Stigma »Indio«: Zur Struktur und Semantik Indigener Exklusion in Mexiko [1. Aufl.] 9783839427903

A system theory analysis of the transformation processes in societal structures and semantics between 1519 and 1650 that

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German Pages 256 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
Vorbedingungen zur Interaktion
Interaktion als Variation in Mexiko in den Jahren 1519-1521
Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der mexikanischen Indigenen
Homogenisierung der Indigenen Unterschicht
Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht
Konklusion
Literatur
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Stigma »Indio«: Zur Struktur und Semantik Indigener Exklusion in Mexiko [1. Aufl.]
 9783839427903

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Enrique Alcántara Granados Stigma »Indio«

Postcolonial Studies | Band 20

2014-08-06 08-56-32 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01ff373724036228|(S.

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4) TIT2790.p 373724036244

Enrique Alcántara Granados (Dr. phil.) promovierte im Fach Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zu Religiosität und Gewalt in Berlin und Zürich.

2014-08-06 08-56-33 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01ff373724036228|(S.

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4) TIT2790.p 373724036244

Enrique Alcántara Granados

Stigma »Indio« Zur Struktur und Semantik Indigener Exklusion in Mexiko

2014-08-06 08-56-33 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01ff373724036228|(S.

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4) TIT2790.p 373724036244

Zugl.: Berlin, Humboldt-Universität, Philosophische Fakultät III, Dissertation

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Sahagún, Bernardino de/Códice Florentino, Historia General de las Cosas de Nueva España. Manuscrito 218-20 de la Colección Palatina de la Biblioteca Medicea-Laurenziana, Edición facsimilar, 3 Bde., Casa Editorial Giunti Barbera, Archivo General de la Nación, México/Florencia 1979. Buch XII fo.12, S. 419. Korrektorat: 7Silben, Bottrop Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2790-9 PDF-ISBN 978-3-8394-2790-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt

Einführung  | 9 Vorbedingungen zur Interaktion Die aztekische Gesellschaft bis 1519 und die spanische Gesellschaft in den Indias der Neuen Welt 1492-1519  | 19 I. Die aztekische Gesellschaft bis 1519: Das aztekische Glaubenssystem und die Konstruktion aztekischer interagierender Gottheiten | 22 a. Die Bezeichnung Azteke und die Dimensionen des aztekischen Reichs um 1519 | 22 b. Das polytheistische Glaubenssystem der Azteken | 25 c. Bestätigung religiöser Erwartungen: Die Azteken konstruieren ihre Gottheiten | 47 d. Interagierende göttliche Repräsentationen: Mechanismen zur Verarbeitung doppelter Kontingenz und die Unberechenbarkeit der Spanier als konstruierte Gottheiten | 53 II. Die spanische Gesellschaft in den Indias 1492-1519: Die Indigenen als »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« | 56 a. Der semantische Ursprung der Bezeichnung Indias | 57 b. Der semantische Ursprung der Bezeichnung Neue Welt | 60 c. Das Requerimiento | 67 d. Die spanische Fremdbeschreibung »Indio« als »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum«: Kontingenzreduktion durch die Entfaltung asymmetrischer doppelter Kontingenz | 84

Interaktion als Variation in Mexiko in den Jahren 1519-1521  | 87 I. Quellen zur Untersuchung von Interaktionsprozessen | 89 a. Augenzeugen-Berichte | 91 b. Das Werk von Fray Bernardino de Sahagún | 96 II. Theoretische Vorbedingungen der Untersuchung von Interaktionsprozessen | 98 a. Theoretischer Rahmen zur Konstruktion eines Modells der Interaktionsprozesse | 101 b. Einführung des Modells zur Untersuchung von Interaktionsprozessen | 105 III. Erste Periode der Interaktionsprozesse: Interaktionen der Erwartungsbestätigung (von den ersten Begegnungen bis zur Ankunft der Spanier in die Stadt der Azteken am 8. November 1519) | 107 a. Generalisierung von Erwartungen | 110 b. Bestätigung der Erwartungen | 114 IV. Zweite Periode der Interaktionsprozesse: Interaktionen der asymmetrischen Enttäuschung von Erwartungen (vom Anfang des Aufenthaltes der Spanier in Tenochtitlan bis zum Beginn des Krieges im Mai 1520) | 116 V. Dritte Periode der Interaktionsprozesse: Interaktionen der Symmetrisierung der Erwartungsenttäuschung durch Gewaltausübung (vom Ausbruch des Kriegs bis zur Kapitulation der Azteken am 13. August 1521) | 125 VI. Vierte Periode der Interaktionsprozesse: Interaktionen der Reasymmetrisierung der Erwartungsenttäuschung (ab der Kapitulation der Azteken am 13. August 1521) | 135

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der mexikanischen Indigenen  | 139 I. Methodische Voraussetzungen | 141 II. Die Semantik zur Darstellung der Indigenen als Menschen mit einem »mangelhaften Intellekt« | 146 a. Die asymmetrische Distinktion »Spanier/Indio« | 146 b. Die Überleitungssemantik der Evangelisierungstexte | 150 c. Die Erwartungen der Missionare und das Verstehen der Indigenen: Die Kontingenz der Überleitungssemantik | 159

III. Die Semantik zur Darstellung der »fehlerhaften Intelligenz« der Indigenen | 167 a. Die Inquisition als Organisation und die Logik ihrer Kommunikationen | 168 b. Die Entfaltung der Semantik zur Definition eines dogmatisierenden Ketzers: Das Beispiel des Inquisitionsprozesses gegen Don Carlos (Chichimecatecuhtli) Ahuaxpitzatzin Ometochtzin Yoyontzin Ixtlilxochitl Mendoza (1539) | 172

Homogenisierung der Indigenen Unterschicht Die strukturelle Ausdifferenzierung der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den Spaniern und den Indigenen  | 187 I. Methodische Voraussetzungen | 188 II. Strukturierung der Arbeitsteilung in der Indigenen Unterschicht | 190 a. Hierarchische Arbeitsteilung: Die Erwartungen der Spanier und der Indigenen und die Funktion struktureller Kopplung | 190 b. Encomienda und Repartimiento als strukturelle Kopplungen | 192 III. Homogenisierung der Unterschicht | 202

Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht Die Entstehung des »Stigmas-Indio«  | 209 I. Hierarchisierung der Unterschicht durch Hispanisierung | 209 a. Hispanisierung | 210 b. Das Paradox der Hispanisierung: Die strukturelle Exklusion der Indigenen aus der spanischen Oberschicht | 214 II. Die semantische Form »Indio«: Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung in der Indigenen Unterschicht | 216 III. Das »Stigma-Indio« und seine Visibilität | 220 IV. Selbstreferenz und operative Klausur der Indigenen Unterschicht | 223

Konklusion  | 227 Literatur  | 233

Einführung

Die Kolonialisierungsprozesse Mexikos durch Spanien sind unterschiedlich untersucht und erklärt worden. Bis zum Beginn des XX. Jahrhunderts wurden vor allem historische Studien durchgeführt, in denen sich die Autoren mit relevanten Ereignissen, Daten und Akteuren auseinandergesetzt haben, um sie chronologisch zu organisieren und zu deuten. Diese Studien sind davon ausgegangen, dass man Unterschiede zwischen den »wenig« zivilisierten Kulturen Mexikos und der europäischen Kultur im Rahmen einer allgemeinen Vorstellung kultureller Entwicklung feststellen kann.1 Daher ist versucht worden, soziale Transformationen durch die Distinktion entwickelt/unterentwickelt zu erklären. Die methodische und analytische Entwicklung der Historiographie im XX. Jahrhundert hat schließlich zu Untersuchungen geführt, die die Distinktion entwickelt/unterentwickelt wegen ihrer Unterkomplexität ablehnten und sich eher mit den ethnologischen und archäologischen Studien über Mexiko auseinandersetzten.2 Die Autoren dieser Untersuchungen haben die Relationalität zwischen Machtdistribution, ökonomischen und demographischen Zusammenhängen sowie sozialer Struktur erkannt, welche die Prozesse historischer Transformation durch Kolonia1 | Die Dimension der Literaturliste zu diesem Thema ist unermesslich. Hierzu nur drei relevante Beispiele: Prescott, W., History of the Conquest of Mexico, Lippincott Co., Philadelphia 1845; Clavijero, Francisco Javier, Historia antigua de México y de su Conquista, México 1780; Orozco y Berra, Manuel, Historia Antigua y de la Conquista de México, México 1880. 2 | Siehe hierzu vor allem: Gibson, Charles, Tlaxcala in the Sixteenth Century, Stanford University Press, Stanford, Ca. 1967; ders., The Aztecs under Spanish Rule. A History of the Indians of the Valley of Mexico 1519-1810, Stanford University Press, Stanford, Ca. 1964; Cook, Shelburne F./Woodrow Borah, The Indian Population of Central Mexico 1531-1610, Berkeley and Los Angeles 1960.

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lismus verursacht haben. Jedoch lösten sie sich auf der einen Seite nicht vom Verständnis der zeitlichen Linearität der Geschichte, und auf der anderen Seite unterließen sie es, sich soziologischer Kategorien zu bedienen. Stattdessen fokussierten sie soziale Phänomene, um geschichtliche Fakten zu beleuchten. Ab dem ersten Jahrzehnt der zweiten Hälften des XX. Jahrhunderts sind wiederum Forschungen entstanden, die die Kolonialisierung Mexikos durch soziökonomische Phänomene wie Landverteilung, Distribution von Arbeit und die Entstehung sozialer Klassen erklären.3 Diese Studien wurden auf marxistisch-analytischen Kategorien aufgebaut, um die sozioökonomischen und geschichtlichen Transformationen Mexikos durch seine Kolonialisierung zu beleuchten. Ihr Beitrag ist nicht zu unterschätzen, denn sie haben die relevante Rolle wirtschaftlicher Faktoren aufgezeigt. Jedoch ist ihr Erklärungspotential nur beschränkt, denn ihre dialektischen Dispositionen gesellschaftlicher Transformation sind als zu wenig komplex einzustufen. In den letzten Jahrzehnten des XX. und zum Beginn des XXI. Jahrhunderts sind unterschiedliche theoretische Ansätze vor allem im Bereich der Politikwissenschaft, der Kulturwissenschaft und der Ethnologie entstanden, die sich mit der Kolonialisierung Mexikos auseinandergesetzt haben. Diese Ansätze haben zum Ziel, Untersuchungen über koloniale und postkoloniale Phänomene durchzuführen und dabei die analytischen Defizite jeden bis dahin durchgeführten Erklärungsversuchs zu zeigen.4 Hierbei geht es vor allem um transdisziplinäre Studien, welche die negativen Effekte fokussieren, die die eurozentrische wirtschaftliche und politische Vorgehensweise der Kolonialherren in den Gesellschaften der 3 | Für einen Überblick siehe: Carrasco, Pedro/Johanna Broda (Hg.), Estratificación social en la Mesoamérica prehispánica, Centro de Investigaciones Superiores, Instituto Nacional de Antropología e Historia, México 1976. 4 | Vgl. hierzu Todorov, Tzvetan, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1985; Said, Edward W., Orientalism, Pantheon Books, New York, 1978; García Canclini, Nestor, Hybrid Cultures: Strategies for entering and leaving Modernity, University of Minnesota Press, Minneapolis, Minn. 1995; Dussel, Enrique, »World-System and ›Trans‹-Modernity«, in: Neplanta: Views from South, Jg. 3, H. 2, 2002 (S. 221-244). Pachón Soto, Damián, »Nueva perspectiva filosófica en América Latina: el grupo Modernidad/Colonialidad«, in: Peripecias, H. 63, 2007 (S. 1-18).

Einführung

Indigenen Völker kolonialisierter Länder verursacht haben. Die Autoren setzen sich überwiegend mit den Prozessen sozialer Unterdrückung und Exklusion durch Gewaltanwendung oder mit dem Diskurs der Kolonialherren auseinander und versuchen, theoretische oder politische Lösungen zu generieren, um die (Probleme der) Folgen des Kolonialismus zu erklären. Ebenso kritisieren sie europäische Wissensproduktionen oder lehnen sie als Teil des Gedankenguts der Kolonialisten ab, denn für sie offerieren diese Wissensproduktionen keine realen Lösungsalternativen. Aus diesem Grund versuchen sie europäische Wissensproduktionen durch theoretische Alternativen zu ersetzen. Solche Studien erheben in der Regel den Anspruch, analytische Elemente anzubieten, um z.B. auf die negativen, noch bestehenden Kolonialstrukturen in Europa sowie in den kolonialisierten oder ehemals kolonialisierten Ländern hinzuweisen und letzteren zur Emanzipation und Demokratisierung zu verhelfen. Gerade aus diesen Gründen verstehen sich einige dieser Theorien und Studien als Instrumente, die politischen Kämpfen die Richtung weisen sollen.5 Die besondere Leistung dieser Methode ist, dass sie eine Reihe blinder Flecke in der Erforschung kolonialer und postkolonialer Themen manifest gemacht hat, die in einigen Fällen mehrere Jahrhunderte semantischer Karriere aufweisen. Wenn dies aber so ist, sollte dennoch bemerkt werden, dass sie gleichzeitig auf erheblichen theoretischen Mängeln und Widersprüchen aufgebaut sind: Zum einen benutzen sie überwiegend moralische und politische Argumente, um zu erklären, warum die auf der europäischen Aufklärung basierenden Wissensproduktionen überholt sind, um die kolonialen und postkolonialen Phänomene zu erforschen. Zum anderen sind sie durch ihren reaktiven Standpunkt nicht in der Lage, eine tiefergehende Selbstreflexion (Selbstbeobachtung) eigener theoretischer und methodischer Elemente durchzuführen, um die europäische Denktradition in ihren analytischen Kategorien zu isolieren und zu substituieren. Schließlich möchten wir auf die philologischen Forschungen aufmerksam machen, die vor allem im letzten Jahrzehnt des XX. Jahrhunderts durchgeführt wurden und die systematisch und ausführlich die Beziehungen zwischen Sprache und sozialer Transformation hervorheben. Diese Forschungen zeigen, wie die Sprachen der Indigenen Mexikos auf 5 | Siehe hierzu das Beispiel von Krishna, Sankaran, Globalization and Postcolonialism. Hegemony and Resistance in the Ttwenty-first Century, Lanham 2009.

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den Einfluss der spanischen Gesellschaft, der Schrift des lateinischen Alphabets, der spanischen Grammatik und der Aussprache reagiert haben. Ihre Autoren belegen mit Plausibilität, wie und unter welchen Bedingungen soziale Transformationen dadurch damals stattfanden.6 Dabei ist hervorzuheben, dass sie Bereiche soziokultureller Evolution erforschen, ohne eine soziologische Methode zu applizieren. Jedoch ist ihr Beitrag von großer Relevanz für soziologische Untersuchungen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, weil sie zahlreiche Belegbeispiele bieten, um semantische Transformationen der Indigenen Gesellschaft zu beleuchten. Die vorliegende Arbeit fokussiert ebenfalls die Prozesse sozialer Transformation, die die Kolonialisierung Mexikos in Gang gesetzt hat. Insbesondere untersuchen wir den operativen Ursprung der Ausschließungsprozesse der Indigenen aus dem sozialen Bereich der zentralen politischen Entscheidungen des Landes. Hierfür setzen wir eine soziologische Theorie ein, die ein umfangreicheres Verständnis sozialer Phänomene durch die Anwendung eines systematischen Konzeptes von Sinnproduktion und Sinnreproduktion verspricht und daher im Allgemeinen mehr als die Beobachtung der Relevanz der Gewaltanwendung, des Diskurses der Kolonialherrscher, der Macht-, Land- oder Arbeitsdistribution in den Blick nimmt. Es handelt sich dabei um die Systemtheorie von Niklas Luhmann.7 Dies ist eine Theorie, die die Kommunikation (selbstreferentieller Sinn) als ultraelementares Partikel der Gesellschaft definiert 8 und deren analytische Voraussetzungen (Evolution, Autopoiesis, Kybernetik usw.) die relevante Rolle der Kontingenz kommunikativer Operationen in den Prozessen sozialer Transformation beleuchten, um dadurch Beobachtungsperspektiven zu ermöglichen, anhand derer die Komplexität sozialer Prozesse angemessen ausgearbeitet werden kann. Dadurch ver6 | Ein hervorragender Beitrag ist zu finden in: Lockhart, James, Nahuas and Spaniards. Postconquest Central Mexican History and Philology, Stanford University Press, UCLA, Stanford, Ca. 1991. 7 | Hier ist anzumerken, dass wir sie als Theorie der Gesellschaft und nicht als Soziologie zur Untersuchung einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft benutzen. 8 | Siehe zum Beispiel die komplexe Selbstreferenz von Sinn und ihre Effekte in den evolutiven Prozessen der Gesellschaft in: Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, in: ders., Ideenevolution, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2008, (S. 7-71) S. 12-13.

Einführung

suchen wir, den Wissensanforderungen einer an die zunehmende Komplexität moderner Gesellschaft gekoppelten Soziologie gerecht zu werden. Wir verwenden eine Methode, die für die Untersuchung eines sozialen Phänomens wie der Kolonialisierung Mexikos Erklärungsmöglichkeiten bietet, die wegen ihrer Neutralisierung ontologischer und teleologischer Beobachtungsperspektiven einige der blinden Flecken der Methoden klassischer Soziologie oder zeitgenössischer soziologischer Theorien beleuchten.9 Anhand der Systemtheorie wollen wir die Transformationsprozesse von Gesellschaftsstrukturen und Semantik zwischen 1519 und 1650 in Mexiko untersuchen, also die operative Entfaltung eines höherstufigen, generalisierten, relativ situationsabhängig verfügbaren Sinns erforschen,10 der die »Reproduktion von Sinnerleben«11 gesteuert hat und dazu beigetragen hat, eine bestimmte Form sozialer Ausschließung im Rahmen der Entfaltung einer stratifizierten sozialen Ordnung zu plausibilisieren. Bis jetzt ist der Versuch noch nicht unternommen, den operativen Ursprung der Exklusion der mexikanischen Indigenen aus der kolonialen spanischen Oberschicht durch eine Theorie zu erforschen, die die relevante Rolle der Kontingenz und der Komplexität in der Konstitution sozialer Ordnungen hervorhebt und die zusätzlich die geschichtlichen Ereignisse nicht als einen linearen Prozess versteht. Unsere Untersuchung wagt den Versuch, diese durch unsere systemtheoretische Beobachtung wahrgenommene Forschungslücke zu füllen. Die vorliegende Abhandlung beschäftigt sich mit einem Prozess sozialer Transformation (Evolution, Mutation). Deswegen stellt für sie das systemtheoretische Konzept sozialer Evolution ein besonderes Anliegen dar.12 Wir verwenden ein Evolutionskonzept, das Kontinuitäten, Brüche 9 | Siehe für Luhmanns Argumente über die Leistung der Systemtheorie im Vergleich zu den Klassikern der Soziologie: Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993 (S. 9-71). 10 | Siehe für diese Formulierung: ebd., S. 19. 11 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 55. 12 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1997.

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und Differenzen des Sinns hervorhebt, um sie, wo sie auftauchen, als Operationen zirkulärer Komplexität und der gleichzeitigen Steigerung und Reduktion der Kontingenz zu erforschen. Anhand dieses Konzepts versuchen wir, die simultane Transformation, die zirkuläre (nicht hierarchische) Relationalität und die Unterschiede der Evolutionsformen von Gesellschaftsstrukturen und Semantik zu verdeutlichen, deren Relationalität teilweise die Nichtbeliebigkeiten sozialer Transformation garantiert. Durch diese Auffassung der Sinnevolution vermeiden wir, mit analytischen Variablen wie intelligenter Planung oder Naturgesetzen zu arbeiten, und distanzieren uns ebenso von einer Definition sozialer Transformation, die Evolution allein als Produkt zufälliger Ereignisse versteht.13 Im Gegensatz dazu zeigen wir, dass gesellschaftliche Transformationen erst eintreten, wenn sie bereits im sozialen System durch Strukturen, Semantiken und Selbstreferenzen als möglich und wahrscheinlich erscheinen. Dies gilt selbstverständlich auch für eine der zentralen semantischen Formen, die zum Auf bau einer stratifizierten sozialen Ordnung in Mexiko beitrug: Die semantische Form »Indio«, die als Stigma die Entstehung einer Indigenen Unterschicht ermöglicht hat. Ziel unserer Untersuchung ist zu belegen, dass die semantische Form »Indio« als Exklusionsformel weder als ein beliebiges Sinnevolutionsprodukt noch als ein Produkt intelligenter Planung zu begreifen ist, sondern als ein Resultat von sich wiederholenden und anschlussfähigen Kommunikationsoperationen, die sich rekursiv und selbstreferenziell als Redundanzen akkumuliert haben, bis sich daraus Gesellschaftsstrukturen und Semantiken entfalten konnten. Im Rahmen der erwähnten theoretischen Vorbedingungen legen wir unserer Untersuchung die folgenden Fragen zugrunde: 1) Wie sind die Transformationen der Exklusionsvoraussetzungen von zeitlich fern liegenden Gesellschaften zu beobachten? 2) Wie ist zu erklären, dass eine komplexe Form sozialer Exklusion (in diesem Fall die semantische Form »Indio«) durch Trivialereignisse entsteht, die in unzähligen Situationen nebeneinander und nacheinander an Relevanz verlieren und gewinnen, wenn man die Variable der intelligenten Planung und der Naturgesetzte 13 | Das bedeutet, dass wir Evolution nicht als eine sinnfremde, selektive Mechanik verstehen, »die weder gewählt noch gewollt, weder vorausgesehen noch vermieden werden kann […]«. Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 8.

Einführung

außer Acht lässt? Und 3) wie korrelieren und kovariieren Wissensbestände (Semantik) und Gesellschaftsstrukturen, um nicht beliebig zu variieren? Unsere Antworten zu diesen Fragen präsentieren wir in fünf Kapiteln. Im ersten Kapitel erforschen wir ausgewählte strukturelle und semantische Segmente der spanischen und der Indigenen Gesellschaften vor 1517, um die Koordinationsmöglichkeiten ihrer jeweiligen Informationseinordnungskapazität zu erklären. Hierfür heben wir die jeweiligen operativen Vorbedingungen zur Konstruktion gegenseitiger Fremdbeschreibung durch die Anwendung des systemtheoretischen Konzeptes der doppelten Kontingenz hervor. Im zweiten Kapitel untersuchen wir Interaktionsprozesse zwischen Spaniern und Indigenen zwischen 1519 und 1521 durch ein Modell, das die Entstehung von Asymmetrien auf der Ebene der Erwartungsbestätigung und Erwartungsenttäuschung beider Gesellschaften zeigt. Die historischen Belege zum Auf bau dieses Modells sind spanische und Indigene Augenzeugenberichte. Im dritten Kapitel zeigen wir durch die Untersuchung von ausgewählten Evangelisierungstexten und Akten aus Inquisitionsarchiven, wie eine Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen entstanden ist, einer Semantik, die die Indigene als Wesen mit einem »mangelhaften Intellekt« oder einer »fehlerhaften Intelligenz« repräsentiert hat. Im vierten Kapitel untersuchen wir die Entfaltung von Strukturen, die eine hierarchische Arbeitsteilung und die Homogenisierung der Indigenen Unterschicht verursachten, deren operative Folgen sowohl die Bildung von Rangdifferenzierung durch die Absonderung von Gleichen zur Zugangserleichterung für relativ unwahrscheinliche Kommunikation als auch systemische Ungleichheit ermöglichten. Im fünften Kapitel erforschen wir einen der Beiträge der Indigenen Unterschicht zur Entstehung einer durch Stratifikation ausdifferenzierten sozialen Ordnung. Dabei beleuchten wir die Entfaltung der Notwendigkeit der Hispanisierung unter den Indigenen und das Auftauchen der semantischen Form »Indio« als ein Stigma, zwei Aspekte, die zur operativen Klausur der Unterschicht als Teilsystem einer solchen stratifizierten sozialen Ordnung beitrug (1550-1650). Die oben skizzierte Untersuchung arbeitet mit Begriffen, Konzepten und einer zeitlichen Periodisierung, die einer kurzen Erläuterung bedürfen. Die Bezeichnung »Indigene Gesellschaft« (Indigen) benutzen wir als zusammenfassendes Konzept, um allgemein die Indigene Gesellschaft des amerikanischen Kontinents von der europäischen Gesellschaft zu differenzieren und um spezifisch die Gesellschaft der Indigenen Mexi-

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kos von der spanischen Gesellschaft zu unterscheiden. Jedoch verwenden und erklären wir, wenn unsere Studie es verlangt, die spezifischen Bezeichnungen der unterschiedlichen Indigenen Völker, um zum Beispiel zwischen Mexika oder Tenochka (Azteken), den Einwohnern der Stadt Tenochtitlan, oder ihren Nachbarn des Stadtteils Tlatelolco, den Tlatelolkas, zu differenzieren. So verfahren wir auch, wenn es darum geht, die mexikanischen Indigenen von den Indigenen anderer Regionen Amerikas zu unterscheiden. 1. Wir schreiben das Adjektiv »Indigen« groß, aber nicht wie die ethnologische Weißseinsforschung »Schwarz« und »weiß« groß und klein schreibt, um zu verdeutlichen, dass Weißsein ein dominanter Marker ist, der eine unreflektierte Wissensperspektive verkörpert, währenddessen Schwarz als eine bewusste, politische Selbstpositionierung entfaltet wird.14 Eine solche Positionierung war selbstverständlich sowohl für die Indigene Gesellschaft als auch für die operative Logik der Stratifikation nicht zu beobachten. Wir schreiben es groß, um die bestehende Asymmetrie zwischen der Indigenen Gesellschaft und der spanischen Gesellschaft als historisch-politische, asymmetrische Gegenbegriffe zu betonen.15 Die Bezeichnungen »Mexiko« oder »mexikanische Indigene« sind durch die aktuelle geographische Konfiguration des amerikanischen Kontinents definiert. Den Terminus »Indio« definieren wir als eine semantische Form, die sowohl die spanische Oberschicht als auch die Indigene Unterschicht benutzt hat, um jeweils die Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen zu artikulieren. Wir verwenden allgemeine geschichtliche Begrifflichkeiten wie »Eroberung von Mexiko«, dennoch versuchen wir im Laufe unserer Untersuchung, ihren prekären historischen Charakter durch Konzepte wie Komplexität, Kontingenz, Unwahrscheinlichkeit und abweichende Reproduktion von Sinnoperationen zu unterstreichen. Letzteres ist von zentraler Bedeutung für dieses Vorhaben, denn wir betonen mit Luhmann, dass ihre Erklärungskapazität der Prozesse sozialer Transformation gering ist, weil sie 14 | Vgl. Eggers, Maisha M./Grada Kilomba/Peggy Piesche/Susan Arndt, Mythen, Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2006. 15 | Siehe hierzu Koselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriff«, in: Harald Weinrich (Hg.), Positionen der Negativität, Poetik und Hermeneutik, Bd. VI, München 1975 (S. 65-104).

Einführung

historische Ereignisse als geschichtliche Selbstverständlichkeiten und Notwendigkeiten fixieren. 2. Die Entscheidung, die Transformationsprozesse von Gesellschaftsstrukturen und Semantik in der Zeitperiode von 1519 bis 1650 zu fokussieren, um die Entstehung der semantischen Form »Indio« als Exklusionsformel zu erforschen, basiert auf unserer Überlegung, dass vor dem Jahr 1519 die Irritationen für die Entfaltung einer stratifizierten sozialen Ordnung mit einer spanischen Oberschicht und einer Indigenen Unterschicht noch nicht vorhanden waren und dass bereits 1650 die Indigene Unterschicht die operative Selbstreferenz erreicht hatte, um ihre operativen Grenzen gegenüber ihrer sozialen Umwelt (Oberschicht) durch die eigene Applizierung der Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen zu markieren. Diese zeitliche Eingrenzung ist ein Teil der Untersuchungshypothese, die wir belegen möchten. Unsere Studie beabsichtigt zu zeigen, dass bereits in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts von einer Indigenen Unterschicht gesprochen werden kann, die als ein Teilsystem einer durch Stratifikation ausdifferenzierten sozialen Ordnung zu definieren ist. Diese Untersuchung befasst sich mit Sinnereignissen, die Sinnbezüge von Moment zu Moment in unzähligen Situationen nebeneinander und nacheinander verloren und wiedergewonnen haben und die sich in jeder Gesellschaft (als Kommunikation definiert) ereignen. In dieser Hinsicht stellt unsere Abhandlung nicht bloß eine Fallstudie dar. Sie verfolgt vielmehr die Ambition, ein Forschungsschema zu bieten, das für die systemtheoretische Untersuchung der Entfaltung sozialer Ausschließung in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten und geschichtlichen Perioden anwendbar ist. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass ich die Verantwortung für alle aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzten Zitate trage, deren originale Versionen zum Vergleich in den Fußnoten zu finden sind. Die kommunikativen Irritationen dieser Untersuchung wären nicht ohne die Unterstützung unterschiedlicher Personen und Institutionen möglich gewesen. In erster Linie möchte ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Klaus Eder für sein Vertrauen, seine Geduld und seine Anregungen bedanken. Herr Prof. Eder hat diese Arbeit mit inspirierenden und produktiven Irritationen bereichert und begleitet, die ihr eine außergewöhnliche Konstitution verliehen haben. Irritationen, die an einem

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überwiegend systemtheoretischen Lehrstuhl mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorgekommen wären. Meine Dankbarkeit geht auch an Prof. Kai-Uwe Hellmann, der in einer Umbruchzeit an mein Projekt geglaubt hat und später mit außergewöhnlicher Genauigkeit die Thesen, Belege und theoretischen Aspekte der Untersuchung überprüft und mit mir diskutiert hat, bis sie ihre Endfassung erreicht haben. Eine besondere Anerkennung gebührt Herrn Jean Clam, der diese Arbeit bedingungslos unterstützt und ihre Kapitel stets mit Großzügigkeit und scharfsinniger Beobachtung bereichert hat. Für die finanzielle Unterstützung, die mein Studium an der Humboldt Universität zu Berlin ermöglicht hat, möchte ich mich bei CONACYT (Consejo Nacional de Ciencia y Tecnología) bedanken. Ohne das Stipendium, das dieses wissenschaftliche Gremium mir gewährt hat, wäre mein langer Aufenthalt in Deutschland nicht zu finanzieren gewesen. Nicht zuletzt danke ich Elsa Granados Granados für ihre bedingungslose Unterstützung.

Vorbedingungen zur Interaktion Die aztekische Gesellschaft bis 1519 und die spanische Gesellschaft in den Indias der Neuen Welt 1492-1519

Die vorliegende Arbeit geht von der theoretischen Annahme aus, dass menschliches Erleben und Handeln nur sinnförmig ablaufen können und nur sinnförmig zugänglich sind.1 Unter dieser Prämisse beschäftigt sie sich mit der Entstehung einer der zentralen semantischen Formen, die zum Auf bau einer stratifizierten sozialen Ordnung in Mexiko nach 1519 beigetragen hat: Die semantische Form »Indio«, eine semantische Form, die als Stigma die Entstehung einer Indigenen Unterschicht ermöglicht hat. Wir befassen uns also mit einer Semantik, die den Ausschluss der Indigene aus dem Bereich der zentralen politischen Entscheidungen in Mexiko verursacht und garantiert hat. Hierfür haben wir eine Selektion sozialer Prozessen getroffen, um die Transformationen von Gesellschaftsstrukturen und Semantik ab 1519 bis 1650 in Mexiko zu erforschen, die die Herausbildung dieser Exklusionsformel ermöglicht haben. Dies unter der theoretischen Voraussetzung unserer Methode, die Gesellschaftsstruktur und Semantik wie folgend definiert: »[…] was wir Gesellschaftsstruktur (oder allgemeiner: Sozialstruktur) nennen, bildet sich, wenn Handlungssysteme ausdifferenziert werden und der Anschluß von Handlung an Handlung erwartbar gemacht werden muss […]. Von Semantik sprechen wir dagegen im Hinblick auf Formen, die die Reproduktion von Sinnerleben steuern (selbstverständlich; unter Einschluß des Erlebens von Handlungen 1 | Siehe hierzu: Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1., Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993 (S. 9-71).

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und entsprechenden Begrifflichkeit). So wie Handeln und Erleben nicht je für sich allein existieren können, sondern auf Zurechnungsunterschiede zurück zu führen sind, so existieren natürlich auch Gesellschaftsstrukturen nicht ohne Semantik und Semantiken nicht ohne Gesellschaftsstruktur.« 2

Ein zentrales theoretisches Anliegen unserer Arbeit ist, die systemtheoretischen Annahmen zu belegen, dass Gesellschaftsstrukturen nicht ohne Semantiken und Semantiken nicht ohne Strukturen vorkommen können, und dass sie zugleich »[…] nicht als Verhältnis von vorher/nachher, Ursache/Wirkung, Grund/Folge, höhere/niedrigere Ebene begriffen werden können«,3 und dies obwohl »[…] beide sich der Möglichkeit der Sinn Evolution verdanken, [und] in je unterschiedlicher Weise, auf eine Differenzierung von Variation, Selektion und Restabilisierung angewiesen sind, und […] historisch simultan aufeinander einwirken […]«.4 Das heißt, dass wir davon ausgehen, dass zwischen struktureller und semantischer Transformation weder eine notwendige kausale noch eine unverzichtbare hierarchische operative Relationalität besteht. Dieses Anliegen wird als roter Faden alle Kapitel der Arbeit durchziehen. Da die Struktur der vorliegenden Arbeit chronologisch definiert ist, möchten wir mit der Erforschung der ersten Interaktionen beginnen, die zwischen mexikanischen Indigenen und Spaniern stattfanden.5 Jedoch müssen wir zunächst, um dieses Unterfangen durchführen zu können, die Rahmenbedingungen für die Sinnverarbeitung der Interaktionsinfor2 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 55. Eine ausführliche Betrachtung des systemtheoretischen Konzepts von Sinn ist zu finden im zweiten Kapitel von: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1984. 3 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 56. 4 | Ebd. 5 | »Als Interaktion soll dasjenige Sozialsystem bezeichnet sein, dass sich zwangsläufig bildet, wann immer Personen einander begegnen, das heißt wahrnehmen, dass sie einander wahrnehmen, und dadurch genötigt sind, ihr Handeln in Rücksicht zu wählen.« Luhmann, Niklas, »Schematismen der Interaktion«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 3: Soziales System, Gesellschaft und Organisation, 4. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, (S. 93-114) S. 93.

Vorbedingungen zur Interaktion

mationen dieser Gesellschaften beleuchten. Denn ohne diese Information würde uns das analytische Werkzeug fehlen, um die rekursive Logik der damaligen Interaktionen zu erforschen. Dies ist der Fall, weil Interaktionen nur stattfinden, wenn Sozialisation besteht und definierte Rahmenbedingungen des Verstehens einer Mitteilung bereits vorhanden sind. Ohne diese Voraussetzungen ist keine Interaktion denkbar, denn Erleben und Handeln können nur dadurch sinnförmig organisiert und dekodiert werden.6 Aus diesem Grund befasst sich das erste Kapitel dieser Arbeit mit einer Selektion der zentralen Fragmente der vorhandenen Sinnverarbeitungsregeln sowohl der Indigenen als auch der Spanier. Dabei fokussieren wir eine Auswahl von Gesellschaftsstrukturen und Semantiken, die die Wahrscheinlichkeit der Sinnanschließbarkeit der Informationen aus Interaktionssituationen jeweiliger Gesellschaft erhöht haben sollen. Hierfür haben wir das polytheistische Glaubenssystem der Azteken um 1519 und die spanische Bezeichnung Indias (Insel und Länder des amerikanischen Kontinents von 1493 bis 1519) selektiert, wobei insbesondere die Fremdbeschreibung »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« fokussiert wird, die die Spanier benutzten, um den Status der Ureinwohner der Neuen Welt in Interaktionsprozessen zu definieren. Durch unsere Auswahl beabsichtigen wir eine Definition sowohl der aztekischen Vorstellung interagierender Gottheiten als auch der Fremdbeschreibung »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« zu erstellen, die die jeweiligen erwartbaren Mechanismen in den Vorder6 | Im Gegensatz dazu bestehen bereits die Vorbedingungen für die Interaktion, sobald ein Mensch in der Anwesenheit anderer Menschen damit rechnen kann, semantische Formen anwenden zu können, um den Sinn von Mitteilungen einzuordnen. Die Erwartungen, die die Interaktion koordinieren, zirkulieren in den Vorgängen der Kommunikation und katalysieren die Grenzmöglichkeiten des Verstehens einer Mitteilung. Siehe ausführlicher hierzu: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., insb. S. 812ff.; ders., »Einfache Sozialsysteme«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 2: Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, 5. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005 (S. 25-47). Kieserling, André, »Die Autonomie der Interaktion«, in: Günter Küppers (Hg.), Chaos und Ordnung: Formen der Selbstorganisation in der Natur und Gesellschaft, Stuttgart 1996 (S. 257-290); ders., Kommunikation unter Anwesenden, Studien über Interaktionssysteme, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1999.

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grund rücken, die Azteken und Spanier angewendet haben, um doppelte Kontingenz in solchen Interaktionen zu verarbeiten.7 Anhand dieser Definitionen werden wir die Rahmenbedingungen und die Grenzen der Sinneinordnung des Erlebens und des Handelns beider Gesellschaften in ihren ersten gemeinsamen Interaktionssituationen erklären.

I. D ie a z tekische G esellschaf t bis 1519: D as a z tekische G l aubenssystem und die K onstruk tion a z tekischer inter agierender G ot theiten a. Die Bezeichnung Azteke und die Dimensionen des aztekischen Reichs um 1519 Die Bezeichnung Azteke hat eine polemische Konnotation, denn es gibt keine Übereinstimmung über ihren Ursprung und ihre Bedeutung. Einige Studien behaupten, dass Azteken »diejenigen, die aus Aztlán Ort der sieben Höhlen – abstammen« bedeutet. Andere gehen davon aus, dass sie eher als Mexika 8 zu bezeichnen seien, weil sie diejenigen waren, die Mexitl verehrten:9 Mexitl war der andere Name ihres Stammesgottes Hutzilopochtli. Andere Untersuchungen betrachten eher die NahuatlWortkombination metztli »der Mond« und xictli »Bauchnabel«. Denn die Bezeichnung Mexiko soll »die Stadt auf der Mitte (des Sees) des Mon-

7 | Ausführlich über den Begriff der doppelten Kontingenz als eine theoretische Kategorie von Parsons, die Luhmann für seine Theorie modifiziert anwendet: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., 1984, S. 148ff. Für eine weitere Erklärung des Begriffes als eine theoretische Kategorie der Kybernetik siehe Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., insb. Kapitel II-X: »Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien II: Differenzierung«, S. 332-358. 8 | Mexica ist der Plural von Mexicatl »[…] designating members of the ethnic group inhabiting Tenochtitlan and Tlatelolco«. Lockhart, James (Übers. und Hg.), We people here: Nahuatl accounts of the conquest of Mexico, University of California Press, UCLA, Berkley, Ca. 1993, S. 22. 9 | Siehe dazu Beyer, Hermann: »The original meaning of the Mexican coat of arms«, in: México Antiguo, t. I, México 1929, S. 192-193.

Vorbedingungen zur Interaktion

des« und infolgedessen ihre Einwohner Mexika heißen.10 Andere Untersuchungen haben die Bezeichnungen, die die benachbarten Völker der Azteken benutzt haben, um die Azteken zu differenzieren, in Betracht gezogen, um alternative Benennungen für dieses Volk vorzuschlagen. Ein Beispiel hierzu ist die Bezeichnung, die die Otomies, das unmittelbare Nachbarvolk der Azteken, benutzt haben, um die Azteken zu differenzieren. Sie lautete anbondo amadetzânâ und bedeutet »Steinkaktus (Bondo) und in der Mitte des Mondes« (amadetzânâ).11 Die komplexe Angelegenheit der Bestimmung des Ursprungs und der Bedeutung der Bezeichnungen Azteke oder Mexika ist nicht relevant für unsere Untersuchung, denn wir können ohne besondere Bemühungen das Volk und die Zeitperiode lokalisieren, die wir fokussieren möchten. Wir entscheiden uns für die Bezeichnung Azteke, weil wir davon ausgehen, dass sie geläufig ist, um die Einwohner der Metropole und Hauptstadt der mächtigsten Herrschaft Mittelamerikas (Mesoamérica) im XVI. Jahrhundert, die Tenochka und die Tlatelolka, von anderen Indigenen Völkern zu differenzieren. Die Metropole des so genannten aztekischen Reiches bestand im XVI. Jahrhundert aus zwei Städten: Tenochtitlan und Tlatelolco, Städte, die sich durch Konkurrenz untereinander auszeichneten, deren Machteliten aber in enger Verwandtschaft standen und die um 1519 vom gleichen Herrscher aus Tenochtitlan regiert wurden. Mit Azteken meinen wir also diese Indigenen, die ein gemeinsames Schicksal teilten und die ihre Metropole gegen die Spanier und andere Indigene bis zur Kapitulation verteidigt haben. Diese Metropole war die Spitze des aztekischen Reichs um 1519. Sie regierte über die »ephemeral imperial confederation«12, die Itzcóatl (Herr10 | Rincón, Antonio del, »México: Ciudad de México, i.e. en medio de la luna«, in: Arte Mexicana, México 1595, hg. von Antonio Peñafiel, México 1885, S. 81. Siehe ebenfalls: Caso, Alfonso, »El ombligo de la luna« en Tlatoani, núms. 5-6, México 1952, S. 74. 11 | Soustelle, Jacques, La famille otomi-pame du Mexique central, Institut d’Ethnologie, Paris 1937, S. 213-214. 12 | Lockhart, James, a.a.O., S. 2. Über das so genannte aztekische Imperium als eine Konföderation von Stadtstaaten mit unterschiedlicher politischer Organisation siehe: Soustelle, Jacques, El Universo de los Aztecas, Fondo de Cultura Económica, México 1982; ders., La vida cotidiana de los aztecas, Fondo de Cultura Económica, México 1956.

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scher zwischen 1428 und 1440) mit Texcoco und Tlacopan geschlossen hatte13 und die achtunddreißig steuerpflichtige Provinzen einschloss.14 Das Territorium dieses Reichs erstreckte sich vom Pazifischen bis zum Atlantischen Ozean. Westlich berührte seine Grenze das Territorium der Tarasken von Michoacán,15 nördlich das Territorium der Chichimeken (Nomaden und Jäger), nordwestlich das der Huaxteken, ein mit der Maya-Kultur verwandter Stamm, und südöstlich das der Provinz Xicalanco (unabhängig, aber verbündet mit dem Reich). Im Territorium des Reichs verblieben einige unabhängige Völker oder Konföderationen wie die Nahuatl-Völker von Tlaxcala (im Zentrum des Landes) und Metztitlán (im nordwestlichen Gebirge), das kleine Land der Yopi an der pazifischen Küste und die Chinanteken, die im Tiefland zwischen der Küste des Golfs von Mexiko und den Tälern von Oaxaca lebten. Um 1519 ermöglichte Nahuatl, die Sprache der Einwohner der Metropole, den wirtschaftlichen und religiösen Austausch zwischen allen diesen unterschiedlichen Völkern.16 Die Zerstörung der aztekischen Metropole im Jahre 1521 durch die Spanier ist als die »Eroberung Mexikos« in die Annalen der Geschichte eingegangen. Hierbei ist jedoch zu betonen, dass es dabei nicht um die Eroberung des ganzen Landes, heute Mexiko genannt, ging, sondern um die Auslöschung des aztekischen Reichs, ein Ereignis von zentraler Re13 | Die Mitglieder der dreifachen Allianz haben neben den Spaniern und anderen Indigenen gegen die Tenochka und Tlatelolka gekämpft und trugen zur ihrer Beseitigung bei. 14 | Informationen über die Provinzen und ihre zu zahlenden Tributen sind im Codex Mendoza zu finden. Codex Mendoza, hg. von J.C. Clark, London 1938. Hierzu siehe auch: Barlow, R.H, The extent of the Empire of the Culhua Mexica, University of California Press, Berkeley, Ca. 1949. 15 | Michoacáns (auf Nahuatl: »Land der Menschen, die Fisch besitzen«) Hauptstadt lag am Ufer des Sees Pátzcuaro, sie wurde Tzintzuntzan genannt. Den Azteken war es bis 1519 nicht gelungen, sie zu unterwerfen. 16 | Aus diesem Grund distanzieren wir uns von der Bezeichnung Nahuatl, um die Einwohner Tenochtitlan zu bezeichnen. Hierzu siehe zum Beispiel: López Austin, Alfredo, Hombre-Dios. Religión y política en el mundo náhuatl, Universidad Nacional Autónoma de México, México1973; Lockhart, James, The Nahuas after the Conquest. A social and Cultural History of the Indians of central Mexico, Sixteenth through Eighteenth Centuries, Stanford University Press, Stanford, Ca. 1992; ders., We people here, a.a.O.

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levanz, das fundamental für die Kolonisierung des Landes (Neuspanien, heute Mexiko) durch die Spanier war und das die Spanier überall in Lateinamerika wiederholt haben, um andere Völker zu unterjochen.

b. Das polytheistische Glaubenssystem der Azteken Indigene und Spanier haben die Informationen aus ihren ersten Interaktionen (1517-1519) mittels ihrer jeweiligen Sinnverarbeitungsvoraussetzungen eingeordnet. Interaktionen sind soziale Systeme, die entstehen, wenn Erwartungen in der Anwesenheit von Menschen bestehen, wenn es für die Anwesenden also bereits möglich ist, zwischen Interaktion und Gesellschaft zu unterscheiden, um ihre Handlung zu koordinieren, um das Problem der doppelten Kontingenz zu lösen und dies durch die Möglichkeiten, die sowohl Wissen als auch Dogmatisierung bieten. Letztere sind als Abstraktionen zu definieren, die in einer Gesellschaft als unbestreitbare Wahrheiten gelehrt und gelernt werden und den gesellschaftlichen Verkehr simplifizieren (Sozialisation). Sie nehmen die Form von evidenten Plausibilitäten an, die die Sinnselektionen der Gesellschaftsstrukturen und Semantik steuern. Wir gehen ferner davon aus, dass zum Beginn des XVI. Jahrhunderts die Indigenen Gesellschaften Mexikos ihre Normativität und Kognitionsgrenzen (ihre Vorstellungen von Universum, Gottheit, Mensch und Natur) überwiegend durch ihr polytheistisches Glaubenssystem koordiniert haben.17 Durch die Fokussierung des aztekischen Glaubens17 | Mit Glaubenssystem meinen wir: »[A] symbolic system that acts to establish powerful, pervasive motivations in people by formulating a general order of existence, a model for perceiving their world.« Geertz, Clifford, The Interpretations of Culture, Basic Books, New York 1973, S. 90. Jedoch definieren wir diese »Symbolic« anders als Geertz, und zwar mit Luhmann als Kommunikation. Dabei geht es selbstverständlich nicht um die Kommunikationen eines Systems im Sinne eines Religionssystems einer modernen Gesellschaft. Siehe hierfür: Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000. Dieses Glaubenssystem war nicht nur für die Organisation der Moral zuständig, so wie Durkheim in seinem Werk Les formes élémentaires de la vie religieuse meinte, denn die Religion determinierte die Totalität der aztekischen sozialen Ordnung. Durkheim, Emile, Les formes élémentaires de la vie religieuse: Le système totémique en Australie, 5. Auflage, Paris 1968. Für eine Untersuchung der Vorgänge der Ausdifferenzie-

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systems möchten wir einen allgemeinen Überblick über die Indigenen Gesellschaften Mexikos herstellen, der uns zeigen kann, wie diese Gesellschaften zwischen Erleben und Handeln anhand ihrer Vorstellungen von sozialer Ordnung (Machtdistribution, Gesetze, moralische Regeln, Erziehung, Krieg, Handel usw.) in Interaktionssituationen differenziert haben. Wir gehen also davon aus, dass das aztekische polytheistische Glaubenssystem als ein generelles Beispiel des zentralen Koordinationsmechanismus betrachtet werden kann, der den damaligen Indigenen Gesellschaften Mexikos sowohl die Einordnung von Informationen als auch die Strukturierung ihrer Reaktionen in Anbetracht überraschender Ereignisse ermöglicht hat.

b.1 Das Glaubenssystem der Azteken: göttliche Repräsentation (Semantik) und Ritual (Gesellschaftsstruktur) Der Alltag der Azteken war durch eine animistische Vorstellung der Natur koordiniert und bestand aus zahlreichen Ritualen, religiösen Zeichen und Opferungen.18 Durch die Betrachtung dieses Koordinationsmechanismus möchten wir zeigen, wie die Indigenen Informationen in den Interaktionen mit den Spaniern im Rahmen dieses Systems eingeordnet haben, wie sie den Spanier eine Funktion in diesem System gegeben haben19 und wie sie dadurch ihre Handlung gesteuert haben. rung der Religion als ein soziales System siehe: Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O. 18 | Vgl. mit dem fünften Buch von Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España, Manuscrito 218-20 de la Colección Palatina de la Biblioteca Medicea-Laurenziana, Edición facsimilar, 3 Bde., Casa Editorial Giunti Barbera, Archivo General de la Nación, México/Florencia 1979. 19 | Die Berichte hierzu sind zahlreich: Die befragten Azteken haben Bernardino de Sahagún über ihren Glauben, ihre Gottheiten seien zurückgekehrt, Folgendes mitgeteilt: Im Jahre 1517, das Jahr 12 calli, (»12 Haus«) der Indigenenkalenderrechnung waren »[die aztekischen Indigenen, die die Spanier zum ersten Mal gesehen haben], der Meinung, dass es sich um unseren Prinzen [Gott] Quetzalcoatl handelte, der angekommen sei«. »Tuvieron la opinión de que era nuestro Príncipe Quetzalcoatl que había venido.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, Versión directa del Náhuatl del libro XII de Angel María

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Zur Untersuchung dieses Mechanismus möchten wir mit folgender Distinktion arbeiten: Darstellung göttlicher Repräsentationen (Semantik)/Ausübung religiöser Rituale (Gesellschaftsstruktur). Dies bedeutet, dass wir auf der einen Seite die semantischen Formen beleuchten werden, die die Reproduktion von Sinnerleben der aztekischen Gesellschaft steuerten. Und auf der anderen Seite werden wir uns mit der Betrachtung der Strukturen von religiösen Ritualen befassen, die die Möglichkeiten sowohl der Ausdifferenzierung von Handlungssystemen als auch ihrer erwartbaren Anschlüsse von Handlung an Handlung garantierten. Wir gehen davon aus, dass die aztekische Gesellschaft gerade durch die Semantik zur Darstellung ihrer Gottheiten und mittels religiöser Rituale den Interaktionszwang der ersten Interaktionen mit den Spaniern verarbeitet hat. Dies werden wir durch die selektive Betrachtung der Semantik göttlicher Repräsentationen und der mit ihnen assoziierten Rituale zeigen. Dadurch werden wir eine Definition aztekischer göttlicher Repräsentation konstruieren, die uns helfen kann, folgendes Rätsel zu lösen: Warum haben die Azteken gegen die Spanier Krieg geführt und sogar

Garibay, tomo IV, en que se contiene el libro XII y los Apéndices Ed. Porrúa, México 1956, (S. 80-165) S. 84. Ende des Jahres 1518, das Jahr 13 tochtli, (»13 Kaninchen«), berichten die Indigenen weiter: »Am Ende des Jahres ›13 Kaninchen‹, werden sie noch einmal gesehen [und Motecuhzoma sagt dazu] – Ich habe erfahren, dass unserer ›Herr‹ noch einmal auf der Erde erschienen sei.« »E hizo su turno el año, linda con 13-Conejo. Y cuando ya va a tener fin, ya al acabarse del año 13-Conejo, vienen a salir, son otra vez vistos [y Motecuhzoma dice:] Diz que otra vez ha salido a tierra nuestro ›Señor‹.« Ebd., S. 86. Über die Untersuchungsmethode von Sahagún siehe etwa: López Austin, Alfredo, »The Research Method of Bernardino de Sahagún. The Questionaries«, in: Munro S. Edmonson (Hg.), Sixteenth-Century Mexico: The Work of Sahagún, University of New Mexico, Albuquerque, NM. 1974 (S. 111-149).

