von einigen Autoren eine beidseitige Rücklagerung der Mm. recti laterales in Verbindung mit einer beidseitigen Medialis-Myopexie diskutiert. Eine alleinige Rücklagerung der lateralen Augenmuskeln kann in dieser Situation zu erheblichen Überkorrektionen bei Nahblick mit Diplopie, im Extremfall zum Verlust des Binokularsehens führen. In dieser Situation sollte man einen Eingriff nicht zu früh durchführen.
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Das Erkennen einer drohenden Verschlechterung der Binokularfunktionen ist eine ausgesprochene diagnostische Herausforderung, nicht zuletzt deshalb, weil Kompensationsfähigkeit und Güte der Binokularfunktionen erheblichen Schwankungen unterliegen. Hier helfen nur wiederholte Untersuchungen des Patienten. Über den Spontanverlauf bei Strabismus divergens intermittens, insbesondere über die Gefahr eines Verlusts der Binokularfunktionen, gibt es in der Literatur wenig valide Daten. Costenbader konnte bei 472 Patienten mit Strabismus divergens intermittens vom Typ Divergenzexzess bei weniger als 5 % einen Übergang in eine konstante Fernexotropie feststellen [36]. Hiles konnte in einer Studie von 48 Patienten, die alle für einen operativen Eingriff vorgesehen waren und bei denen eine Augenmuskeloperation aus unterschiedlichen Gründen dann doch nicht durchgeführt wurde, lediglich bei 2 Patienten einen Übergang zu einer konstanten Fernexotropie beobachten [79]. Zwei Drittel der Patienten waren am Ende des Beobachtungszeitraums (11–22 Jahre) exophor, ein knappes Drittel nach wie vor intermittierend exotrop. Bei Nahblick war am Ende des Beobachtungszeitraums kein einziger Patient konstant exotrop. Viele Patienten hatten über die Zeit ihren Schielwinkel verkleinert. Eine neuere Arbeit bestätigt, dass eine spontane Verschlechterung der Binokularfunktionen bei Strabismus divergens intermittens und der Übergang in eine permanente Exotropie sehr selten vorkommt (PEDIG. Threeyear observation of children 3 to 10 years of age with untreated intermittent exotropia. Ophthalmology. 2019;126:1249-1260. Eine spontane Verbesserung von Binokularfunktionen und Augenstellung erscheint demgegenüber häufiger. Im Einzelfall kann die Begründung eines Eingriffs aus funktioneller Sicht schwierig sein. Viele Strabismologen und Orthoptistinnen postulieren eine drohende Verschlechterung der Binokularfunktionen, wenn etwa die Hälfte der Wachzeit ein manifestes Schielen vorliegt. Unabhängig davon, dass es schwierig ist, bei einem Kind zuverlässige Angaben über Schielfrequenz und Schielhäufigkeit zu bekommen, ist es den Autoren nicht gelungen, in Erfahrung zu bringen, woher diese postulierte Grenze von 50 % kommt. Möglicherweise reicht zur Beibehaltung der Güte der Binokularfunktionen eine Kompensation von deutlich weniger als 50 % der Wachzeit aus. In dem Bestreben, Verlauf und mögliche Progression eines Strabismus divergens intermittens zuverlässig zu dokumentieren und zu quantifizieren, wurde von mehreren Arbeitsgruppen eine Skalierung eingeführt, bei der Manifestation und Rekompensation des Strabismus bei Nah- und Fernblick mit Punktzahlen quantifiziert wurden [26], [27]. In das Punktesystem, dem sog. New Castle Control Score [27], floss auch die elterliche Beobachtung mit ein. Die in diesen Studien gezeigte schwache Korrelation zwischen elterlichen Angaben und klinischem Befund sowie Schielwinkelgröße und Qualität der Binoku-
▶ Prognose der Schieloperation. Leider ist nach einer Augenmuskeloperation bei vielen Patienten mit Strabismus divergens intermittens der Schielwinkel nicht bleibend beseitigt. Die Rezidivrate ist, wenn man lange genug wartet, hoch und wird in einigen Studien mit bis zu 30 % angegeben. Aus diesem Grund wird von vielen Autoren eine gezielte Überkorrektion bei Strabismus divergens empfohlen. Diese Überkorrektion mit monatelanger Diplopie, die eine Prismentherapie erforderlich macht, kann für die Patienten jedoch eine außerordentliche Belastung darstellen. Vor einer Überkorrektion im Alter sensorischer Formbarkeit (d. h. vor dem 10.–12. Lebensjahr) ist wegen potenziellem Verlust des Binokularsehens abzuraten.
161
Störungen
Ein primärer Strabismus divergens ist unter Kaukasiern selten und kann wie das frühkindliche Innenschielen Zeichen einer frühen Unterbrechung oder Entwicklungsstörung des beidäugigen Sehens aufweisen, wie einen Nystagmus latens oder eine DVD. Bei einem manifesten Strabismus divergens im Säuglings- und Kindesalter sollte immer gezielt eine neurologische Erkrankung als Ursache bzw. ein assoziiertes Leiden wie eine Muskelhypotonie ausgeschlossen werden.
Merke
H ●
Bei einem primären Strabismus divergens sollte immer als Erstes eine neurologische Systemerkrankung, eine efferente oder afferente Störung ausgeschlossen werden. Dies gilt besonders bei Manifestation im Säuglings- und Kleinkindalter. Der primäre Strabismus divergens ist selten.
Assoziationen mit periventrikulärer Leukomalazie, kindlicher Zerebralparese oder einem CVI-Syndrom sind bekannt. Auch eine Okulomotoriusparese ohne Ptosis kann als primärer Strabismus divergens imponieren. Ein dekompensierter Mikrostrabismus divergens kann ebenfalls als scheinbar primäre Exotropie klinisch sichtbar werden. Viel wahrscheinlicher ist bei Vorliegen einer Amblyopie eine Affektion des N. opticus. Im Erwachsenenalter steckt hinter einer primären Exotropie nicht selten ein dekompensierter Strabismus divergens intermittens. Die richtige Diagnose wird manchmal postoperativ gestellt, wenn überraschenderweise Binokularfunktionen nachweisbar sind. Präoperativ kann ein Treffversuch manchmal zu einer kurzen Kompensation des Außenschielens führen. Ein frühkindliches Innenschielen kann „spontan“ in ein Außenschielen übergehen. Falls in der Zeitperiode der konvergenten Augenstellung das Schielen übersehen wird, imponiert der konsekutive Strabismus divergens als scheinbar primäres Außenschielen. Grundsätzlich gelten bei einem primären Strabismus divergens die gleichen Regeln wie beim frühkindlichen Innenschielen. Nach Ausschluss eines sekundären Schielens und einer möglichen neurologischen Erkrankung steht im Kindesalter zunächst die Amblyopietherapie/ -prophylaxe im Vordergrund. Bei manchen Kindern mit primärer Exotropie scheint manchmal kurzfristig eine Kompensation der Augenstellung möglich, wobei diese Kompensation auch Ausdruck einer Aktivierung akkommodativer Konvergenz sein kann. Wenn der primäre Strabismus divergens mit Nystagmus latens und/oder dissoziierter Höhenabweichung assoziiert ist, wird sich auch durch eine zeitnahe operative Schielwinkelbeseitigung kein Binokularsehen einstellen. Wenn vor Manifestation des Strabismus die Augen für einige Zeit (Wochen bis Mo-
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nate) parallel oder zumindest intermittierend parallel standen (Fotoanamnese), hat man als Operateur deutlich mehr Entscheidungsgrundlage für einen zeitnahen operativen Eingriff.
2.3.11 Sekundäres und konsekutives Schielen Sehr viel häufiger als ein primärer Strabismus divergens ist ein sekundäres oder konsekutives Schielen. Die Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung des Parallelstands der Augen ist nur bei Fusionsfähigkeit und Binokularfunktionen möglich.
Merke
H ●
Parallelstand ist nur bei Fusionsfähigkeit und Binokularfunktionen möglich.
Von einem sekundären Schielen spricht man, wenn dieses auf dem Boden einer anderen Augenerkrankung entstanden ist. Die Ursachen, die zu Verlust von Fusion und Binokularsehen und damit zu einem sekundären Schielen führen können, sind vielfältig. Im Kindesalter können dies angeborene Augenfehlbildungen sein, z. B.: ● Kolobome ● Mikrophthalmus ● ein- oder beidseitige Optikushypoplasie Aber auch folgende Ursachen sind möglich: ● Katarakt ● dichte Glaskörperblutung ● kongenitales Glaukom ● Retinopathia praematurorum Die Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Im Erwachsenenalter können weitere Pathologien zu einem sekundären Schielen führen, z. B.: ● einseitige Erblindung durch Neuritis nervi optici ● Amotio retinae ● traumatische Optikusneuropathie ● Zentralarterienverschluss Eine perforierende Verletzung kann in jedem Alter Verlust von Fusion und Binokularsehen bewirken, wobei perforierende Verletzungen im Kindesalter mit Linsenbeteiligung sehr häufig einen Verlust des Binokularsehens mit sekundärem Schielen verursachen können. So kann z. B. bei kongenitaler Katarakt oder einseitiger Optikushypoplasie ein sekundäres Innenschielen entstehen. Bei dichter seniler Katarakt oder anderen Augenerkrankungen mit erheblichem Visusverlust resultiert im Erwachsenenalter meist ein sekundärer Strabismus divergens.
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2.3.10 Primärer Strabismus divergens
H ●
Als Faustregel gilt, dass die Wahrscheinlichkeit eines sekundären Außenschielens umso größer ist, je älter der Patient zum Zeitpunkt der Unterbrechung des Binokularsehens ist.
Allerdings gibt es immer wieder Ausnahmen von dieser sog. Faustregel. Es ist strittig, ab welchem Zeitpunkt eines sekundären Schielens eher ein Innen- und ab wann eher ein Außenschielen entstehen kann. So haben von Noorden et al. in einer Studie bei Kindern zwischen Geburt und 5. Lebensjahr mit sekundärem Schielen gefunden, dass Innen- und Außenschielen in etwa gleich häufig verteilt waren. Im späteren Kindesalter sowie im Erwachsenenalter führt ein Verlust von Fusion und Binokularsehen eher zu einem sekundären Außenschielen. Unabhängig davon können der Verlust von Fusion und Binokularfunktionen neben einem Horizontalschielen auch ein dissoziiertes Schielen sowie eine Störung im Innervationsmuster der schrägen Augenmuskeln bewirken. Die Gründe, warum bei einem sekundären Schielen in einem bestimmten Alter eine bestimmte Schielrichtung bevorzugt wird oder warum sich zusätzlich zum sekun-
dären Horizontalschielen auch ein Vertikalschielen gesellen kann, sind unbekannt. Die Erklärung, dass ein Auge nach Fusionsverlust seine anatomische Ruhelage wieder einnimmt, ist unzureichend. Demgegenüber wird mit dem Begriff konsekutives Schielen zum Ausdruck gebracht, dass das Schielen entweder spontan oder durch eine Operation an den Augenmuskeln seine Richtung geändert hat. Häufigste Ursache eines konsekutiven Strabismus divergens ist eine Augenmuskeloperation bei einem (frühkindlichen) Strabismus convergens. Die Therapie eines sekundären oder konsekutiven Schielens richtet sich immer nach der ursprünglichen Schielform, der jetzigen Augenstellung und den Beschwerden des Patienten. Ein konsekutiver Strabismus convergens mit Diplopie bei Zustand nach Operation eines intermittierenden Strabismus divergens erfordert schon aus funktionellen Gründen eine rasche Revision, wenn absehbar ist, dass die Diplopie persistiert und/oder der weitere Spontanverlauf zu einer Verschlechterung der Binokularfunktionen führen kann. Ist bei einem konsekutiven Strabismus divergens eines frühkindlichen Innenschielens eine operative Korrektur geplant, wird das operative Vorgehen von eventuellen Voroperationen beeinflusst.
I ●
Fallbeispiel ▶ Abb. 2.32 zeigt Augenstellung und Motilitätsstatus einer 30-jährigen Frau, die im Kindesalter zweimal auf ihrem linken hochamblyopen Auge operiert wurde. Neben einem ausgeprägten divergenten Schielwinkel fällt ein deutliches Adduktionsdefizit des linken Auges auf, das im extremen Rechtsblick nur bis 10° vor die Mittellinie adduziert werden kann. Bei kritischer Betrachtung fällt darüber hinaus auf, dass die linke Lidspalte etwas weiter ist als die rechte. In
2
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Merke
2.3 Heterotropie
einer ersten Operation wird ein voroperierter M. rectus lateralis um 5 mm auf 17 mm Limbusabstand rückgelagert, gleichzeitig ein narbiger M. rectus medialis um 10 mm nach vorne geholt und um 8 mm verkürzt. In einem Zweiteingriff wird wegen nachlassendem Operationseffekt der M. rectus medialis um weitere 6 mm reseziert. In ▶ Abb. 2.33 sieht man die postoperative Augenstellung nach dem 2. Eingriff.
Abb. 2.32 Präoperative Augenstellung bei einer Frau mit konsekutivem Strabismus divergens. Zustand nach zweifacher Schieloperation eines vermutlich frühkindlichen Innenschielens.
Abb. 2.33 Postoperativer Befund der Patientin aus ▶ Abb. 2.32 nach zweifacher Operation.
163
Störungen
2.3.12 Seltene Strabismusformen Strabismus bei Makulopathie Einige Patienten mit Makulopathie unterschiedlicher Genese entwickeln manchmal Diplopie von wenigen Grad. Meist handelt es sich um vertikale Diplopie, selten ist auch kleinwinkliges Innenschielen nachweisbar [24], [44], [154]. Typischerweise lässt sich die Diplopie nicht mit Prismen ausgleichen [145], [148], was wie folgt erklärt werden kann: Durch Narbenzug infolge der Makulopathie oder epiretinaler Membran kommt es zu einer Verschiebung fovealer bzw. parafoveolarer Retina, deren rezeptive Felder außerhalb des Panumbereichs zentraler Netzhautareale zu liegen kommen. Auch ein cystoides Makulaödem kann über eine Aniseikonie mit oder ohne Metamorphopsien zu einem Fusionshindernis werden. Prismen können die Verschiebung nur scheinbar neutralisieren, weil die Fusion der nicht gegeneinander verschobenen peripheren Netzhaut die Augen wieder in ihre ursprüngliche Stellung zurückbringt. Da die physiologische Ausdehnung der Panum-Areale horizontal sehr viel größer ist als vertikal, manifestiert sich bei einem Narbenzug bevorzugt vertikale Diplopie. Patienten mit einer durch Makuladystrophie induzierten vertikalen Diplopie haben meist einen noch recht guten Visus von 0,4 und mehr. Therapeutisch hat sich der Einsatz von Bangerter-Folien vor dem nichtdominanten Auge zur Suppressionserleichterung bewährt.. Bei epiretinaler Gliose wird auch ein Membran-Peeling empfohlen (Hatt SR et al. Treatment for central-peripheral rivalry-type diplopia („dragged-fovea diplopia syndrome“). Am J Ophthalmol. 2019; 30321-6), welches wiederum selbst zu einer makularen Diplopie führen kann (Hatt SR et al.: New Onset vs Resolution of Central-Peripheral Rivalry-Type Diplopia in Patients Undergoing Epiretinal Membrane Peeling. JAMA Ophthalmol. 2019; 137:293-297).
Heterotropie nach Schädel-Hirn-Trauma mit Fusionsverlust Nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann es zu einem Fusionsverlust und einer manifesten Heterotropie mit typischerweise kleinem Winkel kommen, der entweder divergent oder konvergent ist, aber auch vertikal sein kann. Ein Ausgleich mit Prismen ist frustran, da im günstigsten Fall nur kurzdauernde Überlagerungen möglich sind. Auch hier kann die Anpassung einer Bangerter-Folie hilfreich sein. Im Extremfall hilft nur die Okklusion eines Auges mittels Kontaktlinse oder Okklusionsfolie.
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Seltener ist der sog spontane Fusionsverlust, dessen Herkunft unklar ist und der die Patienten durch diplopische Beschwerden erheblich stören kann. Auch hier ist lediglich eine symptomatische Therapie mit Vernebelungsstrategien des nichtdominanten Auges möglich.
Heterotropie nach Amotio-Operationen Patienten können nach operativer Versorgung einer Netzhautablösung über Doppelbilder oder Motilitätsstörungen klagen [143], [183]. Eine einseitig persistierende Visusreduktion, eventuell mit Metamorphopsien in Verbindung mit einer durch Plombe oder Cerclage induzierten Drehmomentsänderung der Augenmuskeln sowie Refraktionsänderungen am operierten Auge einschließlich einer Aniseikonie können hierfür verantwortlich sein. Hinzu kommen durch die Amotio-Operation induzierte Vernarbungen des perimuskulären Bindegewebes sowie eine Änderung der intraorbitalen Muskelverläufe durch eindellende Verfahren. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kommt es zu einem spontanen Verschwinden der störenden Diplopie [143]. Eine Pars-plana-Vitrektomie führt dagegen deutlich seltener zu postoperativer Diplopie [94]. Bei Persistenz diplopischer Beschwerden muss im Einzelfall entschieden werden, ob eine Operation an möglicherweise vernarbten Augenmuskeln zum Erfolg führt. In manchen Situationen ist eine Gegenparese am nicht betroffenen Auge der empfehlenswertere Eingriff. Für eine Operationsplanung empfehlen manche Autoren die Durchführung einer Kernspintomografie [183], die unseres Erachtens eher selten indiziert ist.
Heterotropie nach Kataraktoperationen Nach einer Kataraktoperation kann es vorkommen, dass Patienten über diplopische Beschwerden klagen [56], [68]. Eine der Ursachen ist in Einzelfällen leider immer noch eine falsche Berechnung der implantierten Linsen, wenn die präoperativen refraktiven Verhältnisse nicht genügend gewürdigt wurden. Eine operativ induzierte Aniseikonie kann zu einem Fusionsverlust führen. Klassisch ist die Situation, wenn präoperativ eine deutliche Anisometropie ohne Aniseikonie bestand und postoperativ beide Augen die gleiche Refraktion aufweisen. Eine weitere Ursache für einen Fusionsverlust kann auch eine (zu) lange Unterbrechung des Binokularsehens durch eine optisch dichte Katarakt sein. In einer Zeit, in der fast schon „präventiv“ Linsenchirurgie erfolgt, beobachtet man eine solche Konstellation nur noch in Ausnahmefällen. Nicht ganz so selten sind Patienten, die trotz richtiger Linsenberechnung und präoperativ stabilen Binokularfunktionen nach ein- oder beidseitiger Kataraktoperation ein kleinwinkliges Höhenschielen mit Diplopie aufweisen [34], [124]. Dies geht manchmal mit einem geringen Hebungsdefizit auf der betroffenen Seite einher, wobei die Motilitätsstörung nicht zwingend dazugehört. Es sind dies in erster Linie Patienten, die in Lokalanästhesie mit retrobulbärer oder parabulbärer Betäubung operiert
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Durch eine operative Schielwinkelkorrektion ändert sich in der Regel nichts an den Bedingungen, die zum Verlust des Binokularsehens und/oder der Sehschärfe auf einem Auge geführt haben. Auch nach einer Operation bleibt die Augenstellung nicht unverändert, eventuell ist durch erneute Zunahme des sekundären oder konsekutiven (Außen)schielens ein erneuter Eingriff indiziert.
2.3 Heterotropie
Heterotropie durch akzessorische Augenmuskeln/zusätzliches orbitales Gewebe In seltenen Fällen kann ein akzessorischer Augenmuskel oder zusätzliches Gewebe in der Orbita zu einem Strabismus mit Bewegungseinschränkung führen. Beschrieben wurden bisher Gewebestrukturen, die von den normalen Augenmuskeln entspringen und an benachbarten Augenmuskeln oder am Bulbus selbst inserieren [3]. Zusätzliche muskelähnliche Strukturen verlaufen extrakonal parallel zu den geraden Muskeln [65], [123]. Gewebe entspringt in der hinteren Orbita und setzt an einer Stelle am Bulbus an, an der normalerweise keine Muskelinsertionen zu finden sind, z. B. am hinteren Pol [170]. Solche Befunde wurden von den Beschreibern auch gerne als atavistischer M. retractor bulbi interpretiert. Der M. retractor bulbi kommt bei Amphibien, einigen Reptilien und niederen Säugetieren vor und inseriert am hinteren Augenpol. Seine Funktion besteht darin, das Auge zu schützen, indem es das Auge bei Lidschluss nach hinten zieht. Der Verdacht auf akzessorisches orbitales Gewebe oder zusätzliche Augenmuskeln ist immer dann angebracht, wenn bei einem Patienten eine atypische mechanische Einschränkung bei der Motilitätsprüfung offensichtlich wird. Insbesondere geht es um eine Bulbusretraktion in einer anderen Stellung als der Adduktion, um extremes Vertikalschielen sowie um eine Hebungseinschränkung, die in erster Linie in Abduktion vorhanden ist. Die Therapie besteht in einer chirurgischen Durchtrennung/Ausschneidung des akzessorischen Gewebes. Einen Überblick über diese sehr spannenden, in der Klinik jedoch nur ausnahmsweise diagnostizierten Schielformen bietet die Arbeit von Lueder [110].
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wurden. Man postuliert in diesen Fällen entweder eine direkte Schädigung des M. rectus inferior oder des M. rectus lateralis durch die Injektionsnadel. Als weiterer Schädigungsmechanismus kommt eine myotoxische Wirkung des Lokalanästhetikums infrage, die schon mehrfach im Tierexperiment nachgewiesen wurde [129], [135]. Bei operativer Korrektion fällt bei diesen Patienten manchmal ein recht strammer M. rectus inferior auf. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass trotz adäquater Linsenberechnung und fachmännisch durchgeführter Operation eine Vertikalphorie aus nicht bekannten Gründen dekompensiert. Auch bei Patienten, die in Vollnarkose operiert wurden, kann es nach Kataraktchirurgie zu diplopischen Beschwerden kommen. Möglicherweise reicht eine geringe Manipulation am Auge aus, um den muskulären Aufhängeapparat der Orbita so zu schädigen, dass es zu nicht mehr spontan fusionierbaren Abweichungen kommt. Bei kleineren Abweichungen ist eine Prismentherapie häufig ausreichend. Lässt sich der Schielwinkel mit Prismen ausgleichen, ist die Prognose einer Korrektion der Höhenabweichung meist gut.
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Störungen
2.4 Amblyopie
M. Gräf, W. Haase
2.4.1 Definition Amblyopie leitet sich vom griechischen Wort αμβλνωπια (amblyopia) ab und bedeutet stumpfes Auge. Amblyopie ist nach Bangerter „eine Schwachsichtigkeit ohne organische Fehler oder mit einem, der nicht im Verhältnis zum Grad derselben steht“ [30]. Von Noorden [271] beschreibt Amblyopie als durch Deprivation des Mustersehens oder gestörte binokulare Interaktion verursachte visuelle Funktionsminderungen, die in geeigneten Fällen durch eine Therapie reversibel sind. Entscheidend ist, dass es sich um eine Störung der Sehentwicklung handelt. Amblyopie entsteht daher fast ausschließlich im Kindesalter.
Merke
H ●
Amblyopie ist eine entwicklungsbedingte Sehminderung bei prinzipiell vorhandenen Voraussetzungen für eine normale Entwicklung. Das Leitsymptom der Amblyopie ist eine verminderte Sehschärfe.
Bangerter unterschied leichte (Visus 0,8–0,4), mittelgradige (Visus 0,3–0,1) und hochgradige Amblyopie (Visus < 0,1) für Einzelsehzeichen. Zur Beurteilung ist aber auch der Visus für Reihenoptotypen relevant [29], [73], [220]. Eine Amblyopie entsteht im Wesentlichen dadurch, dass entweder die Reizung der Netzhaut gestört ist oder die Netzhautbilder beider Augen zerebral nicht zur Deckung kommen. Eine Visusminderung anderer Ursache (toxisch, psychogen) sollte nicht als Amblyopie bezeichnet werden.
Merke
H ●
Reizdeprivation durch fehlendes oder unscharfes Bild führt zur Deprivationsamblyopie. Reizdislokation durch retinale Bilddisparitäten führt zur Suppressionsamblyopie.
2.4.2 Häufigkeit, soziale Bedeutung Merke
H ●
Eine Amblyopiehäufigkeit von 5 % ist ein grober Anhaltswert.
hängig von der untersuchten Population, der Qualität der Untersuchung, den Amblyopiekriterien der Autoren und weiteren Faktoren [65], [146], [151], [183], [196], [318]. Bei der Untersuchung mit Einzelsehzeichen werden viele Amblyopien übersehen. Nicht jeder einmalig erhobene Visus < 0,8 ist gleichbedeutend mit Amblyopie. Im Kindesalter sind Visusangaben oft ungenau. Eine Amblyopiehäufigkeit von 5 % ist ein guter Anhaltswert. Mehrfach wurde über eine höhere Erkrankungsanfälligkeit des Führungsauges im Vergleich zum amblyopen Auge berichtet [156], [228], [317]. Nach einer finnischen Studie betrug die Häufigkeit des – oft unfallbedingten – Verlusts des Führungsauges bis zum Ende der Berufsjahre bei einseitiger Amblyopie ca. 1,75‰. Ein erhöhtes Unfallrisiko bei Amblyopie ist vorstellbar. Dass das Erblindungsrisiko mit nur einem funktionstüchtigen Auge steigt, ist logisch. Dies exakt zu beziffern, ist schwierig. Ein Vergleich mit der Häufigkeit von Blindheit von 0,79‰ in der Gesamtbevölkerung führte zu dem Schluss auf ein erhöhtes Erblindungsrisiko für Amblyope [356]. In England wurde für einseitig Amblyope ein erhöhtes Risiko errechnet, durch Verletzung oder Erkrankung des besseren Auges eine Sehbehinderung zu erleiden [309]. Eine Statistik in Schweden ergab eine Häufigkeit für wesentliche Sehbehinderungen durch Amblyopie von 0,23‰ [210].
2
2.4.3 Ursachen und Formen der Amblyopie
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2.4 Amblyopie
Klinische Erfahrung und Ergebnisse tierexperimenteller Forschung führen zu der Einteilung in Deprivations- und Suppressionsamblyopie [65], [82], [271]. ▶ Tab. 2.7 gibt eine Übersicht über die häufigsten Amblyopieursachen.
Deprivationsamblyopie Die Deprivationsamblyopie resultiert aus einer gestörten visuellen Reizung in der sensitiven Phase der Sehentwicklung (früher Amblyopia ex anopsia) [192]. Bei völlig fehlender Reizung durch Bildkonturen entwickelt das betroffene Auge kein verwertbares Sehvermögen, auch wenn die Amblyopieursache später behoben wird. Die Sehentwicklung ist an sensitive Phasen in der frühen Kindheit gebunden. Häufiger ist ein partieller Reizentzug, wobei noch eine unscharfe Abbildung auf der Netzhaut erfolgt.
Merke
H ●
Sensitive Phasen sind frühe Zeitspannen im Leben, in denen Deprivation zu später nicht mehr reversiblen Störungen führt. Sie sind für unterschiedliche Funktionen verschieden.
Amblyopie ist die Hauptursache einer visuellen Funktionseinbuße während der ersten 45 Lebensjahre. Die genauen Angaben zur Amblyopiehäufigkeit variieren, ab-
169
Störungen Tab. 2.7 Amblyopieeinteilung. Reizdeprivation
Reizdeprivation und Suppression
Suppression
Beidseitige seitengleiche Deprivation
einseitige/asymmetrische Deprivation
Bildverschiedenheit beider Augen
Beidseitige hohe Ametropie
einseitige kongenitale Katarakt
einseitiger manifester Strabismus
Beidseitige kongenitale Katarakt
Anisometropie
Aniseikonie
Beidseitige Hornhauttrübung
einseitige Hornhauttrübung
relative Amblyopie
10
10
Zahl der Neurone
25
3 Tage
keine Wiederöffnung
0
0 1 2 3 4 5 6 7
0
0 1 2 3 4 5 6 7 b
a
Zahl der Neurone
18
15
0 1 2 3 4 5 6 7
c
12
0
63
0
0 1 2 3 4 5 6 7 d
0
36
9
0
6
0 1 2 3 4 5 6 7 e
0 1 2 3 4 5 6 7 f
Dominanzgruppe
Der Verschluss eines Auges bewirkt in den entsprechenden Zellschichten der seitlichen Kniehöcker eine Schrumpfung der vom verschlossenen Auge angesteuerten Zellen, deren Funktion aber noch weitgehend intakt ist [49], [190]. In der Sehrinde des Gehirns kommt es zum Funktionsverlust der Zellen, die normalerweise Signale von diesem Auge erhalten (▶ Abb. 2.34a–f). Der Anteil derjenigen Zellen steigt, die vom anderen Auge erregbar sind. Es finden sich kaum mehr Zellen, die von beiden Augen aus erregbar sind, sog. binokulare Neurone, die normalerweise ca. 85 % der Neurone in der Area 17 ausmachen. Diese Veränderungen sind auch in der sensitiven Phase nur teilweise reversibel, es bleibt beim Verlust binokularer Neurone. Auch artifizieller Strabismus mit oder ohne Amblyopie führt zur hochgradigen Verschiebung der Dominanzverteilung kortikaler Neurone. Die Entwicklung des Sehsystems ist besonders in den ersten 3 Lebensmonaten, aber auch danach noch sehr störanfällig [187], [188], [277], [370]. Beidäugige Deprivation bewirkt im Tierversuch ebenfalls Veränderungen in der Sehrinde des Gehirns. Die kortikalen Zellen sind vom anderen Auge aus besser erregbar, ähnlich wie bei experimentell erzeugtem Schielen [60], [68], [163], [370]. Die seitlichen Kniehöcker bleiben
170
Abb. 2.34 Veränderung der Dominanzverteilung kortikaler Neurone in der sensitiven Phase bei Katzen Zuletzt nur neuronale Antworten bei Signaleingang aus dem RA. Normalerweise antworten die meisten Neurone (Gruppen 3 und 4) bei Erregungseingang aus beiden Augen. (Datenquelle: [257]) a Erste Ableitung nach 5-wöchigem Verschluss des RA, neuronale Antworten nur bei Signaleingang aus dem LA. b Wiedereröffnung des RA und Verschluss des LA für 3 Tage. c Wiedereröffnung des RA und Verschluss des LA für 6 Tage. d Wiedereröffnung des RA und Verschluss des LA für 9 Tage. e Wiedereröffnung des RA und Verschluss des LA für 12 Tage. f Wiedereröffnung des RA und Verschluss des LA für 63 Tage.
weitgehend unbeeinflusst. Die Empfindlichkeit gegenüber Deprivation und die Reaktion auf eine Therapie sind individuell unterschiedlich. Schon Worth beschrieb, dass das Ausmaß einer Amblyopie mit deren Dauer zunahm und der Therapieerfolg mit zunehmendem Alter bei Therapiebeginn abnahm [373], [374].
Merke
H ●
Reizdeprivation behindert die natürliche Entwicklung und bewirkt anatomische Veränderungen im Gehirn.
Amblyopie durch Medientrübung und Verlegung der optischen Achse Behinderungen der optischen Abbildung auf der Netzhaut führen je nach ihrer Ausprägung zu einer einseitigen, seitendifferenten oder seitengleichen Amblyopie. Mögliche Ursachen [319], [320], [321], [322]: ● Lidtumoren ● angeborene Ptosis ● Hornhauttrübungen ● Linsentrübungen
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Beispiele
2.4 Amblyopie
● ●
Nachstar, angeborene Linsenluxation persistierende Pupillarmembran
Die kongenitale Katarakt (▶ Abb. 2.35a–d) tritt in operationsbedürftiger Ausprägung mit einer Inzidenz von ca. 1:3000 auf, etwa gleich häufig ein- oder beidseitig [7], [308]. Die Linse kann bei Geburt noch klar sein und erst später eintrüben. Die Inzidenz aller kindlichen Katarakte beträgt ca. 1‰ [141]. Kinder mit Hornhautnarben sind hochgradig amblyopiegefährdet. Daran ist besonders bei Hornhautverletzungen zu denken, auch noch im späteren Schulalter [43], [65], [252]. Eine Visusreduktion bei kongenitalem Glaukom kann Folge der vorherigen Hornhauttrübung sein [310]. Linsenverlagerungen mit paraxialer Äquatorlage stören die Abbildung erheblich [319]. Eine beidseitige Reizdeprivation, die nicht in den ersten Lebensmonaten behoben wird, hat einen irreversiblen Nystagmus zur Folge, einseitige Deprivation einen Nystagmus vom Latenstyp, oft auch ein manifestes Schielen [105]. Einseitige schwere Deprivation kann zu einem einseitigen vertikalen Pendelnystagmus des amblyopen Auges führen, dem Heimann-Bielschowsky-Phänomen [165]. Er bedarf keiner neurologischen Diagnostik.
Merke
● H
Das Ausmaß einer Amblyopie und das Ergebnis ihrer Behandlung hängen vom Alter des Patienten bei Einsetzen der Amblyopie und von deren Dauer ab.
Im 1. Lebensjahr kann schon ein 1-wöchiger Lidverschluss eine irreversible Okklusionsamblyopie verursachen [27]. Durch unkontrollierte Okklusion kann das bislang nicht amblyope Auge sehschwach werden, ohne dass es zur Heilung des anderen Auges kommt [123], [160], [200], [269], [327], [328], [355]. Bei korrekter Okklusionstherapie ist eine persistierende Okklusionsamblyopie nicht zu befürchten.
Merke
H ●
Permanente unkontrollierte Okklusion kann zur Amblyopie führen.
Nystagmusamblyopie Ein Nystagmus kann zu beidseitiger Amblyopie führen, wenn er keine ausreichend ruhige Netzhautabbildung zulässt [66]. Das ist vor allem beim Latenstyp-Nystagmus therapierelevant. Die gewöhnliche Visusbestimmung unter streng monokularen Bedingungen kann jedoch zur
2
Abb. 2.35 Kongenitale Katarakt. Die zentrale Linsentrübung (Cataracta nuclearis) ermöglicht keine scharfe Abbildung auf der Netzhaut. Weiße Reflexe durch das Blitzlicht der Kamera. a Ansicht bei erweiterter Pupille im diffusen Licht. b Ansicht bei erweiterter Pupille im Lichtspalt. c Ansicht bei erweiterter Pupille im rückfallenden Licht. d Zustand nach Operation und Implantation einer Hinterkammerlinse.
Überschätzung der eigentlichen Amblyopiekomponente führen (siehe Kap. 1.3, Sehschärfe).
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●
Refraktionsamblyopie ▶ Abb. 2.36 zeigt die Refraktionsverteilung in einer westlichen Population. In ▶ Abb. 2.37 ist das normale Augenwachstum in der Kindheit dargestellt. Hyperope Augen sind relativ zu kurz, übermäßiges Längenwachstum führt zu Myopie. Eine passagere Fehlsichtigkeit im ersten Lebensjahr ist nicht selten und nur bei starker Ausprägung amblyogen [186], [257], [294]. Meist ändert sich die Refraktion rasch in Richtung Emmetropie, zum größten Teil in den ersten 2 Lebensjahren (▶ Abb. 2.38) [17], [91], [312], [336], [337]. Bleibt diese Emmetropisierung aus, kann eine Amblyopie entstehen [59]. Amblyogen sind vor allem Hyperopie ab 4 dpt, Anisometropie ab 1 dpt und Astigmatismus > 1 dpt (▶ Tab. 2.8, ▶ Abb. 2.39, ▶ Tab. 2.9). Anisometropie ist in Deutschland die häufigste Einzelursache einer Amblyopie [88]. Die Ametropie fällt den Eltern nicht auf. Sie beobachten, wie ihr Kind Krümel vom Teppich aufliest und schließen daraus auf ein gutes Sehen (Kap. 1.3, Sehschärfe). Der Ausgleich einer beidseitig hohen Hyperopie durch Akkommodation ist dauerhaft nicht möglich oder das Kind verzichtet darauf zugunsten des Binokularsehens. Dann entsteht eventuell kein akkommodatives Schielen, aber es resultiert eine beidseitige Refraktionsamblyopie.
171
Störungen Tab. 2.8 Hypermetropie als Risiko. Das Maß der Hypermetropie im Alter von 12 Monaten als Risikofaktor für die Entwicklung von Strabismus und/oder Amblyopie bis zum 4.–5. Lebensjahr. Deren Häufigkeit bei Einschulungskindern beträgt jeweils etwa 5 % [76], [146].
Anzahl der Augen
200
100 nicht korreliert 0 -16
-8
-6
-4
-2 0 2 Refraktion
4
6
8
10
Abb. 2.36 Verteilung der Refraktion. Die Refraktion wurde aus den einzelnen Komponenten berechnet: Hornhaut, Linse und Achsenlänge, wenn diese aufeinander abgestimmt (korreliert) und wenn sie nicht aufeinander abgestimmt (nicht korreliert) sind (Datenquelle: [340]).
Achsenlänge (mm)
24 23 ♂
Hypermetropie
Erkrankungsrisiko*
> 2,5 dpt
ca. 30 % [191]
> 3,5 dpt
50 % [191]
> 4,0 dpt
68 % [17] Crowding in 83 % [17]
> 3,5 dpt
ca. 20 % [336]
> 3,5 dpt mit steigendem Astigmatismus
40 % [336]
* Das Erkrankungsrisiko bezieht sich auf einen Beobachtungszeitraum bis zum 4.–5. Lebensjahr.
Tab. 2.9 Refraktionsverteilung bei Nichtschielenden ohne Amblyopie zum Vergleich mit Schielenden mit Amblyopie. Die Daten für die Gruppe der Patienten mit Strabismus und Amblyopie (n = 103) wurden aus den Krankenakten entnommen, die Auswahl erfolgte nur nach Alter (6- bis 12-Jährige). Eine Korrelation Ametropie – Amblyopie (+ Strabismus) ist offensichtlich. Risikofaktor
6. Lebensjahr Einschulungsuntersuchung (n = 778)
6.–12. Lebensjahr Schielende* mit Amblyopie (n = 103)
19
Hypermetropie ≥ 1 dpt
10,2 %
86,0 %
18
Anisometropie ≥ 1 dpt
3,5 %
30,0 %
17
Myopie ≥ 1 dpt
1,4 %
4,3 %
16
Astigmatismus ≥ 1 dpt
7,8 %
33,0 %
22
♀
21 20
0
1
2
3
4
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Alter in Jahren
Abb. 2.37 Normales Wachstum des menschlichen Auges nach der Geburt, dargestellt an der ultrasonografisch gemessenen Achsenlänge. Am stärksten ist das Wachstum in den ersten 2 Lebensjahren, aber auch mit Erreichen der Pubertät ist es noch nicht völlig abgeschlossen.
* Jeweils das geführte Auge, bei Amblyopie das amblyope Auge.
Merke
H ●
Anisometropie, Hyperopie und Astigmatismus sind schon im 1. Lebenshalbjahr wesentliche Risikofaktoren für Amblyopie.
Refraktion in Dioptrien
3 n = 259 Hyperopie Astigmatismus sphärisches Äquivalent
2
1
0
2
4
6
8 10 12 14 16 Alter in Monaten
18
20
22
Abb. 2.38 Normale Entwicklung der Refraktion in den ersten 2 Lebensjahren. Querschnittsuntersuchung an 259 nichtschielenden Kindern mit mindestens 2 skiaskopischen Messungen in Zykloplegie im Abstand von 2–6 Monaten. Die Mittelwerte der sphärischen Komponente, des Astigmatismus und des sphärischen Äquivalents zeigen eine Abnahme.
172
Astigmatismus ist im Säuglingsalter häufig und erreicht nicht selten über 2 dpt [186], [256]. Er sollte sich auf < 1 dpt zurückbilden. ▶ Tab. 2.10 zeigt, dass höherer Astigmatismus im Alter von 1 Jahr mit einem erhöhten Amblyopie- und Schielrisiko einhergeht [3], [4], [5], [6]. Bei verspäteter Astigmatismuskorrektion kann eine meridionale Amblyopie zurückbleiben [140], [314] (▶ Abb. 2.40). Bei Myopie findet eine scharfe retinale Abbildung im Nahbereich statt. Myopie ist daher weniger amblyogen als Hyperopie, aber bei stärkerer Ausprägung ebenfalls amblyogen. Bei Netzhautveränderungen im Rahmen hoher Myopie ist an eine eventuelle zusätzliche relative Amblyopie zu denken.
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korreliert 300
Ortsfrequenz/Perioden pro Grad
2.4 Amblyopie
100 Augen mit Amblyopie (%)
n = 208 Augen 80 60 40
40 A 30
2 20 0
20 40 60 80 100 120 140 160 180
horizontal
20
vertikal
horizontal
Achsenlage der Streifen (Grad) 90° = senkrecht 0 bzw. 180° = waagerecht 4,5 dpt) mit und ohne Strabismus. Ab dem Einschulungsalter fällt bei ca. 50 % dieser Augen eine Amblyopie auf (Datenquelle: [59]).
Abb. 2.40 Meridionale Amblyopie. Sehschärfe, gemessen mit Gittermustern, aufgetragen über der Achslage des Gitters. Befund eines Patienten mit Astigmatismus myopicus. Die dicken Pfeile über der Abszisse zeigen die Achslage der Hauptschnitte an. In der Richtung des weniger myopen Hauptschnitts ist die Sehschärfe am geringsten. 30 Perioden/ Grad entsprechen einer Sehschärfe von 1,0 (Kap. 1.3). A = Amblyopie (Datenquelle: [107]). Das Verhältnis von ca. 29 zu 36 (Perioden/Grad), also ca. 0,8, entspricht 1 dekadischlogarithmischen Sehschärfestufe.
Achsenlage des Astigmatismus (mit 12 Monaten)
Prozent
Änderung des Astigmatismus (bis 4 Jahre, n = 310)
Prozent
Astigmatismus mit der Regel (n = 279)
4
zunehmender Astigmatismus ≥ 1 dpt (n = 23)
35
Astigmatismus gegen die Regel (n = 20)
20
gleichbleibender Astigmatismus ≥ 1 dpt (n = 7)
14
Astigmatismus obliquus (n = 11)
73
abnehmender Astigmatismus ≥ 1 dpt (n = 280)
5
Merke Hohe Myopie ist amblyogen.
H ●
Unkorrigierte Anisometropie führt zu unterschiedlicher Reizung beider Augen. Sind beide Augen unterschiedlich hyperop, fokussiert der Patient in der Regel mit dem weniger hyperopen Auge. Das Netzhautbild im stärker hyperopen Auge bleibt dann unscharf, da die Akkommodation seitengleich erfolgt. Dies führt zur Amblyopie zumindest dieses Auges, deren Ausprägung mit dem Grad der Anisometropie zunimmt [166], [254]. Asymmetrische Myopie führt zur Amblyopie des stärker myopen Auges, wenn auch in der Nähe das weniger myope Auge bevorzugt wird [201], [238]. Die Prognose der Anisometropieamblyopie hängt vom Ausmaß der Anisometropie und vom Visus bei Therapiebeginn ab [201]. Unbedingt wichtig ist die frühe Erkennung der Anisometropie. Eine Kombination von Schiel- und Anisometropieamblyopie gilt als
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Tab. 2.10 Astigmatismus als Risikofaktor. Eine Häufigkeit von rund 5 % amblyoper Kinder im Alter von 6 Jahren ist in Mitteleuropa als Basiswert anzusehen. Die hier genannten Prozentsätze sagen aus, wie häufig sich Strabismus und/oder Amblyopie ausbilden, wenn der Befund im Alter von 12 Monaten erhoben wird (Datenquelle: [3], [4], [5], [6]).
prognostisch ungünstiger als Schielamblyopie allein [89], [203]. Anisometropie allein war für 48 % ursächlich, in Verbindung mit Strabismus für weitere 18 % der Amblyopien in Deutschland, gegenüber Strabismus ohne Anisometropie mit 23 % [88]. Ähnliche Verhältnisse wurden in den Niederlanden gefunden, wo Refraktionsfehler allein bei 42 %, in Verbindung mit Strabismus bei 30 % und bei Strabismus allein bei 19 % ursächlich waren [138].
Suppressionsamblyopie Die neuronale Suppression (Unterdrückung) bestimmter Gesichtsfeldareale eines oder beider Augen ist physiologisch sinnvoll, wenn sich die Netzhautbilder beider Augen so stark unterscheiden, dass ihre Fusion im Gehirn nicht möglich ist. Durch die Suppression wird die störende Interaktion der nicht fusionierbaren Seheindrücke beider Augen vermieden (▶ Abb. 2.41a–c).
173
Störungen
Objekt 2
b
„fast stets Suppression“
c Abb. 2.41 Wettstreitbilder nach Helmholtz. Haploskopisch wird das Bild a dem linken, das Bild b dem rechten Auge angeboten. Bei intaktem Binokularsehen wird binokular ein Bild, ähnlich der Situation in Bild c, wahrgenommen. Es setzt sich mosaikartig zusammen aus Teilen, die vom linken, und Teilen, die vom rechten Auge vermittelt werden. Die Lokalisation der Mosaikteile ändert sich ständig.
Aniseikonieamblyopie Im Säuglings- und Kleinkindalter wird auch hohe Anisometropie voll mit einer Brille korrigiert. Die Kinder tolerieren das in der Regel problemlos. Die Brillenkorrektion einer einseitigen Aphakie führt jedoch zu einem derartigen Bildgrößenunterschied (Aniseikonie), dass Fusion nicht mehr möglich ist und das aphake Auge supprimiert wird.
Schielamblyopie Im Alter von 0–17 Jahren liegt die Prävalenz von Schielen jeglicher Art in Deutschland aktuell bei 4,1 %, bei Mädchen sind es 4,4 %, bei Jungen 3,7 %. Damit ist Schielen eine der häufigsten chronischen Augenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Frühgeborene und Kinder mit Behinderung sind besonders häufig betroffen [323]. Manifestes Schielen im Kindesalter führt zu Suppression, um Konfusion und Diplopie zu vermeiden. Zur Vermeidung von Konfusion wird das foveale Bild des schielenden Auges unterdrückt, zur Vermeidung von Diplopie das Bild des fixierten Objekts auf der mit der Fovea des fixierenden Auges abbildungsgleichen Netzhautstelle des schielenden Auges (▶ Abb. 2.42). Eine besondere Situation liegt bei der intermittierenden Exotropie vor, die kein wesentliches Amblyopierisiko birgt. Hier ist der Wechsel von Fusion mit normaler Netzhautkorrespondenz in den Kompensationsphasen und Simultansehen ohne Korrespondenz im engeren Sinn (Panoramasehen) im manifesten Schielwinkel möglich. Dabei wird der foveale Seheindruck des schielenden Auges nicht supprimiert, sondern fusionsfrei in entsprechender Richtung ins beidäugige Gesichtsfeld eingefügt (siehe Kap. 2.4).
174
a Fos
P
Fod
Skotom der Fovea
Fixierpunktskotom Abb. 2.42 Diplopieschema bei Strabismus convergens. Der Patient fixiert Objekt 1 mit seinem linken Auge. Das rechte Auge schielt einwärts. Seine Foveazone, die eventuell in Richtung eines weiteren Objekts (2) zeigt, unterliegt einer Hemmung, die Konfusion verhindert. Das aufmerksam angeblickte Objekt 1 projiziert sich geometrisch-optisch auf die exzentrische Stelle P des schielenden Auges. Dort entsteht beim Kind ebenfalls eine Hemmungszone (Fixierpunktskotom), beim Erwachsenen hingegen nicht. Entsprechend der relativen Lokalisation des Netzhautorts P wird das Objekt 1 vom rechten Auge im Außenraum nach temporal lokalisiert. Der Patient sieht also das Objekt 1 zweimal (Doppelbild).
Merke
H ●
Schielen ist nach Ametropie die häufigste Amblyopieursache.
Die infantile Esotropie ist zunächst meist alternierend, nur in ca. 20 % der Fälle besteht schon im 1. Lebensjahr eine starke Seitenpräferenz. Unter 400 Patienten war bei 39 % das rechte, bei 61 % das linke Auge amblyop [56]. Dies entspricht der Dominanz des rechten bzw. linken Auges in einer nicht ausgelesenen Bevölkerung. Bei Anisometropie führt fast immer das weniger ametrope Auge [158]. In der frühen Kindheit kann sich die Dominanz auf das andere Auge verlagern, z. B. durch Okklusionstherapie, später kaum noch, selbst wenn das bessere Auge erkrankt [103].
Merke Diplopie stört auch bei geringer Sehschärfe.
H ●
Wenn die Suppressionsfähigkeit verloren geht, kommt es auch bei Amblyopie zur Diplopie. Die Intensität der Diplopie hängt nicht vom Visus ab, was nicht überrascht, da die Diplopie von peripheren Netzhautarealen ausgeht.
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a
Objekt 1 = Fixierpunkt 1b = Doppelbild
2.4 Amblyopie
Als relative Amblyopie wird eine Suppressionsamblyopie bezeichnet, die sich einer organischen Sehminderung aufpfropft [30]. Sie kommt bei angeborenen und früh erworbenen einseitigen oder asymmetrischen Schäden wie Netzhaut-Aderhaut-Kolobomen und Optikuskolobomen vor (▶ Abb. 2.43). Auch bei geringen asymmetrischen Medientrübungen kann nicht nur das unscharfe Netzhautbild, sondern auch Suppression als Reaktion auf die ungleichen Netzhautbilder an der Ausprägung der Amblyopie beteiligt sein.
Merke
H ●
Bei organischen Defekten kann zusätzlich eine Amblyopie vorliegen. Ein Therapieversuch ist sinnvoll.
Die Diagnose wird dadurch gesichert, dass die Okklusionsbehandlung einen Visusanstieg bewirkt. Selbst scheinbar aussichtslose Fälle sollten wenigstens einer Probebehandlung unterzogen werden [51], [206], [207], [208], [211].
Mischformen Merke Mischformen aus Deprivations- und Suppressionsamblyopie sind nicht selten.
H ●
Nur jeder 5. Schielpatient ist emmetrop oder nur gering ametrop. Oft liegt keine reine Schielamblyopie, sondern eine Mischform aus Schiel- und Refraktionsamblyopie vor [88], [337].
2
2.4.4 Funktionsstörungen bei Amblyopie Sehschärfe Das Leitsymptom der Amblyopie ist die verminderte Sehschärfe. Sie hängt bei Amblyopie ganz besonders von Periodizität, Fläche und Form des Reizes ab. Die Musterauflösung ist oft weniger beeinträchtigt als das Erkennen von Sehzeichen. Preferential-Looking-Tests sind daher wenig sensitiv für Amblyopie [126], [198]. Die Visusreduktion für Einzeloptotypen ist geringer als für Reihenoptotypen [147].
Merke
H ●
Normaler Visus für Einzelsehzeichen schließt Amblyopie nicht aus.
Trennschwierigkeiten (Crowding)
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Relative Amblyopie
Der Visus schielamblyoper Augen ist durch die Interaktion benachbarter Konturen und eine gestörte relative Lokalisation beeinträchtigt [67], [192], [364]. Die Kontureninteraktion (▶ Abb. 2.44) führt durch Trennschwierigkeiten zu dem geringeren Visus für eng stehende Sehzeichen (▶ Abb. 2.45, ▶ Abb. 2.46a–c, ▶ Abb. 2.47, ▶ Abb. 2.48a, b). Diese neuronal bedingte Störung ist am stärksten, wenn die zusätzliche Kontur in 2–5‘ Abstand steht [98], [100]. Bei geringerem Kontrast nimmt die Kontureninteraktion ab [204]. Kinder erkennen eng stehende Sehzeichen noch nicht so gut wie Erwachsene [92], [180]. So erreichten 7Jährige für Reihensehzeichen im Abstand von 2–3‘ einen Visus von ca. 0,6, erst 10-Jährige erzielten einen Wert von 1,0. Bei > 30‘ Abstand erreichten schon 5-Jährige Werte von 1,0 und 10-Jährige von 1,25–1,6.
Merke
H ●
Trennschwierigkeiten sind ein typisches Symptom der Amblyopie.
Abb. 2.43 Optikuskolobom. Trotz eindrucksvoller Fundusveränderungen kann ein erstaunlich guter Visus erreichbar sein, kaum jedoch, wenn sich pupillomotorisch ein ausgeprägtes Afferenzdefizit zeigt.
Circa 90 % der Amblyopen haben Trennschwierigkeiten [61], [151], [153], [351]. In einem selektierten Krankengut betrug die mittlere Differenz zwischen dem Einzel- und dem Reihenoptotypenvisus 4 Stufen [151]. Augengesunde Kinder über 12 Jahre und Erwachsene zeigen nur ca. 1 Stufe Differenz [61], [92], [128], [151], [261], [351]. Die
175
Störungen
0 a
Normalperson D. B. Visus 20/11
50 %
0 Normalauge R. A. Visus 20/14 50 %
0
Abb. 2.44 Kontureninteraktion. Der Patient soll die Richtung der Lücke im Landoltring erkennen. Ordinate: Anteile der richtigen Antworten in Prozent. Abszisse: Abstand der schwarzen Balken vom Landoltring (Strecke a) in Winkelminuten. Physiologisch zeigt sich eine deutlich verminderte Erkennbarkeit, wenn die Balken 2–3‘ vom Landoltring entfernt platziert werden. Befinden sie sich hingegen weiter entfernt, üben sie keinen Einfluss mehr auf die Erkennbarkeit aus (Normalperson D. B. und normales Auge von R. A.). Anders bei Amblyopie: Die Beeinflussung erstreckt sich bis zu 25‘ Abstand der zusätzlichen Konturen (R. A., untere Kurve; Datenquelle: [99]).
50 % R. A. Amblyopie Visus 20/74
5
10
15
20
25
Abb. 2.45 Sehschärfe amblyoper Augen (blaue Kreise) und ehemals amblyoper Augen (gelbe Kreise). Gemessen mit dem C-Test in 40 cm Abstand (Alter > 10 Jahre, n = 81). Einzeloptotypenvisus, aufgetragen über dem Visus für Reihenoptotypen. Die maximal prüfbare Sehschärfe betrug 1,4. Fast alle amblyopen Augen zeigen eine geringere Sehschärfe für Landoltringe in horizontaler Reihe. Auffällig ist die erhebliche Streuung. Bei einem Einzeloptotypenvisus von 0,8 könnte der Visus für Reihensehzeichen 0,16–0,63 betragen.
1,6 1,0
C-Test Einzel Nähe
0,63 0,4 0,25 0,16 0,1 0,06 0,04 0,025 0,025 0,04 0,06
0,1
0,16 0,25
0,4
0,63
1,0
1,6
C-Test 2,6’ Nähe
Differenz ist auch bei fovealen Läsionen nicht viel höher [61], [259]. Crowding kann schon bei der Orientierung in Menschenmengen oder vor Kaufhausregalen stören oder erst beim Lesen kleiner Schrift, was dann holprig, langsam und fehlerhaft ist [216], [344]. Durch sinnvolle Interpretation des Textes, was bei mehrstelligen Zahlen weni-
176
ger möglich ist, kann die Lesefähigkeit noch relativ gut sein [73]. Guter Reihenvisus ist meist mit guter Lesefähigkeit verbunden[28]. Das Ausmaß der Trennschwierigkeiten hat hinsichtlich der Therapie keinen prognostischen Wert [61].
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0
2.4 Amblyopie
2
F
a
F
b
PF
F
c
Abb. 2.46 Doppellokalisation der Foveola. Euthyskopnachbilder. Allmählicher Lokalisationswandel von a nach c, wobei anfangs das „richtige“ Bild als eine Art Halb- oder Viertelmond, schwächer wahrgenommen, dem Nachbild mit „falscher“ (nasaler) Lokalisation aufsitzt. Linkes Auge mit ursprünglich nasalem Raumwert der Foveola.
H ●
Nichtbeachten der Reihensehschärfe kann einen guten Therapieerfolg vortäuschen.
P F
Fixation
F=P
Fixieren bedeutet, ein Objekt mit dem Netzhautareal höchster Auflösung anzusehen und es dort festzuhalten. Erregt es zunächst peripher im Gesichtsfeld Aufmerksamkeit, erfolgt eine Blicksakkade, die das Bild des Objekts auf die Foveola lenkt. Die Fixation erfolgt dort nicht statisch an einem zentralen Punkt, sondern – infolge unwillkürlicher Mikrobewegungen (▶ Abb. 2.49a–c) – auf einer Fläche von 0,03–0,1 mm bzw. 10–30‘ Durchmesser [250]. Diese geringe Unruhe ist auch sinnvoll, weil das gesehene
Abb. 2.47 Trennschwierigkeiten durch Fehllokalisation. Steht das Sehzeichen E allein (oberes Bild), wird es beispielsweise in diesem Fall foveolar wahrgenommen. Auf die Stelle P der Netzhaut, die sich lokalisatorisch in Konkurrenz mit der Foveola befindet, projiziert nur eine leere Fläche – keine Trennschwierigkeiten. Befindet sich dagegen ein Buchstabe in der Nachbarschaft, der optisch auf P abgebildet wird, entsteht eine Doppellokalisation an einem Ort im Außenraum. Es werden 2 E subjektiv zusammenprojiziert – Trennschwierigkeiten.
amblyopes Auge
normales Auge 1
Visus 1,25
20’
1
Visus 0,8
20’
0° Meridian
0° Meridian 10 ΔL asb
ΔL asb
10
100
1000 a
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Merke
100
1000 4°
3°
2°
1°
0°
1°
2°
3°
4°
b
4°
3°
2°
1°
0°
1°
2°
3°
4°
Abb. 2.48 Lichtunterschiedsempfindlichkeit in der Nachbarschaft einer Kontur. Statische Perimetrie. Im 0°-Meridian vermindert eine dunkle Kontur auf weißem Hintergrund die Empfindlichkeit in ihrer Nachbarschaft (a) im physiologischen Fall gering, bei Amblyopie (b) wesentlich stärker (Datenquelle: [19]).
177
42
21
0
0
Y-Amplitude (Bogenminuten)
a
Y-Amplitude (Bogenminuten)
84
42
21
0
0
b
c
21 42 63 X-Amplitude (Bogenminuten)
21 42 63 X-Amplitude (Bogenminuten)
84
42
21
Merke 0
H ●
Fixation ist nicht statisch, sie geht mit Mikrobewegungen des Auges einher. 0
21 42 63 X-Amplitude (Bogenminuten)
84
Abb. 2.49 Fixationsareale bei Amblyopie. Prüfzeit jeweils 10,25 s (Datenquelle: Schulz E. Unveröffentlichte Daten). a Fixationsareal unter binokularen Bedingungen. Visus des nichtamblyopen Auges: 1,0. b Fixationsareal bei Fixation mit dem amblyopen Auge (Visus 0,3) unter binokularen Bedingungen. Größere Areale als bei Fixation mit dem nichtamblyopen Auge und auch größer als bei monokularer Fixation mit dem amblyopen Auge. c Monokulare Fixation mit dem amblyopen Auge (Visus 0,3). Vorwiegend horizontale Sakkaden, kein Nystagmus, kleineres Areal als bei binokularer Fixation.
Bild bei absolut ruhiger Abbildung durch lokale Adaptation der Netzhaut rasch auslöschen würde (Troxler-Phänomen).
178
Abb. 2.50 Ophthalmoskopisches Bild des zentralen Augenhintergrunds. Links im Bild die Papille. Gestrichelt eingezeichnet ist der Foveawallreflex, welcher bei der indirekten Augenspiegelung sichtbar wird. Normal ist eine Auswärtsverrollung von ca. 0–10°, im Mittel 5° je Auge, wodurch die Papillenmitte im direkten und umgekehrten Bild etwas oberhalb der Foveola erscheint. Bei ca. 90 % der Augen kommt ein Punkt zwischen der Papillenmitte und dem unteren Papillenrand auf Höhe der Foveola zu liegen. Die physiologische Verrollung, die auch in der Lage des blinden Flecks im Gesichtsfeld zum Ausdruck kommt, ist an beiden Augen symmetrisch.
Struktur des hinteren Augenpols Das anatomische und funktionelle Zentrum der Netzhaut ist die Foveola (▶ Abb. 2.50, ▶ Abb. 2.51a, b). Ihr Durchmesser beträgt ca. 0,2 mm und entspricht knapp 1° im Gesichtsfeld. Hier sind die inneren Netzhautschichten zur Seite gewichen. Ihre Grenze liegt dort, wo die äußere Körnerschicht beginnt. Die Fovea hat einen Durchmesser von ca. 1,5 mm. Sie reicht bis zum dicksten Bereich der Netzhaut, der ophthalmoskopisch dem Wallreflex entspricht. Der Streifen von ca. 0,5 mm Breite jenseits des Wallreflexes wird als Parafovea, der folgende Streifen von ca. 1,5 mm Breite als Perifovea bezeichnet. Das gesamte Gebiet einschließlich der Perifovea hat einen Durchmesser von 5–6 mm [262]. Während der ersten Lebensmonate ist diese Struktur noch nicht ausgereift, es fehlt die Ausbildung des Grübchens und somit der foveolare Reflex. Büßt die Foveola beim Erwachsenen ihre Funktion ein, ist dem Patienten bewusst, dass er neben ein Objekt blicken muss, um es zu betrachten (exzentrische Einstellung), denn die physiologische Hauptsehrichtung bleibt
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Y-Amplitude (Bogenminuten)
Störungen
2.4 Amblyopie
Nervenfaserschicht Ganglienzellschicht (hell) innere plexiforme Schicht Bipolarzellschicht (hell) äußere plexiforme Schicht
2 Rezeptorzellschicht (hell) äußere Grenzmembran Rezeptorinnensegmente (hell) Rezeptoraußensegmente (hell) Netzhautpigmentepithel
200 μm
a
b
Abb. 2.51 Optische Kohärenztomografie des zentralen Augenhintergrunds (spectral domain OCT). a Im Fundusbild ist gestrichelt eingezeichnet der Wallreflex der Fovea, die außer durch die veränderte Schichtung (siehe ▶ Abb. 2.51b) dadurch gekennzeichnet ist, dass im Zentrum keine Netzhautgefäße vorhanden sind. Die dunkle Linie in der Rezeptorschicht entsteht am Übergang von den Innen- zu den Außensegmenten. b Schnittbild der Netzhaut entlang der grünen Linie in ▶ Abb. 2.51a. In der Regel liegt die der Rhaphe retinae entsprechende Verbindungslinie zwischen der Foveola und dem Zentrum der Papille nicht horizontal. Meist liegt die Papille etwas höher, entsprechend einer Exzyklostellung des Auges.
Bei Amblyopie kann die foveolare Fixation normal sein, aber auch alle Grade der Unruhe zeigen (▶ Abb. 2.52a, b, ▶ Abb. 2.53a–f). Bei exzentrischer Fixation fixiert der Patient mit einem Areal, das größer ist als die foveolare Fixationsfläche [247]. Die bloße Beobachtung im freien Raum kann grobe Hinweise auf das Fixationsverhalten liefern, gibt aber keine Sicherheit darüber, ob zentrale Fixation vorliegt (▶ Abb. 2.54). Die ophthalmoskopische Fixationsprüfung mit dem direkten Augenspiegel (▶ Abb. 2.55) ist ein wichtiges Element der Amblyopiediagnostik. Nach Okklusion des anderen Auges wird ein kleines Objekt auf den Augenhintergrund projiziert und mit der Rekossscheibe ein scharfes Netzhautbild erzeugt [70]. Die Lichtintensität wird nur so hoch eingestellt, dass man die Fundusstrukturen gut erkennen kann. Rotfreies Licht kann die Beurteilung erleichtern.
Hauptsehrichtung
Hauptsehrichtung
P
a
pI F
P
Skotom b
pI F
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erhalten. Verliert die Foveola ihre funktionelle Überwertigkeit schon in der Kindheit, kann sich die Fixation an einem exzentrischen Ort etablieren, der dann die Hauptsehrichtung vermittelt (exzentrische Fixation). Der Patient empfindet, dass er ein Objekt mit dieser Stelle direkt ansieht [70], [248]. Man unterscheidet folgende Fixationen: ● foveolare ● parafoveolare (innerhalb des Wallreflexes) ● parafoveale (außerhalb des Wallreflexes) ● periphere (weit exzentrisch) ● fehlende
Skotom
Abb. 2.52 Exzentrische Einstellung und exzentrische Fixation. a Der Patient stellt exzentrisch ein. Er weiß, dass er am Objekt P vorbeiblicken muss, um es zu sehen. Seine Hauptsehrichtung ist an die Fovea gebunden, die defekt ist oder einer Hemmung unterliegt. Wenn der Patient seine Gesichtslinie auf das Objekt P richtet, verschwindet dieses im Skotom. b Exzentrische Fixation. Der Patient schaut das Objekt P direkt an, und zwar mit einer exzentrischen Netzhautstelle. Die Hauptsehrichtung hat sich geändert.
Merke
H ●
Die klinische Fixationsprüfung erfolgt ophthalmoskopisch. Bei der Fixationsprüfung muss das andere Auge verschlossen sein.
179
Störungen
parafoveolare Fixation, temporal unterhalb der Foveola foveolare Fixation
10°
10°
Fixation am Wallreflex
5°
5°
parafoveale Fixation
0°
0°
papillennahe Fixation
5°
5°
a
c
e
15°
15°
15°
10°
10°
10°
5°
5°
5°
0°
0°
0°
5°
5°
5°
10° 10°
b
15°
10°
5°
0°
5°
10° 10°
10°
10°
5°
5°
0°
0°
5°
5°
10° 10°
d
15°
10°
5°
0°
5°
10° 10°
10°
10°
5°
5°
0°
0°
5°
5°
10° 10°
f
15°
10°
5°
0°
5°
10° 10°
Fixationsareal Abb. 2.53 Fixationsskizzen zur Befunddokumentation. Prüfung mit dem Visuskop oder Ophthalmoskop. a Foveolare Fixation und verschiedene exzentrische Einstellungen oder Fixationsorte. b Unstetige foveolare Fixation ohne Richtungspräferenz der Abweichungen – häufig bei hoher Ametropie oder Anisometropie. c Unstetige Fixation ohne Nystagmus mit Richtungspräferenz nach nasal. Relativ häufig bei Strabismusamblyopie (Esotropie). d Foveolare Fixation bei Nystagmus vom Latenstyp. Langsame Phase: nasalwärts gerichtete Abdrift aus der Foveola. Schnelle Phase (Sakkade): nach temporal in die Foveola gerichtete Bewegung. e Fixation in Adduktion von etwa 25° bei Nystagmus vom Latenstyp, geringer Restnystagmus. f Fixationsareal bei intensivem Nystagmus, mehrfache Prüfungen. Die Pfeillänge soll die Amplitude ausdrücken, die Federzahl die Frequenz des Nystagmus.
180
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periphere Fixation
2.4 Amblyopie
2
Der auf der Netzhaut bewegte Fixationsstern löst eine Blickbewegung aus, durch die er im Normalfall foveolar fixiert wird. Vor dem 4. Lebensmonat stellt sich noch kein fester Fixationsort dar [154]. Ältere Kinder fordert man auf, mitten ins Licht zu schauen. Gibt das Kind bei exzentrischer Abbildung des Sterns an, diesen direkt anzublicken, handelt es sich um eine exzentrische Fixation. Dann wird zusätzlich in den Hauptblickrichtungen bezüglich der blickrichtungsabhängigen Fixation geprüft. Oft rückt der Fixationsort in Adduktion näher an die Foveola heran [45], [46]. Gelingt die Prüfung selbst bei weiter Pupille nicht, wird der Stern indirekt ophthalmoskopisch eingeblendet, was zumindest ein grobes Urteil erlaubt. Zentrale und minimalexzentrische Fixation sind allerdings auch direkt ophthalmoskopisch nicht sicher zu differenzieren. Im Vergleich mit dem Haidinger-Büschel als Goldstandard zeigte sich eine erhebliche Irrtumsrate (▶ Abb. 2.56a–e). Das Haidinger-Büschel [155] ist ein entoptisches Phänomen, das in den Henle-Fasern der Foveola entsteht. Polarisiertes Licht führt zur Wahrnehmung eines Büschels. Bei rotierender Polarisationsebene rotiert auch das Büschel und ist dadurch leichter sichtbar. Das Phänomen lässt sich mit dem Tischkoordinator oder speziellen Einsätzen im Synoptophor induzieren [70]. Es erlaubt eine präzise Lokalisation des Fixationsortes, denn das Büschel entspricht exakt der Foveola. In Kombination mit einem kleinen Fixationsobjekt lokalisiert der Patient das Büschel bei nasal-exzentrischer Fixation nasal, bei temporal-exzentrischer Fixation temporal des fixierten Punktes (▶ Abb. 2.56a–e).
Abb. 2.55 Direkt ophthalmoskopische Untersuchung der Fixation. Inlay links oben: Normale Abbildung des Sterns am Augenhintergrund bei zentraler Fixation mit Foveolarreflex im Loch des Sterns.
Merke
H ●
Die Prüfung mit dem Haidinger-Büschel ist der Goldstandard der Fixationsprüfung.
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Abb. 2.54 Deutlich nasale Dezentrierung des Hornhautspiegelbilds. Ob eine weit exzentrische Fixation oder ein großer Winkel Kappa bei zentraler Fixation vorliegt, ist erst durch die ophthalmoskopische Fixationsprüfung zu entscheiden (siehe ▶ Abb. 2.55).
Die Fundusfotografie erlaubt eine Dokumentation des Fixationsverhaltens [247]. Im Strahlengang der Kamera befindet sich eine Nadel mit einer Verdickung am Ende, die der Patient fixieren soll. Es ist eine Serie von Fotos anzufertigen und zwischen den Blitzen ½ Minute abzuwarten, damit die Blendwirkung nachlässt. Einfacher ist die Prüfung mittels Scanning Laser Ophthalmoskop (SLO) oder optischer Kohärenztomografie (OCT). Eine Skizze über die Art der Fixation kann zur Verlaufsbeobachtung nützlich sein (▶ Abb. 2.57). Bei Nystagmus ist der Fixationsort am Ende der Sakkaden zu suchen. Bei eingeschränkter Motilität ist die Fixationsprüfung nur in einer bequem erreichbaren Blickposition sinnvoll (▶ Abb. 2.58, ▶ Tab. 2.11).
181
Störungen
P2
a
HaidingerBüschel
HaidingerBüschel
HaidingerBüschel 1° Kreis (reales Objekt)
b F2
c
F1
F
P
P
optische Blende 1° Kreis (reales Objekt)
e P
F
od
2°
HaidingerBüschel
d
F
od
P
F 2°
Abb. 2.56 Fixationsprüfung mit dem Haidinger-Büschel. a Abdecken des nicht zu prüfenden Auges. Skizziert ist eine normale foveolare Hauptsehrichtung: Wohin die Foveola (F) zeigt, dort erscheint das Haidinger-Büschel (x), zunächst bei Position P1, nach einer Blickwendung nach rechts in Position P2. b Abdecken des nicht zu prüfenden Auges. Kombination des Haidinger-Büschels mit einem kleinen realen Objekt von etwa 1° Durchmesser. Der Patient ist aufgefordert, direkt in den kleinen Kreis zu blicken. Dort nimmt er physiologischerweise das entoptische Phänomen des Haidinger-Büschels wahr. c Scheinbar normaler Befund bei exzentrischer Fixation und weiter Blende. Der Patient ist wiederum aufgefordert, direkt in das reale 1°-Objekt hineinzusehen. Die Verbindung zwischen dem exzentrischen Netzhautort P und dem Kreisinneren stellt in diesem Fall die pathologische Hauptsehrichtung dar. Der Patient nimmt über seine Foveola das Haidinger-Büschel trotzdem wahr und lokalisiert es – in diesem Fall – ebenfalls an den Ort des Kreises. Erst eine Blendeneinengung auf 2° oder weniger (vgl. ▶ Abb. 2.56d) würde das Phänomen „abschneiden“, da die nunmehr kleinere Induktionsfläche für das Haidinger-Büschel von der Größe des kleinen 1°-Kreises gerade noch mit der exzentrischen Stelle P gesehen werden kann. Die kleine Fläche projiziert sich aber nicht mehr auf die Foveola und kann somit kein Haidinger-Büschel auslösen. d Reales Objekt und Haidinger-Büschel werden nicht am gleichen Ort der Induktionsfläche des Koordinators oder Synoptophors/ Synoptometers gesehen. Exzentrische Fixation: Eine Verengung der Blende (kleine Pfeile) schneidet das Haidinger-Büschel wiederum ab, es bleibt der Kreis P. Die Hälfte des minimalen Blendendurchmessers in Winkelgrad, der gerade noch erlaubt, das HaidingerBüschel zu sehen, gibt den Grad der Exzentrizität an. e Exzentrische Einstellung, knapp parafoveolar. Dem Patienten gelingt es nicht, den 1°-Kreis mit der Foveola anzusehen, weil dieser bei einem Versuch dazu im foveolaren Skotom verschwindet. Der Patient sieht den Kreis deshalb mit einem exzentrischen Ort am Rande des Skotoms etwa 2° von der Foveola entfernt an. Das Haidinger-Büschel nimmt er aber richtig wahr, im Sinne der erhaltenen foveolaren Hauptsehrichtung. Ein Einengen der Blende auf 4° führt – bei Aufforderung, den Kreis anzusehen – auch hier zum „Ausblenden“ des Haidinger-Büschels. Fordert man den Patienten auf, das Haidinger-Büschel direkt anzusehen, gelingt ihm dies ohne Weiteres im Gegensatz zu den unter ▶ Abb. 2.56d geschilderten Umständen. Die relative Lokalisation von Haidinger-Büschel und 1°-Kreis zueinander ist in der Skizze korrekt.
182
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P1
2.4 Amblyopie linkes Auge
█.█. ♂ 5½ Jahre
rechtes Auge
█.█. ♂ 46 Jahre
30°
20°
10°
0°
10°
20°
30°
30°
20°
10°
0°
10°
20°
x Ee 7°
x Ee 6°
x Ee 6°
xxx Ee 4°
x Ee 2°
x Ee 2°
x Ee 2°
x
x
x
x
x
x
Abd.
Add.
Add.
30°
Abd.
2
Messung in der Horizontalen
Messung in der Horizontalen
Abb. 2.58 Abduzensparese rechts. Prüfung der foveolaren Bewegungsstrecke mit dem Haidinger-Büschel (x) und einem kleinen realen Objekt am Synoptometer. Das reale Objekt gerät mit zunehmender Abduktionsintention, aber auch zunehmendem Bewegungsdefizit aus der Foveola heraus auf eine nasale Netzhautstelle und wird subjektiv im Verhältnis zum HaidingerBüschel nach temporal lokalisiert.
Abb. 2.57 Blickrichtungsabhängige exzentrische Fixation. Die Gradzahlen geben das Ausmaß der möglichen Blendeneinengung (Ee) bis zum Verschwinden des Haidinger-Büschels (x) an. Mit zunehmender Adduktion rückt der Fixationsort näher an die Foveola.
Tab. 2.11 Häufigkeit des Nystagmus vom Latenstyp bei Kindern mit Strabismus. Beziehung zum Alter bei Schielbeginn. Schielbeginn
Anzahl
Kein Nystagmus
Spontannystagmus, MNL
NL
Von Geburt (bis 6 M.)
100
5%
20 %
74 %
2. Lebensjahr
42
61 %
2%
37 %
3. Lebensjahr
20
75 %
–
25 %
Später
50
88 %
2%
10 %
Pathogenese der exzentrischen Fixation Nach der Skotomtheorie der exzentrischen Fixation spielt die Suppression des zentralen Gesichtsfelds oder die stärkere Auswirkung einer Stimulusdeprivation auf die Fovearegion eine entscheidende Rolle für die Entstehung der exzentrischen Fixation. Der Patient sucht eine neue Fixation außerhalb des Skotoms. Die Visusreduktion und die übrigen, mit der Amblyopie verbundenen Defizite sind dadurch besonders ausgeprägt. Bei reiner Anisometropieamblyopie und exzentrischer Fixation wäre demnach eine Zufallsverteilung des Fixationsorts um die Foveola zu erwarten. Dafür spricht eine Untersuchung von 48 Fällen von Anisometropie und Mikrostrabismus [326], während Patienten mit organisch bedingtem Zentralskotom gern am oberen Rand des ausgefallenen Bezirks fixieren [19] und so ihren Gesichtsfelddefekt nach oben, meist auch tendenziell nach rechts verlagern. Nach der Skotomtheorie [30], [45], [282], [373] sollte der Ort der exzentrischen Fixation derjenige der relativ besten Funktion sein (▶ Abb. 2.59a, b). Dies trifft jedoch nicht regelmäßig zu [20], [244], [245], [248]. Nach der Korrespondenztheorie der exzentrischen Fixation [69], [70] zieht bei Esotropie die anomale Korrespondenz am amblyopen Auge die Fixation nach sich. Für diese Ansicht spricht die überwiegende Richtungsgleichheit der anomalen Korrespondenz und des Fixationsorts. Dies soll bei 80–90 % der Patienten der Fall sein [120], [275], [276]. Der Winkel der Exzentrizität der Fixation, bei der es sich um ein monokulares Phänomen handelt,
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MNL = manifester Nystagmus vom Latenstyp, NL = Nystagmus latens
und der Winkel der anomalen Netzhautkorrespondenz, die eine Störung der binokularen Zusammenarbeit darstellt, sind meist nicht gleich [267], [282], [371]. Eine Identität dieser beiden Winkel und des objektiven Schielwinkels kann beim Mikrostrabismus vorkommen [167], [217]. In diesen seltenen Fällen erfolgt im einseitigen Abdecktest keine Einstellbewegung. Nach der Korrespondenztheorie sollte das Ausmaß der Exzentrizität der Fixation mit dem Grad des Anomaliewinkels korrelieren. Der Anomaliewinkel sollte dabei nicht kleiner sein als die Exzentrizität der Fixation. Die Theorie erklärt nicht das Vorkommen exzentrischer Fixation bei normaler Korrespondenz [266] oder entgegen der Schielrichtung, die in 10–15 % der Fälle zu finden ist [272]. Eine exzentrische Fixation sollte sich auch nur unter binokularen Bedingungen entwickeln, unter denen auch eine anomale Korrespondenz entstehen kann. Sie bildet sich aber auch bei monokularer Sehweise durch einseitige Medientrübung oder Okklusion. Es wurden auch Patienten mit exzentrischer Fixation beider Augen beobachtet [139], [249], [268]. Es ist denkbar, dass in diesen speziellen Fällen okkulte Netzhautdefekte vorlagen, die mit den heutigen Methoden der Bildgebung, insbesondere der optischen Kohärenztomographie (OCT), nachweisbar wären.
183
Störungen
a
b
ΔL asb 0,1
0,1
0,32
0,32 temp.
1,0
3,2
10
10
100
320
320 25°
20°
15°
temp.
32
P
100
1000
3°
1,0
3,2
32
= Lichtempfindlichkeit = Visus
ΔL asb
10°
5°
0°
5°
10°
15°
1000
3°
15°
10°
5°
P
0°
5°
10°
15°
20°
25°
Abb. 2.59 Profilperimetrie bei normalem und amblyopem Auge. a Normalerweise ist die Empfindlichkeit für Leuchtdichteunterschiede in der Foveola (bei 0°) am größten. b Bei Amblyopie kann dieser Gipfel im Foveabereich verschwinden, und es bildet sich an seiner Stelle ein Plateau. Ordinate: Leuchtdichteunterschied ΔL der 10° großen Prüfmarke gegenüber der Schirmleuchtdichte in Apostilb (= Schwellenleuchtdichte). Abszisse: Netzhautorte, 0° = Foveola in ▶ Abb. 2.59a bzw. exzentrischer Fixationsort in ▶ Abb. 2.59b (Datenquelle: [25]). P: physiologisches Absolutskotom im Bereich der Papille
2,0
1,5 a b 1,0
0,5
c 1,5
3,3
8,2
22,1
46,3
0
Kontrastempfindlichkeit Die Kontrastempfindlichkeit entwickelt sich im 1. Lebenshalbjahr relativ rasch [15], [16]. Mit 3–4 Jahren beträgt das Auflösungsvermögen 30 Perioden pro Grad (siehe Kap. 1.3). Amblyope benötigen im Hellen für eine bestimmte räumliche Auflösung einen höheren Kontrast als visuell ungestörte Personen (▶ Abb. 2.60). Bei geringer Helligkeit gleichen sich beide Gruppen an [221].
Binokulare Interaktion und Summationseffekte Die Helligkeit eines Reizes und seine Fläche sind in bestimmten Grenzen substituierbar (Riccos Gesetz). Die Fläche, in der ein Summationseffekt auftritt, hat foveolar nur
184
1,1
2,2
6,0
14,3
34,5
*
60
Ortsfrequenz (Perioden/Grad) Abb. 2.60 Kontrastempfindlichkeit. Schraffiert: normaler Bereich (a). Bei Amblyopie (b) ist die Empfindlichkeit für hohe Ortsfrequenzen vermindert, bei schweren Formen (c) auch für niedrige Ortsfrequenzen.
wenige Winkelminuten, peripher bis zu ca. 1° Durchmesser. Bei Amblyopie fand sich foveolar ein Verhalten, wie es normalerweise in der Peripherie beobachtet wird [72], [101]. Dies spricht für vergrößerte perzeptive Feldzentren in der Fovea. Ein anderer Summationseffekt (▶ Tab. 2.12) wird bei der Darbietung von Gittermustern beobachtet [222].
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Angeborene und früh erworbene schwere zentrale Gesichtsfelddefekte führen dazu, dass ein Nystagmus entsteht. Bei beidseits dichter kongenitaler Katarakt wird der Nystagmus im Alter von ca. 3 Monaten makroskopisch auffällig. Frühe einseitige Störungen ebenso wie infantile Esotropie führen zum Nystagmus vom Latenstyp. Die amblyopen Augen zeigen eine unruhigere Fixation mit einer größeren Fixationsfläche [64]. Störungen der langsamen Blickfolge, verlängerte Sakkadenlatenz und Dysmetrien sind beschrieben [62], [63], [65]. Mit erfolgreicher Amblyopietherapie bessern sich die Amplitude der Drifts und ihre Geschwindigkeit. Auch nehmen die Phasen stetiger Fixation zu.
Log Kontrastempfindlichkeit
Motorische Störungen
2.4 Amblyopie Tab. 2.12 Vergleich der Sehschärfe für Optotypen und Gittermuster. Optotypen und Gittersehschärfe sind für dominante Augen nahezu gleich. Bei amblyopen Augen ist die Optotypensehschärfe stärker beeinträchtigt. Die Kontrastempfindlichkeit dominanter Augen ist normal, während sie bei amblyopen Augen schon für grobe Muster (6 Zyklen/°) auf weniger als 50 % und für feinere Muster teilweise drastisch vermindert ist (Datenquelle: [203]). Untersuchte Augen
Anzahl
Sehschärfe
–
–
Optotypen (A)
Gitter (B)
A:B
6 Zyklen/°
Kontrastempfindlichkeit 13 Zyklen/°
Dominante Augen
114
1,2
1,13
1,06
112,7
37,5
Amblyope Augen
114
0,35
0,68
0,51
48,8
11,8
Anisometropie-Amblyopie
20
0,44
0,70
0,63
43,3
8,9
Schielamblyopie
49
0,34
0,74
0,46
58,9
18,1
Anisometropie- und Schielamblyopie
37
0,29
0,58
0,50
39,6
5,6
Merke
H ●
2
14 1
13
Amblyopie beeinträchtigt die Sehschärfe für periodische Muster weniger als für nichtperiodische Sehzeichen.
12
4
5
2
3
6
11 10 6
8
1
2
3
9
54
7
1
6
2
5
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Fehler
Binokulare Summation führt dazu, dass bei normalem binokularen Sehen fast alle visuellen Schwellen binokular niedriger sind als monokular [237]. Fusionsstörungen und Suppression gehen meist mit verminderter binokularer Summation einher [229], [333]. Untersuchungen mit Sehzeichen ergaben nur in wenigen Fällen unter binokularen Bedingungen eine höhere Auflösung als mit dem nicht amblyopen Auge allein [26], [270]. Eine Visusreduktion durch eine rein foveolare Läsion verhindert die bifoveolare Zusammenarbeit, aber nicht das Binokularsehen generell (▶ Abb. 2.61). Auch Amblyopie ist nicht unbedingt ein Hindernis für binokulare Fusion oder Stereopsis. Das Skotom des amblyopen Auges ist unter beidäugigen Bedingungen größer, die Hemmung kann wesentlich tiefer sein [18], [161], [162], [246]. Dieser Bereich fällt für binokulare Zusammenarbeit aus. Außerhalb der Skotome sind ohne Schielen oder mit Mikrostrabismus Fusion und mehr oder weniger grobe Stereopsis möglich [217], [218], [334]. Die Wahrnehmung mit dem amblyopen Auge kann durch Stimulation des anderen Auges supprimiert werden. Dies ist ein wichtiger Mechanismus zur Vermeidung von Diplopie und Konfusion. Ein Verlust der Suppressionsfähigkeit kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen [260]. Eine Hemmung des gesunden Auges durch das amblyope Auge ist nicht immer möglich [18]. Bei manchen Patienten äußert sich eine vom amblyopen Auge ausgehende Störung bei der beidäugigen Visusforderung, indem sie das amblyope Auge zukneifen.
1
3 5 6
4 3
5
4 2 3
4
6
2
1
1
64 5 3
0 15
2
20
= Gruppe 1 = Gruppe 2 = Gruppe 3
25 Zeit (s)
30
35
= Gruppe 4 = Gruppe 5
Abb. 2.61 Ergebnisse eines visuell gesteuerten Handlungstests. Ähnlich dem Treffversuch nach Lang [218] hatte der Patient das Ende eines mit der Hand geführten Stabes senkrecht nach unten auf einen vertikal stehenden Stab aufzusetzen. Gemessene Parameter: Zahl der Fehler (Ordinate) und benötigte Zeit für 14 Stäbe (Abszisse). Gruppe 1: Normal Sehende mit intaktem Binokularsehen. Gruppe 2: Patienten mit Mikrostrabismus ohne Amblyopie und fehlendem Stereosehen in den üblichen Stereotests. Gruppe 3: Patienten wie in Gruppe 2, aber mit mittlerer oder hochgradiger Amblyopie (Sehschärfe 0,4 oder weniger), kein Stereosehen in den üblichen Stereotests. Gruppe 4: Seit Jahren einäugige Patienten ohne Restfunktion des 2. Auges. Gruppe 5: Versuchspersonen der Gruppe 1 mit Okklusion des nichtdominanten Auges. Das Diagramm zeigt die Mittelwerte von 6 Versuchsserien. Die Gruppenunterschiede sind signifikant. Das amblyope Auge leistet offenbar einen wesentlichen Beitrag für die Schnelligkeit und Sicherheit eines manuellen Handlungstests. Die Leistungen (beide Augen offen) sind weit besser als die erfahrener Einäugiger (Datenquelle:[125]).
185
Störungen Abb. 2.62 Verzerrungen der visuellen Wahrnehmung bei Amblyopie. Diese sind bei Schielamblyopien stärker bei hohen als bei niedrigen Ortsfrequenzen. Man kann sich nach diesen Darstellungen leicht vorstellen, warum Amblyope oft eine höhere Gitterals Optotypensehschärfe haben und unter Crowding leiden (Die Darstellung ist verändert. Sie weicht deutlich von tatsächlichen Patientenangaben ab.).
Visuell evozierte kortikale Potenziale (VECP) Das VECP ist die aus dem EEG isolierte Antwort auf die Stimulation eines Auges durch Licht- (Blitz-VECP) oder Musterreize (Muster-VECP), z. B. ein Schachbrett, dessen helle und dunkle Felder periodisch wechseln. Bei Amblyopie ist das Blitz-VECP in der Regel normal, bei tiefer Deprivationsamblyopie kann es pathologisch sein [27]. Im Muster-VECP wurden bei Amblyopie verlängerte Latenzen und verminderte Amplituden für feine Muster gefunden. Die Empfindlichkeit gegenüber Kontrastverminderung ist erhöht [339], [343].
Abb. 2.63 Verzerrungen der Wahrnehmung. (Teil-)Suppression, Doppelkonturen – Bericht amblyoper Patienten.
Auch bei foveolarer Fixation kann Amblyopie mit starken Störungen der relativen Lokalisation einhergehen (▶ Abb. 2.62a–c). Die Ordnung im Raum gerät durcheinander, das Erkennen von Strukturen kann fast unmöglich werden [298]. Die Eindeutigkeit der Orientierung von senkrecht und waagrecht gerichteten Sehzeichen, von rechts und links kann verlorengehen [192], [305]. Patienten mit erhaltener oder nach Therapie wiedererlangter foveolarer Fixation berichten über derartige „Purzelbaum“-Phänomene. Bielschowsky beschrieb monokulare Diplopie [43]. Vom Hofe ließ Patienten ihre Lokalisationsfehler aufzeichnen [364]. Das Umkehrphänomen und das Wendephänomen sind hier einzuordnen [8], [285]. Ein E wird z. B. nach links zeigend als Drei wahrgenommen. Die Vergröberung der relativen Lokalisation zweier Objekte zueinander findet sich bei allen Amblyopien mehr oder weniger ausgepägt [174], [176], [233], [234], [366]. Bei Schielamblyopie kommt oft eine systematische Falschlokalisation in eine bestimmte Richtung hinzu [36], [37], [38], [175], [233], [234]. ▶ Abb. 2.63 zeigt Beispiele. Eine empfindliche Methode stellt der Dreieckstest von Bedell und Flom dar [38] (▶ Abb. 2.64). Die Dreiecke sind ständig sichtbar, der kurze Lichtbalken leuchtet für 130 ms auf einem Monitor auf, rechts oder links von den Dreiecksspitzen in 5 verschiedenen Abständen von diesen. Der Patient muss angeben, wo er den Balken wahrgenommen hat. ▶ Abb. 2.65 zeigt im Vergleich zu ▶ Abb. 2.66 die verbreiterte Streuung der Antworten bei Schielamblyopie. Bei Esotropie werden die temporal angebotenen Reize häufiger fehllokalisiert als die nasal ge-
186
Abb. 2.64 Test zur Prüfung der relativen Lokalisation. Die Dreiecke sind immer zu sehen, der Teststrich erscheint in verschiedenen Positionen rechts oder links von der Mitte. Der Patient soll seine Lage benennen, jede Position wird mehrmals angeboten. Fehlerdiagramm amblyoper Personen in ▶ Abb. 2.65, physiologische Antworten in ▶ Abb. 2.66.
zeigten. Die Lokalisation wird durch eine Therapie der Amblyopie verbessert [116]. Die Ergebnisse der Linienhalbierung oder Streckenteilung [81], [205], [363] sind in ▶ Abb. 2.67 und ▶ Abb. 2.68 dargestellt. Normalerweise werden Strecken von 1–50 cm Länge mit einer Genauigkeit von 1–2 % der Streckenlänge halbiert. Im Unterschied zu Normalpersonen steigen bei Schielamblyopen die Streuung und der konstante Fehler, je kürzer die zu teilende Strecke ist. Ihr Positionssinn ist also insbesondere im Gesichtsfeldzentrum gestört [110], [152], [212]. Die Lokalisationsstörungen korrelieren je nach Methode mehr oder weniger gut mit der Sehschärfe [116], [212].
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Relative Lokalisation
2.4 Amblyopie
10
8 7 6 5
Anzahl falscher Antworten
4 3 2 1 nasal
3
Fehllokalisation vor pleoptischer Therapie amblyope Augen n = 14
4
3
2
1
1
2
3
4
5
n=9
1
links
2 5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
rechts
1 2
5
geführte Augen
2 Anzahl falscher Antworten
9
Führungsaugen
temporal 3
1 2
Abb. 2.66 Physiologische Antworten bei Prüfung der relativen Lokalisation , siehe ▶ Abb. 2.64.
3 4 5
Streckenteilung, horizontal physiologische Antworten (n = 13 Probanden)
7 8 9
Führungsaugen
10 Abb. 2.65 Fehlerdiagramm der Prüfung der relativen Lokalisation , siehe ▶ Abb. 2.64. Die Positionen 1–5 rechts und links von der Dreiecksmitte bedeuten jeweils 6‘ Abstandsdifferenz. Jede Position wurde 10-mal angeboten. Die Angaben streuen um einen subjektiven Mittelwert rechts der wirklichen Mitte. Die Streuung zeigt die Unsicherheit der relativen Lokalisation. Auch das Führungsauge schielamblyoper Patienten zeigt die Störungen des Positionssinns (Datenquelle: [116]).
Gesichtsfeld Eine Suppressionsamblyopie vermindert die Lichtunterschiedsempfindlichkeit im zentralen Gesichtsfeld [20], [21], [295], [334], nasal stärker als temporal, in schweren Fällen sind nahezu komplette nasale Ausfälle beschrieben [169], [170], [253]. Auch am Führungsauge kann die Lichtunterschiedsempfindlichkeit nasal reduziert sein [170]. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass bei der Schielamblyopie die Zellen des visuellen Kortex, welche nur monokular von der temporalen Gesichtsfeldsichel aus erreichbar sind, einer Amblyopie am besten widerstehen. Das deckt sich mit dem Nachweis einer erhaltenen temporalen Gesichtsfeldsichel bei Ausfall der übrigen Gesichtsfeldanteile in Fällen von schwerer Amblyopie [149], [253].
RA LA
RA LA
RA LA
7,33 (0,18) 7,46 (0,11) 3,42 (0,11) 3,49 (0,09) 1,44 (0,05) 1,49 (0,06)
15 cm
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6
7 cm
3 cm
Mittelwerte (Standardabweichungen), per Hand geteilte Strecken Abb. 2.67 Streckenteilung, mit der Hand ausgeführt Der Patient soll jede Strecke je 15-mal mittig teilen. Meist ergibt sich eine subjektive Mitte gering links der geometrischen Mitte. Die Verschiebung erreicht normalerweise 0,5–2 % der Gesamtstrecke. Die Werte für vertikale Linien sind ähnlich (Datenquelle: [205]).
Perzeptive Felder Die zentrale Sehschärfe wird durch die große Zahl, die hohe Überlappungsrate und die relativ kleinen Durchmesser der rezeptiven Felder im Netzhautzentrum erreicht. Jeder Ganglienzelle entspricht ein rezeptives Feld, aus dem heraus sie stimuliert werden kann. Es erstreckt sich über viele Rezeptoren. Die Ganglienzelle reagiert auf Helligkeitsunterschiede zwischen dem Zentrum und der
187
Störungen
RA LA
RA LA
RA LA
Pupillomotorik
3,36 (0,17) 3,6 (0,4)
7 cm
Bei tiefer einseitiger Amblyopie wurde ein relatives afferentes pupillomotorisches Defizit (RAPD) beschrieben [95], [137], [197], [302]. In erster Linie aber spricht ein RAPD für [372]: ● Erkrankung im Bereich des Sehnervs ● Erkrankung des Chiasmas ● Erkrankung des Tractus opticus ● schwere Netzhautläsion
1,46 (0,1) 1,55 (0,5)
3 cm
Das Vorliegen oder Fehlen eines RAPD liefert keinen sicheren Hinweis für oder gegen die Annahme einer Amblyopie. Die Pupillengröße oder eine Anisokorie ist im Hinblick auf Amblyopie unergiebig.
15 cm
Streckenteilung, vertikal Esotropie mit Amblyopie LA (n = 20 Probanden) RA LA
RA LA
7,2 (0,37)
7,24 (0,45)
RA LA
3,44 3,36 1,47 1,41 (0,19) (0,23) (0,08) (0,16)
Akkommodation Eine genaue Regelung der Akkommodation bildet sich innerhalb der ersten 6 Lebensmonate heraus [164]. Die Akkommodation ist an die Rückmeldung in Form der Abbildungsschärfe gebunden, somit an eine funktionstüchtige Fovea. Deren Ausfall führt zur vergröberten Regulation oder Schwäche der Akkommodation [1], [286], [287], [288]. Bei alleinigem Sehen mit dem amblyopen Auge, z. B. während einer Okklusionsbehandlung, sind manche Patienten nicht zu einer adäquaten Akkommodation in der Lage (▶ Abb. 2.69, ▶ Abb. 2.70), während sie sonst normal akkommodieren. Ihre Akkommodation wird also nur über das nicht amblyope Auge angesteuert [130].
Merke
H ●
Bei Fixation mit dem amblyopen Auge kann die Akkommodation beeinträchtigt sein. Mittelwerte (Standardabweichungen), per Hand geteilte Strecken Abb. 2.68 Streckenteilung bei Esotropie und Amblyopie des linken Auges. Die Verschiebung ist individuell unterschiedlich, manchmal auch normal. Die Unsicherheit dagegen ist bei amblyopen Augen größer als normal und nimmt mit der Streckenlänge relativ ab.
Ein Ausfall der Akkommodation im Kindesalter kann zu Amblyopie führen, besonders wenn eine Hyperopie vorliegt [322]. Eine frühe Bifokalkorrektion für Intermediärund Greifdistanz, d. h. angewinkelte Armlänge des Kindes, gewährleistet bei fehlender Akkommodation ebenso wie beim aphaken Kind eine weitgehend normale Visusentwicklung [129].
Merke Peripherie des Feldes. Ein bestimmter Rezeptor gehört in diesem Gefüge mehreren rezeptiven Feldern an. Für die Foveola wurden Durchmesser der Zentren der perzeptiven Felder von 2‘ bis fast 6‘ gefunden [184] [255]. Bei Amblyopen entdeckte man eine Vergrößerung der Felder im Foveabereich [255].
188
H ●
Eine Akkommodationsstörung kann Amblyopie verursachen.
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Streckenteilung, horizontal Esotropie mit Amblyopie LA (n = 20 Probanden) 7,11 (0,32) 7,8 (0,51)
2.4 Amblyopie
Refraktion in dpt
Refraktion in dpt
-4
-4
-3
-3
-2
-2
-1
-1
0
0
+1
+1
+2
+2
+3
+3
Abb. 2.69 Akkommodation normaler Augen. Als Reiz dienten Birkhäuser-Sehzeichen entsprechend einer Sehschärfe von 0,3 bei Darbietung im Abstand von 33 cm. Jede vertikale Linie (Punkt und Strich) stellt die gemessene Akkommodation auf den genannten Reiz dar (Datenquelle: [287]).
Abb. 2.70 Akkommodation amblyoper Augen. Als Reiz dienten Birkhäuser-Sehzeichen entsprechend einer Sehschärfe von 0,3 bei Darbietung im Abstand von 33 cm. Zum Teil paradoxe Reaktion (Linien unterhalb der grün unterlegten Zone). Meist zu schwache, teils fehlende Akkommodation auf den Reiz (Datenquelle: [288]).
Dunkeladaptation Zur Dunkeladaptation amblyoper Augen liegen unterschiedliche Berichte vor. Im Amman-Test [12] spricht eine Visusreduktion von höchstens 1 Stufe bei Vorhalten eines Neutralfilters von 3 dB eher für eine Amblyopie, eine deutlich stärkere Visusreduktion eher für eine organische Störung. Die Trennschärfe des Tests ist begrenzt [169].
Die optische Kohärenztomografie zeigt auch ophthalmoskopisch okkulte Netzhautveränderungen auf, ebenso Nervenfaserverluste bei Optikusatrophien. Auch an Albinismus, Achromatopsie, kongenitale stationäre Nachtblindheit, die oft mit einer Fehlsichtigkeit einhergehen, ist bei Vorliegen eines Nystagmus zu denken.
Merke
2.4.5 Differenzialdiagnose der Amblyopie
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2
H ●
Bei Visusreduktion und Nystagmus stets auch an organische Erkrankungen denken.
Organische Defekte Die Abgrenzung einer Amblyopie von organischen Defekten ist diagnostisch und therapeutisch relevant. Ergibt sich kein Hinweis auf eine organische Erkrankung, kann ein beidseits subnormaler Visus bis zum Schulalter auf einer verzögerten visuellen Reifung beruhen. Diese Diagnose ist erst dadurch zu sichern, dass die Verzögerung aufgeholt wird, der Visus sich normalisiert [94].
Merke
H ●
Bei Visusreduktion ist immer auch an organische Ursachen zu denken.
Psychogene Sehstörungen Psychogene Störungen entziehen sich mehr oder weniger der bewussten Kontrolle. Als Simulation wird das absichtliche Vortäuschen einer Störung bezeichnet, als Aggravation die übertriebene Darstellung einer Beeinträchtigung. Charakteristisch für diese Störungen sind die Diskrepanz der Patientenangaben zu den objektiven Befunden und ihre Inkonsistenz bei physiologisch irrelevanten Veränderungen der Testbedingungen. Auslöser psychogener Störungen im Kindesalter sind oft häusliche oder schulische Probleme, auch Misshandlung wurde genannt. Sehstörungen kommen auch im Rahmen von Konversionsneurosen vor [368].
Die Diagnostik hereditärer Netzhauterkrankungen umfasst elektrophysiologische und bildgebende Verfahren.
189
Störungen
2.4.6 Amblyopiediagnostik
Untersuchungsmethoden
Risikofaktoren
Inspektion
Familiäre Belastung
Es ist auf Lidveränderungen und Kopfzwangshaltungen zu achten. Bei einseitiger Ptosis erlaubt die Kopfhebung binokulares Sehen und zeigt, dass eine Operation nicht dringend ist, es sei denn, die Zwangshaltung ist extrem. Dennoch besteht ein erhöhtes Amblyopierisiko durch Astigmatismus. Ursachen einer Kopfdrehung: ● Nystagmus ● frühkindliches Schielen ● angeborene Fehlinnervationen wie das Retraktionssyndrom
Amblyopieursachen und Begleiterkrankungen Frühgeburt ist mit einem erhöhten Amblyopierisiko verbunden (▶ Tab. 2.13). Eine Frühgeborenen-Retinopathie kann mit einer relativen Amblyopie einhergehen. Fehlsichtigkeit ist bei Frühgeborenen häufiger als bei Termingeborenen [231]. Auch Strabismus und Nystagmus treten bei Frühgeborenen gehäuft auf.
● H
Merke
Fehlsichtigkeit, Strabismus und Nystagmus sind bei Frühgeborenen häufig.
Hörgeschädigte Kinder haben oft auch eine Sehstörung [297], [365]. Stoffwechselstörungen, Chromosomenanomalien und syndromale Erkrankungen gehen häufig mit organischen Augenerkrankungen einher. Bei Augenerkrankungen wie Hydrophthalmie, Katarakt oder Kolobomen kann zusätzlich eine relative Amblyopie bestehen.
Eine Kopfneigung ist typisch für den dekompensierenden Strabismus sursoadductorius und tritt manchmal auch bei infantiler Esotropie auf. Auffallen sollten: ● manifestes Schielen in großem Winkel ● grobschlägiger Nystagmus ● Hornhauttrübungen ● Missbildungen der vorderen Augenkammer ● Pupillarmembran ● vorderer Polstar
Merke Bei Sehtests die Kopfhaltung beobachten.
Prüfung auf Fixationspräferenz Ein Schielen, bei dem die Fixation mit dem einen Auge nicht aufgenommen oder nach Abdecken und anschließender Freigabe des anderen Auges nicht über den Lidschlag gehalten wird, ist amblyopieverdächtig. Aber Vorsicht: Alternierendes Schielen, bei dem jedes Auge etwa gleich lange fixiert, schließt eine Deprivationsamblyopie nicht aus!
Merke Tab. 2.13 Frühgeburt als Risikofaktor. Häufigkeit von Ametropie, Strabismus und Nystagmus bei Termin- und Frühgeborenen (Datenquelle: [231]). Risikofaktor
Frühgeburt (%)
Termingeburt (%)
Myopie
6,3
1,8
Anisometropie > 1 dpt
5,9
1,6
Manifester Strabismus
9,9
2,2
Nystagmus
2,4
0,1
Geburtsgewicht ≤ 1500 g oder < 33 Wochen, untersucht nach 5 Jahren
190
H ●
H ●
Einseitiges Schielen ist ein wichtiger Indikator für Amblyopie. Alternierendes Schielen schließt eine Amblyopie nicht aus.
Wehrt ein Kind das Abdecken des einen Auges stärker ab als das Abdecken des anderen Auges, ist eine Sehstörung dieses anderen Auges zu vermuten. Zur Beobachtung über längere Zeit kann man ein Okklusionspflaster vor das eine und später vor das andere Auge kleben. Auch dies ist nur eine grobe Prüfung.
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Zur Familienanamnese gehört die Frage nach genetischen Erkrankungen, Syndromen, organischen Augenerkrankungen und Sehstörungen, die schon im frühen Lebensalter symptomatisch wurden. Es ist nach Strabismus und Fehlsichtigkeit zu fragen. Circa 60 % der schielenden Patienten haben schielende Verwandte [22], [231]. Geschwister haben ein ca. 5-fach erhöhtes Strabismusrisiko [191]. Sie müssen ebenfalls untersucht werden. Schielt ein Elternteil manifest, steigt das Strabismusrisiko des Kindes auf ca. 20 %, wenn beide Eltern schielen, sogar auf 50 %, ebenso bei Hyperopie > 3 dpt. Ist bei den Eltern eine Fehlsichtigkeit bekannt, so hat auch das Kind ein erhöhtes Risiko für eine Fehlsichtigkeit.
Merke
H ●
Seitendifferente Okklusionsabwehr weist auf eine Sehstörung hin.
Durchleuchtungstest (Transilluminationstest)
aktualisierten Kinderrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses [119] in Deutschland explizit gefordert. Der Test ist vor allem deshalb sehr wertvoll, weil er Trübungen der brechenden Medien des Auges sicher erfasst [142], [352] und auch Anisometropien aufdeckt – umso besser, je höher die Anisometropie ist [131], [132]. Entgegen der ursprünglichen Intention zu einer Zeit, in der Mikrostrabismus als Krankheitsbild noch nicht bekannt war bzw. eben erst entdeckt wurde, erlaubt der Test keine exakte Strabismusdiagnostik. Schielen in sehr kleinem Winkel ohne Anisometropie ist mit dem Durchleuchtungstest allein selbst unter günstigen Bedingungen nicht sicher zu erkennen (▶ Abb. 2.71a–e) [133], [134]. Zur Durchführung des Tests muss man durch, nicht über das Ophthalmoskop blicken. Eine Visitenlampe kann das Ophthalmoskop nicht ersetzen [142]. Im Hinblick auf Medientrübung erfolgt der Test aus ca. 20 cm Nähe mit
2
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Der Durchleuchtungstest (Transilluminationstest) mit dem direkten Augenspiegel wurde von Brückner als ein Verfahren zur exakten Strabismusdiagnostik bei ½- bis 3jährigen Kindern beschrieben [53], [54]. Im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen im Kindesalter wird der Transilluminationstest in der 2016 in Kraft getretenen,
2.4 Amblyopie
Abb. 2.71 Durchleuchtungstest nach Brückner (schematisch). a Normal leuchten die Pupillen bei Untersuchung mit einem direkten Ophthalmoskop aus der Nähe rötlich. Dabei wird auf die Iris fokussiert. Auch aus der Ferne (4 m) leuchten die Pupillen (Inlays). Sie erscheinen aus 4 m Entfernung in der Regel weniger farbig. b Bei Anisometropie erscheinen die Pupillen aus dichter Nähe (< 0,2 m) ebenfalls rot. Aus der Ferne (4 m) leuchtet die Pupille des (stärker) fehlsichtigen Auges schwächer. c Eine Trübung der optischen Medien des Auges (Katarakt, Glaskörperblutung) schwächt das Pupillenleuchten in jeder Distanz ab. d Bei beidseitiger Ametropie leuchten beide Pupillen aus der Ferne betrachtet nur schwach oder gar nicht [132], [136]. e Dagegen ist die Abschwächung des Reflexes durch Trübungen der brechenden Medien entfernungsunabhängig. (Blitzlichtfotos können andere, teils konträre Phänomene oder aufgrund des anderen Strahlengangs keine Auffälligkeit zeigen.)
191
Störungen
Merke
H ●
Beim Durchleuchtungstest blickt man durch das Ophthalmoskop. Jede Asymmetrie und Verschattung des Rotreflexes ist abklärungsbedürftig.
Seitenungleiches Leuchten kann verursacht sein durch ● Anisokorie (seitenungleiche Pupillengröße), ● Trübungen der optischen Medien, ● Anisometropie oder ● manifesten Strabismus. Dabei entspricht die dunklere Pupille im Abstand < 1 m in der Regel dem weniger ametropen oder nicht schielenden Auge oder dem Auge mit einer Medientrübung. Eine Anisometropie fällt deutlicher auf aus 4 m Entfernung. Die in 1 m vielleicht etwas hellere Pupille des stärker ametropen Auges erscheint aus 4 m (die sensitivere Methode) dunkler [132]. Der Grund ist, dass die Lichtstrahlen aus dem Auge nicht parallel zurückkommen (Emmetropie, kompensierte Hyperopie), sondern primär (Hyperopie) oder ab dem Fernpunkt des Auges (Myopie) divergieren. Dadurch gelangt mit zunehmender Entfernung weniger Licht in die Apertur des Augenspiegels. Ein falsches Brillenglas kann eine ähnliche Abdunkelung in der Ferne bewirken. Zur genaueren Diagnostik, auch im Hinblick auf Astigmatismus, ist die Strichskiaskopie besser geeignet. Besonders für Kinderärzte ist der Durchleuchtungstest jedoch eine hervorragende Methode, um amblyogene Veränderungen frühzeitig zu erkennen.
Merke
H ●
Der Durchleuchtungstest erfolgt aus 4 m Distanz und aus der Nähe.
Prüfung der Augenstellung und Motilität Im Hirschberg-Test [178] erscheint das Hornhautreflexbild bei gleichzeitiger Beleuchtung beider Augen normalerweise bis zu 0,5 mm nach nasal dezentriert, wenn man exakt über die Lichtquelle und der Patient zur Lichtquelle blickt. Am schielenden Auge ist das Reflexbild entgegen der Schielrichtung verschoben. Dabei entspricht 1 mm bei Schielwinkeln bis ca. 30° einem Winkel von ca. 12° [32], [52], [80]. Schon eine Asymmetrie von weniger als 0,5 mm ist daher abklärungsbedürftig. Beim Kleinkind sind derart kleine Asymmetrien nicht sicher zu erkennen oder auszuschließen. Dem geübten Untersucher kann der 4- oder 10-Prismen-Basis-außen-Test (siehe Kap. 3) Hinweise liefern. Die Reaktion auf das Prisma ist nicht immer eindeutig. Bei ausreichender Mitarbeit sollte der Abdecktest (siehe Kap. 3) erfolgen. Die Prüfung der Blickbewegungen ist erforderlich, um Motilitätseinschränkungen, inkomitantes Schielen, Nystagmus und Störungen der Blickmotorik aufzudecken.
Prüfung der Pupillomotorik Eine Amblyopie führt in der Regel nicht zu einer Störung der Pupillomotorik. Ein RAPD weist vorrangig auf eine organische Störung hin. Von einem RAPD ist ein Pupillenlichtreflex zu unterscheiden, der dadurch schwächer ist, dass das Kind mit dem einen Auge das Licht fixiert, mit dem anderen, eventuell amblyopen Auge jedoch nicht [133].
Merke
H ●
Ein relatives afferentes pupillomotorisches Defizit (RAPD) weist auf eine organische Störung hin. Sie befindet sich dann oft im N. opticus.
Fixationsprüfung Eine sehr weit exzentrische Fixation kann dadurch auffallen, dass der Patient beim Zuhalten des anderen Auges scheinbar am Untersuchungslicht vorbei blickt. Das Hornhautreflexbild ist entsprechend verschoben. Denselben Aspekt liefert aber auch ein großer Winkel Kappa. Deshalb ist die Fixation ophthalmoskopisch zu prüfen, auch um eine gering exzentrische Fixation zu erkennen, die äußerlich nicht auffällt, aber immer eine Amblyopie verursacht.
Merke
H ●
Eine suffiziente Fixationsprüfung erfolgt ophthalmoskopisch.
192
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schwachem Licht, um übermäßige Blendung zu vermeiden. Man prüft jedes Auge einzeln und fokussiert auf die Iris. Spreizen der Lider ist meist nicht nötig. Wenn ein Säugling aufrecht gehalten auf und ab bewegt wird, öffnen sich die Augen reflektorisch [136]. Bei Verdacht auf eine Anisometropie werden beide Augen im leicht abgedunkelten Raum zunächst aus 1 m, dann mit starkem Licht aus 4 m (oder umgekehrt) Entfernung gleichzeitig beleuchtet. Beide Pupillen leuchten gleich, aber weniger hell als beim Blick in eine andere Richtung, weil sie sich beim Blick ins Licht verengen und der Reflex aus der Fovea dunkler ist als vom peripheren Augenhintergrund. Diese zentrale Abdunkelung prägt sich erst im Alter von 2–8 Monaten mit der zentralen Pigmentierung und Differenzierung der Fovea aus.
2.4 Amblyopie
Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Refusion im 10-Prismen-Basis-außen-Test nach Wegnahme des Prismas einen Hinweis auf vorhandene Fusionsfähigkeit geben. Eine normale Refusionsbewegung schließt Amblyopie nicht aus. Sie ist im Kontext anderer Befunde informativ, wenn bessere Messungen nicht möglich sind. Stereotests mit Zufallspunktmuster-Stereogrammen (Random-Dot-Stereotests, siehe Kap. 3) können auf eine Schielamblyopie hinweisen. Gut geeignet ist der Lang-1-Stereotest. Das Kind muss Details der Objekte benennen und darauf zeigen. Nur das stellt wirklich sicher, dass sie vom Kind erkannt wurden. Mikrostrabismus erlaubt im Prinzip auch Stereosehen. Nicht ganz selten ist es im Titmus-Test nachweisbar. Die Erkennung von Random-Dot-Stereogrammen trotz Mikrostrabismus ist in einem nicht vorselektierten Krankengut sehr selten. Der Lang-1-Stereotest kann aber trotz ein- oder beidseitiger Refraktionsamblyopie ohne Strabismus bis zu einem Visus von ca. 0,32 erkannt werden.
Merke Stereosehen schließt Amblyopie nicht aus.
● H
Refraktionsbestimmung Wegen der Häufigkeit korrektionsbedürftiger Fehlsichtigkeit ist eine frühe Refraktionsbestimmung im Rahmen der Amblyopiefrüherkennung unerlässlich. Ob dazu ein Refraktometer benutzt werden kann, hängt von der Kooperation des Kindes ab. Eine Skiaskopie ist fast immer hinreichend genau möglich. Eine medikamentöse Zykloplegie ist dabei wegen der hohen kurzfristigen Naheinstellungsfähigkeit des kindlichen Auges unerlässlich.
Merke
H ●
Im Kindesalter ist die medikamentöse Zykloplegie zur Bestimmung der tatsächlichen Fehlsichtigkeit unerlässlich.
Geräte zur Photorefraktion decken Fehlsichtigkeit, Schielen und Katarakt zu einem nennenswerten Teil auf und sind von Nutzen, solange man sich und die Eltern bei einem unauffälligen Ergebnis nicht in falscher Sicherheit wiegt. Ihre Effektivität ist begrenzt [106], [284], [329], [350], [358], [367]. Unter Kinderärzten findet das Plusoptix-Gerät zunehmend Verbreitung. Wie der Durchleuchtungstest deckt es Medientrübungen sicher auf. Auch Fehlsichtigkeit wird angezeigt, jedoch nur die Komponente, die nicht durch Akkommodation kompensiert ist [85], [86], [87]. Damit gilt im Prinzip die gleiche Aussage wie für die Photorefraktion. Möchte man Amblyopie
und ihre Risikofaktoren sicher erkennen, so ist eine augenärztliche Untersuchung erforderlich, die eine Refraktometrie in Zykloplegie einschließt.
Sehschärfebestimmung
2
Eine subjektive Sehschärfebestimmung (siehe Kap. 1.3) gelingt mitunter schon im 2. Lebensjahr, bei den meisten Kindern aber erst deutlich später [35]. Objektive Verfahren wie das Preferential Looking sind wenig sensitiv für Schielamblyopie. Sie sind zum Amblyopie-Screening ungeeignet. Tafeln mit nichtstandardisierten Kinderbildern sind überholt. Für eine sichere Sehschärfebestimmung sind der C-Test [147] und Lea-Symbole geeignet [34], [127], [128], [168], [189]. Beide sind mit eng benachbarten Sehzeichen erhältlich, die auch Trennschwierigkeiten anzeigen. Auch der noch verwendete H-Test [181] ist für Kleinkinder geeignet.
Merke
H ●
Zur Amblyopiediagnostik so früh wie möglich Reihensehzeichen verwenden.
Bei der Untersuchung ist auf eine sichere Okklusion des anderen Auges und auf die exakte Einhaltung der Prüfdistanz und der Prüfkriterien zu achten. Als kontrollbedürftig kann ein Absolutwert unter 0,8 gewertet werden, wobei die altersabhängige Streuung erheblich ist [35]. Ein geringer Wert kann Ausdruck schlechter Mitarbeit sein. Die Sehschärfedifferenz zwischen beiden Augen streut weniger stark. Eine Seitendifferenz von mehr als 1 Zeile ist auffällig. Eine einmalige Auffälligkeit ist zwar nicht gleichbedeutend mit Amblyopie, sollte aber bald kontrolliert werden. Bei Anisometropie, Strabismus oder einer organischen Störung am visusschlechteren Auge deutet der geringere Visuswert auf eine Amblyopie hin. Nahezu beweisend für Amblyopie ist eine größere Seitendifferenz für Reihen- als für Einzelsehzeichen.
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Prüfung des Binokularsehens
2.4.7 Prophylaxe und Therapie der Amblyopie Amblyopiefrüherkennung und Vorsorge In Deutschland ist eine augenärztliche Amblyopiefrüherkennungsuntersuchung nicht gesetzlich verankert. Früherkennungsuntersuchungen im Kindesalter werden von Pädiatern und Ärzten für Allgemeinmedizin durchgeführt. Die Untersuchungstermine und Methoden sind in der Kinder-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses festgelegt [119]. Systematische Untersuchungen liegen aus den Niederlanden vor, wo die Früherkennung von Sehstörungen Ärzten für Allgemeinmedizin obliegt. Unter diesen Bedingungen fielen Störungen in der Regel erst auf, wenn Sehtests möglich waren [78]. Objektive
193
Störungen
Merke
● H
Die Leitlinie 26a Amblyopie fordert eine erste augenärztliche Untersuchung ● in den ersten Lebenstagen bei Kindern mit familiärem Risiko für Retinoblastom, Medientrübungen oder Glaukom, Lidanomalien und Verdacht auf Medientrübungen. ● in der ersten Lebenswoche bei Lidanomalien mit (ggf. partieller) Bedeckung der Pupille, Verdacht auf oder familiärer Disposition zu Medientrübungen. ● sofort bei sichtbaren Auffälligkeiten und Auffälligkeiten bei der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung (sinnvoll bei allen Kindern im Alter von 6–8 Wochen). ● mit 6–12 Monaten bei Vorliegen von Amblyopie-Risikofaktoren. ● bei allen Kindern spätestens mit 30–42 Monaten.
Kontrollintervalle sind individuell festzulegen. Amblyopie ist damit allerdings nicht sicher zu vermeiden, hierfür wäre auch eine frühzeitige Refraktometrie in Zykloplegie erforderlich. Ziel der Früherkennung und Behandlung der Amblyopie ist es, ein individuell bestmögliches ein- und beidäugiges Sehen zu erreichen. Wenn amblyogene Faktoren entdeckt sind, muss die Entwicklung einer Amblyopie vermieden werden. Wurde die Amblyopie entdeckt, ist Vollheilung das Ziel. Je früher die Behandlung beginnt, umso geringer ist der Aufwand. Selbst bei Behandlungsbeginn im 5. Lebensjahr sind noch beträchtliche Verbesserungen zu erreichen (▶ Abb. 2.72). Ohne Therapie ist eine spontane Besserung nicht zu erwarten, es droht sogar ein zunehmender Funktionsausfall [330], [369].
194
Merke
H ●
Der Therapieaufwand steigt mit dem Lebensalter und der Dauer der Amblyopie.
Der Erfolg der Behandlung ist bei richtiger Handhabung und Nachsorge überzeugend. Bei späterer Amblyopiebehandlung ist abzuwägen, wie intensiv und bis zu welchem Ergebnis eine Therapie sinnvoll ist. Wenn wegen des Alters und der mit der Behandlung verbundenen Schwierigkeiten lediglich eine Besserung angestrebt werden kann, versuchen wir neben foveolarer Fixation eine Reihen-Sehschärfe von wenigstens 0,3 zu erreichen, was eine immerhin brauchbare Lesefähigkeit schafft.
Merke ●
●
●
● ●
H ●
Ziel der Amblyopiefrüherkennung und -behandlung ist die bestmögliche Funktion. Liegen amblyogene Faktoren vor, muss die Amblyopie vermieden werden. Liegt bereits eine Amblyopie vor, ist diese zu behandeln. Zu späte Behandlung muss vermieden werden. Der Behandlungserfolg ist überzeugend.
Therapie organischer Deprivationsursachen Organische Deprivationsursachen sind umgehend zu behandeln. An erster Stelle stehen die Kataraktoperation, lidchirurgische Maßnahmen und die Versorgung von Augenverletzungen. Bei frühzeitiger Operation sind die Therapieerfolge bei kongenitaler Katarakt beachtlich [39], [44], [108], [213], [318].
Merke
H ●
Die Therapie muss bei angeborener einseitiger Stimulusdeprivation unverzüglich, ggf. in den ersten 2 Lebenswochen beginnen.
Ein Zeitgewinn bei einseitiger Katarakt ist durch beidseitige Okklusion bis zur Operation möglich. Erfolgt die Behandlung zu spät, bestehen nur geringe Chancen auf eine normale Entwicklung des Sehvermögens.
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Tests im präverbalen Alter waren ineffizient [138], [338]. In gesundheitsökonomischen Studien wurden die Kosten flächendeckender Screening-Programme kalkuliert [202]. Das Ziel solcher Modelle ist eine ökonomisch kosteneffiziente Entdeckung von Risikofaktoren oder Amblyopie. Die Beurteilung der Effizienz ist schwierig [214]. Eine andere Frage ist, welche Untersuchungen in einer Augenarztpraxis im Hinblick auf eine möglichst sichere Amblyopiediagnostik sinnvoll sind. Auch diese Frage ist nicht von Aufwand-Nutzen-Erwägungen loszulösen. Ziel eines von Boergen angeregten Modells war die Verbesserung der Früherkennung von Sehstörungen durch die Kooperation von Kinder- und Augenärzten [47]. Darauf baut die Leitlinie 26a des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft auf [41].
2.4 Amblyopie
n = 179
50
0 1–2
3–4
5–6
7–8
9–10
11–12 Lj.
Abb. 2.72 Amblyopie – Therapieerfolg in Abhängigkeit vom Alter bei Behandlungsbeginn (Schiel- und Ametropieamblyopien). Grün = ≥ 2 Stufen Visusanstieg. Rot = Sehschärfe mit Einzelsehzeichen ≥ 0,8. Blau = keine Besserung trotz intensiver Therapie (Datenquelle: [149]).
Merke
H ●
Eine vollständige beidseitige Stimulusdeprivation erfordert eine Behandlung innerhalb der ersten 2 Lebensmonate.
Wenn eine beidseitige Reizdeprivation zu spät behoben wird, entsteht ein irreversibler Nystagmus, der die erreichbaren Sehfunktionen zusätzlich limitiert. Auch Störungen, die sich in den ersten 2 Lebensjahren entwickeln, erfordern eine unverzügliche Behandlung. Das kapilläre Hämangiom kann sehr schnell wachsen. Deshalb muss auch ein kleines Hämangiom engmaschig, im Abstand weniger Tage, überwacht werden. Im Frühstadium ist die operative Entfernung möglich. Die medikamentöse Behandlung mit Propranolol ist sehr erfolgreich [222]. Sie erfordert eine intensive pädiatrische Kontrolle. Die Zeit bis zum Ansprechen der Therapie lässt sich bei Bedarf durch Teilzeitokklusion des anderen Auges überbrücken. In schweren Fällen kann die Lidspalte temporär durch einen Kunststofftrichter offen gehalten werden [90]. Bei einer ausgeprägten Ptosis sind eine Teilzeitokklusion und die baldige Operation indiziert, wenn das Kind die kompensatorische Kopfhebung aufgibt.
Merke
H ●
Eine Ptosisoperation duldet Aufschub, solange beide Pupillen frei sind – entweder schon im Geradeausblick oder weil das Kind eine Kopfhebung einnimmt.
In der Hälfte der Fälle sind beide Augen betroffen. Zur Beurteilung der Trübung dient eine direkt ophthalmoskopisch eingeblendete Strichskala. Eine gut erkennbare Abbildung auf der Foveola spricht für die konservative Behandlung, ein nicht klar erkennbares Netzhautbild für eine Operation. Eine einseitige Katarakt erfordert auch bei ausreichender Abbildungsqualität eine Okklusionsbehandlung. Eine dichte Katarakt muss im Hinblick auf Amblyopie so früh wie möglich entfernt werden. Neben der Amblyopie entwickelt sich sonst ab dem 3. Lebensmonat ein irreversibler Nystagmus. Bis zur Operation kann eine Okklusion des gesunden Auges sinnvoll sein. Bei Beidseitigkeit sollte in kurzem Abstand operiert und in der Zwischenzeit eventuell das schon operierte Auge okkludiert werden. Dem sehr frühen Operationszeitpunkt steht u. a. das Glaukomrisiko gegenüber, besonders in den ersten Lebenswochen [213]. Bei weniger dichten Trübungen ist abzuwägen, ob der mögliche Gewinn durch eine Operation den Verlust der Akkommodation und das Risiko von Komplikationen rechtfertigt. Die Operation schafft nur die optische Voraussetzung für ein weitgehend normales Sehen. Dessen Entwicklung hängt wesentlich ab von: ● Alter des Kindes ● Dauer der Deprivation ● Qualität der folgenden, jahrelangen Amblyopietherapie
2
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% 100
Nach der Operation sind engmaschige Kontrollen der Refraktion und – nach einseitiger Katarakt immer, nach beidseitiger Katarakt häufig – eine Okklusionsbehandlung erforderlich [304]. Die Refraktion ändert sich in den ersten 2 Lebensjahren rasch, das Ansprechen auf Okklusion ist sehr verschieden [320], [321]. Komplikationen wie Nachstarbildung, Sekundärglaukom oder sekundäre Esotropie müssen früh erkannt werden. Zur Korrektion einseitiger Aphakie genügt die Brille allein nicht. Die resultierende Aniseikonie lässt eine sensorische Fusion nicht zu. Die Korrektion erfolgt deshalb durch eine Intraokularlinse (IOL) oder mit Kontaktlinsen. Für Zeiten, in denen die Kontaktlinse nicht benutzt werden kann, muss eine Brille mit Nahteil vorhanden sein. Bei IOL-Implantation im Kleinkindalter liegt die Zielrefraktion wegen des noch wachsenden Auges und der damit verbundenen Myopisierung im hypermetropen Bereich. Die Kontaktlinsenkorrektion der Restrefraktion erfolgt auf den Nahbereich. Das erzeugt schon ohne Brille eine relativ scharfe Abbildung und in einseitigen Fällen in Kombination mit der Brille eine geringere Aniseikonie. Um die Aniseikonie zu verringern, erhält auch das gesunde Auge eine Nahaddition. Im Alter ab ½ Jahr erfolgt die Zusatzkorrektion mit einer Bifokalbrille, deren Fernteil immer noch im Nahbereich fokussiert, später mit einer Gleitsichtbrille.
Von ca. 200 Kindern weist eines eine Linsentrübung (Katarakt) auf. Operationsbedürftige Trübungen im 1. Lebensjahr werden mit ca. 1:3000 angegeben [104], [213].
195
Merke ●
●
H ●
Kontaktlinsenkorrektion bei Aphakie für den Nahbereich. Nahkorrektion bei Säuglingen und Kleinkindern entsprechend der Armlänge.
Die optimale Korrektion muss postoperativ innerhalb weniger Tage vorhanden sein, die durch eine provisorische Säuglingsbrille überbrückt werden können. Es empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einer Spezialabteilung.
Verletzungen Die Behandlung der traumatischen Katarakt erfolgt nach denselben Prinzipien. Nach der Versorgung von Hornhautverletzungen ist der Astigmatismus sofort zu korrigieren. Kinder im Vorschulalter tolerieren hohe (> 5 dpt) torische Korrektionswerte. Um die Änderung der Hornhautkrümmung zu verfolgen, sind anfangs wöchentliche Kontrollen erforderlich. Bei hohem Astigmatismus ist – auch noch im Schulalter – eine altersentsprechende Okklusion des unverletzten Auges nötig. Das Amblyopierisiko nimmt in der 2. Lebensdekade ab, besteht aber weiter [346], [347], [354]. Die Betreuung muss daher bis zum Ende der 2. Dekade erfolgen. Irregularitäten der Hornhautoberfläche werden mit Kontaktlinsen ausgeglichen.
Refraktionskorrektion Eine valide Refraktionsbestimmung ist im Kindesalter nur in Zykloplegie möglich, da Kinder bei der Messung in der Regel akkommodieren. Eine Hyperopie ab 3 dpt ist im Kindesalter auch bei normalem Visus und Binokularsehen zu korrigieren. Die gemessene Refraktion wird üblicherweise mit einem sphärischen Abzug von 0,5 dpt korrigiert. Dies kann die Akzeptanz der Brille verbessern, obwohl die Zykloplegie bei der ersten Messung ohnehin meist nicht vollständig ist. Wiederholte Messungen sind nötig. Bei Erstkorrektion einer Hyperopie erfolgt die Kontrolle nach 3–6 Monaten. Die Eltern müssen von Anfang an wissen, dass dabei oft ein höherer Wert zum Vorschein kommt.
Merke
here Myopie. Eine Anisometropie wird mit Brillengläsern voll ausgeglichen. Kinder tolerieren dies auch bei hohem Seitenunterschied problemlos. Eine intermittierende Kontaktlinsenkorrektion wird im Hinblick auf refraktive Chirurgie oder Kontaktlinsen im späteren Alter für sinnvoll erachtet. Eine unvollständige optische Korrektion bei hoher Refraktion verringert die Heilungsaussichten.
Merke
H ●
Kinder tolerieren die Brillenkorrektion einer (Achsen-) Anisometropie.
Solange sich der Visus für Reihensehzeichen bei engmaschigen Kontrollen verbessert, genügt die Brillenkorrektion [102], [179], [300]. Bleibt eine Visusseitendifferenz bestehen, ist zusätzlich eine Okklusion oder Penalisation indiziert.
Merke
H ●
Bei reiner Anisometropie-Amblyopie genügt oft die Brillenkorrektion.
Im 1. Lebensjahr wird wegen der normalerweise stattfindenden Emmetropisierung vom obigen Vorgehen abgewichen. Wenn das Kind nicht schielt, kann man bei annähernd seitengleicher Refraktion abwarten und beobachten. Der Kontrolltermin muss sichergestellt sein! Hyperopie > 4 dpt wird jedoch ausgeglichen. Im Fall eines Schielens erfolgt die Korrektion wie oben beschrieben. Auch wenn Familienangehörige schielen, wird man die Hyperopie korrigieren. Bei Verwendung kleiner Rohlinge werden die Gläser dünn und leicht. Für Kinderbrillen werden Kunststoffscheiben verwendet, bei Astigmatismus möglichst keine kreisrunden Gläser, die im Gestell unbemerkt drehen können (▶ Abb. 2.73, ▶ Tab. 2.14). Die Bügel sollen biegsam sein, Gespinstbügel und ein Nasensteg aus Weichkunststoff gewähren einen stabilen Sitz (auf dem Rezept vermerken).
H ●
Hyperopie ohne Strabismus wird ab einem Wert von 3 dpt korrigiert.
Ein Astigmatismus von mehr als 1,0 dpt nach dem 1. Lebensjahr wird ohne Abzug korrigiert, Myopie abhängig vom Lebensalter. Eine Myopie < 3 dpt ist nicht gefährdend, man sollte sie aber dem Bereich der visuellen Aufmerksamkeit entsprechend ausgleichen, ebenso eine hö-
196
Abb. 2.73 Säuglingsbrille. Seitlich nicht überstehend, breite Auflage durch Silikonnasensteg, stabiler Sitz durch Gespinstbügel.
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Störungen
2.4 Amblyopie Tab. 2.14 Empfehlungen zur Refraktionskorrektion im Kindesalter entsprechend Leitlinie 26a Amblyopie des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands, BVA [41] im Vergeich zu Empfehlungen der American Academy of Ophthalmology, AAO (gekürzt). Refraktionsfehler
Preferred Practice Patterns (AAO)
Leitlinie 26a (BVA)
< 1 Jahr
1–2 Jahre
2–3 Jahre
< 1 Jahr
Myopie
ab –5,0 dpt
ab –4,0 dpt
ab –3,0 dpt
altersentsprechend
ab 1 Jahr
Hyperopie
ab + 6,0 dpt
ab –5,0 dpt
ab + 4,5 dpt
ab + 4,0 dpt
Hyperopie + ET
ab + 2,5 dpt
ab + 2,0 dpt
ab + 1,5 dpt
Vollausgleich
Anisometropie
ab + 2,5 dpt
ab + 2,0 dpt
ab + 1,5 dpt
–
ab 1,0 dpt
Astigmatismus
ab + 3,0 dpt
ab + 2,5 dpt
ab + 2,0 dpt
ab 3,0 dpt
ab 1,0 dpt
2
ab + 3,0 dpt
ET: Esotropie (nach [11])
Okklusionsbehandlung Die Okklusionsbehandlung wird zur Therapie einer Suppressionsamblyopie und zur Therapie der exzentrischen Fixation eingesetzt. Unter Okklusion ist im engeren Sinn das vollständige Abdecken eines Auges zu verstehen. Als direkte Okklusion wird das Abdecken des besseren Au-
●V
Geschichtliches zur Okklusionsbehandlung Mitunter wird dem französischen Naturforscher und Botaniker Comte de Buffon (1707–1788) die Einführung der Okklusionsbehandlung zur Amblyopietherapie zugeschrieben [75]. In einem Manuskript aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. hatte allerdings schon Thabit Ibn Qurrah, ein Wissenschaftler in Mesopotamien, das Prinzip und die Durchführung der Vollokklusion zur Therapie der Schielamblyopie genau beschrieben [278], [307]. Sattler [313] hatte Anfang des 20. Jahrhunderts durch Okklusion des besseren Auges mit Mastisol-Verbänden erstaunliche Erfolge verzeichnet, welche wohl zum Teil der hohen Festigkeit dieses Klebstoffs zuzuschreiben sind. Jedoch hatte er auch Fehlschläge hinnehmen müssen, die zur Ablehnung dieser Methode führten. Eine Renaissance der gesamten Amblyopiebehandlung leiteten Bangerter und Cüppers mit gezielten Sehübungen ein, die heute in den westlichen Ländern kaum mehr zur Anwendung kommen. In diesem Zusammenhang wurde die Okklusionstherapie wiederbelebt. Sie setzte sich in der Neuzeit durch, also erst in den 1960er Jahren.
H ●
Eine gute Aufklärung der Eltern ist für den Therapieerfolg wesentlich.
Während der ersten Jahre ihres breiteren Einsatzes herrschte noch Unsicherheit, ob man das bessere Auge auch in schweren Fällen mit exzentrischer Fixation sofort verschließen dürfte. Man befürchtete eine Verfestigung der exzentrischen Fixation [14], [31]. Deshalb wurde vor der Okklusion des besseren Auges eine Okklusion des amblyopen Auges vorgeschlagen, mit der Intention, damit die exzentrische Fixation zu lockern und foveolare Fixation zu erreichen. Meist ist diese inverse Okklusion nicht nötig. Der aus heutiger Sicht logische Ansatz, die ältere direkte Okklusion wieder aufzugreifen, aber die Behandlung in die frühe Kindheit zu verlegen, führte schließlich zum Durchbruch mit ausgezeichneten Erfolgen [23], [24], [25], [55], [283], [324]. Dadurch hat die einfache und ökonomische Okklusionstherapie (passive Pleoptik) die früher verbreiteten, personalintensiven Übungsbehandlungen (aktive Pleoptik) weitgehend verdrängt. Eine wesentliche Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist die Mitarbeit der Eltern. Deren Aufklärung über die Bedeutung und Durchführung der Okklusion ist daher essenziell.
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Zusatzinfo
Merke
ges bezeichnet. Sie unterbricht die Suppression der amblyopen Seite und zwingt zur Konzentration auf das amblyope Auge. Als inverse Okklusion wird das Abdecken des amblyopen Auges bezeichnet. Sie soll primär der Permanenz der pathologischen Sehweise entgegenwirken, insbesondere der exzentrischen Fixation.
Indikationen zur Okklusionsbehandlung Eine Okklusionstherapie ist in Fällen mit einseitiger oder asymmetrischer Amblyopie indiziert. Sie kommt zum Einsatz, wenn die Behandlung einer organischen Amblyopieursache und die Korrektion der Refraktion für eine seitengleiche Visusentwicklung nicht ausreichen.
197
Störungen
Formen der Okklusionsbehandlung Die faziale Okklusion mit speziellen Pflastern ist die sicherste Okklusionsmethode (▶ Abb. 2.74). Dank besonders hautfreundlicher Okklusionspflaster bereiten Allergien heute nur noch selten Probleme.
Merke
H ●
Abb. 2.74 Pflasterokklusion. Die Brille muss auch während der Okklusionsphasen getragen werden.
Die bestgeeignete Okklusionsmethode ist die faziale Vollokklusion.
Dosierung der Okklusionsbehandlung Die Okklusion des visusbesseren Auges wird als direkte Okklusion bezeichnet, die Okklusion des amblyopen Auges als inverse Okklusion. Als Vollokklusion oder Vollzeitokklusion wird die kontinuierliche Okklusion für den ganzen Tag oder mehrere Tage hintereinander benannt [278]. Bei der Teilzeitokklusion erfolgt täglich während der Wachzeit eine Okklusionspause. Sie kann kürzer oder länger sein als die Okklusionsdauer. Eine Teilzeitokklusion ist nicht unbedingt sanfter als eine Vollokklusion. Wesentlich ist das Verhältnis der Okklusions- zur Pausendauer, bezogen auf die Wachzeit. Bei der streng alternierenden Okklusion werden Pausen vermieden. Sie ist selten indiziert und erfolgt dann meist als Vollzeitokklusion. Zu kurze Okklusionszeiten sind wirkungslos, zu lange Okklusionszeiten schädlich. Ein permanenter Verschluss des besseren Auges kann eine Okklusionsamblyopie dieses Auges erzeugen, im 1. Lebensjahr schon nach Tagen, im Schulalter nach Wochen bis Monaten. Eine Okklusionsamblyopie ist bei korrektem Vorgehen reversibel, bleibende Schäden sind bei engmaschigen Kontrollen nicht
198
Abb. 2.75 Brillenokkluder.
Abb. 2.76 Okklusionsfolienleiste zur Ermittlung der erforderlichen Folienstärke bei Nachbehandlung eines Mikrostrabismus mit geringer Amblyopie des rechten Auges. Hinter der Folie (Stufe 0,8) steht das linke Auge esotrop. Das rechte Auge übernimmt die Fixation.
zu befürchten. Die Eltern müssen über diese Möglichkeit von vornherein informiert werden. Für eine adäquate Dosierung sind zu berücksichtigen: ● Ausprägung der Amblyopie ● Fixationsort ● vermutliche Kooperation der Eltern ● Alter des Kindes
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Brillenokkluder werden von Kindern leicht überlistet, sie sind daher nur bei schweren Unverträglichkeitsreaktionen gegen alle Pflaster eine Alternative (▶ Abb. 2.75). Meist können aber auch dann, nach Auftragen eines Schutzfilms (Cavilon) auf die Haut, Pflaster verwendet werden. Sichtokklusive in Form von Folien unterschiedlicher Dichte, die auf dem Brillenglas haften, sind nur bei geringer Amblyopie und zur Erhaltungstherapie zu empfehlen. Die Transparenz der Folie vor dem nicht amblyopen Auge ist so zu wählen, dass das amblyope Auge sicher die Führung übernimmt (▶ Abb. 2.76). Als Vorteil dieser kalibrierten Partialokklusion gilt, dass auch das Führungsauge ein Bild erhält, womit eine binokulare Zusammenarbeit möglich und die beim manifesten Strabismus erforderliche Suppression gefordert ist. Eine Kontaktlinse mit starker Pluswirkung kann bei ausgeprägtem Nystagmus vom Latenstyp eine Alternative sein oder auch, wenn Pflaster aus welchem Grund auch immer nicht toleriert werden und Okkluder oder Sichtokklusive nicht in Frage kommen.
2.4 Amblyopie
5 38
106
% der Fälle
49 37
35
36 (H)
47 21 50
20
25
100 kumulierte Häufigkeiten in %
100
Die Zahlen neben den Symbolen zeigen die Gesamtzahl der Fälle dieser Altersstufe = 100 %
90 80 70
2
60 50 40 30 20 10 0 0
10
(D) 26 7
1
5 Lebensalter in Jahren
10
Abb. 2.77 Wandel von exzentrischer zu foveolarer Fixation in Abhängigkeit vom Lebensalter bei Behandlungsbeginn. Ordinate: Anteil der Patienten, die nach der Okklusionsbehandlung foveolar fixierten. Abszisse: Lebensalter bei Therapiebeginn (Datenquelle: [74] und [177]).
Merke
H ●
Okklusionsamblyopie ist bei korrekter Behandlung nicht zu befürchten.
2
3
4 5 6 7 8 Dauer in Monaten
10 11 12
Abb. 2.78 Dauer der Okklusionstherapie bis zum Erreichen foveolarer Fixation. 75 % der Patienten hatten bereits nach 3 Monaten foveolare Fixation erreicht, weitere 24 % erst nach 9 Monaten. Nur die erfolgreichen Verläufe (n = 71) wurden für diese kumulative Häufigkeitsdarstellung benutzt (Datenquelle: [177]).
80
22 7-Jährige
8 3-Jährige
70 60 50 40
12 11-Jährige
30
Im 1. Lebensjahr kann schon eine Teilzeitokklusion von täglich 1–2 Stunden die strenge Führung eines Auges in eine wechselweise Fixation überführen. Bei exzentrischer Fixation im 1. Lebensjahr führt eine halbtägige Okklusion des rechten Auges, gefolgt von einer ebensolchen des linken Auges im Wechsel meist in kurzer Zeit zu alternierender foveolarer Fixation beider Augen. Wird dies innerhalb von 4 Wochen nicht erreicht, wäre ein Rhythmus zugunsten des amblyopen Auges angezeigt, z. B. 1 Tag Okklusion im Wechsel mit 1 Tag Pause. Auch bei einseitiger Aphakie ist eine längere Okklusion des gesunden Auges erforderlich. Asymmetrische, hochdosierte Okklusionsrhythmen verlangen im Säuglingsalter mindestens wöchentliche Kontrollen, um eine zur anderen Seite gesprungene Amblyopie rechtzeitig zu entdecken und den Rhythmus zu ändern. Prinzipiell bedarf die Okklusion eines Auges für mehr als die Hälfte der Wachzeit im 1. Lebensjahr einer besonderen Begründung (▶ Abb. 2.77, ▶ Abb. 2.78, ▶ Abb. 2.79).
9
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Dayson 1968 Haase u. Hillesheim 1967
1
20 10 1 1 2 3
4–6
7–12
12–24
Monate Abb. 2.79 Ergebnisse der Okklusion nach Sattler Sehschärfeanstieg des amblyopen Auges durch Mastisolverband des führenden Auges. Abszisse: Dauer der Okklusionsbehandlung. Ordinate: Sehschärfebesserung auf das 10-Fache, 20-Fache usw. des Anfangswerts. Verläufe bei 8 Kindern im Alter von 3 Jahren, bei 22 Kindern im Alter von 7 Jahren und bei 12 Kindern im Alter von 11 Jahren. Sattler stellte in dieser Grafik die erstaunliche Entwicklung von 42 Augen dar, vermutlich aus der Teilmenge von 69 Augen mit einem initial angegebenen Visus von weniger als 1/60, d. h. 1/120 oder weniger, die die Hälfte der 138 amblyopen Augen (Visus < 0,2) in seiner Auswertung umfasste (Datenquelle: [313]).
199
Störungen
Merke ●
●
●
H ●
Im 1. Lebensjahr kann eine tägliche Teilzeitokklusion von 1–2 Stunden wirksam sein. Hochdosierte Okklusionsrhythmen beim Säugling verlangen wöchentliche Kontrolle. Die Okklusionsdosis hängt ab vom Grad der Amblyopie und dem Alter.
rhythmus ist die beste Rückmeldung. Ein gemessener Visusunterschied von nur 1 Stufe in die eine oder andere Richtung kann rein zufallsbedingt sein. Erst ein gemessener Anstieg von mehr als 1 Stufe lässt auf eine tatsächliche Verbesserung schließen (siehe Kap. 1.3).
Merke
H ●
Nach dem 1. Lebensjahr hat es sich bewährt, das bessere Auge so viele Tage nacheinander zu okkludieren, wie das Kind in Jahren alt ist, gefolgt von 1 Tag Pause. Im Alter von 2 Jahren bedeutet dies 2 Tage (48 Stunden) ununterbrochene direkte Okklusion, auch nachts, gefolgt von 1 Tag Pause. Der Pausentag dient der Vermeidung einer Okklusionsamblyopie und dem Erhalt der Suppressionsfähigkeit, um durch die Behandlung keine Diplopie zu induzieren.
Merke
H ●
Nach dem 1. Lebensjahr wird das bessere Auge so viele Tage nacheinander okkludiert wie das Kind in Jahren alt ist. Es folgt 1 Tag Pause, an dem beide Augen offen bleiben und nicht invers okkludiert wird, um die Suppressionsfähigkeit nicht zu gefährden.