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einige von ihnen geopfert, obwohl sie angeblich davon ausgingen, dass sie mit ihren Gottheiten interagierten?20 20 | Um nur ein paar Beispiele der Literatur zu erwähnen, in der behauptet wird, dass die Azteken glaubten, mit ihren Göttern zu tun zu haben: Walter Lehmann in dem Vorwort zu Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524. Spanischer und mexikanischer Text übers. von Walter Lehmann, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1949, S. 19; Todorov, Tzvetan, Die Eroberung Amerikas, a.a.O; Clendinnen, Inga, »Fierce and Unnatural Cruelty: Cortés and the Conquest of Mexico«, in: Stephen Greenblatt (Hg.), New World Encounters, University of California Press, Berkley, Ca. 1993 (S. 12-47); Fink-Eitel, Hinrich, Die Philosophie und die Wilden, Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Junius Verlag, Hamburg 1994; Gruzinski, Serge, Images at War, Mexiko from Columbus to Blade Runner (1493-2019), Duke University Press, Durham und London 2001. Der aztekische Gewaltausbruch nach dem Massaker im Haupttempel von Tenochtitlan, das die Spanier im Jahre 1520 gegen aztekische Adlige und Krieger im Rahmen des Huitzilopochtlis-Festes verübten, erklärt den Ausbruch des Krieges zwischen Azteken und Spaniern als einen Aktion/Reaktions-Mechanismus, beleuchtet aber kaum die Disposition der Azteken, ihren »konstruierten« Gottheiten eventuell mit Gewalt entgegenzutreten. Informationen über dieses Massaker sind im Codex Aubin zu finden: »Als der Gesang begonnen hatte, da einzeln (jeder für sich) kommen die Christen heraus, schlüpfen unter die Leute. Sodann je zu vieren nahmen sie am Ausgange geordnet Stellung. Darauf schlugen sie mit dem Lanzenschaft den (aztekischen) Anführer, einen Herrn. Sie schlugen auf die Nase dem Abbilde des ›Teufels‹ (Huitzilopochtli). Dann schnitten sie (mit dem Schwerte) die Hände ab denen, welche die Pauke schlugen. Da wird man im Gedränge getreten, gerät man in Verwirrung.« Codex Aubin und verwandte Dokumente, Geschichte der Azteken, übers. und erl. von Walter Lehmann und Gerdt Kutscher, abgeschl. und eingel. von Günter Vollmer, hg vom Iberoamerikanischen Institut Preußischer Kultutbesitz, Bd. XIII, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1981, S. 30. Über das Ende des Massakers und den Anfang der Schlacht nach dem Bericht Sahagúns kann man lesen: »Das Blut der Krieger floss wie Wasser, die Luft roch nach Blut. […] Als das in der Stadt bekannt gegeben wurde, haben die Schreie angefangen: Kapitäne! Mexikaner! Kommt hierher, alle müssen mit Insignien, Schildern und Pfeilen bewaffnet kommen!! Kommt rasch, rennt: die Kapitäne sind ermordet worden, unsere Krieger sind gestorben…! Sie sind vernichtet worden […]. Dann hörte man Grollen, die Schreie schwollen an,

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Wir gehen davon aus, dass die Distinktion sakral/profan im aztekischen Glaubenssystem die Konstruktion lebendiger göttlicher Repräsentationen erlaubte, die durch die Ausübung von Ritualen geopfert werden konnten. Diese Hypothese wollen wir durch 1) die Betrachtung der vielfältigen Semantik zur Darstellung von Quetzalcoatl, 2) durch die Semantik zur Darstellung von Xipe Totec (»unser enthäuteter Herr«) und die ihr gewidmeten Rituale und 3) durch die Semantik des Krieges als Ritual überprüfen.21

b. 1. 1 Die Semantik zur Darstellung von Quetzalcoatl Das polytheistische Glaubenssystem der aztekischen Gesellschaft basierte auf der Semantik der Relationalität und Überschneidung mehrerer Gottheiten. Daraus ergab sich eine sehr hohe Komplexität. Mehrere Gottheiten der Azteken hatten viele Identitäten und Erscheinungsformen, die sich gegenseitig ersetzt, unterstützt und ergänzt haben. Hinzu kam, dass die aztekische Religion über eine Semantik verfügte, die die Konstruktion lebendiger göttlicher Darstellungen ermöglichte. Um diese semantische

und das Heulen der Leute, die sich mit den Händen gegen ihre Lippen schlugen. […] Und dann hat die Schlacht angefangen: […] Sie haben wütend und rasch ihre Pfeile geworfen.« »La sangre de los guerreros cual si fuera agua corría: como agua que se ha encharcado, y el hedor a sangre se alzaba al aire, y de las entraña que parecían arrastrarse. […] Y cuando se supo fuera empezó la gritería: Capitanes, mexicanos venid acá; ¡Que todos armados vengan: sus insignias, escudos, dardos…!¡Venid acá de prisa, corred: muertos son los capitanes, han muerto nuestros guerreros…! »Han sido aniquilados, […] Entonces se oyo el estruendo, se alzaron los gritos, y el ulular de la gente que se golpeaba los labios. […] Entonces la batalla empieza: […] Y sus jabalinas furiosos y apresurados lanzan.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 117. 21 | Die Quellen hierfür sind: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O; »El pensamiento cosmológico de los antiguos mexicanos. (Representación del mundo y del espacio)«, in: ders., El Universo de los Aztecas, FCE, México 1982 (S. 93-175). Caso, Alfonso, La Religion de los Aztecas, Enciclopedia Ilustrada Mexicana, Imprenta Mundial, México 1936; ders., El pueblo del Sol, a.a.O.; Matos Moctezuma, Eduardo, El Templo Mayor de México: Crónicas del Siglo XV, Asociación Nacional de Libreros, México 1981; ders., Los Dioses que se negaron a morir. Arqueología y Crónicas del Templo Mayor, SEP, Col. Cien de México, México 1986.

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Besonderheit zu illustrieren, möchten wir das Beispiel von Quetzalcoatl auswählen. 1519 war seine Verehrung in Mittelamerika (Mesoamérica) sehr verbreitet, nach anthropologischen und archäologischen Untersuchungen war seine Repräsentation vor dem christlichen Zeitalter geläufig.22 In der Maya-Kultur, deren hochentwickeltes Stadium auf 300 bis 900 n. Chr. zu datieren ist, wurde er Kukulkan, Gukumats oder Nácxit (»der mit den vier Füßen«) genannt. In den archäologischen Ruinen Teotihuacans (»der Ort, in dem die Götter geschöpft werden«), der heiligen Stadt der TeotihuacanKultur (100--750 n. Chr.), ist er ebenfalls überall auf Stein repräsentiert. Quetzalcoatl war für die Azteken hauptsächlich der Herrscher der Tolteken (der »Zivilisierten« oder »Entwickelten«), jener alten Kultur, die ihre höchste Entwicklung um das X. und XI. Jahrhundert erreicht hat und die wegen ihres Entwicklungsgrades den Azteken Vorbild war. Die Künste und das Wissen, die die Azteken beherrschten, stammte von den Tolteken ab, deren wichtigste Stadt Tula war (im heutigen Bundesland Hidalgo). Die Einflüsse dieser Kultur sind im Hochtal Mexikos häufig zu finden, viele Volksstämme übernahmen sogar ihre politischen und sozialen Strukturen. Die Azteken waren schon Anfang des XVI. Jahrhunderts der Meinung, dass sie die Erbberechtigten des Volkes Quetzalcoatls waren. Damit haben sie sich zugleich von Barbaren aus dem Norden zu differenzieren versucht, den Chichimeken (»die Unzivilisierten«). Quetzalcoatl wurde unterschiedlich repräsentiert, er mutierte in andere Gottheiten und war deswegen für unterschiedliche Naturphänomene zuständig. Sein Name bedeutet wörtlich »Quetzal-Schlange« oder »Schlange aus Federn« oder »Gefiederte Schlange«. Diese Wortkombination assoziiert das Symbol Quetzalfeder als Beschreibung für »kostbare Sachen« und das Wort Coatl, dessen andere Bedeutung (neben Schlange) Zwillingsbruder ist. Deswegen wurde Quetzalcoatl auch als »kostbarer Zwillingsbruder« bezeichnet. Damit ist gemeint, dass der Morgenstern und der Abendstern der gleiche Stern sind, also der Planet Venus. Quetzalcoatl war die Darstellung des Morgensternes (im östlichen Himmel zu sehen), und Xólotl (der Hundekopf-Gott), sein Zwillingsbruder, war die Darstellung des Abendsternes (am westlichen Himmel zu sehen). Xólotl als eine andere Darstellung von Quetzalcoatl war der Gott der Zwillinge, der doppelten Maiskolben und doppelten Pflanzen. 22 | Siehe dazu Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 41.

Vorbedingungen zur Interaktion

Quetzalcoatl wurde ebenso als Tlahuizcalpantecutli (»Herr der Morgenröte«) dargestellt. Dieser Gott war auch eine geläufige Repräsentation der Venus, die zwei Gesichter hatte: das eine eines lebendigen Mannes und das andere eines Totenschädels.23 Das Gesicht des lebendigen Man23 | Das astrologische Phänomen der Bewegung des Planeten Venus als Repräsentation Quetzalcoatls und seine Sichtbarkeit ausschließlich morgens und abends haben die Azteken anhand zweier Mythen erklärt: 1) Die erste mythische Erzählung ist die Geschichte der Unterweltreise von Quetzalcoatls und Xólotls. Beide Gottheiten begaben sich auf einer Reise in das Land der Toten, das Reich von Mictlantecuhtlis »Herr des Totenortes und Gott der Unterwelt«. Ihr Ziel war, von ihm die Knochen von Menschen vorausgegangener Generationen zu verlangen, dies mit der Absicht, aus diesen Knochen eine neue Menschheit zu schöpfen. Mictlantecutli kam der Aufforderung beider Gottheiten nach, ihnen wurde erlaubt, die Gebeine an sich zu nehmen. Aber Quetzalcoatl und Xólotl wussten, dass dem »Gott der Toten« nicht zu trauen war, weswegen sie die menschlichen Überreste nahmen und versuchten, schnellstmöglich aus der Unterwelt zu fliehen. Diese Handlung beleidigte Mictlantecuhtli, deshalb befahl er einer Schar von Wachteln die Zwillinge anzugreifen. Quetzalcoatl und Xólotl gelang es, dem Wachtelangriff zu entgehen. Einmal in Sicherheit, opferte sich Quetzalcoatl selbst und begoss mit seinem Blut die gestohlenen Knochen, wodurch die Menschheit entstand. Diese Geschichte sollte sich Tag für Tag wiederholen: Quetzalcoatl und Xólotl begaben sich für die Azteken jede Nacht auf diese Reise. Die ausführliche Version des Mythos siehe: Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 38. 2.) Der zweite Mythos ist die Geschichte des Fürsten Quetzalcoatls, der in frommer Zurückgezogenheit lebte und nichts von der Existenz seines Körpers wusste. Da Tezcatlipoca, »Gott des nächtlichen Himmels«, Quetzalcoatl feindlich gegenüberstand, überlegte er sich eine Strategie, um ihn zu beseitigen. Die Strategie seines Planes war das Bewusstsein Quetzalcoatls für seine Körperlichkeit zu erwecken. Mittels eines Spiegels sah Quetzalcoatl zum ersten Mal sein menschliches Gesicht und geriet in Verwirrung, dann betrank er sich mit »Pulque« und vergewaltigte seine Schwester. Am nächsten Tag wusste er, dass er sein Reich nicht weiter regieren konnte und begab sich auf die Flucht zu dem mythischen Ort Tlillan Tlapallan,, dem »Land der schwarzen und roten Farben«, um zu meditieren und zu büßen. Jedoch versprach er seinem Volk, dass er irgendwann aus dem Osten zurück in sein Reich kehren würde. Für die komplette Version dieser mythischen Erzählung siehe: Codex Chimalpopoca, Anales de Cuautitlan y Leyenda de los Soles, übers. und hg. von Velázquez Primo, Feliciano, Instituto de Investigaciones Históricas,

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nes repräsentierte den Glauben, dass Venus morgens mit ihrem Aufgang die Wiedergeburt der Sonne ankündigte, was Leben und den Beginn der Dinge bedeutete. Im Gegensatz dazu kündigte der Abendstern den Sonnenuntergang an, also den Tod der Sonne. Der Sonnenuntergang und die Symbolik des Totenschädels hierfür stellten deshalb ein Synonym der Idee des Todes und des Greisenalters für die Azteken dar.24 Quetzalcoatl repräsentierte ebenfalls die »Bewegung/Erdbeben-Sonne« (Ollintonatiuh).25 Die Kosmogonie der Azteken betrachtete die Existenz von fünf Sonnenzeitaltern; die letzte Sonne war Quetzalcoatl mit den Namen Nanahuatzin. Um 1519 glaubten die Azteken, dass sie im Zeitalter der fünften Sonne lebten, die wie die anderen Sonnen durch eine Katastrophe ihr Ende finden sollte.26 Die Azteken rechneten mit der »KatastroUNAM, México 1975. S. 8, 17. Deutsche Übersetzung des Codex Chimalpopoca von: Lehmann, Walter, Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexiko. Stuttgart und Berlin 1938 (Quellenwerke zur Alten Geschichte Amerikas, Bd. 1, aufgezeichnet in den Sprachen der Eingeborenen, hg. vom Ibero-Amerikanischen Institut Berlin, S. 8. 24 | »Die Sonne […] stirbt jeden Abend, um mit ihrem erlöschten Licht die Welt der Toten zu beleuchten.« »Es el sol, […] muere todas las tardes, para alumbrar con su luz apagada el mundo de los muertos.« Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 23. Hierbei erscheint das Paradox »um mit ihrem erlöschten Licht die Welt der Toten zu beleuchten« im Rahmen dieser Darstellungen und Dualitäten bemerkenswert. 25 | Ollin (»Bewegung«) symbolisiert zugleich Sonnenbewegung und seismische Bewegung, Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, Fondo de Cultura Econónomica, México 1956, S. 103. Für die Erzählung der Schöpfung der »fünften Sonne« siehe: Torquemada, Juan de, Veinte i un libros rituales i monarchia indiana, 3 vols., Madrid 1723. Neue Ausgabe: Monarquía Indiana, 7 vols., edición del Seminario de Fuentes de la Tradición Indígena a cargo de Miguel León-Portilla, Universidad Nacional Autónoma de México, México 1975-1983. 26 | Das »ursprünglichen Paar« »des Zeitanfangs«, Ometecuhtli (»Herr der Dualität«) und Omecíhuatl (»2 Herrin«), haben vier Kinder geboren: 1) Quetzalcóatl, die »gefiederte Schlange«, »weißer westlicher Gott, Gott der untergehenden Sonne und der Luft und des Lebens« (der »weisse Tezcatlipoca«). 2) Tezcatlipoca, schwarzer Gott (»der schwarze Tezcatlipoca«) des Nordens und der Nacht, der Kälte und des nächtlichen Himmels. 3) Huitzilopochtli, »der kriegerische blaue südliche Gott (»der blaue Tezcatlipoca«). Er ist die Darstellung der triumphierenden

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phe der fünften Sonne«, sie war als Prophezeiung vorausgesagt worden und ihr Datum war bekannt. Das Unglück sollte an einem Tag »4 Bewegung/Erdbeben« am Ende eines »aztekischen Jahrhunderts« (von 52 Jahren) stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt sollten die fünfte Sonne und die Menschheit vernichtet werden.27 Diese Vorstellung hat dem Weltbild der Azteken eine prekäre Form gegeben, sie waren der Meinung, die Sonne könne nur durch Menschenopfer auf ihrem Platz am Himmel behalten werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die zentrale aztekische Gottheit Huitzilopochtli war, der Gott der Sonne, ein Gott, der wohlgemerkt keine Darstellung von Quetzalcoatl war.28 Quetzalcoatl wurde auch mit der Nutzung des wichtigsten Nahrungsmittels der Indigenen assoziiert, dem Mais. Die Mythologie schreibt ihm

Mittagssonne. Und 4) Xipe Totec, »der rote Tezcatlipoca«, »der Gott des Ostens, des Anfangs und der aufsteigenden Sonne; bekannt auch als Camaxtli. Diese vier Gottheiten bekamen von ihren Eltern die Aufgabe, die Schöpfung der Welt und die anderer Götter durchzuführen. Aber es sind die Gottheiten Quetzalcoatl und Tezcatlipoca gewesen, die die wichtigste Rolle annahmen, um die Verpflichtung der Schöpfung der Welt und der Menschheit zu erfüllen. Dabei haben sie sich in einer ewigen Konfrontation gegen einander verwickelt. Die Folgen dieser Konfrontationen waren sowohl die vier Sonnenzeitalter (»Jaguarsonne«, »Windsonne«, »Regen/ Feuer-Sonne« und »Wassersonne«) und ihre jeweiligen Katastrophen als auch das »fünfte Sonnenzeitalter« Ollintonatiuh. Für ausführlichere Informationen über diese Kosmogonie siehe: Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España, Bd. 2, a.a.O., S. 256ff.; Torquemada, Juan de, Veinte i un libros rituales i monarchia indiana, a.a.O.; García, Izcalbaceta Joaquín, »Historia de los Mexicanos por sus Pinturas«, in: Nueva Colección de Documentos para la Historia de México, México 1891. 27 | Das letzte Ende ihres Jahrhunderts erlebten die Azteken im Jahre 1507. Damals führten sie zum letzten Mal die Zeremonie der neuen Sonne durch. Durch Rituale, die Beobachtungen von Gestirnbewegungen und Menschenopferung kombinierten, versuchten Priester, die weitere Nutzung des Feuers zu bestätigen und den nächsten Sonnenaufgang zu sichern. 28 | Ausführlicher über Huitzilopochtlis Name und Funktion siehe: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 112; Caso Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 50.

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die Übergabe dieses Kornes an die Azteken zu.29 Ihm wurde ebenfalls die Lehre des Polierens von Jade attribuiert sowie die Lehre des Auffindens von Edelsteinlagerstätten, des Webens von Polychromstoffen, die Herstellung von Mosaiken aus Edelfedern (Federn von Quetzal und Kolibri z.B.), die Zeitmessung, das Wissen über die Bewegung der Gestirne, die Anwendung des Kalenders und die Bestimmung religiöser Zeremonien. Diese Gottheit wurde auch als ein alter Mann mit einem Bart dargestellt, denn er war ein alter Gott. So ist er im Codex Vindobenensis dargestellt.30 Noch eine andere Darstellung dieser Gottheit war die als »Gott des Windes«. So trug er den Namen Ehecatl oder »9 Wind«.31 Quetzalcoatl verkörperte auf der einen Seite den Archetyp der Heiligkeit, auf der anderen Seite ist in seiner Repräsentation auch das Gegenteil zu finden, denn seine mythologische Geschichte verbindet ihn mit der Nichtbeachtung moralischer Regeln und der Verletzung sexueller Abstinenz. Das Beispiel der Darstellung von Quetzalcoatl zeigt die Vielfältigkeit und Komplexität 29 | Quetzalcoatl stahl, als Ameise transformiert, den Ameisen den Mais und schenkte ihn seiner Schöpfung, den Menschen. 30 | Codex Vindobenensis Mexicanus I (Codex Wien), Einführung von Otto Adelhofer, Akademischer Druck und Verlagsanstalt, Graz 1974, S. 48-49; Fürst, Leslie Jill, Codex Vindobenensis Mexicanus I, Inst. for Mesoamerican Studies, New York University, Albany, N.Y. 1978. 31 | An einem Tag »9 Wind« wurde Ehecatl geboren. Miguel León-Portilla geht davon aus, dass Ehecatl eine andere Benennung für Quetzalcoatl ist. Um diese Auffassung zu belegen, erwähnt er zwei Beweise: 1) In seinen »Memoriales« erklärt Toribio de Benavente, dass der Gott des Windes »9 Wind« derjenige sei, der die Menschheit im Zeitalter der fünften Sonne erschaffen habe. Also eine Erzählung, die mit anderen Mythen Quetzalcoatls übereinstimmt. 2) Die Jadeskulptur Xólotls (des Zwillingsbruders Quetzalcoatls und daher in der religiösen Tradition der Azteken Quetzalcoatl selbst), die im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zu sehen ist, ist mit der Glyphe »9 Wind« gekennzeichnet. León-Portilla analysiert die Darstellung Quetzalcoatls als Gott »9 Wind« im Codex Vindobonensis Miexicanus I, S. 48. Für eine ausführlichere Betrachtung dieses Themas siehe León-Portilla, Miguel, Códices. Los antiguos libros del Nuevo Mundo, Aguilar, México 2003, S. 272-279. Benavente, Toribio de (Motolinía), Memoriales o libro de las cosas de la Nueva España y de los naturales de ella, hg. von Edmundo O’Gorman, Instituto de Investigaciones Históricas, Universidad Nacional Autónoma de México, México 1971, S. 389.

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der Semantik der göttlichen Repräsentation des aztekischen Glaubenssystems,32 die eine zusätzliche Komplexitätssteigerung registrierte, weil seine Semantik die Konstruktion lebendiger Gottheiten ermöglichte. Quetzalcoatl war auch der Name eines der höchsten aztekischen Würdenträger: Der Priester quetzalcoatl totec tlamacazqui (»Gefiederte Schlange Priester unseres Herrn«). Dieser Priester war für den Kult Huitzilopochtlis zuständig und dominierte, zusammen mit dem Priester quetzalcoatl Tlaloc tlamacazqui (»Gefiederte Schlange Priester Tlalocs«, verantwortlich für den Kult Tlalocs »des Gottes des Regens«) die religiöse Hierarchie der Azteken.33 Der gemeinsame Titel »gefiederte Schlange« (quetzalcoatl) war ein Zeichen ihrer Heiligkeit. Diese Priester stellten für die aztekische Gesellschaft die Nachfolger und Stellvertreter Quetzalcoatls dar34 und wurden daher sie als lebendige Gottheiten wahrgenommen. Die Bezeichnung tlamacazqui (»Sacerdote«) stand im aztekischen Glaubenssystem quasi für die Benennung einer Gottheit: »Diese Priester waren keine ›normalen Menschen‹ mehr, »[…] sie waren […] teilweise wie ein Gott«.35 Die aztekische Gesellschaft war gewohnt, mit lebendigen Gottheiten zu interagieren, und Gottheiten wie Quetzalcoatl, wie wir gerade gezeigt haben, waren für sie überall zu finden.

32 | In mehreren Fällen sind die Darstellungen dieser Repräsentationen nur durch die Deutung unterschiedlicher Farben ihrer Ornamente zu unterscheiden. Eine Art gefalteter Fächer am Nacken – ein Charakteristikum der Wasser-, Berg- und Vegetationsgottheiten – ist bei der Göttin Iztaccíhuatl (»der beschneite Berg«) weiß, in der Darstellung Chicomecóatl, (»Maisgöttin«) rot, in der Repräsentation Chalchiuhtlicue (»Wassergöttin«) blau und bei Tepeyolohtli (»Berggott«) grün. Siehe hierzu: Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, Fondo de Cultura Económica, México 1953, S. 34. 33 | Die wichtigsten Tempel Tenochtitlans waren Huitzilopochtli und Tlaloc ge­w id­m et. 34 | Sahagún berichtet, dass diese Hochpriester quequetzalcoa gennant wurden, dies bedeutet »die Nachfolger Quetzalcoatls«. Quequetzalcoa ist der Plural von Quetzalcoatl. Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 299. 35 | »[…] es ya igualarse un poco a un dios«. Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 66. Vgl. auch Codex Chimalpopoca: Anales de Cuauhtitlan, a.a.O., S. 7.

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b. 1. 2 Konstruktion einer Gottheit durch ritualisierte Opferung: das Beispiel von Xipe Totec Rituale bestehen aus sozialen Strukturen, die als Zeremonie-Performance eine spezifische Semantik einsetzen und eine symbolische Eigenlogik aufweisen. Sie tragen dazu bei, Handlungssysteme auszudifferenzieren, um weitere Anschlüsse an religiöse Handlungen zu sichern. Ein Ritual hat den Anspruch, durch menschliche Handlung die Umwelt zu beeinflussen mit der Absicht, positive Zustände zu verursachen, wovon diejenigen, die das Ritual ausüben, profitieren können. Die Aufgabe eines religiösen Rituals ist, eine Differenz in das Universum, in die Welt und in die Natur einzuführen.36 Die Semantik zur Darstellung von Xipe Totec (wörtlich »unser enthäuteter Herr« oder »der rote Tezcatlipoca«37) war, wie die von Quetzalcoatl, ebenfalls vielfältig. Diese Gottheit war der aztekische Frühlingsgott, der den Frühlingsregen und die Erneuerung der Natur repräsentierte. Als Frühlingsregengott wurde er Yoalli Tlahuana, »der nächtliche Trinker« genannt, denn für die Azteken fiel der fruchtbare Regen in der Nacht.38 Als »der nächtliche Trinker« stand er in Verwandtschaft mit den Centzon Totochtin (»den vierhundert Kaninchen«), den »Gottheiten der Trunkenheit und der reichlichen Ernten«. Als Gott der Erneuerung der Natur war er mit den Gottheiten der Erde verbunden. Der Osten war seine Himmelsrichtung. Als östliche Gottheit war er auch eine andere Darstellung der aufsteigenden Sonne. Im doppelten Sinn (Frühlingsgott und aufsteigende Sonne) galt er als symbolische Figur für den Anfang, den Anfang des neuen Zustandes der Natur und den Anfang des Tages. Sein Kult wurde längere Zeit vor der Ankunft der Azteken in Mexikos zentralem Tafelland praktiziert. In Teotihuacan wurde er bereits als »der maskier36 | So Roy Rappaport: »[W]hen they [die Menschen] performed a ritual they are not simply ›saying something‹ about themselves, but ›doing something‹ about the state of their world.« Rappaport, Roy, A., Ritual and Religion in the Making of Humanity, Cambridge University Press, Cambridge 1999, S. 47. 37 | Als »roter Tezcatlipoca« wurde er mit einem rot-gelb gestreiften Gesicht dargestellt. Siehe zum Beispiel seine Darstellung im Codex Borbonicus, Faksimile: www.famsi.org/spanish/research/loubat/Borbonicus/thumbs1.html, S. 14. 38 | Die Bezeichnung »nächtlicher Trinker« war auch mit der Idee verbunden, Xipe Totec trinke Pulque in der Nacht und schlafe wie die Natur ein, um am nächsten Tag zusammen mit der Natur aufzuwachen.

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te Gott« verehrt. Xipe Totec war wahrscheinlich ursprünglich eine Gottheit der Yopi-Indigenen.39 Deshalb wurde er Yopi genannt, seine Ehrenbezeichnungen waren deswegen mit diesem Name assoziiert. Seine »konische Kopfbedeckung« hieß zum Beispiel yopitzontli. Der Kult Xipe Totecs wurde in Tenochtitlan in einem Tempel namens Yopico »im Haus der Yopi« durchgeführt.40 Xipe Totec war der Beschützer der Schmiede, denn seine »vergoldete Haut« erinnerte an die verarbeiteten Edelmetalle. Er war auch eine äquivalente Darstellung des Maisgottes, wobei er den unreifen Mais darstellte, weshalb er mit Centéotl »Maisgott« verwandt war. Die Tlaxkalteken verehrten ihn mit dem Namen Camaxtli.41 Der Frühling war für die aztekische Gesellschaft mit der Vorstellung verbunden, dass sich die Natur durch die Erhaltung einer neuen Haut erneuert. Deswegen war das wichtigste Ritual, das Xipe Totec gewidmet war, von der Idee des Empfangs einer neuen Haut geprägt. Mit dem Anfang des Frühlings (im Laufe des Monats Tlacaxipehualiztli [»Menschenenthäutung«], der der zweite Monat der aztekischen Solarkalenderrechnung vom 4. bis 23. März war) wurde dieses Ritual ausgeübt.42 Zunächst 39 | Die Yopi waren ein Stamm (auch als Tlapaneco bekannt), der unabhängig gegenüber dem aztekischen Reich geblieben ist. Sie lebten an der südlichen Küste des Pazifischen Ozeans. »Xipe Totec war der Gott der Leute der Küste, er war der Gott von Tzapotlán.« »Xipe Totec que era el dios de las gentes de la costa, en verdad el dios de Tzapotlán.« Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España, Bd. 1., a.a.O., S. 16. Als »Herr der Küste« hieß er Anáhuatl itec. 40 | Ausführlich über diese Gottheit siehe etwa: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 67; Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 69-70. 41 | Camaxtli war eine andere Darstellung Mixcóatls (»Schlange aus Wolken«), eine Gottheit, die mit dem schwarzen Tezcatlipoca verbunden war. 42 | Noch eine andere Form von Ritual, Xipe Totec konsekriert, bestand aus einer asymmetrischen Schlacht: Das Opfer musste sich mit symbolischen Waffen mit gut ausgerüsteten Soldaten messen. Nach der vorhersehbaren Niederlage des Opfers wurde seine Enthäutung durchgeführt, wonach ein Priester die Haut anzog. Enthäutungsrituale waren auch mondänen Gottheiten gewidmet, besonders der Göttin Tlazolteotl, Gottheit der Unreinheiten/des Mülls, der Erde, des Mondes, der sinnlichen Liebe und des Beichtens. Für die Azteken bedeutete das Beichten, sich von den Unreinheiten zu befreien – sie durften nur ein Mal im Leben beichten.

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wurde das Opfer vergoldet oder gelb bemalt, danach wurde es durch abgeschossene Pfeile umgebracht, wodurch sein Blut wie der Regen im Frühling die Erde begießen sollte. Die geopferte Darstellung Xipe Totecs wurde enthäutet und ein Priester zog die abgezogene Haut an, um Xipe Totec darzustellen. Sowohl das Opfer (vor der Opferung) als auch der Priester mit der gerade angezogen Haut hießen Xipe Me, also »der Enthäutete«, »derjenige, der nicht seine eigene Haut an seinem Körper angezogen hat«, »Gott der Fruchtbarkeit«, »Ihm (Xipe Totecs) hingegebenes Opfer«.43 Die Ausübung dieses Rituals setzte das Opfer, den Priester und die Gottheit gleich, und der Name Xipe Me war die Semantik dieser Vereinigung. In der ersten Strophe des Gesangs, der Xipe Totec gewidmet ist, ist diese Gleichsetzung festzustellen: »Warum verhältst du dich so abschätzig? Opfere dich auf, zieh deine goldene Kleidung an!«44 Dieser Gesang beschreibt die Notwendigkeit, dass Xipe Totec sich selbst als Opfer enthäutet, um danach, auf der Körperoberfläche des Priesters, mit seiner neuen Haut zu erscheinen. Dies bedeutet, dass wir es hier mit einer tautologischen Semantik zwischen Opfer, Priester und Gottheit zu tun haben. Religiöse Rituale werden nur ausgeübt, wenn die Reproduktion ihrer Eigenlogik bestätigt werden kann. Ihre Sachmäßigkeit, ihre Symbolik und ihre Praxissequenzen dürfen nicht in Frage gestellt werden. Hinzu kommt, dass während ihrer Ausübung weder ihre Elemente noch ihre Vorgänge erklärt werden müssen, denn sie sollen als eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Dabei ist, trotz fester Eigenlogik ihrer Sequenzen, Flexibilität nicht ausgeschlossen. Rituale können kommunikative Irritationen und Sinnvariationen erfolgreich verarbeiten, vor allem weil ihre Als Gottheit des Beichtens hieß sie tlaelquani, »diejenige, die die Unreinlichkeit auffrisst«. Über diese Göttin siehe: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 110. 43 | Die spanische Übersetzung ist von Garibay Kintana: »El desollado«, »El que no tiene su piel propia colocada en su cuerpo«, »Dios de la fecundidad«, »Víctima sacrificada a él«. Garibay Kintana, Angel Ma., »Vocabulario de las palabras y las frases en lengua náhuatl que usa Sahagún en su obra«, in: Historia General de las Cosas de Nueva España, escrita por Fr. Bernardino de Sahagún, libro XII y los Apéndices, Ed. Porrúa, México 1956, (S. 315-373) S. 368. 44 | »¿Por qué te haces el desdeñoso?, ¡Inmólate ya, ropaje de oro vístete!« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, Libro (Buch). 1, a.a.O., S. 294-296.

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religiösen Geheimnisse keine Verifizierung außerhalb des Glaubenssystems benötigen und sie nur als geheime Kommunikation zu verstehen sind: Die Natur dieser Kommunikation beansprucht eine gewisse Unzugänglichkeit.45 Dies garantiert den religiösen Ritualen ihren Überschuss an Flexibilität und ihre Offenheit für Variationen.46 Deswegen sind religiöse Rituale die geeigneten Mechanismen, um unverständliche Ereignisse in verständliche Vorkommnisse zu verwandeln. Die menschliche und die göttliche Welt der aztekischen Gesellschaft haben sich überschnitten. Ihr Glaubenssystem ermöglichte die operative Ergänzung der Sakralität und der Weltlichkeit durch die Ausübung von Ritualen. Dadurch wurden die Darstellungen von abstrakten/abwesenden und lebendigen/anwesenden Gottheiten, als zwei Seiten einer Einheit, vereinigt. Und gerade diese religiöse Logik ermöglichte der aztekischen Gesellschaft zum Beispiel, Opferungen ihrer konstruierten Gottheiten durchzuführen: Menschen, die wie die Gottheit Xipe Totec verkleidet waren, wurden durch blutige Formen der Gewaltanwendung Xipe Totec geopfert, und zwar durch Priester, die als diese Gottheit wahrgenommen und verehrt wurden. Alfredo López Austin bezeichnet diese lebendigen göttlichen Darstellungen als Menschen-Götter (hombre-dios).47 Er geht davon aus, dass sowohl Opfer als auch Priester während der Ausübung der Rituale als die gleiche göttliche Repräsentation in unterschiedlichen »Erscheinungen« wahrgenommen wurden. Die aztekischen Rituale verlangten die Anwesenheit der Gottheit, um durchgeführt zu werden. Im Falle des Xipe Totec-Rituals war die Opferung der Gottheit an derselben Gottheit nur durch die gleiche göttliche Darstellung zu vollziehen.48 Das az45 | So Rappaport: »[…] the relationship of performers to their own performances of invariant sequences of acts and utterances which they did not encode […]«. Rappaport, Roy A., Ritual and Religion in the Making of Humanity, a.a.O., S. 405. Dies gilt ebenfalls für diejenigen, die die Rituale ausführen oder den Glauben als Dogma verbreiten. 46 | Über die Flexibilität religiöser Rituale: »The details of no ritual are ever specified to such a degree that there is no room for some logically necessary or deliberate variation.« Ebd., S. 36. Trotz Flexibilität und Variation sind sie von dem strukturell Möglichen abhängig. 47 | Siehe López Austin, Alfredo, Hombre-Dios. Religión y política en el mundo náhuatl, a.a.O. 48 | Hierzu ebd., S. 130, 183.

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tekische Glaubenssystem diktierte die Notwendigkeit, Gottheiten durch Ritualausübung zu befriedigen, um die Katastrophe des Universums und die Vernichtung der Menschheit zu verschieben. Hierfür war die Anwendung menschlicher Substanzen (wie Blut) oder Organe (wie Herzen oder Häute) von zentraler Bedeutung.49 Der Alltag der aztekischen Gesellschaft war von Instabilität kennzeichnet. Diese Instabilität schloss jegliche Möglichkeit der Einführung einer langfristigen Stabilität aus und beeinflusste jede Vorstellung von Natur und sozialer Realität. Wir haben gezeigt, dass die aztekische Gesellschaft interagierende Gottheiten durch die Anwendung von Repräsentationselementen und Ritualausübung konstruiert und durch Gewaltanwendung geopfert hat. Diese Tatsache erklärt aber noch nicht, warum sie einen Krieg gegen ihre Gottheiten führen konnte. Im nächsten Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem zweiten Teil unserer Hypothese. Wir beabsichtigen zu zeigen, dass die aztekische Kriegsführung ebenfalls ein religiöses Ritual war, in dem Opferungen von konstruierten Gottheiten durchgeführt werden konnten.

b. 1. 3 Die aztekische Kriegsführung als Ritual Die Kriegsführung war ein religiöses Ritual, das die Azteken benutzt haben, um ihre Herrschaft zu expandieren. Ein Ritual, das andere Regeln als die spanische Version des heiligen Krieges (Kreuzzüge) aufwies. Für die Azteken war der Krieg eine ritualisierte Pflicht, die durch ihr Glau49 | In diesen Ritualen wurden liturgische Tänze und Selbstopferungen durchgeführt und ebenfalls Kannibalismus ausgeübt und Tiere geopfert. Ein Beispiel eines Rituals, in dem Tiere geopfert wurden, war die tägliche Zelebration des Aufgangs der Sonne. Dabei haben die Azteken in Erinnerung an Quetzalcoatl (in seiner Darstellung als Morgenstern und Schöpfer der Menschheit) Wachteln geopfert (die Wachteln hatten im Namen Mictlantecuhtlis Quetzalcoatl in der Unterwelt attackiert). Sahagún beschreibt diese Art Opferung in seiner Historia General de las Cosas de Nueva España (Códice Florentino), Libro (Buch). 1, S. 93 und Libro (Buch). 3., S. 75. Ein Beispiel für ein Ritual, das Selbstopferung forderte, war das Fest des Tages »4 Bewegung/Erdbeben« (Tag Nummer 203 der divinatorischen Kalenderrechnung). An diesem Tag (nach vier Tagen fasten) um Mittag haben sich die Azteken die Ohren mit kleinen, gespitzen Holzstücken durchbohrt. Auch die Ohren kleiner Kinder wurden eingeritzt, um eine Blutung zu verursachen. Siehe dazu ebd., Libro (Buch) 2, S. 104.

Vorbedingungen zur Interaktion

benssystem gesteuert wurde. Durch den Vollzug dieser Pflicht konnten die Azteken zum Beispiel die feindlichen Krieger festnehmen, die sie zur Opferung benötigten, um ihre Gottheiten zu verehren.50 Aus diesem Grund haben sie ihre Feinde auf dem Schlachtfeld nicht, wie die Spanier es taten, getötet. Sie haben eher versucht, sie gefangen zu nehmen: Die aztekischen Krieger wurden auf dem Schlachtfeld von »Spezialisten« begleitet, die die Aufgabe hatten, zu Boden gefallene Feinde zu fesseln, bevor sie wieder aufstehen konnten.51 Somit bestand eine Schlacht aus einer Multiplizität von einzelnen Duellen, in denen jeder versuchte, den Feind gefangen zu nehmen. Die Ausübung dieser Praxis wurde mit dem Symbol atl-tlachinolli (»Wasser-Blut und Brand«) repräsentiert. Eine Kriegserklärung benötigte keinen außergewöhnlichen Anlass. Jedoch waren die Auslöser einer Konfrontation in der Regel Attacken auf aztekische Händlerexpeditionen oder politische Konspirationen.52 Die Azteken haben, bevor sie einen Krieg begannen, eine Serie ritualisierter Drohphasen beachtet.

50 | Um 1519 hatten die Azteken eine »institutionalisierte Kriegspraxis« (Normalerweise wurde diese gegen die Tlaxkalteken, die Cholulteken und das Volk von Huexotzingo ausgeübt. Cholula und Huejotzingo gehören zum heutigen Bundesland Puebla). Es handelte sich um gewalttätige Konfrontationen, die mit der Absicht geführt wurden, eine notwendige Anzahl von Kriegern für Opferung gefangen zu nehmen (und nicht etwa, um neue Territorien zu eroberrn oder aus wirtschaftlichen Gründen. Mehr über dieses Thema siehe: Caso, Alfonso, El pueblo del Sol, a.a.O., S. 24. 51 | Tezozómoc Alvarado, Fernando, Crónica Mexicana, anotada por el Lic. Manuel Orozco y Berra. hg. von Jose Ma. Vigil, Imprenta y Litografía de Ireneo Paz, México 1878, S. 403. Ausführlicher über die Kriegsausübung siehe: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 209-234. Tezozómoc war ein getaufter Indigener aus adligem Geschlecht, der gegen 1598 seine Crónica Mexicana schrieb. 52 | Der Herrscher von Tenochtitlan, Axayácatl (1469-1481), erklärte 1473 der benachbarten Stadt Tlatelolco den Krieg, weil Verkäuferinnen aus Tenochtitlan auf dem Markt in Tlatelolco angeschrien worden waren. So zum Beispiel: Tezozómoc Alvarado, Fernando, Crónica Mexicana, a.a.O., S. 391ff. Tlatelolco war um 1519, wie bereits oben erläutet, ein Teil der aztekischen Metropole, ein Teil, der seine eigene Identität behalten hatte.

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Wenn ein Volk nach den ersten Konflikten mit den Azteken seine Unterwürfigkeit ohne Gewaltanwendung akzeptierte, wurde es in der Regel zunächst nicht gezwungen, einen jährlichen Tribut zu leisten. Die Azteken gaben sich mit seiner Unterwürfigkeit und einem einzigen freiwilligen Geschenk zufrieden. Wenn keine freiwillige Unterwürfigkeit vorlag, dann schickten sie ihre Botschafter, um mit dem Herrscher des Volkes (oder Stammes) die negativen Konsequenzen des Krieges zu besprechen. Dabei betonten die Emissäre die Bereitschaft des Imperiums, sie als ihre Untergebenen in ihren Einflussbereich aufzunehmen, um sie nach Tributzahlung vor anderen Völkern zu beschützen. Die aztekischen Botschafter (Quauhquauhnochtzin53) schlugen dem feindlichen Herrscher vor, die heilige Repräsentation Huitzilopochtlis anzunehmen, um sie in dem Tempel ihres Stammesgottes aufzustellen. Dabei sollte Huitzilopochtli als gleichwertig gegenüber der Stammesgottheiten verehrt werden. Dann verlangten sie von ihnen ein Geschenk aus Gold, Edelsteinen, Federn, Stoffen usw. Das Einschüchterungsritual endete mit der Übergabe aztekischer Waffen, die die Feinde gegen die Azteken benutzen sollten, falls sie sich entscheiden sollten, sich nicht den Azteken zu unterwerfen, sondern Krieg gegen sie zu führen und nicht genügend Waffen hätten. Ab diesem Zeitpunkt hatte dieses Volk 20 Tage Zeit, um sich für Krieg oder Unterwürfigkeit zu entscheiden.54 Eine negative Antwort führte zum Besuch der Achcacauhtzin, einer Art »Polizei«, die »gerichtliche Entscheidungen« zu vollziehen hatte. Sie überbrachte eine neue Botschaft: Die Nichtanerkennung der aztekischen Überlegenheit würde dem Herrscher und den Adligen das Leben kosten. Dem Herrscher wurde das Beste für die Konfrontation im Rahmen eines Rituals gewünscht: Sein Arm wurde mit einer »magischen Flüssigkeit« eingesalbt, die ihm helfen sollte, der Kraft der aztekischen Armee zu trotzen. Er bekam noch einmal Waffen und 20 Tage Zeit, um die aztekische Überlegenheit anzuerkennen. Wenn auch nach dieser Zeit die Unterwürfigkeit nicht akzeptiert wurde, dann kam die letzte Botschaft. Diese Nachricht war an die Krieger gerichtet: Sie sollten die schrecklichen Konsequenzen des Krieges bedenken, denn 53 | Plural von quauhnochtli. So wurden die Herzen der geopferten Krieger genannt. Das Wort wurde auch als militärischer Titel benutzt. 54 | Über diese Botschaften siehe für ausführliche Informationen: Benavente, Toribio de (Motolinia), Memoriales, Paris 1903; Alva Ixtlilxochitl, Fernando de, »Historia chichimeca«, in: Obras Históricas, 2 vols., México 1892, S. 190-192.

Vorbedingungen zur Interaktion

letztendlich waren sie diejenigen, die die Gewalt, die Versklavung und die Opferung erleiden würden. Nach der Übermittlung dieser Information bekamen die Krieger erneut Waffen. Wenn die letzte Frist abgelaufen war, bestand automatisch Kriegszustand. Der Krieg begann aber nicht unmittelbar nach dem Ablauf der letzten Frist, die Azteken warteten auf ein vorteilhaftes Datum ihres heiligen Kalenders, das von ihren Wahrsagern ausgewählt werden sollte: Ein solches Datum war zum Beispiel eins der dreizehn Zeichen, die mit ce itzcuintli »eins Hund« anfingen, denn sie waren dem Sonnen- und dem Feuergott gewidmet.55 Die Beseitigung des Gegners war mit der Zerstörung des Tempels des Stammgotttes entschieden.56 Sie bedeutete den heiligen Sieg von Huitzilopochtli über die lokale Gottheit. Den Unterlegenen blieb keine andere Möglichkeit, als Untertanen der Azteken und ihrer Gottheit zu werden. Widerstand zu leisten, war keine Alternative mehr, denn die Gottheiten hatten bereits ihr letztes Urteil gefällt. Nach dem Krieg kam eine Verhandlungsperiode. Eine Vertretung der Unterlegenen traf die Azteken und verhandelte die Konditionen der Tributzahlung.57 Die Verhandlungen fanden unter der Voraussetzung statt, dass alle Rechte und Vorteile auf der Seite des Siegers lagen. Nach der Vereinbarung des Tributes58 konnten die Besiegten normalerweise ihre Institutionen, Sprache, 55 | Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España. Libro (Buch). 1, a.a.O., S. 345. 56 | Das Symbol für Eroberung war ein Tempel in Flammen mit einem durchbohrten Pfeil. Siehe etwa den Codex Mendoza, a.a.O., S. 6 und Codex Nuttall, in: Clark J. Cooper, The Story of ›Eight Deer‹«, Londres 1912, Abbildung D. 57 | Theoretisch wurden die Tribute zwischen den drei Städten der Allianz nach folgender Proportion geteilt: 2/5 für Tenochtitlan, 2/5 für Texcoco und 1/5 für Tlacopan. Trotzdem gibt es, nach der Meinung von Soustelle, zahlreiche Daten, die für eine willkürliche Teilung der Tribute zugunsten Tenochtitlans um 1519 sprechen. Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 15. 58 | Hier zwei Beispiele von Tributen, die Xilotepec und Tochtepec jährlich zu leisten hatten: Xilotepec musste 800 »cargas« (jede »carga« entsprach 200 Stück) Frauenkleider (also 160.000 Stück), 816 »cargas« Lendenschurze für Männer, 800 »cargas« »ausgeschmückte Frauenröcke«, 3.216 »cargas« quachtli (ein als Maßeinheit für wirtschaftliche Transaktionen benutzter Stoff, eine »carga« dieses Stoffes [also 200 Stück] entsprach dem jährlichen Unterhalt einer Person), 2 Kriegerkostüme mit Insignien, 4 Maissilo und 1 bis 4 lebendige Adler zahlen.

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Rituale und Sitten behalten.59 Sie waren nur dazu gezwungen, pünktlich den Tribut zu leisten, Huitzilopochtli zu verehren und keine politischen Verträge mit fremden Völkern zu schließen. Unmittelbar danach sind die Azteken in ihre Stadt zurückgekehrt. Die Schlachten im Krieg waren kurz, die aztekischen Krieger trugen eine Baumwollrüstung (das ichcahuipilli, das den Krieger vor Pfeilen schützte) und Helme von Kapitäne in Form eines Jaguar- oder Adlerkopfes, deren symbolische Kraft eine Derivation ihres Glaubenssystems darstellte (der Jaguar repräsentierte Tezcatlipoca und der Adler Huitzilopochtli). Sie trugen Insignien, Ehrenbezeichnungen und Schilder im Übermaß, deren Funktion es war (als Kondensation ihrer religiösen Semantik) zu zeigen, welche Gottheiten die Konfrontation auf ihrer Seite unterstützten.60 Für die Azteken waren sowohl Sieg und Niederlage als Tochtepec lieferte jährlich an Tenochtitlan 16.000 Kautschukkugeln, 24.000 Papagaienfedersträuße, 80 Päckchen Quetzalfedern, 1 Schild, 1 Kopfschmuck, 1 Kopfband und 2 Halsbänder aus Gold, außerdem auch Schmuck aus Bernstein, Glas und Kakaobohnen. Ebd., S. 91. 59 | Es gab nur wenige Beispiele von dominierten Städten, in denen die Allianz die Goveurneure ernannte; Tlatelolco war eine davon. Eine Stadt, die mit der Zeit ein Teil der Hauptstadt (Tenochtitlans) wurde. Ebd., S. 213. 60 | Die symbolischen Waffen funktionierten natürlich nur zwischen Indigenen, für die nicht in der Semantik der Indigenen »versierten« Spanier signalisierten die Kostüme und die Insignien etwas anderes, zum Beispiel, wer ein hochrangiger Indigener Hauptmann war. Dadurch hatten die Spanier keine Schwierigkeiten, die Indigenen Befehlshaber auf dem Schlachtfeld zu lokalisieren. Über die Kriegsstrategien der Spanier in Bezug auf die übermäßige Anwendung von Kostümen und Insignien der aztekischen Hauptmänner berichtet Bernal Díaz del Castillo: »[…] und Cortés [sah, dass die mexikanischen Kapitäne wertvolle Waffen aus Gold und Kopfschmücke mit Edelsteine trugen, deshalb erteilte er den Befehl an] Gonzalo de Sandoval, Cristóbal de Olid, Gonzalo Domínguez und andere Kapitäne: Ea, meine Herren! Sie zuerst, es soll keiner von ihnen [Hauptmänner] ohne Verwundung bleiben.« »[…] y Cortés [vio que los capitanes mexicanos traían ricas armas de oro y grandes penachos con piedras preciosas, por eso dijo] a Gonzalo de Sandoval y a Cristóbal de Olid y a Gonzalo Domínguez y a los demás capitanes: ¡Ea, señores! Rompamos por ellos y no quede ninguno de ellos sin heridas!« Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 259-260. Abgesehen von der Anwendung dieser »symbolischen Waffen« haben die Indigenen haupt-

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auch die Opferung der gefangen genommenen Krieger sakralere Vorgänge. Einmal gefangen, wurden die Feinde als Opfer wahrgenommen, also als Botschafter mit sakraler Aura, die nach ihrer Opferung die Sonne auf ihrem Weg bis zum Mittag begleiten sollten, um sich später in Kolibris zu verwandeln. Der Erfolg der jungen aztekischen Krieger hing von der Anzahl ihrer Gefangenen ab: Mehr Gefangene bedeutete mehr Anerkennung und infolgedessen die Möglichkeit, eine bessere Position in der militärischen Hierarchie zu erreichen. Die aztekischen Krieger wurden in dem Glauben erzogen, dass es das größte Privileg sei, der Sonnengottheit geopfert zu werden.61 Die ultimate sacred postulates 62 der Azteken, als plausible Dogmen ihres Glaubenssystems, galten auch für die Formen der Durchführung ihre Kriege. Sie waren religiöse Kommunikationen ihrer Semantik zur göttlichen Darstellung und Rituale, die nicht zu verifizieren oder zu falsifizieren waren und die unbestreitbare Wahrheiten darstellten. Kommunikationen, die durch die Distinktion sakral/profan definiert wurden und die Verknüpfung der göttlichen Welt mit der weltlichen Realität ermöglichten. Die aztekische Kriegsführung war ein religiöses Ritual, dessen Flexibilität der aztekischen Gesellschaft erlaubte, einen Krieg gegen konstruierte Gottheiten zu führen, um die Ordnung ihres Universums zu garantieren. Dies erfolgte in unserem Untersuchungsfall chronologisch: Zunächst haben die Azteken ihre Gottheiten konstruiert, dann haben sie Gewalt gegen sie angewendet und zuletzt waren sie bereit, ihre Gottheiten zu opfern.63 Die Informanten von Sahagún sächlich folgende Waffen benutzt: Schilder aus Holz und Röhren mit Federn und Edelmetallen geschmückt und Holzkeulen (macquahuitl) mit Obsidianmessern. Sie benutzten auch Bögen (tlauitolli) und eine Waffe (atlatl), die Pfeile (mitl) und Spieße (tlacochtli) abschießen konnte. Die Praxis des Krieges bei den Azteken hatte nicht die Dimensionen der Ausübung des Krieges auf Seiten der Spanier. Über die unbekannte Gewaltanwendung, die die Indigenen durch die Spanier erlebten, siehe: Clendinnen, Inga, »The Cost of Corage in Aztec Society«, in: Past and Present 107, May 1985 (S. 44-89). 61 | Ausführlicher über die Ausbildung aztekischer Krieger siehe: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 105-108. 62 | Über die »ultimate sacred postulates« siehe: Rappaport, Roy A., Ritual and Religion in the Making of Humanity, a.a.O., S. 281. 63 | Klaus Eder analysiert die aztekischen Menschenopfer als gesellschaftliche Strukturen, die als symbolisches Medium der Kommunikation dafür zuständig wa-

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berichteten über die Opferung von Spaniern, die die Azteken im Krieg festgenommen haben: »Und wenn sie achtzehn Spanier festgenommen hatten, mussten sie in Tlacochcalco geopfert werden. [In Tlacochcalco haben die Azteken ihre Waffen gelagert (Anm. E.A.G.)] […] Alle Opfer waren nackt und wenn sie einmal bereits in Opfer transformiert wurden, wurden sie hingegeben. Die anderen Spanier [ihresgleichen] haben von dem Wasser aus gesehen, wie sie geopfert wurden.«64 Wir werden uns mit dieser Chronologie der Interaktionen zwischen Azteken und Spanier im nächsten Kapitel befassen. Mit der Untersuchung des aztekischen Glaubenssystems haben wir einen Erklärungsvorschlag gemacht, um zu beleuchten, warum die Azteken gegen die Spanier einen Krieg führen konnten, obwohl sie ihnen in den ersten Interaktionen die besondere Stellung einer Gottheit zugeren, eine gestörte Beziehung »zwischen Menschen und dem Gott, dem geopfert wird, wiederherzustellen«. Dabei betont er, was in dem Verständnis über diese Menschenopferrituale verloren gehen kann, wenn sie nutzentheoretisch erklärt werden. Siehe Eder, Klaus, Die Vergesellschaftung der Natur, Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1988, S. 197. 64 | »Y cuando completaron dieciocho cautivos, tenían que ser sacrificados allá en Tlacochcalco (›Casa del Arsenal‹) […] Del todo los dejaron desnudos. Luego así ya convertidos en víctimas, los sacrifican. Y sus congéneres estaban mirando desde las aguas en qué forma les daban muerte,« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 146. Hernán Cortés berichtet Karl V. in seinem Brief vom 15. Mai 1522 über die Opferungen von Spaniern während der Belagerung Tenochtitlans: »[A]lle lebendigen oder toten Spanier, die sie gefangen genommen haben, haben sie nach Tlatelulco [Tlatelolco] gebracht […] nackt haben sie sie geopfert, sie haben ihre Herzen aus ihrem Leib herausgerissen und sie haben sie ihren Gottheit dargeboten. Das haben die Spanier von […] Pedro de Alvarado gesehen von dem Ort aus, an dem sie gekämpft haben, sie haben die nackten, weißen Körper gesehen, die geopfert wurden, und sie wussten, dass sie von Christen waren,« »[T]odos los españoles vivos y muertos que tomaron los llevaron al Tlatelulco […] desnudos los sacrificaron y abrieron por los pechos y les sacaron los corazones para ofrecer a los ídolos; lo cual los españoles de […] Pedro de Alvarado pudieron ver bien de donde peleaban, y en los cuerpos desnudos y blancos que vieron sacrificar conocieron que eran cristianos.« Cortés, Hernán, »Tercera carta de relación – 15 de mayo de 1522«, in: Cartas de relación, Ed. Porrúa, México 1969, (S. 81-144) S. 124.

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schrieben hatten: Die aztekische Religion ermöglichte und erforderte die Konstruktion von lebendigen Gottheiten, die die Azteken in der Regel als Opfergabe wahrgenommen haben. Aus diesem Grund gehen wir davon aus, dass sie die Spanier nicht entsakralisieren mussten, um Gewalt gegen sie auszuüben oder um sie zu opfern.

c. Bestätigung religiöser Er wartungen: Die Azteken konstruieren ihre Gottheiten 1517 führte Francisco Hernández de Córdoba eine Expedition nach Südmexiko durch, während der Interaktionen zwischen Indigenen und Spaniern stattfanden. 1518 erreichte die Expedition von Juan de Grijalva ebenso das Land, wobei sich ebenfalls ähnliche Interaktionssituationen ereigneten.65 Informationen von Augenzeugen über diese Expeditionen sind kaum vorhanden.66 Es waren kurze Abenteuer, bei denen sie nicht bis in das Innere des Landes vordrangen. Aus diesem Grund greifen wir auf die ausführlich dokumentierten Berichte von Indigenen und spanischen Augenzeugen über die ersten Interaktionen von Hernán Cortés Expedition zurück. Zwei fremde Gesellschaften trafen aufeinander: Azteken und Spanier begegneten sich und waren zur Interaktion gezwungen. Die Azteken ordneten die Informationen ein, wie sie konnten, also durch den Einsatz ihres Glaubenssystems. Sie involvierten die Spanier in ein Ritual, wobei Hernán Cortés, der Kapitän der Spanier, aus den Händen von Botschaftern,

65 | Die von Bernardino de Sahagún befragten Indigenen berichteten im Kapitel II des XII. Buches seiner Historia General de las Cosas de Nueva España, dass die erste Begegnung mit den »Göttern« bereits im Jahre 1517, dem Jahr 12 calli (»12 Haus«) der Indigenen Kalenderrechnung stattgefunden hat. Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 84. Sie informieren auch darüber, dass sie (die Götter) Ende des Jahres 1518, im Jahr »13 Kaninchen«, noch einmal gesehen wurden. Ebd., S. 86. 66 | Es sind bis jetzt noch keine Augenzeugenberichte über die Expedition von Hernández de Córdoba gefunden worden. Der einzige Bericht von Augenzeugen über die Expedition von Grijalva ist zu finden in: Díaz, Juan, »Itinerario de Juan de Grijalva«, in: Agustín Yañez (Hg.), Crónicas de la conquista de México, Biblioteca del Estudiante Universitario, UNAM, México 1987.

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die Motecuhzoma67 zur heutigen Küste des Bundesland Veracruz schickte, den »Schatz Quetzalcoatls« bekam. Dieser Schatz bestand hauptsächlich, so die Indigenen, aus »göttlichen Ehrenbezeichnungen«. Es waren vor allem die »Kostüme und Insignien«, die die Azteken zur Repräsentation ihrer Gottheiten Quetzalcoatl, Tezcatlipoca und Tlaloc68 benutzten. Nach Indigenen und spanischen Berichten begannen die Indigenen das Ritual mit »der Zeremonie, die Erde mit dem Mund zu berühren«69, und setzten es mit der Übergabe dieses Schatzes fort. Dann »verkleideten« sie Cortés als Gottheit.70 Die Ansicht der Indigene, dass sie sich in der Anwesenheit von Gottheiten befanden, wurde durch die Organisation ihres Erlebens und ihres Handelns bestätigt: Sie kleideten Cortés wie eine Divinität ein. So nahmen sie wahr, dass die gerade angetroffenen Fremden tatsächlich so aussahen, wie sie sich ihre göttlichen Repräsentationen vorgestellt haben.71 Was die aztekische Gesellschaft erlebte, hat eine spe67 | Sein richtiger Name lautet Mohtecuzomatzin, der auf Nahuatl bedeutet: »moh – Ausdruck der Verehrung; tecutli – Herr, Herrscher; zoma – mutig, herausfordernd; tzin – Prinz oder Herrscher«. Burland, Cottie A., Montezuma. Herrscher der Azteken 1467-1520, Verlag Ploetz KG, Würzburg 1974, S. 8. 68 | In der Übersetzung von Angel María Garibay Kintana des Sahagún’schen Werkes liest man »Tlalocan Tecuhtli«, also »Herr von Tlalocan«, den anderen Namen Tlalocs (Gott des Regens). Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 84. 69 | So die Übersetzung von Garibay Kintana: »Uno a uno hicieron la ceremonia de tocar la tierra y la boca delante del capitán«. Ebd., S. 89. Díaz del Castillo liefert die spanische Version des Ereignisses: »Als er [ein Emissär] in der Nähe unseres Kapitäns war, küsste er die Erde und dann wurden Cortés und alle nahe stehenden Soldaten beweihräuchert.« »Que en llegando donde nuestro capitán estaba, besó la tierra, y con braceros que traían de barro, y en ellos de su incienso, le sahumaron y todos los demás soldados que allí cerca nos hallamos.« Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, Ed. Porrúa, México 2004, S. 66. 70 | Siehe die Kapitel III bis V in: Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O. 71 | So wurden die Spanier in die aztekische Gesellschaft inkludiert: »Wenn man den Fremden als einen Ahnen oder als einen verstorbenen geglaubten Verwandten [oder eine Gottheit] identifiziert […] so vollzieht man eine Inklusion, aber es handelt sich nicht um eine Inklusion der Fremdheit des Fremden, vielmehr wird der

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zifische Sinneinordnung aktiviert, die die Ausdifferenzierung von Kommunikationen zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz generierte. Die Azteken bestätigten ihre semantischen Erwartungen (Reproduktion von Sinnerleben) und setzten ihre Rituale (Anschluss von Handlung an Handlung) fort. In den unmittelbaren Interaktionen opferten die aztekischen Botschafter andere Indigene, um mit deren Blut das Essen der Spanier zu begießen. Das haben sie gemacht, weil einige ihrer Gottheiten sich von Blut ernähren sollten: »Vor dem Kapitän werden Opferungen gemacht […] ihm [wurde] Blut auf der »Adler-Kasserolle« angeboten […].« 72 Die Semantik der Darstellung aztekischer Gottheiten generierte die Notwendigkeit der Durchführung von Ritualen, und die Rituale bestätigten die Semantik und trieben sie voran.

Fremde seiner Fremdheit entkleidet und ist damit ohne die zuvor beunruhigenden Qualitäten, und er ist erst als ein solcher in die Gesellschaft zu integrieren.« Stichweh, Rudolf, »Die Semantik des Fremden in der Genese der europäischen Welt«, in: ders., Der Fremde, Suhrkamp, Berlin 2010, (S. 75-83) S. 76. 72 | »Delante del capitán se hacen sacrificios. Se enojo por ello. Porque le daban al capitán sangre en una ›cazoleta del Águila‹. Por esto maltrata al que le daba la sangre. Le dió golpes con la espada«. »Relato de la Conquista, por un Autor Anónimo de Tlatelolco, redactado en 1528.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., (S. 166-185) S. 169. James Lockhart geht davon aus, dass das Datum 1528 als Redaktionsjahr des Dokuments falsch ist: »The notion that by 1528 Spanish ecclesiastics could have learned the language well enough to have developed such a refined orthography, much less to have trained expert indigenous calligraphers capable of writing great amounts of complex prose, is so improbable as to verge on the ridiculous.« Lockhart, James, We people here, a.a.O., S. 39. Bernal Díaz del Castillo erwähnt den Fund von menschlichen Überresten geopferter Indigene in unterschiedlichen Dörfern auf dem Weg von der Villa Rica de la Vera Cruz nach Tenochtitlan. Seine Erzählung erwähnt den Fall mit der »Adler-Kasserolle« nicht. Für die Informationen über diese Funde auf der Strecke zwischen Villa Rica de la Vera Cruz und Cempoala siehe: Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 74-75. Die von Sahagún befragten Indigene berichteten ebenfalls über die Verachtung der Spanier gegenüber den Opferungen, die in ihrer Anwesenheit ausgeübt wurden. Siehe dazu: Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 94.

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Hinzu kam, dass diese Erwartung durch ein weiteres semantisches Element in den Augen der Azteken bestätigt wurde: Die Begegnung fand zufälligerweise 1519 statt. 1519 trug nach aztekischer Zeitrechnung die Bezeichnung Ce Acatl (1 Rohr)73, einer der Namen der Gottheit Quetzalcoatl. Die überreichten heiligen Objekte und Kostüme der Divinität und die zeitliche Koinzidenz waren für die Azteken die entscheidenden Elemente, um ihre Gottheiten zu erkennen.74 Cortés, einmal mit der Maske aus Türkis und Quetzalfedern geschmückt, hatte alle »göttlichen Ehrenbezeichnungen« akzeptiert. Somit konnten die Azteken die Prophezeiung der Rückkehr Quetzalcoatls identifizieren.75 73 | Hierzu siehe Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 19. 74 | Ein spanischer Beleg dieser Identifizierung ist bei Bernal Díaz del Castillo zu finden. Er berichtet, ohne tiefergehende Kenntnisse des aztekischen Glaubenssystems, dass mit den Geschenken (dem Schatz Quetzalcoatls) ein Mann angekommen sei, der Cortés sehr ähnlich gesehen habe: »[…] mit ihnen kam ein wichtiger mexikanischer Herr (Kazique), dessen Gesichtszüge und Körper Cortés ähnelten […] und weil er Cortés sehr ähnlich war, so nannten wir ihn, Cortés hier, Cortés da«. »[…] y venía con ellos un gran cacique mexicano y en el rostro y facciones y cuerpo se parecía al capitán Cortés […] y como parecía a Cortés, así le llamabamos en el real, Cortés acá, Cortés acullá«. Diaz del Castillo, Bernal, a.a.O., S. 66. Die Azteken gingen wahrscheinlich davon aus, dass die Darstellung von Quetzalcoatl ihren Zwillingsbruder benötigte. In den Berichten der Indigene über diese Ereignisse spielt, aus unserer Perspektive, diese Art der selbsterfüllenden Prophezeiungen eine wichtige Rolle. Für Literartur über diese Topik siehe etwa Krishna, Daya, »The Self-fulfilling Prophecy and the Nature of Society«, in: American Sociological Review 36, 1971 (S. 1104-1107). 75 | Werner Stenzel hat, auf der Basis der Vermutungen von Victor Frankl und Jacques Lafaye, eine ausführliche Kritik der historischen Quellen durchgeführt, die über die Vorstellung der angeblichen Rückkehr von Quetzalcoatl berichten. Sein Ergebnis lautet: Cortés selbst hat diese »Legende« aus politischem Kalkül erfunden. In seiner Kritik bemüht sich Stenzel zu zeigen, dass die historischen Beweise dieser Behauptung widersprüchlich und daher nicht überzeugend sind. Dabei hebt er einerseits Cortés’ strategische Logik hervor und andererseits schildert er die fehlende Korrespondenz zwischen den Reaktionen der Indigene in der »Legende« und ihrer Handlung in üblichen Konfliktssituationen vor der spanischen Ankunft.

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Die Spanier konnten jedoch sowohl die Semantik dieser Gegenstände mit ihren Farben und Formen als auch die religiöse Zeitrechnung der Azteken nicht verstehen. Sie ordneten, was sie wahrgenommen und bekommen hatten, ein, wie sie konnten. Das heißt, sie wendeten dafür ihre eigenen Koordinationsmöglichkeiten der Sinnverarbeitung an: Cortés hat unmittelbar nach diesen Interaktionen die Ehrenbezeichnungen nach dem »Quinto Real-System« versteuert (ein Fünftel des geschätzten Wertes der Gegenstände nahm die Krone in Anspruch). Der erste Relationsbrief an Karl V. vom 10. Juli 151976 informiert über eine ausführliche Siehe hierzu: Stenzel, Werner, »Quetzalcoatl von Tula«, in: Zeitschrift für Lateinamerika 18, 1980 (S. 1-92). Das Manko dieser Hypothese ist, dass sie keinen analytischen Vorschlag liefert, um eine Definition der Fremdreferenz zu konstruieren, die die Indigene benutzt haben sollen, um ihre kommunikative Handlung in den Interaktionen mit den Spaniern zu steuern. Wenn die Azteken ihr Glaubenssystem nicht eingesetzt haben, um die Informationen aus ihren Interaktionen mit den Spaniern einzuordnen, wie kann man dann zum Beispiel erklären, dass es Cortés gelang, in der aztekischen Stadt ohne Gewaltausübung einzutreffen und den aztekischen König (Tlatoani) festzunehmen? Unserer Meinung nach, übersieht die geschichtliche Überlegung von Stenzel die komplexe Operationslogik der damaligen Interaktionsprozesse. Da unsere Untersuchung einen soziologischen Anspruch hat, fokussieren wir eher die strukturellen Elemente der Indigenen Gesellschaft durch das systemtheoretische Konzept der »doppelten Kontingenz« und unterstreichen, dass diese Geschichte erst durch die Intervention der Indigene möglich wurde: Sie haben, wie sie wollten und konnten, aus den Spaniern Divinitäten gemacht. Das bedeutet aber auf keinen Fall, wie wir im ersten Kapitel betont haben, dass somit die Azteken der Gewalt der Spanier ausgeliefert waren, denn, wie die Quellen ebenfalls zeigen, sie waren in der Lage, ihre Divinitäten durch Gewaltanwendung zu opfern. Für uns ist der Bericht der Rückkehr von Quetzalcoatl ein substituierbares Beispiel, das für sich allein nicht reichen würde, um den Sieg der Spanier über die Azteken soziologisch zu erklären. 76 | Francisco López de Gómara schrieb in Spanien nach Cortés’ Erzählungen eine Geschichte der Eroberung Mexikos (Gómara war ein Freund und Hilfspriester Cortés). Da der erste Brief von Cortés an Karl V. verloren gegangen ist – ein Dokument, in dem die direkte Meinung von Cortés über die damaligen Ereignisse zu erfahren wäre – benutze ich hier das Werk Gómaras (es liegt nahe anzunehmen, dass er eine Kopie dieses Briefes besaß), um Cortés’ Auflistung der Gegenstände zu dokumentieren, die er wahrnahm. López de Gómara, Francisco, Historia de las

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Klassifizierung (Gold, Schmuck, Edelsteine, Federschmuck und Federkleidung): »Zunächst ein großes Rad aus bestem Gold mit der Figur eines Monsters darauf […], das 3800 Gold-Pesos gewogen hat […].« 77 Die Konstruktion von lebendigen Gottheiten anhand religiöser Rituale implizierte zugleich die Neutralisierung des Beitrags zur doppelten Kontingenz dieser Menschen-Götter, denn sie hatten keine Alternative als einem vordefinierten, religiösen Drehbuch zu folgen. Dadurch war ihre Rolle vorbestimmt und keine Abweichung diesbezüglich zu erwarten. Jedoch waren für die Spanier diese sacred postulates unbekannt, sie kommunizierten nach ihren eigenen strukturellen und semantischen Bedingungen und generierten daher Irritationen und Ratlosigkeit unter den Indigenen. Aus diesem Grund kann man sagen, dass die Spanier doppelte Kontingenz in den Interaktionen zwischen den Azteken und ihren konstruierten Gottheiten (wieder)eingeführt haben. Da wir von dieser Behauptung ausgehen, wollen wir unsere Untersuchung des aztekischen Glaubenssystems mit dem Versuch beenden, eine Definition aztekischer, göttlicher Repräsentation vorzuschlagen, die auf dem systemtheoretischen Konzept der doppelten Kontingenz basiert. Eine Definition, die uns zeigen kann, warum die Erwartungen der aztekischen Gesellschaft bezüglich ihrer Gottheiten anhand der Unberechenbarkeit der Spanier enttäuscht wurden und dadurch Irritationen entstanden, die sie nur durch Variationen der Strukturen ihres Glaubenssystems verarbeiten konnte.

Indias y Conquista de México, Zaragoza 1552. Reimpresión de la Edición Facsimilar de México, Condumex, S.A., Centro de Estudios de Historia de México, Condumex, Ciudad de México, 1978. Zusätzliche Informationen über diesen Brief sind zu finden in Caillet-Bois, Julio, »La Primera Carta de Relación de Hernán Cortés«, in: Revista de Filología Hispánica, III, I (Enero-Marzo), Buenos Aires 1941 (S. 50-54); Wagner, Henry R., »The Lost First Letter of Cortés«, in: Hispanic American Historical Review XXI 1941 (S. 153-174). 77 | »Primeramente una rueda de oro grande con una figura de monstruos en ella […] la cual pesó tres mil ochocientos pesos de oro.« Die wertvollen Gegenstände sind im Brief genau beschrieben. Am Ende der Klassifizierung wurden die Bücher der »Indios«, Silbergegenstände und Baumwollkleidung erwähnt. Nach Gómaras Werk: »Primera carta de relación – 10 de Julio de 1519«, in: Hernán Cortés (Hg.), Cartas de relación, Ed. Porrúa, México 1969, S. 19-22.

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d. Interagierende göttliche Repräsentationen: Mechanismen zur Verarbeitung doppelter Kontingenz und die Unberechenbarkeit der Spanier als konstruierte Gottheiten Die Gottheiten der Azteken sind als religiöse Repräsentation nicht mit der katholischen Darstellung Gottes vergleichbar. Das aztekische Glaubenssystem besaß zum Beispiel kein Äquivalent zur christlichen Vorstellung der Omnipotenz Gottes oder zur Theodizee, und bot zugleich die Möglichkeit, durch Rituale Menschen als abstrakte Gottheiten darzustellen. Dabei stand eine einzige Asymmetrie zwischen der Priestergottheit und der Gottheiten zu Opfern: Nach dem Opfervollzug überlebte nur die Priestergottheit. Im Gegensatz dazu ist im Christentum der Vergleich zwischen Menschen und Gott nicht zugelassen. Außerdem ist die Ausübung von Ritualen mit Menschenopferungen untersagt. Das Christentum geht damit auf einer abstrakten Ebene um. Nach unserer Untersuchung der Semantik zur Darstellung aztekischer Gottheiten und den ihnen gewidmeten Ritualen gehen wir davon aus, dass das zentrale Element, um aztekische interagierende Gottheiten zu definieren, die fehlende Zuschreibung eines freien Willens (Selektionsfreiheit) ist. Diese Gottheiten waren im Rahmen einer Ritualdurchführung trotz (und wegen) Interaktion berechenbar. Durch diese Erwartung haben die Azteken die doppelte Kontingenz in den Interaktionen verarbeitet (neutralisiert), in die solche Gottheiten involviert waren: Ihnen wurde nur eine einfache Kontingenz zugeschrieben. Das aztekische Glaubenssystem schrieb ihnen eine eindeutig definierte religiöse Funktion zu, die die Produktion anderer Kommunikationsalternativen nicht zugelassen hat. Wenn man das systemtheoretische Konzept von Interaktion verwendet, um dieses Phänomen zu erklären, dann kann man die Leistung des aztekischen Glaubenssystems erkennen. Die Systemtheorie definiert die Interaktion als ein soziales System, das auf die Anwesenheit von Menschen (Personen in Hörweite und ihrer Körper in Griffnähe) angewiesen ist, um das Problem der doppelten Kontingenz zu lösen.78 Die aztekische Ritualdurchführung definierte diese Gottheiten nicht als normale Menschen, sondern als Gottheiten, die an eine feststehende Rolle gebunden waren. Durch diesen Mechanismus der Verarbeitung doppel78 | Siehe hierfür Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O.; ders Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O.

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ter Kontingenz waren diese Menschen-Götter der Distinktion Alter/Ego ausgesetzt. Ihre Handlung konnte nicht eigenwillig sein.79 Das bedeutet, dass die aztekische Gesellschaft jegliche Abweichung dieser Voraussetzung nur mit Fassungslosigkeit beobachten konnte, denn sie konnte ausschließlich nur durch die Generalisierung der Erwartungen ihrer Rituale und religiösen Semantik reagieren. Sollte eine solche Abweichungssituation entstehen und sich mehrmals wiederholen, dann wären die Azteken gezwungen gewesen, ihre religiösen Geheimnisse (ihre unzugängliche Kommunikation) zu überprüfen, um sie notfalls zu aktualisieren. 1519 erlebten die Azteken etwas Unerwartetes, das ihre religiösen Erwartungen zunehmend enttäuscht hat: Ihre konstruierten Gottheiten waren in der Interaktion unberechenbar, denn sie erfüllten weder ihre Rolle noch ihre Funktion als Menschen-Götter. Die Azteken waren fassungslos, dass die Spanier zum Beispiel kein menschliches Blut zu sich nahmen: »Vor dem Kapitän werden Opfer gemacht. Er hat sich sehr darüber geärgert, dass ihm Blut auf der ›Adler-Kasserolle‹ angeboten wurde. Deswegen malträtierte er denjenigen, der ihm das Blut angeboten hat.« 80 Die Spanier, als göttliche Repräsentationen, generierten Situationen doppelter Kontingenz, die nach aztekischer Ansicht nicht erwartbar waren. Dadurch wurden ihre Gottheiten für sie undurchsichtiger, opaker.81 Daraus sind religiöse Irritationen entstanden, die das aztekische Glaubenssystem nur durch ihre Kapazität der Variationsprozessierung verarbeiten konnte. Wir gehen davon aus, dass die aztekische Gesellschaft gerade mittels der Ge79 | Hier ist hervorzuheben, dass die Indigenen im XVI. Jahrhundert selbstverständlich keine Vorstellung von freiem Willen im heutigen Sinne besaßen. Ihre Eigenwilligkeit war nicht individuell, sondern gemeinschaftlich. Ausführliche Informationen zu diesem Thema sind in Kapitel 3 dieser Untersuchung zu finden. 80 | Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 169. 81 | Die Spanier wurden so undurchsichtig für die Indigenen, dass sie, wie die Untersuchungen von Sahagún zeigen, selbst dreißig Jahren nach Kriegsende noch keine einheitliche Semantik für die opake »Natur« der Spanier zur Verfügung hatten. Folgende Konzepte benutzten die Azteken, um die Spanier zu bezeichnen: Spanier, Götter (S. 92), Affen (S. 100), hungrige Schweine (»puercos hambrientos«) (S. 100), Wilde (S. 100), kleine Biester (»bestezuelas«) (S. 112), unsere Feinde (S. 138). Anhand dieser Beispiele kann man feststellen, wie die Transformationsprozesse der Semantik stattfinden, um eine neue soziale Realität zu begreifen.

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neralisierung ihrer religiösen Semantik zur göttlichen Darstellung (und zu Ritualen) solche Widersprüche in den Raum des religiösen, geheimen Undefinierbaren eingeordnet hat, um die Fortsetzung ihrer religiösen Handlung zu garantieren. Durch die Untersuchung des aztekischen Glaubenssystems haben wir die Voraussetzungen erklärt, die die Handlung der Azteken in ihren ersten Interaktionen mit den Spaniern gesteuert haben. Diese Kommunikationen kann man nicht, wie wir systemtheoretisch belegt haben, als gescheiterte Kommunikationen zwischen zwei unterschiedlichen Sinnhorizonten begreifen, sondern als Kommunikation, die unerwartete Irritationen verursacht haben. Sie ist auch nicht als Missverständnisse zwischen unterschiedlichen Kulturen zu definieren. Sie war viel mehr Kommunikation, die anders eingeordnet hätte werden können, deren operative Logik nur ausgewählte Reaktionen ermöglichte. Die Azteken konnten nur verstehen, was sie verstehen konnten.82 Bevor wir mit dem zweiten Kapitel beginnen, möchten wir die andere soziale Seite der Informationseinordnungskapazität untersuchen, die die ersten Interaktionen zwischen Azteken und Spanier gesteuert haben: die spanische Seite. Denn ohne diese Untersuchung kann es nicht gelingen, die kommunikative Genese solche Interaktionen und ihre Fortsetzung als Spirale der Irritationsakkumulation zu erklären. Hierfür werden wir uns mit der Semantik der spanischen Gesellschaft in den Indias zwischen 1493 und 1519 befassen, wobei die Fremdbeschreibung »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« fokussiert wird, die die Spanier benutzt haben, um den Status der Ureinwohner der Neuen Welt in Interaktionsprozessen zu definieren. Die Erforschung dieser Fremdbeschreibung werden wir anhand der Betrachtung des Dokumentes Requerimiento (1513) durchführen. Hierfür 82 | Und das war nicht wenig: Die Emissäre Motecuhzomas waren ratlos, als sie sahen, dass die »gerade angetroffenen Gottheiten« vor einem Kruzifix aus Holz niederknieten. Bernal Díaz del Castillo berichtet: »Und wie Tendile [Téntitl in Nahuatl] und Pitalpitoque [Cuitlapiltoc in Nahuatl] uns knien gesehen haben, […] haben sie die Frage gestellt, warum wir uns vor dem komischen Stück Holz in dieser Art und Weise unterwarfen.« »Y como Tendile y Pitalpitoque nos vieron así arrodillados, […] preguntaron que a qué fin nos humillábamos delante de aquel palo hecho de aquella manera […].« Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 68.

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werden wir uns mit seiner Semantik befassen, die dem Verfahren entsprach, um die Indigenen über ihre Unterwürfigkeit zu informieren und gegebenenfalls die Anwendung von Gewalt gegen sie zu legitimieren, um ihre Unterwürfigkeit zu vollziehen.83 Wir führen diese Untersuchung mit der Absicht durch, die Mechanismen in den Vordergrund zu stellen, die die Spanier angewendet haben, um die doppelte Kontingenz in ihren Interaktionen mit den Indigenen zu asymmetrisieren. Dadurch sollen die semantischen und strukturellen Voraussetzungen der spanischen Handlung in den ersten Interaktionen mit den Indigenen beleuchtet werden.

II. D ie spanische G esellschaf t in den I ndias 1492-1519: D ie I ndigenen als »U ntergebene der spanischen K rone und des Papstes ohne A nsprüche auf F reiheit und E igentum « Die Expeditionen von Kolumbus generierten überraschende Informationen, die nach 1492 Europa erreicht haben. Diese Informationen produzierten Fragen, deren Antworten auf keiner Selbstverständlichkeit basierten, denn sie brachten einen großen Teil der damaligen geltenden Denksysteme und Dogmen an die Grenzen ihrer Erklärungsmöglichkeiten. Aus diesem Grund sah sich die europäische Gesellschaft gezwungen, sich nicht nur mit diesen Informationen zu befassen, sondern die Grenzen der Mechanismen ihrer Sinneinordnungskapazität zu überprüfen. Dies war der Fall, weil die geographischen und anthropologischen Fakten dieser Informationen nicht dauerhaft erfolgreich theologisch erklärt werden konnten. Die Anwendung der heiligen Schriften und der scholastischen Philosophie sollte auf die Irritation solcher Informationen reagieren, denn ohne eine Reaktion wäre wahrscheinlich ihre Legitimität in Gefahr geraten. Die europäische Gesellschaft befand sich vor einer großen Herausforderung, sie war zur Reaktion gezwungen: Sie musste den tautologischen Kreis zwischen Plausibilität der Erklärung von Natur- und Sozialphänomenen und Denktradition durch die Einführung alternativer Denkansätze unterbrechen. Eine Aufgabe, die je nach Gebiet (z.B. Geographie oder Anthropologie) Jahrzehnte oder Jahrhunderte gedauert hat. 83 | Die Bedeutung von Requerimiento kann man auf Deutsch mit einer Kombination zweier Konzepte übersetzen: Aufforderung und Mahnung.

Vorbedingungen zur Interaktion

In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit der unmittelbaren Zeit nach 1492, also mit jener Epoche, als die spanische Gesellschaft noch keine andere Alternative hatte, als ihre spätmittelalterlichen Dogmen und Denksysteme einzusetzen, um zum Beispiel die Irritationen der Informationen von Kolumbus’ Expeditionen einzuordnen. Hierfür werden wir auf der einen Seite den Ursprung der Bezeichnungen Indias und Neue Welt fokussieren, die die Reproduktion von Sinnerleben gesteuert haben (Semantik). Und auf der anderen Seite werden wir das Verfahren Requerimiento (mit seiner Fremdbeschreibung der Indigenen als »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes«) als einen Mechanismus untersuchen, der mittels seiner Selektionsmöglichkeiten (Inklusion/Exklusion) Anschlüsse von Handlungen an Handlungen erwartbar gemacht hat (Struktur). Dabei beabsichtigen wir, die Elemente zu beleuchten, die erklären können, warum die Spanier in ihren ersten Interaktionen mit den Azteken gehandelt haben, wie sie es gemacht haben und nicht anders.

a. Der semantische Ursprung der Bezeichnung Indias Die spanische Krone musste zunächst, unmittelbar nach der Landung der ersten von ihr finanzierten Expedition von Kolumbus, folgende Fragen beantworten: Wie ist die genaue geographische Position des von Kolumbus erreichten Landes und seine Relation zur Gesamtheit der Geographie der Erde zu definieren? Und wie konnte man das Eigentumsrecht über dieses Land beanspruchen? Hierfür sollten plausible Antworten gefunden werden, denn der Erfolg des spanischen Expansionsprogramms hing davon ab. Kolumbus war der Auffassung, er habe am 12. Oktober 1492 die östliche Küste des Orbis terrarum (»Insel der Erde«) erreicht: also Asien.84 Jedoch standen in Europa zu dieser Zeit noch keine präzisen Informationen über die Geographie Asiens zur Verfügung, weswegen man darüber noch keine genauen geographischen Schlussfolgerungen ziehen konnte. 84 | »Diario del primer viaje de Colón«, in: Martín Navarrete Fernández (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, con varios documentos inéditos concernientes a la historia de la Marina Castellana y de los establecimientos españoles en Indias, Madrid 18251837, S. II, XV. Kolumbus vertrat diese Meinung bis zum Ende seines Lebens. Siehe dazu O’Gorman, Edmundo, La invención de América, FCE, México 1977, S. 83.

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Ob das Land ein Teil Japans, Chinas oder Indiens war, war für Kolumbus und für jeden Zeitgenossen im Prinzip eine offene Frage. Die Bezeichnung Indias, die die spanische Krone benutzt hat, um dieses Land juristisch von anderen zu unterscheiden und dadurch, mit Hilfe des Papstes, als ihr Eigentum zu reklamieren, fasst dieses Unwissen zusammen.85 Um 1493 besaßen die Spanier, wie gesagt, nur eine allgemeine und undeutliche Vorstellung des Landes Indien und hatten ebenfalls keine zuverlässigen Informationen über die Existenz des Kontinents Amerika.86 Daher haben sie die zusammenfassende Bezeichnung Indias benutzt, um das »entdeckte« und (notfalls) »noch zu entdeckende« Land in der Region zu differenzieren. In einem vom 30. März 1493 datierten Brief ernannte das katholische Königspaar, Isabel von Kastilien (1451--1504) und Fernando II von Aragón (V. von Spanien) (1452--1516), Kolumbus zum Admiral, Gouverneur und Vizekönig der »an den Indias entdeckten Insel«.87 Sie hatten Kolumbus Expedition finanziert und mit Hilfe der Unterstützung des Papstes waren sie imstande, dieses Land als ihr Eigentum zu behaupten. Deswegen kann man sagen, dass mit diesem Brief die offizielle semantische Karriere der Bezeichnungen »Indias« und »Indios« begann. Die offizielle königliche Definition der Einwohner der Indias war: »Indios der Inseln und des Festlandes des Mar-Oceano«. Die spanische Krone bestätigte anhand dieses Briefes teilweise die »asiatische These« ihres Vizekönigs der Indias. Jedoch waren die Könige der Ansicht, dass weitere Expeditionen durchgeführt werden sollten, um die Auffassung Kolumbus definitiv zu formalisieren. Die spanische Krone wusste, dass diese Expansion Regeln benötigte, vor allem weil die portugiesische Monarchie ähnliche Expansionsansprü85 | Ein Unwissen, das vielleicht den Ursprung der undifferenzierten spanischen Bezeichnungen hindú und indio erklären kann? Heutzutage werden auf Spanisch noch hindú und indio als Synonyme für den Volksnamen der Einwohner Indiens benutzt. Zugleich wird das Wort indio angewendet, um die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents zu bezeichnen. Vgl. Diccionario de la Real Academia de la Lengua Española, 22. Auflage, 2001. 86 | Zugleich implizierte die Behauptung der Existenz von Festland zwischen Europa und Asien eine Häresie, weil dies für die Existenz eines Orbis alterius sprach. 87 | Für den originalen Text des Briefes siehe: »Colón«, in: Martín Navarrete Fernández (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, a.a.O.

Vorbedingungen zur Interaktion

che erhob. Hierfür hatte der damalige Papst, Alexander VI., eine zentrale Funktion als Schiedsrichter zwischen beiden Länder erfüllt.88 Denn der Papst verkörperte die heilige Autorität, die die notwendigen kirchlichen Erlaubnisse erteilen konnte, um jede Expedition voranzutreiben. Dies war der Fall, weil er als der Stellvertreter Gottes auf Erden galt, der für die Verwaltung der Schöpfung Gottes zu sorgen hatte.89 Das bedeutet, dass die Expansion der spanischen Krone von den Entscheidungen eines spanischen Papstes abhing. Alexander VI. markierte in seiner Bulle Inter caetera vom 3. Mai 1493 eine geographische Grenze zwischen dem exploratorischen Eifer Spaniens und Portugals.90 Der Erlass stipulierte, dass die Expeditionen und die Landreklamationen Spaniens erst 100 Meilen west88 | Alexander VI., als Rodrigo Borja in Játiva (Spanien) geboren und später Borgia, nach der italienischen Version seines Namens, genannt, war Papst zwischen 1492 und 1503. 89 | Siehe das Werk De dominio Regum Hispaniae super Indios von Dominikannerpater Fray Matías de Paz für die theologische Diskussion über die Konstantinischen Schenkungen als Rechtfertigung für die Schenkung Alexanders VI. an die katholische Krone in: Beltrán Heredia, V., »Matías de la Paz, O. P., y su tratado ›De dominio regum Hispaniae super indios‹«, in: La Ciencia tomista 40, 1929 (S. 173190). Siehe hierzu ebenfalls: Paz, Matías, »El tratado de Matías de Paz, O.P. Acerca de los reyes de Espania sobre los indios de América«, Edición crítica, in: Archivum fratrum praedicatorum 3, 1933 (S. 133-181). Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits kritische Meinungen gegenüber dieser päpstlichen Position, sie hatten aber nur eine marginale Stellung in dieser theologischen Diskussion. Siehe zum Beispiel die Ideen von dem in Paris lehrenden schottischen Nominalisten John Mair (Ioannes Maior), der 1510 grundsätzlich bestritt, dass der Papst ein dominus mundi sei und deswegen auch kein Territorium zum Inhalt einer Schenkung machen könne. Allerdings erwähnt John Mair die alexandrinische Schenkung selbst nicht. Maior, John (Ioannes), In Secundum Sententiarum, Paris 1519. Siehe hierzu auch: García y García, Antonio, »Die Herausforderung der Neuen Welt. Francisco de Vitoria und seine Vordenker«, in: Eberhard Straub (Hg.), Conquista, Amerika oder die Entdeckung der Menschenrechte, Communio, Köln 1991 (S. 48-63). 90 | Der Text des Dokumentes in: Colección Documental del Descubrimiento (1470-1506), hg. von Juan Pérez de Tudela/Carlos Seco Serrano/Ramón Ezquerra Abadía/Emilio López Oto, 3 Bde. Real Academia de la Historia, Consejo superior de Investigaciones Científicas, Fundación MAPFRE América, Bd. 1., Madrid 1994, S. 290-291.

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lich von den Azoren erfolgen dürften. Alle Gebiete östlich dieser Trennlinie wurden Portugal zugeordnet. Dadurch transferierte Alexander VI. die Rechte der Verwaltung der Inseln und des Festlandes des Mar-Oceano und ihre Einwohner (die »Indios«) an die spanische Krone. Am 26. September 1493 bestätigte er in seiner Bulle Dudum siquidem die Grenzlinie der Bulle Inter caetera und erklärte, dass alle und jede »entdeckte oder zu entdeckende Insel oder Festländer, die mit dem Schiff oder zu Fuß Richtung Westen und die westlich, mittäglich oder östlich der Trennlinie liegen sollten«,91 unter die Verwaltung Spaniens fallen würden. Der Papst rechtfertigte seine Schenkung durch das Argument, dass Spanien die Aufgabe und Verantwortung der Verkündigung des Evangelium und der Glaubensverbreitung in den Indias von ihm übernahm.

b. Der semantische Ursprung der Bezeichnung Neue Welt Die spanische Krone hatte Kolumbus’ Expedition hauptsächlich mit der Absicht finanziert, ihre Expansion voranzutreiben. Dabei ging es darum, das westliche Meer (noch nicht als Ozean bekannt) zu erkunden, um die Inseln zu finden, die nach Daten mittelalterlicher Kartographie möglicherweise dort zu verorten waren. Sie sollten als Eigentum Spaniens reklamiert werden.92 Die

91 | Am 7. Juni 1494 redefinierten Spanien und Portugal die geographische Trennung ihrer Ansprüche anhand des Schiedsvertrages von Tordesillas. Der Vertrag verschob die Trennlinie bis auf 46º 30" westlicher Länge, so dass der Großteil des heutigen Brasiliens zur portugiesischen Einflusszone erklärt wurde. Der Vertrag wurde erst im Jahre 1506 vom Vatikan ratifiziert. 92 | So wurde die offizielle Konzeption der Unternehmung formuliert. Das Dokument mit dieser Erklärung unterzeichnete Kolumbus in la Villa de Santa Fe de Granada am 17. April 1492. Dieses Dokument ist zu finden in Navarrete Fernández, Martín (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, Bd. 2., a.a.O.