Die Okklusionstage notieren wir in der Folge RA:LA:Pause. Bei tiefer Amblyopie links ergibt sich im 5. Lebensjahr (zwischen dem 4. und 5. Geburtstag) ein Rhythmus von 4:0:1. Man kann stattdessen täglich einen entsprechenden Teil der Zeit okkludieren, in diesem Fall 4/5 der Wachzeit. Der freie Tag entfällt dann. Diese altersbezogene Dosierung führt in den meisten Fällen rasch zum Ziel. Weniger, z. B. täglich so viele Stunden, wie das Alter des Kindes in Jahren beträgt, kann bei geringer Amblyopie eventuell ausreichen. Das ist angeblich leichter umsetzbar, hat aber keinen weiteren Vorteil. Das Behandlungsziel wird dadurch später erreicht. Wenn eine schwache Dosis nicht zusehends einen Visusanstieg bewirkt und zu seitengleichem Visus (Reihensehzeichen) führt, ist die genannte altersentsprechende Dosierung indiziert. Nur so lässt sich auch feststellen, ob noch eine Verbesserung möglich ist. Man darf nicht glauben, dass eine Therapie immer so durchgeführt wird, wie sie durchgeführt werden sollte. Verordnungen werden nicht konsequent befolgt. Eltern vergessen die Okklusion, scheuen Auseinandersetzungen mit dem Kind oder nehmen die Behandlung nicht wichtig. Die kontinuierliche Motivation bei den Kontrollterminen ist entscheidend für den Therapieerfolg, der auch abhängt von der Überzeugung des Therapeuten von der Wirksamkeit der Behandlung [325]. Ein veritabler Visusanstieg mit der Aussicht auf Lockerung des Okklusions-
200
Ein deutlicher Visusanstieg am amblyopen Auge zeigt, dass die Okklusion durchgeführt und die Brille getragen wurde. Im Sommer ist die Bräunung der Gesichtshaut im Bereich des Pflasters ein Indikator. Angaben der Eltern sind oft nicht zuverlässig. Okklusionspflaster mit eingebautem Thermosensor und einem Speicherchip (Occlusion Dose Monitoring, ODM) erlauben die Messung der tatsächlichen Okklusionszeiten [241], [242], [332]. So ließ sich feststellen, dass die verordneten Zeiten selbst unter Studienbedingungen in fast allen Fällen unterschritten wurden, in mehr als der Hälfte der Fälle sogar in großem Maße. Das ist bei der Beurteilung von Therapieeffekten zu berücksichtigen. Verordnete 6 Stunden Okklusion pro Tag führten nach 18 Wochen zwar zu einem ähnlichen Visusanstieg von 2–3 Zeilen wie verordnete 12 Stunden [348]. Die Auswertung ODM-registrierter Okklusionszeiten zeigte jedoch, dass im Mittel statt 6 nur 4,2 Stunden und statt 12 nur 6,2 Stunden okkludiert wurde. Unter diesem Aspekt sind Studien ohne ODM-Kontrolle zu betrachten, die zwischen einer 2- und 6-stündig bzw. einer 6- und 12-stündig angeordneten Okklusion keinen statistisch signifikanten Unterschied im Effekt fanden [289], [290], [291]. Sie erlauben nicht den Schluss, dass eine sanfte Teilzeitokklusion ebenso wirksam wäre wie eine strenge Okklusion [209], [278], [279].
Merke
H ●
Angeordnete und tatsächliche Okklusionsdauer sind nicht gleich.
Schon Sattler teilte mit, dass die Okklusion umso besser wirkt, je früher sie einsetzt [313]. Er erzielte selbst bei älteren Kindern teilweise noch Erfolge, wohl auch dank der Haftfestigkeit des Mastisols. Die Altersabhängigkeit des Therapieeffekts ist durch jahrzehntelange Erfahrung in Klinik und Praxis belegt, mittlerweile auch gesichert durch ODM-Studien, den Forderungen einer evidenzbasierten Medizin entsprechend. In der MOTA-Studie (MOTAS: Monitored Occlusion Treatment for Amblyopia Study) wurde für einen Visusanstieg von 2 Stufen ein durchschnittlicher kumulativer Therapieaufwand von 170 Stunden im Alter von 48 Monaten ermittelt, was bei
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Das Hauptproblem der Okklusionstherapie ist mangelnde Compliance.
2.4 Amblyopie
Okklusionsbehandlung in Sonderfällen Bei exzentrischer Fixation wird traditionell empfohlen, streng alternierend zu okkludieren. Der Verzicht auf die Pause helfe die Fixation zu zentralisieren, was jedoch nicht bewiesen ist. Dem steht das Risiko des Suppressionsverlusts mit persistierender Diplopie gegenüber. Die durch ODM belegte allgemeine Erfahrung ist, dass nicht konsequent okkludiert wird. Das erklärt den fehlenden Therapieerfolg in Einzelfällen und vielleicht auch die Seltenheit eines Suppressionsverlusts bei streng alternierend angeordneter Okklusion. In den ersten 3 Lebensjahren ist Diplopie kaum zu befürchten. In diesem Alter entwickelt sich auch bei erworbenem Schielen noch Suppression. Kinder, deren Fixation sich unter direkter Okklusion nicht zentralisierte, zeigten nach mehreren Wochen ununterbrochener inverser Okklusion und anschließend direkter altersentsprechender Vollokklusion phänomenale Therapieerfolge [121]. Es ist nicht sicher, ob die der inversen Phase vorangegangene Therapie tatsächlich konsequent durchgeführt worden war.
Merke
H ●
Vollokklusion des Führungsauges ist die Therapie der Wahl bei exzentrischer Fixation.
Ein Nystagmus vom Latenstyp wird bei monokularer Okklusion vorübergehend stärker [279]. Meist nimmt er nach Stunden oder wenigen Tagen Okklusion ab [331]. Die Okklusion wird dann besser tageweise als stundenweise durchgeführt. Wenn der Nystagmus auch nach mehreren Tagen nicht ruhiger wird, kommt alternativ eine Atropinisierung in Frage, eventuell mit zusätzlicher Folienokklusion des besseren Auges. Bei Mikrostrabismus kann die Okklusionsbehandlung ein manifestes Schielen in größerem Winkel auslösen, was dann einer operativen Behandlung bedarf. Über diese Möglichkeit muss vor Behandlungsbeginn aufgeklärt werden. Das Schielen kann operativ leicht korrigiert werden, die Amblyopie wäre ein bleibendes Problem.
Okklusionsintoleranz: Manche Kinder akzeptieren das Pflaster nicht, sie entfernen es sofort. Bei schwerer Amblyopie ist auch die Orientierung im Raum gestört. Diese Kinder benötigen zu Beginn der Vollokklusion eine intensive Betreuung. Bis ins 2. Lebensjahr ist die Orientierungsstörung meist in Stunden bis Tagen überwunden. Bewegt sich ein Kind in diesem Alter nach 2–3 Wochen Behandlung immer noch unsicher, liegt der Verdacht auf eine irreversible Amblyopie oder einen organischen Defekt nahe. Unter Umständen hilft eine 2- bis 3-tägige stationäre Aufnahme, um Mutter und Kind an eine strikte Okklusion zu gewöhnen. Pflasterunverträglichkeit bis zu schwerer Hautmazeration kann vorkommen. Echte Allergien sind selten. Meist genügt eine Salbenbehandlung (Bepanthen-Salbe) zur Abheilung und danach ein Wechsel des Pflasterpräparats. Auch die Vorbehandlung der Haut mit einem Antiallergikum (z. B. Soventol-Gel) oder einem Schutzfilm (Cavilon), der die Haut vor dem Klebstoff des Pflasters abschirmt, kann helfen. Anderenfalls muss man auf eine Augenklappe, einen Textil- oder einen Gummiokkluder ausweichen. Im Schulalter ist eine ganztägige Okklusion oft nicht möglich. Die Okklusion soll dann an Schultagen nachmittags und an Wochenenden sowie in den Ferien ganztags erfolgen.
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täglich 8 Stunden wirklich durchgeführter Okklusion ca. 3 Wochen entspräche. Im Alter von 72 Monaten waren für den gleichen Visusanstieg fast 240 Stunden erforderlich [349]. Das kann zur groben Orientierung bei der Aufklärung der Eltern zu Beginn der Okklusionstherapie dienen, gilt aber nicht unbedingt 1:1 für vorbehandelte Kinder und Sonderfälle. lm Alter von 7–16 Jahren erforderte 1 Stufe Visusanstieg einen Aufwand von 234 Stunden [114], [115]. Auch in diesem Alter ist also mit viel Aufwand noch ein Gewinn zu erzielen, allerdings nur noch bei einem geringeren Teil der Kinder. Die Okklusion lässt sich im Schulalter schwieriger in den Tagesablauf integrieren – ein Grund mehr, die Behandlung früh durch eine adäquate Dosierung rasch voranzutreiben.
Prognose der Okklusionsbehandlung Die Aussicht einer Heilung der Amblyopie ist bis zum 5. Lebensjahr ausgezeichnet, sie beträgt über 90 % [25], [199], [238]. ▶ Abb. 2.78 zeigt, wie häufig foveolare Fixation erreicht wird. Die Dauer der Okklusion bis zum Erreichen der foveolaren Fixation betrug durchschnittlich 4, höchstens 12 Monate [74]. Die Rate der Therapieversager nahm mit dem Lebensalter zu. Eine Okklusionstherapie im Schulalter ist keineswegs aussichtslos, wie schon ▶ Abb. 2.79 illustriert und aktuellere Studien bestätigen [114], [115], [117], [157], [182], [281], [313]. Der Visusanstieg und die für einen bestimmten Anstieg erforderliche Okklusionsdauer sind altersabhängig [157], [199], [313]. Je jünger das Kind, umso besser ist die Erfolgsaussicht und umso geringer der Zeitaufwand [114], [115].
Beendigung der Okklusionsbehandlung Wenn seitengleicher Visus für Reihensehzeichen erreicht ist, wird die Okklusion unter vierteljährlichen Kontrollen reduziert, z. B. jeweils auf die Hälfte der Dosis. Wenn der Visus dabei stabil bleibt, erfolgt ein Auslassversuch. Weitere Kontrollen, zunächst alle 3–4 Monate, zeigen, ob eine Erhaltungstherapie nötig ist oder nicht. Ebenso wird vorgegangen, wenn der Visus trotz intensiver Okklusion nicht das Niveau des besseren Auges erreicht hat. Sollte eine exzentrische Fixation nach 9 Monaten trotz strikt befolgter Okklusion nicht in eine foveolare Fixation übergehen, sind eventuell aktiv-pleoptische Maßnahmen oder der Abbruch der Behandlung zu erwägen.
201
Störungen
Bei foveolarer Fixation und schon gebesserter Sehschärfe können Mattfolien oder kalibrierte Okklusionsfolien auf dem Brillenglas des Führungsauges eingesetzt werden. Bei geringer Amblyopie sind transparente Folien gut geeignet. Als Alternative zur Pflasterokklusion ist eine Okklusionskontaktlinse zu erwähnen [93]. Bei weiter Pupille ist jedoch trotz des zentralen schwarzen Fleckes eine Konturabbildung im besseren Auge möglich. Es kann dadurch unter Umständen weiterhin Hemmung auslösen [97].
Atropin und Penalisation Unter Penalisation versteht man die absichtliche Behinderung des besseren Auges bei einseitiger Amblyopie, jedoch nicht durch Okklusion. Die Penalisation ist durch Zykloplegika oder bewusste Fehlkorrektion des besseren Auges möglich. Mit wenigen Ausnahmen, z. B. eines Nystagmus, der auch bei längerer Okklusion nicht abnimmt, ist die Penalisation Fällen mit foveolarer Fixation vorbehalten. Atropin schaltet die Akkommodation aus und erweitert die Pupille. Man gibt jeden Tag einen Tropfen Atropin 0,5 % in das bessere Auge. Die Akkommodation muss dadurch so weit ausgeschaltet sein, dass das Kind in der Nähe spontan mit dem amblyopen Auge fixiert. Die Brille wird weiterhin getragen. Der Visus des penalisierten Auges wird überwacht, eventuell mit zusätzlicher stenopäischer Blende. Im präverbalen Alter orientiert man sich am Führungsverhalten. Auf die Kontraindikationen zykloplegischer Augentropfen ist zu achten. Wenn ein Nystagmus unter Okklusion stark zunimmt, kann die Penalisation selbst bei exzentrischer Fixation eingesetzt werden. Bei geringer Amblyopie ist die Atropinisierung eine Alternative zur Okklusion, besonders wenn diese nicht gewährleistet ist. Bei Schulkindern mit schwerer Amblyopie brachte die Atropinisierung am Wochenende einen gewissen Nutzen, ähnlich wie eine – angeordnete – Okklusion von täglich 2 Stunden [292]. Die Atropinisierung bedarf regelmäßiger Kontrollen, wie jede andere Therapie. Eine zusätzliche Okklusion kann nötig sein. Das Prinzip der Penalisation wurde vielfältig variiert. Die Kombination Atropinisierung des Führungsauges und sphärische Überkorrektion des amblyopen Auges um + 1 bis + 3 dpt wird als Nahpenalisation bezeichnet [303], [306]. Zur Bildunschärfe auf dem besseren Auge kommen die Bildvergrößerung auf der amblyopen Seite und die Entlastung der gestörten und ungenauen Akkommodation. Das bessere Auge übernimmt mit korrektem Glas die Fixation in der Ferne, das amblyope Auge fixiert in der Nähe. Die Brille gestattet nur in der Nähe eine scharfe Abbildung im amblyopen Auge, so dass eine alternierende Fixation erfolgen soll. Die Wirksamkeit wurde mehrfach bestätigt [71], [143]. Bei der Fernpenalisation wird die Atropinisierung mit einer sphärischen Überkorrektion des Führungsauges um + 3 dpt kombiniert und die Refraktion des amblyopen Auges wie üblich korrigiert [306]. Durch die Einschränkung des Fernvisus und der Tiefen-
202
schärfe des besseren Auges soll dies stärker wirken als die Nahpenalisation. Eine vollständige Penalisation wird durch Atropinisierung und Fehlkorrektion des Führungsauges erreicht.
Miotika Der Einsatz pupillenverengender Mittel zur Amblyopietherapie beruhte auf der Idee, dass ein Brechkraftfehler bei enger Blende eine relativ geringe Rolle spielt [1]. Die verwendeten Parasympathomimetika mit Langzeitwirkung (DFP, Mintacol) führten zu einer extremen Miosis und zur Myopisierung. Angesichts besserer Alternativen ist die Notwendigkeit einer medikamentösen Miosis zur Amblyopietherapie zu bezweifeln.
Akupunktur Bei anisometropieamblyopen Kindern im Alter von 7– 12 Jahren wurde ein Visusanstieg um ca. 2 Stufen beschrieben, nachdem zusätzlich zur Brillenkorrektion und verordneten Nahaktivität mit Akupunktur behandelt wurde. Der Anstieg war etwas höher als in einer Parallelgruppe mit täglich 2 Stunden verordneter Okklusion [375]. Allein schon methodische Schwächen der Studie lassen daran zweifeln, dass es sich dabei um einen spezifischen Effekt der Akupunktur handelte [135].
Prismen Auch die Prismenbehandlung der Amblyopie bedarf einer kritischen Betrachtung. Es wurde versucht, die Gesichtslinie des amblyopen Auges durch Prismen vor dem Führungsauge in die Primärposition zu stellen [79]. Vermutlich war nur der Okklusionseffekt des Prismas ausschlaggebend, denn es ändert die Blickrichtung nur, wenn weiterhin das nichtamblyope Auge führt. Bei einem anderen Vorgehen wurde das amblyope Auge bei Esotropie mit einem Prisma Basis innen, bei Exotropie mit einem Prisma Basis außen versehen und das führende Auge mit Neutralfiltern unter das Visusniveau des amblyopen Auges vernebelt [296], [311]. Kombiniert mit der Vollokklusion des besseren Auges wurde in vorher aufgegebenen Fällen foveolare Fixation erreicht, vermutlich allein durch die konsequente Okklusion des Führungsauges [236]. Cüppers‘ Prinzip der Prismenbehandlung bei exzentrischer Fixation entspricht der Logik der fixationsverbessernden Operation. Nähert sich eine nasal-exzentrische Fixation in Adduktion der Foveola, so wird die entsprechende motorische Innervation bei okkludiertem Führungsauge durch ein Prisma Basis außen vor dem amblyopen Auge erzeugt [70]. Wegen der erforderlichen Prismenstärke [230] ist dies kaum praktikabel.
Augenmuskeloperation Eine angeborene extreme Augenfehlstellung, die eine foveolare Abbildung nicht zulässt, muss sofort behoben werden, um eine irreversible Deprivationsamblyopie zu vermeiden (▶ Abb. 2.80). Solche extremen Schielstellun-
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Alternative Okklusionsverfahren
2.4 Amblyopie
H ●
Merke
Eine Augenmuskeloperation ist indiziert, wenn Stellung und Beweglichkeit des Auges eine Fixationsaufnahme nicht ohne Kopfzwangshaltung zulassen.
Die Indikation zur operativen Behandlung ist gegeben, wenn der Patient bei Okklusion des besseren Auges eine ausgeprägte Kopfzwangshaltung einnimmt, bei der durch die Brille keine scharfe foveolare Abbildung mehr möglich ist. Bei nasal exzentrischer Fixation und Esotropie ist eine abduzierende Operation sinnvoll [46]: ● bei ausgeprägter Esotropie in Form einer kombinierten Konvergenzoperation ● bei kleinem Schielwinkel eventuell in Form einer retroäquatorialen Medialis-Myopexie [77], [145] Verbesserungen der Fixation nach Schieloperationen (▶ Tab. 2.15) wurden vielfach berichtet [84], [193], [360]. Meist führt aber allein schon die Okklusionsbehandlung zur foveolaren Fixation. Bis auf diese Ausnahmen sollte eine Amblyopie vor der Schieloperation saniert sein.
Medikamentöse Therapieansätze Verschiedene zentral wirkende Substanzen wie Levodopa, Carbidopa oder Citicolin [58], [125], [227], [293], [301] können den Visus und die Kontrastempfindlichkeit
zumindest vorübergehend positiv beeinflussen. Der Visusanstieg war am amblyopen Auge mit durchschnittlich ca. 1,5 Stufen signifikant höher als am besseren Auge. Ein kurzer Effekt war schon nach Tagen zu beobachten. Für einen länger anhaltenden Visusanstieg war eine mehrwöchige Behandlung erforderlich. Da nur ein Gewinn von 1–2 Stufen zu erwarten ist, blieb die medikamentöse Therapie auf Einzelfälle und klinische Studien begrenzt.
2
Pleoptische Schulung und unterstützende Behandlungen Die große Zahl älterer Patienten mit hochgradiger Sehminderung des amblyopen Auges führte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Vorschlägen für eine aktive Stimulierung [86]. Die allgemein herrschende Mentalität verhinderte ihre Verbreitung ebenso wie die der Okklusionsbehandlung. Erst mit dem Pleoptophor nach Bangerter und dem Euthyskop nach Cüppers fand die Pleoptik (griech.: pleos = voll) Verbreitung. Sie erlebte eine Blütezeit in den 1960er Jahren. Heute erfolgen pleoptische Schulungen – anders als in Osteuropa, wo sie teilweise in größerem Umfang durchgeführt werden – nur noch in Ausnahmefällen, additiv zur Okklusionstherapie. Ihr Hauptziel besteht darin, foveolare Fixation zu erlangen. Alle Verfahren beruhen letztlich darauf, dem Kind die Foveola als Ort der Hauptsehrichtung bewusst zu machen und das Zentralskotom abzubauen. Im Folgenden werden beispielhaft das Euthyskop nach Cüppers [70] und der Pleoptophor nach Bangerter [345] genannt. Interessant ist der Tischkoordinator nach Cüppers, der durch das Haidinger-Büschel die Aufmerksamkeit exakt auf die Foveola lenkt.
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gen können durch die Fibrose eines oder mehrerer Augenmuskeln entstehen. Die Dringlichkeit der Operation entspricht der bei dichter Katarakt.
Euthyskopbehandlung
Abb. 2.80 Konnataler Strabismus fixus mit Verlegung der optischen Achse durch die Nase des Kindes. Um eine irreversible Deprivationsamblyopie zu vermeiden, muss die operative Behandlung sofort erfolgen.
Das Euthyskop dient zunächst als direkter Augenspiegel. In der Mitte des auf den Augenhintergrund gerichteten Lichtkegels von 30° befindet sich eine Abdeckmarke von 3°, alternativ eine zweite von 5°, die vom Untersucher auf die Fovea projiziert wird. In dieser Lage wird das Instrument für 20–30 Sekunden gehalten, um ein Nachbild zu induzieren. Blitz-Euthyskope gestatten eine kurze, blitzlichtartige Beleuchtung, die nach korrekter Einstellung der Abdeck-
Tab. 2.15 Ergebnisse nach Fixationsverlagerungsoperation. Sämtliche Patienten waren konservativ vorbehandelt worden, ohne foveolare Fixation zu erreichen. Die Erfolgsquote – 21 von 29 Patienten erzielten schließlich foveolare Fixation (rund 72 %) – darf nicht als repräsentativ für alle Patienten mit vergleichbarem Befund gewertet werden. Die Patienten waren aus der Ambulanz vorselektiert, auch hinsichtlich ihrer Motivation und der sozialen Umstände. Visusabstufungen logarithmisch. Operationsalter
Zahl der Patienten
Foveolare Fixation
Visus ≥ 0,8 Einzeloptotypen
Visus ≥ 0,8 Reihenoptotypen
Anstieg ≥ 2 Zeilen Einzeloptotypen
Bis 5 Jahre
10
10
6
3
4
6–8 Jahre
12
7
3
1
5
9–16 Jahre
7
4
–
–
5
Gesamt
29
21
9
4
14
203
marke erfolgt. Der Patient nimmt zunächst ein positives Nachbild wahr (▶ Abb. 2.81a–c). Er sieht in der Mitte eines hellen Feldes einen kleinen dunklen Kreis. Nach einigen Sekunden schlägt das positive in ein negatives Nachbild um. In der Mitte des Reizfelds erscheint nun ein heller Fleck in dunkler Umgebung. Damit wird die Foveola gegenüber anderen Netzhautarealen, auch dem Gebiet der exzentrischen Fixation, hervorgehoben. Der Umschlag des positiven Nachbilds in ein negatives Nachbild, die sog. Nachbildumkehr, stellt nach Cüppers die Grundlage seiner aktiven Therapie dar [70]. Nach Erzeugen des positiven Nachbilds blickt der Patient auf einen Schirm von geringer Helligkeit. Dadurch erscheint das negative Nachbild im Bereich der dunkeladaptierten Fovearegion
a
b
aufgrund der Helladaptation der Peripherie hell in einem dunklen Umfeld. Der Schirm darf nicht zu hell ausgeleuchtet werden. Die Differenz der empfundenen Helligkeit des fovealen Nachbilds zur Umgebung wäre dann gering und das Foveagebiet würde kaum wahrgenommen. Das Bild wird gesetzt, während das andere Auge verschlossen ist. Gelingt dies wegen Nystagmus oder Ausweichens bei exzentrischer Fixation nicht, kann das andere Auge über einen Spiegel eine seitlich angebrachte Marke fixieren, um den Blick ruhig zu stellen. Hat der Patient das positive Nachbild bei geschlossenem Auge wahrgenommen, blickt er auf den Schirm. Das Nachbild schlägt jetzt in ein negatives um, welches bald abklingt. Das Abschalten der Schirmbeleuchtung führt zurück zu einem positiven Nachbild, erneutes Einschalten zu einem negativen Nachbild usw. Auf diese Weise lässt sich ein Nachbildwechsel für viele Minuten erhalten. Für die meisten Patienten muss die Dunkelphase deutlich länger sein als die Hellphase. Zu Beginn der Behandlung sind die günstigsten Hell-Dunkel-Intervalle zu finden, mit denen eine baldige Nachbildumkehr und möglichst lange Erhaltung des Nachbilds gelingen. Bei exzentrischer Fixation lokalisiert der Patient das foveale Nachbild lateral. Bei nasal-exzentrischer Fixation erscheint das Nachbild im nasalen Gesichtsfeld, da die temporal der Fixationsstelle gelegene Foveola einen nasalen Raumwert hat (▶ Abb. 2.82a–c). Der Versuch, mitten ins Nachbild hineinzuschauen, führt zu einer Bulbusbewegung nach nasal. Bei monokularer Diplopie soll der Patient in diesem Beispiel das temporal gelegene Bild ansehen und sich darauf konzentrieren. Das Nachbild klingt bei Amblyopie rascher ab als unter normalen Umständen. Die sinnvolle Dauer einer Sitzung hängt von der Mitarbeit des Patienten ab. Kleinkinder sind auf diese Weise nicht
c
Abb. 2.81 Nachbildwahrnehmung bei der Euthyskopbehandlung. a Die Foveola oder die gesamte Fovearegion werden unter Sicht des Untersuchers mit der zentralen Dunkelzone im Lichtkegel des Euthyskops abgedeckt. b Der Patient nimmt zuerst ein positives Nachbild wahr. c Dieses schlägt nach einigen Sekunden um in ein negatives Nachbild.
NB Fovea
Ox
2
NB Fovea
1
F F a
b
P
c
F
Abb. 2.82 Nachbildwahrnehmung bei exzentrischer Fixation. a Das foveolare Nachbild wird richtig lokalisiert, die Hauptsehrichtung ist noch latent erhalten. Der Bulbus befindet sich in Adduktion (LA). b Primärposition des LA. Nachbildlokalisation ins nasale Gesichtsfeld. Das Objekt O im Außenraum wird von der exzentrischen Netzhautstelle fixiert (x), wenn der Patient aufgefordert ist, es direkt anzusehen. c Raumwertwandel mit monokularer Diplopie, LA. 1: Falsches Nachbild, entspricht nasalem Raumwert der Foveola. 2: Richtig lokalisiertes Nachbild. Am Beginn des Lokalisationswandels noch „geisterhaft“. Die Nachbilder 1 und 2 können auch verschmolzen erscheinen oder es werden nur ihre zentralen Bereiche doppelt gesehen.
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Störungen
2.4 Amblyopie 1,6 1,0
1,1
Visus
0,4
0,52 0,35
0,40
0,25 0,25
0,21
0,19
0,21
0,16
0,94 0,75
0,63
0,56 0,26
0,65
0,78
2
0,29 0,28
0,21
0,20
8,5 10 Tage
15
0,1 0,11 0,06 5
21
Abb. 2.83 Erreichte Sehschärfe nach unterschiedlicher Dauer der Pleoptik. Die Prognose ist bei sehr geringer Sehschärfe ungünstiger als bei höherer Sehschärfe. Das mittlere Alter bei Beginn der pleoptischen Behandlung betrug 9 Jahre (Datenquelle: [280]).
schulungsfähig. Vorschulkinder arbeiten meist für ca. 20 Minuten mit, ältere Schulkinder manchmal bis zu 45 Minuten. Es hat sich bewährt, sofern die Umstände es erlauben, lieber 4 oder 5 kürzere Sitzungen pro Tag durchzuführen als 1 oder 2 längere. Minimal sollte 2-mal täglich geübt werden. Eine Behandlung, die aus 2 Sitzungen pro Woche besteht, ist kaum hilfreich. Die Behandlung bei erhaltener foveolarer Hauptsehrichtung und Fixation zur Beschleunigung des Skotomabbaus kann dabei helfen, ● eine unstetige foveolare Fixation zu stabilisieren, ● ein Skotom rascher abzubauen, ● die Sehschärfe und die Akzeptanz der Okklusion zu verbessern. ▶ Abb. 2.83 zeigt, dass auch bei pleoptischer Behandlung mit der Ausgangssehschärfe die Chance auf eine Vollheilung steigt.
Übungen mit dem Haidinger-Büschel Das entoptische Phänomen des Haidinger-Büschels entsteht durch Auftreffen polarisierten Lichts auf die Henlefasern (die zirkulär gestretchte) äußere plexiforme Schicht) der Fovea. Es kann zur Übung der foveolaren Wahrnehmung bei exzentrischer Fixation genutzt werden. Ein entscheidender Vorteil besteht darin, dass das Büschel nur foveal wahrgenommen wird. Auf der Scheibe des Koordinators nach Cüppers (▶ Abb. 2.84) wird das Haidinger-Büschel immer dort gesehen, wohin die Foveola zeigt. Ein Patient mit exzentrischer Fixation blickt bei zunehmender Verkleinerung der Fläche des Koordinators durch eine Blende mit seiner exzentrischen Fixationsstelle in das eingeengte Feld, während die Foveola schließlich nicht mehr belichtet wird. Das Haidinger-Büschel verschwindet daher bei genügender Einengung. Die Größe
Abb. 2.84 Tischkoordinator nach Cüppers. Pleoptische Behandlung durch Visualisierung des Haidinger-Büschels mit rotierendem Polarisationsfilter.
der Irisblende, die gerade noch eine Wahrnehmung des Büschels erlaubt, gibt Auskunft über die Exzentrizität der Fixation. Bei zentraler Fixation ist eine Einengung der Blende bis auf ca. 1° möglich, das Haidinger-Büschel wird genau in der Mitte gesehen. Mit Rückgewinn der foveolaren Hauptsehrichtung und Fixation kann man sowohl zum Euthyskop-Nachbild als auch zum Haidinger-Büschel ein reales kleines Objekt hinzufügen und den Patienten direkt ansehen lassen. Sieht er reales Objekt und Haidinger-Büschel oder reales Objekt und Nachbild am selben Ort überlagert, ist foveolare Fixation erreicht. Dies gilt jedoch nur mit Blendeneinengung, denn zwei verschiedene Netzhautorte können an den gleichen Ort im Außenraum lokalisieren und so bei weiter Blende normale foveolare Fixation vortäuschen.
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0
Schulung am Pleoptophor Die Behandlung am Pleoptophor geht von der Vorstellung aus, die Wahrnehmung mit dem exzentrischen Netzhautort durch Ausblenden dieser Region auszuschalten. Der zu diesem Zweck entwickelte Pleoptophor erlaubt die Beobachtung des Augenhintergrunds während der Blendung. Die Fovearegion wird bei nahfoveolarer Fixation durch eine Abdeckmarke verdeckt, das Gebiet ringsum wird ca. 1 Minute lang geblendet. Anschließend wird die Foveola durch Einschalten einer zweiten Schablone in den Strahlengang selektiv stimuliert. Dies geschieht mit Lichtblitzen einer Frequenz von 1–2/s und nicht zu hoher Helligkeit, um die Foveola nicht zu blenden. Der Vorteil dieser Blend-Reiz-Methode liegt in der ständigen Beobachtung des Augenhintergrunds. Kleine und langsame Augenbewegungen können fortwährend korrigiert werden [345]. Aktive Pleoptik ist stets mit einer Okklusionstherapie zu verbinden. ▶ Abb. 2.85 und ▶ Tab. 2.16 zeigen Resultate dieser kombinierten Behandlung.
205
Störungen Tab. 2.16 Ergebnisse pleoptischer Behandlung. 120 Patienten. Vergleich der Behandlungsergebnisse mit dem Euthyskop, dem Pleoptophor und einer kombinierten Therapie mit beiden Verfahren wegen ungenügenden Effekts mit einer Methode allein. Je 40 Patienten. Alter der meisten Patienten zwischen 5 und 7 Jahren, alle mit exzentrischer Fixation (Datenquelle: [342]). Klasse
Therapieerfolg
I
Visus unverändert
26 (65 %)
26 (65 %)
23 (58 %)
75 (62,5 %)
Visus ≥ 0,7
8 (20 %)
8 (20 %)
4 (10 %)
20 (16,6 %)
Visus ≥ 1,0
4 (10 %)
3 (7,5 %)
2 (5 %)
9 (7,5 %)
Fixation zentralisiert
15 (37,5 %)
12 (30 %)
6 (15 %)
33 (27,5 %)
100
100 95
%
65 50
52
Pleoptophor
Merke
0 < 0,1
0,1
0,15 0,2 Visus
0,3
0,4
Abb. 2.85 Ergebnisse pleoptischer Therapie Prozent der Fälle, die mindestens einen Visus von 1,0 erreichten, in Abhängigkeit vom Visus zu Beginn der Behandlung (Datenquelle: [316]).
Weitere Übungsmethoden Die Behandlung mit dem Cambridge-Stimulator, die als physiologisch propagiert wurde [57], hat sich in kontrollierten Studien nicht als effektiv erwiesen [237], [251]. Die Patienten hatten auf eine sich langsam drehende gemusterte Scheibe zu blicken. Während dieser, täglich wenige Minuten dauernden Übungen wurde das Führungsauge okkludiert. Bei einer Variante dieses Verfahrens spielen die Kinder an einem Computer und werden dabei visuell stimuliert [33], [194], [195]. Die spezifische Wirksamkeit solcher Stimulationssoftware oder eine Überlegenheit gegenüber irgendwelchen Computerspielen oder Videos, die genaues Hinsehen erfordern, ist nicht erwiesen. Therapiekonzepte, die unter dem Begriff des perzeptuellen Lernens vorgestellt wurden, bedürfen noch der Validierung [40], [113], [235], [263], [299]. Prinzipiell kann bei foveolarer Fixation eine Vielzahl von Übungen eingesetzt werden, die sämtlich das Ziel haben, die Aufmerksamkeit zu erregen und wach zu halten, beispielsweise ½ Stunde Fernsehen. Bei Vorschulkindern sind Ausstreichübungen zu empfehlen, wobei mehrmals täglich mit einem Stift bestimmte Buchstaben z. B. in einem Zeitungstext durchzustreichen sind. Attraktiv finden Kinder farbenfrohe Videoclips und Computerspiele. Auf Smartphones und anderen Mini- oder Mikrodisplays er-
206
Gesamtzahl der Patienten
fordern sie eine visuelle Aufmerksamkeit, wie sie im Rahmen der Amblyopiebehandlung gewünscht ist, und ihr Gebrauch ist in diesem Alter noch gut kontrollierbar. Die Kombination unterschiedlicher Übungen hält die Mitarbeit des Kindes aufrecht. Das persönliche Engagement der Orthoptistin und der Eltern stellt einen entscheidenden therapeutischen Faktor dar [325].
41
20
Kombination
H ●
Patienten können nach zunächst vergeblicher Okklusionstherapie auf zusätzliche pleoptische Maßnahmen günstig reagieren.
Vergleiche pleoptischer Schulungsbehandlung mit alleiniger Okklusionsbehandlung zeigten bei Berücksichtigung der Altersklassen keinen wesentlichen Unterschied im Ergebnis [13], [50], [96], [316], [342], [362]. Wenn zunächst keine Fixations- oder Visusverbesserung durch die Okklusionstherapie eintritt, kann eine pleoptische Behandlungsserie eventuell helfen, diese Stagnation zu überwinden und auch bei scheinbar vergeblich vorbehandelten Patienten noch zu einer Besserung führen [9], [29], [89], [281], [316], [340]. Dabei erfolgt die pleoptische Therapie nicht allein, sondern immer zusammen mit der Okklusionstherapie (▶ Abb. 2.86, ▶ Abb. 2.87).
Amblyopiebehandlung bei Erwachsenen Eine einseitige Amblyopie kann bei manchen Erwachsenen noch gebessert werden [63], [159], [252], [357]. Die Erfolgsquoten nehmen mit steigendem Lebensalter ab [79], [313], [373]. Der Therapieaufwand im Fall einer schweren Amblyopie ist belastend. Eine Spätbehandlung birgt auch ein Diplopierisiko. Spontane Verbesserungen nach Verlust des besseren Auges sind bekannt [117], [361]. Bei Patienten, die zu diesem Zeitpunkt älter als 9 Jahre waren, wäre mit einer spontanen Besserung in ca. 17 % der Fälle zu rechnen, durch Pleoptik in 11 %, insgesamt in 29 % der Fälle, wobei der Funktionsanstieg im Wesentlichen in den ersten Wochen nach Verlust des guten Auges stattfand [361]. Bei foveolarer Fixation ist die Chance auf eine Verbesserung weit höher als bei exzentrischer Fixation [361].
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II
Euthyskop
2.4 Amblyopie 1,6 n = 108
1,0 0,63 0,4 0,25 0,16 2
0,1
Visus (LR 2,6ʼ) nach weiteren 13 Monaten Okklusionsbehandlung
2 3 2 2 3 5 3 3 3 5 3 4 3 4 2 3 2 2 4 2 2 2 3
2
0,06 2
2
0,04 0,025
n = 108
1,0
2 2 2 3 2 2 2 2 3 5 6 2 3 4 3 3 2 2
0,63 0,4 0,25
2
2 2
0,16
2
0,1
2 2
0,06 0,04
2 2
2
0,025
2
0,025 0,04 0,06 0,1 0,16 0,25 0,4 0,63 1,0 1,6 Visus (LR 2,6ʼ) vor pleoptischer Therapie Abb. 2.86 Visus vor und direkt nach pleoptischer Behandlung. Die Dauer der Behandlung, einschließlich Vollokklusion, betrug im Mittel 2 Wochen.
Nachsorge Merke
H ●
Ein gebesserter oder geheilter Patient darf nicht sich selbst überlassen bleiben.
Ohne eine gute Nachsorge war der Aufwand bei vielen vergebens [313]. Die Rezidivneigung ist lange bekannt. Dennoch wird oft zu wenig auf die Langzeitbeobachtung nach einer erfolgreichen Behandlung geachtet (▶ Tab. 2.17, ▶ Tab. 2.18). Das Ergebnis kann scheinbar stabil bleiben, den Verfall erkennt man bei der Prüfung mit Reihensehzeichen (▶ Abb. 2.88). Die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs nimmt nach dem 12. Lebensjahr ab, aber nicht wenige Patienten bedürfen auch nach dem 14. Lebensjahr noch einer Erhaltungstherapie [83]. Kontrollen sollten auch im späten Schulalter mindestens halbjährlich erfolgen. Die Patienten bzw. Eltern fühlen sich anderenfalls aus der Behandlung entlassen.
Nebenwirkungen und Risiken Mögliche Risiken und Begleiterscheinungen einer Amblyopiebehandlung bei Okklusionsbehandlung: ● Medikamentennebenwirkungen ● Pflasterunverträglichkeit ● eventuell erhöhte Unfallgefahr ● Okklusionsamblyopie ● selten permanente Diplopie
0,025 0,04 0,06 0,1 0,16 0,25 0,4 0,63 1,0 1,6 Visus (LR 2,6ʼ) direkt nach pleoptischer Therapie Abb. 2.87 Visus vor und 13 Monate nach pleoptischer Behandlung mit anschließender Okklusion. Weiterer Visusanstieg nach 13 Monaten Okklusionsbehandlung im Anschluss an pleoptische Behandlung bei Schielamblyopie. Die Okklusion sollte bei den im Mittel 8-jährigen Kindern vor allem nach der Schule und am Wochenende ganztags erfolgen.
Im Fall einer schweren Amblyopie ist auch die Unfallgefahr durch das gestörte Orientierungsvermögen zu bedenken. Diese Kinder bedürfen einer vermehrten Betreuung und dürfen sich – solange die Orientierung sichtlich gestört ist – nicht allein im Straßenverkehr bewegen, nicht Fahrrad fahren, Rollschuh- oder Skilaufen u. Ä. Gefahrenträchtige Tätigkeiten sind zu meiden oder es ist dabei eine intensivere Betreuung nötig. Häufig ist der Visus des okkludierten Auges sofort nach Abnahme des Pflasters etwas reduziert. Um diesen vorübergehenden Abfall nicht mit einer Okklusionsamblyopie zu verwechseln, erfolgt eine Visuskontrolle nach ca. 1 Stunde. Bei mehr als 2 Stufen Visusabfall gegenüber dem Vorbefund okkludiert man 1 Stunde invers und prüft erneut. Im seltenen Fall, dass sich der Visus dadurch nicht regeneriert, erfolgt eine Okklusion des amblyopen Auges mit Kontrolle entsprechend dem Lebensalter, im 4. Lebensjahr also nach 3–4 Tagen. Sollte die artifizielle Amblyopie auch dann noch bestehen, würde das zuvor amblyope Auge weiter okkludiert und in gleichbleibend kurzen Abständen kontrolliert. Ergibt sich dabei keine Regeneration innerhalb von 2 Wochen, sollte das Kind in einem strabologischen Zentrum vorgestellt werden. Uns ist kein Fall bekannt, der auf die angeführten Maßnahmen nicht reagiert hätte, vorausgesetzt, die obigen Regeln für die Okklusionsbehandlung waren beachtet worden. Persistierende monokulare Diplopie infolge einer aktiven Amblyopiebehandlung ist sehr selten, anders die binokulare Diplopie. Der amblyope Patient kann jahrzehntelang ohne Beschwerden sein und plötzlich ohne erkennbaren Grund doppelt sehen. Manchmal kündigt sich der Zusammenbruch der Suppression mit intermittierender kurzdauernder Diplopie an. Wer als Arzt in einer solchen
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Visus (LR 2,6ʼ) nach pleoptischer Therapie
1,6
207
Störungen Tab. 2.17 Rezidivhäufigkeit in Abhängigkeit vom Zeitraum ohne Behandlung. Abfall der Sehschärfe um 2 Stufen oder mehr. Es handelt sich um 3 verschiedene Patientengruppen. Die Rezidive stellten sich überwiegend während der ersten 5 Monate nach Beendigung der Therapie ein. Die 2 anderen Patientengruppen, die über einen Zeitraum von 6–11 und 12–30 Monaten unkontrolliert blieben, zeigten keine wesentlich höhere Rezidivrate. Das Durchschnittsalter bei Therapieende betrug 5 Jahre. Ohne Therapie für
Visus unverändert
Visusabfall
%
Gesamtzahl
5 Monate
32
11
25,6
43
6–11 Monate
17
8
32,0
25
12–30 Monate
24
9
27,3
33
Tab. 2.18 Rezidivhäufigkeit in Abhängigkeit vom Alter bei Behandlungsbeginn. Bewertung des Rezidivs wie in ▶ Tab. 2.17. Die Zahl der Rezidive nimmt deutlich zu mit dem Lebensalter bei Erstbehandlung der Amblyopie. Alter bei Behandlungsbeginn
Visus gleich oder besser
Visusabfall
%
Gesamtzahl
4. Lebensjahr
43
13
23,2
56
5. Lebensjahr
11
5
31,3
16
6.–10. Lebensjahr
37
25
40,3
62
1,0 0,8 0,63
Visus
0,4 0,32 Einzeloptotypen, C-Test 17,2ʼ Optotypenabstand 2,6ʼ Optotypenabstand
0,25 0,2 0,16 0,125
Behandlungszeitraum 1981
0,1 0,08 Juni
Juli
August
Sept. Pleoptik
Therapie
Vollokklusion 1 : 6
Okt. Nov. Fern-PE, TZO
Abb. 2.88 Vorgetäuschte Stabilität der Sehschärfe nach Okklusion und Euthyskopbehandlung. Ungenügend wirksame Penalisation (PE) und Teilzeitokklusion (TZO) mit Verfall der Reihensehschärfe. 7-jähriger Patient mit Mikroesotropie und Amblyopie des RA. Refraktion RA + 4,5 sph, LA + 3,5 sph. Die rasch ansteigende Sehschärfe ist Folge einer intensiven pleoptischen Behandlung in Kombination mit konsequenter Vollokklusion. Danach führte ein verfrühtes Absetzen der Vollokklusion zur Funktionsminderung für Reihenoptotypen. Dies wird übersehen, wenn die Visusprüfung nur mit Einzeloptotypen erfolgt.
Phase kleine, durchaus berechtigte Veränderungen der Brille vornimmt oder operiert, läuft Gefahr, als Verursacher beschuldigt zu werden. Patienten mit einer entsprechenden Vorgeschichte müssen vor jeder Behandlung eingehend aufgeklärt werden. Augentropfen müssen unerreichbar für Kinder aufbewahrt werden. Ein Fläschchen Atropin-0,5 %-Augentropfen enthält genug Atropin, um bei oraler Aufnahme eine tödliche Vergiftung zu bewirken. Bei einmaliger Gabe von 1–2 Tropfen auf jeder Seite sind keine syste-
208
misch relevanten Atropinwirkungen zu befürchten. Eine lokale Unverträglichkeit äußert sich in konjunktivaler Injektion und eventuell follikulärer Konjunktivitis. Nicht selten sind Mundtrockenheit, Hautrötungen im Gesicht und – weniger häufig – ein Temperaturanstieg. Wenn sich das Gesicht rötet, ist die Körpertemperatur zu messen. Gegebenenfalls sind kühlende Maßnahmen zu empfehlen, bei stärkerem Temperaturanstieg die Gabe von 500 mg Paracetamol als Suppositorium. Eine weitere Gabe von Atropin-Augentropfen sollte dann unterbleiben.
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0,5
2.4 Amblyopie
Das Gespräch ist ein unverzichtbarer Teil der Behandlung und dient auch der Kontrolle der Therapie. Eine gute Aufklärung besteht darin, die Patienten bzw. Eltern in groben Zügen über die Amblyopie, deren Behandlungsmöglichkeiten und mögliche Probleme während der Behandlung zu unterrichten. Sie müssen wissen, dass je nach Befund und Alter des Kindes eine gute Aussicht auf Besserung oder Heilung besteht, und sollen von Beginn an wissen, dass sie Geduld und Bereitschaft zu regelmäßigen Kontrollen und eventuell langjährigen Nachkontrollen aufbringen müssen. Eltern, die adäquat aufgeklärt sind, beschweren sich in der Regel nicht über Schwierigkeiten, die während der Behandlung auftreten können. Die Sehverbesserung des amblyopen Auges ist wichtig. Welcher Therapieaufwand zumutbar ist, hängt aber auch von individuellen und sozialen Begleitumständen ab.
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215
Störungen
2.5 Binokulare Sensorik bei Strabismus Normales beidäugiges Sehen setzt einen intakten sensomotorischen Regelkreis der Vergenz voraus (Kap. 1.4). Störungen des afferenten Schenkels (optische Medien, Netzhaut, Sehbahn), der sensorischen Fusion [46], [55] oder der motorischen Efferenz können zur Unterbrechung des Regelkreises führen. Die Folge ist ein manifester Strabismus mit Verschiebung des Netzhautbilds eines Auges. Die damit verbundene Änderung der binokularen Wahrnehmung und die Formen der Adaptation an die anomalen Abbildungsverhältnisse sollen im Folgenden beschrieben werden.
2.5.1 Binokulare Wahrnehmung bei Strabismus mit normaler binokularer Sensorik Der erworbene Strabismus führt dazu, dass sich identische Objekte der Umwelt am rechten und linken Auge auf Netzhautstellen abbilden, die unterschiedliche Sehrichtungen vermitteln. Gleichzeitig projizieren sich unterschiedliche Objekte auf sehrichtungsgleiche (d. h. korrespondierende) Netzhautstellen. Die erstgenannte Folge manifestiert sich als binokulare Diplopie, die zweite als Konfusion, indem unterschiedliche Objekte am selben Ort wahrgenommen werden (▶ Abb. 2.89a, b).
Aus Lage und Abstand der Doppelbilder zueinander kann auf Richtung und Größe der manifesten Schielabweichung geschlossen werden (siehe Kap. 3.2, Schielwinkelmessung (S. 242)ff). Auch bei normaler Augenstellung bestehen außerhalb des um den Horopter gelegenen Panum-Raums Abbildungsverhältnisse wie beim manifesten Strabismus. Störungen durch die daraus resultierende physiologische Diplopie (vgl. Kap. Hemmung binokularer Doppelbilder) treten jedoch kaum auf, da der Fusionshoropter einen eindeutigen Orientierungsraum vermittelt und die physiologischen Doppelbilder außerhalb der visuellen Aufmerksamkeitsebene liegen, qualitativ aber in der Tiefe richtig eingeordnet werden können. Bei einem erworbenen manifesten Strabismus kann die visuelle Umwelt binokular in keiner Ebene mehr unmissverständlich wahrgenommen werden. Die gesamte Bildszenerie des einen Auges wird vom Partnerauge an einem anderen Ort des binokularen Gesichtsfelds lokalisiert. Qualitative Stereopsis ist nicht mehr möglich, da ein fusioniertes Referenzbild fehlt. Die relative Lokalisation wird chaotisch, da der binokulare Wettstreit je nach Reizintensität rechts- und linksäugige Bildteile in irregulärem Mosaik zusammen-
Bilddarbietung
Bilddarbietung
LA
RA
a
LA
, F
Bildwahrnehmung
RA F
b
, F
Bildwahrnehmung
Abb. 2.89 Schematische Darstellung der Konfusion (a) und der Diplopie (b) bei Einwärtsschielen des linken Auges und normaler Korrespondenz. Das rechte Auge fixiert einen schwarzen Punkt gerade vorn. Die Pfeile sollen zeigen, wie die wahrgenommenen Bilder lokalisiert werden. a Auf die Fovea des linken Auges (F‘) projiziert sich eine weiße Scheibe. Da beide Foveae dieselbe Sehrichtung vermitteln, werden Punkt und Scheibe gerade vorn am selben Ort wahrgenommen, wenn nicht einer der beiden Reize durch binokularen Wettstreit gehemmt wird. Bei Hemmung des fixierten Punktes würde allein die rechts gelegene Scheibe wahrgenommen und gerade vorn lokalisiert. b Die Projektion des Fixierpunkts auf der Netzhaut des linken Auges ist um den Betrag des Schielwinkels nach nasal verschoben. Diese Netzhautstelle vermittelt eine temporal-exzentrische Sehrichtung in der angulären Größe der Abweichung. Der Fixierpunkt wird deshalb auf der linken Seite noch einmal als gleichnamiges (homonymes) Doppelbild wahrgenommen. Das Doppelbild erscheint weniger deutlich, da es einer peripheren Netzhautstelle mit geringerem Auflösungsvermögen entstammt.
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Diplopie ist Wahrnehmung desselben Sehdings mit verschiedenen Raumwerten, Konfusion ist Wahrnehmung verschiedener Sehdinge mit demselben Raumwert.
V. Herzau, H. Jägle, D. Besch
F
H ●
Merke
2.5 Binokulare Sensorik
Motorische Adaptation Die motorische Adaptation dient der Verkleinerung des Schielwinkels durch eine tonische Änderung der Vergenzinnervation (Vergenzadaptation, Ausgleichsinnervation [5]), der Vergrößerung der Fusionsbreite und der Verminderung der Inkomitanz, z. B. beim Strabismus sursoadductorius oder beim Lähmungsschielen durch eine blickrichtungsabhängige Innervationsänderung der Versionen und Vergenzen [43]. Das adaptive Nachstellen der tonischen Vergenz (Orthophorisation nach Crone [16]) zeigt sich beim Normalen nach längerem Prismentragen, denn die anfänglich induzierte Heterophorie ist nach wenigen Stunden reduziert oder verschwunden. Anisometrope Brillenträger geben unter Fusionstrennung, z. B. bei der Rotglasuntersuchung, stets eine geringere Anisophorie an, als dies der prismatischen Nebenwirkung der Brillengläser bei Blickwendungen entspricht. Bei der artifiziellen Divergenzoperation bei Nystagmus wird die motorische Adaptation genutzt, um eine Innervationsänderung zu induzieren, welche zur Beruhigung des Nystagmus führt. Diese Formen der Adaptation laufen in Stunden bis Tagen ab, können aber nur kleinere Abweichungen kompensieren. Ähnlich wie bei den raschen fusionalen Vergenzbewegungen erfolgt die Kontrolle der langsamen Vergenzadaptation über einen sensorischen Fühler für absolute Disparität. Es ist also primär ein sensorisches Phänomen, das über einen gesonderten neuronalen Schaltkreis abläuft und dann motorisch umgesetzt wird. Voraussetzung ist der binokulare Reiz. Okklusion verhindert die Adaptation oder macht sie wieder rückgängig (diagnostische Okklusion, siehe Kap. Diagnostische Okklusion).
Merke
H ●
Als absolut wird die Disparität bezeichnet, in der sich ein Objekt bei einer gegebenen Vergenzstellung retinal abbildet, unabhängig von weiteren retinalen Bildern. Die relative Disparität ist dagegen ein Maß für den Disparitätsunterschied in der retinalen Abbildung zweier Objekte und vermittelt bei horizontaler Ausrichtung die binokulare Stereopsis. Die absolute Disparität ändert sich mit der Vergenz, die relative nicht. In der Area striata sind Neurone nachweisbar, die selektiv absolute Disparitäten erkennen [18].
2
Sensorische Adaptation Die sensorische Adaptation an einen erworbenen Strabismus besteht in einer Hemmung der Bilder des abgewichenen Auges. Tritt das Schielen bei einem älteren Kind oder einem Erwachsenen mit normaler binokularer Sensorik auf, wird eine Konfusion im engeren Sinne durch den physiologischen binokularen Wettstreit weitgehend verhindert. Der Betroffene sieht deshalb nie 2 verschiedene Objekte am selben Ort übereinandergelagert. Der regionale und alternierende Ablauf des binokularen Wettstreits führt aber zu Fehllokalisationen, wenn der retinale Reiz des abgewichenen Auges Dominanz gewinnt (siehe ▶ Abb. 2.89a). Eine sinnvolle Hemmung darf deshalb nur einseitig das abgewichene Auge betreffen, wofür die normale binokulare Sensorik wegen der intensiven exzitatorischen Verbindungen beider Augen besonders schlecht eingerichtet ist. Der Betroffene muss deshalb einen anderen Hemmungsmechanismus erlernen, bei dem durch gezielte Abwendung der Aufmerksamkeit von den Eindrücken des schielenden Auges Fehllokalisationen und vor allem Diplopie mit der Zeit unterdrückt werden. Die Fähigkeit, die visuelle Wahrnehmung auf ein Auge zu beschränken, ist individuell aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Besonders Kinder erlernen diese Art der Hemmung rasch, ohne dass sie dafür zusätzliche binokulare Anomalien entwickeln müssen. Sie können sich aber des Doppelbilds jederzeit bewusst werden. Für viele Patienten ist die einseitige Bildunterdrückung jedoch nicht möglich. Sie sind bei Fortbestehen des Strabismus auf die ständige Okklusion zur Beseitigung der Lokalisationsstörungen angewiesen. Andere fühlen sich bei den meisten Tätigkeiten kaum gestört, okkludieren aber ein Auge für bestimmte Situationen (z. B. zum Autofahren), da die Aufmerksamkeitsabwendung keine zuverlässige Hemmung darstellt. Die Größe des Doppelbildabstands spielt für die Hemmungsmöglichkeiten bei normaler Sensorik eine unterschiedliche Rolle. Während der eine große Abstände benötigt, um durch die Unschärfe des Doppelbilds das „Richtige“ vom „Falschen“ unterscheiden zu können, be-
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fügt. Die egozentrische Lokalisation ist bei Überwiegen des fovealen Bildes des abgewichenen Auges um den Betrag des Schielwinkels verlagert, was zu entsprechenden Irrtümern bei der Auge-Hand- und der Auge-Fuß-Koordination führen kann. So schildern einzelne Patienten, wie sie ein sich von der Seite näherndes Fahrzeug, das sich zufällig in der Gesichtslinie des abgewichenen Auges befand, direkt auf sich zukommen sahen. Von diesen einzelnen Störungen realisiert der Betroffene meist nur die Diplopie und dabei vor allem das Doppelbild des fixierten Objekts. Die im peripheren Gesichtsfeld auftretende Konfusion ist wegen des binokularen Wettstreits und der begrenzten Aufmerksamkeit für periphere Bilder weniger bewusst. Bei kleinen manifesten Schielwinkeln wird oft nur über unscharfes Sehen geklagt, wenn das abgewichene Auge nicht zugekniffen wird. Bleibt das motorische Fusionshindernis bestehen, kann das Ausmaß der räumlichen Orientierungsstörung durch motorische und sensorische Kompensationsmechanismen in begrenztem Umfang vermindert werden.
217
Störungen vorzugt der andere kleine Abstände, da er durch die wettstreitbedingte, plötzlich auftretende Dominanz des abgewichenen Auges immer wieder erschreckende räumliche Orientierungsstörungen erleben musste. Der Wettstreit kann sogar unter Okklusion eines Auges bei einzelnen Patienten ein kurzfristiges Zentralskotom verursachen, wenn die Dominanz auf das abgedeckte Auge umspringt.
H ●
Merke
Die motorische Adaptation dient der Verkleinerung des Schielwinkels durch tonische Änderung der Vergenzinnervation (Ausgleichsinnervation). Sensorische Adaptation besteht in einer Hemmung der Bilder des abgewichenen Auges.
Binokulare Wahrnehmungsstörungen bei Metamorphopsie oder Hemianopsie
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Eine Sonderform gestörter binokularer Wahrnehmung tritt durch eine erworbene regionale Verschiebung fovealer Sinnesepithelien bei ausgereifter binokularer Sensorik auf. Ursache kann z. B. eine epiretinale Gliose der Netzhautmitte sein, in der Regel mit einer am Amsler-Netz
diagnostizierbaren Metamorphopsie. Während im peripheren Gesichtsfeld stabile Fusion möglich ist, besteht im Gesichtsfeldzentrum durch die Verschiebung der Sinnesepithelien keine Korrespondenz der Deckstellen mehr, und es tritt Diplopie oder binokulares Verschwommensehen auf. Entsprechend der Ursache ist der Doppelbildabstand klein. Sein prismatischer Ausgleich führt aber zu Disparität in der Netzhautperipherie und beseitigt die Diplopie nur so lange, bis durch motorische Fusion der Netzhautperipherie die ursprüngliche Augenposition wiederhergestellt ist. Die Situation entspricht dem Befund einer obligaten Fixationsdisparität (siehe Kap. 2.1 und Kap. 2.3) [68]. Eine vergleichbare Situation besteht, wenn durch Narbenbildung im Rahmen einer Makuladystrophie eine Verschiebung der fovealen Netzhaut entsteht (siehe Kap. 2.3.12). Es ist auch durchaus vorstellbar, dass ein regional asymmetrisches Wachstum am hinteren Bulbuspol eine obligate Fixationsdisparität mit Asthenopie verursacht, ohne dass eine Netzhauterkrankung mit Metamorphopsie vorliegt. Charakteristische binokulare Wahrnehmungsstörungen treten auf, wenn korrespondierende Netzhautstellen durch eine heteronyme Hemianopsie fehlen. Der sensomotorische Fusionsregelkreis ist dadurch aufgebrochen und die fehlende Vergenzregelung führt zu einer kaum kontrollierbaren Verschiebung der verbliebenen Halbfel-
15° 50°
50°
FR a
P
b
c
FL Abb. 2.90 Binokulare Gesichtsfeldbefunde und Wahrnehmung bei bitemporaler Hemianopsie und Esotropie. Bitemporale Hemianopsie und 15° Esotropie des linken Auges. Normale retinale Korrespondenz. a Schematische Darstellung der Netzhaut und ihrer korrespondierenden monokularen Gesichtsfelder. FL: Fovea links, FR: Fovea rechts, P: Projektion auf die Hausmitte b Binokulares Gesichtsfeld mit streifenförmigem Ausfall zur Seite des fixierenden Auges. Blaue Linie: nasale Isoptere rechtes Auge, rote Linie: nasale Isoptere linkes Auge c Subjektiv werden die Halbfelder aneinander gelagert, so dass der Gesichtsfelddefekt nicht wahrgenommen wird und das angeblickte Objekt lediglich verschmälert erscheint.
218
2.5 Binokulare Sensorik
2
15° 50°
50°
FR a
P
b
c
FL
der zueinander (Hemifield Slide Phenomenon). Bei der häufigeren bitemporalen Hemianopsie tritt bei Esotropie in der Fixationsebene ein streifenförmiger Ausfall zur Seite des fixierenden Auges auf. Da die Halbfelder aneinander gelagert werden, wird der Gesichtsfelddefekt nicht wahrgenommen und das angeblickte Objekt erscheint lediglich verschmälert. Bei Divergenz kommt es umgekehrt zur Diplopie in einem Gesichtsfeldstreifen neben der Mittellinie. Der doppelt gesehene Streifen wird an das Gesichtsfeld des fixierenden Auges angelagert und das angeblickte Objekt erscheint verbreitert (▶ Abb. 2.90a–c), (▶ Abb. 2.91a–c) [52], [76]. Die Wahrnehmnung von Doppelbildern oder einer Verbreiterung hängt vom Objekt und den Sehbedingungen ab. Zusätzliche Hypertropien können zu einer vertikalen Bildverschiebung führen. Auch ohne manifesten Strabismus kommt es bei heteronymer Hemianopsie durch den Verlust der fusionalen Kontrolle immer wieder zu divergenten oder konvergenten Vergenzfehlern mit den beschriebenen Wahrnehmungsstörungen [52]
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Abb. 2.91 Binokulare Gesichtsfeldbefunde und Wahrnehmung bei bitemporaler Hemianopsie und Exotropie. Bitemporale Hemianopsie und 15° Exotropie des rechten Auges. Normale retinale Korrespondenz. a Schematische Darstellung der Netzhaut und ihrer korrespondierenden monokularen Gesichtsfelder. FL: Fovea links, FR: Fovea rechts, P: Projektion auf die Hausmitte b Binokulares Gesichtsfeld mit überlappenden nasalen Halbfeldern und zentraler Diplopie. Blaue Linie: nasale Isoptere rechtes Auge, rote Linie: nasale Isoptere linkes Auge c Subjektiv wird das gesamte Bild des rechten Auges an das Gesichtsfeld des fixierenden linken Auges angelagert. Die Konturen des überlappenden Bereichs erscheinen dadurch nebeneinander doppelt und das Objekt breiter.
2.5.2 Binokulare Wahrnehmung bei frühkindlichem Strabismus mit anomaler binokularer Sensorik Tritt ein Strabismus in den ersten 2 Lebensjahren auf, zeigen die jungen Patienten höchstens kurzzeitig Hinweise für eine damit im Zusammenhang stehende Sehstörung. Insbesondere besteht in der Regel keine Diplopie. Die noch unreife binokulare Sensorik stellt sich offenbar sofort auf die neuen Abbildungsverhältnisse ein. Auch später klagen die Betroffenen nicht über die Lokalisationsstörungen, die der erworbene Strabismus bei normaler Sensorik verursacht. Im Unterschied zu einem später erworbenen Strabismus führt eine prismatische oder operative Korrektur der Abweichung auch nicht zum „Einschnappen“ der normalen Binokularität. Der Strabismus hat demnach das interokulare Programm grundsätzlich verändert. Die Art dieser sensorischen Anpassung an das „kongenitale“ (d. h. Schielbeginn in den ersten 6 Monaten) oder frühkindliche Schielen beschäftigt die Psychophysik seit langem. Die Untersuchungen standen dabei vor einem prinzipiellen methodischen Dilemma, denn zur Ermittlung des Anteils des rechten und des linken Auges an der beidäugigen Wahrnehmung muss zumindest ein Teil
219
der monokularen Bilder als rechts- oder linksäugiger Reiz erkennbar sein und markiert werden. Damit wird die Sehsituation aber unnatürlich, denn normalerweise ist das Bild eines Objekts für beide Augen weitgehend gleich. Eine Änderung der Sehbedingungen kann das Untersuchungsergebnis verfälschen, so dass auf die Anpassungsvorgänge an die natürlichen Sehbedingungen indirekt geschlossen werden muss. Die folgende Darstellung wird sich auf die rein binokularen Anomalien beschränken und die Schielamblyopie ausklammern, zumal sie die Binokularität nur quantitativ, aber nicht prinzipiell beeinflusst.
2.5.3 Aufbau des binokularen Gesichtsfelds bei frühkindlichem Strabismus Befunde unter weitgehend natürlichen Sehbedingungen Hält man einem Patienten mit frühkindlichem Strabismus und einem Schielwinkel von mehr als 10 Grad einen Graufilter oder das Glas einer Sonnenbrille vor das fixierende Auge, so verdunkelt sich eine gleichmäßig ausgeleuchtete Fläche nur partiell: ● in der Gesichtsfeldmitte und ● in dem der Schielrichtung des abgewichenen Auges entgegengesetzten Teil des binokularen Gesichtsfelds. Wenn der Filter – ohne Wechsel der Fixation – vor das abgewichene Auge gehalten wird, tritt eine Abdunkelung nur im zuvor hell gebliebenen Gesichtsfeldanteil auf (▶ Abb. 2.92a, b). Bei Normalpersonen würde der einseitige Filter das gesamte binokulare Gesichtsfeld durch fusionelle Mi-
schung der monokularen Reize verdunkeln. Frühkindlich Schielende mit großer Abweichung teilen demnach das binokulare Gesichtsfeld im Wesentlichen in eine Dominanzzone für das rechte und für das linke Auge [30], [62]. Die Grenze zwischen beiden Bereichen verläuft bei seitengleicher Sehschärfe etwa durch die Mitte der Verbindungslinie beider Gesichtsfeldzentren. Amblyopie verkleinert die Dominanzzone des betroffenen Auges im Ausmaß der Visusreduktion. Konvergent und divergent Schielende zeigen dabei keine prinzipiellen Unterschiede. Verwendet man zur Untersuchung des Gesichtsfeldaufbaus Schweiftestgläser nach Bagolini in perimetrischer Technik (▶ Abb. 2.93) oder wettstreitauslösende haploskopische Muster, wird bei großen Schielwinkeln nur das Halbbild desjenigen Auges wahrgenommen, das im geprüften Areal dominant ist. Simultansehen oder ein alternierender Wechsel zwischen links- und rechtsäugigen Reizen findet nur im Grenzbereich der Dominanzzonen statt [31]. Neuere Untersuchungen mit dichoptischer Reizpräsentation und höherer örtlicher Auflösung zeigen, dass diese Dominanzzonen nicht homogen sein müssen, sondern fleckige Bereiche mit wechselnder Dominanz besitzen können [21]. Bei Blick auf eine natürliche Szenerie erscheinen deshalb Objekte, die sich auf der Netzhautmitte des abgewichenen Auges abbilden, nicht mehr so deutlich, wenn man das abgewichene Auge okkludiert, da das entsprechende Bild dann mit einer peripheren Netzhautstelle des fixierenden Auges wahrgenommen wird. Der seit früher Kindheit Schielende nimmt also den Teil der Umwelt, der in der Dominanzzone des abgewichenen Auges liegt – und das gilt vor allem für Objekte in dessen Gesichtsfeldzentrum –, mit dem abgewichenen und nicht mit dem führenden Auge wahr. Dieser Teil der Umwelt, den der Patient mit dem abgewichenen Auge wahrnimmt, erscheint für ihn aber nicht
Ausschnitt der fixierten Fläche Graufilter
Graufilter LA
RA Fʼ
LA
RA Fʼ
F
F
binokulare a
Wahrnehmung b
Abb. 2.92 Schematische Darstellung der Dominanzareale im binokularen Gesichtsfeld bei Strabismus mit anomaler Korrespondenz. a Das rechte Auge fixiert einen Punkt auf einer homogenen hellen Fläche. Das Gesichtsfeldzentrum des linken Auges ist durch die Esotropie nach rechts verlagert. Ein schwacher Graufilter vor dem fixierenden Auge verdunkelt die dargebotene Fläche nur in dessen Dominanzareal. b Der hell gebliebene Teil der Fläche erscheint erst dunkler, wenn der Filter vor das schielende Auge gehalten wird. Die Grenze zwischen beiden Arealen verläuft zwischen den Gesichtsfeldmitten und ist bei Amblyopie in Richtung der Schielabweichung verschoben.
220
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Störungen
2.5 Binokulare Sensorik
binokulare Wahrnehmung
Fixierpunkt
bewegtes Testlicht
2
SchweiftestGläser
Cover abgewichenes Auge
Abb. 2.93 Kampimetrische Untersuchung des Binokularsehens mit Schweiftestgläsern. Schematische Darstellung bei einer Exotropie des rechten Auges mit anomaler Korrespondenz. Beide Augen blicken durch Schweiftestgläser. Das Schweiftestglas vor dem linken Auge zeigt Rillen bei 45°, der Proband sieht den Schweif bei 135°. Am rechten Auge stellt es sich umgekehrt dar. Das linke Auge fixiert in Primärposition. Der Prüfreiz besteht in einer umschriebenen Lichtquelle, die im horizontalen Gesichtsfeldmeridian bewegt wird. Binokulare Wahrnehmung: Im Bereich der monokularen Gesichtsfeldmitten wird das Partnerauge supprimiert, im Grenzbereich dazwischen ist Simultansehen mit Wahrnehmung beider Lichtschweife möglich.
im Sinne der normalen Netzhautkorrespondenz um den Schielwinkel verschoben, sondern „an ihrem wahren Orte“ [24], wo er auch vom führenden Auge monokular lokalisiert wird. Die Raumwerte der sensorisch dominanten Netzhaut des schielenden Auges entsprechen demnach unter binokularen Bedingungen der abbildungsgleichen Netzhaut des fixierenden Auges und kompensieren somit die motorische Fehlstellung. Für eine solche anomale, also regelwidrige „Sehrichtungsgemeinschaft“ [72] hat sich der Begriff anomale retinale Korrespondenz (ARK oder englisch ARC) durchgesetzt (siehe Kap. 3).
Merke
H ●
Wenn die anomale Lokalisation einer Netzhautstelle des abgewichenen Auges die motorische Abweichung vollständig kompensiert, spricht man von harmonisch anomaler Korrespondenz, in allen anderen Fällen der anomalen Lokalisation von disharmonisch anomaler Korrespondenz. Die anguläre Verschiebung des Raumwerts wird als Anomaliewinkel bezeichnet und in Grad angegeben. Bei harmonisch anomaler Korrespondenz ist der Anomaliewinkel so groß wie der objektiv gemessene Schielwinkel.
F abgewichenes Auge
F fixierendes Auge
Abb. 2.94 „Ring-Test“ zur Bestimmung der Lokalisation der Netzhautmitte des abgewichenen Auges. Während das führende Auge geradeaus fixiert, wird durch den einseitigen Abdecktest im freien Raum das Objekt ermittelt, das sich auf die Fovea des schielenden Auges projiziert (an der Harms-Wand geeigneterweise der grüne projizierbare Ring). Der Patient nimmt diesen Ring bei Abdeckung des schielenden Auges im peripheren linken Gesichtsfeld undeutlich wahr und kann ihn lokalisieren. Nach Aufdecken des schielenden Auges wird die Wahrnehmung des Ringes trotz beibehaltener Fixation deutlicher. Unter wiederholtem Ab- und Aufdecken des schielenden Auges wird ermittelt, wo der Patient den „deutlichen“ und wo den „undeutlichen“ Ring in Bezug zum fixierten Objekt lokalisiert. Bei frühkindlicher Eso- oder Exotropie werden beide Ringe im Sinne harmonisch anomaler Korrespondenz am selben Ort wahrgenommen.
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fixierendes Auge
Aufgrund der Dominanz der Fovea des abgewichenen Auges lässt sich deren Lokalisation unter binokularen Bedingungen auch ohne Dissoziation vom Betroffenen selbst beobachten [71] oder mit einem einfachen Test bestimmen [35] (▶ Abb. 2.94). Die beschriebenen Untersuchungen zum Aufbau des binokularen Gesichtsfelds frühkindlich Schielender mit großer Abweichung zeigen zwei miteinander gekoppelte sensorische Anpassungsvorgänge, die eine weitgehend normale Orientierung ohne Diplopie ermöglichen: ● regionäre Suppression mit Aufteilung des binokularen Gesichtsfelds in eine rechts- und linksäugige Dominanzzone ● harmonisch-anomale Korrespondenz im dominanten Gesichtsfeldanteil des abgewichenen Auges Dabei ist das schielende Auge dort dominant, wo die abbildungsgleiche Netzhaut des führenden Auges ein geringeres Auflösungsvermögen besitzt (▶ Abb. 2.95a, b).
221
Störungen
135
120
105
90
75
60
45
135
150
30
120
105
90
75
60
45
V/4e
150
30
V/4e I/3e
165 I/2e
15
I/2e
165
I/2e
I/1e
180
0
I/1e
180
0
20
20 30
30 40
195
15
345
50
40
195
345
50
60
60 70
70 80
210
330
80
210
330 90
225
315 240
300 255
a
225
270
315 300
240
285
255
b
270
285
Gesichtsfeldzentrum fixierendes Auge
fixierendes Auge dominiert 30°
20°
10°
Gesichtsfeldzentrum schielendes Auge
schielendes Auge dominiert 0°
10°
Die Grenze zwischen beiden Dominanzarealen liegt ziemlich genau zwischen beiden Gesichtsfeldzentren, ist aber bei Amblyopie zum Zentrum des amblyopen Auges verschoben. Der Suppressionsmechanismus läuft über eine Interaktion abbildungsgleicher, beim Strabismus also anomal-korrespondierender, Netzhautstellen ab.
222
Abb. 2.96 Schematische Darstellung der Lichtunterschiedsempfindlichkeit im horizontalen Meridian bei einer alternierenden Heterotropie von 20°. Die blinden Flecke sind zur Vereinfachung weggelassen. Die durchgezogene Kurve wurde mit einem binokularen Reiz, die gestrichelte mit einem haploskopischen Reiz im horizontalen Meridian gewonnen. Die Dominanz ergibt sich aus der höheren Empfindlichkeit am jeweiligen Gesichtsfeldort.
20°
30°
Mit Schweiftestgläsern sind die Aufteilung des binokularen Gesichtsfelds und die regionäre Suppression gut nachweisbar (▶ Abb. 2.93). Dabei zeigt sich in vielen, meist esotropen Fällen Simultansehen zwischen den beiden monokularen Gesichtsfeldzentren [31], also dort, wo die abbildungsgleichen Netzhautstellen gleiches Auflösungsvermögen besitzen (▶ Abb. 2.96).
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Lichtunterschiedsempfindlichkeit
Abb. 2.95 Binokulare Isopteren am Goldmann-Perimeter. Im Bereich der Gesichtsfeldmitte des jeweils abgewichenen Auges besteht eine zweite Insel mit höherem Auflösungsvermögen. Die gestrichelten monokularen Isopteren des fixierenden Auges sind bei binokularer Reizdarbietung nach außen erweitert (Pfeile). a Bei Exotropie des linken Auges von ca. 30° (Visus RA cc 1,3, LA cc 1,0). b Bei Esotropie des rechten Auges von ca. 25° (Visus RA cc 0,8, LA cc 1,0).
M ●
Beim frühkindlichen Strabismus mit großem Schielwinkel ist das Auflösungsvermögen der abbildungsgleichen Stellen beider Augen sehr unterschiedlich. Hier ist das binokulare Gesichtsfeld in eine Dominanzzone für das rechte und für das linke Auge geteilt. Die Grenze zwischen beiden Dominanzarealen liegt bei alternierendem Strabismus etwa zwischen den beiden Gesichtsfeldzentren und ist bei Amblyopie zum Zentrum des amblyopen Auges verschoben. Harmonisch-anomale Korrespondenz besteht im dominanten Gesichtsfeldanteil des abgewichenen Auges, wo die Netzhaut des führenden Auges ein geringeres Auflösungsvermögen besitzt als die des abgewichenen. In den übrigen Bereichen herrscht Suppression.
Bei kleinen Schielwinkeln ist der Unterschied des Auflösungsvermögens der abbildungsgleichen Netzhautstellen außerhalb des Fixierpunktareals nur gering, und die retinale Bildverschiebung kommt in einen Disparitätsbereich, in dem noch Stereopsis nachweisbar ist. In diesen Fällen ergibt sich die großflächige Aufteilung in 2 Dominanzareale, und es lässt sich bei höherer Reizintensität anomales Binokularsehen mit Schweiftestgläsern [9] oder sogar Stereopsis nachweisen [50], [54] (Mikrostrabismus, siehe Kap. 2.3.5). Dabei wird ein Konturentest eher als ein Random-Dot-Stereogramm erkannt und eine sich ändernde Querdisparität (Bewegungsstereopsis/Motion in Depth) eher als ein statischer Stereoreiz [51], [63]. Es wird deshalb angenommen, dass die Bewegungsstereopsis über andere Neurone vermittelt wird als die statische Stereopsis [47]. Bei kleinen konvergenten Schielwinkeln ist sogar der Aufbau eines anomalen sensomotorischen Regelkreises möglich, der die motorische Abweichung stabilisiert – nach prismatischer Korrektur des Schielwinkels stellt sich die primäre Abweichung wieder ein. Ein solcher Prismenadaptationstest oder Prismentrageversuch löst in diesen Fällen „anomale (Fusions-)Bewegungen“ aus [4], die selbst bei prismatisch induzierter Exophorie den primären konvergenten Strabismus aufrechterhalten. Die Vergrößerung des Schielwinkels beim Prismenadaptationstest kann aber nicht ohne Einschränkung als Korrespondenztest verwendet werden, da sie auch bei normosensorischer Esotropie auftritt [58]. Prismen mit Basis innen oder mit vertikaler Wirkung lösen zum Teil auch anomale Fusionsbewegungen aus [8].
Zusammenfassung
M ●
Beim frühkindlichen Strabismus mit kleinem Schielwinkel kann es zur Ausbildung großflächiger Bereiche mit anomalem Binokularsehen – bis hin zu Stereosehen und Fusion – zur Aufrechterhaltung dieses anomalen Binokularsehens kommen.
2
Weitere Parameter für eine anomale Binokularität bei Strabismus sind die binokulare Summation (einfache Reaktionszeit [33], Pupillenlichtreflex [64], Gittersehschärfe [63]) und die interokulare Übertragung von Nacheffekten [2], [37], [48], die allerdings oft nur partiell und nur regionär im binokularen Gesichtsfeld nachweisbar ist [61]. Objektivierbar ist die anomale sensorische Fusion durch die Ableitung kortikaler Potenziale bei haploskopischer Darbietung dynamischer Random-Dot-Korrelogramme (siehe Kap. 3). Mit dieser Methode konnte auch bei Kleinkindern und Säuglingen mit frühkindlicher Esotropie nach weitgehendem operativen und prismatischen Ausgleich des Schielwinkels von ± 5 cm/m bei einem hohen Prozentsatz eine reizkorrelierte Antwort abgeleitet werden [22], [77].
Befunde bei haploskopischer Trennung der Bilder beider Augen
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Zusammenfassung
2.5 Binokulare Sensorik
Die Mitwirkung des schielenden Auges in dem Teil des binokularen Gesichtsfelds, in dem es nicht dominant ist, lässt sich ohne künstliche Markierung der monokularen Halbbilder nicht beurteilen. Die Verfahren zur Prüfung der Netzhautkorrespondenz (Kap. 3.2.7) und der Suppression (Kap. 3.2.7) machen aus diesem Grund die Bilder für beide Augen unterschiedlich, damit eindeutig ermittelt werden kann, ob und wo ein nur dem schielenden Auge dargebotener Reiz wahrgenommen wird. Die Unterschiedlichkeit der Bilder beider Augen entspricht aber nicht den natürlichen Abbildungsverhältnissen, an die sich die anomale Sensorik angepasst hat. So ist es nicht verwunderlich, dass bei derselben Person mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden (also unterschiedlichen Abbildungsverhältnissen) unterschiedliche Befunde erhoben werden. Je nach Art und Ausmaß der Dissoziation, d. h. der Bildtrennung zwischen beiden Augen, sind normale und anomale Korrespondenz, verschiedene Anomaliewinkel und unterschiedliche Suppressionszonen bei derselben Person möglich. Die wohl primär angelegte normale Netzhautkorrespondenz und die Suppression werden dabei häufiger unter unnatürlichen Sehbedingungen gefunden, eine harmonisch-anomale Korrespondenz jedoch vor allem bei geringer oder fehlender Bildtrennung (▶ Tab. 2.19, ▶ Tab. 2.20).
223
Störungen
Bildtrennung
Untersuchungsmethode/-gerät
Prismen
Vertikalprisma („Graefe-Prisma“)
Trennwände mit Prismen oder Linsen
Handstereoskop
Spiegel
Synoptophor/-meter
Zylindergläser
Maddox-Zylinder
Zylinderraster
● ●
Lang-Test I und II Deka-Test
Streifengläser
Lichtschweiftest
Farbfilter
● ● ● ● ●
Polarisationsfilter
● ● ● ●
Hellrotglas Dunkelrotglas Worth-Test Schober-Test TNO-Test Polarisationshaploskop Polatest-Sehprüfgerät Titmus-Test Stereopolarisationstest nach Kaufmann und Dannheim
Sektorenscheiben
Phasendifferenzhaploskop
Elektronik
LCS-Systeme*
* LCS = Liquid Crystal Shutter
Tab. 2.20 Dissoziation des Binokularsehens bei verschiedenen Untersuchungsmethoden. Dissoziationsgrad
Untersuchungsmethode
Kein
● ● ● ●
Sehr gering
● ● ●
Gering
● ● ● ●
Mittel
● ● ● ●
Mittelstark
● ● ●
Stark
● ● ● ●
224
Treffversuch Stereotest nach Kolling Horopterapparate Frisby-Test Prismenausgleich Lichtschweiftest Lang- und Deka-Test Polarisationsfilterverfahren Phasendifferenzhaploskop Deviometer Graefe-Prisma negative Nachbilder im Raum TNO-Test Schober-Test Worth-Test Synoptometer Synoptophor Handstereoskop Dunkelrotglas Maddox-Zylinder Haidinger-Büschel positive Nachbilder
Merke
H ●
Unterschiedliche Untersuchungsmethoden des Binokularsehens ergeben unterschiedliche Befunde. Je mehr eine Untersuchungsmethode natürlichen Sehbedingungen ähnelt, umso eher findet man eine harmonischanomale Korrespondenz. Je unnatürlicher eine Untersuchungsmethode ist, umso häufiger lässt sich eine normale oder eine disharmonisch-anomale Korrespondenz nachweisen.
Der Anpassungscharakter dieser sensorischen Anomalien zeigt sich aber auch unter Verwendung desselben Tests bei Änderung des Schielwinkels. So ist mit den wenig dissoziierenden Schweiftestgläsern eine harmonische Anpassung des Anomaliewinkels an blickrichtungsabhängige Schielwinkeländerungen wie bei einem A- oder V-Phänomen nachweisbar [29]. Die relative interokulare Lokalisation bei anomaler Korrespondenz wird deshalb als eine Punkt-zu-Area-Beziehung aufgefasst und nicht als die ziemlich enge Punkt-zu-Punkt-Beziehung, die bei normaler Korrespondenz vorhanden ist. Dementsprechend lassen sich bei kleineren Abweichungen mit einem modifizierten Horopterapparat erweiterte anomale PanumAreale nachweisen [3]. Selbst kurz nach einer operativen Verkleinerung des Schielwinkels stellen sich in der Regel eine wiederum harmonisch-anomale Korrespondenz und eine Verkleinerung der Suppressionsareale ein. Gerade diese Variabilität und Anpassungsfähigkeit charakterisiert die anomale binokulare Sensorik. Sie steht damit im Gegensatz zur normalen Binokularität mit ihrer fixierten Koppelung korrespondierender Netzhautstellen, auch unter gänzlich unnatürlichen Abbildungsbedingungen. Eine weitere Form der Anpassung findet sich bei der intermittierenden Exotropie (Synonym: Strabismus divergens intermittens), bei der in der Situation der Abweichung – wie bei stets manifestem Begleitschielen – Doppelbildfreiheit mit anomaler Netzhautkorrespondenz und regionaler Suppression vorliegen. Sobald die Abweichung jedoch kompensiert wird, erfolgt gleichzeitig mit der Normalisierung der Augenstellung eine Normalisierung der binokularen Sensorik, und es lässt sich meist uneingeschränkte Stereopsis nachweisen [25] (siehe Kap. 2.3.9). Trotz aller Variabilität zeigt die binokulare Sensorik beim frühkindlichen Schielen mit dissoziierenden Verfahren doch prinzipielle qualitative Unterschiede zum Normalen, die die Beobachtungen im freien Raum vervollständigen oder bestätigen. Im Fixierpunktareal besteht bei anomaler Korrespondenz eine Suppressionsbereitschaft des schielenden Auges. Verschiedene Autoren sprechen von einem umschriebenen Fixierpunktskotom, welches vor allem von der Schielrichtung abhängt [24], [27], [30], [69], [70], während andere Autoren [50], [54] eine eher geringe, dif-
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Tab. 2.19 Möglichkeiten der Bildtrennung.
2.5 Binokulare Sensorik Die Dominanz der zentralen Gesichtsfeldanteile des abgewichenen Auges bei frühkindlichen Eso- oder Exotropien bewirkt, dass neben dem Zentrum im binokularen Gesichtsfeld noch eine zweite Insel mit hohem Auflösungsvermögen besteht, die die Aufmerksamkeit vom fixierten Objekt abzieht [30]. Unser Gehirn ist aber nicht in der Lage, sich auf zwei verschiedene Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Für eine ungestörte Beschäftigung mit den fixierten Objekten muss der Betroffene daher die fovealen Bilder des abgewichenen Auges durch einen Mechanismus unterdrücken, der wahrscheinlich der Nichtbeachtung des Doppelbilds bei normaler Korrespondenz entspricht. Bei den meisten Schielenden stellt sich diese zusätzliche Form der Bildhemmung spontan ein. Einzelne Patienten mit größeren divergenten oder konvergenten Abweichungen klagen jedoch über eine störende Attraktivität der fovealen Bilder des schielenden Auges [49]. Die Verkleinerung des Schielwinkels beseitigt diese Beschwerden. Einzelne Exotrope empfinden die Erweiterung und Funktionsverbesserung des Gesichtsfelds zur Seite des abgewichenen Auges (sog. Panoramasehen [10]) als Vorteil. Bei homonymer Hemianopie zur Seite des abgewichenen Auges verkleinert eine frühkindliche Exotropie den Gesichtsfelddefekt in essenzieller Weise, wobei die anomale Korrespondenz eine Lokalisationsstörung verhindert [34]. Die Lokalisation der dominanten Netzhautstellen des schielenden Auges ist in der Regel harmonisch-anomal, die supprimierte Netzhaut desselben Auges lokalisiert häufig disharmonisch-anomal oder normal [30], [65]. Der Anomaliewinkel hängt damit auch davon ab, welche Netzhautstelle mit dem jeweiligen Test untersucht wird. Untersucht man z. B. Exotrope mit einem Projektionshaploskop, lokalisieren die Patienten nach Herzau das Bild des abgewichenen Auges im dominanten Gesichtsfeldareal an objektiv richtiger Stelle harmonischanomal. Aber der Teil des Bildes, der auf die supprimierte Netzhaut fällt, wird weit gekreuzt wahrgenommen, so dass ein großes, nur dem abgewichenen Auge dargebotenes Bild in 2 Teilen erkannt wird.
2
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fuse Suppression anstelle eines umschriebenen Skotoms beschreiben. Ein umschriebenes Skotom sei vielmehr ein „Artefakt“ durch die künstlichen Sehbedingungen bei Perimetrie mit ausschließlicher Reizdarbietung für das schielende Auge. Mehdorn vermutet, dass die reduzierte Stereopsis zu beiden Seiten des Fixierpunkts nicht durch verminderten Input des schielenden Auges, sondern vielmehr durch die parazentrale Abbildung des Objekts im nichtschielenden Auge verursacht sei [52]. Um künstliche visuelle Untersuchungsbedingungen zu vermeiden, führten Otto et al. 2009 bei Mikroesotropen eine „Stereoperimetrie“ beider Augen durch. Obwohl alle Mikroesotrope im Bereich der Fixation eine reduzierte Stereopsis zeigten, wies keine der Personen ein Fixationsskotom zwischen 2° nasal und 2° temporal auf. Die Autoren folgern, dass das schielende Auge mehr zum binokularen Sehen beiträgt als bisher angenommen. Patienten mit kleinwinkligen Esotropien nutzen demnach vor allem ihre harmonisch-anomale Korrespondenz und nicht Suppression, um Diplopie zu vermeiden [54]. Ob diese Form der diffusen Suppression auf großwinkligen Strabismus übertragbar ist, bleibt unklar. Von Bedeutung sind in jedem Fall auch die Reiz- und Darbietungsbedingungen. Bewegt man z. B. an einem Projektionshaploskop oder einem Synoptophor den nur dem abgewichenen Auge sichtbaren Prüfreiz von dessen Gesichtsfeldmitte zum Fixierpunkt, geben vor allem Esotrope an, dass sich der Reiz zunächst dem fixierten Bild nähere, dann aber plötzlich auf der anderen Seite erscheine, ohne das fixierte Bild erreicht zu haben. Dieses für den Synoptophorbefund als „Springen des Bildes“ (engl. Jump Suppression) bekannte Phänomen zeigt, dass ein unnatürlicher Reiz die Suppression der Wahrnehmung durchbrechen kann. Das Springen zeigt aber auch, dass am schielenden Auge eine regionäre Suppression von Raumwerten möglich ist, um das fixierende Auge vor störenden Einflüssen zu schützen und die Suppression zu stabilisieren [30]. Bei dieser Sonderform einer Hemmung wird der Reiz selbst nicht supprimiert. Durch die zentrifugale Raumwertverlagerung um den Fixierpunkt ist jedoch der Raumwert in diesem Bereich für das abgewichene Auge verlorengegangen. Der Gesichtsfeldbereich, der sich bei anomaler Korrespondenz auf der Fovea des schielenden Auges abbildet, wird am fixierenden Auge häufig gehemmt [27], [62]. Die Fovea des schielenden Auges zeigt keine ausgeprägte Hemmung und ist der abbildungsgleichen Netzhautstelle am fixierenden Auge funktionell deutlich überlegen, wenn nicht zusätzlich eine Amblyopie vorliegt. Dies betrifft zumindest die Sehschärfe [11], [71], die Lichtunterschiedsempfindlichkeit [30] und die Reaktionszeit [32]. Diese und andere Beobachtungen [57] zeigen, dass die Entstehung der Schielamblyopie nicht allein durch Suppression erklärt werden kann [36].
Diplopie bei anomaler binokularer Sensorik Suppression und anomale Korrespondenz ermöglichen in der oben beschriebenen Weise eine weitgehend ungestörte visuelle Orientierung trotz manifestem Strabismus. In einzelnen Fällen erweist sich diese sensorische Anpassung als nicht ausreichend flexibel oder nicht ausreichend stabil, und es kommt zu erworbener Diplopie. Das Doppelbild des schielenden Auges wird weniger eindringlich oder blasser [20] empfunden als bei normaler Sensorik.
225
Störungen
▶ Diplopie durch Änderung des Schielwinkels. Die Fähigkeit, Anomaliewinkel und Suppression an wechselnde Schielwinkel anzupassen, ist individuell sehr unterschiedlich und nimmt vor allem nach dem 5.–7. Lebensjahr [17] deutlich ab. Eine spontane oder postoperative Änderung der manifesten Abweichung, die das Bild des fixierten Objekts auf die dominanten Netzhautareale des schielenden Auges verlagert, wird dann bei fehlender sensorischer Anpassung an die neue Stellung nicht mehr unterdrückt und doppelt gesehen. Bleibt nach einer Verringerung des primären Winkels der Anomaliewinkel bestehen, kommt es zu „paradoxer Diplopie“ mit gekreuzter Doppelbildlage bei Konvergenz und ungekreuzter bei Divergenz. Die Prognose ist in diesen Fällen zunächst unsicher. Meist passiert aber doch in Tagen oder Wochen eine Anpassung an die neue Stellung [24], vor allem, wenn keine Überkorrektur in die andere Schielrichtung vorliegt. Möglich ist jedoch auch ein vollständiger Verlust der Suppressionsfähigkeit, so dass auch eine Wiederherstellung des ursprünglichen Schielwinkels die Diplopie nicht beseitigt. ▶ Diplopie durch Wechsel des Führungsauges. Durch eine Sehverschlechterung des ursprünglich führenden Auges kann ein Wechsel der Fixation zu dem bislang stets geführten Auge auftreten. Wenn für diese Situation kein sensorisch angepasstes Programm besteht, kommt es zur Fixationswechseldiplopie (Fixation Switch Diplopia) [7], [44]. ▶ Diplopie nach pleoptischer oder orthoptischer Behandlung. Die vor Doppelbildern schützende sensorische Anpassung beim frühkindlichen Strabismus kann durch eine – den normalen Sehbedingungen nicht entsprechende – visuelle Stimulation verlorengehen, wenn die sensitive Phase für das Binokularsehen schon weitgehend abgeschlossen ist. Da bei diesen Patienten in der Regel keine zentrale Fusionsfähigkeit besteht, kommt es zur Diplopie. Prinzipiell gefährdet sind Kinder älter als 4 Jahre, die wegen einer hochgradigen Amblyopie intensiv okkludiert werden. Mit dem Anstieg der Sehschärfe treten in diesen zum Glück seltenen Fällen binokulare Doppelbilder auf, meist im Sinne normaler oder mikroanomaler Netzhautkorrespondenz. Bei frühzeitigem Bemerken führt der Abbruch der Okklusion zum Rückgang der Diplopie, aber auch der Sehschärfe. Forcierte orthoptische Übungen an Geräten können ebenfalls zum Zusammenbruch einer schützenden anomalen Anpassung mit konsekutiver Diplopie führen. Da die erhoffte normale Fusionsfähigkeit nicht aufgebaut werden kann, hat man diese Behandlungsweise inzwischen verlassen.
226
▶ Spontaner Suppressionsverlust. Erworbene Diplopie kann bei frühkindlich Schielenden auch ohne erkennbare Änderung der Abbildungsverhältnisse oder der monokularen Funktion auftreten. Meist besteht in diesen Fällen eine Amblyopie, wobei deren Ausmaß offenbar keine Rolle spielt. Der Patient muss dann versuchen, die Störung durch Nichtbeachten des stets gut differenzierbaren Doppelbilds gering zu halten. Die Beobachtung des spontanen Suppressionsverlusts legt die Vermutung nahe, dass angeschuldigte Sehveränderungen oder therapeutische Maßnahmen in vielen Fällen den Zeitpunkt des Auftretens vorverlegen, die Diplopie aber nicht verursacht haben [20]. ▶ Horror fusionis. Eine Sonderform sensorisch bedingter Diplopie beschreibt der Begriff Horror fusionis, bei dem eine bifoveolare Fusion durch ständige Stellungsänderungen in horizontaler und vertikaler Richtung verhindert wird und das normal lokalisierte Doppelbild um das fixierte Bild herumtanzt. In der Regel handelt es sich um postoperative oder apparativ behandelte Fälle. Auch am Synoptophor oder dem Phasendifferenzhaploskop ist eine Superposition der Halbbilder nicht möglich [26], so dass der Eindruck entsteht, der Fusion werde aktiv ausgewichen [6], [17]. Nach de Decker besteht aber für den Patienten ein quälend empfundenes Fusionsstreben [20]. Gleichartige Symptome können auch durch eine Aniseikonie bedingt sein [6].
2.5.4 Neurophysiologie des Binokularsehens bei Strabismus Der Aufbau des visuellen Kortex der Säuger zeigt neben der Retinotopie (benachbarte Netzhautorte projizieren auf benachbarte kortikale Neurone) eine zur Kortexoberfläche senkrechte, streifenförmige Organisation nach funktionellen Kriterien wie Äugigkeit (okuläre Dominanzkolumnen), Konturorientierung und Farbempfindlichkeit (Kap. 1.4.10). Diese funktionelle Segregation ist bei Geburt noch nicht fixiert, sondern stabilisiert und entwickelt sich erst aus einem zunächst noch globalen Verschaltungsmuster der Afferenzen [41]. Die Ausprägung der Segregation wird bestimmt durch die Aktivität der jeweiligen afferenten visuellen Neurone, ist also abhängig von visueller Erfahrung. Dabei werden aus dem Pool der vorhandenen Synapsen diejenigen stabilisiert, die gleichzeitig aktiv sind, während die Verbindungen, die zeitlich unabhängige Neurone koppeln, geschwächt und abgebaut werden. Diese Regel betrifft im visuellen Kortex die transkortikalen [56] wie auch die intrakortikalen tangentialen Verbindungen zwischen rechts- und linksäugigen Dominanzkolumnen, die die monokularen Informationen in binokularen Neuronen koppeln und damit die sensorische Fusion ermöglichen. Normalerweise finden sich zwischen den Zentren der okulären Dominanzkolumnen zahlreiche tangentiale Verbindungen und
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Folgende Ursachen für Diplopie kommen bei anomaler binokularer Sensorik in Frage:
2.5 Binokulare Sensorik Deshalb können vor allem die tierexperimentellen Befunde an Primaten auf die Verhältnisse beim Menschen weitgehend übertragen werden [28], [74]. So wie bei Menschen mit kongenitalem Strabismus kein normales Binokularsehen erreicht werden kann, ließ sich auch bei Affen nach kurzfristiger, prismatisch erzeugter Esotropie im Alter von 3 Monaten kein beidäugiges Sehen mehr nachweisen. Auch 3 Jahre später war keine binokulare Summation und keine Stereopsis bei diesen Tieren zu ermitteln, obwohl die Augenstellung normal erschien [13]. Dementsprechend war die Zahl binokularer Neurone in V1 und V2 massiv herabgesetzt [14].
H ●
Merke
Tierexperimentelle Befunde stützen die klinische Erfahrung, dass bei frühkindlichem Schielen normales Binokularsehen kaum entstehen kann.
Die Reduktion binokularer kortikaler Neurone zugunsten monokularer erklärt die Unfähigkeit zur sensorischen Fusion Schielender. Dabei sind vor allem diejenigen Neurone betroffen, die bei simultaner Stimulation am rechten und linken Auge die stärkste Aktivität zeigen (binokular exzitatorische Neurone), während binokular hemmende Neurone proportional vermehrt auftreten [60], [67]. Mit der Cytochromoxidase-Technik, mit der sich die Stoffwechselaktivität kortikaler Neurone ermitteln lässt, konnten bei Makaken mit chirurgisch erzeugter Exotropie fixationsabhängige regionale Suppressionsareale nachgewiesen werden. Dabei wurde – wie bei den klinischen Befunden – auch das fixierende Auge in der nasalen Gesichtsfeldperipherie gehemmt [1], [38] (▶ Abb. 2.97a, b).
60
Zahl der Neurone
Zahl der Neurone
160
40
20
120
80
40
1 a
2
3
kontralateral
4
5
6
ipsilateral
7
1 b
2
3
kontralateral
2
4
5
6
7
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fast ausschließlich binokulare Neurone, denn Zellen benachbarter Dominanzkolumnen werden bei normaler Augenstellung von weitgehend identischen Netzhautarealen stimuliert und zeigen synchrone Aktivität. Bei manifestem Strabismus sind die Reize zwischen benachbarten Dominanzkolumnen jedoch inkohärent. Die Folge ist eine Rückbildung oder eine fehlende Ausbildung tangentialer Verbindungen zwischen Kolumnen unterschiedlicher Äugigkeit und damit eine massive Reduktion binokularer Neurone [1], [12], [41], [75] (▶ Abb. 2.97a, b). Die interkallosalen Verschaltungen, die die Binokularität im Bereich der vertikalen Mittellinie des Gesichtsfelds herstellen, sind in gleicher Weise betroffen. Verbindungen zwischen Kolumnen derselben Äugigkeit sind jedoch nicht vermindert. Die hier dargestellte Vorstellung über die durch den Strabismus verursachten Veränderungen des kortikalen Verschaltungsmusters beruht auf zahlreichen tierexperimentellen Befunden an Katzen [40], [45] und Primaten [1], [23], bei denen in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt ein Strabismus durch eine Augenmuskeloperation, durch Prismen [15] oder durch streng alternierende Okklusion [74] erzeugt wurde. Beim künstlich erzeugten Strabismus von Makaken sowie bei den wenigen natürlich esotropen Affen [73] können auch weitere beim frühkindlichen Strabismus des Menschen auftretende Störungen beobachtet werden: ● Nystagmus latens ● dissoziiertes Höhenschielen ● OKN-Asymmetrie ● Blickhalteschwäche in Abduktion ● Amblyopie ● Plastizität nur für die Dauer einer sensitiven Periode nach der Geburt
Abb. 2.97 Dominanzverteilung elektrophysiologisch abgeleiteter Neurone der Area striata der Katze. Die Art der Dominanz ist in 7 Gruppen aufgeteilt, wobei die Gruppen 1 und 7 rein monokulare, die Gruppe 4 symmetrisch-binokulare Zellen enthalten. Die Gruppen 3 und 2 sowie 5 und 6 enthalten Zellen mit in Pfeilrichtung zunehmender Dominanz. a Verteilung bei normalen erwachsenen Katzen. b Verteilung bei 3–12 Monate alten Katzen nach chirurgisch erzeugter Exotropie im Alter von ca. 9 Tagen. Die Exotropie hat im Vergleich zum normalen Tier zu einer massiven Reduktion binokularer Neurone (von ca. 80 % auf 20 %) bei gleichzeitigem Anstieg der monokularen Neurone von 20 % (normal) auf mehr als 60 % geführt (Datenquelle: [40]).
ipsilateral
227
FR
FL
wahrgenommen durch rechtes Auge wahrgenommen durch linkes Auge
°
64
Pe r
iph er ie
ri he r ip Pe
e 64°
ob er e 32
°
Me rid er
2
al
4°
an ridi Me ° 1°
er
l
linke Aria Striata
k
ka
r ti
r ti
ve
ve
un
er te r
rer
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ian
16 °
obe rer 1° 2 ver t ° 4° ikal 8° er
32 °
ian id er
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M
Suppression
M
er id
ian
a ve Fo
rechte Aria Striata
Diese in der Area striata erhobenen Befunde könnten das neuropysiologische Korrelat der psychophysisch ausgeprägten Suppression beim frühkindlichen Strabismus darstellen. Unklar bleibt dabei allerdings, wo und über welchen Mechanismus die im Gesichtsfeld begrenzten Hemmungsareale kontrolliert werden. Die primäre Sehrinde mit ihren relativ kleinen rezeptiven Feldern erscheint nicht als geeigneter Kandidat, Reize von Netzhautorten stark unterschiedlicher Exzentrizität zu verarbeiten. Man muss vielmehr annehmen, dass diese Regelung von extrastriären visuellen Arealen mit großen rezeptiven Feldern ausgeht und die in der Area striata ermittelte Suppression über rückläufige Verbindungen vermittelt wird [1], [39] (▶ Abb. 2.98). Eine entsprechende Verlagerung der Raumkoordinaten bei Katzen mit artefiziellem Strabismus konnte bisher in Area 17 [59] und 18 [19], [42] sowie in der lateralen suprasylvischen Area [66] gefunden werden.
228
Abb. 2.98 Schematische Darstellung fixationsabhängiger regionaler Suppressionsareale bei Makaken mit einer alternierenden Exotropie von 16°. Das rechte Auge fixiert ein zentrales Kreuz, das linke Auge weicht 16° auf der temporalen Netzhaut ab oder umgekehrt, wenn das linke Auge fixiert. In der Area striata zeigen dunkle und helle CO-Kolumnen (grün/grau oder violett/grau gefärbt) eine Suppression neuronaler Aktivität in okulären Dominanzkolumnen, die mit der peripheren temporalen (ipsilateral grauen) Netzhaut verbunden sind. Im zentralen Gesichtsfeld sind die Retinae beider Augen aktiv, so dass die CO-Färbung der okulären Dominanzkolumnen hier geprägt ist von einem Wechsel zwischen violetter und grüner Schattierung. Sie ist jedoch reduziert in den binokularen Verbindungen (dünne weiße Linien) der okulären Dominanzkolumnen, da hier keine Fusion besteht. Gepunktete Linien: nasale Isoptere, für jedes Auge getrennt. Violett: Information der Retina und des Gesichtsfelds des rechten Auges. Grün: Information der Retina und des Gesichtsfelds des linken Auges. Grau: fixationsabhängiges Suppressionsareal in der peripheren temporalen Retina.
Bei kleinen Schielwinkeln ist jedoch eine neuronale Koppelung abbildungsgleicher Netzhautstellen auch in der Area striata denkbar, denn die dort nachweisbaren tangentialen Verbindungen zwischen den okulären Dominanzkolumnen überbrücken im zentralen Gesichtsfeld beim normalen und beim schielenden Affen bis zu 2,5° [74], so dass bei Mikrotropie die normalen interokularen Verbindungen zur Ausbildung einer anomalen Korrespondenz genutzt werden könnten. Bei dieser Hypothese bilden lange tangentiale Verbindungen in der Area striata das neuronale Substrat für einen anomalen Horopter im Sinne der anomalen Korrespondenz. Die kurzen Verbindungen zwischen den okulären Dominanzkolumnen, die die normale Korrespondenz vermitteln, bilden sich durch die verschobene Abbildung am abgewichenen Auge zurück [53].
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Störungen
2.5 Binokulare Sensorik
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Störungen
Untersuchung des Binokularsehens
3.1
Einführung
232
3.2
Orientierende Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
232
3.3
Manifestes Begleitschielen
254
3.4
Symptomatisches latentes Begleitschielen (heterophoriebedingte Asthenopie)
268
Lähmungsschielen
272
3.5
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Kapitel 3
Binokularsehen
3 Untersuchung des Binokularsehens W. Rüssmann
In den bisherigen Auflagen des Strabismus wurde die Untersuchung der Motorik und der Sensorik gesondert beschrieben. Die Darstellung orientierte sich nicht an Krankheitsbildern, sondern an physiologischen, pathophysiologischen oder apparativen Gesichtspunkten. Abweichend davon wird nun gezeigt, wie man das Binokularsehen bei bestimmten Störungen am Patienten untersucht. Das entspricht der Darstellung in den von Wolfgang Straub begründeten „Augenärztlichen Untersuchungsmethoden“ [64]. In den hier vorliegenden Text wurden größere Teile dieses Werkes und kleinere der 4. Auflage des Strabismus [28], [58] übernommen. Vollständigkeit ist in diesem Beitrag nicht beabsichtigt. Auch die physiologischen Grundlagen werden nicht behandelt. Beides bieten andere Werke [17], [23], [34], [53], [59]. Die Untersuchung des Binokularsehens beginnt mit der Vermutung eines Schielens, einer Motilitätsstörung oder deren Folgen (Kopfzwangshaltung, Amblyopie). In Kap. 3.2 wird beschrieben, wie man eine vorläufige Diagnose stellt. Diese orientierende Untersuchung verwendet überwiegend einfache, krankheitsbilderübergreifende Methoden. Es folgen spezielle Untersuchungsmethoden für manifestes Begleitschielen (Kap. 3.3), für symptomatisches latentes Begleitschielen (heterophoriebedingte Asthenopie; Kap. 3.4) und für Lähmungsschielen (Kap. 3.5). Die Untersuchung des Nystagmus und der Blickstörungen wird in Kap. 4.3 behandelt. Das Konzept wurde gemeinsam mit Herbert Kaufmann entwickelt [64], [65]. Ihm danke ich für den anregenden Gedankenaustausch, für viele gemeinsame Projekte und für seine berufliche wie persönliche Freundschaft über fast ein halbes Jahrhundert.
3.2 Orientierende Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen 3.2.1 Einleitung Nach der Anamnese und deren Analyse umfasst die orientierende Untersuchung: ● Beurteilung der Kopfhaltung ● Beurteilung des Schielwinkels und der Binokularfunktionen ● Beurteilung der Augenstellung und -beweglichkeit in verschiedenen Blickrichtungen ● Prüfung von Fixation und Sehschärfe
232
3.2.2 Instrumente/Geräte und Durchführung Der Untersuchungsgang ist in ▶ Abb. 3.1 dargestellt.
3.2.3 Anamnese Fragen zur Vorgeschichte gelten vorrangig dem aktuellen Anlass für die Vorstellung: ● Welche Beschwerden führen Sie zu uns? Was ist Ihnen an Ihrem Kind aufgefallen? ● Seit wann bestehen diese Beschwerden bzw. Auffälligkeiten? ● Sind die Beschwerden bzw. Auffälligkeiten beständig oder veränderlich? Wodurch werden sie verändert? Fragen nach Vorerkrankungen, Voroperationen, extraokularen Beschwerden usw. gelten der Diagnostik des Grundleidens, sind aber für die Wahl des Untersuchungsgangs weniger wichtig. Die Antworten auf unsere Fragen und eventuell ergänzende spontane Äußerungen legen meist eine Verdachtsdiagnose nahe (▶ Tab. 3.1). Die Verdachtsdiagnose wird im nächsten Schritt mit einfachen Methoden überprüft. Es empfiehlt sich, in der Reihenfolge der folgenden Beschreibung vorzugehen. Sie beginnt mit mehr beobachtenden, die gewohnte Sehweise nicht oder wenig störenden Verfahren und geht über zu eingreifenderen Methoden, die das Binokularsehen mehr dissoziieren.
3.2.4 Beurteilung der Kopfhaltung Oft ist bereits beim Eintreten des Patienten zu erkennen, dass er eine Kopfhaltung bevorzugt, bei der die Augen nicht in der Primärposition stehen. In anderen Fällen wird dies erst bei vermehrten Anforderungen an das Sehvermögen deutlich. Zur Untersuchung der Kopfhaltung soll der Patient aufrecht stehen oder sitzen, ohne sich anzulehnen, und aus 5 m Entfernung für ihn gerade noch gut erkennbare Sehzeichen lesen, die in Augenhöhe projiziert werden (▶ Abb. 3.2). Die Abweichungen von der normalen Kopfhaltung beziehen sich auf 3 Hauptachsen: Der Kopf kann ● nach rechts oder links gedreht (Kopfdrehung, vertikale Achse), ● gehoben oder gesenkt (Kinnhebung, -senkung, horizontale Achse), ● zur rechten oder linken Schulter geneigt sein (Kopfneigung, sagittale Achse).
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3.1 Einführung
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
Verdacht auf Schielen oder Augenbewegungsstörungen Anamnese
Schielen seit Geburt/Kindheit
Verdachtsdiagnose
manifestes Begleitschielen
Asthenopie
Doppelbilder Zwangshaltung
Augenflackern Schwindel
Pathophorie
Lähmungsschielen dekomp. Obl.-Störung
Nystagmus Blickstörungen
Hornhautreflexbilder, Ab-/Aufdecktest in Hauptblickrichtung, Fixationsprüfung
in Zwangshaltung
meist normales BES Bestätigung
Heterotropie
Heterophorie
Lang I, II, Bagolini, Hellrot meist anomal
Lang I, II, Bagolini, Hellrot meist normal
3
weniger Nystagmus
entgegen Zwangshaltung
meist Diplopie
meist mehr Nystagmus
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Abb. 3.1 Ablaufplan der orientierenden Untersuchung (stark vereinfacht). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Tab. 3.1 Verdachtsdiagnosen bei der orientierenden Untersuchung von Augenbewegungsstörungen (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008). Verdachtsdiagnose
Symptome
Manifestes Begleitschielen
● ● ● ● ●
Pathophorie (symptomatisches latentes Begleitschielen)
● ● ● ● ● ● ● ● ●
Lähmungsschielen
● ● ● ●
Nystagmus und andere Blickstörungen
● ● ● ● ● ● ● ● ●
Schielen seit Geburt oder früher Kindheit meist ständig vorhandenes, seltener intermittierendes Schielen keine Bewegungseinschränkung keine oder eher wechselnde Kopfhaltungen keine Doppelbildwahrnehmung ziehende, drückende oder dumpfe Schmerzen im Bereich von Augenhöhle und Stirn Ermüdungsgefühl und Brennen in den Augen vermehrte Lichtempfindlichkeit mit zeitweiligem Zukneifen eines Auges oder Blinzeln Unlustgefühle Unschärfe Doppelbilder mangelnde Ausdauer bei Naharbeit oder beim Distanzwechsel sowie beim Lesen Schwindelgefühl beim Autofahren und in Menschenansammlungen zeitweilige Doppelbildwahrnehmung, vor allem bei Dunkelheit und bei Blick in die Ferne* akut aufgetretene Doppelbilder mit zunehmendem Abstand in bestimmten Blickrichtungen akut aufgetretene konstante Kopfzwangshaltung bei Kindern eventuell auch Kopfzwangshaltung seit Geburt plötzliches Zukneifen oder Zuhalten eines Auges angeborenes oder erworbenes „Augenzittern/-flackern“ gestörter Blickkontakt Bildunruhe Bildwackeln oder -tanzen Bildunschärfe Dreh- oder Schwankschwindel Liftgefühl Gang- und Standunsicherheit Fallneigung
* Diese Klagen – zusammenfassend auch als asthenopische Beschwerden (Asthenopie) bezeichnet – sind nicht pathognomonisch, sondern finden sich auch bei anderen Erkrankungen oder Anomalien des Sehorgans.
233
Binokularsehen
Oft sind die drei Komponenten gleichzeitig nachzuweisen. Eine Kopfdrehung kann am besten festgestellt werden, wenn der Untersucher hinter dem sitzenden Patienten steht und den Kopf von oben beobachtet. Eine Kinnsenkung oder -hebung wird beurteilt beim Blick von der Seite, indem die Verbindungslinie zwischen Stirn und Kinn mit einer Senkrechten verglichen wird, also z. B. mit den vertikalen Linien der Tangententafel oder einem Türoder Fensterrahmen. Am schwierigsten ist die Beurteilung einer Kopfneigung, da bei vielen Patienten weder die Augen exakt auf gleicher Höhe sind noch die Nase senkrecht angeordnet ist und deshalb oft eine Bezugslinie fehlt. Zur Messung kann man ein einfaches zirkelähnliches Instrument benutzen – den Strabofix (▶ Abb. 3.3). Für die Kopfdrehung steht der Untersucher hinter dem sitzenden Patienten und hält das Instrument über den Kopf des Patienten, während dieser in seiner Kopfzwangshaltung ein geradeaus vor ihm angebotenes Objekt fixiert. Der eine Arm des Zirkels wird auf das Fixierobjekt und der andere in Richtung der Kopfsagittale des Patienten ausgerichtet. An dem Strabofix kann dann der Winkel zwischen beiden abgelesen werden. Eine Kinnhebung oder -senkung wird bestimmt, indem das Gerät seitlich neben den Kopf des Patienten gehalten und die Kopfhaltung von seitwärts beurteilt wird. Zur Kopfneigungsmessung wird der Kopf von vorne betrachtet und seine Haltung mit einer Senkrechten im Raum verglichen. Weitere genauere Methoden zur Messung der Kopfhaltung werden später beschrieben (Kap. 3.5). Abweichungen von der normalen Kopfhaltung können konstant oder wechselhaft sein. Wird immer dieselbe Kopfhaltung eingenommen, spricht man von einer Kopf-
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Abb. 3.3 Vermessung der Kopfhaltung mit dem Strabofix. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
zwangshaltung, bei Vorherrschen einer Neigungskomponente auch von Torticollis (Schiefhals). Die gefundene Kopfhaltung kann durch Begleitschielen, Lähmungsschielen oder Nystagmus, aber auch durch eine falsche Brille oder eine nichtokuläre Ursache hervorgerufen worden sein: ● Patienten mit Lähmungsschielen können in ihrer Zwangshaltung das verbliebene Fusionsblickfeld oder das monokulare Blickfeld eines gelähmten Führungsauges besser nutzen. Bei Monoparesen (z. B. isolierte Trochlearis- oder Abduzensparese) weist die Nasenspitze des Patienten in die Hauptzugrichtung des gelähmten Muskels. Bei Paresen mehrerer Augenmuskeln (z. B. Okulomotoriusparese) weist die Nasenspitze in die Richtung, welche die beste Fusion ermöglicht. ● Bei Nystagmus wird mit der Zwangshaltung der Blickfeldbereich geringster Nystagmusintensität und bester Sehschärfe (Neutralzone) eingestellt. Die Nasenspitze des Patienten zeigt in die Richtung der größten Nystagmusintensität. ● Kopffehlhaltungen finden sich bei Begleitschielen mit Kreuzfixation oder mit (manifestem) Latenstyp-Nystagmus. ● Eine extraokulare (zervikale oder neurogene) Genese des Torticollis äußert sich in der Regel in einem stärkeren Widerstand gegen eine Änderung der Kopfhaltung. Deshalb ist zu untersuchen, ob in der bevorzugten Kopfhaltung ein Schielen vorliegt, binokulares Einfachsehen besteht und ob sich bei Aufgabe der Zwangshaltung und in der entgegengesetzten Kopfhaltung Schielwinkel, Sehschärfe oder Nystagmusintensität ändern (mehr hierzu siehe Kap. 3.2.9).
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Abb. 3.2 Untersuchung der Kopfhaltung. Der Patient sitzt aufrecht, ohne sich anzulehnen, und fixiert kleine Optotypen aus 5 m Entfernung. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
3.2.5 Beurteilung des Schielwinkels und der Binokularfunktionen Prüfung mit Lichtreflexbildern (Purkinje-Bildern) Die Prüfung mit Lichtreflexbildern (Purkinje-Bildern) dient der orientierenden Untersuchung auf manifestes Schielen.
Purkinje-Bilder Die Grenzflächen von Hornhaut und Linse erzeugen teils virtuelle, teils reelle Spiegelbilder geeigneter Lichtquellen (Fixierlicht, Optotypenfeld des Sehzeichenprojektors). Man unterscheidet (▶ Abb. 3.4a): ● virtuelles Spiegelbild an der Hornhautvorderfläche (1. Purkinje-Bild) ● virtuelles Spiegelbild an der Hornhautrückfläche (2. Purkinje-Bild) ● virtuelles Spiegelbild an der Linsenvorderfläche (3. Purkinje-Bild) ● reelles Spiegelbild an der Linsenrückfläche (4. Purkinje-Bild)
H ●
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Merke
3
Diagnostische Bedeutung haben nur das 1. Purkinje-Bild – kurz Hornhautreflexbild genannt – und das 4. Purkinje-Bild [13], [24], [25], [31], [37], [61]. 3 Lichtblitze führen zu jeweils einem Reflexbild (▶ Abb. 3.4b). Die Reflexbilder werden mit einem Computer vermessen und in den Schielwinkel umgerechnet.
Abb. 3.4 Purkinje-Spiegelbilder. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Lage der Purkinje-Spiegelbilder. b Fotografie des 1. und 4. Spiegelbilds (Quelle: R. Effert).
Die Hornhautreflexbilder werden zunächst in der bereits beschriebenen Untersuchungssituation beurteilt. Der Patient sitzt oder steht aufrecht, ohne sich anzulehnen, und fixiert geeignete Sehzeichen aus 5–6 m Entfernung in Augenhöhe. Das Sehzeichenumfeld (d. h. der projizierte Kreis) sollte so hell sein, dass es bei leicht abgedunkelter Raumbeleuchtung gut erkennbare Hornhautreflexbilder liefert. Der Untersucher beobachtet die Hornhautreflexbilder von unten, so dass die Blickrichtung des Patienten, Lichteinfallrichtung und seine Beobachtungsrichtung annähernd fluchten (▶ Abb. 3.5, ▶ Abb. 3.8).
Anders als beim Hirschberg-Test (▶ Abb. 3.6a–f, ▶ Abb. 3.7a–f) wird in den hier dargestellten Methoden der Reflexbildabstand vom Limbus (▶ Abb. 3.5, linke Seite) oder die Reflexbildverschiebung (▶ Abb. 3.5, rechte Seite) bei Führungswechsel ausgewertet. In beiden Fällen wird auf das Brillenglas des schielenden – hier linken – Auges ein Streifen selbstklebendes Millimeterband aufgebracht.
235
Abb. 3.5 Untersuchung der Hornhautreflexbilder bei Fernfixation [60], [61]. Darstellung der korrekten Beobachtungstechnik. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Befinden sich die Augen des Patienten in Orthotropie, so liegen die Reflexbilder in der Regel in beiden Augen symmetrisch zueinander und gegenüber der Hornhautmitte gering nach nasal verlagert (Winkel Kappa (S. 238)). Bei manifestem Schielen zeigt das schielende Auge eine Reflexbildverschiebung (▶ Abb. 3.6a–f). Diese Reflexbildverschiebung nimmt mit der Größe des Schielwinkels zu (▶ Abb. 3.7a–f). Sind die Hornhautreflexbilder so nicht zu erkennen, kann man bei sonst gleichen Bedingungen beide Augen des Patienten zusätzlich aus 50–60 cm Entfernung mit einer kleinen, nicht zu hellen Lichtquelle (Stablampe, Bonnoskop, Ophthalmoskop) von unten beleuchten und die Reflexbildlage – bei Horizontalschielen – aus dieser Richtung über die Lichtquelle hinweg beobachten.
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Merke
H ●
Die Lichtquelle muss dabei auf die Nasenwurzel des Patienten zielen und doch beide Augen zugleich beleuchten, weil sonst durch Parallaxe irreführende Reflexbildasymmetrien auftreten.
Darüber hinaus müssen Patientennase, Lichtquelle, Beobachterauge und Fixierobjekt von oben gesehen auf einer Linie liegen (▶ Abb. 3.8). Da der Abstand des Patienten zum Fixierobjekt (5 m) größer ist als der zum Untersucher (50–60 cm), sind unter diesen Bedingungen größere Reflexbilddezentrierungen selbst dann nicht auszuschließen, wenn sich die Augen des Patienten in Orthotropie befinden. Ablesung und Deutung der Befunde sind deshalb schwieriger als wenn sich – wie oben beschrieben – das Fixierobjekt in der Lichtquelle befindet, die das Reflexbild erzeugt.
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Binokularsehen
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
a
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Abb. 3.6 Hornhautreflexbildbefunde bei verschiedenen Schielformen und bei Parallaxe. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Bei Orthotropie liegen die Reflexbilder symmetrisch. b Fixiert der Patient nicht die Lichtquelle oder wird von der Seite beobachtet oder beleuchtet, ergeben sich parallaktische Verschiebungen, die die Auswertung erschweren. c Bei linksseitigem Innenschielen ist das Reflexbild des schielenden Auges nach außen verlagert. d Bei Außenschielen ist das Reflexbild des schielenden Auges nach innen verlagert. e Bei Höherschielen ist das Reflexbild des schielenden Auges nach unten verlagert. f Bei Tieferschielen ist das Reflexbild des schielenden Auges nach oben verlagert.
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Abb. 3.7 Hornhautreflexbilder bei verschiedenen Schielwinkeln. Die Dezentrierung des Hornhautreflexbilds wird geschätzt. Weiteres im Text. a Nasale Dezentrierung entsprechend etwa 25° Exotropie. b Nasale Dezentrierung entsprechend 10° Exotropie. c Keine Dezentrierung = Orthotropie. d Temporale Dezentrierung entsprechend etwa 15° Esotropie. e Temporale Dezentrierung entsprechend etwa 25° Esotropie. f Temporale Dezentrierung entsprechend etwa 50° Esotropie.
237
Binokularsehen
Merke
H ●
Ein Fixierlicht ohne zusätzliches Objekt ist wenig brauchbar, weil es die Akkommodation zu wenig anregt und damit zu diagnostischen Irrtümern Anlass geben kann. So kann ein Konvergenzexzess übersehen oder eine Nahexophorie als Exotropie vom Konvergenzschwächetyp fehlgedeutet werden.
Die Untersuchung der Hornhautreflexbilder bei Blick in die Nähe kann die Untersuchung bei Blick in die Ferne nicht ersetzen. Erst durch die Untersuchung in beiden Untersuchungsdistanzen können Unterschiede – sog. Fern-Nah-Inkomitanz – erkannt werden.
Merke
Bei der Deutung von Reflexbildasymmetrien ist der Winkel Kappa zu beachten.
Normalerweise liegen die Hornhautreflexbilder beidseits symmetrisch, wenn auch meist nicht exakt in Pupillenmitte. Diese physiologische Dezentrierung des Reflexbilds rührt daher, dass die Fovea gegenüber dem hinteren Augenpol meist etwas nach temporal, seltener nach nasal versetzt ist. Dadurch bilden Gesichtslinie (Verbindungslinie Foveola-Fixierobjekt) und die Pupillenachse (Verbindungslinie Hornhautscheitel-Pupillenzentrum) einen Winkel, der als Winkel Kappa (auch Winkel κ) bezeichnet wird (▶ Abb. 3.9a–d). Bei emmetropen Augen werden in der Regel positive Winkel Kappa von 3–4 Grad beobachtet. Größere Winkel Kappa können ein manifestes Schielen vortäuschen (Pseudostrabismus convergens bei negativem Winkel Kappa, Pseudostrabismus divergens bei positivem Winkel Kappa) oder eine vorhandene Heterotropie überdecken (z. B. Pseudoorthotropie bei Esotropie mit positivem Winkel Kappa infolge retrolentaler Fibroplasie). Beleuchtet und betrachtet man in der oben beschriebenen Weise ein fixierendes Auge allein, während man das andere abdeckt, dann kann man den Winkel Kappa aus der Lage des Hornhautreflexbilds schätzen. So kann nicht verfahren werden, wenn eine exzentrische Fixation vorliegt. Man kann sich bei exzentrischer Fixation damit helfen, den Winkel Kappa des nichtschielenden Auges zu bestimmen und diesen Wert auf das schielende Auge zu übertragen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Winkel Kappa beidseits etwa gleich ist.
Merke
Abb. 3.8 Untersuchung der Hornhautreflexbilder bei Nahfixation. Prüfung der Hornhautreflexbilder mit einem Fixierlicht (oben). Das Lämpchen wird so vor ein Auge gehalten, dass Beleuchtungs- und Beobachtungsstrahlengang möglichst angenähert sind (rechts unten) und mit diesem Auge der Lichtreflex auf der Hornhaut beobachtet wird (links unten). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
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Aus der Verlagerung des Hornhautreflexbilds des schielenden im Vergleich zum nichtschielenden Auge kann der Schielwinkel geschätzt werden. Hintergrund: Hirschberg [37] hatte errechnet, dass eine Verschiebung des Hornhautreflexbilds um 1 mm auf dem schielenden Auge einem objektiven Schielwinkel von 7° entspricht. Nach neueren Untersuchungen [7], [8], [9], [21], [60] trifft dieser Wert nicht zu: Bei Beurteilung der Hornhautreflexbilder ist pro 1 mm Reflexverlagerung mit einem Schielwinkel von 11–12° zu rechnen. Die Größe des Winkels Kappa muss bei einer quantitativen Auswertung der Reflexbildverlagerung berücksichtigt werden.
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Parallaxenfehler treten auch bei der Beurteilung von Fotografien auf, die Patienten zur Untersuchung mitbringen. Diese sind nur dann verwertbar, wenn der Abstand des Blitzlichts vom Objektiv sehr klein und bekannt ist. Deshalb sind Fotografien von einfachen Kameras und Mobiltelefonen meist aufschlussreicher als die von teuren Spiegelreflexkameras, bei denen der Abstand des Blitzlichts vom Objektiv größer ist. Verbreiteter, weil müheloser auszuwerten, ist die Untersuchung der Hornhautreflexbilder bei Nahblick (▶ Abb. 3.8). Dabei werden beide Augen aus einer Entfernung von 30–60 cm beleuchtet und beobachtet. Der Patient wird angehalten, die Lichtquelle oder besser ein ihr aufgesetztes oder darunter gehaltenes Objekt zu fixieren. Hierbei ist ein Gummibärchen bei der Untersuchung von Kindern besonders geeignet.
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
Abb. 3.10 Durchleuchtungstest nach Brückner bei linksseitiger Esotropie. Das unterschiedliche Pupillenleuchten und die Dezentrierung des linken Hornhautreflexbilds sind deutlich zu erkennen. Die Asymmetrie ist bei nicht erweiterten Pupillen leichter zu beurteilen, aber schlecht fotografisch zu dokumentieren.
3
Ab- und Aufdecktest
Beim Brückner-Test [2], [13], [31] wird neben den Hornhautreflexbildern auch das Pupillenleuchten ausgewertet. Der Test wird so ausgeführt: Der Untersucher beleuchtet mit einem Ophthalmoskop, das ein gut erkennbares Hornhautreflexbild erzeugt, beide Pupillen gleichzeitig aus einer Entfernung von 1–2 m und beobachtet durch das Ophthalmoskop zusätzlich zu den Hornhautreflexbildern die Farbe des Pupillenleuchtens. Besteht kein manifestes Schielen, liegen die Hornhautreflexbilder symmetrisch; die Pupillen zeigen ein seitengleiches graurotes Leuchten. Bei manifestem Schielen ist eine Asymmetrie der Hornhautreflexbilder sichtbar, wobei das Hornhautreflexbild des schielenden Auges entsprechend verlagert ist. Das Pupillenleuchten des schielenden Auges zeigt einen helleren Farbton als Ausdruck dafür, dass die umliegende Netzhaut mehr Licht reflektiert als die Fovea (▶ Abb. 3.10).
Einseitiger Abdecktest Der Patient sitzt wie oben beschrieben und fixiert ein bestimmtes Sehzeichen in 5 m Entfernung. Bei der Untersuchung der Hornhautreflexbilder hat sich eine Reflexbildverlagerung am linken Auge ergeben – ein Hinweis darauf, dass dieses Auge schielt. Nunmehr wird das mutmaßlich nichtschielende rechte Auge abgedeckt und der Patient gleichzeitig aufgefordert, weiterhin dieselbe Optotype anzusehen. Schielte das frei gebliebene linke Auge tatsächlich, muss es der Patient mit einer Einstellbewegung (Blicksprungbewegung) so ausrichten, dass die Optotype auf der gewöhnlich fixierenden Netzhautstelle dieses Auges abgebildet wird (▶ Abb. 3.11a–g).
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Abb. 3.9 Bedeutung des Winkels Kappa. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Die Foveola (F) liegt in der Regel nicht exakt am hinteren Augenpol und ist vielmehr meist nach temporal, seltener nach nasal verlagert. Die Gesichtslinie (F-0) bildet deshalb mit der Pupillenachse (A) einen Winkel Kappa. Dieser Winkel äußert sich in einer Dezentrierung des Hornhautreflexbilds (b–d: rechtes Auge). b Reflexbildverlagerung nach nasal: positiver Winkel Kappa bei nach temporal verlagerter Foveola. c Zentriertes Reflexbild: kein Winkel Kappa, Foveola am hinteren Augenpol). d Nach temporal verlagertes Reflexbild: negativer Winkel Kappa bei nach nasal verlagerter Foveola).
Mit dem Abdecktest können manifeste Schielwinkel erkannt oder ausgeschlossen werden, wenn bekannt ist, welche Netzhautstelle in beiden Augen zum Fixieren benutzt wird. Der Aufdecktest lässt erkennen, ob und wie schnell ein erst beim Abdecken aufgetretener oder auch dadurch vergrößerter Schielwinkel fusioniert werden kann.
H ●
Bewirkt das Abdecken eines Auges eine Einstellbewegung des anderen Auges, beweist das ein manifestes Schielen.
Bei Esotropie kommt das linke Auge von innen, bei Exotropie von außen, bei Hypertropie von oben, bei Hypotropie von unten (▶ Abb. 3.12a–f). Ist man bei der Beurteilung unsicher, wird das rechte Auge zunächst wieder aufgedeckt und der Test nach kurzer Pause wiederholt. Fehlt eine Einstellbewegung, muss man nach rechtsseitiger Heterotropie fahnden. Das rechte Auge wird dazu wieder freigegeben, das linke nach kurzer Pause abgedeckt, während man nun das rechte beobachtet.
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Binokularsehen
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Abb. 3.11 Einstellbewegungen bei zentraler und exzentrischer Fixation. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a In Orthotropie wird das Fixierobjekt in beiden Augen foveolar (F, F‘) abgebildet. b Bei linksseitigem Innenschielen wird das Fixierobjekt nur im rechten Auge foveolar (F) abgebildet, im linken Auge dagegen auf dem peripher nasal liegenden Netzhautort P. c Wird das rechte Auge abgedeckt, muss eine Fixationsaufnahmesakkade (Einstellbewegung) nach links erfolgen. d Diese Einstellbewegung führt zu einer foveolaren (in F‘) Abbildung des Fixierobjekts im linken Auge. e Bei exzentrischer Fixation tritt an die Stelle der Foveola des schielenden Auges (F‘) der nasal liegende Netzhautort E. f, g Die beim Abdecken des rechten Auges notwendige Fixationsaufnahmesakkade führt nur bis zur Abbildung des Fixierobjekts in E. Die Sakkade ist damit kleiner, als es dem objektiven Schielwinkel (der Abweichung der Gesichtslinien) entspricht.
Merke
H ●
Der Abdecktest lässt erkennen, dass bei beidseits offenen Augen die Gesichtslinie eines Auges nicht auf das Fixierobjekt gerichtet ist. Es handelt sich also um eine Prüfung der Augenstellung unter binokularen Bedingungen.
Der Abdecktest wird ergänzend auch in einer Entfernung von 0,3 oder 0,4 m durchgeführt, damit manifestes Schielen in der Nähe bei Orthotropie für die Ferne oder andere Fern-Nah-Inkomitanzen erkannt werden. Zur Anregung der Akkommodation sollten in der Nah-Distanz kleine Optotypen, Bilder auf geeigneten Fixierstäbchen oder auch ein Videoclip auf einem Smartphone betrachtet werden. Kinder in den ersten Lebensjahren reagieren manchmal mit ängstlicher Abwehr, wenn die Abdeckscheibe im üblichen Abstand (3–5 cm) vor das Auge gehalten wird. Bei ihnen sollte man mit einer Abdeckscheibe oder der Hand aus größerem Abstand abdecken. Ein geübter Untersucher kann beim Abdecktest noch ein manifestes Schielen bis zu 1° erkennen.
240
Einstellbewegungen beim einseitigen Abdecktest fehlen bei: ● Ortho- und Heterophorie ● Orthotropie ● hochgradiger Sehschwäche ● exzentrischer Fixation Eine Interpretation des Abdecktests ist daher unmöglich, wenn die monokular fixierende Netzhautstelle beider Augen unbekannt ist. Für den weiteren Ablauf der Untersuchung ist es allerdings rationeller, die ophthalmoskopische Fixationsprüfung (S. 179) nachzuholen, wenn die bisweilen dabei verursachte Blendung nicht mehr stören kann.
Aufdecktest Beim Wegziehen der Abdeckscheibe beobachtet man vorwiegend das freigegebene Auge. Es kann unbewegt bleiben, eine langsame Bewegung (Fusionsbewegung) machen oder eine schnelle Einstellbewegung (Fixationsaufnahmesakkade) zusammen mit dem anderen Auge ausführen, der sich noch eine Fusionsbewegung des anderen Auges anschließen kann (▶ Abb. 3.13a–f). Im letztgenannten Fall kann der Untersucher das Verhalten des anderen Auges besser erfassen, wenn er den Aufdecktest wiederholt und dabei gezielt auf das andere Auge achtet.
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3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
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Abb. 3.12 Einstellbewegungen bei verschiedenen Heterotropien. Bei rechtsseitigem Innenschielen (a) ist die Einstellbewegung bei Abdecken des linken Auges zum rechten Auge gerichtet (b), bei rechtsseitigem Außenschielen (c) zum linken Auge (d), bei rechtsseitigem Höherschielen (e) nach unten (f).
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Im Übrigen gilt, dass die Befunde des Aufdecktests nur unter Berücksichtigung des einseitigen Abdecktests und der Fixation bewertet werden können.
Ist beim Aufdecken eine Fusionsbewegung zu erkennen, dann liegt eine latente Abweichung des freigegebenen Auges vor. Bleibt das Auge unbewegt, besteht entweder keine latente Abweichung oder die Abweichung wird in der gegebenen Situation nicht fusioniert. Im zweiten Fall zeigt sich bei kurzem Abdecken des anderen Auges eine Einstellbewegung, die dem manifesten Schielwinkel entspricht.
Abb. 3.13 Fusions- und Einstellbewegungen beim Aufdecktest. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Steht das linke Auge nach Abdecken in Innenschielstellung, kann man beim Aufdecken Folgendes (b–f) sehen. b Langsame Fusionsbewegung des linken Auges von innen in die Primärposition (Esophorie oder linksseitiger Mikrostrabismus mit latenter Komponente). c Rasche Einstellbewegung beider Augen nach links... d ...gefolgt von einer langsamen Fusionsbewegung des rechten Auges von außen in die Primärposition (Esophorie mit Dominanz des linken Auges oder rechtsseitiger Mikrostrabismus mit latenter Komponente). e Keine Bewegung (linksseitige oder alternierende Esotropie). f Rasche Einstellbewegung beider Augen nach links (rechtsseitige, selten auch alternierende Esotropie).
Die Fusionsbewegung ist bei latenten Abweichungen im Sinne der Esophorie von innen nach außen gerichtet, bei latenten Abweichungen im Sinne der Exophorie von außen nach innen. Bei latentem Höher- oder Tieferschie-
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Binokularsehen
Alternierender (wechselseitiger) Abdecktest Beim alternierenden Abdecktest werden beide Augen mehrmals abwechselnd abgedeckt, ohne dass die Möglichkeit zur Fusion besteht. Während dieser Untersuchung kann ein Schielwinkel auftreten oder zunehmen, weil eine eventuell vorhandene Ausgleichsinnervation nachlässt. Der Schielwinkel nähert sich damit der fusionsfreien Ruhelage an. Die Winkelvergrößerung kann sowohl bei einer Heterophorie als auch bei Heterotropie eintreten. Beim alternierenden Abdecken werden sich auch Einstellbewegungen finden, wenn die bereits beschriebenen Bewegungsphänomene beim einseitigen Aufdecktest (Heterophorie) oder beim einseitigen Abdecktest (Heterotropie) nachgewiesen wurden. Der alternierende Abdecktest trägt insofern meist wenig zur Diagnose Heterophorie oder Heterotropie bei; er dient vielmehr zur Abschätzung der Winkelgröße. Diagnostisch hilfreich kann der alternierende Abdecktest bei sehr kleinen Schielwinkeln sein, die bisweilen damit erst erkennbar oder in anderen Fällen auch deutlicher werden.
242
3.2.6 Beobachtung spontaner periodischer Augenbewegungen Die orientierende Untersuchung der Kopfhaltung, die Prüfung der Hornhautreflexbilder sowie der Ab- und Aufdecktest bieten Gelegenheit, auf spontane periodische Augenbewegungen wie Pendel-, Rucknystagmus u. a. (siehe Kap. 4.3) zu achten. Beim Rucknystagmus unterscheidet man eine langsame und eine schnelle Phase, wobei die Schlagrichtung definitionsgemäß nach der Richtung der schnellen Phase benannt wird. Die Nystagmusintensität nimmt in der Regel bei Blick entgegen der Schlagrichtung (also in Richtung der langsamen Phase) ab – in manchen Fällen auch bei Blick in die Nähe – und wird stärker bei Blick in Schlagrichtung. Der Patient neigt dazu, seinen Kopf in die Schlagrichtung zu drehen. In der korrespondierenden Blickposition ist die geringste Nystagmusintensität zu erwarten. Diese bleibt nicht immer in derselben Blickrichtung, wandert vielmehr bei manchen Patienten periodisch von rechts nach links und zurück, wobei sich die Schlagrichtung ändert (periodisch alternierender Nystagmus). Die Patienten ändern ihre Kopfhaltung dementsprechend ebenfalls periodisch. Tritt der Rucknystagmus erst bei Abdecken eines Auges mit Schlagrichtung zum fixierenden Auge auf oder kehrt sich die Schlagrichtung eines bereits manifesten Nystagmus bei einem Wechsel des fixierenden Auges um, so liegt ein latenter Nystagmus oder Latenstyp-Nystagmus vor. Weiterhin sollte man schon in diesem Untersuchungsabschnitt erfassen, ob sich der Nystagmus an beiden Augen gleich oder unterschiedlich (dissoziierter Nystagmus) zeigt und ob Kopfwackeln vorliegt.
3.2.7 Binokulartests Mit den folgenden Binokulartests wird geprüft, ob in der bevorzugten Blickrichtung Binokularsehen besteht oder nicht, welche Qualität dies hat und wie vom Patienten ggf. wahrgenommene Doppelbilder lokalisiert werden. Die Angaben des Patienten bleiben unverständlich, wenn nicht folgende Begriffe klar sind: ● objektiver Winkel ● subjektiver Winkel ● Anomaliewinkel ● normale Korrespondenz ● anomale Korrespondenz Zur näheren Erläuterung dient ▶ Abb. 3.14a, b. Bei einem linksseitigen Innenschielen von 4° weicht die Gesichtslinie des schielenden linken Auges um 4° von der des fixierenden rechten Auges ab. Dieser Winkel zwischen den Gesichtslinien wird objektiver Winkel genannt. Bei normaler Korrespondenz nimmt der Patient ein Doppelbild in einem Abstand von 4° zum Fixierobjekt wahr
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len (Hyper- oder Hypophorie) finden sich entsprechend vertikal gerichtete Fusionsbewegungen. Abweichungen im Sinne der Zyklophorie können nur selten an rotatorischen Fusionsbewegungen erkannt werden. Fusionsbewegungen der beschriebenen Form finden sich nicht nur bei latentem Begleitschielen (Heterophorie), sondern auch bei Mikrostrabismus mit latenter Komponente [71]. Bei Heterophorie zeigen beide Augen foveolares Fixieren; es fehlen Einstellbewegungen beim einseitigen Abdecktest. Mikrostrabismus ist durch manifeste Einstellbewegungen beim einseitigen Abdecktest oder durch exzentrische Fixation gekennzeichnet. Bei Mikrostrabismus mit Identität der fixierenden und der korrespondierenden Netzhautstelle fehlen Einstellbewegungen. Dominiert bei einer latenten Abweichung das freigegebene Auge, kann man auch eine schnelle Einstellbewegung beider Augen beobachten, auf die eine Fusionsbewegung des nicht dominierenden, frei gebliebenen Auges folgt. Wie soeben ausgeführt, wird auch diese Reaktion nur dann sicher erkannt, wenn der Aufdecktest unter Beobachtung dieses Auges wiederholt wird. Eine regelmäßige schnelle Bewegung beider Augen beim Aufdecktest ist ein Zeichen für eine monolaterale Heterotropie, wobei das führende Auge verdeckt war. Auch dann können bei kleinem Schielwinkel zusätzlich Fusionsbewegungen am schielenden Auge beobachtet werden (Mikrostrabismus mit latenter Komponente [71]). Ausgenommen den Mikrostrabismus mit latenter Komponente, sind beim Aufdecken eines manifest schielenden Auges keine Bewegungen zu beobachten. Sie fehlen auch bei alternierender Heterotropie. Ebenso wie der Abdecktest muss auch der Aufdecktest bei Blick in die Nähe ausgeführt werden.
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
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b
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F F’ P 5
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(subjektiver Winkel). Objektiver und subjektiver Winkel sind hier gleich groß. Ihre Differenz – der Anomaliewinkel – ist 0. Bei den meisten Patienten mit einem Begleitschielen von 4° finden wir eine andere Situation vor. Die Patienten haben trotz eines objektiven Winkels von 4° binokulares Einfachsehen, weil sie das um den Schielwinkel verschobene Bild des schielenden Auges mit dem des nichtschielenden Auges verschmelzen (fusionieren) können. Sie haben eine harmonisch anomale Korrespondenz. Ihr subjektiver Winkel ist 0, der Anomaliewinkel ist ebenso groß wie der objektive. Andere Patienten mit Begleitschielen und größerem Schielwinkel zeigen zunächst Hemmung (Inhibition, Suppression) eines Auges. Bei der weiteren Untersuchung zeigt sich dann, dass der subjektive Winkel weder 0 ist noch dem objektiven Winkel entspricht. Dieser Befund
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P F’
F
Abb. 3.14 Objektiver Winkel, subjektiver Winkel und Anomaliewinkel bei rechtsseitigem Innenschielen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Konfusionsmethode: Bei normaler Korrespondenz (a1) wird das Fixierobjekt auf der nasal exzentrischen Netzhautstelle P des schielenden rechten Auges abgebildet. Diese Abbildung verursacht ein Doppelbild, das im Abstand des objektiven Winkels erscheint (a3). Bei harmonisch anomaler Korrespondenz (a2) können die Foveola des linken Auges F und die nasal exzentrische Netzhautstelle P des rechten Auges fusionieren (a5); der subjektive Winkel ist 0. Bei disharmonisch anomaler Korrespondenz (a4) ist der subjektive Winkel kleiner als der objektive Winkel, aber nicht 0. Der Anomaliewinkel ergibt sich als Differenz von objektivem und subjektivem Winkel. b Diplopiemethode: Bei normaler Korrespondenz führt die simultane Stimulation der Foveolae F und F‘ zu Überlagerung oder Fusion (b1), bei anomaler Korrespondenz zu (paradoxer) Diplopie (b2). Bei anomaler Korrespondenz lässt sich in der Regel im schielenden Auge eine periphere Netzhautstelle P nachweisen, die mit der Foveola des nichtschielenden Auges korrespondiert (a3) und umgekehrt.
F F’ P 3
wird auch als disharmonisch anomale Korrespondenz bezeichnet.
Lang-Test I und II Mit den Stereotests I und II nach Lang [51] kann man auf einfache Weise prüfen, ob für die Nähe Stereosehen existiert oder nicht. Die beiden Tests bestehen jeweils aus einer Testkarte (▶ Abb. 3.15a, b), bei der beiden Augen zwei verschiedene Bilder durch ein System feiner, vertikal parallel angeordneter Halbzylinder angeboten werden (Zylinderrasterverfahren nach Hess). Auf beiden Bildvorlagen gibt es eine Vielzahl schwarzer, zufallsverteilter Punkte auf hellem Grund (Random-Dot-Pattern nach Julesz [42]), wobei Teilmengen der Punkte Figuren (z. B. Katze, Stern, Auto im Lang-Stereotest I) darstellen und beide Halbbilder in
243
Binokularsehen
Abb. 3.15 Lang-Test I und II mit Testprinzip. Der Patient hat die Aufgabe, seine Beobachtungen (wahrgenommene Figuren, Tiefeneindruck) möglichst genau zu beschreiben. Kleine Kinder werden angehalten, nach den Testobjekten zu greifen. Als Kontrollparameter kann man die Richtung der Blicksprungbewegungen beobachten, mit denen die verschiedenen Objekte betrachtet werden. Wenn der Patient ein einzelnes Objekt fixiert, kann man auch mit dem einseitigen Abdecktest auf Einstellbewegungen prüfen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Lang-Test I. b Lang-Test II.