Vorbedingungen zur Interaktion

Mission schloss ebenfalls die Möglichkeit ein, von der eventuellen sphärischen Form der Erde zu profitieren.93 Nach seiner ersten Expedition war 93 | Vor dem Jahr 1492 wurde bereits in Europa über die sphärische Form der Erde diskutiert. Die aristotelische Physik betrachtete diese Möglichkeit, weshalb im Laufe der Zeit mehrere Theorien entwickelt wurden, die sich mit dieser Behauptung befassten. Zum Beispiel bestand im V. Jahrhundert die Diskussion nicht nur aus der Vermutung die Erde sei sphärisch, sondern befand sich schon auf der Ebene der Überlegung von der Existenz anderer Territorien außerhalb der »Insel der Erde«. Zum Beispiel behauptete Aurelio Teodosio Macrobio (V. Jahrhundert n. Chr.), dass es auf den Antipoden der Sphäre drei Insel gäbe, die mit dem Orbis terrarum vergleichbar seien und auf denen andere Arten von Menschen leben sollten Macrobius, In Somnium Scipionis exposito, das virtuelle Faksimile ist zu finden unter dieser Adresse: http://books.google.de/books?id=3y5rtGxspB4C &printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage &q&f=false. Im X. Jahrhundert zirkulierten bereits Landkarten mit dieser Annahme, wobei die erste Veröffentlichung dieser Landkarte erst 1483 in Brescia fertig gestellt wurde; eine Reproduktion davon in: Nordenskiöld, Periplus, An Essay on the Early History of Charts and Sailing-Directions, Übers. aus dem Schwedischen von Francis A. Bather, Stockholm 1897. Die Thesen über die sphärische Form der Erde basierten nicht nur auf theologischen und philosophischen Ansichten, sondern auch auf Erfahrungen mittelalterlicher Reisen, so wie denen von Juan de Plan Carpin (1245), Nicolás de Ascelin (1247), Guillermo de Rubriquis (1253-1254) und Marco Polo (1271-1295). Diese Thesen wurden dennoch in bestimmten theologischen Kreisen abgelehnt, denn sie implizierten eine Häresie. Die Existenz von Festland an den Antipoden widersprach der damaligen gängigen Auffassung der heiligen Schriften: Gott habe eine Welt erschaffen und nicht mehrere. Die Existenz von Festland auf den Antipoden des Orbis terrarum (Europa, Afrika und Asien) hätte für ein Orbis alterius gesprochen, also für eine Pluralität von Welten. Eine berühmte These gegen das Festland auf den Antipoden ist bei Manegold von Lautenbach (1103) zu finden; siehe dafür Magistri Manegaldi contra Wolfelmum Coloniensem opusculum, XII. Jahrhundert. Kolumbus ging von der sphärischen Form der Erde aus. Die relevanteste Frage für ihn war jedoch eine andere: Welche Größe hatte das Orbis terrarum? Denn je größer die »Insel der Erde«, desto kleiner die Dimensionen des Ozeans und umgekehrt. Die Distanz zwischen Europa und Asien und damit gleichzeitig der Erfolg seines Abenteuers waren von dieser Differenz abhängig, weshalb Kolumbus die These von Rogerio Bacon (1214-94) ausgewählt hatte, um die spanische Krone mit plausiblen Argumenten zu überzeugen, seine

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Kolumbus nicht nur von der sphärischen Form der Erde, sondern auch, wie erwähnt, von der asiatischen Natur seiner »Entdeckung« überzeugt – eine »Entdeckung«, die er theologisch als eine neue Welt definiert hat: In einem Brief an Juana de la Torre vom 1500 wählte er die Bezeichnung »neue Welt« nach Zitaten der Propheten Johannes und Isaias aus, um seine »Entdeckung« zu definieren: »Neuer Himmel, neue Welt« (Johannes, Apocalipsis [auf Deutsch: Offenbarung des Johannes], XXI, I und Isaias, LXVI, 22).94 Im Prinzip applizierten die Gelehrten ihre geläufigen Wissensautoritäten (z.B. Parmenides, Aristoteles, Claudius Ptolemäus, Augustinus von Hippo, Thomas von Aquin), um die Informationen von Kolumbus einzuordnen. Was möglich und nicht möglich war, wurde dadurch definiert. Durch sie wurden ebenfalls die epochale Weltanschauung bestätigt und die Möglichkeiten ihrer Transformationen veranlasst.95 Um 1492 koexisExpedition zu finanzieren. Bacon war in seinem Opus Majus (Vol. I, S. 16) der Ansicht, dass nach den heiligen Büchern Esdras die »Insel der Erde« größer sein musste, als bis dahin angenommen. Kolumbus kannte das Werk von Bacon über Pedro d’Ailly (1350-1420). Es gibt noch eine weitere akademische Diskussion, die die Überzeugung Kolumbus’ hinsichtlich der Erfolgsaussichten seines Abenteuers zu erklären versucht. Sie besagt zusammenfassend, dass Kolumbus die notwendigen Informationen für seine Unternehmung in den Jahren 1477-1478 von einem sterbenden, »anonymen Seemann« bekam. Für ausführliche Informationen über die auf dieser Legende basierenden Diskussion siehe: Manzano Manzano, Juan, Colón y su secreto: el predescubrimiento, Ediciones Cultura Hispánica, Madrid 1982. 94 | Dieser Brief ist zu finden in: Navarrete Fernández, Martín (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, a.a.O., S, 265-276. Vespucci verwandte einige Jahre später (1503) eine ähnliche Bezeichnung in seinem Brief Mundus Novus, um die Resultate seiner Expeditionen zu beschreiben. Vespucio, Americo, El nuevo Mundo. Cartas relativas a sus viajes y descubrimientos, Textos en italiano, español e inglés, Estudio Preliminar de Roberto Levillier, México/Buenos Aires 1951 (S. 154-169). In der deutschen Übersetzung der Bibel geht es um die Erde und nicht um die Welt. 95 | Selbstverständlich folgten die Transformationen des Wissens ihrem eigenen Tempo: Die Informationen von Kolumbus’ Entdeckungen beschäftigten nur eine ausgewählte Zahl von Spezialisten und fanden während mehreren Jahrzehnten wenig Verbreitung. Die Ereignisse der Explorationen Amerikas spielen, in der zwi-

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tierten in Europa vielfältige Ansichten, Theorien und Hypothesen, um folgende Fragen zu beantworten: »Welche Dimensionen hat das Orbis terrarum (Insel der Erde)?« »Wie ist seine Form?« »Wo könnte es menschliches Leben auf der Insel der Erde geben?« »Welche Größe haben die an ihr angrenzenden Meere?« Die Antworten auf diese Fragen waren unterschiedlich, und sie ergänzten oder widersprachen sich. Daher waren Theologen und Philosophen überzeugt, dass sie mehr Informationen brauchten, um die unterschiedlichen Hypothesen zu widerlegen oder zu bestätigen. Die spanische Krone war ebenfalls davon überzeugt, vor allem weil die Legitimation ihrer Expansionspläne an die Meinungen der Theologen und Philosophen gekoppelt war.96 Aus diesem Grund beauftragte sie Kolumbus mit drei weiteren Expeditionen. Kolumbus wusste, dass sein Ansehen von der Bestätigung seiner »asiatischen These« abhing: Er hatte den spanischen Königen versprochen, einen westlichen Weg nach Asien zu finden. Jedoch wusste er nach seiner ersten Expedition, dass ihm die entscheidenden Beweise fehlten, um sowohl Gelehrte als auch die spanische Krone davon zu überzeugen. Dies erklärt, warum er sich in seinen drei nächsten (und letzten) Expeditionen bemüht hat, solche Beweise zu finden und dafür bereit war, einige der von ihm gesammelten Daten zu manipulieren. In seiner zweiten Expedition (die von Cadiz am 25. September 1493 auslief) hat er seine Schiffsmannschaft dazu gezwungen, unter Eid vor einem Notar zu schwören, dass die explorierte Küste des heutigen Kuba keine Insel war.97 Und in seiner dritschen 1535 und 1540 von Francesco Guicciardini veröffentlichten Geschichte Italiens, die ab 1490 zur Chronik Europas ausgedehnt wurde, noch keine besondere Rolle. Siehe dazu: Reinhardt, Volker, Der unheimliche Papst Alexander VI. Borgia 1431-1503, Verlag C.H. Beck, München 2005, S. 121. 96 | Die Herrschaft von Isabel von Kastilien ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Macht in dieser Zeit anhand einer Art von »political theology« ausgeübt wurde. Siehe für das Konzept »political theology« und den Einfluss des Alten Testaments und des Evangeliums nach Johannes auf den Regierungsstil von Isabel von Kastilien in Liss, Peggy K., »Isabel, Myth and History«, in: David A. Boruchoff (Hg.), Isabel la Católica, Queen of Castile: Critical Essays, Palgrave Macmillan, New York 2003 (S. 57-78). 97 | Kolumbus benutzte die Schriften Marco Polos über seine Reise nach China (Cathay) und zu der großen Insel Cipango (Japan) (1271-1295). Marco Polo berichtete von einem Weg, der durch einen Archipel, der anscheinend am östlichen

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ten Expedition (die von Sanlúcar de Barrameda am 30. Mai 1498 auslief) dachte er in der Orinocomündung den »Garten des Paradieses«98 erreicht zu haben.99 In seinen Erklärungen bemühte sich Kolumbus, die damaEnde der »Insel der Erde« lag, über den Indischen Ozean nach Europa führte. Er behauptete, diesen Weg gefahren zu sein, um nach Europa zurückzukehren. Kolumbus beabsichtigte diesen Weg zu finden, um seine These zu bestätigen. Kolumbus erreichte Kuba und war überzeugt, das Festland Asiens erreicht zu haben. Denn für ihn war die Existenz einer so großen Insel unvorstellbar. Zugleich implizierte die Behauptung der Existenz von Festland zwischen Europa und Asien – wie bereits erwähnt – eine Häresie, weil dies für die Existenz eines Orbis alterius gesprochen hätte. Hinzu kam, dass ein Orbis alterius gegen seine These gesprochen hätte, da er überzeugt war, sich am östlichen Ende der Erde zu befinden. Deshalb negierte Kolumbus ohne weitere Untersuchungen, dass es sich um eine Insel handeln könnte, und versuchte, diese Annahme anhand der Nötigung seiner Mannschaft zur Falschaussage durchzusetzen. Zu Information über Kubas Exploration am 12. Juni 1494 siehe: Navarrete Fernández, Martín (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, a.a.O., S. Lxxvi. 98 | Colón, Cristobal, Diario del tercer Viaje, Raccolta di documenti e studi pubblicata dalla R. Commisione Colombiana per quarta centenario della scoperta dell’America. Rom 1892, S. I, ii, 24. Siehe für ausführliche Informationen über Kolumbus’ theologische Erklärungen: Watts Moffitt, Pauline, »Prophecy and Discovery: On the Spiritual Origins of Christopher Columbus’s Enterprise of the Indies«, in: American Historical Review 90.1, 1985 (S. 73-102); Flint, Valerie I.J., The Imaginative Lanscape of Christopher Columbus, Princeton University Press, Princeton 1992. 99 | In seiner dritten Expedition erreichte Kolumbus auf seiner Suche nach einem Weg über den »Indischen Ozean« nach Europa den (heutigen) venezolanischen Golf von Paria, ein Meeresgebiet, das wegen der großen Dimensionen der Orinocomündung aus Süßwasser besteht. Er war überrascht, weil die Quellen eines solchen Flusses sich nur in einer großen Extension Land befinden könnten. Die Existenz einer solchen Mündung stützte seine Behauptung nicht, dass der Weg zum östlichen Festland der »Insel der Erde« durch einen Archipel führe. Für ihn war dieses Phänomen nur anhand zweier Thesen zu erklären: Entweder handelte es sich um einen Fluss, der seinen Ursprung auf einem Kontinent haben musste, oder um einen Fluss, der im »Garten des Paradieses« fließen könnte. Die erste These würde definitiv gegen die Hypothese des Archipels sprechen. Die zweite war

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ligen Denksysteme und Dogmen zu applizieren, denn ihre Plausibilität hing davon ab. Die Rekursivität der Kommunikation dirigierte das Plädoyer für seine Thesen, dadurch sollte das Unbekannte in etwas Bekanntes verwandelt werden.100 Um 1500 besaß Kolumbus kein Monopol mehr für solche Explorationen. Die spanische und portugiesische Krone finanzierten weitere Unternehmungen, um ihr Expansionsprogramm fortzusetzen.101 1503 nicht außergewöhnlich für diese Zeit, da die heiligen Schriften auch zur Interpretation und zur Erklärung der Geographie, der Geschichte und der Realität benutzt wurden. In dieser Epoche war es geläufig zu glauben, dass der »Garten des Paradieses« tatsächlich irgendwo auf der »Insel der Erde« zu finden sei. Deshalb hat sich Kolumbus für die zweite These entschieden: Er schrieb am 31. August 1495 in seinem Tagebuch nieder, dass er der Meinung sei, den »Garten des Paradieses« gefunden zu haben. Von dieser Tatsache überzeugt, schickte er einen Brief mit dieser Information an die Könige nach Spanien. 100 | Kolumbus’ Gesundheit verschlechterte sich schnell. Hinzu kam, dass seine Tätigkeiten als Verwalter und Vizekönig von Misserfolg überschattet waren: Die »Indios« waren nicht so friedlich, wie er angenommen hatte, und die Spanier, die bereits in dem »entdeckten« Land wohnten, vertrauten ihm nicht, denn er wurde immer als Ausländer wahrgenommen. Außerdem übersahen die Kolonisatoren alle Gesetze, die die Befriedigung ihre Habsucht nach Gold und Sklaven verhindern konnten. In dieser Zeit versuchte Kolumbus anhand anderer Thesen seine Daten einzuordnen. In einem Brief aus Jamaika vom 7. Juli 1503 zum Beispiel teilte er den spanischen Königen die Nachricht mit, er habe die zweite Halbinsel am östlichen Ende Asiens erreicht. Diese zweite Halbinsel sollte Kuba sein. Der Brief ist bekannt als Lettera Rarissima. (Unter diesem Titel publizierte ihn 1810 Jacopo Moreli. Es gibt aber eine lateinische Version des Briefes, die 1505 in Venedig veröffentlicht wurde). Der Brief ist zu finden in: Navarrete Fernández, Martín (Hg.), Colección de los viajes y descubrimientos que hicieron por mar los espanioles desde fines del siglo XV, Bd. 1, a.a.O., S. 296-313. Für die Diskussion über die zweite Halbinsel Asiens siehe die Landkarten von Henricus Martellus Germanus von 1489-1492. 101 | Hierzu sind folgende Expeditionen aufzuzählen: Die Explorationen von Ojeda (Mai 1499 – September 1500), an der Americo Vespucio beteiligt war, Guerra y Niño (Juni 1499 – April 1500), Yañez Pinzón (Dezember 1499 – September 1500), Lepe (Dezember 1499 – Oktober 1500) oder Rodrigo de Bastidas (Oktober 1500 – September 1502). Hierzu siehe: Medina Zavala, José Toribio, El descubrimiento

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gab Americo Vespucci die Resultate seiner Navigationen im so genannten Brief Mundus Novus bekannt.102 In ihm bestätigte er die Existenz vom Festland bis zum 50º südlicher Breite und bot Argumente, um dieses Land als eine neue Welt zu definieren. Dies erstens, weil bis dahin »kein [europäischer(!)] Mensch« Kenntnis über dieses Land gehabt hatte und zweitens weil bis dahin geglaubt wurde, dass die südliche Hemisphäre nur aus Wasser bestünde. Dabei betonte Vespucci ebenfalls die Existenz von bis dato unbekannten Einwohnern auf diesem Land als ein weiteres Argument seiner Überzeugung. Die Informationen und die These von Vespucci widerlegten endgültig Kolumbus’ asiatische These. Die Bezeichnung Neue Welt war nicht vollkommen neu, denn außer Kolumbus hatte Petrus Martyr d’Anghiera (1457-1526) in einem Brief (1493) an den Kardinal Ascanio Sforza das Konzept von Novus orbis benutzt.103 Jedoch nur um den Begriff Orbis alterius zu vermeiden und die Idee der Neuigkeit Kolumbus »Entdeckung« zu betonen. Die Behauptung von Vespucci war anders formuliert, sie widersprach der Konzeption des Orbis terrarum als kosmischem Reich der Menschen nach der Erwartung des christlichen Gottes. Am 4. September 1504 schrieb Vespucci noch einen weiteren Brief, um seine Meinung wiederholt zu bestätigen,104 und drei Jahre später (1507) akzeptierte die Akademie von Saint-Dié seine Beweise. In seiner Broschüre Cosmographie introductio105 publizierte die del Oceano Pacífico, Hernando de Magallanes y sus compañeros – Documentos, Santiago de Chile 1920; Levillier, Roberto, »América la bien llamada«, in: Revista de Indias, Buenos Aires 1948. 102 | Vespucio, Americo, El nuevo Mundo. Cartas relativas a sus viajes y descubrimientos, a.a.O., S. 154-169. 103 | Siehe dazu Mártir de Angleria, Pedro (Petrus Martyr d’Anghiera), Opus Epistolarum, Alcalá de Henares, 1530. Für die spanische Version siehe: Documentos inéditos para la Historia de España, hg. von José López de Toro, Bd. IX., 1. Bd. des Briefwechsels, Madrid 1953, S. 138. 104 | »Lettera di Amerigo Vespicci delle isole nuovamente trovate in quatro suoi viaggi«, in: Americo Vespucio, El nuevo Mundo. Cartas relativas a sus viajes y descubrimientos, a.a.O., S. 200-267. 105 | »Cosmographie Introductio. Cum quibusbam geometrial ac astronomiæ principiis ad eam rem necesariis. In super quatuor Americi Vespucii nevigationes. Universalis cosmograpiæ descriptio tam in solido quam plano eis etiam insertis quæ Ptholomeo ignota a nuperis reperta Sunt.«

Vorbedingungen zur Interaktion

Akademie diesen Brief Vespuccis zusammen mit einer Landkarte von Martin Waldseemüller (1507). Landkarte und Brief beschrieben die Form und Extension des neuen Landes.106 Dadurch informierte die Akademie von Saint-Dié, dass westlich von Europa eine große, unabhängige und unbekannte Masse Festland existierte und schlug vor, sie nach Americo Vespucci »Amerika« zu nennen. Die Bezeichnung Amerika für den amerikanischen Kontinent wurde nicht sofort übernommen; zunächst wurden andere Konzepte benutzt, um das »neue Land« zu differenzieren. Die spanische Verwaltung hat eine lange Zeit die Definition Indias für diese Territorien verwendet. Später wurden andere Beschreibungen eingeführt, die zugleich alte Definitionskonzepte wie »Indio« mit der behaupteten Neuigkeit des Landes behielten, so zum Beispiel die Benennung Nueva España (für das heutige Mexiko) mit ihren »Indios« und nicht mit ihren »neuen Spaniern«.107

c. Das Requerimiento Die spanische Krone sah sich ebenfalls gezwungen, eine Antwort auf folgende Frage zu bieten: Wie sollte sie sich gegenüber den Einwohner der Indias der neuen Welt verhalten, um den Auftrag des Papstes auszuführen, nämlich das Evangelium unter ihnen zu verbreiten? Sie sollte eine überzeugende Antwort für diese Frage bereithalten, weil ohne sie die Legitimation ihrer Expansionsabsichten in Schwierigkeiten zu geraten drohte. Nach Vespucci war es eindeutig: Die Expeditionen führten nicht nach Asien, sondern zu einer neuen Welt. Für die Spanier war diese Welt ein Territorium, das sie zu verwalten hatten. Denn das Land wurde ihnen als Eigentum zugebilligt; so war es in der Bulle Inter caetera, der 106 | Waldseemüller, Martin, Universalis Cosmographia secundum Ptholomaei Traditionem et Americi Vespucci aliorumque Lustrationes, St. Dié 1507. 107 | Die »Indios« wurden nach der Eroberung nicht etwa zu »neuen Spanier« ernannt, Hernán Cortés schlug Karl V. in seinem zweiten Brief die Benennung »Neu Spanien« für das Land vor: »[I]ch denke, dass der geeignete Name für dieses Land ist ›Nueva España del mar Oceano‹.« »[M]e pareció que el más conveniente nombre para esta dicha tierra era llamarse la Nueva España del mar Oceano.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, in: Cartas de relación, Ed. Porrúa, México 1969, (S. 23-80) S. 79. Die »Indios« blieben »Indios«, also Einwohner der »Indias«.

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Bulle Dudum siquidem und dem Vertrag von Tordesillas stipuliert.108 Jede Expedition informierte nicht nur über die geographischen Eigenschaften des Landes, sondern auch über seine Bevölkerungsdichte.109 Die Informationen betonten die fremden Gewohnheiten, Sitten und die »Natur« der Einwohner dieser Länder. Aus diesen Informationen ergaben sich Fragen, für die zunächst die europäische Gesellschaft nur spekulative Antworten bieten konnte. Hierfür war die Erfahrung von Kolumbus die erste Referenz, um Position zu beziehen. Kolumbus bewies, dass die Einwohner dieser Länder keine Vorstellung von der »Wahrheit des christlichen Gottes« nach katholischer Auffassung hatten. Daher wurden sie als Götzendiener, Heiden und Sünder wahrgenommen.110 Diese Information definierte die Ausgangsposition der spanischen Krone gegenüber den Indigenen und sollte die Strategie ihrer Expeditionen steuern. Die Pflicht der spanischen Krone war das Evangelium zu verbreiten, und sie war zugleich die Rechtfertigung dieser Unternehmungen. Hierfür einigten sich die spanische Krone und der Vatikan auf eine gemeinsame Verfahrensweise, um den Einwohnern des Novus orbis oder des Mun-

108 | Abgesehen vom heutigen Brasilien, das nach der Bulle Inter caetera unter die Verwaltung Portugals fiel, gehörten alle anderen Bereiche der »Inseln und des Festlandes des Mar-Oceano« zum Verwaltungsbereich Spaniens. 109 | Vespucci berichtete in seinem Brief Mundus Novus, dass er mehr Völker und Tiere gesehen hatte, als in Europa, Asien oder Afrika. Navarrete Fernández, Martín de, Colección de los viajes y descubrimientos, que hicieron por mar los españoles desde fines del siglo XV, Bd., I, a.a.O., S, 265-276. 110 | Für Berichte solcher Erfahrungen siehe Kolumbus Tagebücher seiner ersten und dritten Expedition. Colón, Cristobal, Diario de su primer viaje, Extracto de Bartolomé de las Casas en ebd., Bd. 1 (S. 1-166) und Raccolta I, ii, S. 1-25. Colón, Cristobal, Diario de su tercer viaje. Extracto de Bartolomé de las Casas. En Navarrete, Colección I, S. 242-276; ders., Diario del tercer Viaje, Raccolta (Hg.), di documenti e studi publicata dalla R. Commisione Colombiana per quarta centenario della scoperta dell’America, a.a.O., 1, ii (S. 1-25). In der Historia General von Gonzalo Fernández de Oviedo sind ebenfalls zahlreiche Beispiele dieser Wahrnehmung zu finden. Siehe dazu: Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias. 5 Bde., Biblioteca de Autores Españoles, Ed. Atlas, Madrid 1959.

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dus Novus das Evangelium zu verkünden.111 Dies war eine Entscheidung, die nicht nur eine religiöse Relevanz auf der Ebene der Inklusion durch die Doktrin der Nächstenliebe hatte,112 sie war ebenfalls eine Frage politischer Macht. Das war der Fall, weil die Bekehrung die Unterwerfung der Bekehrten unter das Joch des Papstes und der spanischen oder portugiesischen Krone einschloss. Diese Form der Herrschaftsausübung war für die Spanier zweifelsfrei eine Selbstverständlichkeit, die keine alternative Meinung zuließ. Gerade deswegen war die Frage relevant, die sich nach Kolumbus’ Informationen über die Gewaltbereitschaft der »Indios« herausstellte: Was sollte geschehen, wenn die »Indios« ihr religiöses und politisches Angebot ablehnen sollten? Hierfür lautete ihre Lösung: Die Spanier sollten notfalls legitime Gewalt ausüben, um die »Indios« von der Annahme des Evangeliums zu »überzeugen«,113 eine Gewalt, deren Legitimation sich automatisch durch die Ablehnung des Evangeliums ergeben sollte. Eine solche Kommunikationslogik ist nicht nur selbstreferentiell, sondern auch tautologisch. Für die Spanier war das Christentum die einzige wahre Religion114 und ihre Ablehnung wurde als ein heidnischer Irrtum verstanden, den sie als »teuflische Angelegenheit« mit allen Mitteln zu bekämpfen hatten. Diese Pflicht wurde durch folgendes tautologische christliche Prinzip als ein Zwang unterstützt und bekräftigt: Man solle 111 | Für einen Überblick der theologischen Diskussionen im Mittelalter, die zwischen Vertretern des hierokratischen Monismus, des weltlichen Monismus, Kanonisten und Dualisten über die Relationalität der Wahrheit Gottes und die Legitimität des Papsttums als Institution stattfanden, siehe: García y García, Antonio, »Die Herausforderung der Neuen Welt. Francisco de Vitoria und seine Vordenker«, a.a.O. 112 | Siehe hierzu: Stichweh, Rudolf, »Fremde, Barbaren und Menschen. Vorüberlegungen zu einer Soziologie der ›Menschheit‹«, in: ders., Der Fremde, Suhrkamp, Berlin 2010, (S. 25-44) S. 31. 113 | Die Definition »Zwang« durfte in diesem Kontext nicht erwähnt werden, denn die Theologie schloss aus, dass jemanden zur Annahme des Christentums gezwungen werden sollte. 114 | Die Spanier verstanden im XVI. Jahrhundert unter Christentum nur Katholizismus. Die Reformation Luthers (1517) nahmen sie zum Beispiel als ein Teufelsprodukt wahr. Siehe hierzu die Meinung von Bernardino de Sahagún in: Sahagún, Bernardino de, Códice Florentino. Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., 1979.

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anderen nichts wünschen, was man sich selbst nicht wünsche, man solle den Nächsten lieben wie man sich selbst liebe. Daher sah sich die spanische Krone im Auftrag des Papstes aufgefordert, die Einwohner der Indias durch friedliche Überredung oder durch Gewalt (falls eine Ablehnung vorliegen sollte) vor ihrem »teuflischen Irrtum« zu retten. Zur Durchführung dieses Ziels entfalteten die Spanier und der Vatikan eine auf dieser Tautologie basierende Kommunikation, die anzuwenden war, um nach ihrer Auffassung die Seele der »Indios« zu retten. Das Dokument Requerimiento synthetisierte diese Kommunikation, die durch die Spanier vor den Indigenen verlesen werden sollte und als das einzige, legitime Verfahren galt, um die An- und Absichten der Europäer auszudrücken. 1511 wurde das Requerimiento im Kloster San Pablo zu Valladolid zusammengestellt, 1513 wurde es formalisiert und ab 1514 angewendet.115 In diesem Dokument wurde das Verfahren stipuliert, wie den »Indios« die wahre Religion zu verkünden sei und sie über ihren teuflischen Irrtum aufzuklären seien. Dadurch sollte ihnen zugleich mitgeteilt werden, dass sie durch die Annahme der Religion simultan den Status von Untertanen gegenüber dem Papst und der spanischen Krone annahmen. Das Dokument erklärte, warum seine Ablehnung die Gewaltausübung gegenüber den »Indios« legitimierte. Wir gehen davon aus, dass das Requerimiento das Wissen und die Dogmatik der spanischen Gesellschaft in den Indias zusammenfasst. Wir sind ebenfalls der Auffassung, dass man genau deswegen die Grenzen der spanischen Sinneinordnung und Handlung in Interaktionssituationen mit den Indigenen durch die Untersuchung dieses Dokuments erkennen kann. Dies vor allem, wenn man die Fremdbeschreibung betrachtet, die dieses Verfahren verwendete, um die Indigenen zu definieren: Die »Indios« waren »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes«, die als Heiden »keine Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« erheben 115 | Die Verfasser des Requerimientos waren: »Der Episcopus Palentinus (Bischof von Palencia war bis nach Mitte 1514 Rodriguez de Fonseca, dem mit dem Sekretär Lope de Conchillos die Verwaltungsangelegenheit in Indien 1508-1516 unterstanden), Fr. Bernardus (de Mesa O.P.), Trinopolitanus Episcopus (der königliche Beichtvater), Fr. Thomas de Matienzo (O.P.), Fr. Alonso Bustillo (O.P.) magister, Lic. de Sanctiago, Dr. Palacio Rubios, Licenciatus de Sosa, Gregorious, licenciatus.. Biermann, Benno, »Das Requerimiento in der Spanischen Conquista«, in: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft 6, 1950, (S. 94-114) S. 95.

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konnten. Das Requerimiento war für die Spanier »[…] den Indiern vom Festland […] den Einwohnern der Inseln und des Festlandes des MarOceano zu machen, die unserem Herrn [dem spanischen König] noch nicht unterworfen sind […]«.116 Wir behaupten, dass die Spanier durch diese Fremdbeschreibung ihre Handlungen in den Interaktionssituationen mit den Indigenen gesteuert haben. Hier möchten wir die tautologische Kommunikation des Requerimientos und seiner Fremdbeschreibung der »Indios« untersuchen, um die Mechanismen zu erkennen, die die Einführung einer asymmetrischen doppelten Kontingenz zwischen Spaniern und Indigenen ermöglicht haben

c.1 Das Requerimiento als Verfahren: Die Mitteilung einer Offenbarung Das Requerimiento synthetisiert und gibt die damalige Hierarchieorganisation Spaniens als eine stratifizierte soziale Ordnung wieder. Daher kann man es als eine Selbstbeschreibung dieser Gesellschaft definieren.117 In ihm ist die Repräsentation des christlichen Gottes an der Spitze der sozialen Ordnung platziert. Er besitzt die unbestreitbar höchste Position, weil ihm die Schöpfung aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge zugeschrieben wird. An der Spitze sollte diese religiöse Repräsentation die Perfektion in jeglicher Hinsicht verkörpern und wurde als eine »supramodale Notwendigkeit« angesehen.118 Zugleich erklärt das Dokument, dass die Nachfolger des hl. Petrus die zweite Stelle in der Hierarchie ein-

116 | Ebd., S. 96-97. 117 | Siehe für ausführliche Informationen über den Begriff von Selbstbeschreibung: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O. 118 | So definiert Luhmann die Formel Gott als Reduktion der Kontingenz: »Die Formel Gott besagt zuletzt Kompatibilität jeglicher Kontingenz mit einer Art supramodaler Notwendigkeit. Mit dieser Generalisierung steigen die Anforderungen an Respezifikation. Alle Kontingenz einer zunehmend komplexen Welt, was Böses und Zufälliges einschließt, muss einem Gott zugeschrieben und daher innerhalb des religiösen Systems interpretiert werden.« Luhmann, Niklas, »Religiöse Dogmatik und gesellschaftliche Evolution«: in: ders. Religion – System und Sozialisation, Reihe Theologie und Politik, Bd. 2, Luchterhand Verlag, Neuwied 1972, (S. 151-32) S. 59.

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nehmen: die Pontifices.119 In ihrer Position hätten die Päpste die Aufgabe, die Schöpfung Gottes zu verwalten und wären dafür zuständig, das Wort Gottes zu interpretieren und zu verbreitern.120 Aus dieser Hierarchie und Schöpfungsvorstellung ergab sich eine spezifische Interpretation der Zeitorganisation und der Geschichte, die sich zwischen Sündenfall bis zum Jüngsten Gericht entfalten und zugleich sowohl als ein moralisches als auch historisches Kontinuum begriffen werden sollte. Die Geltung dieser Geschichte war durch die Repräsentation des göttlichen weltlichen und himmlischen Reiches gesellschaftlich konsolidiert, also durch die »mittelalterliche Parallellage von Gesellschaftskonzept und Kirchenkonzept, in der zwei Reiche, zwei Gewalten, zwei Amtshierarchien [sich gegenüberstanden] und gerade in der Dualität sich wechselseitig ihre Form korporativ verfaßter Gemeinschaft bestätigen konnten […]«.121 Das Requerimiento synthetisierte diese religiöse Weltanschauung und bestätigte dieses Gesellschaftskonzept durch die hierarchische Position der spanischen Krone. Die spanische Krone war für die Garantie einer solchen so119 | Walter Ullmann erklärt diese Verbindung anhand des Gewaltbegriffes: »Wie Leo I. in seiner klassischen Exegese zeigte, gründet die Nachfolge Petri in dem juristisch greifbaren Erbe, das der Papst antritt. Er erbt die Petrus anvertraute Gewalt und tritt nach dem römischen Recht, das Leo als Vorbild diente, in die Gesamtnachfolge ein, in die successio juris universalis, nicht aber in die Petrus eigene apostolische Stellung.« Ullmann, Walter, Die Machtstellung des Papsttums in Mittelater, Idee und Geschichte, Universitäts-Buchdruckerei Styria, Graz und Wien 1960, S. XXIV-XXV. 120 | Das Wort Gottes wird von den Päpsten im XV. und im XVI. Jahrhundert zunächst als Schrift und in der Geheimnisform von Dogmen und Mysterien interpretiert. Ihre herausragende Funktion besteht aus der Aufgabe zwischen Immanenz und Transzendenz zu vermitteln. Siehe für eine Betrachtung der religiösen Geheimnisse als Kommunikation und der Schrift als Medium zur Dogmatisierung Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O. Siehe für eine Geschichte der Institution Papsttum bis zum XVI. Jahrhundert: Caspar, Erich, Geschichte des Papsttums. Von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, 2 Bde., Münster 1985. Vgl. für das Thema Schöpfung und Trinität als Mysterien und Dogmen: Pehar, Marija, Schöpfung zwischen Trinität und Eschaton, Die Schöpfungslehre Jurgen Moltmanns im Gesamtkontext seiner Theologie, Lit Verlag, Münster 2006. 121 | Luhmann, Niklas, Funktion der Religion, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1977, S. 280.

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zialen Ordnung verantwortlich. In diesem Sinne war das Requerimiento ein Verfahren, das sie mit diesem Ziel durchzuführen hatte, und gerade deswegen war es eine juristische und eine politische Angelegenheit. Die Informationen dieses Verfahrens verkündeten eine übernatürliche Wahrheit, um eine Herrschaftsform einzuführen. Dieses Verfahren hat für die Spanier, wegen ihres Ursprungs, eine Validität und eine Legitimität gehabt, denen nicht zu widersprechen war und die nur von der inneren Logik ihrer Konstitution abhängig waren. Gonzalo Fernández de Oviedo informiert in seiner Historia General über eine Konversation, die er mit Juan López de Palacios Rubios (einem der Mitverfasser des Requerimientos)122 geführt hat: »1516 habe ich Palacios Rubios gefragt, ob das Bewusstsein der Christen sich mit diesem Requerimiento zufrieden geben kann, denn er hatte die Durchführung des Requerimientos angeordnet. – Und er antwortete mir: – Ja, wenn das Requerimiento, wie es im Requerimiento steht, durchgeführt wurde.«123 Der Text des Requerimientos erklärt zunächst die Relationalität zwischen der spanischen Krone als Mandat der Verlesung124, dem Papst als 122 | Palacios Rubios war Jurist an der Universität Salamanca, zwanzig Jahre lang Berater der katholischen Könige und Verfasser des Werkes De insulis maris Oceani quas vulgus Indias appellat (»Von den Inseln des Ozeanischen Meeres, im Volksmund Indien genannt«). Palacios Rubios, Juan de, »De insulis maris Oceani quas vulgus Indias appellat«, 1512-1516, in: Silvio Zavala/Agustín Millares Carlo (Hg.), De las Islas del mar Océano por Juan López de Palacios Rubios. Del dominio de los Reyes de Espania sobre los indios por Fr. Matías de Paz, México/Buenos Aires 1954. 123 | »Yo pregunte después, el anio de mill e quinientos e diez y seis, al dotor Palacios Rubios, porque él había ordenado ese Requerimiento; si quedaba contenta la conciencia de los cristianos con aquel Requerimiento; e díjome que sí, si se hiciese como el Requerimiento lo dice«. Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, a.a.O., S. 230. 124 | Die geographische Dimension Spaniens um 1513 kann wie folgt zusammen gefasst werden: Zunächst war Spanien das Resultat der Vereinigung der Königreiche von Kastilien (Castilla, León, Toledo, Galicia, Murcia, Jaén, Córdoba und Sevilla) und Aragón (Aragón, Valencia, Mallorca und Cataluña), die durch die Eheschließung von Isabel von Kastilien (1451-1504) und Ferdinand II. von Aragón (V. von Spanien) (1452-1516) im Jahre 1469 erfolgte. Hinzu kamen andere Territorien außerhalb der spanischen Halbinsel wie Mallorca und Ibiza (Inseln, die Alfonso

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Auftragsgeber, der Darstellung des christlichen Gottes und der christlichen Auffassung der Menschheitsgeschichte: »I.- Im Namen des sehr hohen und sehr mächtigen und sehr katholischen Verteidigers der Kirche, […] des großen Königs Ferdinand V. von Spanien, von beiden Sizilien, von Jerusalem und den Inseln und dem Festland des Mar-Oceano usw., Bezwingers der Barbarenvölker […] Ich, [Name des Beauftragten], sein Diener, Bote III. von Aragón [1265-1291] in den Jahren 1285-1286 eroberte), Sardinien und Sizilien (Inseln, die bereits zum Königreich von Aragón (1323-1409) gehörten und die Alfonso V. von Aragón [1416-1458] vereinigte), Neapel (Provinz, die seit 1442 unter der Verwaltung Aragóns Krone stand und die sich, nach einer kurzen Zeit französischer Herrschaft, zu Beginn des XVI. Jahrhunderts Spanien wieder angegliedert hatte), die kanarischen Inseln (die Spanien zwischen 1492-1496 endgültig für sich gewann und verwaltete), Jerusalem (Provinz Spaniens als Resultat der Eheschließung [1505] zwischen Ferdinand V. von Spanien und Germaine von Foix [1488-1538], Nichte von König Ludwig XII. von Frankreich) und »die Inseln und das Festland des Mar-Oceano« usw. Dieser geographische Raum besaß bereits am Anfang des XVI. Jahrhunderts eine Reihe stabiler Institutionen, eine einheitliche Münzwährung und auch eine Grammatik der spanischen Sprache. Ein Beispiel der einheitlichen Währung ist die Excelente de Granada (um 1475), die mit den Brustbildern von Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón geprägt war. 1492 überreichte Antonio de Nebrija der Königin seine spanische (kastilische) Grammatik, mit dem Kommentar im Vorwort, dass die Sprache das beste Werkzeug sei, um ein Reich zu konsolidieren. Siehe dazu Nebrija, Antonio de, Gramática de la lengua castellana, hg. von Antonio Quilis, 2. Ausgabe, Editora Nacional, Madrid 1984. Für weitere Informationen über den Prozess der Stabilisierung des geographisch Herrschaftsgebiets der spanischen Krone als machtpolitische Einheit siehe zum Beispiel: Pulgar, Fernando del, Crónica de los Reyes Católicos, EspasaCalpe, Madrid 1943; Trend, J.B., The Civilization of Spain, London 1944; Castro, Américo, The Structure of Spanish History, Princeton University Press, Princeton 1956; Sánchez-Albornoz, Claudio, España un enigma histórico, Sudamericana, México/Buenos Aires 1956; Kedar, Benjamin Z., Crusade and Mission. European Approaches toward the Muslims, Princeton University Press, New Jersey 1984; Boruchoff, David A. (Hg.), Isabel la Católica, Queen of Castile: Critical Essays, a.a.O.; Ladero Quesada, Miguel Ángel (Hg.), El mundo social de Isabel la Católica, La sociedad castellana a finales del siglo XV, Comité Español de las Ciencias Históricas, Madrid 2004.

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und Kapitän, verkünde euch und tue euch zu wissen, so gut ich kann, daß Gott, unser Herr, der eine [und dreieinige]125, Himmel und Erde und einen Mann und eine Frau erschaffen hat, deren Söhne und Nachkommen wir und alle Menschen der Welt waren und sind und alle sein werden, die nach uns kommen werden. Aber wegen der Menge des Geschlechtes, das von diesen ausging seit 5000 und mehr Jahren, als die Welt erschaffen wurde, bis jetzt, war es notwendig, daß die einen Menschen nach einer Gegend zogen und die anderen nach einer anderen und sich in viele Reiche und Provinzen verteilten […].«126

Das Requerimiento bietet eine Erklärung des Ursprungs der Legitimität seiner Anordnung und garantiert dadurch seine Unanfechtbarkeit. Die Heiligkeit der weltlichen Institution Papsttum (Abschnitte II, IV, V) und seine »gerechte«, »übernatürliche« und »ewige« Rolle als Verwalter der Schöpfung Gottes werden erklärt. Dadurch sollten seine »heiligen« Entscheidungen als legitim und daher als unausweichlich präsentiert werden (VI). »II.- Über alle diese Völker gab der Herr, unser Gott, einem, der St. Petrus genannt wurde, das Amt, der Herr und Vorgesetzte aller Menschen der Welt zu sein, […] der das Haupt des ganzen Menschengeschlechtes sein sollte, wo immer die Menschen lebten und wären […]. V.- Diesem hl. Petrus gehorchten die, die zu seiner Zeit lebten und nahmen ihn zu ihrem Herrn und König und Gebieter der Welt, und ebenso hat man alle die anerkannt, die nach ihm zum Pontifikat erwählt wurden. […] IV.- Diesen nennt man Papst, das will heißen: wunderbarer, höchster Vater und Bewahrer, weil er der Vater und Lenker aller Menschen ist. VI.- Einer der früheren Päpste […] machte diese Inseln und dieses Festland des Weltmeers den Genannten, d.h. dem König und der Königin und ihren Nachfolgern zum Geschenke, mit allem, was es darin gibt, wie es in gewissen Schriftstücken geschrieben steht, […] die ihr sehen könnt, wenn ihr wollt, so daß also ihre Hoheiten Könige und Herren dieser Inseln und des Festlandes sind […]. Und als solche 125 | Biermann übersetzt das Wort »trino«, also »dreieinige«, als »allmächtig«. Hier habe ich mich für eine Korrektur der Übersetzung entschieden, denn die Darstellung der Dreieinigkeit Gottes nimmt im katholischen Glauben eine zentrale Rolle in seiner Dogmatik ein. 126 | Biermann, Benno, »Das Requerimiento in der spanischen Conquista«, a.a.O., S. 95.

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Könige und Herren haben einige andere Inseln und fast alle, denen dies bekannt gegeben wurde, ihre Hoheiten anerkannt und haben ihnen gehorcht und gedient und dienen ihnen, wie Untergebene es tun müssen, mit gutem Willen und ohne jeden Widerstand […] und [haben] die Religiösen aufgenommen, […] und sie alle bekehrten sich ohne irgend eine Belohnung […] und wurden Christen, und ihre Hoheiten […] befahlen ihnen ebenso, sich als ihre Untergebenen und Vasallen zu betrachten, und ihr werdet ebenso aufgefordert und verpflichtet, das Gleiche zu tun.«127

Das Requerimiento war kein Verfahren im modernen Sinne,128 vor allem, weil es die Erwartungsstrukturen der Gesellschaft der »Indios« nicht einbezog. Seine Bekanntmachung beabsichtigte keine »[…] Umstrukturierung des Erwartens durch [einen] faktischen Kommunikationsprozess […]«,129 um den »Indios« neue Selektionsalternativen zu bieten: Die Selektion war in der Aufforderung bereits als Notwendigkeit definiert. Hierbei differenziert das Verfahren zwischen politischer und religiöser Knechtschaft, die erste sollte automatisch erfolgen, die zweite durfte nicht erzwungen werden (VIII). Jedoch gab das Verfahren den Einwohnern der Indias keine Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden (IX): »VIII.- Wenn ihr dies tut [die Kirche als Herrin anzuerkennen, den Papst den König und die Königin Johanna als Vorgesetzte und Herren und Könige dieser Inseln und des Festlandes das Evangelium zu akzeptieren], werdet ihr gut tun und werdet ihr dasjenige tun, wozu ihr verpflichtet seid, und ihre Hoheiten und ich in ihrem Namen werden euch mit aller Zuneigung und Liebe aufnehmen und werden euch eure Frauen und Kinder und Güter lassen, frei von aller Knechtschaft, damit ihr damit und mit euch selber frei tuet, was ihr wollt und für gut haltet; und man wird euch nicht zwingen, Christen zu werden, wenn ihr nicht, über die Wahrheit unterrichtet, selbst euch bekehren wollt zu unserem heiligen katholischen Glauben, wie es fast alle Bewohner der anderen Inseln getan haben. Und darüber hinaus wird euch Seine Hoheit viele Privilegien und Sondervorrechte geben und euch viele Gnaden gewähren. 127 | Ebd., S. 95-96. 128 | Für ein systemtheoretisches Konzept von Verfahren, das den Strukturen der modernen Gesellschaft entspricht, siehe: Luhmann, Niklas, Legitimation durch Verfahren, Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied am Rhein und Berlin 1969. 129 | Ebd., S. 37.

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IX.- Wenn ihr es aber nicht tut oder es in boshafter Weise aufschiebt, so tue ich euch kund, daß ich mit der Hilfe Gottes mit Gewalt eindringen werde gegen euch und euch bekriegen werde in jeder Art und Weise, wie ich kann und euch unterwerfen werde unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und ihrer Hoheiten. Und eure Personen und eure Frauen und Kinder werde ich gefangen nehmen und zu Sklaven machen und als solche sie verkaufen und über sie verfügen, wie Seine Hoheit es gebietet, und werde euch eure Güter nehmen und euch allen Schaden und alles Böse antun, wie ich kann, wie Untergebenen, die nicht gehorchen und ihren Herrn nicht anerkennen wollen und ihm widerstehen und widersprechen, und ich erkläre, daß die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen Seiner Hoheit, noch der Herren, die mit mir gekommen sind«.130

Das Requerimiento wurde als die Mitteilung einer Offenbarung konzipiert. Sie war eine religiöse Kommunikation, die auf einer tautologischen Logik basierte: »Formal gesehen offenbart die Offenbarung sich selbst, und das schließt ein, dass es keinen anderen kognitiven Zugang zu ihr gibt als die Annahme der Offenbarung als Offenbarung.«131 Für die Spanier war sie eine Mitteilung des Willens Gottes, die nicht abgeschlagen werden dürfte und »die sich selber als solche zu erkennen gab«.132 Die Spanier sahen sich, als Christen, gezwungen, diese Information mitzuteilen.133 Daher war für sie jene denkbare Ablehnung der Offenbarung 130 | Biermann, Benno, »Das Requerimiento in der spanischen Conquista«. a.a.O., S. 97. Der Satz »[…] wie es fast alle Bewohner der anderen Inseln getan haben« im VIII. Abschnitt bezieht sich auf die Erfahrungen, die die Spanier bis 1513 in der »Neuen Welt« gesammelt hatten. 131 | Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 165. 132 | Diese Formulierung ist zu finden ebd., S. 335. Für eine Analyse der Offenbarung als eine codierte Kommunikationsform siehe ebd., S. 165-166, 335-336. 133 | Der Glaube kann nur von bereits glaubenden Menschen weitergegeben werden: »Als Kommunikationsmedium fungiert Glaube nur, wenn unterstellt werden kann, dass der Kommunizierende selbst glaubt. In dem Maße, als Religion zur Angelegenheit eines Glaubens wird, muss daher auch diese Unterstellung mitproduziert werden. In der christlichen Glaubensgeschichte wird dieses Erfordernis besonders evident. Es wird erfüllt durch eine Tradition von Bekenntnissen und Zeugnissen, in der Glaubende ihren Glauben bezeugt haben. Es fällt auf, in welchem Maße dabei auf Anwesenheit und unterbrochene Vermittlung Wert gelegt wird, so

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inakzeptabel. Als Vorhaben einer Handlungsstrategie hatte das Verfahren alles im Voraus definiert und entschieden: Sie ließ keine Möglichkeit der offenen Zukunft und der Kontingenz zu. Hinzu kam, dass das Nichtverstehen der »Indios« in keiner Hinsicht weder die Formen der Durchführung des Requerimientos noch die Notwendigkeit seiner Informationen modifizierte. Bei der Verlesung dieser Offenbarung ging es darum, eine soziale Notwendigkeit zu bestätigen, auf der die Herrschaft der Spanier aufgebaut werden sollte. Eine Herrschaft, die als nötige Vorbedingung der Realisierung der Offenbarung galt. Aus diesem Grund verursachten die Wahrnehmungen über das Nichtverstehen der »Indios« keine Resonanz, und dies, obwohl das spanische Verstehen des Nichtverstehens der »Indios« dokumentiert ist. Hierzu berichtet Oviedo zum Beispiel: »[…] und wenn wir alle versammelt waren, habe ich ihm [dem Gouverneur] gesagt: – Mein Herr, es sieht so aus, als ob die Indios der Theologie dieses Requerimientos nicht zuhören möchten und hier gibt es keine Person, die es ihnen mitteilen kann; daher sollten Sie zuerst das Dokument nicht anwenden bis wir einen von diesen Indios in einem Käfig haben, damit der Bischof es ihm erklären kann und er genügend Zeit hat, um es zu verstehen. – Und ich habe ihm das Requerimiento zurückgegeben, dann hat er das Dokument entgegengenommen und wie die anderen Anwesenden darüber gelacht.«134 als ob das Medium eine Kommunikation unter Anwesenden als Sicherheitsbasis voraussetze.« Luhmann, Niklas, »Religiöse Dogmatik und gesellschaftliche Evolution«, a.a.O., S. 66. 134 | »[…] y en presencia de todos yo le dije: – Senior paréseme que estos indios no quieren escuchar le teología deste Requerimiento, ni vos tenés quien se la dé a entender; mande vuestra merced guardarlle, hasta que tengamos un indio déstos en una jaula, para que despacio lo aprenda, e el senior obispo se lo dé a entender. – E dile el Requerimiento, y él lo tomó con mucha risa dél e de todos los que me oyeron.« Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, a.a.O., S. 230. Hier noch ein zweites Beispiel von Oviedo: »Der Gouverneur befahl, ich sollte das Requerimiento, in scriptis, mitnehmen, das den Indios vorzulesen ist; er hat es mir in die Hand gedrückt. Als ob ich die Indios verstehen würde, um es ihnen vorzulesen, oder wir jemanden hätten, der es ihnen erklären könnte, falls sie tatsächlich zuhören wollten, denn ihnen das geschriebene Blatt mit dem Requerimiento zu zeigen, keinen Sinn machte […].« »E mandó el gobernador que yo

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Für die Spanier war nebensächlich, dass die Indigenen kein Spanisch verstanden. Denn dies konnte nicht die Notwendigkeit der Offenbarung im Requerimiento in Frage stellen. Den Indigenen wurde eine Bedenkzeit angeboten, um über die Annahme des Evangeliums nachzudenken. Jedoch schloss das Dokument jene Möglichkeit des Nichtverstehens aus. »VII.- Deshalb bitte ich euch und fordere euch auf, so gut ich kann, recht zu beachten, was ich euch gesagt habe und euch die rechte Zeit zu nehmen, es zu bedenken und zu überlegen und die Kirche anzuerkennen als Herrin und Vorgesetzte der ganzen Welt […].«135

Diese Frist war eine religiöse Frist, also eine geschichtlich unbestimmte Frist, sie wurde als eine unbefristete Frist gedacht, und als solche negierte sie jene denkbare Zeitdauer. Das Requerimiento bot hierfür keine weitere Anweisung, denn die Frist sollte so lange dauern, wie sie dauern sollte. Die Zeitklausel hatte nur eine religiöse Relevanz: Kein Mensch sollte zum Christentum gezwungen werden. Jedoch mussten die Spanier nicht unbedingt auf die Antwort der Barbaren warten,136 denn ihre politische llevase el requerimiento, in scriptis, que se había de hacer a los indios, e me lo dió de su mano, como si yo entendiera a los indios para se lo leer, o tuviéramos allí a quien se los diera a entender, queriéndolo ellos oír; pues mostrarles el papel en que estaba escripto, poco hacía al caso […].« Ebd., S. 227. 135 | Biermann, Benno, »Das Requerimiento in der spanischen Conquista«, a.a.O., S. 97. 136 | Die Barbaren waren für die spanische Krone diejenigen, die wie die Ureinwohner der kanarischen Inseln, die Muslime und die Juden das Christentum ablehnten. In Zeiten von Ferdinand II. von Aragón (V. von Spanien) können vier geschichtliche Ereignisse in Betracht gezogen werden, die die Beschreibung »Bezwinger der Barbarenvölker« (Requerimiento I) erklären können: 1) die Eroberung der kanarischen Inseln und die Dezimierung ihrer Ureinwohner, der Guanchen (1477-1496), 2) der Sieg über die Muslime in Granada (1492) und ihre Vertreibung aus Spanien (1502), 3) die Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und 4) die ersten Erfahrungen der spanischen Krone in der Neuen Welt. Bei der Eroberung der Kanaren wurde eine zeitlang ein Dokument angewendet, das als Vorläufer des Requerimientos zu definieren ist. Siehe dafür die Einführung von Isacio Pérez Fernández zum Werk Brevísima Relación de la destrucción de África von Bartolomé de las Casas, Editorial San Sebastián, Salamanca 1989.