Merke
H ●
Bei der Untersuchung muss die Testkarte möglichst ruhig und parallel in 40 cm Abstand vor die Stirn des Patienten gehalten werden. Bei Kopfneigungen müssen die Karten so ausgerichtet werden, dass die vertikalen Kartenränder in Richtung der Gesichtsvertikalen liegen. Kopf- oder Kartenbewegungen können zu falschen Resultaten führen, weil die Testfiguren dann auch monokular erkannt werden können.
Merke
H ●
Abb. 3.16 Vorhalter für den Lichtschweiftest nach Bagolini. Bei schrägem Lichteinfall ist die feine Glasstreifung gut zu erkennen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Bei Stereosehen mit Einstellbewegungen beim Abdecktest liegt harmonisch anomale Netzhautkorrespondenz vor.
Lichtschweiftest nach Bagolini Für den Lichtschweiftest soll der Patient eine kleine Lichtquelle statt der Optotypen zunächst aus 5 m, danach auch aus 0,3–0,4 m Entfernung fixieren. Eine Vorlage (siehe ▶ Abb. 3.18a–j) hilft Kindern und Erwachsenen, ihre Wahrnehmung zu verdeutlichen. Hintergrund: Die Streifengläser nach Bagolini [4], [5] sind Plangläser mit einer feinen, dauerhaften Parallelstreifung (▶ Abb. 3.16). Betrachtet man durch ein Streifenglas eine punktförmige Lichtquelle, so scheint von dieser ein schmaler Lichtschweif auszugehen, der senkrecht zur Streifenrichtung des Glases verläuft (▶ Abb. 3.17).
244
Abb. 3.17 Seheindruck des rechten Auges beim Blick durch ein Lichtschweifglas nach Bagolini (Streifenrichtung des Glases nach TABO-Schema 135°).
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horizontaler Richtung eine systematische Abweichung (Disparation) aufweisen.
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
Hellrotglastest, Vertikalprisma, Dunkelrotglastest Für die Untersuchung mit dem Hellrotglas soll der Patient eine kleine Lichtquelle statt der Optotypen zunächst aus 5 m, danach auch aus 0,3–0,4 m Entfernung fixieren. Ein kleiner Laserpointer kann dem Patienten helfen, seine Wahrnehmung zu verdeutlichen. Der Patient fixiert eine Lichtquelle, während der Untersucher ein Hellrotglas vor das mutmaßlich schielende linke Auge hält. Die dadurch bewirkte Farbmarkierung des Seheindrucks des linken Auges stört (dissoziiert) das beidäugige Sehen mehr als der Streifenglasvorhalter nach Bagolini. Allerdings ist die Dissoziation noch so gering, dass sich latente Winkel (Heterophorien, latente Komponente eines Mikrostrabismus) in der Regel nicht manifestieren.
3
Abb. 3.18 Typische und ungewöhnliche Schweiftestbefunde in schematischer Darstellung. Die Befunde sind so dargestellt, wie der Patient sie sehen und aufzeichnen könnte. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Normales Schweifkreuz – kann bei normaler und bei harmonisch anomaler Korrespondenz angegeben werden. b Exklusion rechts. c Exklusion links. d Schweifkreuz mit zentraler Exklusion links. e Gekreuzte Diplopie (rechter Schweif nach links, linker nach rechts lokalisiert, entsprechend Außenschielen). f Wie e, aber mit Teilexklusion rechts. g Diplopie bei Höherschielen links (–VD). h Wie g, aber mit Teilexklusion rechts. i Lokalisation entsprechend Außenschielen (gekreuzt) und + VD mit Teilexklusion rechts. j Lokalisation entsprechend Innenschielen (ungekreuzt) und –VD mit Teilexklusion links.
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Man benutzt Streifengläser in Form eines Brillenvorhalters, wobei die Streifenrichtung nach dem TABOSchema beispielsweise wie folgt ausgerichtet ist: rechtes Glas 45°, linkes Glas 135°. Durch diesen Vorhalter sieht jedes Auge einen Lichtschweif verschiedener Richtung. In der angegebenen Anordnung läuft der Lichtschweif des rechten Auges von links oben nach rechts unten, der des linken Auges von rechts oben nach links unten. Die wesentliche Abweichung von den gewöhnlichen Sehbedingungen besteht darin, dass sich die konzentrierte Aufmerksamkeit des Patienten für eine gewisse Zeit auf eine punktförmige Lichtquelle richten muss, die schon durch die erforderliche Helligkeit eine unnatürliche Dominanz innerhalb des Gesichtsfelds besitzt. Da der Vorhalter Raumwahrnehmung und Sehschärfe kaum beeinträchtigt und nur in geringem Maß binokularen Wettstreit auslöst, bietet er eine überlegene Möglichkeit, den monokularen Seheindruck unter nahezu natürlichen Sehbedingungen zu markieren und dadurch zwischen Fusion, Diplopie und Suppression zu unterscheiden. Ein Rückschluss auf die vorliegende Korrespondenz ist möglich, wenn Augenstellung (Schielwinkel) und Fixation bekannt sind. Ist dies der Fall, gilt das Folgende (▶ Abb. 3.18a–j): ● Sieht der Patient ein Schweifkreuz, ohne dass der Untersucher Einstellbewegungen beim einseitigen Abdecktest erkennt, so liegt – beidseits foveolare Fixation vorausgesetzt – binokulares Einfachsehen mit normaler Korrespondenz vor. Besteht bei sonst identischem Befund exzentrische Fixation, handelt es sich um binokulares Einfachsehen bei Mikrostrabismus mit Identität. ● Sieht der Patient ein Schweifkreuz und sind Einstellbewegungen vorhanden, liegt binokulares Einfachsehen mit harmonisch anomaler Korrespondenz vor. ● Wird nur ein Lichtschweif wahrgenommen, exkludiert der Patient den Seheindruck eines Auges.
Mit dem Hellrotglas vor dem linken Auge kann der Patient folgende Angaben machen (▶ Abb. 3.19a–c, ▶ Abb. 3.20a–g): ● Das mit dem rechten Auge empfundene Fixierlicht und das vom linken Auge vermittelte rote Bild erscheinen einander überlagert, so dass es zu einer Farbmischung kommt. Es besteht binokulares Einfachsehen, das mit dem einseitigen Abdecktest näher analysiert wird. Der Patient wird aufgefordert, die Aufmerksamkeit zunächst auf das vom rechten Auge gesehene weiße Licht zu richten. Der Untersucher verdeckt das rechte Auge und achtet auf Einstellbewegungen des linken. Zur Kontrolle kann man die Aufmerksamkeit auf das rote Licht lenken und dann das linke Auge abdecken. Fehlen Einstellbewegungen, so besteht – beidseits foveolare Fixation vorausgesetzt – normale Sehrichtungsgemeinschaft (normale Korrespondenz). Macht der Patient Einstell-
245
●
a
a1
a2
b
●
b1
b2
b3
c1
c2
c3
c
Abb. 3.19 Sensorische Analyse mit Hellrotglas und Vertikalprisma. Augen aus Untersuchersicht, Doppelbildlokalisation aus Patientensicht dargestellt. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Ein Patient mit linksseitigem Innenschielen gibt keine Spontandiplopie an (a2). b Nach Vorhalten des Hellrotglases vor das linke Auge werden alternativ angegeben: b1 = ungekreuzte Diplopie (normale oder disharmonisch anomale Korrespondenz), b2 = Farbmischung (harmonisch anomale Korrespondenz), b3 = Exklusion. Bei b3 wird zusätzlich ein Vertikalprisma von 10 cm/ m mit der Basis oben vor das linke Auge gehalten. c c1 bzw. c2 sind – Meridiantreue der Korrespondenz vorausgesetzt – analog b1 bzw. b2 zu deuten. Bei c3 wird weiterhin exkludiert; eine Aussage über die Korrespondenz ist nicht möglich.
246
bewegungen oder findet sich eine exzentrische Fixation, liegt harmonisch anomale Korrespondenz vor. Der vom linken Auge vermittelte rote Lichtpunkt wird nicht wahrgenommen. Meist besteht in solchen Fällen ein Begleitschielen mit Exklusion. Zur weiteren Aufklärung kann der Untersucher ein Vertikalprisma mit der Wirkung 10 cm/m Basis oben vor das linke Auge halten. Dadurch wird das rote Bild der Lichtquelle auf der Netzhaut aus dem Exklusionsbereich nach oben verschoben. Ein Patient ohne Höhenschielen sieht in der Regel einen entsprechend weit nach unten verlagerten roten Lichtpunkt, der entweder lotrecht unter dem weißen Licht oder nach seitwärts versetzt erscheint. Wieder müssen der einseitige Abdecktest und das Ergebnis der Fixationsprüfung zur Erklärung herangezogen werden. Bei Patienten, die den roten Lichtpunkt lotrecht unter dem weißen lokalisieren, dabei neben vertikalen auch horizontale Einstellbewegungen machen oder exzentrisch fixieren, besteht eine harmonisch anomale Sehrichtungsgemeinschaft. Der vom linken Auge vermittelte rote Lichtpunkt erscheint als Doppelbild in beliebiger Richtung und mit beliebigem Abstand vom weißen getrennt (mit Laserpointer zeigen lassen!). Man spricht von ○ ungekreuzter (homonymer) Diplopie, wenn der rote Lichtpunkt vom linken Auge links des weißen gesehen wird. ○ gekreuzter (heteronymer) Diplopie, wenn der rote Lichtpunkt vom linken Auge rechts des weißen gesehen wird. ○ Diplopie im Sinne positiver Vertikaldivergenz (+ VD), wenn der rote Lichtpunkt vom linken Auge oberhalb des weißen gesehen wird. ○ Diplopie im Sinne negativer Vertikaldivergenz (–VD), wenn der rote Lichtpunkt vom linken Auge unterhalb des weißen gesehen wird.
Ob bei diesen Angaben normale oder anomale Korrespondenz vorliegt, ist bei beidseits foveolarer Fixation wie folgt zu klären: Vor das linke Auge (mit dem Hellrotglas) werden Prismen zunehmender Ablenkung mit der Basis zum roten Lichtpunkt vorgehalten, bis Farbmischung erreicht ist. Es empfiehlt sich, dabei vertikale und horizontale Komponenten gesondert auszugleichen. Anschließend wird mit dem einseitigen Abdecktest auf Einstellbewegungen geprüft. Fehlen Einstellbewegungen, liegt – bei beidseits fovealer Fixation – normale Korrespondenz vor, in allen anderen Fällen anomale. Bei normaler Korrespondenz bedeutet ● ungekreuzte Diplopie Innenschielen (Esodeviation), ● gekreuzte Diplopie Außenschielen (Exodeviation), ● Diplopie im Sinne der + VD Tieferschielen links (oder Höherschielen rechts), ● Diplopie im Sinne der –VD Höherschielen links (oder Tieferschielen rechts).
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Binokularsehen
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
3.2.8 Prüfung auf Zyklodeviation Merke
F’
F F’
a
P F’
F
b
PF F’
F
F’ P
FP F’
c 12
F’ P
12
F
F’ F
d P
e
F
f
P F’
F F’ P
P F’
F
g
F F’ P
Abb. 3.20 Hellrotglasbefunde bei normaler (a–e) und anomaler Korrespondenz (f, g). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Farbmischung bei Orthotropie. b Ungekreuzte Diplopie bei Innenschielen. c Gekreuzte Diplopie bei Außenschielen. d Diplopie im Sinne der –VD bei Tieferschielen links. e Diplopie im Sinne der Exzyklotropie rechts. f Paradoxe Diplopie bei Orthotropie. g Anomales Binokularsehen bei harmonisch anomaler Korrespondenz.
Dunkelrotglas Mit einer strichförmigen Lichtquelle (Tangententafel) können Zyklodeviationen daran erkannt werden, dass bei Vorhalten des Dunkelrotglases vor das linke Auge das rote Lichtband des linken Auges gegenüber dem weißen des rechten Auges verdreht erscheint. Analoge Befunde können erhoben werden, wenn man anstelle des Hellrotglases ein Dunkelrotglas anwendet. Während das Hellrotglas vor allem dazu dient, das Doppelbild des abgewichenen Auges zu markieren, besteht das Ziel des Dunkelrotglases darin, die Konfusion erkennbar zu machen. Im Unterschied zum Hellrotglas wird durch das Dunkelrotglas die Wahrnehmung des „Rotglasauges“ so sehr auf die Lichtquelle reduziert, dass sonst nichts binokular gesehen werden kann. Das Dunkelrotglas muss also so dunkel sein, dass dieses Auge nur das Fixierlicht sieht und deshalb gezwungen ist, mit diesem Auge zu fixieren. Aufgrund dieser vollständigen Dissoziation des Binokularsehens manifestiert sich mit dem Dunkelrotglas nicht nur jede manifeste Abweichung, sondern auch jede latente. Patienten mit Begleitschielen geben beim Dunkelrotglas häufiger Exklusion an. Bei normaler Korrespondenz (Heterophorie siehe Kap. 3.4, Lähmungsschielen siehe Kap. 3.5) kann mit dem Dunkelrotglas und der Tangententafel einfach und genau der objektive Schielwinkel gemessen werden. Bei Begleitschielen (siehe Kap. 3.3) ermöglicht das Dunkelrotglas vielseitige Varianten der Korrespondenzprüfung.
3
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F
H ●
Man muss stets auch nach einer Rotation der Augen um die Blicklinie suchen, wenn Patienten ● verkippte Doppelbilder angeben, ● über Veränderungen der Raumwahrnehmung (Kippung frontoparalleler Ebenen) in bestimmten Blickfeldbereichen klagen, ● an anderweitig unerklärbaren Asthenopien leiden, ● Kopfneigungshaltungen bevorzugen oder ● assoziierte Vertikaldeviationen zeigen. Ist davon nur ein Auge betroffen oder aber beide Augen mit unterschiedlichem Ausmaß oder verschiedenem Drehsinn, besteht eine Zyklotropie, d. h. ein Verrollungsschielen. Eine objektive Bestimmung der Zyklodeviation ist ophthalmoskopisch oder mit Fundusfotos möglich, wobei man die Lagebeziehungen von Makula und Papille beurteilt (▶ Abb. 3.21). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Verbindungslinie von der Papillenmitte zur Fovea centralis im Normalfall nicht horizontal, sondern schräg um bis zu 7° nach temporal unten verläuft [67].
247
Binokularsehen
Abb. 3.21 Fundusfotos bei Exzyklotropie. Die Verbindungslinie zwischen Papillenmitte und Fovea centralis ist in beiden Augen im Sinne der Extorsion verkippt.
Mit allen Verfahren kann man sowohl die Verrollung des einzelnen Auges bei monokularer Sehweise (subjektive Horizontale/Vertikale) als auch binokular die Zyklodeviation bestimmen.
Merke
H ●
Die Ergebnisse der objektiven und der subjektiven Messung können erheblich differieren. Es empfiehlt sich deshalb, stets auch objektiv zu messen.
248
Maddox-Zylinder Maddox-Zylinder bestehen aus mehreren, in einer Ebene miteinander verschmolzenen Zylindern aus weißem oder rotem Glas. Betrachtet man eine punktförmige Lichtquelle durch ein solches Maddox-Zylinderglas, nimmt man die Lichtquelle strichförmig war. Die Orientierung des Striches ist senkrecht zur Zylinderachse Da auch andere Konturen strichförmig verzerrt werden, sollte die Raumbeleuchtung bei der Untersuchung so weit vermindert werden, dass der Patient durch den Maddox-Zylinder nur die Lichtlinie wahrnehmen kann. Maddox-Zylinder können in Probiergestelle eingesetzt werden, von deren TABO-Skalen die Verrollung abgelesen werden kann. Daneben sind auch Maddox-Zylinder mit größerem Durchmesser, eigener Gradskala und Libelle (zur genaueren Ausrichtung) gebräuchlich (Skalen-Maddox-Zylinder, ▶ Abb. 3.22) [44]. Ein Stativ erleichtert die Handhabung der großen Maddox-Zylinder beträchtlich (Zyklophorometer). Bei der Untersuchung müssen Maddox-Zylinder stets so gehalten oder aufgestellt werden, dass die Blickrichtung lotrecht zu ihnen verläuft. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, erscheint der Lichtstrich eventuell so verbogen, dass dem Patienten korrekte Angaben schwerfallen. Die Vermessung der diagnostischen Blickrichtungen ist mit Skalen-Maddox-Zylindern möglich, ihre Auswertung in schrägen Blickrichtungen wegen der dabei auftretenden Tertiärrollung allerdings schwierig. Zur Messung der subjektiven Horizontalen mit Maddox-Zylindern wird das andere Auge okkludiert. Die Raumbeleuchtung wird so weit abgedunkelt, dass der Patient nichts anderes als den Lichtstrich wahrnehmen kann. Wiederum je 3-mal aus Exzyklo- und Inzyklostellung kommend, wird der Maddox-Zylinder so ausgerichtet, dass der Patient den Lichtstrich als horizontal verlaufend empfindet. Die Ausrichtung des Zylinders entspricht der Zykloduktion. Ihre Größe kann an der Gradskala abgelesen werden.
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Bei der subjektiven Bestimmung der Zyklodeviation ist eine horizontale Ausrichtung der notwendigerweise strichförmigen Testobjekte günstiger als eine vertikale, weil kein unerwünschter stereoskopischer Effekt den Messwert verfälscht. Die Messwerte werden in jedem Fall von Testobjekten, Untersuchungsgerät, Blickrichtung und Prüfentfernung erheblich beeinflusst. Da die Konvergenz mit Exzyklovergenz gekoppelt ist, können die Messwerte bei Zyklodeviationen durch apparativ bedingte Konvergenz verfälscht werden. Der Prüfung der Zyklodeviation geht meist eine (monokulare) Prüfung der subjektiven Vertikalen oder Horizontalen voraus, die mit dem Dunkelrotglas gut möglich ist. Besonders groß ist dabei die Wirkung des gewohnten Sehraums (Erfahrungsmotive), in dessen Gegenwart Neigungen der subjektiven Horizontalen vollkommen verschwinden können [36]. Die subjektive Horizontale muss deshalb stets unter Ausschluss von Erfahrungsmotiven bestimmt werden – etwa mit dem Lichtbalken der Tangententafel und Dunkelrotglas im Dunkelraum, eventuell nach diagnostischer Okklusion. Für die subjektive Bestimmung der Zyklodeviation bieten sich an: ● Maddox-Zylinder in verschiedenen Variationen ● Tangententafel mit bandförmig aufgeblendetem Fixierlicht
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen genau senkrechter Ausrichtung der Maddox-Zylinder vor beiden Augen beide Lichtstriche als schief empfunden, dann liegt meist eine beidseitige M.-obliquus-superiorParese vor. Man lässt den Patienten beide Striche horizontal ausrichten und addiert die gefundenen Werte. Fehlt eine Vertikaldeviation, sollten die beiden Lichtlinien durch ein schwaches Höhenprisma vertikal getrennt werden.
3
Tangententafel Zunächst wird das Fixierlicht zum Lichtband aufgeblendet. Das Dunkelrotglas wird vor das zu prüfende Auge gesetzt. Für die Bestimmung der subjektiven Horizontalen wird das andere Auge verschlossen und der Raum vollkommen abgedunkelt. Bei einer Verrollung des Auges um die Blicklinie erscheint dem Patienten das objektiv horizontal stehende Lichtband geneigt. Diese Neigung wird durch entsprechende Verdrehung des Lichtbands ausgeglichen, ihr Wert an der dafür angebrachten Gradskala abgelesen [35]. Dieser Test kann auch so durchgeführt werden, dass das Lichtband vom Untersucher zunächst in Richtung In- oder Extorsion verstellt und dann nach den Angaben des Patienten auf dessen subjektive Horizontale ausgerichtet wird. Die Zyklotropie sollte bei der Messung von Horizontalund Vertikaltropie an der Tangententafel beachtet und mitgemessen werden. Bei Anwendung der DunkelrotglasMethode hat der Patient dabei die Aufgabe, den roten Lichtstrich so einzustellen, dass er ihm horizontal erscheint.
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Abb. 3.22 Maddox-Zylinder. Skalen-Maddox-Zylinder (vorn), Maddox-Zylinder zur Refraktionsbrille (hinten). Wegen des größeren Durchblicks sind große Maddox-Zylinder zu bevorzugen. Die Prismengläser (Mitte) werden zusätzlich in die Refraktionsbrille eingesetzt, wenn der Patient keine Vertikaldeviation hat, damit die Lichtlinien der Maddox-Zylinder höhenversetzt verlaufen.
3.2.9 Untersuchung bei Kopfposition entgegen Zwangshaltung
Abb. 3.23 Untersuchung mit dem Maddox-Zylinder. a Bei Exzyklodeviation links sieht der Patient mit dem linken Auge eine von unten innen nach oben außen verkippte Lichtlinie. b Untersucher oder Patient stellen den Maddox-Zylinder des linken Auges so ein, dass dessen Lichtlinie zu der des rechten Auges parallel verläuft. Der Maddox-Zylinder des linken Auges zeigt die Exzyklodeviation an (etwa 20°).
Die Zyklotropie wird so gemessen (▶ Abb. 3.23a, b): Zu Beginn der Untersuchung werden beide Maddox-Zylinder genau senkrecht ausgerichtet (Lichtlinien objektiv horizontal). Der Patient identifiziert zunächst den schiefen Strich, der zum betroffenen Auge gehört. Anschließend wird er aufgefordert, den schiefen Strich parallel zum anderen einzustellen. Ist dazu eine Verdrehung des oberen Endes des Maddox-Zylinders nach außen notwendig, dann handelt es sich um eine Exzyklotropie. Werden bei
Bei Patienten mit Kopfzwangshaltung ist die Untersuchung der Augenstellung, der Sehschärfe und ggf. auch des Nystagmus in der Kopfposition zu empfehlen, die der Zwangshaltung genau entgegengerichtet ist. Dadurch kann die Ursache einer Zwangshaltung in der Regel einfach und schnell aufgeklärt werden. Der aufrecht sitzende Patient wird angehalten, kleine, gut erkennbare Optotypen aus etwa 5 m Entfernung zu betrachten, während der Untersucher den Kopf des Patienten in die der Zwangshaltung entgegengesetzten Position führt. Der Untersucher achtet dabei auf: ● Angaben des Patienten: ○ Diplopie ○ Unschärfe ● Augenstellung: ○ Hornhautreflexbilder ○ Abdecktest ● ggf. Verhalten des Nystagmus: Änderung von ○ Schlagrichtung ○ Schlagebene ○ Intensität
249
Binokularsehen ●
●
Nahm der Patient die Zwangshaltung ein, um die Blickrichtung geringster Nystagmusintensität (Neutralzone) zu verwenden, wird er in der entgegengesetzten Kopfhaltung ebenfalls eine Sehschärfenminderung angeben, während der Untersucher eine entsprechende Änderung der Nystagmusqualitäten beobachten kann. Zervikale oder neurogene Schiefhalsformen (extraokulare Genese) äußern sich in der Regel in einem stärkeren Widerstand gegen eine Änderung der Kopfhaltung. Diesen spürt der Untersucher sehr deutlich bei seinem Versuch, den Kopf des Patienten in die entgegengesetzte Haltung zu bringen.
3.2.10 Beurteilung der Augenstellung und -beweglichkeit in verschiedenen Blickrichtungen Die folgenden Untersuchungen sind bei Patienten wichtig, deren bevorzugte Blickrichtung zwar der Primärposition entspricht, bei denen aber Bewegungsdefizite oder spon-
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Folgende Befunde können erhoben werden: ● Wird die Zwangshaltung bei einem Lähmungsschielen eingenommen, damit das verbliebene Fusionsblickfeld besser genutzt werden kann, dann wird der Patient in der entgegengesetzten Kopfhaltung Diplopie mit maximalem Abstand angeben, während der Untersucher an der Verschiebung der Hornhautreflexbilder eine entsprechende Zunahme des Schielwinkels ablesen kann. Diese Zunahme des Schielwinkels kann mit dem einseitigen Abdecktest weiter objektiviert werden. Die klassische Variante dieser Untersuchung ist der Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel bei M.-obliquus-Störungen (▶ Abb. 3.24a–d) [11], [12]. ● Diente die Zwangshaltung dazu, im eingeschränkten monokularen Blickfeld des gelähmten Führungsauges die Fixation zu ermöglichen, wird der Patient in der entgegengesetzten Kopfhaltung über eine Sehschärfeneinbuße klagen. Deren objektives Korrelat ist eine nicht immer leicht zu erkennende Einschränkung der Beweglichkeit des Führungsauges.
Abb. 3.24 Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel bei rechtsseitiger Trochlearisparese. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a In der Kopfzwangshaltung (leichte Linksneigung) findet sich Orthotropie. b In Primärposition ist ein geringes Höherschielen des rechten Auges (+ VD) festzustellen. c Bei Kopflinksneigung findet sich Parallelstand wie in der Kopfzwangshaltung (a). d Bei Rechtsneigung ist ein sehr deutliches Höherschielen des rechten Auges (+ VD) zu erkennen.
250
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
Abb. 3.25 Zusammenspiel der äußeren Augenmuskeln in den diagnostischen Blickrichtungen.
3
In beiden Fällen achtet der Untersucher darauf, ob sich die Hornhautreflexbilder dabei relativ zueinander verschieben (Inkomitanz, Lähmungsschielen). ● die ausgelösten Folgebewegungen glatt oder ruckartig (sakkadiert, latenter Nystagmus) verlaufen. ● in den peripheren Blickrichtungen ein Nystagmus auftritt. ● sich die Intensität eines schon in Primärposition vorhandenen Nystagmus ändert. ●
Gibt der Patient keine spontane Diplopie an, ist er während der Prüfung danach zu befragen. Die Verständigung über Doppelbilder und ihre Lokalisation wird durch Vorhalten eines Hellrotglases vor ein Auge wesentlich erleichtert. Doppelbildangaben und Hornhautreflex-Bildverschiebungen sollten mit dem einseitigen Abdecktest überprüft werden (Nachweis entsprechender Einstellbewegungen). Bei wenig kooperativen Patienten, die der Lichtquelle und dem mitbewegten Gesicht des Untersuchers nicht folgen, werden interessantere Fixierobjekte (▶ Abb. 3.28) benutzt. Wenn auch dies nicht hilft, werden durch rasche Kopfbewegungen kompensatorische Blickbewegungen ausgelöst (Puppenkopf-Phänomen, ▶ Abb. 3.27). Besteht in einer Blickrichtung eine Reflexbild- oder Bewegungsasymmetrie, sollte in der zuvor beschriebenen Weise das monokulare Blickfeld jedes Auges einzeln ge-
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tane periodische Augenbewegungen erst im peripheren Blickfeld nachzuweisen sind. Damit kann man Bewegungsdefizite bestimmten Augenmuskeln zuordnen (▶ Abb. 3.25, ▶ Abb. 3.26). Augenbeweglichkeit und Schielwinkel werden so geprüft: ● Bei unbewegtem Kopf wird eine Lichtquelle in alle Blickrichtungen geführt, wobei der Untersucher sich so mitbewegt, dass er die Augen weiterhin aus Beleuchtungsrichtung beobachten kann. ● Bei kooperativen Patienten ist es für den Untersucher meist bequemer, Beleuchtungs- und Beobachtungsrichtung beizubehalten und den Kopf des Patienten so zu drehen, dass dessen Augen entsprechende Blickrichtungen einnehmen (▶ Abb. 3.27).
Abb. 3.26 Untersuchung der Hornhautreflexbilder in den diagnostischen Blickrichtungen. Der Patient wird angehalten, eine Lichtquelle (Fixierlicht oder besser das Optotypenfeld eines Nahprüfgeräts) zu fixieren. Der Untersucher dreht den Kopf des Patienten so, dass die Augen eine möglichst extreme Blickrichtung einnehmen, und achtet auf Reflexbildverschiebungen, die ein Bewegungsdefizit anzeigen. Die übrigen diagnostischen Blickrichtungen werden entsprechend untersucht. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Abb. 3.27 Untersuchung der Motilität nach kompensatorischen Augenbewegungen (Puppenkopf-Phänomen). Der Untersucher bewegt den Kopf des Patienten mit beiden Händen vorsichtig, aber zügig nach rechts und links, nach oben und unten. Dabei beobachtet er die gegenläufigen Blickbewegungen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
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Binokularsehen
Abb. 3.28 Fixierobjekte – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
a
b Abb. 3.29 Limbustest nach Kestenbaum. Mit einem Maßstab wird zunächst in Primärposition die Lage des zur gewünschten Blickrichtung entgegengesetzten Hornhautrands festgestellt. Nach einer entsprechenden Blickbewegung kann die neue Position ermittelt und die Bewegungsstrecke errechnet werden. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Lineal als Maßstab. b Kestenbaum-Brille nach Haase als Maßstab.
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prüft werden. Monokulare Bewegungsdefizite zeigen sich in einer Auswanderung des Hornhautreflexbilds aus der normalen Lage (= Endpunkt der Exkursionsstrecke). Monokulare Bewegungsdefizite können mit dem Limbustest nach Kestenbaum [43] in einfacher Weise gemessen werden. Zur Messung des Abduktionsvermögens wird vor und unter den Hornhautrand eine durchsichtige Millimeterskala oder eine sog. Kestenbaum-Brille nach Haase [33] in horizontaler Richtung gehalten. Die Position des medialen Limbus wird in Primärposition und bei maximaler Horizontalbewegung abgelesen (▶ Abb. 3.29a, b). Die Differenz entspricht der monokularen horizontalen Exkursionsstrecke. Entsprechend wird das Hebungs- und Senkungsvermögen mit vertikal ausgerichteter Skala unter Beobachtung des unteren bzw. oberen Limbus geprüft. Als Normwerte gelten für Senkung, Ab- und Adduktion 9– 10 mm, für Hebung 5–7 mm. Haase [33] hat eine Messbrille beschrieben, die diesen Test wesentlich erleichtert und die rasche Vermessung des ganzen monokularen Blickfelds gestattet (weitere Methoden siehe Kap. 3.5.6) [34], [59]. Schließlich sollte noch die Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit der Blicksprungbewegungen (Sakkaden) beurteilt werden. Dazu wird der Patient aufgefordert, ohne Kopfbewegung mit kurzen Intervallen abwechselnd die beiden Enden eines nach der gewünschten Größe der Blicksprungbewegung ausgezogenen Teleskop-Zeigestabs zu fixieren (▶ Abb. 3.30). Wichtig ist, ob sich beide Augen gleich schnell bewegen und ob die Blicksprünge zielgerecht enden oder zu kurz (hypometrische Sakkaden) oder zu weit (hypermetrische Sakkaden) sind.
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Abb. 3.30 Untersuchung der Blicksprungbewegungen. Der Patient fixiert die Enden eines Zeigestabs, die der Untersucher abwechselnd beklopft. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
3.2 Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen
Weder der Befund von Ab- und Aufdecktest noch das Ergebnis von Binokulartests können richtig gedeutet werden, wenn unbekannt ist, mit welcher Netzhautstelle jedes Auge fixiert. Man prüft die Fixation ophthalmoskopisch mit dem Sternchentest im Dunkelraum. Das andere Auge wird abgedeckt. Der Untersucher ophthalmoskopiert das freie Auge im rotfreien Licht mit einem Handophthalmoskop, in dessen Strahlengang ein fokussierbares Sternchen als Fixierobjekt eingeblendet ist. Die Lichtstärke des Ophthalmoskops muss dabei möglichst niedrig eingestellt werden, damit der Patient nicht geblendet wird. Der Patient wird dazu angehalten, das Sternchen anzusehen. Der Untersucher kann das fixierende Netzhautareal leicht erkennen. Es ist auch möglich, die Untersuchung mittels indirekter Ophthalmoskopie durchzuführen.
H ●
Merke
Bei einem gelähmten Auge ist darauf zu achten, dass die Untersuchung innerhalb des verbliebenen monokularen Blickfelds erfolgt, weil der Patient außerhalb dieses Bereichs nicht foveolar fixieren kann. Außerhalb dieses Bereichs kann deshalb die Fehldiagnose „exzentrische Fixation“ gestellt werden. Bei Säuglingen, Kleinkindern und bei höhergradiger Amblyopie muss anstelle des Sternchens ein größerer Punkt als Fixierobjekt benutzt werden.
Monokulare und binokulare Sehschärfe sollen ggf. mit optimaler Korrektion in der vom Patienten bevorzugten Kopfhaltung, in Primärposition und in der entgegengesetzten Position zur bevorzugten Kopfhaltung gemessen werden. Technische Voraussetzungen und praktische Durchführung der Fixations- und Sehschärfenprüfung sind in Kap. 2.4 (Amblyopie) beschrieben.
3
3.2.12 Zusammenfassung Die orientierende Untersuchung dient der Basisdiagnostik und damit der Weichenstellung für den weiteren Untersuchungsablauf. Zur orientierenden Untersuchung gehören (vgl. ▶ Tab. 3.2): ● sorgfältige symptombezogene und allgemeine Anamnese ● Beurteilung der Kopfhaltung und Messung ihrer Komponenten mit dem Strabofix unter Beachtung spontaner periodischer Augenbewegungen ● Prüfung auf manifestes Schielen und Abschätzen des Schielwinkels nach Hornhautreflexbildern unter Berücksichtigung des Winkels Kappa sowie mit dem Brückner-Test ● Untersuchung auf manifestes und latentes Schielen mit dem Ab- und Aufdecktest unter Berücksichtigung von Fixation und Sehschärfe ● Untersuchung des Binokularsehens und der Korrespondenz mit den Random-Dot-Stereotests I und II nach Lang, dem Lichtschweiftest nach Bagolini, dem Hellrotglas- und dem Dunkelrotglastest, ggf. auch in einer Kopfzwangshaltung und entgegengesetzt zu dieser
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3.2.11 Prüfung der Fixation und der Sehschärfe
Tab. 3.2 Orientierende Untersuchung bei Augenbewegungsstörungen – Standardmethoden (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008). Symptomatik
Methodik
Zu beachten
Relevante Befunde, Fragen
Kopfzwangshaltung
Beobachtung während Anamnese Messung mit Strabofix
ungezwungenes freies Sitzen, Fixieren kleiner Optotypen oder „interessanter“ Fixierobjekte
Schielen in Kopfhaltung, Binokulareinfachsehen, Nystagmusberuhigung
Untersuchung in entgegengesetzter Kopfhaltung
korrekte Kopfposition, Fixieren kleiner Optotypen oder „interessanter“ Fixierobjekte
Schielwinkel, Diplopie, Zunahme der Nystagmusintensität
Hornhautreflexbilder
parallaxenfreie Beleuchtung/Beobachtung, ggf. zusätzliche Fixierobjekte als Akkommodationsanreiz, Winkel Kappa
Reflexdezentrierung als Hinweis auf manifeste Schielwinkel
einseitiger Abdecktest alternierender Abdecktest Aufdecktest
Akkommodation anregende Fixierobjekte, zentrale Fixation, hinreichende Aufmerksamkeit
manifestes Schielen manifestes und latentes Schielen Fusionsbewegungen bei phorischen Komponenten
Lang-Test I und II
stabile frontoparallele Kartenhaltung, Augenbewegungen
Stereodefizite, anomales Binokularsehen
Lichtschweiftest
hinreichender Kontrast, keine Blendung, Verständigungshilfen
Binokularanomalien, Diplopie, Exklusion
Schielwinkel
Binokulartests
253
Binokularsehen
Symptomatik
Blickmotorik
Fixation
● ●
Methodik
Zu beachten
Relevante Befunde, Fragen
Hellrotglas Dunkelrotglas
zentrale Fixation, Augenstellung
Korrespondenzanomalien
Hornhautreflexbilder bei Führungsbewegungen
parallaxenfreie Beleuchtung/Beobachtung, ausreichende Blickexkursion
Verlagerung der Reflexbilder bei Bewegungsdefiziten
Hellrotglas in diagnostischen Blickrichtungen
ausreichende Blickexkursion
Doppelbildlokalisation, Bewegungsdefizite
einseitiger Abdecktest in den diagnostischen Blickrichtungen
Akkommodation anregende Fixierobjekte, zentrale Fixation, hinreichende Aufmerksamkeit
Schielwinkel, Inkomitanz
Blicksprungbewegungen
Fixierobjekte, Abstand
Zielgenauigkeit, Geschwindigkeit der Sakkaden, Nystagmus
Limbustest nach Kestenbaum
stabile Kopfhaltung, parallaxenarme Ablesung, ausgiebige Blickexkursion
monokulare Bewegungsdefizite
ophthalmoskopischer Sternchentest
Blendung vermeiden, Aufmerksamkeit anregen
exzentrische Fixation
Prüfung auf Verrollungsschielen (Zyklodeviation) Beurteilung der Augenstellung und der Augenbeweglichkeit in den verschiedenen diagnostischen Blickrichtungen
3.3 Manifestes Begleitschielen W. Rüssmann
3.3.1 Einleitung Manifestes Begleitschielen ist anzunehmen, wenn Anamnese und orientierende Untersuchung (siehe Kap. 3.2) folgenden Befund ergeben: ● nach Anamnese konstant oder – seltener – intermittierend manifestes Schielen seit früher Kindheit ● nach Hornhautreflexbildern Reflexbildasymmetrie, Abund Aufdecktest und Fixationsprüfung manifestes Schielen in der bevorzugten Kopfhaltung ohne Spontandiplopie und ohne Bewegungsdefizite bei Untersuchung in den diagnostischen Blickrichtungen ● bei Binokulartests Zeichen anomaler Korrespondenz wie paradoxe Diplopie, binokulares Einfachsehen trotz manifesten Schielens ● Visusdefizit trotz optimaler Korrektion (Amblyopie mit fovealer oder exzentrischer Fixation) Als Ergänzung der orientierenden Untersuchungen werden im Folgenden weitere Methoden zur Untersuchung der Motorik (Messung des Schielwinkels) und der Sensorik (Korrespondenztests) beschrieben. Da auch beim Begleitschielen Inkomitanzen (Strabismus sursoadductorius und deorsoadductorius, Buchstaben-Symptome, dissoziiertes Horizontal- und Vertikalschielen) vorkommen, ist hier nicht nur die Messung des
254
objektiven Schielwinkels in der Primärposition von Interesse, sondern auch in den übrigen 8 diagnostischen Blickrichtungen. Von der Verwendung der Hornhautreflexbilder und des Abdecktests war in dieser Hinsicht schon die Rede (siehe S. 235, S. 239). Weitere Methoden werden beim Lähmungsschielen (siehe Kap. 3.5) behandelt. Sie können – soweit sie nicht auf subjektiver Lokalisation beruhen – auch für das manifeste Begleitschielen eingesetzt werden.
Merke
H ●
Nach subjektiver Lokalisation kann der objektive Schielwinkel bei manifestem Begleitschielen meist nicht gemessen werden, weil in der Regel eine anomale Korrespondenz vorliegt.
Um Überschneidungen und Wiederholungen zu vermeiden, werden hier lediglich die Bestimmung des objektiven Winkels und der Korrespondenz in der Primärposition sowie die Untersuchung des dissoziierten Höhenschielens beschrieben.
3.3.2 Instrumente/Geräte und Durchführung Der Untersuchungsgang bei manifestem Begleitschielen ist in ▶ Abb. 3.31 dargestellt.
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Tab. 3.2 Fortsetzung
3.3 Manifestes Begleitschielen
manifestes Begleitschielen
Mikrostrabismus (HHRB PP≤5°)
Strabismus (HHRB PP>5°)
Besteht Stereofunktion bei harmonischer ARK? Lang I, II, Titmus, Treffversuch Besteht Binokularsehen bei harmonischer ARK? Bagolini, Worth
Bestimmung/Schätzung des objektiven Winkels je nach Fixation mit Hornhautreflexbildern, Prismenabdecktest, Synoptophor/-meter
Prüfung auf Inkomitanz (A-, V-, X-, Y-, Lamda-Syndrom, Exzess-, Insuffizienztyp) HHRB, Abdecktest F/N und 9 BR Prüfung auf dissoziierte Höhe Abdeck-, Dunkelrottest
Lokalisation nach Winkelausgleich bzw. Bestimmung des subjektiven Winkels nach Prismenausgleich mit Hellrot- oder Dunkelrotglas oder am Synoptophor/-meter
3
Immer Durchführung von: – ophthalmoskopischer Fixationsprüfung – Visus (Reihenvisus) – zykloplegischer Skiaskopie
3.3.3 Untersuchung der Binokularfunktion bei kleinen Schielwinkeln Bei kleinen Schielwinkeln bis 5° wird man zunächst nach Stereo- und Binokularfunktionen suchen und bei positiven Angaben mit Abdeck- und Sternchentest prüfen, ob ein manifestes Schielen vorliegt. Bei manifestem Schielen mit Stereosehen oder binokularem Einfachsehen liegt immer harmonisch anomale Korrespondenz vor. Als Stereotests wurden bereits Lang-Test I und II vorgestellt (siehe Kap. Lang-Test I und II). Als weitere Stereotests werden hier beschrieben der Stereotest nach Kolling und Stratmann, der Treffversuch nach Lang, der TitmusTest und der TNO-Test. Von diesen Verfahren prüfen nur der Stereotest nach Kolling und der Treffversuch nach Lang die Wahrnehmung wirklicher Raumtiefe. Der Stereotest nach Kolling und Stratmann [46] beruht auf dem 3-Stäbe-Test nach von Helmholtz. Der Patient hat dabei die Aufgabe, die relative Tiefenlokalisation von zwei Autobus-Silhouetten zu beurteilen, die in 3–4 m Entfernung in einem Guckkasten gezeigt werden.
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Abb. 3.31 Untersuchungsgang bei manifestem Begleitschielen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Der Treffversuch nach Lang [52] wird im Nahbereich (0,3–0,6 m) durchgeführt. Der Patient hat die Aufgabe, mit einem Bleistiftende von oben auf das Ende eines zweiten Stiftes zu treffen, den der Untersucher in verschiedene Distanzen etwa in Augenhöhe vor den Patienten bringt (▶ Abb. 3.32). Der Untersucher beobachtet Augenstellung und -bewegungen des Patienten (Hornhautreflexbilder, einseitiger Abdecktest, Fusionsbewegungen) und beurteilt die Treffsicherheit. Dabei ist darauf zu achten, dass der Patient seinen Stift nicht seiner Gesichtslinie folgend in horizontaler Richtung dem Ziel annähert, sondern dieses stets von oben trifft. Beim Treffversuch werden monokulare und binokulare Treffsicherheit verglichen. Binokulares Tiefensehen ist nur anzunehmen, wenn der Patient monokular nicht sicher trifft. Ist der Patient nur binokular treffsicher, sollte man auch die Augenstellung beobachten und mit dem einseitigen Abdecktest auf Einstellbewegungen prüfen (normale oder harmonisch anomale Netzhautkorrespondenz?). Bei Patienten mit zweifelhaft intermittierender Exotropie sind beim Treffversuch oft sonst nicht auslösbare Fusionsbewegungen zu erkennen. Die Querdisparation des Treffversuchs ist – wie die der Flügelspitzen der Titmus-Fliege – sehr hoch.
255
Binokularsehen
Merke
H ●
Abb. 3.33 Titmus-Test. Fliege, Tiere und Ringe erscheinen unter unterschiedlichen Querdisparationen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) Abb. 3.32 Treffversuch nach Lang. Ein Patient mit querdisparatem Tiefensehen trifft binokular sicher (b), während er monokular das Ziel verfehlt (c). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Der Titmus-Test (▶ Abb. 3.33) ist für eine Distanz von 0,4 m ausgelegt und macht sich die durch Polarisation mögliche Bildtrennung zunutze. Der Patient trägt eine Brille mit Polarisationsfiltern, die nur Licht einer bestimmten Schwingungsrichtung (Polarisationsebene) durchlassen.
256
Der TNO-Test (▶ Abb. 3.34) dient ebenfalls zur Prüfung des Stereosehens im Nahbereich (0,4 m). Die Bildtrennung geschieht nach dem Prinzip der Farbfilterhaploskopie (Anaglyphen-Methode). Der Patient betrachtet durch eine Rot-Grün-Brille Vorlagen, die ein Muster aus zufällig verteilten grünen und roten Punkten (Zufallspunktmuster, Random-Dot-Pattern) zeigen. Teilmengen der roten und grünen Punkte bilden geometrische Figuren und weisen eine systematische Abweichung im Sinne der gekreuzten Querdisparation auf. Verfügt der Patient über binokulares Tiefensehen, dann sieht er bestimmte Details näher als den Hintergrund. Die disparaten Teilmengen sind bei einzelnen Vorlagen auch monokular zu erkennen, meist aber in der Vielzahl nichtdisparater Punkte so versteckt, dass sie nur bei binokularer Sehweise erkannt werden können. Die im TNO-Test angebotenen Querdisparationen reichen von 15 bis 480 Bogensekunden.
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Titmus-Test Die Filter der Polarisationsbrille vom rechten und linken Auge sind so ausgerichtet, dass die Polarisationsebene des zum rechten Auge durchgelassenen Lichtes senkrecht zu der des zum linken Auge durchgelassenen steht (gekreuzte Polarisation). Durch diese Brille betrachtet der Patient eine entsprechend polarisierte Vorlage mit gekreuzt querdisparaten Halbbildern. Durch die kortikale Bildverarbeitung (sensorische Fusion) entsteht ein räumlicher Eindruck, wobei bestimmte Bilddetails dem Patienten – wenn er entsprechendes binokulares Tiefensehen hat – näher als der Hintergrund erscheinen. Die im Titmus-Test vorhandenen Querdisparationen reichen von 40 bis 800 Bogensekunden (▶ Abb. 3.33).
3.3 Manifestes Begleitschielen
Abb. 3.34 TNO-Test. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Merke
H ●
3
Abb. 3.35 Worth-Test. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Bei anomalem Binokularsehen (z. B. Mikroesotropie) findet sich mit Random-Dot-Mustern (z. B. Lang-Test oder TNO-Test) durchweg schlechtere Stereoskopie als mit üblichen Konturvorlagen (z. B. Titmus-Test) [29].
b
Merke
H ●
Angesichts der erheblichen Abweichung vom natürlichen Sehen ist es nicht verwunderlich, dass die Ergebnisse des Worth-Tests wenig über natürliches Binokularsehen und Fusionsvermögen eines Patienten aussagen.
a
c
d
e
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Die Bedeutung des Lichtschweiftests nach Bagolini (Kap. Lichtschweiftest nach Bagolini) und des Hellrotglastests (Kap. Hellrotglastest, Vertikalprisma, Dunkelrotglastest) für die Untersuchung des Binokularsehens wurde schon besprochen. Hier soll noch der Worth-Test (▶ Abb. 3.35, ▶ Abb. 3.36a–j) erwähnt werden. Er beruht ebenfalls auf dem Prinzip der Farbfilterhaploskopie. Der Patient betrachtet durch einen Rot-Grün-Vorhalter (Hellrotglas vor dem rechten Auge, Hellgrünglas vor dem linken) in 5 m Entfernung 4 in Rautenform auf dunklem Hintergrund angeordnete Lichter: ein oberes rotes Licht (Kreis oder Raute), zwei grüne rechts und links darunter (Kreis oder Kreuz) und ein unteres weißes (Kreis). Die Farbwerte der Lichter sind dabei so abgestimmt, dass das Hellrotglas die seitlichen grünen Lichter auslöscht, entsprechend das Hellgrünglas das obere rote. Nur das untere weiße Testlicht ist beiden Augen gemeinsam sichtbar. Je nach Äquivalenz oder Dominanz der Augen erscheint das weiße Licht in einer Mischfarbe, abwechselnd oder beständig rot oder grün. Im abgedunkelten Umfeld sieht eine normale Versuchsperson 4 Lichter, während schon bei labilem, subnormalem Binokularsehen bei verminderter Umfeldleuchtdichte 5 Lichter sichtbar werden können: oben rot, rechts und links grün, unten rot neben grün. Weitere Befundmuster sind in ▶ Abb. 3.36a–j zusammengestellt [39], [59].
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j
Abb. 3.36 Typische und seltene Befunde beim Worth-Test. Das Rotglas befindet sich vor dem rechten Auge, das Grünglas vor dem linken. Die Befunde belegen, dass es nicht genügt, danach zu fragen, ob der Patient 4 Lichter sieht oder nicht. (aus Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Exklusion rechts. b Fusion. c Exklusion links. d Ungekreuzte Lokalisation. e Gekreuzte Lokalisation. f Lokalisation gekreuzt und entsprechend + VD. g Wie d mit Teilexklusion links. h Lokalisation entsprechend Exzyklotropie links. i Lokalisation entsprechend + VD. j Lokalisation ungekreuzt und entsprechend –VD.
257
Binokularsehen den nicht auf die Verschiebung des Netzhautbilds im schielenden Auge programmiert, sondern nach zentralen (extraretinalen) Vorgaben [55]. Bei einigen Patienten verschwinden die Einstellschwankungen, wenn man den Fixationswechsel mehrfach wiederholt und dabei die Phasen monokularer Fixation verlängert. Bei anderen nehmen die Einstellschwankungen ab, wenn ein geringes, zunächst fast unauffälliges Höhenschielen ausgeglichen wird.
3.3.4 Messung des objektiven und des subjektiven Winkels Die Untersuchung bei kleinem Schielwinkel beschränkt sich nicht auf die Prüfung von Stereosehen und binokularem Einfachsehen mit einem oder mehreren der hier beschriebenen Verfahren. Ergänzend muss der objektive Schielwinkel gemessen werden. Dies ist bei größeren Schielwinkeln der erste Untersuchungsschritt, dem sich die Bewertung der Binokularfunktion (subjektiver Winkel, Anomaliewinkel) anschließt. Die Begriffe objektiver Winkel, subjektiver Winkel und Anomaliewinkel wurden schon früher eingeführt (siehe Kap. 3.2.7, ▶ Abb. 3.14). Hier werden zunächst Methoden behandelt, die auf Einstellbewegungen beruhen. Danach werden andere Verfahren zur Korrespondenzprüfung beschrieben, die teils auch bei exzentrischer Fixation eingesetzt werden können.
Prismenabdecktest Beim Prismenabdecktest werden die Einstellbewegungen mit Prismen – als Leiste oder Einzelprismen – neutralisiert und der objektive Schielwinkel damit ausgeglichen (▶ Abb. 3.38a–h). Dabei sollte man Fixierobjekte anbieten, die einen definierten Akkommodationszustand gewährleisten (kleine Optotypen). Einzelprismen sind der Prismenleiste insofern überlegen, als man sie – weil einseitig abgerundet – besser an der Nasenwurzel ausrichten kann. Die Prismen werden
Messung des objektiven und des subjektiven Winkels mit Einstellbewegungen
Die Winkelmessung nach Einstellbewegungen ist bei hochgradiger Amblyopie oder bei ungenügender Mitarbeit des Patienten nicht möglich. Bei exzentrischer Fixation ist sie nur dann möglich, wenn der Winkel der Exzentrizität klein und vor allem bekannt ist (z. B. bei Messung der latenten Komponente eines Mikrostrabismus).
Die Winkelmessung nach Einstellbewegungen ist schwierig, wenn die Einstellbewegungen beim Fixationswechsel stets über das Ziel hinaus gehen, das erst mit einer weiteren gegenläufigen Bewegung erreicht wird. Diese Einstellschwankungen zeigen, dass die Einstellbewegungen Schielender wegen der fehlerhaften Abbildung im Schielauge weniger genau errechnet werden können. Sie wer-
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a
258
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b F
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Abb. 3.37 Einzelprismen (A), Prismenleisten (B), Prismenkompensator (C), Variprisma (D) und Prismenvorhänger (E). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
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Abb. 3.38 Prismenabdecktest in schematischer Darstellung bei linksseitigem Innenschielen mit zentraler (a–d) und exzentrischer Fixation (e–h). Beim Prismenabdecktest werden die Einstellbewegungen des Abdecktests (a–c) durch ein Prisma geeigneter Ablenkung (d) ausgeglichen. Liegt exzentrische Fixation vor (e–h), kann so nur ein Teil des objektiven Winkels ermittelt werden. Deshalb ist der Prismenabdecktest bei exzentrischer Fixation zur Messung des objektiven Winkels ungeeignet. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
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H ●
Merke
3.3 Manifestes Begleitschielen
vor das schielende (nichtfixierende) Auge gehalten, weil nur dann die gewünschte Blickrichtung des fixierenden Auges eingenommen wird. Untersucht man Patienten mit Augenmuskellähmungen, sind primärer (nichtparetisches Auge fixiert) und sekundärer (paretisches Auge fixiert) Winkel zu beachten. Bei großen Schielwinkeln müssen Prismen vor beide Augen gehalten werden, wobei die Definition der Blickrichtung besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Ein Ausgleich dieser Effekte ist über die Kopfhaltung möglich. Werden Winkel bei Kopfneigung gemessen, muss man die Ausrichtung der Prismen der Kopfhaltung anpassen (▶ Abb. 3.39). Die Ablenkung von Messprismen sollte in cm/m – besser noch in Winkelgrad [68] – für die Gebrauchsposition angegeben werden, in der das Prisma mit einer Fläche parallel zum Brillenglas gehalten wird. Für die Umrechnung von cm/m in Winkelgrad sind spezielle Nomogramme (▶ Abb. 3.40) oder entsprechende Tabellen notwendig,
3
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Abb. 3.39 Ausrichtung der Prismenleiste bei Kopfneigung. Prismen müssen so gehalten werden, dass sie die Deviationen definiert ausgleichen können. Dies ist nur möglich, wenn man die Ausrichtung der Gesichtshorizontalen bzw. -vertikalen beachtet. Werden Deviationen bei Kopfneigung gemessen, müssen Prismenleiste und Einzelprismen der Kopfhaltung entsprechend vorgehalten werden. Die einseitig abgerundeten Einzelprismen haben insofern Vorteile, als man sie leichter an der Nasenwurzel ausrichten kann. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
die auch die prismatische Wirkung der Brillenkorrektion bei dezentriertem Durchblick berücksichtigen [1], [32]. Der Prismenabdecktest kann auf verschiedene Weisen ausgeführt werden: einseitig, simultan oder alternierend. Während mit dem einseitigen und dem simultanen Prismenabdecktest Fehlstellungen (Schielwinkel) gemessen werden, die unter binokularen Bedingungen bestehen, erfasst man mit dem alternierenden Prismenabdecktest die Fehlstellung bei aufgehobenem Binokularsehen (fusionsfreie Ruhelage). Arten des Prismenabdecktests: ● Beim einseitigen Prismenabdecktest wird das Prisma vor das nichtführende Auge gehalten, während man das führende in Intervallen verdeckt und wieder freigibt. Die Prismenwirkung wird so lange verstärkt, bis die Einstellbewegung des nichtführenden Auges aufgehoben ist. ● In manchen Fällen von Mikrostrabismus ist die Dekompensationsneigung so ausgeprägt, dass der unter binokularen Bedingungen vorhandene Schielwinkel so nicht erfasst werden kann. Ebenso kann der einseitige Prismenabdecktest bei alternierendem Schielen am häufigen Führungswechsel scheitern. In dieser Situation kann man sich mit dem simultanen Prismenabdecktest helfen: Man schätzt den Schielwinkel und hält ein Prisma entsprechender Stärke vor das schielende Auge, während zeitgleich das führende Auge mit der Abdeckscheibe okkludiert wird. Gegebenenfalls ist eine andere Prismenstärke erforderlich, bis die Fehlstellung ermittelt ist. ● Der alternierende Prismenabdecktest wird so ausgeführt: Man hält das Prisma vor das Auge, dessen Abweichung gemessen werden soll, und deckt dann beide Augen in nicht zu rascher Folge (weitgehende Verhinderung von Einstellschwankungen) abwechselnd ab. Dabei beobachtet man das jeweils aufgedeckte Auge. Auch bei diesem Test wird die Ablenkung der Prismen so lange verstärkt oder abgeschwächt, bis keine Einstellbewegungen mehr durchgeführt werden (▶ Abb. 3.38a–h).
Prüfung der Binokularfunktion nach Prismenausgleich Wurde der objektive Winkel mit dem Abdecktest in einer der beschriebenen Varianten ausgeglichen, sollte man den Patienten sogleich nach seiner beidäugigen Wahrnehmung befragen, während er statt der Optotypen eine kleine Lichtquelle betrachtet. Verschiedene Wahrnehmungen bei Betrachtung der Lichtquelle: ● Wird Diplopie angegeben, die durch Vorhalten eines Hellrotglases leicht als gekreuzt, ungekreuzt etc. (siehe Kap. Hellrotglastest, Vertikalprisma, Dunkelrotglastest) qualifiziert werden kann, hat der Patient eine anomale Korrespondenz. Das Hellrotglas wird belassen, während die vorgehaltenen Prismen je nach Doppelbildlokalisation und -abstand so modifiziert (in
259
Binokularsehen –10 –4 0 SR (dpt) –20 –15 –12–8 –6 –2 +2 +4 +6
60
+10
+8
+12
Abb. 3.40 Nomogramm zur Umrechnung von Messprismen nach Guilino.
50 +15
30
20
0°
10° SR (dpt)
20
20°
30° Schielwinkel ω
40°
+10 –20–15 –10 0 –8 –1 +4 +12 –12 –6 –2 –2 +5 +8
50° +15
SK ω
10
SR 0 0°
20°
10° Schielwinkel ω
der Regel reduziert) werden, dass sich das hellrote Bild mit der Lichtquelle überlagert (Farbmischung). Die dazu erforderliche Prismenstärke entspricht dem subjektiven Winkel. Bei manchen Patienten verschwindet das hellrote Bild der Lichtquelle bei Annäherung an den subjektiven Winkel, weil der Seheindruck des Rotglasauges exkludiert wird. Bisweilen taucht das hellrote Bild bei weiterer Verminderung der Prismenstärke auf der anderen Seite wieder auf. Ist der Bereich sehr klein, in dem das hellrote Bild nicht wahrgenommen wird, spricht man von Kreuzen (Crossing) der Bilder im subjektiven Winkel, ist er größer, von Kreuzen (Crossing) der Bilder um den subjektiven Winkel. In diesen Fällen lässt sich der subjektive Winkel näherungsweise bestimmen, indem das hellrote Bild durch ein Prisma von 10 cm/m Basis unten oder oben vor dem Rotglasauge nach oben oder unten aus der Exklusionszone verschoben wird. Die Prismen horizontaler Ablenkung werden dann so verstärkt oder vermindert, bis das hellrote Bild der Lichtquelle und das Fixierlicht lotrecht untereinan-
260
●
der erscheinen. Die nicht immer gegebene Meridiantreue der Korrespondenz vorausgesetzt, liegt das hellrote Bild der Lichtquelle dann auf demselben Netzhautmeridian wie die mit der Fovea des Führungsauges korrespondierende Netzhautstelle des nichtführenden Auges. Wird keine Diplopie angegeben, kann binokulares Einfachsehen bei normaler Korrespondenz vorliegen – wenn beide Augen foveolar fixieren – oder Exklusion des Seheindrucks eines Auges. Zur weiteren Klärung lässt man den Patienten mit seinen Prismen durch Streifengläser nach Bagolini sehen (siehe Kap. Lichtschweiftest nach Bagolini). Alternativ hält man ein Hellrotglas vor das schielende Auge. Binokulares Einfachsehen mit normaler Korrespondenz ist anzunehmen, wenn folgende Befunde vorliegen: ○ korrektes Schweifkreuz (▶ Abb. 3.18) bzw. Überlagerung des hellroten Bildes mit dem Fixierlicht (Farbmischung),
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Ablenkung in Korrektionsstellung (pdpt)
40
3.3 Manifestes Begleitschielen
●
Merke
H ●
Da sich bei Wechsel des Fixierobjekts von kleinen Optotypen zur Lichtquelle die Vergenz ändern kann (weniger Akkommodationsanreiz), ist es notwendig, den Abdecktest mit dem neuen Fixierobjekt zu wiederholen und dabei ggf. die Prismenstärke nachzustellen.
Prismenausgleich des subjektiven Winkels
Auch bei dieser Untersuchung können sich Exklusionszonen manifestieren (Kreuzen der Bilder, Crossing), die den zusätzlichen Einsatz von Vertikalprismen (siehe Kap. Hellrotglastest, Vertikalprisma, Dunkelrotglastest) notwendig machen. Bei Patienten mit Begleitschielen, bei denen im Erwachsenenalter Spontandiplopie auftritt, ist bei diesem Prismenausgleich bisweilen weder Farbmischung (Fusion) noch Exklusion auszulösen. Die Bilder scheinen sich zwar nach den Angaben des Patienten bei bestimmten Prismenstärken einander zu nähern oder auch – unter Fusionszwang wie magnetisch angezogen – bis auf einen bestimmten Abstand aufeinander zu zu springen, rutschen aber dann wieder auseinander. Eine stabile Überlagerung wird dabei zu keiner Zeit erreicht. Der Patient scheint vielmehr der Fusion zwanghaft auszuweichen (Horror fusionis [34]).
3
Haploskope Als Haploskope bezeichnet man Geräte, mit denen man jedem Auge für sich ein eigenes Bild anbieten kann. Die Bildtrennung kann dabei erreicht werden durch: ● Farbfilter (Farbhaploskopie = Anaglyphen-Methode) ● Sichtblenden (mechanische Trenner) ● Prismen ● Spiegel (Synoptophor, Synoptometer, Amblyoskop) ● Polarisationsfilter (Polarisationshaploskop) ● rasch alternierende Bilddarbietung (Phasendifferenzhaploskop)
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weiterhin keine Einstellbewegungen bei Abdecken des Führungsauges, ○ beidseits foveolare Fixation. Wird nur ein Lichtschweif erkannt oder fehlt der hellrote Lichtpunkt, sollte man die Untersuchung der Korrespondenz mit dem Hellrotglas und einem Prisma von 10 cm/m Basis oben vor dem schielenden Auge fortsetzen. Erscheinen danach das hellrote Bild der Lichtquelle und das Fixierlicht senkrecht untereinander, so ist – Fehlen von Einstellbewegungen, Meridiantreue und beidseits foveolare Fixation vorausgesetzt – normale Korrespondenz zu erwarten. Wird dagegen das hellrote Licht seitlich versetzt unter dem Fixierlicht lokalisiert, besteht anomale Korrespondenz. In diesem Fall kann der subjektive Winkel durch Veränderung der horizontalen Prismenwirkung wie schon beschrieben ermittelt werden. Bei Exklusion des Seheindrucks eines Auges und normaler Korrespondenz können unter Prismen übrigens ähnliche Übersprungsphänomene um den objektiven Winkel auftreten, wie sie bereits für den subjektiven Winkel beschrieben wurden (Kreuzen der Bilder im oder um den objektiven Winkel). ○
Haploskope gehören zu den vielseitigsten Untersuchungsgeräten, weil man mit ihnen objektive und subjektive Winkel, Fusionsvermögen und sterisches Sehen messen kann, ohne mehr als die Prüfbilder zu ändern. Hier soll nur die Messung des objektiven und des subjektiven Winkels in Primärposition unter Verwendung von Synoptophor oder Synoptometer behandelt werden.
Bei Patienten mit Spontandiplopie können das Hellrotglas und Prismen geeigneter Richtung und Ablenkung auch vor das schielende Auge gehalten werden, bis Farbmischung erreicht ist. Sodann wird mit dem einseitigen Abdecktest auf Einstellbewegungen geprüft. Fehlen diese, besteht – beidseits foveolare Fixation vorausgesetzt – normale Korrespondenz. Der objektive und der subjektive Winkel sind identisch und entsprechen beide der Ablenkung der vorgesetzten Prismen. Sind dagegen Einstellbewegungen trotz Farbmischung vorhanden oder liegt exzentrische Fixation vor, so ist anomale Korrespondenz anzunehmen. Die Ablenkung der vorgesetzten Prismen entspricht dem subjektiven Winkel. Der objektive Winkel kann bei beidseits foveolarer Fixation mit dem Prismenabdecktest ermittelt werden.
261
Binokularsehen
Synoptophor und Synoptometer
●V
Zusatzinfo Synoptophor und Synoptometer (▶ Abb. 3.41a, b) besitzen für jedes Auge einen beleuchteten Bildträger, der im Sinne der Horizontal-, Vertikal- und Zykloduktion eingestellt werden kann. In die Bildträger können verschiedene Bildpaare eingeschoben werden, die eine Untersuchung auf Simultansehen (Punkt und Kreis, Spinne und Netz, Löwe und Käfig), auf Fusion (gleichartige Bilder mit Kontrollobjekten) und auf sterisches Sehen (gleichartige querdisparate Bilder mit Kontrollobjekten) gestatten (▶ Abb. 3.42). Die Testbilder sind im Bildträger über einen Umlenkspiegel und eine Okularlinse sichtbar, welche sie im Unendlichen (paralleler Strahlengang) abbildet (▶ Abb. 3.41b). Dadurch sollen bei emmetropen oder entsprechend korrigierten Augen Akkommodation und akkommodative Konvergenz so weit wie möglich ausgeschaltet werden. Wegen der sehr schlanken Umlenkspiegel können mit dem
Synoptometer auch extreme Blickrichtungen (bis 50° Rechts- und Linksblick, bis 50° Hebung, bis 60° Senkung) vermessen werden. Die schmalen Synoptometerspiegel sollen gleichzeitig die Raumwahrnehmung verbessern und damit die Apparatekonvergenz vermindern. Leider geschieht dies in zu geringem Ausmaß, so dass die mit Synoptophor oder Synoptometer gemessenen Horizontaldeviationen erheblich von denen abweichen, die mit dem Prismenabdecktest oder mit Dunkelrotglas und Tangentenskala gefunden werden. Bei deutlicher Apparatekonvergenz (10° und mehr) können gleichzeitig vorhandene Vertikaldeviationen verfälscht werden. Ein störendes Ausmaß erreicht die Apparatekonvergenz am Synoptometer nur beim kindlichen Schielen, während beim Erwachsenen mit zyklovertikalen Paresen nichttraumatischer oder traumatischer Genese die Vorteile überwiegen [18]. Da die Synoptometerarme nicht in allen Achsen
Polarisationsfilter Motor
Umlenkspiegel Testbild
Lampe Blaufilter
b
Fovea
a
Abb. 3.41 (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Synoptophor/-meter. b Bauprinzip und Strahlengang des Bildträgers beim Synoptophor und Synoptometer.
262
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Technisches Verfahren
3.3 Manifestes Begleitschielen
genau um den Drehpunkt des Auges bewegt werden, treten darüber hinaus geringe Messfehler bei gleichzeitigen Horizontal- und Zyklovertikalschielwinkeln auf, die aber nur bei großen Schielwinkeln und in tertiären Blickrichtungen von praktischer Bedeutung sind [45].
Messung von Horizontal- und Vertikaldeviation mit Synoptophor oder Synoptometer Der Patient legt sein Kinn auf die Kinnschale und drückt seine Stirn gegen die Stirnstütze. Die Höhe von Patientensitz und/oder Gerätetisch wird möglichst bequem eingerichtet. Die Bildträger werden in Nullstellung gebracht; geeignete Simultanbilder werden eingeschoben (Punkt und Kreis, Spinne und Netz, Löwe und Käfig – Kreis, Netz oder Käfig vor das führende oder zuerst zu untersuchende Auge). Kleinere Simultanbilder fordern genauere Fixation und gestatten damit eine präzisere Messung, sind aber für jüngere Kinder oft weniger vielseitig und interessant. Die Helligkeit wird so reguliert, dass der Patient nicht geblendet wird. Nun werden die Bildträger auf die Pupillardistanz des Patienten eingestellt und Höhenunterschiede seiner Augen ausgeglichen. Mit der Stirnstütze wird der Abstand zwischen Hornhautscheitel und Okular bzw. Umlenkspiegel auf etwa 15 mm eingestellt. Entsprechend der Refraktion werden Korrektionsgläser in die dafür bestimmten Halterungen eingesteckt (Umrechnungstabelle beachten). Beim Synoptophor können kleinere und mittlere Schielwinkel eventuell auch mit Brille gemessen werden. Zur Bestimmung des objektiven Winkels nach Hornhautreflexbildern (monolaterales Schielen mit Amblyopie und/ oder exzentrischer Fixation) wird nun mit einem Taster die Beleuchtung des Bildträgers mit dem kleineren Objekt (Punkt, Spinne oder Löwe – schielendes/nichtführendes Auge) ausgeschaltet. Der Patient wird aufgefordert, in die Mitte des dem anderen (führenden) Auge sichtbaren Bildes (Kreis, Netz oder Käfig) zu blicken. Nun wird die Lage des Hornhautreflexbilds auf diesem Auge beurteilt (Win-
3
kel Kappa). Die Beleuchtung des nichtführenden Auges wird eingeschaltet und der betreffende Bildträger so bewegt, dass das Hornhautreflexbild symmetrisch zum führenden Auge liegt. Der Untersucher muss dabei die Hornhautreflexbilder aus Beleuchtungsrichtung beurteilen und darauf achten, dass das führende Auge seine Fixation beibehält. Der objektive Schielwinkel kann an den Geräteskalen oder der digitalen Anzeige abgelesen und protokolliert werden. Bei zentraler Fixation und mittel- bis geringgradiger Amblyopie kann durch Abblinken des Führungsauges überprüft werden, ob die nach Hornhautreflexbildern vorgenommene Einstellung dem objektiven Winkel entspricht. Ist dies nicht der Fall, sind am schielenden Auge bei Abblinken des Führungsauges noch Einstellbewegungen des nichtführenden Auges zu erkennen. Der Bildträger muss vor diesem Auge unter weiterem Abblinken so eingestellt werden, dass die Einstellbewegungen verschwinden. Der Patient soll beim Abblinken die Mitte des jeweils sichtbaren Bildes ansehen. Zur Kontrolle können die Hornhautreflexbilder dienen.
Merke
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Abb. 3.42 Typische Synoptophor-/Synoptometer-Bilder. (Quelle: Oculus Optikgeräte GmbH)
Strahlengang, Erzeugung und Verwendung des Haidinger-Büschels (▶ Abb. 3.41b): Das Haidinger-Büschel ist ein entoptisches Phänomen, das nur mit der Fovea wahrgenommen wird. Es zeigt sich als Wirbel, wenn die Fovea von blauem Licht mit rotierender Polarisationsebene getroffen wird. Zur Erzeugung dreht ein kleiner Motor im Synoptophor-/Synoptometerarm kontinuierlich einen Polarisationsfilter, nachdem ein Blaufilter vor die Lichtquelle geschoben wurde. Das linke Auge – das rechte ist vorübergehend verschlossen – fixiert einen kleinen Kreis auf einem transparenten Bildträger (Testbild). Bei fovealer Fixation (oben) erscheint das Haidinger-Büschel dem Kreis überlagert. Ist das monokulare Blickfeld bei einer Abduzensparese nach links eingeschränkt (unten), fallen Kreis und Haidinger-Büschel auseinander, weil das gelähmte Auge den Kreis im Linksblick nicht mehr fixieren kann (siehe ▶ Abb. 3.55).
H ●
Größere Schielwinkel können am Synoptophor nur durch Verschieben beider Bildträger ausgeglichen werden. Damit wird eine genaue Definition der Blickrichtung unmöglich, ein Problem, das beim Synoptometer nur selten auftritt. Dieses Problem hat allerdings beim Begleitschielen weniger Bedeutung als beim Lähmungsschielen.
Die Genauigkeit dieser Messungen hängt sehr wesentlich von der Stabilität des Kopfes (definierte Blickrichtung) und von der Wahl der Bildpaare ab. Große anschauliche
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Binokularsehen
Spinne
Netz
Abb. 3.43 Bestimmung des subjektiven Winkels mit dem Synoptophor. a Das linke Auge fixiert die Spinne, das rechte Auge sieht das Spinnennetz. Untersucher oder Patient verschieben den rechten Bildträger so, dass die Spinne in der Netzmitte sitzt. b Korrekte Überlagerung im subjektiven Winkel. c Das Netz springt kurz vor Überlagerung auf die andere Seite (Kreuzen der Bilder im subjektiven Winkel). d Das Netz verschwindet bei Annäherung an die Spinne und taucht erst weit auf der anderen Seite wieder auf (Kreuzen der Bilder um den subjektiven Winkel).
a
b 30°
30°
30°
30°
c
d 0°
30°
Objekte (Spinne und Netz, Löwe und Käfig) erschweren ein ruhiges Fixieren und führen deshalb zu ungenaueren Messungen. Sie können allerdings die Aufmerksamkeit von Kindern weit besser fesseln als ein Punkt oder Kreis. Ist der objektive Winkel durch entsprechende Einstellung der Bildträger ausgeglichen (keine Einstellbewegungen bei beidseits foveolarer Fixation), sollte man den Patienten nach seiner Wahrnehmung fragen. Folgende Angaben sind denkbar (▶ Abb. 3.43a–d): ● Die von beiden Augen fixierten Halbbilddetails erscheinen überlagert (Punkt im Kreis, Spinne in Netzmitte, Löwe in Käfigmitte). In diesem Fall liegt normale Korrespondenz vor. Der objektive Winkel und der subjektive Winkel sind identisch. Ihr Betrag kann an den Geräteskalen oder an der Digitalanzeige abgelesen werden. ● Die von beiden Augen fixierten Halbbilddetails erscheinen nicht überlagert, sondern neben oder übereinander. Es besteht anomale Korrespondenz. Durch Abblinken lässt sich leicht feststellen, ob das nichtfixierende Auge sein Bild gekreuzt oder ungekreuzt, im Sinne der positiven oder negativen Vertikaldivergenz lokalisiert (siehe Prismenabdecktest, Kap. Prismenabdecktest). Man verschiebt nun den Bildträger des nichtfixierenden Auges so, dass Überlagerung eintritt (Kap. Prismenabdecktest). Die Position des Bildträgers entspricht dann dem subjektiven Winkel. Dieser ist in der Regel kleiner als der objektive. Bei manchen Patienten verschwindet das Halbbild des nichtfixierenden Auges, wenn man sich dem subjektiven Winkel nähert, weil es exkludiert wird. Es taucht bei weiterer Verschiebung des Bildträgers auf der anderen Seite des vom fixieren-
264
●
den Auge gesehenen Halbbilds wieder auf. Ist die Exklusionszone klein, spricht man von Kreuzen der Bilder im subjektiven Winkel, anderenfalls von Kreuzen der Bilder um den objektiven Winkel (siehe Prismenabdecktest, Kap. Prismenabdecktest). Es ist nur ein Halbbild sichtbar, weil der Seheindruck dieses Auges im objektiven Schielwinkel exkludiert wird. In diesem Fall ist durch Bewegen des Bildträgers des nichtfixierenden Auges leicht festzustellen, ob die Halbbilder in einem anderen Winkel, dem subjektiven Winkel, überlagert werden oder ob ein Kreuzen der Bilder in dem oder um den subjektiven oder objektiven Winkel angegeben wird. Analog zum Prismenausgleich (siehe Kap. Prismenausgleich des subjektiven Winkels) kann man auch den Bildträger des nichtfixierenden Auges vom Patienten selbst schon zu Beginn der Untersuchung so einstellen lassen, dass Überlagerung erreicht wird (subjektiver Winkel eingestellt). Durch Abblinken des fixierenden Auges wird nun geprüft, ob das nichtfixierende Auge Einstellbewegungen macht. Ist dies der Fall, besteht anomale Korrespondenz (objektiver Winkel nicht eingestellt). Fehlen Einstellbewegungen (objektiver Winkel eingestellt), ist die Korrespondenz normal. Diese Aussagen gelten wiederum nur bei beidseits zentraler Fixation.
Wenn der Patient die bisher benutzten Simultanbilder (Punkt und Kreis, Spinne und Netz etc.) überlagern kann, kann man sein Fusionsvermögen mit Fusionsbildern unterschiedlicher Größe weiter quantifizieren. Fusionsbilder sind in der Regel mit zentralen und peripheren Kontrollobjekten (Bilddetails) ausgestattet, die für beide
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30°
3.3 Manifestes Begleitschielen Halbbilder unterschiedlich sind. Bei korrekter Fusion müssen alle Kontrollobjekte erkannt werden. Ist das nicht der Fall, besteht vollständige oder teilweise Exklusion eines Seheindrucks.
3 2
A
Korrespondenzprüfung an Tangententafeln
1 5
H ●
Nach Ausgleich des objektiven Winkels entspricht der Abstand des roten Lichtpunkts zum Fixierlicht in der Tafelmitte dem Anomaliewinkel.
Bei subnormalem Binokularsehen ist die Lokalisation instabil. Das rote Licht erscheint kurzzeitig dem weißen Licht überlagert (NRK = normale retinale Korrespondenz/ normale Netzhautkorrespondenz), wandert dann nach rechts oder links und kehrt wieder zurück oder geht auf die andere Seite [20]. Ähnliche Wanderungsbewegungen können auch durch Schwankungen des objektiven Schielwinkels verursacht werden (Augenstellung mit dem einseitigen Abdecktest überprüfen!).
3
2
1
1
2
3
4
5
1
3
2 3 4
F
P
P’
F’
4
Anomaliewinkel
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Selbst bei größeren Kindern und Erwachsenen ist es nicht leicht, den subjektiven Winkel und den Anomaliewinkel mit Prismen zu bestimmen, weil neben horizontalen oft auch vertikale und torsionale Abweichungen auszugleichen sind. Auch kann die Prismenablenkung mit den üblichen Einzelprismen und Prismenleisten nicht stufenlos verändert werden, so dass ein exakter Ausgleich der Deviation nicht immer möglich ist. Die Korrespondenzprüfung an der Tangententafel ist in beiden Beziehungen überlegen, bietet aber weniger natürliche Sehbedingungen. Zur Messung des Anomaliewinkels genügt es, den objektiven Schielwinkel mit dem einseitigen Abdecktest mit Prismen auszugleichen, während ein Dunkelrotglas vor das Führungsauge gehalten wird. Das Dunkelrotglas sollte so dunkel gefärbt sein, dass das Fixierlicht nur foveolar gesehen werden kann. Nur unter dieser Bedingung ist es sicher, dass dieses Auge fixiert. Besonders geeignet sind sehr große Dunkelrotgläser, die das Auge zuverlässig abdecken. Der Patient wird aufgefordert, das rote Licht anzusehen (foveolare Abbildung) und dessen Position auf der Tangententafel (▶ Abb. 3.44) mit einem Lichtzeiger anzugeben. Da es das Dunkelrotglas dem Patienten nicht erlaubt, sich mit dem Führungsauge zu orientieren, kann er das rote Licht nur mit dem schielenden Auge im Raum lokalisieren. Dabei wird der rote Lichtpunkt nach dem Prinzip der Konfusion demjenigen Bilddetail überlagert, das auf der sehrichtungsgleichen Netzhautstelle des schielenden Auges abgebildet ist.
Merke
4
F P P’ F’ Abb. 3.44 Messung des Anomaliewinkels mit Dunkelrotglas und Tangententafel bei linksseitiger Esotropie. Der objektive Schielwinkel wird zuerst mit dem alternierenden Prismenabdecktest ausgeglichen. Zusätzlich zum Prisma wird vor das führende rechte Auge ein Dunkelrotglas gehalten, das in dessen Fovea (F‘) ein rotes Bild der Lichtquelle entstehen lässt. Dies Bild wird über die der Fovea korrespondierende Netzhautstelle (P) des nichtführenden linken Auges in den Raum lokalisiert und erscheint nach dem Konfusionsprinzip der Ziffer 4 auf der linken Halbskala der Tangententafel überlagert. Da der objektive Winkel ausgeglichen ist, entspricht der Abstand zwischen weißem und rotem Licht dem Anomaliewinkel (A). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
3.3.5 Besonderheiten der Winkelmessung Der objektive Schielwinkel ist keine feste Größe, sondern unterliegt teils mehr zufälligen, teils mehr systematischen Schwankungen. Geringe Winkeländerungen können bei wiederholten Messungen bei allen Patienten beobachtet werden. Sie haben für Diagnose und Therapie
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Binokularsehen
Instabile Horizontaldeviation Besonders bei Horizontalabweichungen ohne verlässliche Binokularfunktion gilt es, den kleinsten Winkel richtig einzuschätzen, wenn operative Überkorrektionen vermieden werden sollen. Was man in diesem Sinn als kleinste Horizontaldeviation betrachtet, hängt auch davon ab, wie der kleinste und der größte Winkel bei der Operationsdosierung berücksichtigt werden. Grundsätzlich scheint allerdings die Größe der Horizontaldeviation in dieser Reihenfolge zuzunehmen: ● Fotografie im Dunkeln ● Hornhautreflexbildchen und lineare Strabometrie ● Abdecktest, auch in der Sonderform des einseitigen Prismenabdecktests ● simultaner Prismenabdecktest ● alternierender Prismenabdecktest ● Prismentragetest ● Synoptometer Welche Werte man seiner Operationsindikation zugrundelegen sollte, ist noch nicht definitiv zu entscheiden. Genauigkeit und Reproduzierbarkeit sprechen dafür, den einseitigen oder den simultanen Prismenabdecktest für die Messung des kleinsten Winkels einzusetzen und den alternierenden für die Bestimmung des größten. Wo wechselnde Horizontaldeviationen mit brauchbaren Binokularfunktionen einhergehen (dekompensierende Phorien, intermittierende Exotropie, normosensorische Esotropie, dekompensierende Mikroesotropie und Mikroesotropie mit latenter Komponente), empfiehlt es sich, den Winkelschwankungen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen sollte man den im alternierenden Prismenabdecktest gemessenen Winkel mit Folienprismen (Press-On-Prismen) ausgleichen. Bleibt nach mehrstündigem bis mehrtägigem Prismenausgleich eine wesentliche Winkelvergrößerung (mehr als 10–15 cm/m) aus, kann der bei diesem Prismenadaptationstest ermittelte Winkel operiert werden [3], [6], [15], [40], [41], [65]. Bei größerer Winkelzunahme als 10–15 cm/m (anomale Fusion [1], [14], [16]) ist Vorsicht geboten, weil erhebliche Übereffekte auftreten können. Trotz aller Bemühungen gelingt es auch bei wiederholten Untersuchungen oft nicht, die kleinste Horizontaldeviation zu erfassen. Man sollte deshalb stets auch die Angaben der Eltern oder das Familienalbum für wertvollere Informationen heranziehen.
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Dissoziiertes Höhenschielen Beim dissoziierten Höhenschielen [11] finden sich wechselnde Vertikaldeviationen, wenn der Patient müde ist, tagträumt, kleine Optotypen liest oder wenn man ein Auge abdeckt. Häufig besteht gleichzeitig eine assoziierte Vertikaldeviation. Man sollte immer allein mit dem Ab- und Aufdecktest zu stellen. Unabhängig vom Ergebnis des Abdecktests sollte man immer dann nach einem dissoziierten Höhenschielen suchen, wenn ● in der Anamnese wechselnde Höhenabweichungen angegeben werden, ohne dass sich bei der Motilitätsprüfung entsprechende Fehlfunktionen der Vertikalmotoren erkennen lassen. ● bei binokularer Visusprüfung mit kleinen Optotypen eine langsam zunehmende Vertikaldivergenz ohne wesentliche Änderung der Horizontalabweichung auftritt [63]. ● bei Vorhalten eines Dunkelrotglases vor das fixierende Auge das schielende Auge eine Abwärtsbewegung durchführt. ● sich bei – scheinbarem – Strabismus sursoadductorius ein A-Symptom statt des zu erwartenden V-Symptoms findet. Der Schielwinkel hängt beim dissoziierten Höhenschielen vom Sehgleichgewicht zwischen dem rechtem und dem linken Auge ab. Verdunkelt man beim Dunkelrotglastest (▶ Abb. 3.45) den Lichteinfall eines Auges (hier linkes Auge), ändert sich das Sehgleichgewicht. In typischen Fällen rotiert das nicht verdunkelte Auge (hier rechtes Auge) nach unten. Allerdings lässt sich mit diesem Verfahren eine dissoziierte Schielkomponente nicht in allen Fällen aufdecken, wie schon Bielschowsky erkannte [11]. Empfindlicher ist der Fixationswechseltest [49], [50], bei dem das Sehgleichgewicht stärker verändert wird als beim Dunkelrotglastest. Beim Fixationswechseltest wird nach dem Prinzip des alternierenden Abdecktests nicht nur ein Auge verdunkelt (Okklusion), sondern gleichzeitig das andere belichtet (Entfernung der Okklusion). Ferner wird die Fixation von einem zum anderen Auge gewechselt, was die zentralnervöse Gewichtung von einem Auge zum anderen verlagert. Im Gegensatz zum gewöhnlichen alternierenden Abdecktest darf man beim Fixationswechseltest die Augen nicht jeweils in derselben Blickrichtung fixieren lassen (zum Beispiel in der Primärposition). Sonst würde man eine Verwechslung mit einer Inkomitanz riskieren, zum Beispiel mit einer Sursoadduktion. Vielmehr muss man beim Wechsel der Okklusion das frei werdende Auge in der Stellung fixieren lassen, die es unter der Okklusion eingenommen hat. Dies erfordert Prismen oder ein Synoptophor, wie im Kapitel 4.2, Seite 322, beschrieben.
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keine Bedeutung. Wichtiger sind die charakteristischen Schwankungen der Horizontal- und Vertikaldeviation bei kongenitalem oder frühkindlichem Schielen.
3.3 Manifestes Begleitschielen Das dissoziierte Höhenschielen kann sehr entstellend sein, und es ist schwer zu behandeln, vor allem, wenn alternierend fixiert wird und somit mal das rechte und mal das linke Auge zu hoch steht.
Hat die orientierende Untersuchung ein Begleitschielen ergeben, soll bei kleinen Schielwinkeln zunächst das Binokularsehen mit Stereotests (Stereotest nach Kolling, Treffversuch nach Lang, Titmus- oder TNO-Test) und mit Binokulartests (Worth-Test) weiter quantifiziert werden. Da die genannten Tests das Binokularsehen in unterschiedlichem Ausmaß dissoziieren, sind die Ergebnisse nicht vergleichbar. Der Nachweis von Binokularsehen mit manifestem Schielwinkel bedeutet immer harmonisch anomale Korrespondenz unter den gegebenen Testbedingungen. Für die Messung des objektiven Schielwinkels können wegen der anomalen Korrespondenz bei Begleitschielen nur Methoden benutzt werden, die auf der Neutralisation von Einstellbewegungen beruhen – wie der Prismenabdecktest oder die Untersuchung mit dem Synoptophor oder Synoptometer. Bei exzentrischer Fixation kann der objektive Winkel nur nach Hornhautreflexbildern bestimmt werden. Ist der objektive Schielwinkel mit Prismen oder am Synoptophor/Synoptometer ausgeglichen, kann die subjektive Lokalisation erfragt und damit die Korrespondenz überprüft werden (▶ Tab. 3.3). Ausgesprochen instabile Horizontaldeviationen und das dissoziierte Höhenschielen bedürfen besonderer Techniken (Prismenadaptation, Dunkelrotglas).
a
3 b
c
d
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3.3.6 Zusammenfassung
Abb. 3.45 Untersuchung des dissoziierten Höhenschielens mit dem Dunkelrotglas. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Bei unbehindertem Binokularsehen findet sich keine oder nur eine geringe Vertikaldeviation. b Wird vor das fixierende linke Auge ein Dunkelrotglas gesetzt, tendiert dieses Auge nach oben. c Der Patient kann die Lichtquelle mit dem linken Auge nur fixieren, wenn er die dissoziierte Höhe des linken Auges mit einer vermehrten Senkerinnervation ausgleicht. Diese Ausgleichsinnervation überträgt sich nach dem Hering-Gesetz auf das nichtfixierende rechte Auge, das entsprechend nach unten abweicht. d Das rote Bild der Lichtquelle wird dabei über das rechte Auge unter das Fixierlicht lokalisiert. Abdecken des rechten Auges führt bei beidseitigem dissoziierten Höhenschielen zu einer Aufwärtsbewegung an diesem Auge.
Tab. 3.3 Begleitschielen – Standardmethoden (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008). Symptomatik
Methodik
Binokularsehen bei kleinem Schielwinkel
● ● ● ● ● ●
Objektiver Winkel
● ●
Subjektiver Winkel
● ● ●
Zu beachten
Relevante Befunde, Fragen
Stereotest nach Kolling Treffversuch nach Lang Titmus-Test TNO-Test, Lang-Test Lichtschweiftest Worth-Test
Augenstellung (Abdecktest), Fixation, Blickrichtung
Stereodefizite, anomales Binokularsehen Binokular-, Korrespondenzanomalien
Prismenabdecktest Synoptophor, Synoptometer
Fixation, Blickrichtung
Schielwinkel, Inkomitanz (Schrägschielen, Buchstabensymptome)
Lokalisation nach Prismenausgleich Synoptophor, Synoptometer Korrespondenzprüfung an Tangententafel
Fixation, Augenstellung (Einstellbewegungen?), Blickrichtung
normale, harmonisch anomale, disharmonisch anomale Korrespondenz
267
Binokularsehen
3.4.1 Einleitung
●
keine Zwangshaltung im Binokularbefund, im gesamten Blickfeld binokulares Einfachsehen (Stereotests, siehe Kap. Lang-Test I und II, Lichtschweiftest, siehe Kap. Lichtschweiftest nach Bagolini), keine Inkomitanz (S. 251), zentrale Fixation (siehe Kap. 3.2.11), kein manifester Strabismus (keine Einstellbewegungen beim einseitigen Abdecktest, siehe Kap. Einseitiger Abdecktest), latente Abweichung (Fusionsbewegungen beim Aufdecktest, siehe Kap. Aufdecktest).
Latentes Begleitschielen (Heterophorie) ist so häufig, dass es als Normalzustand gelten könnte. Demgegenüber sind therapiebedürftige symptomatische Spielarten (heterophoriebedingte Asthenopie) eine ausgesprochene Rarität. Deshalb muss die Verdachtsdiagnose auf heterophoriebedingte Asthenopie in vielfacher Hinsicht differenzialdiagnostisch überprüft werden.
Nun muss eine weitere Klärung nach ▶ Abb. 3.46 erfolgen. Diese ist in Kap. 2.2 (Heterophorie und Asthenopie) so detailliert beschrieben, dass hier nur ergänzende Hinweise gegeben werden.
3.4.2 Überblick über Diagnostik und Therapie
3.4.4 Refraktion, Akkommodation und Aniseikonie
In Abb. ▶ Abb. 3.46 ist der Untersuchungsgang in einem Flußdiagramm skizziert. Viele Einzelheiten werden im Kapitel 2.2 Heterophorie und Asthenopie eingehend besprochen.
3.4.3 Anamnese und erweiterte orientierende Untersuchung Eine heterophoriebedingte Asthenopie darf vermutet werden, wenn die orientierende Untersuchung ergab: ● typische asthenopische Beschwerden in der Anamnese (siehe Kap. 3.2.3)
H ●
Merke
Asthenopische Beschwerden sind häufiger auf eine nicht oder falsch korrigierte Refraktionsanomalie als auf eine Heterophorie zurückzuführen. Dies gilt auch dann, wenn gleichzeitig eine Heterophorie vorliegt (asymptomatische Heterophorie mit Refraktionsasthenopie).
Eine sorgfältige objektive und subjektive Refraktionsbestimmung mit binokularem Abgleich ist die Grundlage
Symptomatisches latentes Begleitschielen Heterophoriebedingtes Asthenopie
Überprüfung/Messung Refraktion, Akkommodation, Iseikonie
Tragetest mit ermittelten Werten für Ferne/Nähe, bei positivem Ergebnis Brille verordnen, keine weiteren Maßnehmen.
evtl. 2/4 pdpt-Basis-innen-, -außen, -oben-, -unten-Test, Additionstest ... s. Kap. 2.2 Überprüfung Organbefund, neuroophthalmologischer Status
spezifische Therapie
Prüfung auf andere sensomotorische Störungen (MT, ARK, Inkomitanz, Zyklo, ...)
spezifische Therapie
Mit optimierter Brille (Messbrille) vorwiegend in Problem-/Arbeitsdistanz Prismenbedarf ermitteln (vorzugsweise „selbstgewähltes Prisma“ s. Kap. 2.2).
Tragetest mit optimierter Brille und „selbstgewähltem Prisma“ bei positivem Ergebnis verordnen.
Abb. 3.46 Untersuchungsgang und Therapie bei heterophoriebedingter Asthenopie.
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3.4 Symptomatisches latentes Begleitschielen (heterophoriebedingte Asthenopie)
3.4 Latentes Begleitschielen aller weiteren Maßnahmen [22], [62]. Dabei muss man besonders achten auf eine angemessene Korrektion ● der Hyperopie, ● der juvenilen Akkommodationsschwäche [56], ● der Presbyopie und ● des Astigmatismus.
Vorsicht
G ●
Bei manchen Patienten ist trotz des normalen maximalen Akkommodationserfolgs keine ausdauernde Akkommodationsleistung möglich. Diese Patienten klagen in der Regel schon über asthenopische Beschwerden, wenn sie 5–10 Minuten ohne einen Nahzusatz lesen müssen [56].
Nach den Ergebnissen von Refraktions- und Akkommodationsmessungen wird eine Messbrille für den Tragetest
3
Abb. 3.47 Testfigur zur Akkommodometrie nach Duane. Die Figur wird den Augen des Patienten monokular angenähert, bis diesem der feine Strich zwischen den beiden Blöcken unscharf oder doppelt erscheint.
für Ferne und/oder Nähe (vorrangig in der Problem-/Arbeitsdistanz) angepasst. Ist der Patient damit beschwerdefrei, erübrigen sich weitere Maßnahmen. Anderenfalls sollte man zunächst prüfen, ob ein störender retinaler Bildgrößenunterschied zwischen dem Bild im rechten und im linken Auge vorliegt (Aniseikonie). Dabei kommt es für das Binokularsehen offenbar mehr auf die subjektiv empfundene und mit entsprechenden Methoden nachweisbare Aniseikonie an, als auf die berechenbaren objektiven Unterschiede zwischen den retinalen Bildgrößen. Aniseikonie ist insbesondere bei Anisometropien von mehr als 3 D zu erwarten, aber auch dann, wenn eine schon seit der Kindheit bestehende Anisometropie durch refraktive Chirurgie an Hornhaut oder Augenlinse beseitigt wurde. Überschreitet die Aniseikonie 6–7 %, so ist mit negativen Rückwirkungen auf die Binokularfunktion und mit Asthenopie zu rechnen. Kinder mit früh korrigierten Anisometropien scheinen für Aniseikonien weniger empfindlich zu sein als Jugendliche oder Erwachsene. Ohne Binokularsehen ist eine Bestimmung der Aniseikonie nicht möglich. Eine qualitative Prüfung auf Aniseikonie kann mit dem Hakentest des Polatest-Sehprüfgeräts (siehe Kap. Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH) und „Winkelfehlsichtigkeit“) oder mit dem Rot-Grün-Test vorgenommen werden. In beiden Fällen sieht der Patient durch den Phoropter, der auf die Korrektion beider Augen eingestellt ist. Beim Hakentest sind Polarisationsfilter vorgeschaltet. Der Patient soll beurteilen, ob die zunächst vertikal, dann auch horizontal angebotenen Rechteckhaken gleich groß sind oder nicht. Die Beurteilung gelingt dem Patienten leichter, wenn die Haken einander gegenüber stehen und wenn sich zwischen ihnen ein kleiner Spalt zeigt. Beides kann bei Heterophorien nicht gegeben sein und sollte dann mit dem Prismenkompensator (▶ Abb. 3.48) ent-
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Bedenken sollte man auch, dass manche Patienten im Nahbereich eine andere Astigmatismuskorrektion benötigen als bei Blick in die Ferne. Vergleichsweise geringe praktische Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Messung des AC/A-Quotienten. Ein erhöhter AC/A-Quotient kann bei allen Heterophorien vom Typ des Konvergenz- oder Divergenzexzesses ohne weitere Messungen schon aus der Größe von Fern- und Nahheterophorie erschlossen werden. Bemerkenswerter ist, dass diese Heterophorieformen mit einem reduzierten Akkommodationserfolg (hypoakkommodative Formen) einhergehen können. Deshalb sollte man bei Konvergenz- oder Divergenzexzess auch den maximalen Akkommodationserfolg mit optimaler Fernkorrektion monokular und binokular messen, indem man entweder bei Fernfixation Minusgläser vorschaltet, bis kleine Optotypen unscharf werden, oder indem man den Akkommodationsnahpunkt bestimmt. Zur Messung des Akkommodationsnahpunkts werden kleine Optotypen (eventuell als bichromatischer Test) oder geeignete Testfiguren (z. B. Duane-Figur, ▶ Abb. 3.47) monokular langsam so weit angenähert, bis Unschärfe eintritt. Der Kehrwert des Abstands in Metern entspricht der Nahpunktrefraktion. Der maximale Akkommodationserfolg kann daraus und aus der Fernpunktrefraktion berechnet werden (z. B. Annäherung auf 0,2 m möglich, Nahpunktrefraktion damit 5 D, Fernpunktrefraktion 0 D, maximaler Akkommodationserfolg 5 D, dabei entspricht D = Dioptrie der Brechkraft ausgedrückt als Kehrwert der Brennweite/Entfernung 1/m). Da maximale Akkommodation nur im Nahbereich in Blicksenkung aufgebracht werden kann, werden mit dem letztgenannten Verfahren in der Regel größere und wohl auch klinisch bedeutsamere Werte gemessen. Normwerte sind von Duane für verschiedene Altersstufen angegeben worden.
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Binokularsehen
Abb. 3.49 Vorlagen zur Bestimmung der Aniseikonie mit dem Phasendifferenz- oder Polarisationshaploskop.
sprechend gerichtet werden. Zur Abschätzung des Größenunterschieds kann die Strichbreite dienen. Mit dem Rot-Grün-Test prüft man in der Regel auf Refraktionsgleichgewicht, zunächst unter Bildtrennung mit dem Graefe-Prisma, dann ohne dieses. Durch im Projektor vorgeschaltete Farbfilter wird die rechte Hälfte der Projektion rot, die linke grün gefärbt. Setzt man nun – nach Einstellung des Refraktionsgleichgewichts – in den Phoropter vor das rechte Auge ein rotes und vor das linke Auge ein grünes Filterglas, so kann der Patient mit dem rechten Auge nur das rote, mit dem linken Auge nur das grüne Halbfeld sehen. Er kann deren Größe vergleichen und einen ggf. vorhandenen Unterschied abschätzen. Auch hier sollten die beiden Halbbilder mit dem Prismenkompensator in geringem Abstand einander gegenüber gestellt werden. Für die quantitative Bestimmung der Aniseikonie kann man ein Phasendifferenz- oder ein Polarisationshaploskop (meist für 2–2,5 m) oder den Aniseikonietest nach Esser (für 0,4 m) benutzen. Zur Messung der Aniseikonie werden in die Projektoren des Phasendifferenz- oder Polarisationshaploskops solide Halbkreise oder ähnliche Figuren (▶ Abb. 3.49) [19] eingesetzt. Die Projektoren werden so ausgerichtet, dass der Patient die beiden Halbkreise in geringem Abstand einander gegenüber sieht. Die gerade Strecke (im Folgenden als Kreisdurchmesser bezeichnet) des einen Halb-
270
Abb. 3.50 Aniseikonietest nach Esser.
kreises wird über das Varioobjektiv des einen Projektors der Strecke des anderen Halbkreises entsprechend eingestellt. Anschließend werden die Durchmesser beider Halbkreise gemessen. Der Größenunterschied kann – bezogen auf das rechte Auge – berechnet werden nach: Aniseikonie [%] = ((dR – dL)/dR) × 100 Dabei bedeuten: ● dR: Kreisdurchmesser rechtes Auge ● dL: Kreisdurchmesser linkes Auge Bei positivem Vorzeichen ist der rechte Kreis größer, das rechte Netzhautbild also kleiner als das linke. Bei negativem Vorzeichen ist der linke Kreis größer, das linke Netzhautbild also entsprechend kleiner. Anschließend sollte man in die Projektoren Fusionsbilder einsetzen und – ggf. nach neuerlichem Winkel- und Bildgrößenabgleich – prüfen, ob unter diesen Bedingun-
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Abb. 3.48 Prismenkompensator (Einsteckversion zur Refraktionsbrille von Oculus). Er besteht aus 2 Einzelprismen, die mit einer kleinen Schraube (vorn) gegeneinander verdreht werden können. Dadurch kann man in 2 entgegengesetzten Richtungen verschiedene prismatische Wirkungen an einer Skala einstellen.
3.4 Latentes Begleitschielen gen stabile Fusion möglich ist. Fehleinschätzungen und -deutungen können vermieden werden, wenn man dabei nachfragt, ob die zentralen und peripheren Kontrollobjekte der Fusionsbilder erkannt werden oder nicht. Der Aniseikonietest nach Esser (▶ Abb. 3.50) [26], [27] basiert auf dem Anaglyphenverfahren. Unter Rot-GrünTrennung werden zu einem Halbkreis fester Größe Halbkreise verschiedener Größe angeboten, die nach dem Rekoss-Prinzip einer drehbaren Pappscheibe aufgedruckt sind. Der Patient soll angeben, wann die Halbkreisgrößen übereinstimmen. Die Aniseikonie kann unmittelbar in Prozent abgelesen werden. Der Halbkreis fester Größe ist beweglich, so dass Heterophorien oder -tropien weitgehend so ausgeglichen werden können, dass die Kreise einander beim Vergleich gegenüber stehen. Eine störende Aniseikonie kann mit kombinierten Kontaktlinsen-Brillen-Sehhilfen oder auch dadurch ausgeglichen werden, dass ein Auge für die Nähe, das andere für die Ferne korrigiert wird.
te setzt sich aus Konvergenz- und Divergenzbreite bzw. Konvergenz- und Divergenzreserve zusammen. Die vertikale Fusionsbreite umfasst entsprechend positive und negative Vertikalvergenzbreite bzw. -reserve, die Zyklofusionsbreite In- und Exzyklovergenzbreite bzw. -reserve.
3.4.5 Messung der Fusionsbreite
Im Grenzbereich der Fusionsbreite kommt es unter der Wirkung des Fusionszwangs individuell unterschiedlich zu einer Änderung des Akkommodationszustands. Dabei kann die Akkommodation größer oder kleiner werden als der Akkommodationsbedarf für die gegebene Entfernung. Der nicht dem Bedarf entsprechende Akkommodationszustand äußert sich in einer spürbaren Kontrast- und Schärfeminderung an Optotypen (Nebelpunkt). Prismen Basis außen zwingen zur Konvergenzfusion und – ab einer gewissen Ablenkung – auch zu mehr Akkommodationsaufwand (Nebelpunkt innerhalb der Konvergenzbreite). Prismen Basis innen nötigen zu Divergenzfusion und – ab einer gewissen Ablenkung – zu einer Minderung des Akkommodationsaufwands (Nebelpunkt innerhalb der Divergenzbreite). Zur Kompensation einer Heterophorie kann nur die Vergenzbreite bzw. -reserve bis zum Nebelpunkt sinnvoll genutzt werden. Die danach einsetzende Änderung des
3
G ●
Vorsicht
Dieses Verfahren ist für die Bewertung der horizontalen Fusionsbreite Heterophorer unzureichend, weil es nicht berücksichtigt, dass sich vor dem Auftreten der Diplopie meist der Akkommodationszustand ändert.
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Bei Heterophorien ist stabiles Binokularsehen nur möglich, wenn die Abweichung von der Orthotropie durch motorische Fusion (fusionale Vergenz) kompensiert wird. Als Maß für die motorische Fusion dient die Fusionsbreite. Als Fusionsbreite bezeichnet man die Summe der Beträge zweier entgegengesetzter, maximal möglicher Vergenzstellungen, die bei konstantem Akkommodationsbedarf noch binokulares Einfachsehen gestatten. Die Fusionsbreite setzt sich aus gegensinnigen Vergenzbreiten bzw. Vergenzreserven zusammen. Dabei werden die einzelnen Breiten von der Ruhestellung, die einzelnen Reserven von der Orthotropie bis zu der jeweils maximal möglichen Vergenzstellung gerechnet (▶ Abb. 3.51 – DIN 5340). Zu unterscheiden sind die horizontale, die vertikale und die Zyklofusionsbreite. Die horizontale Fusionsbrei-
▶ Horizontale und vertikale Fusionsbreite (Nebel-, Abreiß- und Wiedervereinigungspunkt). Die Fusionsbreite wird oft so gemessen, dass – mit zunehmender Ablenkung – so lange Prismen vorgesetzt werden, bis Diplopie (Abreißpunkt) oder auch Exklusion eintritt.
AP
AP FB WP
WP
NP
NP KB
DB
20 cm/mBi
10
0
10
20
30
40 cm/mBa
Abb. 3.51 Horizontale Fusionsbreite. Bei Vorsatz von Prismen steigender Ablenkung Basis außen tritt in der Regel zunächst Bildunschärfe ein (Nebelpunkt: NP), weil die Versuchsperson nach Ausschöpfen der fusionalen Konvergenz Akkommodation und akkommodative Konvergenz einsetzt. Erst bei weiterer Verstärkung der Prismen kommt es zu Diplopie (Abreißpunkt: AP). Die Prismenbelastung muss deutlich reduziert werden, bevor der Patient wieder fusionieren kann (Wiedervereinigungspunkt: WP). Bei Prismenbelastung Basis innen lassen sich Nebel- und Abreißpunkt selten abgrenzen. Der von Diplopie freie Bereich zwischen den Abreißpunkten wird als Fusionsbreite (FB) bezeichnet. Die Fusionsbreite schließt den von Unschärfe freien Bereich zwischen den Nebelpunkten ein. Dieser Bereich setzt sich zusammen aus der fusionalen Konvergenz (relative Konvergenzbreite: KB) und der fusionalen Divergenz (relative Divergenzbreite: DB). (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
271
Binokularsehen
272
3.4.6 Zusammenfassung Bei Verdacht auf heterophoriebedingte Asthenopie sind weitere Untersuchungen erforderlich, bevor eine Prismentherapie eingeleitet wird. Unter differenzialdiagnostischen Aspekten sind zu prüfen: ● Anamnese ● Organbefund ● Refraktion ● Akkommodation ● sensomotorischer Status mit Ausschluss anderer Schielformen oder Augenbewegungsstörungen In den meisten Fällen von Asthenopie zeigt sich bei diesen Untersuchungen, dass die Heterophorie nicht die Ursache der Beschwerden ist. Deshalb ist es erst nach differenzialdiagnostischer Abklärung sinnvoll, mit einer Messung der latenten Fehlstellung Probeprismen für Trageversuche zu ermitteln. Mit welchem Messverfahren das geschieht, scheint von nachrangiger Bedeutung. Einiges spricht für die Methodik des selbstgewählten Prismas. Doch ist festzuhalten, dass die Überlegenheit einer bestimmten Methode in der Praxis bisher nicht bewiesen werden konnte. Weitere Details werden in Kap. 2.2 behandelt.
3.5 Lähmungsschielen 3.5.1 Einleitung Lähmungsschielen ist die Funktionsminderung eines oder mehrerer Augenmuskeln. Diese Funktionsminderung kann von einer minimalen Parese bis zur völligen Paralyse reichen. Auffälligste Folge ist die Bewegungseinschränkung des betroffenen Auges, erkennbar an der Einschränkung des monokularen Blickfelds in der Blickrichtung, in die der gelähmte Augenmuskel das Auge normalerweise bewegt. Durch die Diskrepanz zwischen Blickintention und Erfolg entsteht eine Störung der subjektiven Lokalisation. Andererseits bewirkt die Einschränkung des monokularen Blickfelds einen Schielwinkel, der in einer Blickrichtung zunimmt und in der Gegenrichtung abnimmt oder verschwindet. Diese Inkomitanz des Schielwinkels ist ein wesentliches Merkmal der Parese. Falls der Schielwinkel in einer Blickrichtung verschwindet oder so klein ist, dass er durch die motorische Fusion ausgeglichen werden kann, besteht beidäugiges Einfachsehen in dieser Blickrichtung. Das führt in der Regel zu einer Kopfzwangshaltung. Der Patient versucht, durch die Kopfzwangshaltung eine Blickrichtung einzunehmen, die innerhalb des Fusionsblickfelds ein bequemes Binokularsehen erlaubt. Eine Kopfzwangshaltung entsteht auch, wenn das führende (oder gar das einzige) Auge von der Lähmung betroffen ist. Hier dient die Kopfzwangshaltung nicht der Erhaltung der Fusion, sondern der Fixation.
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Akkommodationsaufwands ist möglicherweise für die Asthenopie mitverantwortlich zu machen [22], [56], [57]. In der Praxis kann man die Lage der Nebelpunkte innerhalb der horizontalen Fusionsbreite wie folgt ermitteln: Der Patient wird zunächst am Phoropter optimal mit binokularem Abgleich korrigiert. Ist dies geschehen, werden nicht zu kleine, gut sichtbare Optotypen angeboten. Mit Prismenkompensatoren vor beiden Augen werden symmetrisch langsam zunehmende Prismenwirkungen Basis außen erzeugt und damit zunehmende Konvergenzfusion induziert. Dies geschieht solange, bis der Patient Unschärfe, eventuell auch Bildverkleinerung angibt. Die Summe der jetzt an den beiden Prismenkompensatoren abzulesenden Ablenkungen gibt die Lage des Nebelpunkts innerhalb der Konvergenzbreite bzw. -reserve an. Entsprechend kann man die Lage des Nebelpunkts innerhalb der Divergenzbreite bzw. -reserve mit Prismen Basis innen ermitteln (siehe ▶ Abb. 3.51). Wird die Prismenwirkung Basis außen oder Basis innen über den Nebelpunkt hinaus verstärkt, tritt schließlich Diplopie ein (Abreißpunkt). Vermindert man nun die Prismenwirkung langsam wieder, kommt es bei Ablenkungen, die unterhalb des Abreißpunkts liegen, zur Fusion (Wiedervereinigungspunkt). Der Abstand zwischen Nebelpunkt und Abreißpunkt ist im Divergenzbereich durchweg erheblich kleiner als im Konvergenzbereich. Im Divergenzbereich ist deshalb – besonders für die Ferne – oft nur der Abreißpunkt nachweisbar (siehe ▶ Abb. 3.51). Bei der Messung der positiven und negativen Vertikalvergenzbreiten bzw. -reserven findet sich ebenfalls nur der Abreißpunkt. Exklusion kann bei der Messung der Fusionsbreite nur erkannt werden, wenn die beiden monokularen Bilder durch entsprechende Kontrollobjekte markiert werden (z. B. mit dem Polatest oder mit dem Lichtschweiftest nach Bagolini, siehe Kap. Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH) und „Winkelfehlsichtigkeit“ und Kap. Lichtschweiftest nach Bagolini). Ohne solche Kontrollen ist die soeben beschriebene Methode deshalb nur für Orthound Heterophore geeignet, die nicht oder selten exkludieren. An die Möglichkeit der Exklusion muss man denken, wenn bei der beschriebenen Untersuchung trotz zunehmenden Prismenvorsatzes vom Patienten nie Unschärfe oder Diplopie angegeben werden. Für die Bestimmung der Nebel-, Abreiß- und Wiedervereinigungspunkte sind kontinuierlich wirkende Prismenkompensatoren (Drehprismen nach Herschel) günstiger als die abgestuften Prismenleisten. Es ist zweckmäßig, jede Messung zu wiederholen, weil die Prismenvergenz übungsabhängig ist und sich ihr voller Wert oft erst nach mehrmaliger Bestimmung zeigt. Alle genannten Größen sollten ebenso wie die Phorie vorrangig in der Entfernung gemessen werden, in der Beschwerden auftreten.
3.5 Lähmungsschielen
H ●
Merke
Das Lähmungsschielen unterscheidet sich vom Begleitschielen vor allem dadurch, dass die Lähmung eines Augenmuskels in der Regel ein vorher normales Binokularsehen trifft. Im Vordergrund der Beschwerden des Patienten stehen deshalb Diplopie und Konfusion, die normalerweise bei Eintritt der Lähmung nicht durch Exklusion vermindert werden können.
Die Häufigkeit des Begleitschielens in der Bevölkerung beträgt 5–6 %. Es ist also damit zu rechnen, dass Augenmuskellähmungen in diesem Prozentsatz auf ein sensorisch nicht normales Binokularsehen treffen. In diesen Fällen äußern sich subjektive Beschwerden anders. Diplopie und Konfusion können viel geringer ausgeprägt sein oder ausbleiben. Ebenso kann eine Kopfzwangshaltung fehlen. Eine Augenmuskellähmung bei vorbestehendem Begleitschielen verursacht nicht nur andere Beschwerden, sondern beeinflusst auch die Untersuchung. Alle Untersuchungsmethoden, die auf dem Nachweis von Diplopie und Konfusion aufbauen, können undurchführbar sein oder nicht verwertbare Ergebnisse erbringen.
3.5.2 Instrumente/Geräte und Durchführung Zur Diagnosefindung und Behandlung bei Lähmungsschielen siehe ▶ Abb. 3.52.
3.5.3 Anamnese und erweiterte orientierende Untersuchung
In diesen Fällen ist es zweckmäßig, vor einer speziellen Untersuchung die Anamnese zu erweitern und die Untersuchung auszuweiten (▶ Abb. 3.52).
Anamnese Bei einer Augenmuskelparese wird der Patient meist über Doppelbilder klagen, falls er vorher über Binokularsehen verfügte. In der Regel lässt sich schnell erfragen, ob er auch Konfusion empfindet, die ihn meist mehr stört als
Lähmungsschielen
erweiterte Anamnese (Beginn akut oder chronisch, seit Geburt, Ermüdungsreaktion, vaskuläre Risikofaktoren, Systemerkrankungen usw.?) neuroophthalmologische Untersuchung (Lider, Pupille, Papille, Visus, Gesichtsfeld)
Bei frischer Parese ist meist internistische, neurologische, HNO-ärztliche und neuroradiologische Untersuchung notwendig!
3
Ein Lähmungsschielen ist anzunehmen, wenn Folgendes vorliegt: ● In der Anamnese akut aufgetretene Doppelbilder mit zunehmendem Abstand in einer bestimmten Blickrichtung und abnehmendem Abstand in der entgegengesetzten, akut aufgetretene konstante Kopfzwangshaltung, bei Kindern eventuell auch Kopfzwangshaltung seit Geburt, plötzliches Zukneifen oder Zuhalten eines Auges (vgl. Kap. 3.2.3). ● Bei der Untersuchung binokulares Einfachsehen in Kopfzwangshaltung, Diplopie und Schielen in der entgegengesetzten Kopfhaltung (vgl. Kap. 3.2.9), Inkomitanzzeichen bzw. Bewegungsdefizite in den diagnostischen Blickrichtungen.
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Das Fusionsblickfeld beschreibt die Gesamtheit der Blickrichtungen, in denen normales beidäugiges Einfachsehen durch Fusion aufrechterhalten werden kann. Bei einer Augenmuskelparese ist dieses Fusionsblickfeld eingeschränkt.
Analyse, Messung der Kopfzwangshaltung Maddox-Kreuz, Tangententafel
Abb. 3.52 Untersuchungsgang bei Lähmungsschielen. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Messung des monokularen Blickfelds Synoptophor, -meter, Tangententafel
Messung des Fusionsblickfelds Perimeter, Tangententafel
Messung des Schielwinkels in den 9 diagnostischen Blickrichtungen, in Zwangshaltung und entgegengesetzt dazu Synoptophor, -meter, Tangententafel, Koordimeter
273
die Diplopie. Es folgt eine genaue Familien-Anamnese, weil Retraktionssyndrome, der differenzialdiagnostisch wichtige dekompensierende Strabismus sursoadductorius (syn. alte, dekompensierende M.-obliquus-Störung) und andere Fehlbildungen der Augenmuskeln oder der Augenmuskelnerven nicht selten familiär gehäuft auftreten.
Merke
H ●
Bei einem Patienten, der bereits vor Beginn der Parese eine Schielerkrankung aufwies, fehlen fast alle subjektiven und einige der objektiven Symptome.
Die spezielle Anamnese richtet sich vor allem auf den Beginn der Augenmuskelparese bzw. der ersten Beschwerden. Wichtig ist, ob die Beschwerden plötzlich (über Nacht) entstanden sind oder langsam über Monate, ob sie sich bei Müdigkeit oder nach Alkoholgenuss verschlimmern oder ob sie eine Abhängigkeit von der Tageszeit aufweisen. Wichtig ist, ob den Beschwerden Folgendes vorausging: ● Augenzwinkern ● Zukneifen eines Auges ● Gang- oder Greifunsicherheiten ● allgemeine Störung der Koordination Besonderes Augenmerk verdient die Kopfzwangshaltung, nach der anamnestisch zu fahnden ist. Häufig erinnern sich Familienangehörige daran oder sie ist dem Familienalbum zu entnehmen. Nicht selten genügt ein Blick in den (meist alten) Führerschein, um eine lang bestehende Kopfzwangshaltung aufzudecken. Bei plötzlichem Beginn der Beschwerden ist die Frage nach einer Verletzung, nach Kopfschmerzen oder Schwindel naheliegend. Es ist selbstverständlich, dass nach dem internistischen und neurologischen Befund sowie demjenigen des HalsNasen-Ohren-Arztes gefragt wird.
Erweiterte orientierende Untersuchung Merke
H ●
Schon während der Anamnese sollte auf eine Kopfzwangshaltung geachtet werden, vor allem darauf, ob sie spontan eingenommen und bei einem Ortswechsel des Fixationsobjekts sofort nachgeführt wird.
Viele Untersuchungsdetails wurden bereits besprochen (siehe Kap. 3.2), so dass hier einige ergänzende Bemerkungen genügen. Bei frischen Paresen versucht der Patient oft, die Kopfzwangshaltung durch Zukneifen eines Auges zu vermeiden, bei lang bestehenden oder gar frühkindlich erworbenen Augenmuskellähmungen kann die Kopfzwangshaltung aufgegeben werden, während gleichzeitig
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ein Schielwinkel deutlich wird. Bei lang bestehenden Augenmuskellähmungen kann mitunter eine tastbare Asymmetrie der beiden Mm. sternocleidomastoidei oder (bei Kindern) sogar eine Asymmetrie des Gesichtsschädels nachweisbar sein. In der Kopfzwangshaltung wird geprüft, ob beidäugiges Einfachsehen besteht. Dieser Nachweis gelingt am schnellsten mit Stereotests, die aber meist nur für den Nahblick zur Verfügung stehen. Mit dem einseitigen Abdecktest wird in der Kopfzwangshaltung geprüft, ob Orthophorie, Heterophorie oder Heterotropie vorliegen (s. Kap. Einseitiger Abdecktest). Danach wird der Kopf passiv in die der Kopfzwangshaltung entgegengesetzte Richtung gedreht und der Patient nach Diplopie befragt. Wird diese bejaht, lässt man den Patienten wieder eine Kopfhaltung einnehmen, die die Diplopie verschwinden lässt. Die Prüfung der Führungsbewegungen, des PuppenkopfPhänomens und der Blicksprungbewegungen sowie der Limbustest nach Kestenbaum wurden schon behandelt (siehe Kap. 3.2.10, ▶ Abb. 3.27, ▶ Abb. 3.29a, b, ▶ Abb. 3.30). Insbesondere bei entzündlichen Augenmuskelerkrankungen kann bei der Prüfung der Führungsbewegungen Bewegungsschmerz auftreten, vor allem am Rand des monokularen Blickfelds. Nach diesen Untersuchungsschritten kann meist auch darüber entschieden werden, wie die Ätiologie geklärt werden muss.
Merke
H ●
Bei frischen Augenmuskellähmungen ist immer mindestens eine internistische und eine neurologische Untersuchung notwendig. In vielen Fällen bedarf es darüber hinaus einer ärztlichen Untersuchung im Hals-NasenOhren-Bereich oder der Abklärung mit bildgebenden Verfahren.
Weiterhin ergibt sich, welche Befunde einer genauen Messung unterzogen werden. Wird eine Verlaufskontrolle angestrebt mit dem Ziel, die zukünftige Zunahme oder Abnahme eines Funktionsdefizits zu verifizieren, ist die Art der Untersuchung festzulegen. Verlaufskontrollen sind nur sinnvoll, wenn sie unter vergleichbaren Untersuchungsbedingungen stattfinden. Eine Verlaufskontrolle und die einer Operation zugrunde liegende Untersuchung erfordern immer eine genaue Messung der einzelnen Parameter, die möglichst vom Operateur vorgenommen werden oder unter seiner Leitung stattfinden sollte.
Allgemeine ophthalmologische Untersuchung Bei der Sehschärfeprüfung (siehe Kap. 1.3) muss auf die Abhängigkeit der Kopfzwangshaltung von der Anforde-
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Binokularsehen
3.5 Lähmungsschielen
Merke
H ●
Bei jeder neuroophthalmologischen Untersuchung sind unverzichtbar: ● Perimetrie ● Untersuchung des Farbensehens ● Funduskopie
Lidstellung, Lidmotilität und Lidspalte Eine Ptosis kann durch angeborene Anomalien des M. levator palpebrae oder seiner Innervation oder durch erworbene Muskel- oder Nervenerkrankungen verursacht werden. Bei angeborener Ptosis findet sich gelegentlich (4–6 %) [10] eine meist linksseitige, gemeinsame Innervation von Lidheber- und Kaumuskulatur (Marcus-GunnSyndrom). Dadurch wird das Lid gehoben, wenn der Patient seinen Mund öffnet und/oder den Unterkiefer zur Gegenseite bewegt. Bei einer angeborenen Lidstörung sollte immer nach einem Marcus-Gunn-Syndrom gefahndet werden, indem der Patient aufgefordert wird, mahlende Kaubewegungen durchzuführen. Ein Säugling oder Kleinkind zeigen entsprechende Lidbewegungen beim Saugen an der Trinkflasche. Manchmal wird eine einseitige Ptosis auch durch ein Höhenschielen vorgetäuscht, wobei das ptotische, schielende Auge nach unten abweicht (Pseudoptosis bei Hypotropie). Im Unterschied zu echten Ptosen verschwindet die Pseudoptosis, wenn man das schielende Auge in Primärposition bringt. Dies kann durch Abdecken des nichtschielenden Auges geschehen oder durch das Vorsetzen eines Höhenprismas (20–30 cm/m) Basis unten vor dem nichtschielenden Auge. Die Zeichen einer erhöhten Orbikularisinnervation (Blepharospasmus) sollten nicht mit einer Ptosis verwechselt werden. Bei Blepharospasmus ist gleichzeitig das Unterlid etwas angehoben.
Die Lidspaltenweite kann schließlich auch dadurch vermindert sein, dass das Auge zu klein ist (Mikrophthalmus) oder zu tief in der Augenhöhle liegt (Enophthalmus, z. B. nach Blow-out-Fraktur). Verengung der Lidspalte und Pseudoptosis nur in Adduktion findet sich beim Retraktionssyndrom (Stilling-Türk-Duane-Syndrom). Die Lidspalte kann erweitert sein, wenn das Unterlid z. B. bei einem paralytischen Ektropium bei Fazialisparese herabhängt oder wenn das Auge zu groß ist (hochgradige Myopie, Hydrophthalmus). Bei einer Oberlidretraktion steht das Oberlid zu hoch über dem oberen Hornhautrand, z. B. Exophthalmus bei endokriner Orbitopathie. Bleibt das Oberlid bei Blicksenkung zurück (Graefe-Zeichen), liegt wahrscheinlich eine endokrine Orbitopathie vor. Hebt sich das Oberlid bei Adduktion und/oder Blicksenkung, besteht oftmals eine Okulomotoriusparese mit Fehlregeneration.
3
3.5.4 Bedeutung, Analyse und Messung der Kopfhaltung Primärposition der Augen und normale Kopfhaltung Merke
H ●
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rung an die Sehschärfe geachtet werden. Eine Zunahme der Kopfzwangshaltung während der Visusprüfung, d. h. bei abnehmender Optotypengröße, zeigt, dass eine Fixationsaufnahme in Primärposition nicht oder nur schwer möglich ist oder die Kompensation eines Nystagmus durch eine bestimmte Augenmuskelinnervation zur Sehschärfeverbesserung benutzt wird.
Jede Messung eines Schielwinkels und einer Kopfzwangshaltung erfordert zuerst die Bestimmung der Primärposition und der normalen Kopfhaltung des Patienten. Die gerade Kopfhaltung ist definiert als die Kopfhaltung, in der die Augen beim Blick in die Ferne die Primärposition einnehmen.
Zusatzinfo Bestimmung der Primärposition der Augen
●V
Die Primärposition ist die einzige Augenstellung, aus der heraus horizontale und vertikale Duktionen ohne Tertiärneigung möglich sind [30], [38], [69], [70]. Die exakte Bestimmung ist für die klinische Routine zu aufwendig. Die klinische Erfahrung zeigt, dass die normale Kopfhaltung reproduzierbar eingestellt werden kann, wenn der Untersucher vor dem Fixierlicht sitzt und von dort aus die Kopfhaltung beurteilt. Eine Kopfdrehung kann am besten festgestellt werden, indem der Untersucher hinter dem sitzenden Patienten steht und den Kopf von oben beobachtet. Eine Kinnsenkung oder -hebung wird beurteilt beim Blick von der Seite, indem die Verbindungslinie zwischen Stirn und Kinn mit einer Senkrechten, also z. B. einem Fensterrahmen, verglichen wird.
275
Kopfzwangshaltung Eine Kopfzwangshaltung kann bei Augenmuskelparesen verschiedenen Zielen dienen (▶ Tab. 3.4): ● Die Kopfdrehung kann notwendig sein, um überhaupt ein Sehobjekt fixieren zu können. Diese Form der Kopfzwangshaltung zur Fixationsaufnahme ist prinzipiell monokular verursacht und fällt auf, wenn eine Augenmuskelparese das besser sehende oder gar einzige Auge betrifft oder wenn beide Augen einen Motilitätsdefekt aufweisen. ● Die Kopfzwangshaltung kann eingenommen werden, um beidäugiges Sehen zu erreichen, also zur Vermeidung von Diplopie und Konfusion. Sie bleibt bestehen, solange die Bewegungseinschränkung besteht und keine Exklusion eintritt. ● Eine Kopfzwangshaltung wird bei einer Augenmuskelparese mitunter eingenommen zur Vermeidung von Störungen der egozentrischen Lokalisation, also dem sog. Vorbeizeigen – aber auch dem Vorbeilaufen und anderen Störungen koordinierter Bewegung im Raum. Alle diese Störungen spielen eine Rolle, wenn das von der Lähmung betroffene Auge die bessere Sehschärfe aufweist und die Führung übernimmt. Sie werden natürlich geringer, wenn eine Kopfzwangshaltung eingenommen wird. Bei einer Augenmuskellähmung wird der Kopf in die Richtung gedreht, in die der gelähmte Muskel das Auge bewegen soll. Fast immer weist also in Kopfzwangshaltung die Nase in die Zugrichtung des gelähmten Augenmuskels. In der Regel wird die geringste Kopfzwangshaltung eingenommen, die noch Diplopie verhindert [12] oder eine Fixationsaufnahme ermöglicht. Bei jeder Messung einer Kopfzwangshaltung ist daran zu denken, dass eine Brille die Messwerte erheblich verfälschen kann, insbesondere wenn eine erhebliche Ametropie vorliegt.
Die prismatische Nebenwirkung der Brillengläser bei Hyperopie bewirkt, dass der Winkel der Kopfzwangshaltung geringer ist als der Winkel der Blickwendung. Die prismatische Nebenwirkung der Gläser bei Myopie lässt hingegen eine relativ zu große Kopfzwangshaltung entstehen. Diese Fehler müssen berücksichtigt werden, wenn auf den Messungen eine Operationsdosierung basieren soll. Dient eine Kopfzwangshaltung der Fixationsaufnahme, wird sie monokular unter Visusbedingungen geprüft. Der Patient sitzt wie bei der Visusprüfung unter dem Visusprojektor und wird aufgefordert, die Optotypen zu lesen. Das Ausmaß der Kopfzwangshaltung wird mit dem Strabofix oder dem Stirnprojektor an der Tangententafel gemessen. Auch hier ist die empfehlenswerteste Methode die an der Tangententafel, da sie eine Messung aller drei Komponenten der Kopfzwangshaltung ermöglicht. Dient die Kopfzwangshaltung der Erhaltung von Fusion, erhält man reproduzierbare Werte nur, wenn man dem Patienten Fixierobjekte anbietet, die eine Fusion erzwingen bzw. bei fehlender Fusion die Diplopie aufdecken. Der Untersuchungsraum soll hell sein und gute Konturen auch für die Netzhautperipherie bieten. Es ist darauf zu achten, dass die gewählten Fixierobjekte auch eine Zyklodeviation erkennen lassen. Ein rundes Fixierlicht ist ungeeignet, da es auch bei einer Zyklotropie einfach gesehen wird.
Messung der Kopfzwangshaltung an einem Maddox-Kreuz Messungen der horizontalen, teils auch der vertikalen Komponenten der Kopfzwangshaltung können vor einem Maddox-Kreuz [48] durchgeführt werden, vor dem der Patient in 1 m Abstand sitzt. Unmittelbar oberhalb des Fixierlichts werden in Augenhöhe kleine Bilder oder Optotypen projiziert oder gehalten. Falls erforderlich, lenkt eine Hilfsperson die Aufmerksamkeit des Patienten auf diese Fixierobjekte. Der Untersucher befindet sich unmit-
Tab. 3.4 Differenzialdiagnostische Matrix „Kopfzwangshaltung“ (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008). Entstehung
Kopfzwangshaltung zur Diplopievermeidung (Diplopie in Kopfgeradehaltung)
–
Kopfdrehung
Kopfhebung
Kopfsenkung
Kopfneigung
Plötzliche Entstehung
Abduzensparese
Blow-out-Fraktur, Okulomotoriusparese
beidseitige Trochlearisparese, Blow-out-Fraktur
–
–
–
Langsame Entstehung
–
myogene Störung (z. B. endokrine Orbitopathie, Myasthenie)
–
dekompensierende M.-obliquus-Störung
Seit Geburt
Retraktionssyndrom
Fibrosesyndrom
–
angeborene Okulomotoriusparese
angeborene Okulomotoriusparese
–
–
Cave: Bei allen Kopfzwangshaltungen immer an falsche Brillenwerte denken!
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einseitige Trochlearisparese
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Binokularsehen
3.5 Lähmungsschielen
30°
U H
3
Abb. 3.53 Messung der Kopfzwangshaltung am MaddoxKreuz nach Kommerell. Die Hilfsperson (H) lenkt die Aufmerksamkeit des Patienten (P) auf ein Fixierobjekt in der Mitte einer Tangententafel, während der Untersucher (U) die Nase des Patienten anvisiert. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
telbar vor dem Fixierlicht dem Patienten gegenüber und sucht nun die Position auf, aus der er die Nase des Patienten gerade vor sich sieht. In der Verlängerung dieser Richtung auf die Balken des Maddox-Kreuzes können die horizontale und die vertikale Komponente der Kopfzwangshaltung in Grad abgelesen werden (▶ Abb. 3.53). Die Neigungskomponente kann gleichzeitig geschätzt werden. Bei der Messung kann ein einfaches zirkelähnliches Instrument (Strabofix, ▶ Abb. 3.3) hilfreich sein, dessen Anwendung bereits früher beschrieben wurde (siehe Kap. 3.2.4).
Messung der Kopfzwangshaltung an der Tangententafel Die genaueste Messung ist an der Tangententafel (▶ Abb. 3.54) [35], [53], [54] möglich, vor allem, weil sie – nach einmaliger Festlegung der normalen Kopfhaltung – während der gesamten Untersuchung einen genauen Vergleich der verschiedenen Kopfzwangshaltungskomponenten mit der Nullstellung gestattet.
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P
Abb. 3.54 Tangententafel. Das Fixierlicht in der Tafelmitte ist zum Lichtband aufgeblendet und entsprechend der Zyklowahrnehmung der Probandin gedreht. Das (hier kaum sichtbare) Positionskreuz des Stirnprojektors markiert die aktuelle Kopfhaltung. Die Probandin fixiert mit dem linken Auge die Mitte des Lichtbandes durch ein Dunkelrotglas und weist mit dem grünen Fleck eines Zeigeprojektors (rechte Hand) auf das dunkelrote Bild dieses Fixierobjekts. Die Position des grünen Fleckes und die Verdrehung des Lichtbandes entspricht den drei Komponenten des Schielwinkels. Bei Kopfneigung muss die entsprechende schräge Skala als Referenz für Horizontal- und Vertikaldeviation benutzt werden. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Darüber hinaus erlaubt die Tangententafel unter den verschiedenen Messmethoden die höchste Messgenauigkeit für alle Komponenten einschließlich der Neigung. Die gesamte Messung findet in einer einzigen Entfernung (2,5 m) statt und ermöglicht eine gute Definition der Blickrichtung (Stirnprojektor mit Positionskreuz) und der Neigung (Diagonalskalen) sowie eine Vermessung der Zyklodeviation (über Servomotor drehbares Lichtband) und der Kopfzwangshaltung (Stirnprojektor). Trotz der erweiterten Möglichkeiten ist die Genauigkeit der Messungen begrenzt, aber für alle diagnostischen Zwecke durchaus ausreichend. Fehler können bei der Ausrichtung von Augen und Stirnprojektor auf die Primärposition oder durch Verschiebung des Stirnprojektors während der Untersuchung entstehen. Bei Blickrichtung und Kopfhaltung dürfte der Fehlerbereich bei erfahrenen und aufmerksamen Untersuchern unter 5° liegen. Der Patient sitzt im Abstand von 2,5 m so vor der Tangententafel, dass sich das Fixierlicht auf Augenhöhe befindet (▶ Abb. 3.54). Nach Festlegung der geraden Kopfhaltung (d. h. der Primärposition des führenden Auges beim Blick auf die Mitte der Tangentenskala) wird auf dem Kopf des Patienten ein Stirnprojektor aufgesetzt. Dieser Stirnprojektor wird so ausgerichtet, dass die beiden projizierten Kreuzbalken auf das Fixierlicht zentriert werden
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Binokularsehen
Merke
H ●
Wird die Kopfzwangshaltung unter binokularen Bedingungen bestimmt, muss die Fusion mit Hilfe von Bagolini-Streifengläsern überprüft werden. Möglich ist sogar die gleichzeitige Messung des Stereosehens mit einem Fernstereotest.
3.5.5 Messung des monokularen Blickfelds Die Gesamtheit aller Blickrichtungen, die ein Auge einnehmen kann, wird monokulares Blickfeld genannt. Die Messung des monokularen Blickfelds gehört zu den wichtigsten Untersuchungen bei Augenmuskelparesen. Sie muss der Schielwinkelmessung in verschiedenen Blickrichtungen vorausgehen. Die Beurteilung der Hornhautreflexbilder bei Führungsbewegungen und der Limbustest nach Kestenbaum kann innerhalb einer orientierenden Untersuchung sinnvoll sein. Eine genaue Untersuchung sollte jedoch mit einer der folgenden Methoden vorgenommen werden.
Synoptophor, Synoptometer Eine besonders empfindliche Messmethode besteht in Haidinger-Büscheln mit einem möglichst feinen Testbild auf einer klaren Plexiglasscheibe im Synoptophor/Synoptometer (siehe Kap. Synoptophor und Synoptometer). Dafür ist aber eine sehr gute Mitarbeit des Patienten und eine stetige Kontrolle der Kopfposition erforderlich. Solange der Patient das Testbild genau fixiert, erscheint es ihm inmitten der rotierenden Haidinger-Büschel (siehe ▶ Abb. 3.41). Der Patient wird aufgefordert, mit dem zu prüfenden Auge dem Fixierobjekt zu folgen, während der Synopto-
278
30° 20° 10° 0° 10° 20° 30° 40° 60° 50° 40° 30° 20° 10° 0°
10° 20° 30° 40° 50°
Abb. 3.55 Monokulares Blickfeld links, gemessen mit Haidinger-Büscheln und Objekt bei Blow-out-Fraktur. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
phor-/Synoptometerarm in die gewünschte Blickrichtung bewegt wird. Das andere Auge wird mit einem Okklusionspflaster verschlossen. Der Rand des monokularen Blickfelds ist dann erreicht, wenn das Fixierobjekt und die Haidinger-Büschel auseinanderrücken. Die gleichzeitige Verschiebung der Hornhautreflexbilder objektiviert die Angaben des Patienten. Die erreichte Position des Synoptophor-/Synoptometerarms entspricht dem Endpunkt der Bewegungsstrecke in der untersuchten Richtung. Die Gesamtheit aller Endpunkte ergibt das monokulare Blickfeld (▶ Abb. 3.55). Kann das geprüfte Auge bei einer Augenmuskelparalyse die Primärposition nicht erreichen, wird der Synoptophor-/Synoptometerarm so weit in das verbliebene Blickfeld geführt, bis die Überlagerung von Fixationsobjekt und Haidinger-Büschel gelingt.
Tangententafel Der Patient sitzt in geeignetem Abstand (1, 2½ oder 5 m, je nach Tafeltyp) so vor einer Tangententafel, dass deren Mitte in Primärposition liegt. Mit einem Visusprojektor werden auf die Mitte der Tangententafel Sehzeichen (entsprechend einem Visus von > 1,0) projiziert, deren Erkennung foveolares Sehen voraussetzt. Zu Beginn der Untersuchung wird bei gerader Kopfhaltung des Patienten ein Stirnprojektor aufgesetzt, der in Primärposition auf das Prüfsehzeichen und damit auf die Mitte der Tangententafel ausgerichtet wird. Das nicht zu prüfende Auge wird mit einem Okklusionspflaster verschlossen. Während der Patient stets auf das Sehzeichen in Tafelmitte blickt, bewegt der Untersucher nun den Kopf des Patienten so, dass dessen freies Auge die verschiedenen Blickrichtun-
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und mit den waagrechten und senkrechten Linien der Tangentenskala übereinstimmen. Der Patient wird anschließend aufgefordert, den Kopf so zu halten, dass das Fixierobjekt einfach gesehen wird. Als Fixierobjekt können im Bereich der Tafelmitte angebotene Optotypen benutzt werden, wenn eine Zyklotropie ausgeschlossen wurde. Besteht der Verdacht auf eine Zyklotropie, ist unbedingt die Benutzung eines Lichtbalkens erforderlich, weil ein rundes Fixierlicht auch bei manifester Zyklotropie einfach gesehen wird. Bei Prüfung der monokularen Kopfzwangshaltung wird das nicht geprüfte Auge abgedeckt. Die Horizontal-, Vertikal- und Neigungskomponente können am Positionskreuz abgelesen werden. Die Kopfneigung wird gemessen, indem der Lichtstrich parallel zu dem Kreuzbalken des Positionskreuzes eingestellt und seine Neigung abgelesen wird.
3.5 Lähmungsschielen
3.5.6 Messung des Fusionsblickfelds und des binokularen Blickfelds Bei Augenmuskelparesen ist es wichtig, Aufschluss darüber zu erhalten, in welchen Blickrichtungen der Patient über ein normales beidäugiges Sehen verfügt und in welchen Blickrichtungen er Diplopie oder Konfusion empfindet. Der Blickbereich, in dem normales beidäugiges Sehen nachweisbar ist, wird Fusionsblickfeld genannt. Der Begriff des binokularen Blickfelds ist davon abzugrenzen. Er definiert nur, dass die Sehachsen beider Augen sich im Fixierobjekt treffen. Auch eine beidseitige N.-trochlearis-Parese ermöglicht im Geradeausblick häufig bifoveolare Fixation. Zusätzliche Voraussetzung normalen beidäugigen Sehens ist also auch das Fehlen einer Zyklotropie. Der Begriff Fusionsblickfeld enthält dieses zusätzliche Kriterium und ist deshalb vorzuziehen. Zur orientierenden Prüfung des binokularen Blickfelds, nicht aber des Fusionsblickfelds, genügt es, vor die Augen des Patienten einen Bagolini-Vorhalter zu bringen und bei unbewegtem Kopf Führungsbewegungen mit einem kleinen Fixierlicht auszulösen. Das binokulare Blickfeld endet, wo das normale Schweifkreuz verschwindet. Die Untersuchung soll innerhalb des binokularen Blickfelds beginnen. Diese orientierende Untersuchung kann aber nur die Folgen einer Horizontal- und Vertikaldeviation aufdecken, eine Zyklodeviation bleibt verborgen.
Eine genaue Messung des Fusionsblickfelds erlaubt die Tangentenskala. Der Patient sitzt so vor der Tafel, dass sich das Fixierlicht in der Mitte der Tafel in Augenhöhe gerade vor ihm befindet (▶ Abb. 3.54). Das Lichtband ist aufgeblendet. Der Stirnprojektor wird aufgesetzt und auf die Tafelmitte gerichtet. In den meisten Fällen gibt der Patient spontan an, in welchen Blickrichtungen Diplopie besteht. Ist das nicht der Fall oder bestehen Zweifel am Vorhandensein normalen Binokularsehens, hält sich der Patient zusätzlich einen Bagolini-Vorhalter vor die Augen und beobachtet die Lichtschweife, die von dem zentralen Fixierlicht ausgelöst werden. Bei sicherer Doppelbildangabe kann auf den Bagolini-Vorhalter verzichtet werden. Während der Messung bewegt der Untersucher den Kopf des Patienten so, dass dessen Augen die diagnostischen Blickrichtungen durchwandern. Kann ein Patient in Primärposition nicht fusionieren, sollte man zunächst eine Blickrichtung aufsuchen, in der dies möglich ist. Wenn ein Balken des Schweifkreuzes verschwindet oder das Lichtband doppelt oder verrollt empfunden wird (Grenze des Fusionsblickfelds), notiert der Untersucher den Ort des Positionskreuzes auf der Tangententafel. Bei der Aufzeichnung des Befunds ist zu beachten, dass das Positionskreuz des Stirnprojektors stets entgegengesetzt zur Blickrichtung weist. Es empfiehlt sich, auch zu protokollieren, ob an den Grenzen des Fusionsblickfelds Hemmung oder Diplopie (gekreuzt, ungekreuzt, entsprechend + VD oder –VD) eintritt (▶ Abb. 3.56a, b). Bei zweifelhaften oder unsicheren Angaben kann man mit dem Abdecktest die Augenstellung des Patienten objektivieren. Es ist im Prinzip möglich, das Fusionsblickfeld sowohl zentrifugal als auch zentripetal zu prüfen. Im ersten Fall wird die Blickrichtung gesucht, in der die Fusion zusammenbricht, im zweiten die Blickrichtung, in der ein Schielwinkel wieder fusioniert wird. Entsprechende Messungen zeigen bei Paresen die Qualität der Kompensation. Üblich ist das erstgenannte Verfahren. Wichtig ist vor allem, dass bei Vergleichen immer auf dieselbe Art verfahren wird, einschließlich der Reihenfolge der geprüften Blickrichtungen. Aufschlussreich ist bei Kopfhaltungen mit Neigungskomponente (okulärer Schiefhals oder Torticollis), die
30°
30°
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BES bei Kopfneigung
10°
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a
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b
3
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gen einnimmt. Dabei muss der Patient angeben, wann er das Sehzeichen nicht mehr erkennen kann, d. h. wann sein Auge die Fixation des Sehzeichens aufgibt, weil es die Grenzen des monokularen Blickfelds überschritten hat. Das Positionskreuz des Stirnprojektors zeigt dann die erreichte Kopfhaltung an. Es ist in entgegengesetzter Richtung so weit von der Tafelmitte entfernt, wie es der Blickposition bei unbewegtem Kopf entsprechen würde. Die Blickfeldgrenzen werden in einem Koordinatennetz festgehalten. Das von der Projektionstafel reflektierte Licht des Visusprojektors erzeugt ein Hornhautreflexbild, das zur Objektivierung der Angaben des Patienten herangezogen werden kann.
Abb. 3.56 Blow-out-Fraktur rechts. Hebungs- und Senkungsdefizit des rechten Auges führt zu Diplopie im oberen und unteren Blickfeld. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008) a Monokulares Blickfeld. b Fusionsblickfeld.
30° 20° 10° 0° 10° 20° 30°
279
Binokularsehen Kopfneigung zu bestimmen, bis zu der noch Fusion aufrechterhalten werden kann (▶ Abb. 3.24a–d: Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel [12]).
30° 20°
Eine genaue Diagnostik jeder Augenmuskelparese erfordert die quantitative Erfassung aller Schielwinkelkomponenten, also der Horizontal-, Vertikal- und Zyklotropie. Neben der absoluten Schielwinkelgröße interessiert bei einer Augenmuskelparese vor allem Art und Ausmaß einer Schielwinkelinkomitanz, also der Abhängigkeit des Schielwinkels von der Blickrichtung. Beide sind von hoher diagnostischer Bedeutung, besonders dann, wenn auf den Messergebnissen eine Operationsindikation aufgebaut wird. Verschiedene Methoden zur Winkelmessung wurden bereits besprochen (siehe Kap. 3.3.4, Kap. Synoptophor und Synoptometer). Sie werden auch bei der Untersuchung von Augenmuskelparesen verwendet. Hier sind sie in der Regel sogar leichter anwendbar und genauer, weil Adaptationsmechanismen wie Exklusion, Amblyopie oder anomale Korrespondenz das Ergebnis nicht verfälschen. Bei Augenmuskelparesen wird üblicherweise – vor allem in der präoperativen Diagnostik – in den diagnostischen Blickrichtungen bei Rechts- und Linksfixation gemessen, wobei in manchen Fällen (posttraumatische Paresen mit passiven Bewegungseinschränkungen) eine Schielwinkelmessung im gesamten Blickfeld in 10°Schritten nützlich und notwendig sein kann (▶ Abb. 3.57). Fixiert das paretische Auge, müssen Einschränkungen der monokularen Exkursion beachtet werden, weil sie eine normale Fixation verhindern. In vielen Fällen genügt bei einseitigen Paresen die Untersuchung bei Fixation mit dem nicht gelähmten Auge, also die Messung des primären Schielwinkels im gesamten Blickfeld des frei beweglichen Auges. Die Messung des sekundären Schielwinkels bei Fixation des gelähmten Auges und damit der mögliche Vergleich der Schielwinkel bei Rechts- und Linksfixation kann aber den Verdacht auf Refraktionsanomalien oder auf dissoziiertes Höhenschielen wecken und ist nie völlig überflüssig. Beim geringsten Verdacht auf eine beidseitige Augenmuskelparese ist ohnehin die Schielwinkelmessung bei Fixation des rechten und des linken Auges notwendig.