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Unterjochung war bereits, nach den päpstlichen Bullen, vorausgesetzt. Wenn sie dennoch zuerst abwarteten, wie die Indigenen auf das Requerimiento reagierten, und diese Reaktion nicht in Unterwerfung bestand, dann interpretierten die Spanier dies ganz selbstverständlich als Ablehnung der Offenbarung, wie Oviedo in einem Bericht über eine Verlesung des Requerimientos, die er selbst im Juni 1514 durchgeführt hat, beschreibt. »[U]nd die Caribes schwiegen und haben zugehört, aber sie haben nicht mehr als ein Vizcaino mit seiner Vascuense verstanden, der sich mit einem Tudesco oder einem Arábigo unterhält, […] [Die Indios am Strand] haben ihre sehr giftigen Pfeile abgeschossen, die uns erreichten […]. Der Oberleutnant sah, dass seine Worte abgelehnt oder nicht verstanden wurden, aber auch dass die giftigen Pfeile wie Regen flogen und wir uns in Gefahr befanden […], er hat auch die Unfolgsamkeit der Indios wahrgenommen, deswegen befahl er, dass dreihundert von uns in das Land eindringen sollten, um einige Indios lebend festzunehmen […].«137

Oviedo endet seinen Bericht mit einer Aussage, die er dem Oberleutnant mitgeteilt hat: »Mein Herr, es sieht so aus, als ob die Indios der Theologie dieses Requerimientos nicht zuhören möchten, […].«138

137 | »[Y] los caribes estuvieron callando un poco, escuchando; pero en la verdad, no los entendían más que se entendiera un vizcaíno en su vascuence con un tudesco o arábigo […] [los indios en la orilla] tirando muchas flechas que llegaban a nuestras barcas, e algunas pasaban delante por alto […]. E viendo ya el teniente que sus palabras e amonestaciones eran desechadas o no entendidas, e que las saetas allí son de ponzoñosísima hierba e volaban entre nosotros como lluvia muy espesa, y que estabamos en peligro [….]. E viendo la desobediencia de los indios, mandó el teniente que con trescientos hombres entrase una o dos leguas la tierra adentro, e procurase de tomar algunos indios vivos, […].« Oviedo endet seinen Bericht mit folgender Überlegung: »Senior paréseme que estos indios no quieren escuchar le teología deste Requerimiento […]«. Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, a.a.O., S. 225-226. 138 | »Senior paréseme que estos indios no quieren escuchar le teología deste Requerimiento. « Ebd., S. 230.

Vorbedingungen zur Interaktion

Das Requerimiento war grundsätzlich ein Vorgang zur Legitimierung von Gewaltanwendung, die nach der Philosophie Thomas von Aquins entworfen wurde. Thomas von Aquin synthetisierte wie folgt die Gründe zur Durchführung eines gerechten Krieges, der die pax christiana befestigen oder erneuern sollte: »Die Entscheidung, den Krieg zu erklären, liegt in der Hand der höchsten Autorität im Staat […]. Zur Kriegserklärung bedarf es eines gerechten Grundes […]. Die auctoritas des Fürsten und die iusta causa rechtfertigten aber erst dann einen Krieg, wenn sie von der intentio recta, der friedfertigen Gesinnung, begleitet werden.«139 Die Relevanz dieses Verfahrens basierte auf der Tatsache, dass die Ausübung illegitimer Gewalt das Vorhaben der spanischen Krone scheitern lassen konnte. Hierfür konnte jegliche spanische Interpretation der Ablehnung des Requerimientos als ein Verstoß gegen die iusta causa und die intentio recta verstanden werden. Diese Legitimation zur Gewaltanwendung basierte, wie gesagt, auf der »natürlichen Liebe des Einzelnen zu seinem Nächsten und aus der natürlichen Pflicht des Nächsten, seinen Mitmenschen zu helfen«.140 Diese »Bereitschaft zu helfen« verkörperte eine Formulierung zur juristischen und politischen Legitimation des Kolonialismus: Die Verantwortung der negativen Folgen jedes Verstoßes sollten die »Indios« tragen:141 »IX.- [U]nd ich erkläre, daß die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen Seiner Hoheit, noch der Herren, die mit mir gekommen sind.«142

139 | Straub, Eberhard, Das Bellum Iustum des Hernán Cortés, Böhlau Verlag, Köln 1976, S. 34-35. 140 | So Eberhard Straub über die Rechtfertigungsstrategien der »Indio-Versklavung« der Theologie von Francisco de Vitoria ebd., S. 42. 141 | Siehe Ginés de Sepulveda, Juan, Tratado sobre las justas causas de la guerra contra los indios. Lat. Text u. span. Übers. von Marcelino Menéndez y Pelayo, México/Buenos Aires 1941; Hanke, Lewis, Aristotle and the American Indians, Hollis & Carter, London 1959; Queralto Moreno, Ramón-Jesus, El pensamiento filosófico político de Bartolomé de las Casas, Publicaciones de la escuela de estudios hispano-americanos de Sevilla, Sevilla 1976. 142 | Biermann, Benno, »Das Requerimiento in der Spanischen Conquista«, a.a.O., S. 97.

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Das Requerimiento schloss die Möglichkeit ein, die »Indios« durch einen gerechten Kriegen zu versklaven.143 Die Rechtfertigung zur Versklavung der »Indios« im Requerimiento (1513) bestand teilweise aus dem Argument, dass alle Menschen zunächst von Natur aus frei sind, aber den »Indios« fehlten die notwendigen Eigenschaften, um die Freiheit anzuwenden: die Intelligenz, die wahre Wahrheit Gottes zu erkennen. Juan Ginés de Sepulveda benutzte dieses Argument in einer aristotelischen Argumentation, um die Richtigkeit des natürlichen Sklaventums der »Indios« zu verteidigen.144 Die Frage des ökonomischen Interesses der Spanier gehörte auch zum Verfahren. Jedoch ist die Rechtfertigung der Versklavung und Plünderung in der religiösen Semantik der Verkündigung zu finden und nicht im ökonomischen Interesse selbst. Das freie Ermessen der Spanier zur Interpretation von Ablehnungen definierte die Formen und Dimensionen der Plünderung und Versklavung, denn die spanische Krone ließ in den ersten Jahren ihrer Kolonialisierungsexpeditionen keine andere Interpretation der Rechtsquelle und des Vollzuges von Strafen zu. Dieses arbiträre Ermessen wurde als die beste Form der Gerechtigkeitsdurchsetzung wahrgenommen. Oviedo berichtet, dass die spanische Krone in den ersten Jahrzehnten des XVI. Jahrhunderts Juristen und Gelehrten verboten hat, sich an den Expeditionen zu beteiligen, weil sie die Durchsetzung der Gerechtigkeit verhinderten: »[D]er katholische König befahl Pedrarias seinem Gouverneur, dass keinen Gelehrten, Juristen oder Prozessvertreter sich an den Expeditionen beteiligen soll143 | Das Requerimiento widersprach in dieser Hinsicht keiner spanischen Anordnung. Sein Verfahren war zum Beispiel in Einklang mit den Gesetzen von Burgos (1512). Sie wurden am 27. Dezember 1512 verfasst und stipulierten eine Serie von Maßnahmen, um die »Indias« und das Leben und die Arbeit der »Indios« zu organisieren und zu verwalten. Diese Gesetze sollten die »Indios« vor der spanischen Ausbeutung und Gewalt schützen. Jedoch waren sie nur für die »Indios« gedacht, die ihre Unterwürfigkeit gegenüber der Kirche, dem Papst und der spanischen Krone bereits akzeptiert hatten. Der Text dieser Gesetze auf Englisch ist zu finden in: Hussey, Roland D., »Text of the Laws of Burgos«, in: Hispanic American historical Review XII, no. 3, 1932 (S. 306-321). 144 | Siehe Ginés de Sepulveda, Juan, Tratado sobre las justas causas de la guerra contra los indios, a.a.O., 1941.

Vorbedingungen zur Interaktion

ten, denn es bestand bereits die Erfahrung, dass sie schädlich für dieses Land sind. Der Grund dafür ist, dass sie sich mehr Rechtsstreite und Schwierigkeiten ausdenken, als ohne sie schon bestehen. Daher sollte Pedrarias alle Streitigkeiten und Unstimmigkeiten ohne bösartige Ansichten und Grübeleien schnell lösen, indem er die Gerechtigkeit allen im Streite Beteiligten erteilt […].«145

Die Spanier konnten die Erwartungsstrukturen der Gesellschaft der »Indios« nicht gelten lassen, denn sie waren mit ihren sozialen Erwartungen nicht kompatibel. Sie bestätigten nur die Notwendigkeit der Einführung der Offenbarung, und gerade diese Notwendigkeit sollte die spanische Herrschaft über die »Indios« legitimeren. Die Erwartungsstrukturen der »Indios« und ihre doppelte Kontingenz haben die Spanier durch ihre religiösen Sinnverarbeitungsmöglichkeiten eingeordnet, bis ihre Ausblendung eine ganz normale Erwartbarkeit wurde. Daher kann man das Verfahren des Requerimientos als eine spanische selbstreferentielle Erklärung der Prämissen einer Ausgangposition zur Durchführung einer Handlung definieren, deren Ziel war, Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Das Requerimiento war ein Ultimatum mit prophetischen Zügen, dessen Informationen eine Offenbarung verkündigten, deren Notwendigkeit für sie unvermeidlich war.146 145 | »[E]l Rey Católico proveyó e mandó a Pedrarias, su gobernador, que no pasasen letrados ni hobiese abogados ni procuradores en aquella tierra, porque se tenía experiencia desta Isla y otras partes, que son perjudiciales a la tierra, y como maestros de litígios y contiendas, inventan más de las que suele haber sin ellos, sino que simpliciter y de plano, sin dar lugar a cavilaciones maliciosas, se determinasen los pleitos brevemente, haciendo justicia a las partes […].« Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, Biblioteca de Autores Españoles, a.a.O., S. 222. 146 | Antonio García y García findet in den sprachlichen Wendungen des Requerimientos eine Verbindung zu Josuas Kampfrede vor der Einnahme Jerichos (Buch Josuas) und zum Evangelium des Matthäus (Mt. 28 18-20): »Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« Siehe

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d.

Die spanische Fremdbeschreibung »Indio« als »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum«: Kontingenzreduktion durch die Entfaltung asymmetrischer doppelter Kontingenz

Das Requerimiento definierte die Indigene als »Indios«, die »Untergebene der spanischen Krone und des Papstes« waren. Durch diese Definition als Fremdbeschreibung entstand die spanische Erwartung, dass die »Indios« ihre Unterjochung ohne Widerstand akzeptierten. Denn für die Spanier ging es um die Mitteilung einer religiösen Offenbarung, die bedingungslos angenommen werden sollte. Sie war, als Kommunikationsoperation, ein Mechanismus zur Kontingenzreduktion, der in den Interaktionssituationen mit den »Indios« einzusetzen war. Durch seinen Einsatz haben sie sowohl die Erwartungsstrukturen als auch das Nichtverstehen der Einwohner der neuen Welt eingeordnet, bis die kontingente Alterität der Indigene ausgeblendet war. Dadurch ist den Indigenen eine Bereitschaft und ein Wissen unterstellt worden, die sie nicht besaßen. Das Resultat der Anwendung dieses Mechanismus war die Entfaltung einer asymmetrischen Relationalität zwischen Indigenen und Spaniern aus der Perspektive der Spanier: Die Indigenen als Heiden und Unterjochte konnten nicht imstande sein, die gleiche Kontingenz eines christlichen Spaniers zu generieren. Die Prämisse der Interaktionsoperation (dass auch Alter ein Ego bzw. Ego für das Alter Ego ein Alter ist)147 wurde dadurch asymmetrisiert: Die Indigenen waren für die Spanier kein Alter Ego, sondern Wesen, deren Religion, Kultur und Gebräuche die Notwendigkeit und die Richtigkeit des Verfahrens des Requerimiento offensichtlich machten.148 Diese Fremdbeschreibung reduzierte Kontingenz, nach spanischer Ansicht, durch die dafür: García y García, Antonio, »Die Herausforderung der Neuen Welt. Francisco de Vitoria und seine Vordenker«, a.a.O. (S. 48-63). 147 | Siehe Luhmann, Niklas, »Schematismen der Interaktion«, a.a.O., S. 95. 148 | Dieser Sachverhalt ist auch wie folgt zu erklären: »Der andere Mensch [war noch nicht] als Alter-Ego konzipiert, […] [und auch nicht] aus der Sachwelt ausdifferenziert und mit der gleichen Selbstreferenz und Selektionsfreiheit ausgestattet […]. Im für Freundschaft und damit für Ethik zentralen Konzept des állos autós war dies [noch nicht] vorbereitet […].« Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 38.

Vorbedingungen zur Interaktion

Markierung der Grenzen der notwendigen Gewaltausübung als Strategie zur Kontingenzreduktion, die die pax christiana zu garantieren hatte.149 Gewalt reduziert Kontingenz auf eine radikale Art, sie führt eine Handlung ein, die viele Kommunikationsanschlüsse eliminiert, die die Kommunikation deoptionalisiert und die viele Entscheidungen als Entscheidungen über die bereits entschieden wurde, präsentiert.150 Die Reaktionen der »Indios« waren anhand dieser Fremdbeschreibung einzuordnen, durch sie sollten die Spanier entscheiden, ob die Ausübung von Gewalt nötig war oder nicht. Sollte die Entscheidung positiv ausfallen, erwarteten die Spanier dadurch die Möglichkeit zu schaffen, in der unmittelbaren Zukunft kommunikative Optionen einzuführen, die ihre Erwartungen bestätigen sollten, um eine zusätzliche Semantik des Requerimientos zu applizieren: Die »Indios« als Untergebene ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum zu bezeichnen. Diese Erweiterung der Fremdbeschreibung bestätigte ebenfalls die Entfaltung der asymmetrischen doppelten Kontingenz zwischen »Indios« und Spaniern. Die spanische Definition des sozialen Rangs der »Indios« war im Requerimiento vorausgesetzt (Semantik) und wurde durch sein Verfahren (Gesellschaftstruktur) bestätigt. Dadurch wurden die »Indios«, aus spanischer Sicht, in die niedrigsten denkbare soziale Position eingeordnet: Nach der Ausübung der legitimen Gewaltanwendung wurden sie nicht nur als Untergebene der spanischen Krone und des Papstes definiert, sondern auch als Untergebene ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum wahrgenommen.151 Wie kann man diese Fremdbeschreibung systemtheo149 | Stichweh zitiert von Joseph Vogt eine Anmerkung, die die Langlebigkeit dieser Vorstellung der Gewaltausübung zum Vollzug des christlichen Friedens zeigt: »Vogt zitiert eine erstaunliche Textpassage aus dem Karfreitagsgebet für den Herrscher, die unverändert vom 5. Jahrhundert bis in die ersten Jahrzente des 20. Jahrhunderts im Missale Romanum stehengeblieben war: ›dass Gott unser Herr alle barbarischen Nationen unserem immerwährenden Frieden unterwerfen möge‹.« Stichweh, Rudolf, »Fremde, Barbaren und Menschen. Vorüberlegungen zu einer Soziologie der ›Menschheit‹«, a.a.O., S. 32-33. 150 | Hierzu siehe Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, in: Soziale Welt 47, 1996 (S. 92-110). 151 | Das Werk von Bartolomé de las Casas war ein Versuch, dieser Form der Verwaltung und Eroberungsorganisation Spaniens zu widersprechen. Siehe dafür Casas, Bartolomé de las, Historia de las Indias, FCE, México 1981; ders., Brevísima

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retisch zur Erklärung dieser Interaktionssituationen umformulieren? Die spanische Gesellschaft entwickelte die Mechanismen, um die Anwesenheit der »Indios« durch eine Vorstellung der asymmetrischen doppelten Kontingenz einzuordnen. Die »Indios« waren für sie entweder Heiden oder unfolgsame Unterjochte. Die Interaktionen, die sich in den Jahren 1519 bis 1521 zwischen Azteken und Spaniern abgespielt haben, waren rekursive und selbstreferentielle Kommunikationssituationen, die zugleich weitere rekursive und selbstreferentielle Interaktionen mit ihren dazugehörigen Irritationen generierten. Sie waren Prozesse der Informations- und Wissensakkumulation für beide Gesellschaften und daher als Vorgänge der Initialisierung sozialer Transformation zu begreifen. Diese Interaktionen oszillierten zwischen dem friedlichen Austausch von Gegenständen bis hin zum Krieg und zur Kapitulation der Azteken und stellten den Beginn eines asymmetrischen Transformationsprozesses des Indigenen und spanischen Ideenguts dar, der tiefgreifende Veränderungen vor allem auf der Seite der Indigenen Gesellschaft vorbereitet hat. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit diesem Phänomen sozialer Transformation anhand eines Modells von Interaktionsprozessen beschäftigen. relación de la destrucción de las Indias, Obras escogidas, Ed. J. Pérez de Tudela, Biblioteca de Autores Españoles, Madrid 1958; ders., Apologética, Biblioteca de Autores Españoles, Madrid 1958; Hanke, Lewis, Bartolomé de las Casas: An Interpretation of his Life and Writings, Den Haag 1951; Queralto Moreno, Ramón-Jesus, El pensamiento filosófico político de Bartolomé de Las Casas, a.a.O.; Casas, Bartolomé de las, Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder, hg. von Hans Magnus Enzensberger Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1981. Erst 1542 wurde eine Änderung dieser Form von Verwaltung und Eroberungsorganisation unter der Regierung von König Karl V. durch die »Nuevas Leyes de Indias« eingeführt. Die Encomienda und jede andere Form von Versklavung der »Indios« wurde verboten. 1550 modifizierte Karl V. aufgrund des Druckes der Spanier, die ihre Interessen in Gefahr sahen, einige Aspekte der »Leyes Nuevas«. Durch eine Anordnung vom 16. April 1550 führte Karl V. die Encomienda wieder ein, die den »Indios« aber im Vergleich zu früher bessere Bedingungen bieten sollte. Zum Thema der Transformation der Encomienda siehe: Zavala, Silvio, La Encomienda Indiana, Ed. Porrúa, México 1935; Simpson Bird, Lesley, Encomienda in New Spain, The Beginning of Spanish Mexico, University of California Press, Berkeley, Ca. 1966. In Kapitel 4 dieser Arbeit kommen wir zurück zum Thema Encomienda.

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Im ersten Kapitel haben wir die Fremdbeschreibungen definiert, die die Azteken und Spanier eingesetzt haben, um ihre gegenseitige Anwesenheit in ihren ersten Interaktionssituationen einzuordnen. Hier schlagen wir vor, dass sie durch diese Fremdbeschreibungen ihr Erleben und ihre Handlung koordiniert haben. Somit konnten sie Zurechnungen, Autorschaften und Kausalitäten determinieren. Diese Interaktionen verursachten Irritationen, die Spuren in den gegenseitigen sozialen Erwartungen hinterlassen haben und deren Informationen eine Sequenz von Differenzen ausgelöst haben, die weitere Differenzen generiert haben.1 Diese Informationen sollten sowohl die Azteken als auch die Spanier akkumulieren, um daraus Strategien für den Umgang mit Problemen zu entwickeln, die in den Interaktionen aufgetaucht waren. Die entwickelten Strategien probierten sie in den nächsten Interaktionssituationen aus und ordneten ihre Auswirkung in Hinblick auf die Lösung von Problemen als neue Information ein. Aus diesen Informationen ergaben sich weitere Irritationen, die als Informationen für die Entwicklung weiterer Strategien benutzt wurden usw. Diese Interaktionen waren sowohl die Quelle der Irritationen als auch das Versuchsfeld zur Problemlösung beider Gesellschaften. Ihre Informationen reduzierten und steigerten Kontingenz gleichzeitig. Im Laufe der Zeit wurde die Anwesenheit der Spanier im Lande der Azteken zum Kontinuum und die Interaktionen zwischen Azteken und Spaniern wurden zur alltäglichen Normalität. In diesem Kapitel wollen wir uns mit diesem zirkulären (und rekursiven) Kommunikationsphänomen befassen. 1 | Siehe für die Formulierung »a difference that make a difference«: Bateson, Gregory, Steps to an Ecology of Mind, New York 1971, S. 271-272.

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Wir untersuchen dieses Phänomen nach der theoretischen Voraussetzung, »dass alles menschliche Erleben und Handeln sinnförmig abläuft und sich selbst nur sinnförmig zugänglich ist«.2 Wir definieren die Interaktion als das soziale System, in dem Kommunikation unter Anwesenden stattfindet,3 also als das soziale System, das durch die Wahrnehmung der gegenseitigen Anwesenheit4 der Interagierenden die strukturelle Kopplung von Bewusstseinsprozessen und Kommunikation auslöst 5 und das »auch ohne Bezug auf das Gesellschaftssystem oder seine bereits ein2 | Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 17. 3 | Die Anwendung des Kommunikationsbegriffs in der Soziologie wird je nach theoretischem Ansatz unterschiedlich definiert und benutzt. Die klassische Referenz für die Untersuchung der Interaktion, das Werk von Erving Goffman, distanziert sich zum Beispiel von diesem Konzept: »Doch so oft der Kommunikationsbegriff als Heilmittel angeboten wurde, er hat nur selten Besserung gebracht […]. Und die Entdeckung, dass man als Kommunikation auch einfach alles bezeichnen könne, was sich abspielt, wenn Menschen zusammentreffen, hat sich äußerst schädlich ausgewirkt: Kommunikation zwischen voreinander anwesenden Personen ist in der Tat eine Form der persönlichen Interaktion, doch diese ist nie ausschließlich und überhaupt nicht immer eine Form der Kommunikation.« Goffman, Erving, Strategische Interaktion, Carl Hanser Verlag, München 1981, S. 9. Die Ablehnung dieses Konzepts führte die Studien Goffmans zur Anwendung der Spieltheorie. 4 | Die Operation der Interaktion ist durch Wahrnehmungen von Menschen konditioniert, daher spielt in Interaktionssituationen die sprachlose Kommunikation, Rekursivität von Signalen, z.B. Gebärden (gestures) oder Bewegung im Raum, eine wichtige Rolle. Die Interpretation der Mitteilung bei der sprachlosen Kommunikation ist situationsspezifisch bestimmt. Hier ist jedoch anzumerken, dass nur die Sprache Unterschiede zwischen Medium und Form in der Interaktion leistet. 5 | Hierzu siehe: Luhmann, Niklas, »Wie ist Bewusstsein an Kommunikation beteiligt?«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 6: Die Soziologie und der Mensch, 2. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005 (S. 38-54). Zum Begriff der strukturellen Kopplung siehe Maturana, Humberto, Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Braunschweig 1982. Ausführlicher dazu in Bezug auf die Soziologie: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., insb. der Absatz »Operative Schließung und strukturelle Kopplung«, S. 92ff.

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gerichteten Teilsysteme [stattfindet] […] – einfach dadurch, dass doppelte Kontingenz erfahren wird und autopoietische Systembildung in Gang bringt«.6 Die systemtheoretische Auffassung der Interaktion ist auf der Distinktion System/Umwelt aufgebaut, das bedeutet, dass Interaktionen (System) ohne Bezug auf die Gesellschaft (soziale Umwelt) vorkommen, aber ohne sie nicht denkbar wären.7 In diesem Kapitel wollen wir Interaktionsprozesse untersuchen, um den Beitrag der Interaktion (als autopoietisches soziales System und als Quelle sozialer Irritation) zur ursprünglichen Transformation von Gesellschaftsstrukturen und Semantik zu beleuchten, worauf nach der Kapitulation der Azteken im Jahre 1521 eine stratifizierte soziale Ordnung mit einer Indigenen Unterschicht aufgebaut werden sollte (bis 1650).8

I. Q uellen zur U ntersuchung von I nter ak tionsprozessen Hier untersuchen wir Interaktionen, die im XVI. Jahrhundert stattgefunden haben. Die Informationen über diese Ereignisse sind in Texten zu finden, deren Verfasser Augenzeugen von ihnen waren und darüber berichtet haben.9 Diese Dokumente liegen in schriftlicher Form vor und 6 | Ebd., S. 812. Doppelte Kontingenz wird durch die Distinktion Alter/Ego aktiviert, d.h., durch die Operation des sozialen Schematismus. Informationen über die systemtheoretische Definition von sozialem Schematismus sind zu finden in: Luhmann, Niklas, »Schematismen der Interaktion«, a.a.O. 7 | Anders als bei Organisationen und Gesellschaften differenziert sich die Interaktion innerlich nicht als System/Umwelt ihrer eigenen Operationen, »[Sie] wiederholt diesen für sie konstitutiven Mechanismus der Systemdifferenzierung nicht auch in sich selbst. Ihre Grenzen sind, von innen her gesehen, stets auch Grenzen der weiteren Systemdifferenzierung. Die Interaktion hat mithin, solange sie läuft, keine eigenen Folgeprobleme der Systemdifferenzierung zu lösen.« Kieserling, André, Kommunikation unter Anwesenden, a.a.O., S. 35. 8 | Die Untersuchung der Entstehung dieser stratifizierten sozialen Ordnung führen wir in den Kapiteln 3 bis 5 dieser Arbeit aus. 9 | Im XVI. und XVII. Jahrhundert sind mehrere Dokumente verfasst worden, die ebenfalls über die Interaktionen zwischen Azteken und Spaniern in den Jahren 1519-1521 informieren, deren Autoren aber keine Augenzeugen der Ereignisse

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wurden unmittelbar oder Jahre nach den Interaktionen von Spaniern oder Indigenen unter spanischer Herrschaft aufgeschrieben.10 Sie wurden mit unterschiedlichen Zielen verfasst, ihre Autoren vertraten verschiedene Interessen und ihre Methoden zur Informationssammlung und Wissensorganisation sind nicht übereinstimmend. Übereinstimmend ist jedoch, dass sie keine historischen Untersuchungen in modernem Sinne sind. Jewaren. Wir betrachten sie aus diesem Grund nicht zur Konstruktion unseres Modells der Interaktionsprozesse, denn wir gehen davon aus, dass die geeigneten Berichte für die Untersuchung dieser Interaktionen nur die der Augenzeugen sind. Diese Dokumente sind zahlreich und wurden von Spaniern, Indigenen und Mestizen angefertigt. Die bekannteste Titel sind: Alva, Ixtlilxochitl, Fernando de, Décima Tercia Relación de la venida de los españoles y principios de la Ley Evangélica, Robredo, Méxiko 1938; Casas, Bartolomé de las, Historia de las Indias, FCE, Méxiko 1981; Benavente, Toribio de (Motolinia), Memoriales a.a.O.; Chimalpahin Quauhtlehuanitzin, Domingo de San Antón Muñon, Das Memorial breve acerca de la Fundación de la Ciudad de Culhuacan und weitere ausgewählte Teile aus den ›Diferentes Historias Originales‹ (Ms. Mexicain No. 74. Paris) von Domingo de San Antón Muñon Chimalpahin Quauhtlehuanitzin. Aztekischer Text mit deutscher Übersetzung von Walter Lehmann und Gerdt Kutscher. Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas aufgezeichnet in den Sprachen der Eingeborenen. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1958; Durán, Diego de, Historia de las Indias de la Nueva España e Islas de la Tierra Firme, Ed. Porrúa, México 1967; Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, a.a.O.; López de Gómara, Francisco, Historia General de las Indias II. Conquista de México, a.a.O.; Mártir de Angleria, Pedro, Décadas del Nuevo Mundo por Pedro Mártir de Angleria, primer cronista de Indias. 2 Bde., Ed. Porrúa, México 1964; Mendieta, Gerónimo de, Historia Eclesiástica Indiana. J. García Icazbalceta (Hg.), Antigua Libreria, México 1870; Muñoz Camargo, Diego, Historia de Tlaxcala, Alfredo Chavero (Hg.), México 1892; Pomar, Juan Bautista, Relación de Texcoco, en Nueva Colección de Documentos para la Historia de México. J. García Icazbalceta, México 1891; Tezozómoc, Fernando Alvarado, Crónica Mexicana, a.a.O.; Torquemada, Juan de, Monarquía Indiana, a.a.O. 10 | Hier ist zu betonen, dass es keine Indigenen Berichte über diese Ereignisse gibt, der nicht in irgendeiner Form von der spanischen Kultur beeinflusst wären. Sie wurden unter den Voraussetzungen der spanischen Erwartungen verfasst, dennoch bieten sie wertvolle Information über die Ereignisse aus der Perspektive der Indigenen.

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doch entspricht die Willkürlichkeit ihrer historischen Informationen keiner Beeinträchtigung zur Durchführung unserer Untersuchung, denn wir fokussieren sie nicht als wissenschaftliche historische Chronologie von Ereignissen, sondern als Produkte sozialer Erwartungen, die in ihrer spezifischen Epoche selbstverständlich waren und mit den damaligen gültigen Wissensdogmen in Einklang standen. Die Heterogenität dieser Dokumente erfordert eine nähere Betrachtung ihrer Merkmale. Mit dieser Absicht wollen wir sie in zwei Gruppen unterteilen: 1) die Berichte von spanischen und Indigenen Augenzeugen und 2) das Dokument, das der Franziskaner Bernardino de Sahagún und seine Indigenen Schüler über die Beobachtung aztekischer Augenzeugen verfasst haben.

a. Augenzeugen-Berichte a.1 Berichte von spanischen Augenzeugen Die Berichte der spanischen Augenzeugen unserer Auswahl sind: 1) der Bericht von Kaplan Juan Díaz über die Expedition von Juan de Grijalva;11 2) Hernán Cortés’ Briefe an den Kaiser Karl V.;12 3) Die wahre Geschichte der Eroberung Neu-Spaniens von Bernal Díaz del Castillo;13 4) der Bericht über die Eroberung Mexikos des Dominikanerpaters Francisco de Aguilar;14 5) der Bericht der Eroberung Mexikos von Andrés de Tapia;15 6) der Bericht von Bernardino Vázquez de Tapia über seine Leistungen als Eroberer16 und 7) der Bericht Über die Sachen Neu-Spaniens [heutiges Mexiko]

11 | Díaz, Juan, »Itinerario de Juan de Grijalva«, a.a.O. 12 | Cortés, Hernán, Cartas de relación, a.a.O. 13 | Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O. 14 | Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, hg. von Jorge Gurría Lacroix, Instituto de Investigaciones Jurídicas, UNAM, México 1977. 15 | Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, Crónicas de la conquista de México, Introducción, selección y notas de Agustín Yañez, Biblioteca del Estudiante Universitario, UNAM, México 1987. 16 | Vázquez Tapia, Bernardino, Relación de méritos y servicios del conquistador Bernardino Vázquez de Tapia, Vecino y regidor de esta gran Ciudad de Tenustitlan, UNAM, México 1972.

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und der großen Stadt Temestitán [heutige Mexiko-Stadt] eines anonymen Eroberers.17 Aus diesen Berichten haben wir vier ausgewählt:18 1) die Berichte von Hernán Cortés vom 30. Oktober 1520 und vom 15. Mai 1522;19 2) Die wahre 17 | Conquistador anónimo, Relación de las cosas de la Nueva España y de la gran Ciudad de Temestitán, México, escrita por un compañero de Hernán Cortés, Editorial América, México 1941. Die Thesen über die Identität dieses Autors sind umstritten: Gómez de Orozco hat vorgeschlagen, dass Alonso de Ulloa wahrscheinlich der Autor dieser Berichte ist. Sein Vorschlag, der auf einer Textanalyse basiert, ist von J. Rose in Frage gestellt worden. Siehe für mehr Argumente dieser Kontroverse: Gómez Orozco, F., »El Conquistador Anonimo«, in: Historia Mexicana 2-3, 1953 (S. 401-411); Rose, J., Le Conquistador Anonyme, IFAL, 1970. Durch die Texte von Chronisten wie Cervantes de Salazar oder Torquemada ist bekannt, dass auch andere Anwesende wie Alonso de Ojeda, Alonso de Mata oder Martín López Berichte verfasst haben. Jedoch sind diese Texte bis heute nicht gefunden worden. 18 | Wir haben mit den original spanischen Versionen der Dokumente gearbeitet und die Übersetzungen dieser Texte stammen von uns. Der spanische Text wird zum Vergleich der Übersetzungen zur Verfügung gestellt. 19 | Cortés hat seine Briefe unmittelbar nach den Interaktionen mit den Indigenen verfasst. Mit ihnen hat er beabsichtigt, Karl V. über sein Abenteuer zu unterrichten. Dadurch hat er auch versucht, seine Handlungen zu rechfertigen und eine Apologie seiner Rolle als Eroberungsführer abzubilden. Diese Briefe sind die ersten ausführlichen ethnologischen Daten über die mexikanischen Indigenen in der Geschichte Europas. Baudot, George, Utopia and History in Mexico, The First Chroniclers of Mexican Civilization (1520-1569), University Press of Colorado, Colorado 1995, S. 2ff. Die Dokumente wurden in der Tradition der rhetorischen literarischen Praxis verfasst, die eine Reproduktion der Ereignisse vor den Augen des Lesers zu präsentieren bezweckt. Außerdem konnte sie noch keine wissenschaftliche Distinktion zwischen Wahrheit oder Nicht-Wahrheit bieten. Siehe hierfür Mendiola Mejia, Alfonso, Retórica, Comunicación y Realidad. La Construcción retórica de las Batallas en las Crónicas de la Conquista, UIA, México 2003, insb. S. 115ff. und 249ff. Die Briefe sollten den Leser überzeugen, dass er mit der Hilfe Gottes wie ein Held ethisch und moralisch richtig im Namen des iusta causa von Karl V. agierte. So formuliert es Eberhard Straub: Straub, Eberhard, Das Bellum Iustum des Hernán Cortés, a.a.O. Cortés schrieb nach der üblichen erwartbaren Rhetorik der Zeit und benutzte Zitate der europäischen literarischen Tradition, um

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Geschichte der Eroberung Neu-Spaniens von Bernal Díaz del Castillo;20 3) den Bericht über die Eroberung Mexikos von Fray Francisco de Aguilar21

den Erwartungen seines Publikums gerecht zu werden. Siehe dazu López Grigera, Luisa, La retórica en la España del siglo de Oro, Universidad de Salamanca, Salamanca 1995. 20 | Bernal Díaz del Castillo hat sein Werk um 1568 geschrieben, um dasjenige von Francisco López de Gómara, Historia general de las Indias, zu korrigieren. López de Gómara, Beichtvater von Hernán Cortés, hatte im Jahr 1552 auf Grundlage unterschiedlicher Quellen und ohne selbst in Amerika gewesen zu sein – eine Geschichte über die heroische Rolle von Hernán Cortés bei der Beseitigung der Azteken verfasst. López de Gómara, Francisco, Historia de las Indias y Conquista de México, a.a.O. Studien über dieses Werk fügen noch weitere Motivationen von Díaz del Castillo zur Zusammenstellung dieses Werks hinzu. Zum Beispiel, dass er sich durch die Hervorhebung seiner wichtigen Rolle während der Eroberung wirtschaftliche Benefizien von der spanischen Verwaltung erhofft habe oder dass er dadurch seinen Nachfahren die Überlassung seines Eigentums sichern wollte. Díaz del Castillo hatte den Anspruch, die wahre Geschichte der Eroberung Mexikos zu erzählen. Er rechtfertigt seine Autorität durch seine Anwesenheit bei den Ereignissen. Dieser Bericht unterliegt ebenfalls, wie die Briefe Cortés’, der rhetorischen Tradition als literarische Praxis der moralischen Interpretation der Ereignisse ritterlicher Literatur. Hierzu ausführlich: Leonard, Irving, A., Los Libros del Conquistador, FCE, México 1979. Verschiedene Studien haben außerdem gezeigt, dass Díaz del Castillo Teile Gómaras Werkes für sein Werk vergewendet hat. Siehe hierfür: Alvar, Manuel, El mundo americano de Bernal Díaz del Castillo, Universidad Menendez y Pelayo, Santander 1968; ders. »Bernal Díaz del Castillo«, in: L. Íñigo Madrigal (Hg.): Historia de la Literatura Hispanoamericana, Madrid 1982 (S. 127-134). 21 | Im Bericht von Pater Francisco de Aguilar mischen sich zwei Perspektiven über die Ereignisse. Er nahm an der Eroberung als Soldat teil, jedoch verfasste er seine Erfahrungen als Mönch des dominikanischen Ordens. Aguilar trat im Jahre 1529 mit 50 Jahren bei den Dominikanern ein und diktierte seinen Bericht zwischen 1560 und 1565 mit über 80 Jahren. Dávila Padilla, Agustín (Fray), Historia de la fundación y discurso de la Provincia, de Santiago de México de la orden de predicadores, Ivan de Meerbeque, Brussels 1625. Dieser Bericht definiert die so genannte »Eroberung von Mexiko« als Resultat des Willens des christlichen Gottes und seine Erzählung besitzt eine ausgeprägte religiöse Intentionalität. Das Dokument ist als allgemeine Information zu betrachten, denn sowohl seine Darstellung

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und 4) den Bericht der Eroberung Mexikos von Andrés de Tapia.22 Die Briefe von Cortés bieten Information über die Beobachtungen des Eroberungsführers, die unmittelbar nach den Geschehnissen verfasst wurden. Die Berichte von Andrés de Tapia und Bernal Díaz del Castillo stellen zwei unterschiedliche Beobachtungsstandpunkte innerhalb der Armeehierarchie dar (Tapia war ein vertrauter Kapitän Cortés’ und Bernal Díaz ein einfacher Soldat), die Jahrzehnte nach den Ereignissen verfasst wurden. Der Bericht von Pater Fray Francisco de Aguilar schließlich informiert aus der Sicht eines Mitglieds der katholischen Kirche. Die Berichte von Augenzeugen, die wir ausgeschlossen haben, wurden ebenfalls von Soldaten aufgeschrieben, daher gehen wir davon aus, dass ihre Informationen im Allgemeinen bereits in den Berichten von Tapia und Díaz vorhanden sind.

von Personennamen und Handlungen von Akteuren als auch die Angaben zu geographischen Orten und Ortsnamen sind an mehreren Stellen fehlerhaft. 22 | Andrés de Tapia hat seinen Bericht wahrscheinlich im Jahre 1539 verfasst. Diese Behauptung ist zu finden in: González Ochoa, José María, Quién es quién en la América del descubrimiento, Acento Editorial Madrid, Madrid 2003. Das Dokument wurde ebenfalls nach den Formen der ritterlichen Literatur verfasst, aber mit dem Unterschied, dass es eine Panegyrik Cortés’ als Hauptmann werden sollte. Sein Titel verrät seine Intention: Relación de algunas cosas de las que acaecieron al Muy Ilustre Señor Don Hernando Cortés, Marqués del Valle, desde que se determinó ir a descubrir tierra en la Tierra Firme del mar Océano (Bericht über einige Dinge, die dem hochwohlgeboren Herr Don Hernando Cortés, Marqués del Valle, passiert sind, nachdem er sich entschieden hat, Land in dem Festland des mar Océano zu entdecken). Abgesehen von seiner Subjektivität ist dieser Text für unsere Untersuchung wegen der klaren Organisation seiner Struktur und der zahlreichen Interaktionsanmerkungen relevant. Hierzu ist anzumerken, dass Cortés, Francisco de Aguilar und Bernal Díaz del Castillo die Rolle von Andrés de Tapia in ihren Berichten hervorheben. Dieser Bericht informiert allerdings nicht bis zum Ende der Eroberung: er beginnt mit der Abreise von Cortés aus Kuba nach Mexiko 1519 und endet im Jahr 1520 mit dem Sieg von Cortés über die Strafexpedition von Panfilo de Narváez, die Diego Velázquez aus Kuba gegen den ungehorsamen Cortés organisierte.

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a.2 Bericht Indigener Augenzeugen Das Manuskript 22 ist der älteste von Indigenen verfasste Bericht,23 der über die damaligen Interaktionen aus der Perspektive Indigener Augenzeugen informiert.24 Dieses Dokument ist in Form einer kurzen Zusammenfassung der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse geschrieben und enthält zusätzlich Angaben mit Kommentaren über allgemeine kulturelle Elemente der aztekischen Gesellschaft, den Krieg zwischen Azteken und Spaniern und die Niederlage der Azteken. Dieser Text befindet sich im Mittelpunkt einer Diskussion über seine Datierung und über seinen (bzw. seine) Verfasser, die wir hier auf allgemeine Weise zusammenfassen wollen. James Lockhart behauptet, dass der alte Teil des Dokumentes »probably not before the 1550s or 1560s, surely not before the late 1540s […]« verfasst wurde.25 Im Gegensatz dazu akzeptiert George Baudot das im Manuskript angegebene Datum 152826 als Verfassungsjahr und offeriert zusätzlich eine Vermutung über seinen wahrscheinlichen 23 | »Manuskript 22«, Anales Históricos de la Nación Mexicana, Bibliothèque Nationale, Paris, in: Corpus Codicum Americanorum Medii Aevi, E. Mengin, (facsim), ed., Vol. 2.: Sumptibus Einar Munksgaard, Copenhagen 1945. Spanische Übers.: Manuscrito 22 de la Biblioteca de Paris, redactado en 1528, Relato de la conquista, por un autor anónimo de Tlatelolco. Versión directa del Náhuatl de Angel María Garibay Ed. Porrúa, México 1956 (S. 27-38). Die spanische Übersetzung des Textes werden wir mit der englischen Übersetzung von James Lockhart vergleichen: Lockhart, James, We people here, a.a.O. S. 257-279. 24 | Unter den vergleichbaren späteren Dokumenten kann man folgende zählen: Dibble, Charles, Historia de la nación mexicana (Codex Aubin), Ed. Porrúa, México 1963. Die deutsche Übersetzung dieses Dokuments ist zu finden in: Codex Aubin, Geschichte der Azteken, Codex Aubin und verwandte Dokumente, a.a.O.; Codex Chimalpopoca: Anales de Cuautitlan y Leyenda de los Soles, a.a.O.; Kirchhoff, Paul/Lina Odena Güemes/Luis García Reyes (Hg.), Historia tolteca-chichimeca, Instituto Nacional de Antropología e Historia, México 1976; und der Brief von El Cabildo de Huejotzingo al Rey (1560) in: Anderson, Arthur J.O./Frances Berdan/ James Lockart (Übers. und Hg.), Beyond the Codices, The Nahua View of Colonial Mexico, University of California Press, Berkeley, Ca. 1976. 25 | Vgl. Lockhart, James, We people here, a.a.O., S. 42. 26 | Im Manuskript steht: »ye huecuah mochiuh nican Tlatilulco ypan xihuitl de 1528 años – It was done a long time ago here in Tlatelolco, in the year of 1528.« Baudot, Georges, Utopia and History in Mexico, a.a.O., S. 39, Fußnote 94.

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Autor.27 Für Lockhart scheint es unwahrscheinlich, dass franziskanische Mönche sieben Jahre nach dem Fall des Aztekenreichs bereits so gut Nahuatl gelernt hätten, um eine derart raffinierte Nahuatl-Orthographie zu entwickeln, und fügt hinzu, dass die Vorstellung von Indigenen Schülern, die in einer so kurzen Zeit in der Lage gewesen wären, lange und komplexe Texte zu verfassen, »so improbable as to verge on the ridiculous« ist.28 Weniger umstritten ist dagegen die Wahrscheinlichkeit, dass das Manuskript im Rahmen der franziskanischen Lehre als Produkt ihrer Evangelisierungsarbeit entstanden ist.

b. Das Werk von Fray Bernardino de Sahagún Die Enzyklopädie über die aztekische Gesellschaft des Franziskaners Bernardino de Sahagún, Historia General de las Cosas de Nueva España29 (Allgemeine Geschichte der Sachen Neu-Spaniens), besteht aus zwölf zweisprachige Büchern (Nahuatl-Spanisch) und wurde nach dem Vorbild der Schemata der Organisation von Plinius maior Naturalis Historia (77 n. Chr.), von der Etymologiae (630 n. Chr.) von Sankt Isidor von Sevilla und der Enzyklopädie De proprietatibus rerum (1235 n. Chr.) des Franziskaners Bartolomaeus Anglicus verfasst.30 Sie ist eine scholastische Summa, deren erste drei Bücher von den aztekischen Göttern handeln. Das vierte, fünfte und siebte Buch sind der aztekischen Astrologie und der Wahrsagerei gewidmet. Die Bücher acht, neun und zehn sind den menschlichen Angelegenheiten vorbehalten und das Buch XI betrachtet Themen wie Tieren, Pflanzen und Mineralien. Sahagún setzte eine besondere Methode der Informationssammlung für das Verfassen dieser 27 | Baudot denkt, dass der einzige Indigene, der bereits im Jahre 1528 in der Lage gewesen sein sollte, diesen Bericht zu verfassen, Pablo Nazareo Herr von Xaltoca war. Nazareo soll sehr früh bei den Franziskanen als Lehrling aufgenommen worden sein und schnell in der katholischen Ausbildungstradition dieses Ordens Fortschritte gemacht haben. Ebd., S. 59. 28 | Lockhart, James, We people here, a.a.O., S. 39. 29 | Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O. 30 | Siehe hierzu: Robertson, Donald, »The Sixteenth Century Mexican Encyclopedia of fray Bernardino de Sahagún«, in: Cuadernos de Historia Mundial, Bd. 9, Paris 1966, S. 617-628.

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Bücher ein: Er führte zwischen 1558 und 1559 eine Umfrage durch, um alte Indigene von Tepepuco über ihre durch die Eroberung ausgelöschte Zivilisation zu befragen. Zu diesem Zweck entwickelte er eine ethnologische, historische, philologische und linguistische Untersuchungsmethode. Sahagún arbeitete unter Mithilfe seiner Indigenen Schüler Antonio Valeriano von Azcapotzalco, Alonso Vegerano von Cuauhtitlán, Martín Jacobita von Tlatelolco, Pedro de San Buenaventura und Andrés Leonardo von Tlatelolco. Diese Indigenen hatten die Schule Santa Cruz de Tlatelolco besucht, die am 6. Januar 1536 gegründet worden war, waren dreisprachig (sie beherrschten Latein, Spanisch und Nahuatl) und versiert in der katholischen Lehre der Franziskaner.31 Die zwei restliche Bücher, »[…] mit zuvor gesammelten Materialien [,] haben in diesem Plan eigentlich keinen Platz: Buch VI, eine Sammlung von rituellen Reden [,] und Buch XII, der Bericht über die Eroberung.«32 Für unsere Untersuchung haben wir das zwölfte Buch (den Bericht über die Eroberung) ausgewählt, denn in ihm sind Informationen über die Interaktionsereignisse aus der Perspektive der Indigenen Augenzeugen zu finden.33 Die Informationen für dieses Buch hat Sahagún durch eine ähnliche Untersuchungsmethode gesammelt, jedoch zu einem früheren Zeitpunkt und an einem anderen Ort. Er benutzte die orale Tradition der Indigenen, um die älteren und respektablen Menschen Tlatelolcos, die die Ereignisse der Eroberung selbst erlebt hatten, über ihre Erfahrungen zu befragen. Diese Befragung führte er zwischen 1553 und 1555 durch. Sahagúns Absicht beim Verfassen dieses Buchs war, wie er in einer an den Leser gerichteten Notiz anmerkt, die Konzepte und Worte der Indigenen Kriegsführung 31 | Für mehr Information über Sahagúns Methode siehe: López Austin, Alfredo, »The research method of Bernardino de Sahagún. The questionaries«, a.a.O. (S. 111-149). León-Portilla, Miguel, Bernardino de Sahagún, Pionero de la Antropología, Universidad Nacional Autónoma de México, México 1999. 32 | Todorov, Tzvetan, Die Eroberung Amerikas, a.a.O., S. 276. 33 | Wir verwenden die spanische Übersetzung aus dem Nahuatl von Angel Ma. Garibay Kintana, denn sie ist im Rahmen einer kontrollierten wissenschaftlichen hermeneutischen Analyse entstanden. Historia General de las Cosas de Nueva España escrita por Fr. Bernardino de Sahagún, franciscano, y fundada en la documentación en lengua mexicana recogida por los mismos naturales, a.a.O. Diese Übersetzung werden wir mit der englichen Übersetzung von James Lockhart vergleichen: Lockhart, James, We people here, a.a.O.

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in der Sprache der Eingeborenen bekannt zu geben. Er wollte die Spanier über die Dinge informieren, die sich zwischen den Azteken in Zeiten der Eroberung abgespielt hatten. Das Buch gehört ebenfalls zum Evangelisierungsprogramm für die Indias, das die Franziskaner sich als ihren Beitrag zum »früheren Stattfinden« des Jüngsten Gerichts vorgenommen hatten.34 Sahagúns Enzyklopädie hat im Allgemeinen eine religiöse Absicht. Er erklärt in seinem Vorwort die aztekische Zivilisation als eine Krankheit, die die Seelen der Azteken infiziert habe. Daher solle er, als Seelenarzt, diese Krankheit kennen, um sie mit dem Ziel zu bekämpfen, die Indigenenseelen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Das gesamte Werk wurde in der Version, die heute als Florentinischer Codex bekannt ist, zwischen 1575 und 1577 verfasst und bereits am 22. April 1577 durch einen Erlass König Philips II. zensiert. Das Werk blieb bis 1830 unveröffentlicht.35

II. Theore tische V orbedingungen der U ntersuchung von I nter ak tionsprozessen Die Berichte, die wir ausgewählt haben, informieren darüber, dass die Sprache ein relevantes Medium war, das Azteken und Spanier benutzt haben, um Themen auszuwählen, und sowohl Strategien als auch Vorhaben in ihrer Interaktionen auszuprobieren. Sie informieren aber zugleich darüber, dass weder Azteken noch Spanier die Sprache des fremden Gegenübers verstanden haben. Die Indigenen berichten zum Beispiel: Die Spanier »sind wie diejenige, die eine wilde Sprache sprechen, alles was sie sagen wird in einer wilden Sprache gesagt«.36 Die Spanier ihrerseits 34 | Siehe hierzu: Rozat Dupeyron, Guy, Indios imaginarios e indios reales en los relatos de la conquista de México, Tava Editorial, México 1993; Phelan, John L., The Millenial Kingdom of the Franciscans in the New World, University of California Press, Berkeley, Ca. 1956; Baudot, George, Utopia and History in Mexico, a.a.O.; insb. Kapitel 2: »The Spiritual discovery of Mexico by the Franciscans.« 35 | Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España que en 12 libros y 2 vol. escribió Bernardino de Sahagún, hg. von Carlos María de Bustamante, México 1829-1830. 36 | »Están como quien habla lengua salvaje; todo lo que dicen, en lengua salvaje es.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 101.

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informieren: »Hier sind Indios aus diesem Land gekommen, und unser spanischer Dolmetscher kann sie nicht verstehen, weil diese Sprache eine andere ist als diejenige des Landes, wo er gewesen war […].«37 Aus diesen Quellen ist nicht zu erfahren, ob es zu einer Paralysierung der Kommunikation in der Interaktion kam. Warum war das der Fall? Und vor allem, wie kann man die Widersprüchlichkeit dieser Informationen verstehen? Unserer Meinung nach lässt sich das Rätsel durch drei Faktoren erhellen. 1) In der Interaktion wird die Anwesenheit eines Gegenübers (sein Minenspiel, seine Kleidung, seine Stimme usw.) durch Generalisierung, Bestätigung oder Enttäuschung von sozialen Erwartungen bereits als Information den vorhandenen Strukturen gemäß eingeordnet. Das bedeutet, dass die Kommunikation bereits im Gange ist, bevor das Medium Sprache aktiviert wird. Aus diesem Grund kommt die Kommunikation nie zum Erliegen, solange das soziale System Interaktion besteht.38 2) In den Interaktionen zwischen Azteken und Spaniern wurde die Vorstellung der Möglichkeit der »Übersetzbarkeit« durch die Aktivitäten von Jerónimo de Aguilar (Spanisch-Maya) und Malitzin (Maya-Nahuatl)39, die an37 | »Aquí vinieron indios de aquella tierra a le hablar, y nuestro español interprete no los entiende, porque es la lengua muy diferente de la donde él habie estado; […].« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 36. 38 | Informationen über die theoretischen Voraussetzungen dieser Behauptungen sind zu finden in: Luhmann, Niklas, »Einfache Sozialsysteme«, a.a.O. 39 | Jerónimo de Aguilar hat nach einem Schiffbruch acht Jahre bei den Maya verbracht und ihre Sprache gelernt. Er wurde von Cortés »gerettet« und schloss sich als Dolmetscher der Expedition an. Der Bericht von Andrés de Tapia informiert, dass Cortés ihn sofort als Dolmetscher eingesetzt hat: »Der Marqués [Cortés] hat sich sehr über die Ankunft dieses Spaniers gefreut, der als Dolmetscher eingesetzt wurde, mit ihm hat er die Indios, die auf der Insel lebten, gerufen und gesagt, ermahnt und darum gebeten, ihre Idole nieder zu reißen.« »El señor marqués se holgó mucho con este español, el cual servía de intérprete, y con el hizo llamar los indios de la isla, y les predicó y hizo amonestaciones, y les rogo que derribasen a sus ídolos […]«. Ebd., S. 31. Die Nahuatl-Dolmetscherin war Malitzin, eine der zwanzig Sklavinnen, die Cortés von den Indigenen im heutigen Tabasco geschenkt bekommen hat. Cortés berichtet über sie wie folgt: »[D]ie Dolmetscherin [Zunge], die ich habe, ist eine India dieses Landes, die ich in Potonchán bekommen habe […].« »[L]a lengua que yo tengo que es una india de esta tierra que hube en Potonchán […].« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«,

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geblichen Dolmetscher, generiert. Die Tatsache, dass diese Dolmetscher wahrscheinlich nur ein reduziertes Übersetzungsspektrum erreichen konnten, war für die Fortsetzung der Kommunikation irrelevant, denn sowohl Azteken als auch Spaniern reichte der Anschein der Übersetzbarkeitsvorstellung, um Informationen anhand ihrer Erwartungen einzuordnen. 3) Im Laufe der Fortsetzung der Interaktionsprozesse haben beide Gesellschaften durch die Akkumulation von Wissen als Erfahrung mehr Informationen zur Verfügung gehabt, um die Vorstellung von Übersetzbarkeit zu verstärken und um die Generalisierung ihrer Erwartungen zu spezifizieren. Die Informationen über die Interaktionen, die wir untersuchen möchten, wurden, wie erwähnt, in schriftlicher Form überliefert. Sie standen sinnförmig zuerst als Verstehen in der Interaktion und dann als schriftliche Mitteilung. Aus diesem Grund kann man sagen, dass sie das Produkt von zwei Distinktionen sind: Bewusstsein/Kommunikation und Schrift/ Kommunikation.40 In diesem Kapitel beabsichtigen wir, dieses Informationsprodukt systemtheoretisch zu untersuchen. Dafür werden wir ein Modell zur Erforschung von Interaktionsprozessen einsetzen, das uns helfen kann, die Informationen über die Akkumulation von Erwartungsenttäuschungen und Negationen in diesen schriftlichen Berichten zu fokussieren. Wir beabsichtigen die Übergangssemantik aus den Augenzeugenberichten herauszufiltern, um durch ihre Analyse zu zeigen, wie sie im Kontext rekursiver Interaktionsprozesse als Irritation soziale Transformationen (soziale Evolution) ausgelöst hat. Die Übergangssemantik ist eine Semantik, »deren eigene Funktion dadurch bedingt ist, dass sie noch nicht alles weiß. Sie sucht und ermöglicht Traditionsschlüsse, die eine Weile vorhalten, sich dann aber als entbehrlich erweisen.«41 Durch ihre a.a.O., S. 36. Malitzin wurde nach ihrer Bekehrung zum Christentum »Doña Marina« genannt. Bernal Díaz del Castillo nennt beide Dolmetscher in seiner Erzählung »nuestras lenguas« (unsere Zungen). Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O. 40 | Ausführliche Informationen zu diesen Distinktionen sind zu finden in: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O. 41 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993, (S. 72-161) S. 83.

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Fokussierung werden wir sowohl die semantischen Neuerungen erforschen, die sie schrittweise ermöglicht hat, als auch die Variation der spanischen und Indigenen Traditionszusammenhänge untersuchen, die sie eingeleitet hat und die die Verfasser der Berichte noch nicht überblicken konnten.42 Letzteres fasst unser Vorhaben für dieses Kapitel zusammen. Jedoch ist die Erklärungskapazität eines solchen Modells keine Selbstverständlichkeit. Die Beobachtung, die dadurch ermöglicht wird, basiert auf unterschiedlichen theoretischen Segmenten, die einer Erklärung bedürfen, damit man ihre Erkenntnisvorteile feststellen kann.

a. Theoretischer Rahmen zur Konstruktion eines Modells der Interaktionsprozesse Die Systemtheorie definiert die Interaktion als eine Kommunikationssequenz, die mit dem Verstehen von Ego zu Ende geht,43 und dadurch zugleich eine neue Sequenz initiiert. Denn durch diese Beendigung geriet Ego in den Zwang Alter über sein Verstehen bzw. Nicht-Verstehen durch eine neue Mitteilung zu informieren usw.44 Wir gehen davon aus, dass Informationen über dieses rekursive Verstehen in den von uns ausgewählten Berichten vorliegen. Wir denken ebenfalls, dass sie als ex post schriftliche Fixierung die Selektion eines Überschusses an Informationen über das Erleben und die Handlung der Augenzeugen sind. Ihre Autoren konnten nicht über die Totalität der von ihnen wahrgenommenen Ereignisse schreiben. Sie waren zur Selektion gezwungen, und diese Selektionen erfolgten in ihrer schriftlichen Mitteilung einerseits durch ihre gesellschaftlichen Erwartungen und andererseits als Produkt der Kontingenz, denn Selektionen sind weder als Notwendigkeit noch als Produkt reinen Zufalls aufzufassen. Wir definieren diese Berichte ebenfalls als Kommunikationen, die durch einen Überschuss an schriftlichen Informationen von Augenzeu42 | Siehe ein Beispiel dieses Phänomens der Semantiktransformation am Beispiel der französischen Oberschicht in: ebd., S. 84. 43 | Über die Sinnförmigkeit dieses Verstehens Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O. 44 | So Luhmann: »Jeder Sinn enthält damit eine Art Anschließbarkeitsgarantie für weiteres Erleben und Handeln und eine Garantie für Rekurrenz, für Rückkehr zu ihm selbst nach Durchlaufen anderer Sinngehalte.« Ebd., S. 17.

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gen konstituiert sind. Daher sehen wir uns gezwungen, auch mit einer Selektion ihres Informationsangebots zu arbeiten, denn ihre Totalität ist für unser Vorhaben irrelevant. Die Auswahl, die wir bezüglich dieses Informationsangebots getroffen haben und auf der unser Modell von Interaktionsprozessen basiert, ist, wie erwähnt, die Übergangssemantik. Die Entscheidung diese Semantik zu fokussieren, ist dadurch zu erklären, dass ihr Informationsinhalt durch Sedimente konstituiert ist, deren Beobachtung vorübergehende, variierende, semantische Transformationen deutlich erkennen lässt. Das bedeutet, dass sie über die rekursiven Prozesse des Verstehens der Azteken und der Spanier informiert, die die autopoietische Operationslogik ihrer Informationseinordnungsmechanismen zeigen. Unserer Ansicht nach verdeutlicht sie die Momente der Enttäuschung kommunikativer Erwartungen, der Ablehnungen von kommunikativen Angeboten und der Anwendung von bekannten Konzepten zur Beschreibung unbekannter Objekte oder Vorgänge, die uns ermöglichen werden, die Grenzen der spanischen und Indigenen Möglichkeiten von Informationseinordnung in der Interaktion abzulesen.45 Durch diese Selektion erhoffen wir uns ebenfalls, eine Beobachtungsmöglichkeit aufzubauen, die uns helfen wird, »die Illusion der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« zu unterbrechen, die die schriftliche Kommunikation erzeugt.46

45 | Wir verwenden unsere Quellen nach einem zeitlichen Prinzip, um von den Informationssedimenten dieser Semantik zu profitieren: Die Informationen, deren Niederschrift näher an den Ereignissen liegen, werden wir als Basis unserer Untersuchung verwenden und werden dann wir die anderen allmählich nach dem gleichen Prinzip in Betracht ziehen. Denn die Berichte, deren Verfasser mehr Reflexionszeit zur Bearbeitung ihres Verstehens hatten und dadurch mehr Wissen über den Kontext, die Rationalität und Relationalität der Interaktionen akkumulieren konnten, entfernen sich von einer sehr relevanten operativen Vorbedingung der Übergangssemantik, nämlich dass die noch nicht alles über die Ereignisse mitteilt, über die sie informiert. 46 | Die schriftliche Form einer Mitteilung entkoppelt die operative Gleichzeitigkeit der Kommunikation, weil die Zeitdistanz zwischen Mitteilung und Verstehen an unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden kann – anders als in der Interaktion z.B. durch die mündliche Kommunikation. Die »Schrift erzeugt eine neuartige Präsenz von Zeit, nämlich die Illusion der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«. Un-

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Die Funktion der Interaktion in den Prozessen sozialer Transformation (soziale Evolution) wird in der Systemtheorie durch den dreiteiligen Prozess rekursiver und unstabiler Stabilität von Variation, Selektion und Restabilisierung erklärt. In der Interaktion werden Transformationsprozesse durch sich wiederholende Enttäuschungen von Erwartungen und Negationen in Gang gesetzt, weil sie die Reproduktion gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten bedrohen. Wenn die Stabilität eines Systems in Frage gestellt wird, dann muss es seine Strukturen überprüfen, um notfalls neue Strukturselektionen einzuführen, sonst kann das System »den Zugriff auf die Realität [verlieren]«.47 Wenn die Prozesse der Abweichungsverstärkungen von Informationen steigen, wenn also 1) eine Variation von Elementen der Kommunikation durch Irritations- und Negationsinformationen stattfindet, reagiert die Gesellschaft mit einer Strategie, die die Wahrscheinlichkeit ihrer Reproduktion erhöht: Sie führt 2) eine Selektion ihrer Strukturen durch, die Strukturauf bauwert verspricht und die für wiederholte Verwendung geeignet ist, um 3) ihre Restabilisierung zu erreichen.48 Dabei ist zu betonen, dass jede Restabilisierung neue Irritationen generiert, die neue Variationen initiieren, die wiederum neue Strukturselektionen erfordern, die ausprobiert werden müssen, um neue Restabilisierungen zu erreichen usw. Dies mit der zusätzlichen Folge, dass dadurch sich ebenfalls die sozialen, zeitlichen und sachlichen Schematismen zur Sinnverarbeitung in der Interaktion transformieren.49 sere Quellen erzeugen, als schriftliche Mitteilungen, selbstverständlich auch diese »Illusion«. Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 265. 47 | Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 22. 48 | Für eine ausführliche Betrachtung der systemtheoretischen Auffassung sozialer Evolution siehe: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 454ff. Die Frage, die Luhmann hierfür stellt, lautet: Wie erreicht und behält die Gesellschaft ihre Stabilität in einem kontingenten sozialen Kontext? 49 | 1) Den soziale Schematismus definiert man anhand der Distinktion Alter/ Ego. Er signalisiert Bezüge, Zurechnungen, Autorschaften, Kausalitäten oder Intentionen der Interagierenden. Dabei geht es nicht um die Menschen, sondern um die Relationalität zwischen ihnen, um die Irritationskommunikationen, die sie erzeugen. 2) Der zeitliche Schematismus arbeitet durch die Distinktion vorher/ nachher, diese Distinktion ermöglicht der Interaktion zwischen Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden. Durch sie gelingt es ihr eine zeitliche Ordnung zu defi-

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Schematismen, die in der Interaktion Probleme zu lösen haben wie: Was für ein Thema wird aufgenommen? Warum jetzt und nicht später? Warum wird ein Thema auf diese Weise und nicht anders betrachtet? Wer soll sprechen? Wer soll schweigen? Wer unterbricht das Gespräch oder die Gesprächspause? Wer lehnt eine Information oder ein Angebot ab?50 Die Interaktion ist das soziale Feld, in dem ohne weitere Konsequenzen die Gesellschaft erwartete oder unerwartete Informationen und Irritationen ausprobiert, kombiniert, akzeptiert oder negiert.51 Dadurch gewinnt sie an Stabilität, denn nicht alles was in der Interaktion geschieht, wirkt sich auf ihre Strukturen aus: Keine einzelne Irritation (Variation) kann die Evolution der Gesellschaft verursachen. Unser Modell von Interaktionsprozessen kann systemtheoretisch als eine Beobachtung zweiter Ordnung definiert werden, deren Ziel es ist, die unterschiedlichen Problemlösungen und die Prozesse der Wissensakkumulation zu zeigen, die Azteken und Spanier im Rahmen einer Irritationsspirale in Interaktionssituationen produziert haben, um die Unwahrscheinlichkeit der operativen Fortsetzung ihrer Kommunikationen in Wahrscheinlichkeit zu verwandeln. Das bedeutet, dass wir es als Seismograph einsetzen möchten, um Transformationen von Gesellschaftsstrukturen und Semantik zu erforschen. nieren, wodurch sie ihre zeitliche Direktionalität gewinnt. Darüber hinaus kann die Interaktion z.B. zwischen Themen, Ursachen und Zwecken differenzieren. Hinzu kommt, dass sie die Distinktion konstant/variabel verwendet, um Parameter zu erzeugen, die als Hintergrund von Änderungen oder Konstanten seiner Operationen fungieren sollen. 3) Der sachliche Schematismus koordiniert die Selektionen der Themen, die mittels der Distinktion externaler oder internaler Zurechnung von Handlung und Erleben auszuwälen sind. Siehe ausführlicher hierzu: Luhmann, Niklas, »Schematismen der Interaktion«, a.a.O. 50 | Die Schematismen ermöglichen sowohl die Operation der Interaktion als auch ihre Umweltkopplung. Gesetzt den Fall, dass die Schematismen zur Fortsetzung ihrer Sinnprozessierung mehr Kontingenz als erwartet verarbeiten müssen, dann müssen sie sich rekursiv bemühen, die »Anomie zu beseitigen und ordentlichen Sinn, regulär verwendbaren Sinn, typifizierten Sinn zu ermitteln«. Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 18. 51 | Die Interaktion kann, so Luhmann »[…] mit allen möglichen Absonderlichkeiten experimentieren, weil sie sicher sein kann, dass die Gesellschaft ohnehin fortbesteht«. Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 478.

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b. Einführung des Modells zur Untersuchung von Interaktionsprozessen Die Systemtheorie definiert soziale Evolution als einen rekursiven Gradualisierungsvorgang dynamischer Stabilität, der soziale Systeme mit Abweichungen ihrer Erwartungen konfrontiert. Für sie findet Evolution nicht als abrupter Sprung statt – hierbei sind Prozesse der Gewaltanwendung eingeschlossen.52 Nach ihrer Auffassung nimmt soziale Evolution viel Zeit in Anspruch, um Strukturen auszuprobieren, zu selektieren oder zu vergessen. Wenn man davon ausgeht, dass soziale Evolution durch rekursive Kommunikationsprozesse entsteht, dann kann man versuchen, diese Evolution durch die Einführung einer zeitlichen Variablen zu erforschen, um die unterschiedlichen Strukturselektionen und ihre Folgen zu erkennen, die in unterschiedlichen Momenten der Irritationsspirale entstanden sind. Dadurch kann man sie analytisch festhalten, um ihre Unterschiede vergleichsweise von Moment zu Moment zu verdeutlichen. Das ist das Ziel unseres Modells der Interaktionsprozesse: Wir setzen es ein, um vier Perioden von Interaktionsprozessen zu unterscheiden, um zu zeigen, wie sich die Bestätigung und Enttäuschung sozialer Erwartungen der Azteken und der Spanier von Periode zu Periode transformiert haben. Die Perioden von Interaktionsprozessen, mit denen wir arbeiten werden, sind: 1) Der Interaktionsprozess der Erwartungsbestätigung (von den ersten Begegnungen bis zum 8. November 1519). Eine Interaktionszeit mit geringem Irritationspotential für beide Gesellschaften. 2) Der Interaktionsprozess der steigernden asymmetrischen Erwartungsenttäuschung (vom Anfang des Aufenthaltes der Spanier in Tenochtitlan bis zum Beginn des Krieges zwischen Azteken und Spanier – 8 November 1519 bis Mai 1520). Eine Interaktionszeit mit beschränktem Irritationspotential für die Spanier und mit zunehmendem Irritationspotential für die Indigenen. 52 | Wir beabsichtigen nicht, die Auswirkung der Gewalt in Prozessen sozialer Evolution zu minimieren, oder die Grausamkeit kolonialer Gewalt zu verharmlosen. Wir wollen vielmehr nach den kommunikativen Optionen vor, während und nach der Gewaltanwendung fragen, um ihre Transformationseffekte besser zu fokussieren und zu begrenzen. Denn wir gehen davon aus, zusammen mit der Systemtheorie, dass die Evolution der Gesellschaft nicht nur durch Gewaltanwendung stattfinden kann. Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, a.a.O.

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3) Der Interaktionsprozess der Symmetrisierung der Erwartungsenttäuschung durch Gewaltanwendung (vom Ausbruch des Kriegs bis zur Kapitulation der Azteken – Mai 1520 bis zum 13. August 1521). Ein Interaktionsprozess mit hohem Irritationspotential für beide Gesellschaften. 4) Der Interaktionsprozess der Reasymmetrisierung der Erwartungsenttäuschung (ab der Kapitulation der Azteken am 13. August 1521). Ein Interaktionsprozess mit hohem Irritationspotential für die Indigenen und mit geringem Irritationspotential für die Spanier. Die These, die wir durch die Applizierung unseres Modells überprüfen möchten, lautet: Die ersten Interaktionen zwischen Indigenen und Spanier waren Interaktionen mit einem geringen Irritationspotential für beide Seiten, denn beiden Gesellschaften gelang es, ihre Erwartungen zu generalisieren, wodurch sie sie bestätigen konnten. Das bedeutet, dass die jeweiligen Gesellschaftsstrukturen und Semantiken in der ersten Periode von Interaktionsprozessen keiner hohen Irritation ausgesetzt waren. Im Gegensatz dazu war die letzte Interaktionsperiode eine Zeit mit hohem Irritationspotential für die Indigenen und mit niedrigem Irritationspotential für die Spanier. Die Indigenen sahen sich gezwungen, die Erwartungen der spanischen sozialen Welt zu akzeptieren und zu erlernen. Zugleich sahen die Spanier ihr Weltbild bestätigt und konnten ihre Gesellschaftsstrukturen und Semantik einsetzen. Aus diesem Prozess ist eine Asymmetrisierung der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen beiden Gesellschaften entstanden, die als der Ursprung des Auf baus einer stratifizierten sozialen Ordnung mit einer Indigenen Unterschicht zu definieren ist.53

53 | Dies bedeutet nicht, dass alle Plausibilitäten und Evidenzen der Indigenen Gesellschaft im Laufe einer kurzen Zeit ausgelöscht wurden, und auch nicht, dass die Indigenen sich innerhalb einer Generation vollkommen europäisiert haben. Über die Temporalität dieser Transformation siehe: Lockhart, James, The Nahuas after the conquest, a.a.O.; ders., We people here, a.a.O.

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III. E rste P eriode der I nter ak tionsprozesse : I nter ak tionen der E rwartungsbestätigung (von den ersten B egegnungen bis zur A nkunf t der S panier in die S tadt der A z teken am 8. N ovember 1519) Wir gehen davon aus, dass in dieser Periode Azteken und Spanier versucht haben, ihre strukturellen und semantischen Erwartungen stets zu bestätigen. Die Azteken konstruierten ihre lebendigen Gottheiten: Die Berichte informieren, dass die Azteken alle Mitglieder der spanischen Expedition als Menschen-Götter wahrgenommen haben, »[…] sie [die Spanier] wurden als ›aus dem Himmel gekommenen Götter‹ bezeichnet. Und die schwarzen Menschen wurden ›schmutzige Heilige‹ genannt«.54 Die Spanier ihrerseits nahmen die Indigenen als Untergebene der spanischen Krone wahr und handelten dementsprechend: »[D]er Kapitän [Cortés] gab den Befehl sie [Motecuhzomas Botschafter] festzunehmen, sie wurden mit den Fußschellen und Halsschellen aus Eisen gefesselt. Dann wurde die große Kanone abgefeuert und sie [die Botschafter] sind ohnmächtig umgefallen […] [Cortés fügte später hinzu] ›Ich habe gehört, […] dass die Mexikaner [die Mexikas] sehr kräftig und mächtig sein sollen […] Aus diesem Grund möchte mein Herz jetzt erfahren, ob es tatsächlich so ist.‹ […] Dann haben sie ihnen Schilde aus Leder, Schwerter und Speere gereicht. Und er hat auch gesagt: ›Morgen früh werden wir miteinander kämpfen‹.« 55

Azteken und Spanier gingen von der Richtigkeit ihrer Fremdbeschreibungen aus, und auf dieser Basis haben sie ihre Gesprächsthemen und ihre 54 | »[…] fueron designados como ›Dioses venidos del cielo‹. Y cuanto a los negros, fueron dichos ›divinos sucios‹«. Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 94. 55 | »[D]io órdenes el capitán […] en consecuencia, fueron atados; les pusieron hierros en los pies y en el cuello. Hecho eso, dispararon el cañon grande. Y en este momento los enviados perdieron el juicio, quedaron desmayados […] [Cortés dijo] ›He sabido, […] que dizque aquellos mexicanos [mexicas] son muy fuertes, […] Pues ahora mi corazón quiere quedar convencido.‹ […] Les dió en seguida escudos de cuero, espadas y lanzas. Y además dijo: ›Muy tempranito, al alba se hará: vamos a contender unos con otros‹.« Ebd., S. 90.

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Planung von Handlungsstrategien selektiert. Jedoch sind im Laufe ihrer Interaktionen Abweichungen aufgetreten, die ihre Erwartungen diesbezüglich mehr oder weniger irritiert haben. Die Azteken stellten fest, dass die Spanier nicht handelten, wie es ihren Gottheiten vorgeschrieben war. Sie nahmen wahr, dass sie überraschende und abweichende Handlungen durchführten. Aus diesem Grund war für sie deren Willen intransparent. In ihren Interaktionen mit diesen Gottheiten nahmen die Azteken die doppelte Kontingenz zur Kenntnis, die ihren Gottheiten eigentlich nicht zuzuschreiben war: »[D]ann sind wir [die Spanier] aufgestiegen, wir waren mehr als fünfzig Soldaten, und wir haben sie [die Idole der Indigenen] niedergerissen, […] sie sahen wie schreckliche Drachen aus, […] die einen an etwas Böses erinnerten. [Cortés sagte den Indios, dass] sie keine Idole mehr haben sollen, er wolle ihnen eine große Herrin hinterlassen, diese Herrin ist die Mutter unseres Herrn Jesus Christus […] er befahl die Blutkrusten in den Tempel zu entfernen […] und wir haben einen guten Altar mit guten Stoffen eingerichtet und er hat viele Rosen bestellt. Er befahl vier [Indigenen] Priestern auf den Altar aufzupassen, dafür sollten sie sich zuerst die Haare schneiden lassen […] und ihre schmutzige Kleidung in weiße Stoffe umtauschen […].« 56

Die strukturellen und semantischen Elemente, die die Indigenen zur Neutralisierung doppelter Kontingenz der als Gottheiten konstruierten Menschen verwendeten, erwiesen sich zunächst als nutzlos, um das Verhalten der Spanier als Gottheiten einzuordnen. Im Gegensatz dazu wurden die Erwartungen der Spanier bezüglich ihrer Fremdbeschreibung »Untergebene der spanischen Krone und des 56 | »[S]ubimos sobre cincuenta soldados y los derrocamos, y vienen rodando aquellos sus ídolos hechos pedazos, y eran de manera de dragones espantables, […] y de malas semejanzas. [Y cortes les dijo] que no habían de tener más ídolos, que él les quiere dejar una gran señora, que es madre de Nuestro Señor Jesucristo, […] y mandó que quitasen las costras de sangre que estaban en aquellos cúes […] y se hizo un altar con buenas mantas; y mando traer muchas rosas. Y para que tuviesen cuidado de ello, apercibió a cuatro papas que se trasquilasen el cabello […] y que se vistiesen mantas blancas y se quitasen las que traían, y que seimpre anduviesen limpios y que sirviesen a Nuestra Señora […].« Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 88­- 89.

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Papstes« nicht enttäuscht. Denn jede Form Indigener Ablehnung bedeutete zugleich für sie die Bestätigung dieser Fremdbeschreibung, aber mit einem asymmetrischen Zusatz: Die Indigene waren dadurch als Untergebene »ohne Ansprüche auf Freiheit und Eigentum« zu definieren. Die Spanier nahmen zahlreiche solcher Irritationen wahr, denn sie mussten auf ihrem Marsch zur Hauptstadt der Azteken ihre kriegerische Leistung gegen mehrere mexikanische Indigene Völker beweisen.57 Unsere Berichte informieren über mehrere Schlachten, die ausgelöst wurden, weil die Indigenen zum Beispiel behaupteten, dass »Motezuma hier Herrscher der Welt [sei]«.58 Die Bestätigung der spanischen Erwartungen zeigt, dass die Mechanismen, die die spanische Gesellschaft angewendet hat, um die doppelte Kontingenz in ihren Interaktionen mit den Indigenen zu asymmtrisieren, effizienter als die der Azteken war, um Irritationen solcher Art zu verarbeiten. Deswegen ist die Möglichkeit der Enttäuschung der spanischen Erwartungen nicht an dieser Stelle des Interaktionsverlaufs mit den Indigenen zu suchen. Sie lassen sich eher in ihrer Vorstellung der eventuellen Niederlage finden, die, wie sie wussten, die Indigene ihnen während der Ausübung ihres durch das Requerimiento legitimierten gerechten Krieges bereiten könnten. Cortés berichtet über diese Angst wie folgt: »[H]iermit möchte ich Eurer Majestät bestätigen, dass wir alle viel Angst hatten, weil wir uns tief in einem dicht bewohntem Land wussten, ohne die Möglichkeit, Hilfe von irgendjemandem von irgendwoher zu bekommen.« 59

Der Ausgang einer Schlacht war weder für Indigene noch für Spanier bekannt. Daher generierte ein solches Gewaltereignis, solange es unentschieden blieb, ein hohes Maß an Irritation für die Spanier. Dies war

57 | Siehe hierzu Mendiola Mejia, Alfonso, Retórica, Comunicación y Realidad, a.a.O., 58 | »[…] queriendo decir que allí [Motezuma] era señor del mundo«. Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 28. 59 | »[…] porque certifico a su majestad que no había tal de nosotros que no tuviese mucho temor por nos ver tan dentro en la tierra y entre tanta y tal gente y tan sin esperanzas de socorro de ninguna parte«. Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 32.

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selbstverständlich nicht nur für die Spanier der Fall, die Indigenen waren ebenfalls dieser Art Irritation ausgesetzt.60

a. Generalisierung von Erwartungen Azteken und Spanier konnten die Irritationen aus ihren Interaktionen nicht ignorieren. Daher waren sie gezwungen, einen Mechanismus einzusetzen, um sie mit Effizienz zu verarbeiten. Hierfür haben sie ihre Erwartungen generalisiert: »[Ein] System übernimmt das Risiko der Generalisierung, die Unsicherheit des nicht voll Bestimmten, und erkauft sich damit die Möglichkeit, Ungleiches gleich und Gleiches ungleich zu behandeln […].«61 Hierbei trug zum Beispiel die Vorstellung der Möglichkeit der »Übersetzbarkeit« durch die Aktivitäten von Jerónimo de Aguilar und Malitzin dazu bei, diese Generalisierung zu unterstützen. Dieser Anschein war ein geeigneter Mechanismus, um die Wege offen zu halten, die zur Generalisierung und Bestätigung der Erwartungen führen sollten. Die Indigenen haben durch die Generalisierung ihrer Erwartungen versucht zu erklären, warum die Spanier kein menschliches Blut trinken und kein menschliches Fleisch essen wollten. Hierfür haben sie ein zusätzliches Element ihrer Mythologie verwendet: Sie benutzten die Vorstellung der Gottheit Quetzalcoatl in einer Auffassung, die die Opferung von Menschen verboten hatte: »Wenn du ein Gott bist von denen, die Blut und Fleisch essen, dann iss diese Indios, dass wir dir mehr bringen werden; wenn du ein guter Gott bist, da gibt es Weihrauch und Feder […].«62 Die Spanier ihrerseits haben die christliche Theodizee eingesetzt, um die Enttäuschung ihrer Niederlagen zu verarbeiten: »Hier ist noch zu erzählen, dass Hernando Cortés und die wenigen Soldaten […] sehr hochmütig marschierten, ohne sich bei Gott zu bedanken, […] aus diesem

60 | Im zweiten Interaktionsprozess unseres Modells kehren wir zur Thematik der Gewaltanwendung zurück. 61 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 446. 62 | »Si eres dios de los que comen sangre e carne, cómete estos indios, e traerte hemos más; e si eres dios bueno, ves aquí encienso e plumas […].« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 48.

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Grund wurden wir sehr hart bestraft, obwohl nicht so hart, dass wir für immer verloren gehen mussten […].« 63

Die animistische Religion der Indigenen war nicht mit einer solchen Theodizee ausgestattet. Aus diesem Grund konnten sie nicht so erfolgreich (wie die Spanier) die Enttäuschungen verarbeiten, die durch kriegerische Niederlagen entstanden. Die besiegten Tlaxkalteken formulierten vor den Spanier ihre Enttäuschung wie folgt: »Wir haben alles getan, um dich und deine Gefährten zu töten, aber unsere Götter haben uns nicht geholfen, dich zu beseitigen; dafür sind sie nicht nützlich; daher haben wir uns entschieden, deine Freunde und deine Diener zu werden […].« 64

Das verursachte die Entstehung einer zusätzlichen Form der Asymmetrie der Kapazität zwischen Spaniern und Indigenen Völkern, um effizient Negationen und Enttäuschungen zu prozessieren, oder sogar, um von ihnen zu profitieren. Angesichts der andauernden Enttäuschung ihrer Erwartungen waren die Indigene gezwungen, die Kohärenz ihrer Fremdbeschreibung mit ihren Erfahrungen zu überprüfen, um dann nach den Möglichkeiten ihrer Informationseinordnungskapazität zu reagieren. Motecuhzoma wollte die Spanier von seiner Stadt fernhalten. Jedoch lehnten sie seine Angebote und Befehle ab und marschierten auf die Stadt zu. Daher musste er die Macht der Spanier ausloten, um zu versuchen, sie unter Kontrolle zu bringen. Aus diesem Grund erteilte er aztekischen Zauberern und Hexern den Befehl, diese Gottheiten auf ihrem Weg nach Tenochtitlan zu treffen, um Unheil über sie zu bringen: »Vielleicht könnten diese Hexer einen bösen Wind oder Geschwüre, offene Wunden oder etwas Ähnliches an den Spanier verursachen. Es könnte vielleicht auch 63 | »Es de saber que como hernando cortés y los pocos soldados […] iban muy soberbios, no atribuyendo a Dios gracias […] nos castigo muy severamente aunque del todo no nos quiso perder […].« Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 86. 64 | »Hecho hemos nuestro poder por te matar, e tus compañeros, e nuestros dioses no valen nada para nos ayudar contra ti; determinamos deser tus amigos y te servir […].« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 51.

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sein, dass sie sie mit langen magischen Worten verhexen und dass sie dadurch vielleicht erkranken oder sterben oder vielleicht zurück zu ihrem ursprünglichen Ort kehren würden.« 65

Jedoch erwiesen sich die magischen Strategien der Azteken als unwirksam. Auf der anderen Seite waren die religiösen Gewohnheiten der Indigenen für die Spanier eine teuflische Zumutung, die ihre Handlung rechtfertigte: »[U]nd jeden Tag haben sie drei oder vier oder fünf Indios geopfert, und die Herzen boten sie ihren Götter an, und das Blut schmierten sie auf die Wände, und sie schnitten ihnen die Beine, Arme und Oberschenkeln ab, und aßen sie, wie das Kuhfleisch, das man aus der Fleischerei holt […].« 66

Hinzu kam, dass die militärische Überlegenheit der Spanier in der Regel die Schlachten gegen die Indigenen auf ihrem Weg nach Tenochtitlan für sie entschied. Dadurch sahen sie ihre Erwartungen und die Richtigkeit ihres Ziels bestätigt: »Und weil wir eine Flagge mit dem Kreuz mit uns gehabt haben und für unseren Glauben gekämpft haben und Eurer Majestät dienen wollten, hat uns Gott geholfen den Sieg zu erreichen, denn wir haben viele Feinde umgebracht, ohne dass wir einen Verlust erlitten haben.« 67 65 | »Pudiera ser que les soplaran algún aíre, o les echaran algunas llagas, o bien alguna cosa por este estilo les produjeran. O también, pudiera ser que con alguna palabra de encantamiento les hablaran largamente, y que con ella tal vez enfermaran, o se murieran, o acaso se regresaran a donde habían venido.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 95. 66 | »[Y] cada día sacrificaban delante de nosotros tres o cuatro o cinco indios, y los corazones ofrecían a sus ídolos, y la sangre pegaban por las paredes, y cortábanles las piernas y los brazos y los muslos, y lo comían como vaca que se trae de las carnicerias […].« Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 86-87. 67 | »Y como traíamos la bandera de la cruz, y pugnabamos por nuestra fe y por servicio de vuestra sacra majestad en su muy realventura, nos dió Dios tanta victoria que les matamos mucha gente sin que los nuestros recibiesen daño.« Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 31.

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Azteken und Spanier stellten von Interaktion zu Interaktion fest, welche ihrer Strategien und Ziele konstant bleiben konnten und welche verändert werden mussten. Die Spanier erfuhren zum Beispiel über die Streitigkeiten zwischen den unterschiedlichen Indigenen Völkern und dem aztekischen Reich und benutzten dieses erworbene Wissen, um Themen auszuwählen, die man als den Einsatz von Täuschungsmanöver definieren kann: »Ich war erfreut, als ich über die Unstimmigkeiten und Streitigkeiten zwischen ihnen erfuhr, denn ich habe gedacht, dass ich davon profitieren könnte, um sie zu unterjochen […] und ich sprach im Geheimen in Abwechslung mit dem einen und mit dem anderen und jedem versprach ich mehr Vertrauen, Glaubwürdigkeit und ›Freundschaft‹ als dem Anderen.« 68

Die Spanier übten mit Erfolg Gewalt gegen die Indigenen aus und waren mit ihrer Fremdbeschreibung und Theodizee gut ausgerüstet, um die Enttäuschungen ihrer Erwartungen zu verarbeiten. Daher hatten sie keinen Grund, ihre Strategie zu ändern: Sie führten in jeder ersten Interaktion mit den Indigenen, von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt, das Verfahren des Requerimientos durch.69 68 | »Vista la discordia y desconformidad de los unos y de los otros, no hube poco placer, porque me pareció hacer mucho a mi propósito, y que podría tener manere de más aína sojuzgarlos […] y con los unos y con los otros meneaba y a cada uno en secreto le agradecía el aviso que me daba, y le daba crédito de más amistad que al otro.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 34. 69 | Der erste Brief der Regierung Rica Villa de la Vera Cruz an Karl V. berichtet über die Durchführung des Requerimientos in einer der ersten Interaktionen mit Indigenen auf der mexikanischen Insel Cozumel: »Der Kapitän sprach, durch den Dolmetscher, mit ihnen [den Indios] und erklärte, dass seine Absicht war die Caciques und Indios zu überzeugen, sich Euren Hoheiten zu unterwerfen, denn dadurch würden sie viele Vorteile uns gegenüber gewinnen […].« »El capitán le habló con el intérprete, y les dijo que quería de ellos, no era otra cosa sino que los caciques e indios de aquella isla obedecieran también a vuestras altezas, y que haciendolo así serían muy favorecidos. Y el dicho cacique respondió que era contento de lo hacer así […].« Cortés, Hernán, »Primera carta de relación – 10 de julio de 1519«, a.a.O., S. 9.

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b. Bestätigung der Er wartungen Die Spanier trafen am 8. November 1519 in der Stadt der Azteken ein, und die Empfangsrede von Motecuhzoma (der Tlatoani)70 erörterte die Möglichkeit für Azteken und Spanier, ihre Erwartungen bezüglich ihrer jeweiligen Fremdbeschreibung zu bestätigen. Der aztekische Herrscher sagte: »Unser Herr: bist du erschöpft? Du bist schon da, in deinem Land, du bist endlich in deiner Stadt angekommen: Mexiko [Tenochtitlan]. So bist du gekommen, um Platz auf deinem Thron zu nehmen. […] Ich träume nicht, ich sehe es nicht in meinen Träumen …[…]. Ich habe bereits dein Gesicht gesehen! […] Du bist angekommen, jetzt kannst du dich entspannen, übernimm bitte deine Häuser, dein Eigentum. Seid in ihrem Land willkommen geheißen, unsere Herren!« 71

Der Bericht von Cortés gibt diese Rede wieder: »[W]ir [die Azteken] glauben, weil du [Cortés], wie du sagst, aus dem Ort des Sonnenaufgangs gekommen bist, aber auch wegen der Sachen, die du uns über diesen großen Herrn [der spanische König (Anm. E.A.G)] erzählt hast, dass dieser Herr unser natürlicher Herr ist […] daher werden wir dich als Herrn anerkennen und deine Befehle befolgen […] du kannst über unser Eigentum verfügen.« 72 70 | Tlatoani bedeutet »derjenige, der spricht«. Hierzu siehe Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 94. 71 | »Señor nuestro: Te has fatigado, te has dado cansancio: ya a la tierra tú has llegado. Has arribado a tu ciudad: México. Allí has venido a sentarte en tu solio, en tu trono. […] No, no es que yo sueño, no me levanto del sueño adormilado: no lo veo en sueños, no estoy soñando… […]. ¡Es que ya te he visto, es que ya he puesto mis ojos en tu rostro…! […] Llega a la tierra: ven y descansa; toma posesión de tus casas reales; da refrigerio a tu cuerpo. ¡Llegad a vuestra tierra señores nuestros!« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S.  108 ­-109. 72 | »[Y] según de la parte que decís que venís [Cortés], que es a do sale el sol y las cosas que decís de ese gran señor tenemos por cierto, él sea nuestro señor natural […] y por tanto vos sed ciertos que os obedeceremos y tendremos por señor […] todo lo que nosotros tenemos es para lo que vos de ello quisiéredes disponer.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«,

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Und Cortés fügte eine Strategie hinzu, die er eingesetzt habe (Themenselektion), um den Azteken Informationen anzubieten, die dazu beitragen sollten, ihre Erwartungen zu bestätigen: »Ich habe seine [Motecuhzomas] Rede zu unserem Vorteil beantwortet, vor allem habe ich ihn weiter glauben lassen, dass Eure Hoheit die Hoheit ist, auf deren Rückkehr sie gewartet haben.« 73

Die Empfangsrede von Motecuhzomas versuchte, dieses Ereignis nach den in seiner Gesellschaft verfügbaren Strukturen und Semantiken einzuordnen. Die Magie hatte sich als unwirksam erwiesen. Deshalb ging es für die Azteken nun darum, weitere Alternativen zur Behandlung des Ungleichen als gleich und des Gleichen als ungleich auszuprobieren. Das bedeutet, dass sie zu weiteren Generalisierungen ihrer Erwartungen gezwungen waren. Die Spanier ihrerseits stellten fest, dass das Requerimiento in Tenochtitlan erfolgreich durchgeführt worden war. Denn einmal vollzogen, erfolgte die Knechtschaft des aztekischen Herrschers: »Und Mocteczuma erklärte sich vor dem Amtsschreiber als Knecht unseres Kaisers und bestätigte, dass er ihm als solchem dienen würde.« 74 Aus diesem Grund dürften die Spanier keine Gewalt gegen die Azteken ausüben. Die Spanier nahmen die Unterwerfung des aztekischen Herrschers wahr. Daher sahen sie sich von der riskanten Angelegenheit befreit, Gewalt in dieser dicht bevölkerten Stadt anzuwenden. Diese Periode von Interaktionsprozessen ist dadurch kennzeichnet, dass beide Gesellschaften ihre Erwartungen erfolgreich generalisiert haben und sie daher als bestätigt a.a.O., S. 42. Der Bericht von Francisco de Aguilar informiert ebenfalls über die Empfangsrede Motecuhzomas und betont seine Annahme ihrer Unterwürfigkeit vor den Spaniern, wie im Requerimiento gefordert war. Siehe hierzu: Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 81. 73 | »Yo le respondí a todo lo que me dijo, satisfaciendo a todo lo que me pareció que convenía, en especial en hacerle creer que vuestra majestad era a quien ellos esperaban […].« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 43. 74 | »Y Mocteczuma se dio por vasallo del emperador, por ante escribano, y se asentó así que serviría en todo como a su señor […].« Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 81.

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ansahen. In der nächsten von uns vorgeschlagenen Interaktionsperiode änderte sich, wie wir zeigen werden, dieser Stand der Dinge.

IV. Z weite P eriode der I nter ak tionsprozesse : I nter ak tionen der asymme trischen E nt täuschung von E rwartungen (vom A nfang des A ufenthaltes der S panier in Tenochtitl an bis zum B eginn des K rieges im M ai 1520) Die Spanier haben unmittelbar nach ihrer Ankunft in der Stadt der Azteken festgestellt, dass ihnen zahlreiche Aspekte dieser Gesellschaft noch unzugänglich waren. Darüber berichtet Cortés ausführlich: »Um die Pracht der mächtigen Stadt Temixtitan mit ihren seltsamen und wunderbaren Dingen, die Herrschaft ihres Regenten Motezuma und wie ihm gedient wurde, und die Rituale und die Sitten ihrer Einwohner zu beschreiben, […] bräuchte man viel Zeit und benötigte viele Erzähler und große Expertise; ich kann dies kaum zu einem hundertsten Teil bewältigen […], dennoch, so gut ich kann, werde ich über einige der Dinge berichten, die ich gesehen habe, und auch wenn sie schlecht vorgebracht sind, so weiß ich doch, dass sie so wundersam sind, dass man kaum daran glauben kann, denn auch wir, die wir sie doch mit eigenen Augen sehen, können sie mit unserem Verstand nicht wirklich begreifen.« 75

Jedoch war es für sie irrelevant, die Komplexität der aztekischen Gesellschaft zu verstehen. Denn sie sahen in erster Linie die Bestätigung ihrer Fremdbeschreibung der Indigenen als teuflische Heiden:

75 | »Porque para dar cuenta […] de la grandeza, extrañas y maravillosas cosas de esta gran ciudad de Temixtitan, del señorio y servicio de este Mutezuma, señor de ella, y de los ritos y costumbres que esta gente tiene […] sería menester mucho tiempo y ser muchos relatores y muy expertos; no podré decir de cien partes una […] más como pudiere diré algunas cosas de las que ví, que aunque mal dichas, bien sé que serán de tanta admiración que no se podrán creer, porque los que acá con nuestros propios ojos lo vemos, no las podemos con el entendimiento comprender.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 50.