Merke
H ●
Die Messung des Schielwinkels mit dem Abdecktest oder dem Prismenabdecktest leidet darunter, dass diese eine Messung der Zyklotropie nicht zulassen. Ähnliches gilt für alle Messungen, bei denen ein rundes Fixierobjekt, z. B. ein Licht, benutzt wird. Runde Fixierobjekte lassen eine Zyklotropie nicht erkennen.
280
10° 0° 10° 20° 30° 40° 60° 50° 40° 30° 20° 10° 0° 10° 20° 30° 40° 50°
Abb. 3.57 Schielwinkelmessung in 10°-Schritten am Synoptometer bei Blow-out-Fraktur links. Das nicht gelähmte rechte Auge fixiert. Seine Blickpositionen sind mit einem Punkt markiert. Kleine Kreuze markieren die entsprechenden Positionen des gelähmten linken Auges. Verbindungslinien von Punkt zu Kreuz zeigen den primären Schielwinkel. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Bei der Messung des Schielwinkels sind prinzipiell zwei Wege möglich: ● Es wird ein Sehobjekt benutzt, das mit dem führenden Auge fixiert wird und in dem schielenden Auge eine Diplopie hervorruft. Der Abstand der Doppelbilder ist das Maß des Schielwinkels. Da das Doppelbild auf einer peripheren Netzhautstelle des abgewichenen Auges projiziert wird, kann seine Lage vom Patienten nur ungenau angegeben werden. Die Doppelbilder werden üblicherweise durch Farbgläser (z. B. Hellrotglas) kenntlich gemacht. ● Durch eine entsprechende Untersuchungsanordnung werden zwei Sehobjekte den beiden Augen getrennt angeboten. Diese Methoden werden auch unter dem Begriff der Projektionsmethoden zusammengefasst. Die bestgeeigneten Methoden der Schielwinkelmessung bei Augenmuskelparesen sind die Verfahren, die bifoveolare Seheindrücke vermitteln und den jeweils vorhandenen Einfallswinkel dieser Sehobjekte messen. Diese bifoveolare Stimulation kann auf verschiedene Weise erreicht werden: ○ durch haploskopische Verfahren ○ durch Konfusionsmessungen Prinzipiell erzeugen alle diese Methoden Konfusion, also auch haploskopische Verfahren. Der Begriff Konfusionstest wird üblicherweise aber nur für einen Teil dieser Methoden verwendet. Haploskopische Verfahren (gr. haplos = einfach, gr. skopein = sehen) bieten mittels eines mechanischen Verfah-
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3.5.7 Messung der Schielwinkel
3.5 Lähmungsschielen
Messung mit Synoptophor oder Synoptometer Diese Methoden werden in Kap. 3.3 beschrieben, da sie hauptsächlich in der Diagnostik der nichtparetischen Motilitätsstörungen Verwendung finden. Die am häufigsten verwendeten Geräte – Synoptophor und Synoptometer – können aber auch bei der Untersuchung der Augenmuskelparesen hilfreich sein. Ein Vorteil besteht darin, dass die Abweichung eines konvergenten Auges auch dann gemessen werden kann, wenn die Sehachse schon auf den Nasenrücken weist, da die kleinen Spiegel des Synoptometers bis fast an den medialen Lidwinkel bewegt werden können. Der prinzipielle Nachteil des Geräts, eine Apparatekonvergenz zu provozieren, kann ausnahmsweise vorteilhaft sein bei der Suche nach Störungen, die bei erhöhter Konvergenz auffälliger werden. So kann eine Fehlfunktion der schrägen Augenmuskeln am Synoptometer schon erkennbar sein, während sie bei einer Untersuchung, die keine Apparatekonvergenz provoziert, übersehen wird. Dies ist z. B. eine
Untersuchung an der Tangententafel auf 5 m. Dagegen wird das Ausmaß einer Abduzensparese am Synoptometer eher unterschätzt. Ein Nachteil des Synoptometers bei der Untersuchung von Paresen ist die Messungenauigkeit, wenn gleichzeitig bestehende Horizontal- und Vertikaldeviationen in tertiären Blickrichtungen gemessen werden sollen. Darüber hinaus hängt die Genauigkeit der Synoptometermessungen wesentlich davon ab, wie genau während der gesamten Messung eine definierte Kopfhaltung eingehalten wird, da der Patient – insbesondere bei Augenmuskelparesen – immer dazu neigt, den Kopf in Richtung der geprüften Blickrichtung zu drehen.
3
Messung über die Konfusion Das Prinzip dieser Konfusionsmessungen sei hier am Beispiel der Dunkelrotglas-Methode erläutert: Vor ein Auge des Patienten wird ein Dunkelrotglas gehalten, welches nur die Wahrnehmung eines Fixierlichts gestattet, alle Einzelheiten des Umfelds aber ausschaltet. Der Patient wird aufgefordert, während der Untersuchung mit diesem Auge immer dieses Licht zu fixieren, so dass die Blickrichtung dieses Auges während der Untersuchung definiert ist. Das andere Auge wird gleichzeitig – dem Schielwinkel entsprechend – in eine andere Richtung blicken. Bei normaler Korrespondenz wird der Patient nun die beiden foveolaren Seheindrücke zu einem Bild übereinander lagern. Er empfindet das rote Fixierlicht also in dem Sehobjekt, das er mit dem abgewichenen Auge anblickt, und gibt nun an, in welchem Sehobjekt er das rote Fixierlicht wahrnimmt. Der Abstand zwischen diesem Sehobjekt und dem roten Fixierlicht wird gemessen und in den Schielwinkel umgerechnet. Die verschiedenen Messmethoden unterscheiden sich nur darin, dass sie einerseits in unterschiedlicher Weise die Konfusion provozieren und andererseits dem abgewichenen Auge Sehobjekte anbieten, die durch eine Kalibrierung eine möglichst schnelle und exakte Messung des Schielwinkels ermöglichen.
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rens die Bilder dem rechten und linken Auge so an, dass sie in jedem Auge foveolar abgebildet und zu einem Bild fusioniert werden können. Messgröße ist der Winkel, unter dem die beiden Halbbilder projiziert werden. Eine geeignete Konstruktion des Haploskops erlaubt, das Halbbild so in das Schielauge zu projizieren, dass sowohl ein Horizontal- oder Vertikalschielwinkel als auch eine Zyklotropie ausgeglichen werden. Der Vorteil dieser Verfahren liegt vor allem darin, dass sie sensorische Fusion und Stereosehen herstellen und deshalb eine gute Kontrolle der Bifoveolarität ermöglichen. Nachteilig ist die technische Schwierigkeit, die Projektoren in zwei Freiheitsgraden (um die Horizontal- und Vertikalachse) um den Drehpunkt des Auges zu bewegen und das Bild dann um die Fixierlinie zu drehen. Diese Forderung kann nur mit Geräten erfüllt werden, in die der Patient hinein schaut und die deshalb immer auch akkommodationsanregend wirken. Eine genaue Messung ist selbst dann nicht fehlerfrei möglich [45]. Bei Konfusionsmessungen fixiert ein Auge ein definiertes Fixierobjekt. Das andere Auge sieht dem Schielwinkel entsprechend ein anderes Objekt, üblicherweise eine skalierte Fläche. Messgröße ist der in Winkel umgerechnete Abstand der beiden Sehobjekte, den der Patient selbst auf der Skala abliest und angibt. Der Vorteil des Messprinzips liegt darin, dass der Untersuchungsabstand beliebig ist. Er wird durch den Nachteil gemindert, dass die Messung der Zyklotropie nicht durch einen bifoveolaren Vergleich desselben Bildes erfolgt. Diese Methoden stellen die Grundlage der Schielwinkelmessung bei Augenmuskelparesen dar.
281
Binokularsehen
●V
Zusatzinfo Tangententafel
Das Maddox-Kreuz ist mit zwei Skalen ausgestattet, einer großziffrigen für 5 m Prüfentfernung, einer kleinziffrigen für 1 m Distanz. Im Zentrum der Skala findet sich ein punktförmiges Fixierlicht. Daneben gibt es für den Nahbereich (0,4 m) berechnete Skalen nach Art des MaddoxKreuzes auf den Nahprüfgeräten nach Wilms (Rodenstock), nach Reiner (Möller) und nach Osterberg (Oculus). Diese Skalen sind in cm/m geteilt. Die Tangententafel in der heute üblichen Modifikation (▶ Abb. 3.54) ist meist für 2,5 m Entfernung berechnet. Sie erleichtert die Untersuchung bei Lähmungsschielen durch einige Zusatzeinrichtungen: ● Ein Gitternetz vereinfacht das Ablesen kombinierter Horizontal- und Vertikaldeviationen. ● Die Tafeldiagonalen gestatten eine Messung der Horizontal- und Vertikaldeviation während des Kopfneigetests (siehe Kap. Tangententafel). ● Mit dem zum Lichtband aufblendbaren Fixierlicht können Zyklodeviationen gemessen werden. ● Ein kleiner Projektor an der Stirn des Patienten erlaubt durch ein Positionskreuz eine relativ genaue Kontrolle der Kopfhaltung.
Messung mit Farbdissoziation an der Tangententafel Der Patient sitzt vor einer Tangententafel (MaddoxKreuz, Tangententafel), üblicherweise in einem Abstand von 2,5 m. Vor das fixierende Auge wird ein Rotglas gesetzt, welches nur die Wahrnehmung des Fixierlichts, nicht aber der Umgebung ermöglicht (Farbglas und Fixierlicht sollten so dunkel sein, dass die Wahrnehmung des Fixierlichts erlischt, sobald das Auge um mehr als 4–5° vom Fixierlicht abweicht). Der Patient nimmt einen
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4 3 2
x
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4
3
2
1
1
2
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4
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1 2 3 b
4
α
x = tanα b
Abb. 3.58 Bauprinzip einer Tangententafel (MaddoxKreuz. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
grünen Lichtzeiger in die Hand, dessen Licht durch das Rotglas nicht wahrgenommen werden kann. Er wird nun aufgefordert, während der folgenden Untersuchung immer das rote Licht zu fixieren. Das abgewichene Auge wird nun eine andere Stelle der Tangentenskala anblicken. Der Patient wird aufgefordert, mit dem grünen Lichtzeiger, den er mit dem frei gebliebenen Auge sieht, auf den roten Lichtpunkt zu weisen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss der Patient zunächst den roten Lichtpunkt ansehen. Da durch das Dunkelrotglas Umfeld und Lichtzeiger nicht wahrgenommen werden, kann der rote
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Eine Tangententafel ist für bestimmte Prüfdistanzen mit einer Skala in Gradeinteilung versehen, die berechnet wird nach der Formel: x = tan α × b Dabei ist x der Abstand zwischen einer gesuchten Markierung der Skala und dem Fixierlicht, tan α der Tangens des zu markierenden Winkels und b die Prüfdistanz (▶ Abb. 3.58) Man kann sich nach der angegebenen Formel leicht eigene Tangententafeln für beliebige Entfernungen anfertigen. Gebräuchlicher sind fertige Systeme: ● Tangentenskala nach Maddox (Maddox-Kreuz, ▶ Abb. 3.58) ● Tangententafel in der heute üblichen Modifikation (▶ Abb. 3.54).
3.5 Lähmungsschielen
Merke
H ●
Bei sehr starker Führung eines Auges kann es vorkommen, dass bei einer Zyklotropie der durch das Rotglas gesehene Strich waagrecht erscheint, der von dem anderen Auge angeblickte Teil der Tangentenskala aber schief. In diesen Fällen muss der rote Lichtstrich parallel zu einer der Linien der subjektiv geneigten Tangentenskala eingestellt werden, falls man sich nicht mit der Messung bei Fixation des anderen Auges zufriedengibt.
Es ist offensichtlich, dass nur bei normaler Sehrichtungsgemeinschaft und zentraler Fixation der vom Patienten im Konfusionstest angegebene subjektive Schielwinkel mit dem objektiven übereinstimmt. Sind die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, muss der objektive Schielwinkel mit anderen Methoden (Hornhautreflexbild, Einstellbewegungen) gemessen werden. In einigen Fällen (sehr kleiner Anomaliewinkel bei gutem Binokularsehen) können die dadurch verursachten Fehler vernachlässigt werden. Mit entsprechend berechneten Tangentenskalen kann die Untersuchung in jeder beliebigen Entfernung durchgeführt werden. Gebräuchlich sind 5 m oder 2,5 m. Bei Augenmuskelparesen werden die Primärposition und die übrigen 8 diagnostischen Blickrichtungen untersucht, ggf. bei Rechts- und Linksfixation. Auch wenn die Untersuchung bei Rechts- und Linksfixation in vielen Fällen re-
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A
1 5
3
2
1
1
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3
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5
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F
P
F
4
P
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Lichtpunkt nur über das andere, nicht fixierende Auge im Raum lokalisiert werden. Dies ist dadurch möglich, dass im Gehirn das rote foveolare Bild der Lichtquelle im fixierenden Auge und das Bildelement auf der sehrichtungsgleichen Netzhautstelle im schielenden Auge nach dem Prinzip der Konfusion einander überlagert werden (▶ Abb. 3.59). Der grüne Lichtzeiger wird während der Untersuchung anzeigen, welche Stelle der Tangentenskala das abgewichene Auge anblickt. An der Tangentenskala kann nun der horizontale und der vertikale Schielwinkel unmittelbar abgelesen werden. Soll gleichzeitig die Zyklodeviation gemessen werden, wird das Fixierlicht zu einem Lichtband aufgeblendet. Das Dunkelrotglas wird vor das zu prüfende Auge gesetzt. Der Patient wird nun einen roten Strich anstatt des roten Fixierlichts sehen. Bei einer Zyklotropie erscheint dem Patienten die objektiv horizontal stehende Lichtlinie geneigt. Diese Neigung wird durch entsprechende Verdrehung der Lichtlinie ausgeglichen, ihr Wert an der dafür angebrachten Gradskala abgelesen [35], [54]. Dabei wird der weiße Lichtstrich geneigt, der dem anderen Auge ohne Rotglas als Doppelbild erscheint. In der heute üblichen Modifikation der Tangentenskala kann der Patient die Lichtlinie durch einen Servomotor verstellen; dadurch wird die Verständigung wesentlich erleichtert.
F F’
Abb. 3.59 Schielwinkelmessung nach dem Konfusionsprinzip mit Dunkelrotglas und Maddox-Kreuz bei Esotropie. Das linke Auge fixiert das Licht in der Mitte des Maddox-Kreuzes durch ein Dunkelrotglas. Damit wird auf der Fovea (F) dieses Auges ein roter Lichtpunkt abgebildet, der nach dem Prinzip der Konfusion über die sehrichtungsgleiche Netzhautstelle des schielenden rechten Auges (Fovea F‘) in den Raum lokalisiert wird. Dort wird der rote Lichtpunkt der Ziffer 4 auf der linken Halbskala überlagert, weil diese Ziffer zugleich auf F‘ abgebildet ist. Die Position des roten Lichtpunkts entspricht dem objektiven Schielwinkel (4°). Gleichzeitig vermittelt das schielende Auge über P ein zweites (weißes) Bild des Fixierlichts, das bei der zentralen Bildverrechnung (symbolisiert im Zyklopenauge unten) als ungekreuztes Doppelbild erscheint.
dundante Ergebnisse ergibt, bietet sie auch zusätzliche Sicherheit. Die Gefahr, gleichzeitige begleitende andere Augenmuskelparesen oder dissoziiertes Höhenschielen zu übersehen, sinkt beträchtlich. Bei eindeutiger Diagnose einer einseitigen Parese genügt es aber in vielen Fällen, bei Fixation mit dem nichtgelähmten Auge zu messen. Aufschlussreich ist ggf. auch eine Messung bei Rechtsund Linksneigung, jeweils im Auf-, Geradeaus- und Ab-
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Binokularsehen
Monokulares Blickfeld linkes Auge (Tangententafel)
Fusionsblickfeld (Tangententafel) Hebung
30°
30°
20°
20°
10°
10°
Diplopie
0°
0°
10°
10°
20°
20°
30°
30° Senkung
a
30°
20°
10°
0°
10°
20°
Linksblick
30°
b
Rechtsblick
30° 20° 10°
0°
10° 20° 30°
Linksblick
Rechtsblick
Hess-Schirm Rechtsfixation
Tangententafelbefund mit Dunkelrotglas rechts (Rechtsfixation) Hebung
15° Linksblick 15° 25° c Linksblick
Grünglas links
Rechtsblick
d
C 22 VD 0 Z0
C 8 VD 0 Z0
C 1 VD 0 Z0
C 23 VD 0 Z0
C 8 VD 0 Z0
C 2 VD 0 Z0
C 23 VD 0 Z0
C 8 VD 0 Z0
C 2 VD 0 Z0
25°
Rechtsblick
25°
Senkung
Abb. 3.60 Linksseitige Abduzensparese. Das linke Auge kann bis 15° über die Mittellinie abduziert werden (monokulares Blickfeld). Es besteht ein Fusionsblickfeld, das vom Rechtsblick bis 10° vor die Mittellinie reicht, und eine entsprechende Kopfzwangshaltung (Kopflinksdrehung von 15°). An der Tangententafel werden bei einer Abduzensparese größere Schielwinkel als am Hess-Schirm gemessen, weil die Prüfentfernung größer ist. a Monokulares Blickfeld, gemessen an der Tangentenskala mit Überprüfung der Fixation mittels kleiner Optotypen. b Fusionsblickfeld, gemessen an der Tangentenskala mit einem Lichtpunkt/Lichtstrich und Bagolini-Streifengläsern. c Hess-Schirm-Befund bei Rechtsfixation. d Schielwinkelmessung an der Tangentenskala bei Rechtsfixation.
blick. Die Blickrichtungen werden dabei durch gegensinnige Kopfbewegungen eingestellt. Während der gesamten Messung wird die Blickrichtung über den Stirnprojektor überprüft. Die gemessenen Winkel werden in einem Diagramm festgehalten (▶ Abb. 3.60a–d). Die schon seit vielen Jahrzehnten benutzte und von Harms (1941) [35] und anderen wesentlich modifizierte Untersuchungseinrichtung bietet mit den schon erwähnten Hilfen (siehe Kap. Messung der Kopfzwangshaltung an einem Maddox-Kreuz, Kap. Messung der Kopfzwangshaltung an der Tangententafel) eine Reihe von Vorteilen: Sie gestattet eine gute Definition der Blickrichtung und der Kopfzwangshaltung (Stirnprojektor mit Positions-
284
kreuz), der Kopfneigung (Diagonalskalen) und ermöglicht eine Vermessung aller Schielwinkelkomponenten, also der Horizontal-, Vertikal- und Zyklodeviation (über Servomotor drehbarer Lichtbalken) in derselben Untersuchungsentfernung. Die Untersuchung an einer Tangententafel bietet als einzige die Möglichkeit, die Kopfzwangshaltung, das Fusionsblickfeld, das monokulare Blickfeld und die Abhängigkeit der Schielwinkel von der Blickrichtung einschließlich des Einflusses des Kopfneigetests nach Bielschowsky-Nagel an einem Arbeitsplatz zu messen, ohne dass der Patient den Untersuchungsort wechseln muss. Die Genauigkeit der Messungen ist zwar begrenzt, aber für alle diagnostischen Zwecke durchaus ausreichend. Fehler können bei der Ausrichtung von Au-
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25°
3.5 Lähmungsschielen gen und Stirnprojektor auf die Primärposition oder durch Verschiebung des Stirnprojektors während der Untersuchung entstehen. Bei Blickrichtung und Kopfhaltung liegt der Fehlerbereich bei erfahrenen und aufmerksamen Untersuchern unter 5°.
Kopfneigetest nach Bielschowsky-Nagel
Koordimetrie Für die Koordimetrie benutzt man spezielle Untersuchungsschirme mit zwei verschiedenen Sehobjekten zur bifoveolaren Stimulation (Konfusionsprinzip). Seit der Einführung des Verfahrens durch Hess sind verschiedene Modifikationen entwickelt worden, die teils auf Hess-, teils auf Helmholtz-Koordinaten beruhen. Der Hess-Schirm in einer modernen Modifikation (früher von Meditron GmbH, Völklingen; ▶ Abb. 3.61) ist eine 95 cm breite und 95 cm hohe dunkle frontoparallele Tafel, auf die Linien in einem Winkelabstand von 5° aufgetragen sind. Bezugspunkt ist dabei der Drehpunkt der Augen; die Linien verlaufen deshalb konvex zur Tafelmitte. Auf der Tafelmitte und an jedem Schnittpunkt der 15°- und 30°Linien befindet sich ein Punkt, den der Untersucher durch Beleuchtung mit rotem Laserlicht rot aufleuchten lassen kann. Diese Punkte bilden also ein inneres (gering kissenförmig verzeichnetes) und ein äußeres (deutlich kissenförmig verzeichnetes) Viereck. Der Patient sitzt im Abstand von 50 cm so vor der Tafel, dass sich deren Mittelpunkt in Primärposition befindet. Er muss diese Position während der ganzen Untersuchung beibehalten (Kinnstütze verwenden!). Der Patient führt einen grünen Lichtzeiger und trägt eine Rot-Grün-Wendebrille, deren Farben zu denen der erwähnten Schnittpunkte und zu dem grünen Zeiger komplementär sind. So kann der Patient mit dem einen Auge (z. B. rechtes) durch das rote Glas nur die roten Punkte der Tafel und mit dem anderen Auge (z. B. linkes) durch das grüne Glas nur den grünen Zeiger sehen.
3
Abb. 3.61 Moderne Modifikation der Koordimetrie (HessSchirm-Prinzip). Der Untersucher aktiviert eine rote Schirmmarkierung. Der Patient schaut durch eine rotgrüne Wendebrille und zeigt mit einem grünen Pfeil auf die Position der aktivierten roten Markierung. Ein Scheitelprojektor dient der Kopfkontrolle. (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008)
Der Untersucher aktiviert zunächst den Prüfpunkt in der Primärposition und hält den Patienten an, seinen grünen Zeiger auf den angeleuchteten roten Punkt zu setzen. Da der Patient die rote Lichtmarke allein mit dem rechten und die grüne nur mit dem linken Auge sehen kann, ist ihm die Überlagerung beider Lichtmarken nur möglich, wenn diese auf sehrichtungsgleichen Netzhautstellen abgebildet und dann nach dem Prinzip der Konfusion überlagert werden. Normale Sehrichtungsgemeinschaft vorausgesetzt, entspricht dabei der vom Untersucher beobachtete Abstand zwischen roter und grüner Lichtmarke dem objektiven Schielwinkel bei Rechtsfixation. Die Größe des Winkels kann zwar vom 5°-Netz des Schirms abgelesen werden, hat aber für die Auswertung nur untergeordnete Bedeutung. Wesentlicher ist die Position des grünen Lichtzeigers selbst, die in einem Diagramm (▶ Abb. 3.60a–d) festgehalten wird. Der Untersucher weist nun der Reihe nach auf die übrigen Schirmmarkierungen und protokolliert die jeweils vom Patienten mit der grünen Lichtmarke angezeigte Position. Sind alle Markierungen abgefahren, wird die Wendebrille umgekehrt und die Untersuchung bei Linksfixation durchgeführt. Auf diese Weise erhält man zwei Diagramme, aus denen jeweils die Fehlstellung des GrünglasAuges unmittelbar abzulesen ist: Ist das Grünglas-Auge das von der Lähmung betroffene, bleiben die Messpunkte hinter den Vorgaben zurück (primärer Schielwinkel), das resultierende Vieleck ist in Zugrichtung des paretischen Muskels geschrumpft. Ist dagegen das von der Lähmung betroffene Auge das Rotglas-Auge, werden die vorgegebenen Strecken überschritten und die Vielecke sind entsprechend vergrößert (sekundärer Schielwinkel).
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Die Neigung des Kopfes bewirkt eine Gegenrollung der Augen, die allerdings in ihrem Ausmaß hinter der Kopfneigung zurückbleibt. Bei einer Störung der schrägen Augenmuskeln entstehen bei Kopfneigung typische Vertikaldeviationen, die am deutlichsten in derjenigen Kopfneigung imponieren, die der Kopfzwangshaltung entgegengesetzt ist. Durchführung: Der Patient sitzt mit Stirnkranz und Positionskreuz so vor der Tangententafel, dass sich die Tafelmitte mit dem Fixierlicht und dem Lichtbalken auf Augenhöhe befindet. Der Kopf wird um 45° geneigt, so dass die vorher waagrechten Balken des Positionskreuzes auf den Diagonalen der Tangententafel liegen. Die Schielwinkel werden an der um 45° geneigten Skala abgelesen. Neben der Messung des Schielwinkels ist auch die Bestimmung der Kopfneigung wichtig, bis zu der noch Fusion möglich ist (siehe Kap. 3.5.6, Fusionsblickfeld).
285
Binokularsehen Diagramm sind bei Rechts- und Linksfixation etwa gleich groß. Dagegen sind sie bei den verschiedenen Augenmuskelparesen in jeweils typischer Weise verzogen und darüber hinaus bei Führung des paretischen Auges wesentlich größer (sekundärer Schielwinkel) als bei Führung des nichtparetischen Auges (primärer Schielwinkel). Die Veränderungen lassen in der Regel schon auf den ersten Blick die Art der Augenmuskelparese erkennen (vgl. ▶ Abb. 3.60a–d). Sie können aber auch erfasst werden, indem man den Abstand der Messpunkte mit einem Stechzirkel abgreift und mit dem vorgedruckten Raster vergleicht. Die Aussagekraft der Methode kann verbessert werden, wenn neben dem zentralen Messraster mit 15° (HessSchirm) bzw. 10° oder 20° (Helmholtz-Schirm) Abstand zur Primärposition auch die 30° davon entfernt liegenden Prüfpunkte abgefragt werden. Der zentrale Teil ist nur bei größeren Schielwinkeln ausreichend.
H ●
Merke
Die Koordimetrie ist die am weitesten verbreitete Methode der Schielwinkelmessung in verschiedenen Blickrichtungen. Ihr Vorteil liegt darin, dass die typischen Diagramme eine schnelle Diagnose der Augenmuskelparese erlauben.
Tab. 3.5 Lähmungsschielen – Standardmethoden (Quelle: Rüssmann W, Kaufmann H. Untersuchung von Augenbewegungsstörungen. In: Kroll P, Küchle M, Küchle HJ, Hrsg. Augenärztliche Untersuchungsmethoden. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2008). Symptomatik
Methodik
Zu beachten
Relevante Befunde, Fragen
Kopfzwangshaltung (KZH)
Maddox-Kreuz, Tangententafel nach Harms
kleine Fixierobjekte (Optotypen), freies Sitzen, BES, Diplopie
binokular oder monokular bedingte KZH, Quantifizierung der KZH
Monokulares Blickfeld
Synoptophor, -meter mit Haidinger-Büschel
stabile Kopfposition, abgedunkeltes Umfeld
monokulare Bewegungsdefizite
Tangententafel nach Harms
kleine Fixierobjekte (Optotypen), Erkennen abfragen
Führungsbewegungen mit Lichtschweiftest
Augenstellung, Blendung vermeiden
Projektionskugel-Perimeter
stabile Kopfposition, kleine Prüfmarke, eventuell Rot-GrünBrille
Tangententafel nach Harms
Schweiftest-Kontrolle, Lichtband für Zyklotropie
Fusionsblickfeld unter Berücksichtigung aller Abweichungen
Synoptophor, -meter
stabile Kopfhaltung, Kontrolle mit Hornhautreflexbildern, Einstellbewegungen, subjektiver Lokalisation, ggf. Messung in 10°-Schritten
HD, VD unter Konvergenztendenz, beschränkte ZD-Erfassung, teils unabhängig von Korrespondenz und Fixation
Einstellbewegungen an der Tangententafel
Kopfhaltung, Fixation
HD, VD unabhängig von Korrespondenz, beschränkte ZDErfassung
Dunkelrotglas an der Tangententafel
zentrale Fixation, normale Korrespondenz, Lichtband
HD, VD, ZD
Koordimetrie mit Hess- oder Helmholtz-Koordinaten
zentrale Fixation, normale Korrespondenz, stabile Kopfposition, Helmholtz-Koordinaten
HD, VD, beschränkte ZD-Erfassung, Fehler in Tertiärrichtungen bei Hess-Koordinaten
Fusionsblickfeld
Schielwinkel in diagnostischen Blickrichtungen
HD: Horizontaldeviation, VD: Vertikaldeviation, ZD: Zyklodeviation, KZH: Kopfzwangshaltung
286
orientierende Werte ohne Werte für Zyklotropie
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Eine technisch aufwendigere Koordimetermodifikation nutzt Helmholtz-Koordinaten und rote Leuchtdioden, die vom Untersucher mit einer kleinen Konsole angewählt werden können, auf der auch ein Dokumentationsschema Platz findet. Die Rot-Grün-Wendebrille ist bei diesem Modell in eine Kinn- und Kopfstütze integriert. Das Gerät überwacht zudem laufend die Kopfposition, so dass deren Konstanz über die Untersuchungsdauer besser gesichert ist. Im Übrigen entspricht der Untersuchungsablauf dem bereits beschriebenen. Im Unterschied zu den Hess-Koordinaten kann entlang den von Helmholtz berechneten Koordinaten ein eingeblendetes Nachbildkreuz ohne Verzerrung geführt werden [47]. Die Diskrepanz der Koordinatensysteme führt nicht zu Messfehlern, solange die Untersuchung mit Hess-Koordinaten und den verschiedenen modifizierten Methoden zur Diagnostik von Schielwinkeln in sekundären Blickrichtungen durchgeführt wird. Jede Messung von Schielwinkeln – insbesondere von Zyklodeviationen – in Tertiärstellungen wird aber geringe Fehler aufweisen. Diese Fehler sind für klinische Belange nur relevant, wenn Messdaten verglichen werden, die mit verschiedenen Untersuchungsmethoden (Tangentenskala, Synoptometer, Hess-Schirm) erhoben wurden. Koordimeterbefund: Bei konkomitierenden Schielformen (Heterophorie, Strabismus ohne Lähmungskomponente) sind alle Messpunkte in gleicher Weise verlagert. Die resultierenden Vielecke auf dem Hess-Schirm-
3.5 Lähmungsschielen Der Nachteil der Koordimetrie besteht einerseits darin, dass eine genaue Messung der Zyklodeviation ebenso wenig möglich ist wie eine Messung der Schielwinkel beim Bielschowsky-Nagel-Kopfneigetest. Darüber hinaus erlaubt die Koordimetrie keine genaue Messung der Schielwinkel, wie sie für die Festlegung einer Operationsindikation notwendig sein kann. Auch ist die Kontrolle der Kopfhaltung kritisch und bedarf der besonderen Aufmerksamkeit des Untersuchers (▶ Tab. 3.5).
3.5.8 Typische Untersuchungsbefunde bei verschiedenen Formen des Lähmungsschielens In den folgenden Abbildungen (▶ Abb. 3.62, ▶ Abb. 3.63a, b, ▶ Abb. 3.64) sind für verschiedene Augenbewegungsstörungen dargestellt: ● monokulares Blickfeld ● Fusionsblickfeld ● Hess-Schirm-Befund ● Tangententafel-Befund
3
Ein weiteres Beispiel ist ▶ Abb. 3.60a–d.
Monokulares Blickfeld linkes Auge (Tangententafel)
Fusionsblickfeld (Tangententafel) Hebung
30°
30°
20°
20° Diplopie
10°
0°
0°
10°
10°
20°
20°
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10°
30°
30° Senkung 30°
20°
10°
0°
10°
20°
Linksblick
30° 20° 10°
30°
0°
Linksblick
Rechtsblick
10° 20° 30° Rechtsblick
Hess-Schirm Rechtsfixation
Tangententafelbefund mit Dunkelrotglas rechts (Rechtsfixation) Hebung 25°
15° Linksblick 15° 25° Linksblick
Grünglas links
Rechtsblick
C 50 VD 0 Z0
C 24 VD 0 Z0
C 11 VD 0 Z0
C 52 VD 0 Z0
C 25 VD 0 Z0
C 12 VD 0 Z0
C 54 VD 0 Z0
C 26 VD 0 Z0
C 12 VD 0 Z0
25°
Rechtsblick
25°
Senkung
Abb. 3.62 Linksseitige Abduzensparalyse. Das linke Auge kann bei einer frischen Abduzensparalyse lediglich bis 10° vor die Mittellinie bewegt werden (monokulares Blickfeld). Schon in Primärposition besteht also ein Schielwinkel von 20–25°, im Linksblick nimmt der Schielwinkel mit der Adduktion des rechten Auges auf > 50° zu. Auch bei einer Abduzensparalyse sind wegen der unterschiedlichen Prüfentfernung die Schielwinkel an Tangententafel und Hess-Bildschirm verschieden. Bei einer alten Abduzensparalyse sind alle Schielwinkel größer. Ein Fusionsblickfeld ist in der Regel – auch im extremen Rechtsblick – nicht nachweisbar. Da das linke Auge schon den Rechtsblick von 25° (bzw. am Hess-Schirm von 15°) nur mit sehr hoher Innervation zur Abduktion einnehmen kann, besteht in dieser Blickrichtung ein sehr großer Schielwinkel. Die Messung in Primärposition und im Linksblick ist nicht möglich, weil das linke Auge diese Blickrichtungen nicht erreicht. Die Untersuchung bei Fixation mit dem paretischen Auge (Messung des sekundären Schielwinkels) ist wenig sinnvoll.
287
Binokularsehen
Fusionsblickfeld (Tangententafel)
b
Fusionsblickfeld (Tangententafel)
30°
30°
20°
20°
10°
10°
0°
0°
10°
10°
20° 30°
Diplopie 30° Linksblick
20°
10°
0°
10°
20°
30° Rechtsblick
30°
30° 20° 10° Linksblick
Hess-Schirm Linksfixation
Grünglas links
Rechtsblick
Linksblick
25°
Rechtsblick
Hebung 25°
C+1 VD+2 EX 1
C+1 VD+1 EX 1
C 0 VD 0 EX 3
C+1 VD+7 EX 5
C+5 VD+4 EX 6
C+6 VD+2 EX 7
Rechtsblick
C+8 VD+14 EX 7
C+9 VD+10 EX 10
C+10 VD+5 EX 13
25°
Senkung
Grünglas links
Tangententafelbefund mit Dunkelrotglas rechts (Linksfixation)
Hebung
Linksblick
10° 20° 30° Rechtsblick
15°
Tangententafelbefund mit Dunkelrotglas rechts (Linksfixation) 25°
0°
Hess-Schirm Linksfixation
15°
Linksblick
20°
Diplopie
25°
Linksblick
25°
25°
C 0 VD+12 EX 4
C 0 VD+6 EX 5
C 0 VD+3 EX 6
C 3 VD+12 EX 4
C 3 VD+6 EX 5
C 3 VD+3 EX 6
Rechtsblick
C 6 VD+12 EX 4
C 6 VD+6 EX 5
C 5 VD+3 EX 6
25°
Senkung
Abb. 3.63 Rechtsseitige Trochlearisparese/-paralyse (a) und rechtsseitiger dekompensierter Strabismus sursoadductorius (b). a Trochlearisparese/-paralyse: Typisch für die Schädigung des rechtsseitigen M. obliquus superior ist die Zunahme der Vertikaldeviation im Linksblick (von VD + 2° im Rechtsblick bis auf VD + 7° im Linksblick). Typisch für den paretischen Charakter der Störung ist im Linksblick die Zunahme der Vertikaldeviation bei Senkung des Auges (von VD + 2° bis auf VD + 14°). Dem entsprechen die „waagrechte“ Trennungslinie zwischen Fusionsblickfeld und Diplopie und die Tatsache, dass der Bielschowsky-Kopfneigetest bei gleichzeitiger Blicksenkung deutlicher ausfällt als bei Blickhebung. b Dekompensierter Strabismus sursoadductorius: Typisch ist der „senkrechte“ Verlauf der Grenze des Fusionsblickfelds. Der nichtparetische Charakter des Strabismus sursoadductorius wird daran deutlich, dass die Vielecke am Hess-Schirm bei Rechts- und Linksfixation kaum geschrumpft sind. Es fehlt auch die Inkomitanz der Vertikaldeviation im Linksblick (VD + 12° im Aufblick und im Abblick). Bei der Funduskopie wird eine Exzyklodeviation von –12° deutlich. Die an der Tangententafel über die Konfusion gemessene Exzyklotropie ist dagegen gering (maximal 6° gegenüber einer maximalen VD von + 12°). Diese Diskrepanz zwischen (subjektiv empfundener) verrollter Diplopie und objektiver Exzyklodeviation ist Ausdruck einer anomalen Korrespondenz, d. h. einer um die Sehachse verrollten Korrespondenz.
288
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a
3.5 Lähmungsschielen
Fusionsblickfeld (Tangententafel)
Fusionsblickfeld (Tangententafel)
30°
30°
20°
20°
10°
10°
0° Diplopie
30°
20°
10°
0°
10°
20°
Linksblick
0°
Bagolini +
10°
10°
20°
20°
30°
30°
30°
30° 20° 10°
Rechtsblick
0°
3
10° 20° 30°
Linksblick
Rechtsblick
Tangententafelbefunde mit Dunkelrotglas
25°
Linksblick
25°
Linksfixation Hebung 25°
C 0 VD 0 EX 3
C+1 VD–1 EX 3
C 0 VD–1 EX 4
C+7 VD+2 EX 11
C+7 VD–1 EX 11
C+7 VD–4 EX 10
Rechtsblick
C+11 VD+4 EX 23
C+12 VD–3 EX 22
C+11 VD–7 EX 23
25°
25°
Linksblick
25°
25°
C+1 VD+1 EX 3
C+1 VD+1 EX 4
C+1 VD 0 EX 4
C+7 VD+4 EX 12
C+7 VD+1 EX 12
C+7 VD–2 EX 11
Rechtsblick
C+11 VD+7 EX 22
C+12 VD+3 EX 23
C+12 VD–4 EX 23
25°
Senkung
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Rechtsfixation Hebung
Senkung
Abb. 3.64 Beidseitige Trochlearisparese/-paralyse. Die Messung des Fusionsblickfelds muss mit einem Strich durchgeführt werden, um die Zyklotropie als Fusionshindernis zu erkennen. Wird fälschlicherweise das Fusionsblickfeld mit einem Licht (oder einer runden Marke im Goldmann-Perimeter) durchgeführt, kann ein scheinbares Fusionsblickfeld vorgetäuscht werden, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Typisch für die Beidseitigkeit der Trochlearisparese ist die große Exzyklodeviation (verdächtig sind Werte über 12–15°) und das deutliche V-Symptom. Darüber hinaus ist die maximale Exzyklodeviation (23°) wesentlich größer als die maximale Vertikaldeviation (±VD 7°), wodurch der Verdacht auf Bilateralität erhärtet wird.
3.5.9 Zusammenfassung Bei Verdacht auf Lähmungsschielen müssen Anamnese und orientierende Untersuchung (insbesondere Kopfhaltung) ergänzt werden. Eine zielgerichtete ophthalmologische Untersuchung mit Beurteilung der Lider, der Pupillen, der Papillen und des Gesichtsfelds runden das Bild ab. Es folgen Messungen der Kopfhaltung, des Schielwinkels, des monokularen und des binokularen Blickfelds (vgl. ▶ Tab. 3.5).
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291
4.1
Myogene Augenbewegungsstörungen
293
Störungen der Augen-, Lidund Pupillenmotorik
4.2
Neurogene Augenmuskellähmungen
322
Supranukleäre Augenbewegungsstörungen
344
4.4
Lidbewegungsstörungen
362
4.5
Störungen der Pupillenmotorik 366
4.6
Topodiagnostik der Augenbewegungsstörungen
4.3
374
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Kapitel 4
4.1 Augenbewegungsstörungen
4 Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
J. Esser, A. K. Eckstein, H. Mühlendyck
4.1.1 Definition Myogene Augenbewegungsstörungen umfassen eine sehr heterogene Gruppe von primär muskulären Veränderungen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie nicht durch eine Reizverarbeitungs- oder Reizleitungsstörung auf zerebraler oder peripher-neuronaler Ebene beruht. Diese Gruppe umfasst mechanisch bedingte Augenbewegungsstörungen, bei denen die Muskeldehnung behindert ist, aber auch Muskelstoffwechselveränderungen (wie z. B. die chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie oder auch die akute Myositis), bei denen die Muskelkontraktilität eingeschränkt ist. Auch die mechanisch bedingten Augenbewegungsstörungen bilden keine homogene Gruppe, haben aber Gemeinsamkeiten – sowohl in der diagnostischen Vorgehensweise als auch bei den Therapieprinzipien. So verhalten sich beispielsweise eine Orbitabodenfraktur mit Einklemmungssymptomatik und eine endokrine Orbitopathie mit Muskelfibrosierung und Elastizitätsminderung im Bewegungsablauf ähnlich, weshalb auch die operative Therapie unter vergleichbaren Gesichtspunkten zu betrachten ist (in diesem Beispiel: Rücklagerung des betroffenen Muskels). Dies steht in deutlichem Gegensatz zur Therapie bei einer Myopathie oder auch bei einer neurogenen Parese, sowohl hinsichtlich der Muskelauswahl als auch der Operationsdosierung. Das Adjektiv mechanisch soll also in diesem Zusammenhang bedeuten, dass das normale Zusammenspiel der 3 Augenmuskelpaare entweder durch Muskelelastizitätsveränderungen oder durch Einklemmungen und Vernarbungen der Augenmuskeln bzw. der sie umgebenden Hüllgewebe oder durch Verdrängung gestört ist.
Schädigungsmechanismen mit unterschiedlichen Folgen LeFort (1901) propagierte das Konzept des Einknickmechanismus [116]: Einknicken des Orbitabodens durch die Kraftübertragung einer auf die untere Orbitakante einwirkenden Kraft. Pfeiffer (1943) vertrat das Konzept der Blow-out-Fraktur [159]. ▶ Einknickmechanismus. Durch Versuche mit Gewichten konnte man nachweisen, dass Orbitabodenfrakturen ausschließlich durch ein direktes Trauma auf die Orbitakante und ohne ein direktes Bulbustrauma auftreten können (▶ Abb. 4.1) [69], [70], [160], [196], [206].
4
▶ Druckerhöhungsmechanismus. Frakturen können aber auch durch eine Druckübertragung über den Bulbus entstehen. Sie haben ein hohes Risiko für eine Einklemmung von Gewebe in den Frakturspalt (▶ Abb. 4.2) [102], [190], [206].
Klinisches Bild Als Kardinalsymptome einer Orbitabodenfraktur gelten nach Friedburg (1981) [67]: ● typische Motilitätseinschränkung ● positiver Röntgenbefund ● Enophthalmus ● Sensibilitätsausfälle im Bereich des N. infraorbitalis
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4.1 Myogene Augenbewegungsstörungen
4.1.2 Einklemmung (Augenmuskeln oder perimuskuläre Hüllgewebe) Orbitawandfraktur Definition Die Orbitawandfraktur ist eine durch ein stumpfes Trauma auf den Bulbus oder die Orbitakante hervorgerufene Fraktur einer Orbitawand. Am häufigsten kommt es zu einer Orbitabodenfraktur, die isoliert oder zusammen mit einer Jochbeinfraktur auftreten kann. Mittelgesichtsfrakturen mit Orbitawanddefekten (Le Fort II und III) sind weitaus seltener.
Abb. 4.1 Einknickmechanismus. Krafteinwirkung auf die untere Orbitakante führt über die knöchern fortgeleitete Druckwelle zur Fraktur.
293
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Die Motilitätseinschränkung umfasst im Wesentlichen eine mechanische, einklemmungsbedingte Hebungseinschränkung und in zweiter Linie eine erst bei stärkerem Abblick auftretende und ebenfalls einklemmungsbedingte Senkungseinschränkung (Umschlagphänomen) durch die nicht maximal mögliche Kontraktion des M. rectus inferior [67]. Die fast immer auftretende Sensibilitätsstörung im Versorgungsbereich des N. infraorbitalis ist geradezu pathognomonisch (Hautsensibilitätsprüfung: spitz und stumpf!). Initial kann entweder ein Enophthalmus oder auch ein Exophthalmus (durch massive Schwellung oder durch ein Orbitahämatom) bestehen. Dieser ist dann aber meist mit einer massiven Bewegungseinschränkung des Bulbus in alle Blickrichtungen vergesellschaftet. Der typische Röntgenbefund zeigt in der Regel bereits in der Nativaufnahme eine Diskontinuitätszone im Bereich des Orbitabodens und ggf. eine sichtbare Herniation (hängender Tropfen) [48], [76] (siehe ▶ Abb. 4.5a). Meist wird die Diagnose einer Orbitabodenfraktur, die isoliert oder zusammen mit einer Jochbeinfraktur oder im Rahmen einer Mittelgesichtsfraktur auftreten kann, heute jedoch durch Computertomografie oder Magnetresonanztomografie gesichert [153]. Die exakt durchgeführte Nativ-Röntgenaufnahme gestattet die Diagnose einer Frak-
M ●
Zusammenfassung
Kardinalsymptome einer Orbitabodenfraktur: ● typische Motilitätseinschränkung (Umschlagphänomen) ● typischer Röntgenbefund (hängender Tropfen) ● Enophthalmus oder Exophthalmus (durch Schwellung oder Orbitahämatom) ● Sensibilitätsausfälle im Bereich des N. infraorbitalis.
Motilitätsdiagnostik Die Prüfung auf Augenmotilitätsstörungen umfasst die Messung des Fusionsblickfelds und der Beweglichkeit des betroffenen Auges. Bei der Messung des Fusionsblickfelds ist darauf zu achten, dass Doppelbilder bisweilen nur in extremen Blickpositionen wahrgenommen werden (wichtig: Aufblick). Als Basis einer Verlaufskontrolle sollte eine quantifizierende Darstellung des Fusionsblickfelds und des Doppelbildbereichs (z. B. an der Harms-Wand oder am Goldmann-Perimeter) erfolgen. Auch die Bulbusmotilitätsstörung sollte quantifiziert werden, wobei sowohl haploskopische Methoden wie Hess-Schirm (▶ Abb. 4.3a, b) [82] oder Harms-Wand als auch die Messung monokularer Bulbusexkursionsstrecken (z. B. mithilfe der Kestenbaum-Brille nach Haase, der Harms-Wand, des Goldmann-Perimeters oder des Synoptometers) in Frage kommen [55]. Bei der Motilitätsanalyse ist aber auf eine diagnostische Falle zu achten, deren Nichtbeachtung zu falschen therapeutischen Konsequenzen führen könnte. Bei stumpfen
Tab. 4.1 Orbitawandfrakturen. Charakteristische Frakturzeichen bei verschiedenen Schädigungsmechanismen [206].
294
Ort der Krafteinwirkung
Mechanismus
Ausdehnung
Mediale Fraktur
Einklemmung
Orbitadach
Orbitakante
einknickend
klein
nie
nie
nicht mitbetroffen
Bulbus
hydraulisch
groß
immer
häufig
häufig mitbetroffen
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Abb. 4.2 Druckerhöhungsmechanismus. Krafteinwirkung auf den Bulbus führt über die direkt senkrecht auf die Wand wirkende Kraft zu Fraktur.
tur aber auch weiterhin mit einer hohen Sensitivität [107]. Eine einfache Klassifikation schlagen Waterhouse et al. (1999) entsprechend ihren Experimentaluntersuchungen über die Schädigungsmechanismen vor (▶ Tab. 4.1) [206]: ● Typ 1: Kleine Fraktur, beschränkt auf den anterioren und mittleren Orbitaboden, bei welcher eine Einklemmung ungewöhnlich ist (Ursache: Krafteinwirkung auf die Orbitakante). ● Typ 2: Ausgedehnte Fraktur, die neben dem Orbitaboden auch die mediale Orbitawand einbezieht und bei welcher eine Einklemmungssymptomatik häufig vorkommt (Ursache: Krafteinwirkung auf den Bulbus, klassische Blow-out-Fraktur).
4.1 Augenbewegungsstörungen
Abb. 4.3 Differenzialdiagnose zwischen Okulomotoriusparese (a) und Orbitabodenfraktur (b). Untersuchung am HessSchirm: die horizontalen Pfeile kennzeichnen jeweils die Differenz der Vertikalabweichung (in den 5 Positionen bei 30° Abduktion des nichtbetroffenen Auges). a Eine Parese weist einen linearen Anstieg der Differenz der Bulbusstellung des rechten und linken Auges auf. b Bei einer Einklemmungssymptomatik kommt es zu einem relativ plötzlichen Stopp der Aufblickbewegung.
Left Eye
Aufblick 30° Sup. Rect.
Inf. Obl.
15° Sup. Rect.
0°
Lat. Rect.
Lat. Rect.
Inf. Rect.
Inf. Obl.
Med. Rect.
Med. Rect.
Sub. Obl.
15° Inf. Rect.
Sub. Obl.
30°
4
Abblick -20 a
-10 0 10 20 Grad (Vertikalabweichung in Abduktion)
30
40
Left Eye
Aufblick 30° Sup. Rect.
Inf. Obl.
15° 0°
Inf. Obl.
Lat. Rect.
Med. Rect.
Inf. Rect.
Sub. Obl.
Med. Rect.
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Sup. Rect.
Lat. Rect.
15° Inf. Rect.
Sub. Obl.
30°
Abblick -20 b
-10 0 10 20 Grad (Vertikalabweichung in Abduktion)
Orbitatraumen kann neben einer Orbitabodenfraktur zusätzlich auch eine traumatisch bedingte partielle Okulomotoriusparese auftreten, welche ebenfalls zu einer isolierten Hebungseinschränkung führen kann. So fand Wojno (1987) in 7 von 40 Fällen mit Orbitabodenfraktur heraus, dass die Doppelbilder ausschließlich durch Muskelparesen und nicht durch Einklemmung bedingt waren [210].
Merke
H ●
Das Vorliegen einer Einklemmung des Muskels oder seiner orbitalen Hüllgewebe kann mit dem Traktionstest (S. 295) von einer Parese abgegrenzt werden.
30
40
▶ Traktionstest. Das Vorliegen einer Einklemmung des Muskels oder meist seiner orbitalen Hüllgewebe (▶ Abb. 4.4a–c), z. B. der radiären Bindegewebssepten [109], muss durch den Traktionstest und eventuell auch durch die Blickrichtungstonometrie von einer neurogenen Parese abgegrenzt werden. Beim wachen Patienten wird zunächst die maximale aktive Bulbusbewegungsstrecke durch ein Blickziel (Führungsbewegung) bestimmt. Anschließend wird durch passive Bulbusdrehung mit einer Pinzette (nach Konjunktival-Tropfanästhesie) festgestellt, inwieweit über die aktive Bulbusbewegung hinaus noch eine weitere passive Bulbusbewegung möglich ist. Deutliche Hinweise für eine mechanische Genese der Bulbushebungseinschränkung können aber auch Führungsbewegungen oder eine haploskopische Untersuchung (z. B. Synoptometer, Hess-Schirm, ▶ Abb. 4.3) geben, bei denen man den plötzlichen Einklemmungsstopp
295
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
a
Bei einer Kombination von mechanischer und paretischer Störung ist eine exakte Differenzierung des paretischen bzw. mechanischen Anteils kaum noch sicher möglich [128]. Differenzialdiagnostisch erschwerend ist ferner in der akuten posttraumatischen Phase bzw. perioperativen Phase eine massive Orbitaschwellung oder auch ein Orbitahämatom oder Emphysem. Es besteht dann aber meist zugleich ein Exophthalmus, der vergesellschaftet ist mit einer initial massiven, später aber nur endgradigen Bewegungseinschränkung des Bulbus in alle Blickrichtungen. Die Gewebeschwellung kann darüberhinaus auch einen prinzipiell vorliegenden Enophthalmus initial überdecken, so dass hier engmaschige Verlaufskontrollen mit einem Exophthalmometer erforderlich sind. Die Differenzialdiagnose gegenüber einem Jaensch-Brown-Syndrom ist relativ einfach, obwohl auch hier eine Anschlagssymptomatik ähnlich einer Orbitabodenfraktur vorliegt. Bei Letztgenanntem liegt meist eine völlig normale Motilität im Abblick und im Abduktionsbereich vor, aber mit aktiver und passiver (Traktionstest) Einschränkung bei Hebung in Adduktion. Neben der verminderten Hebung in Adduktion ist in einigen Fällen auch die Hebung in Abduktion (in geringerem Umfang) behindert [55].
Therapie, Prognose und Sekundärkomplikationen
c Abb. 4.4 Umschlagphänomen. Je nach Augenstellung im Unfallmoment kommt es zu einer unterschiedlichen Lokalisation der Einklemmung und dadurch zu einer Bulbusfixierung mehr im Abblick bzw. mehr im Aufblick. Die Skizze ist sehr stark schematisiert, um das Prinzip zu verdeutlichen. a Einklemmung im Sehnenbereich. b Einklemmung weiter hinten. c Einklemmung weiter hinten.
der Aufblickbewegung deutlich erkennen kann. Dazu kommt häufig eine ebenfalls mechanisch bedingte Abblickstörung (Umschlagphänomen), wenn nicht nur die Muskeldehnung, sondern auch die maximale Muskelkontraktion durch die Einklemmung behindert ist (▶ Abb. 4.4a–c, ▶ Abb. 4.5a–c).
296
In der chirurgischen Behandlung der Motilitätsstörungen bei Orbitabodenfrakturen ist das Ziel, Inkarzerationen in dem Frakturspalt des Orbitabodens zu lösen und ein erneutes Inkarzerieren zu verhindern. Das kann durch Unterfütterung mit verschiedenen Materialien geschehen [129]. Neben autologen (Knochen, Knorpel, Fascia lata, M.-temporalis-Faszie) und heterologen (lyophilisierte Dura mater) Geweben werden alloplastische Materialien eingesetzt, wie z. B.: ● Titanplatten ● Silikon ● Teflon ● Hydroxylapatit ● Polyethylen ● Polyglactin Den Vorteilen alloplastischer Materialien, wie z. B. leichtere Verfügbarkeit, verkürzte Operationszeiten und vereinfachte Handhabung, stehen Nachteile gegenüber, z. B. Migration, Extrusion oder Fremdkörperreaktion [131], [202]. Die Zugangswege sind variabel [106]: ● transkutan ● transkonjunktival ● transoral
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b
4.1 Augenbewegungsstörungen
4
Aus der verfügbaren Literatur kann man für Erwachsene keine eindeutigen Handlungsempfehlungen ableiten. Hinsichtlich der Doppelbilder werden in der Literatur signifikante Raten von Spontanrückbildungen beschrieben: ● 39 % [33] ● 45 % [68] ● 53 % [166] Bei früher operativer Korrektur kann man eine vollständige Rückbildung zwischen 52 % und 87 % erreichen [51], [65], [77], [121], [122]. Aber auch nach langem Bestehen der Orbitafraktur werden noch gute Ergebnisse hinsichtlich der Beseitigung von Doppelbildern bzw. des Enophthalmus erzielt [177]. Zwischen Früh- und Spätkorrekturen besteht im direkten Vergleich kein Unterschied [29], [186]. Da die intraoperativen Komplikationen eher gering sind, streben die meisten Operateure eine Korrektur nach 7–14 Tagen an. Bei Kindern dagegen ist bei Gewebeeinklemmung (▶ Abb. 4.5a–c) eine dringliche Operationsindikation gegeben, da sich die Prognose mit wachsender Zeitspanne zwischen Trauma und Operation signifikant verschlechtert [51], [72], [73]. Matteini et al. (2004) geben folgende Zeitspannen für Operationen an [127]:
● ●
●
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Abb. 4.5 Typisches Motilitätsschema bei Orbitabodenfraktur. a Hängender Tropfen im CT. b Positives Umschlagphänomen – Senkungsdefizit > Hebungsdefizit bei Trappdor-Fraktur und Einklemmung: präoperativer Befund. c Positives Umschlagphänomen – Senkungsdefizit > Hebungsdefizit bei Trappdor-Fraktur und Einklemmung: 4 Wochen nach operativer Versorgung in der MKG (Operation erfolgte innerhalb von 24 Stunden nach Unfall).
Bei Kindern: innerhalb von 3 Tagen. Bei Erwachsenen mit Doppelbildern: innerhalb von 7 Tagen. Bei Erwachsenen ohne Doppelbilder: innerhalb von 12 Tagen.
In Ermangelung prospektiver Studien zeigt eine Umfrage mit Indexfällen in Schweden, dass das operative Vorgehen letztendlich ortsständig traditionsbasiert ist [2]. Auch bei nicht zweifelsfreier Diagnosestellung wird bei Vorliegen von Motilitätsstörungen zu einer Operation geraten, da von Andersen et al. (1985) über 22 % falsch-negative Röntgenbefunde entdeckt wurden, bei denen in ⅔ der Fälle intraoperativ doch schwere Defektfrakturen des Orbitabodens gefunden wurden [3]. Ein weiteres Argument für die Frühoperation ist die Möglichkeit einer Dekompression des häufig eingeklemmten N. infraorbitalis. Als prognostisch relativ ungünstig sind Mittelgesichtsfrakturen (LeFort II und LeFort III) sowie Frakturen bei Kindern unter 10 Jahren anzusehen (▶ Abb. 4.5a–c), da hier vielfach Revisionsoperationen und zusätzliche Augenmuskeloperationen erforderlich werden [51]. Die wichtigsten Sekundärkomplikationen neben dem selte-
297
nen Visusverlust sind eine unvollständige Narbenlösung sowie eine Verschlechterung der Diplopie [51], [130].
Zusammenfassung
M ●
Frühe Operation nach Trauma Eine frühe Operation in den ersten Tagen nach Trauma ist anzustreben bei ● Diplopie mit positivem Traktionstest und/oder Inkarzerationsverdacht im CT/NMR ohne Besserungstendenz innerhalb der ersten Tage. ● Enophthalmus bzw. Bulbustieferstand. ● großem (> 50 %) Orbitawanddefekt (Enophthalmusgefahr!). ● Jochbeinfraktur, Mittelgesichtsfraktur (LeFort II oder III). ● Sensibilitätsstörung im Bereich des N. infraorbitalis. ● Kindern mit Trapdoor-Fraktur.
Bei den übrigen Fällen kann zunächst die Spontanentwicklung abgewartet werden, insbesondere, wenn weder ein Enophthalmus noch Doppelbilder und/oder kein Inkarzerationsverdacht im CT/NMR besteht. Auch nach initial bestehenden, durch Schwellung (Ödem, Hämatom) bedingten und sich rasch zurückbildenden Doppelbildern kann zunächst zugewartet werden, wenn die übrigen Kriterien erfüllt sind.
Syndrome nach Jaensch/Brown (angeborenes Brown-Syndrom, erworbenes Jaensch-Syndrom, „Obliquus-inferior-Pseudoparese“) Das Krankheitsbild einer „Obliquus-inferior-Pseudoparese“ ist durch eine mechanisch bedingte Dehnungsbehin-
derung des M. obliquus superior verursacht [21], [22], [25], [26], [91], [96], [195], [207]. Das angeborene (kongenitale) Brown-Syndrom wurde erstmals 1950 von Brown [21] und das erworbene (traumatische) JaenschSyndrom erstmals 1928 von Jaensch [96] beschrieben. Nach dem Motilitätsbefund handelt es sich bei den angeborenen und erworbenen Formen um ähnliche Krankheitsbilder mit unterschiedlichen Ursachen. Bei den erworbenen Fällen wurde in der Erstbeschreibung eine Alteration der Sehne im Trochleabereich angegeben [96] und bei den kongenitalen Fällen meistens ein Strang zwischen dem Ansatz des M. obliquus superior und der Trochlea [21], deshalb kann man bei den kongenitalen Formen von einem Brown-Syndrom und bei den erworbenen von einem Jaensch-Syndrom sprechen. Differenzialdiagnostisch muss bei Vorliegen einer Hebungseinschränkung in Adduktion immer auch an eine Parese des M. obliquus inferior gedacht werden. Klinisch lassen sich diese Formen dadurch unterscheiden, dass bei einer Parese des M. obliquus inferior ebenfalls die abduzierende Funktion bei Hebung vermindert ist und es dadurch zu einer zunehmenden Konvergenzstellung beim Blick nach oben kommt, d. h. zu einem A-Symptom. Beim typischen kongenitalen Brown-Syndrom (▶ Abb. 4.6) ist dagegen die abduzierende Funktion des Muskels verstärkt, weshalb es in diesen Fällen beim Blick direkt nach oben sowie bei Hebung in Abduktion zu einer Divergenzstellung kommt, d. h. zum Auftreten eines Y-Symptoms. Beim erworbenen Jaensch-Syndrom ist beim Blick nach nasal oben nicht nur die Hebung, sondern auch die Adduktion eingeschränkt. Charakteristischerweise stehen sowohl bei der kongenitalen als auch der erworbenen Form die Augen im Abblick parallel, und man findet hier volle Binokularfunktionen. Beweisend ist sowohl bei den angeborenen wie bei den erworbenen Fällen die Einschränkung der passiven Beweglichkeit bei Hebung in Adduktion (hierbei meist nicht oder nur gering über die Horizontale, ▶ Abb. 4.6).
Abb. 4.6 Typisches rechtsseitiges Brown-Syndrom. Das rechte Auge kann in Adduktion nicht über die Horizontale gehoben werden. Es macht bei Führungsbewegung zum direkten Blick nach oben eine sprungartige Aufwärtsbewegung mit Manifestation einer Exotropie von 10° (Y-Symptom). Im gesamten Abblick stehen die Augen parallel mit hier nachweisbaren vollen Binokularfunktionen. Es wird deshalb eine KZH von 15° Kinnhebung eingenommen. Bei der Operation wurde ein etwas hinter dem Bulbusäquator inserierender fibrotischer Strang vorgefunden.
298
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.1 Augenbewegungsstörungen Tab. 4.2 Gegenüberstellung der Befunde beim typischen und atypischen angeborenen Brown-Syndrom. Syndrom
Stranginsertion
Hebungseinschränkung
Horizontalabweichung
Kopfzwangshaltung
Typisches Brown-Syndrom
knapp hinter Äquator
in Adduktion ab Horizontale
XT im Aufblick Y-Symptom
Kinnhebung
1. atypisches Brown-Syndrom
deutlich vor Äquator
in Adduktion und Abduktion
keine
Kopfneigung
2. atypisches Brown-Syndrom
nasal weit hinter Äquator
in Adduktion weit unter Horizontale
sprungartige, ausgeprägte XT Y-Symptom
Kopfwendung
4
Merke
H ●
Differenzialdiagnose Mangelnde Hebung in Adduktion ist das gemeinsame Symptom aller 3 Formen. Es bestehen jedoch folgende Unterschiede: ● Beim typischen kongenitalen Brown-Syndrom ist die abduzierende Funktion des M. obliquus inferior beim direkten Blick nach oben sowie beim Blick nach außenoben verstärkt (Y-Symptom). ● Beim erworbenen Jaensch-Syndrom ist beim Blick nach innen-oben nicht nur die Hebung, sondern auch die Adduktion eingeschränkt. ● Bei einer Parese des M. obliquus inferior ist dagegen die abduzierende Funktion beim direkten Blick nach oben und Blick nach außen-oben vermindert (A-Symptom).
Ursachen angeborener Fälle: ● Veränderungen der Sehnenscheide des M. obliquus superior ● Fehlinnervation des M. obliquus superior ● Strang zwischen dem Ansatz des M. obliquus superior und der Orbitawand in der Nähe der Trochlea (▶ Abb. 4.7) Bei den angeborenen Fällen wurde von Brown eine Veränderung der Sehnenscheide angenommen. Deshalb wurde das Brown-Syndrom lange auch als „Obliquus-superior-Sehnenscheiden-Syndrom“ bezeichnet [21], [22]. Bei eingehenden anatomischen und intraoperativen Untersuchungen der Sehne des M. obliquus superior und der sie umgebenden Strukturen konnte die Existenz einer Anomalie der Sehnenscheide jedoch nicht belegt werden
[27], [156], [157], [209]. Deshalb wird – vor allem seit den Darlegungen von Parks 1977 – diese Motilitätsstörung nur noch als Brown-Syndrom bezeichnet. Gegen einen behindernden Effekt der Sehnenscheide spricht nach Wilson u. Parks (1989) [209] auch, dass bei keinem der veröffentlichten Fälle über eine Entfernung der Sehnenscheide eine echte Verbesserung der Motilität erreicht werden konnte. Demgegenüber wurden zum Teil gute Ergebnisse bei einer Tenotomie oder Tenektomie der Sehne des M. obliquus superior erzielt [26], [27], [94], [156], [209]. Aufgrund von elektromyografischen Befunden wurde schon kurz nach der Publikation von Brown und danach immer wieder auch eine Fehlinnervation des M. obliquus superior postuliert [21]. Dabei erhobene widersprüchliche Befunde lassen sich dadurch erklären, dass der muskuläre Anteil des M. obliquus superior und der des M. rectus medialis sehr nahe beieinander liegen und deshalb eine gezielte elektromyografische Ableitung schwierig ist. Wegen der unterschiedlichen Ausprägung der bei diesem Syndrom vorkommenden Motilitätsstörung erhielt das Konzept einer Fehlinnervation durch Neugebauer und Fricke [146] sowie Kaeser und Brodsky [103] neue Nahrung. Von Kaeser und Brodsky wurde bei einigen Patienten mit einer kongenitalen M.-obliquus-superior-Parese kernspintomografisch das Fehlen des IV. Hirnnervs auf der betroffenen Seite dokumentiert und – in Analogie zum Retraktionssyndrom (RS) von Stilling-Türk-Duane – auf die Ursache geschlossen. Obwohl einiges für das Konzept einer Fehlinnervation bei fehlendem IV. Hirnnerv spricht, kann zum einen der für dieses Krankheitsbild typische Parallelstand im Abblick, d. h. im Aktionsgebiet des M. obliquus superior, dadurch nicht erklärt werden. Zum anderen müsste – wie beim RS – der dabei nicht innervierte Anteil des M. obliquus superior fibrotisch alteriert sein. Es stellt sich die bisher noch nicht beantwortete Frage nach der Art der in einem solchen Fall vorliegenden Motilitätsstörung. Als Ursache des angeborenen Brown-Syndroms ist bisher klinisch nur ein fibrotischer Strang belegbar (▶ Abb. 4.7, ▶ Abb. 4.8a–d). Dieser Strang wird meistens am Hinterrand der Sehne des M. obliquus superior angetroffen. Er verläuft dabei vom hinteren Ansatzbereich der
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Das Krankheitsbild ist bei den angeborenen Formen im Allgemeinen konstant, kann aber in Abhängigkeit von der Insertion des Stranges am Bulbus variieren (▶ Tab. 4.2). Bei den erworbenen Formen kann die Motilitätsstörung dagegen auch intermittierend und eine spontane Rückbildung möglich sein [119].
299
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
b A
A1
a
B
B1
Sehne zur Orbitawand in der Nähe der Trochlea. Von Jaensch [96] wurde schon sehr anschaulich der Wirkmechanismus eines derartigen Stranges beschrieben: „Bei Senkung erschlafft er und bietet kein Hindernis, bei Hebung hingegen strafft der Strang sich und verändert die
Zusatzinfo Entwicklungsgeschichtliche Befunde Die Existenz eines derartigen Stranges erklärt sich aus von Fink beschriebenen entwicklungsgeschichtlichen Befunden [61]. Er weist dabei darauf hin, dass bei Vögeln, Reptilien und Fischen der M. obliquus superior das genaue Gegenstück des M. obliquus inferior ist, welche beide in der vorderen Orbita entspringen. Bei den Säugetieren ist dagegen der Ursprung des M. obliquus superior in die Orbitaspitze gewandert, so dass die umgelenkte Sehne des M. obliquus superior den originalen Anteil des Muskels repräsentiert. Bei einigen Tieren (z. B. Esel) begleitet aber die umgelenkte Sehne auch noch ein zusätzlicher Muskel, der seinen Ursprung in der Nähe der Trochlea an der Orbita hat. Aber auch beim Menschen sind autoptisch als Anomalie ähnliche atavistische überzählige Faszikuli (supernumerary fasciculi) gefunden worden. Nach Fink kann darüber hinaus ein nor-
300
b
aktive und passive Beweglichkeit des adduzierten Auges, während er bei Abduktion keine nennenswerte oder nachweisbare Hemmung der Vertikalbewegung oder abnorme Verrollung bedingt.“ Eine spontane Rückbildung findet hier nicht statt.
●V
maler M. obliquus superior von einem – zwischen Trochlea und Augapfel verlaufenden – Extramuscular Slip begleitet sein, der mit diesem einen gemeinsamen Ansatz am Augapfel bildet. Diese Beschreibung einer atavistischen Struktur trifft aber genau auf den fibrotischen Strang zu, der bei Patienten mit angeborenem Brown-Syndrom vorgefunden wird und bei diesen meist ebenfalls zwischen dem Ansatz des M. obliquus superior und der Orbitawand in der Nähe der Trochlea verläuft (▶ Abb. 4.7, ▶ Abb. 4.8a–d). Dieser kann somit als ein atavistischer M. obliquus superior angesehen werden. Bei den davon betroffenen Patienten ist die hierdurch verursachte Einschränkung der Motilität aber in erheblichem Maß davon abhängig, wo der Strang in Bezug zum Bulbusäquator inseriert (siehe ▶ Tab. 4.2).
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a
Abb. 4.7 Syndrome von Brown und Jaensch. Schematische Darstellung mit Gegenüberstellung des Sehnenverlaufs eines normalen M. obliquus superior bei Dehnung (A) und Kontraktion (B) und bei einer Behinderung der Dehnung des M. obliquus superior im Falle einer Obliquus-inferior-Pseudoparese (A1, B1). Diese Dehnungsbehinderung des M. obliquus superior beim Blick nach nasal-oben kann verursacht sein durch 1. eine strangartige Verbindung (a: gerade und gezackte rote Linie) zwischen dem Ansatzgebiet des M. obliquus superior und der Orbitawand in der Nähe der Trochlea (angeborenes Brown-Syndrom), die bei Dehnung angespannt wird und eine weitere Hebung in Adduktion unmöglich macht, oder 2. durch eine Verdickung der Sehne (b: grüne ovale Form) hinter der Trochlea. Im 2. Fall kann die Sehne bei Dehnung nicht mehr durch die Trochlea gleiten. Bei Kontraktion des M. obliquus superior kommt es zu einer Entspannung des fibrotischen Stranges zwischen Ansatzgebiet und Trochlea (a) bzw. zu einer Verlagerung der Verdickung nach hinten (b). Beide Veränderungen stellen dabei keine Behinderung mehr dar.
4.1 Augenbewegungsstörungen
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4
Abb. 4.8 Operativer Befund bei Präparation der Sehne des M. obliquus superior eines Patienten mit Brown-Syndrom vom lateralen Rand des M. rectus superior aus. a Die Sehne des M. obliquus superior wird im ansatznahen Bereich mit einem Schielhaken aufgenommen und ausgespannt. Der hintere, deutlich hellere Anteil der Sehne ist straff und verdickt. b Der Sehnenanteil lässt sich mit einem Irisspatel vom vorderen Sehnenbereich separieren. c, d Dann kann ein möglichst langer ansatznaher Teil des Stranges exzidiert werden.
Typisches angeborenes Brown-Syndrom
Ursachen erworbener Fälle
Bei einem der Erstbeschreibung von Brown entsprechenden und damit „typischen“ angeborenen Brown-Syndrom befindet sich die Insertion des Stranges etwas hinter dem Bulbusäquator. Für die hierbei vorgefundene Motilitätsstörung ist der in ▶ Abb. 4.6 wiedergegebene Fall ein klassisches Beispiel.
Die Ursache für ein erworbenes Jaensch-Syndrom kann traumatisch, entzündlich (rheumatisch) oder Folge einer Metastase oder einer Faltung der Sehne des M. obliquus superior sein: ● Stein [195] hat bei der operativen Versorgung einer posttraumatischen Hebungseinschränkung in Adduktion als Erklärung für dessen Zustandekommen erstmals eine spindelförmige Verdickung der Sehne zwischen Ursprung und Trochlea verifiziert, zu der es infolge eines Hämatoms gekommen war. Diese Verdickung verhinderte, dass die Sehne bei Dehnung des M. obliquus superior durch die Trochlea gleiten konnte. Sie behinderte bei Hebung in Adduktion darüber hinaus die Funktion des eng benachbarten M. rectus medialis. Es war deshalb bei Hebung des Auges in Adduktion nicht nur zu einer Einschränkung der Hebung gekommen, sondern
Atypisches angeborenes Brown-Syndrom Von Mühlendyck wurde erstmals der Fall eines „atypischen“ angeborenen Brown-Syndroms mit einer weit vor dem Bulbusäquator liegenden Insertion des Stranges beschrieben. Die bei diesen Fällen angetroffenen unterschiedlichen klinischen Befunde sind in ▶ Tab. 4.2 dargestellt.
301
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
●
●
Therapie Eine nach der Geburt festgestellte Einschränkung der Hebung in Adduktion kann sich vor allem in den ersten Lebensjahren spontan zurückbilden [1], [22], [25], [197]. So
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beobachtet Thaller-Antlanger [197] bei ca. der Hälfte ihrer Patienten eine spontane Besserung, was sich mit den Erfahrungen von Graf et al. [81] deckt. Ein solcher Verlauf ist bisher jedoch nur bei dem erworbenen Jaensch-Syndrom bekannt. Es liegt von daher der Schluss nahe, dass bei diesen ebenfalls eine Verdickung der Sehne hinter der Trochlea vorgelegen hat. Über die in einem solchen Fall bestehende charakteristische Motilitätsstörung müsste dann auch eine prognostische Beurteilung möglich sein. Eine Operationsindikation beim angeborenen BrownSyndrom muss wegen der möglichen Nebenwirkungen sorgfältig abgewogen werden [81], [148], [156], [197], [211]. Bei fehlender Kopfzwangshaltung und Orthotropie im Geradeausblick ist eine Operation zunächst nicht angezeigt [81], [156]. Wenn sich die Befunde nicht spontan zurückbilden, rechtfertigt jedoch eine deutliche Zwangshaltung mit Hypotropie im Geradeausblick eine Operation [149]. Eine Indikation zu einer Operation mag sich aber auch erst beim Erwachsenen ergeben, wenn eine Gleitsichtbrille benötigt wird und damit in der Ferne nicht mehr zur Vermeidung einer Diplopie der Abblick aufgesucht werden kann. Ein ästhetisch auffälliger Tieferstand in Adduktion stellt eine relative Operationsindikation dar [209]. Besteht gleichzeitig ein korrekturbedürftiges Innenschielen, so kann man die Indikation zu einer einzeitigen Operation großzügiger stellen [81].
Operationsverfahren Operationsmethoden: ● Obliquus-superior-Rücklagerung ● Teilexzision eines fibrotischen Stranges ● Obliquus-superior-Sehnen-Tenotomie ○ kombiniert mit einem „Silikon-Tendon Expander“ ○ kombiniert mit nachjustierbaren Fäden Alle diese operativen Methoden zielen darauf hin, die Hebung in Adduktion zu verbessern. Alle genannten Eingriffe sind mehr oder weniger effektiv hinsichtlich der Reduktion des Höhenschielens in Primärposition und der Kopfzwangshaltung [81], [94], [125], [148], [156], [182], [209]. Die Hebungsfähigkeit (in Adduktion) verbessert sich meist erst mit Verzögerung (2–13 Jahre) und wird oft auch langfristig nur bei wenigen Fällen normal [81]. Mühlendyck [143] vermutet, dass die beschriebenen guten Ergebnisse nach einer Tenotomie bzw. Rücklagerung der Sehne des M. obliquus superior mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem dadurch erreicht wurden, dass hierbei gleichzeitig der oben beschriebene fibrotische Strang durchtrennt wurde. Durch Tenotomien können aber auch Übereffekte (Parese des M. obliquus superior bzw. Überfunktion des M. obliquus inferior) auftreten [26]. ▶ Abb. 4.8a–d zeigt die Teilexzision des fibrotischen Stranges. Dieser wird nach Separation von der Sehne am hinteren Ansatzrand abgetrennt, dort mit einem Myostaten gefasst, unter Zug an diesem so weit wie möglich un-
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●
zusätzlich dort auch zu einer Exotropie. Der Nachweis einer derartigen Abweichung kann deshalb für die erworbenen Formen als charakteristisch angesehen werden. Da bei der ersten Beschreibung einer posttraumatischen Obliquus-inferior-Pseudoparese Jaensch [96] ebenfalls eine derartige Motilitätsstörung dokumentiert hat, kann angenommen werden, dass es sich bei diesem um die gleiche Ursache handelte. Eine weitere Besonderheit bei den erworbenen Fällen ist, dass bei längerem forcierten Blick nach innen-oben die hinter der Sehne sich befindende Verdickung sprungartig mit einem Klick (mitunter auch hörbar) durch die Trochlea gleitet [195] und dann keine Abweichung mehr besteht. Das Krankheitsbild ist dann intermittierend [64], [175], [176]. Bei den Fällen, wo es zu dieser Motilitätsstörung im Zusammenhang mit einer rheumatischen Erkrankung oder entzündlichen Veränderungen der Nasennebenhöhlen gekommen ist, werden noch andere, nur hier vorliegende Symptome angetroffen. Zur Differenzierung von den anderen Ursachen ist deshalb für diese Fälle der Begriff Klick-Syndrom eingeführt worden [171], [175], [176], [209]. Charakteristisch ist in diesen Fällen: ○ eine intermittierende Hebungseinschränkung in Adduktion ○ ein Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der Trochlea ○ ein gefühlter, aber auch akustisch wahrnehmbarer Klick beim Blick nach innen-oben ○ eine nach dem Klick – bei uneingeschränkter Hebung – lateral der Trochlea liegende tastbare Verdickung der Sehne Ein erworbenes Jaensch-Syndrom kann auch durch eine Karzinommetastase im M. obliquus superior entstehen [19], [189]. Man sollte deshalb bei einer röntgenologischen Abklärung nicht nur auf den trochleanahen Bereich der Sehne, sondern auch auf Veränderungen im muskulären Bereich des M. obliquus superior selbst achten. Am häufigsten wird ein sog. postoperatives Brown-Syndrom (siehe Kap. 5.2.2) nach einer großen Faltung der Sehne des M. obliquus superior beobachtet. Diese Motilitätsstörung bildet sich meist nach einiger Zeit mehr oder weniger vollständig zurück. Es ist deshalb empfehlenswert, bei Faltung der Sehne des M. obliquus superior große Strecken zu vermeiden, immer auch postoperativ die passive Beweglichkeit zu prüfen und – sofern positiv – den hinteren Anteil der Sehne zu überprüfen und beim Nachweis eines Stranges diesen zu exzidieren. Dies hat keinen negativen Effekt auf die erstrebte Verbesserung der Senkung in Adduktion [143].
4.1 Augenbewegungsstörungen
4.1.3 Muskelelastizitätsminderung Endokrine Orbitopathie Definition Eine Augenmuskelbeteiligung bei der endokrinen Orbitopathie (EO) im Rahmen einer Autoimmun-Hyperthyreose vom Typ Morbus Basedow oder auch selten im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis kann isoliert (Stadium 4 der NOSPECS-Klassifikation [208]), meist aber in Kombination mit den anderen Symptomen (häufig einseitig betont) auftreten. Auf eine akute inflammatorische Phase mit Leukozyteninfiltration und Ödembildung durch wasserbindende Glykosaminoglykane folgt eine aktive Kollagensynthese mit einem langsamen fibrotischen Muskelumbau. Die Fibrosierung betrifft die endo- und perimysialen Bindegewebe der Muskelfasern, während die Fasern intakt bleiben. Dies erklärt, warum die Dehnbarkeit des Muskels beeinträchtigt ist (Elastizitätsverlust), seine Kontraktilität jedoch nicht [8], [190], [192], [193], [194], was man auch elektromyografisch nachweisen kann [28],
[110]. Eine anfängliche, mit der Entzündung auftretende Kontraktur geht später in eine irreversible Fibrose über [187]. Eine Fibrosierung, beispielsweise des M. rectus inferior, führt zu einer Verkürzung des Muskels, einem Tieferstand dieses Auges bei gut erhaltener Senkung und deutlich verminderter Hebung. Im Gegensatz hierzu sind bei einer akuten okulären Myositis meist Kontraktilität und Dehnbarkeit eingeschränkt (vgl. Kap. Okuläre Myositis und idiopathische orbitale Entzündung (IOI)).
Merke
H ●
4
Bei der EO kann der Elastizitätsverlust mit normaler Kontraktilität einhergehen, während bei einer Myositis Kontraktilität und Dehnbarkeit eingeschränkt sind.
Diagnostik Ein einfacher Nachweis der passiven Beweglichkeitseinschränkung stellt der Traktionstest (Pinzettentest, siehe Kap. Orbitawandfraktur) dar, mit dem nach BindehautTropfanästhesie oder auch intraoperativ eine neurogene Parese abgegrenzt werden kann. Ultraschall und bildgebende Verfahren dienen hauptsächlich der Diagnosesicherung, vor allem auch der differenzialdiagnostischen Abgrenzung, und gelegentlich auch der Bestimmung der Krankheitsaktivität.
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ter dem M. rectus superior verfolgt und als möglichst großes Stück exzidiert. Nach einer Teilexzision des Stranges findet man trotz intraoperativ freier passiver Beweglichkeit nicht sofort eine deutliche Verbesserung der aktiven Hebung in Adduktion. Es kommt aber unter zusätzlichen Bewegungsübungen in den darauffolgenden Monaten häufig zu einer deutlichen Verbesserung oder vollständigen Normalisierung der Motilität [90], [143]. Zu der postoperativ meist kaum verbesserten Einschränkung der aktiven Hebung in Adduktion kommt es vermutlich als Folge der langjährig fehlenden Dehnung des M. obliquus superior und der dadurch verursachten Kontraktur. Es müssen deshalb postoperative Maßnahmen ergriffen werden, um den Muskel aktiv zu dehnen [143]: Die Patienten sollten vom 1. Tag an Blickübungen im nasal-oberen Blickfeldbereich durchführen. Empfehlenswert ist eine Vollokklusion des nichtoperierten Auges, kombiniert mit einer partiellen Okklusion des operierten Auges, die nur einen kleinen Sektor medial-oben frei lässt. Die aktive Beweglichkeit bessert sich meistens. Die Okklusionsbehandlung sollte konsequent über 5–6 Tage nach dem Eingriff, aber auch später über längere Zeit (z. B. als Fernseh-Okklusion) durchgeführt werden, damit der M. obliquus superior möglichst gedehnt wird und es so zur Zurückbildung der Kontraktur kommt. Durch eine vorübergehende (etwa 1 Woche), postoperative, transpalpebrale Fixation des Auges bei Adduktion in Hebung kann dieser Prozess deutlich beschleunigt werden [182]. Da nach einer Tenektomie und Tenotomie das Ergebnis nicht immer konstant ist und es häufig zu einer postoperativen Obliquus-superior-Unterfunktion kommt, wird vor allem in den USA eine Tenotomie mit einem „Silicone-Tendon Expander“ [211] bzw. mit nachjustierbaren Fäden [78] kombiniert.
▶ Echografie. A-Bild: Während normale Muskeln eine homogene Struktur und einen Reflektionsgrad zumeist im mittleren bis oberen Bereich aufweisen, haben die Augenmuskeln im aktiven Stadium eine niedrige (< 30 %), meist homogene Reflektivität und im inaktiven Stadium eine hohe Reflektivität und eine irreguläre Struktur. Liegt die Reflektivität unter 30 %, erlaubt sie eine positive Vorhersage für die Wirksamkeit einer antientzündlichen Therapie von 85 %, bei allerdings nur niedriger negativer Vorhersage von 60 % [74]. ▶ Computertomografie. Als meist schneller verfügbare Alternative kann die Computertomografie auch der Diagnosesicherung dienen. In der axialen Schnittführung können die horizontalen Augenmuskeln und die Platzverhältnisse in der Orbitaspitze beurteilt werden. Die Lage der Muskelverdickung ist häufig differenzialdiagnostisch hilfreich zur Abgrenzung gegenüber der Myositis (▶ Tab. 4.3, ▶ Abb. 4.9a, b). Prädilektionsmuskeln der endokrinen Orbitopathie sind der M. rectus inferior sowie der M. rectus medialis [49], während ein Befall des M. rectus lateralis fast ausschließlich bei der Myositis beobachtet wird. Koronare Schichten sind notwendig zur Beurteilung der vertikalen Augenmuskeln (-querschnitte). Intravenös verabreichtes jodiertes Kontrastmittel ist absolut kontraindiziert. Bei der Aktivitätsbeurteilung spielt das CT keine
303
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik Tab. 4.3 Differenzialdiagnose: EO versus okuläre Myositis. MRT
Endokrine Orbitopathie
Okuläre Myositis
CT/NMR/Echo
mehrere Muskeln
meist ein Muskel
Meistbetroffene Muskeln
M. rectus inferior
M. rectus lateralis
M. rectus medialis
M. rectus medialis
M. levator palpebrae
M. rectus superior
Betroffene Muskelabschnitte
mittlerer und hinterer Abschnitt
vorderer und mittlerer Abschnitt, Sehne
Motilität
Einschränkung der Muskeldehnung, wenig schmerzhaft
Einschränkung von Kontraktilität und Dehnung, oft sehr schmerzhaft
Binnenstruktur
homogen (akutes Stadium) heterogen (fibrotisches Stadium)
homogen
Reflektivität
erniedrigt (akutes Stadium) erhöht (fibrotisches Stadium)
erniedrigt
Echografie
▶ Magnetresonanztomografie. Bei der diagnostischen Bildgebung steht das MRT im Vordergrund. T 1-gewichtete Aufnahmen eignen sich für die Beurteilung der anatomischen Verhältnisse in der Orbita, und T 2-gewichtete Aufnahmen liefern Informationen über die Gewebezusammensetzung. Die T 2-Relaxationszeit und die Signalintensität der STIR-Sequenz korrelieren mit der Entzündungsaktivität [144], [145]. Indikationen für ein MRT sind die Frage nach der Differenzialdiagnose bei einseitiger EO und die Frage nach einer möglichen Sehnervkompression (Apical Crowding). Im CT und MRT ohne koronare Schichten kann übrigens bei einseitiger inaktiver EO ein schräg angeschnittener stark verdickter M. rectus inferior als intrakonaler Tumor fehlgedeutet werden (▶ Abb. 4.10a–c).
Motilitätsanalyse
Abb. 4.9 Differenzialdiagnose zwischen endokriner Orbitopathie und okulärer Myositis. a In der axialen Schicht der Computertomografie zeigt sich bei der endokrinen Orbitopathie eine Muskelverdickung im Bereich des Muskelbauchs und der ursprungsnahen Anteile (typischerweise bei mehreren Muskeln). b Bei der Myositis sind der ansatznahe Bereich und die Sehne verdickt (typischerweise bei einem Muskel).
304
Wichtigste Methoden zur Bestimmung der maximalen monokularen Bulbusexkursionsstrecken bei fixiertem Kopf: ● Goldmann-Perimeter: Beurteilung des Endes der Augenbewegung durch Beobachtungsoptik mit gut erkennbarer Testmarke. ● Kestenbaum-Brille nach Haase (1976): Messung der maximalen Bewegungsstrecken. Bei einem Hornhautscheitelabstand von 15 mm entspricht 1 Kästchen (Strichabstand 2 mm) 9,6° (zumindest im Zentralbereich) [85]. ● Tangententafel nach Harms: Ablesen der Kopfbewegungen mithilfe des Stirnprojektors, so lange, bis der Untersuchte ein in der Tafelmitte angebrachtes Fixationsobjekt (kleinst erkennbare E-Einzeloptotype) nicht mehr aufzulösen vermag.
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Rolle [144], [145]. Wichtig ist es zur Beurteilung der knöchernen Anatomie vor Dekompression.
4.1 Augenbewegungsstörungen
4
Abb. 4.10 NMR bei endokriner Orbitopathie. Alle 3 Schichtebenen sind wichtig! Die axiale Aufnahme täuscht einen retroorbitalen Tumor vor (a), während die sagittale (b) und die koronare Aufnahme (c) die Verdickung des M. rectus inferior erkennen lässt.
Synoptometer nach Cüppers: Darbietung eines fovealen, irrealen Nachbilds (Haidinger-Büschel) innerhalb eines Fixationsobjekts (Quadrat): Messung der maximalen Bewegungsstrecken durch Bewegung der Synoptometerarme, bis das Haidinger-Büschel für den Probanden aus dem Quadrat heraustritt.
Diese Verfahren ermöglichen eine Verlaufskontrolle, und mindestens eines dieser Verfahren ist zur Vorbereitung einer Augenmuskeloperation obligat. Es gilt hierbei allerdings, auf zwei wichtige diagnostische Fallen zu achten, deren Nichtbeachtung zu falschen therapeutischen Konsequenzen führen könnte: ● Da die EO meist beide Augen betrifft, können haploskopische Untersuchungen wie Tangentenskala, Synoptometer oder Hess-Schirm zu Fehlinterpretationen führen (▶ Abb. 4.11a–d). Diese Methoden vergleichen beide Augen, was nur sinnvoll ist, wenn ein Auge eine völlig normale Motilität besitzt und somit als Goldstandard dient [54]. Es ist daher eine Messung der monokularen maximalen Blickbewegungen erforderlich [50]. ● Pseudoverbesserungen des Fusionsblickfelds – wenn z. B. eine M.-rectus-inferior-Fibrose erst ein Auge, dann aber beide symmetrisch betrifft. Während der simultane Prismen-Abdecktest (für Ferne und Nähe) selbstverständlich für einen eventuell nötigen Prismenausgleich im Vordergrund steht, ist für die Beurteilung der Progression bzw. Besserung der EO die Ausmessung des monokularen Blickfelds wichtig. Am einfachsten durchzuführen sind die Messungen am Goldmann-Perimeter und mit der Kestenbaum-Brille [85]. Eine Zyklotropiemessung sollte vor allem nach Orbitadekompression (relative Überfunktion des M. obliquus superior durch Verlagerung des Bulbus nach unten durch Wegnahme des Orbitabodens) bzw. bei Verdacht auf Fibrosierung des M. obliquus inferior in Primärposition (aber auch bei Auf- und Abblick) durchgeführt werden [71].
Die Lage des Fusionsblickfelds hilft zusätzlich bei der Auswahl der zu operierenden Muskeln und der Bestimmung der Seitenverteilung [54]. Weiterhin sollte vor jeder geplanten Schieloperation die Lidspaltenweite bzw. die Oberlid- und die Unterlidretraktion geprüft werden. Eine ergänzende, klinisch relativ leicht durchzuführende Methode stellt die Blickrichtungstonometrie dar, bei welcher der Intraokulardruck in verschiedenen Blickrichtungen gemessen wird: beim Blick in Gegenrichtung eines fibrosierten Muskels kommt es zu einem kurzfristigen Druckanstieg [32], [213].
Zusammenfassung
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●
M ●
Diagnostik – Muskelbeteiligung bei EO Diagnosesicherung: ● maximale monokulare Bulbusexkursionsstrecken ● Traktionstest ● Echografie der Augenmuskeln (fakultativ) ● Computertomografie/Kernspintomografie (fakultativ) ● Blickrichtungstonometrie
Präoperativ zu quantifizierende Parameter für die Indikationsstellung und Dosierung bei Augenmuskeloperationen: ● Schielwinkel (einschließlich Zykloabweichung) ● maximale monokulare Bulbusexkursionsstrecken beidseits ● Fusionsblickfeld ● Kopfzwangshaltung (binokular und monokular) ● Lidspaltenweite, Oberlid- und Unterlidretraktion
305
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
b
c
d
Abb. 4.11 Endokrine Orbitopathie mit beidseitiger Fibrosierung der Mm. recti inferiores (rechts mehr als links): Hess-Schirm unsinnig! Die Computertomografie (koronare Schicht) zeigt eine Verdickung beider Mm. recti inferiores (a), woraus eine beidseitige Hebungseinschränkung resultiert (b). Eine haploskopische Untersuchung am Hess-Schirm zeigt jedoch eine Hebungseinschränkung lediglich des rechten Auges (c), während sich die beidseitige Hebungseinschränkung erst durch Messung der maximalen, monokularen Bulbusexkursionsstrecken (Goldmann-Perimeter: rechtes Auge gestrichelte, linkes Auge durchgezogene Linie) darstellt (d). Die haploskopische Methode am Hess-Schirm hatte also eine einseitige Hebungseinschränkung vorgetäuscht, weil sie nur den Unterschied zwischen der stärker und der weniger stark betroffenen Seite bestimmt hat.
Konservative Therapie Die konservative Therapie der EO umfasst im Wesentlichen Maßnahmen, die auf eine Verminderung der Entzündung hinwirken sollen. Eine Beeinflussung der Augenmotilitätsstörung ist hierdurch nur möglich, solange noch (zumindest teilweise) das akut-entzündliche, mit Muskelkontraktur einhergehende Stadium vorliegt und noch kein (vollständiger) fibrotischer Muskelumbau stattgefunden hat (▶ Abb. 4.12a, b). Eine Übersicht über die derzeit aktuellen Therapieempfehlungen für Glukokortikoide bei Motilitätsstörung in Kombination mit einer Bestrahlung [142] sowie für darüber hinausgehende immunmodulatorische Therapien (Rituximab, Mycophenolat-Mofetil) bieten die Arbeit von Eckstein et al. (2016) [46] und die Leitlinien der EUGOGO [12], [13]. Die Besserungsmöglichkeiten der Augenbeweglichkeit durch Kortikoidstoßtherapie und durch Orbitaradiatio sind allerdings nur begrenzt. Innerhalb der Vielzahl von
306
Arbeiten über konservative Therapie machen einige quantitative Angaben über die Motilitätsverbesserung [46], [53], [75], [83], [101], [139], [142], [150], [152], [161], [164].
Augenmuskeloperationen ▶ Wahl des Operationszeitpunkts. Der ideale Zeitpunkt zur Augenmuskeloperation liegt dann vor, wenn das akut-entzündliche Stadium in das chronisch-fibrotische Stadium übergegangen ist. Als Entscheidungshilfe für diese Frage hat sich der Clinical Activity Score (CAS) bewährt [141]. Standardisierte Untersuchungsprotokolle zur Bestimmung des CAS stehen über die Homepage der EUGOGO (European Group on Graves Ophthalmopathy, https:// www.eugogo.eu/) oder der ITEDS (International Thyroid Eye Disease Society, https://thyroideyedisease.org) zur Verfügung.
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a
4.1 Augenbewegungsstörungen ○
Eine weitere Hilfe bei der Entscheidung, ob eine stabile chronisch-fibrotische EO vorliegt, bietet die Botulinumtoxin-A-Injektion in die betroffenen Muskeln. Ist noch keine Fibrosierung eingetreten, so ist eine (allerdings nur temporäre) Muskelrelaxation zu erwarten [169]. Wiederholte Injektionen werden im Mittel nach 3 Monaten wieder erforderlich [212]. Auch kurzfristig nach Orbitadekompression kann Botulinumtoxin eine Überbrückungstherapie bis zur Augenmuskeloperation darstellen [214]. ▶ Wahl der Operationstechnik. Ziel der Augenmuskelchirurgie ist eine bestmögliche Normalisierung der Bulbusbeweglichkeit, des Feldes des binokularen Einfachsehens (BES-Feld) und der Kopfzwangshaltung. Grundsätzlich gibt es operationstechnisch mehrere Ansätze: ● Rücklagerung des fibrotischen Muskels mit fester Refixation des Muskels an der Sklera: ○ mit stets gleichen Rücklagerungsstrecken [4], [34], [58], [87], [123], [132] ○ mit einer aufgrund des Ausgangswinkels präoperativ festgelegten Rücklagerungsstrecke [6], [36], [39], [43], [44], [52], [56], [59], [62], [79], [97], [98], [99], [140], [162], [180], [191] und mit zusätzlicher Resektion des ipsilateralen Antagonisten [111] ○ mit Festlegung der Rücklagerungsstrecke bei einer intraoperativen Prüfung der passiven Motilität [126], [174], [178], [200]. ○ mit Dosierung der Rücklagerungsstrecke bei einer intraoperativen Prüfung der (dank Oberflächenanästhesie erhaltenen) aktiven Motilität [15], [17], [18], [89], [104], [198] ● Rücklagerung des fibrotischen Muskels ohne feste Refixation des Muskels an der Sklera: ○ mit Nachjustierung einer vorgelegten Naht am 1. postoperativen Tag [47], [60], [63], [115], [117], [163], [165], [172], [173], [183], [184], [185], [188]
Hierbei haben sich als wichtigste Formen die nachjustierbaren Nähte, die intraoperative Dosierung und die Operation mit präoperativ festgelegten Strecken als etwa gleich wirksam herausgestellt. In der Literatur werden für die einzelnen Methoden relativ ähnliche Erfolgsraten (60– 80 % Doppelbildfreiheit im Gebrauchsblickfeld) angegeben. Nachjustierbare Nähte (siehe Kap. 5.2.3) werden in Mitteleuropa bei endokriner Orbitopathie nur selten durchgeführt, da Überkorrekturen beschrieben sind [52]. Diese könnten daher rühren, dass sich die Stellung in den ersten postoperativen Tagen auch ohne Nachjustierung noch weiter in Richtung der Hebungs- bzw. Abduktionseinschränkung verbessert [52], [140]. Die Technik der intraoperativen Dosierung unter Tropfanästhesie wird bei Boergen [15], [18], [104] ausführlich beschrieben. Die Technik der konventionellen Muskelchirurgie mit präoperativ festgelegten Strecken basiert auf empirisch gefundenen Dosis-Wirkung-Beziehungen und erlaubt ebenfalls eine relativ zielgenaue Schielwinkelverminderung (▶ Tab. 4.4).
4
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Abb. 4.12 Besserung der endokrinen Orbitopathie durch konservative Therapie. 50-jährige Patientin mit seit ca. 4 Monaten bestehender endokriner Orbitopathie: Vor (a) und 3 Monate nach (b) einer Kombinationstherapie (Kortikoide und Orbitaradiatio 12 Gy). Sowohl die entzündliche Weichteilsymptomatik als auch die Motilität haben sich gebessert.
mit Nachjustierung einer vorgelegten Naht am 1. postoperativen Tag und einer zusätzlichen Myopexie (Fadenoperation nach Cüppers) am kontralateralen Synergisten [23]
▶ Dosierung von Einmuskel-Operationen ▶ Rücklagerung des M. rectus inferior. Bei reinen Vertikalschielwinkeln kann mit einer ausschließlichen Rücklagerung des M. rectus inferior eine Vertikalabweichung (bei Geradeausblick) bis zu 15° beseitigt werden, da eine Rücklagerung des M. rectus inferior bis zu 8 mm möglich ist [52], [56]. Dosierungsempfehlungen, abgeleitet aus empirisch gewonnenen Operationsresultaten, finden sich in ▶ Tab. 4.4. Der Dosis-Wirkung-Koeffizient der M.-rectus-inferiorRücklagerung ist hoch (höhere Federkonstante) [187] im Vergleich zu ein- oder beidseitigen Rücklagerungen des M. rectus medialis, welche auch bei der EO ähnlich denjenigen beim kongenitalen Strabismus convergens sind. Vertikalwinkel von mehr als 15° können durch kombinierte Operationen (Rectus-inferior-Rücklagerung und Rectus-superior-Resektion) [111] nur dann behoben werden, wenn die Fibrosierung nicht sehr stark ausgeprägt ist. Wenn im Traktionstest eine deutliche mechanische Hebungseinschränkung besteht, empfiehlt sich eine Sehnenverlängerung mit einem Interponat, z. B. aus bovinem Perikard [35], [38], [57] (siehe ▶ Abb. 4.16a, b). Ergänzend ist auch eine Rücklagerung des kontralateralen M. rectus superior möglich [180]. Die mit 80–90 % hohe Erfolgsrate der M.-rectus-inferior-Rücklagerung bezieht sich auf den Geradeausblick [18], [56], [104], [111], [179]. Durch Muskelfibrosierung persistieren in vielen Fällen Doppelbilder bei Aufblick
307
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik Tab. 4.4 Dosis-Wirkung-Beziehungen bei Augenmuskelrücklagerungen bei EO. Angegeben wird die Verringerung des Fernschielwinkels in Grad pro mm Rücklagerungsstrecke (Ausnahme: bei der beidseitigen M.-rectus-inferior-Rücklagerung wird die Hebungsverbesserung pro mm Rücklagerungsstrecke angegeben). Jahr
Unilaterale Rücklagerung
–
–
M. rectus inferior
M. rectus medialis
M. rectus superior
M. obliquus inferior
M. rectus inferior bilateral
Bilaterale Rücklagerung M. rectus medialis bilateral
Krzizok [111]
1993
2,0°/mm
–
–
–
–
–
Esser [52]
1993
2,0°/mm
1,7°/mm
–
–
–
1,56°/mm
Schittkowski [179]
2004
2,0°/mm
–
–
–
–
–
Eckstein [36]
2004
–
1,75°/mm
–
–
–
1,6°/mm
Jellema [98]
2014
–
1,0°/mm
–
–
–
1,4°/mm
Eck/Schlüter [45]
2015
–
–
1,4–1,5°/mm
–
–
–
Eck/Raczy [44]
2015
–
–
–
0,56°/mm
–
–
Fischer/Deko [62]
2015
–
–
–
–
1,8° Hebung/mm
–
Jellema [97]
2012
–
–
–
–
1,7° Hebung/mm
–
rungen“ der Unterlidstellung. Letzteres beruht auf der Tatsache, dass das präoperativ (durch Fibrosierung der Unterlidretraktoren) bereits tiefer stehende Unterlid (▶ Abb. 4.13a–c) durch die Bulbusdrehung nach oben (nach Rectus-inferior-Rücklagerung) nicht mit nach oben kommt. Deshalb ist die Beachtung der Operationsreihenfolge wichtig. Eine Unterlidretraktion, die nach großen Rücklagerungsstrecken des M. rectus inferior trotz Durchtrennung des Lig. capsulopalpebrale auffällig ist, kann in einem weiteren operativen Schritt behoben werden (▶ Abb. 4.13a–c) [37].
Merke
H ●
Bei der endokrinen Orbitopathie ist die Operationsreihenfolge zu beachten: erst Orbitadekompression, dann Augenmuskeloperation, dann Lidoperation. Abb. 4.13 Beachtung der Reihenfolge von Augenmuskel- und Lidoperation bei endokriner Orbitopathie. 42-jährige Patientin mit linksseitig betonter endokriner Orbitopathie: Exophthalmus 3 mm und Tieferstand (+ vD 15°) vor (a) und nach (b) Rücklagerung des M. rectus inferior links um 7,5 mm. Die Lidapertur wurde durch eine Unterlidverlängerung in Kombination mit einer Tarsorrhaphie nach Elschnig verringert, wodurch auch der Exophthalmus kaschiert wurde (c).
(Exzyklorotation, weiterhin Tieferstand). Darüber hinaus bergen große Rücklagerungsstrecken auch die Gefahr, dass es bei Abblick zu einem Übereffekt kommt (→ Senkungseinschränkung und Inzyklostellung [40], [41], [62], [97]. Da eine vertikale Augenmuskeloperation den Bulbus innerhalb des Lidapparats nach oben dreht, kommt es zu „Besserungen“ der Oberlidstellung und zu „Verschlechte-
308
▶ Rücklagerung des M. rectus medialis. Da die Rücklagerungsstrecke des M. rectus medialis (in der Regel) 6 mm nicht überschreiten sollte, ist durch eine einseitige Rücklagerung des M. rectus medialis maximal ein Innenschielwinkel von 10° beseitigbar (▶ Tab. 4.4). Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass häufig beide Mm. recti mediales (asymmetrisch) betroffen sind. Deshalb sollte auch bei kleineren Innenschielwinkeln an eine beidseitige Medialis-Rücklagerung gedacht werden, um die Motilität beider Augen besser zu harmonisieren. ▶ Rücklagerung des M. rectus superior. Die bei endokriner Orbitopathie selten erforderlichen Rücklagerungen des fibrosierten M. rectus superior müssen höher dosiert werden als die Rücklagerungen des M. rectus inferior: 1,58°/mm (Spearman Correlation r = 0,87, p < 0,001; ▶ Tab. 4.4). Hierbei sollte durchaus – im Gegensatz zur
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4.1 Augenbewegungsstörungen
▶ Rücklagerung des M. obliquus inferior. Wegen der Gefahr von Doppelbildern im wichtigen Abblick kann anstelle der Rücklagerung des M. rectus inferior auch eine Rücklagerung des M. obliquus inferior auf der kontralateralen Seite (nach dem Prinzip der „Gegenparese“) durchgeführt werden [44]. Prädestiniert hierfür sind Patienten mit kleinen vertikalen Schielwinkeln und/oder mit Exzyklotropie, deren primäre Ursache ein Hebungsdefizit auf der Gegenseite durch eine (geringe) Fibrose des M. rectus inferior ist. Ferner auch Patienten, bei denen nach Rücklagerung des M. rectus inferior noch ein Untereffekt besteht. Beachtet werden muss der geringe Dosis-WirkungEffekt (▶ Tab. 4.4). Mit diesem Eingriff vermeidet man das Risiko eines Übereffekts, der auch bei kleinen Rücklagerungsstrecken des M. rectus inferior zur Doppelbildwahrnehmung im Abblick führen könnte. Selten ist auch der M. obliquus inferior bei der EO primär von einer Fibrosierung betroffen. Klinisch wirkt dies wie eine Trochlearisparese (mit der größten Vertikalabweichung bei Blick nach nasal-unten und entsprechender blickrichtungsabhängiger Exzyklotropie). Therapie der Wahl ist die Rücklagerung dieses Muskels. Hierbei kann auf die Dosierungsvorschläge für sekundäre Rücklagerung zurückgegriffen werden (▶ Tab. 4.4) [44]. ▶ Dosierung von Eingriffen an mehreren Augenmuskeln. Da die Augenmuskelfibrosierung bei der EO meist beide Augen betrifft – häufig asymmetrisch –, ist die Indikation zur Seitenauswahl bzw. die Verteilung der Dosierung der Rücklagerungsstrecken bei einem beidseitigen Eingriff wichtig. Hierbei besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Fibrosierung der Mm. recti inferiores und einer Fibrosierung der Mm. recti mediales. Im ersten Falle heben sich die Vertikalabweichungen gegenseitig auf. Kleine Exzykloabweichungen addieren sich allerdings und können zu (nicht mit Prismen ausgleichbaren) Doppelbildern führen. Im zweiten Fall addieren sich die Horizontalabweichungen, was eine gesonderte Betrachtung dieser beiden Gruppen erforderlich macht.
▶ Rücklagerung beider Mm. recti inferiores. Bei einer völlig symmetrischen Fibrosierung ausschließlich der Mm. recti inferiores mit beidseits gleich verminderten monokularen Bulbusexkursionsstrecken besteht oft ein relativ großes Feld des beidäugigen Einfachsehens – allerdings mit einer je nach Ausmaß der Fibrosierung starken Kopfzwangshaltung (Kopfhebung) zum Ausschöpfen des Blickfelds und nicht zur Doppelbildvermeidung.
Merke
H ●
Bei symmetrischen Fibrosierungen der Mm. recti inferiores ist das Therapieziel die Beseitigung der restriktionsbedingten Kopfzwangshaltung.
4
Im Gegensatz hierzu führen bereits geringe Asymmetrien der Fibrosierungen der Mm. recti inferiores zu einer vertikalen Schielabweichung mit Doppelbildwahrnehmung und kompensatorischer Kopfzwangshaltung, in diesem Falle zur Doppelbildvermeidung.
Merke
H ●
Bei asymmetrischem oder einseitigem Befall der Mm. recti inferiores ist das Therapieziel die Beseitigung des Schielwinkels in Primärposition.
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M.-rectus-inferior-Rücklagerung – ein leichter Übereffekt angestrebt werden, damit die Doppelbilder im wichtigen Abblick ausreichend korrigiert werden [45]. Darüber hinaus ist die Rücklagerung des M. rectus superior auch eine gute Therapiemöglichkeit bei Patienten mit relativem Senkungsdefizit, bei denen eine nicht ausreichend effiziente Rücklagerung des M. rectus inferior auf dem kontralateralen Auge durchgeführt wurde. Nach dem Prinzip der „Gegenparese“ kann dadurch die beidäugige Beweglichkeit harmonisiert werden. Die Dosierung unterscheidet sich etwas von derjenigen bei primärer M.-rectus-superior-Rücklagerung: 1,4°/mm (r = 0,57, p = 0,051; ▶ Tab. 4.4) [45].
Prinzipiell kommt es bei einer asymmetrischen Fibrosierung der beiden synergistisch wirkenden Mm. recti inferiores zu einer Ruhelage der Bulbi im Abblick. Dies wird jedoch beim wachen und geradeaus fixierenden Patienten nicht bemerkt, da beide Augen bei Geradeausfixation so weit nach oben gedreht werden, bis das fixierende Auge – in der Regel das Auge mit der geringeren Fibrosierung des M. rectus inferior – die Primärposition erreicht hat. Wenn die Beweglichkeit des besser hebenden Bulbus so gut ist, dass bei alleiniger Fixation dieses Auges (durch Okklusion des kontralateralen Bulbus) keine Kopfzwangshaltung (-hebung) besteht – was in der Regel der Fall ist, wenn der besser bewegliche Bulbus über die Mittellinie hinaus eleviert werden kann –, dann muss auch nur diese Differenz ausgeglichen werden. Hierdurch werden zwei Therapieziele erreicht: ● Parallelstand in Primärposition ● Symmetrisierung der Motilitätseinschränkung Eine derartige Angleichung des Auges mit dem stärker beeinträchtigten Motilitätsablauf an dasjenige mit der weniger gestörten Motilität hat ein optimal großes Fusionsblickfeld zur Folge. Zudem ist in diesem Fall der operative Eingriff auf nur ein Auge beschränkt. Persistiert hingegen eine Kopfzwangshaltung (-hebung) für den Geradeausblick nach Okklusion des stärker eingeschränkten Auges, so ist diese nicht ausschließlich
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Merke
H ●
Eine beidseitige Rücklagerung der Mm. recti inferiores bei endokriner Orbitopathie ist ein sicheres Verfahren zur Beseitigung einer Kopfzwangshaltung (Hebung) und einer (Pseudo-) Oberlidretraktion. Bei nicht ausreichendem Fusionsblickfeld im Abblick sollte man an eine mögliche Inzyklotropie und an ein A-Phänomen im Abblick denken, was aber mit einer anschließenden Rücklagerung des M. obliquus superior gut korrigiert werden kann.
▶ Rücklagerung beider Mm. recti mediales. Ziel der Operation an den horizontalen Rektusmuskeln ist nicht primär die Beseitigung der Asymmetrie wie bei den vertikalen Mm. recti.
Merke
H ●
Ziel der Operation an den geraden Horizontalmotoren ist vor allem die Beseitigung der sich addierenden Gesamteinschränkung.
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16 20 14 17,5 12 15 10 12,5 8
10
6
7,5
4
5
2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 1,2 1,4 1,6 1,8 2 2,2 2,4 2,6 2,8 3
Verhältnis Abduktionsdefizit R/L Abb. 4.14 Nomogramm zur Seitenverteilung bilateraler Rücklagerungen der Mm. recti mediales. Es kann abgelesen werden, um wieviel Grad der rechte Bulbus durch Rücklagerung des M. rectus medialis umgelagert werden muss. Die Kurvenschar umfasst horizontale Fernschielwinkel von 5–20°. Wenn der horizontale Gesamtschielwinkel und das Verhältnis des Abduktionsdefizits (= 50° minus maximale Abduktionsstrecke) des rechten zu demjenigen des linken Bulbus bekannt sind, kann der Wert auf der Ordinate abgelesen werden. Die Differenz dieses Wertes zum Gesamtschielwinkel gibt dann an, um wieviel Grad der linke Bulbus umgelagert werden muss. Beispiel: Horizontaler Gesamtschielwinkel + 17,5°; maximale Abduktion rechter Bulbus: 20° (→ Abduktionsdefizit: 50°– 20° = 30°); maximale Abduktion linker Bulbus: 25° (→ Abduktionsdefizit: 50°–25° = 25°); Verhältnis Abduktionsdefizit R/L: 30°/25° = 1,2; folglich muss bei einem Gesamtschielwinkel von + 17,5° am rechten Auge ein Schielwinkel von 9,5° und am linken Auge ein Schielwinkel von 17,5°–9,5° = 8° beseitigt werden.
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Auch bei der beidseitigen bilateralen M.-rectus-inferiorRücklagerung ist eine Dosierung möglich [62]. ▶ Tab. 4.4 zeigt, dass der Dosis-Wirkung-Effekt bei 1,8° Hebungsverbesserung pro mm Rücklagerungsstrecke liegt. Noch stärker als bei der einseitigen besteht bei der bilateralen M.-rectus-inferior-Rücklagerung bei großen Strecken die Gefahr einer Inzyklorotation im Abblick.
Dennoch sollte die Seitenverteilung der Muskelrücklagerungsstrecken nicht wahllos erfolgen, sondern für jedes Auge getrennt nach seinem anteiligen Beitrag am Gesamtinnenschielwinkel. Bei den antagonistisch wirkenden Fibrosierungen der Mm. recti interni kommt es nämlich nicht nur darauf an, in Primärposition Doppelbildfreiheit zu erzielen, sondern auch darauf, das Fusionsblickfeld maximal groß werden zu lassen. Dies ist nur durch eine relativ (hinsichtlich der Seitenverteilung) ausgewogene Vergrößerung der Bewegungsfreiheit beider Bulbi zu erzielen. Diese Seitenverteilung kann mithilfe der Messungen der monokularen Bulbusexkursionsstrecken aus einem Nomogramm (▶ Abb. 4.14) abgelesen werden [54]. Empfehlungen für die Dosierung der Gesamtrücklagerungsstrecke beider Mm. recti mediales wird in ▶ Tab. 4.5 gegeben.
Reduktion rechter Horizontalwinkel (Grad)
durch Vermeidung von Doppelbildern zu erklären, sondern durch die nicht über die Primärposition hinausgehende Hebungseinschränkung des besser elevierenden Auges. Dies stellt eine Indikation zu einer bilateralen, asymmetrischen Rücklagerung der Mm. recti inferiores dar [97]. Neben der Beseitigung vertikaler Doppelbilder bzw. einer Kopfhebung gibt es aber noch weitere Indikationen zur beidseitigen Rücklagerung des M. rectus inferior: ● Exzykloabweichungen: Da sich Exzykloabweichungen bei gleichzeitiger Fibrosierung der Mm. recti inferiores addieren, können sie ein Ausmaß erreichen, welches nicht mit einer zumutbaren Kopfhebung (und natürlich auch nicht mit Prismen) ausgeglichen werden kann. ● IOP-Erhöhung: Bei starker Fibrosierung der Mm. recti inferiores resultiert auch schon beim Geradeausblick eine IOP-Erhöhung. ● Oberlidretraktion: Bei einer beidseitigen Fibrosierung der Mm. recti inferiores kommt es bei Geradeausblick zu einem vermehrten Hebungsimpuls und dadurch koinnervationell auch zu einer vermehrten Kontraktion der Mm. levatores palpebrae. Die beidseitige M.-rectusinferior-Rücklagerung führt als positiver Nebeneffekt immer zu einer Verbesserung der Oberlidretraktion. Sie kann aber auch als primäre Indikation durchgeführt werden, um eine Lidoperation (wie z. B. die Levatordesinsertion) zu vermeiden.
4.1 Augenbewegungsstörungen Tab. 4.5 Dosis-Wirkung-Beziehungen bei Augenmuskelrücklagerungen bei endokriner Orbitopathie mit einzeitiger Rücklagerung der Mm. rectus inferior und medialis. Angegeben wird die Verringerung des Fernschielwinkels in Grad pro mm Rücklagerungsstrecke. Autor
Jahr
Rücklagerung
M. rectus inferior medialis einseitig
M. rectus inferior einseitig und M. rectus medialis beidseitig
Eckstein [36]
2004
Inferior-Rücklagerung
2,2°/mm
2,7°/mm
Eckstein [36]
2004
Medialis-Rücklagerung
1,8°/mm
1,55°/mm
▶ Rücklagerung von M. rectus inferior und M. rectus medialis. Bei der Kombination einer Rücklagerung von M. rectus inferior und M. rectus medialis treten durch Synergieeffekte höhere Dosis-Wirkung-Koeffizienten auf. Da kleine vertikale Winkel (< 5°) nach M.-rectus-medialis-Rücklagerung häufig verschwinden, sollte ein kombiniertes Vorgehen erst bei VD > 5° erwogen werden [36]. Die Dosierungsempfehlungen in ▶ Tab. 4.5 wurden an einem sehr kleinen Krankengut gewonnen und können allenfalls als Hinweise angesehen werden. Es wird aber zumindest deutlich, dass beispielsweise bei einer einzeitigen Rücklagerung von M. rectus inferior und M. rectus medialis mehr Vertikalabweichung pro mm Rücklagerung des M. rectus inferior beseitigt wird als bei der Einmuskelchirurgie (vgl. ▶ Tab. 4.4). Da die Streuung der Dosis-Wirkung-Koeffizienten relativ groß ist, kann man – vor allem bei größeren Schielwinkeln – durchaus auch zweizeitig vorgehen.
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▶ Augenmuskeloperationen nach Orbitadekompression. Wurde bei Patienten mit schwerer EO (Optikuskompression, massiver Exophthalmus) eine Orbitadekompression durchgeführt, so können hierdurch Motilitätsstörungen entstehen bzw. bestehende verstärkt werden [38]. Dies ist insbesondere bei Patienten der Fall, bei denen die Siebbeinzellen mit eröffnet wurden, da die meist stark verdickten Mm. recti mediales in Richtung der Siebbeinzellen prolabieren, wodurch eine konvergente Schielstellung entsteht oder verstärkt wird (▶ Abb. 4.15a–c). Auch hier ist die Rücklagerung der Medialis-Muskeln die Therapie der Wahl. Der Dosis-Wirkung-Koeffizient für Medialis-Rücklagerungen ist nach Orbitadekompression aber deutlich niedriger als bei intakter Orbita [35], wobei Unterschiede zwischen einseitiger und beidseitiger Rücklagerung zu beachten sind (▶ Tab. 4.6). Nach einer Orbitadekompression treten häufig Schielwinkel von mehr als 12° auf, was eine beidseitige Rücklagerung der Mm. recti mediales von jeweils mehr als 6 mm erforderlich machen würde (▶ Tab. 4.6). In diesen Fällen ist eine Sehnenverlängerung – z. B. mit Interponat aus bovinem Perikard (Tutoplast®) zwischen Sklera und der Sehne des M. rectus medialis – sinnvoll [35], [38], [57], [151]. Auch hierfür können Dosierungsvorschläge gegeben werden (▶ Tab. 4.6, ▶ Abb. 4.16a, b). Die Technik der Sehnenverlängerung ist in ▶ Abb. 4.16a, b dargestellt. Ein 9 mm breites Interponat aus bovinem Perikard (Tutoplast®) wird einerseits an der
4
Abb. 4.15 Nach Orbitadekompression kann eine Sehnenverlängerung der Mm. recti mediales erforderlich werden. 50jährige Patientin vor (a) und nach (b) transnasaler Orbitadekompression. Der Exophthalmus wurde um jeweils 7 mm verringert, die Abduktion war aber beidseitig deutlich eingeschränkt (rechts 8, links 12 mm über Mittellinie). Der Fernschielwinkel betrug + 30° –vD 2°. Die geplante Rücklagerungsstrecke der Mm. recti mediales von insgesamt 28 mm wurde folgendermaßen aufgeteilt: rechts MedialisRücklagerung 4 mm mit Interponat 12 mm; links MedialisRücklagerung 4 mm mit Interponat 8 mm. Postoperativ besteht Parallelstand (c). Die Abduktion beträgt beidseitig 30°. Die Adduktion ist beidseitig auf jeweils 12° eingeschränkt. Es besteht ein zentrales doppelbildfreies Gebrauchsblickfeld.
Muskelsehne und andererseits an der Sklera fixiert. Die Sklerafixation sollte nicht am ursprünglichen Ansatz, sondern 4 mm dahinter erfolgen, da sonst das relativ dicke Interponat durch die Bindehaut durchscheinen könnte. Bei der Berechnung der Operationsstrecke muss diese Rücklagerungsstrecke berücksichtigt werden. Das Interponat wandelt sich nach einiger Zeit in eine Struktur um, die sehnenähnlich ist und sich mit dem Schielhaken unterfahren lässt, so dass auch Revisionsoperationen möglich sind. Die Dosis-Wirkung-Beziehung der M.-rectus-inferiorRücklagerung zur Korrektur der vertikalen Schielstellung bzw. eines beidseitigen Hebungsdefizits mit Kopfzwangs-
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik Tab. 4.6 Dosis-Wirkung-Beziehungen bei Augenmuskel-Rücklagerungen bei endokriner Orbitopathie und Zustand nach knöcherner Orbitadekompression. Angegeben wird die Verringerung des Fernschielwinkels in Grad pro mm Muskelrücklagerungsstrecke. Jahr
Rückverlagerung
Einseitig
Eckstein [35] Oeverhaus [151]
2002 2017
Medialis-Rücklagerung
1,2°/mm
Beidseitig 1,0°/mm
Medialis-Sehnenverlängerung
0,9°/mm
0,9°/mm
Eckstein [35]
2002
Inferior-Rücklagerung
2,0°/mm
–
Esser [57]
2011
Inferior-Sehnenverlängerung
2,0°/mm
–
haltung unterscheidet sich nach Orbitadekompression nicht von derjenigen ohne Orbitadekompression [35]. Sie ist sogar bei Einsetzen eines Interponats gleich [57], nämlich jeweils 2° Vertikalschielwinkel-Verringerung pro mm Muskelrücklagerungsstrecke (▶ Tab. 4.6). Nach beidseitiger Rücklagerung der Mm. recti inferiores kann sich eine Inzyklorotation durch eine Überfunktion der Mm. obliqui superiores entwickeln. Durch die Dreiwanddekompression mit Entfernung des Orbitabodens sinkt der Bulbus leicht nach unten. Der M. obliquus superior wird dadurch gestrafft. Die Rücklagerung des rotatorischen Gegenspielers (M. rectus inferior) verstärkt diesen Effekt [71], [113]. Deshalb sollte man trotz eingeschränkter Hebung mit M.-rectus-inferior-Rücklagerungen über 4–5 mm bei diesen Patienten zurückhaltend sein.
Zusammenfassung
Abb. 4.16 Sehnenverlängerung des M. rectus medialis mit Interponat. a Das Interponat (hier: bovines Perikard, Tutopatch) wird einerseits am Ansatz des M. rectus medialis fixiert. b Andererseits (nach Absetzen des Muskels von der Sklera und Zurückgleiten des am Muskel befestigten Interponats) wird das Interponat an der Sklera 4 mm hinter dem Muskelansatz fixiert.
312
M ●
Vorschläge zur therapeutischen Vorgehensweise bei endokriner Orbitopathie („Essener Hausregeln“) 1. Operation nach Abschluss der konservativen Therapie und Stabilität der Motilität während 6 Monaten (Intervall-Überbrückung mit Prismen) und AktivitätsScore (Clinical Activity Score) ≤ 2 2. Grundsätzliche Therapie der Wahl: Rücklagerung des fibrosierten Muskels Ausnahme: sehr großer Schielwinkel (s. u.) 3. Vertikalabweichung ohne Kopfzwangshaltung: Rücklagerung M. rectus inferior ipsilateral (Dosierung: 2° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke) Ausnahme: sehr großer Winkel (Ferne: > 15°): zusätzlich Rücklagerung des kontralateralen M. rectus superior (oder ggf. Resektion des ipsilateralen M. rectus superior bei geringer Inferior-Fibrosierung) 4. Vertikalabweichung mit Kopfhebung, die nach Okklusion des schlechter hebenden Auges verschwindet: Vorgehen wie bei Regel 3. 5. Vertikalabweichung mit Kopfhebung, die nach Okklusion des schlechter hebenden Auges bleibt: Rücklagerung M. rectus inferior ipsilateral (relativ mehr) und kontralateral (relativ weniger). Die Dosierung der Differenz bei den asymmetrischen Rücklagerungsstrecken erfolgt nach Regel 3, wobei der bei der ver-
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Autor
4.1 Augenbewegungsstörungen
Okuläre Myositis und idiopathische orbitale Entzündung (IOI) Die mit Exophthalmus, Lid- und Bindehautödemen sowie Bewegungsschmerzhaftigkeit einhergehende akute Myositis eines Augenmuskels (in weniger als 10 % der Fälle auch mehrerer Augenmuskeln) ist manchmal – insbesondere bei nichtakutem Verlauf – klinisch zunächst schwer von einer frisch aufgetretenen endokrinen Orbitopathie abzugrenzen. Häufig wird die okuläre Myositis auch fehldiagnostiziert, z. B. als allergische Konjunktivitis, antibio-
60 50 40 %
30 20 10 0 M. rectus M. rectus M. rectus M. obliquus M. rectus lateralis inferior medialis inferior superior
Abb. 4.17 Prozentuale Häufigkeitsverteilung der befallenen Augenmuskeln bei endokriner Orbitopathie und Myositis (Universitäts-Augenklinik Essen, 1987–1994). Gegenübergestellt werden Ultraschallbefunde und/oder Computertomografiebefunde von 30 Patienten mit konservativ behandelter Myositis (gelbe Säulen) und 92 Patienten mit Augenmuskeloperationen (rückgelagerte fibrotische Muskeln) bei endokriner Orbitopathie (rote Säulen).
4
tikaresistente Orbitaphlegmone oder Sinusitis. Mithilfe der modernen Bildgebung können die anderen Differenzialdiagnosen relativ sicher ausgeschlossen werden (▶ Abb. 4.9a, b, ▶ Abb. 4.10a–c, ▶ Tab. 4.3) [84], [135], [201]. Die Häufigkeitsverteilung der betroffenen Muskeln (▶ Abb. 4.17) kann hierbei ebenso hilfreich sein wie die charakteristischen Augenbewegungsstörungen, denn die okuläre Myositis hat vor allem einen Kontraktilitätsverlust zur Folge (▶ Abb. 4.18a–e) – vom Bewegungsablauf her vergleichbar einer neurogenen Parese. Teilweise hat sie aber auch eine mechanische Komponente mit Elastizitätsverlust des betroffenen Muskels, so dass in Analogie zur Orbitabodenfraktur von einem „Umschlagphänomen“ gesprochen werden kann [93]. Die okuläre Myositis ist eine Unterform der idiopathischen orbitalen Entzündung (IOI). Je weiter das klinische und radiologische Bild von der isolierten typischen Myositis abweicht und die entzündliche Infiltration nicht auf den Muskel begrenzt ist, sondern Tränendrüse, Fettgewebe, Lider, seltener auch die Sklera mit umfasst, desto eher ist eine Biopsie indiziert [136], [137], [170]. Dabei muss nicht nur die IOI als Differenzialdiagnose bedacht werden, sondern auch spezifische Entzündungen [95] wie ● Sarkoidose, ● Wegener-Granulomatose, ● akute Sinusitis, ● Periarteriitis nodosa oder ● Tumorerkrankungen wie ein Lymphom.
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bleibenden Kopfhebung gemessene Vertikalwinkel zugrunde gelegt wird. 6. Horizontalabweichung < 10°: einseitige Rücklagerung des M. rectus medialis einseitig ipsilateral (Dosierung 1,7° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke) 7. Horizontalabweichung ≥ 10°: beidseitige Rücklagerung der Mm. recti mediales (Dosierung 1,56° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke). Seitenverteilung entsprechend den monokularen Bulbusexkursionsstrecken (Abduktion) nach Nomogramm (▶ Abb. 4.14) 8. Kombinierte Vertikal- und Horizontalabweichung: 1. Bei kleinem Vertikalwinkel: erst nur Horizontalabweichung beseitigen → Vertikalabweichung wird häufig mit beseitigt (Dosierung wie Regel 7). Resthöhe ggf. später nach Regel 3 dosieren. 2. Bei großem Vertikalwinkel: zweizeitiges Vorgehen besser: erst horizontal, dann vertikal (Dosierung wie bei Regeln 6 und 7, Resthöhe dosieren nach Regel 3). Ausnahme: bei einzeitigem Vorgehen InferiorRücklagerung niedriger dosieren (Dosierung: einseitig: 2,1° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke des M. rectus inferior und 1,84° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke des M. rectus medialis; beidseitig: 2,5° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke des M. rectus inferior und 1,56° Schielwinkelverringerung/mm Rücklagerungsstrecke der beiden Mm. recti mediales). 9. Oberlidretraktion: erst Augenmuskeloperation, dann (falls noch erforderlich) Oberlidverlängerung 10. Unterlidretraktion und Übereffekt: erst M.-rectus-inferior-Wiedervorholung, dann Unterlidverlängerung 11. Geplante Dekompression: erst Dekompression, dann Augenmuskeloperation 12. Zustand nach Orbitadekompression: niedrigerer Dosis-Wirkung-Koeffizient (cave: mit zunehmender Winkelgröße geringere Zielgenauigkeit). Mehrzeitiges Vorgehen sinnvoll („Ein Muskel nach dem anderen“). Zusätzliche Maßnahme: Sehnenverlängerung
Eine weitere diagnostische Hilfe ist das prompte Ansprechen von Myositis und Pseudotumor orbitae auf eine systemische Kortikoidtherapie (S. 314), so dass die Diagnose häufig innerhalb weniger Tage ex iuvantibus erhärtet werden kann (▶ Abb. 4.19a–d).
313
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Abb. 4.19 Augenmotilität bei akuter okulärer Myositis. Zwei Tage nach Beginn der Myositis ausschließlich des rechten M. rectus lateralis ist die Abduktion (a) stärker eingeschränkt als die Adduktion (b). Die entzündungsbedingte Minderung der Kontraktilität des myositischen Muskels ist also stärker ausgeprägt als die Minderung der Dehnbarkeit. 7 Tage nach Beginn der Kortikoidtherapie ist die Motilität wieder normalisiert (c, d).
Therapie Bei der okulären Myositis (mit oder ohne IOI/Pseudotumor orbitae) steht die systemische Kortikoidtherapie im Vordergrund [154], [155], die in ähnlicher Dosierung wie bei der endokrinen Orbitopathie erfolgen sollte [118]. Bei leichteren Verläufen [93] oder zur Rezidivbehandlung [147] wird auch eine systemische IndomethazinTherapie vorgeschlagen (150 mg/d). In der Regel sollte die Therapie für mindesten 6–8 Wochen durchgeführt werden, da ein vorzeitiges Abbrechen der Therapie (trotz der häufig dramatischen Besserung in den ersten Tagen nach
314
Therapiebeginn, vgl. ▶ Abb. 4.19a–d) kurzfristig zu Rezidiven führen könnte. Bei schwereren Verläufen kann neben der Kortikoidtherapie zusätzlich eine immunsuppressive/immunomodulatorische Therapie eingeleitet werden (▶ Tab. 4.7) und/oder eine Orbitabestrahlung [42]. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung bewegt sich die Studienlage insgesamt, vor allem auch zum Einsatz moderner Biologika, auf niedrigem Evidenzniveau. Rituximab ist für die rheumatoide Arthritis und für die Granulomatosis mit Angiitis zugelassen, für die Behandlung von Patienten mit rezidivierender Myositis muss dagegen ein Off-Label-Use-Antrag geschrieben werden. Leider steht auch hier der meist
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Abb. 4.18 Patient mit Myositis des M. rectus medialis am linken Auge. Obwohl der Befund in der Bildgebung (d, e) dem bei einer endokrinen Orbitopathie sehr ähnlich ist, ist das klinische Bild (a–c) absolut typisch für eine okuläre idiopathische Myositis. Es besteht eine starke schmerzhafte Kontraktilitätseinschränkung, was für eine endokrine Orbitopathie völlig untypisch ist.
4.1 Augenbewegungsstörungen Tab. 4.7 Antiinflammatorische Therapie der okulären Myositis. Akute idiopathische Entzündung
Chronische idiopathische Entzündung
Ersttherapie
orale Steroidstoßtherapie: 1,5 mg kg/KG 6–8 Wochen
Rezidivierende Erkrankung
Immunsuppression MTX 15–20 mg/1 × pro Woche in Kombination mit Folsäure 5 mg Rituximab: 2 × 1000 mg i. v.
Kongenitales Fibrosesyndrom Die Einordnung des kongenitalen Fibrosesyndroms [21] unter die mechanischen Augenbewegungsstörungen ist im Traktionstest leicht nachzuvollziehen und wird gestützt durch histologische Untersuchungen, die einen weitgehenden fibrotischen Umbau aller äußeren Augenmuskeln und der Tenon-Kapsel zeigen konnten [5], [88]. Das Vorliegen entzündlicher Gewebsveränderungen [5] konnte ebenso ausgeschlossen werden wie das Vorliegen einer mitochondrialen Myopathie [16]. Strittig hingegen ist bisher die Frage, ob primär eine muskuläre Störung vorliegt oder ob eine primär neurogene Störung zu einem reaktiven Muskelumbau geführt hat, da Analogien zum Retraktionssyndrom nach Stilling-Türk-Duane und zum Moebius-Syndrom gesehen werden. Außerdem wurden Fehlinnervationen beschrieben – z. B. Konvergenz bei intendiertem Aufblick und Divergenz bei Abblick [16], [93], [168]. Eine umfassende Übersicht über diese Congenital cranial Dysinnervation Disorders (CCDD), vor allem auch über die genetischen Aspekte, findet sich bei Neugebauer und Fricke (2010) [146]. Beim Vollbild des Fibrosesyndroms ermöglicht die klinische Symptomatik in der Regel eine sichere Diagnose, zumal die erbliche Komponente mit autosomal-dominantem Erbgang unterschiedlicher Expressivität, bisweilen aber auch sporadischem Auftreten, eine große Rolle spielt [16], [86], [168]. Untersuchungen betroffener Familien haben eine große Bandbreite zwischen dem Vollbild und weniger stark ausgeprägten, manchmal auch einseitigen Befunden gezeigt. In diesen Fällen ist eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zu verschiedenen Varianten des klassischen Fibrosesyndroms schwierig [88], z. B.: ● horizontaler Strabismus fixus ● vertikales Retraktionssyndrom ● Fibrose des M. rectus inferior
Zusatzinfo Kongenitales Fibrosesyndrom
●V
4
Symptomatik (nach Roggenkämper und Mertz 1984 [168], Boergen et al. 1990 [16], Herzau 1993 [93]) ● beidseitige Fixierung der Bulbi in Deorsumduktion ● beidseitige Ptosis ohne Levatorfunktion ● Kopfzwangshaltung (Kopfhebung) ● Konvergenzbewegungen beim Versuch des Aufblicks ● Divergenzstellung bei Abblick ● positiver Traktionstest ● häufig Markus-Gunn-Phänomen
Therapie In der konservativen Therapie sind meistens eine Okklusionsbehandlung sowie ein Therapie des häufig vorhandenen Astigmatismus vorrangig.
Merke
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dringenden Behandlungsindikation eine zeitaufwendige Antragsphase entgegen. Die in der Literatur beschriebenen Behandlungserfolge sind allerdings vielversprechend [134], [204], vor allem im Zusammenhang mit IgG4-assoziierten Erkrankungen – bei histologisch nachgewiesener lymphplasmazelulärer Infiltration.
Rituximab (2 × 1000 mg i. v.) Bestrahlung wie Lymphom: 30 Gy
H ●
Die operative Therapie des kongenitalen Fibrosesyndroms dient dem Ziel, die starke Kopfzwangshaltung zu bessern.
Auch durch ausgedehnte Rücklagerungen der Mm. recti inferiores (im Bereich von 8–10 mm) mit Tenonresektion und Bindehautrücklagerungen sowie gleichzeitiger Frontalissuspension ist es allenfalls möglich, ein bestehendes Fusionsblickfeld nach oben zu verlagern [16]. Obgleich eine Progressionstendenz dieser Erkrankung nicht vorzuliegen scheint [16], [168], ist dennoch eine frühestmögliche Operation (in den ersten Lebensjahren) sinnvoll, da es bei lange bestehender Fixierung des Bulbus zu Sekundärveränderungen an der Tenon-Kapsel und der Bindehaut kommen kann. Dies manifestiert sich bei älteren Patienten intraoperativ im Traktionstest durch eine massive passive Beweglichkeitseinschränkung – auch nach Abtrennen des Muskels –, während bei Frühoperierten die passive Beweglichkeit nach Abtrennen des Muskels normal ist [16].
315
4.1.4 Drehmomentänderung und Vernarbung Eine mechanische Komponente der Augenmotilitätsstörungen steht häufig nach vorangegangenen Augenoperationen (insbesondere nach Netzhautoperationen wie Plombe, Cerclage oder temporärer Applikatoraufnähung) oder nach orbitalen Verletzungen im Vordergrund. Einerseits kann es durch Drehmomentänderungen zu einem Muskelungleichgewicht mit resultierender Schielstellung kommen. Hierbei wird eine Erhöhung des Drehmoments beobachtet (▶ Abb. 5.9), insbesondere bei nicht sehr stark skleraeindellenden Plomben oder Cerclagen, die unter Augenmuskeln liegen. Hingegen führen die häufig zu beobachtenden Verwachsungen von Augenmuskeln und Sklera – z. B. nach temporärer Applikatoraufnähung – eher zum Effekt einer Erniedrigung des Drehmoments (analog einer Myopexie nach Cüppers). Andererseits finden sich auch narbige Konstrikturen mit Einschränkung der passiven Drehung in Gegenrichtung (Traktionstest), meist verursacht durch einen entzündungsbedingten fibrotischen Muskelumbau.
Therapie Da oben genannte Mechanismen häufig in Kombination auftreten, ist bisweilen erst intraoperativ zu entscheiden, welche Maßnahme ergriffen werden soll. So können beispielsweise wenig buckelnde (aber drehmomenterhöhende) Plomben entfernt werden, wenn es die Netzhautsituation erlaubt. Bei großflächigen Verwachsungen des Muskels ist manchmal eine Narbenlösung ausreichend, wobei ein erneutes Anwachsen durch Interponat eines Polyglactin-Netzes verhindert werden kann [181]. Bei im Traktionstest nachgewiesenem fibrotischen Umbau müssen Muskelrücklagerungen, z. B. hinter den Cerclagewall, vorgenommen werden, analog den im Kap. 4.1.3 (Muskelelastizitätsminderung) beschriebenen Richtlinien.
4.1.5 Chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO) Symptomatik Die CPEO ist eine langsam progrediente, beidseitige und meist symmetrische Funktionsminderung der äußeren Augenmuskeln einschließlich der Lidhebermuskeln [80]. In 90 % der Fälle ist eine Ptosis das Initialsymptom (davon bei 40 % einseitig oder asymmetrisch ausgeprägt), während nur bei 10 % eine Augenmuskeleinschränkung der Ptosis vorausgeht [203]. Bei der seltenen Mitbeteiligung des M. orbicularis kann es in sehr schweren Fällen zu einem Lidschlussdefizit kommen. Der Beginn der Symptomatik ist äußerst schleichend, so dass eine Fotoanamnese hilfreich sein kann.
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Aufgrund der asymmetrisch ausgeprägten Motilitätsstörungen kommt es häufig zu Diplopie, durch eine asymmetrische Ptosis kann die Diplopie jedoch wieder an Relevanz verlieren [14]. Bei ca. 80 % steht ein Außenschielen im Vordergrund [203], wobei dank der vorrangigen Beteiligung der Mm. recti mediales auch eine Konvergenzinsuffizienz mit Nahdiplopie ein erstes Symptom sein kann. Die Hälfte dieser Patienten hat allerdings auch kleine vertikale Abweichungen [199]. Diese Motilitätseinschränkungen sind tendenziell umso ausgeprägter, je jünger der Patient bei Erstmanifestation der CPEO ist. Dies gilt auch für die Progression der Motilitätseinschränkung, allerdings mit großen interindividuellen Schwankungen [203]. Bei der CPEO können auch andere Organe mitbetroffen sein, z. B. durch eine Retinopathie [9] oder eine kardiale Reizleitungsstörung [10]. Bekannter wurde diese Trias unter dem Namen Kearns-Sayre-Syndrom (KSS) [105]. Bestehen zusätzlich andere neurologische, kardiale oder endokrine Symptome, spricht man von einer Ophthalmoplegia plus, wobei jedoch immer klinisch-chemische oder morphologische Hinweise auf eine mitochondriale Störung vorliegen müssen. So können beispielsweise weitere neurologische Ausfälle zur CPEO hinzutreten: ● sensible Ataxie mit Neuropathie ● Dysarthrophonie und Ophthalmoplegie: SANDO-Syndrom Auch gastrointestinale Störungen sind möglich: ● Darmmotilitätsstörungen ● Diarrhö ● Pseudoobstruktion ● Malabsorption ● Erbrechen (Myo-Neuro-Gastrointestinale Enzephalopathie: MNGIE-Syndrom) Eine umfassende Übersicht über die Vielzahl verschiedener Assoziationen mit anderen Erkrankungen findet sich bei Bau et al. (2009) [14].
Ursachen Ursachen für mitochondriale Erkrankungen wie die CPEO sind molekulare Veränderungen der mitochondrialen DNA (mtDNA), die zu einer Störung des mitochondrialen Energiestoffwechsels führen (Erniedrigung einzelner Atmungskettenkomplexe, Störung der ATP-Produktion) [31], [124]. Den Defekten der Enzymkomplexe der Atmungskette liegen meist Mutationen der mtDNA zugrunde: häufiger Deletionen und deutlich seltener Punktmutationen in 13 % der Fälle [138]. Die unterschiedlichen Arten von Mutationen der mtDNA sind mit unterschiedlichen Erbgängen assoziiert. Die für mitochondriale Erkrankungen typische maternale Vererbung findet man nahezu nur bei Punktmutationen der mtDNA. Singuläre Deletionen treten dagegen fast immer sporadisch auf und werden nicht vererbt. Multiple Deletionen aufgrund nu-
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.1 Augenbewegungsstörungen kleärer Gendefekte können sowohl autosomal-dominant als auch autosomal-rezessiv vererbt werden (zusammenfassend bei [14], [30], [114]).
Diagnostik
Medikamentöse Therapie Eine sichere medikamentöse Therapie ist nicht bekannt. Die Gabe des (bei der CPEO verminderten) Koenzym Q 10, das antioxidative Eigenschaften hat und zur Unterstützung der Atmungskettenfunktion beitragen soll, führt nicht zu einer Besserung, wie Bresolin et al. (1990) in einer relativ großen Doppelblindstudie zeigen konnten [20]. Von der Einnahme prinzipiell muskelschädigender Medikamente (insbesondere Fettsenker der Statin- oder Fibratgruppe) ohne zwingende Indikation und ohne engmaschige Überwachung ist abzuraten. Grundsätzlich sind bei Muskelerkrankungen außergewöhnliche körperliche oder klimatische Belastungen zu vermeiden. Eine regelmäßige, leichte aerobe Muskelaktivität hat sich aber bei mitochondrialen Erkrankungen als günstig erwiesen [100]. Die Patienten sollten einen Notfallpass für Muskelkranke erhalten (Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke, DGM, https://www.dgm.org/). Aktuelle Leitlinien zur Diagnostik und Therapie mitochondrialer Erkrankungen finden sich auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie unter https://www.dgn.org.
Chirurgische Therapie Eine operative Therapie der Motilitätsstörungen ist möglich. Therapie der Wahl sind muskelstärkende Eingriffe (Faltung, Resektion). Aufgrund der häufig symmetrischen Progression sollte auf kurzfristige Veränderungen – wenn möglich – zunächst mit Prismen reagiert werden. Ein
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Abb. 4.20 Chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO). 35-jähriger Patient mit seit 5 Jahren zunehmender Ptosis und Augenmuskelparesen. Autosomal-dominanter Erbgang (Vater, Großmutter, Tanten). Da das Bell-Phänomen vermindert ist (Hebung beidseitig jeweils nur 10°) und bereits präoperativ (a) ein inkompletter Lidschluss bestand, wurde eine vorsichtig dosierte Frontalissuspension durchgeführt (b).
operativer Eingriff sollte erst bei relativer Stabilität erfolgen. Im Vordergrund steht meistens die zunehmende Ptosis. Indikation und Durchführung sind hierbei limitiert durch die gleichzeitig bestehende Einschränkung der Bulbusheber, da das Bell-Phänomen hierdurch eingeschränkt ist, was bei einem postoperativen Lidschlussdefekt deletäre Folgen haben kann. Mild dosierte Ptosis-Chirurgie, meist Frontalissuspension (▶ Abb. 4.20a, b), ist aber durchaus möglich, um sicherzustellen, dass es nicht zu einer Expositionskeratitis kommt. Übergangsweise sind auch Ptosisbügel an der Brille sinnvoll – nicht nur, um das Gesichtsfeld zu erweitern, sondern auch, um Erfahrung mit der erweiterten Lidspalte hinsichtlich der Hornhautbenetzung zu sammeln. Zudem muss bei einer CPEO von einem erhöhten Narkoserisiko ausgegangen werden. Eine entsprechende Auswahl der Narkosemittel ist zu empfehlen.