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»Alle Wände dieses Hauses [des Huitzilopochtli gewidmeten Tempels] waren von innen mit steinerner Bildhauerkunst ausgestaltet […]. Die Bildnisse waren Götzenbilder, und auf dem Mund und auf unterschiedlichen Körperteilen waren diese Götzenbilder von einer zwei oder drei Finger dicken Blutschicht bedeckt, […] und er [Cortés] seufzte, und wurde traurig, und sagte etwas, das wir alle hörten: ›Oh, mein Gott! Warum lässt du zu, dass der Teufel in diesem Land so sehr verehrt wird?‹« 76

Die Spanier sollten ihre Handlungen nach den Verordnungen des Requerimientos richten. Jedoch mussten sie in Tenochtitlan eine langsame Vorgehensweise einsetzen. Denn sie wussten, dass ihre Überlebenschancen im Falle unpassender Gewaltanwendung gering waren. Daher warteten sie sechs Tage, um Motecuhzoma festzunehmen: »[S]echs Tage nach unserer Ankunft in der großen Stadt Timixtitan […] war ich der Meinung […], dass es zum königlichen Dienst an Eurer Majestät und zu unserer Sicherheit angemessen war, diesen Herrn unter meine Gewalt zu bringen und nicht in Freiheit zu halten, denn es könnte sein, dass er seine Meinung, Eurer Majestät zu dienen, ändern könnte, vor allem weil wir Spanier uns einigermaßen schlecht benehmen und recht unverschämt sind und er uns, wenn er zornig werden sollte, großen Schaden zufügen könnte […].« 77

76 | »Todas las paredes de la casa [el templo dedicado a Huitzilopochtli] por de dentro eran hechas de imagenería de piedra […] Estas imágenes eran de ídolos, e en las bocas destos e por el cuerpo a partes tenían mucha sangre, de gordor de dos o tres dedos […] e sospiró [Cortés] habiéndose puesto algo triste, e dijo, que todos lo oímos: ›¡Oh Dios! ¿por qué consientes que tan grandemente el diablo sea honrado en esta tierra?‹« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 68. 77 | »Pasados […] seis días después que en la gran ciudad de Timixtitan entré […] me pareció […] que convenía al real servicio de su majestad y a nuestra seguridad que aquel señor estuviese en mi poder y no en toda su libertad, por que no mudara el propósito y voluntad que mostraba en servir a su majestad ,ayormente que los españoles somos algo incomportables e importunos; y porque enojándose nos podría hacer mucho daño […].« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 44.

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Ebenfalls sahen sie sich gezwungen, mit den Azteken zu verhandeln, um sie zu überreden, ihre Gottheiten durch Abbildungen der spanischen »Herrin [der Jungfrau Maria] und anderer Heiliger […]« zu ersetzen.78 Denn in einer Stadt, in der »[…] fünftausend Menschen [arbeiteten], um diesem Idol [Huitzilopochtli (Anm. E.A.G.)] zu dienen […]«,79 hatten sie keine andere Alternative: »Und ich habe ihnen mit Hilfe der Zungen [Dolmetscher (Anm. E.A.G.)] mitgeteilt, dass sie sich irrten, weil sie ihre Hoffnung in diese Idole setzten, die mit ihren Händen aus unreinen Sachen gemacht wurden, und dass sie wissen sollten, dass es nur einen Gott gibt, universaler Herr von Allem, Schöpfer des Himmels und der Erde […] ohne Beginn und unsterblich und dass sie ihn verehren sollten und an ihn glauben sollten.« 80

Die Verhandlungen erwiesen sich als erfolgreich. Daher wurden »die Idole auf eine wunderbare Art und mit großer Kunst herunter abgetragen […]«.81 Die Spanier haben angeblich ebenfalls mit Erfolg ein Menschenopferungsverbot angeordnet: »[U]nd […] dass sie keine Lebewesen ihren Idole opfern sollten, wie sie gewohnt waren, weil abgesehen davon, dass Gott das verabscheut, die Gesetze Eurer heiligen Majestät es untersagen und verordnen, dass der, der tötet, getötet werden

78 | Ebd., S. 53. 79 | »[C]inco mil hombres [habría] para el servicio deste ídolo [Huitzilopochtli (Anm. E.A.G)].« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 66. 80 | »Yo les hice entender con las lenguas [traductores (Anm. E.A.G.)] cuán engañados estaban en tener su esperanza en aquellos ídolos, que eran hechos por sus manos, de cosas no limpias, y que habían de saber que había un sólo Dios, universal señor de todo, el cual había criado el cielo y la tierra […] que este era sin principio e inmortal, y que a Él habían de adorar y creer.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 53. 81 | »Los ídolos fueron bajados de ahí con una maravillosa manera e buen artificio […].« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 70. Cortés berichtet hierzu, anders als Tapia, dass er die Idole zerschlagen habe. Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 53.

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soll […] und in der ganzen Zeit, die ich in besagter Stadt verbrachte, hat keine Lebewesenopferung stattgefunden.« 82

Der nächste spanische Schritt, um die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen, war, den Stadtschatz zu beschlagnahmen: »Als die Spanier sich niedergelassen hatten, haben sie Motecuhzoma verhört […] sie wollten über die Ressourcen und Reserven der Stadt Bescheid wissen […]. Und als sie in dem Schatzhaus waren, haben sie alle Gegenstände herausgenommen […] unmittelbar danach haben sie aus allen Schildern und Ehrenbezeichnungen das Gold entfernt und eine große Kugel aus Gold gemacht, und dann haben sie alle Reste angezündet, die übrig geblieben sind, obwohl auch diese wertvoll waren: Somit wurde alles verbrannt […] sie haben sich alles angeeignet, was ihnen schön erschien.« 83

Auf der anderen Seite waren die Azteken durch die für sie fremde Kriegstechnik der Spanier großen Irritationen ausgesetzt: »[U]nd dann wurde eine Kanone abgefeuert: Alles wurde durcheinander gebracht. Die Leute sahen wie verirrt, wie verloren aus. Alle sind gerannt, schnell, in aller Eile. Alle verhielten sich, als ob sie Rauschgift-Pilze gegessen hätten, als ob sie

82 | »[Y] […] que no matasen criaturas a sus ídolos, como acostumbraban, porque, además de ser muy aborrecible a dios, vuestra sacra majestad por sus leyes lo prohibe, y manda que el que matare lo maten […] y en todo el tiempo que yo estuve en la dicha ciudad, nunca se vio matar ni sacrificar criatura alguna.« Tapia, Andres de, »Relación de Andrés de Tapia«, a.a.O., S. 70. 83 | »Cuando los españoles se hubieron instalado, luego interrogaron a Motecuhzoma […] tocante a sus recursos y reservas de la ciudad […]. Y cuando hubieron llegando a la casa del tesoro, llamada Teucalco, luego se sacan afuera todos los artefactos […]. Inmediatamente fué desprendido de todos los escudos el oro, lo mismo que de todas las insignias. Y luego hicieron una gran bola de oro, y dieron fuego, encendieron, prendieron llama a todo lo que restaba, por valioso que fuera: con lo cual todo ardió […] y se adueñaron de todo lo que vieron, de todo lo que les pareció hermoso.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 111.

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etwas Fürchterliches gesehen hätten. Der Schrecken hat geherrscht, als ob alle ihr Herz verloren hätten.« 84

Durch diese Irritationen sind die Azteken an die Grenzen ihrer Kapazität der Generalisierung ihrer Erwartungen geraten. Sie bemühten sich vergeblich, sie zu bestätigen. Daher mussten sie eine kontrollierte und schärfere Selektion ihre Handlungen und Strategien einsetzen, um die Plausibilität der Generalisierung ihrer Erwartungen zu garantieren. Dies war der Fall, weil eine höhere Generalisierung, »die viel Verschiedenes und noch Unbekanntes übergreift, […] scharf selektiv [wirkt]«.85 Hierfür haben die Azteken unterschiedliche Strategien ausprobiert. Eine dieser Strategien war, die Quelle der Irritationen näher zu beobachten: Die Azteken erkundigten sich direkt bei den Spanier nach den Handlungen, die durchzuführen waren, um die Irritationen zu reduzieren: »[S]ie haben mir geantwortet, dass sie mir bereits erzählt hätten, dass sie nicht ursprünglich aus diesem Land stammten und dass es lange her sei, dass ihre Vorfahren hierher gekommen wären, und dass sie glaubten, ich wüsste die Sachen besser, die sie zu tun hätten und glauben müssten, weil ich erst kürzlich aus diesem Ort gekommen sei, den sie vor so langer Zeit verlassen hätten […].« 86

Die Azteken beobachteten die Rekursivität der Kommunikation und versuchten aus diesem Grund, ihre Kommunikationen an die Irritationsquelle anzuknüpfen, um die Fortsetzung der Kommunikation zu garantieren. Daraus sollten Lösungen für die Probleme generiert werden, die in Inter84 | »[L]uego se disparó un cañon: como que se confundió todo. Se corría sin rumbo, se dispersaba la gente sin ton ni son, se desbandaban, como si los persiguieran de prisa. Todos esto era así como si todos hubieran comido hongos estupefacientes, como si hubieran visto algo espantoso. Dominaba en todo el terror, como si todo el mundo estuviera descorazonado.« Ebd., S. 86-88. 85 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 447. 86 | »[M]e respondieron que ya me habían dicho que ellos no eran naturales de esta tierra y que había muchos tiempos que sus predecesores habían venido a ella, y que bien creíanqu epodrían estar errados en algo que ellos tenían, por haber tanto tiempo que salieron de su naturaleza, y que yo como más nuevamente venido, sabría las cosas que debían tener y creer mejor que no ellos […].« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 53.

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aktionssituationen entstanden waren. Jedoch war dieser Versuch ebenfalls vergeblich. Denn die Steigerung der Irritationen sollte noch zunehmen. Auf der anderen Seite sahen die Spanier durch die Handlungen der Azteken ihre Erwartungen bestätigt. Für sie waren die Reaktionen der Indigenen ein Zeichen der Annahme ihrer zugeschriebenen Unterwürfigkeit. Daher ließen sie sich von ihnen bedienen. Die Indigenen berichten darüber: »Und wenn er [Cortés] in Tenochtitlan ankam, haben wir ihm Hühner, Eier, weißen Mais, weiße Fladenbrote [Tortillas] gegeben, aber auch etwas zu trinken. Wir haben ihm Grünfutter für die Hirsche [Pferde] und Holz gereicht.« 87

Auf diese Irritationen reagierten nicht alle Azteken auf einer gleichen Weise. Die Berichte informieren über Reaktionen, die andere Strategien zur Generalisierung von Erwartungen und Unsicherheitsabsorption ausprobiert haben. Zum Beispiel lehnte Cacamatzin, der Herrscher der am Ufer des Sees liegenden Stadt Tezcuco und ein Verwandter Motecuhzomas, es ab, sich zu unterwerfen: »Der Herr, als Cacamazin bekannt, hat nachdem wir Mutezuma gefangen genommen haben, sowohl gegen Eure Majestät rebelliert, obwohl er sich bereits als Ihr Untertan erklärt hatte, als auch gegen Mutezuma […].« 88

Die Spanier haben diesen Indigenen Herrscher festgenommen. Denn die Ablehnung seiner zugeschriebenen Unterwürfigkeit bestätigte und verstärkte die spanische Fremdbeschreibung und daher ebenfalls die Notwendigkeit seiner Festnahme. Die Anordnungen des Requerimientos ließen solche rebellischen Einstellungen nicht zu. Im Kontext dieser Asymmetrie der Enttäuschung von Erwartungen zwischen Azteken und Spaniern haben die Azteken wiederholt versucht, die Normalität ihres Alltags vor der spanischen Ankunft zurück zu erlan87 | »Y cuando ya llegó acá a Tenochtitlan luego le dimos gallinas, huevos, maíz blanco, tortillas blancas, y le dimos qué beber. Entregamos para los ›venados‹ [Caballos] y leña.« Manuskript 22 de la Biblioteca de Paris, a.a.O., S. 169. 88 | »Este Señor que se dice Cacamazin, después de la prisión de Mutezuma se rebeló así contra el servicio de vuestra alteza, a quien se había ofrecido, como contra el dicho Mutezuma […].« Ebd., S. 48.

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gen. Aus diesem Grund haben sie zum Beispiel die Spanier um Erlaubnis gebeten, das Fest von Huitzilopochtli zu zelebrieren: »Und dann haben sie (die Mexika) gefragt, ob sie Huitzilopochtlis Fest feiern dürften. Der Spanier wollte sehen, wie das Fest war, sie wollten anschauen und sehen, wie es gefeiert werden sollte.« 89

Die Spanier haben die Erlaubnis genehmigt, und die Azteken begannen mit der Vorbereitung des Festes: »Und als das Fest des Tóxcatls in Gang war, gegen Dämmerung, haben sie [die dafür Zuständigen] angefangen, Huitzilopochtlis in menschlicher Form, seinen Körper zu gestalten, er sollte wie ein Mensch aussehen.« 90

Cortés berichtet ebenso im Detail über die Vorbereitung solcher Festivitäten: »Die Körper der Idole, an die diese Leute glauben, sind größer als die Körper eines großen Menschen. Sie sind aus einem Teig gemacht, der aus einer Mischung aus allen Samen und Gemüse, die sie essen, mit Blut aus menschlichen Herzen gemacht wird […].« 91

Jedoch hat während der Durchführung dieses Festes (am 20. Mai 1520) ein Ereignis stattgefunden, dass keine Generalisierungsform mehr auf aztekischer Seite zuließ und die Asymmetrie der Enttäuschung von Er-

89 | »Luego pidieron (los mexicanos) la fiesta de Huitzilopochtli. Y quiso ver el español cómo era la fiesta, quiso admirar y ver en qué forma se festajaba.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 113. 90 | »Y cuando hubo llegado la fiesta de Tóxcatl, al caer la tarde, comenzaron a dar cuerpo, a hacer en forma humana el cuerpo de Huitzilopochtli, con su semblante humano, con toda la apariencia de hombre«. Ebd. 91 | »Los bultos y cuerpos de los ídolos en los que esta gente cree, son de muy mayores estaturas que el cuerpo de un gran hombre. Son hechos de masas de todas las semillas y legumbres que ellos comen, molidas y mezcladas unas con otras y amásanlas con sangre de corazones de cuerpos humanos […].« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 53.

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wartungen zwischen Azteken und Spaniern unterbrochen hat: Die Spanier richteten im »großen Tempel« Tenochtitlans ein Blutbad an:92 »[W]ährend man das Fest genießt, wird getanzt und gesungen, […] dann kamen sie, um die Ausgänge zu versperren, […] dann gingen sie sofort in den heiligen Hof hinein, um die Leute zu töten. […] Sie umzingelten die Tänzer, sie sind zu den Trommeln gegangen: sie haben die Arme des Trommelspielers mit einem Schlag abgetrennt. Dann haben sie ihn enthauptet: sein Kopf ist entfernt zu Boden gefallen. […] Plötzlich haben sie angefangen die Leute mit ihren Messern und Speeren zu erstechen, sie [die Indigene] wurden verletzt, sie wurden auf den Rücken geschlagen, mit dem Schwert werden sie verwundet […] ihre Eingeweiden sind auf den Boden gequollen. Anderen wurde ihr Kopf zerrissen, ihr Kopf wurde zerschnitten, ihr Kopf ist zerschlagen worden.« 93 92 | Der Grund der Spanier das Blutbad anzurichten, ist bis heute strittig. Alle Berichte (abgesehen vom Tapias) informieren darüber, dafür aber sehr unterschiedlich. Die Informationen sind auf folgenden Seiten zu finden: Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 244 ff.; Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 85 ff.; Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 63 ff.; Manuskript 22 de la Biblioteca de Paris, a.a.O., S. 28-29; Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 116ff. Da Konflikte in der Interaktion keine Seltenheit sind, vor allem wenn sie durch die Anwendung von Gewalt entstehen, ist die Jahrhunderte alte Diskussion über die Motivation der Spanier für unser Modell irrelevant. Wir fokussieren diesen Konflikt als eine unvermeidbare soziale Begebenheit und beobachten seine strukturellen Effekte in der Fortsetzung der Interaktionen zwischen Azteken und Spaniern, die als Vorgänge der Initialisierung sozialer Transformation zu begreifen sind. 93 | »[M]ientras se está gozando de la fiesta, ya es el baile, ya es el canto, […] vienen a cerrar las salidas, […] inmediatamente entraron al Patio Sagrado para matar a la gente. […] Inmediatamente cercan a los que bailan, se lanzan al lugar de los atabales: dieron un tajo al que estaba tañendo: le cortaron ambos brazos. Luego lo decapitaron: lejos fue a caer su cabeza cercenada. […] Al momento todos los acuchillan, alancean a la gente y les dan tajos, con la espada los hieren […] por detrás; inmediatamente cayeron por tierra disparadas sus entrañas. A otros les desgarraron la cabeza: les rebanaron la cabeza, enteramente hecha trizas quedó su cabeza.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 116-117.

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Dieses Massaker war für die Azteken eine große Enttäuschung ihrer Erwartungen, die nicht ohne weiteres generalisiert werden konnte. Auf das Blutbad konnten sie nur auf einer Weise reagieren: durch die Anwendung von Gewalt. Denn es »gibt keine soziale Ordnung, die nicht die Möglichkeit der Gewalt mit den Mitteln der Gewalt begrenzt, eingrenzt und kontrolliert«.94 Die Azteken hatten keine andere Alternative der Handlungsselektion zur Hand: »Dann begann die Schlacht: sie [die Einwohner Tenochtitlans (Anm. E.A.G.)] warfen ihre Spieße, sie schossen ihre Pfeile ab, sie attackierten [die Spanier] mit ihren Speeren oder mit Harpunen, um Vögel zu jagen. Sie warfen voller Wut und hastig ihre Speere. Über den Spaniern war nur noch eine gelbe Decke [aus Spießen, Pfeilen und Speeren] zu sehen.« 95

Die gewalttätige Auseinandersetzung war nicht zu vermeiden. Der Krieg zwischen Azteken und Spaniern begann. Die Ausübung von Gegengewalt sollte die Irritationen durch Erwartungsenttäuschung auf beiden gesellschaftlichen Seiten zugleich reduzieren, aber auch steigern. »Die Reduktion auf Handlung streicht so viele Optionen des Anschlusses, drängt so viele Entscheidungen als bereits getroffene Entscheidungen auf, dass es noch unwahrscheinlicher als im Normalfall wird, dass eine Folgekommunikation einen Anschluss suchen wird.«96 Weder Azteken noch Spanier konnten andere Selektionsalternativen auswählen als gewalttätig zu handeln. Somit gerieten sie in eine Situation, deren Ausgang für beide nicht vorhersehbar war. Daher kann man sagen, dass der Krieg Symmetrie in die Interaktionen zwischen Azteken und Spanier einführte. Durch den Krieg glichen sich die Möglichkeiten der Erwartungsenttäuschung (oder Erwartungsbestätigung) von Azteken und Spaniern an: Die Azteken probierten eine Fremdbeschreibung für die Spanier aus, die die Anwendung von Gewalt gegen sie zuließ, und die Spanier hatten keine Garantie ihres 94 | Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, a.a.O., S. 95. 95 | »Entonces la batalla empieza: dardean [los habitantes de Tenochtitlan (Anm. E.A.G.)] con venablos, con saetas y aun con jabalinas, con harpones de cazar aves. Y sus jabalinas furiosos y apresurados lanzan. Cual si fuera capa amarilla las cañas sobre los españoles se tienden.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 117. 96 | Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, a.a.O., S. 103.

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Sieges über die Untergebenen, die für sie bereits kein Recht mehr auf Freiheit oder Eigentum hatten, denn dies ordnete das Requerimiento an: »[U]nd sie [die Indios] haben gegen den Dienst Eurer Hoheit rebelliert, [und] sie essen menschliches Fleisch und wegen der Offenkundigkeit dieser Tatsache schicke ich Eurer Hoheit keinen Beweis davon.« 97

Der Ausbruch des Krieges mit der Einführung dieser Symmetrie kann als die Zäsur definiert werden, die den Beginn einer neuen Periode von Interaktionsprozessen zwischen Azteken und Spaniern einläutete.

V. D rit te P eriode der I nter ak tionsprozesse : I nter ak tionen der S ymme trisierung der E rwartungsent täuschung durch G e waltausübung (vom A usbruch des K riegs bis zur K apitul ation der A z teken am 13. A ugust 1521) Interaktionen sind soziale Systeme, deren Kapazität der Konfliktverarbeitung sehr reduziert ist. Deswegen können sie Negationen nur ignorieren, zu Konflikten werden oder sich auflösen.98 Hinzu kommt, dass ein Konflikt in der Interaktion nur eine einfache Negation benötigt, um zu entstehen: »Es genügt, wenn auf eine wie immer vage Erwartungsannahmezumutung mit einem wie immer vorsichtigen Nein reagiert wird.«99 Die Unvermeidlichkeit des gewaltreichen Konflikts zwischen Indigenen und Spaniern lässt sich dadurch erklären, dass auf der einen Seite beide Gesellschaften kein anderes gemeinsames soziales System als die Interaktion (zum Beispiel Organisation oder Gesellschaft)100 zur Verfügung 97 | [Y] rebeládose [los indios] contra el servicio de vuestra alteza, [y] comen todos carne humana, por cuya notoriedad no envio a vuestra majestad probanza de ello.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 72-73. 98 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 478. 99 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 532. 100 | Informationen über die Differenzierungsprozesse der Organisation und der Gesellschaft als autopoietische soziale Systeme sind zu finden in: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O.

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hatten, um die Konflikte zu verarbeiten, die zwischen ihnen entstanden sind, und dass auf der anderen Seite das von den Spaniern angerichtete Blutbad für die Azteken keine unauffällige Negation war. Mit dem Ausbruch der Gewalt waren sowohl Azteken als auch Spanier dazu gezwungen, rekursiv Gleiches mit Gleichem zu vergelten und dies auf der Basis einer Negativversion der doppelten Kontingenz: »Ich tue nicht, was Du möchtest, wenn Du nicht tust, was ich möchte.«101 Ab diesem Zeitpunkt gehörte die Gewaltanwendung zu ihrer Tagesordnung. Es entstand ein parasitäres soziales System,102 dessen Fortsetzung zu erwarten war und nicht seine Beendung. Es sei denn, sie stammt aus der Umwelt des Systems: »Die Beendung kann sich nicht aus der Autopoiesis selbst ergeben, sondern nur aus der Umwelt des Systems – etwa dadurch, dass einer der beiden Streitenden den anderen erschlägt und dieser damit für die Fortsetzung des sozialen Systems Konflikt ausfällt.«103 Die Handlungen von Azteken und Spaniern wurden gerade in dieser Richtung vollzogen. Sie beabsichtigten, sich gegenseitig zu vernichten. Die Spanier berichten darüber: »Und dann [am nächsten Tag] begannen unsere Feinde uns stärker als am vorherigen Tag zu bekämpfen, es gab so viele von ihnen, dass die Artilleristen es nicht nötig hatten, zu zielen, sondern nur auf die Indio-Schwadrone zu schießen, um zu treffen […] dennoch sah es so aus, als ob dies keinen Schaden verursachen würde, denn wenn ein Schuss zehn oder zwölf Menschen erreichte, dann kamen mehr Menschen dazu, um die Gefallenen zu ersetzen, […] und sie waren so viele […], dass sie nur einige Stunden kämpfen mussten, weil sie sich ablösten, während wir den ganzen Tag kämpfen mussten.«104 101 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 531. 102 | Siehe für das Konzept eines Konfliktes als ein parasitäres soziales System, das nicht den Status eines Teilsystems annehmen kann: ebd. 103 | Ebd., S. 537-538. 104 | »Y luego que fue [otro día] ya la gente de los enemigos nos comenzaba a combatir muy más reciamente que el día pasado, porque estaba tanta cantidad de ellos, que los artilleros no tenían necesidad de puntería, sino asestar en los escuadrones de los indios. […] hacían tan poca mella […] porque por donde llevaba el tiro diez o doce hombres se cerraba luego de gente que no parecía que hacía daño ninguno. […] y eran tantos, que aunque más daño se hiciera haciamos muy poca mella, y a nosotros convenía pelear todo el día y ellos peleaban por horas,

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Und die Azteken ihrerseits ebenfalls: »Dann hat sich das Kriegsgetümmel erhoben, schnell wuchs das kriegerische Geschrei. […] Und es gab keinen Spieß, der nicht sein Ziel traf […] Und die Schießpulverwaffen […] wenn sie geschossen wurden, dann fielen [die Leute] auf den Boden […] als ob es ein Bett auf dem Boden gäbe. Sie trafen jedes Mal, sie hörten nicht auf, ihr Ziel zu treffen, die Leute wurden dadurch getötet. Derjenige, der den Schuss abbekam, starb mit Sicherheit, […] wenn jemanden an einem ›gefährlichen‹ Teil seines Körpers wie der Stirn, dem Hals, dem Herz, der Brust, dem Bauch oder der Hüfte getroffen wurde, der wurde sofort getötet, aber wer an den Beinen oder an den Schultern getroffen wurde, der starb nicht sofort […].«105

Gewaltreiche Konflikte entsprechen keinem Versagen der Kommunikation. Sie verkörpern eher ihre Fortsetzung. Die Partikularität ihrer Kommunikationen besteht nur darin, dass ihr Mitteilungshandeln vereinfacht, beschleunigt und symmetrisiert wird.106 Die Zeit zu entscheiden und zur Selektion ist in gewaltreichen Interaktionen sehr knapp. Vereinfachung, Beschleunigung und Symmetrisierung des Mitteilungshandelns der Kommunikation werden ihrerseits durch die Einführung von Distinktionen und Sinnselektionen ermöglicht. Hierfür ist die Einque se remudaban y aun les sobraba gente.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 65. 105 | »Luego se alzó el estruendo de guerra, fué creciendo rápidamente el clamor guerrero. […] Y no hubo dardo que no diera en su blanco. […] Y las armas de pólvora […] cuando caía su tiro, iba [la gente] a dar hasta la tierra […] cual si se hubiera extendido una cama sobre el suelo. No [fallaban] golpe al dar contra la gente, no dejaba de hacer blanco, a la gente la mataba. Aquel contra el cual iba ese ciertamente moría […] O le daba en lugar peligroso, ya sea la frente, ya el cuello, ya el corazón, ya en el pecho, o en su vientre, o en su cadera, o bien sobre sus piernas, o sobre sus hombros cae, no moría al instante, […] sino que tal vez curaba […] Cuando vieron los mexicanos [mexicas] que las balas disparadas de cañones o arcabuces daban en el blanco, […] se cuidaban en gran modo, estaban muy precavidos.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 119, 122. 106 | Für Informationen über diese Vereinfachung, Beschleunigung und Symmetrisierung der Kommunikation durch Gewalt siehe: Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, a.a.O., S. 100.

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führung der Distinktion Feind/Freund ein gutes Beispiel, um dies zu illustrieren. Durch diese Distinktion gelang es sowohl den Spaniern als auch den Indigenen, ihre innere Kohäsion aufzubauen und zugleich mit Schnelligkeit den jeweiligen Gegner zu identifizieren. Somit wurde eine Simplifizierung produziert, die durch die Verwendung der Negativversion doppelter Kontingenz eine partielle Änderung der jeweiligen Fremdbeschreibung zustande brachte, die erlauben sollte, jedes Handeln »[…] im Kontext einer Gegnerschaft unter diesen Gesichtspunkt der Gegnerschaft zu bringen«107 und die die Komplexität der Unterschiede zwischen Spaniern, Azteken und anderen Indigenen Völker reduzierte. Diese Reduktion war relevant, weil die Gruppe der Aztekengegner nicht nur durch Spanier konstituiert war. Denn unterschiedliche Indigene Völker waren an dieser Gruppe beteiligt. Für die Spanier waren diese Indigenen auch »Indios«, die sie aber bereits unterschiedlich unterjocht hatten. Aus diesem Grund haben sie sie »nuestros amigos« (unsere Freunde) genannt: »[…] und dass sie [die Indios] meine Freunde sein wollten […] und sie wollten auch Untertanen und Knechte Eurer Majestät werden und für ihren königlichen Dienst haben sie sich [ihre Person] und ihre Besitzung angeboten und so haben sie es getan und tun sie es bis heute«.108

Die Funktion dieser Distinktion war im Kontext des Konflikts zentral. Aus diesem Grund mussten die Spanier ihren Freunden die Durchführung unchristlicher Handlungen erlauben. Denn sie wussten, dass ihre Feinde ohne die Unterstützung ihrer heidnischen Verbündeten nicht zu besiegen waren. Cortés berichtet zum Beispiel, dass seine »Freunde« sich von den Leichen der gefallenen Feinde ernährten: »[…] durch diesen Hinterhalt haben wir fünfhundert mächtige, noble, edelmütige Männer getötet. Aus diesem Grund haben unsere Freunde an diesen Abend üp-

107 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 532. 108 | »[…] y que querían ser mis amigos […] y se ofrecieron por súbditos y vasallos de vuestra majestad y para su servicio real, y ofrecieron sus personas y haciendas, y así lo hicieron y han hecho hasta hoy«. Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 33.

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pig essen können, denn sie haben die Leichen unserer Feinde zerlegt und für das Abendessen mitgenommen.«109

Gleichzeitig führten Azteken und Spanier unterschiedliche Formen der Sinnselektion ein, deren Ziel es war, den jeweiligen Gegner zu erschlagen. Dem Gegner musste Schaden zugefügt werden. Dabei haben sie sich erhofft, von diesen Schäden zu profitieren. Die Azteken vereinbarten zum Beispiel: »[…] dass sie sich nicht blicken lassen würden, sondern, dass sie versteckt bleiben sollten […] die Mexikaner [Azteken] waren bereits vorbereitet, um mit der Schlacht zu beginnen, […] er (Cortés) traf im königlichen Haus ein, und befahl die Kanone abzufeuern. Dann […] erhob sich Geschrei und der Kampf begann, somit hat der Krieg angefangen […]«.110

Solche Selektionen als Planungen und Handlungsstrategien wurden in der Interaktion ausprobiert und ihre Resultate sahen wie folgt aus: »[…] und den Schaden, den [sie] uns und den Indios aus Tascaltecal zufügten, war ohnegleichen und so haben sie alle getötet […] gleichwohl sind viele Spanier und Pferde umgekommen und wir haben auch das Gold und den Schmuck und die

109 | »[…] de manera que de esta celada se mataron más de quinientos, todos los más principales esforzados y valientes hombres; y aquella noche tuvieron bien que cenar nuestros amigos, porque todos los que se mataron, tomaron y llevaron hechos piezas para comer«. Cortés, Hernán, »Tercera carta de relación – 15 de mayo de 1522«, a.a.O., S. 129. Diese Bewilligung wurde Cortés Jahren später zum Verhängnis. 1528 wurde er vor Gericht gebracht und, neben anderen Anschuldigungen, wegen Bewilligung von Kannibalismus angeklagt. Archivo Mexicano, documentos para la historia de México, Bd. 1. Tipología de Vicente García Robles Torres. Paliografiado del original por Ignacio García López Rayón, México 1852, S. 58. Cortés Urteil wurde ausgesetzt, denn er wurde vom König Karl V. begnadigt. 110 | »[…] que no se dejarían ver, sino que permanecerían ocultos, […] los mexicanos [mexica] estaban preparados para dar principio a la batalla, […] llegó (Cortés) al interior de la Casa Real y mandó disparar los cañones. Hecho esto, […] Se alza una gran gritería y comienza luego la lucha, es la guerra, […]«. Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 121.

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Kleidung und viele anderen Sachen, die wir herausnehmen wollten, und die ganze Artillerie verloren«.111

Die Erfahrungen aus den durchgeführten Selektionen waren Informationen, die sowohl Azteken als auch Spanier als Wissen akkumuliert haben, um weitere Selektionen als Planungen oder Strategien durchzuführen, um den Konflikt zu gewinnen. Diese Informationen generierten sich durch rekursive Kommunikationen, die auf beiden Seiten permanente Transformationen von Sinnselektion ermöglichten. Dadurch haben die Azteken gelernt, sich besser vor den Waffen der Spanier zu schützen: »[…] wenn sie [die Azteken] gesehen haben, wenn sie bemerkt haben, dass die Schüsse der Kanonen und der Arkebusen gerade geschossen werden, dann gingen sie nicht mehr gerade aus, sie liefen keine geraden Wege mehr, sie gingen von einer Seite zur anderen Seite, sie liefen im Zickzack; […] Und wenn sie sahen, dass eine Kanone geschossen werden sollte, dann fielen sie zum Boden […].«112

Und die Spanier stellten fest, dass die Azteken ohne Feldführer den Kampf aussetzten: »Hernando Cortés tötete den wichtigsten Kapitän der Indios, [dann] haben sie mit ihrem Rückzug angefangen […].«113 Die Azteken vertrieben die Spanier gewalttätig aus Tenochtitlan am 30. Juni 1520, und die Spanier kehrten erst im Mai 1521 zurück, um den kriegerischen Konflikt fortzusetzen. Aus diesem Grund ergab sich eine 111 | »[…] y que era sin comparación el daño que los nuestros recibían, así los españoles como los indios de Tascaltecal que con nosotros estaban, y así a todos los mataron, […] y así mismo habían muerto muchos españoles y caballos y perdido todo el oro y joyas y ropa y otras muchas cosas que sacabamos, y toda la artillería«. Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 68. 112 | »[…] pero […] cuando vieron [los aztecas], cuando se dieron cuenta de que los tiros de cañon o de arcabuz iban derechos, ya no caminaban en línea recta, sino que iban de un rumbo a otro haciendo zigzag; […] Y cuando veían que iba a dispararse un cañon, se echaban por tierra, […].« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 139. 113 | »Hernando Cortés mató al capitán general de los indios,[entonces] se comenzaron a retirar […].« Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 92-93.

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Periode, in der keine relevanten gewalttätigen Interaktionen zwischen Azteken und Spaniern stattgefunden haben. Beide Gesellschaften haben diese Zeit genutzt, um ihr erworbenes Wissen anzuwenden, um sich auf die zukünftigen gewaltreichen Interaktionen vorzubereiten. Die Spanier hatten zum Beispiel durch ihre Erfahrung festgestellt, dass die Azteken ihnen überlegen waren, wenn es darauf ankam, auf dem Wasser der Seen zu kämpfen. Daher entschieden sie sich, Brigantinen zu bauen, um die Azteken besser bekriegen zu können: »[…] und es wurde der Befehl erteilt, Holz zu schneiden, um dreizehn Brigantinen zu bauen, um nach Mexiko [Tenochtitlan] zurück zu kehren, weil wir der Ansicht waren, dass wir ohne Brigantinen keinen Krieg führen, keine Herren des Sees werden oder die Alleen benutzen könnten, um in die Stadt einzudringen, […] ohne dass dies eine große Gefahr für unser Leben bedeuten würde«.114

Die Azteken ihrerseits entwarfen Waffen, die mehr Effizienz gegen die Spanier versprachen. Sie wussten, dass sie längere Speere brauchten, um die Reiter und ihre Pferde zu bekämpfen. Cortés berichtet darüber: »Und ich erfuhr vor allem, dass sie lange Speere machten […] um die Pferde zu bekämpfen, und wir haben einige von ihnen bereits gesehen.«115

Zugleich haben die Azteken spanische Waffen benutzt, um ihre eigenen Waffen umzubauen und somit ihre Leistung im Schlachtfeld zu steigern:

114 | »[…] y se dio orden que se cortase madera para hacer trece bergantines para ir otra vez a México [Tenochtitlan], porque hallamos por muy cierto que para la laguna sin bergantines no la podiamos señorear, ni podiamos dar guerra, ni entrar otra vez por las calzadas, […] sino con gran riesgo de nuestras vidas«. Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 282. 115 | »En especial supe que hacían lanzas largas […] para los caballos, y aun ya hemos visto algunas de ellas.« Cortés, Hernán, »Segunda carta de relación – 30 de octubre de 1520«, a.a.O., S. 78.

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»[…] und sie trugen Speere, die sie aus den Schwerter […] gemacht haben, die sie nach dem großen Massaker gesammelt haben, das sie uns auf den Brücken Méxicos [Tenochtitlan] zugefügt haben […]«.116

Eine weitere strategische Vorkehrung der Azteken war, ihre Untertanen darüber zu informieren, dass sie Anspruch auf eine Steuererlassung für ein ganzes Jahr hätten, wenn sie sich entscheiden sollten, auf ihrer Seite gegen die Spanier zu kämpfen: »Und neulich erfuhren wir, dass besagter Cuetravacin [Cuihtlahuac] Boten zu den Länder und Provinzen und Städten geschickt hat, die unter seiner Herrschaft waren, […] und sie trugen die Nachricht, dass die Steuern, die sie in einem Jahr zu zahlen hatten, erlassen werden sollten, […] wenn sie die Christen grausam und auf allen möglichen Wegen bekriegen würden, bis sie alle tot wären oder bis sie aus dem Land vertrieben worden wären […].«117

116 | »[…] y las lanzas que traían hechas […] de las espadas que hubieron cuando la gran matanza de los nuestros en lo de los puentes de México, […]«. Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 264. 117 | »Y ahora de poco acá he asimismo sabido que el dicho Cuetravacin [Cuihtlahuac] ha enviado a sus mensajeros por todas las tierras y provincias y ciudades sujetas a su señorío, a decir […] que él les hace gracia por un año de todos los tributos y servicios que son abligados a le hacer […] con tanto que por todas las maneras que pudiesen hiciesen muy cruel guerra a todos los cristianos hasta los matar o echar de toda aquella tierra […].« Ebd., S. 79. Dieser Versuch fand zum Beispiel keine Resonanz in der theokratischen tlaxkaltekischen Hierarchie. Für sie war dieses Angebot nicht attraktiv genug. Der Bericht von Díaz del Castillo informiert über diese Auseinandersetzung: »[…] dass sie nicht in hundert Jahren […] so reich gewesen waren, wie sie jetzt, nach der Ankunft der Teules [Gottheiten] in ihrem Land sind und dass die anderen Provinzen ihnen nie in ein so hohes Ansehen entgegengebracht haben wie jetzt […] und überall wo sie mit den Teules gehen […] werden sie geehrt [und] dass viele von ihnen in Mexiko [Tenochtitlan] getötet wurden […].« »[…] que más de cien años […] habían estado tan prósperos y ricos como después de los Teules vinieron a sus tierras, ni en todas las provincias habían sido en tanto tenidos […] y por doquiera que iban […] con los teules les hacían honra, [y] puesto que ahora les habían muerto en México [Tenochtitlan] muchos […]«. Ebd., S. 264.

Interaktion als Variation in Mexiko in den Jahren 1519-1521

Im Mai 1521 kehrten die Spanier nach Tenochtitlan zurück, um den gewalttätigen Konflikt fortzusetzen. Azteken und Spanier waren entschlossen, ihren Feind zu erschlagen. Gewaltkonflikte, wenn sie als autopoietische Einheit etabliert sind, werden fortgesetzt und nur durch Intervention ihrer Umwelt beendet: Durch den Einsatz neuer Planungen und Strategien sollte der jeweilige Feind endlich geschlagen werden. Die Spanier belagerten Tenochtitlan und haben anschließend die Trinkwasserversorgung der Stadt unterbrochen: »[…] wir haben die Rohre zur Trinkwasserversorgung der Stadt zerbrochen, und seitdem ist kein Trinkwasser mehr nach Mexiko [Tenochtitlan] während des Krieges geflossen«.118

Die Azteken ihrerseits brauchten lebendige Opfer, die sie auf dem Schlachtfeld festnahmen, um sie ihren Gottheiten zu opfern. »Wir nahmen viele Gefangen fest [es waren dreiundfünfzig spanische Gefangene gewesen] […] Die Mexikaner [Azteken] brachten ihre Gefangenen […] einige weinten, andere sangen, andere klatschten sich mit der Hand auf dem Mund, wie es im Krieg gemacht wird […] sie wurden in eine Linie gestellt, […] dann sind sie jeweils auf das Tempelchen gestiegen: Da wurde die Opferung durchgeführt. Die Spanier zuerst, […]. Nach der Opferung […] wurden die Köpfe der Spanier aufgespießt; die Köpfe der Pferde sind auch aufgespießt worden. Die Köpfe der Pferde wurden unter den Köpften der Spanier angeordnet. Die Gesichter der durchbohrten Köpfe waren in Richtung Sonne platziert.«119

118 | »[…] les quebramos los caños por donde iba el agua a la ciudad, y desde entonces nunca fue a México [Tenochtitlan] entretanto que duró la guerra«. Ebd., S. 333. 119 | »Hubo gran cosecha de cautivos [Los españoles aprisionados fueron cincuenta y tres] […] Pues ahora ya llevan los mexicanos sus cautivos […]. Unos van llorando, otros van cantando, otros se van dando palmadas en la boca, como es costumbre en la guerra. […] se les pone en hilera, […] uno a uno van subiendo al templete: allí se hace el sacrificio. Fueron delante los españoles, ellos hicieron el principio. […] Cuando acabo el sacrificio […] luego ensartaron en picas las cabezas de los españoles; también ensartaron las cabezas de los caballos. Pusieron éstas abajo, y sobre ellas las cabezas de los españoles. Las cabezas ensartadas

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Die Entfaltung der Gewaltspirale dauerte, so Cortés, »etwa fünfundsiebzig Tage«120 (von Ende Mai bis zum 13. August 1521). In dieser Periode setzten Azteken und Spanier die Akkumulation von Wissen aus ihren Erfahrungen weiter fort, um Sinnselektionen durchzuführen, worauf unterschiedliche Planungen und Strategien aufgebaut werden sollten. Hierzu berichten zum Beispiel die Spanier: »[…] mehrmals haben wir eine Flucht fingiert, aber die Reiter kehrten gegen sie zurück, und wir nahmen jedes Mal zwölf oder dreizehn der mutigsten Krieger fest und mit anderen Hinterhalten, die wir planten, haben wir sie regelmäßig sehr beschädigt […]«.121

Die autopoietische Operation des Konfliktes setzte sich durch Anwendung physisch-körperlicher Gewalt fort, bis zum katastrophalen Punkt für die Azteken, »an dem überhaupt keine Handlungen mehr möglich [waren] und daher gar nichts mehr geschehen [konnte] oder etwas ganz anderes geschehen [musste]«122 . Denn die Planungen und Strategien zur Kriegsdurchführung der Spanier und ihrer Alliierten erwiesen sich als erfolgreich. Somit wurden die Azteken beseitigt: »[…] alle Häuser […] und der See waren voll mit toten Köpfen und Körpern […], auf den Straßen und auf den Höfen von Tatelulco [Tlatelolco] gab es nichts anders, wir gingen nur zwischen Körpern und Köpfen der toten Indios«.123

están con la cara al sol.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 148-149. 120 | Cortés, Hernán, »Tercera carta de relación – 15 de mayo de 1522«, a.a.O., S. 136. 121 | »[…] algunas veces fingíamos ir huyendo, y revolvíamos los de caballo sobre ellos, y siempre tomábamos doce o trece de aquellos más esforzados, y con esto y con algunas celadas que siempre les echábamos, continuo llevaban lo peor, […]«. Ebd., S. 119. 122 | Baecker, Dirk, »Gewalt im System«, a.a.O., S. 100. 123 | »[…] todas las casas […] y la laguna estaban llenas de cabezas y cuerpos muertos […] pues en las calles y en los patíos del Tatelulco [Tlatelolco] no había otra cosa, y no podiamos andar sino entre cuerpos y cabezas de indios muertos«. Díaz del Castillo, Bernal, Historia verdadera de la Nueva España, a.a.O., S. 370.

Interaktion als Variation in Mexiko in den Jahren 1519-1521

Am 13. August 1521 stellten die Azteken ihre gewalttätigen Handlungen ein. Somit löste sich die Autopoiese des Konflikts auf, die gewaltreichen Interaktionen hatten ihr Ende erreicht: »[…] somit ist der Krieg zu Ende […] dann begann der Flucht aller Menschen [Azteken]«.124 Mit dem Ende dieses Konfliktes wurden kommunikative Optionen eingeführt, die eine neue Form von Asymmetrie der Erwartungsenttäuschung zwischen Azteken und Spaniern garantieren sollten. Die Spanier sahen ihre Erwartungen bestätigt und die Azteken die ihren enttäuscht. Dadurch wurde die Erwartungsbestätigung der Gesellschaftsstruktur und der Semantik der Spanier gesichert und die Erwartungsenttäuschung der Gesellschaftsstrukturen und der Semantik der Azteken begann ihre Normalisierungskarriere. Die letzte Periode von Interaktionsprozessen unseres Modells ist durch diese Asymmetrieform gekennzeichnet.

VI. V ierte P eriode der I nter ak tionsprozesse : I nter ak tionen der R e asymme trisierung der E rwartungsent täuschung (ab der K apitul ation der A z teken am 13. A ugust 1521) Die Auflösung des Konfliktes ermöglichte das Vorkommen kommunikativer Optionen zwischen Azteken und Spaniern, die die Asymmetrie der Erwartungsenttäuschung zwischen ihnen garantieren sollten. Ein geeignetes Beispiel, um diese Art Asymmetrie zu illustrieren, ist in den Verhandlungen zu finden, die die Azteken mit den Spaniern geführt haben, um den jährlichen Tribut zu vereinbaren, den sie dachten, den Spanier leisten zu müssen: »Hören Sie bitte Herr, Gebieter, Kapitän: Noch zur Zeit von Motecuhzoma agierten, wenn wir eine Region eroberten, die Mexicanos [Einwohner Tenochtitlans (Anm. E.A.G.)], Tlatelolcas [Einwohner von Tlateloco], Tepanecas und Acolhuas […] zusammen. Wir gingen alle zusammen und eroberten ein Volk, aber wenn es unterworfen war, dann kehrten wir alle zurück […]. Und dann kamen die Einwohner der eroberten Dörfer, um uns den Tribut zu überreichen, […] Jade, Gold, Quetzalfedern 124 | »[…] con esto va a acabar la guerra […] luego empezó la huída general [de los Aztecas]«. Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 161.

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und andere Edelsteine, Türkise und Vögel mit Feinfedern, […] sie kamen, um es Motecuhzoma zu geben. Alles kam hierher, […] alles traft zusammen in Tenochtitlan ein: der Tribut und das Gold.«125

Die Azteken waren gewohnt, Völker mit der Absicht zu unterwerfen, ihnen einen jährlichen Tribut aufzuerlegen. Dabei mussten ihre Untergebenen die wichtigste aztekische Gottheit in ihr »Pantheon« aufnehmen. Im Allgemeinen konnten sie im Prinzip ihren Alltag wie üblich fortsetzen.126 Aber die Spanier beabsichtigten nicht, wie die Geschichte des Kolonialismus zeigt, zurück nach Spanien zu kehren. Daher die Erwartungsenttäuschung der Azteken. Somit begann eine Zeit für die Azteken, in der ihre Dogmatismen, sozialen Selbstverständlichkeiten und Erwartungen rekursiv und programmatisch weiter enttäuscht werden sollten. Im Gegensatz dazu sahen die Spanier die Gesamtheit ihrer Erwartungen bestätigt. Die Beendung des Konfliktes bewirkte ebenfalls die operative Auflösung von Distinktionen und Sinnselektionen, deren Funktion mit dem Konflikt verbunden war. Anzumerken ist, dass ihre Aufhebung meistens mit der Verbreitung der Asymmetrie der Erwartungsenttäuschung zusammenfiel und kompatibel war. Die operative Auflösung der Distinktion Freund/Feind illustriert diesen Prozess am besten. Die Notwendigkeit der Kohäsion zwischen Spaniern und ihren heidnischen Freunden bestand nicht mehr; dadurch konnten die Spanier die heidnische Fremdheit ihrer Verbündeten besser beobachten, die sie prinzipiell ablehnten. Die Schlussfolgerung der Spanier war, dass ihre Verbindung zu diesen In-

125 | »Oiga por favor el señor, el amo, el capitán: Aun en tiempo de Motecuhzoma cuando se hacía conquista en alguna región, se ponían en acción unidos mexicanos, tlatelolcas, tepanecas y acolhuas. […] Todos íbamos juntos, hacíamos conquista de aquel pueblo, y cuando estaba sometido, luego era el regreso […]. Y después iban viniendo los habitantes de aquellos pueblos, los conquistados, venían a entregar su tributo, […] jades, oro, plumas de quetzal, y otra clase de piedras preciosas, turquesas, y aves de pluma fina, […], venían a darlo a Motecuhzoma. Todo venía a dar acá, […] en conjunto llegaba a Tenochtitlan: todo el tributo y todo el oro.« Sahagún, Bernardino de, Historia General de las Cosas de Nueva España, a.a.O., S. 165. 126 | Hierzu ausführlich: Soustelle, Jacques, La vida cotidiana de los aztecas, a.a.O., S. 16.