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Die Diagnose lässt sich gut sichern durch eine Skelettmuskelbiopsie, da sich bei rund 90 % der Patienten mit klinisch eindeutiger CPEO „Ragged red Fibers“ (RRF) und/ oder COX-negative Fasern finden. Obwohl klinisch meist nur die Augenmuskeln betroffen sind, finden sich die mitochondrialen Gendefekte auch an allen Skelettmuskeln, bei denen eine Biopsie leichter durchführbar ist. Biochemisch ist in rund 50 % der Fälle ein Atmungskettenkomplexmangel (Komplex-I- und/oder Komplex-IV-Mangel) feststellbar [203]. Eine umfassende Übersicht über die Diagnostik findet sich bei Kuncl und Hoffmann (1999) [112]. Die internistische Diagnostik sollte wegen der möglichen Beteiligungen des Reizleitungssystems sowie des Herzmuskels vorrangig eine regelmäßige kardiologische Untersuchung umfassen. Zusätzlich besteht eine erhöhte Disposition zu einem Diabetes mellitus. Auch regelmäßige HNO-ärztliche Untersuchungen sind zu empfehlen (Dysphagie, Innenohrschwerhörigkeit).
4.1.6 Okuläre Neuromyotonie Die okuläre Neuromyotonie ist eine seltene Augenbewegungsstörung mit unwillkürlichen Kontraktionen einzelner oder mehrerer Augenmuskeln. Nach Beanspruchung von Augenmuskeln über mehrere Sekunden kommt es zu einer passageren Kontraktur eines Augenmuskels mit Stellungsänderung des Bulbus (einschließlich Doppelbildern). Durch die aufgehobene Relaxation des Muskels wirkt dies klinisch wie eine Parese des ipsilateralen Antagonisten (Pseudoparese). Diese Veränderung kann einige Minuten andauern. Elektromyografisch wird während dieser Kontraktur ein erhöhter Muskeltonus (ohne myopathische Zeichen) nachgewiesen [167]. Barroso und Hoyt (1993) vermuten als Pathomechanismus, dass spontane neuronale Entladungen mit interaxonaler ephaptischer Transmission zu einem vorübergehen-
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den, sich selbst perpetuierenden Entladungskreislauf führen [11]. Als Ursache hierfür wird eine segmentale Demyelinisierung diskutiert [11], [205], die durch eine Bestrahlung der Schädelbasis, häufig mit vorangegangener neurochirurgischer Operation (z. B. der Hypophyse), ausgelöst wird [7], [11], [66], [108], [120], [133]. Auch vaskuläre Erkrankungen wie eine Sinus-cavernosus-Thrombose [92] oder eine endokrine Orbitopathie [24] werden als mögliche Ursachen diskutiert.
Therapie Carbamazepin kann zur deutlichen Verminderung der Anfallshäufigkeit führen (Dosierung: 200 mg 1- bis 2-mal tgl. p. o. für mindestens 4 Wochen; zusammenfassend dargestellt von Koop und Gräf 2006 [108]).
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Unter einer Augenmuskellähmung versteht man eine Bewegungseinschränkung, die durch Schädigung des Muskels, der Übertragungsstelle zwischen Nerv und Muskel oder des zuleitenden Nervs zustande gekommen ist. Eine unvollständige Lähmung heißt Parese, eine vollständige Paralyse.
4.2.1 Allgemeine Symptomatik Die für alle Augenmuskellähmungen charakteristischen Zeichen werden nachfolgend am Beispiel der Lähmung des rechten M. rectus lateralis dargestellt. Die Zeichen gelten unabhängig davon, ob die Lähmung durch Schädigung der Muskulatur, der neuromuskulären Impulsübertragung oder des zuleitenden Nervs entstanden ist.
Inkomitanz ▶ Abb. 4.21 zeigt eine Parese des rechten M. rectus lateralis. Zunächst seien die Verhältnisse bei Fixation des linken, frei beweglichen Auges beschrieben. Fixiert es in Mittelposition, so schickt das Blickzentrum an alle Augenmuskeln eine mittlere Innervation. Diese Innervation wird im paretischen rechten M. rectus lateralis nicht in Muskelspannung umgesetzt. Dadurch ist das Gleichgewicht der muskulären und bindegewebigen Drehmomente gestört. Es fehlt das abduzierende Drehmoment des M. rectus lateralis, so dass die adduzierenden Drehmomente überwiegen. Dadurch weicht das Auge aus der Mittelposi-
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αr
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LA fixiert β
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RA fixiert
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Abb. 4.21 Parese des M. rectus lateralis rechts. Der Schielwinkel nimmt bei Rechtsblick zu. Dabei ist es gleichgültig, ob das frei bewegliche linke Auge im rechten Blickfeld oder das paretische Auge in Mittelposition fixiert: αr und β sind gleich groß. Die Pluszeichen (+) symbolisieren die vom Zentralnervensystem ausgesandten Innervationsimpulse. Am paretischen rechten M. rectus lateralis wirken sich die Innervationsimpulse nur gering aus.
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G. Kommerell, W. A. Lagrèze
αm
αl
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4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
Merke
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Die Änderung des Schielwinkels bei Blickwendung wird als Inkomitanz bezeichnet. Von Konkomitanz spricht man, wenn der Schielwinkel bei Blickwendung gleich bleibt.
Sprachlich abgeleitet sind Konkomitanz und Inkomitanz von dem lateinischen Verb comitare = begleiten. Bei Konkomitanz begleiten sich die beiden Augen, bei In-komitanz begleiten sie sich nicht, denn ein Auge bleibt zurück. Je stärker die Lähmung, umso ausgeprägter ist die Inkomitanz. Die Inkomitanz lässt sich mit einer einzigen Zahl quantifizieren, indem man die Differenz zwischen 2 in gegenüberliegenden Blickrichtungen gemessenen Schielwinkeln ermittelt. Im Beispiel der ▶ Abb. 4.21 ist dies die Differenz zwischen dem bei 20° Rechtsblick gemessenen Schielwinkel αr minus dem bei 20° Linksblick gemessenen Schielwinkel αl (jeweils Fixation mit dem nicht gelähmten linken Auge). Der in Mittelposition gemessene Schielwinkel αm ist als Maß der Parese ungeeignet, da in ihn auch ein eventuell schon vorher vorhandenes Begleitschielen bzw. eine Heterophorie eingeht. Die nieder- und hochschwelligen motorischen Einheiten (Kap. 1.2.2) können von der Lähmung unterschiedlich betroffen sein. Sind z. B. überwiegend hochschwellige motorische Einheiten ausgefallen, können die Augen bis zur Mittellinie noch nahezu konkomitant bewegt werden. Erst bei weiterer Blickwendung bleibt dann das paretische hinter dem frei beweglichen Auge zurück. Sind dagegen vor allem niederschwellige motorische Einheiten ausgefallen, resultiert schon im mittleren Blickfeld eine erhebliche Schielabweichung. Dennoch lässt sich das Auge weit abduzieren, da im seitlichen Blickfeld die intakt gebliebenen hochschwelligen motorischen Einheiten eingesetzt werden [88].
Primärer und sekundärer Schielwinkel Die meisten von einer Augenmuskellähmung betroffenen Patienten fixieren spontan mit dem frei beweglichen Auge. Die dabei ermittelte Abweichung des paretischen Auges bezeichnet man als primären Schielwinkel (Winkel αm in ▶ Abb. 4.21). Die bei Fixation mit dem paretischen Auge ermittelte Abweichung wird als sekundärer Schielwinkel bezeichnet (Winkel β in ▶ Abb. 4.21).
Merke
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Der sekundäre Schielwinkel ist größer als der primäre.
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Dies erklärt sich aus der Inkomitanz des paretischen Schielens. Wenn das paretische Auge in Mittelposition eingestellt werden soll, muss das Gehirn einen seitlichen Blickwendungsimpuls aussenden, da das paretische Auge die Mittelposition nur erreichen kann, wenn die mangelnde Zugkraft des gelähmten Muskels durch verminderte Innervation seines Antagonisten ausgeglichen wird. Wenn es um die Diagnose geht, kann man auf die Messung des sekundären Schielwinkels verzichten. Mit dem sekundären Schielwinkel erfasst man nämlich nur das Inkomitanzphänomen. So wirkt sich im Beispiel der ▶ Abb. 4.21 die Lähmung des rechten M. rectus lateralis in gleichem Maße aus, wenn das frei bewegliche linke Auge im rechten Blickfeld oder das paretische rechte Auge in Mittelposition fixiert. Der Rechtswendungsimpuls ist in beiden Fällen gleich, und daher sind auch die Schielwinkel αr und β gleich groß. Eine Messung des sekundären Schielwinkels lohnt sich nur, wenn man den Ausgangswinkel für eine Operation am frei beweglichen Auge feststellen will (nach dem Prinzip „Parese gegen Parese“). Gelegentlich findet man Patienten, die es bevorzugen, mit dem paretischen Auge zu fixieren, weil sie mit dem paretischen Auge besser sehen als mit dem frei beweglichen. Diese Patienten stellen dauernd den größeren sekundären Schielwinkel ein.
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tion in die Adduktion ab, bis zu einer Position, in der das Gleichgewicht der Drehmomente wiederhergestellt ist. Es entsteht also ein konvergenter Schielwinkel, der in ▶ Abb. 4.21 mit αm gekennzeichnet ist. Bei Rechtsblick nimmt der Schielwinkel zu. Dies erklärt sich wie folgt: Normalerweise weist der rechte M. rectus lateralis im Rechtsblick eine höhere Spannung auf als in Mittelposition. Dementsprechend fehlt bei Lähmung dieses Muskels im Rechtsblick ein größeres abduzierendes Drehmoment als in Mittelposition. Umgekehrt nimmt der Schielwinkel bei Linksblick ab, denn in dieser Richtung sendet das Gehirn an den rechten M. rectus lateralis ohnehin nur wenige Impulse, deren Verlust im Falle der Lähmung kaum ins Gewicht fällt.
Differenzialdiagnose zwischen inkomitantem und dissoziiertem Schielen Auch bei dissoziiertem Schielen unterscheidet sich der Winkel bei Rechts- und Linksfixation. Im Gegensatz zum paretischen Schielen kommt es beim dissoziierten Schielen aber nicht darauf an, dass beim Fixationswechsel ein anderer Blickwendungsimpuls aufgewendet werden muss. Vielmehr ist beim dissoziierten Schielen entscheidend, ob mit dem rechten oder linken Auge fixiert wird. Um dieses Kennzeichen des dissoziierten Schielens isoliert zu ermitteln, empfiehlt sich der Fixationswechseltest [44], [52].
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Sekundärveränderungen ▶ Paretischer Muskel (rechter M. rectus lateralis in ▶ Abb. 4.21). Eine Lähmung führt zur Verlängerung des betroffenen Muskels. Theoretisch könnte die damit verbundene Dehnung die Muskelspindeln stimulieren. Dies
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führt aber nicht zu einer Aktivierung intakt gebliebener motorischer Einheiten. Der Grund ist, dass es im Augenmuskel keinen Dehnungsreflex gibt [37]. Im Gegensatz dazu spielt der Dehnungsreflex an der Skelettmuskulatur eine wichtige Rolle. Am Streckmuskel des Oberschenkels lässt sich der Dehnungsreflex durch Beklopfen der Sehne unter der Kniescheibe besonders leicht auslösen.
Merke Im Augenmuskel gibt es keinen Dehnungsreflex.
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Ein Muskel, der keine Innervationsimpulse erhält, degeneriert. Wenn die Innervation jedoch innerhalb von 1– 2 Jahren zurückkehrt, kann sich der Muskel vollständig erholen. ▶ Ipsilateraler Antagonist (rechter M. rectus medialis in ▶ Abb. 4.21). Es gibt keinen Reflex, der die Innervation des ipsilateralen Antagonisten ändert [5]. Daher sollte man nicht von einer „Überfunktion“ des ipsilateralen Antagonisten sprechen. Jedoch kommt es wegen unzureichender Dehnung des Muskels zu einer mechanischen Veränderung, die als myostatische Kontraktur bezeichnet wird: der Muskel verliert Elastizität. Messbar ist die myostatische Kontraktur als Erhöhung der Federkonstanten. Die Federkonstante ist definiert als diejenige Kraft, welche benötigt wird, um den Muskel um 1 mm zu dehnen. Die myostatische Kontraktur des ipsilateralen Antagonisten entwickelt sich aufgrund einer allgemeinen Eigenschaft der Muskulatur, die sich z. B. auch an einem Bein erkennen lässt, das durch einen Gipsverband ruhiggestellt wurde. Die Muskulatur schrumpft, wenn sie nicht mehr gedehnt wird [19]. Daher ist das Bein steif, wenn der Gipsverband erst nach einigen Wochen entfernt wird. Entsprechend kann man ein Auge nur noch schwer mit der Pinzette über die Mittellinie nach außen ziehen, wenn es wegen einer Abduzenslähmung Wochen oder gar Monate in Adduktion verblieben ist. Glücklicherweise verliert sich die Kontraktur des M. rectus medialis, wenn der M. rectus lateralis seine Kraft zurückgewinnt. Daher kann die Augenbeweglichkeit selbst nach monatelanger Lähmung wieder völlig normal werden. ▶ Kontralateraler Synergist und kontralateraler Antagonist (linker M. rectus medialis und linker M. rectus lateralis in ▶ Abb. 4.21). Am frei beweglichen Partnerauge bleibt die Innervation unverändert, wenn es zur Fixation bevorzugt wird. Der Patient kann ohne Schwierigkeit geradeaus schauen und nimmt bei Okklusion des paretischen Auges keine Kopfzwangshaltung ein. Bei den wenigen Patienten, die ihr paretisches Auge zur Fixation bevorzugen, ist die Situation anders. Um das paretische Auge (in ▶ Abb. 4.21 das rechte) wenigstens in
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Mit dem Fixationswechseltest werden auch verborgene Anteile des dissoziierten Schielens aufgedeckt, denn es wird dabei nicht nur die Fixation gewechselt wie beim spontanen Alternieren, sondern zusätzlich wird das jeweils nicht fixierende Auge verdunkelt. Bei dem von Bielschowsky beschriebenen Dunkelrotglas-Test, bei dem man ein dunkelrotes Filterglas vor das fixierende Auge hält, wird zwar auch die Verdunkelung ausgenutzt, nicht aber der Einfluss des Fixationswechsels. Deswegen ist der Bielschowsky-Test bei der Aufdeckung einer dissoziierten Schielkomponente weniger aussagekräftig als der Fixationswechseltest. Das dissoziierte Schielen tritt meist als dissoziierte vertikale Divergenz (DVD) auf. Oft zeigt sich dabei eine torsionale Komponente: Das nach oben abweichende Auge wird exzykloduziert (im Gegensatz zur Skew Deviation, bei der sich das aufwärts schielende Auge in Inzykloduktion befindet (siehe Kap. Ocular Tilt Reaction (gravizeptive Auge-Kopf-Neigung)). Bei der selteneren dissoziierten horizontalen Divergenz (DHD) ist abzuklären, ob nicht eher eine unkorrigierte Anisometropie vorliegt. In diesem Fall würde sich bei Fixation mit dem stärker hyperopen Auge ein größerer Konvergenzwinkel ergeben als bei Fixation mit dem weniger hyperopen Auge [8]. Die dissoziierte vertikale Divergenz ist dem Lichtrückenreflex des Fisches ähnlich. Der Lichtrückenreflex bewirkt, dass sich die beim Fisch seitlich stehenden Augen symmetrisch zu dem von oben einfallenden Licht einstellen [28]. Ist der Fisch zur rechten Seite geneigt, fällt in sein rechtes Auge weniger Licht als in sein linkes. Um diesen Unterschied auszugleichen, hebt der Fisch sein rechtes und senkt sein linkes Auge. Brodsky hat die Hypothese aufgestellt, dass der Lichtrückenreflex beim Menschen ein atavistisches Erbe der Evolution sei und sich als Hirnstammreflex bei mangelhaft entwickeltem Binokularsehen manifestieren könne [7]. Diese Hypothese ist allerdings umstritten [9], [81], [82], [83]. Ten Tusscher meint, die DVD könne kein Hirnstammreflex sein. Vielmehr sei der Einfluss der Hirnrinde auf die Okulomotorik gestört. Ein bei Geburt noch normales Überwiegen gekreuzter Innervation auf das Vergenzsystem des Hirnstamms (vom rechten Auge auf linke Hirnstammkerne, vom linken Auge auf rechte Hirnstammkerne) bleibe zeitlebens bestehen. Dazu komme es, wenn sich bei frühkindlichem Schielen in der Hirnrinde keine binokularen Neurone entwickelten. Normalerweise gleiche der Einfluss binokularer Neurone auf den Hirnstamm das Überwiegen der gekreuzten Innervation aus.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
Latente Parese und kompensatorische Kopfhaltung Eine Parese, die nicht allzu stark ausgeprägt ist, kann durch Fusion überwunden werden. Oft gelingt die Fusion nur in dem Teil des Blickfelds, in dem die Abweichung gering ist. Um diesen Bereich zu nützen, nimmt der Patient eine kompensatorische Kopfhaltung ein. Bei einer Parese des rechten M. rectus lateralis bevorzugt der Patient das linke Blickfeld und wendet seinen Kopf nach rechts.
Merke
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Allgemein gilt: Der Patient wendet seinen Kopf in die Richtung, in die der gelähmte Muskel das Auge eigentlich ziehen sollte.
Eine Lähmung, die durch Fusion überwunden wird, bezeichnet man als latente Parese. Um sicher zu sein, dass man eine latente Parese nicht übersieht, sollte man bei latentem Schielen, also bei jeder Heterophorie, den Winkel in mehreren Blickrichtungen messen, z. B. an einer Tangententafel mit Dunkelrotglas. Handelt es sich um ein latentes Horizontalschielen, genügt der Vergleich zwischen Rechts- und Linksblick. Bei latentem Vertikalschielen muss in 9 Blickrichtungen und bei Kopfneigung gemessen werden.
Veränderungen der raschen Augenbewegungen Bei einer Parese laufen die raschen Augenbewegungen in der Zugrichtung des gelähmten Muskels verlangsamt ab; in entgegengesetzter Richtung haben sie die Form einer Zuckung [4], [53], [84]. In ▶ Abb. 4.22 ist dies am Beispiel einer linksseitigen Abduzensparalyse wiedergegeben. Die Abduktionssakkade ist verlangsamt, da die Kraft des M. rectus lateralis zur Beschleunigung des Bulbus fehlt. Nur durch Hemmung des M. rectus medialis gleitet der Bulbus aus seiner Adduktionsstellung. Bei der Adduktionssakkade spiegelt die Zuckung das normale Innervationsverhalten des M. rectus medialis wider (Kap. Versionen): der Puls beschleunigt das Auge; mit der Stufe driftet das Auge wieder etwas zurück.
30°R RA 20°R LA 1s Abb. 4.22 Abduzensparalyse links. Die Abduktionssakkade des linken Auges (erste Auslenkung des unteren Kurvenzugs) ist verlangsamt. Die Adduktionssakkade (zweite Auslenkung des unteren Kurvenzugs) hat die Form einer Zuckung.
Merke
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Sakkaden bei Abduzenslähmung: bei der Abduktion schleicht das Auge, bei der Adduktion zuckt es.
Besonders lohnt sich die Beobachtung der Blickzielbewegungen, wenn es bei frühkindlicher Esotropie (bei der die Abduktion häufig eingeschränkt ist) darum geht, eine beidseitige Abduzensparalyse auszuschließen. Die abduzierende Sakkade ist bei der frühkindlichen Esotropie normal schnell, bei der Abduzensparalyse verlangsamt. Heruntergeladen von: Z-library. Urheberrechtlich geschützt.
die Nähe der Mittelposition zu bringen, muss der Patient Rechtsblick-Innervation einsetzen. Diese Rechtsblick-Innervation zeigt sich dann auch an den Muskeln des frei beweglichen Auges, und bei lang andauernder Parese kommt es zur myostatischen Kontraktur des kontralateralen Synergisten, in ▶ Abb. 4.21 des linken M. rectus medialis.
Diplopie und Konfusion Die meisten von einer Augenmuskellähmung betroffenen Patienten klagen über Diplopie = Doppeltsehen. Die Diplopie kommt dadurch zustande, dass ein und derselbe Gegenstand auf nicht korrespondierenden Netzhautstellen abgebildet wird. Auf korrespondierenden Netzhautstellen werden unterschiedliche Gegenstände abgebildet. Die dadurch entstehende Konfusion mit binokularem Wettstreit wird allerdings wegen Suppression eines Bildes nur selten wahrgenommen.
Orientierungsstörung Patienten, die mit ihrem paretischen Auge fixieren, entweder spontan oder durch Okklusion erzwungen, leiden unter einer Orientierungsstörung, die sich z. B. als Vorbeizeigen erweist. Lässt man einen Kranken mit einer rechtsseitigen Abduzensparese bei Fixation des gelähmten Auges mit dem Finger rasch auf einen vorgehaltenen Gegenstand stoßen, so zeigt er rechts vorbei.
Merke
H ●
Beim Zielen mit dem paretischen Auge weicht der zeigende Finger in der Zugrichtung des paretischen Muskels ab.
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Der Grund für die falsche Lokalisation ist, dass das Gehirn die Ausrichtung des fixierenden Auges nicht nach dessen tatsächlicher Stellung beurteilt, sondern nach dem Innervationsaufwand, mit dem das Auge in diese Stellung gebracht wurde. Bei einer Lähmung ist der Innervationsaufwand irreführend. Um das rechte Auge bei einer rechtsseitigen Abduzenslähmung in Mittelposition fixieren zu lassen, ist Rechtsblick-Innervation erforderlich. Folglich wähnt das Gehirn das Auge im Rechtsblick, obwohl es tatsächlich geradeaus blickt. Die falsche Lokalisation stört nicht nur beim Zielen mit der Hand, sondern auch beim Laufen. Zum Beispiel wird ein Patient mit einer rechtsseitigen Abduzensparese, der auf das Sehen mit seinem rechten Auge angewiesen ist, am rechten Türpfosten anstoßen. Der Lokalisationsfehler des Gehirns ist umso größer, je weiter der Blick in die Zugrichtung des paretischen Muskels gewendet wird. Daher ändert sich die visuelle Lokalisation beim freien Umherblicken dauernd. Viele Patienten beschreiben diese Störung als Schwindel. Auch die vestibulären Kompensationsbewegungen (Kap. Vestibuläre Kompensationsbewegung) fallen am paretischen Auge zu klein aus. Die daraus folgende, vom Gehirn nicht erwartete Verschiebung des Netzhautbilds führt zu unzweckmäßigen Ausgleichsbewegungen des Körpers. Der Patient macht dann einen unbeholfenen Eindruck und kann bis zur Übelkeit beeinträchtigt sein. Diese Symptome können eine Allgemeinkrankheit vortäuschen.
Merke
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Der von einer Augenmuskelparese ausgelöste Lokalisationsfehler des Gehirns kann Schwindel, Übelkeit und unkoordinierte Körperbewegungen bewirken. Zur Unterscheidung von einer Allgemeinkrankheit ist eine diagnostische Okklusion des paretischen Auges sinnvoll.
Die Orientierungsstörungen verschwinden meist innerhalb weniger Tage, indem sich das Gehirn an die Lähmung anpasst (siehe Kap. Zentralnervöse Kompensation). Um diese Anpassung nicht zu stören, sollte eine zur Vermeidung von Doppeltsehen erforderliche Okklusion stets vor ein und demselben Auge getragen werden, in der Regel dem paretischen.
Nervenschäden und deren Heilung Bei der Läsion motorischer Nerven unterscheidet man 3 verschiedene Schweregrade: 1. Neurapraxie: Obwohl die Nervenfasern nicht strukturell unterbrochen sind, können sie keine Aktionspotenziale leiten. 2. Axonotmesis: Die Nervenfasern sind unterbrochen, die Schwann-Scheiden aber intakt geblieben. 3. Neurotmesis: Sowohl die Nervenfasern als auch die Schwann-Scheiden sind durchtrennt.
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In allen 3 Fällen kann die Lähmung des Muskels vollständig sein. Erst im Verlauf lässt sich zwischen den 3 Schweregraden unterscheiden. Bei der Neurapraxie erholt sich die Funktion rasch, so dass man bereits nach einigen Tagen oder wenigen Wochen eine wesentliche Besserung feststellen kann. Nach einer Axonotmesis und nach einer Neurotmesis kommt es zu einer Degeneration des distalen Nervenfaserabschnitts, und der Stumpf muss erst auswachsen, bis die Nervenfaser wieder Kontakt mit dem Muskel aufnehmen kann. Bei der Axonotmesis ist die Regeneration problemlos, da die Nervenfasern die ihnen ursprünglich zugeordneten Muskelfasern wiederfinden, indem sie durch den Führungsschlauch der intakt gebliebenen Schwann-Scheiden auswachsen. Bei der Neurotmesis sind die Schwann-Scheiden zerstört und die auswachsenden Nervenfasern müssen ihren Weg durch eine bindegewebige Narbe suchen, bevor sie die distalen SchwannScheiden erreichen. Dabei können sie sich leicht „verirren“, indem sie auf Schwann-Scheiden treffen, die sie in einen falschen Muskel leiten [76]. Die Folge ist eine Fehlinnervation, die sich hauptsächlich beim N. oculomotorius störend auswirkt, da nur dieser Nerv mehrere Augenmuskeln versorgt (Kap. 4.2.4). Die Regenerationsfähigkeit der Nervenfasern nimmt mit der Zeit ab. Deshalb bessern sich neurogene Paresen nach Ablauf von 6 Monaten nur noch selten, nach 12 Monaten fast nie mehr [22]. Ist eine Erholung nach dieser Zeit nicht eingetreten, besteht die ursprüngliche Schädigungsursache fort (z. B. der Druck eines Tumors) oder die Nervenfasern können das Narbengewebe an der Läsionsstelle nicht durchdringen.
Sekundäre Konkomitanz Eine lähmungsbedingte Inkomitanz kann im Lauf von Monaten ihre typische Ausprägung verlieren [4].
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Inkomitantes, durch eine Lähmung hervorgerufenes Schielen kann allmählich in konkomitantes Schielen übergehen. Die sekundäre Konkomitanz ist jedoch selten.
In ▶ Abb. 4.23 ist die Entwicklung der sekundären Konkomitanz am Beispiel einer linksseitigen Abduzensparese schematisch wiedergegeben. Bei der frischen Lähmung findet sich eine inkomitante Esotropie. Lässt man das gesunde rechte Auge 3 Positionen einnehmen, die in gleich großen Abständen über das Blickfeld verteilt sind, so zeigt sich, dass das linke Auge mit zunehmendem Linksblick immer weiter zurückbleibt. Ein Jahr später hat sich das Bild gewandelt: Der Schielwinkel nimmt bei Linksblick nicht mehr zu, und die Abstände zwischen den 3 Positionen sind jetzt an beiden Augen gleich groß. Es ist ein konkomitantes Schielen entstanden. Vergleicht man den alten mit dem neuen Zustand, so zeigt sich die Besserung
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen Abduzensparese links
LA
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2
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1 2 3
1
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3 sekundäre Konkomitanz
Abb. 4.23 Sekundäre Konkomitanz. Entwicklung einer konkomitierenden Esotropie aus einer Abduzensparese. Die schwarzen Scheiben symbolisieren die Pupillenposition in 3 verschiedenen Blickrichtungen.
vor allem bei der 3. Position. Daraus kann man auf eine gute Heilung im Wirkungsfeld des paretischen Muskels und auf eine weniger gute im mittleren Blickfeld schließen. Als Erklärung kommt in Betracht, dass die für starke Abduktion zuständigen Nervenfasern besser regeneriert sind als diejenigen, welche für die Muskelspannung im mittleren Blickfeld sorgen [42]. Anders ausgedrückt: Bei sekundärer Konkomitanz könnten die hochschwelligen Nervenfasern den Wettlauf der Reinnervation gewonnen haben und zu vielen Muskelfasern ausgesprosst sein, bevor die niederschwelligen Nervenfasern zur Stelle waren. Bielschowsky [4] vermutete als Ursache der sekundären Konkomitanz eine Kontraktur des ipsilateralen Antagonisten. Dies kann jedoch nicht stimmen, denn eine Kontraktur des M. rectus medialis würde das linke Auge umso stärker zurückhalten, je weiter es abduziert werden sollte. Bielschowsky hatte offenbar selbst Zweifel an seiner Erklärung, denn er schrieb [4]: „Man kann sich freilich schwer vorstellen, wodurch die relativ weitgehende Gleichmäßigkeit der spastischen Verkürzung des Antagonisten zustande kommt.“ Wie aus ▶ Abb. 4.23 hervorgeht, entsteht die sekundäre Konkomitanz nicht nur durch Abnahme des Schielwinkels in der 3. Position, sondern auch durch Zunahme des Schielwinkels in der 1. Position. Als Erklärung kommt die in Kap. Sekundärveränderungen beschriebene myostatische Kontraktur des Antagonisten (in ▶ Abb. 4.23 des linken M. rectus medialis) in Betracht. Möglicherweise spielt aber eine größere Rolle, dass das adduzierende Drehmoment der geraden Vertikalmotoren bei länger bestehender Abduzenslähmung zunimmt. Normalerweise ist es nur gering, weil Bindegewebe (vor allem wohl das retrobulbäre Fett) ein Abrutschen der geraden Vertikalmotoren bei der Adduktion verhindern. Wenn das Auge aber wegen Lähmung des M. rectus lateralis lange Zeit in Adduktion steht, werden die Bindegewebe überdehnt, und die geraden Vertikalmotoren können nach nasal abrut-
schen. Dabei erhalten sie ein adduzierendes Drehmoment. Für eine konkomitante Esotropie nach Abduzensparese sind noch 2 weitere Mechanismen in Betracht zu ziehen: ● Es kann bereits vor der Lähmung eine Esophorie bestanden haben, die infolge der Parese manifest geworden ist. ● Es kann eine Kombinationslähmung mehrerer Augenmuskeln zu einer Konkomitanz geführt haben, insbesondere dann, wenn zu einer rechtsseitigen Abduzensparese eine linksseitige hinzugekommen ist. (Der konvergente Schielwinkel ist dann in der Ferne größer als in der Nähe.)
4
Zentralnervöse Kompensation Augenmuskellähmungen können teilweise durch Änderung der zentralnervösen Steuerung kompensiert werden. Dieser als Orthophorisation bezeichnete Mechanismus kann allerdings nur einsetzen, wenn wenigstens in einem Teil des Blickfelds fusioniert wird. In diesem Fall kann der Schielwinkel je nach Blickrichtung um einen unterschiedlichen Betrag angepasst werden [2], [26], [74], [87], so z. B. bei einer rechtsseitigen Abduzensparese mehr im rechten als im linken Blickfeld. Dadurch wird das Fusionsblickfeld größer, obwohl der Heilungsvorgang am Nerv noch nicht in Gang gekommen ist. Eine Besserung des Beschwerdebilds darf daher nicht unbedingt als Heilung der ursächlichen Läsion gedeutet werden. Bei nur mäßig ausgeprägter Parese sollte man versuchen, das Binokularsehen mithilfe von Prismen zu ermöglichen. Selbst wenn das Feld binokularen Einfachsehens zunächst nur klein ist, kann es sich innerhalb von Tagen durch zentralnervöse Anpassung vergrößern. Mit der Anpassung kann sich auch der Ablauf der Augenbewegungen bessern. So gleicht eine adaptive Verstärkung des innervatorischen Pulses die Verlangsamung der Sakkaden teilweise aus [3], [41], [61], [87]. Auch werden die Folgebewegungen durch Anpassung beschleunigt [62]. Eine Anpassung der Sakkadenamplitude spielt nicht nur bei Paresen eine Rolle, sondern auch bei ungleicher Größe der Netzhautbilder, so z. B. wenn eine Anisometropie durch eine Brille korrigiert wurde: Bereits nach 20 Minuten macht das Auge, dessen Netzhautbild vergrößert wurde, größere Sakkaden als das Partnerauge.
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4.2.2 Allgemeine Diagnostik Eine Lähmung kann die Muskeln eines oder beider Augen betreffen. Bei der Analyse einer beidäugigen Lähmung ist man auf die Messung der monokularen Bewegungsstrecke angewiesen (monokulares Blickfeld, siehe Kap. 3.5.5). Normalerweise beträgt die monokulare Bewegungsstrecke bei Abduktion und Adduktion etwa 50°, bei Hebung 40° und bei Senkung 60° [21].
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Merke
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Ist die Lähmung auf ein Auge beschränkt, sollte man die Möglichkeit nützen, die Beweglichkeit des paretischen Auges mit der des gesunden Auges zu vergleichen.
Subjektive Messungen des Schielwinkels Messungen, bei denen man sich auf die „subjektiven“ Angaben des Patienten stützt, lassen sich rascher und genauer durchführen als „objektive“ Messungen, die von der Beobachtung des Untersuchers abhängen. Die Verwertung subjektiver Angaben setzt aber voraus, dass der Patient mit beiden Augen über ein ausreichendes Sehvermögen verfügt, die Netzhautkorrespondenz normal ist und der Patient den Seheindruck eines Auges nicht supprimiert. Besonders geeignet für subjektive (aber auch objektive) Messungen ist die Tangententafel nach Harms [24] (Kap. Messung der Kopfzwangshaltung an der Tangententafel), da die Kopfhaltung und damit die Blickrichtung an diesem Gerät besonders gut zu kontrollieren ist. Ein weiterer Vorteil der Tangententafel nach Harms besteht darin, dass sie – im Gegensatz zur Untersuchung am Hess-Schirm – eine Messung der Zyklodeviation erlaubt.
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Abb. 4.24 Lähmung des M. rectus lateralis links. Der Untersucher peilt über ein Fixierlicht und beobachtet, wie sich der Reflex auf der linken Hornhaut nach temporal verschiebt, wenn er den Kopf des Patienten nach rechts dreht.
bei Drehung des Patientenkopfs im Vergleich zum Hornhautreflex zurückbleibt (▶ Abb. 4.24). Ungenau und daher nur bei ausgeprägter Parese empfehlenswert ist es, die Beweglichkeit allein nach der Position der Iris in Bezug auf die Lidspalte zu beurteilen. Ausmessen lässt sich eine einseitige Parese mit dem alternierenden Prismenabdecktest, den man in mehreren Blickrichtungen ausführt. Untauglich ist diese Methode allerdings, wenn eines der Augen die Fixation nicht aufnehmen kann. Diese Situation kommt in der neuroophthalmologischen Diagnostik öfter vor, z. B. wenn außer einem Augenmuskelnerv auch ein Sehnerv geschädigt ist. Die Zyklodeviation lässt sich einfach mit einem OCTGerät messen, da bei der Nervenfaseranalyse der Winkel zwischen der Horizontalen und die Linie zwischen Makula und Sehnerv automatisch angegeben wird.
Fusionsblickfeld Um zu beurteilen, wie stark ein Patient mit einer Augenmuskellähmung im täglichen Leben behindert ist, untersucht man das Fusionsblickfeld. Da manche Patienten ein Auge exkludieren, empfiehlt es sich, das Binokularsehen in den verschiedenen Blickrichtungen mit Streifengläsern oder mit einem Stereotest zu überprüfen. Bei Verdacht auf Zyklotropie sollte man das Fusionsblickfeld nicht nur mit einem Fixierlicht, sondern auch mit einem horizontalen Strich ermitteln.
4.2.3 Spezielle Diagnostik
Objektive Messungen des Schielwinkels
Regeln
Fehlen die Voraussetzungen für eine subjektive Prüfung, so muss man sich auf den objektiven Befund stützen (Kap. 3.2). Dabei beurteilt man die Schielstellung in den verschiedenen Blickrichtungen, indem man über eine Taschenlampe peilt und beobachtet, ob das schielende Auge
Bei einer Parese, die nur ein Auge betrifft, erfolgt die Feststellung des gelähmten Muskels aufgrund von 2 Regeln: 1. Die Blickrichtung mit der größten Schielabweichung zeigt die Wirkungsrichtung des gelähmten Muskels an.
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Dabei ergibt sich der Vorteil, dass man an der Position des gesunden Auges feststellen kann, welchen Blickimpuls der Patient gerade einsetzt. An den Skelettmuskeln hat man diesen Vorteil nicht. So könnte ein Patient die Lähmung eines Armes vortäuschen, indem er sich bei der Prüfung dieses Armes weniger anstrengt als bei der des anderen Armes. Um die Beweglichkeit beider Augen vergleichen zu können, darf der Patient die Bilder beider Augen nicht fusionieren. Man muss daher mit einem das Binokularsehen dissoziierenden Test prüfen. Für die Diagnose einer Augenmuskellähmung genügt es in der Regel, den Schielwinkel bei Blickauslenkungen um 20° zu bestimmen. Stärkere Blickauslenkungen sind nur erforderlich, wenn das Inkomitanzverhalten im mittleren Blickfeld nicht eindeutig ist. Bei extremer Blickauslenkung können allerdings auch Gesunde eine Inkomitanz aufweisen. Eine Schielwinkelbestimmung bei Blickauslenkungen von nur 5, 10 und 15° ist dann nützlich, wenn man eine Prismenbrille oder eine Ausgleichsoperation am nichtparetischen Auge plant.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
Linksfixation (rotes Glas links) Blickhebung
Linksblick
Rechtsfixation (rotes Glas rechts) Blickhebung
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VD
HD
VD
HD
VD
HD
VD
HD
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HD
VD
C8
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0
C 14
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C 20
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C 13
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C 12
0
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+1
Rechts- Linksblick blick
Blicksenkung
Rechtsblick
4
Blicksenkung
Abb. 4.25 Parese des M. rectus lateralis rechts (Tangententafel nach Harms).
Folgende Vorzeichen sind zu unterscheiden: ● Konvergenz: C ● Divergenz: D ● rechtes über linkem Auge: + ● rechtes unter linkem Auge: –
Abduzensparese Im Beispiel der ▶ Abb. 4.25 findet sich die größte Schielabweichung bei Rechtsblick; nach der 1. Regel muss ein Rechtswender gelähmt sein. Zwischen den beiden Rechtswendern, dem rechten M. rectus lateralis und dem linken M. rectus medialis, unterscheidet man nach der 2. Regel: Da eine konvergente Abweichung vorliegt (C und nicht D), muss der rechte M. rectus lateralis betroffen sein. Der Höherstand des rechten Auges von nur 1° bei Rechtsblick ist ohne Bedeutung; er zeigt nicht etwa an, dass auch ein Vertikalmotor gelähmt ist. Bei ausgeprägter Lähmung eines Horizontalwenders findet man nämlich fast stets auch eine geringe Höhenabweichung, und zwar aus 2 Gründen: ● Zum einen ist zu bedenken, dass die Innervation der Vertikalmotoren für die freie Beweglichkeit programmiert ist. Dieses Programm, in dem zufällige Anomalien des Bänder- und Muskelapparats berücksichtigt waren, passt nicht mehr. ● Zum anderen kann eine Vertikalabweichung bei großem horizontalen Schielwinkel vorgetäuscht werden, wenn der Kopf bei der Messung versehentlich ein wenig zu einer Schulter geneigt wird.
Trochlearisparese Im Beispiel der ▶ Abb. 4.26 findet sich die größte Schielabweichung beim Blick nach links unten. Nach der 1. Regel handelt es sich um die Lähmung eines Senkers, vor allem im linken Blickfeld. Demnach kann entweder am linken Auge der M. rectus inferior oder am rechten Auge der M. obliquus superior gelähmt sein. Nach der 2. Regel zeigt das positive Vorzeichen, dass das rechte Auge höher steht als das linke. Es handelt sich also um eine Senkerlähmung des rechten Auges, und zwar des M. obliquus superior. Als weiterer Hinweis auf eine Lähmung des M. obliquus superior findet sich eine Exzyklotropie. Das rechte Auge ist auswärts verrollt, so dass horizontale Linien auf einem schrägen Netzhautmeridian abgebildet werden und dem Patienten nach links gekippt erscheinen. Am größten ist die Exzyklotropie bei Abblick. Dies liegt daran, dass die einwärts rollende Wirkung des M. obliquus superior vor allem bei Abblick fehlt.
Merke
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2. Das Vorzeichen der Schielabweichung zeigt an, ob ein Muskel des rechten oder des linken Auges gelähmt ist. Gemeint ist dabei ein Muskel mit der nach der 1. Regel ermittelten Wirkungsrichtung.
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Schnelltest zur Erkennung des gelähmten M. obliquus superior: Man zeigt dem Patienten im unteren Blickfeld einen horizontalen Stab. Diesen sieht er doppelt, und zwar so, dass die „beiden“ Stäbe einen Winkel zueinander bilden. Die Spitze des Winkels deutet wie ein Pfeil zur Seite des gelähmten M. obliquus superior.
Typisch für die Trochlearisparese ist auch eine V-Inkomitanz mit Konvergenzstellung bei Abblick, da die divergente Wirkungskomponente des M. obliquus superior fehlt. Informationen zu DD Sursoadd finden sich in Kap. Trochlearisparese.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Linksfixation (rotes Glas links)
Rechtsfixation (rotes Glas rechts)
Blickhebung
Linksblick
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C1
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0
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C1
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C1
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C2
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+13
C1
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C2
+5
Rechts- Linksblick blick
Blicksenkung
Blicksenkung R Fix
L Fix.
rechts
+12
+8
links
+1
+1
Schiefstand Rotglas links Exzyklo
Exzyklo
Exzyklo
Linksblick
Rechtsblick 4°
6°
Rechtsblick
8°
Höhenabstand bei Kopfneigung nach
Abb. 4.27 Obliquus-superior-Parese rechts nach Abscherung der Trochlea durch einen Glassplitter. Zunahme des Schielwinkels bei ipsilateraler Kopfneigung (Bielschowsky-Phänomen). Bei der spontan bevorzugten kontralateralen Kopfneigung gibt es keine Schielabweichung.
▶ Kopfneigephänomen nach Nagel und Bielschowsky. Ein weiteres Kennzeichen der Obliquus-superior-Parese ist das Kopfneigephänomen. Bei Neigung des Kopfes zur Seite des paretischen Auges verstärkt sich die vertikale Abweichung, bei Neigung zur Gegenseite nimmt sie ab (▶ Abb. 4.27). Der Patient bevorzugt deshalb eine Neigung zur Gegenseite der Parese. Nagel [58] hat das Kopfneigephänomen als erster beschrieben. Bielschowsky hat es genauer untersucht und bekannt gemacht. Das Kopfneigephänomen beruht auf einer Störung des Otolithenreflexes. Wie in Kap. Vestibuläre Kompensationsbewegung dargestellt, wirkt die Schwerkraft bei
330
geneigtem Kopf aus einer schrägen Richtung auf den Otolithenapparat. Dies löst eine Gegenrollung der Augen um die sagittale Achse aus. Bewirkt wird diese Gegenrollung beider Augen durch eine Innervationsänderung aller 8 Vertikalmotoren: 4 von ihnen werden aktiviert, und die anderen 4 werden gehemmt. Wie wirkt sich der Otolithenreflex bei einer rechtsseitigen Obliquus-superior-Parese aus? Bei Kopfneigung nach rechts sollte eigentlich der rechte M. obliquus superior aktiv werden. Ist der Muskel gelähmt, fehlt seine einwärts rollende Wirkung, aber auch seine senkende Wirkung. Daher weicht das Auge nach oben ab.
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Abb. 4.26 Parese des M. obliquus superior rechts. Die Diagnose stützt sich auf das bei Blick nach links unten zunehmende Aufwärtsschielen des rechten Auges, auf die Zunahme des Schielwinkels bei Kopfneigung nach rechts und auf die Exzyklotropie.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
▶ Kopfneigephänomen bei nichtparetischem Schielen. Auch bei nichtparetischem Schielen mit und ohne Strabismus sursoadductorius bzw. deorsoadductorius kommt ein Kopfneigephänomen vor [51]. Bei Exotropie löst eine Kopfneigung zur Seite des schielenden Auges eine Hebung, bei Esotropie eine Senkung des schielenden Auges aus.
Okulomotoriusparese In ▶ Abb. 4.28 findet sich die größte horizontale Abweichung bei Linksblick. Aufgrund des divergenten Vorzeichens lässt sich schließen, dass der rechte M. rectus medialis gelähmt ist und nicht der linke M. rectus lateralis. Die größte vertikale Abweichung besteht beim Blick nach oben. Das negative Vorzeichen zeigt eine Hebungseinschränkung des rechten (und nicht des linken) Auges an. Da das Hebungsdefizit bei Abduktion und Adduktion gleich groß ist (es beträgt jeweils 15°), muss sowohl der M. rectus superior als auch der M. obliquus inferior gelähmt sein. Beim Blick nach unten schlägt die negative Vertikaldivergenz in eine positive um. Daraus ist zu erkennen, dass auch die Senkung eingeschränkt ist. Da die positive Vertikalabweichung bei Abduktion (+ 14°) größer ist als bei Adduktion (+ 7°), muss der M. rectus inferior paretisch sein und nicht der M. obliquus superior. Bei Fixation des rechten Auges sind im linken oberen Blickfeldbereich keine Schielwinkel verzeichnet, da das Auge wegen der Lähmung die dort liegenden Blickziele nicht erreichen kann. Dass im Beispiel der ▶ Abb. 4.28 alle dem N. oculomotorius zugeordneten Muskeln gelähmt sind – nämlich der M. rectus medialis, der M. rectus superior, der M. rectus inferior und der M. obliquus inferior – lässt auf einen Schaden dieses Nervs schließen.
4.2.4 Diagnostische Bedeutung der Lähmung des III., IV. und VI. Hirnnervs Nachdem bestimmte Augenmuskeln als gelähmt identifiziert worden sind, muss entschieden werden, ob das Gesamtbild dem einer Hirnnervenläsion entspricht. Ist dies nicht der Fall, muss eine mechanische, myasthenische oder supranukleäre Lähmung in Betracht gezogen werden. In jedem Fall sollte man Ort und Art der Läsion klären.
Linksfixation (rotes Glas links) Blickhebung
Linksblick
Rechtsfixation (rotes Glas rechts) Blickhebung
HD
VD
HD
VD
HD
VD
D 26
−15
D 17
−15
D7
−15
D 27
−3
D 18
−2
D8
−1
D 28
+7
D 19
+12
D9
+14
Blicksenkung
4
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Das Ausbleiben der senkenden Wirkung des M. obliquus superior bei Kopfneigung würde nach Berechnung an einem Computermodell nur zu einer Änderung des Höhenschielens um etwa 2,8° führen [69]. Tatsächlich beträgt die Schielwinkeländerung bei Kopfneigung aber oft mehr als 10° [77]. Diese unerwartet starke Änderung des Höhenschielens kann nur dadurch erklärt werden, dass es beim Otolithenreflex zu einer abnormen Innervation in den geraden Vertikalmotoren kommt. Beobachtungen in einem Fall von Obliquus-superior-Lähmung durch Verletzung der Trochlea zeigen, dass das zentrale Nervensystem auf die Obliquus-superior-Parese adaptiv sinnvoll reagieren kann, indem es den Otolithenreflex verstärkt (erkennbar an einer vermehrten Gegenrollung des gesunden Auges) [46]. Dadurch verstärkt sich zwar der Schielwinkel bei Kopfneigung zur Seite des gelähmten Muskels, aber der Patient profitiert, da der Schielwinkel bei Kopfneigung zur gesunden Seite schneller abnimmt. So erreicht er Einfachsehen bereits mit einer geringeren Kopfneigung. Bei einer beidseitigen Trochlearisparese ist der vertikale Schielwinkel im mittleren Blickfeld und bei gerader Kopfhaltung klein oder gleich Null, und der Patient muss seinen Kopf weder zur rechten noch zur linken Schulter neigen. Eine adaptive Verstärkung des Otolithenreflexes unterbleibt daher. Entsprechend gering ist das Kopfneigephänomen [23].
HD
Rechts- Linksblick blick
VD
HD
VD
HD
VD
D 40
−4
D 16
−2
D 40
+20
D 16
+23
Rechtsblick
Blicksenkung
Abb. 4.28 Okulomotoriusparese rechts. Mit Lähmung folgender Muskeln: M. rectus medialis, M. rectus superior, M. obliquus inferior und M. rectus inferior.
331
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Häufige Grundkrankheiten der Lähmung des III., IV. und VI. Hirnnervs [68]: ● Trauma ● Tumor ● Aneurysma ● Durchblutungsstörung
Je älter der Patient und je akuter der Beginn, umso wahrscheinlicher ist eine Durchblutungsstörung, bei der man eine Spontanheilung erwarten kann.
Wenn mehrere okulomotorische Hirnnerven beider Seiten betroffen sind und eventuell auch der N. trigeminus sowie der N. facialis, sollte man bei älteren Patienten vor allem an eine Meningeosis carcinomatosa denken. Bei jüngeren Patienten ist die zerebrale Form der Polyneuroradikulitis Guillain-Barré möglich, das Miller-Fisher-Syndrom. Die multiple Sklerose kann die Augenmuskelnerven nur in ihrem Verlauf durch das Gehirn schädigen. Außerhalb des Gehirns greift die multiple Sklerose die Nerven nicht an.
Okulomotoriusparese ▶ Kerngebiet. Das Kerngebiet des N. oculomotorius wird nur selten isoliert betroffen. Allenfalls kommt dies bei einer Durchblutungsstörung vor. Bei Tumoren werden wegen der engen Nachbarschaftsbeziehung fast immer auch supranukleäre Strukturen lädiert. Bei einer einseitigen Läsion des Kerngebiets werden alle vom N. oculomotorius angesteuerten äußeren Augenmuskeln derselben Seite gelähmt, mit Ausnahme des M. rectus superior. Dieser Muskel wird weiter von der Gegenseite innerviert. Allerdings verliert der gegenseitige M. rectus superior seine Innervation. Die Kombination der gleichseitigen Lähmung des M. rectus inferior mit der gegenseitigen Lähmung des M. rectus superior führt zu einem großen vertikalen Schielwinkel. Das Kerngebiet für die Levatormuskeln liegt in der Mittellinie. Dort sind die Zellen für den rechten und linken M. levator palpebrae durchmischt. Dies erklärt, dass eine Ptosis an beiden Augen zu sehen ist, auch wenn die Läsion nur eine Seite des Okulomotoriuskerngebiets betrifft.
H ●
Merke
Da die Okulomotoriuskerne beider Seiten sehr dicht beieinander liegen, nicht aber die Nerven, sprechen beidseitige Lähmungen für eine Läsion des Kerngebiets und einseitige für eine Läsion des Nervs.
▶ Verlauf durch das Mittelhirn. In ihrem Verlauf durch das Mittelhirn werden zuweilen nur die den äußeren Augenmuskeln zugeordneten Fasern des N. oculomotorius von einer Läsion betroffen, während die Pupillenreaktion intakt bleibt [47], [85]. Die Lähmung kann sogar auf nur einen Muskel beschränkt sein, z. B. auf den M. obliquus inferior [11]. Der N. oculomotorius läuft durch das Mittelhirn an Strukturen vorbei, die häufig durch denselben Krankheitsprozess mitgeschädigt werden. Dadurch kann es zu den in ▶ Tab. 4.8 genannten Syndromen kommen. ▶ Subarachnoidalraum. Durch den Subarachnoidalraum verläuft der N. oculomotorius in unmittelbarer Nähe der A. communicans posterior. An diesem Gefäß liegen bei ca. 5 % aller Menschen Aneurysmen. In der Regel bereiten diese Aneurysmen kein Problem [33]. Wenn jedoch plötzlich eine Okulomotoriuslähmung auftritt, muss an ein Aneurysma an der A. communicans posterior gedacht werden, das sich vergrößert hat und zu platzen droht (Aneurysmablutung). Einem solchen lebensbedrohenden Ereignis muss man mit einer (in der Regel endovasalen) Operation zuvorkommen. Bislang galt die Regel, dass bei einer Okulomotoriusparese, die durch Druck eines Aneurysmas auf den Nerv verursacht wird, so gut wie immer auch der Sphincter pupillae gelähmt ist. Bei den Okulomotoriusparesen, die auf einer Durchblutungsstörung des Nervs beruhen, bleibt die Pupillenfunktion intakt. Nun hat jedoch eine Studie des Rochester Epidemiology Projects mit 145 kürzlich aufgetretenen Okulomotoriusparesen ergeben, dass das Pupillenkriterium nicht scharf genug zwischen lebensbedrohlichen Aneurysmen und den meist spontan ausheilenden mikrovaskulären Läsionen trennt [18]. Unter 145 Okulomotoriusparesen gab es 9, die durch ein Aneurysma veranlasst worden waren und außer Kopfschmerzen keine anderen Ausfallzeichen aufwiesen. Von
Tab. 4.8 Mittelhirnsyndrome bei Okulomotoriusparese.
332
Name des Syndroms
Geschädigte Struktur
Nothnagel-Syndrom
Brachium conjunctivum
Neurologisches Zeichen ipsilaterale zerebelläre Ataxie
Benedikt-Syndrom
Nucleus ruber
kontralaterale Ataxie mit Intentionstremor
Weber-Syndrom
Hirnschenkel (Pyramidenbahn)
kontralaterale Halbseitenlähmung
Klivuskanten-Syndrom
Tumor oder Blutung quetscht einen Teil des Temporallappens in den Tentoriumschlitz. Dadurch wird der N. III komprimiert.
Koma, Pupillenerweiterung auf der Seite der Raumforderung
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H ●
Merke
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
4
Abb. 4.29 Fehlregeneration nach Okulomotoriusparese links. Das Oberlid bleibt bei Abblick zurück.
Merke
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diesen 9 Patienten zeigten immerhin 3 eine normale Pupillenfunktion. Auf der anderen Seite war bei 58 Okulomotoriusparesen mikrovaskulärer Ursache die Pupillenfunktion in 10 Fällen gestört. Auch das Vorhandensein von Kopfschmerzen ergab keine klare Trennung zwischen Aneurysma und mikrovaskulärer Läsion. Daraus folgt eine neue Regel (s. u.).
H ●
Regel: Bei jeder frisch aufgetretenen Okulomotoriusparese sollte umgehend eine bildgebende Diagnostik zum Ausschluss eines Aneurysmas durchgeführt werden.
Bei einer reinen Pupillen- und Akkommodationslähmung mit intakten Augenbewegungen ist ein Aneurysma unwahrscheinlich. Bei einseitiger Lähmung des Sphincter pupillae und der Akkommodation handelt es sich in der Regel um eine Läsion des Ganglion ciliare, die später in eine Pupillotonie übergeht (Kap. Pupillotonie). Bei beidseitiger Lähmung ist vor allem an Botulismus zu denken. Unbeabsichtigtes oder beabsichtigtes Einbringen von Atropin oder anderer Parasympatholytika durch den Patienten muss sowohl bei der einseitigen als auch bei der beidseitigen Pupillenlähmung mithilfe des Pilocarpintests ausgeschlossen werden (Kap. Blockade des Sphincter pupillae). Vor Einführung der MRT hatte die Pupillenerweiterung beim Klivuskanten-Syndrom eine große Bedeutung, weil sie die Seite der Raumforderung anzeigte. Heute kann man die Raumforderung mithilfe der MRT genau lokalisieren.
Abb. 4.30 Fehlregeneration nach Okulomotoriusparese links. Lidretraktion bei Adduktion.
▶ Fehlregeneration. Eine Fehlregeneration des N. oculomotorius erkennt man am leichtesten am Oberlid. Sind Nervenfasern in den M. levator palpebrae ausgewachsen, die eigentlich dem M. rectus inferior zugehörten, wird der Lidheber beim Blick nach unten nicht entspannt, sondern aktiviert. Die Lidspalte ist bei Abblick weiter als auf der gesunden Seite (▶ Abb. 4.29). Eine Fehlinnervation des Lidhebers durch Medialisneurone zeigt sich an einer Erweiterung der Lidspalte bei intendierter Adduktion (▶ Abb. 4.30). Sprießen Nervenfasern in den M. rectus medialis ein, die eigentlich in einen Vertikalmotor gehören, kann der M. rectus medialis bei Abduktion nicht vollständig gehemmt werden. Die Folge ist eine Einschränkung der Ab-
333
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
▶ Prognose. Bei einer Durchblutungsstörung des N. oculomotorius ist eine vollständige Heilung innerhalb von 2– 3 Monaten zu erwarten. Der Grund ist, dass die SchwannZellen als Leitschiene erhalten bleiben. Die Schwann-Zellen verhindern auch eine Fehlregeneration. Gering ist die Heilungschance, wenn die Okulomotoriuslähmung durch ein Aneurysma, durch Tumordruck oder durch ein Trauma entstanden ist. In diesen Fällen ist eine Fehlregeneration die Regel. Eine einmal eingetretene Fehlregeneration verschwindet nicht. Dies zu wissen, ist wichtig, um den Patienten angemessen zu beraten. So darf man z. B. keine vollständige Heilung in Aussicht stellen, wenn sich das Oberlid bei Abblick hebt. ▶ Okulomotoriusparese mit zyklischen Spasmen. Werden die gelähmten Muskeln in regelmäßigen Abständen von einem Spasmus befallen, handelt es sich um eine Okulomotoriusparese mit zyklischen Spasmen. Von zyklischen Spasmen spricht man, da der Spasmus regelmäßig etwa alle 120 Sekunden auftritt. Jede Spasmusphase dauert etwa 20 Sekunden. Zyklische Spasmen entwickeln sich fast nur bei angeborener oder in früher Kindheit erworbener Okulomotoriusparese. Wahrscheinlich werden die zyklischen Spasmen von Neuronen erzeugt, die aufgrund einer Teilschädigung von ihrem supranukleären Anschluss abgekoppelt wurden [45], [49]. Diese Neurone gehorchen dann nicht mehr den Blickimpulsen, sondern feuern in einem eigenständigen Rhythmus. ▶ Neuromyotonie. Bei der seltenen Neuromyotonie handelt es sich um nichtzyklische, unregelmäßig auftretende Spasmen der vom III., IV. oder VI. Hirnnerv versorgten Muskeln. Nach einer Kontraktion entspannen sich die Augenmuskeln nur verzögert. Im Intervall kann die Augen-
334
beweglichkeit völlig normal sein. Zugrunde liegt meist ein Tumor im Bereich des Sinus cavernosus, der bestrahlt wurde. Als Therapie kommt das Antiepileptikum Carbamazepin in Betracht.
Trochlearisparese Der N. trochlearis verläuft nur eine kurze Strecke durch Hirngewebe. Er ist der einzige vollständig kreuzende Hirnnerv. Die Kreuzungsstelle liegt unterhalb der Vierhügelplatte. Hier sind die beiden Trochlearisnerven bei Kopfprellung durch den scharfen Rand des Tentoriumschlitzes besonders gefährdet. Dies erklärt, warum der einseitigen Trochlearisparese oft, der beidseitigen fast immer eine Kopfprellung zugrundeliegt. Wenn die beiden Mm. obliqui superiores in gleichem Ausmaß gelähmt sind, kann eine vertikale Schielabweichung im mittleren Blickfeld fehlen und nur bei Blick nach rechts und links hervortreten. Trotzdem sehen die Patienten auch im mittleren Blickfeld doppelt, da sich der Ausfall der inzykloduzierenden Wirkung beider M. obliqui superiores zu einer erheblichen Exzyklotropie addiert, die im Abblick 25° erreichen kann. Auch die für die Obliquus-superior-Parese typische V-Inkomitanz addiert sich bei beidseitiger Lähmung und führt bei Abblick zu einer störenden Esotropie.
Merke
H ●
Bei einer beidseitigen Trochlearisparese ist die Vertikaldeviation kleiner, die Zyklodeviation und die V-Inkomitanz aber größer als bei einer einseitigen Trochlearisparese.
Bei einer traumatischen Lähmung des M. obliquus superior sollte man nicht nur eine Schädigung des IV. Hirnnervs in Betracht ziehen, sondern auch an die Möglichkeit denken, dass die Trochlea verletzt wurde. Oft lässt sich eine entsprechende Narbe sehen oder ertasten. Nach Verletzung der Trochlea ist häufig nicht nur die Senkung, sondern auch die Hebung in Adduktion behindert. Wie in Kap. 4.1 dargelegt, wird diese Hebungsstörung als Jaensch-Syndrom bezeichnet [34]. Von dem erworbenen Jaensch-Syndrom ist das angeborene Brown-Syndrom [10] zu unterscheiden, bei dem die Hebungseinschränkung in Adduktion ebenfalls dadurch bedingt ist, dass der Bulbus von der Sehne des M. obliquus superior festgehalten wird. In einem Teil der Fälle beruht das Brown-Syndrom darauf, dass der N. trochlearis nicht angelegt ist und der M. obliquus superior durch Äste des N. oculomotorius fehlinnerviert wird [35], [40], [60], [63]. Mühlendyck fand in manchen Fällen beim Brown-Syndrom einen Strang im hinteren Teil der Sehne des M. obliquus superior zwischen Trochlea und Bulbus [57]. Nach Entfernung dieses Stranges besserte sich die Beweglichkeit des Auges, so dass eine zusätzliche oder
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duktion. Dies darf nicht mit dem Hinzutreten einer Abduzensparese verwechselt werden. Nervenfasern, die eigentlich zur extraokularen Muskulatur gehören, können auch in den Sphincter pupillae einwachsen. Dann kontrahieren einzelne Sektoren der Pupille, wenn der Patient in bestimmte Richtungen blickt. Um dies festzustellen, muss man an der Spaltlampe genau beobachten. Auch der M. ciliaris kann von einer Fehlregeneration betroffen sein. Wenn Medialisfasern, die fälschlicherweise in den M. ciliaris eingesprosst sind, beim Seitblick aktiviert werden, kann es durch Kontraktion des M. ciliaris zu einer Myopisierung kommen [27]. Eine primäre Fehlregeneration liegt vor, wenn zuvor keine Parese festzustellen war. Häufigste Ursache ist ein Meningiom [71], das zwar durch Wachstumsdruck immer wieder einige Nervenfasern unterbricht, zwischenzeitlich aber genügend Platz lässt, um die Nervenfasern auswachsen zu lassen. Differenzialdiagnostisch kommt auch ein Schwannom des III. Hirnnervs infrage.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
Obliquus-superior-Myokymie Bei der Obliquus-superior-Myokymie zittert ein Auge in unregelmäßigen Abständen. Das Zittern hat eine exzyklorotatorische und eine senkende Komponente. Es kommt durch eine unkontrollierte Aktivität einzelner Fasern des N. trochlearis zustande [30], [43]. Der Patient ist durch Oszillopsie gestört, und er spürt die Bewegung in der Augenhöhle. Das Zittern ist so fein, dass es meist nur an der Spaltlampe zu sehen ist. Es lässt sich durch Abblick provozieren und durch Aufblick hemmen. Solange das Auge im Abblick verharrt, kann der Untersucher das Zittern
des Auges zwar oft nicht erkennen, da es in der Aktivität der vielen normal innervierten Muskelfasern untergeht. Wenn man den Patienten aber nach einigen Sekunden Abblick geradeaus schauen lässt, sind die betroffenen Fasern durch die vorangegangene Blicksenkung noch erregt und man hat dann eine gute Chance, das Zittern zu sehen. Im Intervall ist der Befund in den meisten Fällen normal. Nur einzelne Patienten weisen eine leichte Trochlearisparese auf, und nur selten ist eine Parese vorausgegangen. Die Obliquus-superior-Myokymie wird wahrscheinlich durch Druck der A. cerebri posterior auf den N. trochlearis hervorgerufen [93]. Eine schwerwiegende Erkrankung liegt meist nicht zugrunde.
4
▶ Prognose und Therapie. In vielen Fällen verschwindet die Obliquus-superior-Myokymie spontan. Bei erheblichen Beschwerden kann das membranstabilisierende Carbamazepin versucht werden [91]. Auch von den Betarezeptorenblockern Propranolol, Gabapentin, Betaxolol und Memantin wurde eine günstige Wirkung beschrieben. Eine Exzision der Sehne des M. obliquus superior ist zu erwägen, wenn die Myokymie über Monate angehalten hat und den Patienten sehr stört [1]. Natürlich kommt es durch die Entfernung der Sehne zu einem Lähmungsbild, das aber durch Rücklagerung des gleichseitigen M. obliquus inferior und des gegenseitigen M. rectus inferior meist befriedigend ausgeglichen werden kann. Exzision nur eines Teiles oder Rücklagerung der Sehne beseitigt die Myokymie nicht. In Betracht kommt auch eine neurochirurgische Dekompression des N. trochlearis [25], [70]. Die Wirksamkeit dieser Operation stützt die Annahme, dass die Obliquus-superior-Myokymie durch Druck auf den Nerv hervorgerufen wird.
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alleinige mechanische Ursache angenommen werden konnte. Eine spontan auftretende, isolierte Trochlearisparese ist fast nie Anzeichen eines Tumors oder Aneurysmas [6], [48], [59]. Ursache ist meist eine auf den N. trochlearis begrenzte Durchblutungsstörung, die innerhalb von 3 Monaten ausheilt. Die meisten Autoren sind der Meinung, dass man auf eine neuroradiologische Untersuchung verzichten kann, es sei denn, die erwartete Heilung bleibt aus [89]. Von der erworbenen Trochlearisparese ist der anlagebedingte Strabismus sursoadductorius nicht leicht zu unterscheiden (siehe Kap. 2.1, Kap. 2.2), der auch als angeborene Trochlearisparese bezeichnet wird, da er der erworbenen Trochlearisparese ähnelt. Die Vertikalabweichung nimmt bei Adduktion des betroffenen Auges und bei Kopfneigung zur Seite des betroffenen Auges zu. Es fehlt aber die Zunahme der Vertikalabweichung bei Abblick, also die für die Lähmung charakteristische Inkomitanz. Wenn man in Lokalanästhesie operiert, kann man den Patienten auffordern, nach unten zu blicken, und direkt beobachten, dass der M. obliquus superior funktioniert und an seiner Sehne zieht [78]. Allerdings sind auch Patienten mit anlagebedingtem Strabismus sursoadductorius und gleichem Vertikalwinkel bei Auf- und Abblick bekannt geworden, deren M. obliquus superior sich im Kernspintomogramm als dünn erwies oder überhaupt nicht vorhanden war [20]. Anscheinend ist das Zentralnervensystem in der Lage, vertikale Konkomitanz auch ohne den M. obliquus superior zu erreichen, und zwar durch veränderte Innervation der verbliebenen Muskeln. Von praktischer Bedeutung ist dies, weil man bei Strabismus sursoadductorius mit vertikaler Konkomitanz nicht sicher erwarten kann, dass der M. obliquus superior für eine korrigierende Operation zur Verfügung steht. Wie in Kap. 1.2.2 beschrieben, wird die Richtung, in der die Augenmuskeln ziehen, von Bindegewebsstrukturen bestimmt, in welche die Augenmuskeln eingepackt sind. MRT-Untersuchungen legen nahe, dass Lageänderungen dieser Bindegewebsstrukturen zu dem für eine Obliquussuperior-Lähmung typischen Inkomitanzmuster beitragen können [66], [80].
Abduzensparese Die Fasern des N. abducens entspringen im gleichseitigen Abduzenskern. Da im mittleren Anteil des Abduzenskerngebiets auch die Zellen der internukleären Neurone liegen, die über den kontralateralen Fasciculus longitudinalis medialis in das Okulomotorius-Kerngebiet projizieren und dort den Subnukleus des M. rectus medialis ansteuern (Kap. 1.2.4), ergeben sich folgende Regeln für die Diagnostik (s. u.).
Merke ●
●
H ●
Eine Läsion des Abduzenskerngebiets ruft eine ipsilaterale Blicklähmung hervor. Eine isolierte Abduzenslähmung kann nicht Folge einer Kernläsion sein.
335
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Eine Kombination von Lähmungen des III. und VI. Hirnnervs ist in der Regel leicht zu diagnostizieren. Schwieriger zu entscheiden ist, ob außer einer Okulomotoriuslähmung auch eine Trochlearislähmung vorliegt. Man muss dabei bedenken, dass das Auge wegen der Okulomotoriusparese in Abduktion steht, so dass der M. obliquus superior nicht senken, wohl aber inzykloduzieren kann. Um diese Funktion zu prüfen, lässt man den Patienten mit dem frei beweglichen Auge von oben nach unten blicken und beobachtet am motilitätsgestörten Auge die nasalen Bindehautgefäße. Bewegen sie sich nach unten, wird das Auge also inzykloduziert, so funktioniert der M. obliquus superior (▶ Abb. 4.31). Fehlt die Inzykloduktion, ist er gelähmt. Sind mindestens 2 der 3 für die Augenmuskeln zuständigen Hirnnerven einer Seite betroffen, handelt es sich meist um ein Sinus-cavernosus-Syndrom. Nicht selten
336
Abb. 4.31 Linksseitige Okulomotoriusparese. Die Funktion des N. trochlearis zeigt sich an einer Abwärtsbewegung der nasalen Bindehautgefäße = Inzykloduktion bei Abblick.
ist dabei auch die Sensibilität des vom N. trigeminus innervierten Bereichs gestört, vor allem die des 1. Astes. Beim Sinus-cavernosus-Syndrom muss zwischen einem Tumor und dem entzündlichen Tolosa-Hunt-Syndrom, einer Variante des Pseudotumor orbitae, unterschieden werden. Wegweisend sind die neuroradiologischen Befunde und der Verlauf. Eine rasche Besserung bei Gabe von Kortikosteroiden ist für das Tolosa-Hunt-Syndrom typisch, kommt allerdings gelegentlich auch bei einem Tumor vor [39].
4.2.5 Angeborene Fehlinnervationen Bei der Entwicklung des okulomotorischen Apparats müssen mehrere Vorgänge zeitlich aufeinander abgestimmt sein, nämlich: ● Aufbau der okulomotorischen Kerne ● axonale Aussprossung entlang der Hirnnerven (gelenkt durch Leitmoleküle) ● Ausreifung der Augenmuskeln Wenn diese Vorgänge nicht genau ineinandergreifen, kommt es zu angeborenen Fehlinnervationen (Congenital Cranial Dysinnervation Disorders = CCDD). Auch das im Kap. 4.1 beschriebene Fibrosesyndrom beruht auf einer angeborenen Fehlinnervation. Als Ursache der CCDD wurde in vielen Fällen eine genetische Mutation entdeckt. Zwei der Syndrome, das Retraktionssyndrom und das Möbius-Syndrom, werden anschließend detailliert dargestellt.
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Bei der Abduzenslähmung kommen viele Ursachen in Betracht, z. B. Trauma oder Tumor [48] (S. 591). Zur Abklärung sollte eine Kernspintomografie veranlasst werden [89]. Die Chance einer vollständigen Heilung ist bei der Abduzenslähmung größer als bei der Okulomotoriuslähmung, da eine Fehlregeneration nicht zu befürchten ist. Bei doppelseitiger Abduzensparese kann die Esotropie weitgehend konkomitant sein, wobei der Schielwinkel in der Ferne größer ist als in der Nähe. Wenn außer einer Fern-Esotropie auch Folgebewegungen nicht glatt ablaufen oder die Blicksprünge nicht zielsicher sind, kann ein Kleinhirnschaden die Ursache sein [32], [92]. Bei alten Menschen kann eine kleinwinklige Esotropie oder Vertikalschielstellung durch Erschlaffung orbitaler Bindegewebe entstehen [13]. Bei Abduzensparese mit großem horizontalen Schielwinkel findet man häufig eine kleine vertikale Abweichung. Diese bedeutet nur selten, dass zusätzlich ein Vertikalmotor gelähmt ist. Folgende Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen: ● Die Vertikalabweichung kann vorgetäuscht sein, wenn der Patient an der Tangententafel den Kopf nicht gerade hält. ● Beim Gesunden ist die Kraft der 8 Vertikalmotoren so gut austariert, dass eine vertikale Schielstellung weder im mittleren Blickfeld noch im Seitblick entsteht. Bei Abduzensparese mit entsprechender Esotropie kann es sein, dass die für das Nichtschielen austarierte Balance nicht mehr passt. ● Kombinationslähmungen der Hirnnerven III, IV und VI ● Eine MRT-Studie deutet darauf hin, dass die oberen Faserbündel des M. rectus lateralis isoliert von einer Lähmung betroffen sein können [14]. Ob dies zu einer vertikalen Schielkomponente führen kann, ist allerdings fraglich, denn die mechanische Bindung zwischen den oberen und unteren Faserbündeln ist ziemlich fest [65].
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
Retraktionssyndrom (Stilling-Türk-Duane) Dem Retraktionssyndrom liegt ein angeborener Defekt des N. abducens zugrunde [29]. Die Ursache ist in den meisten Fällen unklar. Vererbt wird das Retraktionssyndrom nur selten [17]. Umweltfaktoren können eine Rolle spielen. So wurde z. B. beschrieben, dass das Retraktionssyndrom auftrat, nachdem die Mutter in der Schwangerschaft Thalidomid eingenommen hatte [54].
Merke
H ●
4
Kardinalzeichen des Retraktionssyndroms: ● Einschränkung der Abduktion und der Adduktion ● Retraktion des Bulbus bei intendierter Adduktion ● kleiner Schielwinkel im mittleren Blickfeld
▶ Pathogenese. Im Embryonalstadium wachsen normalerweise in jeden Muskel nur die für ihn bestimmten Nervenfasern ein. Fehlt der N. abducens mehr oder weniger vollständig, akzeptiert der M. rectus lateralis auch Okulomotoriusfasern. Als Resultat weist der M. rectus lateralis verschiedene Bereiche auf [67]: ● einen normal innervierten Bereich, wenn der N. abducens teilweise erhalten geblieben ist ● einen vom N. oculomotorius fehlinnervierten Bereich ● einen gar nicht innervierten und daher fibrotisch umgewandelten Bereich Da der Anteil dieser 3 Bereiche verschieden groß ist, ergibt sich eine unterschiedliche Ausprägung des Retraktionssyndroms. Die Variationsbreite wird noch dadurch vergrößert, dass die Fehlinnervation von unterschiedlichen Anteilen des N. oculomotorius stammen kann. Am häufigsten sind es Nervenfasern, die eigentlich den M. rectus medialis hätten erreichen sollen. Dann entstehen die oben aufgeführten 3 Kardinalzeichen. Nicht selten findet sich beim Retraktionssyndrom aber auch eine A- oder V-Inkomitanz. Dies kann daran liegen, dass in den M. rectus lateralis Nervenfasern eingewachsen sind, die eigentlich in den M. rectus inferior bzw. superior gehören. Weiterhin hängt die Ausprägung des Retraktionssyndroms davon ab, ob nieder- oder hochschwellige Nervenfasern (Kap. 1.2.2) eingewachsen sind. Wegen der großen Bandbreite und der fließenden Übergänge ist eine Einteilung des Retraktionssyndroms in bestimmte Typen etwas willkürlich. Dennoch sei hier die in der Literatur vielfach zitierte Einteilung von Huber wiedergegeben [31].
Abb. 4.32 Angeborenes Retraktionssyndrom links, Typ I.
▶ Retraktionssyndrom Typ I. Dieser Typ kommt am häufigsten vor. Kennzeichnend ist eine ausgeprägte Einschränkung der Abduktion und eine geringe Einschränkung der Adduktion. Im Beispiel der ▶ Abb. 4.32 kann das linke Auge nicht über die Mittellinie abduziert werden. Ursache ist, dass sich der M. rectus lateralis nicht verkürzt. Vielmehr erschlafft er entsprechend seiner Innervation durch Medialisfasern. Durch gleichzeitige Erschlaffung des M. rectus medialis tritt der Bulbus nach vorn und spreizt die Lider auseinander. In der Mitte des Blickfelds besteht nur eine geringe Esotropie, und bei 17° Rechtsblick stehen die Augen parallel, was eine Gesichtswendung nach links von 17° erzwingt. Bei stärkerer Blickwendung nach rechts ergibt sich ein Adduktionsdefizit, weil der M. rectus lateralis nicht locker lässt, sondern wegen seiner Fehlinnervation durch Medialisneurone angespannt wird. Weil sich zwei Antagonisten kontrahieren, wird der Bulbus nach hinten gezogen. Dies führt dazu, dass die Lider weniger gespreizt werden und die Lidspalte enger wird.
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Das Retraktionssyndrom betrifft in der Regel nur ein Auge. Meist ist es das linke. Den Grund für diese Seitenbevorzugung kennt man noch nicht.
▶ Retraktionssyndrom Typ II. Kennzeichnend ist eine geringe Einschränkung der Abduktion und eine ausgeprägte Einschränkung der Adduktion. Im Beispiel der ▶ Abb. 4.33 ist die Abduktionseinschränkung des linken Auges nur gering, da der M. rectus lateralis einen Anteil mit normaler Innervation durch Abduzensfasern aufweist. In der Mitte des Blickfelds besteht eine Exotropie, da der M. rectus lateralis nicht locker lassen kann. Dafür sind zwei Gründe maßgebend: Erstens ist ein Teil des M. rectus lateralis von Okulomotoriusfasern fehlinnerviert und zweitens ist ein anderer Teil des Muskels überhaupt nicht innerviert und daher fibrotisch. Die Adduktion des linken Auges ist erheblich eingeschränkt, und es kommt zu einer deutlichen Retraktion. Hochschwellige Medialisfasern innervieren einen Teil des M. rectus lateralis und
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Abb. 4.33 Angeborenes Retraktionssyndrom links, Typ II.
▶ Retraktionssyndrom Typ III. Kennzeichnend ist eine ausgeprägte Einschränkung sowohl der Abduktion als auch der Adduktion. Dies beruht darauf, dass der M. rectus lateralis die gleiche Innervation erhält wie der M. rectus medialis. Daher werden beide Muskeln bei intendierter Adduktion aktiviert und bei intendierter Abduktion gehemmt. Der Bulbus bewegt sich nur in sagittaler Richtung: bei intendierter Adduktion wird er retrahiert und bei intendierter Abduktion gelangt er nach vorn. In seltenen Fällen kann die Innervation des M. rectus lateralis bei intendierter Adduktion sogar stärker sein als die des M. rectus medialis, so dass eine paradoxe Abduktion zustande kommt [55], [90]. ▶ Vertikalabweichung in Adduktion. Beim Retraktionssyndrom, gleich welchen Typs, kommt es nicht selten bei Auf- und Abblick und intendierter Adduktion zu einer zu starken Hebung und/oder Senkung des betroffenen Auges (▶ Abb. 4.34). Dies erklärt sich wahrscheinlich wie folgt [36], [75]: Bei intendierter Adduktion (und erhöhter Innervation nicht nur des M. rectus medialis, sondern auch des M. rectus lateralis) wird die Spannung in den beiden Horizontalmotoren so hoch, dass die Bindegewebe nicht mehr imstande sind, die Muskeln in der horizontalen Ebene des Bulbus zu halten. Bei Aufblick rutschen die Horizontalmotoren im Bereich des Äquators nach oben ab. Dadurch erhalten die Horizontalmotoren ein hebendes Drehmoment. Bei Abblick rutschen sie nach unten ab. Dadurch erhalten die Horizontalmotoren ein senkendes Drehmoment.
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Abb. 4.34 Angeborenes Retraktionssyndrom links, Typ II. Bei Blick nach rechts oben rutschen die Horizontalmotoren vom 0°Meridian des Bulbus nach oben ab und erhalten dadurch eine hebende Wirkungskomponente.
Die Vertikalabweichung bei intendierter Adduktion zeigt sich nur, wenn die Patienten bei einer Untersuchung zu einer starken Adduktion genötigt werden. Spontan meiden die Patienten die entsprechende Blickrichtung, da die Augen dabei in eine Schielstellung geraten, so dass das Binokularsehen verloren geht. ▶ V-, A- und X-Inkomitanz. Nicht selten sieht man beim Retraktionssyndrom eine Änderung des horizontalen Schielwinkels bei Auf- und Abblick [31], [64]. Als Ursache kommt in Frage, dass der M. rectus lateralis nicht nur von Medialisfasern innerviert wird, sondern auch von Rectussuperior- und/oder Rectus-inferior-Fasern. Für diese Deutung sprechen EMG- und Kernspin-Befunde [16], [31]. Ausnahmsweise kommt eine mechanische Erklärung in Betracht, und zwar durch einen am hinteren Bulbuspol ansetzenden M. retractor bulbi, der normalerweise nur bei Hunden und Schafen vorkommt [56].
Angeborene okulofaziale Parese (Möbius-Syndrom) Beim Möbius-Syndrom ist eine beidseitige horizontale Blicklähmung – seltener nur eine beidseitige Abduzenslähmung – mit einer beidseitigen Fazialislähmung kombiniert. Auch die vertikalen Augenbewegungen können beeinträchtigt sein.
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führen zu einer Verkürzung dieses Muskels. Bei 10° Linksblick erreicht der Patient parallele Augenstellung. Dem entspricht die Kopfzwangshaltung.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
4.2.6 Störung der neuromuskulären Übertragung Um die Myasthenia gravis und andere Störungen der neuromuskulären Übertragung verständlich zu machen, seien einige physiologische Bemerkungen vorangeschickt (▶ Abb. 4.35). Acetylcholin ist der Transmitter, mit dem die Erregung vom Nerv auf den Muskel übertragen wird. Vorrätig gehalten wird das Acetylcholin in kleinen Vesikeln, die in das Ende einer jeden Nervenfaser eingelagert sind. Mit jedem Aktionspotenzial, das an der Nervenfaserendigung eintrifft, schütten die Vesikel ihr Acetylcholin in den synaptischen Spalt aus. Von dort gelangt das Acetylcholin an Rezeptoren auf der Muskelfaser. Gegenüber einer jeden Nervenendigung befinden sich auf der Muskelfaser etwa 30–40 Millionen Acetylcholin-Rezeptoren. Sobald sich ein Acetylcholin-Molekül an einen Rezeptor bindet, depolarisiert sich die Membran der Muskelfaser an dieser Stelle. Wenn dies an einer ausreichenden Zahl von Rezeptoren geschieht, kontrahiert sich die Muskelfaser. Die neuromuskuläre Übertragung dauert nur wenige Millisekunden.
Myasthenia gravis Die Myasthenia gravis beruht auf einer Zerstörung von Acetylcholin-Rezeptoren. Ursache der Zerstörung ist ein Autoimmunprozess. Es gibt auch Antikörper, welche die
Nervenendigung
ACh
ACh
▶ Okuläre Manifestation
Merke
4
H ●
Typische Zeichen der okulären Myasthenie: ● Beschränkung der Lähmung auf die äußeren Augenmuskeln (die Pupillenreaktion bleibt intakt) ● Lähmungsmuster, das nicht dem III., IV. oder VI. Hirnnerv zugeordnet werden kann ● Beidseitigkeit ● Wechselhaftigkeit ● Ermüdung bei anhaltender Beanspruchung
ACh
ACh ACh
Acetylcholin-Rezeptoren zwar nicht zerstören, aber so blockieren, dass die Aktionspotenziale der Nervenendigung nicht auf die Muskelzelle übertragen werden können [73]. Für den Autoimmunprozess spielt der Thymus eine wichtige Rolle. Hier gibt es Neurofilamente, welche die gleichen Oberflächenstrukturen besitzen wie die Acetylcholin-Rezeptoren. Gegen diese Oberflächenstrukturen werden Antikörper gebildet, die dann sekundär auch die auf den Muskelzellen sitzenden Acetylcholin-Rezeptoren angreifen. Dieser Mechanismus erklärt die günstige Wirkung der Thymektomie. Die Myasthenie kann in jedem Lebensalter auftreten, auch schon bei Säuglingen [50]. Aus noch ungeklärten Gründen werden der Lidheber, die geraden und schrägen Augenmuskeln sowie der M. orbicularis oculi von der Myasthenie besonders früh und ausgeprägt betroffen. Bleiben die Krankheitserscheinungen über 1–2 Jahre auf die Augen beschränkt, ist ein Befall der Skelettmuskeln kaum noch zu befürchten. In 50– 80 % der Fälle werden jedoch im Laufe der Zeit auch Muskeln des übrigen Körpers befallen. Bei einer Lähmung der Schlundmuskulatur kann die Myasthenie lebensbedrohlich werden, vor allem durch Verschlucken und nachfolgende Lungenentzündung. Etwa 20 % der Patienten erleben eine spontane Besserung. Rückfälle können aber noch nach Jahren auftreten.
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Das Möbius-Syndrom tritt meist sporadisch auf. Eine familiäre Häufung wurde aber beschrieben. Nur in wenigen Fällen ist es gelungen, den verantwortlichen Gendefekt zu identifizieren [48] (S. 591).
ACh
ACh
ACh Muskelfaser
Abb. 4.35 Synapse zwischen Nervenendigung und Muskelfaser bei Myasthenie. Mit dem Eintreffen jedes Aktionspotenzials werden Acetylcholin-Moleküle (ACh) aus der Nervenendigung in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Gelangen die Acetylcholin-Moleküle an eine ausreichend große Zahl intakter Rezeptoren der Muskelfaser, wird eine Kontraktion ausgelöst. Bei der Myasthenie ist ein Teil der Acetylcholin-Rezeptoren zerstört (ausgekreuzt).
Selten ist die myasthenische Parese auf einen einzigen Augenmuskel begrenzt. Wenn kontralaterale Antagonisten betroffen sind, kann ein nichtparetisches Schielen bzw. eine Heterophorie vorgetäuscht werden, So liegt z. B. bei einer Lähmung beider Mm. recti laterales die Fehldiagnose einer Esophorie nahe. Typisch für Myasthenie ist, wenn eine Augenbewegungsstörung mit einer Schwäche des Lidschlusses einhergeht, die am Wimpernzeichen zu erkennen ist: Selbst bei kräftigem Zukneifen der Lider gelingt es dem Patienten nicht, die Wimpern so weit einzuziehen, dass sie fast unsichtbar werden. Differenzialdiagnostisch kommt bei der Kombination einer Augenbewegungsstörung mit schwachem Lidschluss
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
▶ Ermüdbarkeit. Für die myasthenische Parese ist eine Verschlimmerung bei anhaltender Belastung typisch. Dies lässt sich wie folgt erklären: Beim Eintreffen der ersten Aktionspotenziale schüttet die Nervenendigung im Überschuss so viel Acetylcholin aus, dass etwa 4-mal so viele Rezeptoren erregt werden, wie sie zur neuromuskulären Übertragung notwendig sind. Beim Eintreffen weiterer Aktionspotenziale an der Nervenendigung nimmt die Ausschüttung von Acetylcholin allmählich ab. Normalerweise reicht die ausgeschüttete Menge aus, um eine genügende Zahl von Rezeptoren zu aktivieren. Anders bei der Myasthenie. Nur mit dem anfänglichen Überschuss von Acetylcholin werden noch alle verbliebenen Acetylcholin-Rezeptoren erregt. Nimmt die Ausschüttung von Acetylcholin dann ab, wird die Wahrscheinlichkeit immer geringer, dass alle noch funktionstüchtigen Rezeptoren von den herumschwimmenden Acetylcholin-Molekülen gefunden werden. Am M. levator palpebrae wird die Ermüdbarkeit als Ptosis besonders deutlich. Bei manchen Patienten entwickelt sich die Ptosis erst nach einigen Stunden des Wachseins. Bei anderen lässt sich eine Ermüdbarkeit bereits innerhalb weniger Minuten nachweisen, indem man den Simpson-Test durchführt [79]: Man lässt den Patienten anhaltend weit nach oben blicken. Sinkt dabei das Oberlid allmählich ab, so ist die Diagnose einer Myasthenie nahezu sicher (▶ Abb. 4.36). Es gibt auch Patienten, deren Lidheber bereits innerhalb weniger Millisekunden ermüdet. Dies zeigt sich, wenn man den Patienten von unten in die Mitte blicken lässt. Das Oberlid wird nur im ersten Moment ausreichend gehoben und sinkt gleich danach wieder ab. Dies ergibt den Eindruck einer Lidzuckung (Lid Twitch) [15]. Bei der Differenzialdiagnose muss man allerdings berücksichtigen, dass eine Lidzuckung auch bei Fehlregeneration eines geschädigten Okulomotoriusnervs vorkommt, und zwar dann, wenn überwiegend hochschwellige Motoneurone in den M. levator palpebrae eingewachsen sind. ▶ Belastungstest an der Tangententafel. An den Augenmuskeln lässt sich die Ermüdbarkeit am besten mit einem Dunkelrotglas an der Tangententafel nachweisen. Man fordert den Patienten auf, etwa 30 Sekunden lang in der Zugrichtung des paretischen Muskels zu blicken, und prüft, ob sich die Schielabweichung ändert. Im Falle der Myasthenie vergrößert sich der Winkel dabei in der Regel. Allerdings kann er auch kleiner werden, wenn der kontralaterale Synergist bei der Belastung stärker ermüdet als der scheinbar allein betroffene Agonist. Anschließend lässt man den Patienten wieder in Mittelposition fixieren und vergleicht den nun vorhandenen Winkel mit dem vor der Blickbelastung festgestellten. Ein deutlicher Unterschied legt den Verdacht auf Myasthenie nahe.
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Abb. 4.36 Myasthenische Ermüdung des rechten M. levator palpebrae bei anhaltendem Aufblick (Simpson-Test) [79].
Wichtig ist, dass das Dunkelrotglas auch zwischen den einzelnen Ablesungen vor einem Auge verbleibt, damit eine Wechselhaftigkeit durch fusionale Impulse vermieden wird. ▶ Ermüdung während und nach Sakkaden. Bei der intrasakkadischen Ermüdung kann eine große Sakkade (über etwa 30°) zu Beginn noch normal schnell sein, sich dann aber verlangsamen [72]. Eine postsakkadische Ermüdung erkennt man an einer Rückdrift, die sofort einsetzt, nachdem das Ziel der Sakkade erreicht wurde [72]. Der oben beschriebenen Zuckung des Oberlids entsprechend ergibt sich eine Zuckung des Auges. Durch die postsakkadische Rückdrift kann eine Serie von Nachstellrucken erforderlich werden, so dass eine nystagmusähnliche Bewegungsfolge entsteht. Eine Zuckung des Auges kommt zwar auch bei nichtmyasthenischen Lähmungen vor, jedoch immer nur in einer Richtung, nämlich der Zugrichtung des nicht betroffenen Antagonisten (▶ Abb. 4.22). Kennzeichnend für Myasthenie ist, wenn die Zuckung sowohl bei Ab- als auch bei Adduktion bzw. sowohl bei Hebung als auch bei Senkung auftritt. Die Amerikaner sprechen in einem solchen Fall von Jelly-like Eye Movements.
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noch die chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie in Betracht, die aber nicht wechselhaft ist.
4.2 Neurogene Augenmuskellähmungen
▶ Tensilon-Test. Die intravenöse Injektion von Edrophonium (Tensilon, ICN Pharmaceuticals Inc.) erhöht die Konzentration des Acetylcholins im synaptischen Spalt durch Hemmung der Acetylcholinesterase, also des Ferments, das Acetylcholin abbaut. Bei vermehrtem Angebot von Acetylcholin nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass alle verbliebenen Acetylcholin-Rezeptoren erregt werden und dass dies zur Übertragung der Aktionspotenziale auf die Muskelfaser ausreicht. Der Tensilon-Test erlaubt es, die Diagnose einer Myasthenia gravis mit großer Wahrscheinlichkeit zu sichern oder zu verwerfen. Wichtig ist, den Test zu einer Zeit durchzuführen, zu der die Paresen möglichst ausgeprägt sind. Bei deutlicher Ptosis und bei starker Einschränkung der Augenbeweglichkeit kann man die Wirkung des Tensilon ohne Hilfsmittel beobachten. Bei geringer Einschränkung der Beweglichkeit empfiehlt es sich, die Änderung des Schielwinkels unter Ausschluss der Fusion zu beurteilen, z. B. mit dem alternierenden Prismenabdecktest. Dabei sollte der Patient in die Richtung mit dem größten Schielwinkel blicken. Für Myasthenie spricht nicht nur eine Verkleinerung der Winkel, sondern auch eine Vergrößerung, denn es kann vorkommen, dass der weniger paretische kontralaterale Synergist auf Tensilon besser anspricht als der stärker paretische Agonist. Beispiel: Die Esotropie nimmt zu, wenn der linke M. rectus medialis auf Tensilon besser anspricht als der rechte M. rectus lateralis. Es empfiehlt sich, den Tensilon-Test nach den im Internet zugänglichen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie durchzuführen. Die Komplikationsrate des Tensilon-Tests ist bei Gesunden gering [86]. Als sehr seltene, aber dramatische Komplikationen sind Herzstillstand und Asthmaanfall beschrieben worden. Diese Komplikationen entstehen dadurch, dass das Tensilon nicht nur die Cholinesterase an der quergestreiften Muskulatur hemmt, sondern auch die am vegetativen Nervensystem. Tensilon wirkt daher wie eine Vagusreizung. Das bereitzuhaltende Atropin dient dazu, die vegetativen Azetylcholin-Rezeptoren zu blockieren. Bei Asthma sowie bei schwerem Herzleiden sollte auf den Tensilon-Test verzichtet werden. Eine Alternative für den Tensilon-Test ist die Gabe eines Dragees von 60 mg Mestinon. Der Effekt lässt sich allerdings erst nach etwa 1 Stunde feststellen.
▶ Weiterführende Untersuchungen 1. Das Serum sollte auf Antikörper gegen AcetylcholinRezeptoren untersucht werden. Bei der auf die Augen beschränkten Myasthenie sind die Antikörper allerdings nur in etwas mehr als der Hälfte der Fälle erhöht. Sind die Antikörper gegen Acetylcholin-Rezeptoren nicht erhöht, sollte im Falle einer generalisierten Myasthenie auf Antikörper gegen die muskelspezifische Tyrosinkinase geprüft werden. Bei rein okulärer Myasthenie ist dieser Test aber fast immer negativ. 2. Der Patient sollte einem elektrophysiologisch versierten Neurologen mit der Frage vorgestellt werden, ob an den Skelettmuskeln eine Myasthenie vorliegt. Außer der klinischen Untersuchung führt der Neurologe dann auch eine Elektromyografie durch. Im Falle einer Myasthenie werden die Muskelpotenziale bei wiederholter Reizung des zuführenden Nervs allmählich kleiner, denn das Aktionspotenzial einer jeden Nervenfaser wird auf eine immer kleiner werdende Zahl von Muskelfasern übertragen. Unter Tensilon verschwindet dieses „Dekrement“. Eine besonders hohe diagnostische Treffsicherheit besitzt das Einzelfaser-EMG am M. orbicularis. Die Ermüdung erkennt man daran, dass die einzelnen Muskelfasern einer bestimmten motorischen Einheit nicht in einem festen Zeitintervall entladen, so dass es zu einem „Jitter“ kommt. 3. Eine Computertomografie des Thorax gibt Aufschluss darüber, ob ein Thymom oder eine Thymushyperplasie vorliegt. 4. Ein Internist sollte klären, ob der Patient eine weitere Autoimmunerkrankung hat. Häufig mit Myasthenie kombiniert sind rheumatische Erkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen und Lupus erythematodes. 5. Viele Medikamente können die Myasthenie verschlimmern oder sogar auslösen. Verdächtig sind: 1. Antibiotika 2. kardiovaskuläre Medikamente 3. Antikonvulsiva 4. psychotrope Medikamente 5. Rheumamittel 6. Spasmolytika 7. chininhaltige Grippemittel. 6. Die Deutsche Myastheniegesellschaft (https://www. dmg-online.de/) hat eine auch für Patienten geeignete Broschüre zusammengestellt, in der sich eine Liste der verdächtigen Medikamente mit Ausweichmöglichkeiten befindet.
Merke
4
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▶ Eisbeutel-Test. Je kühler die Temperatur, umso besser ist die neuromuskuläre Übertragung bei Myasthenie. Auf diesem Prinzip beruht der Eisbeutel-Test. Man legt zwei mit kleinen Eiswürfeln gefüllte Beutel (z. B. für die Chirurgie vorgesehene Gummihandschuhe) 2 Minuten lang auf die geschlossenen Lider, so dass sie über den Orbitae dicht anliegen. Im positiven Fall bessert sich die Ptosis, weniger deutlich auch die Augenbewegungsstörung [12].
H ●
Die Diagnose einer Myasthenie sollte durch mindestens eine der folgenden Untersuchungen bestätigt werden: ● Tensilon-Test ● Acetyl-Rezeptor-Antikörper ● repetitive Nervenstimulation ● Einzelfaser-EMG
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Gegen Doppelbilder helfen Cholinesterasehemmer in der Regel nicht ausreichend, eher schon Glukokortikosteroide. Als symptomatische Therapie kann man Prismenfolien unterschiedlicher Stärke versuchen, die der Patient je nach Bedarf auf seine Brille klebt. Nützlich kann auch eine Sektorfolie zur Abblendung des diplopischen Blickfeldanteils sein. Wenn das Binokularsehen zu instabil ist, muss man ein Mattglas verschreiben.
Lambert-Eaton-Syndrom Im Gegensatz zur Myasthenia gravis ist die neuromuskuläre Übertragung bei dem sehr seltenen Lambert-EatonSyndrom präsynaptisch gestört: Das Acetylcholin kann nicht in ausreichender Menge aus der Nervenendigung in den synaptischen Spalt ausgeschüttet werden. Ursache sind Antikörper gegen spannungsabhängige Kalziumkanäle. Die Antikörper entstehen in 2/3 der Fälle paraneoplastisch im Rahmen einer Tumorkrankheit. Meist liegt ein kleinzelliges Bronchialkarzinom zugrunde. Die Lähmung betrifft vorwiegend die Skelettmuskeln. Typisch ist ein Krankheitsbeginn mit Schwäche der Beine. Die Augenmuskeln sind nur wenig gelähmt, so dass die Patienten in der Regel nicht unter Doppeltsehen leiden. Ptosis kommt aber vor. Im Gegensatz zur Myasthenia gravis gibt es beim Lambert-Eaton-Syndrom keine Ermüdung. Im Gegenteil: bei anhaltendem Aufblick fällt das Oberlid nicht herunter, sondern hebt sich. Das autonome Nervensystem kann beeinträchtigt sein (trockener Mund, Verstopfung), im Gegensatz zur Myasthenie.
4.2.7 Symptomatische Therapie der Augenmuskellähmungen Bei störender Diplopie empfiehlt es sich, stets ein und dasselbe Auge zu okkludieren. Dadurch vermeidet man die in Kap. Zentralnervöse Kompensation beschriebene Orientierungsstörung, welche bei jedem Seitenwechsel zu erwarten ist. Wenn der Patient mit dem frei beweglichen Auge gut sehen kann, sollte das paretische okkludiert werden. Nur bei Kleinkindern sollte man alternierend okkludieren, um eine Schielamblyopie zu vermeiden. Das Argument, man müsse das paretische Auge fixieren lassen, um der Kontraktur des ipsilateralen Antagonisten entgegenzuwirken, ist nicht überzeugend, da sich die Kontraktur ohnehin löst, wenn der paretische Muskel seine Kraft zurückgewinnt. Nur wenn eine Heilung aus-
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bleibt, kann man etwa einen Monat vor einer geplanten Operation auf die Okklusion des frei beweglichen Auges überwechseln, um den Bewegungsspielraum des paretischen Auges zu erweitern. Bei geringer Inkomitanz sollte man stets versuchen, den in Mittelposition gemessenen Schielwinkel mit Prismenfolien zu korrigieren. Dadurch bietet man dem Patienten die Chance, sein binokulares Blickfeld durch zentralnervöse Anpassung zu erweitern (Kap. Zentralnervöse Kompensation).
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▶ Therapie. Die Allgemeinbehandlung der Myasthenia gravis sollte durch einen darin erfahrenen Neurologen oder Internisten geleitet werden. In Betracht zu ziehen sind: ● Cholinesterasehemmer ● immunsuppressive Medikamente (insbesondere Glukokortikosteroide, Azathioprin und andere) ● operative Entfernung des Thymus
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
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4.3 Supranukleäre Augenbewegungsstörungen G. Kommerell, W. A. Lagrèze In diesem Kapitel sind die wichtigsten supranukleären Augenbewegungsstörungen unter pathophysiologischen und diagnostischen Gesichtspunkten zusammengefasst. Die in Kap. 1.2 beschriebenen neurophysiologischen Grundlagen und Untersuchungstechniken werden vorausgesetzt.
4.3.1 Blicklähmungen Blicklähmungen sind Störungen der Beweglichkeit beider Augen. Sie kommen durch Schädigung der supranukleären Strukturen zustande, die für konjugierte Augenbewegungen zuständig sind. Unter dem althergebrachten Begriff „Blicklähmung“ wird heute meist eine Beeinträchtigung des Sakkadenpulses verstanden. Jedenfalls wird der Begriff im vorliegenden Kapitel so gebraucht. Da die verschiedenen Typen der konjugierten Augenbewegung von unterschiedlichen Strukturen im Gehirn veranlasst werden, können bei einer sakkadischen Blicklähmung die gleitende Augenfolgebewegung und der vestibulookuläre Reflex funktionieren.
Merke
H ●
Bei einer reinen Blicklähmung ist die Beweglichkeit des rechten und des linken Auges in gleichem Ausmaß eingeschränkt, und der Patient schielt nicht.
Eine reine Blicklähmung ist jedoch selten. Wegen der engen Nachbarschaft der Blickzentren zu den Kernen und Wurzeln der Hirnnerven III, IV und VI ist die Blicklähmung häufig mit Lähmungsschielen kombiniert.
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4.3 Supranukleäre Störungen
Bevor man eine Blicklähmung diagnostiziert, sollte man den seltenen Fall einer psychogenen Hemmung der Blickwendung in Betracht ziehen. In solchen Fällen ist der Patient nicht dazu zu bringen, den Blick über die Mittellinie zu einer Seite zu wenden. Charakteristisch für die psychogene Hemmung der Blickwendung ist eine normale Okulomotorik im übrigen Blickfeld. Insbesondere sieht man keine Sakkadenverlangsamung beim Blick von der „guten“ Seite zur Mitte. Außerdem funktionieren die Optokinetik und der vestibulookuläre Reflex, und es findet sich kein Nystagmus. ▶ Schadensort Brücke. Bei der pontinen Blicklähmung liegt die Läsion ipsilateral, und zwar entweder im Abduzenskern oder in der paramedianen pontinen retikulären Formation (PPRF; siehe ▶ Abb. 1.35, ▶ Abb. 1.36, ▶ Abb. 4.39). Bei einem Schaden des Abduzenskerns sind sowohl die Motoneurone des N. abducens betroffen als auch die internukleären Neurone, die zu den kontralateralen Motoneuronen des M. rectus medialis projizieren. Daher sind alle Arten konjugierter Augenbewegungen zur Seite der Läsion gestört. Bei einem Schaden der PPRF fallen nur die ipsilateral gerichteten Sakkaden aus. Betroffen sind die Blickzielbewegungen, auch die vom kontralateralen Blickfeld zur Mitte gerichteten, sowie die schnellen Phasen des optokinetischen und des vestibulären Nystagmus. Die Augenfolgebewegungen sowie die langsamen Phasen des optokinetischen und des vestibulären Nystagmus bleiben ungestört [60]. Bei akuter Läsion der PPRF zeigt sich außerdem eine tonische Blickdeviation und ein Spontannystagmus zur Gegenseite. Bei partieller Läsion der PPRF sind die zur Seite der Läsion gerichteten Sakkaden zwar auslösbar, aber verlangsamt [41]. ▶ Schadensort Großhirnhemisphäre. In der Großhirnrinde ruft eine umschriebene Läsion eines einzigen Areals noch keine Blicklähmung hervor. Es entstehen nur leichte Ausfälle, für deren Nachweis ausgeklügelte Versuchsanordnungen entwickelt worden sind. So können z. B. Patienten mit einem Defekt im frontalen Augenfeld durchaus zur Gegenseite blicken. Sie versagen jedoch, wenn sie den Auftrag erhalten, ein dort auftauchendes Objekt nicht anzusehen, sondern zur Gegenseite eine Antisakkade auszuführen [39]. Bei einem Schlaganfall mit einer Durchblutungsstörung der Bahnen, die von der Großhirnrinde in der Capsula interna absteigen, kann es dagegen zu einer Blicklähmung kommen, da hier die von vielen Rindenarealen ausgehenden Bahnen gebündelt sind und gemeinsam ausfallen können. Der Blick ist zur Gegenseite der Läsion gelähmt, nicht zur gleichen Seite, wie bei der pontinen Blicklähmung, da die Bahn in Höhe der Trochleariskerne kreuzt.
Verbunden mit der hemisphärischen Blicklähmung kann eine tonische Blickdeviation zur Seite der Läsion auftreten. Als Merkhilfe gilt: „Der Patient sieht seine Läsion an.” [68] (darin S. 940).
Merke
H ●
Ausgedehnte Hemisphärenläsion: Der Patient „sieht seine Läsion an”.
Im Gegensatz zur pontinen Blicklähmung verschwindet die hemisphärische Blicklähmung in der Regel innerhalb einer Woche. Dies erklärt sich aus einer parallelen Verarbeitung der Blickwendungsimpulse auf mehreren Bahnen, die einander kompensieren können. Nach links kommt die hemisphärische Blicklähmung häufiger vor als nach rechts. Dies liegt daran, dass die Verarbeitung der Blickimpulse in den beiden Hemisphären unterschiedlich ist. In der rechten Hemisphäre genügt eine Läsion des Parietallappens, um eine Blicklähmung auszulösen. In der linken Hemisphäre müssen größere Gebiete im Versorgungsbereich der A. cerebri media betroffen sein, um eine Blicklähmung auszulösen [68]. Eine ähnliche Asymmetrie der beiden Hemisphären gibt es bei der räumlichen Aufmerksamkeitszuwendung: Nur bei einer Läsion in der rechten Hemisphäre kommt es zu einer Vernachlässigung der kontralateralen Umwelt, zum Neglekt [47]. Die für Neglekt entscheidende Struktur befindet sich im rechten Gyrus superior des Temporallappens [46]. Der linke Gyrus superior des Temporallappens wurde im Laufe der Evolution der Sprache gewidmet. Ein Patient mit Neglekt beachtet links von ihm gelegene Objekte wenig und blickt kaum nach links. Die Vernachlässigung linksseitiger Objekte wird z. B. auch deutlich, wenn er eine Uhr zeichnen soll, ja sogar, wenn er eine Szenerie aus der Erinnerung beschreibt.
4
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Horizontale Blicklähmung
Vertikale Blicklähmung Vertikale Blicklähmungen entstehen im Rahmen des dorsalen Mittelhirnsyndroms, das auch als Parinaud-Syndrom bezeichnet wird. Die isolierte Lähmung des Aufblicks entsteht durch Unterbrechung der Fasern, die in der Commissura posterior des Mittelhirns kreuzen. Ursache der Unterbrechung ist häufig ein Pinealistumor. Die isolierte Lähmung des Abblicks ist sehr selten. Sie setzt eine beidseitige Läsion des riMLF (rostraler interstitieller Kern des medialen longitudinalen Faszikulus; ▶ Abb. 1.35) voraus. Ursache ist fast immer der Verschluss der A. thalamosubthalamica posterior, die in der Mittellinie von vorn in den Hirnstamm eintritt. Sie teilt sich Yförmig in 2 Äste, die das Gebiet rechts und links der Mittellinie versorgen [12].
345
Beim dorsalen Mittelhirnsyndrom tritt in vielen Fällen ein konvergierender Nystagmus auf, sobald der Patient versucht, nach oben zu blicken. Besonders deutlich wird der konvergierende Nystagmus, wenn man einen optokinetischen Reiz von oben nach unten bewegt und damit versucht, rasche Nystagmusphasen nach oben auszulösen. Für weitere Details des dorsalen Mittelhirnsyndroms siehe S. 881 in [68]. Das dorsale Mittelhirnsyndrom ist oft mit einer Pupillenstörung verbunden. Typisch ist ein Fehlen der Lichtreaktion bei erhaltener Naheinstellungsreaktion (reflektorische Pupillenstarre, Kap. 4.5.4).
okuläre Reflex und die raschen Phasen des vestibulären Nystagmus sind aber intakt. Die erworbene okulomotorische Apraxie kommt durch Unterbrechung der Bahnen zustande, die normalerweise die Blickbefehle von der frontalen und parietalen Hirnrinde zu den Colliculi superiores und zur retikulären Formation des Hirnstamms leiten. Als Ursachen kommen z. B. in Betracht [68] (darin S. 951): ● Multiple Sklerose ● Hirnstammtumoren ● bilaterale frontoparietale Infarkte
4.3.2 Okulomotorische Apraxie
4.3.3 Blickrichtungsnystagmus
Bei der okulomotorischen Apraxie hat der Patient Schwierigkeiten, Sakkaden willkürlich bzw. auf Befehl in Gang zu bringen. Reflexartige Sakkaden auf Blickziele sind eher möglich. Mit vestibulären und optokinetischen Reizen lassen sich in manchen Fällen rasche Nystagmusphasen auslösen.
Der Blickrichtungsnystagmus ist Ausdruck einer Blickhalteschwäche. Die Augen können zwar mit Sakkaden oder mit dem vestibulookulären Reflex in jede exzentrische Position gebracht werden. Sie bleiben aber nicht dort, sondern driften zur Mitte zurück und müssen immer wieder mit Sakkaden auf das Blickziel nachgestellt werden. Es ist sinnvoll, auf einen Blickrichtungsnystagmus sowohl ohne als auch mit Fixation zu prüfen. Ohne Fixation prüft man isoliert die Haltefunktion des Hirnstamms. Man dunkelt den Raum ab und gibt dem Patienten den Auftrag, zu einer Seite bzw. nach oben oder unten zu blicken. Dabei beleuchtet man seine Augen von unten mit einem Ophthalmoskop. Der Patient ist dadurch geblendet und kann keine Konturen sehen. Der Untersucher dagegen kann die beleuchteten Augen gut beobachten. Eine leichte zentripetale Drift ist dabei nicht als krankhaft zu werten [9]. Mit Fixation prüft man im normal beleuchteten Untersuchungszimmer. Zeigt sich dabei ein Blickrichtungsnystagmus in gleicher Stärke wie ohne Fixation, ist nicht nur die Haltefunktion des Hirnstamms defekt, sondern auch die Optokinetik: Durch den Nystagmus verschiebt sich das Bild über die Netzhaut. Eine intakte Optokinetik würde das Abgleiten der Augen verhindern. Die beiden Defekte – gestörte Haltefunktion und gestörte Optokinetik – kommen häufig zusammen vor. Die Blickhalteschwäche kann so ausgeprägt sein, dass die Augen während der langsamen Nystagmusphasen bis zur Mittelstellung zurückweichen. In diesem Fall spricht man von einem blickparetischen Nystagmus. Die Augen driften zunächst schnell und bei Annäherung an die Mitte allmählich langsamer. Im Nystagmogramm zeigt sich dies als exponentiale Durchbiegung der langsamen Nystagmusphasen (▶ Abb. 4.37a). Die Neurophysiologen vergleichen die der Blickhalteschwäche zugrunde liegende Störung mit dem Leck eines Integrators (vgl. Kap. 1.2.5). Für das normale Funktionieren des Integrators sind mehrere Gebiete des Hirnstamms und des Kleinhirns sowie deren Bahnverbindungen erforderlich. Ein Blickrichtungsnystagmus kann daher durch sehr unterschiedliche Läsionen entstehen. Entspre-
Angeborene okulomotorische Apraxie Ein betroffener Säugling ist zunächst überhaupt nicht in der Lage, seinen Blick auf Gegenstände zu richten, so dass er fälschlich für blind gehalten werden kann. Etwa ab dem 4. Lebensmonat entwickelt er dann eine Ersatzstrategie mit einer Schleuderbewegung des Kopfes, die in 2 Phasen abläuft: ● In der 1. Phase wird der Kopf in die gewünschte Blickrichtung überdreht. Dabei geraten die Augen durch den vestibulookulären Reflex an den gegenseitigen „Anschlag“. Von dort werden sie durch weiteres Drehen des Kopfes zu dem gewünschten Blickziel mitgezogen. ● In der 2. Phase wird der Kopf wieder etwas zurückgedreht. Dabei bleiben die Augen auf dem Blickziel haften, da sie durch den vestibulookulären Reflex gegengedreht werden. Die vertikalen Augenbewegungen können bei der angeborenen okulomotorischen Apraxie [15] meist ohne Schwierigkeit ausgelöst werden, im Gegensatz zur erworbenen Form. Viele Patienten mit angeborener okulomotorischer Apraxie leiden auch an einer Ataxie der Körperbewegungen. Zugrunde liegen können verschiedene Erkrankungen des Nervensystems, wie z. B. Ataxia teleangiectatica [68] (darin S. 959).
Erworbene okulomotorische Apraxie Bei der erworbenen okulomotorischen Apraxie können horizontale und vertikale Sakkaden willkürlich und auf Kommando nur schwer ausgelöst werden. Wenn die Sakkaden doch einmal gelingen, sind sie normal schnell. Gestört sind auch die Folgebewegungen. Der vestibulo-
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.3 Supranukleäre Störungen
R
Blickzielbewegungen sind dysmetrisch, wenn sie regelmäßig zu kurz oder zu lang ausfallen. Es werden dann Korrektursakkaden erforderlich. Sind die Blickzielbewegungen zu kurz, spricht man von Hypometrie, schießen sie über das Ziel hinaus, von Hypermetrie. Liegen die Blickziele weit auseinander (> 20°), so ist eine Hypometrie nicht als krankhaft zu werten: Auch der Gesunde braucht dann häufig zwei Sakkaden, um ans Ziel zu gelangen. Hypermetrische Blickzielbewegungen (▶ Abb. 4.38) sind dagegen immer krankhaft; sie kommen insbesondere bei Läsionen des Kleinhirns vor [68] (darin S. 248). Beim Infarkt der seitlichen Medulla oblongata (Wallenberg-Syndrom) kommt es zu einer Dysmetrie, die an einer rechtsseitigen Läsion beschrieben sei: rechts gerichtete Sakkaden sind hypermetrisch, links gerichtete hypometrisch. Aufwärtssakkaden verlaufen schräg nach rechts oben, Abwärtssakkaden schräg nach rechts unten [50], [54]. Offenbar wird zu allen Sakkaden ein zur Läsionsseite gerichteter Betrag addiert. Ursache dieser sakkadischen Lateropulsion ist eine Inaktivierung der tiefen Kleinhirnkerne.
4
4.3.5 Pränukleäre Lähmungen
Rechtsblick
a Linksblick
4.3.4 Dysmetrie der Blickzielbewegung
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chend kann man aufgrund eines Blickrichtungsnystagmus nicht auf den Läsionsort schließen. Bei der Differenzialdiagnose eines symmetrischen Blickrichtungsnystagmus sollte man immer daran denken, dass der Patient Beruhigungsmittel oder Antiepileptika eingenommen haben könnte [26]. Beim Blickrichtungsnystagmus lässt sich zuweilen eine Gegenregulation nachweisen. Blickt der Patient etwa 2 Minuten lang extrem zu einer Seite, nimmt der Nystagmus allmählich ab. Schaut er dann geradeaus, so zeigt sich ein Rebound-Nystagmus in die Gegenrichtung, der etwa 5 Sekunden lang anhält. Ein Rebound-Nystagmus kommt, zusammen mit einer Optokinetikstörung, vor allem bei Läsion des Flocculus cerebelli vor [68]. Der Endstellungsnystagmus [3], [74] ist eine als Normvariante anzusehende geringe Blickhalteschwäche. Er tritt erst ab einer Exzentrizität von etwa 35° auf. Eine scharfe Grenze zwischen noch normalem Endstellungsnystagmus und schon krankhaftem Blickrichtungsnystagmus gibt es aber nicht. Der Endstellungsnystagmus kann bei anhaltender Blickwendung ermüden, er kann aber auch erst bei anhaltender Blickwendung auftreten.
10° 1s
L
Pränukleäre Lähmungen werden nachfolgend als Untergruppe der supranukleären Augenbewegungsstörungen beschrieben. Die pränukleären Lähmungen kommen durch eine Läsion von Bahnverbindungen zwischen den Blickzentren und den Augenmuskelkernen zustande. Da die Läsion „unterhalb“ der für beide Augen zuständigen Blickzentren liegt, sind die Augen unterschiedlich betroffen. Daher schielen die Patienten und sehen in der Regel doppelt.
b Abb. 4.37 Blickrichtungsnystagmus bei Akustikusneurinom links. a DC-Elektronystagmogramm. Nach rechts ist die Blickhalteschwäche weniger ausgeprägt als nach links. b Die Abhängigkeit des Nystagmus von der Blickrichtung kann anschaulich in dem von dem Göttinger Otologen Hermann Frenzel (1895–1967) angegebenen Schema dokumentiert werden. Das Sechseck symbolisiert die Lidspalte, die einzelnen Felder entsprechen der jeweiligen Blickrichtung. Die Pfeile zeigen die Schlagrichtung der raschen Phasen an. Mit einer Verdoppelung bzw. Verdreifachung des Pfeilschafts wird eine große bzw. sehr große Amplitude des Nystagmus wiedergegeben. Die Frequenz (niedrig, mittel, hoch) wird durch Querstriche am Ende des Pfeiles gekennzeichnet.
10° R
10° L
1s Abb. 4.38 Hypermetrie der Blickbewegungen bei Medulloblastom im Bereich des Kleinhirnwurms. Die Blickziele (10° rechts und 10° links) werden erst nach 2 Korrekturen erreicht. DC-Elektronystagmogramm.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Naheinstellungskonvergenz III
rechte PPRF MLF-Läsion bei internukleärer Ophthalmoplegie links
VI Abb. 4.40 Internukleäre Ophthalmoplegie links. Das linke Auge kann nicht bei Rechtsblick adduziert werden, wohl aber bei Naheinstellung. (Quelle: Prof. V. Herzau, Tübingen)
Eindeutig kann eine pränukleäre Lähmung nur festgestellt werden, wenn die Motilität bei einer Art von Augenbewegungen gestört, bei einer anderen aber ungestört ist. Das ist z. B. der Fall, wenn eine Heberlähmung bei angestrengtem Lidschluss durch das Bell-Phänomen überwunden werden kann. Ein anderes Beispiel: Bei der internukleären Ophthalmoplegie kann das Auge bei Blickwendung nicht adduziert werden, wohl aber bei Naheinstellungskonvergenz.
Internukleäre Ophthalmoplegie (INO) Die INO kommt durch Läsion des medialen longitudinalen Faszikulus (MLF) zustande. Das Hauptzeichen der INO ist eine pränukleäre Lähmung des M. rectus medialis. Sie entsteht durch eine Unterbrechung von erregenden Fasern, die vom Abduzenskern ausgehen, auf die andere Seite kreuzen, im MLF aufsteigen und schließlich den für den M. rectus medialis zuständigen Teil des Okulomotoriuskerns erreichen (▶ Abb. 4.39). Die Abduktion des von einer INO betroffenen Auges ist ungestört, da der M. rectus medialis regelrecht gehemmt wird [57]. Beweisend für eine INO ist, wenn ein Auge nicht durch Blickwendung adduziert werden kann, wohl aber durch Naheinstellungskonvergenz (▶ Abb. 4.40, ▶ Abb. 4.41). Allerdings können die Naheinstellungskonvergenz und die fusionale Konvergenz ebenfalls von der Läsion betroffen sein. Dann entsteht eine Exotropie, vor allem bei beidseitiger INO. Entgegen früherer Annahme bietet das Fehlen oder Vorhandensein einer Vergenzstörung keinen lokalisatorischen Hinweis darauf, ob der MLF im Bereich der Brücke oder des Mittelhirns unterbrochen ist [68] (darin S. 869).
348
Abb. 4.41 Internukleäre Ophthalmoplegie beidseits. Die Augen können nicht bei Blickwendung adduziert werden, wohl aber bei Naheinstellungskonvergenz. Nach der hier wiedergegebenen Bildfolge wäre eine Verwechslung mit einem Strabismus divergens intermittens möglich. Bei der Untersuchung zeigten sich jedoch Befunde, die nur mit der internukleären Ophthalmoplegie vereinbar sind. Zum einen gelangte die Adduktion auch dann nicht über die Mitte hinaus, wenn das abduzierte Auge okkludiert wurde, zum anderen waren die Sakkaden von der Abduktionsstellung zur Mitte verlangsamt.
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Abb. 4.39 Läsion des linken medialen longitudinalen Faszikulus (MLF) bei internukleärer Ophthalmoplegie links. Der Hirnstamm ist durchsichtig gezeichnet.
4.3 Supranukleäre Störungen
Merke
H ●
Der beidseitigen INO liegt meist eine multiple Sklerose zugrunde. Ursache der einseitigen INO ist am häufigsten eine Durchblutungsstörung.
RA
1s LA
Die Myasthenia gravis kann eine INO vortäuschen. Bei Wechselhaftigkeit sollten daher entsprechende Tests durchgeführt werden (Tensilon-Test, Elektromyogramm etc.).
4
Ocular Tilt Reaction (gravizeptive Auge-Kopf-Neigung)
Eine internukleäre Ophthalmoplegie geringer Ausprägung diagnostiziert man an einer Verlangsamung der Adduktionssakkade (▶ Abb. 4.42). Bei der INO ist die Verlangsamung ausgeprägter als bei der infranukleären Lähmung des M. rectus medialis (Kap. 4.2.1). Häufig findet sich bei der INO ein Blickrichtungsnystagmus. Er beruht darauf, dass im MLF auch Fasern verlaufen, die für die Blickhaltefunktion wichtig sind. Die raschen Phasen des Blickrichtungsnystagmus sind – ebenso wie die sakkadischen Blicksprünge – am adduzierenden Auge gedämpft, nicht aber am abduzierenden Auge. Daher ist der Blickrichtungsnystagmus dissoziiert. Bei der Ausprägung des dissoziierten Blickrichtungsnystagmus spielt auch eine Rolle, dass das Zentralnervensystem auf die Verlangsamung der Adduktionssakkade mit einer Gegenregulation reagiert, die sich vor allem am nicht gelähmten Auge auswirkt. Dies führt zu einer überschießenden Abduktionssakkade des Partnerauges. Im MLF verlaufen auch Fasern, die für vertikale Augenbewegungen zuständig sind. Dies erklärt, dass man bei einseitiger internukleärer Ophthalmoplegie gelegentlich ein Vertikalschielen findet [89] (Skew Deviation (S. 349)). Bei der beidseitigen internukleären Ophthalmoplegie sieht man oft einen vertikalen Nystagmus mit torsionaler Komponente. Oft ist zusammen mit dem MLF auch die benachbarte PPRF oder der Abduzenskern geschädigt. Dies führt zum Eineinhalbsyndrom: An dem der Läsionsseite entsprechenden Auge ist die horizontale Beweglichkeit vollständig aufgehoben („Ein-„). Am Partnerauge ist nur die Adduktion gelähmt („-einhalb“). Es gibt verschiedene Krankheiten, die zur INO führen können [68] (darin S. 865).
Im Felsenbein liegen in der Nähe der Bogengänge 2 knöcherne Nischen, der Utrikulus und der Sakkulus. In diesen befinden sich Sinneszellen, denen Kalkpartikel (Otokonien) aufgelagert sind. Durch die Schwerkraft werden die Otokonien nach unten gezogen, so dass sie die Zilien abbiegen können. Je nach Richtung der Abbiegung werden die Sinneszellen gereizt oder gehemmt. Auf diese Weise informiert der Otolithenapparat das Gehirn darüber, wo unten ist. Der Otolithenapparat fungiert also als ein gravizeptives Sinnesorgan. Über den VIII. Hirnnerv meldet der Otolithenapparat dem Gehirn die Orientierung des Kopfes im Raum. Das Gehirn vergleicht die vom rechten und linken Otolithenapparat eingehenden Meldungen und deutet eine Seitendifferenz als Zeichen dafür, dass der Kopf schief gehalten wird. So wird z. B. eine Linksneigung des Kopfes durch eine Reizung des linken und eine Hemmung des rechten Otolithenapparats gemeldet. Ist die gravizeptive Bahn durch Krankheit lädiert, z. B. die vom rechten Otolithenapparat ausgehende Bahn, so treffen vom rechten Otolithenapparat schwächere Signale ein als vom linken. Diese Seitendifferenz täuscht vor, der Kopf sei nach links geneigt. Das Gehirn korrigiert diese vermeintliche Linksneigung durch eine Neigung des Kopfes nach rechts. Außerdem werden beide Augen entsprechend der vermeintlichen Linksneigung des Kopfes nach rechts verrollt. Hinzu kommt eine vertikale Schielstellung, die sog. Skew Deviation, wobei das rechte Auge tiefer steht. Erklärt wird die Skew Deviation durch eine unausgewogene Verteilung der Signale auf die Kerne der Hirnnerven, die für die geraden und schrägen Augenmuskeln zuständig sind. Schließlich wird der Patient noch in seiner Raumwahrnehmung getäuscht: objektiv senkrechte Linien erscheinen ihm nach links gekippt und eine nach rechts geneigte Linie erscheint ihm senkrecht. Dies bedeutet: Seine subjektive visuelle Vertikale ist nach rechts gekippt. Die Kombination dieser 4 Komponenten nennt man Ocular Tilt Reaction. Einen deutschen Ausdruck gibt es dafür nicht.
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Abb. 4.42 Partielle internukleäre Ophthalmoplegie rechts. Kennzeichnend ist die ausgeprägte Verlangsamung der adduzierenden Sakkade des rechten Auges und der dissoziierte Abduktionsnystagmus des linken Auges. DC-Elektronystagmogramm.
349
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Komponenten der Ocular Tilt Reaction: ● Kopfneigung zu einer Schulter ● Verrollung beider Augen um die Blicklinie ● vertikale Schielstellung (Skew Deviation) ● Kippung der subjektiven visuellen Vertikalen
H ●
Alle 4 Komponenten sind in die gleiche Richtung gekippt, im Beispiel der ▶ Abb. 4.43 nach rechts. (Bei der Skew Deviation kann man sich die Verbindungslinie zwischen den Pupillen der beiden Augen wie einen Waagebalken vorstellen, der zur Seite der Kopfneigung gekippt ist.)
Abb. 4.43 Ocular Tilt Reaction nach rechts. Die Läsion kann entweder im unteren Hirnstamm auf der rechten Seite (ipsilateral) oder im oberen Hirnstamm auf der linken Seite (kontralateral) liegen.
Die subjektive visuelle Vertikale prüft man monokular mit einem Lichtstrich vor einem Hintergrund, der keine Orientierungslinien bietet. So kann man z. B. auffordern, die an der Tangententafel nach Harms angebrachte Leuchtlinie senkrecht zu stellen. Der Raum soll außer der Leuchtlinie keine Konturen bieten, also am einfachsten möglichst dunkel sein. Um dies zu erreichen, muss das von der Leuchtlinie ausgehende Licht durch einen Filter vor dem zu untersuchenden Auge geschwächt werden. Frisén hat sich zur Bestimmung der subjektiven visuellen Vertikalen den „Eimer-Test“ ausgedacht [31]: Der Patient blickt geradeaus in einen Eimer, den er vor sein Gesicht hält, um Sehreize der Umwelt auszuschalten. Er bekommt die Aufgabe, den Eimer so zu drehen, dass eine auf dessen Boden gemalte Linie senkrecht erscheint. An der Außenseite des Eimerbodens ist in der Mitte ein Lot angebracht. Dort, wo die Schnur des Lots die auf den Rand des Bodens gemalte Gradskala schneidet, kann man die subjektive visuelle Vertikale ablesen. Zu kaufen ist das Gerät nicht, man kann es sich aber leicht selbst herstellen.
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Eine Abbildung findet man im Internet unter „Wastepaper Basket Test“. Einem Patienten, der die subjektive visuelle Vertikale nach rechts gekippt einstellt, müssten objektiv vertikale Linien, wie etwa ein Türrahmen, nach links gekippt erscheinen. Dies bemerkt er allerdings nur in den ersten Stunden nach der Läsion, da er im freien Raum viele andere Sinnesreize nützen kann, die ihm die richtige Raumorientierung vermitteln. Mit der Bestimmung der subjektiven visuellen Vertikalen kann man die Orientierungsstörung aber noch lange nachweisen. Die Verrollung um die Blicklinie lässt sich an der Lagebeziehung zwischen Papille und Makula feststellen. Sie ist an beiden Augen gleichsinnig. Das Ausmaß ist aber an beiden Augen oft unterschiedlich, vor allem dann, wenn die Ocular Tilt Reaction mit einer infranukleären Lähmung eines Vertikalmotors kombiniert ist. Die Ocular Tilt Reaction ist häufig. Bei einseitiger Hirnstammläsion findet man in 20 % der Fälle alle 4 Komponenten. Ist die gravizeptive Bahn im unteren Hirnstamm lädiert (Medulla oblongata, untere Brücke), entsteht eine Ocular Tilt Reaction zur Seite der Läsion. Ist die gravizeptive Bahn im oberen Hirnstamm lädiert (obere Brücke, Mittelhirn), entsteht eine Ocular Tilt Reaction zur Gegenseite der Läsion. Der Seitenwechsel beruht darauf, dass die gravizeptive Bahn in der Brücke kreuzt [23].
4.3.6 Störung der Augenfolgebewegung und des optokinetischen Nystagmus Beim Menschen werden Augenfolgebewegung und optokinetischer Nystagmus über die Hirnrinde ausgelöst. Tiere mit seitlich gerichteten Augen, wie z. B. das Kaninchen, verfügen nicht über eine Folgebewegung, wohl aber über einen optokinetischen Nystagmus, der subkortikal über den akzessorischen optischen Trakt geschaltet ist. Beim Menschen spielt dieser subkortikale Weg wahrscheinlich nur in den ersten 3 Lebensmonaten eine Rolle (▶ Abb. 1.42a, b). Um die Folgebewegung und den optokinetischen Nystagmus nach beiden Seiten auszulösen, genügt die primäre Sehrinde einer Hemisphäre. Daher findet man bei einer homonymen Hemianopie, die durch Läsion der primären Sehrinde einer Seite zustande gekommen ist, keine Optokinetikstörung [78]. Betrifft die Läsion aber außer der Sehrinde auch das parietookzipitale Marklager, sind die langsamen Phasen des optokinetischen Nystagmus (bei binokularer Reizung) zur Läsionsseite gestört (▶ Abb. 4.44). Die Störung zeigt sich dann auch an einer Sakkadierung der Folgebewegung. Statt einer glatten Folgebewegung sieht man schon bei geringer Geschwindigkeit des führenden Objekts eine Serie von Sakkaden (siehe ▶ Abb. 4.46a–c).
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Merke
4.3 Supranukleäre Störungen
OKN fehlt
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Auch bei Läsionen des Hirnstamms und des Kleinhirns (insbesondere des Flocculus cerebelli und des Kleinhirnwurms) kann es zu einer Störung des optokinetischen Nystagmus und der Folgebewegung kommen. Liegt der Schaden im Kleinhirn, sind die Folgebewegung und die langsamen Phasen des optokinetischen Nystagmus zur Läsionsseite gestört (wie bei der Läsion einer Großhirnhemisphäre). Bei einem Schaden der Brücke können sie dagegen zur Gegenseite gestört sein, weil die optokinetische Bahn hin und wieder zurück kreuzt.
Merke
H ●
Regeln zur Bewertung der Folgebewegung und des optokinetischen Nystagmus: ● Ein Seitenunterschied der Folgebewegung und der Optokinetik ohne weitere okulomotorische Störung spricht für eine Läsion in einer Großhirnhemisphäre. ● Ein Seitenunterschied der Folgebewegung und der Optokinetik zusammen mit weiteren okulomotorischen Störungen (z. B. Blicklähmung, Nystagmus) spricht für eine Läsion des Hirnstamms oder des Kleinhirns. ● Eine seitengleiche Störung der Optokinetik und der Folgebewegung zusammen mit Blickrichtungsnystagmus spricht für die Einwirkung zentral dämpfender Medikamente. ● Eine Störung der Folgebewegung und der Optokinetik zusammen mit einem Nystagmus abnormer Schlagform spricht für frühkindlichen Nystagmus (Kap. 4.3.8).
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Abb. 4.44 Optokinetischer Nystagmus bei Läsion in der linken Großhirnhemisphäre. Bei Reizmusterbewegung zur Seite der Läsion fehlt der optokinetische Nystagmus.
Abb. 4.45 Prüfung auf Unterdrückbarkeit des vestibulookulären Reflexes. Der Patient soll sich auf einem Drehstuhl abwechselnd nach rechts und links drehen und dabei ein starr in den ausgestreckten Händen gehaltenes Objekt fixieren. Der Gesunde ist in der Lage, den vestibulookulären Reflex durch Fixieren des mitgedrehten Objekts zu unterdrücken. Bei einer Störung der Folgebewegung kann sich der vestibulookuläre Reflex durchsetzen, und es tritt ein Nystagmus auf.
Fixationsunterdrückung des vestibulookulären Reflexes Bei einem Patienten mit Blickrichtungsnystagmus kann das Folgesystem nicht auf konventionelle Weise geprüft werden, da durch die raschen Phasen des Nystagmus zwangsläufig eine Sakkadierung zustandekommt. Bei Blickrichtungsnystagmus sollte man das Folgesystem anhand der Fixationsunterdrückung des vestibulookulären Reflexes beurteilen. Man fordert den Patienten auf, sich auf einem Drehstuhl hin und her zu drehen und dabei ein mit seinen Händen gehaltenes und entsprechend mitgedrehtes Sehzeichen zu fixieren (▶ Abb. 4.45). Normalerweise ist das Folgesystem in der Lage, ein Abgleiten des Netzhautbilds von der Fovea zu verhindern. Ist das Folgesystem aber defekt, tritt ein vestibulärer Nystagmus auf. In den lang-
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Punktfolgen 30° a 1s Oszillation des Körpers in Dunkelheit
40° b Oszillation des Körpers zusammen mit Fixierpunkt * * c
20°
Abb. 4.46 Störung der Folgebewegung und mangelnde Unterdrückbarkeit des vestibulookulären Reflexes. a Die Folgebewegung ist nach rechts und links von Sakkaden überlagert. b Beim Hin- und Herdrehen des Körpers in Dunkelheit zeigt sich der vestibulookuläre Reflex wie bei einem Gesunden. c Reizbedingung wie in ▶ Abb. 4.45. Der Patient ist nicht in der Lage, den vestibulookulären Reflex durch Blick auf ein mitgedrehtes Fixierobjekt zu unterdrücken. Die Augen weichen immer wieder vom Fixierobjekt ab (langsame Nystagmusphasen) und müssen durch schnelle Nystagmusphasen auf das Fixierobjekt zurückgeholt werden. Hirnstammläsion ungeklärter Ursache. DC-Elektronystagmogramm.
samen Phasen weichen die Augen vom Fixierpunkt ab, und in den raschen Phasen rucken sie wieder auf den Fixierpunkt zurück (▶ Abb. 4.46a–c). Wegen des Nystagmus sieht der Patient das Sehzeichen verschwommen. Beispiel: Lässt sich der vestibuläre Nystagmus bei Rechtsdrehung des Körpers nicht unterdrücken, bedeutet dies eine Störung der Folgebewegung nach rechts [22].
4.3.7 Störung des vestibulookulären Reflexes und vestibulärer Spontannystagmus Einseitiger Vestibularisausfall Bei akutem Ausfall eines Vestibularorgans kommt es zu einem Nystagmus, dessen rasche Phasen zur Gegenseite der Läsion gerichtet sind. Dabei haben die raschen Phasen auch eine torsionale Komponente, mit Rucken der 12Uhr-Position ebenfalls zur Gegenseite der Läsion. Da dieser Nystagmus ohne einen auslösenden Drehreiz vorhanden ist, bezeichnet man ihn als vestibulären Spontannystagmus.
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Der vestibuläre Spontannystagmus wird durch Sehkonturen gehemmt, denn die bei den langsamen Nystagmusphasen entstehende Verschiebung des Netzhautbilds wirkt wie ein bremsender optokinetischer Reiz. Deswegen sollte man bei Ausschluss von Sehkonturen auf das Vorhandensein eines peripheren vestibulären Spontannystagmus prüfen, z. B. indem man die Augen durch eine Frenzel-Leuchtbrille beobachtet (▶ Abb. 1.44). Eine Alternative dazu ist, im Dunkelzimmer das Punktlicht des Ophthalmoskops auf die Papille zu lenken [87]. Driftet das Auge zwischen eingestreuten Sakkaden immer in eine bestimmte Richtung, so handelt es sich um langsame Nystagmusphasen. Eine Folge von Sakkaden ohne dazwischen auftretende Drift ist dagegen bedeutungslos. Zustande kommt der periphere vestibuläre Spontannystagmus durch seitenungleiche Afferenzen. Aktionspotenziale treffen im Gehirn nur vom intakten Vestibularorgan ein, nicht vom ausgefallenen. Das Gehirn interpretiert die Seitenungleichheit der Afferenzen so, als ob der Kopf gedreht worden wäre, und zwar zur Seite des intakten Vestibularorgans. Das täuschende Gefühl der Kopfdrehung führt zu Schwindel, vergleichbar dem des Gesunden nach Aussteigen aus einem Karussell. Die Umwelt scheint sich entgegen den langsamen Nystagmusphasen zu drehen, und dem Patienten ist übel. Er vermeidet jede Kopfdrehung, denn dadurch würde die Asymmetrie der Afferenzen verstärkt und damit auch der Schwindel. Glücklicherweise wird der durch Läsion eines Vestibularorgans entstandene Nystagmus innerhalb weniger Tage durch zentralnervöse Kompensation gehemmt, und damit hört auch der Schwindel weitgehend auf. Es bedarf dann der nachfolgend beschriebenen Techniken, um den Defekt nachzuweisen.
Drehimpulstest Beim Drehimpulstest [40] nimmt man den Kopf des Patienten zwischen beide Hände und dreht ihn ruckartig. Dabei soll der Patient fixieren, z. B. die Nase des Untersuchers. Wenn der vestibulookuläre Reflex beeinträchtigt ist, bleiben die Augen nicht auf den Fixierpunkt ausgerichtet, sondern werden von dem sich drehenden Kopf mitgenommen. Dabei sieht der Patient verschwommen, und er muss Korrektursakkaden einsetzen, um die Augen wieder auf den Fixierpunkt zu richten. Um den Patienten an die ihm bei der Untersuchung zugemutete Kopfdrehung zu gewöhnen, sollte man den Kopf zunächst nur langsam über einen kleinen Winkel drehen. Danach muss man den Reiz aber steigern und den Kopf ruckartig über eine Amplitude von etwa 30° drehen, damit das vestibuläre System wirklich gefordert wird.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
H ●
Beim Drehimpulstest zeigt sich eine Störung, wenn der Kopf zur Läsionsseite gedreht wird.
Dies sei am Beispiel eines rechtsseitigen Vestibularisausfalls erklärt. Die Ruheaktivität des einzig funktionierenden, linken Vestibularorgans beträgt etwa 90 Aktionspotenziale pro Sekunde. Bei Linksdrehung kann die Aktivität von 90 bis auf 400 Hz gesteigert werden, und dieser Spielraum reicht für die Kompensation schneller Kopfdrehungen aus. Bei Rechtsdrehung kann die Aktivität des linken Vestibularorgans aber nur wenig gesenkt werden, nämlich von 90 Hz auf null, ein Spielraum, der für die Kompensation schneller Kopfdrehungen nicht ausreicht.
Kalorische Ohrspülung Dieser Test gehört in die Hand des Ohrenarztes. Aussagekräftig ist vor allem die Warmspülung des Ohres auf der Läsionsseite (▶ Abb. 1.45). Normalerweise müsste man dabei einen Nystagmus erwarten, der dem Spontannystagmus entgegengesetzt ist. Bleibt die Umkehr des Spontannystagmus aus, kann man schließen, dass die vestibuläre Afferenz auf der gespülten Seite nicht funktioniert. Die häufigste Ursache des einseitigen Vestibularisausfalls ist der Morbus Menière.
Beidseitiger Vestibularisausfall Wenn beide Vestibularorgane ausgefallen sind, gibt es keine Asymmetrie, die zu Spontannystagmus führen würde. Allerdings fehlt der vestibulookuläre Reflex völlig. Der Patient merkt dies an Scheinbewegungen, sobald er seinen Kopf schnell in irgendeine Richtung dreht. Beim Gehen ist er durch Oszillopsie gestört, da es sich nicht vermeiden lässt, dass der Kopf mit jedem Schritt ein wenig wippt. So kann der Patient z. B. eine Bahnhofsuhr nicht ablesen, wenn er zum Zug läuft; er muss dazu stehen bleiben. Die häufigsten Ursachen des beidseitigen Vestibularisausfalls sind ototoxische Antibiotika (Aminoglykoside) [88].
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel Typischerweise tritt der paroxysmale Lagerungsschwindel plötzlich auf, wenn der Patient seinen Kopf schnell nach hinten rechts oder hinten links legt. Bereits nach wenigen Sekunden hört der Schwindel wieder auf. Das Adjektiv „benigne“ bedeutet, dass keine schwerwiegende Krankheit zugrundeliegt. „Paroxysmal“ bedeutet, dass der Schwindel plötzlich auftritt und rasch wieder vorbei ist.
Ursache des paroxysmalen Lagerungsschwindels sind kalkhaltige Bröckchen, die von der Kupula des Otolithenorgans (Sakkulus oder Utrikulus) abgeschwemmt wurden und sich meist im hinteren vertikalen Bogengang aufgrund der Schwerkraft frei bewegen. Dadurch werden die Sinneshaare im Bogengang gereizt, und es entsteht als objektives Korrelat des Schwindels der benigne paroxysmale Lagerungsnystagmus, der neben einer vertikalen auch eine rotatorische Komponente aufweist. Mit bestimmten Umlagerungen des Kopfes kann ein erfahrener Therapeut die kalkhaltigen Bröckchen aus dem betroffenen Bogengang an eine Stelle des Labyrinths lotsen, wo sie nicht mehr stören [11].
4
Zentraler vestibulärer Spontannystagmus Vestibulärer Spontannystagmus kommt nicht nur durch Schäden an den Bogengängen und dem N. vestibularis zustande, sondern auch durch Läsion des Nucleus vestibularis oder seiner Projektion zu den Augenmuskelkernen. Man spricht dann vom zentralen vestibulären Spontannystagmus. Im Gegensatz zum peripheren vestibulären Spontannystagmus finden sich bei der zentralen Form meist weitere Zeichen einer Hirnstammläsion, z. B. eine internukleäre Ophthalmoplegie. Auch die Optokinetik ist betroffen, denn das vestibuläre System und die Optokinetik kommen in den Vestibulariskernen zu einer gemeinsamen Endstrecke zusammen. Da auch die Optokinetik ausgefallen ist, fehlt die Möglichkeit, die durch den Nystagmus entstehende Verschiebung des Netzhautbilds zu bremsen. Entsprechend lässt sich der zentrale vestibuläre Nystagmus nicht durch Fixation unterdrücken, und die Patienten leiden unter Oszillopsie. Als Beispiel für einen zentralen vestibulären Nystagmus sei der Downbeat-Nystagmus angeführt, bei dem die Augen während der raschen Phasen nach unten rucken und während der langsamen Phasen nach oben driften. Der Nystagmus verstärkt sich im Seitblick oder ist überhaupt nur im Seitblick zu erkennen. Als Ursache des Downbeat-Nystagmus kommen vor allem eine zerebelläre Degeneration, die Arnold-Chiari-Fehlbildung und ein Hirnstamminfarkt infrage, aber auch Medikamente wie z. B. Lithium. Der Downbeat-Nystagmus kommt aber auch bei Patienten vor, die sonst keine Krankheitszeichen aufweisen und bei denen die Ursache unklar bleibt. Der Downbeat-Nystagmus lässt sich in manchen Fällen mit Aminopyridinen bessern [68] (darin S. 731).
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Merke
4.3 Supranukleäre Störungen
Alexander-Gesetz Die Stärke des peripheren und zentralen vestibulären Spontannystagmus ist von der Blickrichtung abhängig. Bei Blick in Richtung der raschen Phasen ist der Nystag-
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mus stärker, bei Blick in Richtung der langsamen Phasen schwächer [5]. Die Abhängigkeit von der Blickrichtung beruht auf einem sinnvollen Kompensationsmechanismus. Das Gehirn lässt den in Kap. Rasche Augenbewegungen: Sakkaden und rasche Nystagmusphasen und Kap. 4.3.3 beschriebenen Integrator leck werden („Leaky Integrator“) [68] und produziert auf diese Weise einen Blickrichtungsnystagmus, der den vestibulären Nystagmus überlagert. Dies führt z. B. dazu, dass ein vestibulärer Spontannystagmus, der nach rechts schlägt, zwar bei Rechtsblick zunimmt, dafür aber bei Linksblick abgeschwächt wird. Diesen Vorteil kann der Patient nutzen, indem er den Linksblick bevorzugt.
4.3.8 Frühkindlicher Nystagmus Der frühkindliche Nystagmus besteht nicht von Geburt an, sondern entwickelt sich erst im 2. oder 3. Lebensmonat [33]. Dies ist die Zeit, zu der die genikulokortikale Sehbahn ausgereift ist. Eine ausgereifte genikulokortikale Sehbahn könnte eine der Voraussetzungen für die Entwicklung des frühkindlichen Nystagmus sein [29]. Bereits bevor sich der Nystagmus zeigt, fallen manche Säuglinge dadurch auf, dass sie ihren Blick nicht auf vorgehaltene Gegenstände richten können, obwohl dies ihrem Alter entsprechen würde. Die Eltern befürchten dann, ihr Kind könnte blind sein. Diese Befürchtung lässt sich durch den Nachweis einer intakten Lichtreaktion der Pupillen zerstreuen. Beim frühkindlichen Nystagmus müssen 2 Formen unterschieden werden: ● Idiopathischer frühkindlicher Nystagmus (idiopathisch = Ursache bislang unbekannt): Die Augen sind strukturell und funktionell in Ordnung. Der idiopathische frühkindliche Nystagmus kann autosomal dominant oder X-chromosomal vererbt sein. Meistens sind aber keine anderen Familienmitglieder betroffen. ● Frühkindlicher Nystagmus aufgrund eines vor dem Corpus geniculatum laterale gelegenen Sehbahndefekts: An den brechenden Medien, den Netzhäuten oder den Sehnerven besteht eine genetisch bedingte Erkrankung oder ein Schaden, der intrauterin erworben wurde. Ein frühkindlicher Nystagmus darf nur dann als idiopathisch angesehen werden, wenn ein Defekt in der Optik, der Netzhaut und der Sehbahn ausgeschlossen wurde. Die nachfolgend aufgeführten 8 Merkmale gelten für beide Formen des frühkindlichen Nystagmus: ● Der frühkindliche Nystagmus wird (im Gegensatz zum peripheren vestibulären Spontannystagmus) nicht durch Fixation gehemmt. ● Die Schlagform des frühkindlichen Nystagmus ist abnorm. Im Gegensatz zu den beiden auch beim Gesunden vorkommenden Nystagmusarten, dem optokinetischen und dem vestibulären Nystagmus, ist die Ge-
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schwindigkeit der langsamen Phasen nicht gleichförmig, sondern sie ändert sich fortlaufend. Dies ist im Nystagmogramm als durchgebogener Kurvenzug zu erkennen. Im Säuglingsalter findet sich oft ein Pendeln, zunächst ohne Sakkaden. Diese treten dann im Kleinkindesalter hinzu. Die jeder Sakkade folgende langsame Phase zeigt meist eine zunehmende Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit der langsamen Phasen kann auch unregelmäßig wechseln, so dass komplizierte Schlagformen entstehen [16], [43], [84]. In manchen Fällen ändert sich die Schlagform innerhalb weniger Sekunden (▶ Abb. 4.47). Bei der idiopathischen Form ist der frühkindliche Nystagmus an beiden Augen gleich, und es besteht Binokularsehen ohne Schielen. Bei Nystagmus aufgrund eines prägenikulären Sehbahndefekts bewegen sich beide Augen oft etwas ungleich, und das Binokularsehen ist gestört. Der frühkindliche Nystagmus schlägt meist rein horizontal, auch bei Hebung und Senkung des Blicks. Vertikale und rotatorische Komponenten kommen jedoch vor. Schlagform und Intensität ändern sich mit der Blickrichtung. Der Blickfeldbereich, in dem der Nystagmus am schwächsten ist, wird „ruhige Zone“ genannt, nicht „ruhige Phase“. Der Patient bevorzugt die entsprechende Blickrichtung. Liegt die ruhige Zone in der Mitte des Blickfelds, hält der Patient seinen Kopf gerade. Liegt sie exzentrisch, nimmt der Patient eine kompensatorische Kopfhaltung ein, um die ruhige Zone nutzen zu können (▶ Abb. 4.47). Wird der Blick von der ruhigen Zone aus nach rechts gewendet, zeigt sich meist ein Nystagmus mit rechts gerichteten Rucken; wird er nach links gewendet, schlägt die Ruckrichtung meist nach links um. Bei der Aufgabe, kleine Sehzeichen zu erkennen, nimmt der Nystagmus ab, jedenfalls dann, wenn der Patient psychisch entspannt ist [83]. Bei Naheinstellungskonvergenz nimmt der Nystagmus bei den meisten Patienten ab [71]. Auch fusionale Konvergenz, herbeigeführt mit einem Prisma Basis außen, dämpft bei manchen Patienten den Nystagmus. Sehr selten sind Patienten, die nur bei Visusanforderung einwärts schielen, um ihren Nystagmus durch Konvergenz zu dämpfen [18], [55]. Die Hemmung des frühkindlichen Nystagmus durch Konvergenz sollte nicht mit der Hemmung des latenten Nystagmus bei Adduktion des fixierenden Auges verwechselt werden. Der früher gebräuchliche Ausdruck Nystagmusblockierungssyndrom [4]schloss beide Situationen ein. Wegen dieser begrifflichen Unschärfe sollte der Ausdruck Nystagmusblockierungssyndrom vermieden werden. Die Optokinetik ist in der Schlagebene des Nystagmus gestört, also meist in der horizontalen Ebene. Manche Patienten reagieren in der Schlagebene ihres Nystagmus überhaupt nicht auf optokinetische Reize [58]. Dagegen funktioniert die Optokinetik in der dazu rechtwinkligen Ebene.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.3 Supranukleäre Störungen Patienten mit frühkindlichem Nystagmus Folgebewegungen ausführen [19]. Dabei verwenden sie aber als Regelgröße vermutlich nicht die Verschiebung, sondern die Position des Netzhautbilds in Bezug auf die Fovea centralis [59]. ▶ Kopfwackeln. Viele Patienten mit frühkindlichem Nystagmus können ihren Kopf nicht still halten, besonders bei psychischer Anspannung. In den meisten Fällen trägt das Kopfwackeln nicht dazu bei, die Augen ruhig auf das Fixierobjekt zu richten [68] (darin S. 709). ▶ Oszillopsie. Oszillopsie, ein scheinbares Zittern der Sehobjekte, wird von den Patienten mit frühkindlichem Nystagmus in der Regel nicht wahrgenommen [1]. Dies beruht zu einem kleinen Teil auf einer erhöhten Wahrnehmungsschwelle gegenüber retinaler Bildverschiebung. Wichtiger ist, dass das Gehirn über den von ihm selbst erzeugten Nystagmus aufgrund einer „Efferenzkopie“ Bescheid weiß [21]. Daher erwartet es die durch den Nystagmus entstehende Verschiebung des Netzhautbilds und deutet sie nicht als Bewegung der Umwelt.
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Häufig kommt es in der Bewegungsrichtung des optokinetischen Reizes nicht zu einer Folgebewegung, sondern stattdessen zu Sakkaden [66]. Dieses Phänomen wird als Inversion des optokinetischen Nystagmus bezeichnet.
Über den Mechanismus der Inversion gibt es verschiedene Ansichten. So lässt sich die Inversion als Verschiebung der ruhigen Zone gegen die Reizrichtung beschreiben [66]. Eine andere Erklärungsmöglichkeit ist, dass Sakkaden kompensatorisch eingesetzt werden, da das Folgesystem nicht richtig funktioniert [70]. Zwar können manche
▶ Herabgesetzte Sehschärfe. Die Sehschärfe ist bei allen Formen des frühkindlichen Nystagmus herabgesetzt, auch bei den Patienten ohne Sehbahndefekt. Das Ausmaß der Sehschärfenherabsetzung korreliert mit der Wellenform des Nystagmus. Je länger das Sehobjekt während eines Nystagmuszyklus auf der Fovea centralis abgebildet bleibt (Foveation Period), umso besser die Sehschärfe [20]. Diese Korrelation sagt aber nichts über den ursächlichen Zusammenhang aus. Meist wird angenommen, eine unruhigere Wellenform des Nystagmus mit kürzerer Abbildung auf der Fovea führe zu schlechterer Sehschärfe. Dunn und Mitarbeiter haben aber darauf aufmerksam gemacht, dass der Zusammenhang auch umgekehrt sein könnte: Eine schlechte Sehschärfe könnte die Ursache für Wellenformen mit kürzerer Abbildung auf der Fovea sein [25]. Der Vorteil, den Patienten ausnützen, wenn sie den Kopf drehen, um die ruhige Zone des Nystagmus aufzusuchen, könnte nicht im Erkennen feinerer Details liegen als in einer schnelleren Wahrnehmung dieser Details, so Dunn und Mitarbeiter.
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Abb. 4.47 Frühkindlicher Nystagmus. Typisch sind die beim Gesunden nicht vorkommenden, ungleichförmigen langsamen Nystagmusphasen. Bei 40° Rechtsblick stehen die Augen fast ruhig. Um diese Blickrichtung nützen zu können, wendet der Patient seinen Kopf nach links.
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Pathogenese Die Entstehung des frühkindlichen Nystagmus ist noch nicht geklärt [68] (darin S. 710). Eine Hypothese gründet sich auf den optokinetischen Defekt [56], [58] [59]. Aufgrund dieses Defekts fehlt ein Regelkreis, der dazu dient, die Drehgeschwindigkeit der Augen an die Umwelt anzupassen. Bei unbewegter Umwelt sollte der optokinetische Regelkreis in der Lage sein, eine Verschiebung des Netzhautbilds zu verhindern, indem er die Augen ruhig stellt. Ohne den optokinetischen Regelkreis können sich jedoch irgendwelche Blickwendungssignale, die im Hirnstamm
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Therapie Die Behandlungsmöglichkeiten sind sehr beschränkt. Liegt das Minimum des Nystagmus im exzentrischen Blickfeld, kann man die kompensatorische Kopfhaltung beseitigen, indem man die Bulbi aus der bevorzugten Position chirurgisch in die Mittelposition dreht, entweder durch kombinierte Rücklagerung und Verkürzung (Kestenbaum-Operation [34]) oder durch reine Rücklagerung (Anderson-Operation [35]). Bei vielen Patienten, die ihren Nystagmus durch Konvergenz bei Naheinstellung dämpfen können, wirkt sich auch eine fusionale Konvergenz günstig aus. Ob dies therapeutisch nutzbar ist, lässt sich durch Prismen mit der Basis außen erproben. Bei positivem Ergebnis kann operativ eine Exophorie geschaffen werden (Kap. 5.5). Gelegentlich findet man Patienten, die spontan eine Exophorie haben, deren fusionale Kompensation den Nystagmus dämpft [62]. Eine hochdosierte Rücklagerung aller in der Nystagmusebene aktiven Muskeln kann den Nystagmus dämpfen [6], [8], [30], [65], [72]. Ob der Effekt den Eingriff rechtfertigt, ist allerdings fraglich.
Okklusion RA
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Okklusion LA
Die operative Therapie des frühkindlichen Nystagmus ist ausführlich in Kap. 5.5 beschrieben. Manchen Medikamenten wird eine dämpfende Wirkung auf den frühkindlichen Nystagmus wie auch auf andere abnorme Augenbewegungen zugeschrieben [68] (darin S. 728–735). Der frühkindliche Nystagmus variiert in Abhängigkeit vom psychischen Befinden. Entsprechend kritisch müssen Berichte über therapeutische Erfolge beurteilt werden. Ein einigermaßen verlässliches Urteil lässt sich nur aufgrund placebokontrollierter Studien gewinnen. Eine in dieser Hinsicht mustergültige Studie wurde 1998 von Evans und Mitarbeitern publiziert [27]. Diese Autoren zeigten, dass ein Training mit zentralem Nachbild keine spezifische Wirkung auf den frühkindlichen Nystagmus hat.
4.3.9 Latenter Nystagmus „Latent” heißt „verborgen”. Diesem Wortsinn entsprechend wurde der Begriff latenter Nystagmus in der Vorstellung eingeführt, dass der Nystagmus bei freiem Blick mit beiden Augen überhaupt nicht vorhanden sei, sondern erst bei Okklusion eines Auges zum Vorschein komme. Diese Vorstellung wird dem Wesen des latenten Nystagmus jedoch nicht ganz gerecht. Der latente Nystagmus ist nämlich fast stets mit Strabismus kombiniert, und es genügt schon die spontane Suppression des schielenden Auges, um den Nystagmus zum Vorschein zu bringen, wenn auch oft nur schwach [48]. Man spricht dann von einem manifesten Nystagmus vom Latenstyp. Charakteristisch für den latenten Nystagmus ist eine Umkehr der Schlagrichtung beim Wechsel zwischen Rechts- und Linksfixation (▶ Abb. 4.48).
Merke
H ●
Ein latenter Nystagmus liegt vor, wenn die Augen bei Fixation des rechten Auges nach rechts und bei Fixation des linken Auges nach links rucken.
1s
10°
Abb. 4.48 Latenter Nystagmus. Bei Okklusion des rechten Auges (Linksfixation) driften die Augen nach rechts und rucken nach links. Bei Okklusion des linken Auges (Rechtsfixation) driften die Augen nach links und rucken nach rechts. DC-Elektronystagmogramm, gemeinsame Registrierung beider Augen.
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zufällig entstehen, ungehindert auswirken, und eine Verschiebung des Netzhautbilds wird nicht verhindert. Mit dieser Hypothese ist vereinbar, dass (prägenikuläre) Sehbahndefekte zu frühkindlichem Nystagmus führen, denn eine intakte prägenikuläre Sehbahn ist Voraussetzung für die Reifung des optokinetischen Systems [80]. Neue tierexperimentelle Befunde stützen die Vermutung, dass ein optokinetischer Defekt Ursache des frühkindlichen Nystagmus sein könnte [86]. Das gemeinsame Vorkommen von frühkindlichem Nystagmus mit kongenitaler stationärer Nachtblindheit (CSNB) führte zu dem Verdacht, dass der für den Nystagmus verantwortliche optokinetische Defekt schon in der Netzhaut liegen könnte, und zwar an der Synapse zwischen Stäbchen und ON-Bipolarzellen [77]. Dieser Verdacht hat sich bei genetisch veränderten Mäusen bestätigt [45]. Beim Menschen liegt der optokinetische Defekt und der Motor des frühkindlichen Nystagmus allerdings nicht in der Netzhaut, sondern in der sensomotorischen Verarbeitung des Gehirns.
4.3 Supranukleäre Störungen Es wurde vorgeschlagen, eine abnehmende Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphasen als definierendes Kriterium zu benützen und damit den latenten vom frühkindlichen Nystagmus zu unterscheiden [17]. Dies ist jedoch fragwürdig, denn die langsamen Phasen können auch mit gleichförmiger Geschwindigkeit ablaufen [2], [58], [76]. Der latente Nystagmus folgt dem Alexander-Gesetz [5] (Kap. Alexander-Gesetz): er nimmt bei Blick in Richtung der langsamen Phase ab. Der Patient nützt dies, indem er sein fixierendes Auge in Adduktion einstellt und den Kopf kompensatorisch zur anderen Seite dreht.
3. Das Fehlen binokularer Neurone verhindert die Reaktionsfähigkeit auf temporal gerichtete optokinetische Reize (▶ Abb. 4.49). 4. Die herabgesetzte Reaktionsfähigkeit auf temporal gerichtete Reize erlaubt ein Abgleiten der Augen nach nasal und führt damit zu den langsamen Phasen des latenten Nystagmus. Mit dieser Hypothese lässt sich erklären, dass der latente Nystagmus weitgehend verschwindet, wenn Sehkonturen nicht nur einem, sondern beiden Augen dargeboten wer-
4 Um auf latenten Nystagmus zu prüfen, sollte man den Wechsel zwischen Rechts- und Linksfixation bei ausgeglichenem Schielwinkel durchführen. Dies kann im Rahmen des alternierenden Prismenabdecktests geschehen oder am Synoptophor, indem man beim „Umblinken“ den objektiven Winkel eingestellt lässt. Wenn man diese Empfehlung nicht befolgt und die Augen abwechselnd in Primärposition fixieren lässt, überlagert sich die dem Alexander-Gesetz entsprechende Blickrichtungskomponente. Schwachen latenten Nystagmus erkennt man am besten bei der ophthalmoskopischen Fixationsprüfung. Auch dabei sollte man beim Wechsel von Rechts- auf Linksfixation eine Änderung der Blickrichtung vermeiden, indem man die Augen – dem Esotropiewinkel entsprechend – jeweils in Adduktion fixieren lässt. Zur Prüfung der monokularen Sehschärfe sollte man das Partnerauge nicht schwarz abdecken, sondern nur gerade so stark vernebeln, dass man sicher sein kann, das freie Auge ist das geprüfte. Bei einer Vernebelung des Partnerauges manifestiert sich der Nystagmus nicht so stark wie bei einer Schwarzabdeckung, und man erhält eine etwas bessere Sehschärfe.
temporal gerichtete Bewegung
Corpus geniculatum laterale
NOT-DTN L
V1→MT→MST L R L R In V1 nur Monokularzellen keine Binokularzellen
Beziehung des latenten Nystagmus zum frühkindlichen Schielen Der latente Nystagmus ist eine Komponente des frühkindlichen Schielsyndroms [14], [64], [67], [75]. Entsprechend bedeutet die Feststellung eines latenten Nystagmus, dass das Schielen schon vom frühen Kindesalter an bestand und normales Binokularsehen nicht erreicht werden kann.
Pathogenese Über die Entstehung des latenten Nystagmus gibt es mehrere Hypothesen. Nach unserer Vermutung [56], [63] entsteht der latente Nystagmus in 4 Schritten: 1. Primär ist ein frühkindliches Schielen vorhanden. 2. Das frühkindliche Schielen verhindert die Entwicklung binokularer Neurone in der Sehrinde.
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Untersuchungstechnik
V1→MT→MST
Balken Hirnrinde R
L
R+L
Abb. 4.49 Störung der nach temporal gerichteten Folgebewegung und der Optokinetik bei frühkindlichem Strabismus nach der Hypothese von Hoffmann und Distler Temporal gerichtete, dem linken Auge dargebotene Bewegungsreize können nicht auf den linken (gleichseitigen) NOT-DTN übertragen werden (NOT = Nucleus des optischen Traktes, DTN = dorsaler terminaler Nucleus). Grund: In der Hirnrinde fehlen Binokularzellen. Von den Monokularzellen des linken Auges (L) kann sich die Verbindung zum linken NOT-DTN nicht ausbilden, da die von der Hirnrinde im NOT-DTN eintreffenden Meldungen nicht mit denen übereinstimmen, die im Säuglingsalter über den akzessorischen optischen Trakt (gestrichelter Pfeil) vom rechten Partnerauge eintreffen. Nasal gerichtete, dem linken Auge dargebotene Bewegungsreize können auf den rechten NOT-DTN übertragen werden (siehe die in ▶ Abb. 1.42a dargestellten normalen Verhältnisse). Entsprechend funktionieren Folgebewegung und Optokinetik bei nasal gerichteten Reizen ([24], [42]).
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.3.10 Erworbener Fixationsnystagmus Ein Nystagmus, der bei Fixation ungehindert fortbesteht, wird als Fixationsnystagmus bezeichnet. Als Beispiel ist bereits der frühkindliche Nystagmus besprochen worden (Kap. 4.3.8). Ein dem frühkindlichen ähnlicher Fixationsnystagmus kann im Rahmen der multiplen Sklerose erworben werden, sehr selten auch als Folge eines Angioms oder einer Durchblutungsstörung [37], [69]. Gegen die mit erworbenem Fixationsnystagmus einhergehende, sehr lästige Oszillopsie hilft in manchen Fällen eine medikamentöse Behandlung [68] (darin S. 728– 735). 6
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Kürzlich Brodsky MC: Is infantile esotropia subcortical in origin? Progress in brain research 248: 183-193 (2019)
4.3.11 Spasmus nutans Der Spasmus nutans ist ein Nystagmus, der im 1. Lebensjahr beginnt und nach 1–2 Jahren, ausnahmsweise auch später, weitgehend verschwindet [32]. In der Regel zeigt der Spasmus nutans eine hohe Frequenz (über 7 Hz) und eine kleine Amplitude [32], [36]. Die Schlagform ist pendelnd [32]. Meist oszillieren die Augen horizontal. Vertikale und raddrehende Komponenten kommen aber vor. Oft ist der Spasmus nutans an den beiden Augen ungleich ausgeprägt, so dass man den Eindruck haben kann, nur ein Auge oszilliere. In vielen Fällen ist der Spasmus nutans nur ab und zu vorhanden [32]. Viele Kinder mit Spasmus nutans wackeln mit dem Kopf (nutare = nicken). Die Frequenz des Kopfwackelns liegt um 3 Hz, ist also deutlich niedriger als diejenige des Nystagmus. Auch eine Kopffehlhaltung mit Wendung des Gesichts zur Seite oder mit Neigung des Kopfes zu einer Schulter kann vorkommen. Nicht immer wird die Kopffehlhaltung eingenommen, um die Blickrichtung mit dem geringsten Nystagmus auszunützen [13].
Merke Die Ursache des Spasmus nutans ist unbekannt.
H ●
Differenzialdiagnose Vom frühkindlichen Nystagmus lässt sich der Spasmus nutans durch seine hohe Frequenz und die an beiden Augen unterschiedliche Ausprägung unterscheiden [32]. Außerdem funktioniert beim Spasmus nutans die Optokinetik [32] im Gegensatz zum frühkindlichen Nystagmus. Vorgetäuscht werden kann der Spasmus nutans durch ein Gliom im Chiasmabereich [28], [32], [52]. Arnoldi und Tychsen (1995) fanden bei 67 Fällen mit Spasmus nutans jedoch keinen einzigen mit Gliom. Bei Bewertung der Literatur schätzten sie die Häufigkeit auf weniger als 1,4 % [7]. Kiblinger und Mitarbeiter (2007) beschrieben bei 22 Fällen mit Spasmus nutans in 2 Fällen ein Gliom in der Sehnervenkreuzung [49]. Bowen und Mitarbeiter fanden bei 40 Patienten mit Spasmus nutans, bei denen ein Kernspintomogramm durchgeführt worden war, in keinem einzigen Fall einen Tumor [10]. Arnoldi und Tychsen empfahlen eine neuroradiologische Untersuchung nur, wenn eines der folgenden Verdachtsmomente vorliegt [7]: ● vertikale, gegenläufige Schlagform nach Art des Schaukelnystagmus (See-Saw-Nystagmus) ● Papillenatrophie ● relativer afferenter Pupillendefekt ● andere neurologische Auffälligkeiten ● Hydrozephalus im Ultraschallbild Ob ein Kernspintomogramm durchgeführt werden sollte, muss in jedem Einzelfall abgewogen werden. Zu berücksichtigen ist, dass bei den noch sehr jungen Patienten für
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den. Dann ergänzen sich nämlich die optokinetischen Kontrollsysteme beider Augen. Das optokinetische Kontrollsystem des rechten Auges verhindert ein Abgleiten der Augen nach rechts, das optokinetische Kontrollsystem des linken Auges ein Abgleiten nach links. Diese Hypothese wurde tierexperimentell gestützt [82]. So führt eine frühe Verhinderung des Binokularsehens durch alternierende Lidspaltenvernähung [79] oder ein durch Tenotomie des M. rectus lateralis herbeigeführtes Schielen [85] zu latentem Nystagmus. Es spielen aber weitere Faktoren eine bisher noch nicht geklärte Rolle. So besteht z. B. keine signifikante Korrelation zwischen der Stärke des latenten Nystagmus und der optokinetischen Asymmetrie, wenn man die Optokinetik mit hoher Geschwindigkeit des Reizmusters prüft (über 20°/s) [38]. Außerdem kann auch die nach nasal gerichtete optokinetische Reaktion beeinträchtigt sein [38], [61]. Eine zusätzliche Erklärung erfordert auch die Beobachtung, dass sich fehlendes Binokularsehen infolge eines im Kindesalter enukleierten Auges weniger auf die optokinetische Asymmetrie auswirkt als frühkindlicher Strabismus6 [73]. Fraglich ist die von manchen Autoren [81] vertretene Auffassung, dass der latente Nystagmus primär vorhanden sei und die Esotropie die Folge des latenten Nystagmus. Während der langsamen Nystagmusphasen driftet nämlich nur das fixierende Auge nach nasal, das nicht fixierende dagegen nach temporal. Wie soll eine konjugierte Drift beider Augen zum Schielen führen? Ein dem latenten Nystagmus entsprechendes „Monophthalmie-Syndrom“ kann entstehen, wenn sich in den ersten Lebensmonaten Binokularsehen nicht entwickeln kann, weil ein Auge enukleiert werden musste oder nicht zum Sehen taugt, z. B. wegen Katarakt oder Glaskörperblutung. Das nicht betroffene Auge zeigt dann einen Nystagmus, dessen Intensität bei Abduktion zu- und bei Adduktion abnimmt. Die entsprechende Kopfzwangshaltung kann durch eine Augenmuskeloperation beseitigt werden.
4.3 Supranukleäre Störungen
Merke
H ●
Sicher kann die Diagnose eines Spasmus nutans erst rückblickend gestellt werden, wenn der Nystagmus weitgehend verschwunden ist.
Spasmus nutans kommt oft gemeinsam mit anderen Störungen vor, wie Strabismus und verschiedenen Formen der Netzhautdystrophie. Eine gründliche neuroophthalmologische Untersuchung ist daher stets anzuraten.
4.3.12 Sakkadische Oszillationen Die sakkadischen Oszillationen, die das ruhige Fixieren unterbrechen, dürfen nicht mit Nystagmus verwechselt werden. Für Nystagmus sind langsame Phasen charakteristisch; die sakkadischen Oszillationen bestehen nur aus raschen Augenbewegungen. Zwischen den raschen Augenbewegungen kann ein Intervall liegen, in dem die Augen ruhig stehen (Square-Wave Jerks und makrosakkadische Oszillationen), oder auch nicht (Opsoklonus und Ocular Flutter) [68] (darin S. 717). ▶ Square-Wave Jerks. Es handelt sich um Sakkadenpaare. Eine 1. Sakkade führt die Augen weg vom Fixierobjekt. Nach etwa 200 ms folgt eine 2. Sakkade, mit der die Augen zum Fixierobjekt zurückkehren. Square-Wave Jerks können auf eine Hirnerkrankung hinweisen, besonders des Kleinhirns, sie treten aber auch bei vielen Gesunden auf. Das Sehvermögen stören sie nicht. ▶ Makrosakkadische Oszillationen. Makrosakkadische Oszillationen treten in Serien auf, bei denen die Augen von rechts nach links und von links nach rechts rucken, jeweils mit einer Ruheposition von ca. 200 ms zwischen den Sakkaden. Da die Sakkaden über das Fixierobjekt hinweg rucken, ist das Sehvermögen beeinträchtigt. Makrosakkadische Oszillationen können als hypermetrische Square-Wave Jerks aufgefasst werden. Sie kommen vor allem bei Erkrankungen des Kleinhirns vor. ▶ Opsoklonus. Die Augen rucken andauernd in verschiedenen Ebenen hin und her, ohne Ruheintervall zwischen den Sakkaden. Meist sind die Sakkaden groß, so dass sie sofort auffallen. Gelegentlich sind sie aber so klein, dass sie nur an der Spaltlampe oder beim Ophthalmoskopieren bemerkt werden können. Viele Patienten mit Opsoklonus zucken auch mit ihren Gliedmaßen (Myoklonus).
▶ Ocular Flutter. Ocular Flutter kann als milde Form des Opsoklonus angesehen werden. Es treten Salven von Hinund Her-Sakkaden auf, die auf die horizontale Ebene beschränkt bleiben. Man weiß noch nicht, wie Opsoklonus und Ocular Flutter zustandekommen und welche Hirnstruktur verantwortlich ist. Als Ursache des Opsoklonus kommen viele Erkrankungen in Betracht [68] (darin S. 722), vor allem: ● Enzephalitis im Rahmen einer Infektionskrankheit (meist mit spontaner Besserung) ● Nebenwirkung von Medikamenten [68] (darin S. 990) ● paraneoplastische Immunreaktion bei Kindern: ○ Neuroblastom ● paraneoplastische Immunreaktion bei Erwachsenen: ○ Bronchialkarzinom ○ Uteruskarzinom ○ Mammakarzinom ○ Blasenkarzinom ○ Schilddrüsenkarzinom
4
Therapeutisch kommen neben der Therapie der Grunderkrankung Glukosteroide, ACTH und Rituximab in Frage [68] (darin S. 735).
4.3.13 Störungen der Vergenz
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die Untersuchung eine Narkose erforderlich ist. Zudem ist es bei Gliomen im Bereich der Sehnerven und des Chiasma opticum meist sinnvoll, den Verlauf zu beobachten und nur bei Fortschreiten zu behandeln. Abzuwarten ist daher meist die bessere Entscheidung.
Sowohl bei der Konvergenzlähmung als auch bei der Divergenzlähmung ist die entfernungsabhängige Änderung des Vergenzwinkels gestört: der AC/A-Quotient ist erniedrigt. Die für die Vergenz verantwortlichen supranukleären Strukturen liegen im Mittelhirn. Von einer Divergenzlähmung ist eine beidseitige Abduzensparese zu unterscheiden. In beiden Fällen ist der Konvergenzwinkel in der Ferne größer als in der Nähe, aber die Abduktionssakkaden sind nur bei der Abduzensparese verlangsamt. Bei den Vergenzlähmungen muss man prüfen, ob nur die Augenbewegungen gestört sind oder auch die Akkommodation und die Naheinstellungsmiosis. Sind alle 3 Komponenten gestört, also die ganze „Trias“, handelt es sich um eine Naheinstellungslähmung. Ein Naheinstellungsspasmus liegt vor, wenn Konvergenz, Akkommodation und Naheinstellungsmiosis überschießen. Naheinstellungslähmung und Naheinstellungsspasmus dürfen bei Fehlen weiterer neurologischer Ausfälle nur mit großem Vorbehalt als Ausdruck einer organischen Läsion angesehen werden. Handelt es sich dabei doch um Innervationsmuster, die weitgehend von der Willkür abhängen. Entsprechend muss man bei Naheinstellungslähmung und -spasmus in erster Linie an psychogene Störungen denken. Dies gilt auch, wenn der Naheinstellungsspasmus in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Unfall aufgetreten ist [51]. Bei Naheinstellungsspasmus ist es in der Regel sinnvoll, wenn sich der Patient psychotherapeutisch beraten lässt. Manchmal kann eine Schwä-
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chung eines oder beider Mm. recti mediales durch Injektion von Botulinum-Toxin helfen, möglicherweise über Suggestion [44] (Kap. 5.6.6). Zusammen mit dem Naheinstellungsspasmus kann auch ein Willkürnystagmus und ein dissoziierter Endstellungsnystagmus des abduzierten Auges [53] vorkommen – beides Zeichen, die nicht als Beweis einer organischen Läsion angesehen werden dürfen.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.4 Lidbewegungsstörungen G. Kommerell, W. A. Lagrèze
4.4.1 Physiologische Vorbemerkung Der M. levator palpebrae und der M. orbicularis oculi sind antagonistische Muskeln. Beim Blinzeln werden die beiden Muskeln gegenläufig innerviert. Um das Oberlid zu senken, zieht sich der M. orbicularis oculi zusammen und der M. levator palpebrae entspannt sich. Umgekehrt arbeiten die Muskeln, um das Oberlid zu heben: der M. levator palpebrae zieht sich zusammen und der M. orbicularis oculi entspannt sich. Anders wird die Mitbewegung des Oberlids bei Auf- und Abblick bewirkt [1], [5]. Hierbei ändert sich die Innervation nur im M. levator palpebrae. Bei der Hebung des Oberlids wird der M. levator palpebrae aktiviert, bei der Senkung gehemmt. Um das Oberlid zu senken, zieht nicht der M. orbicularis oculi, sondern elastisches Bindegewebe, das federartig zwischen innerem und äußerem Lidbändchen ausgespannt ist [8]. Der M. levator palpebrae steht mit dem M. rectus superior in innervatorischer Beziehung [7]. Beim Auf- und Abblick entsprechen sich die Innervationsänderungen der beiden Muskeln, und das Oberlid folgt dem Auge. Anders bei willkürlichem Lidschluss. Hier verläuft die Innervation im M. levator palpebrae und M. rectus superior gegensinnig: das Lid wird gesenkt und der Bulbus nach oben gedreht. Dieses Bell-Phänomen sieht man besonders deutlich bei Fazialislähmung, wenn der M. orbicularis oculi nicht zukneifen kann (▶ Abb. 4.50). Das Bell-Phänomen kommt nur zustande, wenn die Lider kräftig zugekniffen werden bzw. bei Fazialislähmung zugekniffen werden sollen. Im Schlaf werden die Augen dagegen nicht nach oben gedreht. Der sympathisch innervierte Müller-Lidmuskel hat nur eine Haltefunktion. Für rasche Positionsänderungen der Lider, wie sie beim Blinzeln sowie bei Auf- und Abblick auftreten, ist er ohne Bedeutung.
4.4.2 Fazialislähmung Man unterscheidet eine periphere von einer zentralen Fazialislähmung. Die periphere Fazialislähmung (▶ Abb. 4.50, ▶ Abb. 4.51) entsteht durch Läsion des Fazialiskerns oder des N. facialis. Von der Lähmung sind alle gleichseitigen Gesichtsmuskeln betroffen, also auch der M. orbicularis oculi. Daher ist der Lidschluss unvollständig und die Hornhaut von Austrocknung bedroht. Eine leichte periphere Fazialislähmung lässt sich am besten im Seitenvergleich an einer Verlangsamung des Lidschlags erkennen. Ein weiteres brauchbares Zeichen ist, dass die Wimpern beim Zukneifen der Augen auf der gelähmten Seite nicht so weit zwischen die Falten der Lider eingezogen werden können wie auf der gesunden Seite (signe des cils, ▶ Abb. 4.51). Die Hornhaut ist besonders gefährdet, wenn der Fazialisnerv vor dem Abgang des N. petrosus superficialis major geschädigt wurde, so dass die Tränensekretion ausfällt. Diese Kombination findet man vor allem bei Tumoren des Kleinhirnbrückenwinkels. Bei der idiopathischen Fazialisparese (idiopathisch = Ursache ungeklärt) liegt die Läsion meist jenseits des Abgangs des N. petrosus superficialis major, so dass die Tränensekretion ungestört bleibt. Die idiopathische Fazialisparese heilt meist innerhalb einiger Wochen, ohne einen Schaden zu hinterlassen. Nach schwerer Schädigung des N. facialis, z. B. durch einen Schädelbasisbruch, kommt es fast immer zu einer Fehlregeneration (vergleiche die Fehlregeneration des N. oculomotorius, Kap. Nervenschäden und deren Heilung). So können z. B. Nervenfasern, die eigentlich der Mundregion zugehörten, in den Lidschlussmuskel aussprossen. Dies führt zu einer Pseudoptosis. Wenn der Patient die Lippen bewegt, schließt sich unwillkürlich das Auge. Andererseits können Nervenfasern, die eigentlich dem Lidschlussmuskel zugehörten, in die Mundregion aussprossen. Man erkennt das daran, dass sich der Mundwinkel verzieht, wenn der Patient die Augen zusammenkneift. Zwischen Hirnstamm und Felsenbein verlaufen entlang der motorischen Fazialisfasern auch sekretorische Fasern für die Speicheldrüsen und die Tränendrüse. Nach einer Schädigung können Fasern, die eigentlich für die Speicheldrüsen bestimmt sind, in die Tränendrüse fehlregenerieren. Dadurch fließen beim Essen unangemessene „Krokodilstränen“.
Abb. 4.50 Periphere Fazialisparalyse links. Die Mitbewegung des Oberlids bei Blick nach oben und unten ist nicht gestört, wohl aber der Lidschluss.
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4.4 Lidbewegungsstörungen betrifft der Krampf auch andere Muskeln des Gesichts. Man spricht dann vom Meige-Syndrom. Die Ursache des essenziellen Blepharospasmus ist unbekannt. Wahrscheinlich liegt ein organischer Schaden zugrunde, der von einer psychischen Komponente überlagert wird [6]. Es handelt sich um eine Erkrankung des höheren Lebensalters.
Merke
H ●
Psychotherapie, suggestive Maßnahmen wie Akupunktur und zentralnervös ansetzende Medikamente sind meist erfolglos. Die Injektion von Botulinumtoxin in den Lidschlussmuskel kann das Leiden erheblich erleichtern (Kap. 5.6).
Die zentrale Fazialislähmung entsteht durch Läsion der supranukleären Bahn, die vom Gyrus praecentralis der Hirnrinde bis zum Kern des N. facialis zieht. Dabei kreuzt die Bahn zur anderen Seite, ebenso wie die für die Gliedmaßen zuständige Pyramidenbahn. Die zentrale Fazialislähmung findet man am häufigsten im Rahmen eines Schlaganfalls bei Durchblutungsstörung in einer Hirnhälfte. Gelähmt ist nur der Mundast des N. facialis, oft verbunden mit einer Lähmung der Gliedmaßen, jeweils auf der Gegenseite der Hirnläsion. Lidschluss und Stirnrunzeln sind bei der zentralen Fazialislähmung kaum beeinträchtigt. Die Aussparung der oberen Gesichtshälfte erklärt sich daraus, dass die ihr zugeordneten Fazialisfasern zusätzlich von der gleichseitigen Hirnhälfte angesteuert werden.
Merke
H ●
Die periphere Fazialislähmung betrifft alle Muskeln einer Gesichtshälfte. Die zentrale Fazialislähmung betrifft nur die Mundregion.
4.4.3 Blepharospasmus Unter Blepharospasmus versteht man einen krampfhaften Lidschluss.
Essenzieller Blepharospasmus Beim essenziellen Blepharospasmus ziehen sich beide Lidspalten krampfhaft zusammen. Bei manchen Patienten
Dass Botulinumtoxin den essenziellen Blepharospasmus beheben kann, erscheint trivial – wird doch der Lidschlussmuskel gelähmt. Beim krampfhaften Lidschluss kommt es aber nicht nur zu einer Aktivierung des M. orbicularis, sondern auch zu einer Hemmung des M. levator palpebrae. Das Botulinumtoxin verhindert zwar die Aktivierung des M. orbicularis, nicht aber die Hemmung des M. levator palpebrae. Man müsste daher erwarten, dass die Lidspalte nach der Injektion von Botulinumtoxin zwar nicht mehr krampfhaft zugezogen wird, dass sich das Oberlid aber wegen der Hemmung des M. levator palpebrae schlaff vor die Pupille senkt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Patienten ihre Augen nach Injektion von Botulinumtoxin ganz gut offenhalten können. Als Grund kommt ein Mechanismus in Betracht, den man als Gesunder an sich ausprobieren kann: Wenn man die Lider für einige Sekunden fest zusammenpresst, verspürt man eine unangenehme Reizung der Augenoberfläche, die zu Tränenlaufen und krampfhaftem Blinzeln führen kann. Beim Patienten könnte diese Reizung der Augenoberfläche den Spasmus in einem Teufelskreis immer wieder befeuern. Durch Lähmung der Lidschlusskraft mittels Botulinumtoxin könnte dieser Teufelskreis unterbrochen werden.
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Abb. 4.51 Geringe periphere Fazialisparese links. Bei angestrengtem Lidschluss werden die Wimpern des linken Auges nicht so weit eingezogen wie die des rechten Auges.
4
Hemifazialer Spasmus Leitsymptom des hemifazialen Spasmus sind tickartige Zuckungen der Muskeln einer Gesichtshälfte, von der Stirn bis hinunter zum Platysma. Der hemifaziale Spasmus entsteht durch Druck einer Gefäßschlinge auf den N. facialis, und zwar an seiner Austrittsstelle aus dem Hirnstamm. (Entsprechend entsteht die Trigeminusneuralgie durch Druck einer Gefäßschlinge auf den N. trigeminus und die Obliquus-superior-Myokymie durch Druck einer Gefäßschlinge auf den N. trochlearis.) Durch einen neurochirurgischen Eingriff, bei dem ein Polster aus Muskelgewebe oder Kunststoff zwischen Gefäß und Nerv eingeschoben wird, kann der hemifaziale Spasmus beseitigt werden. Leider ist dieser Eingriff nicht
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.4.4 Levatorlähmung Eine Lähmung des M. levator palpebrae zeigt sich an einer Ptosis und besonders an einer Einschränkung der Mitbewegung des Lids bei Auf- und Abblick.
Angeborene Ptosis Der angeborenen Ptosis liegt in der Regel nicht ein Schaden der nervalen Versorgung zugrunde, sondern eine Fehlbildung des Levatormuskels. Typisch für die angeborene Ptosis ist, dass die Lidspalte im mittleren Blickfeld zwar enger ist als die des normalen Partnerauges, im unteren Blickfeld aber weiter (▶ Abb. 4.52). Dies beruht darauf, dass sich der Levatormuskel nicht genügend dehnen kann. Daher haben manche Patienten mit angeborener Ptosis beim Schlafen einen Lagophthalmus, auch wenn der willkürliche Lidschluss vollständig ist. Ist die Ptosis beidseitig ausgeprägt, erzwingt dies einen Abblick mit einer kompensatorischen Hebung des Ge-
sichts. Aber auch viele Patienten mit einseitiger Ptosis heben ihr Gesicht, um bei Abblick beide Pupillen frei zu bekommen und binokular sehen zu können. Entsprechend ist eine Kopfzwangshaltung bei einseitiger Ptosis als Hinweis darauf zu werten, dass der Patient in der Lage ist, beide Augen gemeinsam zu benutzen. Eine schwere Amblyopie ist damit ausgeschlossen. Eine leichte Amblyopie ist bei einseitiger Ptosis jedoch häufig, selbst wenn im unteren Blickfeld Binokularsehen besteht [4], [9]. Als Ursache kommt vor allem ein Astigmatismus in Betracht, der durch den anomalen Liddruck entstanden ist.
Merke
H ●
Im Gegensatz zur angeborenen Ptosis führt eine Verengung der Lidspalte durch ein Hämangiom oder ein Lymphangiom meist zu einer schweren Amblyopie.
Eine operative Korrektur der angeborenen Ptosis sollte in der Regel erst im Alter von mindestens 5 Jahren erfolgen. Dann ist der Eingriff technisch einfacher, da die Lidstrukturen nicht mehr ganz so klein sind wie im frühen Kindesalter.
4.4.5 Levatorüberfunktion Eine Überfunktion des M. levator palpebrae und damit eine Retraktion des Oberlids kommt vor, wenn die Blickhebung eingeschränkt ist (▶ Abb. 4.53). Um die Einschränkung zu überwinden, setzt der Patient einen verstärkten Hebungsimpuls ein. Dieser wirkt sich am ungelähmten M. levator palpebrae in voller Stärke aus, so dass das Oberlid zu hoch gezogen wird. Eine Retraktion des Oberlids kann sowohl bei nervaler als auch bei mechanischer Hebungseinschränkung der Augen entstehen. Bei einseitiger Ptosis kann es zu einer relativen Überfunktion des kontralateralen M. levator palpebrae kommen, wenn sich der Patient durch Aufreißen der Augen bemüht, binokular zu sehen. Ob dieser Mechanismus vorliegt, lässt sich feststellen, indem man das Auge verdeckt, dessen Oberlid zu tief steht. Danach verschwindet die Retraktion des kontralateralen Oberlids (▶ Abb. 4.54).
Abb. 4.52 Levatorlähmung rechts bei angeborener Ptosis. Die Mitbewegung des Oberlids bei vertikalen Blickwendungen ist herabgesetzt. Da der M. levator palpebrae nicht nur gelähmt ist, sondern sich auch nicht genügend dehnen kann, steht das Oberlid bei Abblick zu hoch.
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ohne Risiko. Insbesondere kann der benachbarte VIII. Hirnnerv so schwer geschädigt werden, dass der Patient auf der operierten Seite ertaubt. Botulinumtoxin dämpft den hemifazialen Spasmus in aller Regel so gut, dass die Patienten das Risiko des neurochirurgischen Eingriffs nicht eingehen wollen.
4.4 Lidbewegungsstörungen
Abb. 4.54 Lähmung des rechten M. levator palpebrae und relative Überfunktion des linken M. levator palpebrae. Bei Okklusion des rechten Auges gibt der Patient sein Bemühen auf, die Lähmung des rechten M. levator palpebrae durch Aufreißen der Lider zu überwinden.
4.4.6 Mandibulopalpebrale Synkinese (Marcus-GunnPhänomen) Der englische Ophthalmologe Marcus Gunn beschrieb Ende des 19. Jahrhunderts eine angeborene innervatorische Koppelung des M. levator palpebrae mit dem gleich-
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Abb. 4.53 Oberlidretraktion bei Blicklähmung nach oben.
seitigen M. pterygoideus lateralis, also dem Muskel, der das Kieferköpfchen beim Öffnen des Mundes nach vorne zieht. Daraus ergibt sich bei Mundöffnung und bei Verschiebung des Kinns zur Gegenseite eine Hebung des herabhängenden Lides (▶ Abb. 4.55). Das Marcus-Gunn-Phänomen gehört zu den angeborenen Fehlinnervationen (Congenital Cranial Dysinnervation Disorders = CCDD). Im ungünstigsten Fall werden alle Fasern des M. levator palpebrae fehlgesteuert. Dann sind die abnormen Lidbewegungen beim Sprechen und Kauen sehr auffällig. Weniger störend ist, wenn nur ein Teil der Fasern des M. levator palpebrae fehlgesteuert ist und der M. levator palpebrae großenteils normal innerviert wird. Eine ideale Behandlung gibt es leider nicht. Bei ausgeprägter Fehlsteuerung bleibt nur die Möglichkeit, den M. levator palpebrae durch Exzision ganz auszuschalten und das Lid an der Augenbrauengegend aufzuhängen, am besten durch Implantation autogener Fascia lata. Der Patient kann dann ersatzweise den Stirnmuskel benützen, um das Lid zu heben. In manchen Fällen ist es angezeigt, auch auf der gesunden Seite Fascia lata zu implantieren, um die Lidbewegungen beider Seiten anzugleichen [2], [3]. In Fällen, in denen nicht die abnormen Bewegungen des Lides im Vordergrund stehen, sondern das Herabhängen, kann durch eine Ptosisoperation ohne Exzision des M. levator palpebrae ein akzeptables Ergebnis erreicht werden. Manchen Patienten mit mandibulopalpebraler Synkinese gelingt es, durch Training vor einem Spiegel die Position des fehlgesteuerten Lides unter Kontrolle zu bringen [10]. Anfänglich muss dabei der Unterkiefer verschoben werden. Nach einiger Übung genügt eine isometrische Anspannung des M. pterygoideus lateralis. Der Wert dieser Übungsbehandlung ist jedoch fragwürdig, da die Lidposition bei emotionalen mimischen Äußerungen außer Kontrolle gerät. Will der Patient dies vermeiden, verliert er seine Spontaneität.
Abb. 4.55 Mandibulopalpebrale Synkinese (Marcus-Gunn-Phänomen). Hebung des ptotischen Lides bei Mundöffnung.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
Die Lähmung des sympathisch innervierten Müller-Muskels ist eine Komponente des Horner-Syndroms (Kap. 4.5.5). Charakteristisch ist, dass das Oberlid bei Abblick um den gleichen Betrag zu tief steht wie bei Aufblick. Man kann diesen Befund als konkomitante Ptosis bezeichnen und von der inkomitanten Ptosis unterscheiden, die bei Lähmung des M. levator palpebrae auftritt. Die Konkomitanz beruht darauf, dass der Müller-Muskel zwischen dem M. levator palpebrae und dem Tarsus ausgespannt ist. Ein Tonusverlust des Müller-Muskels wirkt wie eine Verlängerung der Sehne des M. levator palpebrae. Die Funktion des Levatormuskels bleibt unbeeinträchtigt, so dass sich das Oberlid bei Auf- und Abblick gut mitbewegt. Wegen der Konkomitanz des Oberlids bei Auf- und Abblick lässt sich die Ptosis beim Horner-Syndrom operativ gut korrigieren. Da sympathisch innervierte glatte Muskelfasern auch im Unterlid vorhanden sind, steht beim Horner-Syndrom nicht nur das Oberlid zu tief, sondern auch das Unterlid zu hoch.
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4.5 Störungen der Pupillenmotorik H. Wilhelm, G. Kommerell In diesem Kapitel werden nur die wichtigsten klinischen Gesichtspunkte der Pupillendiagnostik dargestellt. Ausführlichere Informationen finden sich im Handbook of Clinical Neurology [51] und in den entsprechenden Kapiteln in Walsh and Hoyt’s Clinical Neuro-Ophthalmology [27].
4.5.1 Anatomische und physiologische Grundlagen Die Pupille regelt den Lichteinfall auf die Netzhaut und passt die Schärfentiefe an. Der Regelkreis für den Lichteinfall besteht aus der Afferenz, dem zentralen Schaltapparat und der Efferenz. Pupillenweite und Lichtreaktion sind sehr variabel, so dass es kaum möglich ist, Normwerte zu definieren. Von der Pubertät an nimmt der Pupillendurchmesser um durchschnittlich 0,4 mm pro Dekade ab, das Ausmaß der Lichtreaktion bleibt aber gleich. Bei Frühgeborenen ist eine Pupillenlichtreaktion ab einem Gestationsalter von 30 Wochen nachweisbar [31]. Die Afferenz ist komplizierter, als früher angenommen. Es wurde eine Untergruppe von etwa 1 % der retinalen Ganglienzellen identifiziert, deren Axone nicht im Corpus geniculatum laterale sondern im Nucleus suprachiasmaticus und im Mittelhirn enden [4], [10], [12], [17], [24]. Diese Ganglienzellen sind selbst lichtempfindlich, sie enthalten den Sehfarbstoff Melanopsin und funktionieren demnach auch dann noch, wenn Stäbchen und Zapfen ausgefallen sind – etwa bei fortgeschrittener Retinitis pigmentosa. Sie dienen nicht der visuellen Wahrnehmung, sondern funktionieren als eine Art Belichtungsmesser, der die innere Uhr synchronisiert und die Pupillenweite einstellt. Diese Ganglienzellen bewirken eine langsame und anhaltende, tonische Pupillenverengung [7], [17]. Die rasche phasische Pupillenverengung läuft hingegen über Stäbchen und Zapfen. Bei der Funktionsdiagnostik, z. B. im Rahmen der Gentherapie von degenerativen Netzhauterkrankungen, spielt die Pupillografie mit speziell auf einzelne Ganglienzellgruppen zugeschnittenen Lichtreizen mittlerweile eine wichtige Rolle (▶ Abb. 4.56). Nach klassischer Vorstellung [23] zweigt die Pupillenbahn vom Tractus opticus noch vor Erreichen des Corpus geniculatum laterale in die Area praetectalis des Mittelhirns ab. Danach sollte die Sehrinde keinen Einfluss auf die Pupillenlichtreaktion haben. Tatsächlich findet man aber in einem Großteil der okzipitalen Läsionen einen afferenten Pupillendefekt, wenn man in dem entsprechenden homonymen Gesichtsfeldausfall reizt [1], [11], [36], [37]. Eine Erklärung für diese sog. Hemihypokinesie
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4.4.7 Ptosis bei Horner-Syndrom
4.5 Pupillenmotorik
Ganglion ciliare
N. oculomotorius Edinger-WestphalKern
Sehnerv Chiasma Corpus geniculatum laterale Area praetectalis
Abb. 4.56 Anatomische Grundlagen des Pupillenlichtreflexes. Die Afferenz verläuft in Sehnerv, Chiasma und Tractus opticus und erreicht schließlich das dorsale Mittelhirn, wo die Impulse auf die vegetativen Okulomotoriuskerne jeder Seite verteilt werden. Dort beginnt die parasympathische Efferenz. Viele Befunde sprechen dafür, dass es auch von der Sehstrahlung und der Sehrinde Verbindungen zum dorsalen Mittelhirn gibt, welche die Lichtreaktion beeinflussen.
4
Sehstrahlung
Sehrinde
Merke
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Die Pupillenreaktion des beleuchteten Auges nennt man direkte Lichtreaktion, die des anderen Auges konsensuelle (indirekte) Pupillenreaktion. Diese sind im Normalfall gleich.
Über die parasympathische Efferenz verlaufen Licht- und Naheinstellungsreaktion der Pupille vom Edinger-Westphal-Kern über den N. oculomotorius zum Ganglion ciliare in der Orbita, von dem aus die kurzen Ziliarnerven zum M. sphincter pupillae ziehen [23]. Den gleichen Weg nehmen Fasern, die den Akkommodationsimpuls zum Ziliarmuskel leiten. Die Naheinstellungsmiosis ist bei Kindern und Jugendlichen noch wenig ausgeprägt. Erst ab dem 20. Lebensjahr
verengt sich die Pupille in üblicher Lesedistanz deutlich [49]. Die sympathische Efferenz beginnt im Hypothalamus und zieht zum Centrum ciliospinale des Rückenmarks (C 8–Th 2). Von dort verläuft das 2. Neuron zum Ganglion cervicale superius, wo das 3. Neuron beginnt. Dieses zieht entlang der A. carotis interna, schmiegt sich an Abduzens- und Trigeminusfasern und erreicht über die Fissura orbitalis superior den M. dilatator pupillae. Außer dem M. dilatator pupillae innerviert der N. sympathicus am Auge noch den Müller-Muskel (M. tarsalis) des Oberlids und einige glatte Muskelfasern im Unterlid (▶ Abb. 4.57).
Merke
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könnte sein, dass ein Teil oder vielleicht auch das gesamte phasische System über die retrogenikuläre Sehbahn und Sehrinde läuft. Bei Ausfall beider Okzipitallappen, der okzipitalen Erblindung, ist die Lichtreaktion der Pupillen zwar auslösbar, jedoch nur mit höherer Lichtintensität als beim intakten Sehsystem [2]. Dies könnte von den melanopsinhaltigen Ganglienzellen vermittelt sein [18], [26]. Die Kreuzung der Sehbahn im Chiasma und die Verteilung der pupillomotorischen Impulse von jeder Seite der Area praetectalis auf jeden der beiden Edinger-Westphal-Kerne sorgen dafür, dass sich bei Belichtung eines Auges auch die kontralaterale Pupille in gleichem Ausmaß verengt. Mit sehr genauen Untersuchungsmethoden findet man geringe Unterschiede, die aber in der Routine keine Rolle spielen. Die Mitreaktion der Partnerpupille nennt man konsensuelle Pupillenreaktion.
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Bei Ausfall des Sympathikus bleibt die Lichtreaktion erhalten, bei Ausfall des Parasympathikus ist sie gestört.
Das zentrale Sympathikussystem, in dem der Locus coeruleus eine wichtige Rolle spielt, hemmt den EdingerWestphal-Kern und bewirkt so eine deutliche Pupillenerweiterung [3]. Lässt diese zentrale Hemmung nach, was vor allem bei Schläfrigkeit der Fall ist, kommt es zu rhythmischen Konstriktionen der Pupille, die man vor allem in Dunkelheit mittels Infrarotbeobachtung erkennt. Diese Oszillationen kann man quantifizieren und als Maß für die Schläfrigkeit nutzen [44]. Eine schwache Kontraktion der Pupillen lässt sich auch durch Sehreize auslösen, die nicht mit einer Änderung der durchschnittlichen retinalen Beleuchtung einhergehen, z. B. Musterreize oder isoluminante Farbreize [45]. Selbst die Vorstellung von Helligkeit durch eine optische Täuschung kann eine Pupillenkonstriktion bewirken [20].
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
III
GC
VI 3. GCS 1.
GT V1 ACI
2.
CCS
SG
1.,2.,3. erstes, zweites, drittes Neuron des Sympathikus AP Area praetectalis III N. oculomotorius GC Ganglion ciliare VI N. abducens GT Ganglion trigeminale V1 erster Trigeminusast GCS Ganglion cervicale superius ACI A. carotis interna CCS Centrum ciliospinale, C8 bis Th2 SG sympathischer Grenzstrang
4.5.2 Routineuntersuchung der Pupillen
4.5.3 Störung der parasympathischen Efferenz
Leitsymptom einer Störung der Efferenz ist die Anisokorie. Bei einer Störung der sympathischen Efferenz ist die Lichtreaktion normal, bei einer Störung der parasympathischen Efferenz ist sie ausgefallen oder verlangsamt. In diesem Fall nimmt die Anisokorie meistens im Hellen zu, bei einer Sympathikusstörung nimmt sie im Dunkeln zu. Die Pupillenuntersuchung beginnt grundsätzlich mit dem Vergleich der Pupillenweiten und der Prüfung der direkten Lichtreaktionen. Die Prüfung der Nahreaktion ist nur bei gestörter Lichtreaktion erforderlich. Wenn keine Anisokorie besteht, ist die Prüfung der konsensuellen Pupillenreaktion nicht erforderlich, denn sie muss der direkten entsprechen. Es erfolgt der Vergleich der direkten Lichtreaktionen, um einen relativen afferenten Pupillendefekt auszuschließen (siehe dort). Bei einseitiger Störung der Lichtreaktion oder deutlicher Anisokorie ist dieser Vergleich der direkten Lichtreaktionen nicht aussagekräftig. Man muss stattdessen am Auge mit der besser reagierenden Pupille direkte und konsensuelle Reaktion vergleichen.
Leitsymptom ist die Anisokorie mit gestörter Lichtreaktion. Meistens ist die betroffene Pupille die weitere, es kann aber auch die engere sein.
Merke
H ●
Ein korrekter Normalbefund der Pupillen lautet: Pupillen gleich weit, sie reagieren seitengleich auf direkte Beleuchtung.
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Abb. 4.57 Sympathische und parasympathische Innervation der Pupille. Die Sympathikusbahn steigt zunächst in Hirnstamm und Zervikalmark ab, verlässt das Zentralnervensystem etwa auf der Höhe von Th 1, verläuft dann im Grenzstrang, steigt in der Karotiswand zum Sinus cavernosus auf und gelangt schließlich durch die Fissura orbitalis superior in die Orbita. Die parasympathische Bahn verläuft von der Area praetectalis über den N. oculomotorius, das Ganglion ciliare und die kurzen Ziliarnerven zum Auge.
Merke
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Bei Störung der parasympathischen Efferenz ist die Lichtreaktion ausgefallen oder verlangsamt und weniger ausgiebig.
Wenn beide Pupillen bei erhaltener Sehkraft eine schlechte Lichtreaktion zeigen, muss eine doppelseitige Efferenzstörung angenommen werden, oder ein außergewöhnlich hoher Sympathotonus wirkt dem Parasympathikus entgegen, vielleicht weil der Patient Angst hat. Auch parasympatholytisch wirkende Medikamente, z. B. trizyklische Antidepressiva, können diesen Effekt haben. Bei gestörter Lichtreaktion prüft man die Nahreaktion. Dazu fordert man den Probanden auf, erst auf ein fernes, dann auf ein nahes (20 cm) gleich helles Blickziel zu schauen. Mit der Spaltlampe sollte untersucht werden, ob eine Lähmung des Sphincter pupillae den ganzen Muskel betrifft oder nur einzelne Sektoren [40], was für eine Pupillotonie spräche. Außerdem sollte nach lokalen Ursachen einer Bewegungseinschränkung der Iris gefahndet werden, z. B. nach Sphinkterrissen oder Synechien. Bei Störungen der Pupillenlichtreaktion ist es sinnvoll, auch die Akkommodation zu beurteilen, die eng, aber nicht absolut mit der Naheinstellungsmiosis und der Konvergenz gekoppelt ist [14].
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AP
4.5 Pupillenmotorik
Die gefährlichste Ursache der neurogenen Sphinkterlähmung ist die Kompression des N. oculomotorius [6]. Die Pupille ist dabei weit und reagiert weder bei Belichtung noch bei Naheinstellung. Auch die Akkommodation ist gelähmt. Fast immer sind die äußeren vom N. oculomotorius innervierten Augenmuskeln mitbetroffen. Lebensbedrohlich ist ein sich vergrößerndes Aneurysma im Bereich der Schädelbasis, was sofortige Abklärung mittels Kernspintomografie einschließlich Gefäßdarstellung erfordert. Auch ein Tumor sowie eine Verschiebung von Gehirnstrukturen infolge einer Blutung (Kap. 4.2.3) kommen in Frage. Nach einer traumatischen oder durch Kompression bedingten Okulomotoriusläsion findet sich mitunter eine Fehlinnervation der Sphinktermuskulatur [32], [33], ähnlich der Fehlinnervation an den äußeren Augenmuskeln, insbesondere am M. levator palpebrae (Kap. 4.2.3). Die Pupille verengt sich dabei nicht oder nur wenig bei Licht und Naheinstellung, dagegen kontrahieren einzelne Sektoren bei Blickwendungen. Dies erklärt sich dadurch, dass bei der Reinnervation Okulomotoriusfasern, welche eigentlich für äußere Augenmuskeln bestimmt waren, fälschlich in den Sphincter pupillae gewachsen sind. Bei langsam wachsenden Tumoren, insbesondere beim Meningeom, kann es zur primären Fehlregeneration kommen, also ohne vorangegangene Parese [32].
Pupillotonie Die Pupillotonie ist die häufigste parasympathische Innervationsstörung [22]. Meistens entsteht sie nicht akut oder aber das akute Stadium bleibt unbemerkt. Die Betroffenen werden auf ihre Anisokorie hingewiesen oder entdecken sie zufällig im Spiegel. Bei der Pupillotonie liegt der Schaden im Ganglion ciliare oder in den postganglionären Nervenfasern, den kurzen Ziliarnerven. Die Ursache dieser häufigen, fast ausnahmslos harmlosen Erkrankung ist nicht klar [40]. Die Pupille reagiert nicht auf Licht, sehr wohl aber auf Naheinstellung. Diese Nahreaktion ist aber ausgesprochen langsam, ebenso wie die anschließende Wiedererweiterung, sie kann dennoch sehr ausgiebig sein. Diese sog. Licht-Nah-Dissoziation entsteht dadurch, dass Fasern, die eigentlich den Ziliarmuskel innervieren sollten, im Sinne einer Fehlregeneration in den Pupillensphinkter einsprossen. Diese sind im Ganglion ciliare bei Weitem in der Überzahl (30-mal mehr als für den Pupillensphinkter). Die Pupille wird weder im Hellen richtig eng noch im Dunkeln ausgiebig weit. Sie ist nicht ganz rund, sondern leicht oval. Im Laufe der Zeit wird die betroffene Pupille enger und kann sogar enger sein als die gesunde. Mit der Spaltlampe lassen sich „wurmförmige“ Kontraktionen einzelner Sphinkterabschnitte beobachten [41]. Dieses eigentümliche Bild inaktiver und kontraktiler Sphinkterabschnitte ist charakteristisch für die Pupillotonie.
Da der Pupillensphinkter denerviert ist, zeigt er eine typische Denervationssensibilität, d. h. die Pupille verengt sich auf ganz niedrige Pilokarpinkonzentrationen (0,05– 0,1 %), welche normale Pupillen nicht beeinflussen. Dies kann man therapeutisch nutzen, wenn die weite Pupille Blendung oder schlechtes Nahsehen verursacht. Die Pupillotonie beginnt fast immer einseitig. Im Laufe des Lebens wird häufig auch die andere Seite betroffen. Bei etwa 50 % der Patienten mit Pupillotonie fehlen die Sehnenreflexe an den Gliedmaßen oder sie sind schwer auszulösen (Adie-Syndrom) [40]. Die Kombination der Pupillotonie mit Reflexstörungen an den Gliedmaßen deutet darauf hin, dass es sich um eine Neuropathie cholinerger Synapsen handelt. Mitunter ist auch die Schweißsekretion oder die Kreislaufregulation betroffen, aber es kommt nicht zu fortschreitender schwerer Beeinträchtigung [46]. Bildgebende Diagnostik oder neurologische Abklärung ist bei der typischen Pupillotonie nicht erforderlich.
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Blockade des Sphincter pupillae Synechien oder Schäden des Pupillensphinkters kann man an der Spaltlampe sehen. Ist eine Pupille durch ein Parasympatholytikum weit gestellt, kann man dies nicht erkennen. Es kann sein, dass ein Patient versucht, eine Erkrankung vorzutäuschen. Viel häufiger ist der Kontakt mit atropin- und scopolaminhaltigen Pflanzen, typischerweise Engelstrompeten genannt (▶ Abb. 4.58a–c) [47], oder Scopolaminpflaster gegen Reisekrankheit.
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Läsion des Nervus oculomotorius
Abb. 4.58 Parasympatholytisch wirkende Pflanzen. a Besonders üppig blühende Engelstrompete (hier Brugmansia aurea), die es auch noch in Rosa, Rot und Weiß gibt. b Blüte des Stechapfels (Datura stramonium). c Stechapfelfrucht.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.5.4 Supranukleäre Störungen Dorsales Mittelhirnsyndrom Bei Schädigung der Area praetectalis im dorsalen Mittelhirn fällt der Lichtreflex aus, nicht aber die Nahreaktion. Dies hat seinen Grund darin, dass die Bahnen für die Nahreaktion erst im Okulomotoriuskern zur Pupillenbahn stoßen. Man spricht auch da von einer Licht-Nah-Dissoziation. Im Gegensatz zur Pupillotonie erfolgen Nahmiosis und Wiedererweiterung jedoch prompt. Die Pupille ist mittelweit. Ursache ist meist ein Pinealistumor. Verbunden ist diese Störung mit einer vertikalen Blicklähmung der Sakkaden, auch Parinaud-Syndrom genannt [45]. Beim ähnlichen Bild der Argyll-Robertson-Pupille (hier sind die Pupillen eng) handelt es sich um eine länger bestehende doppelseitige Pupillotonie, wie sie bei Lues vorkommen kann [40], [43]. Dieser Befund ist sehr selten.
Physiologische Anisokorie
4.5.5 Störungen der sympathischen Efferenz Ausdruck der sympathischen Innervationsstörung ist das Horner-Syndrom. Dazu gehören: ● Lähmung des M. dilatator pupillae mit Miosis, aber normaler Lichtreaktion ● Ptosis (▶ Abb. 4.59a, b, Kap. 4.4.7) mit geringem Höherstand des Unterlids Ein Enophthalmus wird durch die enge Lidspalte vorgetäuscht [48]. Ist der M. dilatator pupillae gelähmt, so erweitert sich die betroffene Pupille beim Löschen des Lichtes nicht so schnell wie die des normalen Partnerauges. Entsprechend ist die Anisokorie in den ersten 4–5 Sekunden nach Verdunkelung ausgeprägter als nach 15–20 Sekunden [19], [28]. Dies kann man beobachten, wenn man im dunklen Raum die Pupillen mit Streiflicht tangential beleuchtet und sie dann mit einer hellen Lichtquelle verengt. Es ist ratsam, dabei den konsensuellen Reflex zu nutzen, da es bei dunkler Iris schwierig ist, die Pupille genau zu erkennen, wenn man sie gerade eben sehr hell beleuchtet hat. Ein sehr sicherer Nachweis des Horner-Syndroms gelingt mit Apraclonidin, einem Glaukommittel. Dies hat zusätzlich zu seiner α2-andrenergen Wirkung eine schwache α1-adrenerge Wirkung, die normalerweise nicht ausreicht, die Pupille zu erweitern. Die sympathisch denervierte Horner-Pupille reagiert darauf aber über-
Bei vielen gesunden Menschen sind die Pupillen nicht gleich weit, die Lichtreaktion aber normal. Ursache ist wahrscheinlich eine Seitendifferenz hemmender Einflüsse des zentralen Sympathikus auf den Edinger-WestphalKern. Bei fast 10 % der jungen Menschen und fast 20 % der älteren Menschen wird man bei genauem Hinsehen eine Anisokorie bemerken. In der Regel beträgt der Größenunterschied beider Pupillen nicht mehr als 1 mm. In manchen Fällen wechselt das Ausmaß der Pupillendifferenz innerhalb von Minuten oder Stunden. Dabei kann sich die Anisokorie auch umkehren. Vom Horner-Syndrom unterscheidet sich die physiologische Anisokorie dadurch, dass sich beide Pupillen bei Verdunkelung schnell erweitern.
Dilatatorschwäche Bei Neugeborenen und Säuglingen ist der Dilatatormuskel oft noch nicht völlig ausgereift. Dies erkennt man daran, dass die betroffene Pupille enger ist und sich weniger erweitert als die Partnerpupille, insbesondere wenn man Sympathomimetika wie Phenylephrin verwendet. Dies kann mit einem Horner-Syndrom verwechselt werden. Pharmakologische Tests sind dabei aber nicht aussagekräftig.
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Abb. 4.59 Horner-Syndrom des linken Auges. a Der Ausgangsbefund zeigt die im Vergleich zum rechten Auge kleinere Pupille und Lidspalte. b Befund 30 Minuten nach jeweils 1 Tropfen Apraclonidin 0,5 % Augentropfen auf jeder Seite. Pupille und Lidspalte auf der linken Seite haben sich deutlich erweitert. Rechts zeigt sich keine Veränderung der Lidspalte und die Pupille ist kleiner geworden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch die weitere linke Pupille mehr Licht auf die Netzhaut gelangt, wodurch sich die rechte Pupille konsensuell verengt.
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1 %ige Pilokarpin-Augentropfen weisen dies nach. Bei einer Innervationsstörung wird die Pupille eng. Sind die Acetylcholinrezeptoren durch ein Mydriaticum blockiert, wirkt Pilocarpin nur gering [38], die Pupille bleibt weit. Bevor man 1 %iges Pilokarpin tropft, sollte man mit 0,1 % igem Pilokarpin testen, ob nicht eine Pupillotonie vorliegt. Man wartet bei diesen Tests 30 Minuten bis zur Auswertung.
4.5 Pupillenmotorik
Merke
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Der Apraclonidin-Test weist nach, ob ein Horner-Syndrom vorliegt.
Bereits Horner erwähnte, dass mit den Augensymptomen auch ein Verlust der Schweißsekretion verbunden sein kann [13]. Dies erklärt sich dadurch, dass die aus den sympathischen Grenzstrangganglien stammenden Schweißfasern im Bereich des Halses entlang des 2. Neurons verlaufen. Die gleichen Sympathikusfasern, welche die Schweißsekretion veranlassen, innervieren auch die glatte Muskulatur der Arterien. Bei Sympathikusläsionen im Halsbereich erscheint die Gesichtshaut der betroffenen Seite mitunter blass. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass die Gefäßmuskulatur infolge der Denervation überempfindlich auf im Blut zirkulierendes Noradrenalin reagiert. Man spricht auch vom Harlekin-Syndrom. Einem Horner-Syndrom, gleich welcher Lokalisation, kann eine ernste Ursache zugrunde liegen, z. B. ein maligner Tumor. Es ist aber sehr selten, dass das Horner-Syndrom das erste Zeichen eines malignen Tumors darstellt. Verdächtig ist vor allem, wenn Begleitsymptome vorhanden sind, wie etwa eine Sensibilitätsstörung im Trigeminusbereich oder eine Abduzenslähmung oder andere „Nachbarschaftszeichen“. Wichtig ist das akute HornerSyndrom mit in Hals und Schläfen ausstrahlenden Schmerzen, denn es kann eine Karotisdissektion anzeigen. Diese bedarf dringlich sofortiger Antikoagulation, denn es ist die häufigste Ursache eines Schlaganfalls unterhalb des 50. Lebensjahrs. Beim kindlichen HornerSyndrom, dessen Ursache sich nicht eindeutig auf ein Geburtstrauma zurückführen lässt, ist es wichtig, ein Neuroblastom durch Bildgebung auszuschließen. In etwa einem Drittel aller Fälle wird man trotz angemessener Diagnostik überhaupt keine Ursache feststellen. Im Einzelfall ist es nicht leicht, den richtigen Mittelweg zwischen ausreichenden Zusatzuntersuchungen und Überdiagnostik zu finden.
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Wir empfehlen folgendes Vorgehen: bei klarer Ursache: keine Bildgebung bei längerer Bekanntheit als 1 Jahr: keine Bildgebung (alte Fotos zu Rate ziehen) gezielte Bildgebung bei Zusatzsymptomen oder -befunden ungezielte Bildgebung bei Bestehen unter 1 Jahr
Die sympathische Innervation der Iris ist auch für deren Pigmentierung erforderlich. Deshalb bleibt ein Auge mit einem kongenitalen Horner-Syndrom blau oder heller als das Partnerauge. Auch beim lange bestehenden HornerSyndrom des Erwachsenen verliert das betroffene Auge Pigment. Eine Heterochromie zeigt deshalb an, dass das Horner-Syndrom schon lange besteht.
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4.5.6 Störungen der Afferenz Durch Prüfung der Pupillenreaktion auf Licht kann man viele Sehstörungen rasch und einfach objektivieren. Bevor man allerdings die Pupillenreaktion als Indikator für das Funktionieren der Sehbahn benutzt, muss man sich vergewissern, dass die Pupillen sich unbehindert und seitengleich verengen können (siehe Kap. 4.5.2).
Merke
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empfindlich und wird nach 30–60 Minuten weiter sein als die gesunde Pupille. Auch die Lidspalte vergrößert sich, so dass es aussieht, als habe das Horner-Syndrom die Seite gewechselt. Vor dem 1. Lebensjahr sollte man Apraclonidin nicht geben. Man sollte auf den Kokaintest zurückgreifen. Kokain erweitert normale Pupillen, nicht aber eine Horner-Pupille (▶ Abb. 4.59a, b). Erklärung: Normalerweise schütten die Nervenendigungen am Dilatator pupillae immer etwas Noradrenalin aus, da auch in Ruhe einige Aktionspotenziale eintreffen. Dieses Noradrenalin wird wieder in die Nervenendigung rückresorbiert. Kokain verhindert die Rückresorption, so dass mehr Noradrenalin an den Dilatator pupillae gelangt. Wir verwenden bei Säuglingen 2,5 %ige Lösung.
Zuerst die Efferenz und erst dann die Afferenz prüfen.
Bei völliger Blindheit eines Auges findet sich eine amaurotische Pupillenstarre: selbst intensive Belichtung des betroffenen Auges löst keinerlei Pupillenreaktion aus. Dagegen verengen sich beide Pupillen bei Belichtung des normalen Partnerauges ausgiebig und in gleichem Ausmaß. Es entsteht also keine Anisokorie. Der Nachweis einer beidseitigen Erblindung ist schwieriger. Man muss bei fehlendem Lichtreflex nachweisen, dass die Pupille sich kontrahieren könnte. Dies ist mittels Nahreaktion beim Blinden schwierig, aber man kann das Bell-Phänomen nutzen. Bei Aufwärtsbewegung des Bulbus verengt sich die Pupille. Öffnet man mit sanfter Gewalt ein geschlossenes Auge, wird sich der Bulbus von oben in die Primärposition bewegen und die Pupille sich dabei erweitern. Damit hat man nachgewiesen, dass sie sich verengen könnte. Für den Nachweis einer einseitigen Störung der Afferenz empfiehlt sich der Pupillenvergleichstest = Swinging Flashlight Test (▶ Abb. 4.60a, b) [21], [39]. Um den Pupillen genügend Spielraum zu geben, führt man den Test in einem abgedunkelten Raum durch. Der Patient schaut in die Ferne, damit eine Naheinstellungsmiosis vermieden wird. Als Lichtquelle dient ein helles Ophthalmoskop oder eine Taschenlampe (Flashlight). Der Lichtstrahl wird von unten her aus ca. 45° auf ein Auge gerichtet, so dass die Reizung der Netzhaut vor allem
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Abb. 4.60 Relativer afferenter Pupillendefekt. a Normale Efferenz: Die Pupillen sind isokor, aber die bei Belichtung des rechten Auges ausgelöste Pupillenreaktion ist ausgiebiger als die bei Belichtung des linken Auges. b Gestörte Efferenz links: Die linke Pupille ist unbeweglich weit, während die rechte Pupille auf Licht reagiert. Sie reagiert besser, wenn das rechte Auge beleuchtet wird (direkt), als wenn das linke Auge beleuchtet wird (konsensuell). Dies zeigt an, dass nicht nur die Efferenz, sondern auch die Afferenz links gestört ist, was z. B. bei einem Tumor in der Orbitaspitze vorkommen kann.
durch Streulicht erfolgt. Man schwenkt das Licht mehrmals von einem Auge zum anderen. Dabei soll das Licht auf jedem Auge gleich lang (entweder 1 oder 3 Sekunden, s. u.) ruhen und dann rasch auf das andere Auge wechseln. Das Licht sollte so hell sein, dass sich die Pupille gut sichtbar kontrahiert, aber nicht zu hell, um sie ständig „an den Anschlag“ zu bringen. Im Normalfall kontrahieren beide Pupillen synchron, so dass nur die direkte Lichtreaktion beobachtet werden muss. Infolge rascher Adaptation der belichteten Retina erweitern sich die Pupillen nach der initialen Kontraktion sogleich wieder etwas. Wird nun das Licht auf das andere Auge hinübergewechselt, trifft es die dunkeladaptierte Retina, weshalb es wieder zu einer initialen Kontraktion beider Pupillen kommt. Am Ende der daran anschließenden Dilatation sind die Pupillen wieder genauso weit, wie
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sie zuvor bei Belichtung des anderen Auges gewesen waren. Im Falle einer gestörten Afferenz, z. B. bei Erkrankung des linken Sehnervs, wird beim Umschwenken des Lichts auf das linke Auge die initiale Pupillenkontraktion vermisst oder sie ist deutlich schwächer (1. Kriterium), und die Pupillen erweitern sich sofort. Nach wenigen Sekunden weisen sie dann eine größere Endweite auf, als sie bei Belichtung des rechten Auges gehabt hatten (2. Kriterium). Man sollte mit der Lichtintensität und der Beleuchtungsdauer etwas variieren, um den Befund gut herauszuarbeiten, muss aber strikt auf gleiche Bedingungen für beide Augen achten. Fällt der Pupillenvergleichstest pathologisch aus, so liegt ein Relativer Afferenter Pupillen-Defekt am rechten bzw. linken Auge vor. Dabei ist mit relativ der Bezug zum Partnerauge gemeint. Zur Dokumentation im Krankenblatt empfiehlt sich die international gebräuchliche Abkürzung RAPD. Mit dem Pupillenvergleichstest werden einseitige oder einseitig betonte Affektionen des Sehnervs erfasst, aber auch intraokuläre Schäden, z. B. durch Glaukom oder Netzhautablösung. Läsionen des Chiasma ergeben nur dann einen RAPD, wenn das Gesichtsfeld eines Auges stärker beeinträchtigt ist als das des anderen. Bei Traktusschäden mit homonymer Hemianopie findet man einen RAPD kontralateral zur Seite der Läsion. Dies lässt sich teils damit erklären, dass am kontralateralen Auge die größere (temporale) Gesichtsfeldhälfte ausgefallen ist, die auch pupillomotorisch empfindlicher ist als die nasale. Außerdem wird vermutet, dass bei Unterbrechung des Traktus auch Fasern ausfallen, die von einigen Ganglienzellen aus der temporalen Netzhauthälfte des kontralateralen Auges stammen und zu den prätektalen Kernen projizieren [49], [50]. Diese Fasern scheinen nicht dem Sehen, sondern nur dem Lichtreflex der Pupillen zu dienen und könnten somit von den melanopsinhaltigen Ganglienzellen stammen. Von besonderem Nutzen ist der Pupillenvergleichstest bei Patienten, die eine Sehstörung angeben, ohne eine Papillenatrophie oder ausgedehnte Netzhautveränderungen aufzuweisen. In diesen Fällen lässt sich mithilfe des Pupillenvergleichstests entscheiden, ob eine organische Erkrankung vorliegt, wie z. B. eine Optikusneuritis, oder eine Simulation. Bei Medientrübungen, auch bei dichter Katarakt, findet man typischerweise keinen RAPD. Bei Schielamblyopie entdeckt man allenfalls einen geringen RAPD [8], [31]. Dabei korreliert das Ausmaß des RAPD nicht mit dem Schweregrad der Amblyopie. Für die Praxis gilt, dass man bei jeder Erstuntersuchung einseitig Schielender den Pupillenvergleichstest durchführen muss. Zeigt sich dabei ein RAPD, muss man einen organischen Schaden in Betracht ziehen und darf sich nicht ohne gezielte Untersuchungen darauf verlassen, dass ein RAPD mit Schielamblyopie vereinbar ist. Insbesondere muss geprüft werden, ob die Papille atrophisch oder hy-
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
4.5 Pupillenmotorik
4.5.7 Seltene und seltsame Störungen Es gibt einige eigentümlichen Pupillenstörungen, deren Ursache und Pathogenese unklar ist. ▶ Rezidivierende benigne unilaterale Mydriasis. Bei diesen Patienten erweitert sich eine Pupille von Zeit zu Zeit stark, bleibt meistens wenige Stunden lang weit und verengt sich dann wieder [16]. Schmerzen werden dabei nicht empfunden. Vermutlich liegt eine Sympathikusreizung zugrunde. Eine ernste Ursache wurde dabei noch nie gefunden. ▶ Tadpole-shaped Pupil (Tadpole = Kaulquappe). Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Variante der benignen unilateralen Mydriasis, bei der sich nur ein Segment der Pupille verzieht, wodurch sie ihr kaulquappenartiges Aussehen erhält [25], [42]. Bei manchen der Betroffenen bestand ein Horner-Syndrom, seltener eine Pupillotonie. ▶ Peninsula Pupil. Dies ist eine in Labrador entdeckte, wohl hereditäre Anomalie, bei der um das 20. Lebensjahr die Pupille weit und starr wird und die Iris Atrophiezeichen aufweist, während die Akkommodation normal bleibt [5]. Solche Fälle wurden mittlerweile auch in Europa beobachtet [15]. In einem ähnlichen, von uns beobachteten Fall fand sich ein hereditärer Defekt der cholinergen M3-Rezeptoren [29].
▶ Atonische Pupille (Urrets-Zavalia-Syndrom). Nach intraokularen Eingriffen kann es sein, dass eine Pupille weit bleibt und weder auf Licht noch auf Naheinstellung noch auf Miotika reagiert [9]. Der Pathomechanismus ist unklar, der Schädigungsort liegt aber im Dilatator. ▶ Paradoxe Pupillenreaktion. Die Pupille verengt sich, wenn man das Licht ausschaltet. Dies findet man bei Blauzapfenmonochromasie und kongenitaler stationärer Nachtblindheit [30]. Mit Kenntnis der melanopsinhaltigen Ganglienzellen lässt sich dies teilweise verstehen. Diese werden nämlich von den Blauzapfen gehemmt. Schaltet man das Licht aus, fällt die Hemmung weg, und da das Gegengewicht der Rot- und Grünzapfen fehlt, verengt sich die Pupille.
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poplastisch ist. Bei völlig Gesunden kann ein geringer RAPD bis 0,3 log-Einheiten vorkommen, aber jeder auch noch so geringe RAPD sollte Anlass für eine genaue Untersuchung mit Perimetrie sein. Bei Säuglingen kann man den Swinging-Flashlight-Test auch mit dem direkten Ophthalmoskop durchführen, ähnlich wie einen Brückner-Test. Man wechselt zwischen beiden Augen hin und her und kann die rot aufleuchtende Pupille sehr gut beobachten. Wie eingangs beschrieben, addieren sich die in das linke und rechte Auge einfallenden Lichtströme, so dass die Pupillen etwas enger sind, wenn beide Augen dem Licht ausgesetzt sind, als wenn nur eines belichtet wird. Bei Schielenden ist der Beitrag des abweichenden Auges zwar signifikant niedriger als bei Augengesunden, jedoch ist die Überlappung der Daten so groß, dass man im Einzelfall anhand dieser „binokularen Helligkeitssummation“ nicht auf das Binokularsehen schließen kann [34], [35]. Einen scheinbaren RAPD kann man selbst erzeugen. Klebt man ein Auge etwa 20 Minuten lichtdicht ab, adaptiert es dunkel und wird lichtempfindlicher. Nach Entfernen der Okklusion erscheint es, als habe das nicht abgeklebte Auge einen RAPD. Der Effekt hält einige Minuten an. Dies muss man beachten, wenn man einen Patienten mit zuvor okkludiertem Auge untersucht; man kann es aber auch zum Üben nutzen.
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Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik
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4.6 Topodiagnostik der Augenbewegungsstörungen G. Kommerell, W. A. Lagrèze Bei der ursächlichen Abklärung von Augenbewegungsstörungen sind die modernen bildgebenden Verfahren zu einem wertvollen Hilfsmittel geworden. Dies gilt insbesondere für die Magnetresonanztomografie (MRT), die in vielen Fällen den Ort und die Art der Erkrankung anzeigt. Um die bildgebenden Verfahren sinnvoll einsetzen zu können, sollte der Schädigungsort zunächst nach klinischen Gesichtspunkten abgeschätzt werden. Der Neuroradiologe muss wissen, in welchem Bereich er das jeweils erforderliche Auflösungsvermögen seiner Instrumente einsetzen soll. Nur mit einer präzisen Fragestellung können die Möglichkeiten der bildgebenden Diagnostik voll genutzt werden. Nach den folgenden Regeln lässt sich die Ursache einer Augenbewegungsstörung mit großer Wahrscheinlichkeit in einem von 4 topodiagnostischen Bereichen verorten. Topodiagnostische Bereiche (▶ Abb. 4.61): 1. Orbita 2. Subarachnoidalraum und Sinus cavernosus (Hirnnerven III, IV und VI) 3. hintere Schädelgrube (Hirnstamm mit Kleinhirn) 4. supratentorieller Raum (Großhirnhemisphären) Bei der Zuordnung einer Augenbewegungsstörung zu einem dieser 4 Bereiche stützt man sich vor allem auf 2 Kriterien: ● Erstens stellt man fest, ob die Motilitätsstörung beide Augen betrifft oder nur eines. ● Zweitens prüft man, ob alle Bewegungsarten beeinträchtigt sind oder nur ein Teil von ihnen. Um diese Kriterien nutzen zu können, muss man bei jedem Motilitätsproblem folgende Prüfliste abarbeiten: ● Exkursionsfähigkeit der Augen (monokulares Blickfeld) ● Schielwinkel in mehreren Blickrichtungen
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4.6 Topodiagnostik Diese 2. Regel ist einleuchtend, denn die volle Muskelkraft fehlt bei allen Funktionen.
Merke
3. Regel Sind die Bewegungsarten unterschiedlich beeinträchtigt, handelt es sich um eine supranukleäre Läsion, meist im Hirnstamm.
1 Orbita (Augenmuskeln)
2 Sinus cavernosus 3 und Subarachnoidalraum hintere Schädelgrube (Hirnnerven III, IV und VI) (unterer Hirnstamm, Kleinhirn)
Abb. 4.61 Topodiagnostische Bereiche der Augenbewegungsstörungen.
● ● ●
Geschwindigkeit und Treffsicherheit der Blickzielbewegungen Ausschluss von Spontan- und Blickrichtungsnystagmus Folgebewegung und optokinetischer Nystagmus vestibulookulärer Reflex
Für dieses Untersuchungsprogramm benötigt man kein kompliziertes Instrumentarium, und ein geübter Untersucher braucht dazu nur 2–10 Minuten, je nachdem, ob krankhafte Befunde vorliegen oder nicht. Die Ortung der Läsion richtet sich nach den folgenden Regeln.
Merke
H ●
1. Regel Eine Motilitätsstörung, die beide Augen betrifft, beruht auf einer Erkrankung der Orbitae (meist der Augenmuskeln) oder des Hirnstamms.
Mit einer Hirnstammläsion verwechselt werden kann vor allem die chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie (Kap. 4.1) und die Myasthenia gravis (Kap. Myasthenia gravis). Eine Unterscheidung zwischen Orbitae und Hirnstamm erlauben die 2. und die 3. Regel.
Merke
H ●
2. Regel Sind alle Arten von Augenbewegungen beeinträchtigt, handelt es sich um eine Erkrankung der Augenmuskeln oder der sie ansteuernden Nerven.
Der Grund für die 3. Regel liegt darin, dass die Befehle für die verschiedenen Bewegungsarten an unterschiedlichen Orten des Hirnstamms gebildet und auf getrennt liegenden Bahnen zusammengeführt werden. Es besteht daher eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die eine oder andere Bewegungsart von einer Läsion ausgespart bleibt. Die 2. Regel lässt 2 Möglichkeiten offen: Augenmuskeln oder ansteuernde Nerven. Eine Unterscheidung ermöglicht die 4. Regel.
Merke
4
H ●
4. Regel Betrifft die Motilitätsstörung nur ein Auge (und besteht kein Ex- oder Enophthalmus), spricht dies für eine Läsion der ansteuernden Nerven.
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4 supratentorieller Raum (Großhirn-Hemisphären)
●
H ●
Wenn alle 3 Augenmuskelnerven einer Seite ausgefallen sind (III + IV + VI), ist die topische Zuordnung nahezu eindeutig. Dann handelt es sich um ein Sinus-cavernosusSyndrom (Kap. Abduzensparese). ▶ Unterscheidung zwischen faszikulärer und peripherer Hirnnervenlähmung. Die Hirnnerven können sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hirnstamms von einer Erkrankung betroffen sein. Bei einem Schaden innerhalb des Hirnstamms spricht man von einer faszikulären, bei einem Schaden außerhalb des Hirnstamms von einer peripheren Hirnnervenlähmung. Die Unterscheidung kann nur an Schadenszeichen aus der Nachbarschaft der Hirnnerven getroffen werden. So findet man bei faszikulären Lähmungen meist zusätzlich einen Nystagmus, eine Lähmung von Gliedmaßen oder einen gestörten Ablauf von Körperbewegungen (Ataxie). Die Unterscheidung zwischen einer faszikulären und einer peripheren Hirnnervenlähmung ist vor allem für die Diagnose der multiplen Sklerose (MS) von Bedeutung: Die multiple Sklerose befällt nur den intrazerebralen Anteil der Nerven. Daher ist eine MS bei einer Lähmung des III., IV. und/oder VI. Hirnnervs ohne Nystagmus etc. unwahrscheinlich.
375
Störungen der Augen-, Lid- und Pupillenmotorik ▶ Unterscheidung zwischen nukleärer und infranukleärer Hirnnervenlähmung. Beim N. oculomotorius und beim N. abducens lassen sich Läsionen des Kerngebiets von Läsionen der peripheren Nerven gut unterscheiden, denn bei Läsionen des Kerngebiets sind immer auch Muskeln des gegenseitigen Auges betroffen. Selbst wenn bei einer Läsion nur eine Seite des Nucleus oculomotorius betroffen ist, fällt der gegenseitige M. rectus superior aus (Kap. 1.2.3). Die Läsion eines Abduzenskerns führt zu einer Adduktionseinschränkung des gegenseitigen Auges bei Blickwendung (Kap. Internukleäre Ophthalmoplegie (INO)).
Merke
H ●
5. Regel Ein Ausfall der Optokinetik ohne andere Augenbewegungsstörungen zeigt eine Hemisphärenläsion an, und zwar auf der Seite, zu der die langsame Phase gestört ist. Mit anderen Augenbewegungsstörungen, z. B. mit Blickrichtungsnystagmus, ist der optokinetische Defekt ein Läsionszeichen des Hirnstamms oder des Kleinhirns.
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▶ Unterscheidung zwischen einer Läsion des Hirnstamm-Kleinhirn-Gebiets und des Großhirns. Folgende Gesichtspunkte sind hilfreich: Eine Blicklähmung kommt sowohl bei Läsion der Brücke als auch der Großhirnhemi-
sphäre vor (Kap. Horizontale Blicklähmung). Häufigste Ursache der hemisphärischen Blicklähmung ist der Schlaganfall. Die hemisphärische Blicklähmung wird (im Gegensatz zur pontinen) in wenigen Tagen durch eine Ersatzschaltung behoben. Es bleibt aber oft eine Optokinetikstörung, die für die topische Differenzialdiagnose nach der 5. Regel genutzt werden kann.
376
Augenmuskeloperationen
5.1
Allgemeine Hinweise
378
5.2
Operationsverfahren
385
5.3
Nichtparetisches Schielen
398
5.4
Paretisches Schielen
413
5.5
Nystagmus
432
5.6
Botulinumtherapie
444
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Kapitel 5
Augenmuskeloperationen
5 Augenmuskeloperationen 5.1 Allgemeine Hinweise
besonders in der Frühphase von Misserfolgen und Fehlentwicklungen geprägt.
H. Kaufmann, H. Steffen Die Entwicklung der heute üblichen chirurgischen Methoden erstreckte sich über einige Jahrhunderte und war
Entwicklung der Augenmuskeloperation 1652 hatte N. P.Tulp vorgeschlagen, den Schiefhals durch Myotomie des M. sternocleidomastoideus zu kurieren. Die Durchtrennung der Achillessehne zur Behandlung des Klumpfußes durch Thilenius folgte 1794. Auf dieser gedanklichen Grundlage erprobte L. Strohmeyer 1838 die Myotomie eines Augenmuskels an einer Leiche. 1839 führte der Orthopäde Johann Friedrich Dieffenbach, der bereits 300 Klumpfüße und 60 Schiefhälse operiert hatte, die Myotomie eines Augenmuskels (M. rectus medialis) an einem 7-jährigen Kind durch. Mangels jeglicher Anästhesie benötigte er 3 Helfer, deren einzige Aufgabe darin bestand, den sitzenden Patienten festzuhalten und dessen Lider zu öffnen. Wahrscheinlich nur einige Tage später nahm Florent Cunier eine Myotomie des M. rectus lateralis vor. Beide übersahen wahrscheinlich, dass bereits 1818 William Gibson ähnliche Eingriffe beschrieben hatte. Die Operationserfolge wurden begeistert aufgenommen, und die Myotomie der Augenmuskeln fand schnelle Verbreitung. 1841 hatte Dieffenbach bereits 1200 Patienten operiert und 6 Jahre später mehr als 3000! W. E. Duffin operierte 1840 in 3 Tagen 70 Patienten. Myotomien wurden an allen Augenmuskeln vorgenommen, zumeist transkonjunktival, bei der Myotomie des M. obliquus inferior aber auch transkutan. Ludwig Böhm verfasste 1845 das erste größere Lehrbuch über den Strabismus (Das Schielen und der Sehnenschnitt in seinen Wirkungen auf Stellung und Sehkraft der Augen). Augenmuskelchirurgie war damals Myotomie, andere Operationsmethoden waren nicht bekannt. Schon bald wurde offenkundig, dass das langfristige Ergebnis der Myotomie oft ein Übereffekt war. Vor allem der postoperative Strabismus divergens nach Myotomie des M. rectus medialis galt schon bald als problematisch und drohte, die gesamte Augenmuskelchirurgie zu diskreditieren. Einige Operateure versuchten, operative Methoden zur Verbesserung der Übereffekte zu entwickeln. Bereits 1840 beschrieb Dieffenbach unter der Bezeichnung „Fadenoperation“ eine Technik, mit der ein durch die Insertion des M. rectus lateralis gezogener Faden am Nasenrücken fixiert wurde, um den postoperativen Strabismus divergens zu vermindern. Die Begeisterung angesichts der spektakulären Früherfolge der Myotomie wich langsam, aber stetig, einer rea-
378
●V
listischen Einschätzung dieser Operationsmethode. Damit war die Frühphase der operativen Schielbehandlung abgeschlossen. Erst mit Albrecht von Graefe begann der Einzug naturwissenschaftlicher Anschauungen über die Muskelwirkungen und deren chirurgische Veränderungen in die Strabologie. Albrecht von Graefe war nicht nur der Begründer der modernen Intraokularchirurgie, er war vor allem auch Strabologe. 1854 widmete er die ersten eigenen Beiträge im „Archiv für Ophthalmologie“ (heute Graefes Arch Clin Exp Opht) der operativen Schielbehandlung und der Funktion der schrägen Augenmuskeln [102]. Seine einzige Monografie trug den Titel Symptomenlehre der Augenmuskellähmungen [103]. Der erste Teil dieser Symptomenlehre ist identisch mit seiner lateinisch verfassten Habilitationsschrift De musculorum ocularium paralyseon symptomatis. Einen großen Fortschritt stellte 1898 das Buch seines Vetters Alfred Graefe über die Motilitätsstörungen [104] dar, das erstmalig eine Systematik der Augenmuskeloperationen enthielt. 1905 beschrieb Landolt eine Muskel-SehnenVerlängerung als Ersatz für die Tenotomie. Die erste Transpositionsoperation erfolgte 1907 durch Hummelsheim. Einen großen Entwicklungssprung bei der operativen Behandlung der Schielerkrankungen brachte im deutschsprachigen Raum Alfred Bielschowsky [16], vor allem sein Buch über Die Motilitätsstörungen der Augen [15], das in zwei Teilen zwischen 1907 und 1932 erschien. Operationen an den schrägen Augenmuskeln wurden kaum durchgeführt. Lediglich Herzau und Meesmann berichteten über größere Fallzahlen nach Operationen am M. obliquus inferior. Die Tenotomie des M. obliquus inferior wurde erst 1951 bzw. 1962 von Fink durch die dosierte Rücklagerung ersetzt. Er legte in seinen Büchern [70], [71], [72] die Grundlagen der heute noch üblichen Operationsverfahren an den schrägen Augenmuskeln. Die Resektion der Sehne des M. obliquus superior wurde zuerst durch McGuire durchgeführt, wobei der M. rectus superior temporär desinseriert wurde. Die Faltung der Sehne nasal des M. rectus superior stammt von McLean. 1972 entwickelte Cüppers die sog. Fadenoperation und damit eine sehr effektive Operation zur Verwirklichung einer „Gegenparese“, also der kompensierenden Operation nach Alfred Graefe, und des Konvergenzexzesses.
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Zusatzinfo
5.1 Allgemeine Hinweise
Merke
● H
Augenmuskelchirurgie ist Chirurgie an gesunden Augen. → Die Anforderungen an Sicherheit und Komplikationsarmut sind besonders groß.
Den Erfolgen der Augenmuskelchirurgie muss die Gefahr von Komplikationen entgegengesetzt werden.
Zusammenfassung
M ●
Indikationen zu einer Augenmuskeloperation: ● Behebung bzw. Minderung von Diplopie oder Konfusion ● Behebung bzw. Minderung einer Kopfzwangshaltung ● Wiederherstellung des Binokularsehens oder Abwendung seines drohenden Verlusts ● Verbesserung des Sehvermögens bei Nystagmus ● Behebung bzw. Minderung sonstiger Beschwerden durch gestörtes Binokularsehen (z. B. Kopfschmerzen, Asthenopien, Störungen der egozentrischen Lokalisation) ● Behebung oder Minderung einer Einschränkung des Gesichtsfelds bei großem Schielwinkel oder einer Einschränkung der Augenbeweglichkeit ● Beseitigung psychosozialer Benachteiligung bei großem Schielwinkel
Merke
H ●
Der Begriff kosmetische Schieloperation ist zu vermeiden! Auch ohne Binokularsehen sind postoperative Funktionsverbesserungen möglich.
Selbst bei Schielerkrankungen ohne nachweisbares Binokularsehen (z. B. Erwachsene mit lange bestehendem Strabismus) kann postoperativ Binokularsehen entstehen. Darüber hinaus sind auch bei Patienten ohne postoperatives Binokularsehen Verbesserungen der allgemeinen Koordination oder der Orientierung möglich (beispielsweise durch bessere Nutzung der Gesichtsfelder beider Augen [207]).
5.1.1 Aufklärung Jeder Operation geht die Aufklärung des Patienten bzw. der Erziehungsberechtigten über die Risiken einer Augenmuskeloperation voraus.
Zusammenfassung
M ●
Risiken einer Augenmuskeloperation: ● Unter- und Überkorrektionen des Schielwinkels ● Variabilität der langfristigen Ergebnisse ● Diplopie ● Verkleinerung des binokularen Gesichtsfelds ● Bindehautnarben und folgende Kontaktlinsenunverträglichkeit ● unerwünschte Veränderungen der Lidspalte, vor allem der Lidspaltenweite ● Verminderung des Sehvermögens
5
Unter- und Überkorrektionen des Schielwinkels sind nach Augenmuskeloperationen unvermeidbar. Sie sind eigentlich kein Risiko, weil der Patient unter Risiko üblicherweise eine Vergrößerung des Schielwinkels versteht. Nur ein Teil der operativen „Ungenauigkeit“ ist operationstechnisch bedingt, ein anderer Teil ist Folge unvorhersehbarer patientenspezifischer Eigenheiten. Der Arzt soll aber darüber informieren. Die langfristigen Ergebnisse können von dem primären Operationseffekt abweichen. Auch hier sollte erklärt werden, dass die Wiederzunahme eines Schielwinkels nicht immer Folge einer nachlassenden Operationswirkung ist, sondern auch Folge einer Zunahme der Grunderkrankung sein kann. Auf die besonderen Risiken wird bei den einzelnen Augenmuskelerkrankungen hingewiesen. Über die Diplopiegefahr bei Augenmuskeloperationen sind vor allem Jugendliche und Erwachsene zu informieren. Sie wird meist überschätzt [108], [286].
Zusammenfassung
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Augenmuskeloperationen dienen im Gegensatz zur übrigen Ophthalmochirurgie zumeist nicht der Herstellung, Erhaltung oder Verbesserung des Sehvermögens eines erkrankten Auges, sondern der Herstellung, Erhaltung oder Verbesserung der Zusammenarbeit zweier gesunder Augen.
M ●
Hauptrisikofaktoren für Diplopie: ● Alter des Patienten (über 6.–8. Lebensjahr) ● anomale Korrespondenz mit tragfähigem Anomaliewinkel ● Angabe postoperativer Diplopie nach früheren Operationen ● strenge Okklusionsbehandlung oder apparative Pleoptik bei früheren Amblyopiebehandlungen
Die Wahrscheinlichkeit von Diplopie ist nicht abhängig von der Sehschärfe!
379
Augenmuskeloperationen
Merke
H ●
Diplopie ist häufiger nach Operation eines Strabismus divergens als eines Strabismus convergens, weil ● häufiger Binokularsehen besteht. ● bei einer Überkorrektion des Schielwinkels die Möglichkeit fehlt, der Diplopie durch Konvergenzinnervation zu entgehen.
In strittigen Fällen soll präoperativ versucht werden, durch Prismenausgleich und Pinzettenversuch weitere Informationen über die Wahrscheinlichkeit postoperativer Doppelbilder zu erhalten (siehe auch Botulinumtoxin, Kap. 5.6). Selbst dann, wenn so keine Diplopie hervorgerufen wird, kann postoperative Diplopie resultieren. Der Patient ist oft beruhigt durch die Gewissheit, dass eine Operation rückgängig gemacht werden kann.
Merke
H ●
Postoperative, langfristig störende Diplopie ist sehr selten, kann aber nie völlig ausgeschlossen werden.
Bei manchen Schielformen (vor allem Strabismus divergens intermittens mit sog. Panoramasehen, siehe Kap. 1.4) ist der Patient auch darüber zu informieren, dass er nach einer Operation möglicherweise eine Verkleinerung des binokularen Gesichtsfelds bemerken wird.
Eine wesentliche Verminderung des Sehvermögens als Folge einer Augenmuskeloperation ist sehr selten und wesentlich unwahrscheinlicher als ein tödlicher Verkehrsunfall innerhalb eines Jahres. Häufiger ist die kurzfristige Verminderung des Sehvermögens nach Augenmuskeloperationen durch Refraktionsänderungen, die vor allem nach Operationen am Führungsauge stören können. Art und Ausmaß sind von der Operationstechnik abhängig. Sie erfordern eine Refraktionsbestimmung 2–3 Monate nach der Operation und nur in einigen Fällen neue Brillengläser [189].
Eine Augenmuskeloperation wird zur Verbesserung der Augenstellung durchgeführt. Eine notwendige Brille wird dadurch nie überflüssig!
Der Patient muss nach einer Medikamentenunverträglichkeit befragt werden. Bei einer Salbenunverträglichkeit werden postoperativ Augentropfen verordnet. Fragt der Patient nach Möglichkeiten alternativer Behandlungsverfahren, genügt es fast immer, dem Patienten die notwendigen Prismen zu zeigen, die er nicht als brauchbare Alternative empfinden wird. Auch über die Möglichkeit einer Behandlung mit Botulinumtoxin (Kap. 5.6) sollte in geeigneten Fällen informiert werden.
5.1.2 Bindehauteröffnung und -verschluss Die Eröffnung der Bindehaut bei einer Augenmuskeloperation soll so erfolgen, dass die Muskelinsertionen gut dargestellt werden und die Bindehautschnitte (▶ Abb. 5.1) möglichst außerhalb der Lidspalte liegen, um
einzelner radiärer Schnitt bei Rücklagerung/Faltung horizontaler Augenmuskeln radiärer Schnitt bei Rücklagerung/Faltung der schrägen Augenmuskeln limbusparalleler Schnitt bei Rücklagerung/Faltung der geraden Vertikalmotoren kompletter Limbus-Schnitt bei Myopexien oder großen Revisionseingriffen
380
H ●
Merke
Abb. 5.1 Lage der Bindehautschnitte bei verschiedenen Operationen. Die Limbusschnitte [42], [205], [206], [221] sollen so angelegt sein, dass keine Nähte im Lidspaltenbereich liegen. Bei Operationen an geraden Horizontalmotoren und Operationsstrecken bis zu 4 mm genügt geübten Operateuren ein radiärer Schnitt, der besser im oberen als im unteren Quadranten angelegt wird, weil er dann völlig vom Lid bedeckt ist. Alle Operationen an schrägen Augenmuskeln sind leichter durchführbar nach radiären Schnitten über der Insertion. Falls ein kompletter Limbusschnitt mit einem oder zwei radiären Schnitten angelegt wird, verdient die Ecknaht besondere Aufmerksamkeit, weil sie als einzige größerem Zug ausgesetzt ist. Der Verschluss der Bindehaut erfolgt mit resorbierbarem Nahtmaterial (9–0).
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Die Diplopiegefahr hängt von individuellen Faktoren ab, vor allem vom Alter, der Schielform und der Vorbehandlung. Verminderte Sehschärfe (wegen Amblyopie oder Makulaerkrankung) verringert die Gefahr postoperativer Diplopie nicht. Diplopie entsteht nicht durch einen foveolaren, sondern durch einen peripheren Reiz.
5.1 Allgemeine Hinweise sichtbare Bindehautnarben zu vermeiden. Radiäre Bindehauteröffnung ist prinzipiell einer limbusparallelen überlegen, weil sie parallel zu den Spannungsrichtungen der Bindehaut bei Augenbewegungen liegt und deshalb die Gefahr postoperativer Nahtdehiszenzen geringer ist. Operationen an den Horizontalmotoren können mittels eines einzigen radiären Bindehautschnitts (Vor-/Rücklagerungen) oder eines Limbusschnitts (Myopexien, Revisionsoperationen) durchgeführt werden.
a ●
Der radiäre Bindehautschnitt wird außerhalb der Lidspalte etwa 1–2 mm neben dem Muskel angelegt, beginnend in einem Limbusabstand von etwa 4 mm. Der Bulbus wird mittels zweier Pinzetten bewegt, so dass die Muskelgefäße durch die Bindehaut sichtbar werden. Ein einziger radiärer Bindehautschnitt von 4 mm hinterlässt wenig Narben, erfordert aber gute Elastizität der Bindehaut. Er ist bei Kindern bis zum 5.–6 Lebensjahr wegen der ausgedehnten Tenon-Faszie und bei älteren Erwachsenen (> 50. Lebensjahr) wegen der mangelnden Bindehautfestigkeit nur bei kleinen Operationsstrecken empfehlenswert [205], [206]. Der Limbusschnitt [42], [112], [221] vereint die übersichtliche Darstellung des Muskels mit einem guten langfristigen Heilungsverlauf. Bei der radiären Bindehauteröffnung soll bereits am Limbus die Sklera sichtbar sein, damit Bindehaut und Tenon-Faszie gemeinsam durchtrennt werden und eine gute Adaptation der Gewebe beim Wundverschluss ermöglicht wird. Der eigentliche Limbusschnitt und ein eventuell notwendiger 2. radiärer Schnitt werden angeschlossen. Ein Plica-Schnitt (limbusparallele Bindehauteröffnung an der Plica [245]) ermöglicht eine schnelle und gute Darstellung bei Myopexie, erfordert aber die Durchtrennung dichteren Bindegewebes und größerer Gefäße, verbunden mit verzögerter Bindehautheilung und erhöhter Blutungsgefahr.
5
Abb. 5.2 Verschluss der Bindehaut. Fadenenden können dem Patienten Schmerzen bereiten, weil sie auf der Hornhaut reiben oder sich gegen die Bindehaut stellen können. Diese Nachteile können vermieden werden, wenn die Ecknähte versenkt werden. Erreicht wird dies, indem die Knoten dieser Ecknähte unter die Bindehaut gelegt werden (oben) oder etwas länger belassen und in die 2. Naht eingeknotet werden (unten).
die 2. Naht eingeschlungen werden, so dass Knoten und Fadenenden subkonjunktival liegen (▶ Abb. 5.2).
Zusammenfassung Bei Operation an den schrägen Vertikalmotoren erleichtert eine radiäre Schnittführung die Darstellung des Hinterrands der Insertion. Bei Operationen an den geraden Vertikalmotoren ist ein limbusparalleler Bindehautschnitt zwischen Limbus und Insertion gegenüber einem Limbusschnitt vorteilhafter, weil er nie im Lidspaltenbereich liegt und eine spätere intraokulare Operation nicht behindert. Blutungen werden vermieden durch Umgehung großer Bindehautgefäße. Kleinere Blutungen können toleriert werden, solange sie die Operation nicht stören. Es ist überflüssig, kleine Blutmengen zu entfernen, um sie durch physiologische Kochsalzlösung zu ersetzen. Der Verschluss der Bindehaut soll möglichst dicht sein. Eine gesonderte Naht der Tenon-Faszie ist allenfalls bei limbusparallelen Bindehautschnitten notwendig. Bei Limbusschnitten sollte die „Ecknaht“ invers angelegt oder in
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Operationstechnik
Empfehlenswerte Bindehauteröffnungen: ● Vor-/Rücklagerungen der Horizontalmotoren → radiäre Bindehauteröffnung ● Vor-/Rücklagerungen gerader Vertikalmotoren → limbusparallele Bindehauteröffnung ● Vor-/Rücklagerungen/Faltungen der Mm. obliqui → radiäre Bindehauteröffnung ● Myopexien → Limbusschnitt ● ausgedehnte Revisionseingriffe → Limbusschnitt
M ●
Bei hochdosierten Augenmuskeloperationen entsteht über dem resezierten Muskel häufig ein Bindehautüberschuss, der spontan verschwindet. Vor allem Bindehautresektion über dem M. rectus medialis bewirkt durch Annäherung der Plica an den Limbus störende Narben. Bei großem Bindehautüberschuss wird eine U-Naht von au-
381
Augenmuskeloperationen
Zusammenfassung Komplikationen des Bindehauteingriffs: ● Blutungen ● Bindehautdehiszenzen ● Prolaps der Tenon-Faszie ● Fadengranulome
M ●
Komplikationen bei Eröffnung oder Verschluss der Bindehaut sind selten. Prolabierte Tenon-Faszie an einer radiären Bindehautnaht retrahiert sich meist nach Tagen. Bindehautdehiszenzen sind revisionsbedürftig, wenn bei fehlerhafter Ecknaht ein Prolaps der Tenon-Faszie auftritt. Fadengranulome sind dank resorbierbarer Nahtmaterialien nahezu verschwunden. Auch nach Myopexien mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial werden sie selten beobachtet. Falls die Entfernung von Fadengranulomen notwendig ist, muss das gesamte Fadengranulom einschließlich der intraskleralen Fadenreste entfernt werden. Der notwendige Bindehautschnitt wird nicht über dem Granulom, sondern einige Millimeter davon entfernt außerhalb der Lidspalte angelegt. Hornhautdellen (Fuchs-Dellen) entstehen durch die Austrocknung der Hornhaut, weil eine Bindehautschwellung die Lidkante von der Hornhaut abhebt und die Tränenflüssigkeit nicht mehr gleichmäßig über die Hornhaut verteilt wird. Dellen treten vor allem nach Limbusschnitt auf und sind wegen der BH-Stauchung über dem resezierten Muskel häufiger als über dem zurückgelagerten [31], [260]. Sie lassen sich nicht immer vermeiden, treten zumeist am 3.–6. postoperativen Tag auf und verschwinden innerhalb von Stunden nach Augenverband und Gabe von Gleitmitteln. Da Dellen keinen echten Gewebsdefekt darstellen, sind sie in der Regel ungefährlich.
5.1.3 Augenmuskeloperation Augenmuskeloperationen werden in Allgemeinanästhesie oder Lokalanästhesie durchgeführt. Die Häufigkeit tödlicher Zwischenfälle bei fachärztlicher Allgemeinanästhesie wird mit 1:100 000 bis 1:180 000 angegeben, steigt
382
aber auf bis zu 1:3000 an, wenn nicht fachkundiges Personal eingesetzt wird [295]. Eine seltene maligne Hyperthermie kann vom Anästhesisten beherrscht werden [293]. Augenmuskeloperationen in Retrobulbäranästhesie nehmen zugunsten der Bindehaut- und Muskelanästhesie kontinuierlich ab. Diese Tropfanästhesie mit subkonjunktivaler Unterspülung mit Lokalanästhetika [188] ist eine sichere Methode und bietet den großen Vorteil der intraoperativen Beurteilung des Schielwinkels und Prüfbarkeit des Binokularsehens. Lokalanästhesie empfindet der Patient aber oft als unangenehm (Blendung durch Operationslampe). Viele Patienten, die bereits eine Augenmuskeloperation in Lokalanästhesie erlebt haben, bevorzugen oft eine Allgemeinanästhesie, die ohnehin für komplizierte Operationen und für Operationen an Kindern auch in Zukunft unverzichtbar sein wird.
Merke
H ●
Augenmuskeloperationen sind mikrochirurgische Eingriffe.
Die Sehschärfe reicht ohne optische Hilfsmittel nicht aus, um Muskel-Sehnen-Nähte mit hinreichender Sicherheit und Präzision durchzuführen. Üblicherweise werden ein Operationsmikroskop oder andere bildvergrößernde Systeme benutzt. Die stärkere Vergrößerung an einem Operationsmikroskop kann bei retroäquatorialen Eingriffen oder der Präparation eines Gefäßes wegen der genaueren Darstellung vorteilhaft sein. Die häufig benutzten Fernrohr-Lupenbrillen mit 2- bis 4-fachen Vergrößerungen bieten den Vorteil des größeren Gesichtsfelds und der besseren Übersicht. Bei der Operation des Augenmuskels ist die Art der Fadenführung Teil der operativen Technik, die jeder Operateur nach Art des Falles und eigener Übung auswählen soll (spezielle Operationslehren [251], [260]. Auf prinzipielle Regeln und Fehlermöglichkeiten wird bei der jeweiligen Technik hingewiesen. Auch die Wahl des Fadenmaterials ist weitgehend von individuellen Präferenzen bestimmt. Geflochtene Fäden ziehen manchmal die Tenon-Faszie mit, monofile Fäden gleiten besser, die Knoten sind aber steifer und neigen mehr zur spontanen Knotenlösung. Viele Operateure benutzen für die vor-/rücklagernde Chirurgie resorbierbare Fäden der Stärke 6–0, bei deren Verwendung Fadengranulome fast nie vorkommen. Myopexien erfordern nichtresorbierbares Nahtmaterial, da der Faden dauerhaftem Zug unterliegt. Auch Operationen an der Sehne des M. obliquus superior werden mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial durchgeführt, weil das bradytrophe Sehnengewebe nicht schnell genug mit der Sklera verwächst. Üblicherweise werden atraumatische Nadel-Faden-Kombinationen bevorzugt. Werden Spatulanadeln verwendet, dürfen diese niemals verkantet werden, da die Nadelflan-
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ßen durch die Bindehaut geführt, etwa 10 mm hinter dem Limbus skleral fixiert, danach wieder transkonjunktival nach außen geführt und nach Bindehautverschluss auf der Bindehaut verknüpft. Diese Naht zieht die Bindehaut nach hinten. Falls bei großen Bulbusumlagerungen nicht genug Bindehaut zur Verfügung steht, wird der Bindehautrand vor der Muskelinsertion mit eng gelegten Nähten skleral fixiert, um einen guten Verschluss zu gewährleisten. Die Sklera zwischen dieser Naht und dem Limbus bleibt unbedeckt (Bare-Sklera-Technik) und wird innerhalb von Tagen durch Bindehaut überwachsen [244].
5.1 Allgemeine Hinweise
Komplikationen Starker Zug an einem Augenmuskel kann den okulokardialen Reflex auslösen, auch mehrfach während einer Operation, wenn nachlassender Zug am Augenmuskel plötzlich wieder zunimmt [216]. Dieser Reflex kann vom Anästhesisten gebremst oder verhindert werden.
Merke
H ●
Zug an Augenmuskeln kann in Allgemeinnarkose den okulokardialen Reflex auslösen, der eine Bradykardie bewirkt und bis zum Herzstillstand führen kann. Der Operateur sollte dem Anästhesisten den ersten Zug am Augenmuskel ankündigen und sofort den Zug vermindern, falls eine deutliche Abnahme der Herzfrequenz eintritt.
Die Übersichtlichkeit des Operationsgebiets erfordert gute Blutstillung. Geringe Blutungen, die den Ablauf der Operation nicht stören, sollte man aber der physiologischen Blutstillung überlassen. Eine Blutung sollte beim Verschluss der Bindehaut gestillt sein.
Zusammenfassung
M ●
Schwerwiegende Komplikationen: ● Verlust eines Augenmuskels (intraoperativ oder postoperativ) ● Verlust des Sehvermögens: ○ Ischämie der Vorderabschnitte ○ Endophthalmitis ○ Perforation Diese Komplikationen sind sehr selten.
Der Verlust eines Augenmuskels während der Operation stellt eine Komplikation dar, die ebenso gefährlich wie selten ist.
Operationstechnik
a ●
Falls bei der Operation eines geraden Augenmuskels einer von zwei Fäden reißt, wird der Muskel (die Sehne) mit einer Pinzette gefasst und ein neuer Faden gelegt. Sollten beide Fäden reißen und der Augenmuskel nach hinten gleiten, ist planloses Suchen mit einer Pinzette nutzlos und bewirkt nur Gewebezerstörung und Blutungen. Der in Narkose nicht innervierte Muskel gleitet
meist nur bis in die Tenon-Pforte, in der er bindegewebig fixiert ist. Die Tenon-Pforte und der darin liegende Muskel lassen sich darstellen, indem man einen nicht zu schmalen Spatel auf der Innenfläche der Tenon-Kapsel vorsichtig nach hinten schiebt. Der mit einer breiten Pinzette gefasste Muskel wird nach vorn gezogen und ein neuer Faden gelegt. Bei Operationen an den schrägen Augenmuskeln ist die Gefahr eines Verlusts gering, weil der M. obliquus inferior im benachbarten Bindegewebe fixiert ist und der M. obliquus superior über eine große Strecke verfolgt werden kann.
Postoperative Lösungen von Muskelnähten kommen bei geeigneter Operationstechnik selten vor. Über vereinzelte Muskellösungen wird nach Operationen bei endokriner Orbitopathie mit erhöhter Muskelspannung berichtet [166]. Sollten Größe und Inkomitanz des Schielwinkels eine Unterbrechung der Sklera-Muskel-Verbindung wahrscheinlich machen, ist eine Revision unvermeidlich. Bilddarstellende Verfahren erleichtern das Auffinden des Muskels [285]. Das Risiko, nach Augenmuskeloperation einen Verlust des Sehvermögens zu erleiden, wird auf unter 1:50 000 geschätzt, eine wesentliche Verminderung auf 1:30 000. Als mögliche Ursachen dieser Komplikationen gelten [14], [31], [75], [124], [278]: ● Ischämie der Vorderabschnitte ● Endophthalmitis ● Bulbusperforation
5
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ken die inneren Skleraschichten gefährden. Versuche, die Muskelnaht durch eine Fixierung mittels Fibrinkleber zu ersetzen, sind bislang gescheitert. Werden an einem Auge mehrere Augenmuskeln operiert, wird mit den rücklagernden Eingriffen begonnen, um die Spannung der zu operierenden Muskeln gering zu halten.
Angaben über die Häufigkeit entstammen nur Einzelfallbeschreibungen oder Umfragen unter Operateuren. Die Gefahr einer Ischämie der Vorderabschnitte [229] des Auges steigt mit der Anzahl der operierten Muskeln, so dass maximal zwei gerade Augenmuskeln an einem Auge operiert werden sollten. Muskelfaltungen sollen die Durchblutung weniger beeinträchtigen als Resektionen [229]. Die schrägen Augenmuskeln bleiben unberücksichtigt, da sie an der Durchblutung der Vorderabschnitte nicht teilnehmen. Selbst wenn diese Grenzen respektiert werden, ist eine Durchblutungsstörung nicht völlig auszuschließen [20]. Als erster Warnhinweis gilt ein TyndallPhänomen [31]. Während das Risiko bei Vor-/Rücklagerungen unter 1:23000 liegt, wird es für Transpositionen von mehr als 2 Muskeln auf bis zu ca. 1:600 geschätzt [75]. Eine intraoperative Pupillenverziehung weckt den Verdacht auf eine Verschlechterung der Durchblutung der Vorderabschnitte. Bei Revisionen kann vor dem Absetzen des Augenmuskels eine Muskelklemme eingesetzt werden, die die Durchblutung unterbricht. Falls eine Pupillenverziehung eintritt, sollte auf die Operation dieses Augenmuskels verzichtet werden. Fotometrische Kammerwasseranalyse (Laser Flare Cell Meter) oder Iris-Angiografie können das Risiko einer Vorderabschnittsischämie nicht zuverlässig voraussagen [261].
383
Zusammenfassung
M ●
Prävention der Vorderabschnittsischämie: ● Verminderung der Anzahl zu operierender Augenmuskeln ● bei erhöhtem Risiko (Alter > 45 Jahre, Hypertonie, Diabetes, Gefäßleiden): ○ intraoperative Beobachtung der Pupille (Vermeidung präoperativer Mydriatica) ○ Einsetzen einer Muskelklemme vor Desinsertion des Muskels ○ gefäßschonende Muskelpräparation
Zur Verminderung des Ischämierisikos können die dem Muskel aufliegenden Gefäße vorsichtig abpräpariert werden, so dass sie bei der Abtrennung des Muskels erhalten bleiben [250], [251]. Limbusschnitte gelten als gefährlicher als radiäre Bindehautschnitte [30]. Infektionen durch Augenmuskeloperationen sind selten. Das Risiko einer postoperativen Endophthalmitis wird mit 1:30 000 und das einer sekundären Wundheilung einschließlich einer Entzündung der präfaszialen Gewebe mit etwa 1:2000 angegeben [14], [124], [153], [219], [242]. Eine postoperative schwere Endophthalmitis ist nur schwer beherrschbar. Unter 6 Fällen [242] endeten 3 mit einer Enukleation, die 3 anderen Augen waren präphtitisch. In allen Fällen konnte Antibiotikabehandlung und Vitrektomie den infausten Verlauf nicht aufhalten. Als wirksamste Prophylaxe der Endophthalmitis gilt die desinfizierende Aufbereitung des Operationsgebiets (Povidon-Jod-Lösung, z. B. Betaisodona®) [9], nicht die präoder postoperative Gabe von Antibiotika. Besonders gefährdet sind Kinder mit Sinusitis, Otitis media oder Erkältungskrankheiten.
Zusammenfassung
M ●
Endophthalmitis Symptome (deutlich am 3.–5. Tag postoperativ): ● intraokularer Reizzustand, Bindehaut-, Lidschwellung ● Fieber, Lethargie Diagnostik: ● Blutkultur zur Erregerdifferenzierung ● Orbita-CT zum Ausschluss einer Orbitaphlegmone Therapie: ● sofortige parenterale Antibiotikatherapie ● eventuell sofortige Vitrektomie Wirksamste Prophylaxe: Aufbereitung des Operationsgebiets (Povidon-JodLösung)
384
Perforationen der Sklera ohne Perforation der Chorioidea sollen auf etwa 500 Operationen einmal vorkommen, Perforation von Sklera und Chorioidea/Retina seltener als einmal auf 1000 Operationen [30], [260], [266], [278]. Wesentliche Spätfolgen einer Perforation (Netzhautablösung, Endophthalmitis) sind extrem selten [31], [124].
Zusammenfassung Perforation Symptome: ● sofort: dunkler Ausstichpunkt auf der Sklera ● eventuell Glaskörperperle, Bulbushypotonie
M ●
Diagnostik: Funduskopie in Mydriasis: Perforation, Blutung Therapie: ● sofortige parenterale Antibiotikatherapie ● Kryoapplikation Wirksamste Prophylaxe: ● geeignetes Nahtmaterial ● gute Darstellung des Operationsgebiets ● gute Fixation des Bulbus beim Nadeleinstich ● Abstützung der Hände
Zusatzinfo
●V
Weiterführende Literatur zur Risikobewertung
Eine Umfrage unter 23 deutschen Kliniken ergab 67 bemerkte Perforationen an insgesamt 61 838 operierten Augen (Perforationshäufigkeit ca. 1:920) [11]. 223 Operateure (USA) beobachteten 1992 bei 554 000 Operationen insgesamt 728 Bulbusperforationen mit Netzhautbeteiligung (Perforationsrisiko 1:769) [278], davon bei 14 eine Netzhautablösung (ca. 1:40 000), bei 3 eine Endophthalmitis (ca. 1:180 000), bei 9 Verlust des Sehvermögens (ca. 1:60 000). Diese Perforationen traten bei Rücklagerungen auf und waren nur ausnahmsweise von einer bald resorbierten Blutung begleitet, die bei Nachkontrollen als atrophischer Bezirk der Chorioidea imponierte. Bei einer prospektiven Studie [30] ergab die Funduskopie eine Perforation von < 1:100, nie eine Amotio oder eine Endophthalmitis. Seit 1990 wurde 1 Endophthalmitis nach Myopexie [14] und 1 Zentralarterienverschluss nach subkonjunktivaler Injektion mit Bulbusperforation [11] beschrieben.
Eine Skleraperforation mit Chorioidea-Berührung kann intraoperativ an dem dunklen Untergrund der Ausstichstelle erkennbar sein. Bei einer Chorioideaperforation kann Chorioidea am Faden haften. Bei einer Retinaperforation soll Glaskörper im Stichkanal sichtbar sein. Um weiteren Schaden zu vermeiden, wird der Faden an der
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Augenmuskeloperationen
5.2 Operationsverfahren
Zusammenfassung
M ●
Verminderung des Perforationsrisikos: ● Wahl geeigneter Instrumente und Nahtmaterialien ● genaue Führung einer Spatulanadel (keine Verkantung) ● bei sehr dünner Sklera (z. B. Myopie, Zustand nach Netzhautoperationen, Traumata) → Rücklagerung an hängenden Fäden, Schlingenoperation oder Sehnenverlängerung
In der postoperativen Behandlung werden Augenverbände nur angelegt, um das Auge bis zum Erwachen aus der Narkose zu schützen. Binokulus ist selten indiziert. Medikamentöse Therapie ist nach Augenmuskeloperationen nur während weniger Tage notwendig, immer mit Augentropfen. Die Patienten sollen etwa 1 Woche dem Kindergarten oder der Schule bzw. einer staubigen Arbeitsstätte fernbleiben und etwa 4 Wochen auf den Besuch öffentlicher Bäder verzichten. Kontrollen nach Augenmuskeloperation sind notwendig am 1. Tag (Ausschluss einer Bindehautdehiszenz, eines intraokularen Reizzustands oder einer Netzhautperforation, falls keine intraoperative Funduskopie durchgeführt wurde, Ausschluss einer Schielwinkelvergrößerung – eventuell Prismenüberkorrektur) und am 4. oder 5. Tag zum Ausschluss einer Endophthalmitis. Eine Kontrolle 2 Wochen nach der Operation kommt für Komplikationen dieser Art zu spät und dient der Kontrolle des Schielwinkels und der Refraktion oder der Frage, ob und welche Maßnahmen zur orthoptischen und pleoptischen Therapie (Prismenausgleich, Prismenüberkorrektur, Okklusion) eingeleitet oder weitergeführt werden müssen. Eine Kontrolle nach 2–3 Monaten ist empfehlenswert zur Refraktionskontrolle, um die weitere Therapie zu besprechen oder den Fall abzuschließen. Falls postoperative Diplopie auftritt, stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt einer Revisionsoperation. Bei einer Esotropie nach Operation eines Strabismus divergens intermittens wird man abwarten, ob die Beschwerden mit Prismen gebessert werden [25] oder nur außerhalb des Gebrauchsblickfelds bestehen. Bleiben größere Überkorrektionen bestehen, ist jedoch eine Revision unvermeidlich [186], [260]. Spätkomplikationen (Fadenlösung der Muskelnaht, konjunktivale, subkonjunktivale oder intraokulare Entzündung nach mehr als 7 Tagen postoperativ) sind sehr selten.
5.2 Operationsverfahren H. Kaufmann, H. Steffen Strabismus besteht, wenn Gleichgewicht der Drehmomente nur in einem Schielwinkel erreicht wird. Ziel der Augenmuskeloperation ist dann die Wiederherstellung eines Gleichgewichts im Parallelstand. Der ideale Weg zu diesem Ziel besteht darin, die primär veränderte Kraft oder die primär veränderten Hebelarme und Muskelzugrichtungen zu normalisieren. Diese kausale Therapie wird der Operateur wählen, wenn er den primären Fehler erkennt und behandeln kann (z. B. bei einer Gewebseinklemmung durch Blow-out-Fraktur mit Verlust der freien Muskelbeweglichkeit). Häufiger aber ist, dass er den primären Fehler erkennt, ihn aber kausal nicht beheben kann. In diesen Fällen wird versucht, andere Faktoren so zu verändern, dass ein neues Gleichgewicht in der gewünschten Augenstellung resultiert. Grundsätzlich sind mehrere Wege denkbar, einen Schielwinkel operativ zu verkleinern: ● Die Muskelkraft, die an einem Hebelarm ansetzt, kann verändert werden. ● Die Stellung des Auges kann innerhalb des Muskeltrichters modifiziert werden. Ziel dieser Operationsverfahren ist nicht, Drehmomente zu verändern. Vielmehr sollen postoperativ die Augenbewegungen aus einer parallelen Augenstellung heraus durch dieselben Drehmomente bewirkt werden, die vor der Operation das Auge im Schielwinkel bewegt haben. ● Der Hebelarm, an dem die Muskelkraft wirksam wird, kann verlängert oder verkürzt werden. ● Die Muskelebene, also die Zugrichtung des Muskels, kann derart gedreht werden, dass eine Teilfunktion des Muskels zugunsten einer anderen vermindert wird.
5
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Ausstichstelle gekappt, vorsichtig zurückgezogen und an anderer Stelle ein neuer Faden gelegt. Sofortige Funduskontrolle ist selbstverständlich, eine Koagulations- bzw. Kryotherapie ist üblich, auch wenn ihr Nutzen nicht bewiesen ist [65], [204], [296]. Am Ende der Operation sollte intrakonjunktival ein Antibiotikum appliziert werden, eine antibiotische Therapie und Atropingabe schließen sich an [260].
Die einzelnen Operationsverfahren wirken nicht ausschließlich nach einem der genannten Prinzipien. Bei einer kombinierten Konvergenzoperation wird nicht nur die Stellung des Auges innerhalb des Muskeltrichters verändert, sondern auch die elastische Vorspannung oder der Hebelarm der operierten Augenmuskeln.
5.2.1 Rücklagerung, Verlängerung und Tenotomie Die elastischen Eigenschaften des Muskels bewirken, dass er umso mehr elastische Kraft entfaltet, je mehr er vorgedehnt ist (siehe Kap. Allgemeine Bewegungsmechanik, S. 26). Die Rücklagerung eines Augenmuskels vermindert seine Vordehnung und bewirkt die Drehung des Auges in eine neue Gleichgewichtsstellung. Das Ausmaß dieser Stellungsänderung ist abhängig von der Differenz der Spannungen, die das Muskelpaar vor und nach der Operation ausübt. Ist die präoperative Spannung eines Muskels sehr hoch (z. B. bei einer myogenen Kontraktur), resultiert nach seiner Rücklagerung eine größere Stellungsänderung als bei einem leicht dehnbaren Muskel geringer
385
Augenmuskeloperationen
M ●
Zusammenfassung
Folgen der Rücklagerung eines Augenmuskels: ● Bewegungsdefizit in Zugrichtung des operierten Muskels ● Bulbusprotrusion bei geraden, Bulbusretraktion bei schrägen Augenmuskeln ● Lidspaltenerweiterung bei geraden, -verengung bei schrägen Augenmuskeln
Rücklagerungen bewirken ein Bewegungsdefizit, vor allem, wenn die Abrollstrecke überschritten und wegen der Hebelarmverkürzung das Drehmoment des operierten
Operationstechnik Nach der Bindehauteröffnung wird der Augenmuskel ansatznah mit einem flachen Schielhaken so unterfahren, dass möglichst kein Bindegewebe mitgezogen wird. Daraufhin wird jeweils ¼ der Sehnenbreite vom Sehnenrand aus umschlungen. Diese Schlinge wird möglichst nah an der Insertion gelegt, um eine Muskelverkürzung zu vermeiden. Der neue Ansatz soll ebenso breit sein wie die Originalinsertion, so dass die Sehne etwas in der Breite gespannt ist und nicht durchhängt. Ein durchhängender Sehnenanteil würde den Effekt der Rücklagerung verstärken. (Falls jeweils ¼ der Sehnenbreite gefasst wird und die Sehnenmitte um 1 mm durchhängt, würde das einer Rücklagerung von 0,25 mm entsprechen.) Um die Gefäßversorgung der Vorderabschnitte des Auges zu schonen, können bei
a
386
b
Muskels vermindert wird. Dieses Bewegungsdefizit kann in manchen Fällen erwünscht sein, anderenfalls dürfen bestimmte Rücklagerungsstrecken nicht überschritten werden.
Merke
H ●
Ist eine Hebelarmverkürzung nicht erwünscht, sollen folgende Rücklagerungsstrecken nicht überschritten werden: ● M. rectus medialis: 5 mm ● M. rectus superior und M. rectus inferior: 6 mm ● M. rectus lateralis: 10–12 mm ● M. obliquus superior: 10 mm (bis zum medialen Rand des M. rectus superior) ● Die Rücklagerungsstrecke am M. obliquus inferior wird nicht durch die Abrollstrecke begrenzt.
a ●
Rücklagerungen bis 4 mm die aufliegenden Blutgefäße abpräpariert werden, so dass sie an physiologischer Stelle verbleiben [250], [251]. Bei Wiederanheftung wird die Nadel immer in Richtung der bulbushaltenden Pinzette geführt, um den Bulbus möglichst stabil zu halten. Bei Rücklagerung des M. rectus superior zwischen 3 und 8 mm kann die neue Insertion die Funktion des M. obliquus superior beeinträchtigen, weil der mediale Muskelrand dann ein Hypomochlion für die Sehne des M. obliquus superior bildet (▶ Abb. 5.3a, b). Um die ungestörte Funktion des M. obliquus superior zu gewährleisten, kann der M. rectus superior (bulbusseitig) unter dem M. obliquus superior durchgezogen werden.
Abb. 5.3 Verlauf der Sehne des M. obliquus superior nach Rücklagerung des M. rectus superior. Der physiologische Verlauf der beiden Muskeln ist gestrichelt gezeichnet. a Verlauf der Sehne, wenn sie auch postoperativ zwischen Bulbus und M. rectus superior verbleibt. b Verlauf der Sehne, wenn der M. rectus superior unter die Sehne des M. obliquus superior gelagert wird, damit die Sehne ohne Umlenkung zur Trochlea ziehen kann. Dieser Sehnentausch hat den Nachteil, dass der laterale Rand des M. rectus superior besonders bei Abduktion geringfügig nach nasal und unten (bulbuswärts) gezogen wird.
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Spannung. Auch steigt der Operationseffekt mit der Kraft des Antagonisten, ist also kleiner, wenn die Kraft des Antagonisten gering ist (z. B. bei einer Parese). Auch die Spannung des passiven orbitalen Gewebes beeinflusst den Operationseffekt.
5.2 Operationsverfahren
a
b
c
d
Abb. 5.4 Methoden der Sehnenverlängerung. a Marginale Inzisionen. b Sogenannte Zungenoperation. c Sogenannte Schlingenoperation. d Sehnenverlängerung mit Tutoplast®.
5
Merke
H ●
Ungesicherte Tenotomien werden an geraden Augenmuskeln nicht mehr durchgeführt und gelten als Kunstfehler.
Bei Rücklagerungen der schrägen Augenmuskeln muss besonders darauf geachtet werden, dass auch der hintere
Insertionsanteil durchtrennt wird, um einen erheblichen Untereffekt der Operation zu verhindern. Bei Rücklagerung der schrägen Augenmuskeln kann auf die Refixation des Hinterrands verzichtet werden, wenn die überproportionale Minderung der Vertikalfunktion erwünscht ist. Übereffekte sind selten. Rück-/Vorlagerung eines schrägen Augenmuskels bedeutet immer Verlagerung in Muskelzugrichtung und nicht Veränderung des Limbusabstands.
Operationstechnik
a ●
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Wenn die übliche Rücklagerung gefährlich ist (z. B. bei hoher Myopie), können die skleralen Nähte auch in der alten Insertion refixiert werden, wobei die Nähte um den gewünschten Rücklagerungsbetrag frei hängen („Rücklagerung an hängenden Fäden“, Schlingenoperation, ▶ Abb. 5.4c). Das Muskelende verwächst mit der Sklera, so dass diese Operation einer Rücklagerung gleichzusetzen ist. Die Sehnenverlängerung (Elongatio) soll dem Ziel einer Verminderung der Muskelspannung ohne Veränderung der Abrollstrecke dienen. Die technisch einfachste, aber ungenaue Methode der Sehnen- oder Muskelverlängerung besteht aus 2 marginalen Einschnitten. Besser ist es, zwischen Muskel und Sklera ein Interponat (▶ Abb. 5.4d) einzunähen, wie es z. B. bei endokriner Orbitopathie mit sehr großen Schielwinkeln empfohlen wird [69]. Zur Operation der endokrinen Orbitopathie [67], [89], [164], [179] siehe Kap. 4.1. Gesicherte Tenotomien der geraden Augenmuskeln werden als Ultima Ratio erwogen, wenn große Rücklagerungen keinen ausreichenden Effekt hatten und eine weitere Funktionsminderung nur dadurch ermöglicht werden kann, dass bei einer Tenotomie die Sehne an einer frei hängenden, lockeren Schlinge befestigt wird. Dieses Vorgehen kann bei Fibrosesyndromen [19] oder nach mehrfachen Revisionen sinnvoll sein. Die Fadensicherung dient nicht der gezielten Rücklagerung, sondern verhindert lediglich, dass sich der Muskel in die Tenon-Pforte zurückzieht und bei einer Revision nicht mehr dargestellt werden kann.
Der Bindehautschnitt sollte möglichst nah an der Insertion liegen. Weil präoperativ das Auge oft verrollt ist, sollte man die Bulbusstellung anhand der meist durchscheinenden Gefäße eines geraden Augenmuskels prüfen.
Die Rücklagerung des M. obliquus superior erfolgt nach radiärem Bindehautschnitt (▶ Abb. 5.1). Wegen der Kürze der Abrollstrecke sind Rücklagerungen über den medialen Rand des M. rectus superior hinaus zu vermeiden. Überschreitungen können die Zugrichtung des Muskels ändern, so dass der Muskel zum Heber wird. Dieselbe Gefahr besteht, wenn der Limbusabstand der Reinsertionsstelle 13 mm unterschreitet [85], [110].
Operationstechnik
a ●
Nach Bindehauteröffnung unterfährt man auf der Sklera den M. rectus superior mit einem flachen Schielhaken oder fasst den lateralen Rand der Insertion des M. rectus superior mit einer Pinzette, ohne den M. rectus superior freizulegen. Unter einem schmalen Spatel wird dann die Sehne des M. obliquus superior sichtbar. Da eine Spaltung der Sehne des M. obliquus superior leicht eintreten kann, muss der Hinterrand der Insertion (selten kürzer als 10 mm) dargestellt werden. Bei der Unterfahrung der Sehne mit einem kleinen Schielhaken von nasal nach temporal ist eine Läsion der Vortexvene, die der Mitte der Insertion eng benachbart ist, zu vermeiden. Eine
387
Augenmuskeloperationen
Auch die Rücklagerung des M. obliquus inferior erfolgt nach radiärem Bindehautschnitt unterhalb der Lidspalte (▶ Abb. 5.1).
a ●
Operationstechnik
Nach Bindehauteröffnung unterfährt man auf der Sklera den M. rectus lateralis ohne dessen völlige Freilegung mit einem flachen Schielhaken und adduziert den Bulbus. Danach lässt sich der Vorderrand der Insertion mit einem Spatel darstellen, mit einer Pinzette fassen und anschlingen. Besondere Vorsicht erfordert die äußere untere Vortexvene, die unterhalb der Insertion die Sklera verlässt und nicht mitgefasst und verletzt werden darf. Um diese Komplikation und die daraus resultierende Blutung zu vermeiden, wird nach Darstellung des Vorderrands der Muskel mit einem schmalen Spatel von der bulbären Seite aus unterfahren, der Hinterrand dargestellt und die Insertion unter Sicht durchschnitten. Die Verwendung des Lokalisators von Fink ist nicht empfehlenswert, weil die dabei vorausgesetzten Abstände zwischen den Insertionen des M. rectus lateralis und des M. obliquus inferior großen Variationen unterliegen. Es ist genauer, vom Vorderrand der Insertion aus zu messen und für je 3 mm Rücklagerung (in Muskelzugrichtung) die Limbusdistanz um 1 mm zu verringern, wenn Vertikal- und Zyklofunktion in ähnlichem Ausmaß vermindert werden sollen.
Als maximale Rücklagerungsstrecke gelten 10–12 mm, die etwa am lateralen Rand des M. rectus inferior erreicht sind (▶ Abb. 5.5). Die Rücklagerungsstrecke am M. obliquus inferior wird nicht durch die Abrollstrecke begrenzt. Eine partielle Tenotomie, zumeist als Desinsertion der hinteren zwei Drittel, kann sowohl am M. obliquus superior als auch am M. obliquus inferior durchgeführt wer-
den. Der Effekt dieser unkomplizierten Eingriffe ist nicht groß und nur bei geringen Fehlfunktionen ausreichend. Komplette Tenotomien oder Myotomien sind auch an den schrägen Augenmuskeln wenig empfehlenswert und allenfalls akzeptabel, wenn sie unter Sicht bei Fällen durchgeführt werden, bei denen kein Diplopierisiko besteht. Besser ist es, immer die Möglichkeit zu bewahren, die Sehne später wieder aufzusuchen. Hierzu kann ein Faden dienen, der nach Anschlingung der Sehne locker in der Sklera fixiert wird und eine Revision ermöglicht. Von nasal durchgeführten Tenotomien oder Tenektomien der Sehne des M. obliquus superior ohne Sicherungsfaden muss abgeraten werden, wenn präoperativ Binokularfunktionen nachweisbar sind und postoperative Diplopie möglich ist. Bei der Myotomie des M. obliquus inferior wird der Muskel entweder transkonjunktival am Ansatz durchtrennt – also lateral des Ligaments von Lockwood – oder transkutan nahe dem Ursprung – also im medialen Teil des Ligaments von Lockwood. Beide Verfahren bewirken keinen völligen Funktionsverlust des Muskels, weil er an der Kreuzungsstelle mit dem M. rectus inferior einen zweiten funktionellen Ansatz hat und der jeweils erhaltene Teil des Muskels noch über eine gewisse Funktion verfügt. Diese Eingriffe sind wegen der mangelnden Dosierungsmöglichkeit wenig empfehlenswert.
5.2.2 Vorlagerung, Resektion und Faltung Die Verkürzung (Resektion, Faltung, Vorlagerung) eines Augenmuskels wird seine Vordehnung erhöhen und über die Steigerung der elastischen Kraft die Drehung in eine neue Gleichgewichtsstellung bewirken (▶ Abb. 5.8). Auch hier wird der Operationseffekt von der Spannung des operierten Muskels, seines Antagonisten und des passiven orbitalen Gewebes beeinflusst. Ist die Spannung des operierten Muskels hoch, wird seine Verkürzung einen größeren Operationseffekt bewirken. Demgegenüber wird der Effekt der Operation geringer sein, wenn die Spannung des Antagonisten erhöht ist, z. B. bei einer myogenen Kontraktur oder wenn die Spannung der passiven orbitalen Gewebe der operativen Geradestellung des Auges einen hohen Widerstand entgegensetzt.
Abb. 5.5 Rücklagerung und Resektion, Vorlagerung oder Faltung der schrägen Augenmuskeln. Bei einer Rücklagerung eines schrägen Augenmuskels wird immer dann auf die Fixierung des Hinterrands verzichtet, wenn vor allem die Vertikalfunktion dieses Muskels vermindert werden soll (rot markiert). Die Unterlassung der hinteren Naht entspricht einer Verlagerung der (mittleren) Insertion zum Limbus (Anteroposition), die oft angestrebt wird [84].
a
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b
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Rücklagerung des M. obliquus superior ist leicht möglich, indem der M. rectus superior nach nasal abgedrängt wird. Die Rücklagerungsstrecke wird vom Vorderrand der Insertion gemessen. Der Wiederanheftungspunkt soll auf 13 mm Limbusabstand gesetzt werden.
Hinweis zur Muskelphysiologie
●V
Die physiologische Muskellänge stellt wahrscheinlich den günstigsten Kompromiss zwischen Kraftentfaltung bei Kontraktion und Dehnbarkeit bei Kontraktion des Antagonisten dar. Wird der Muskel durch Resektion verkürzt, wird seine elastische Kraft erhöht und seine Dehnbarkeit vermindert. Die Erhöhung der elastischen Kraft besteht vermutlich nicht lange. Die Ruhedehnungskurve (siehe Kap. 1.1) beschreibt das kurzfristige (Minuten oder Stunden) Verhalten des Muskels während einer experimentellen Untersuchung, nicht aber das Verhalten eines monatelang gedehnten Muskels.
Zusammenfassung
● M
Folgen der Verkürzung eines Augenmuskels: ● Bewegungsdefizit in Zugrichtung des Antagonisten ● Bulbusretraktion bei geraden, Bulbusprotrusion bei schrägen Augenmuskeln ● Lidspaltenverengung bei geraden, -erweiterung bei schrägen Augenmuskeln
Resektionen bewirken eine Verminderung der Dehnbarkeit des operierten Muskels und damit ein Bewegungsdefizit in Zugrichtung des Antagonisten. Ist das unerwünscht, sollte die Resektionsstrecke keinesfalls 6–8 mm überschreiten. Wenn keine adäquate Rücklagerung des Antagonisten durchgeführt wird, sollte auch zur Vermeidung einer Bulbusretraktion mit Lidspaltenverengung die Resektion auf 6 mm beschränkt werden.
Operationstechnik
a ●
Nach Bindehauteröffnung und Freilegung des Muskels wird die gewünschte Strecke von der Insertion aus am Muskel markiert und jeweils ⅓ der Muskel- bzw. Sehnenbreite vom Rand aus umschlungen. Nach Desinsertion erfolgt die Wiederannähung an der alten Insertionsstelle in ursprünglicher Insertionsbreite, so dass der Muskel in seinem mittleren Drittel gespannt ist und nicht durchhängt. Ein durchhängender Sehnenanteil würde den Effekt der Resektion vermindern. (Falls jeweils ⅓ der Sehnenbreite gefasst wird und die Sehnenmitte um 1 mm durchhängt, wäre das eine unbeabsichtigte Rücklagerung von ⅙ mm). Ein ähnlicher Fehler tritt auf, wenn die Insertion vor der Desinsertion limbuswärts konvex gebogen ist. Zum Ausgleich werden die Nähte unmittelbar vor die Insertionsecken gelegt. Bei großen Resektionsstrecken steigt die Gefahr postoperativer Fadenlösungen, weil nicht die Sehne, sondern der Muskel angeschlungen wird. Ein Myostat verhindert diese Komplikation, bis die Skleranaht gelegt und der
Knoten geknüpft ist. Ein Durchhängen des Muskels wird durch eine ausreichende Breite der neuen Insertion verhindert. Während die Sehne auch eine quer zur Muskelzugrichtung auftretende Kraft ohne Längsteilung erträgt, ist die Gefahr einer Muskelteilung bei einer Naht im Muskelgewebe größer. Bei einer Muskelteilung ist ein 3. (Mittel-) Faden notwendig, der in die physiologische Insertionsleiste gelegt wird, um eine Gefährdung der darunterliegenden A. ciliaris zu vermeiden. Erhebliche Motilitätsstörungen können resultieren, wenn bei der Verkürzung des M. rectus lateralis der M. obliquus inferior versehentlich in der Naht angeschlungen ist. Dieser Fehler wird vermieden durch die Darstellung des M. obliquus inferior nach Wiederanheftung des M. rectus lateralis.
5 Bei Verkürzungen des Muskels bis zur Sehnen-MuskelGrenze (etwa 4–6 mm von der Insertion entfernt) kann die Resektion auch durch eine Faltung über einem Irisspatel (▶ Abb. 5.6) ersetzt werden [12], [46], [185], [229]. Neben der möglichen Schonung der Gefäße bietet dies auch den Vorteil, leichter revidierbar zu sein [186], [250], [251]. Bei größeren Strecken ist eine Faltung nicht zu empfehlen, weil postoperativ zwei Muskellagen auf der Sehne liegen und die Bindehaut vorwölben.
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Zusatzinfo
5.2 Operationsverfahren
10 mm
5 mm
Abb. 5.6 Technik der freien Faltung der Sehne des M. obliquus superior Die Muskelkraft wird postoperativ auf die Skleranaht übertragen.
389
Merke
H ●
Die Resektion kann durch eine Faltung ersetzt werden. Die Effekte einer Faltung sind dieselben wie die einer Resektion. Vorteile der Faltung: ● Blutgefäße müssen nicht durchtrennt werden. ● Operation ist einfacher und sicherer (bei Fadenlösungen bleibt die Insertion erhalten).
Die Revision einer Medialis-Tenotomie erfordert eine eigene Technik und wird auf Seite (S. 412) beschrieben. Die Resektion der Sehne des M. obliquus superior wird selten durchgeführt und üblicherweise durch eine Faltung [72], [198], [199], [298] ersetzt. Damit ein „postoperatives Brown-Syndrom“ vermieden wird, soll die Operationsstrecke 10 mm (10 = 2 × 5) nicht überschreiten (▶ Abb. 5.5). Das „postoperative Brown-Syndrom“ entsteht einerseits durch die Minderung der Dehnbarkeit des verkürzten Muskels. Normalerweise gleitet bei der Elevation die 10 mm lange retrotrochleare Sehne in die Trochlea (▶ Abb. 1.16). Ist die Sehne postoperativ um mehr als 10 mm verkürzt, wäre eine Elevation nur möglich, wenn der Muskelbauch in die Trochlea gezogen würde, was wegen seines Umfangs unmöglich ist. Das Ausmaß eines „postoperativen Brown-Syndroms“ ist also vor allem vom Ausmaß der Sehnenverkürzung abhängig [159], [160], [161].
5 mm
Merke
Ein postoperatives Brown-Syndrom tritt auf nach einer Sehnenverkürzung des M. obliquus superior von mehr als 10 mm.
Operationstechnik
390
a ●
Bei der freien Faltung wird die Sehne im gewünschten Insertionsabstand mit zwei Fäden angeschlungen (▶ Abb. 5.6), die anschließend an der physiologischen Insertion durch die Sklera geführt werden [46]. Beim Knüpfen der Fäden über einem Irisspatel bildet sich eine Falte, die dem Bulbus direkt aufliegt. Die dem M. rectus superior zugewandte Sehnenfläche enthält keine Naht und bietet eine glatte Oberfläche, so dass die Gefahr bindegewebiger Verwachsungen zwischen beiden Muskeln gering ist. Da die Kraft des M. obliquus superior postoperativ über die Skleranähte übertragen wird, ist deren Anheftungsstelle funktionell wichtig. Soll vor allem die Vertikalfunktion des M. obliquus superior beeinflusst werden, muss die hintere Naht am Hinterrand der Originalinsertion liegen. Die instrumentelle Faltung (▶ Abb. 5.7) besteht in einer technisch einfacheren Faltenbildung auf der dem M. rectus superior zugewandten Seite. Die Kraft des Muskels wird postoperativ über die Faltennähte auf die Originalinsertion übertragen, die ihre Funktion beibehält. Der Faltenkopf wird mittels einer oberflächlich skleral geführten Naht nach lateral gewendet, um die freie Beweglichkeit des M. rectus superior zu gewährleisten. Die instrumentelle Faltung bietet den Vorteil, dass die Originalinsertion zur Drehmomentübertragung erhalten bleibt und die Perforationsgefahr sehr gering ist.
Die Resektion des M. obliquus inferior wird in der Regel mit einer Vorlagerung (in Zugrichtung) um maximal 4 mm kombiniert [70], [72], [198], [199], um die Verkürzung des Muskelgewebes gering zu halten und eine Schädigung der Muskelendplatten zu vermeiden. Als maximale Resektionsstrecke werden 4–6 mm empfohlen (▶ Abb. 5.5). Ist das Ziel der Operation vor allem die Verbesserung der Vertikalfunktion, ist die schwierige hintere Muskelnaht von großer Bedeutung. Als Regel gilt, dass für jeweils 3 mm Vorlagerungsstrecke die Limbusdistanz des hinteren Anheftungspunkts um 1 mm zunehmen muss [72]. Die Faltung des M. obliquus inferior gefährdet die Muskelendplatten ebenso wie eine Resektion um mehr als 4–6 mm.
Merke Abb. 5.7 Technik der instrumentellen Faltung der Sehne des M. obliquus superior ([35], [198], [199]). Die Muskelkraft wird postoperativ auf die Originalinsertion übertragen.
H ●
H ●
Unter allen Augenmuskeleingriffen birgt die Vorlagerung eines schrägen Augenmuskels das höchste Perforationsrisiko, weil die hintere Anheftungsstelle sehr weit hinten liegt.
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Augenmuskeloperationen
5.2 Operationsverfahren
Operationen können so ausgeführt werden, dass eine Nachjustierung möglich ist. Diese nachjustierbaren Nähte werden auf der Sklera nicht verknotet, sondern gleitend durch die Sklera und die Konjunktiva geführt, so dass der Muskel am 1. postoperativen Tag noch nachgespannt oder gelockert werden kann [125], [246]. Fast jeder Autor, der nachjustierbare Nähte empfiehlt, benutzt eine eigene Technik. Keines dieser Operationsverfahren konnte sich durchsetzen. Die Gründe sind vielfältig: ● Nachjustierbare Nähte sind komplizierter und erfordern einen höheren Zeitaufwand. ● Die neue Insertion ist hinsichtlich Breite und Parallelität zum Limbus weniger exakt. ● Es verbleibt mehr Fadenmaterial in situ. ● Die meisten Techniken erlauben nur die nachträgliche Erhöhung der Muskelspannung, nicht aber deren Verminderung. Bei einer Rücklagerung erfolgt also prinzipiell eine Überdosierung, weil nur diese eine nachträgliche Justierung zulässt. Damit wird die Nachjustierung zu einer obligaten Maßnahme, deren Zeitaufwand abgewogen werden muss gegen das Risiko, nach einer konventionellen Operation eine Zweitoperation durchführen zu müssen. ● Der Effekt der nachjustierbaren Nähte kann nur innerhalb von 24 Stunden nach der Operation verändert werden. Das Bedürfnis nach einer Änderung des Operationsergebnisses entsteht aber erst Tage oder Wochen nach der Operation. Ideal wäre eine Operationstechnik, die eine Nachjustierung nach einigen Wochen erlauben würde. Über eine derartige Technik wurde leider nicht berichtet. Intraoperative Justierung einer Augenmuskeloperation kann unter Lokalanästhesie [18] stattfinden. Bei reiner Oberflächenanästhesie können Schielwinkel, Fusionsblickfeld und Ausmaß der Diplopie während der Operation geprüft werden. Intraoperative Justierung ist sinnvoll, wenn der Operateur hinsichtlich der Dosierung einer Augenmuskeloperation unsicher ist. Sie wird von einigen Autoren besonders bei endokriner Orbitopathie empfohlen [22], [23], [126].
5.2.4 Kombinierte Augenmuskelchirurgie versus Einmuskelchirurgie Einmuskelchirurgie ohne gleichzeitige äquilibrierende Operation am Antagonisten führt primär zu einer Veränderung der Spannung des Augenmuskels (▶ Abb. 5.8a–c). Folge ist die Drehung des Auges in eine neue Gleichgewichtsstellung. Nach der Rücklagerung eines Muskels werden beide Muskeln weniger gespannt sein. Bei Rücklagerungen gerader Augenmuskeln führen diese Spannungsveränderungen zu einer unerwünschten Propulsion des Bulbus mit entsprechender Erweiterung der Lidspalte. Resektion, Vorlagerung oder Faltung erhöht die Spannung beider Muskeln und bewirkt eine Retrakti-
on des Bulbus mit Verengung der Lidspalte. Diese Veränderungen durch Einmuskelchirurgie wirken im gesamten Blickfeld. Reziproke Effekte entstehen nach Operationen an den schrägen Augenmuskeln. Diese unerwünschten Folgen überdauern selten einige Monate. Bei beidseitigen symmetrischen Eingriffen ist diese Folge irrelevant, weil die Lidspaltenveränderung ebenfalls symmetrisch und selten auffällig ist. Wird die operative Spannungsminderung eines Muskels mit der Spannungserhöhung seines Antagonisten verbunden, bewirken beide Veränderungen ein Drehmoment in dieselbe Richtung, das den Bulbus so weit dreht, bis beide Muskeln bei Parallelstellung der Augen dieselbe Spannung aufweisen. Die Wirkungen beider Eingriffe auf die Lidspalte heben sich auf. Diese kombinierte Operation verfolgt das Ziel, bei Parallelstellung das Drehmomentgleichgewicht herzustellen, welches vorher die Schielstellung stabilisierte (▶ Abb. 5.8a–c).
Zusatzinfo
5
●V
Wirkungsprinzip der kombinierten Operation
Das Auge wird am Kraftangriffspunkt von Agonist und Antagonist abgelöst, in die gewünschte Position gedreht und wieder mit den Muskeln verbunden. Im Idealfall sind postoperativ die Spannungen der Augenmuskeln und deren Drehmomente nicht verändert, sondern nur die Bulbusstellung. Eine Vor- oder Rücklagerung des Muskels entsteht nur in Relation zum Bulbus, nicht aber zur Orbita. Die Begriffe „stärkende“/„schwächende“ Operation sind in diesem Zusammenhang irreführend. Beispiel: Bei einem Strabismus convergens mit einem Schielwinkel von 15° würden der M. rectus medialis und der M. rectus lateralis desinseriert und der Bulbus um 15° in die gewünschte Position gedreht. Die Sehnen der Muskeln würden sich nun über einer Stelle befinden, die 3,2 mm von der Originalinsertion entfernt sind (bei einem Bulbusdurchmesser von 24,3 mm entspricht 1 mm am Bulbusumfang 4,7°) und dort reinseriert. Dieses Wirkungsprinzip ist fiktiv. Nach der Operation wirken elastische Kräfte des Bandapparats und der anderen Augenmuskeln weiter. Diese Rückstellkräfte werden als elastische Kraft der passiven orbitalen Gewebe zusammengefasst. Durch die Operation muss also ein zusätzliches Drehmoment aufgebaut werden, das diesen Rückstellkräften entgegenwirkt. Dieses notwendige Drehmoment wird erreicht durch eine zusätzliche Rücklagerung des einen Muskels und eine zusätzliche Verkürzung des Antagonisten, so dass die resultierenden Spannungsänderungen die elastische Rückstellkraft der passiven orbitalen Gewebe ausgleichen. In dem genannten Beispiel entsprechen dem Schielwinkel von 15° Operationsstrecken von je 3,2 mm an Agonist und Antagonist. Zum Ausgleich der elastischen Rückstellkräfte der passiven orbitalen Gewebe ist eine zusätzliche Rücklagerung des Muskels und eine zusätzliche Resektion des Antagonisten um jeweils etwa 1–1,5 mm notwendig.
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5.2.3 Adjustierbare Nähte und intraoperative Dosierung
391
Augenmuskeloperationen
a
I
II
III
b I
II
III
c
II
III
I
Abb. 5.8 Wirkungsprinzip der einzelnen Augenmuskeloperationen. a Wirkungsprinzip der Rücklagerung. In der Schielstellung (I) besteht Gleichgewicht der Drehmomente. Durch die Rücklagerung des Muskels (II) wird die Spannung dieses Muskels vermindert. Weil die Spannung des Antagonisten jetzt überwiegt, wird der Bulbus in eine neue Stellung (III) gedreht, in der wieder Gleichgewicht der Drehmomente bei erniedrigter Muskelspannung besteht (nur noch 2 Gewichte statt 4), so dass tendenziell eine Protrusio bulbi entsteht. b Wirkungsprinzip der Resektion. In der Schielstellung (I) besteht Gleichgewicht der Drehmomente. Durch Verkürzung des Muskels um die Strecke s wird die Spannung dieses Muskels erhöht und übersteigt nun die des Antagonisten (II). Der Bulbus wird in eine neue Stellung (III) gedreht, in der wieder Gleichgewicht der Drehmomente bei erhöhter Muskelspannung besteht (6 Gewichte statt vorher 4), so dass tendenziell eine Retraktion des Bulbus entsteht. c Wirkungsprinzip der kombinierten Operation. In der Schielstellung (I) besteht Gleichgewicht der Drehmomente. Nach Rücklagerung des Agonisten und Resektion des Antagonisten (II) ist die Spannung des Agonisten vermindert und die des Antagonisten erhöht. Das Auge wird in eine neue Stellung (III) gedreht, in der wieder Gleichgewicht der Drehmomente bei unveränderter Muskelspannung besteht (vorher und nachher 4 Gewichte). Die Lage des Bulbus in der Orbitaachse ist unverändert.
Kombinierte Chirurgie und Einmuskelchirurgie bewirken postoperative Inkomitanzen [44]. Diese sind bei Beachtung der maximalen Operationsstrecken bei beiden Ope-
rationsverfahren nicht so groß, dass sie als Argument gegen eines dieser Verfahren benutzt werden könnten.
M ●
Zusammenfassung Vorteile der kombinierten Augenmuskeloperation: ● geringere Beeinflussung der Muskelspannung beider Muskeln ● höhere Effektivität → geringere Operationsstrecken für gewünschte Winkelreduktion, größere Winkelreduktion bei Operation an einem Auge ● genauere und besser reproduzierbare Ergebnisse
392
Vorteile der Einmuskeloperation: bei beidseitigen Eingriffen → symmetrische Winkelinkomitanz ● geringere Reizung des operierten Auges ● einfachere Durchführung ●
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s
5.2 Operationsverfahren Die größere Effektivität der kombinierten Chirurgie wird bei der operativen Reduktion eines Horizontalschielens ebenso wirksam wie bei Operationen an den geraden und schrägen Vertikalmotoren [159], [160], [161].
Zusatzinfo Hinweis zur Verbesserung der operativen Genauigkeit
●V
Das Ziel, die Genauigkeit zu verbessern, wird auf unterschiedlichen Wegen angestrebt. Roth verändert die Dosierung nach prä- oder intraoperativen Messungen der Elastizitätsverhältnisse von Muskulatur und „passivem orbitalen Gewebe“ [251]. Eine andere Möglichkeit ist die präoperative Messung der Augenlänge. Die Effektivität der Operation in Grad/ mm ist umso größer, je kleiner der Durchmesser des operierten Bulbus ist. Der Einfluss der Augenlänge folgt aus grundlegenden physikalischen Erwägungen und ist bei kombinierten Konvergenzoperationen größer als bei kombinierten Divergenzoperationen [90], [180].
von Muskel- in Bindegewebe induzieren [130], [131], [297]. Das Ziel, ohne Veränderung des Fernschielwinkels eine Verminderung der Konvergenz zu erreichen, wird nicht mit zufriedenstellender Sicherheit erreicht. Beide Verfahren werden nicht mehr verwendet.
5.2.6 Veränderung der Abrollstrecke (des wirksamen Hebelarms) Das wirksame Drehmoment kann nicht nur durch Veränderung der Kraft beeinflusst werden, sondern auch durch Veränderung des Hebelarms. Eine Verlängerung des Hebelarms wäre erreichbar, wenn der Augenmuskel nicht am Auge abrollen würde, sondern an einer Verdickung, die dem Auge aufliegt (▶ Abb. 5.9). Effekte dieser Art entstehen unbeabsichtigt nach Plombenoperationen wegen Netzhautablösung. Die gezielte Anwendung einer entsprechenden Technik zur Erhöhung der Augenmuskelkraft ist in der Literatur nicht beschrieben. Eine Verkürzung des Hebelarms stellt das Wirkungsprinzip der retroäquatorialen Myopexie (Fadenoperation7) nach Cüppers dar [38], [39], [40]. Bei dieser Opera-
5
Die gesamte Muskelkraft setzt sich zusammen aus der Kontraktionskraft und der elastischen Spannung dieses Muskels. Die kontraktile Kraft eines Augenmuskels ist abhängig von der Innervation und der Größe des Muskelquerschnitts. Eine Vergrößerung des Muskelquerschnitts ist durch operative Maßnahme nicht zu erreichen. Lediglich über eine Innervationssteigerung (dem Gesetz von Hering entsprechend) kann in geeigneten Fällen eine Steigerung der Muskelkraft bewirkt werden (siehe Gegenparese). Dagegen bewirkt die intramuskuläre Injektion des Botulinumtoxins eine Schwächung der Muskelkraft (siehe Kap. 5.6). Die Exkursionsfähigkeit des Auges ist abhängig vom Ausmaß der möglichen Kontraktionsstrecke eines Muskels. Eine Verkürzung der Kontraktionsstrecke wäre erreichbar, wenn durch einen operativen Eingriff eine bestimmte Länge der Muskelsubstanz in eine gleichlange Sehne überführt werden könnte. Wenn dadurch die Gesamtlänge von Muskel und Sehne nicht verändert würde, wäre eine Verminderung der Konvergenz ohne Beeinflussung des Schielwinkels in Primärposition zu erwarten. Die „Fensterung“ (Fenestration) bestand aus einer Zerstörung der Muskelfasern mithilfe eines Glühkauters. Es entstand ein bis zu 10 mm langes und die halbe Muskelbreite umfassendes Fenster, das nicht mehr kontraktil war. Bei der „falschen Fadenoperation“ wurde in 16 mm Insertionsabstand jeweils ein Drittel der Muskelbreite vom Muskelrand aus umschlungen und der insertionsnahe Muskelbereich mit einem Glühkauter behandelt. Die thermisch bedingte Nekrose sollte die Umwandlung
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5.2.5 Veränderung der Muskelkraft und der Kontraktionsstrecke Drehpunkt r1
r2
Hebelarm r2 > Hebelarm r1
Ursprung Abb. 5.9 Verlängerung des wirksamen Hebelarms. Die Verlängerung des Hebelarms bewirkt bei gleicher Augenmuskelkraft eine Erhöhung des Drehmoments.
7
Der Terminus „Fadenoperation“ wurde vom Erstbeschreiber Cüppers eingeführt und wird seitdem in der Literatur verwendet. Dieser Terminus beschreibt die Operation ungenauer als die Termini „Posterior Fixation Suture“ oder „retroäquatoriale Myopexie“. Dem Terminus „Cüpper‘s Procedure“, der von der European Strabismological Association 1991 [141] vorgeschlagen wurde, blieb die Verbreitung versagt.
393
Augenmuskeloperationen
Pm D Pt
ε F
cos ε =
Pt Pm
Abb. 5.10 Myopexie nach Cüppers zur Verkürzung des wirksamen Hebelarms. Die Verkürzung bewirkt bei gleicher Augenmuskelkraft eine Verminderung des Drehmoments.
Zusatzinfo Progressive Wirkung der Myopexie
●V
Eine kombinierte Konvergenzoperation von 3/3 bewirkt eine Schielwinkelreduktion von etwa 9–10°, die doppelte Dosierung von 6/6 auch die doppelte Schielwinkelreduktion von etwa 18–20°. Eine Myopexie von 12 mm reduziert den Nahschielwinkel um etwa 10°. Die Verdoppelung dieser Reduktion auf 20° wird aber nicht durch Verdoppelung der Dosierung (auf 24 mm) erreicht, sondern durch eine Erhöhung der Dosierung von 12 auf 14 mm. Die Wirkung der Myopexie (Effekt in °/mm) steigt mit der Dosierung nicht linear. Folge ist auch ein progressiver Anstieg des Fehlers, der durch eine Ungenauigkeit der Fadenlegung induziert wird.
394
U Abb. 5.11 Verminderung der augendrehenden Wirkung eines Augenmuskels nach Verkürzung des Hebelarms. Der Anteil der Gesamtkraft eines Augenmuskels, der in Drehbewegung umgesetzt wird, richtet sich nach der Größe des Winkels ε. Diese (vereinfachte) Abbildung beruht auf der geometrischen Darstellung der Muskelfunktion durch Adelstein und Cüppers [2]. Die dort beschriebenen Berechnungen gelten als Ausgangspunkt der Myopexie, die erst später publiziert wurde. D = Drehpunkt des Auges F = Stelle der Fixierung des Muskels an der Sklera Pm = Gesamtkraft des Augenmuskels Pt = Anteil der Gesamtkraft, der in Drehbewegung umgesetzt wird U = Ursprung des Muskels ε = Winkel, den die Muskelzugrichtung mit der Tangente am Punkt F bildet
Entscheidend für die Wirkung der Myopexie ist das Ausmaß der Retroäquatorialität, also der Winkel, um den die Fixationsstelle hinter dem Äquator liegt. Diese Retroäquatorialität ist bei einer gegebenen Operationsstrecke abhängig von der Bulbuslänge (▶ Abb. 5.12) [90], [180]. Die negative Korrelation zwischen Bulbuslänge und Schielwinkelreduktion nach Myopexie ist signifikant und klinisch relevant.
Merke
H ●
Für die Wirkung der Myopexie ist prinzipiell unerheblich, wie die Fixierung des Muskels erfolgt (mit oder ohne Desinsertion des Muskels, Art und Anzahl der Nähte, Lage der Nähte innerhalb des Muskels). Wichtig ist nur die sichere und dauerhafte Anheftung an der gewünschten Stelle.
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tion wird der Augenmuskel hinter dem Tangentialpunkt so auf der Sklera fixiert, dass ein neuer artifizieller Ansatz entsteht (▶ Abb. 5.10). Der Abstand zwischen Muskelzugrichtung und Drehpunkt bildet postoperativ den wirksamen Hebelarm, an dem der Muskel das Auge dreht. Der übrige Teil der unveränderten Muskelkraft wird nicht mehr in Drehbewegung, sondern in Retraktion umgesetzt (▶ Abb. 5.11). Die Hebelarmverkürzung ist umso größer, je weiter die neue Fixationsstelle von der Insertion entfernt ist. Der bulbusdrehende Anteil der Gesamtmuskelkraft wird mit zunehmender Bulbusdrehung in Zugrichtung des operierten Muskels immer geringer. Die Myopexie hat also eine progressive Wirkung. Das Ausmaß der Hebelarmverkürzung und damit der Schielwinkelreduktion ist umso größer, je größer der präoperative Schielwinkel ist [208].
5.2 Operationsverfahren
r2
Äquator
β α
α = 45° β = 27°
Myopexie jeweils 13 mm Bulbuslänge 20 mm/24 mm Hebelarm r1/r2 Abb. 5.12 Einfluss der Bulbuslänge auf die Retroäquatorialität der Fadenfixationsstelle. Auf einem Bulbus mit einer Länge von 20 mm (r1 = 10 mm) und einem konzentrisch gezeichneten Bulbus von 24 mm (r2 = 12 mm) sind jeweils Myopexiestrecken von 13 mm (Abstand der Fadenfixation vom Limbus 18,5 mm) aufgezeichnet. In dem gezeichneten Beispiel ergibt sich für die Retroäquatorialität in Primärposition ein Winkel α von 45° (Bulbuslänge 20 mm) bzw. ein Winkel β von 27° (Bulbuslänge 24 mm) [180]. Bei fiktiver Annahme eines sphärischen Bulbus und einer Bulbuslänge von 16, 20, 24, 28 mm ergäben sich Werte der Retroäquatorialität von 82°, 48°, 25°, 8° (Hornhautdurchmesser von 11 mm und Limbusabstand der Insertion des M. rectus medialis von 5,5 mm).
Operationstechnik
a ●
Der M. rectus medialis wird bis zur gewünschten Fixationsstelle freigelegt. Dieser Muskelbereich liegt unmittelbar vor der Tenon-Pforte, so dass festere Bindegewebe dem Muskel aufliegen, die mindestens bis zu der Fixationsstelle vom Muskel entfernt werden. Myopexien erfordern eine gute Darstellung des Operationsgebiets und eine sichere Führung des Bulbus durch den Operateur. Die Fixationsstelle wird dann auf der Sklera markiert, wobei eine Dosierung von 13 mm in der Regel durch die Vortexvenen angezeigt wird. Bei einem Bulbus bestimmter Länge ist die Wirkung der Myopexie vom Winkel der Retroäquatorialität abhängig. Da bei verschiedenen Augen – auch bei derselben Bulbuslänge – die Distanz zwischen Limbus und Insertion des M. rectus medialis unterschiedlich sein kann, ist es genauer, die Fixationsstelle statt von der Insertion vom Limbus aus zu messen. Bei einer gewünschten Myopexiedosierung von 13 mm ist deshalb die Fixationsstelle etwa 18,5 mm vom Limbus entfernt. Um unerwünschte Motilitätsstörungen zu verhindern, muss der Muskel auf seinem physiologischen Bulbusmeridian verbleiben. Das ist der Fall, wenn die Myopexie zwischen der durchscheinenden A. ciliaris longa und der jeweiligen Vortexvene liegt. So lässt sich auch die Verletzung der A. ciliaris longa und der Vortexvenen vermeiden.
5
Operative Technik und Indikation der Myopexie gelten als weitgehend standardisiert [47], [48], [80], [107], [109], [134], [138], [154], [156], [260] und wurden durch zusätzliche gleichzeitige Rücklagerung oder Verkürzung erweitert. Zur Verbesserung der Fixation wird die Operation nur noch selten eingesetzt [58]. Bei der Brückenfadenoperation wird der Muskel nicht auf der Sklera fixiert, sondern bleibt unter einer jederseits skleral fixierten Schlinge [240], [251], [268] beweglich. Die Verminderung des Konvergenzexzesses durch diese Operation ist geringer als bei der üblichen Myopexie.
Merke
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r1
Unter Sicht wird die Nadel auf etwa 2 mm Länge intraskleral so geführt, dass sie gerade noch durchscheint. Wird hierbei eine Spatulanadel benutzt, ist wegen der Perforationsgefahr durch die seitliche Schneide genau darauf zu achten, dass die Nadel nicht verkantet wird. Sie wird unter Sicht aus der Sklera heraus und anschließend so durch den Muskel geführt, dass etwa ein Drittel des Muskels erfasst ist. Beim Knüpfen des Fadens sollte immer der Nadelhalter am Bulbus vorbei in die Tiefe geführt werden, um einen sicheren Knoten zu gewährleisten. Bei einer Fadenfixation ohne gleichzeitige Rücklagerung muss der Muskel nicht desinseriert werden. Wird mit der Myopexie eine Rücklagerung verbunden, wird die Skleranaht gelegt, bevor der Muskel desinseriert wird. Dadurch kann der Muskel während der Skleranaht weiter auf einem Schielhaken sicher gehalten werden. Die Muskelnähte werden dann um den Rücklagerungsbetrag verschoben durch den Muskel geführt. Erst dann wird eine übliche Rücklagerung vorgenommen. Anschließend werden die Fadenfixationsnähte geknüpft. Analog zu diesem Verfahren wird auch eine Verkürzung/Faltung des M. rectus medialis nach Vorlegen der Fadenfixationsnähte durchgeführt.
H ●
Myopexien erfordern eine wesentlich höhere Nahtfestigkeit als Vor-/Rücklagerungen, weil die Muskelkraft nicht tangential auf den Bulbus einwirkt, sondern zentrifugal vom Bulbus wegzieht und mehr Muskelkraft auf dem Knoten lastet.
Operationstechnik
a ●
Bei einer Myopexie am M. rectus superior soll dieser Muskel desinseriert und unter dem M. obliquus superior (bulbusseitig) fixiert werden, um die freie Beweglichkeit der Sehne des M. obliquus superior zu erhalten. Bei einer Myopexie am M. rectus inferior ist besondere Vorsicht geboten, weil der den M. obliquus inferior versorgende Nervenast dem M. rectus inferior eng benachbart ist und ihn manchmal durchzieht ▶ Abb. 1.4 (siehe (S. 14)).
395
Augenmuskeloperationen Die Verkürzung des Hebelarms stellt das wesentliche Wirkungsprinzip der Myopexie dar. Wahrscheinlich finden aber auch noch andere Veränderungen der Muskelmechanik statt, die verschiedene Nebenwirkungen hervorrufen [131], [274].
H ●
Merke
Die Hebelarmverkürzung ist der wesentliche Effekt der Myopexie und der einzige dosierbare Effekt.
●V
Zusatzinfo ●
●
●
Der Muskel wird daran gehindert, auf der Geraden zwischen Ursprung und Insertion (bzw. Tangentialpunkt) zu verlaufen (▶ Abb. 5.13a). Weil die Strecke I-F-U größer ist als I-U, resultiert eine relative Verkürzung des Muskels. Effekt ist ein Drehmoment in Zugrichtung des Muskels. Der Muskel ist in bindegewebigen Strukturen eingebettet, die bestrebt sind, den physiologischen Verlauf des Muskels zu erhalten, und die Fixationsstelle F auf die Gerade I-U ziehen (▶ Abb. 5.13b). Dieses Drehmoment wirkt der Drehrichtung des Muskels entgegen [131], [232]. Während der Operation wird der Muskel erheblich gedehnt. An diesem gedehnten Muskel wird die Operationsstrecke abgemessen, so dass ein zu kurzes Sehnen- und Muskelstück auf der Sklera fixiert wird.
D
●
●
●
Folge ist eine relative Muskelverlängerung. Sie vermindert die elastische Spannung des operierten Muskels, also auch das Drehmoment in Zugrichtung dieses Muskels. Der Teil des Muskels zwischen I und F wird durch die Operation funktionell stillgelegt. Folge ist eine Verkürzung der kontraktilen und elastischen Muskellänge. Da die Fixation des Muskels unmittelbar vor der TenonPforte erfolgt, wird die Tenon-Kapsel an dieser Stelle mit dem Bulbus verbunden. Der Bulbus verliert seine Beweglichkeit innerhalb der Kapsel. Die Myopexie an einem Horizontalmotor bewirkt als Nebeneffekt die Verminderung einer Vertikaldeviation (▶ Abb. 5.14a, b). Analoge Auswirkungen auf die Horizontaldeviation zeigt die Myopexie an geraden Vertikalmotoren.
D
I
I F
F Drehpunkt wirksamer Hebelarm Kraftrichtung
Fadenfixation
a
U
b
U
Abb. 5.13 Veränderungen der Muskelmechanik nach Myopexie. D = Drehpunkt des Auges I = Insertion des Muskels F = Fixationsstelle auf der Sklera U = Ursprung a Relative Verkürzung des Augenmuskels (I-F-U > I-U). b Zugrichtung (rot markiert) der bindegewebigen Strukturen, die den Muskel in den physiologischen Verlauf (I-U) zu ziehen versuchen.
396
Abb. 5.14 Vertikales Drehmoment vor und nach Myopexie an einem Horizontalmotor. Bei Elevation des Bulbus entsteht ein hebendes Drehmoment der Horizontalmotoren, weil die Zugkraft oberhalb des Drehpunkts angreift (oben). Nach einer Myopexie wirkt ein senkendes Drehmoment, weil der Hebelarm unterhalb des Drehpunkts wirksam wird (unten). Dieses vertikale Drehmoment kann nach beidseitiger Myopexie am M. rectus medialis eine Verkleinerung des Vertikalschielwinkels bei einem Strabismus sursoadductorius bewirken und wird zur Verminderung einer Vertikaldeviation beim Retraktionssyndrom empfohlen [275].
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Hinweis zu Nebenwirkungen einer Myopexie
5.2 Operationsverfahren
Merke
H ●
Die progressive Hebelarmverkürzung ist der Myopexie und der großen Rücklagerung gemeinsam. Der Effekt ist nach Myopexie erheblich größer als nach Rücklagerung. Die Verminderung des Schielwinkels hingegen ist wegen der größeren Muskelentspannung nach einer großen Rücklagerung größer als nach einer Myopexie.
5.2.7 Veränderung der Muskelzugrichtung Die Vor- oder Rücklagerung eines Augenmuskels in Zugrichtung bewirkt eine Steigerung oder Minderung der Muskelspannung, eine Ansatzverlagerung quer zur Muskelzugrichtung verändert dagegen die Muskelzugrichtung. Diese Verschiebung der Muskelebene bedeutet, dass das Verhältnis der Teilfunktionen dieses Muskels verändert wird. Wenn der Ansatz der Mm. obliqui nach hinten verlagert wird, d. h. vom Limbus weg, steigt die Vertikalfunktion dieses Muskels an, während seine zykloduzierende Funktion abnimmt. Analog dazu wird die zykloduzierende Funktion auf Kosten der Vertikalfunktion ansteigen, wenn die Insertion zum Limbus hin verlagert wird. Ähnliche Effekte werden erzielt, wenn nur der Vorderrand oder der Hinterrand der Insertion verändert wird. Eine Rücklagerung des vorderen Insertionsteils eines schrägen Augenmuskels in Muskelzugrichtung wirkt ähnlich wie eine Vergrößerung des Limbusabstands der Insertion [111]. Meist werden beide Techniken verbunden, es wird also bei der Rück- und Vorlagerung eines schrägen Augenmuskels gleichzeitig der Limbusabstand der Wiederanheftungsstelle verändert (▶ Abb. 5.15a–e). Alle Eingriffe verändern nie ausschließlich nur eine Teilfunktion, sondern in geringerem Ausmaß immer auch alle anderen. Die differenzierte Beeinflussung verschiedener Teilfunktionen eines Muskels kann bei entsprechender Technik erheblich sein. Ansatzverlagerungen an den Mm. recti werden vor allem zur Verbesserung von Alphabet-Symptomen empfohlen [158]. Eine Verlagerung des M. rectus medialis nach unten bewirkt bei Infraduktion eine Verminderung der Spannung dieses Muskels mit vermindertem Adduktionsmoment und bei Supraduktion eine Erhöhung der Spannung mit erhöhtem Adduktionsmoment. Die gleichzeitige Verlagerung des M. rectus lateralis nach oben vermindert bei Supraduktion das Abduktionsmoment und erhöht es bei Infraduktion. Beide Verlagerungen verbessern das Ausmaß eines V-Symptoms, erzeugen aber einen exzykloduzierenden Nebeneffekt. Bei Esotropie mit V-Symptom (nach Voroperation am M. rectus medialis) wird auch die temporale Verlagerung des M. rectus inferior vorgeschlagen [220]. Durch diese Verfahren wird die mit einem V-Symptom häufig einhergehende Exzyklotropie noch verstärkt. Analoge Eingriffe zur Verbesserung eines A-Symptoms zeigen entsprechende Nachteile. Der zykloduzierende Nebeneffekt dieser Eingriffe kann erwünscht sein und wird ausgenutzt bei Operationen zur Verbesserung einer Kopfneigungszwangshaltung [55]. Schräge Rücklagerungen und schräge Resektionen werden ebenfalls zur Verbesserung der Alphabet-Symptome angegeben [193], zeigen aber dieselben Nachteile. Der Literatur [255] sind über die Wirkung dieser Eingriffe widersprüchliche Meinungen zu entnehmen, so dass sie wenig empfehlenswert sind.
5
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Die Verkürzung des Hebelarms führt immer dann zu einer Veränderung des Drehmoments, wenn am Kraftansatzpunkt eine Kraft wirksam wird – gleichgültig, ob diese Kraft durch Muskelkontraktion oder elastische Spannung entsteht. Liegt die Fixationsstelle schon in Primärstellung außerhalb der Abrollstrecke, wird der Schielwinkel auch schon in der Primärstellung durch die elastische Muskelspannung beeinflusst. Als Alternative zur Myopexie beim nichtakkommodativen Konvergenzexzess ist die sog. Y-Operation [113], [116], [117] vorgeschlagen worden. Bei dieser Operation wird der zu operierende Muskel vom Ansatz aus auf einer Länge von 15 mm gespalten. Die beiden Hälften werden zurückgelagert und jeweils oberhalb bzw. unterhalb des ursprünglichen Verlaufs fixiert. Das Ausmaß der Verlagerung richtet sich nach dem Fernschielwinkel, während das Ausmaß des Konvergenzexzesses auf die Dosierung der Y-Operation keinen Einfluss hat. Da sich die neuen Ansatzpunkte vor dem Äquator befinden, ist die Y-Operation technisch einfacher als eine retroäquatoriale Myopexie. Möglicherweise beruht ein Teil der Wirkung der YOperation auf einer Vernarbung des Muskels mit der Sklera an der Stelle, an der die Spaltung des Muskels in zwei Hälften beginnt. Auch die großzügig bemessene Rücklagerung eines Augenmuskels kann zu einer Verkürzung des wirksamen Hebelarms führen. Nach üblichen Rücklagerungen steht in Primärstellung noch Abrollstrecke zur Verfügung. Wird das Auge aber in Drehrichtung des operierten Muskels bewegt, kann die Abrollstrecke schon innerhalb des Gebrauchsblickfelds überschritten sein. Eine Rücklagerung des M. rectus medialis bewirkt deshalb eine Verminderung des Adduktions- bzw. des Konvergenzvermögens [44]. Das Ausmaß dieser Adduktionsverminderung und der Schielwinkelreduktion steigt mit dem präoperativen Schielwinkel. Gleiches gilt auch für die vielerorts empfohlene Rücklagerung des M. rectus superior um 8 bzw. 10 mm bei dissoziiertem Höhenschielen (DVD). Auch hier bewirkt die Operation einen mit dem Ausmaß der Schielabweichung steigenden Operationseffekt.
397
Augenmuskeloperationen
a
b
c
e
Abb. 5.15 Partielle Ansatzverlagerung der schrägen Augenmuskeln. Die Begriffe Vor- und Rücklagerung sind grundsätzlich auf die Muskelzugrichtung des betreffenden Muskels bezogen. a Rücklagerung des hinteren Teils des M. obliquus superior und Vorlagerung des hinteren Teils des M. obliquus inferior zur überproportionalen Verbesserung der Supraduktion. b Verlagerung der Wiederanheftungspunkte des vorgelagerten M. obliquus inferior zum Limbus hin und des rückgelagerten M. obliquus superior vom Limbus weg zur überproportionalen Verstärkung der Exzykloduktion. c Rücklagerung des vorderen Teils des M. obliquus superior mit Vorlagerung des vorderen Teils des M. obliquus inferior zur Verstärkung der Exzykloduktion. d Rücklagerung des hinteren Teils des M. obliquus inferior mit Vorlagerung des hinteren Teils des M. obliquus superior zur Verstärkung der Infraduktion. e Rücklagerung des vorderen Teils des M. obliquus inferior und Vorlagerung des vorderen Teils des M. obliquus superior zur Verstärkung der Inzykloduktion.
Eine andere Gruppe von Ansatzverlagerungen wird üblicherweise unter dem Begriff der Muskeltransposition zusammengefasst. Prinzip dieser Operationen ist, den Ansatz gesunder Augenmuskeln so zu verändern, dass sie die Funktion eines paralytischen Muskels teilweise ersetzen. Die verlagerten Muskeln erhalten nach der Operation dieselbe Innervation wie vorher und erlernen keine neue Funktion. (Zu technischen Verfahren siehe Kap. 5.4.)
Merke
H ●
Muskeltranspositionen schaffen keine normale Beweglichkeit. Ziel der Transposition ist, den Bulbus in eine für das Binokularsehen brauchbare Position zu bringen, so dass der funktionierende Antagonist seine Funktion gegen elastischen Widerstand noch ausüben kann.
398
5.3 Nichtparetisches Schielen H. Kaufmann, H. Steffen
5.3.1 Ergebnisse verschiedener Operationsverfahren Operationen an Horizontalmotoren Langzeituntersuchungen zeigen gute Ergebnisse nach Augenmuskeloperationen: ● 5 Jahre nach Operation eines Strabismus convergens bzw. eines Strabismus divergens (präoperativer Schielwinkel > 20°) betrug der durchschnittliche Schielwinkel ca. 7° (445 Patienten) [264]. ● 10–15 Jahre nach beidseitiger Myopexie wegen frühkindlicher Esotropie mit Konvergenzexzess zeigten ⅔
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d
5.3 Nichtparetisches Schielen
Die Ergebnisse der Rücklagerungen eines Horizontalmotors zeigen, dass je nach Indikation und operiertem Muskel das Verhältnis von Schielwinkelreduktion/Operationsstrecke in mm zwischen 0,7°/mm und 1,3°/mm liegt [127], [128], [130], [256]. Die Duktionseinschränkung in Zugrichtung des operierten Muskels ist (wegen der kürzeren Abrollstrecke) am M. rectus medialis größer als am M. rectus lateralis. Adduktionseinschränkung nach Rücklagerung des M. rectus medialis ist gleichzusetzen mit der erwünschten Einschränkung der Konvergenz. Die Rücklagerung des M. rectus medialis vermindert den Nahschielwinkel mehr als den Fernschielwinkel. Die analoge größere Fernschielwinkelreduktion nach Rücklagerung des M. rectus lateralis ist wenig ausgeprägt. Resektionen zeigen eine etwas größere Wirkung, überschreiten aber auch 1,3°/mm auf Dauer nicht. Lediglich in der Gruppe der beidseitigen Resektionen des M. rectus medialis ist diese Effektivität bei größerer Standardabweichung höher. Die Genauigkeit rücklagernder oder resezierender Eingriffe an einem Muskel, ausgedrückt als Standardabweichung der Schielwinkelreduktion nach einer bestimmten
Dosierung, beträgt etwa ±4° bis ±5° und ist weitgehend unabhängig von der Operationsstrecke. Die kombinierte Operation an den Horizontalmotoren reduziert Fernschielwinkel und Nahschielwinkel etwa gleichermaßen (▶ Tab. 5.1) [127], [128], [130], [256]. Diese sog. Effektivität der Operation beträgt etwa 1,7°/mm Gesamtoperationsstrecke für Konvergenz- und Divergenzoperationen. Die Effektivität sinkt innerhalb der folgenden 3 Monate für die Konvergenzoperationen um 0,1°/mm, für die Divergenzoperationen (▶ Tab. 5.2) jedoch um 0,3°/mm und verdeutlicht die häufigere Wiederzunahme des Schielwinkels bei Strabismus divergens [136]. Postoperative Inkomitanzen nach kombinierten Operationen entstehen fast immer, sind bei höheren Dosierungen größer und nehmen im Laufe von Monaten ab [152], [162]. Sie stören nur, wenn sie Diplopie bewirken.
5
H ●
Merke
Postoperative Diplopie ist nach Divergenzoperationen häufiger als nach Konvergenzoperationen, weil der Anteil der Patienten mit Binokularsehen bei Exodeviationen (40 %) größer ist als bei Esodeviationen (5 %). Zudem ist eine konvergente Fusionsbreite immer besser als eine divergente, so dass die Patienten den ungewohnten konvergenten Schielwinkel nicht kompensieren können.
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●
der 47 Patienten bei Fern- und Nahblick einen Schielwinkel von < 5° [146]. In einer anderen Untersuchung an 400 Patienten war nach 10 Jahren bei 85 % der Schielwinkel < 10° [73], [183].
Tab. 5.1 Schielwinkel vor und nach kombinierter Konvergenzoperation (nach Dosierungsschema in ▶ Abb. 5.16). Präoperativ (n = 2637)
Bei Entlassung (n = 2637)
Nach 3 Monaten (n = 1293)
Schielwinkel
Ferne
Nähe
Ferne
Nähe
Ferne
Mittelwert
19,5°
22,8°
2,0°
4,5°
2,8°
5,3°
Median
18°
22°
2°
4°
3°
4°
–5° bis 5°
0%
1%
71 %
54 %
63 %
52 %
Konv. Schielwinkel > 10°
93 %
95 %
5%
13 %
7%
20 %
Div. Schielwinkel > 10°
0%
0%
1%
1%
2%
2%
Nähe
Größtes postoperatives Problem ist der verbleibende Konvergenzexzess.
Tab. 5.2 Schielwinkel vor und nach kombinierter Divergenzoperation (nach Dosierungsschema in ▶ Abb. 5.17). Präoperativ (n = 1361)
Bei Entlassung (n = 1361)
Nach 3 Monaten (n = 686)
Schielwinkel
Ferne
Ferne
Ferne
Mittelwert
–14,9°
–16,3°
0,3°
0,2°
–2,6°
–2,8°
Median
–15°
–16°
0°
0°
–2°
–3°
Nähe
Nähe
Nähe
–5° bis 5°
0%
1%
82 %
75 %
65 %
57 %
Konv. Schielwinkel > 10°
0%
0%
1%
2%
1%
1%
Div. Schielwinkel > 10°
87 %
90 %
1%
4%
8%
11 %
Größtes postoperatives Problem ist die Wiederzunahme des divergenten Schielwinkels.
399
Die Genauigkeit kombinierter Eingriffe, ausgedrückt als Standardabweichung der Schielwinkelreduktion, beträgt unabhängig von der Dosierung etwa ±3° bis ±5° und ist damit besser als die aller anderen Augenmuskeleingriffe. Während Resektionen und kombinierte Operationen der Horizontalmotoren den Fern- und den Nahschielwinkel in ähnlichem Ausmaß reduzieren, führen hochdosierte Rücklagerungen und Myopexien am M. rectus medialis zu einer überproportionalen Verminderung des Nahschielwinkels und zu einer Verminderung des Konvergenzexzesses. Die beidseitige Myopexie des M. rectus medialis gilt als zuverlässigste Methode zur Beeinflussung des Konvergenzexzesses.
●V
Zusatzinfo
Bemerkung zur beidseitigen Medialis-Myopexie
Nach beidseitiger Medialis-Myopexie beträgt das Verhältnis der Nah- zur Fernschielwinkelreduktion durchschnittlich 1,8:1. Die Schielwinkelverminderung steigt mit der Größe des präoperativen Schielwinkels [208], [279]. (Reduktion des Nahschielwinkels ≈ ½ präoperativer Nahschielwinkel + 5° [138]). Das bedeutet, dass mit der Größe des präoperativen Schielwinkels nicht nur der Effekt der Myopexie steigt, sondern auch der Restschielwinkel. Schielwinkelschwankungen werden vermindert, weil die progressive Adduktionseinschränkung eine Verminderung der Amplitude bewirkt, d. h. eine Nivellierung auf dem Niveau des kleineren Winkels [48], [134].
Die postoperativen Schielwinkel zeigen die Grenzen der beidseitigen retroäquatorialen Myopexie (▶ Tab. 5.3). Ihr dissoziierender Effekt auf die Verringerung von Fern- und Nahschielwinkel ist zwar größer als der einer beidseitigen Medialis-Rücklagerung, aber nicht groß genug, um den Vergenzexzess zu beseitigen. Würde man die Wiederzunahme des divergenten Fernschielwinkels verhindern wollen, wäre die Folge eine Zunahme des verbleibenden Konvergenzexzesses.
Einschränkungen des Konvergenzvermögens waren nach 10–15 Jahren nachweisbar (bei ca. 10 % auf einen Konvergenznahpunkt von > 15 cm), zeigten aber in keinem Fall ein störendes Ausmaß [82], [138], [265]. Myopexien vermindern das Drehmoment in Zugrichtung des operierten Muskels und bewirken eine Duktionseinschränkung [231], [232]. Nach einer Myopexie am linken M. rectus medialis nimmt der konvergente Schielwinkel vor allem bei Dextroversion ab. Die Myopexie bewirkt also eine künstliche Winkelinkomitanz, mit deren Hilfe andererseits eine präoperative Winkelinkomitanz ausgeglichen werden kann (siehe Gegenparese). Bei beidseitigen Medialis-Myopexien ist der Operationseffekt im Seitblick größer als in Primärposition [33]. Diese symmetrische Winkelinkomitanz ist unvermeidlich, wenn eine Einschränkung der Konvergenz erreicht werden soll. Die Genauigkeit der Myopexie, ausgedrückt als Standardabweichung der Schielwinkelreduktion, beträgt etwa ±5°. Auch nach Myopexien ist nach Monaten eine Schielwinkelzunahme zu beobachten [134], sie bleibt aber in den Grenzen, die auch nach kombinierten Operationen sichtbar werden. Untersuchungen, die 10–15 Jahre nach beidseitiger Myopexie durchgeführt wurden [138], zeigten gute langfristige Ergebnisse [52], [59], [82], [83], [154], [196]. Der Anteil langfristiger Überkorrektionen (Strabismus divergens) des Schielwinkels ist geringer als nach beidseitiger Medialis-Rücklagerung.
Operationen an Vertikalmotoren Die Ergebnisse entsprechen weitgehend denen an den Horizontalmotoren [21], [91], [159], [160], [260], [269], [270]. An geraden Vertikalmotoren vermindern Einmuskeloperationen (Rücklagerungen oder Resektionen) den Schielwinkel etwa um 1°/mm Operationsstrecke. Kombinierte Operationen an den geraden Vertikalmotoren zeigen eine durchschnittliche Schielwinkeländerung von ca. 1,5°/mm Gesamtoperationsstrecke bei einer Standardabweichung der Ergebnisse von ungefähr ± 5°. Der Effekt der Operation lässt im Verlauf von 3–6 Monaten um etwa 2° nach.
Tab. 5.3 Schielwinkel vor und nach beidseitiger retroäquatorialer Myopexie nach Cüppers (nach Dosierungsschema in ▶ Abb. 5.16), wobei der beidseitigen Myopexie oft bereits eine kombinierte Konvergenzoperation wegen einer großwinkligen Esotropie vorausgegangen war. Präoperativ (n = 1038)
Bei Entlassung (n = 1038)
Nach 3 Monaten (n = 562)
Schielwinkel
Ferne
Nähe
Ferne
Nähe
Ferne
Nähe
Mittelwert
9,9°
20,2°
–0,7°
2,9°
–1,7°
2,6°
Median
9°
20°
0°
4°
0°
3°
–5° bis 5°
23 %
0%
70 %
58 %
62 %
57 %
Konv. Schielwinkel > 10°
37 %
96 %
0%
5%
1%
6%
Div. Schielwinkel > 10°
0%
0%
8%
4%
13 %
4%
Größtes postoperatives Problem ist der divergente Fernschielwinkel.
400
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Augenmuskeloperationen
5.3 Nichtparetisches Schielen
5.3.2 Indikation verschiedener Operationsverfahren Grundsätze der Indikation und Dosierung Die Entscheidung zur Operation wird gefällt nach eingehender Abwägung von ● Anamnese, ● Beschwerdebild, ● Befund, ● möglichen Komplikationen. Bei nichtparetischen Schielerkrankungen entscheidet über die Frage, ob operiert werden muss, in der Regel neben den Beschwerden der einseitige Abdecktest, über die Operationsstrecken der alternierende Abdecktest oder eine andere das Binokularsehen dissoziierende Untersuchungsmethode. Besteht eine Abweichung beim alternierenden Abdecktest ohne Beschwerden und ohne Abweichung beim einseitigen Abdecktest, ist eine Operation nicht indiziert. Bestimmten mechanisch definierten Augenmuskelstörungen können bestimmte Operationsprinzipien zugeordnet werden. Die grundsätzliche Frage des Nutzens einer Operation wird bei den verschiedenen Erkrankungen besprochen.
Merke
5
H ●
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Auch an den schrägen Vertikalmotoren lassen sich entsprechende Operationseffekte nachweisen. Der Vergleich der Ergebnisse wird dadurch erschwert, dass einige Autoren die prä- und postoperativen Vertikaldeviationen in Primärposition berechnen, andere die in Adduktion. Die Rücklagerung des M. obliquus inferior oder die Faltung der Sehne des M. obliquus superior vermindert die Vertikaldeviation (in Adduktion von 25°) um etwa 1°/mm Operationsstrecke. Beide Eingriffe bewirken eine größere Reduktion des Schielwinkels in Elevation. Der Effekt der Faltung der M.-obliquus-superior-Sehne lässt im postoperativen Verlauf deutlicher nach als der einer M.-obliquusinferior-Rücklagerung. Kombinierte Operationen (gleichzeitig an beiden schrägen Augenmuskeln eines Auges) zeigen auch hier größere Effekte von ca. 1,5°/mm. Die Zyklodeviation, deren Größe weniger stark mit der Blickrichtung variiert, wird mit einer durchschnittlichen Effektivität von 1°/mm Gesamtoperationsstrecke vermindert. Das sog. postoperative Brown-Syndrom (S. 390) tritt nach kombinierter Obliquus-Chirurgie weniger ausgeprägt auf, weil die notwendige Verkürzung der Sehne des M. obliquus superior geringer ist. Ein V-Symptom wird durch Operationen an den schrägen Augenmuskeln um etwa 2° (bei einer einseitigen hinteren Tenotomie des M. obliquus inferior) bis zu ca. 20° (bei einer beidseitigen kombinierten Operation von 6 mm an allen 4 schrägen Augenmuskeln) vermindert. Die Effekte der Rücklagerungen des M. obliquus superior auf die Vertikaldeviation in Adduktion von 25° liegen ebenfalls bei 1°/mm. Der Einfluss dieser Eingriffe auf ein A-Symptom reicht von ungefähr 2° (bei einer einseitigen hinteren Tenotomie des M. obliquus superior) bis zu 10° (bei einer beidseitigen Operation von jeweils 8 mm). Unter allen Operationswirkungen ist der Einfluss der Rücklagerung des M. obliquus superior auf das A-Symptom am wenigsten genau vorhersehbar. Eine gegenseitige Beeinflussung der Operationen an den schrägen Augenmuskeln beider Augen ist bezüglich der Verminderung der Vertikaldeviation in Adduktion zwar vorhanden, aber gering [142]. Sehr häufig werden Operationen an den schrägen Augenmuskeln mit der Operation des Horizontalschielens verbunden. Die gegenseitige Beeinflussung dieser Operationen bezüglich der resultierenden Schielwinkel ist ebenfalls gering [142]. Die Wirkung einer Operation an den Horizontalmotoren ist bei gleichzeitiger Operation an den schrägen Augenmuskeln nicht wesentlich anders als ohne diese. Ebenso wenig beinflusst eine Operation an den Horizontalmotoren die Effekte der Operation an den schrägen Augenmuskeln [142].
Über die Indikation zur Operation entscheiden: ● Beschwerden des Patienten ● Wahrscheinlichkeit der Funktionsverbesserung oder -erhaltung ● mit dem (einseitigen) Abdecktest gemessener Schielwinkel
Die Wahl der Operationsmethode richtet sich nach dem Schielwinkelverhalten in verschiedenen Blickrichtungen und -entfernungen. Die Grundlage der Dosierung ist der mit dem alternierenden Abdecktest gemessene Schielwinkel.
Die Dosierung der Operation basiert üblicherweise auf den Ergebnissen bereits durchgeführter Operationen. Dosierungsschemata (▶ Abb. 5.16, ▶ Abb. 5.17, ▶ Abb. 5.18) sind ein Beispiel dafür, wie aus der statistischen Bearbeitung eines Patientenguts individuelle Dosierungsrichtlinien entstehen können. Der Operateur sollte die Effektivität der eigenen Technik kennen.
Merke Augenmuskelchirurgie ist dosierbar!
H ●
401
Augenmuskeloperationen 25 6/7 20
6/8
5/7
F14
Nahschielwinkel
5/6 5/4
15
F13 4/3
10
3/3
F12
4/4
5/5 4/5
3/4
R5e 5
0 5
10 15 Fernschielwinkel
20
25
Abb. 5.16 Dosierungsschema bei Strabismus convergens. Bei kombinierten Operationen (z. B. 5/7) gibt die erste Zahl die Rücklagerungsstrecke am M. rectus medialis in mm und die zweite die Resektions- oder Faltungsstrecke am M. rectus lateralis in mm an. Die Dosierungen 6/7 und 6/8 werden nur verwendet, wenn eine Amblyopie vorliegt oder aus anderen Gründen mit einer Operation ein besonders hoher Effekt angestrebt wird. Sie bewirken häufiger eine postoperative Inkomitanz. R5e bedeutet die Rücklagerung eines M. rectus medialis um 5 mm, die nur selten durchgeführt wird. Bei den Myopexien (F) bezeichnen die Zahlen die Dosierung der beidseitigen Myopexie (siehe auch ▶ Tab. 5.4). Die Dosierung F14 wird wegen der ungenaueren Wirkung selten verwendet. Bei der Indikation werden die Schielwinkel zugrunde gelegt, die mit dem alternierenden Prismenabdecktest bei Fernblick bzw. bei Nahblick auf ein akkommodationsanregendes Fixierobjekt gemessen werden. Bei den Dosierungstabellen wird eine Augenlänge von 22 mm vorausgesetzt. Es ist empfehlenswert, bei Rücklagerungen, Resektionen und Faltungen die Dosierung bei abweichender Augenlänge proportional zu ändern, bei einer Augenlänge von 20 mm also um 10 % [90]. Bei Myopexien sollte die Dosierung für je 2 mm Abweichung der Bulbuslänge vom Normwert (ca. 22 mm im eigenen Krankengut) um 1 mm geändert werden. Einer Dosierung von 13 mm bei einer Bulbuslänge von 22 mm entspricht also eine Dosierung von 12 mm bei einer Bulbuslänge von 20 mm bzw. eine Dosierung von 14 mm bei einer Bulbuslänge von 24 mm [180]. Da die Wirkung der Myopexie vor allem von dem Winkel der Retroäquatorialität der Fixationsstelle abhängt, erfolgt im eigenen Krankengut die Abmessung der Fadenfixationsstelle vom Limbus (bei einer Dosierung von 13 mm wird die Fixationsstelle in 18,5 mm Limbusabstand gelegt). Um Verwirrung zu vermeiden, wird aber die gewohnte Dosierungsangabe (in diesem Beispiel 13 mm) beibehalten.
Nichtparetische Esodeviationen und Exodeviationen weisen prinzipielle Unterschiede der Okulomechanik nicht auf. Deshalb bestimmt die Richtung der Schielabweichung zwar, welcher Muskel rückgelagert und welcher reseziert wird, aber die Gesamtoperationsstrecke ist fast gleich. Die Schemata in ▶ Abb. 5.16 und ▶ Abb. 5.17 geben dementsprechend sowohl bei einem konvergenten als auch bei einem divergenten Fernschielwinkel von 15° eine Gesamtoperationsstrecke von 9–10 mm an. Das nichtparetische Schielen ist der häufigste Grund für eine Augenmuskeloperation. Ziel der Operation ist einerseits die Verminderung des Schielwinkels und andererseits die Verbesserung des Binokularsehens.
402
Die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung des Binokularsehens hängt vor allem vom Krankheitsbild ab: ● Art der Schielerkrankung ● Lebensalter ● Visus ● Korrespondenzverhalten ● Fusionsvermögen usw. Beim normosensorischen Spätschielen bewirkt auch eine Augenmuskeloperation mit falscher Dosierung binokulares Einfachsehen, wenn der verbleibende Restschielwinkel fusioniert werden kann. Langfristige Beobachtungen bezüglich der Qualität des erreichten Binokularsehens geben vor allem Aufschluss über die Güte der gesamten Behandlung bei bestimmten Krankheitsbildern, nicht aber über den mechanischen Effekt einer bestimmten Augenmuskeloperation oder ihrer Dosierung.
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0
5.3 Nichtparetisches Schielen
6/7 6/6 6/5 5,5/ 5,5 5/6 5/5
Nahschielwinkel
20
5/4 4,5/ 4,5 4/5 4/4
15
4/3 3,5/ 3,5 3/4 3/3
10
R5b 2/2 R5e
5
0 0
5
10 15 Fernschielwinkel
20
25
V-Symptom bei beidseitiger Operation 5
7,5
10
12,5
15
20
6/6 Vertikaldeviation in Add.
15
10
R10 R8 R6
5 h.T.
0 2
5 3 4 V-Symptom bei einseitiger Operation
6
Abb. 5.17 Dosierungsschema bei Strabismus divergens. Bei kombinierten Operationen (z. B. 4/4) gibt die erste Zahl die Resektions- oder Faltungsstrecke am M. rectus medialis in mm und die zweite die Rücklagerungsstrecke am M. rectus lateralis in mm an. R5e bedeutet eine reine Rücklagerung des M. rectus lateralis um 5 mm, e bezeichnet eine einseitige, b eine beidseitige Rücklagerung. Bei der Indikation werden die Schielwinkel zugrunde gelegt, die mit dem alternierenden Prismenabdecktest bei Fernblick bzw. bei Nahblick auf ein akkommodationsanregendes Fixierobjekt gemessen werden (in einigen Fällen nach diagnostischer Okklusion oder Prismentrageversuch). Den Dosierungstabellen liegt eine Augenlänge von 22 mm zugrunde. Es ist empfehlenswert, bei Rücklagerungen, Resektionen und Faltungen die Dosierung bei abweichender Augenlänge proportional zu ändern, bei einer Augenlänge von 20 mm also um 10 % [90], [180].
5
Abb. 5.18 Dosierungsschema bei Strabismus sursoadductorius und V-Symptom. Auf der Ordinate ist die Vertikaldeviation in Adduktion von 25° angegeben, auf der Abszisse das Ausmaß des V-Symptoms – oben bei beidseitiger, unten bei einseitiger Operation an den schrägen Augenmuskeln. Bei kombinierten Operationen (6/6) gibt die erste Zahl die Rücklagerungsstrecke am M. obliquus inferior in mm und die zweite die Faltungsstrecke am M. obliquus superior in mm an. R bedeutet eine reine Rücklagerung des M. obliquus inferior, die Zahl gibt die Rücklagerungsstrecke in mm an, hT bezeichnet eine Tenotomie der hinteren ⅔ der Sehne. Bei der Indikation werden die Schielwinkel zugrunde gelegt, die mit dem alternierenden Prismenabdecktest bei Fernblick in einer Adduktion von 25° gemessen werden. Bei einem Strabismus sursoadductorius von 16° empfiehlt das Schema eine kombinierte Obliquus-Operation der Dosierung 6/6. Bei dieser Dosierung ist mit einer Verminderung des V-Symptoms um 6° bei einseitiger bzw. um 15° bei beidseitiger Operation zu rechnen.
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25
403
Zusatzinfo Bemerkung zu Dosierungstabellen
●V
Dosierungsanleitungen wurden mehrfach erarbeitet [176], [177], [187], [190], [197], [235], [236], [237], [238], [239], [263], [299]. Die Wirkung bestimmter Operationsmethoden und Dosierungen lässt sich am besten prüfen, wenn die durchschnittliche Veränderung des (mit dem alternierenden Abdecktest gemessenen) Schielwinkels als Folge einer bestimmten Operationsdosierung an einer ausreichend großen Anzahl vergleichbarer Patienten berechnet wird. In idealer Weise wäre das möglich, wenn unter Ausschaltung aller binokularen Einflüsse langfristige prä- und postoperative Winkelmessungen durchgeführt werden könnten. Da diese Bedingung nicht erfüllbar ist, stellen alle retrospektiv erarbeiteten Dosis-Wirkung-Relationen einen Kompromiss dar. Alle Veröffentlichungen zu Dosierungsfragen sind unter diesem Vorbehalt zu sehen, haben aber weitgehend akzeptierte Dosierungsempfehlungen entstehen lassen. Eigene Untersuchungen dieser Art [127], [128], [130], [134], [136], [142], [144] hatten bereits vor Jahren zu Dosierungstabellen geführt, deren Relevanz über Jahre mit einer umfangreichen Datensammlung regelmäßig überprüft wurde. Dabei hatten sich keine wesentlichen Abweichungen ergeben. Diese Dosierungstabellen sind in ▶ Abb. 5.16, ▶ Abb. 5.17, ▶ Abb. 5.18 wiedergegeben.
Die durchschnittliche Schielwinkelreduktion ist ein Wert, der je nach verwendeter Operationstechnik, Präzision der Durchführung und individuellen Gegebenheiten des Patienten eine statistische Streuung aufweist. In der Regel wird die Dosierung angestrebt, die die größte Wahrscheinlichkeit bietet, den Schielwinkel zu beseitigen. Folgen dieser Dosierung werden an einem großen Krankengut ebenso viele Überkorrektionen wie Unterkorrektionen sein. Wer Überkorrektionen sicher vermeiden will, muss eine Unterkorrektion anstreben, also darauf verzichten, die Beseitigung des Schielwinkels zur wahrscheinlichsten Folge einer Operation zu machen. Dieses Vorgehen ist immer dann vorzuziehen, wenn die Überkorrektion eines Schielwinkels unbedingt vermieden werden muss (z. B. wegen drohender Diplopiegefahr) und die Unterkorrektion zwar kein ideales, aber ein erträgliches Resultat wäre. Überlegungen dieser Art haben sich am betreffenden Krankheitsbild zu orientieren und werden dort besprochen. Wenn im folgenden Text Dosierungsrichtlinien gegeben werden, liegt ihnen das Ziel zugrunde, mit größter Wahrscheinlichkeit den Schielwinkel zu beseitigen.
404
Merke
H ●
Die Dosierung, die mit der größten Wahrscheinlichkeit den Schielwinkel beseitigt, bewirkt ebenso viele Überkorrektionen wie Unterkorrektionen.
Eine Operationsmethode ist dann einer anderen vorzuziehen, wenn ein Schielwinkel mit geringerem operativen Aufwand oder größerer Genauigkeit um das gewünschte Ausmaß verringert wird und dieses Ergebnis von größerer Dauerhaftigkeit ist. Soweit Untersuchungen dazu vorliegen, wird deshalb bei den einzelnen Operationsverfahren angegeben, welche Streuungen der Ergebnisse beschrieben werden und ob über Langzeitergebnisse berichtet wird.
Strabismus convergens Bei der Indikationsstellung wird zwischen der Operation des konvergenten Basiswinkels und der Operation der komplizierenden Störungen unterschieden.
Merke
H ●
Der konvergente Basiswinkel kann durch Vergenzstörungen und Vertikaldeviationen kompliziert werden: ● Vergenzexzesse und -insuffizienzen bewirken Schielwinkeländerungen in verschiedenen Blickentfernungen. ● Funktionsstörungen der Vertikalmotoren führen zu Schielwinkeländerungen in verschiedenen Blickrichtungen.
Operation des konvergenten Basiswinkels Bei unkomplizierten Heterotropien und Heterophorien ist die Operationsindikation ähnlich. Methode der Wahl ist die kombinierte Augenmuskeloperation, weil sie möglichst geringe Operationsstrecken mit möglichst großem Effekt, möglichst guter Genauigkeit und möglichst geringen Nebenwirkungen (Propulsion oder Retraktion des Bulbus, Lidspaltenveränderung, siehe ▶ Abb. 5.8a–c) verbindet. Bei der Dosierung (▶ Abb. 5.17) sollen die Operationsstrecken gleichmäßig auf beide Muskeln (1:1) verteilt werden, um die physiologische Kinematik des operierten Auges möglichst wenig zu stören. Hierbei sind die maximalen Rücklagerungs- und Resektionsstrecken der einzelnen Muskeln zu beachten.
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Augenmuskeloperationen
H ●
Grundlage der Dosierung ist der mit dem alternierenden Abdecktest gemessene Schielwinkel (mit der richtigen Brillenkorrektion und bei Fixation eines akkommodationsanregenden Fixierobjekts).
Bei kleinen Schielwinkeln reicht es aus, sich auf die Operation an einem Muskel zu beschränken und die damit verbundene Spannungsänderung des Augenmuskelpaares in Kauf zu nehmen (siehe ▶ Abb. 5.8a–c). Da die Effektivität dieser Einmuskelchirurgie geringer ist, werden solche Eingriffe mit etwa 1°/mm Operationsstrecke dosiert. Die Medialis-Rücklagerung soll 5 mm nicht überschreiten, um Inkomitanzen zu vermeiden. Bei sehr großen Schielwinkeln müssen die Vor- und Nachteile einer großen Operationsstrecke (mehr als 12 mm Gesamtoperationsstrecke bei einer kombinierten Operation) abgewogen werden. Der Wunsch des Patienten, eine Operation an seinem „guten Auge“ zu vermeiden, ist verständlich, vor allem, wenn sein „schielendes Auge“ (z. B. wegen Amblyopie) schlechte Funktionen aufweist.
Merke
H ●
Große Operationsstrecken bewirken eine deutlichere Einschränkung des monokularen Blickfelds und eine größere Inkomitanz. Sie sind sinnvoll, ● wenn wegen fehlenden Binokularsehens kein Diplopierisiko besteht. ● bei hochgradiger Amblyopie oder organischer Schädigung eines Auges. ● wenn der Schielwinkel so groß ist, dass normale Operationsstrecken an beiden Augen den Schielwinkel wahrscheinlich nicht beseitigen. ● bei mangelnder Bereitschaft des Patienten zu einer Operation am „guten Auge“.
Geringe Unterschiede der Schielwinkel bei Fern- und Nahblick können durch die Verteilung der Gesamtoperationsstrecke auf Rücklagerung und Resektion berücksichtigt werden. Deutlich ist nur der Effekt der Abrollstreckenverkürzung am M. rectus medialis bei einem Strabismus convergens mit größerem Nahschielwinkel. Übersteigen die Differenzen zwischen Fern- und Nahschielwinkel 5–7°, reichen diese Modifikationen der Dosierung nicht aus.
Operation der komplizierenden Vergenzstörungen Der Basiswinkel kann durch einen Vergenzexzess oder eine Vergenzinsuffizienz kompliziert sein. Große Unterschiede der Schielwinkel bei Fern- und Nahblick erfordern andere Operationsverfahren und müssen die Art der Vergenzstörung berücksichtigen. Der hypoakkommodative Konvergenzexzess, der durch eine verminderte Akkommodationsbreite gekennzeichnet ist, erfordert Bifokalgläser, wobei häufig von Kindern sogar (kosmetisch unauffälligere) Progressivgläser akzeptiert werden. Bei hypoakkommodativem Konvergenzexzess ist eine Operation kontraindiziert, weil sie Ursache und Beschwerden nicht behebt und im günstigsten Fall überflüssig ist.
Merke
●
5
H
Beim hypoakkommodativen Konvergenzexzess ist eine Operation nutzlos.
Bei akkommodativem Konvergenzexzess, bei dem durch Vorsatz von Nahgläsern der Nahschielwinkel verschwindet (reiner akkommodativer Konvergenzexzess) oder sich dem Fernwinkel angleicht (Esotropie mit akkommodativem Konvergenzexzess), kann die Verordnung von Bifokalgläsern (mit Trennungslinie über der Pupillenmitte) ausreichen. Eine Operation ist dann nur zur Korrektion des Fernschielwinkels erforderlich. Besteht primär oder nach Operation des Basiswinkels normales Binokularsehen bei Fernblick, wird versucht, die Bifokalgläser im Verlauf von Jahren abzuschwächen, so dass die Operationsentscheidung bis zum 15. Lebensjahr verschoben werden kann. Der Konvergenzexzess wird nur operiert, wenn eine ausreichende Verbesserung durch Bifokalgläser auch nach Jahren nicht gelingt [63]. Der Mikrostrabismus bei Fernblick mit akkommodativem Konvergenzexzess stellt einen Grenzfall dar und erfordert oft eine Operation, weil das eingeschränkte Fusionsvermögen eine Abschwächung der Bifokalgläser verhindert [156].
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5.3 Nichtparetisches Schielen
H ●
Hypoakkommodativer Konvergenzexzess → Bifokalgläser (eventuell Progressivgläser) Akkommodativer Konvergenzexzess → Bifokalgläser (großer Nahteil!) Nichtakkommodativer Konvergenzexzess →beidseitige Medialis-Myopexie (beidseitige Medialis-Rücklagerung)
405
Augenmuskeloperationen Tab. 5.4 Dosierung der beidseitigen retroäquatorialen Myopexie am M. rectus medialis bei frühkindlichem Innenschielen. Alle Dosierungen sind auf Bogenmaß bezogen. Fernschielwinkel
Nahschielwinkel
Dosierung
10–14°
> 15°
F13 mit R3e
14–18°
> 20°
F13 mit R3b
> 20°
> 30°
F13 mit R5b
Der nichtakkommodative Konvergenzexzess8 ist erkennbar daran, dass er kaum abnimmt, wenn durch Vorsatz von Nahgläsern die Akkommodationsanforderung entfällt. In diesem Fall ist die Verordnung von Bifokalgläsern wenig sinnvoll. Der nichtakkommodative Konvergenzexzess ist fast regelmäßiger Bestandteil des frühkindlichen Innenschielens (siehe Kap. 2.3.3) und oft von Schielwinkelschwankungen begleitet. Operationsverfahren der Wahl ist die beidseitige Medialis-Myopexie.
Zusatzinfo
●V
Bemerkung zur Operation des frühkindlichen Innenschielens
Die beidseitige Rücklagerung des M. rectus medialis war neben der kombinierten Konvergenzoperation Standardeingriff beim kindlichen Strabismus convergens. Die Methode wurde in den 60er Jahren wegen der großen Häufigkeit postoperativer Divergenzen von einigen Operateuren verlassen, blieb aber immer in der Diskussion [43], [50], [51], [57], [66], [138], [146], [154], [156], [210], [223], [226], [230], [254], [267], [284], [288]. Nach Einführung der beidseitigen Medialis-Myopexie zeigte sich, dass die bessere Verringerung des Konvergenzexzesses mit einer geringeren Häufigkeit postoperativer Divergenz einherging. Daraufhin wurde die beidseitige Medialis-Myopexie weitgehend als Standardeingriff durchgeführt. Diese Entwicklung war vor allem in Europa erkennbar, während in den USA häufig an der beidseitigen Medialis-Rücklagerung festgehalten oder zu dieser Methode zurückgekehrt wurde. Bis heute empfehlen zwei operative Schulen verschiedene Operationsstrategien. Eine vergleichende Studie beider Methoden zeigte geringe Unterschiede der Winkelreduktionen, ohne auf die größere Häufigkeit postoperativer Divergenz nach beidseitiger Medialis-Rücklagerung einzugehen [241].
8
406
Sprachlich verunglückte, aber übliche Bezeichnung für einen Konvergenzexzess bei normaler Akkommodationsbreite. Die von Cüppers vorgeschlagene Bezeichnung „Adduktionsexzess“ hat sich nicht durchgesetzt.
Seit vielen Jahren wird die beidseitige Rücklagerung des M. rectus medialis empfohlen. Sie bietet den Vorteil der einfachen Durchführung und der guten Revisionsmöglichkeit, aber auch den Nachteil der geringeren Reduktion des Konvergenzexzesses und der häufigen postoperativen Divergenz. Zweifellos kann in geeigneten Fällen (geringe Fern-/Nahschielwinkeldifferenz, gutes Fusionsvermögen) eine Rücklagerung der Mm. recti mediales ausreichend sein. Als bestgeeignete Operationsmethode gilt die beidseitige retroäquatoriale Medialis-Myopexie nach Cüppers. Außer bei Strabismus monolateralis mit ausgeprägter Amblyopie (d. h. wenn die Gefahr des Führungswechsels nicht besteht) sollte dieser Eingriff bilateral durchgeführt werden, weil bei alternierendem Strabismus der postoperative Führungswechsel den Erfolg einer einseitigen retroäquatorialen Myopexie zunichte macht. Die Myopexie kann bei größeren Schielwinkeln mit einer Rücklagerung kombiniert werden. Die Operationsdosierung folgt der Operationstabelle in ▶ Abb. 5.16 und bei sog. „Frühoperation“ der ▶ Tab. 5.4. Es ist empfehlenswert, die Bulbuslänge in die Operationsdosierung einzubeziehen. Die ersatzweise Berücksichtigung der Refraktion ist ungenauer [90], [180]. Bei sehr kleinem Fernwinkel einer Esotropie und einem ausgeprägten Konvergenzexzess ist die beidseitige Myopexie mit gleichzeitiger Verkürzung des M. rectus medialis möglich. Diese Kombination hat den Vorteil, dass die Mm. recti laterales für eine eventuelle Nachkorrektur frei bleiben. Bei Fernschielwinkeln zwischen 10° und 15° mit nichtakkommodativem Konvergenzexzess kann eine beidseitige Medialis-Myopexie mit Rücklagerung erwogen werden (▶ Tab. 5.4). Dieses Vorgehen erreicht aber nicht die Genauigkeit eines zweizeitigen Vorgehens. Die Reihenfolge der verschiedenen Operationen kann unterschiedlich gewählt werden. Da bei vorangegangener Myopexie eine Rücklagerung technisch schwieriger ist, eine Myopexie durch eine vorangegangene Rücklagerung dagegen eher erleichtert wird, ist es ratsam, entweder die Medialis-Myopexie gleichzeitig mit der Rücklagerung oder danach durchzuführen. Eingriffe an den schrägen Augenmuskeln können mit allen Operationen an den Horizontalmotoren kombiniert werden, ohne dass sie sich in ihrer Wirkung wesentlich beeinflussen (siehe S. 401).
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F = Myopexie R = gleichzeitige Rücklagerung des M. rectus medialis
H ●
Bei komplizierter Esotropie (mit Konvergenzexzess, Strabismus sursoadductorius und V-Symptom) ist folgendes Vorgehen empfehlenswert: ● 1. Operation: Kombinierte Konvergenzoperation mit beidseitiger Obliquus-Operation zur Verbesserung von Basiswinkel und komplizierender Obliquus-Störung ● 2. Operation: beidseitige Medialis-Myopexie zur Minderung des Konvergenzexzesses
Bei Überkorrektionen nach kombinierter Operation (siehe ▶ Tab. 5.1) ist prinzipiell empfehlenswert, die ursprüngliche Operation zu revidieren und deren Effekt zu vermindern. Unterkorrektionen lassen die Wahl zwischen einer Verstärkung des Ersteingriffs und einer Operation bislang nicht operierter Augenmuskeln. Die Verstärkung des Ersteingriffs ist vorzuziehen, wenn eine zukünftige Schielwinkelvergrößerung wahrscheinlich ist. Die Operation am anderen Auge ist unumgänglich, wenn bei der 1. Operation die maximalen Operationsstrecken bereits erreicht waren. Bei einer Überkorrektion des Fernschielwinkels nach beidseitiger Myopexie ist fast immer eine beidseitige Rücklagerung der Mm. recti laterales erfolgreich [92]. Bei einer Überkorrektion des Nahschielwinkels ist eine Revision der Myopexie unvermeidbar. Unterkorrektionen nach beidseitiger Myopexie (siehe ▶ Tab. 5.3) können den Basiswinkel und den Konvergenzexzess betreffen. Ist der Basiswinkel beseitigt, aber ein Konvergenzexzess verblieben, hilft nur eine Verstärkung der Myopexie. Ist der Konvergenzexzess beseitigt, besteht aber noch ein konvergenter Fernschielwinkel, reicht oft eine Resektion der Mm. recti laterales aus.
Strabismus divergens Die Operationsindikation bei Strabismus divergens [27], [87], [105], [119], [150] ist meist einfacher, weil divergente Schielformen seltener duch Vergenzexzesse und Vertikalstörungen kompliziert sind. Die Dosierung der Einmuskelchirurgie und der kombinierten Operationen folgt ▶ Abb. 5.17. Die Operationsstrecken werden 1:1 auf beide Muskeln verteilt. Bei einem Strabismus divergens mit größerem Fernschielwinkel soll die Operationsstrecke am M. rectus lateralis größer sein. Größere Rücklagerungsstrecken sind unproblematisch, weil wegen der großen Abrollstrecke des M. rectus lateralis die Gefahr einer Inkomitanz gering ist. Übersteigen die Differenzen zwischen Fern- und Nahschielwinkel 5–7°, reichen diese Modifikationen der Dosierung nicht aus. Seltener als der Konvergenzexzess bei Esodeviationen ist der sog. Divergenzexzess bei der Exotropie. Bei der Mehrzahl dieser Fälle verschwindet durch eine diagnostische Okklusion der Unterschied zwischen Fern- und Nah-
schielwinkel, so dass sie als Pseudodivergenzexzess entlarvt und wie eine Exotropie (kombinierte Divergenzoperation) operiert werden. Falls der Vergenzexzess bestehen bleibt (Basisexotropie mit Konvergenzexzess), kann eine operative Versorgung sowohl der Basisexotropie als auch des Konvergenzexzesses (beidseitige Medialis-Myopexie) erforderlich sein. Wesentlich einfacher ist es, den größeren Fernschielwinkel und den kleineren Nahschielwinkel durch beidseitige Rücklagerung der Mm. recti lateralis zu verbessern. Diese Möglichkeit ist auf Fälle mit Fernschielwinkeln bis zu 12–15° begrenzt. Die selteneren Fälle von Konvergenzinsuffizienz treten oft nur als reine Nahexotropie in Erscheinung. Naheliegend ist eine beidseitige Resektion der Mm. recti mediales, wenn ein präoperativer Prismenausgleich den Unterschied zwischen Fern- und Nahschielwinkel nicht verschwinden lässt [54]. Anderenfalls ist eine kombinierte Divergenzoperation vorzuziehen.
5
Strabismus verticalis Die weitaus häufigsten Vertikalstörungen, die ein Horizontalschielen komplizieren, sind Störungen der schrägen Augenmuskeln beim Strabismus convergens, insbesondere beim frühkindlichen Innenschielen. Die Operationsindikation basiert auf dem Ausmaß der Vertikaldeviation in Adduktion. Der Vertikalschielwinkel in Primärposition ist als Grundlage der Dosierung ungeeignet, weil er wesentlich vom Ausmaß einer gleichzeitigen Horizontaldeviation beeinflusst wird. Obwohl nach operativer Reduktion der Esotropie wegen der geringeren Adduktion eine Vertikalstörung weniger auffällt, sollten prinzipiell Fehlfunktionen der schrägen Augenmuskeln soweit wie möglich normalisiert werden (weiterführende Literatur zur Operationsindikation bei Vertikalstörungen: [1], [2], [61], [64], [91], [155], [159], [160], [161], [226], [269], [270]).
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5.3 Nichtparetisches Schielen
H ●
Bei allen Fehlfunktionen der schrägen Augenmuskeln muss eine beidseitige Störung ausgeschlossen werden.
Wird eine beidseitige, aber ungleich ausgeprägte Störung nur einseitig operiert, ist eine postoperative Umkehr der Vertikaldeviation unausweichlich. Jeder Vorzeichenwechsel der Vertikaldeviation bei extremem Seitwärtsblick weckt den Verdacht auf eine beidseitige Störung und erfordert eine beidseitige Operation. Bei beidseitigen Fehlfunktionen der schrägen Augenmuskeln sollte man die Gesamtdosierung am Ausmaß des Alphabet-Symptoms und der Zyklotropie ausrichten und die Differenz der Dosierung an beiden Augen an der Vertikaldeviation in Primärposition. Bei beidseitigen Störungen sollten die Operationsstrecken nicht mehr als um 6–8 mm differieren.
407
Augenmuskeloperationen Tab. 5.5 Dosierung der Operationen an den schrägen Vertikalmotoren, angegeben in mm und bezogen auf den präoperativen Vertikalschielwinkel in einer Adduktion von 25° (basierend auf [91], [155], [159], [160], [161], [269], [270]). Strabismus deorsoadductorius
Rücklagerung des M. obliquus inferior
Rücklagerung des M. obliquus superior
Bis 4°
hintere Tenotomie 2/3
bis 4°
hintere Tenotomie 2/3
5–11°
Rücklagerung um 1 mm/Grad
5–11°
Rücklagerung um 1–1,5 mm/ Grad
Vorlagerung/Faltung/Resektion des M. obliquus superior
–
–
5–11°
–
–
–
–
–
–
Vorlagerung um 1 mm/Grad (Faltung 2 × 0,5 mm/Grad)
Kombinierte Operation > 11°
Gesamtstrecke (Rücklagerung und Faltung) um 0,75 mm/Grad (max. 20 mm)
Bei einem Strabismus sursoadductorius (als Komplikation eines Horizontalschielens) mit weitgehender Konkomitanz der Vertikaldeviation im adduktorischen Aufund Abblick sind spannungserhöhende Eingriffe am M. obliquus superior (Resektion, Vorlagerung, Faltung) und spannungsmindernde am M. obliquus inferior (Rücklagerung, partielle Tenotomie) ebenbürtig mit der Einschränkung, dass die Effekte der Obliquus-inferior-Rücklagerung dauerhafter sind [160]. Der Operateur sollte den Eingriff wählen, den er besser beherrscht, und ihn so dosieren, dass für je 1° (Vertikalschielwinkel in Adduktion) ca. 1 mm Operationsstrecke gewählt wird (▶ Tab. 5.5, ▶ Abb. 5.18). Übersteigt die Vertikaldeviation 12–15°, ist eine kombinierte Operation an den schrägen Vertikalmotoren vorzuziehen.
Merke
H ●
Von einer Verkürzung der Sehne des M. obliquus superior um mehr als 10 mm (2 × 5 mm Faltung) ist wegen der Gefahr des „postoperativen Brown-Syndroms“ abzuraten.
Das in der Regel gleichzeitig bestehende V-Symptom wird durch die genannten Operationen ebenfalls gebessert. Geht ein großes V-Symptom mit geringen Vertikaldeviationen einher, richtet sich die Dosierung nach dem V-Symptom (▶ Abb. 5.18). Es ist selbstverständlich, dass eine genaue Abgrenzung des Strabismus sursoadductorius vom dissoziierten Höhenschielen erfolgen muss. Ein Strabismus deorsoadductorius (als Komplikation eines Horizontalschielens) – meist weniger ausgeprägt als der Strabismus sursoadductorius – kann durch spannungsmindernde Eingriffe am M. obliquus superior (Rücklagerung, partielle Tenotomie) und spannungserhöhende Eingriffe am M. obliquus inferior (Resektion, Vorlagerung, Faltung) vermindert werden. Der letztgenannte Eingriff ist technisch schwieriger und wird auf Zweitein-
408
griffe oder kombinierte Operationen beschränkt. Diese Eingriffe sind auch indiziert bei einem A-Symptom. Die Dosierung der Operation bei einer Rücklagerung der Sehne des M. obliquus superior oder einer Vorlagerung des M. obliquus inferior wird so gewählt, dass je 1° Vertikaldeviation ca. 1–1,5 mm Operationsstrecke entsprechen (▶ Tab. 5.5). Die Wirkung einer Verlagerung der Horizontalmotoren nach oben oder unten ist weniger sicher und den Eingriffen an den schrägen Augenmuskeln bezüglich der Effekte unterlegen. Sie sind nur empfehlenswert, wenn bei einer Horizontaloperation eine kleine konkomitierende Vertikaldeviation ohne Zyklodeviation verringert werden soll. Sie werden mit ca. 1 mm/Grad Vertikaldeviation an beiden Horizontalmotoren dosiert.
Besonderheiten einzelner Krankheitsbilder Einige Krankheitsbilder weisen bezüglich der Diagnostik, der Operationstechnik, des Operationszeitpunkts und der Reihenfolge verschiedener operativer Eingriffe oder der langfristigen Operationsergebnisse Besonderheiten auf. Die Operationsindikation bei Heterophorie (siehe Kap. 2.2) unterscheidet sich wenig von der bei einer unkomplizierten Heterotropie. Sie erfordert jedoch präoperativ zusätzliche Untersuchungen (siehe Kap. 3). Die operativen Ergebnisse bezüglich des Schielwinkels und der Binokularfunktionen sind primär sehr gut. Leider kehren Heterophorien manchmal wieder, nicht selten nimmt der Schielwinkel bis auf die ursprüngliche Größe zu. Es gibt einerseits Fälle, die postoperativ trotz kleinen Schielwinkels nicht kompensieren, und andererseits solche, bei denen ein großer Heterophoriewinkel immer kompensiert wird.
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Strabismus sursoadductorius
H ●
Das Ausmaß der Beschwerden ist nicht proportional zur Schielwinkelgröße. ● Eine Heterophorie ohne Beschwerden (Normophorie) muss nicht operiert werden. ● Eine Heterophorie mit Beschwerden (die nach einer 3tägigen Probeokklusion oder einem Prismenausgleich verschwinden) erfordert dagegen selbst dann eine Behandlung, wenn der Schielwinkel beim alternierenden Abdecktest klein ist.
Basis der Indikation ist der Schielwinkel beim alternierenden Abdecktest bzw. nach diagnostischer Okklusion oder einem Prismentrageversuch. Auf die Möglichkeit postoperativer Inkomitanzen mit Diplopie im Seitblick sollte bei der präoperativen Aufklärung hingewiesen werden. Beim Strabismus divergens intermittens (siehe Kap. 2.3.10) sind Besonderheiten hinsichtlich der Aufklärung, des Operationszeitpunkts und der Prognose zu beachten [28], [94], [259], [301], [302]. Der Patient nutzt den zentralen Bereich der Netzhaut des abweichenden Auges und baut ihn sinnvoll in sein beidäugiges Sehen ein („Panoramasehen“).
Merke
H ●
Falls bei Strabismus divergens intermittens präoperativ „Panoramasehen“ besteht, sollte der Patient über dessen Verlust nach erfolgreicher Operation aufgeklärt sein.
Empfehlenswert ist eine kombinierte Operation am (häufiger) schielenden Auge. Bei einer Wiederzunahme des Schielwinkels ist eine Zweitoperation am anderen Auge ohne Revision möglich. Die beidseitige Rücklagerung des M. rectus lateralis wird wegen der häufigeren Dekompensation bei Fernblick empfohlen, ist aber nicht sehr effektiv und deshalb für große Schielwinkel ungeeignet. Die symmetrische beidseitige Resektion des M. rectus medialis soll den Konvergenzimpuls erhöhen, auch ihr Effekt lässt aber deutlicher nach als der einer kombinierten Operation. Die Entscheidung zu einer dieser Operationsmethoden kann sich an der Größe des Fern- und Nahschielwinkels (nach diagnostischer Okklusion) orientieren. Übersteigt der Fernschielwinkel nicht 12–15°, ist eine beidseitige Rücklagerung des M. rectus lateralis zu erwägen. Bei größeren Schielwinkeln ist eine kombinierte Divergenzoperation vorzuziehen.
Merke
H ●
Der Patient sollte auf die Möglichkeit postoperativer Diplopie im Seitblick aufgeklärt werden.
Die Dosierung der Operation wird bei Rücklagerungen des M. rectus lateralis mit ungefähr 1°/mm, bei einer kombinierten Divergenzoperation mit ca. 1,6°/mm und bei beidseitiger Resektion des M. rectus medialis mit 2,0– 2,5°/mm bemessen. Eine postoperative Überkorrektion verbessert die langfristigen Ergebnisse. Diese Überkorrektion (von 3–5°) soll einige Tage anhalten und wird bei längerer Dauer und Diplopie mit Prismen ausgeglichen. Wegen der höheren Genauigkeit der kombinierten Operation ist diese am besten geeignet, eine gezielte Überkorrektion zu bewirken. Bei Kindern (< 6 Lebensjahre) muss wegen der sensorischen Folgen auf eine operative Überkorrektion verzichtet werden.
Merke
5
H ●
Der Operationszeitpunkt richtet sich nicht nach der Schielwinkelgröße, sondern nach dem Ausmaß der Dekompensation. Bei eindeutiger Zunahme der Manifestationszeiten und Abnahme der spontanen Rekompensation sollte operiert werden.
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Merke
5.3 Nichtparetisches Schielen
Die Gefahr des Verlusts binokularer Funktionen ist gering, solange Dekompensation nur bei Fernblick oder Müdigkeit nachweisbar ist. Angesichts der Gefahren, die eine postoperative Überkorrektion bei Kindern impliziert, kann die Operation meist bis zum 6. Lebensjahr aufgeschoben werden. Wenn der Schielwinkel etwa 20° übersteigt, sollte man die Operation nicht aufschieben, weil eine weitere Schielwinkelzunahme ohnehin nur durch Eingriffe an beiden Augen zu beheben ist. In diesen Fällen kann auch Kindern ein auffälliger Schielwinkel erspart werden, ohne das Risiko einer Überkorrektion einzugehen. Postoperative Schielwinkelzunahme ist nicht selten. Obwohl der Schielwinkel in manchen Fällen innerhalb eines Jahres wieder auf die präoperativen Werte ansteigt, kann eine bessere Kompensationsfähigkeit über längere Zeit bestehen bleiben. Der Entschluss zur Reintervention richtet sich auch hier nach Dauer und Häufigkeit der Dekompensation. Der dekompensierte Strabismus sursoadductorius (DSS, syn.: dekompensierte Obliquus-Störung, primäre Obliquus-inferior-Überfunktion, kongenitale Obliquussuperior-Parese, siehe Kap. 2.3.9) wird operiert, um die störende und oft über Jahre zunehmende Kopfzwangshaltung zur Vermeidung der Diplopie und der asthenopischen Beschwerden zu beseitigen. Differenzialdiagnos-
409
tisch muss eine Trochlearisparese ausgeschlossen werden (siehe ▶ Tab. 5.7).
Merke
H ●
Der differenzialdiagnostische Ausschluss einer Trochlearisparese ist erforderlich, weil ● ein DSS keiner weiteren neurologischen Abklärung bedarf. ● eine Spontanremission ausgeschlossen ist. ● die Operation bald durchgeführt werden kann.
Es ist empfehlenswert, sich alte Fotos (Führerschein) vorlegen zu lassen, auf denen die Kopfzwangshaltung meist schon sichtbar ist.
Empfehlenswert ist eine Untersuchung der Schielwinkel nach diagnostischer Okklusion.
Zusatzinfo Bemerkung zur diagnostischen Okklusion
●V
Eine diagnostische Okklusion (DO) über 1–2 Tage zeigt oft eine Zunahme der Zyklodeviation und eine Abnahme der Vertikaldeviation. Ursache ist möglicherweise, dass die Zyklofusion meist besser ist als die vertikale Fusionsbreite und für letztere eine Ausgleichsinnervation aufgebaut wurde, die unter DO verschwindet. Auch die Inkomitanz der Vertikaldeviation nimmt nach diagnostischer Okklusion oft zu. Darüber hinaus vermindert die diagnostische Okklusion die Gefahr, eine beidseitige Störung zu übersehen.
Die Operationsindikation entspricht den Regeln beim nichtparetischen Vertikalschielen (▶ Abb. 5.18, ▶ Tab. 5.5). Bei DSS wird eine Rücklagerung des M. obliquus inferior durchgeführt, die bei Vertikalschielwinkeln ab ca. 12° (in Adduktion des betroffenen Auges von 25°) durch eine kombinierte Obliquus-Operation ersetzt wird. Bei der Dosierung muss beachtet werden, dass die (subjektiv gemessene) Zyklodeviation oft kleiner ist als die Vertikaldeviation. Die Rücklagerung des M. obliquus inferior ohne Wiederanheftung des hinteren Sehnenanteils reduziert die Vertikaldeviation ohnehin mehr als die Zyklodeviation. Bei großen Diskrepanzen zwischen Vertikal- und Zyklodeviation und zwischen objektiv und subjektiv gemessener Zyklodeviation kann darüber hinaus der Limbusabstand der Wiederanheftungsstelle variiert werden [91], [269], [270]. Zeigt sich intraoperativ eine Aplasie (oder Hypoplasie) der Sehne des M. obliquus superior, sollte geprüft werden, ob die Sehne in die Tenon-Faszie ausstrahlt. Falls dort die Sehne gefunden wird, wird sie in 14 mm Limbusabstand temporal des M. rectus superior fixiert [168].
410
Eine gleichzeitige Rücklagerung des M. obliquus inferior ist anzuschließen. Bei einem dekompensierten Strabismus deorsoadductorius mit Binokularsehen, der wegen einer störenden Vertikaldeviation im Seitblick oder wegen des ASymptoms und der damit verbundenen Diplopie operiert werden soll, ist eine Rücklagerung der Sehne des M. obliquus superior ohne Wiederanheftung des hinteren Sehnenanteils empfehlenswert, wobei die vordere Naht in einem Limbusabstand von 13 mm reinseriert wird (▶ Tab. 5.5). Bei Binokularsehen muss vor kompletten Tenotomien der Sehne des M. obliquus superior ohne Sicherungsfaden wegen des hohen Diplopierisikos gewarnt werden. Das angeborene Brown-Syndrom verschwindet häufig spontan und wird nur dann operiert, wenn der Verlust des Binokularsehens droht oder eine nicht akzeptable Kopfzwangshaltung besteht. Üblicherweise wird eine Rücklagerung der Obliquus-superior-Sehne um bis zu 10 mm durchgeführt. Ausnahmsweise kann auch die Tenotomie der Sehne des M. obliquus superior mit Sicherungsfaden notwendig sein [287]. Bei einem JaenschSyndrom (siehe Kap. 4.1 Syndrome nach Jaensch/Brown (angeborenes Brown-Syndrom, erworbenes Jaensch-Syndrom, „Obliquus-inferior-Pseudoparese“)) ist am Hinterrand der Sehne ein unelastischer Strang darstellbar. Dieser Strang muss durchtrennt werden [217]. Das dissoziierte Höhenschielen (dissoziierte Vertikaldeviation (S. 136) = DVD) ist meist Teilsymptom anderer Erkrankungen, vor allem des frühkindlichen Innenschielens. Besteht gleichzeitig ein Strabismus sursoadductorius, sollte der Effekt der Operation an den schrägen Augenmuskeln abgewartet werden. Eine störende DVD (bis ca. 6°) erfordert eine Rücklagerung des M. rectus superior (bis 6 mm, zum Muskelaustausch siehe Kap. 5.2.1), eine größere eine Myopexie nach Cüppers (ca. 13 mm) an diesem Muskel. Bei sehr großem Winkel werden beide Verfahren kombiniert. Die bei Strabismus alternans mit beidseitiger DVD notwendige Operation an beiden Mm. recti superiores führt leider dazu, dass das jeweils schielende Auge postoperativ zwar schlechter gehoben werden kann, wegen der Operation am Führungsauge aber mehr Innervation zur Hebung erhält (Gesetz von Hering), die den Operationserfolg mindert. In diesen Fällen ist ein Strabismus monolateralis vorteilhaft, so dass nur eine Operation am schielenden Auge erforderlich ist. Deshalb sollte mit der Operation der DVD gewartet werden, bis sich (meist im Jugendalter) eine eindeutige Führung ohne Amblyopie herausgebildet hat.
Merke
H ●
Bei einem frühkindlichen Innenschielen mit beidseitiger DVD sollte man die Okklusion so steuern, dass zwar die Amblyopie weitgehend beseitigt, eine spontane Alternation aber vermieden wird.
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Augenmuskeloperationen
5.3 Nichtparetisches Schielen
Bei der Operationsindikation ist zuerst über den Operationszeitpunkt zu entscheiden. Operationen in den ersten beiden Lebensjahren werden Frühoperationen genannt.
Merke
H ●
Vorteile einer Frühoperation: ● Verkleinerung eines auffälligen Schielwinkels ● die dadurch erreichte bessere Akzeptanz des Kindes durch seine Umgebung
Nachteile einer Frühoperation: ● Der Schielwinkel ändert sich oft bis zum üblichen Operationsalter (4./5. Lebensjahr) erheblich oder verschwindet. ● Die Amblyopiekontrolle ist bei kleinem Schielwinkel schwieriger. ● Obliquus-Störungen (Alphabet-Symptome, Vertikaldeviationen) entstehen oft erst im 3.–4. Lebensjahr.
Zusatzinfo Bemerkung zur Frühoperation
●V
Die bessere Prognose hinsichtlich erreichbarer Binokularfunktionen durch eine Frühoperation wurde nie bewiesen. Würde man die Operation in die sensitive Phase der Entwicklung des Binokularsehens legen wollen, müsste man sie schon zu einem Zeitpunkt durchführen, zu dem der Strabismus noch nicht bekannt oder nicht sicher nachweisbar ist.
Von einer Frühoperation sollte aber auch nicht prinzipiell abgeraten werden, falls die notwendige Brillenkorrektion getragen wird und eine gute Amblyopiekontrolle gewährleistet ist. Beim frühkindlichen Innenschielen wird – unabhängig vom Operationsalter – Binokularsehen unterschiedlicher Qualität (geprüft mit Streifengläsern nach Bagolini) in 50–60 % der Fälle erreicht [50], [51], [52], [57], [59], [66], [146], [154], [156], [224]. Zur Indikation der Frühoperation s. Kap. 2.3.
Zusatzinfo ELISS-Studie
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In einer multizentrischen, nicht randomisierten prospektiven Studie (Early vs. Delayed Infantile Strabismus Surgery Study – ELISSS [281]) wurde untersucht, ob ein operativer Eingriff vor Abschluss des 2. Lebensjahrs die Chance auf postoperatives Binokularsehen im Vergleich zu einer später durchgeführten Operation erhöht. Untersucht wurden insgesamt 532 Kinder, von denen 231 im Alter von 20 ± 8 Monaten und 301 Kinder zwischen dem 32. und 60. Monat operiert wurden. Die Erstuntersuchung erfolgte in beiden Gruppen im 11. Lebensmonat (±3,7 Monate). Die Abschlussuntersuchung erfolgte am Ende des 6. Lebensjahrs. In der frühoperierten Gruppe erkannten 13,5 % aller Patienten die Titmusfliege im Vergleich zu 3,9 % bei den spätoperierten, noch bessere Binokularfunktionen wurden bei 3 % der Frühoperierten bzw. 3,9 % der Spätoperierten erreicht. Der Unterschied hinsichtlich der Binokularfunktion war statistisch signifikant, wurde aber erkauft mit einer höheren Operationszahl pro Patient (1,18 ± 0,67 Operationen bei den Frühoperierten im Vergleich zu 0,99 ± 0,64 Operationen in der Gruppe mit den Spätoperationen). Auffällig war, dass 20 % (!) aller für eine Spätoperation rekrutierten Kinder wegen einer spontanen Schielwinkelverkleinerung nicht operiert werden mussten (bei den Frühoperationen 8,2 %). Der klinische Nachweis, dass eine Frühoperation beim frühkindlichen Innenschielen die Methode der Wahl ist, wurde bisher nicht erbracht [281].
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Die einseitige Heberschwäche mit Pseudoptosis zeigt meist eine deutlich verminderte Elevationsfähigkeit, während die Ptosis bei maximaler Intention zur Elevation (also maximaler Elevation des anderen Auges) fast oder gänzlich verschwindet. Wenn das betroffene Auge bei monokularer Prüfung die Primärposition überschreiten kann, ist eine artifizielle Gegenparese am wirkungsvollsten. Empfehlenswert ist eine Myopexie am M. rectus superior des nicht betroffenen Auges, die mit einer Rücklagerung dieses Muskels kombiniert wird, wenn schon in Primärposition des nicht betroffenen Auges ein erheblicher Schielwinkel besteht. Erreicht das betroffene Auge bei monokularer Prüfung die Primärposition nicht, ist auch eine Operation dieses Auges unumgänglich [175]. Das häufige frühkindliche Innenschielen (siehe Kap. 2.3.3) zeigt unter allen nichtparetischen Schielformen die ungünstigste Prognose. Ziel der Operation ist die Verbesserung ● der Esotropie, ● der begleitenden Vertikaldeviationen, ● des Konvergenzexzesses und ● der Schielwinkelschwankungen.
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Merke
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Eine Frühoperation ist nur indiziert, wenn ● ein großer Schielwinkel mit Kopfzwangshaltungen besteht. ● keine Refraktionsanomalie besteht oder die notwendige Brillenkorrektion getragen wird. ● gute Kooperation der Eltern eine hinreichende Amblyopiekontrolle gewährleistet. ● Eltern eine Frühoperation ausdrücklich wünschen.
Bei Frühoperation des frühkindlichen Innenschielens sind die Ergebnisse nach kombinierten Konvergenzoperationen denen nach Myopexie des M. rectus medialis unterlegen [146]. Empfehlenswert ist die beidseitige Myopexie des M. rectus medialis, die bei Fernschielwinkeln über 10° mit einer beidseitigen Rücklagerung des M. rectus medialis kombiniert wird (siehe ▶ Tab. 5.4). Eingriffe an den schrägen Augenmuskeln werden mit diesen Operationen kombiniert. (Zur Therapie des frühkindlichen Innenschielens mit Botulinumtoxin siehe Kap. 5.6.) Der Strabismus divergens nach Medialis-Tenotomie erfordert wegen des großen Schielwinkels eine Revision der Tenotomie. Es ist falsch, die mangelnde Adduktionsfähigkeit durch primäre Rücklagerung des M. rectus lateralis ausgleichen zu wollen. Folge wäre eine erhebliche Einschränkung des monokularen Blickfelds mit Propulsion des Bulbus. Ebenso falsch ist eine primäre Operation am anderen Auge, um den Schielwinkel zu verkleinern. Diese Operation käme einer iatrogenen Blicklähmung gleich und kann eine Kopfzwangshaltung bewirken. Wenn eine Adduktionseinschränkung deutlich ist, muss der tenotomierte Augenmuskel aufgesucht und wieder vorgelagert werden. Eine gleichzeitige Rücklagerung des Antagonisten ist nur selten notwendig und wird allenfalls nach einem Intervall empfohlen. Die Ergebnisse der Revisionen einer Tenotomie sind – gemessen am präoperativen Befund – gut [10], [181].
Operationstechnik
a ●
Da Tenotomien ausschließlich mit limbusparallelen Bindehautschnitten durchgeführt wurden, muss mit ausgedehnten Verwachsungen zwischen Tenon-Faszie, Bindehaut und ursprünglicher Insertion gerechnet werden. Ein Limbusschnitt vermeidet dieses Gebiet. Nach Darstellung der ursprünglichen Insertion wird beidseits an dieser vorbei nach hinten präpariert. Mit großer Vorsicht wird etwa 6–7 mm hinter der Insertion mit einem Schielhaken dem Bulbus anhaftendes Gewebe unterfahren. Dieses wird präpariert, indem der Assistent die Tenon-Faszie mit einem breiten Spatel vom Bulbus weghält und der Operateur zwischen Tenon-Faszie und dem auf dem Schielhaken liegenden Gewebe nach hinten präpariert. Das Präparat enthält meist neben Narbengewebe auch Mus-
412
kelfaszie, die bis auf den Muskel verfolgt wird. Das Muskelgewebe ist heller als normaler Augenmuskel, aber an seiner Konsistenz erkennbar. Der erste Zug an dem seit langer Zeit untätigen Muskel kann eine erhebliche Bradykardie (okulokardialer Reflex) provozieren. Der Anästhesist sollte vorher darauf hingewiesen werden. Da intraoperativ die Unterscheidung zwischen Muskel, Faszie und Sehne bei lange zurückliegender Voroperation kaum möglich ist, wird Muskelgewebe gefasst und an der ursprünglichen Insertion reinseriert. Lässt sich auf diese Weise Muskelscheide oder Muskel nicht nachweisen, bleibt nur die Möglichkeit, an der Innenseite der Tenon-Faszie sorgsam nach hinten bis zur Tenon-Pforte zu präparieren, um dort Muskelgewebe darzustellen. Als Leitgewebe können in einigen Fällen Gefäße dienen, die aus der zurückgesunkenen Muskulatur die Tenon-Pforte durchziehen. Durch die Wiederanheftung wird der Augenmuskel erheblich gespannt. Dabei ist eine Erhöhung des Augeninnendrucks bis über 30 mmHg möglich, der wie bei der Okulopression spontan abgebaut wird (eventuell Funduskopie).
Während die Revision einer echten Medialis-Tenotomie heute selten ist, nimmt die Notwendigkeit einer Wiedervorlagerung nach großer Medialis-Rücklagerung zu. Manchmal hat die Sehne des M. rectus medialis im Verlauf von Jahren ihre Belastungsfähigkeit eingebüßt, möglicherweise als Folge der schlechten Gefäßversorgung an der unphysiologischen Anheftungsstelle. Die Fälle imponieren durch eine erhebliche Adduktionseinschränkung.
Operationstechnik
a ●
Intraoperativ ist oft eine sehr lange Sehne auffällig, deren Belastbarkeit gering sein kann. Wie nach einer Tenotomie wird Muskelgewebe gefasst und an der ursprünglichen Insertion reinseriert. Folge ist oft eine erhebliche und schmerzhafte Einschränkung der Abduktion, die im Verlauf von Tagen zurückgeht. Eine Rücklagerung des Antagonisten würde diese Folgen mindern, bewirkt oft aber einen Übereffekt und sollte unterlassen werden.
Der Strabismus bei hoher Myopie – meist eine EsoHypotropie, seltener eine reine Esotropie oder eine ExoHypotropie (▶ Abb. 5.19a, b) – ist Folge einer Verlagerung des M. rectus lateralis in den lateral-unteren Quadranten [60], [115], [147], [165], [182], [184]. Dieser Muskelverlauf entspricht bei einem staphylomartig vergrößerten Bulbus dem kürzesten Weg zwischen Ursprung und Ansatz. Eine kombinierte Konvergenzoperation kann das Ausmaß der Esodeviation zwar vermindern, bewirkt wegen der Verkürzung des M. rectus lateralis aber auch eine Vergrößerung des senkenden Drehmoments. Die operati-
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Augenmuskeloperationen
5.4 Paretisches Schielen
Operationstechnik
Das Anschlingen der Muskelhälften erfolgt etwa 15 mm hinter der Muskelinsertion. Mit dieser Technik wird der nach unten dislozierte M. rectus lateralis nach oben gezogen und der häufig nach nasal dislozierte M. rectus superior nach temporal verlagert, so dass sich der Bulbus postoperativ wieder im Muskeltrichter befindet. Die Muskeln können auch in toto miteinander verbunden werden. Zusätzlich kann eine Rücklagerung des M. rectus medialis erfolgen.
b Abb. 5.19 Esotropie und Hypotropie des rechten Auges bei hochgradiger Myopie (Augenlänge 36 mm). a Präoperativer Schielwinkel: Horizontaldeviation + 45°, Vertikaldeviation – 20°. Durchgeführt wurde eine Rücklagerung des M. rectus medialis (10 mm) und eine Faltung des M. rectus lateralis (10 mm) mit retroäquatorialer Myopexie oberhalb der Insertion des M. obliquus inferior. b Postoperativer Schielwinkel (3. Tag): Horizontaldeviation + 5°, Vertikaldeviation – 5°.
ve Therapie soll die Ursache der Störung, den pathologischen Muskelverlauf, normalisieren. Die Verlagerung der Insertion des M. rectus lateralis nach oben, also an die Insertion des M. rectus superior, genügt oft nicht. Wirksamer ist eine retroäquatoriale Myopexie des M. rectus lateralis im physiologischen Verlauf [147].
a ●
Nach einer großen Rücklagerung des M. rectus medialis wird der M. rectus lateralis freigelegt. Dieser zieht in typischen Fällen unmittelbar hinter der Insertion nach unten, so dass er oft weit unter der Insertion des M. obliquus inferior verläuft. Nach Resektion des M. rectus lateralis wird sein Oberrand mittels einer Myopexie mindestens 6 mm oberhalb des Vorderrands der Obliquus-inferior-Insertion fixiert, sein Unterrand unmittelbar neben der Insertion des M. obliquus inferior. Diese Myopexien sind trotz der großen Augenlänge und der damit einhergehenden Verdünnung der Augenhüllen meist unbedenklich, weil die Anheftungspunkte in der Regel vor dem Beginn der deutlichen Skleraverdünnung des Staphyloms liegen.
Bei der Operationsmethode von Yokoyama et al. [303], [306] siehe (Kap. 2.3.7) werden mittels eines nichtresorbierbaren Fadens (z. B. Polyester 5–0) die obere Hälfte des M. rectus lateralis und die temporale Hälfte des M. rectus superior miteinander verbunden. Der Vorteil der Methode besteht darin, dass der physiologische Verlauf des M. rectus lateralis wiederhergestellt wird, ohne dass die bei hoher Myopie problematische Skleranaht erforderlich ist.
Merke
H ●
Wichtigstes Ziel der Augenmuskeloperation bei EsoHypotropie und hoher Myopie ist die Normalisierung des Muskelverlaufs des M. rectus lateralis.
5
Eine äußerst komplexe Störung des Binokularsehens entstand nach einer Makulatranslokation zur Erhaltung des Sehvermögens bei altersbedingter Makuladegeneration. Beschwerdefreies Binokularsehen nach Makulatranslokation war nur auf der Grundlage großer Exklusionsareale denkbar, während Adaptation die monokulare Wahrnehmung erleichtern konnte. Das Ziel einer Augenmuskeloperation, die sensorischen Folgen einer Makulatranslokation auszugleichen, war aber nicht erreichbar, weil alle Augenmuskeloperationen das Auge um die Blicklinie drehen, während die Makularotation die Netzhaut um die Papille gedreht hatte [77].
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a
Operationstechnik
a ●
5.4 Paretisches Schielen H. Kaufmann, H. Steffen
5.4.1 Allgemeine Operationsprinzipien Bei Augenmuskelparesen entscheiden vor allem das Ausmaß des Fusionsblickfelds und der Kopfzwangshaltung, das Führungsverhalten und mitunter ästhetische Gesichtspunkte sowie die Lidspaltenweite über Art und Ausmaß einer Augenmuskeloperation. Die Häufigkeit paretischer Schielformen im operativen Krankengut beträgt 10–20 %, darunter [143]: ● 26 % Okulomotoriusparesen ● 30 % Trochlearisparesen ● 28 % Abduzensparesen ● 16 % Retraktionssyndrome
Merke
H ●
Bei Augenmuskelparesen sollte mit der Operation abgewartet werden, bis eine Spontanremission unwahrscheinlich ist.
413
Augenmuskeloperationen
Zusatzinfo
●V
Wirkungsprinzipien der Operation 3 verschiedene Wirkungsprinzipien der operativen Behandlung des paretischen Schielens werden unterschieden: ● Operationen zur Verbesserung der Stellung des paretischen Auges ● Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese am nichtparetischen Auge ● ansatzverlagernde Operationen (Muskeltranspositionen)
Zusatzinfo Bemerkungen zur Terminologie
●V
Ein Auge, dessen Beweglichkeit durch eine Augenmuskelparese eingeschränkt wird, ist organisch gesund. Der Terminus paretisches Auge ist aber gebräuchlich und wird auch hier verwendet. A. Graefe [104] (darin S. 80 ff) versteht unter der substituierenden Operation die Vorlagerung des paretischen Muskels. Sie sei nicht imstande, die kontraktile Kraft zu normalisieren, könne aber die Wirkung der verminderten Kraft durch Änderung des Angriffspunkts verbessern. Die Rücklagerung des Antagonisten bezeichnet er als äquilibrierende Operation, weil sie ein neues Gleichgewicht herstellt zwischen der verminderten Kraft des paretischen Muskels und der seines Antagonisten. Das heute Prinzip der Gegenparese genannte Operationsprinzip nennt A. Graefe die kompensierende Operation.
Weitere Überlegungen zum Operationszeitpunkt
Die Frage, welcher Schaden durch eine vorzeitige Operation entsteht, ist strittig. Wahrscheinlich kann normales Binokularsehen nach einer konventionellen Augenmuskeloperation und darauf folgender Spontanremission die normale Funktion aufrechterhalten. Dann wäre eine vorzeitige Operation zwar unschädlich, aber überflüssig. In jedem Fall muss jedoch eine vorzeitige Muskeltransposition vermieden werden. Muskeltranspositionen bewirken immer auch Funktionsveränderungen der transponierten Muskeln, die möglicherweise bei einer Spontanremission nicht kompensiert werden können. Eine frühe Operation kann gerechtfertigt sein, wenn gewichtige Argumente (z. B. dringlicher Wunsch des Patienten, drohender Verlust des Binokularsehens bei Kindern) dafür sprechen und der Patient sich in Kenntnis aller Vor- und Nachteile für dieses Vorgehen entscheidet.
Die Injektion von Botulinumtoxin (siehe Kap. 5.6) kann als temporäre Maßnahme erwogen werden, wenn der Zeitpunkt bis zu einer Operation überbrückt werden soll [247]. In dieser Wartezeit kann die Botulinumtoxin-Injektion den Schielwinkel und die Diplopie auf ein erträgliches Maß reduzieren.
414
Das Wirkungsprinzip der operativen Verbesserung der Stellung des paretischen Auges verfolgt das Ziel, den Bulbus in eine günstigere Ausgangsstellung zu bringen (▶ Abb. 5.20a). Dieses Ziel wird erreicht durch eine Verkürzung (Resektion, Vorlagerung, Faltung) des paretischen Muskels und eine Rücklagerung (Verlängerung) seines Antagonisten. Die kombinierte Operation ist die Methode der Wahl immer dann, wenn das monokulare Blickfeld des paretischen Auges die Primärposition einschließt und in Primärposition des nichtparetischen Auges ein großer primärer Schielwinkel besteht. Auch in Fällen mit eingeschränkter passiver Exkursionsfähigkeit, wenn eine kausale Therapie der Läsion nicht möglich ist (z. B. nach verschleppten Orbitafrakturen, traumatischen Muskelläsionen) verspricht die kombinierte Operation am paretischen Auge den größten Erfolg.
Merke
H ●
Konventionelle Operationen zur Verbesserung der Stellung des paretischen Auges sind im weitaus größten Teil aller Augenmuskelparesen ausreichend.
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Der Operationszeitpunkt ist vor allem abhängig von Art und Ursache der Augenmuskellähmung. Der Entschluss zur Operation sollte erst dann fallen, wenn keine Aussicht auf eine Spontanremission mehr besteht und eine nichtoperative Therapie zur Wiederherstellung des binokularen Sehens (wie z. B. Prismen) entweder nicht möglich ist oder nicht gewünscht wird. Bei einer Spontanremission erfolgt die Besserung relativ schnell. Es gibt Fälle, bei denen die Schielwinkel monatelang unverändert bleiben, um dann innerhalb von Tagen zu verschwinden. Der Verlauf einzelner Untersuchungsparameter in den ersten Wochen der Augenmuskelparese lässt kaum Rückschlüsse auf den langfristigen Verlauf zu. Die Art der Schädigung eines Augenmuskelnervs ist ebenso unterschiedlich wie die Länge der Augenmuskelnerven, die bei einer Regeneration überbrückt werden muss (siehe Kap. 4.2.1, S. 326). Bei vaskulär bedingten Trochlearisparesen ist nach 6 Monaten eine Besserung nicht mehr zu erwarten, traumatische Abduzensparesen können aber noch nach mehr als 12 Monaten verschwinden. Die Regel, nicht vor Ablauf von 12 Monaten zu operieren, hat sich bewährt. Wenn Ausnahmen gemacht werden, sollten die operativen Verfahren auf konventionelle Methoden (Rücklagerungen, Vorlagerungen, Resektionen) beschränkt werden, die rückgängig gemacht werden können, falls die wiederkehrende normale Muskelfunktion durch die zu früh durchgeführte Operation gestört wird.
5.4 Paretisches Schielen
monok. Blickfeld (o.d.)
Fusionsblickfeld
+15° +0°
a
0°
+45°
kombinierte Konvergenzoperation o.d.
0°
+5° +0°
b
+30°
Myopexie des M. rect. med. o.s.
0°
+25° +0°
c
5
+55°
Muskeltransposition o.d.
0°
Bei Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese am nichtparetischen Auge handelt es sich um die Schwächung des kontralateralen Synergisten des gelähmten Muskels mit dem Ziel, das Fusionsblickfeld in eine günstigere Blickrichtung zu verlagern oder sogar zu vergrößern. Der Wirkungsmechanismus besteht einerseits darin, die Augenmuskelparese in eine artifizielle Blicklähmung zu überführen (d. h. eine Verkleinerung des sekundären Schielwinkels), andererseits bei Führung des nichtparetischen Auges eine dem Gesetz von Hering entsprechende Innervationssteigerung des paretischen Muskels zu erzielen (d. h. eine Verminderung des primären Schielwinkels). Die prinzipiell logische und wirksamste Operationsmethode ist die Myopexie nach Cüppers, also eine Verkürzung der Abrollstrecke des kontralateralen Synergisten. Sie sollte vor allem eingesetzt werden, wenn das monokulare Blickfeld des paretischen Auges erheblich über die Primärstellung hinausreicht und in Primärstellung des nichtparetischen Auges nur ein kleiner primärer Schielwinkel besteht (▶ Abb. 5.20b). Auch eine Rücklagerung des kontralateralen Synergisten wirkt als Gegenparese, ihr paretischer Effekt ist aber geringer und ihr Einfluss auf den Schielwinkel in Primärstellung größer als der einer Myopexie. Ähnliches gilt für die kombinierte Operation am nichtparetischen Auge, die in der Regel nur als Zweiteingriff eingesetzt wird. Sie ist sinnvoll, wenn
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Abb. 5.20 Operationsindikation bei verschiedenen Ausprägungen einer Parese. Als Beispiel dient eine rechtsseitige Abduzensparese. Prä- und postoperativ ist jeweils auf der linken Seite das monokulare Blickfeld des rechten Auges (die monokular nicht erreichbaren Blickrichtungen sind rot markiert), auf der rechten Seite das Fusionsblickfeld (die Einschränkung des Fusionsblickfelds ist rot markiert) dargestellt. a Kombinierte Konvergenzoperation. Für die kombinierte Operation am betroffenen Auge spricht 1. eine Einschränkung des monokularen Blickfelds, wobei die Primärstellung erreicht wird, 2. der große Schielwinkel (15°) in Primärstellung des linken Auges. b Operation nach dem Prinzip der Gegenparese. Für die Myopexie am kontralateralen Synergisten des paretischen M. rectus lateralis spricht 1. die geringe Einschränkung des monokularen Blickfelds, 2. der kleine Schielwinkel (5°) in Primärstellung des linken Auges, 3. die große Schielwinkelzunahme bei Rechtsblick. c Muskeltransposition. Für die primäre Muskeltransposition spricht die große Einschränkung des monokularen Blickfelds, wobei die Primärstellung nicht erreicht wird.
nach einer Operation am paretischen Auge dessen Exkursionsfähigkeit gut ist, aber noch ein erheblicher Schielwinkel besteht.
Zusammenfassung Operation bei Paresen
M ●
Die Operation am paretischen Auge ist umso mehr zu bevorzugen, ● je schlechter die Exkursionsfähigkeit des paretischen Auges ist. ● je größer der Schielwinkel im gesamten Blickfeld ist. Das Operationsprinzip der Gegenparese ist umso vorteilhafter, ● je besser die Exkursionsfähigkeit des paretischen Auges ist. ● je kleiner der Schielwinkel in Primärstellung ist. ● je größer die Inkomitanz dieses Schielwinkels ist. Beide Operationsprinzipien erfordern eine Restfunktion des paretischen Muskels. Sie sind also nur bei Paresen empfehlenswert, nicht aber bei Paralysen. Sie sind ausreichend, wenn das Auge bei monokularer Exkursion die Primärstellung erreichen kann.
415
Augenmuskeloperationen
●V
Zusatzinfo Bemerkung zur Terminologie
Diese Definition der Parese – Paralyse gehorcht strengen pathophysiologischen Kriterien nicht. Ein M. rectus lateralis, der den Bulbus bis auf 5° vor die Primärposition bewegen kann, hat zwar den größten Teil seiner Funktionsfähigkeit eingebüßt, ist aber nicht paralytisch. Die sichere Unterscheidung zwischen Parese und Paralyse ist klinisch kaum möglich. Für die Operationsindikation ist die Beurteilung des monokularen Blickfelds jedoch ausreichend. Selbst wenn der Bulbus noch aus dem inneren Lidwinkel 10° heraus bewegt werden kann, ist es empfehlenswert, die operativen Maßnahmen wie bei einer Paralyse zu planen.
Die muskuläre Neurotisation paralytischer Augenmuskeln verfolgt das Ziel, über die Aufnähung eines ungeschädigten Muskels den paralytischen Muskel zu reinnervieren. Die Neurotisation durch den aufgenähten M. obliquus inferior [4] würde aber bestenfalls eine Kontraktion des M. rectus lateralis erreichen, wenn der M. obliquus inferior innerviert wird. Ein brauchbarer Operationserfolg würde sich dadurch nicht ergeben. Auch der Ersatz eines gelähmten Augenmuskels durch elastische Implantate wurde vorgeschlagen. Obwohl
nach diesen Prozeduren erhebliche Vernarbungen eintreten, können sie sinnvoll sein, wenn wegen der Grunderkrankung mit weiteren Augenmuskelparesen gerechnet werden muss, die eine Transposition dieser Muskeln obsolet erscheinen lassen (zusammenfassende Literatur: [167], [169]).
5.4.2 Operation bei Abduzensparese Die Differenzialdiagnose muss ein Retraktionssyndrom ausschließen (▶ Tab. 5.6). Ziel der Operation ist die Verbesserung der Abduktionsfähigkeit des betroffenen Auges, verbunden mit einer Verringerung der Kopfzwangshaltung und einer Erweiterung des Fusionsblickfelds.
Operationsindikation Die Operationsindikation erfordert zuerst die Auswahl des Operationsprinzips (▶ Abb. 5.20a–c). Schließt das monokulare Blickfeld die Primärposition ein, ist bei Abduzensparese die Veränderung der Stellung des paretischen Auges durch kombinierte Konvergenzoperation zu empfehlen.
H ●
Merke
Methode der Wahl ist ● bei Abduzensparesen die kombinierte Operation zur Verbesserung der Stellung des paretischen Auges, eine Operation nach dem Prinzip der Gegenparese oder eine Kombination beider Prinzipien: ○ je größer der Schielwinkel, umso höher die Dosierung der kombinierten Operation am paretischen Auge ○ je größer die Inkomitanz, umso höher die Dosierung der Gegenparese ● bei Abduzensparalysen die primäre Muskeltransposition.
Tab. 5.6 Differenzialdiagnose Abduzensparese – Retraktionssyndrom. Kriterien
Abduzensparese
Retraktionssyndrom
Anamnese
plötzlicher Beginn
angeborene Störung
Kopfzwangshaltung
Kopfdrehung zur betroffenen Seite
unterschiedlich bei verschiedenen Typen des Retraktionssyndroms
meist über 20°
meist 0–15°
Abduktion
eingeschränkt
eingeschränkt
Adduktion/Konvergenz
mindestens normal
eingeschränkt
Bulbuslage
geringe Propulsion bei Abduktionsversuch
Retraktion bei Adduktionsversuch
Vertikaldeviation
keine
oft bei maximalem Adduktionsversuch*
Lidspalte
erweitert in Abduktion
verengt in Adduktion und erweitert in Abduktion
* Häufig Hypertropie bei Adduktion oberhalb der Horizontalen und Hypotropie bei Adduktion unterhalb der Horizontalen (siehe ▶ Abb. 2.3 in Kap. 2.1).
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Im Einzelfall ist abzuklären, welchem Operationsprinzip der Vorzug zu geben ist oder in welcher Weise verschiedene Prinzipien kombiniert werden. Demgegenüber stellen Augenmuskelparalysen den Operateur vor wesentlich größere Probleme. In diesen Fällen zeigt der paretische Muskel keine oder nur eine sehr geringe Funktion. Die vorgenannten Operationsmethoden bleiben in diesen Fällen erfolglos, denn ein paralytischer Muskel wird auch einen umgelagerten Bulbus nicht bewegen können und eine Innervationssteigerung wird den Muskel nicht erreichen. Nur Paralysen erfordern die Muskeltransposition als Ultima Ratio (▶ Abb. 5.20c). Sie ist nur selten notwendig.
5.4 Paretisches Schielen
Zusatzinfo Literatur zu Transpositionstechniken In der Literatur werden unterschiedliche operative Techniken [31], [114], [135], [143], [144], [148], [169], [209], [218], [254], [260] angegeben, unter denen neben der Originalmethode von Hummelsheim (1907) [121], [122], [123] die Modifikationen von O‘Connor (1919, 1935) [227], [228] und Jensen (1964, nach [31], [226]) bekannt sind (▶ Abb. 5.21). Bei den erstgenannten Verfahren werden jeweils Teile der geraden Vertikalmotoren oder auch die gesamten Augenmuskeln zur Insertion des M. rectus lateralis hin verlagert. Die Methode von Jensen besteht in einer Verbindung des gelähmten M. rectus lateralis mit den geraden Vertikalmotoren, deren Zugwirkung über den M. rectus lateralis auf den Bulbus übertragen werden soll. Vorschläge, mit der Verlagerung nur eines Vertikalmotors befriedigende Ergebnisse zu erhalten, überraschen wegen der geringen Nebenwirkungen. Die umfangreiche Literatur über
sche Hürde der Operation leichter nimmt, wenn er zuerst an seinem „kranken“ Auge operiert wird. Wenn bei einer Abduzensparalyse das Auge kaum aus dem inneren Lidwinkel heraus bewegt werden kann, genügt eine kombinierte Augenmuskeloperation oder eine Gegenparese meist nicht. Eine technisch einfache kombinierte Operation am betroffenen Auge bei Abduzensparalyse erfordert hohe Dosierungen [214]. Die Rücklagerung des M. rectus medialis um > 10 mm kann den Funktionsverlust des paralytischen Muskels teilweise äquilibrieren, allerdings unter Verlust an Adduktionsfähigkeit, die größer ist als nach einer Transposition [144]. Resektionen des paralytischen M. rectus lateralis bis 20 mm zeigen oft keine langfristige Wirkung. Die kombinierte Operation mit hoher Dosierung ist aber naheliegend, falls eine Muskeltransposition zu riskant erscheint (nach Voroperation, bei Monophthalmus, früherer intraokularer Erkrankung, Lagophthalmus usw.).
Merke
5
H ●
Wenn bei maximaler Abduktionsinnervation die Mittellinie nicht erreicht wird, ist eine primäre Muskeltransposition empfehlenswert.
Bei Abduzensparalysen ist die primäre Muskeltransposition anzuraten.
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Die Dosierung der kombinierten Operation erfolgt so, dass 1 mm Gesamtoperationsstrecke etwa 1,5–2,0° Schielwinkelreduktion entsprechen. Zugrunde gelegt wird der primäre Schielwinkel. Besteht gleichzeitig eine Blicklähmung zur Gegenseite, ist die Dosierung der kombinierten Konvergenzoperation zu vermindern. Bei kleinem Schielwinkel in Primärposition und deutlicher Zunahme des Schielwinkels im Seitblick kann eine Operation nach dem Prinzip der Gegenparese allein ausreichend sein. In Abhängigkeit vom Schielwinkel und dem Ausmaß der Inkomitanz wird sie am nichtbetroffenen Auge als Myopexie oder Rücklagerung des M. rectus medialis durchgeführt. Die Dosierung der Myopexie am kontralateralen M. rectus medialis sollte 13 mm betragen, wenn ein Effekt im Gebrauchsblickfeld angestrebt wird. Die Dosierung einer Rücklagerung des M. rectus medialis oder einer kombinierten Konvergenzoperation als Gegenparese erfolgt so, dass 1 mm Gesamtoperationsstrecke etwa 1,5–2,0° Schielwinkelreduktion entsprechen. Zugrunde gelegt wird der sekundäre Schielwinkel (also der Prismenbetrag, der vor dem nicht betroffenen Auge zu binokularem Einfachsehen ohne Kopfzwangshaltung führt). Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese können primär eingesetzt werden oder als korrigierender Zweiteingriff nach kombinierter Operation. Im Regelfall wird man den Effekt der Operation am paretischen Auge abwarten, um die Operation nach dem Prinzip der Gegenparese in einer zweiten Sitzung durchzuführen. Diese Reihenfolge berücksichtigt, dass der Patient die psychologi-
●V
verschiedene Transpositionsverfahren enthält leider nur selten vergleichbare Angaben über die postoperativen Ergebnisse. Immer wieder werden Operationsergebnisse bei Fällen publiziert, bei denen nach unserem Verständnis keine Transpositionsoperation, sondern eine konventionelle Rücklagerungschirurgie indiziert ist [5]. Häufig wird zwischen Retraktionssyndromen und Abduzensparesen nicht unterschieden, oder es werden die Ergebnisse bei Paresen und Paralysen vermischt. Nebenwirkungen – wie der verstärkten Retraktion durch eine Transpositionsoperation beim Retraktionssyndrom – wird nicht die gebührende Beachtung geschenkt [6], [13]. Fast immer fehlen valide Angaben zu Schielwinkeln, monokularem Blickfeld, Fusionsblickfeld oder Kopfzwangshaltung, so dass der Literaturvergleich brauchbare Schlüsse bezüglich der operativen Wirkung der verschiedenen Operationsverfahren nicht zulässt [106], [195], [294], [304].
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Augenmuskeloperationen
Hummelsheim
O'Connor
O'Connor
Jensen
Eine Muskeltransposition vermindert Schielwinkel und Kopfzwangshaltung fast immer wesentlich. Diesem Vorteil stehen Nachteile und Risiken entgegen. Eine Muskeltransposition bewirkt immer auch eine Einschränkung der Adduktion (▶ Abb. 5.20c) und kann eine Vertikaldeviation bewirken. Leider steigt die Gefahr dieser Nebenwirkungen mit der Effizienz der Operationsmethode. Diese Motilitätsdefekte müssen bei einer Abduzensparalyse in Kauf genommen werden. Es besteht auch die Gefahr, dass die Blutzufuhr zu den Vorderabschnitten des Auges vermindert wird. Die Gefahr einer Ischämie der Vorderabschnitte (siehe S. 383) des Auges ist umso größer, je mehr vordere Ziliararterien unterbunden werden. Das Risiko einer Vorderabschnittsischämie ist besonders groß, wenn der Transposition bereits andere Operationen vorausgingen oder andere Muskeln gleichzeitig operiert werden [20]. Ziel einer Transposition ist es, den Bulbus in der Primärposition elastisch zu halten. Die Wirkung der Transposition resultiert aus mehreren Komponenten: Die zum M. rectus lateralis verlagerten Muskelanteile entwickeln wegen der lateralisierten Insertion ein abduzierendes Drehmoment. Es ist naheliegend, dass die Verlagerung der gesamten Vertikalmotoren gegenüber der partiellen Verlagerung wirkungsvoller und technisch leichter durchzuführen ist; andererseits ist die Anzahl der unterbundenen Blutgefäße größer. Eine Teilung der Muskeln mindert die Gefährdung der Augendurchblutung, trau-
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matisiert aber den Muskel und kann Blutungen und kurzfristige Vertikaldeviationen bewirken. Eine gleichzeitige Rücklagerung des M. rectus medialis wird häufig deshalb durchgeführt, weil die myogene Kontraktur des M. rectus medialis für irreversibel gehalten wird. Tatsächlich lässt aber die Spannung des M. rectus medialis innerhalb von Tagen nach, wenn die Transposition wirksam genug ist. Die Rücklagerung ist aber unvermeidbar, wenn der Bulbus intraoperativ bei der Prüfung der passiven Motilität nicht in die Primärposition bewegt werden kann.
Merke
H ●
Mit der Wirksamkeit einer Transpositionsmethode steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer unerwünschten Nebenwirkung. Grundsätzlich ist bei der Operationsindikation nicht nur zu bedenken, welche Methode die wirksamste ist, sondern auch, ob die wirksamere und damit riskantere Methode notwendig ist.
Bei der Auswahl der Operationsmethode ist der Nutzen der Transposition gegen die Risiken abzuwägen. Paralleleingriffe an anderen Augenmuskeln desselben Auges sind möglichst zu unterlassen. Eine gleichzeitige Resektion des paralytischen M. rectus lateralis muss unterbleiben, da der Effekt ohnehin meist nicht andauert. Sie ist darü-
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Abb. 5.21 Unterschiedliche Verfahren der Muskeltransposition bei Abduzensparalyse.
5.4 Paretisches Schielen ber hinaus schädlich, weil die Blutgefäße dieses Muskels unterbunden werden.
Merke
●
Wenn eine Muskeltransposition notwendig ist, muss sie primär durchgeführt werden. Die Anzahl der operierten Muskeln ist möglichst gering zu halten. Eine gleichzeitige Lateralis-Resektion ist zu unterlassen. Eine zusätzliche Medialis-Rücklagerung wird möglichst vermieden.
Im eigenen Krankengut hat sich bei Paralysen eines geraden Augenmuskels folgende Operationstechnik bewährt: ▶ Abb. 5.22, ▶ Abb. 5.23a–d, ▶ Abb. 5.24a–d, ▶ Abb. 5.25a, b.
Abb. 5.22 Muskeltransposition bei Abduzensparalyse. Im eigenen Krankengut durchgeführte Modifikation der Originalmethode nach Hummelsheim [129], [135], [143], [144], [148]. Die Operation erfolgt nach radiären Bindehautschnitten (rot markiert) ohne Limbusschnitt.
a
b
c
d
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●
H ●
Abb. 5.23 Patientin mit linksseitiger Abduzensparalyse. a Präoperativ großer primärer Schielwinkel. b Das linke Auge kann nicht bis zur Mittellinie abduziert werden, der M. rectus lateralis weist aber noch eine sehr geringe Restfunktion auf. c Nach Muskeltransposition (modifizierte Operation nach Hummelsheim) besteht am 1. postoperativen Tag im Geradeausblick kein Schielwinkel mehr mit einem Fusionsblickfeld von 25° um die Primärposition. d Ergebnis nach 3 Monaten.
a
b
c
d
Abb. 5.24 Patientin mit beidseitiger Abduzensparalyse. a Maximale Abduktion des rechten Auges bei Rechtsführung. b Maximale Abduktion des linken Auges bei Linksführung. Beide Augen können die Mittellinie nicht erreichen. Die Fixation des rechten und des linken Auges kann nur in Kopfzwangshaltung aufgenommen werden. c Präoperativer Schielwinkel bei Kopfgeradehaltung. d Zustand nach beidseitiger Muskeltransposition – modifizierte Operation nach Hummelsheim, am linken Auge mit, am rechten ohne gleichzeitige Medialis-Rücklagerung. Nach 3 Monaten verfügt die Patientin bei Fernblick über ein kleines Fusionsblickfeld, bei Nahblick sind dazu Prismen erforderlich.
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Augenmuskeloperationen
a
b
Operationstechnik
a ●
Nach radiären Bindehautschnitten über dem oberen und unteren äußeren Quadranten (s. ▶ Abb. 5.22) werden die lateralen Hälften des M. rectus superior und des M. rectus inferior über eine Strecke von 15 mm abgetrennt und mit jeweils 2 Fäden angeschlungen. Ein Limbusschnitt ist nicht notwendig, weil der M. rectus lateralis nicht freigelegt werden muss. Nachdem der M. rectus lateralis mit der darüberliegenden Bindehaut auf einen Schielhaken genommen wurde, lassen sich die beiden Transponate kreuzweise unter dem M. rectus lateralis durchziehen. Die Transponate werden neben der Insertion des M. rectus lateralis skleral fixiert. Beim vorsichtigen Knüpfen der Fäden kann es zu Augeninnendruckerhöhungen kommen, die (wie bei der Okulopression) innerhalb von Minuten ausgeglichen werden. Die postoperativ bei der Funduskopie wie ein Plombenwall imponierende Einschnürung durch die Transponate verschwindet nach Tagen. Bei dieser Technik werden also nur 2 Aa. ciliares anteriores (bzw. 4 bei gleichzeitiger Rücklagerung des M. rectus medialis) durchtrennt, während die Gefäße in den verbliebenen Muskelhälften vermutlich zwar kurzfristig abgeknickt, aber nicht dauerhaft verschlossen werden. Wenn die Transponate nicht unter dem M. rectus lateralis kreuzweise geführt, sondern neben dem Muskel fixiert werden, ist die Operation leichter durchführbar, aber weniger effektiv.
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Die Medialis-Rücklagerung kann durch eine Botulinumtoxin-Injektion (siehe Kap. 5.6) ersetzt werden. Dieses Verfahren wird auch empfohlen, um vor einer Transposition die myogene Kontraktur des M. rectus medialis zu lösen und die Transposition zu erleichtern. Es erschwert aber die intraoperative Dosierung. In Analogie zum Lateralis-Splitting bei Okulomotoriusparalyse wurde bei Abduzensparalyse ein Splitting des M. rectus medialis angegeben [192]. Während die o. g. übliche Transposition die Adduktion weitgehend erhält, wird diese durch ein Splitting des M.rectus medialis erheblich eingeschränkt. Bei einer gleichzeitigen Blicklähmung oder einer internukleären Medialis-Parese (INO) sollte auf die Transposition verzichtet werden. Zwar besteht auch in diesen Fällen ein großer konvergenter Schielwinkel, die eingeschränkte Kraft des M. rectus medialis reicht aber nicht aus, um die abduzierende Wirkung der Transposition zu äquilibrieren, so dass eine Überkorrektion droht. Besteht die Gefahr zukünftiger weiterer Paresen, ist ebenfalls eine Transposition nicht indiziert und allenfalls die Verwendung eines Silikonbands zur elastischen Fixation des Bulbus zu erwägen [167], [169]. Falls nach vorausgegangener konventioneller Operation an den geraden Horizontalmotoren wegen mangelnden Effekts eine Zweitoperation notwendig ist, sollte wegen des Ischämierisikos auf eine Transposition verzichtet und die unvermeidbare Adduktionseinschränkung einer wei-
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Abb. 5.25 Patient mit beidseitiger Abduzensparalyse. a Präoperativer Schielwinkel (Mitte). Beide Augen können nicht bis zur Mittellinie abduziert werden (rechts und links), so dass die Fixation ohne Kopfzwangshaltung nicht aufgenommen werden kann. b Nach beidseitiger Muskeltransposition (modifizierte Operation nach Hummelsheim, am rechten Auge mit, am linken ohne gleichzeitige Medialis-Rücklagerung) besteht nach 3 Monaten im Geradeausblick kein Schielwinkel mehr. Der Patient verfügt über ein Fusionsblickfeld, das um die Primärposition 10° in den Rechts- und Linksblick reicht. Das gute Ergebnis ist vermutlich durch die geringere Einschränkung der präoperativen Abduktionsfähigkeit des linken Auges verursacht, das präoperativ im maximalen Linksblick nicht im inneren Lidwinkel verharrt. Während postoperativ Hebung und Senkung beider Augen nur wenig eingeschränkt sind, sind Abduktion und Adduktion deutlich vermindert.
5.4 Paretisches Schielen
5.4.3 Operation bei Retraktionssyndrom Ein der Abduzensparese verwandtes Krankheitsbild, das Retraktionssyndrom von Stilling-Türk-Duane (RS), erfordert ein anderes operatives Vorgehen. Gemeinsam ist beiden die Einschränkung der Abduktion, das RS zeigt aber eine kleinere und vom RS-Typ abhängige Kopfzwangshaltung (▶ Abb. 5.26), eine Einschränkung der Adduktion, sowie darüber hinaus Retraktion, Vertikaldevia-
linkss. RS Rechtsdrehung beids. RS
rechtss. RS Linksdrehung
rechtss. RS Rechtsdrehung linkss. RS Linksdrehung
5
Abb. 5.26 Seitenlokalisation und Kopfzwangshaltung beim Retraktionssyndrom nach Stilling-Türk-Duane. Das linksseitige RS mit Kopflinksdrehung ist mit 58 % die weitaus häufigste Ausprägung des RS (Datenquelle: [145]). Rechtsgeneigte Schraffur bedeutet Kopfrechts- und linksgeneigte Kopflinksdrehung.
tion und Lidspaltenverengung beim Versuch der Adduktion. Während bei der Abduzensparese vorrangiges Ziel der Operation die Verbesserung der Abduktionsfähigkeit ist, ist es beim RS die Verbesserung der diplopievermeidenden Kopfzwangshaltung. Bei der Operationsindikation muss die Verwechslung eines RS mit einer erworbenen Abduzensparese vermieden werden (▶ Tab. 5.6).
Zusatzinfo Literatur zum Retraktionssyndrom
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teren Medialis-Rücklagerung in Kauf genommen werden. Eine erneute Resektion des gelähmten Muskels ist zwar bezüglich der Trophik ungefährlich, verspricht aber wenig Erfolg. Falls man sich (z. B. bei jugendlichen Patienten) doch für eine sekundäre Transposition entscheidet, muss ein Zeitabstand von 6–12 Monaten eingehalten werden. Falls der Effekt einer Transposition nicht ausreicht, kann eine Rücklagerung oder Myopexie am M. rectus medialis des nicht betroffenen Auges als korrigierender Zweiteingriff eingesetzt werden [157], [213]. Dabei werden die monokularen Blickfelder beider Augen äquilibriert (artifizielle Blicklähmung). Die Ergebnisse der operativen Behandlung von Abduzensparesen/-paralysen sind erheblich vom Ausmaß der Schädigung abhängig. Bei Abduzensparesen kann durch kombinierte Operationen zur Verbesserung der Stellung des paretischen Auges bzw. durch Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese das Fusionsblickfeld wesentlich vergrößert werden. Ein diplopiefreies Gebrauchsblickfeld und eine Beseitigung der Kopfzwangshaltung sind meist erreichbar. Bei Abduzensparalysen sind die Ergebnisse schlechter. Kombinierte Operationen am betroffenen Auge mit hohen Dosierungen verbessern den Zustand oft nicht dauerhaft [144], [169], [257]. Eine Verbesserung von Schielwinkel und Kopfzwangshaltung ist erreichbar, nicht aber deren Beseitigung. Eine große Rücklagerung des M. rectus medialis (über 10 mm) kann den Funktionsverlust des paralytischen Muskels teilweise ausgleichen, allerdings unter Verlust an Adduktionsvermögen. Die Ergebnisse nach Muskeltranspositionen sind in der Literatur nicht einheitlich und sehr von der benutzten Technik abhängig [135], [144], [169], [282]. Mit Muskeltranspositionen ist häufig ein kleines, aber sehr nützliches Fusionsblickfeld ohne oder mit einer kleinen Kopfzwangshaltung erreichbar [144]. Der Nachteil der Transpositionsverfahren an geraden Augenmuskeln ist neben der aufwendigeren Technik das Auftreten von Vertikaldeviationen. Die Ergebnisse nach Muskeltranspositionen sind meist stabil. Bei beidseitigen Abduzensparalysen sind die Ergebnisse bezüglich der Kopfzwangshaltung bei monokularer Sehweise gut, auch die kosmetische Verbesserung ist befriedigend. Binokulares Einfachsehen in alle Blickentfernungen oder gar bei Blickexkursionen ist dagegen ein seltener Erfolg.
●V
Während klinische Beschreibungen des RS lange bekannt sind [61] (Literatur bei [133], [145]), wurde die Pathogenese erst spät beschrieben [120], [203]. Deshalb sind der Literatur widersprüchliche Konzepte operativer Therapie zu entnehmen [49], [81], [133], [145], [172], [200]. Alle Symptome einschließlich der Vertikaldeviation können durch die wegen fehlender Dehnbarkeit des M. rectus lateralis erhöhte Spannung der Horizontalmotoren erklärt werden [145], [271], [272], [273], [275], [283].
Der Wert einer elektromyografischen Untersuchung ist gering, weil an verschiedenen Stellen desselben Muskels unterschiedliche Befunde erhoben werden können. Für die Operationsplanung hilfreich ist eine auf der Kopfzwangshaltung basierende Typeneinteilung. Es werden unterschieden [145]:
421
Augenmuskeloperationen
●
Retraktionssyndrom mit Kopfzwangshaltung in Adduktion des betroffenen Auges. Diese Patienten zeigen eine Esotropie bei Kopfgeradehaltung (konvergentes RS nach Lang [191]). Linksseitige konvergente RS stellen mit 58 % die weitaus häufigsten RS. Retraktionssyndrom mit Kopfzwangshaltung in Abduktion des betroffenen Auges. Diese Patienten zeigen eine Exotropie bei Kopfgeradehaltung (divergentes RS nach Lang [191]) und besonders häufig eine ausgeprägte Vertikaldeviation (▶ Abb. 5.26, ▶ Abb. 2.3). In dieser Gruppe sind rechtsseitige RS ebenso häufig wie linksseitige.
Merke
H ●
Das häufigste Retraktionssyndrom ist das linksseitige mit Kopflinksdrehung.
Operationsindikation Eine kausale Therapie des Retraktionssyndroms ist nicht möglich. Ziel der Operation kann nicht die Veränderung der Innervation sein, sondern nur die Milderung der Folgen, vor allem eine Beseitigung der Kopfzwangshaltung und eine Verminderung von Vertikaldeviation, Retraktion und Lidspaltenveränderung.
Merke
H ●
Hauptziel einer Operation ist die Verringerung einer Kopfzwangshaltung. Die eingeschränkte Abduktionsfähigkeit ist kein Grund zur Operation.
Vordringliches Ziel einer Operation ist die Entlastung der geraden Augenmuskeln durch Rücklagerung der Horizontalmotoren. Die Auswahl des zu operierenden Muskels richtet sich nach der Kopfzwangshaltung, die Operationsstrecken sind von der Größe des primären Schielwinkels in Kopfgeradehaltung abhängig. Folgendes Vorgehen ist empfehlenswert: ● Bei RS mit Kopfzwangshaltung in Adduktion: Rücklagerung des M. rectus medialis um bis zu 7 mm bei einem Schielwinkel bis zu 15°. Eine präoperative Prüfung der Konvergenz und der Diplopiefreiheit beim Nahblick mit Prismen ist unumgänglich. ● Bei RS mit Kopfzwangshaltung in Abduktion: Rücklagerung des M. rectus lateralis um bis zu 7 mm bei einem Schielwinkel bis zu 15°. ● Bei einem RS, das durch eine erhebliche Retraktion und Vertikaldeviation imponiert, kann eine gleichzeitige Rücklagerung beider Horizontalmotoren vorgenommen werden, deren Ausmaß sich nach der Richtung der
422
Kopfzwangshaltung richtet. Bei erheblicher Vertikaldeviation kann eine Myopexie an den Horizontalmotoren hilfreich sein [275], die nur selten nötig ist. Bei sehr großer Kopfzwangshaltung, geringer Retraktion und fehlender Vertikaldeviation kann eine zusätzliche Resektion des M. rectus lateralis indiziert sein, sollte aber nur bei sehr großem Schielwinkel und geringer Retraktion erwogen werden. Bei wesentlicher Retraktion muss vor resezierenden Muskeleingriffen gewarnt werden, weil langfristig die Gefahr einer Verstärkung der Retraktion groß ist.
Merke
H ●
Bei deutlicher Retraktion sind Resektionen zu vermeiden.
Der Einsatz komplizierter Augenmuskelchirurgie, insbesondere der Muskeltranspositionen, der Rücklagerungen mit Y-Spaltung oder einer Muskelfixation am Periost [249], [290], [305] ist selten indiziert. Die Ergebnisse der operativen Therapie sind abhängig von der Ausprägung der einzelnen Symptome [145]. Kopfzwangshaltung und Schielwinkel können aber immer wesentlich verringert oder beseitigt werden. Auch Retraktion, Lidspaltenverengung und Vertikaldeviation werden gebessert.
5.4.4 Operation bei Okulomotoriusparese Die Okulomotoriusparese bietet unter allen Augenmuskelparesen die größten Probleme, weil einerseits viele Augenmuskeln an einem oder sogar an beiden Augen betroffen sein können und andererseits sehr häufig andere Augenmuskellähmungen, insbesondere eine Trochlearisparese, gleichzeitig bestehen. Das Spektrum reicht von einer partiellen Okulomotoriusparese – z. B. einer geringen Parese eines einzelnen Muskels über die Parese mehrerer Muskeln an einem oder beiden Augen, die komplette Okulomotoriusparese (bei der zwar alle Muskeln eines Auges betroffen, aber nicht immer völlig gelähmt sind) – bis zur totalen Okulomotoriusparalyse mit völligem Funktionsverlust aller Augenmuskeln, die vom N. oculomotorius innerviert sind.
Merke
H ●
Unter allen Augenmuskelparesen hat die Okulomotoriusparese die schlechteste Prognose. Diese ist umso schlechter, je mehr Augenmuskeln von einer Parese oder gar einer Paralyse betroffen sind.
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●
5.4 Paretisches Schielen
Operationsindikation
Merke
● H
Bei Unterbrechung zu vieler Ziliararterien kann eine trophische Störung der Vorderabschnitte resultieren. Zur Vermeidung dieser Komplikationen sind Operationen an mehr als 2 geraden Augenmuskeln eines Auges kontraindiziert.
An dieser Grenze scheitert bei kompletter Okulomotoriusparese/-paralyse oft die Versorgung mittels konventioneller Operationen. Gleichzeitige Operationen an den schrägen Augenmuskeln sind nicht schädlich, weil deren Gefäße an der Durchblutung der Vorderabschnitte des Auges keinen wesentlichen Anteil haben [261]. Bei der Aufklärung, der Schilderung der Erfolgsaussichten einer Transposition und bei der Indikation ist große Zurückhaltung angebracht. Der Entschluss zur Operation fällt leichter, wenn bei einer Okulomotoriusparese zwar mehrere Augenmuskeln gelähmt sind und ein störend großer Schielwinkel besteht, aber keine komplette Ptosis. Die störende Diplopie legt dann eine operative Schielwinkelverkleinerung nahe. Bei einer vollständigen Ptosis ist die Transposition nur dann sinnvoll, wenn der Patient in Kenntnis der Vor- und Nachteile eine Operation wünscht und bereit ist, nach der Augenmuskeloperation probeweise einen Ptosisbügel zu verwenden. Nur nach diesem Versuch sollte eine Operation der Ptosis erwogen werden, die wegen des fehlenden Bell-Phänomens nicht ungefährlich ist.
Merke
H ●
Falls bei einer Okulomotoriusparese auch eine Ptosis besteht, erfolgt die Augenmuskeloperation vor der Ptosisoperation.
Besteht bei einer Okulomotoriusparese auch eine Ptosis, sollte die Augenmuskelparese aus folgenden Gründen zuerst versorgt werden: ● Falls die Augenmuskeloperation das Ziel der Doppelbildfreiheit in einem ausreichenden Fusionsblickfeld verfehlt, soll auf die Ptosisoperation verzichtet werden.
●
●
Bei der Okulomotoriusparese ist die Injektion von Botulinumtoxin (Kap. 5.6) selten indiziert, weil der Antagonist oft ebenfalls gelähmt ist. Die artifizielle Funktionsminderung des einzigen funktionierenden Augenmuskels (M. rectus lateralis) könnte eine Protrusio hervorrufen. Bei der Parese eines einzelnen geraden Augenmuskels ist die operative Technik einfach. Operationen zur Veränderung der Bulbusstellung werden durchgeführt als kombinierte Operationen am gelähmten Muskel und seinem ipsilateralen Antagonisten. Die Dosierung erfolgt entsprechend einer Schielwinkelreduktion von 1,5° pro mm Gesamtoperationsstrecke. Ist der Effekt dieser Operation unzureichend, kann eine weitere Operation nach dem Prinzip der Gegenparese am anderen Auge durchgeführt werden, entweder als Rücklagerung des kontralateralen Synergisten (bzw. als kombinierte Operation) oder als Myopexie. Eine Myopexie am M. rectus inferior sollte mit Zurückhaltung indiziert werden, weil die Vergrößerung des Fusionsblickfelds mit einer Einschränkung der Blicksenkung erkauft wird. Darüber hinaus kann dabei die Innervation des M. obliquus inferior geschädigt werden (siehe Kap. 1.1, S. 25).
Merke
5
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Wegen der äußerst verschiedenen klinischen Ausprägungen der Okulomotoriusparesen ist die Indikationsstellung komplizierter als bei allen anderen Paresen [78], [118], [135], [148], [149]. Keinesfalls darf eine Zyklotropie übersehen werden. Besteht sie, muss ihre Beseitigung in die Operationsindikation eingehen. Bei einigen Formen der Okulomotoriusparese sind Eingriffe an beiden Augen erforderlich, manchmal in mehreren Sitzungen, um nicht zu viele vordere Ziliararterien gleichzeitig zu unterbinden.
Trotz aller ästhetischen Nachteile ist eine Ptosis der ständigen Diplopie vorzuziehen. Bei einer Okulomotoriusparese mit eingeschränkter Elevation ist wegen des Ausfalls des Bell-Phänomens das Risiko einer Ptosisoperation erheblich. Dieses Risiko lässt sich nach operativer Verbesserung der Schielstellung mit einem Ptosisbügel besser abschätzen. Falls die Augenmuskeloperation eine ischämische Störung bewirkt, ist diese bei Ptosis besser beherrschbar als bei einer partiellen Lidschlussminderung, die zu den Komplikationen der Ptosis-Chirurgie zählt.
H ●
Operationsindikation bei Okulomotoriusparese: ● Parese eines geraden Augenmuskels → kombinierte Operation ● Paralyse eines geraden Augenmuskels → Muskeltransposition ● Parese/Paralyse des M. obliquus inferior → kombinierte Operation an den Mm. obliqui ● Okulomotoriusparese mit Fehlregeneration → Prinzip der Gegenparese ● Parese zweier benachbarter gerader Augenmuskeln → Zügeloperation ● komplette Okulomotoriusparalyse → Obliquus-superior-Sehnen-Splitting, Lateralis-Splitting
Bei einer Okulomotoriusparese mit Fehlregeneration kann das Prinzip der Gegenparese indiziert sein. Wenn ein großes monokulares Blickfeld des betroffenen Auges mit Exodeviation und Ptosis in Abduktion einhergeht,
423
Augenmuskeloperationen kann die kombinierte Divergenzoperation am nichtbetroffenen Auge alle Symptome vermindern (▶ Abb. 5.27a–d). Ebenso ist das Prinzip der Gegenparese bei Parese des M. rectus superior mit partieller Ptosis nützlich. In diesen Fällen sollte eine Myopexie am kontralateralen M. rectus superior mit oder ohne gleichzeitige Rücklagerung durchgeführt werden. Die Dosierung richtet sich nach der Prismenstärke, die (vor das nichtparetische Auge gehalten) zu der gewünschten Stellung des paretischen Auges führt. Diese Myopexie bewirkt eine akzeptable Hebungseinschränkung des operierten Auges und eine Verminderung der Vertikaldeviation mit größerer Wirkung im Aufblick. Dieses Vorgehen wird auch bei der kongenitalen Heberparese als Ersteingriff gewählt. Bei der Paralyse eines einzelnen geraden Augenmuskels oder wenn die genannten Eingriffe nicht erfolgreich waren, ist eine Muskeltransposition angezeigt (▶ Abb. 5.28a, b), die analog zu derjenigen bei der Abduzensparalyse erfolgt.
a ●
Bei der Transposition muss die Topografie der schrägen Augenmuskeln berücksichtigt werden. Bei einer Paralyse des M. rectus medialis wird das aus dem M. rectus superior gewonnene Transponat unter (bulbusseitig) der Sehne des M. obliquus superior durchgezogen, in analoger Weise wird bei der Paralyse des M. rectus superior verfahren. Bei einer Paralyse des M. rectus inferior wird der zu transponierende Teil des M. rectus lateralis unter (bulbusseitig) dem M. obliquus inferior geführt.
Eine isolierte Parese/Paralyse des M. obliquus inferior kommt fast nie vor und muss immer von einem BrownSyndrom (siehe Kap. 4.1) abgegrenzt werden. Die Operation bei Parese des M. obliquus inferior dient vor allem der Beseitigung der Zyklotropie, die eine Operation an den Mm. obliqui erfordert. Eine Vorlagerung des M. obliquus inferior mit oder ohne Resektion, ggf. in Kombination mit einer Rücklagerung des M. obliquus superior, ist in der Regel ausreichend. Die Gesamtoperationsstrecke wird so gewählt, dass 1 mm Gesamtoperationsstrecke etwa 1,5° Schielwinkel entspricht (gemessen als Vertikaldeviation in Adduktion von 25°). Operationen bei großen Diskrepanzen zwischen Vertikal- und Zyklodeviation erfolgen in Kombination mit partiellen Ansatzverlagerungen (▶ Abb. 5.15a–e). Der Ersatz der Operation am M. obliquus inferior bzw. seinem Antagonisten durch Operation an den geraden Augenmuskeln ist nur zu empfehlen, wenn die Gefahr postoperativer Diplopie wegen Exklusion oder organisch bedingtem Verlust des Sehvermögens nicht besteht. In seltenen Fällen besteht eine Parese zweier benachbarter gerader Augenmuskeln mit großer Horizontalund Vertikaldeviation. Bei der Auswahl des operativen Verfahrens sollte Folgendes bedacht werden:
424
Abb. 5.28 Patientin mit Hypotropie des linken Auges nach Entfernung des M. rectus superior wegen eines Orbitatumors. a Präoperativer Schielwinkel. b Zustand nach Transposition von M. rectus medialis und M. rectus lateralis zur Insertion des M. rectus superior. Es besteht noch ein Horizontalwinkel, der mit einem Prisma ausgeglichen wird und später andernorts operiert wurde.
●
●
Da die kombinierte Divergenzoperation mit kombinierter Vertikaloperation am betroffenen Auge wegen der Gefahr einer Vorderabschnittsischämie ausscheidet, müssen diese Eingriffe auf beide Augen verteilt werden. Der Nachteil dieses Vorgehens besteht in der großen Zahl zu operierender Augenmuskeln und darin, dass auch das nichtbetroffene Auge operiert werden muss. Bei der Zügeloperation [139] (▶ Abb. 5.29, ▶ Abb. 5.30) werden die beiden normal funktionierenden geraden Augenmuskeln so umgelagert, dass sie die Funktion der gelähmten Augenmuskeln teilweise übernehmen. Die Operation an nur 2 geraden Augenmuskeln vermindert
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Operationstechnik
Abb. 5.27 Patientin mit linksseitiger partieller Okulomotoriusparese und Fehlregeneration. Operation nach dem Prinzip der „Gegenparese“. a Im Rechtsblick geringe Ptosis. b Im Linksblick deutliche Ptosis. c Zustand nach kombinierter Divergenzoperation am rechten Auge. d Zustand 3 Monate nach der Operation.
5.4 Paretisches Schielen
werden miteinander verbunden und in 20 mm Limbusabstand skeral fixiert. Der zum M. rectus medialis hin verlagerte M. rectus superior verliert zugunsten der Adduktion an hebender Wirkung, und der zum M. rectus inferior verlagerte M. rectus lateralis abduziert weniger, senkt aber das Auge mehr. Da diese Verlagerungen gegensinnig erfolgen, entsteht keine Zyklotropie. Bei einer Parese anderer benachbarter gerader Augenmuskeln wird ein analoges operatives Vorgehen gewählt, wobei die Topografie der schrägen Augenmuskeln zu beachten ist.
a
b Abb. 5.30 Patient mit linksseitiger partieller Okulomotoriusparese, Zügeloperation. a Parese des M. rectus medialis und des M. rectus inferior. b 6 Monate nach Zügeloperation (Verlagerung des M. rectus superior und des M. rectus lateralis in den medial-unteren Quadranten).
sowohl Horizontal- als auch Vertikaldeviation erheblich und kann eine wesentliche Verschiebung des Fusionsblickfelds mit entsprechender Verbesserung einer Kopfzwangshaltung bewirken.
Operationstechnik
a ●
Die Operation sei am Beispiel einer Parese des M. rectus medialis mit Parese des M. rectus inferior erläutert. Nach radiären Bindehautschnitten im medial-oberen und medial-unteren Quadranten wird der M. rectus superior an seiner Insertion angeschlungen und abgetrennt und unter der Sehne des M. obliquus superior und unter dem M. rectus medialis durchgezogen. Der M. rectus lateralis wird nach einem radiären Bindehautschnitt im lateralunteren Quadranten desinseriert, auf der bulbären Seite des M. obliquus inferior und des M. rectus inferior in den medial-unteren Quadranten verlagert. Beide Transponate
Bei (partiellen) Paresen mehrerer vom N. oculomotorius innervierter Augenmuskeln erfolgt die Indikationsstellung entsprechend den oben angegebenen Prinzipien als Kombination konventioneller Operationen (Vor-/Rücklagerungen, Faltungen). Die operative Veränderung der Stellung des paretischen Auges reicht häufig nicht aus, so dass auch Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese am anderen Auge notwendig werden. Die alleinige Rücklagerung des M. rectus lateralis (sogar bei einer Rücklagerungsstrecke von bis zu 15 mm) reicht in der Regel nicht aus und bewirkt wegen der Funktionsminderung des einzigen noch funktionierenden geraden Augenmuskels eine Protrusio bulbi. Falls bei komplexen Lähmungen wegen der Vielzahl zu operierender Muskeln die Eingriffe für das Auge zu gefährlich erscheinen oder der Patient eine Operation am nichtbetroffenen Auge verweigert, bleibt nur die Möglichkeit der Muskel- bzw. Sehnentransposition – umso mehr, wenn andere Eingriffe erfolglos geblieben sind.
Merke
5
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Abb. 5.29 Zügeloperation bei Okulomotoriusparese (Parese zweier benachbarter gerader Augenmuskeln). Dargestellt am Beispiel einer linksseitigen Parese des M. rectus medialis und des M. rectus inferior. Verlagerung des M. rectus superior und des M. rectus lateralis in den nasal-unteren Quadranten. Dabei müssen die zu transponierenden M. rectus superior und M. rectus lateralis bulbusseitig der jeweiligen M.-obliquus-Sehne durchgezogen werden.
H ●
Bei kompletter Okulomotoriusparese sind Transpositionen vorteilhaft, weil weniger Augenmuskeln operiert werden als bei konventionellen Operationen.
Die komplette Okulomotoriusparese stellt den Operateur vor große Probleme, insbesondere wenn vorausgegangene konventionelle Augenmuskeloperationen auf Dauer erfolglos geblieben sind. Ziel der operativen Behandlung muss sein, den Bulbus in Adduktion und nach hinten zu ziehen. Solange dauerhaft verträgliche elastische Materialien zur Implantation nicht zur Verfügung stehen, bleibt nur die Möglichkeit einer Muskel- oder Sehnentransposition. Für eine Transposition stehen nur der M. obliquus superior und der M. rectus lateralis zur Verfügung, um bei einem Funktionsausfall von 4 Augenmuskeln eine Verbesserung der Augenstellung zu erreichen. Diese Transpositionen ermöglichen keine brauchbare Motilität, aber eine wesentliche Verbesserung der Augenstellung. Es entsteht bestenfalls ein kleines Fusionsblickfeld. Diese Transpositionen können einzeln durchgeführt oder kombiniert werden.
425
Augenmuskeloperationen Dieses OSS verursacht keine Zyklotropie und setzt die gesamte Kraft des M. obliquus superior zur Verminderung von Hypotropie und Exotropie (um etwa 15°) ein, kann also die großen Schielwinkel bei einer kompletten Okulomotoriusparese vermindern, aber nicht beseitigen. Sie ist gefahrlos, weil die Sehne des M. obliquus superior keine Gefäße führt, und deshalb auch als Zweit- oder Zusatzeingriff einsetzbar.
Merke
H ●
Abb. 5.31 Obliquus-superior-Transposition nach Peter und Wiener bei Okulomotoriusparese. Lösung der Sehne aus der Trochlea und Verlagerung an die Insertion des M. rectus medialis.
Bei Okulomotoriusparese ohne Trochlearisparese besteht eine erhebliche Inzyklodeviation (funduskopisch erkennbar an der Verrollung der Papillen-Makula-Achse). Durch die Inzyklodeviation kann der M. rectus lateralis zum Heber werden. In diesen Fällen kann eine weite Rücklagerung des M. rectus lateralis mit gleichzeitiger Transposition der Sehne des M. obliquus superior sinnvoll sein, für die 2 unterschiedliche Methoden zur Verfügung stehen: ● Eine Transposition mit Trochleaspaltung (▶ Abb. 5.31) wurde von Wiener [300], Peter [233], [234] und anderen [79], [252], [262] vorgeschlagen. Dabei wird die Trochlea eröffnet, die gesamte Sehne des M. obliquus superior aus der Trochlea entfernt und am Oberrand der Insertion des M. rectus medialis angelagert. Diese Transposition bewirkt ein außenrollendes Drehmoment. ● Eine prinzipiell andere Transpositionstechnik hat sich als Obliquus-superior-Sehnensplitting (OSS, ▶ Abb. 5.32a–c) bewährt [129], [135], [149].
Operationstechnik
a ●
Die komplette Sehne des M. obliquus superior wird an der Insertion abgetrennt und bis zur Trochlea in zwei Hälften geteilt (▶ Abb. 5.32a–c). Die hintere Hälfte wird nach Resektion um 10 mm am lateralen Rand der Insertion des M. rectus superior, die vordere Hälfte am unteren Rand der Insertion des M. rectus medialis skleral fixiert.
426
Bei einer Okulomotoriusparese mit Trochlearisparese bleibt nur eine Transposition des M. rectus lateralis. Dabei wird der M. rectus lateralis so verlagert, dass er den Bulbus nicht mehr abduzieren kann, aber noch in die Orbita hineinzieht. 2 prinzipiell unterschiedliche Operationsmethoden stehen zur Verfügung: ● Eine Verlagerung des gesamten M. rectus lateralis (komplette Lateralis-Transposition) in den nasal-oberen Quadranten wurde von Taylor [291], [292] vorgeschlagen. Gräf et al. [98] berichten über gute Ergebnisse mit kompletter Lateralis-Transposition in den nasal-unteren Quadranten, weisen aber auf die zykloduzierende Nebenwirkung hin. Die Technik ist empfehlenswert, wenn die Gefahr postoperativer Diplopie nicht besteht (Amaurose, gute Exklusion). ● Diese Nebenwirkung vermeidet das Lateralis-Splitting (LS) [140], [149] (▶ Abb. 5.33). Nach Teilung des Muskels werden die Hälften im oberen bzw. unteren Quadranten auf der nasalen Bulbusseite refixiert. Der postoperative Befund nach LS zeigt keine wesentliche Zyklotropie und keine Protrusio bulbi.
Operationstechnik
a ●
Nach radiären Bindehautschnitten in beiden oberen und unteren Quadranten wird der M. rectus lateralis freigelegt, bis in die Tenon-Pforte geteilt und desinseriert. Die obere Hälfte wird unter dem M. rectus superior und unter der Sehne des M. obliquus superior durchgezogen und im oberen, nasalen Quadranten neben der Vortexvene skleral fixiert. Die untere Hälfte des M. rectus lateralis wird in entsprechender Weise auf der bulbären Seite des M. obliquus inferior und des M. rectus inferior hindurchgeführt und im unteren, nasalen Quadranten neben der Vortexvene skleral fixiert. Die verlagerten M.-rectus-lateralis-Hälften ziehen postoperativ noch durch ihre Tenon-Pforte, an der sie hypomochlionartig zu der nasalen Insertion umgelenkt werden. Diese Zugrichtung erfordert Anpassungen der passiven orbitalen Gewebe und kann Irritationen der Vortexvenen bewirken.
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Okulomotoriusparesen gehen oft mit einer gleichzeitigen Trochlearisparese einher, so dass beide Rotatoren ausgefallen sind. Bei fehlender Inzyklotropie ist eine gleichzeitige Trochlearisparese wahrscheinlich.
5.4 Paretisches Schielen
Abb. 5.32 Obliquus-superior-Sehnen-Splitting (OSS) bei Okulomotoriusparese (Parese aller N III-innervierten Augenmuskeln ohne Trochlearisparese). Teilung der prätrochlearen Sehne und Verlagerung. a Ansicht von vorn. b Sehne des M. obliquus superior vor der Operation. c Postoperative Lage der transponierten Sehnenhälften.
a
b
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5
c
▶ Ergebnisse der Operation. Im eigenen Krankengut konnte mit dem LS bei 22 Fällen der präoperative Schielwinkel (–25° bis –60°) um 30–40° vermindert werden (auf + 10° bis –15°), wobei in einigen Fällen ein kleines nutzbares Fusionsblickfeld erreicht wurde. Der Effekt auf den Horizontalwinkel ist erheblich, aber nicht dosierbar und musste in einigen Fällen korrigiert werden. Irritationen des Bulbus traten nicht auf oder waren reversibel [149].
Das LS bewirkt eine erhebliche Verminderung der Exotropie und kann mit einem OSS kombiniert werden, wenn keine Trochlearisparese vorliegt (▶ Abb. 5.32a–c, ▶ Abb. 5.33, ▶ Abb. 5.34a, b, ▶ Abb. 5.35a–d). Abb. 5.33 Lateralis-Splitting (LS) bei Okulomotoriusparese (Parese aller N III-innervierten Augenmuskeln, auch mit Trochlearisparese). Teilung des M. rectus lateralis und Verlagerung der Transponate in den medial-oberen und den medial-unteren Quadranten (Ansicht von hinten).
427
Augenmuskeloperationen
b Abb. 5.34 Patientin mit linksseitiger Okulomotoriusparese vor und nach Lateralis-Splitting. a Motilität des linken Auges nach oben und unten ist erheblich eingeschränkt. Im Rechtsblick nur geringe Adduktionsfähigkeit des linken Auges. b Zustand nach Lateralis-Splitting am linken Auge (1. postoperativer Tag).
Merke
H ●
Das Lateralis-Splitting ist eine Operation an nur einem Augenmuskel und nur mit einem geringen Ischämierisiko verbunden. Der Eingriff ist nur indiziert, wenn andere Methoden keinen Erfolg versprechen.
Einerseits erfordert die komplette Okulomotoriusparalyse die größten und kompliziertesten Operationen und weist die schlechteste funktionelle Prognose auf, vor allem dann, wenn eine Ptosis besteht. Andererseits ist der Operationswunsch dieser Patienten oft sehr groß. Gerade bei diesen Eingriffen ist die Wahrscheinlichkeit einer Funktionsverbesserung und einer Schielwinkelverkleinerung gegenüber dem operativen Aufwand abzuwägen.
428
Bei Paresen einzelner Augenmuskeln oder bei inkompletten Okulomotoriusparesen mit günstiger Kombination einzelner Paresen sind gute Ergebnisse erreichbar. Bei Okulomotoriusparalyse sind die langfristigen Ergebnisse der konventionellen Augenmuskelchirurgie unbefriedigend, nach Transpositionschirurgie sind sie meist beschränkt auf eine erhebliche Schielwinkelverminderung.
Merke
H ●
Bei Okulomotoriusparesen kann operativ meist ein diplopiefreies Gebrauchsblickfeld erreicht werden. Bei Okulomotoriusparalysen ist eine erhebliche Schielwinkelreduktion erreichbar, aber nur selten ein brauchbares Fusionsblickfeld.
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a
5.4 Paretisches Schielen
a
5 b
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c
d
Abb. 5.35 Patientin mit linksseitiger Okulomotoriusparese vor und nach Lateralis-Splitting. a Motilität des linken Auges ist nach oben und unten erheblich eingeschränkt. Im Rechtsblick nur geringe Adduktionsfähigkeit des linken Auges. b Zustand nach Lateralis-Splitting am linken Auge (1. postoperativer Tag). c Nach 3 Monaten besteht im Geradeausblick kein Horizontalschielwinkel, aber eine geringe Hypotropie und eine mäßige Ptosis des linken Auges. Deswegen wird eine weitere Operation geplant. d Zustand am 2. Tag nach Rücklagerung des M. rectus superior (8 mm) am rechten Auge zur Verkleinerung der Vertikaldeviation und Erweiterung der linken Lidspalte.
5.4.5 Operation bei Trochlearisparese Die Operationsindikation bei Trochlearisparese erfordert vor allem den differenzialdiagnostischen Ausschluss des wesentlich häufigeren dekompensierten Strabismus sursoadductorius (▶ Tab. 5.7, siehe Kap. 2.3).
Merke
H ●
Der differenzialdiagnostische Ausschluss eines dekompensierten Strabismus sursoadductorius ist erforderlich, weil ● die Trochlearisparese weiterer neurologischer Abklärung bedarf. ● bei Trochlearisparese wegen einer möglichen Spontanremission mit der Operation abgewartet werden muss. Es ist empfehlenswert, sich alte Fotos (Führerschein) vorlegen zu lassen, auf denen bei dekompensiertem Strabismus sursoadductorius die Kopfzwangshaltung meist schon sichtbar ist.
429
Augenmuskeloperationen Tab. 5.7 Differenzialdiagnose Trochlearisparese – dekompensierter Strabismus sursoadductorius. Kriterien
Trochlearisparese
Beschwerden
plötzlicher Beginn
über Jahre zunehmend
Kopfhaltung
Neigung zur gesunden Seite, oft mit Kopfsenkung, bewusst
Neigung zur gesunden Seite, abends zunehmend, unbewusst
Größte Vertikaldeviation
in Adduktion, bei Abblick größer
in Adduktion, bei Abblick und Aufblick etwa gleich groß
Fusionsblickfeld
größer in Elevation
größer in Abduktion
Vertikale Fusion
in der Regel bei frischer Parese gering
in der Regel groß
Zyklodeviation (subjektive Messung über Diplopie/Konfusion)
etwa so groß wie die größte Vertikaldeviation, nach diagnostischer Okklusion unverändert
in der Regel kleiner als die größte Vertikaldeviation, nach diagnostischer Okklusion oft vergrößert
Zyklodeviation (objektive Messung, z. B. Perimetrie/Funduskopie)
etwa so groß wie subjektiv gemessene Zyklodeviation
oft größer als subjektiv gemessene Zyklodeviation
Subjektive Horizontale
bei frischen Paresen der Zyklodeviation entsprechend geneigt
nicht geneigt
Merke
H ●
Die beidseitige Trochlearisparese wird häufig übersehen, weil eine deutliche Vertikaldeviation fehlt. Fehlende Diplopie bei Prüfung mit einem Fixierlicht schließt eine beidseitige Trochlearisparese nicht aus!
Die beidseitige Trochlearisparese zeigt in keiner Blickrichtung sichtbare, große Schielwinkel, weil die Senkungseinschränkungen des rechten und linken Auges sich teilweise aufheben. Bei einer beidseitigen Trochlearisparese resultieren oft maximale Vertikalschielwinkel von 5°, die bei der oberflächlichen Prüfung der Führungsbewegungen übersehen werden können. Auch bei der üblichen Prüfung mit Abdecktest oder Bagolini-Streifenglas an einem Maddox-Licht wird die Störung nicht erkannt, weil das runde Fixierlicht keine verrollte Diplopie auslöst (▶ Abb. 3.64). Leitsymptome der beidseitigen Trochlearisparese sind die Diplopie ohne großen Vertikalschielwinkel und das kleine Fusionsblickfeld im Aufblick, so dass eine typische Kopfzwangshaltung (Kopfsenkung) besteht. Eine beidseitige Trochlearisparese ist wahrscheinlich, wenn ● es im Seitblick zu einem Vorzeichenwechsel der Vertikaldeviation kommt, ● die Zyklotropie wesentlich größer ist als die Vertikaldeviation,
430
● ●
die Zyklotropie 15–20° übersteigt oder ein V-Symptom von mehr als 10° vorliegt [137], [160], [161], [163].
Die Zyklotropie bei einseitiger Trochlearisparese überschreitet selten 15°, ist bei beidseitiger Trochlearisparese aber meist deutlich größer.
Merke
H ●
Eine beidseitige Trochlearisparese ist wahrscheinlich, wenn ● verrollte Diplopie ohne äußerlich auffälligen Schielwinkel vorliegt. ● Fusion nur bei Aufblick erreichbar ist. ● die Zyklodeviation > 15–20° beträgt. ● im Seitblick ein Vorzeichenwechsel der Vertikaldeviation vorhanden ist.
Die Abgrenzung einer Paralyse von einer Parese der schrägen Augenmuskeln ist schwierig. Das monokulare Blickfeld ist kaum eingeschränkt, weil die geraden Vertikalmotoren wesentlichen Anteil an Elevation und Depression auch in Adduktion haben (Kap. 1.1). Übersteigen die Vertikaldeviation in Adduktion oder die Zyklodeviation 20°, ist eine Paralyse möglich. Zyklotropien von > 30° sind vermutlich beidseitige Paralysen. Bei Paralysen kann der Effekt der Sehnenverkürzung nicht groß sein, so dass Unterkorrektionen häufig sind.
Operationsindikation Operationsziel ist neben der Verbesserung der auffälligen Vertikaldeviation vor allem die Verminderung der Zyklotropie mit entsprechender Kopfzwangshaltung. Die Diag-
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Der Bielschowsky-Kopfneige-Test beweist die Trochlearisparese nur, wenn die Vertikaldeviation in Kopfhebung wesentlich größer ist als in Kopfsenkung [160]. Beweisend für die Trochlearisparese ist die paresetypische Inkomitanz, vor allem in Adduktion des betroffenen Auges (▶ Abb. 3.63).
Dekompensierter Strabismus sursoadductorius
5.4 Paretisches Schielen
Merke
H ●
Methode der Wahl bei Trochlearisparese ist die Rücklagerung des M. obliquus inferior mit oder ohne Faltung des M. obliquus superior. Operationen nach dem Prinzip der Gegenparese (Rücklagerung oder Myopexie am kontralateralen M. rectus inferior) sind als Ersteingriff nicht zu empfehlen, weil sie die Zyklotropie und die dadurch verursachte Kopfneigung wenig beeinflussen.
Die Verkürzung der Sehne des M. obliquus superior und die Rücklagerung des M. obliquus inferior sind bezüglich ihrer Effektivität hinsichtlich der Vertikaldeviation (0,8– 1,0°/mm) gleichwertig. Die Rücklagerung des M. obliquus inferior ist jedoch dauerhafter und bewirkt kein „postoperatives Brown-Syndrom“. Die kombinierte Obliquus-Operation (Vorlagerung/ Faltung des M. obliquus superior mit gleichzeitiger Rücklagerung des M. obliquus inferior) ist effektiver und bewirkt eine Reduktion der Vertikaldeviation in Adduktion von etwa 1,5–2°/mm Gesamtoperationsstrecke [142], [159], [160], [161], [163]. Die kombinierte Operation an den schrägen Augenmuskeln erlaubt geringere Verkürzungen der Sehne des M. obliquus superior und vermindert die Gefahr eines „postoperativen Brown-Syndroms“.
Merke
H ●
Um ein „postoperatives Brown-Syndrom“ (siehe Kap. 4.1) zu vermeiden, sollten Verkürzungen der Sehne des M. obliquus superior um mehr als 10 mm (d. h. Faltungen um > 2 × 5 mm) vermieden werden.
0
Rücklagerung oder Vorlagerung bedeutet immer Verlagerung in Muskelzugrichtung, nicht Änderung des Limbusabstands.
Reine Vorderrandchirurgie zur Verbesserung einer Zyklodeviation zeigt eine geringere Reduktion der Vertikaldeviation. Reine Vorderrandchirurgie mit Ansatzverlagerung [111] wird bei beidseitigen Trochlearisparesen eingesetzt, um den am meisten störenden Fehler, die Zyklotropie, zu vermindern [7], [24], [111], [269]. Dabei wird ein V-Symptom in Kauf genommen mit Esotropie im Abblick, die dann eine Rücklagerung des M. rectus medialis erfordern kann. Bei einseitiger Trochlearisparese und einer Vertikaldeviation bis maximal 10–12° (in Adduktion von 25°) sollte eine Rücklagerung des M. obliquus inferior (oder eine Faltung der M.-obliquus-superior-Sehne) durchgeführt werden. Bei einer Vertikaldeviation von mehr als 12° ist eine kombinierte Obliquus-Operation (Rücklagerung des M. obliquus inferior und gleichzeitige Faltung der Sehne des M. obliquus superior) vorzuziehen (▶ Abb. 5.5a, b). Bei beidseitiger Trochlearisparese sollte auch die Operation primär beidseits durchgeführt werden. Die Operationsdosierung wird an dem Ausmaß von Zyklotropie und V-Symptom ausgerichtet. Bei einer Vertikaldeviation bis zu 6° (in Adduktion von 25°), einer Zyklotropie bis zu 16° und einem V-Symptom bis zu 12° genügt die beidseitige Rücklagerung des M. obliquus inferior (oder Faltung der M.-obliquus-superior-Sehne), wobei die gesamte Operationsstrecke an beiden Augen mit 1 mm/Grad für die Zyklotropie bemessen wird. Bei größeren Schielwinkeln sind beidseitige kombinierte Eingriffe an den schrägen Augenmuskeln erforderlich. Die geringe Vertikaldeviation bei einer beidseitigen Trochlearisparese ist kein Grund, auf hohe Dosierungen, die an der Zyklotropie ausgerichtet sind, zu verzichten. Die Vertikaldeviation entsteht aus der Differenz der beidseitigen Senkerdefizite, die Zyklotropie und das V-Symptom dagegen aus der Summe (Kap. 1.1). Bei einer hochdosierten beidseitigen Operation wird auch die resultierende Vertikaldeviation nur die Differenz der beidseitigen Operationseffekte widerspiegeln. Die Operationswirkung ist das Negativ der paresebedingten Schielwinkel. Deshalb ist auch die Gefahr einer Überkorrektion im Geradeausblick gering, wenn eine große Vertikaldeviation in Adduktion und eine kleine in Primärposition bestehen. Bei beidseitigen Trochlearisparesen mit kleinem VSymptom, aber deutlicher Zyklotropie kann eine beidseitige Operation am Vorderrand der Sehne des M. obliquus superior ausreichen, wobei die vordere Hälfte der Sehne in Muskelzugrichtung vorgelagert und zum Limbus verlagert wird [270]. Bei Diskrepanzen zwischen Zyklotropie und Vertikaldeviation kann der Limbusabstand des neuen Ansatzes verändert werden. Eine ähnliche Wirkung zeigt die ausschließliche Operation an Vorderrand oder Hinterrand. Bei kombinierter Chirurgie am Vorderrand beider Mm. obliqui (▶ Abb. 5.15a–e) sollte mit einer Reduktion von 1° Zyklotropie/mm Gesamtoperationsstrecke am Vorderrand gerechnet werden.
5
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nose erfordert einen möglichst genauen Aufschluss über das Defizit der einzelnen Teilkomponenten (Zyklo-, Vertikal-, Horizontaldeviation). Eine diagnostische Okklusion (1–2 Tage) ist empfehlenswert zur Abgrenzung des dekompensierten Strabismus sursoadductorius. Die Literatur enthält zahlreiche Vorschläge zur operativen Behandlung der Trochlearisparese [1], [7], [24], [29], [34], [41], [70], [72], [97], [99], [135], [137], [155], [159], [160], [161], [163], [260], [269], [270] und zur chirurgischen Behandlung der Trochlealäsion [45]. Die operative Veränderung der Stellung des paretischen Auges wird durchgeführt als Vorlagerung9 bzw. Faltung des M. obliquus superior oder als Rücklagerung des M. obliquus inferior (▶ Abb. 5.5a, b). Diese Operationsmethoden verbessern Zyklodeviation und Vertikaldeviation und sind deshalb Eingriffen an den geraden Vertikalmotoren vorzuziehen.
431
Augenmuskeloperationen
5.5 Nystagmus H. Kaufmann, H. Steffen Nystagmus kann mit und ohne Strabismus auftreten (Kap. 4.3). Nystagmus bei Strabismus ist meist Teil des frühkindlichen Innenschielens (Kap. 2.3.3) und imponiert als Latenstyp-Nystagmus. Die bei frühkindlichem Innenschielen notwendigen Operationen verbessern nicht nur Esotropie und Konvergenzexzess, sondern auch den Latenstyp-Nystagmus. Nystagmus ohne Strabismus (Nystagmus mit Binokularsehen) tritt entweder auf ohne Kompensations- bzw. Blockierungsmechanismen (z. B. okulärer Pendelnystagmus) oder mit Kompensations- bzw. Blockierungsmechanismen (z. B. kongenitaler Fixationsnystagmus). In beiden Fällen dient die Operation primär der Verminderung des Nystagmus und der durch den Nystagmus bewirkten Kopfzwangshaltung und Funktionsminderung. Diese Nystagmusformen können mit der üblichen Wahrscheinlichkeit von ca. 5 % eine zusätzliche Schielerkrankung aufweisen. In diesen Fällen wird eine Operation nicht nur wegen des Nystagmus und seiner Folgen, sondern auch wegen des Strabismus notwendig sein.
5.5.1 Wirkungsweise verschiedener Operationsverfahren Augenmuskeloperationen bei Nystagmus lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. In einer ersten Gruppe kann man die Eingriffe zusammenfassen, die rein mechanisch die Muskelwirkung so vermindern, dass die gegebene Innervation eine kleinere Amplitude des Nystagmus bewirkt. Amplitudenverminderung ist bei einem horizontalen Pendelnystagmus erreichbar durch ausgedehnte Rücklagerung aller Horizontalmotoren [17] oder – wirkungsvoller – durch Myopexie. Rücklagerung (oder gar Tenotomie) eines Augenmuskelpaars kann eine Protrusio bulbi erzeugen [17], den eine Myopexie vermeidet. Myopexien an allen Horizontalmotoren sind sicher der wirksamste Eingriff, erfordern aber Myopexien am M. rectus lateralis von > 15 mm (Skleranähte in Makulanähe!). Sie sollten nur unter strenger Indikationsstellung durchgeführt werden.
432
Einige Patienten nehmen eine extreme Kopfzwangshaltung ein, weil der Nystagmus am Rand des monokularen Blickfelds aus rein mechanischen Gründen vermindert ist. Operationen mit dem Ziel, den Rand des monokularen Blickfelds in die Primärstellung zu verschieben, müssen sehr hoch dosiert werden und bewirken de facto eine artifizielle Blicklähmung. Dosierung und Gefahren ähneln den Operationen zur Amplitudenverminderung.
Merke
H ●
Eine Nystagmusberuhigung am Rand des monokularen Blickfelds darf nicht mit einer Neutralzone verwechselt werden.
Operationen zur Amplitudenverminderung können funktionelle Verbesserungen bewirken [211], [215]. Die Patienten geben an, postoperativ „ruhiger“ oder „angenehmer“ zu sehen. Eine deutliche Verbesserung des Sehvermögens sollte aber nicht erwartet werden [260].
Zusammenfassung
M ●
Operationsverfahren bei Nystagmus: ● Operationen zur mechanischen Verminderung des Nystagmus (Verminderung der Nystagmusamplitude) → Rücklagerung, Myopexie, Botulinumtoxin-Injektion (?) ● Operationen, die einen vorhandenen Kompensationsmechanismus verstärken: ○ Operation nach Kestenbaum (zur Parallelverschiebung) ○ Operation nach Cüppers (zur Erzeugung einer artifiziellen Divergenz)
Verstärkung vorhandener Blockierungsmechanismen und ihre bessere Nutzung ist das Operationsziel bei einer anderen Patientengruppe. Diese Nystagmuspatienten nehmen spontan oder bei erhöhter Visusforderung eine Kopfzwangshaltung ein, die mit einer Nystagmusberuhigung einhergeht oder zeigen bei Nahblick mit entsprechender Konvergenz einen geringeren Nystagmus als bei Fernblick. Diese verschiedenen Verhaltensweisen sind seit Langem bekannt [17], [26], [36], [37], [76], [86], [202] und haben zu unterschiedlichen Behandlungskonzepten geführt [74], [93], [96], [132], [151], [171], [173], [194], [212], [260].
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Verbleibt nach der ersten Operation eine große Vertikaldeviation ohne Zyklotropie, ist eine Zweitoperation an den geraden Vertikalmotoren des nichtparetischen Auges nach dem Prinzip der Gegenparese sinnvoll. Die Ergebnisse der operativen Behandlung der einund beidseitigen Trochlearisparese bezüglich eines ausreichenden Fusionsblickfelds mit diplopiefreiem Gebrauchsblickfeld sind gut. Die Schielwinkelreduktionen bei Paralysen sind geringer und vor allem weniger dauerhaft.
M ●
Blockierungsmechanismen zur Nystagmusberuhigung: ● Neutralzone: In einer bestimmten Blickrichtung ist der Nystagmus beruhigt, außerhalb dieser Blickrichtung schlägt der Nystagmus von der Neutralzone weg. Ist diese Blickrichtung nicht der Geradeausblick, wird zur Nystagmusberuhigung eine Kopfzwangshaltung eingenommen. ● Konvergenzinnervation: Bei Konvergenzinnervation (Nahblick) wird der Nystagmus beruhigt.
Für die Fälle, bei denen eine Nystagmusberuhigung in Kopfzwangshaltung besteht (lateralisierte Neutralzone, „ruhige Zone“), empfahl Kestenbaum [151] eine Parallelverschiebung mit Rücklagerung der Muskeln, die in Kopfzwangshaltung kontrahiert sind, und eine Resektion der Muskeln, die in dieser Blickrichtung gedehnt sind (▶ Abb. 5.36a–c). Ziel dieser Umlagerung beider Augen ist, postoperativ in Primärstellung dieselben Innervationsverhältnisse herzustellen, die präoperativ in der Kopfzwangshaltung vorliegen. Es handelt sich also um eine Verschiebung der Neutralzone in den Geradeausblick. Auf ähnlichen Überlegungen beruht das Operationskonzept von Anderson [8], der sich auf die Rücklagerung der in Kopfzwangshaltung innervierten Augenmuskeln beschränkt. Goto [88] schlug vor, nur die in Kopfzwangshaltung gedehnten Augenmuskeln zu verkürzen. Beide Verfahren sind weniger effektiv als das Operationsprinzip von Kestenbaum, das die hohe Wirksamkeit der kombinierten Augenmuskeloperation ausnutzt. Sie erfordern wesentlich größere Operationsstrecken und bewirken deutlichere Veränderungen der Augenbeweglichkeit. Weil weniger Muskeln operiert werden müssen, wird das Verfahren von Anderson aber weiter verwendet [100], [101]. Das Operationskonzept der Parallelverschiebung von Kestenbaum kann angewendet werden sowohl bei Kopfdrehungen mit einer lateralisierten Neutralzone als auch bei Kopfhebungen oder -senkungen, bei denen die Neutralzone in Elevation oder Depression deutlich wird. Ähnliches gilt, wenn eine Kopfneigung besteht und in dieser Kopfzwangshaltung relative Nystagmusruhe nachweisbar ist. Fast immer ist der Nystagmus horizontalschlägig, nur ausnahmsweise besteht eine Übereinstimmung zwischen der Richtung der Kopfzwangshaltung und der Schlagrichtung des Nystagmus. Nimmt ein bei Fernblick deutlicher Nystagmus bei Nahblick erheblich ab, besteht offenbar eine Nystagmusberuhigung durch Konvergenz. Das Operationskonzept der artifiziellen Divergenz von Cüppers [36], [37], [277] verfolgt das Ziel, den Mechanismus der Nystagmusblockierung durch proximale Konvergenz auch auf den Fernblick auszudehnen (▶ Abb. 5.37a–c). Der ursprüngliche Operationsvorschlag einer Rücklagerung beider Mm. recti
+
+
a
5 b
+
+
c
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Zusammenfassung
5.5 Nystagmus
Abb. 5.36 Operationsprinzipien bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung. Parallelverschiebung nach Kestenbaum. a Präoperativ werden die Augen bei maximaler Nystagmusruhe nach rechts gewendet und der Kopf nach links gedreht. In dieser Kopfzwangshaltung werden der linke M. rectus medialis und der rechte M. rectus lateralis innerviert. b Mittels einer beidseitigen kombinierten Augenmuskeloperation (Rücklagerung des linken M. rectus medialis und des rechten M. rectus lateralis und Resektion des linken M. rectus lateralis und des rechten M. rectus medialis) werden beide Augen in Linkswendung gestellt. c Der linke M. rectus medialis und der rechte M. rectus lateralis werden innerviert, um die Augen in die Primärposition zu bewegen. Diese Innervation bestand präoperativ in der Kopfzwangshaltung und ging einher mit maximaler Nystagmusruhe. Dieselbe Innervation besteht nun im Geradeausblick und macht eine Kopfzwangshaltung überflüssig. Das mit der Nystagmusruhe einhergehende Innervationsschema wurde in eine andere Blickrichtung verschoben.
mediales (▶ Abb. 5.38a–c) wurde bald zugunsten einer kombinierten Operation verlassen [212]. Der Begriff artifizielle Divergenz ist üblich, obwohl eine postoperative Divergenzstellung nicht angestrebt wird. Vielmehr wird operativ eine Exophorie erzeugt, die zum Erhalt des Binokularsehens Konvergenzinnervation erfordert. Angestrebt wird also eine artifizielle Exophorie, die meist postoperativ geringer wird oder verschwindet.
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Augenmuskeloperationen
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+
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a
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b
+ c
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+
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c
Abb. 5.37 Operationsprinzipien bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung. Artifizielle Divergenz nach Cüppers zur Verstärkung der Innervation zu fusionaler Konvergenz. a Präoperativ werden die Augen bei maximaler Nystagmusruhe nach rechts gewendet und der Kopf nach links gedreht. In dieser Kopfzwangshaltung werden der linke M. rectus medialis und der rechte M. rectus lateralis innerviert. b Mittels einer linksseitigen kombinierten Augenmuskeloperation (Rücklagerung des linken M. rectus medialis und Resektion des linken M. rectus lateralis) wird das linke Auge in Abduktion gestellt. c Der linke M. rectus medialis wird innerviert, um Fusion zu ermöglichen. Diese Innervation bestand präoperativ in der Kopfzwangshaltung (bzw. bei Prismenbelastung mit Prismen temporaler Basis) und ging einher mit maximaler Nystagmusruhe. Dieselbe Innervation besteht nun im Geradeausblick und macht eine Kopfzwangshaltung überflüssig. Die mit der Nystagmusruhe einhergehende Innervation zu fusionaler Konvergenz wurde erhöht und wird jetzt auch im Fernblick benötigt.
Abb. 5.38 Operationsprinzipien bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung. Artifizielle Divergenz nach Cüppers zur Verstärkung der Innervation zu proximaler Konvergenz. a Präoperativ besteht bei Nahblick maximale Nystagmusruhe, wenn der linke und der rechte M. rectus medialis innerviert werden. b Mittels einer beidseitigen Rücklagerung des M. rectus medialis werden beide Augen in Abduktion gestellt. c Der rechte und der linke M. rectus medialis werden innerviert, um die Augen in die Primärposition zu bewegen. Diese Innervation bestand präoperativ nur bei Nahblick und ging einher mit maximaler Nystagmusruhe. Diese Innervation ist postoperativ im Nahblick wesentlich verstärkt und besteht nun auch bei Fernblick. Die mit der Nystagmusruhe einhergehende Innervation zu proximaler Konvergenz wurde erhöht und wird jetzt auch bei Fernblick benötigt.
Wahrscheinlich führt nicht nur proximale Konvergenz zur Nystagmusberuhigung, sondern auch fusionale Konvergenz [132], [174]. Oft besteht bei Fernblick eine Kopfzwangshaltung mit lateralisierter Neutralzone und eine Nystagmusberuhigung bei Nahblick. Bei diesen Patienten bewirkt Prismenbelastung mit Prismen temporaler Basis eine Nystagmusberuhigung mit Verringerung der Kopf-
zwangshaltung [202]. Auch bei dieser Patientengruppe verbessert die Operation der artifiziellen Divergenz (▶ Abb. 5.37a–c) Kopfzwangshaltung und Sehvermögen [93], [96], [132], [212].
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+
5.5 Nystagmus
5.5.2 Operationsindikation bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung
Bei jedem Nystagmus muss geklärt werden: ● Besteht eine Kopfzwangshaltung? ● Ist der Visus besser in Kopfzwangshaltung? ● Ist der Nahvisus besser als der Fernvisus?
Wenn bei Fixationswechsel (alternierender Okklusion) auch die Richtung der Kopfzwangshaltung wechselt und jeweils die Fixation in Adduktion angestrebt wird, ist das Operationskonzept der artifiziellen Divergenz empfehlenswert.
H ●
Die Operationsindikation bei nystagmusbedingter Kopfzwangshaltung erfordert die Abklärung der Frage, ob irgendein Blockierungsmechanismus nachweisbar ist: ● Wenn der Nystagmus bei Nahblick vermindert oder die Sehschärfe bei Nahblick verbessert ist, sollte dieser Blockierungsmechanismus überprüft werden. Diese Patienten bevorzugen bei wechselseitiger Okklusion (also bei monokularer Sehweise) die Adduktion des fixierenden Auges. Die binokulare Kopfzwangshaltung bleibt bestehen, wenn das in binokularer Kopfzwangshaltung abduzierte Auge okkludiert wird. Die Richtung der Kopfzwangshaltung kehrt sich aber um, wenn das in binokularer Kopfzwangshaltung adduzierte Auge okkludiert wird, so dass das vorher abduzierte Auge nun adduziert wird (▶ Abb. 5.39a–c). Der Wechsel der Kopfzwangshaltung nach Okklusionswechsel kann um Stunden verzögert sein. Er darf nicht mit einem Nystagmus alternans verwechselt werden. Beim Prismenaufbau werden Prismen (temporaler Basis) in ansteigender Stärke vor dem Auge appliziert, vor dem der Patient sie als angenehmer empfindet. Wenn die Nystagmusberuhigung bei Nahblick mit einer Kopfzwangshaltung bei Fernblick einhergeht, wird das Prisma vor dem Auge appliziert, das in der Kopfzwangshaltung adduziert ist. Ziel des Prismenaufbaus ist, das stärkste Prisma zu finden, das ohne gleichzeitige Akkommodation fusioniert werden kann. Das Ausmaß der mittels Abdecktest messbaren „artifiziellen Exophorie“ unterschreitet meist den vorgegebenen Prismenbetrag. Wird ein Anstieg der Sehschärfe bzw. eine Verminderung der Kopfzwangshaltung erreicht, ist eine Operation nach dem Prinzip der artifiziellen Divergenz empfehlenswert. Die Operation ist eine kombinierte Konvergenzoperation, wobei die Dosierung sich nach dem Prismenbetrag richtet. Sie wird durchgeführt an dem Auge, das unter binokularen Bedingungen adduziert wird oder vor dem das Prisma besser toleriert wurde.
H ●
●
Wenn der Nystagmus nur durch eine Kopfdrehungszwangshaltung beruhigt wird – eine Verringerung der Kopfzwangshaltung oder eine Verbesserung der Sehschärfe bei Nahblick also ausbleibt – sollte ein Versuch mit Prismen durchgeführt werden, die mit homonymer Basis so vor beiden Augen angebracht werden, dass die Basis zur Seite der Kopfzwangshaltung weist. In der Regel zeigen diese Patienten monokular (bei Rechts- und bei Linksführung) und binokular dieselbe Kopfzwangshaltung (▶ Abb. 5.39d–f). Ist durch die Prismen eine Nystagmusberuhigung ohne Kopfzwangshaltung erreichbar und empfindet der Patient die Prismen als angenehm, ist eine Operation nach dem Prinzip der Parallelverschiebung indiziert. Bei einer Parallelverschiebung wird an dem in Kopfzwangshaltung adduzierten Auge eine kombinierte Konvergenzoperation, an dem in Kopfzwangshaltung abduzierten Auge eine kombinierte Divergenzoperation durchgeführt. Die Dosierung richtet sich nach dem Ausmaß der Kopfzwangshaltung (während erhöhter Visusforderung), wobei an allen Muskeln etwa gleiche Strecken operiert werden und die Gesamtoperationsstrecke in mm mindestens dem Ausmaß der Kopfzwangshaltung in Grad entspricht (d. h. bei einer Kopfzwangshaltung von 20° mindestens 5/5/5/5 mm). Diese Dosierung bewirkt im Durchschnitt der Fälle eine mäßige Unterkorrektion der Kopfzwangshaltung bei Fernblick. Ein völliger Ausgleich der Kopfzwangshaltung erfordert eine Erhöhung der Dosierung um ca. ⅓ [93], [95], [96], kann aber eine Überkorrektion bei Nahblick bewirken. Der Operationseffekt an den rückgelagerten Muskeln kann durch Myopexien verstärkt werden. Die Festlegung der Operationsstrecke nach der kompensierenden Prismenstärke birgt Fehler vor allem bei hoher Ametropie wegen des schrägen Durchblicks durch die Brillengläser. Eine Untersuchung ohne Brille, eine Messung der Kopfzwangshaltung mit Kontaktlinsen oder die Bestimmung der Neutralzone am Synoptometer kann hilfreich sein.
Merke
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Merke
Merke
H ●
Wenn monokular (bei Rechts- und bei Linksführung) und binokular dieselbe Kopfzwangshaltung besteht, ist eine Operation nach dem Prinzip der Parallelverschiebung indiziert.
435
Augenmuskeloperationen
binokular
a
d
monokular
e monokular
c
f
Abb. 5.39 Differenzialdiagnose der nystagmusbedingten Kopfzwangshaltung zur Festlegung des Operationsprinzips. Links: Indikation zur Cüppers-Operation (Artifizielle Divergenz) a Es besteht eine Kopflinksdrehung mit maximaler Nystagmusberuhigung bei Rechtswendung der Augen. b Bei Abdeckung des rechten Auges bleibt die Kopflinksdrehung bestehen. Das linke Auge verbleibt in Adduktion. c Bei Abdeckung des linken Auges wechselt die Kopfzwangshaltung in eine Kopfrechtsdrehung. Das rechte Auge geht in Adduktionsstellung. Sowohl bei Okklusion des rechten als auch bei Okklusion des linken Auges besteht maximale Nystagmusberuhigung, jeweils bei Innervation zur Adduktion des führenden Auges. Rechts: Indikation zur Kestenbaum-Operation (Parallelverschiebung) d Es besteht eine Kopflinksdrehung mit maximaler Nystagmusberuhigung bei Rechtswendung der Augen. e Bei Abdeckung des rechten Auges bleibt die Kopflinksdrehung bestehen. f Bei Abdeckung des linken Auges bleibt die Kopflinksdrehung bestehen. Sowohl bei Okklusion des rechten als auch bei Okklusion des linken Auges besteht maximale Nystagmusberuhigung bei Innervation zur Rechtswendung der Augen.
436
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b
5.5 Nystagmus
●
Wenn Kopfzwangshaltung und Sehschärfe durch Parallelprismen verbessert werden, kann trotzdem das Prinzip der artifiziellen Divergenz zusätzlichen Gewinn versprechen, so dass beide Blockierungsmechanismen genutzt werden. Es ist deshalb empfehlenswert, den Prismenbetrag vor dem adduzierten Auge (also der Prismen temporaler Basis) probeweise zu erhöhen oder den Prismenbetrag vor dem abduzierten Auge (also der Prismen nasaler Basis) zu vermindern. Gelingt das, wird die Dosierung der Eingriffe entsprechend modifiziert. In diesen Fällen wird also die Konvergenzoperation am adduzierten Auge höher dosiert als die Divergenzoperation am abduzierten Auge. Wenn keine eindeutige Zuordnung eines Blockierungsmechanismus möglich ist, sollte immer das Prinzip der artifiziellen Divergenz mit Prismen auf seine Wirkung geprüft werden. Die entsprechende Operation ist der kleinere Eingriff und kann jederzeit durch einen zweiten Eingriff zu einer Parallelverschiebung erweitert werden.
Merke
H ●
Das Operationsprinzip der artifiziellen Divergenz ist im Zweifelsfall vorzuziehen, ● weil der operative Eingriff kleiner ist und zur Umlagerung erweitert werden kann. ● weil das Prinzip im gesamten Blickbereich wirkt und nicht nur in der Neutralzone.
Der alternierende Nystagmus (periodische Änderung der Kopfzwangshaltungsrichtung mit Änderung der Schlagrichtung des Nystagmus) erfordert besondere Vorsicht bei der Operationsindikation. Eine Beobachtung des Nystagmus während 20–30 Minuten ist unumgänglich. Wenn die Beschwerden durch Prismenvorgabe nach dem Prinzip der artifiziellen Divergenz gemindert werden, ist eine entsprechende Operation empfehlenswert. Eine Parallelverschiebung kann nur eine Richtung der Kopfzwangshaltung verbessern, während die andere ungünstig beeinflusst wird. Bei unsymmetrischer Ausprägung (d. h. bei zeitlichem Überwiegen einer Kopfdrehungsrichtung) kann trotzdem eine entsprechende Operation sinnvoll sein [201], weil der Patient eine brauchbare Zeitspanne relativer Nystagmusruhe ohne Kopfzwangshaltung gewinnt. Die Operationsindikation ist schwierig, und man wird im Zweifel auf eine Operation verzichten.
Vorsicht
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Nystagmus und Albinismus Diese Patienten zeigen zuweilen eine geringe Adaptationsfähigkeit bei Lokalisationsstörungen, die möglicherweise aus der pathologischen Sehnervenkreuzung resultiert. Während die Adaptation der egozentrischen Lokalisation nach Augenmuskeloperationen üblicherweise rasch einsetzt [170], bleibt sie bei diesen Patienten oft aus. Bei der Untersuchung ist nach Lokalisationsstörungen zu fahnden.
Geht eine Kopfhebungs- oder Kopfsenkungszwangshaltung mit der Beruhigung eines Nystagmus einher, werden die genannten Untersuchungen in derselben Weise durchgeführt und die Möglichkeit einer „artifiziellen Divergenzoperation“ geprüft. Das operative Konzept der Parallelverschiebung von Kestenbaum erfordert eine gleichgerichtete kombinierte Vertikaloperation an beiden Augen, deren Dosierung an dem Prismenvorsatz ausgerichtet wird, der die Kopfhebung oder -senkung ausgleicht. Komplizierter ist die Operationsindikation bei einer Kopfneigungszwangshaltung. Nicht selten bestehen eine Kopfdrehung, eine Kopfhebung oder -senkung und eine Kopfneigung. Nur selten gibt es eine Beruhigung eines rotatorischen Nystagmus in der Kopfneigungszwangshaltung. Mitunter ist ein Latenstyp-Nystagmus in der Kopfneigungszwangshaltung geringer, meist aber misslingt die Zuordnung der Kopfzwangshaltung zu einer bestimmten Nystagmusform. Darüber hinaus besteht keine Möglichkeit, den Effekt einer Operation durch Prismenvorgabe zu simulieren. Die Operationsindikation folgt hier ausschließlich der Regel von Kestenbaum, dass postoperativ dieselbe Innervation der Augenmuskeln vorliegen soll, die präoperativ in der Kopfzwangshaltung bestand [3], [37]. Die operative Behandlung erfordert gezielte Vor- und Rücklagerungen am Vorderrand und Hinterrand der schrägen Augenmuskeln, die in der Regel als kombinierte Eingriffe durchgeführt werden, wobei zusätzliche Verlagerungen in sagittaler Richtung vertikale Nebenwirkungen verhindern sollen [32], [53], [55]. Auch zirkuläre Verlagerungen der geraden Augenmuskeln wurden vorgeschlagen [55], [56] (hier ausführliche Diskussion und weiterführende Literatur). Die Ergebnisse der operativen Behandlung einer nystagmusbedingten Kopfzwangshaltung sind sowohl nach dem Prinzip der Parallelverschiebung nach Kestenbaum als auch nach dem der artifiziellen Divergenz nach Cüppers gut, wenn ein Blockierungsmechanismus nachgewiesen und bei der Operation genutzt werden kann. Es ist sehr oft möglich, das Ausmaß einer nystagmusbedingten Kopfzwangshaltung zu vermindern und damit das Sehvermögen in Kopfgeradehaltung zu verbessern. Auch wenn nach einigen Monaten eine Kopfzwangshaltung wieder zunimmt, bleibt die Verbesserung der Sehschärfe
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häufig erhalten, so dass eine zweite Operation neben der erneuten Verbesserung der Kopfzwangshaltung einen zusätzlichen Gewinn für die Sehschärfe bringt. Diese mehrstufige Funktionsverbesserung wird vor allem bei Operationen nach dem Prinzip der artifiziellen Divergenz beobachtet.
Literatur Das Literaturverzeichnis musste erheblich eingeschränkt werden und ist keine vollständige Bibliografie der Augenmuskeloperationen. Aus der Gesamtzahl hervorragender Publikationen wurde die leicht erreichbare Literatur bevorzugt. Die Publikationen des „Arbeitskreises Schielbehandlung“, die als „Wiesbaden-Berichte“ in den 60er- bis 80-Jahren des vorigen Jahrhunderts große Bedeutung hatten, sind jetzt wieder über die Bielschowsky-Gesellschaft elektronisch erreichbar. Dem interessierten Leser seien die früheren Auflagen des vorliegenden Buches empfohlen. [1] Adelstein F, Cüppers C. Zum Problem der Vertikalparesen im Rahmen der Strabismus-Therapie. Klin Monatsbl Augenheilkd 1964; 44: 555 [2] Adelstein F, Cüppers C. Probleme der operativen Schielbehandlung. Ber Dtsche Ophthalmol Ges 1969; 69: 580 [3] Adelstein F, Cüppers C. Zum Problem des okular bedingten Torticollis. In: Hamburger FA, Hollwich F, Hrsg. Augenmuskellähmungen. Stuttgart: Enke; 1977: 296 [4] Aichmair H, Freilinger G, Holle J et al. Muskuläre Neurotisation bei traumatischer Abducensparese – Ein neuer Weg der operativen Behandlung. Klin Monatsbl Augenheilkd 1975; 167: 580 [5] Akar S, Gokyigit B, Pekel G et al. Vertical Muscle Transposition augmented with lateral Fixation (Foster) Suture for Duane Syndrome and sixth Nerve Palsy. London: Eye; 2013: 1188–1195 [6] Akar S, Gokyigit B, Pekel P et al. Reply: Vertical Rectus Transposition in Duane‘s Syndrome: does Co-Contraction worsen? London: Eye; 2015: 839–840 [7] Ali AL, Boergen K-P, El Naggar AB et al. Functional prognosis in A and V patterns: a retrospective analysis of surgery on oblique muscles. German J Ophthalmol 1996; 5: 289–293 [8] Anderson JR. Causes and treatment of congenital eccentric nystagmus. Brit J Ophthalmol 1953; 37: 267 [9] Apt L, Isenberg S, Yoshimori R et al. Chemical preparation of the eye in ophthalmic surgery. III. Effect of povidone-iodine on the conjunctiva. Arch Ophthalmol 1984; 102: 728–729 [10] Aust W. Augenstellung und Funktion nach später Korrektur eines konsekutiven Schielens nach primärer Tenotomie. Klin Monatsbl Augenheilkd 1988; 193: 165–168 [11] Berger RW, Haase W. Komplikationen der operativen Strabismustherapie. Z prakt Augenheilkd 1995; 16: 300–304 [12] Berger RW, Santa Cruz J, Renken Y et al. Faltung versus Resektion gerader Augenmuskeln. Z prakt Augenheilkd 1997; 18: 289–294 [13] Bhambhwani V, Pandey PK, Sood S, Rana K. Vertical Rectus Transposition in Duane‘s Syndrome: does Co-Contraction worsen. London: Eye; 2015; 29: 839 [14] Bialasiewicz AA, Ruprecht KW, Naumann GOH. StaphylokokkenEndophthalmitis nach Schieloperation. Klin Monatsbl Augenheilkd 1990; 196: 86–88 [15] Bielschowsky A. Die Lähmungen der Augenmuskeln. Die Motilitätsstörungen der Augen. Graefe-Saemisch Handbuch der gesamten Augenheilkunde. 2. Aufl, Bd VIII Kap XI Nachtrag 1. 1907/1932
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Augenmuskeloperationen
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443
Augenmuskeloperationen
5.6 Botulinumtherapie
5.6.3 Botulinumtoxinpräparate
P. Roggenkämper
Das amerikanische Präparat „Botox“, das englische Präparat „Dysport“ und das deutsche Präparat „Xeomin“ sind in gleicher Weise für die Schielbehandlung geeignet.
Im Jahre 1817 publizierte der schwäbische Arzt und Dichter Justinus Kerner [3] Beobachtungen bei Vergiftungen durch verdorbene Würste. Er nannte das Krankheitsbild Botulismus, abgeleitet von botulus = (lat.) Wurst. Kerner beschrieb schon damals sehr präzise die Symptome, die wenige Stunden bis einige Tage nach dem Genuss verdorbener Speisen auftraten, u. a. auch die die Augen betreffenden Veränderungen: ● Abnahme der Tränensekretion ● lichtstarre, weite Pupillen ● Aufhebung der Nahakkommodation ● Ptosis ● ggf. äußere Ophthalmoplegie Viel später zeigte sich, dass das Gift von einer Bakterienart abgeschieden wird („Bazillus Botulinus“), die heute richtigerweise als „Clostridium botulinum“ bezeichnet wird (im neueren Schrifttum deshalb nicht mehr Botulinustoxin, sondern Botulinumtoxin). Schon Kerner erwähnte aufgrund der beobachteten Muskelschwächungen einen möglichen therapeutischen Nutzen des Giftes, z. B. bei motorischer Übererregbarkeit. Es dauerte aber über 150 Jahre, bis ein derartiger Gedanke aufgegriffen wurde: Der Augenarzt A. B. Scott, San Francisco, suchte Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts nach einem Stoff, mit dem er Augenmuskeln zum Zwecke des Ersatzes von Schieloperationen schwächen könnte. Eine Reihe chemischer Substanzen wurde anhand von Tierversuchen untersucht, unter denen sich als einzige Botulinumtoxin Typ A als geeignet erwies, da dieses nicht nur die gewünschte Wirkung hatte, sondern auch (weder lokal noch systemisch) zu toxisch war [16]. Die ersten Patienten mit Strabismus wurden Ende der 70er Jahre behandelt.
5.6.2 Wirkungsmechanismus von Botulinumtoxin An der cholinergen neuromuskulären Endplatte wird die Freisetzung von Acetylcholin durch Botulinumtoxin blockiert. Es kann auch die Funktion des autonomen Nervensystems beeinträchtigen, z. B. eine Verminderung der Speichelsekretion bewirken. Der Stoff muss injiziert werden und hat eine Wirksamkeit von einigen Wochen bis zu 6 Monaten (zum Teil dosisabhängig). Die Blut-HirnSchranke wird nicht passiert. Bei der Strabismusbehandlung wird die Schielwinkeländerung dadurch bewirkt, dass eine Teillähmung des Muskels erfolgt und daraufhin eine Kontraktur des Antagonisten entsteht [17].
444
H ●
Merke
Die Dosierungsempfehlungen in „Einheiten“ sind für Botox und Xeomin gleich und für Dysport unterschiedlich (▶ Abb. 5.40).
OD
OS
= 0,05 ml = 1,25 U = 0,10 ml = 2,5 U
Abb. 5.40 Subkutan zu injizierende Orte bei Konvergenzspasmus (ähnlich bei essenziellem Blepharospasmus). Die Symbole in den Kreisen geben die jeweilige Dosis in Einheiten (Units) von Botox oder Xeomin an. Bei Verwendung des Präparats Dysport sind die Zahlenwerte mit 4 zu multiplizieren.
5.6.4 Methodik und apparative Voraussetzungen Der Anwender der Injektionsbehandlung von Augenmuskeln mit Botulinumtoxin muss mit Anatomie und Physiologie der Augenmuskeln aufgrund operativer Erfahrungen bestens vertraut sein. Umfangreiche Literatur steht für die Einarbeitung zur Verfügung [5], [7], [11], [14], [18]. Voraussetzung ist eine Hospitation in einer diesbezüglich erfahrenen Abteilung. Die speziellen Injektionsnadeln und elektrischen Verbindungsschnüre zur Ableitung sind im Handel erhältlich (Firma Allergan, in Deutschland Pharm-Allergan; ▶ Abb. 5.41). Als EMG-Gerät (▶ Abb. 5.42) reicht ein spezieller batteriegetriebener Verstärker, der die Potenziale nur akustisch wiedergibt [4]. Alternativ kann ein EMGGerät, das zur Standardausrüstung einer neurologischen Klinik gehört, benutzt werden [13].
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5.6.1 Einleitung
5.6 Botulinumtherapie
Abb. 5.42 EMG-Ableitungsgerät für Augenmuskeln, batteriebetrieben.
5
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Abb. 5.41 Verschiedene Injektionssysteme. Bei dem oberen System erfolgt die elektrische Verbindung mit der Nadel durch eine Klemme, bei den beiden unteren ist die Nadel fest mit den Ableitungsschnüren verbunden.
Abb. 5.43 Injektion des M. rectus externus. Die Lider werden manuell aufgehalten.
Abb. 5.44 Botulinuminjektionsnadel für Augenmuskeln (unten im Bild). Sie ist mit Ausnahme der Spitze mit Teflon beschichtet. Oben zum Vergleich die schmälere Nadel für die EMG-Diagnostik von Augenmuskeln.
5.6.5 Technisches Vorgehen Die Injektion erfolgt im Liegen oder in halbsitzender Position des Patienten. Eine Narkose ist nur bei der Behandlung von Kindern erforderlich. Eine örtliche Betäubung der Bindehaut durch Augentropfen reicht bei Erwachsenen aus. Die Injektionsnadel wird durch die Bindehaut in den Spalt zwischen Augapfel und Tenon-Kapsel eingeführt und der gewünschte Augenmuskel angestochen (▶ Abb. 5.43). Da man den Muskel nicht sieht, hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Die Injektionsnadel dient gleichzeitig als Elektrode für die Ableitung eines Elektromyogramms (EMG). Zu diesem Zweck ist sie mit Teflon beschichtet und nur die Spitze liegt für die (punktförmige) elektrische Potenzialableitung frei (▶ Abb. 5.44). Die Gegenelektrode wird auf der Stirn des Patienten befestigt (▶ Abb. 5.45). Wie hierbei ein Augenmuskel identifiziert werden kann, lässt sich am Beispiel der in der Tiefe der Orbita nahe beieinander liegenden M. rectus medialis und M. obliquus superior leicht erkennen. Der Patient fixiert ein von einer Hilfsperson gehaltenes Objekt, mit dem Führungs-
Abb. 5.45 Injektion in den M. rectus inferior transkutan bei endokriner Orbitopathie. Die Massenelektrode wurde auf die Stirn geklebt.
445
Augenmuskeloperationen
5.6.6 Botulinumtoxin-Injektion bei Strabismus im Vergleich zur Operation Obwohl es mittlerweile ein paar unstrittige Indikationen zum Einsatz von Botulinumtoxin in der Strabologie gibt [21], sind Vor- und Nachteile gegenüber herkömmlichen Operationen nur unzureichend in Studien mit hoher Evidenz dokumentiert [15]. Gegenüber der Operation bietet der Einsatz von Botulinumtoxin Vorteile: Er ist deutlich weniger umfänglich, kann innerhalb kürzerer Zeit ambulant durchgeführt werden, verursacht geringere Kosten und geht nicht mit einer Narbenbildung einher. Diesen Vorteilen stehen folgende Nachteile gegenüber: Trotz der Möglichkeit, unterschiedliche Toxinmengen zu injizieren, ist die Dosierbarkeit schlecht. Darüber hinaus ändert sich der Schielwinkel nach einer Injektion im Verlauf von Wochen und Monaten. Die paretische Wirkung und auch die Kontraktur des Antagonisten verlieren sich im Laufe der Zeit und die Erfahrung zeigt, dass in vielen Fällen, insbesondere beim kongenitalen Strabismus, der alte Schielwinkel nach einiger Zeit mehr oder minder wieder erreicht wird. Damit wären erneute Botulinumtoxininjektionen notwendig, falls man sich nicht doch zu einer Operation (mit bleibendem Ergebnis) entschließt. Als weiterer Nachteil erweist sich in etwa einem Viertel der Fälle die Tatsache, dass offenbar die Toxininjektion nicht ausreichend sicher auf einen Muskel begrenzt werden kann, sondern in andere Muskeln „weiterwandert“ (seltener bei endokriner Orbitopathie wegen der Verdickung der Muskeln). Insbesondere tritt bei Injektion eines horizontalen Augenmuskels (durch Mitreaktion des M. rectus inferior) oft eine Hypertropie auf. Fast ebenso häufig entsteht als Nebenwirkung eine Ptosis für einige Wochen oder Monate. Sie ist immer reversibel, kann aber im Falle der Botulinumbehandlung eines kindlichen Strabismus ggf. zu einer schweren Deprivationsamblyopie führen, wenn die Eltern nicht ausreichend problembewusst sind und das Kind nicht umgehend nach Auftreten der Ptosis vorstellen.
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Zusammenfassung Vorteile der Botulinumtoxin-Injektion: ● geringerer Aufwand ● kürzere Interventionszeit ● geringere Kosten ● fehlende Narbenbildung
M ●
Nachteile der Botulinumtoxin-Injektion: ● schlechte Dosierbarkeit ● Schielwinkeländerungen nach Monaten ● Notwendigkeit wiederholter Interventionen ● unerwünschte Nebenwirkungen an anderen Augenmuskeln ● Ptosis (selten und reversibel, aber bei Kindern amblyogen)
Komplikationen bei der Einspritzung von Botulinumtoxin sind recht selten. Vereinzelt sind Bulbusperforationen vorgekommen, auch sind – wie bei jeder para- oder retrobulbären Anästhesie – orbitale Blutungen möglich. Bleibende Sehverschlechterungen sind dem Autor hinsichtlich beider Schädigungsmöglichkeiten jedoch nicht bekannt geworden. In einer jüngeren Arbeit wurde über eine vorübergehende Pupillotonie bei 3 von 27 Kindern berichtet [12]. Insgesamt kann also die Maßnahme als wenig gefährlich angesehen werden, und es dürfte diesbezüglich kein Unterschied zu einer Operation bestehen.
Merke
H ●
Die genannten Nachteile erklären, warum die Schieloperation nicht generell durch eine Botulinumtoxin-Injektion ersetzt werden konnte.
Gleichwohl hat sich im Laufe der Zeit eine Reihe von geeigneten Indikationen herauskristallisiert, in denen die Injektion von Botulinumtoxin in Augenmuskeln sinnvoll sein kann.
Geeignete Indikationen ▶ Erworbene Abduzensparese/-paralyse. Bei der frisch erworbenen Abduzensparese/-paralyse erfolgt die Injektion in den M. rectus medialis. Dadurch kommt der Augapfel wieder mehr oder minder in eine Geradeausposition. Er ist zwar bei Links- oder Rechtsblick nur wenig beweglich, aber in einem guten Teil der Fälle kann trotzdem ein brauchbares Feld des binokularen Einfachsehens erreicht werden. Die Methode eignet sich besonders für Patienten, bei denen durch ein Folienprisma vor dem paretischen Auge keine ausreichende Beschwerdearmut erreicht werden kann. Oft vermindert sich die Parese, die durch Botulinumtoxin bewirkt wurde, im Verlauf von
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bewegungen ausgeführt werden. Bei Adduktion des Augapfels werden – falls der M. rectus medialis richtig getroffen wurde – dessen Aktionspotenziale in ihrer Intensität deutlich zunehmen. Wurde hingegen der M. obliquus superior getroffen, wäre eine Zunahme der Aktionspotenziale bei Blicksenkung zu erwarten. Die zu injizierende Flüssigkeitsmenge ist gering (0,05–0,2 ml) und wird, betrachtet man den Längsverlauf des Muskels, etwa in dessen Mitte eingespritzt. Nach Zurückziehen der Nadel sind keine weiteren Maßnahmen mehr erforderlich. Eine Wirkung auf den Schielwinkel ist frühestens nach einigen Tagen zu erwarten, der volle Effekt erst nach 2–3 Wochen.
5.6 Botulinumtherapie
▶ Endokrine Orbitopathie. Die bei der endokrinen Orbitopathie (EO) verdickten Muskeln sind für die Botulinumtoxin-Injektion zur Verminderung des inflammatorischen Spasmus (der sich wie eine Kontraktur verhält) recht geeignet [6]. Sie sind relativ leicht zu finden, und nach der Injektion ist ein Weiterwandern des Toxins in andere Muskeln kaum zu erwarten. Der häufig betroffene M. rectus inferior lässt sich gut transkutan durch das Unterlid behandeln. In der Literatur [2] wird beschrieben, dass die Symptome nicht länger als ein halbes Jahr bestehen sollten, um ein gutes Ansprechen auf Botulinumtoxin zu zeigen. Nach unserer Erfahrung ist aber auch bei länger bestehenden Störungen ein Behandlungsversuch durchaus sinnvoll. Nur 10 % unserer Patienten wurden langfristig allein durch die Injektion im Gebrauchsblickfeld doppelbildfrei bzw. verloren die Kopfzwangshaltung. Trotz dieses geringen Prozentsatzes kann die Injektion recht wertvoll sein: In den Fällen, in denen die Motilität und der Schielwinkel noch ständigen Änderungen unterliegen, würde man noch nicht operieren und eine Befundkonstanz von etwa einem halben Jahr bis zur Operation abwarten. Diese Wartezeit kann durch Botulinumtoxin-Injektionen überbrückt werden und dem Patienten so zu einem früheren Zeitpunkt zu Doppelbildfreiheit bzw. zur Verringerung einer Kopfzwangshaltung verholfen werden. Darüber hinaus berichtet ein Teil der Patienten, dass ein Spannungsgefühl im Bereich der Augen nach der Injektion geringer wird. Im Übrigen stoßen Botulinumtoxin-Injektionen zur Verminderung der Lidretraktion bei EO auf große Akzeptanz [20]. ▶ Postoperative Diplopie. Die Injektion von Botulinumtoxin kann hilfreich sein, um die Gefahr postoperativer Diplopie abzuschätzen. Wenn vor einer geplanten Operation im Erwachsenenalter – insbesondere aufgrund des Ergebnisses eines Prismenausgleichs und/oder Traktionstests – Hinweise auf postoperative Diplopie bestehen, wird in den meisten Fällen von einer Operation abgeraten. In dieser Situation kann dem Patienten die Injektion von Botulinumtoxin angeboten werden, die für einige Tage oder Wochen das postoperative Ergebnis hinsichtlich der Augenstellung simulieren kann [10]. In einem überraschend hohen Prozentsatz zeigte sich in unserem Krankengut (31 Patienten), dass die Doppelbilder
mittelfristig unterdrückt werden konnten und in nur 3 Fällen eine Operation kontraindiziert war. ▶ Konvergenzspasmus. Beim Konvergenzspasmus hielten wir (Erfahrungen an 20 Patienten) die Injektion in einen oder beide Mm. recti mediales für sinnvoll. Die erreichten Verbesserungen sind bei der Mehrzahl der Patienten nur passager, die Injektionen können aber wiederholt verabreicht werden, ggf. kann eine Operation angeschlossen werden. Da allgemein angenommen wird, dass die Ursache für den Konvergenzspasmus im psychischen Bereich liegt, haben wir in der letzten Zeit ein dem Vorgehen beim essenziellen Blepharospasmus (S. 447) analoges und besser wirksames Behandlungsprinzip eingesetzt (▶ Abb. 5.40).
5
▶ Kontraindikation zur Schieloperation. Eine Kontraindikation zur Schieloperation liegt u. a. vor, wenn bei Voroperationen schon mehrere gerade Augenmuskeln an einem Auge abgetrennt wurden und bei Operation eines weiteren Muskels eine Durchblutungsstörung des vorderen Augenabschnitts droht. Bei einer Botulinuminjektion in diesen Muskel ist eine solche nicht zu erwarten. Außerhalb der Schielbehandlung sind im Augenbereich folgende Indikationen für den Einsatz von Botulinumtoxin gegeben: ● Patienten mit essenziellem Blepharospasmus (Lidkrampf, der willkürlich nicht beherrscht werden kann; hier liegt eine somatische Ursache vor; ▶ Abb. 5.40) ● Spasmus facialis (= Spasmus hemifacialis), ein einseitiger Lid- und Gesichtskrampf ● Überfunktion der Tränendrüse ● Oberlidretraktion bei endokriner Orbitopathie ● spastisches Entropium (wenn eine Operation nicht durchgeführt werden kann) ● Fehlregeneration nach Fazialisparese ● protektive Ptosis (künstliche Erzeugung einer Ptosis zum Hornhautschutz bei Lagophthalmus bzw. bei schlecht heilenden Hornhautgeschwüren)
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Wochen und Monaten ähnlich stark wie die Parese des ursprünglich betroffenen Muskels, insbesondere wenn als Ursache für die Lähmung ein Trauma oder Durchblutungsstörungen infolge hohen Blutdrucks und/oder Diabetes vorliegen. Die Injektion kann auch wertvolle Dienste leisten zur Verminderung einer stärkeren Kopfzwangshaltung bei der beidseitigen Abduzensparalyse oder im Zuge einer Transpositionsoperation (z. B. nach Hummelsheim) zur Verminderung der Kontraktur des M. rectus medialis.
Umstrittene oder ungeeignete Indikationen Für die meisten Formen des Strabismus convergens und divergens, auch bei kleinen Schielwinkeln, gilt die Erfahrung, dass sich langfristig immer wieder der alte Schielwinkel einstellt und deshalb die meisten Strabologen die Operation vorziehen. ▶ Frühkindliches Schielen. Die Behandlung des frühkindlichen Schielens durch Botulinumtoxin fand anfänglich großes Interesse, hat sich aber nicht durchgesetzt, da trotz sehr früher Geradstellung der Augen das erhoffte normale Binokularsehen generell nicht erreichbar war. Für einige Autoren ist sie aber durchaus eine Alternative zu chirurgischen Eingriffen [19]. Die zahlreichen Ge-
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Augenmuskeloperationen
▶ Dekompensierende Phorien. Dekompensierende Phorien sind für die Injektionsbehandlung kaum geeignet, da diese im Gegensatz zur Operation in regelmäßigen Abständen wiederholt werden müssten. Nach einer neueren Arbeit würde beim normosensorischen Spätschielen die Behandlung mit Botox der konventionellen operativen Therapie mindestens gleichwertig sein. Irritierend ist die bei allen Patienten recht niedrige Erfolgsrate (67 % bzw. 58 %) im Hinblick auf die Wiederherstellung normaler Binokularfunktionen. Eine Schwäche der Arbeit ist auch hier die fehlende Randomisierung [22]. ▶ M.-obliquus-superior-Myokymie. Gleichermaßen waren unsere Behandlungsergebnisse bei der M.-obliquussuperior-Myokymie (simultane Injektion von M. obliquus superior und M. obliquus inferior) enttäuschend. ▶ Nystagmus. Theoretisch ist eigentlich zu erwarten, dass Nystagmus durch Botulinuminjektionen günstig zu beeinflussen ist. Beim kongenitalen Fixationsnystagmus hat sich jedoch gezeigt, dass die nystagmusdämpfende Wirkung regelmäßig nur wenige Wochen anhält. Außerdem ist es illusorisch, anzunehmen, dass durch gleichartige Injektion aller beteiligten Augenmuskeln auf beiden Seiten, z. B. aller 4 geraden Augenmuskeln, ein vorher bestehendes Binokularsehen beibehalten werden könnte. Die dafür notwendige Präzision der Dosierung ist leider nicht erreichbar. Auch bei erworbenem Nystagmus sind die Behandlungserfolge gering. Es könnte allenfalls versucht werden, einseitig den Nystagmus zu dämpfen (bei einem einzigen funktionstüchtigen Auge oder bei Okklusion des anderen Auges). Bei rein horizontalem Nystagmus könnte in beide Horizontalmotoren in einer Sitzung injiziert werden oder die Injektion tief in der Orbita erfolgen mit einer Kanüle, die für die retrobulbäre Anästhesie benutzt wird, um mehrere Muskeln zu erreichen. Bei diesem Vorgehen wäre allerdings die Gefahr einer Ptosis sehr groß.
5.6.7 Indikationen für den Einsatz von Botulinumtoxin außerhalb der Augenheilkunde Nachdem durch die Pionierarbeit von A. B. Scott erwiesen war, dass Botulinumtoxin als Medikament wirksam und verträglich ist, wurde es für andere Indikationen eingesetzt. Es wurde in der gesamten Medizin, insbesondere der Neurologie, zu einem höchst wichtigen neuen therapeutischen Prinzip. Es werden nicht nur Muskeln behandelt (u. a. in der ästhetischen Medizin zur Verminderung
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von Hautfalten), sondern auch Drüsen (z. B. bei Hyperhidrosis = übermäßiger Schweißsekretion). Auch rund 40 Jahre nach der ersten Anwendung werden ständig neue Indikationen entwickelt.
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sichtspunkte hinsichtlich der Vor- und Nachteile dieses Vorgehens können in Übersichtsarbeiten nachgelesen werden [1], [8], [9].
Sachverzeichnis A-Exotropie, 149 A-Inkomitanz 338 A-Symptom 106, 401 Abbildungsunschärfe 58 Abblicklähmung, isolierte 345 Abdecktest 145, 239, 280 – alternierender 242 – einseitiger 242 Abduktionssakkade 325 Abduzenskern 43 – Schaden 345, 376 Abduzensparalyse 325, 416 – beidseitige 419, 421 – Muskeltransposition 418–419 – Operation 417, 421 Abduzensparese 36, 107, 109–110, 183, 284, 287, 327, 376, 413 – beidseitige 359 – Botulinumtoxinjektion 446 – Differenzialdiagnose 416 – Operation 416–417, 421 – Operationsergebnisse 417 – Operationsindikation 415–416 Abduzensparese/-paralyse 446 Abreißpunkt 272 Abrollstrecke 27, 36, 393 AC/A-Quotient 120, 269 Acetylcholin 339 Adaptation – motorische 217–218 – sensorische 217–218 Additionstest 120 Adduktionssakkade 325 Adminicula 20 Akkommodation 118, 120, 188, 368 – amblyope Augen 189 – Regelung 115 – relative 120 Akkommodations-KonvergenzKopplung 116 Akkommodationsnahpunkt 269 Akkommodationsschwäche 120 Akkommodometrie 269 Akupunktur 202 Akustikusneurinom 347 Akzessorisches optisches System 48 Albinismus 437 Alexander-Gesetz 353, 357 Allelotropie 81, 88 Alphabet-Symptome 106, 149, 397 Amblyopie 60, 133, 159, 169, 171 – Diagnostik 190 – Differenzialdiagnose 189 – Fixationsareale 178 – Früherkennung 193 – Funktionsstörung 175 – meridionale 173 – Mischform 175 – Operationsindikation 203 – Prophylaxe 138 – relative 175 – Therapie 138, 195, 206
– Unfallgefahr 207 Ametropie 58 – beidseitige 170 Ametropieausgleich 159 Amotio-Operation 164 Anderson-Operation 356 Aneurysma 369 Aneurysmablutung 332 Aniseikonie 93, 269 – Größenunterschiedsberechnung 270 Aniseikonieamblyopie 174 Aniseikonietest 271 Anisokorie 192, 368 – physiologische 370 Anisometropie 173, 191, 196 Anisometropie-Amblyopie 196 Anisophorie 114 Anomaliewinkel 221, 242, 265 Antagonist 27, 324 Antiinflammatorische Therapie 315 Antikörper – gegen Acetylcholin-Rezeptoren 339, 341 – gegen spannungsabhängige Kalziumkanäle 342 Antisakkade 345 Antisakkadentest 46 Anulus tendineus communis 15, 20, 22 Aphakie, einseitige 195 Apraclonidin 370 Apraxie, okulomotorische 346 Area – striata s. Sehrinde 95 – temporale 48 Argyll-Robertson-Pupille 370 Arteria – centralis retinae 26 – ciliaris longa 395 – communicans posterior, Aneurysma 332 – lacrimalis 25 – ophthalmica 25 Asthenopie 117, 119 – heterophoriebedingte 268 Astigmatismus 172, 196, 364 Asymmetrie 274 – nasotemporale 135 Atropin 202, 208 Aubert-Phänomen 74 Aufblicklähmung, isolierte 345 Aufdecktest 239–240 Auflösungssehschärfe 57 Auflösungsvermögen 61 Aufmerksamkeitszuwendung, räumliche 345 Augapfel 17, 29 – Bewegungsapparat 17, 36 – Gleichgewicht 27 – Halteapparat 21 Auge – Augenachse 106 – Primärposition 30, 275
– Risiken einer Augenmuskeloperation 383 – Sekundärstellung 30 – Teritärneigung 31 – Teritärstellung 31 – Wachstum 172 Auge-Kopf-Neigung, gravizeptive 349 Augenachse 106 – anatomische 106 – optische 106 Augenbeweglichkeit 251, 328 Augenbewegung 26–27, 29, 53, 110 – Fixationsausschluss 53 – Gesetze 31 – horizontale 41 – im Schlaf 54 – Klassifizierung 40 – kompensatorische 251 – Koordination 43 – Mechanik 35 – pathologische 110 – periodische, spontane 242 – rasche 44, 325 – Regelkreise 39 – Säuglingsalter 54 – supranukleäre Organisation 44 – vertikale 41 Augenbewegungsstörung 105–106, 232, 287 – pränukleäre 347 – supranukleäre 344, 375 – Topodiagnostik 374 Augenfehlbildung, angeborene 162 Augenfeld 45 – frontales, Defekt 345 Augenfolgebewegung 40, 46 – Auslösung 47 – Bahnen 49 – Bewertung 351 – nach temporal gerichtete, Störung 357 – nasotemporale Asymmetrie 135 – sakkadierte 46, 350 – Säuglingsalter 54 – Störung 350 Augenfolgesystem 48 Augenkoordination 43 Augenlid 17 Augenmuskel – elastisches Implantat 416 – gerader, Parese 423 – Kontraktionsstrecke 393 – Muskelkraft 393 – Zugrichtung 397 Augenmuskelerkrankung 375 – entzündliche 274 Augenmuskelfensterung 393 Augenmuskelfibrosierung 309 Augenmuskellähmung – latente, Kopfhaltung 325 – Muskelfeststellung 328 – neurogene 322, 327 – Sekundärveränderung 324 – Therapie 342
– zentralnervöse Kompensation 327 Augenmuskeln 16, 21 – akzessorische 26, 165 – Anomalien 25 – Blutversorgung 25 – Einklemmung 293 – Fehlinnervation, angeborene 336 – Funktion 35 – gerade 15, 22 –– Ansatzverlagerung 397 –– benachbarte, Parese 424 –– gesicherte Tenotomie 387 –– Paralyse 424 –– Parese 109 – Innervation 17, 24, 40 – Kombinationslähmung 327 – Kompartimentierung 22 – operative Verkürzung 388 – retrobulbärer Verlauf 42 – schräge 25, 108 –– Ansatzverlagerung, partielle 398 –– Operation 378, 401 –– Operation, kombinierte 431 –– Parese 109 –– Rücklagerung 387–388 –– Störung 137 –– Zugrichtung 151 – Sehnenverlängerung 387 – unwillkürliche Kontraktionen 317 – Verlagerung 111 – Zugrichtung 21 – Zusammenspiel 251 Augenmuskeloperation 202, 402, 404 – Abrollstrecke 393 – Anästhesie 382, 391 – Ansatzverlagerung 397 – Dosierung 309, 401 – Entwicklung 378 – Ergebnisse 398 – Fadenführung 382 – Fadenmaterial 382 – Fadenoperation s. Myopexie 393 – Fadenriss 383 – Hebelarm 26, 393 – Indikation 379, 401 – kombinierte 391 –– Muskeln 392 – Komplikation 383 – Kontrolle 385 – Methodenwahl 404 – Muskeltransposition 398 – Myopexie 393 – nach Orbitadekompression 311 – Nachjustierung 391 – Risiko 379 – Überkorrektion 407 – Unterkorrektion 407 – vertikale 308 – Zeitpunkt 306 Augenmuskelparalyse 416
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A
449
Sachverzeichnis
B Bahn – gravizeptive 349 – magnozelluläre 48 – parvozelluläre 48 – retinogenikulokortikale 94 Bandsystem, orbitales 35 Bare-Sklera-Technik 382 Basisexotropie mit Konvergenzexzess 407 Basiswinkel, konvergenter, Operation 404 Begleitschielen 106–107, 233, 243 – Basiswinkel 108 – Koordimeterbefund 286 – latentes, symptomatisches 268 – manifestes 254–255 – Standardmethoden 267 Behandlung, postoperative 385 Behandlungsverfahren, alternatives 380 Benedikt-Syndrom 332 Best-PEST-Strategie, Visusbestimmung 69 Bewegung, Sehschärfe 59
450
Bewegungsstereopsis 86 Bewegungsstrecke, monokulare 327 Bielschowsky, Alfred 131 Bielschowsky-Kopfneige-Test s. Kopfneige-Test 430 Bilddarbietung – dichoptische 83 – haploskopische 83 Bildpunkte, retinale 73 Bildtrennung 223 Bindegewebe, orbitales 15, 396 Bindehautanästhesie 382 Bindehautdehiszenz 382 Bindehautschnitt 380, 389 – limbusparalleler 412 – radiärer 381, 387 Bindehautüberschuss 381 Bindehautverschluss 381 BinokuIarität kortikaler Zellen 97 Binokularfunktion nach Prismenausgleich 259 Binokularsehen 105, 402 – Dissoziation 224 – Entwicklung 93 – frühe Störung 136 – Neurophysiologie 94, 226 – Sensorik 71 – Untersuchung 232 Binokulartest 242, 253 Blaufeld-Entoptoskop 66 Blepharospasmus 363, 447 Blickdeviation, tonische 345 Blickfeld – binokulares 36, 106, 279 – Messung 278–279, 286 – monokulares 37, 106, 278 Blickhalteschwäche 346 Blicklähmung 107, 344 – artifizielle 415, 420 – hemisphärische 376 – horizontale 345 –– beidseitige 338 – pontine 345 – vertikale 345 Blicklinie 106 Blickmotorik 254 Blickrichtung 31 – Augenstellung 250 Blickrichtungsnystagmus 346, 349, 351 – dissoziierter 349 Blickrichtungstonometrie 305 Blicksprungbewegung 252 Blickstörung 233 Blickwendung, psychogene Hemmung 345 Blickzentrum 43 Blickziel 45 Blickzielbewegung 44 – dysmetrische 347 Blitz-Euthyskop 203 Blitz-VEP 92 Blow-out-Fraktur 278–279 Bogengänge 50 Bogenmaß 25 Botulinuminjektionsnadel 445 Botulinumtherapie 444 – Indikation 446
– Nachteile 446 – Vergleich zur Operation 446 Botulinumtoxin 363, 380, 414, 420 – Endplatte 444 Botulinumtoxinpräparat 444 Brillenokkluder 198 Brillenträger 118 Brown-Syndrom 296, 298–300, 424 – angeborenes 296, 301, 410 – Operationsindikation 302 – postoperatives 302, 390, 408, 431 Brückenfadenoperation 395 Brückner-Test 239 Bulbusexkursionsstrecke, monokulare 304 Bulbuslänge 395 Bulbusretraktion 110
C C-Test 63 Cambridge-Stimulator 206 Canalis – infraorbitalis 13 – nasolacrimalis 13 – opticus 13 Cardiff-Test 64 CGL (Corpus geniculatum laterale) 94 Chiasmagliom 358 Compliance 200 Compromise Theory 89 Computertomografie 303 Congenital cranial Dysinnervation Disorders (CCDD) 315 Constant-Stimulus-Methode, Visusbestimmung 67 Corpus geniculatum laterale 94 CVI-Syndrom 162
D DC-Elektronystagmogramm 347 Defekt, optokinetischer 355 Dekompensierende Phorien 448 Deprivationsamblyopie 169 Deprivationsursache, organische 194 Diplopie 216, 259, 325, 423 – binokulare 207 – gekreuzte 246–247 – monokulare 207 – paradoxe 247 – physiologische 88, 216 – postoperative 379, 385, 399 –– Botulinumtoxinjektion 447 –– im Seitblick 409 – ungekreuzte 246–247 Diplopiemethode 243 Disparität – absolute 217 – dynamische 86 Divergenz – Lichtrückenreflex 324 – vertikale, dissoziierte 324 Divergenzexzess 158, 161, 407
Divergenzlähmung 359 Divergenzoperation, kombinierte 399, 407, 435 Dominanz, okuläre 89–90, 97 Dominanzkolumnen, okuläre 226 Doppelbildabstand 217 Doppelbilder 273 – binokulare, Hemmung 88 – verkippte 247 – vertikal versetzte 154 Downbeat-Nystagmus 353 Drehachse 27, 36 Drehimpulstest 352 Drehmoment, vertikales, nach Myopexie 396 Drehpunkt des Auges 26, 32, 36 Drei-Neuronen-Reflex 50 Duane-Syndrom s. Retraktionssyndrom 293 Duktion 29, 32, 36, 105 Dunkeladaptation 189 Dunkelrotglas 123 – Anomaliewinkelmessung 265 – Konfusionsmessung 281, 283 – Untersuchung des dissoziierten Höhenschielens 267 Durchleuchtungstest 191, 239
E Ebene von Listing 29, 31, 34 Echografie 303 Edinger-Westphal-Kern 367, 370 Efferenzkopie 42 Eimer-Test 350 Eineinhalbsyndrom 349 Einknickmechanismus 293 Einmuskeloperation 391–392 Einstellbewegung 241 – fehlende 240 – Winkelmessung 258 Einstellung, exzentrische 178 Einzelprisma 258 Eisbeutel-Test 341 Elektromyogramm/-grafie (EMG) 44, 299, 303, 341 Elektroretinografie, multifokale 66 ELISS-Studie 411 Emmetropisierung 196 Endokrine Orbitopathie 447 Endophthalmitis, postoperative 384 Endstellungsnystagmus 347 – dissoziierter 360 Enophthalmus 275, 296, 370 Entdeckungstest 65 Entfernungswahrnehmung, nichtdisparative 83 Entoptische Phänomene 66 Entropium, spastisches 447 Entwicklung 378 Entzündung, orbitale 313 Erblindung, okzipitale 367 Erkennungssehschärfe 57 Ermüdbarkeit 340 Eso-Hypotropie 111, 412 Esophorie 114 – dekompensierende 142
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Augenmuskelparese 109, 273, 276, 280, 413 – beidseitige 109 – Operationsindikation 415 Augenmuskelresektion 389, 399 – Genauigkeit 399 – schräge 397 – Wirkungsprinzip 392 Augenmuskelrücklagerung 307–308, 385 – an hängenden Fäden 387 – Dosis-Wirkung-Beziehung 311–312 – Ergebnis 399 – Genauigkeit 399 – Hebelarmverkürzung 397 – maximale Rücklagerungsstrecke 386 – schräge 397 – Wirkungsprinzip 392 Augenmuskeltransposition 398, 415–416, 418, 424–425 – beidseitige 419–420 – Nachteil 418 – sekundäre 421 – Wirkung 418 Augenoperation – kombinierte 392 – Patientenaufklärung 379 Augenpol, hinterer 178 Augenspiegel, direkter 179 Augenstellung 240 – Blickrichtungseinfluss 250 Augentropfen 208 Augenverband, postoperativer 385 Außenschielen – latentes 113 – sekundäres 163 Ausgleichsinnervation 34 Autoimmunerkrankung 339, 341 Axonotmesis 326
Sachverzeichnis
F Fadengranulom 382 Fadenlösung, postoperative 389 Fadenmodell 32, 35 Fadenoperation 132, 393 – falsche 393 Farbdissoziation 282 Farbenkolumne 97 Farbenstereopsis 87 Faszikulus, longitudinaler, medialer, Läsion 348 Fazialislähmung 362 – Fehlregeneration 447 – idiopathische 362 – periphere 362 – zentrale 363 Fehlinnervation 326 Fehllokalisation 177 Fensterung 393 Fern-Nah-Inkomitanz 238 Fernfixation, Hornhautreflexbilder 236 Fernschielwinkel 159, 405 – Reduktion 400 Fettkörper, retrobulbärer 16 Fibrosesyndrom, kongenitales 315 Fink-Lokalisator 388 Fissura – calcarina 95 – orbitalis –– inferior 14 –– superior 13, 15–16 Fissura-orbitalis-superior-Syndrom 15 Fixation 177, 253–254 – exzentrische 179, 183, 199, 201, 204, 238 –– blickrichtungsabhängige 183 – foveolare 199 – Prüfung 53 Fixationsdisparität 82, 105, 115 Fixationsnystagmus 358, 432 Fixationspräferenz 190 Fixationsprüfung 182, 192 – ophthalmoskopische 179, 240 Fixationsregelung 52 Fixationssystem 52
Fixationsverlagerungsoperation 203 Fixationswechseltest 323 Fixierlicht 236 Fixierobjekt 251 Flachneurone 98 Formation, retikuläre, pontine, paramediane 345 Fovea 178 Foveola 178 – Doppellokalisation 177 Freiburger Visustest 69 Frenzel-Leuchtbrille 53, 352 Fresnel-Prismen 127 Frontalissuspension 317 Frontallappen 45 Frühgeborenes 190 Frühkindliches Schielen 447 Frühoperation 411 Fuchs-Delle 382 Fundusfotografie 181 Fusion, binokulare 72 – Erhaltung 276 – sensorische 74 – Unfähigkeit 227 – Unterbrechung 143 – Verlust 162, 164 –– spontaner 164 Fusionieren, freiäugiges 129 Fusionsbewegung 240–241 Fusionsbilder 264 Fusionsblickfeld 37, 107, 273, 305 – Augenmuskellähmung 328 – Messung 279, 286 Fusionsbreite – horizontale 271 – im freien Raum 129 – Messung 271 – vertikale 154, 271 Fusionsregelkreis 112, 115 Fusionsregelung 115
G Ganglienzellen, retinale 48, 366 Gebrauchsblickfeld 37 Gegenparese 164, 309, 378, 393, 400, 414–415 – Prinzip 415, 421, 423–424 Gegenrollung 51 Gehörgangsspülung, kalorische 50 Genauigkeit, operative 393 Gesetz – von Donders 31 – von Hering 410 – von Listing 31 Gesichtsfeld 97, 187 – binokulares 218, 220 –– Dominanzareale 220 –– postoperativ verkleinertes 380 – monokulares 218 Gesichtsfelddefekt, zentraler 183–184 Gesichtsfeldmitte 222 Gewebe, orbitales – Mechanik 41 – passives 27 – zusätzliches 165
Gewebeschwellung 296 Gitternetz 282 Gliom im Chiasmabereich 358 Goldmann-Perimeter 304 Graefe-Zeichen 275 Großhirnhemisphäre, Läsion 351, 376 Großhirnrinde, Läsion 345 Guillain-Barré-Polyneuroradikulitis 332
H H-Test 63 Haidinger-Büschel 181–182, 205, 263, 278 Hakentest 269 Halbwinkelgesetz 32 Hämangiom, kapilläres 195 Handlungstest, visuell gesteuerter 185 Hängematte des Auges 21 Haploskop 261 Haploskopisches Verfahren 280 Hauptsehrichtung 73, 75 Heavy-Eye-Syndrom 148 Hebel 28 Hebelarm – elastischer Gewebe 28 – Verkürzung 393, 396 –– progressive 397 – Verlängerung 393 Heberparese, kongenitale 424 Heberschwäche mit Pseudoptosis 411 Hebung 36 Helligkeit, Sehschärfe 58 Hellrotglas 246, 251 Helmholtz, Hermann von 131 Helmholtz-Koordinaten 286 Hemianopsie – heteronyme 218 – homonyme 48, 350, 372 Hemifield Slide Phenomenon 219 Hemihypokinesie 366 Hemmbänder 20, 27 Hemmungsvorgang, binokularer 88 Hess-Schirm 285, 295 Heterophorie 105, 112–114 – assoziierte 114, 123 – asymptomatische, mit Refraktionsasthenopie 268 – Beschwerden 116, 121 – dekompensierte 88 – dissoziierte 114, 123 – Korrektion 122 – Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase 124 – Messung 121 Heterotropie s. Schielen 132 Hinterhauptlappen 95 Hirnnerven, Kombinationslähmung 336 Hirnnervenlähmung – faszikuläre 375 – infranukleäre 376 – periphere 375
Hirnnervenläsion 331 Hirnstamm-Kleinhirn-Gebiet, Läsion 376 Hirnstammkerne, motorische 42 Hirnstammläsion 350–351, 353, 375 Hirschberg-Test 235 Höhenschielen 331 – angeborenes 152 – dissoziiertes 227, 266, 410 Horizontaldeviation – instabile 266 – kleinste 266 – Messung 263 – wechselnde 266 Horizontale, subjektive 74, 248–249 Horizontalmotor 35 – Myopexie 396 – Rücklagerung 399 – Verlagerung 408 Horizontalphorie 114 Horizontalschielen 149 – konkomitierendes 108 Horner-Syndrom 366, 370 – akutes 371 – kindliches 371 – kongenitales 371 – Ursache 371 Hornhautdelle 382 Hornhautreflexbild 192, 235–237, 251, 263 Hornhautspiegelbild, nasale Dezentrierung 181 Horopter – empirischer 77 – geometrisch-mathematischer 76 Hummelsheim-Operation 419–420 Hypermetrie der Blickzielbewegung 347 Hypermetropie 172 Hyperopie 171, 196 Hypoakkommodation, juvenile 120 Hypometrie der Blickzielbewegung 347 Hypotropie 106 Hysterese-Effekt 80
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– dekompensierte 142 Esotropie 331 – infantile 174 – komplizierte, Operation 407 – mit akkommodativem Konvergenzexzess 405 ETDRS-Visus 63 Euthyskop 203 Exklusion 272 Exkursion 36 Exophorie 113–114 – dekompensierende 157 Exophthalmus 313 Exotropie 331 – intermittierende 224 Exzykloabweichung 310 Exzyklophorie 106 Exzyklotropie 106, 248–249, 329
I Immunomodulatorische Therapie 314 Implantat, elastisches 416 Incisura supraorbitalis 14 Infektion 384 Inkomitanz 323, 326, 342 Innenschielen 151 – akutes, bei Myopie 143 – erworbenes 140–141 – frühkindliches 132, 134, 432 –– Okklusion 410 –– Operation 138, 406, 411 –– Therapieziel 137 – zirkadianes 143 – zyklisches 143
451
Innervationsstufe 44 Interaktion, binokulare 60, 184 Interferenztest 65 Interpolated logMAR 69 Inzyklophorie 106 Inzyklorotation 312 Inzyklotropie 106 Irispigmentierung 371 Isoluminanzmessung 87 Isopteren, binokulare 222
J Jaensch-Syndrom 296, 298, 300–301, 410
K Kampimetrie 221 Kardanische Aufhängung des Bulbus 21, 34 Kardinalbewegung 30 Karotisdissektion 371 Katarakt 195 – kongenitale 171 –– beidseitige 170 – Operation 164 – traumatische 196 Kestenbaum-Brille 252, 304 Kestenbaum-Operation 356 Kleinhirnbrückenwinkel-Tumor 362 Kleinhirnläsion 351 Klick-Syndrom 302 Klivuskanten-Syndrom 332 Kohärenztomografie, optische 179, 189 Koinnervationssyndrom 110 Kokaintest 371 Kompensationsbewegung, vestibuläre 40, 49 Konfusion 216, 325 – Messung 281 Konfusionsmethode 243 Konfusionstest 280 Konkomitanz 323 – sekundäre 326 Kontaktlinse 198 Kontraindikation zur Schieloperation 447 Kontraktionsstrecke, Verkürzung 393 Kontrast, Sehschärfe 58 Kontrastempfindlichkeit 59, 92, 184 Kontureninteraktion 59, 176 Konturenwettstreit 88 – Latenz 89 Konvergenz – akkommodative 120 – binokulare 97 Konvergenzexzess 146 – akkommodativer 405 – hypoakkommodativer 147–148, 405 – nichtakkommodativer 147, 405 – normakkommodativer 147–148
452
Konvergenzinnervation, Nystagmusberuhigung 433 Konvergenzinsuffizienz 128, 407 Konvergenzlähmung 359 Konvergenzoperation, kombinierte 394, 399, 415, 435 Konvergenzschwäche 158, 161 Konvergenzspasmus 444, 447 Konvergenzübung 129 Koordimetrie 285 Kopfdrehungszwangshaltung 435 Kopffehlhaltung 136 Kopfhaltung 232, 275, 325 Kopfhebungszwangshaltung 437 Kopfneigephänomen 330–331 Kopfneigetest 250, 285 Kopfneigung 152, 280 Kopfneigungszwangshaltung 437 Kopfschmerz 118 Kopfsenkungszwangshaltung 437 Kopfwackeln 358 Kopfzwangshaltung 110, 134, 136, 155, 190, 234, 253, 272, 275–276, 286, 419 – bei Ptosis 364 – Differenzialdiagnose 276 – entgegengerichtete Kopfhaltung 249, 274 – Fixationsaufnahme 276 – Fusionserhaltung 276 – nystagmusbedingte 432–433 –– Operation 433, 435 – Retraktionssyndrom 421 – Untersuchung 274 Korrespondenz – anomale 220, 242, 246 – disharmonisch anomale 221, 243 – harmonisch anomale 221, 243 – normale 246 – Prüfung 265, 267 – retinale, anomale 221 Korrespondenzproblem 85 Korrespondenztheorie 183 Kortex, präfrontaler, dorsolateraler 46 Kortikoidtherapie 314 Kreuztest 125
L Lagerungsschwindel, paroxysmaler, benigner 353 Lähmungsschielen 88, 106, 109, 233, 272, 287 – Anamnese 273 – Kopfhaltung 234 – neurogenes 322 – Operation 413–414 – Untersuchung 273, 286 – Verlaufskontrolle 274 Lambda-Symptom 150 Lambert-Eaton-Syndrom 342 Landoltring 56–57, 69 Landoltring-Visus 63 Lang-1-Stereotest 193 Lang-Test 243, 267 Längshoropter, geometrischer 77
Lateralis-Splitting 428 Lateropulsion, sakkadische 347 Lea-Symbole 63 Legasthenie 118 Leitlinie 26a Amblyopie 194 Letter-Score 70 Leukomalazie, periventrikuläre 162 Levatoraponeurose 17 Levatorlähmung 364, 366 Levatorüberfunktion 364 Licht-Nah-Dissoziation 369–370 Lichtquelle, Hornhautreflexbilder 236 Lichtreaktion – direkte 367–368 – gestörte 368 Lichtreflexbilder 235 Lichtschweiftest 244, 267 Lichtunterschiedsempfindlichkeit 177, 222 Lidbewegungsstörung 362 Lidschlussdefizit 316 Lidspaltenverengung 364 Lidspaltenweite 275 Lidstellung 275 Lidzuckung 340 Ligament von Lockwood 21 Limbusbewegung 36 Limbusschnitt 381, 412 Limbustest 252 logMAR 60 Lokalisation – absolute 74 – egozentrische 76 – relative 186 –– chaotische 216 –– monokulare 72 Lokalisationsfehler 326 Lokalisationssehschärfe 57 Lokalisator von Fink 388 Lokalzeichen 72 Löschphänomen 89
M M.-obliquus-superior-Myokymie 448 M3-Rezeptoren, cholinerge, hereditärer Defekt 373 Maddox-Kreuz 276, 282–283 Maddox-Zylinder 121, 123, 248 Magnetresonanztomografie 304 – funktionelle 93 Makulachagrin 66 Makuladystrophie 164 Makulopathie 146 Mallett-Test 124 Marcus-Gunn-Phänomen 275, 365 Marklager, parietookzipitales 48 Medialis-Tenotomie 390, 412 Medientrübung 170 Medikamente, Myasthenie verschlimmernde 341 Medikamentenunverträglichkeit 380 Medulla oblongata, Infarkt 347 Meige-Syndrom 363
Membrana intermuscularis 20, 42 Meningeosis carcinomatosa 332 Messprismen, Nomogramm 260 Metamorphopsie 106, 218 Mikrobewegungen 52 Mikrophthalmus 275 Mikrosakkaden 52 Mikrostrabismus 144, 405 – convergens 144 – dekompensierender 146 – dekompensierter 142 – konsekutiver 144, 146 – mit exzentrischer Fixation 145 – mit Identität 145 – Okklusionsbehandlung 201 – sekundärer 144, 146 – verticalis 146 Mikrotremor 52 Mikrotropie s. Mikrostrabismus 144 Miller-Fisher-Syndrom 332 Minimum – separabile 57 – visibile 56 Minusgläser 160 Miosis 370 Miotika 202 Mitochondriale Erkrankung 316 Mittelhirnsyndrom 332 – dorsales 345, 370 Modell von Robinson 35 Moebius-Syndrom 315, 338 Monofixationssyndrom 144 Monophthalmie-Syndrom 136, 358 Motorische Einheit 40–41 Multiple Sklerose 332, 349, 375 Musculus – dilatator pupillae 367 –– Schwäche 370 – levator palpebrae 18, 362 –– Lähmung 364, 366 –– myasthenische Ermüdung 340 –– Schwäche 411 –– Überfunktion 364 – obliquus inferior 24 –– Anomalie 26 –– beidseitige Überfunktion 137 –– Myotomie 388 –– Parese 298, 332 –– Pseudoparese 298 –– Resektion 390 –– Rücklagerung 309, 386, 388, 431 –– Rücklagerung, partielle 398 –– spannungserhöhender Eingriff 408 –– spannungsmindernder Eingriff 408 –– Vorlagerung 390, 424 –– Vorlagerung, partielle 398 – obliquus superior 22 –– Anomalie 25 –– Dehnungsbehinderung 298 –– freie Sehnenfaltung 389 –– Hypoplasie 154 –– instrumentelle Sehnenfaltung 390 –– Karzinommetastase 302
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Sachverzeichnis
Sachverzeichnis –– Rücklagerung 307–308, 386, 410 – tarsalis 18 Musculus-obliquus-Störung 107 – dekompensierende 108 Muskelanästhesie 382 Muskelebene 27, 36 Muskeleinklemmung 295 Muskelelastizitätsminderung 303 Muskelerkrankung 317 Muskelkonus 15 Muskelkraft 27, 37, 393 Muskellänge, physiologische 389 Muskelmechanik nach Myopexie 396 Muskelscheide 20 Muskeltransposition s. Augenmuskeltransposition 398, 424 Muskelzugrichtung 397 Muster-ERG 66 Muster-VEP 66, 93 Musterortsfrequenz 61 Musterübertragungsfunktion 66 Myasthenia gravis 339, 342, 349 Myasthenie – okuläre 339 – verschlimmernde Medikamente 341 Mydriasis, unilaterale, benigne, rezidivierende 373 Myokymie 448 Myopexie – Ergebnis 400 – Muskelmechanikveränderung 396 – Nahtfestigkeit 395 – Nebenwirkung 396 – progressive Wirkung 394 – retroäquatoriale 393, 395, 400, 406 – Retroäquatorialität 394 Myopie 111 – akutes Innenschielen 143 – hohe, Schielen 148 Myositis, okuläre 313 – akute, Augenmotilität 314 – Differenzialdiagnose 304 Myotomie 378, 388
N Nachbild 72 Nachbildmethode 52 Nacheffekt 92, 98 – interokulare Übertragung 91 Nachnystagmus, optokinetischer 48 Nachtblindheit, stationäre, kongenitale 356 Nadelexperiment 78 Naheinstellungslähmung 359 Naheinstellungsmiosis 367 Naheinstellungsspasmus 359 Naheinstellungstrias 52 Nahfixation, Hornhautreflexbilder 238 Nahschielwinkel 405 Nahschielwinkelreduktion 400
Naht, sklerale 387 Nebelpunkte 272 Nebensehrichtung 73 Neglekt 345 Nervus – abducens 17, 337 – facialis 362 –– Fehlregeneration 362 –– Schädigung 362 – frontalis 16 – infraorbitalis, Sensibilitätsstörung im Versorgungsbereich 294 – lacrimalis 16 – nasociliaris 17 – oculomotorius 17, 24, 40 –– Kerngebietsläsion 332 –– Läsion 369 – ophthalmicus 16 – trigeminus 17 – trochlearis 16, 24, 40, 336 –– Hypoplasie 154 Netzhaut – Gesichtsfelder 218 – Sehrichtung 75 Netzhautaderfigur 66 Netzhautbild 40, 72 Netzhauterkrankung, hereditäre 189 Netzhautmeridiane – Korrespondenz, anomale 74 – Umwertung 74 Netzhautmitte 221 Netzhautoperation 316 Netzhautort 59 Neurapraxie 326 Neuromyotonie, okuläre 317 Neurone – binokulare 97 – stereosensitive 98 Neurotisation, muskuläre 416 Neurotmesis 326 Noniusmethode 79 Nothnagel-Syndrom 332 Nucleus – abducens s. Abduzenskern 43 – interstitialer, von Cajal 45 – praepositus hypoglossi 45 Nukleus – dorsaler terminaler, des akzessorischen optischen Systems 135 – pontiner, dorsolateraler 48 Nullstellungsprisma 117, 124 Nystagmus 107, 233, 432, 448 – Amplitudenverminderung 432 – bei Strabismus 432 – blickparetischer 346 – Blockierungsmechanismus 432, 435 – Botulinuminjektion 448 – frühkindlicher 354 –– Sehschärfe 355 – Konvergenzinnervation 433 – latens 136, 183, 227 –– Okklusionsbehandlung 201 – latenter 356 – ohne Strabismus 432 – Operation 432 –– nach Cüppers 432
–– nach Kerstenbaum 432 –– Operationsergebnisse 437 – optokinetischer 46–47, 350–351 –– Säuglingsalter 54 – periodisch alternierender 242 – vestibulärer 351–352 Nystagmus-Blockierungssyndrom 136, 354 Nystagmusamblyopie 171 Nystagmuswettstreit 90
O Oberlidretraktion 310, 313, 365, 447 Obliquus-inferior-Pseudoparese 298 Obliquus-Operation, kombinierte 431 Obliquus-superior-Sehnen-Splitting 423, 427 Obliquusstörung 149–150 Occlusion Dose Monitoring 200 Ocular Flutter 359 Ocular Tilt Reaction 349 Ogle-Test 124 Ohrspülung, kalorische 353 Okklusion 342 – diagnostische 120, 122, 190, 410 – direkte 197 – inverse 197 Okklusionsamblyopie 198 Okklusionsbehandlung 197 – Dosierung 198 – Ergebnisse 199 – Indikation 197 – Risiken 207 Okklusionsfolie 202 Okklusionsfolienleiste 198 Okklusionsintoleranz 201 Okklusionstage 200 Okuläre-Dominanz-Kolumnen 97 Okulomotorik s. Augenbewegung 39 Okulomotoriuskern 43 – Läsion 376 Okulomotoriusparalyse 420, 422 Okulomotoriusparese 109, 295, 331–332, 376, 413 – beidseitige 332 – einseitige 332 – komplette 422, 425 – mit Fehlregeneration 423 – mit Trochlearisparese 426 – Mittelhirnsyndrom 332 – Operation 422–423 – Operationsergebnisse 428 – partielle 295, 422, 425 – Prognose 422 – Ptosis 423 Okzipitalpunkt 33 Operation – äquilibrierende 414 – kompensierende 414 – substituierende 414 Operationseffektivität 399 Operationsmethode 404 Operationsstrecke, große 405
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–– maximale Rücklagerungsstrecke 386 –– Myokymie 448 –– Parese 249, 330 –– Parese, Schnelltest 329 –– Rücklagerung 387, 401, 424 –– Rücklagerung, partielle 398 –– Sehnen-Splitting 426 –– Sehnenhypoplasie 410 –– Sehnenverkürzung 390, 431 –– spannungserhöhender Eingriff 408 –– spannungsmindernder Eingriff 408 –– Strang am Sehnenhinterrand 299, 301, 410 –– Tenotomie 302 –– Transposition 426 –– Vorlagerung, partielle 398 – orbicularis oculi 19, 362 – rectus externus, Botulinumtoxinjektion 445 – rectus inferior 22 –– Botulinumtoxinjektion 445 –– Fibrosierung 303, 306, 309 –– Indikation 310 –– maximale Rücklagerungsstrecke 386 –– Myopexie 395 –– Paralyse 424 –– Rücklagerung 307, 311 –– Rücklagerung, beidseitige 309 – rectus lateralis 22 –– Ansatzverlagerung 397 –– dislozierte Tenon-Pforte 155 –– Innervationsbereiche 337 –– maximale Rücklagerungsstrecke 386 –– Parese 322, 328 –– retroäquatoriale Myopexie 413 –– Rücklagerung 407, 425 –– Splitting 420 –– Teilung 427–428 –– Transposition 426 –– Verbindung mit dem Musculus rectus superior 413 –– Verkürzung 389 –– Zugkraft 40–41 – rectus medialis 22, 110 –– Ansatzverlagerung 397 –– maximale Rücklagerungsstrecke 386 –– Myopexie, beidseitige 400, 406 –– Myositis 314 –– Paralyse 424 –– Resektion, beidseitige 407 –– Rücklagerung 308, 310–311, 406, 413 –– Sehnenverlängerung 311 –– Splitting 420 –– Tenotomie 412 –– Wiedervorlagerung 412 – rectus superior 22 –– Entfernung 424 –– Hypomochlion-Wirkung 151 –– maximale Rücklagerungsstrecke 386 –– Myopexie 395, 410 –– Parese 36, 424
453
Sachverzeichnis
P Panoramasehen 157, 174, 409 Panum-Areal 79, 99 Panum-Raum 79 Parallaxenfehler 238 Paralyse 416 Parasympathikus 367–368 Parasympatholytikum 369 Parese 36, 416 – myasthenische 339 – okulofaziale, angeborene 338 Parietallappen 45 Parinaud-Syndrom 370 Pathophorie 105, 233 Penalisation 202 Pendelnystagmus – horizontaler, Amplitudenverminderung 432 – vertikaler 171 Peninsula Pupil 373 Perimetrie 177 Perimysium 20
454
Pflanzen, parasympatholytisch wirkende 369 Pflasterokklusion 198 Pflasterunverträglichkeit 201 Phänomene, entoptische 66 Phasendifferenzhaploskop 270 Phorie, dekompensierende 448 Phosphen 72 Photorefraktion 193 Pilokarpin-Augentropfen 370 Pinealistumor 370 Pinzettenversuch 380 Planhoropter 79 Pleoptophor 203, 205 Plica-Schnitt 381 Polarisationshaploskop 270 Polatest-Sehprüfgerät 124–125 Polyneuroradikulitis Guillain-Barré 332 Positionsdisparität 86 Postoperative Diplopie 447 Potenziale, visuell evozierte 92 – kortikale 186 Preferential-Looking 64 Prevost-Lot 76, 78 Primärstellung des Auges 30, 275 Prinzip der artifiziellen Divergenz 435 Prisma – selbstgewähltes 126 – Verordnung 127 Prismenabdecktest 258, 267, 280, 305 – alternierender 123, 259 – einseitiger 259 – simultaner 259 Prismenadaptationstest 223 Prismenausgleich 380 10-Prismen-Basis-außen-Test 193 Prismenbehandlung 202 Prismenbestimmung 123 Prismenbrille, Nebenwirkung 127 2-Prismendioptrien-Test 120–121 4-Prismendioptrien-Test 120–121 Prismenfolie 342 Prismenkompensator 126, 270 Prismenkomponenten 127 Prismenleiste 258–259 Prismentherapie 122, 159 Profilperimetrie 184 Projektor, Sehschärfeprüfung 62 Propriozeption 42 Pseudodivergenzexzess 158, 407 Pseudoptosis 275, 411 Pseudostrabismus convergens 238 Psychophysik 219 Ptosis 275, 317, 340 – angeborene 364 – Horner-Syndrom 366, 370 – inkomitante 366 – konkomitante 366 – Okulomotoriusparese 423 Pulfrich-Phänomen 86 – spontanes 87 Pulley 19, 33, 42 Pulley-Modell 32 Puls 44 Punkt-zu-Area-Beziehung 224 Punktsehschärfe 56
Pupille – atonische 373 – Denervationssensibilität 369 – Dilatatorschwäche 370 – Innervation 367 – Routineuntersuchung 368 – seitenungleiches Leuchten 192 Pupillenachse 106 Pupillenbahn 366 Pupillenddilatator s. Musculus dilatator pupillae 370 Pupillendefekt, afferenter, relativer 372–373 Pupillenfunktionsstörung 333 Pupillengröße 59 Pupillenlichtreflex 367 Pupillenreaktion 371 – konsensuelle 367 – paradoxe 373 Pupillensphinkter s. Sphincter pupillae 369 Pupillenverengung, phasische 366 Pupillenvergleichstest 371 Pupillenverziehung, intraoperative 383 Pupillenweite 366 Pupillografie 366 Pupillomotorik 188, 192, 366 Pupillotonie 369–370 Puppenkopf-Phänomen 50, 251 Purkinje-Aderfigur 53 Purkinje-Bilder 235
R Ragged red Fibers 317 Random-Dot-Muster, dynamisches 93 Random-Dot-Stereogramm 86 RAPD (Relativer Afferenter Pupillen-Defekt) 188, 372–373 Raumtiefe, Wahrnehmung 255 Rebound-Nystagmus 347 Reflex – okulokardialer 383 – vestibulookulärer 49–50, 352 –– dynamischer 51 –– fehlender 353 –– Fixationsunterdrückung 351 –– Säuglingsalter 54 Refraktion 118, 172 Refraktionsamblyopie 171 Refraktionsanomalie 268 Refraktionsbestimmung 140–141 Refraktionskorrektion 196 – Kindesalter 197 Regelsystem, neurovisuelles 115 Reizdauer 59 Reizdeprivation 170 Relatives afferentes pupillomotorisches Defizit 188 Retinacula bulbi 20, 27 Retinoblastom 132–133 Retraktionssyndrom 37, 111, 275, 315, 337, 413 – Differenzialdiagnose 416 – Kardinalzeichen 337 – Operation 421–422
Retroäquatorialität 395 Retrobulbäranästhesie 382 Ring-Test 221 Ringband 20 Rohvisus 66 Rolle 28 Rollung 31, 33 Rot-Grün-Test 270 Rot-Grün-Vorhalter 257 Rucknystagmus 242 Ruhelage 34
S Sakkaden 37, 44, 46, 340 – horizontale 42, 45 – vertikale 42, 45 SANDO-Syndrom 316 Säuglingsbrille 196 Schädel-Hirn-Trauma 164 Schädelbasisbruch 362 Schhielwinkel – objektiver 242 – subjektiver 242 Schielabweichung, Richtungsangabe 106 Schielamblyopie 174, 186, 372 Schieldauer 139 Schielen 130 – akkommodatives 141 – alternierendes 222 – bei hoher Myopie 148 – Diagnostik 133 – dissoziiertes 323–324 – Erstdiagnose 133 – frühkindliches 447 – inkomitantes 323, 326 – kleinwinkliges s. Mikrostrabismus 144 – konsekutives 162 – latentes 112 – mechanisch bedingtes 109, 148 – monolaterales 242 – nach Amotio-Operation 164 – nach Kataraktoperation 164 – nach Schädel-Hirn-Trauma 164 – nichtparetisches 398 – Operationsindikation 408 – paretisches s. Lähmungsschielen 413 – sekundäres 162 Schielerkrankung – postoperatives Binokularsehen 379 – Prävalenz 132 – primäre 132 – sekundäre 132–133 Schieloperation 160, 163 – Kontraindikation 447 Schielsyndrom, frühkindliches 134 Schielwinkel 36, 135, 142, 149, 158–159, 232, 251, 253 – Änderung 224 – großer 259, 263, 405 – Inkomitanz 272, 280, 323 – kleiner 223, 405 –– Binokularfunktion 255 – Konkomitanz 323
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Operationszeitpunkt 409 Ophthalmoplegie – externe, chronisch-progressive 316, 375 – internukleäre 348, 353 Ophthalmoskop 191 Opsoklonus 359 Optikus-Hypoplasie 133 Optokinetik 47 – Auslösung 47 – Bahnen 49 Orbita 13, 15, 18 – MRT-Schnitt 19 Orbitabodenfraktur 293, 295–296 – Kardinalsymptome 293 – Motilitätsschema 297 Orbitadekompression 311, 313 Orbitafraktur 110 Orbitaspitze 14 Orbitaspitzensyndrom 15 Orbitatumor 424 Orbitawandfraktur 293 Orbitopathie, endokrine 275, 303, 305–306 – Augenmuskelbeteiligung 313 – Botulinumtoxinjektion 447 – Differenzialdiagnose 304 – Operationsreihenfolge 308 – therapeutische Essener Hausregeln 312 Orientierungsdisparität 86 Orientierungskolumnen 97 Orientierungsnacheffekt 92 Orthophorie 105, 114 Orthophorisation 217, 327 Orthotropie 105 Ortsfrequenz 59 Oszillationen – makrosakkadische 359 – sakkadische 359 Oszillopsie 353, 355, 358 Otolithenapparat 349, 353 Otolithenreflex 51, 330
Sachverzeichnis Sensibilität 17 Sensibilitätsstörung 294 Sensorik, binokulare 71, 216 – anomale 219 Septum orbitale 17 Sichtokklusiv 198 Sinus-cavernosus-Syndrom 336, 375 Skelettmuskelbiopsie 317 Skew Deviation 349 Skiaskopie 121, 193 Skleraperforation 384 Skotomtheorie 183 Spasmus – facialis 447 – hemifazialer 363 – nutans 358 Spätschielen, normosensorisches 141 Sphincter pupillae – Blockade 369 – Fehlinnervation 369 – Lähmung 332 Spiegelraumbewegung 47 Spontandiplopie 261 Spontannystagmus 51, 53 – vestibulärer 352 –– peripherer 352 –– zentraler 353 Sprungfusion 129 Square-Wave Jerks 359 Staircase-Methode, Visusbestimmung 68 Stereogramm 193 Stereopsis 79, 83 – globale 85 – lokale 85 – qualitative 84 – quantitative 84 Stereosehschärfe 83 Stereoskop 83 Stereotest 125, 243, 255, 267 Sternchentest 253 Stilling-Türk-Duane-Retraktionssyndrom s. Retraktionssyndrom 421 Stimulation, bifoveolare 280 Stimulusdeprivation 194 Strabismus 105, 385 – atypischer 26 – bei hoher Myopie 412 – bei Makuladystrophie 164 – concomitans s. Begleitschielen 106 – convergens –– Diplopieschema 174 –– frühkindlicher 111 –– Operation 398, 402 –– Operationsindikation 404 – deorsoadductorius 156, 408 –– dekompensierter 410 – divergens –– intermittens 157, 224 –– intermittens, Operation 161, 409 –– intermittens, Spontanverlauf 161 –– nach Medialis-Tenotomie 412 –– Operation 398, 403
–– Operationsindikation 407 –– primärer 162 – fixus 148 –– konnataler 203 – frühkindlicher 219–220, 227 – im Senium 143 – incomitans Siehe Lähmungsschielen 109 – Neurophysiologie des Binokularsehens 226 – sursoabductorius 106 – sursoadductorius 26, 106, 151, 288 –– assoziierter 137 –– beidseitiger, isolierter 156 –– dekompensierter 409, 430 –– einseitiger, isolierter 151 –– mit Strabismus deorsoadductorius 157 –– Operation 403, 408 – verticalis 407 Strabofix 234 Streckenteilungsversuch nach Kundt 73 Streifengläser 244 Summation, binokulare 90, 185 Supernumerary fasciculi 300 Suppressionsamblyopie 173, 175, 187 Suppressionstheorie 89 Swinging-Flashlight-Test 371 – Säugling 373 Sympathikus 367–368 – Störung 370 Sympathomimetika 370 λ-Symptom 149 Synapse 339 Synergist 324 Synkinese, mandibulopalpebrale 275, 365 Synoptometer 262, 267, 278, 280–281, 305 Synoptophor 262, 267, 278, 281
T Tadpole-shaped Pupil 373 Tafeldiagonale 282 Tangententafel 248–249, 277–278, 329, 340 – Korrespondenzprüfung 265 – Skala 282–283 Tangentialpunkt 27 Tapetenbilder 85 Tarsus 17 Teller-Acuity-Karten 64 Tenon-Faszie – Präparation 412 – Prolaps 382 Tenon-Kapsel 17, 19 Tenon-Pforte 19–20, 32 – Verschiebung 155 Tenotomie 22 – gesicherte 387 – komplette 388 – partielle 388 Tensilon-Test 341 Tertiärneigung 31
Tertiärstellung des Auges 31 Theorie, visomotorische 32 Thymom 341 Thymus 339 Tiefensehschärfe 83 Tiefenwahrnehmung 79, 83 Tilt-after-Effect 92 Tischkoordinator 205 Titmus-Test 82–83, 193, 256, 267 TNO-Test 256 Tolosa-Hunt-Syndrom 336 Torticollis 234 Tragetest 127 Trakt, optischer 48 – akzessorischer 48 – Nukleus 135 Traktionstest 295, 303 Traktusschaden 372 Tränensekretion 362 Transfer, interokularer 91 Transilluminationstest 191 Treffversuch 255, 267 Trennschwierigkeit 59, 175 Trochlea 24 Trochleariskern 43 Trochlearisparese 36, 107, 109, 154, 250, 288, 329, 413 – bei Okulomotoriusparese 426 – beidseitige 289, 430–431 – Differenzialdiagnose 430 – Operationsergebnisse 432 – Operationsindikation 429–430 – Schielwinkel 154 Trochleaverletzung 330–331 Tropfen, hängender 294, 297 Troxler-Phänomen 178
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– Messung 258, 275, 280, 286, 328 – objektiver 258, 263, 265 – operative Verkleinerung 385 – primärer 285, 323 – sekundärer 285, 323 – subjektiver 264 –– Prismenausgleich 261 – Überkorrektion 379 – Unterkorrektion 379 Schielwinkelreduktion 402 – durchschnittliche 404 Schielwinkelschwankung 400, 406 Schielwinkelzunahme, postoperative 409 Schlaganfall 345, 363, 376 Schlingenoperation 387 Schober-Test 123 Schulung, pleoptische 203 Schwindel 352 Sehachse 36, 106 Sehbahn 94, 367, 371 Sehen, beidäugiges, bei disparater Abbildung 78 Sehleistung 66 Sehnen-Splitting, Musculus obliquus superior 426 Sehnenfaltung 389–390 Sehnenmaß 25 Sehnentransposition 425 Sehnenverlängerung 387 Sehprobentafel 62 Sehrichtung, Identität 75 Sehrichtungsangleichung 81, 88 Sehrinde 94 – funktioneller Aufbau 96 – Funktionsverlust der Zellen 170 – primäre 45, 95, 135 Sehschärfe 56, 159, 185, 253 – Angabe 60 – Bestimmung 66 –– Best-PEST-Strategie 69 –– Forced-Choice-Strategie 66 –– Grenzmethode 68 –– Herstellungsmethode 68 –– Konstanzverfahren 67 –– nach DIN 58220–3, EN ISO 8596 69 –– objektive 64 –– Stufenstrategie 68 –– subjektive 193 – binokulare 60 – Entwicklung, altersabhängige 65 – frühkindlicher Nystagmus 355 – Helligkeit 58 – Prüfreize 62 – Prüfung bei Lähmungsschielen 274 – psychometrische Funktion 66 – Untersuchungsentfernung 60 – Verminderung 175 –– einseitige 82 – zentrale 187 – zentrifugale Abnahme 59 Sehstörung, psychogene 189 Sehvermögen, operationsbedingter Verlust 383 Sekundärstellung des Auges 30 Senkung 36
U Übertragung, neuromuskuläre, Störung 339 Übungen, orthoptische 128 Umblickfeld 37 Umschlagphänomen 294, 296–297 Unfallgefahr, amblyopiebedingte 207 Untersuchung – neuroophthalmologische 275 – orientierende 253 Urrets-Zavalia-Syndrom 373
V V-Esotropie 151 V-Exotropie 149 V-Inkomitanz 329, 338 V-Symptom 106, 397, 408 Valenztest 125 Vena ophthalmica 26 VEP (visuell evozierte Potenziale) 66, 92 Verdunkelungsprobe 136 Vergenz 29, 43 – akkommodative 52, 158 – horizontale 52 – Säuglingsalter 54 – Störung 359 Vergenzexzess 404–405
455
Sachverzeichnis Vertikalwinkel 313 Vestibuläres System 49 Vestibularisausfall 353 – beidseitiger 353 Vestibularisprüfung, kalorische 51 Vestibularorganausfall 352 Vierhügel, obere 45 Vieth-Müller-Horopterkreis 76 Visus (s. auch Sehschärfe) 60, 67 Visusreduktion 133 Vollokklusion 198 – faziale 198 Vorderrandchirurgie 431 Vortexvene 395
W
Y
Wahrnehmung, visuelle, Verzerrung 186 Wahrnehmungsstörung, binokulare 218 Wallenberg-Syndrom 347 Wallreflex 178–179 Weber-Syndrom 332 Wettstreit, binokularer 88 Wettstreitbilder nach Helmholtz 174 Willkürnystagmus 360 Winkel Kappa 192, 238 Winkelfehlsichtigkeit 125 Worth-Test 257, 267
Y-Operation 397 Y-Symptom 149 Yokoyama-Operation 413
X X-Inkomitanz 338 X-Symptom 149
Z Zellen – kortikale, BinokuIarität 97 – supranukleäre 43 Zerebralparese, kindliche 162 Ziliararterien 25 Zyklen pro Grad 61 Zyklodeviation 247 – Messung 283 Zyklofusionsbreite 271 Zyklophorie 106, 114 Zyklotropie 247, 249, 278 – bei Trochlearisparese 430 – Messung 305 Zyklovergenz 30 Zykloversion 29 – sensorische 74
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Vergenzinsuffizienz 404–405 Vergenzruhelage 34 Verletzung, perforierende 162 Vernarbung 316 Verrollung 150 – um die Blicklinie 350 Version 29, 43 – horizontale 43 – vertikale 43 Vertikaldeviation 110–111, 246, 329, 431 – dissoziierte 136 – in Adduktion 338 – Messung 263 Vertikaldivergenz 246 Vertikale, subjektive 74, 350 Vertikalmotor 35 – Funktionsstörung 404 – Operationsergebnis 400 – schräger, Operationsdosierung 408 Vertikalphorie 114 Vertikalprisma 246 Vertikalschielen, konkomitierendes 108
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