Interaktion als Variation in Mexiko in den Jahren 1519-1521

digenen gefährlich werden könnte. Cortés hat wie folgt von seinem Misstrauen gegenüber ihnen berichtet: »[…] es war klar, dass kein Spanier lebendig davon kommen würde, wenn sie [die Indios] merken würden, dass wir in Streitigkeiten verwickelt waren; wir würden nicht nur unsere Feinde gegen uns eingestellt finden, sondern auch unsere Freunde, sie würden alles tun, um uns zu erschlagen.«127

Die gefährlichen Freunde (Totonaken aus Cempoatl, Tlaxkalteken, Cholulteken, die Bewohner von Xochimilko, die Bewohner von Iztapalapan, die Bewohner von Texkoko usw.) teilten mehrere Segmente ihrer Gesellschaftsstrukturen und Semantik mit den Azteken.128 Aus diesem Grund nahmen die Spanier die Ureinwohner des Landes insgesamt als heidnische »Indios« wahr.129 Für sie waren die Indigenen mehr oder we127 | »[…] estaba claro que ningún español escaparía viéndonos revueltos a los unos y a los otros; y que para esto no solamente hallaríamos enemigos apercibidos, pero aún los que teníamos por amigos, trabajarían de acabarnos a todos.« Cortés, Hernán, »Tercera carta de relación – 15 de mayo de 1522«, a.a.O., S. 143. 128 | Alfredo López Austin plädiert für eine Untersuchung von Mesoamérica, die über die Unterteilung nach Völkern hinausgeht und mehr die Relationalitäten und Verbindungen zwischen ihnen betont. Siehe López Austin, Alfredo, Hombre-Dios. Religión y política en el mundo náhuatl, a.a.O., S. 55. Seinerseits betont James Lockhart die Tatsache, dass Nahuatl, die Sprache der Azteken, eine ziemlich verbreitete Sprache in Mesoamerica war. Sie war zum Beispiel die Sprache, die die Tlaxalteken gesprochen haben, aber auch andere Verbündete der Spanier (Cholulteken usw). Und wenn dies nicht der Fall war, dann war sie die Sprache, die die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Völkern bis Zentralamerika ermöglicht hat. Lockhart, James, The Nahuas after the conquest, a.a.O. 129 | In den Schriften von Fernando de Alva Ixtlilxochitl (geboren zwischen 1568 und 1580 und gestorben im Jahr 1648, Nachkomme von Ixtlilxochitl I. und Ixtlilxochitl II Herrscher von Texkoko) wird wiederholt die »Ungerechtigkeit« der spanischen Handlung gegenüber ihren Indigenen Freunden nach dem Sieg über die Azteken betont. Alva Ixtlilxochitl, Fernando de, »Relación de la Venida de los Españoles y Principio de la Ley Evangélica«, in: Historia General de la Nueva España, Übers. aus dem Nahuatl von Angel Ma. Garibay Kintana, Ed. Porrúa, México 1956 (S. 178-276). Diego Muñoz Camargo (geboren um 1529 und gestorben im 1599) berichtet ebenfalls darüber: Er beschreibt die Tlaxkalteken als ein verbittertes

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nig gefährlich, aber in jedem Falle waren sie Heiden, die nach den Anordnungen des Requerimientos, mit oder ohne Gewalt, unterworfen und christlich umerzogen werden mussten. Daraus ergab sich die Verbreitung der Asymmetrie der Erwartungsenttäuschung auf die Gesamtheit der Ureinwohner des Landes. Denn die Spanier hatten vor, den Dogmatismen und sozialen Selbstverständlichkeiten aller Indigenen programmatisch zu widersprechen. Die Spanier nahmen die Gesellschaft der Indigenen als eine Gesellschaft von Heiden wahr, die nach ihrer Erfahrung zahlreiche negative Elemente aufzeigte: »[…] ich bin der Meinung, dass es kaum ein Reich in der Welt gegeben hat, in der Gott unser Herr so verachtet worden wäre und in der er so sehr beleidigt worden wäre und in der der Teufel so sehr verehrt und gelobt worden wäre wie in diesem Land«.130

Durch diese Negativitätsvorstellung hatten sie den Krieg gegen die Indigene legitimiert, und gerade sie sollte, wegen ihrer Tragweite, nach der Beendung des Konfliktes eine zentrale Rolle zum Auf bau einer stratifizierten sozialen Ordnung übernehmen, in der die Spanier die Oberschicht und die Indigenen die Unterschicht verkörperten. Die Vorstellung dieser Negativität sollte eine neue Asymmetrieform zwischen Indigenen und Spaniern hervorbringen, die durch die Distinktion Spanier/Indio gesteuert wurde und die mit der Asymmetrie der Erwartungsenttäuschung kompatibel war. Diese Distinktion sollte die Positivität der spanischen und die Negativität der Indigenen Gesellschaft signalisieren und sie sollte zugleich betonen, dass ihre positive Seite zur Durchführung jeder Sinnselektion zu bevorzugen war. In den nächsten Kapiteln dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit der Untersuchung der Entstehung dieser stratifizierten sozialen Ordnung.

Volk, das Unsinn (»fanfarrias y locuras«) über ihren Beitrag zur Beseitigung der Azteken erzählte. Muñoz Camargo, Diego, Historia de Tlaxcala, a.a.O., S. 104. 130 | »[…] para mí tengo que no hubo reino en el mundo donde Dios nuestro Señor fuese tan deservido, y adonde más se ofendiese que en esta tierra, y en donde el demonio fuese más reverenciado y honrado«. Aguilar, Francisco de, Relación breve de la conquista de la Nueva España, a.a.O., S. 102.

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der mexikanischen Indigenen

Im XVI. Jahrhundert hielten die Spanier eine einzige Form sozialer Ordnung für richtig: die einer absoluten katholischen Monarchie.1 Also eine Ordnung, die auf einer spezifischen Vorstellung von Oberschicht und Unterschicht (Adel/gemeines Volk) basierte. Daher war für sie der Versuch unvermeidlich, wie wir es im ersten und zweiten Kapitel gezeigt haben, diese Ordnung auch unter den Indigenen einzuführen. Hier stellt sich aber die Frage, wie diese Ordnung umgesetzt werden sollte, wenn für die Spanier die Indigenen aufgrund ihres Heidentums nicht mit den Spaniern des gemeinen Volks vergleichbar waren? Das Bestehen einer solchen sozialen Ordnung ist von einer Rangdifferenz (Oberschicht/Unterschicht) abhängig, die die Ausdifferenzierung von Teilsystemen der Gesellschaft aus ihrer gesellschaftsinternen Umwelt ermöglicht.2 Das bedeutet, dass eine solche Ordnung eine stabile soziale Asymmetrie benötigt, die die Entfaltung von Hierarchie unterstützt und die Sinnselektionen der gesamten Gesellschaft steuert. Die Spanier besaßen in Hinblick auf die Indigenen bereits die Vorstellung einer solchen Asymmetrie. Sie basierte auf ihrer Vorstellung der Negativität der Indigenen, die durch die Distinktion »Spanier/Indio« dirigiert wurde. Diese asymmetrische Distinktion besaß die nötige kommunikative binä1 | »The Indies were regarded as separated realms united with the crown […] in the person of the king, and political organization was based on the Castilian model.« Scholes, France V., Church and State in New Mexico, University of New Mexico Press, Albuquerque 1937, S. 2. 2 | Siehe die theoretische Argumentation in: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 685.

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re Tragweite, um das Entstehen einer spanischen Oberschicht und einer Indigenen Unterschicht zu ermöglichen und um die Entfaltung des Primats der Stratifikation zu befördern. Das bedeutet, dass auf ihr zunächst die zentrale Undenkbarkeit und Blockierung jeglicher Vergleichsversuche zwischen Oberschicht (Spanier) und Unterschicht (Indigene) aufgebaut werden sollte. Jedoch war eine solche Rangdifferenz keine Selbstverständlichkeit; sie war durch Kommunikationsoperationen zu konstruieren, denn keine Unterschicht »weiß, dass sie eine solche ist oder wird«.3 In diesem Kapitel wollen wir Prozesse der Ungleichheitskonstruktion untersuchen. Hierfür haben wir die Entfaltung von semantischen Lösungen ausgewählt, die die Entstehung einer stratifizierten sozialen Ordnung ermöglicht und bevorzugt haben: 1) die Semantik zur Darstellung der Indigenen als Menschen mit einem »mangelhaften Intellekt« und 2) die Semantik zur Darstellung der »fehlerhaften Intelligenz« der Indigenen.4 Dabei gehen wir davon aus, dass diese Lösungen eine negative Anthropologie5 katalysiert haben, die zur Darstellung der Indigenen verwendet wurde. Die empirischen Materialen, die wir für unsere Untersuchung benutzen werden, sind hauptsächlich Evangelisierungsdokumente und Inqui3 | Ebd., S. 687. 4 | Luhmann schließt sich nicht an die Lehre von Zeichen und ihrer Referenz an, um Semantik zu definieren, sondern an das, was Koselleck mit »historisch-politischer Semantik« meint. Vgl. Koselleck, Reinhardt, Historische Semantik und Begriffsgeschichte, Stuttgart 1978. Zur Erklärung dieser Differenz siehe: Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O. Für die Anwendung dieses Unterschiedes, um lokalisierte Transformationen der Semantik zu untersuchen, siehe zum Beispiel: ders., »Interaktion in Oberschichten: Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O.; ders., »Frühneuzeitliche Anthropologie: Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O. 5 | Siehe für eine historische Studie des Konzepts von Anthropologie der Epoche unserer Untersuchung: Hodgen, Margaret T., Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1964. Und für eine systemtheoretische Behandlung des Konzeptes »Anthropologie« siehe: Luhmann, Niklas, »Frühneuzeitliche Anthropologie. Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O.

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie

sitionsakten, die Informationen über unterschiedliche paradigmatische Formen der Entfaltung von Semantik bieten. Hierfür wollen wir spezifisch einen Teil ihrer Informationen fokussieren, dieser Teil ist ihre Überleitungssemantik. Die Überleitungssemantik ist als eine semantische Umstrukturierung zu definieren, deren Überleitungsfunktion den Umbau von Differenzierungsformen ermöglicht.6 Das bedeutet, dass sie, anders als die Übergangssemantik, die sich näher auf der Ebene der vorübergehenden sozialen Variation befindet, langfristigere semantische Lösungen im Kontext sozialer Ausdifferenzierung verspricht. Dies impliziert, dass ihre Produkte Kommunikationsanschlüsse ermöglichen, die zum Beispiel zur Entfaltung von Stratifikation oder funktionaler Differenzierung beitragen. Wir möchten mit Segmenten dieser Semantik arbeiten (Selektion), weil wir davon ausgehen, dass in ihr Informationen über die semantischen Transformationen zu finden sind, deren kommunikative Folgen dazu beigetragen haben, die Wahrscheinlichkeit der Erwartbarkeit der Negativität zur Darstellung der Indigenen und der Positivität (christliche Ethik und Moral) zur Darstellung der Spanier zu erhöhen.

I. M e thodische V or ausse t zungen Die Überleitungssemantik unserer Auswahl ist in den von christlichen Missionaren verfassten Texten zu finden und entstand durch Selektion von Kontinuitäten, Diskontinuitäten und Äquivalenzen aus zwei Sinnhorizonten, um »Unbestimmbarkeit in Bestimmbarkeit, also unendliche Informationslasten in endliche Informationslasten zu überführen«.7 Ihr Ziel war die christliche Doktrin zu übermitteln. Dafür haben die Missionare ausgewählte semantische Formen kombiniert, entwickelt, transformiert, reproduziert und mit neuer Bedeutung belegt, um vorübergehende Lösungen für vorübergehende Probleme hervorzubringen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Entfaltung der Stratifikation beliebig durch den Willen der Missionare und ihre Überleitungssemantik entstanden ist. Das konnte nicht der Fall sein, weil »[der] Strukturwandel der Gesellschaft […] sich der Beobachtung und Beschreibung durch die Zeitgenossen [ent6 | Siehe eine ausführliche Erklärung des Konzeptes der Überleitungsfunktion in Bezug auf die »frühneuzeitliche Anthropologie«: ebd., S. 172-173. 7 | Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 147.

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zieht]; und erst nachdem er vollzogen und praktisch irreversibel geworden ist, übernimmt die Semantik die Aufgabe, das nun sichtbar Gewordene zu beschreiben«.8 Das heißt, dass die Missionare mit ihrer Überleitungssemantik zur Entfaltung einer sozialen Ordnung beitrugen, die sie nicht im Voraus kannten und deren Entfaltung sie ebenfalls nicht gezielt bestimmen konnten. Wir gehen davon aus, dass die Einführung der christlichen Doktrin unter den Indigenen gesellschaftliche Transformationen verursacht hat, die die Entfaltung der Stratifikation ermöglicht haben. Wir denken, dass sie vor allem die Entstehung der Vorstellung der Ungleichheit zwischen Spaniern und Indigenen unterstützt hat. Die Methode, die wir für die Untersuchung dieser Transformationen einsetzen wollen, geht folgender Frage nach: »[W]elche semantischen Operationen [übernahmen] die Aufgabe […], neue Differenzierungsformen vorzuzeichnen und zugleich die Äquivalente der älteren Ordnung in sie einzuarbeiten«9? Der theoretische Ansatz, den wir hierfür einsetzen möchten, ist Luhmanns wissenssoziologisches Untersuchungsprogramm Gesellschaftsstruktur und Semantik.10 Durch unsere Fragestellung dekomponieren wir »›das‹ Problem ›des‹ gesellschaftlichen Wandels so […], daß man genauer nach Wirkungsvoraussetzungen und Wirkungsrichtungen fragen kann, die [ihrerseits] Kausalitäten [ermöglichten], deren kontingentes Zusammenwirken evolutionäre Strukturveränderungen [ausgelöst haben]«.11 Wir möchten diese Transformation als einen Vorgang der Sinnselektionen definieren, der anders (kontingent) hätte stattfinden können, der aber eine negative Darstellung der Indigenen erfolgreich rekursiv bestätigt und reproduziert hat, bis eine Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen selbstverständlich und erwartbar wurde. Dies untersuchen wir anhand einer Methode, die soziale Transformationen nicht als lineare Vorgänge 8 | Luhmann, Niklas, »Vorwort«, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993 (S. 7-10). 9 | Luhmann, Niklas, »Frühneuzeitliche Anthropologie. Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O., S. 172. 10 | Luhmann präsentiert dieses Untersuchungsprogramm in dem Artikel »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O. 11 | Luhmann, Niklas, »Frühneuzeitliche Anthropologie. Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O., S. 226.

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie

oder Phänomene automatischer Substitution und Löschung alter Strukturen versteht. Unser Vorhaben basiert auf der Prämisse, dass die Entstehung einer stratifizierten sozialen Ordnung durch Transformationsprozesse von Gesellschaftsstrukturen und Semantik ermöglicht wurde. Das heißt, durch das »Verhältnis zweier Evolutionen, die […] sich der Möglichkeit von Sinnevolution verdanken [und] historisch simultan aufeinander wirken, [und] nicht als Verhältnis von vorher/nachher, Ursache/Wirkung, Grund/Folge, höhere/niedrigere Ebene begriffen werden«.12 Das impliziert, dass wenn »[…] es zu einem grundlegenden Umbau der Form gesellschaftlicher Differenzierung kommt, […] demnach die soziale Semantik (Ideen, ›Kultur‹) nicht einfach als Ursache, aber auch nicht bloß als Wirkung der sozialstrukturellen Veränderungen begriffen werden [kann]. Sie wirkt auf sehr viel komplexere Weise an den evolutionären Veränderungen der Gesellschaftsstruktur […] mit.«13 Durch diese theoretischen Vorbedingungen werden wir die komplexe »Korrelation zweier Evolutionen innerhalb der allgemeinen Evolution von Sinn«14 verdeutlichen, die die Entfaltung einer stratifizierten sozialen Ordnung mit einer Indigenen Unterschicht im XVI. Jahrhundert in Mexiko ermöglicht, und deren evolutive Simultanität zugleich die Nichtbeliebigkeit dieser Entfaltung garantiert haben.15 Hierbei geht es also um eine Evolution von Evolutionen, die eine komplexe Theorie erfordert, um geeignet untersucht zu werden. Eine Theorie, die »das neodarwinistische Konzept der Differenzierung evolutionärer Mechanismen […] auf die Theorie autopoietischer Systeme [einstellt]«.16

12 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 56. Luhmann benutzt ebenfalls den Begriff epigenetisch, um diese evolutive Simultanität zu definieren. Siehe hierfür: ders., »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 22. 13 | Ebd., S. 56-57. 14 | Ebd., S. 56. 15 | Über die Restriktionen der Sinnevolution behauptet Luhmann: »Die Restriktionen der Sinnevolution werden […] in die Grenze der Kombinierbarkeit von Gesellschaftsstruktur und Semantik verlagert. Nach wie vor bleibt es natürlich dabei, daß nicht Beliebiges ermöglicht werden kann.« Ebd., S. 60. 16 | Ebd. Siehe für das Konzept »autopoietische Sozialesysteme«: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O.

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Die Absicht unserer Untersuchung ist zu zeigen, wie obsolete oder aufzugebende Semantiksegmente in der Übergangszeit sozialer Transformation beibehalten werden, »weil noch kein Ersatz formuliert werden kann«,17 beziehungsweise wie die Kontraste und die Oppositionen formuliert werden konnten, »[…] die die Änderungen härter und abrupter erscheinen lassen, als sie tatsächlich vollzogen werden [mussten]«.18 Wir befassen uns mit der Erforschung von sozialen Transformationen einer Epoche, die in der religiösen Kommunikation die Funktion der »Letztabsicherung der Geltung von Normen, Begründung politischer Autorität, Deckung von kriegerischer Gewaltsamkeit, Eroberungszügen [und] Missionierungen«19 hatte. Also mit Kommunikationen, die zur Entstehung religiöser Stabilität beitragen sollten und »die bei allen Turbulenzen die Vorstellung einer natürlichen Richtigkeit, einer Ordnung der festen Plätze und einer Unterscheidbarkeit von Perfektion und Korruption [noch] nicht aufgeben [konnten]«.20 Die Evangelisierung der Indigenen verfolgte das asymmetrische Ziel, mit Deutlichkeit zwischen der Perfektion der Spanier und der Korruption der Indigenen zu unterscheiden, um eine soziale Ordnung aufzubauen. Durch sie sollte die höchste soziale Hierarchie »symbolisch über die Spitze hinaus verlängert [werden] in eine höhere Welt«,21 denn die Hierarchievorstellung des Christentums basierte auf dem Schema Schöpfung, Sündenfall und Natur. Auf dieser asymmetrischen Vorstellung basierten die Erwartungen der Spanier und daher ebenfalls die Absicht der von christlichen Missionaren verfassten Werke. So formuliert kann man sagen, dass wir uns in diesem Kapitel mit einer systemtheoretischen Untersuchung eines Themas auseinandersetzen, wel-

17 | Luhmann, Niklas, »Frühneuzeitliche Anthropologie. Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O., S. 173. Der ganze Satz lautet: »Einerseits wird viel Obsoletes oder Aufzugebendes beibehalten, weil noch kein Ersatz formuliert werden kann; andererseits werden Kontraste und Oppositionen formuliert, die die Änderungen härter und abrupter erscheinen lassen, als sie tatsächlich vollzogen werden muß.« 18 | Ebd. 19 | Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, S. 144. 20 | Ebd., S. 270. 21 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 77.

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie

ches Charles Dibble22 philologisch erforscht und als Nahuatlization of Christianity bezeichnet hat.23 Durch unsere Theorieentscheidung distanziert sich diese Arbeit von dem üblichen soziologischen Begriff der Stratifikation und entzieht sich der Debatte, ob es kulturelle (Bildung) oder materielle (z.B. Größe des Landbesitzes) Faktoren waren, die die Transformation von Gesellschaftsstrukturen und Semantik verursacht haben, die die Konstitution einer Indigenen Unterschicht ab 1521 in Mexiko wahrscheinlich machten. Wir definieren Stratifikation auch nicht als »Dekomposition eines Ganzen in Teile«,24 denn dieses analytische Schema ist nicht der Komplexität der rekursiven Transformation von Gesellschaftsstrukturen und Semantik gewachsen. Die Systemtheorie begreift Stratifikation als eine durch autopoietische Kommunikationsoperationen verursachte Systemdifferenzierung, die die Teilsysteme einer Gesellschaft anhand der Rangdifferenz aus ihrer gesellschaftsinternen Umwelt ausdifferenziert. Das bedeutet, dass wir Ausdifferenzierungsprozesse untersuchen, die durch Evolutionsvorgänge von Gesellschaftsstrukturen und Semantik die Entstehung einer Indigenen Unterschicht verursachten, deren Möglichkeiten des Handelns reduzierter waren als die der spanischen Oberschicht und ihr gegenüber auf großen Widerstand stießen.25 Letztens ist zu unterstreichen, dass unser Vorhaben uns in diesem Kapitel mit der Untersuchung der Transformationsprozesse von Überleitungssemantik und im nächsten (vierten) mit denen der Gesellschaftsstrukturen zu beschäftigen, kein Widerspruch unserer Methode der evolutiven Simultanität zwischen Gesellschaftsstruktur und Semantik 22 | Dibble, Charles E., »The Nahuatlization of Christianity«, in: Munro S. Edmonson (Hg.), Sixteenth-century Mexico, The work of Sahagún, University of New Mexico Press, Albuquerque 1974 (S. 225-233). 23 | Wir arbeiten mit Evangelisierungstexten auf Nahuatl, weil sie zahlreich zu finden sind und weil diese Sprache damals in Zentralmexiko sehr verbreitet war. Ihre Informationen sind für uns ein Beispiel, das wir generalisieren möchten, um zu zeigen, wie Prozesse der Entstehung von Überleitungssemantik damals stattgefunden haben. 24 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 686. 25 | Siehe für diese Formulierung: Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 89.

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impliziert. Die Kapitelabfolge unserer Auswahl ist erklärungstechnisch zu begründen, denn wir gehen davon aus, dass die Überleitungssemantik das geeignete Thema darstellt, um dem Leser einen (leichten) Einstieg in unsere Arbeit zu ermöglichen. Sie schließt theoretisch keine andere Reihenfolgemöglichkeit aus. Das bedeutet, dass unabhängig von der Kapitelabfolge unser Ziel bestehen bleibt, durch unseren historischen Untersuchungsfall zwei Fragen zu beantworten: 1) Wie unterscheiden sich die gesellschaftsstrukturelle und die semantische Evolution? Und 2) welche »Kombinationsmöglichkeiten und wechselseitigen Restriktionen«26 ergeben sich daraus?

II. D ie S emantik zur D arstellung der I ndigenen als M enschen mit einem » mangelhaf ten I ntellek t« a. Die asymmetrische Distinktion »Spanier/Indio« Wenn man die asymmetrischen Leitdistinktionen Adel/gemeines Volk und Spanier/Indio betrachtet, dann fallen einem zugleich ihre Ähnlichkeiten wie Unterschiede auf. Die Stratifikation in Mexiko sollte durch Rangdifferenz strukturiert werden. Jedoch waren für die Spanier die Indigenen nicht mit dem spanischen gemeinen Volk vergleichbar, denn die einen waren Christen und die anderen Heiden, deren Natur für sie fremd war: »[…] wie unterschiedlich sind diese indiana im Vergleich zu unserer spanischen Nation und anderen [Nationen] in Europa, die wir kennen, und wie unterschiedlich muss ihre Natur und Fähigkeiten beherrscht und regiert werden […]«. 27

26 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 61. 27 | »[…] cuándiferente gente es esta indiana, de nuestra nación española y de las otras en nuestra Europa tenemos conocidas, y con cuánta diferencia requiere su natural y capacidad ser regida y gobernada […]«. Mendieta, Gerónimo de, Historia Eclesiástica Indiana y descripción de la relación de la provincia del Santo Evangelio que es en las Indias Occidentales que llaman la nueva España hecha el año de 1585, in: Biblioteca de Autores Españoles: Desde la formación del Len-

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Dieser Unterschied erklärt, warum der Auf bau der asymmetrischen Gegenbegriffe in Mexiko anders als in Spanien verlief.28 Dadurch nahm die Sinnselektion zur Koordination der Stratifikation in Mexiko eine andere Form als in Spanien an, denn die Negativität zur Darstellung der Indigenen sollte die Mechanismen zur Exklusion aus der Oberschicht bzw. Inklusion in die Oberschicht und Unterschicht prägen. Hierfür sollte eine Semantik entstehen, die die kommunikativen Voraussetzungen des Hierarchieauf baus zu unterstützen hatte. Eine Semantik, die zum Beispiel die Indigenen über die spanische Vorstellung zu unterrichten hatte, dass ihre Natur mit der spanischen Natur nicht zu vergleichen war. Hierfür leistete die Überleitungssemantik der christlichen Doktrin einen zentralen Beitrag. Über diese Vorstellung unvergleichbarer Natur kann man in den Evangelisierungstexten lesen: »Hört zu […] meine geliebten Söhne […] die Menschen aus Kastilien, die Spanier, sind von ihrem Körperbau und ihrer Art her wie die Löwen aus Kastilien, weil sie stark sind, weil sie die Menschen erschrecken, weil sie sie verschlingen. Alle Tiere fürchten sich vor ihnen. Und ihr, ihr habt von eurer Art und eurem Körperbau her, den Körper und die Natur von Kaninchen. Sollte sich das Kaninchen [wie ein Löwe] durch das, was es frisst, auszeichnen, dann wird es dadurch nicht das Aussehen eines Löwen annehmen, weil das Kaninchen nur Grass frisst, der Löwe aber frisst Menschenfleisch. Sollte das Kaninchen so leben wollen, dann wird es von den Löwen gefressen.« 29 guaje hasta nuestros días. Estudio Preliminar de Francisco Solano y Perez-Lila, Madrid 1973, S. 43. 28 | Für Informationen über das Konzept der asymmetrischen Gegenbegriffe siehe: Koselleck, Reinhart, »Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriff«, a.a.O., S. 66. Diese asymmetrischen Gegenbegrifflichkeiten sind vergleichbar mit denen, die zur Rechtfertigung und Durchführung der Kreuzzüge oder der Reconquista Südspaniens verwendet wurden. 29 | »Escuchad […] mis amados hijos. […] los hombres de Castilla, los españoles, en su cuerpo y modo de ser asemejan a los leones de Castilla porque son fuertes, porque causan pavor a la gente, porque son devoradores de ella. Todos los animales mucho les temen. Y vosotros, en vuestro modo de ser, en vuestro cuerpo, sóis como los cuerpos y la naturaleza de los conejos. Si el conejo quiere mostrarse [como el León] en lo que come, sin embargo no podrá tener la apariencia de un león, porque el conejo sólo come hierba y el león come la carne de la gente. Y si el

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Diese Semantik sollte den Indigenen ebenfalls zeigen, dass die Spanier ihre Religion ablehnten, weil sie für sie eine Form religiöser Negativität war, deren Praxis sich ihnen, nach spanischer Vorstellung, als »schmutzige Sünder« darstellte: »Und nötig ist es, daß gewaschen, ganz gereinigt werde, euer Schwarzes, euer Schmutz mittels des Wassers dessen, durch den man lebt.«30 Die Missionare haben sich durch die Entfaltung dieser Semantik gewünscht, dass die Indigenen solche Axiome verstehen und akzeptieren, um ihre unaustauschbare soziale Position anzunehmen. Denn hiervon hing die Reproduktion der Stratifikation ab, weil »die Hierarchie […] als eine objektive Stufenordnung beschrieben wird, in der jeder nur eine Position einnehmen kann […]«.31 Die Darstellung der Spanier als Löwen bestimmte ihre Position an der Spitze einer hierarchischen sozialen Ordnung und ihre Machtüberlegenheit gegenüber den Indigenen aus einer argumentativen Perspektive, die auf einer spezifischen Naturvorstellung basierte. Diese Asymmetrie sollte eine Selbstverständlichkeit werden, die nur durch christliche Wege überwunden werden konnte: »Aber obwohl eure Natur und die der Spanier als unterschiedlich wahrgenommen werden, vereinigt das christliche Leben eure Seelen mit der der Spanier. Gerade wie ein Christ zum Schaf wird, werden auch die christlichen Indios zum Schaf. Dadurch werden eure Seelen vereinigt, so lieben sie sich wahrlich, so werden sie glücklich. Der gute christliche Indio liebt den kastilischen Menschen, der ein guter Christ ist […]. Aber ein Indio, der nicht im Christentum ist, ist wie ein Kaninchen vor dem Spanier. Wenn der Spanier kein guter Christ ist, ist er wie ein Löwe. Der Indio hat Angst vor ihm, fürchtet ihn, er denkt, dass er von dem Löwen gefressen wird.

conejo quiere vivir así, los leones lo devorarán.« Dieses Werk ist als Bruchstück zu finden in: Sahagún, Bernardino de, Manuskript 1486 der Colección Ayer der Newberry Library, Chicago, Illinois [ohne Seitenzählung]. Zitiert in: Anderson, Arthur J.O., »La Enciclopedia doctrinal de Sahagún«, in: Ascención Hernández de LeónPortilla (Hg.), Bernardino de Sahagún, Diez estudios acerca de su obra, Fondo de Cultura Económica, México 1990, (S. 164-179) S. 177. 30 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 93, Zeile 653-656. 31 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 682.

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Das Christentum vereinigt uns alle, alle Leute dieser Welt, auch wenn unsere Natur sehr unterschiedlich sein sollte.« 32

Dieser Ausgleich war möglich, weil die »Religion [….] zusätzlich zu bestehenden Ungleichheiten eine ihnen zugrunde liegende (»substantielle«) Gleichheit betonen oder auch Gleichheit und Ungleichheit nach einem anderen Prinzip trennen [konnte], etwa unter dem Gesichtspunkt des Heils und der Verworfenheit«.33 Hierfür waren die Indigenen gezwungen, so die Semantik der christlichen Lehre, sich von ihrer Negativität durch die christliche Taufe zu befreien: »Wenn du tatsächlich getauft worden bist, wenn du das Wasser des einzigen und wahren Gottes empfangen hast, […] dann wurdest du in seinem Haus geboren […]. Dadurch bist du von deinen Feinden gerettet worden, von den großen Parasiten, von denjenigen, die wegen des Mülls kriechen, von den fleischfressenden Bestien, von den Menschen-Eulen, von den Teufeln, die aus dem Himmel gefallen sind, weil sie stolz waren […].« 34

32 | »Pero aunque vuestra naturaleza y la de los españoles aparezcan diferentes, la vida cristiana hace una a vuestras almas con la del español. Así como un cristiano se hace como una oveja, también los indios, así cristianos, se hacen también una oveja. De este modo se hacen una vuestras almas, y en verdad se aman, son felices. El indio buen cristiano ama al hombre de Castilla, buen cristiano. […] Pero el indio, si en el no está la cristiandad, es como conejo delante del español. Este, si no es como un buen cristiano, es como un león. El indio le teme, tiene terror ante él, piensa que va a ser comido por él. El cristianismo nos unifica a nosotros, la gente de este mundo, aun cuando nuestras naturalezas sean muy diferentes.« Sahagún, Bernardino de, Manuskript 1486 der Colección Ayer der Newberry Library, a.a.O., S. 177. 33 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 79. 34 | »Si de verdad has sido bautizado, si has recibido el agua del único verdadero Dios, […] en su morada entonces has nacido […]. Y por ello has sido salvado de manos de tus enemigos, de los grandes parásitos, de aquellos que se arrastran por la basura, de las bestias carniceras, de los hombres-búhos, de los Diablos que cayeron del cielo porque eran orgullosos […].« Olmos, Andres de, Tratados de hechicerías y sortilegios, Paleografía del texto náhuatl, versión española, intro-

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Das Ziel der Entfaltung der Semantik christlicher Doktrin war es, die Indigenen zu evangelisieren. Dabei unterrichteten die Spanier sie zugleich über eine soziale Ordnung, deren Entstehung für die Eroberer unvermeidlich und notwendig war. Um diese durchzusetzen, mussten die Indigenen von ihrer naturbedingten Andersartigkeit im Vergleich zu den Spaniern und ihrer Negativität überzeugt werden. Durch die Annahme dieser Voraussetzungen und die Änderung ihres Verhaltens (Selektionspräferenzen) sollten sie Christen und Untertanen werden. Hierfür mussten sie, nach spanischer Ansicht, bestimmte Kommunikationen verstehen, akzeptieren, annehmen und reproduzieren.

b. Die Überleitungssemantik der Evangelisierungstexte Die Überleitungssemantik der Evangelisierungstexte war, wie jede religiöse Kommunikation, eine Kommunikation, die in der Form eines Problems als dessen Lösung auftritt, »das Differente sei Dasselbe«.35 Aus diesem Grund kann man sagen, dass diese Kommunikationen rekursive selbsterzeugte »[…] Glaubenssicherheiten [sind], die als Texte zur Verfügung stehen und bei Bedarf re-interpretiert werden können«.36 Diese Überleitungssemantik war ein antizipatorischer, kommunikativer Prozess, der Ereignisse und Handlungen auswählte, »weil sie Folgen haben […], die ihrerseits nur eintreten […], wenn die Auslöseereignisse realisiert werden«.37 Die Missionare haben nach diesem kommunikativen Muster Lösungen für die Überleitungssemantik ihrer Texte gesucht, um den Indigenen drei Punkte zu erklären: 1) die Unbedingtheit der christlichen Dogmen, 2) die Notwendigkeit der Annahme des Christentums und 3) dessen Hierarchie.

ducción y notas de Georges Baudot, Universidad Nacional Autónoma de México, México 1990, S. 9. 35 | Die Formulierung ist von Luhmann und lautet: »[D]as Problem trete als seine Lösung auf, das Differente sei Dasselbe.« Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 147. 36 | Ebd., S. 237. 37 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 484-485.

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b.1 Die Darstellung des Teufels Die Überleitungssemantik zur Evangelisierung der Indigenen wurde durch unterschiedliche Sinnselektionen der Missionare entfaltet. Sie suchten nach Lösungen, um Informationen über religiöse Konzepte, Themen, Dogmen usw. zu entwickeln, deren Bedeutung, nach ihrer Ansicht, den Indigenen verständlich sein sollte. Da die Lösungen zahlreich waren, wollen wir mit einer Selektion arbeiten. Hierbei möchten wir mit den Lösungen beginnen, die entwickelt wurden, um die zentrale Vorstellung christlicher Negativität darzustellen: die Darstellung des christlichen Teufels. Wir beginnen damit, weil die Indigenen ohne sie nicht in der Lage gewesen wären, ihre zugeschriebene Negativität und Sünden zu erkennen, um sie dann anzunehmen. In der Religion der Azteken gab es keine Semantik, die eins zu eins mit der christlichen Teufelsrepräsentation vergleichbar gewesen wäre. Der Satz »[Götzenanbeter], die heidnische Teufel anzubeten pflegen«,38 heißt auf Nahuatl: gentiles Diablome quĵmoteotitinemj.39 Dabei ist das spanische Wort Diablo (Teufel) zu finden. Jedoch bedeutete dieses Wort für die Indigenen nichts; daraus konnten sie noch keine Vorstellung von Negativität ableiten. Die Bezeichnung musste also erst mit negativem Sinn 38 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 76, Zeile 80-81. 39 | In der spanischen Übersetzung von León-Portilla dieses Werkes ist diese Bezeichnung hier zu finden: S. 104. Sahagún, Bernardino de, Coloquios y doctrina cristiana con que los doce frailes de San Francisco, enviados por el papa Adriano VI y por el emperador Carlos V, convirtieron a los indios de la Nueva España. En lengua mexicana y española. Los diálogos de 1524 dispuestos por frai Bernardino de Sahagún y sus colaboradores Antonio Valeriano de Azcapotzalco, Alonso Vegerano de Cuauhtitlán, Martín Jacobita y Andrés Leonardo de Tlatelolco y otros cuatro ancianos muy entendidos en todas sus antigüedades. Edición facsimilar, introducción, paleografía, versión del náhuatl y notas de Miguel León-Portilla, UNAM y Fundación de Investigaciones Sociales A.C. [Colección de Facsímiles de Lingüistica y Filosofía Nahuas], México 1986. Siehe hierzu die Untersuchung über die Transformation der Nahuatl-Sprache durch den spanischen Einfluss: Lockhart, James/Frances Kartunnen, Nahuatl in the Middle Years, Lenguage Contact Phenomena in Texts of the Colonial Period, University of California Press, Berkeley, Ca. 1976.

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belegt werden. Andrés de Olmos benutzt in seinen »Handbücher über Hexereien und Zaubermittel« die Bezeichnung tlaca-tecolotl, »MenschenEule« (Einzahl: tlacatecolo), um den »christlichen Teufel« darzustellen: »Ihr müsst wissen, dass er sich Menschen-Eule nennt, der auch wahrhaftig eine Menge Namen hat: böser Engel, Teufel, Dämon, Satan.«40 Walter Lehmann weist darauf hin, dass sich die Indigenen durch diese Bezeichnung eine unheimliche und schreckliche Kreatur vorstellten.41 Diese Darstellungsform des Teufels ist oft in den Lehren der christlichen Doktrin zu finden. Das bedeutet, dass der Erfolg einer Darstellung des Teufels unter den Indigenen von der Relationalität abging, die zwischen dem Teufel und der Negativität Indigener Gottheiten zu etablieren war. Daher kann man des Öfteren lesen: »[…] unserer Feind, der Teufel, (die, die ihr als Götter erdichtet), von denen ihr sagt: es sind Götter, […].«42 Hinzu kam, dass die Evangelisierungstexte ausführliche Erzählungen des Werdegangs des Teufels bieten, die zugleich die Negativität der negativen vorspanischen Gottheiten hervorheben. Der Versuch, diese Äquivalenz zu aktivieren, schloss die ausführliche Benennung negativer Gottheiten der Indigenen ein: »Sie verwandelten sich in Teufel, die ihr nennt Tzitzitzimi, Coleletin (auch nennt ihr sie Tozontemoc, Piyoche, Tzompachpul, Cueçal). Sehr schwarze sind es, sehr schmutzige, sehr fürchterliche, sehr hochmütige, sehr neidische, sehr erschreckliche (böswillige), […] sehr verspottende, sehr zornige und sehr wütige [sic!].« 43

Sowohl die tzitzimimeh als auch die coleletin waren für die Indigenen fürchterliche Darstellungen, die am Ende einer kosmischen Periode er-

40 | »Vosotros habéis de saber que este hombre-búho se nombra, se llama verdaderamente por una multitud de nombres: mal ángel Diablo, Demonio, Sathán.« Olmos, Andres de, Tratados de hechicerías y sortilegios, a.a.O., S. 13. 41 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 76, Fußnote b. 42 | Ebd., S. 87-89, Zeile 494-496. 43 | Ebd., S. 117-118, Zeile 1442-1451.

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scheinen könnten, um die Menschheit zu fressen.44 Hiervon waren selbstverständlich die positiven Gottheiten der Indigenen nicht ausgeschlossen. Die Entfaltung dieser Überleitungssemantik basierte auf einem Äquivalenzprogramm zwischen der Darstellung der Gottheiten der Indigenen und der Darstellung der Negativität des Teufels und betonte überdies die Negativität jeder rituellen Praxis, die mit den Indigenen Gottheiten verbunden war: »[…] der Teufel […], vor dessen Antlitz ihr euch stecht (Blut abzapft), in eurer Mitte Menschen opfert; eure ständige Sorge ist jegliche der vielfachen Übeltaten: des Hasses, des Kriegführens, des Menschenfleischessens und der anderen Sünden […]« 45

Dieses Programm war eine der relevantesten operativen Maßnahmen zur Entfaltung der Überleitungssemantik der Lehre christlicher Doktrin und wurde so effizient betrieben, dass, wenn in Texten aus dem XVI. Jahrhundert die Bezeichnung Diablo auftaucht, man, wie James Lockhart in seinen Studien über die Nahuas nach der Eroberung bemerkt, immer »preconquest indigenous deity« verstehen soll.46 Jedoch garantierten diese Lösungen nicht die Übermittlung der Totalität der christlichen Doktrin. Und dies nicht nur, weil die Semantik des Tlacatecolos und des Diablos schwer vergleichbar waren, sondern vor allem weil die Semantik des Christentums von einer sehr dichten Systematik abhängt. Die Lösungen der Überleitungssemantik zur Darstellung des Teufels erforderten die Erklärung weiterer Segmente der christlichen Lehre.

44 | Ausführlich León-Portilla in: Sahagún, Bernardino de, Coloquios y doctrina cristiana con que los doce frailes de San Francisco, enviados por el papa Adriano VI y por el emperador Carlos V, convirtieron a los indios de la Nueva España, a.a.O., S. 173, Fußnote 6. 45 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 88-89, Zeile 494-505. 46 | Lockhart, James, We people here, a.a.O., S. 31.

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b.2 Die Darstellung der Hölle Die Überleitungssemantik kann man sich als einen Laborraum vorstellen, in dem unterschiedliche Lösungen für unterschiedliche Probleme ausprobiert werden können, ohne endgültige Entscheidungen zu treffen: »Teils leistet die Semantik sich probeweise Innovationen, die noch nicht in das Muster strukturstützender Funktionen eingebaut sind und daher jederzeit wieder aufgegeben werden könnten.«47 Durch die Darstellung der Hölle sollten die Indigenen verstehen, dass die Fortsetzung der Verehrung ihrer Gottheiten und die Durchführung ihrer religiösen Praxis negative Folgen für ihr Leben nach dem Tod haben konnte. Hierfür wurde zunächst eine zusätzliche Äquivalenzform ausprobiert. Bei den ersten Versuchen, eine Überleitungssemantik diesbezüglich aufzubauen, ist die Nahuatl-Bezeichnung in mjctlan 48 zu finden. Dieses Wort war mit religiösem Sinn belastet, denn das Mictlan war für die Indigenen »[die] Unterwelt ([das] Totenreich)«49. Für Walter Lehmann bezeichnet Mictlan an dieser Stelle die Repräsentation der »Hölle«.50 Jedoch waren Hölle und Mictlan nicht ohne zusätzliche Leistung der Überleitungssemantik zu substituieren. Die Kontinuität der Anwendung der Bezeichnung »Mictlan« im Rahmen der christlichen Doktrin erforderte die Abschaltung ihrer Indigenen Bedeutung. Sie sollte mit christlichem Sinn aufgefüllt werden, indem ihre Bestrafungsrolle betont wurde. Ein »Einfall« des Missionars Pedro de Gante, der seit 1523 in Mexiko tätig war, versinnbildlichte dieses Vorhaben: »To inspire in the Indian a salutary horror of hell, he had a kind of oven brought in, had dogs, cats, and other animals thrown into it, and then lit the fire. The cries of pain of the unlucky animals naturally filled the Indians with great fear.« 51 47 | Luhmann, Niklas, »Vorwort« zu: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, a.a.O., S. 7-8. 48 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 81, Zeile 271. 49 | Ebd. 50 | Siehe ebd., Fußnote d. 51 | Muñoz, Diego, O.F.M.: »Descripción de la Provincia de los Apóstoles San Pedro y San Pablo en las Indias de la Nueva España.« Zitiert in: Ricard, Robert, The Spiritual Conquest of Mexico, An Essay on the apostolate and the Evangelizing

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Die Hölle war als Ort darzustellen, in dem die Indigenen, die das Christentum ablehnen sollten, ihre ewige Bestrafung finden würden: »In diesem so bösen Ort, der mit vielen Plagen überfüllt ist, befinden sich alle eure Vorfahren: Väter, Mütter, Großeltern, Verwandten […]. Und dahin werdet ihr auch gehen, wenn ihr nicht Freunde Gottes werdet: wenn ihr euch nicht taufen lasst und Christen werdet.« 52

Aber die Darstellung dieser Negativität war nicht ausreichend, um die gesamte Lehre des Christentums zu entfalten. Da das Christentum auf der binaren Distinktion der Positivität Gottes und der Negativität des Teufels basiert, war es notwendig, mittels Überleitungssemantik die Darstellung der Positivität zu entfalten, also die Darstellung des christlichen Gottes.

b.3 Die Darstellung der Positivität des christlichen Gottes Die Missionare gingen davon aus, dass die Seelen der Indigenen nur durch die Annahme der Positivität des Christentums aus der ewigen Verdammnis zu retten waren. Nach ihrer Ansicht hatten die Indigenen zwischen Positivität und Negativität zu unterscheiden, um die Positivität aufgrund ihrer Positivität zu bevorzugen. Hierfür war es notwendig, eine Darstellung des christlichen Gottes zu entwickeln, die seine Omnipotenz und Positivität betonte: »[…] der wahre Gott, der Herr, der Herr der Nähe, der Herr des Bei, Der, durch den man lebt […]«.53 Die Indigene haben den christlichen Gott als Tloqu-ê Nauaqu- ê (»Herr des Mit und Bei, Herr der unmittelbaren Nähe«) bezeichnet. Diese Benennung war ursprünglich ein Ausdruck auf Nahuatl, den die Indigene benutzt haben, Methods of the Mendicant Orders in New Spain, University of California Press, Berkeley, Ca. 1966, S. 104. 52 | »En aquel lugar tan malo y lleno de tantos tormentos están todos los que han muerto de vosotros y de todos vuestros antepasados: padres: madres: abuelos: parientes: […] Y allí también iréis vosotros sino os haceis amigos de Dios: y sino os baptizareis y os tornardes cristianos.« Cordoba, Pedro de, Doctrina cristiana para instrucción y información de los indios, por manera de historia, Editora Montalvo, Universidad de Santo Domingo, República Dominicana 1945, S. 66. 53 | Sahagún, Bernardino de, Sterbende Götter und christliche Heilsbotschaft, Wechselreden indianischer Vornehmer und spanischer Glaubensapostel in Mexiko 1524, a.a.O., S. 82, Zeile 289-291.

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um ihre allgemeine Vorstellung von Gottheit zu definieren.54 Diese Nahuatl-Bezeichnung für den christlichen Gott sollte nicht nur die Positivität der christlichen Religion betonen, sondern auch die Negativität der Indigenen Religion. Durch einen direkten Vergleich war die Positivität des christlichen Gottes am besten zu vermitteln und zu erkennen. Die Indigenen sollten lernen, ihre eigenen Gottheiten zu verachten: »[…] der durchaus wahre Gott, der Herr, der wahre Schöpfer, der Wahre, durch den alles lebt, der wahre Herr des Mit und Bei, den euch zu lehren wir gekommen sind, Er ist nicht so (wie eure falschen Götter), in Nichts treibt Er seinen Spott mit den Leuten, nichts von Lüge ist bei Ihm, dem Erhabenen, nichts von Mißgunst, nichts von Haß, ferner nichts Schwarzes, ferner nichts Schmutziges will Er. Durchaus insgesamt verabscheut Er das Böse, das Schlechte (was alles genannt wurde). Ferner ist es Ihm unmöglich, es zu sehen, insgesamt verbietet Er es, weil Er vollkommen gut ist, vollkommen tugendhaft. Bei Ihm trifft in eins zusammen insgesamt das Gute, Rechte, das Klare (Lichte). Er ist sehr liebreich, sehr mitleidsreich, sehr erbarmungsreich.« 55

Das Programm der Vermittlung der christlichen Doktrin basierte auf der binären Distinktion Positivität/Negativität und ging davon aus, dass die Indigenen mit der Applizierung dieser Distinktion vertraut waren. Jedoch weist Walter Lehmann darauf hin, dass der Nahuatl-Text die Darstellung der Negativität anhand der Verneinung bildet: »das Nichtgute, das Nichtrechte«, und er notiert, dass in einer Reihe amerikanischer Sprachen »das Gute als das Positive, das Böse als die Verneinung dessen ausgedrückt wird«.56 Das bedeutet, dass die Nahuatl-Sprache keine Ausdrucksmöglichkeit für eine Form der Negativität bot; also für die negative Seite der Distinktion Positivität/Negativität. Diese Besonderheit beeinträchtigte je54 | Ebd., Fußnote b. Lehmann nennt hier Nahuatl »Mexikanisch«. Ich benutze die moderne Bezeichnung (siehe die Version von León-Portilla) Nahuatl, weil »Mexikanisch« keine präzise Bezeichnung ist, sondern eine, die den Eindruck erweckt, dass in Mexiko nur eine Indigene Sprache gäbe: »Mexikanisch« (heutzutage werden über sechzig unterschiedliche Indigene Sprachen gesprochen). Die Entscheidung ist nicht mit der Tatsache verbunden, dass wir die Relation zwischen dieser Sprache und dem Volk der Mexika übersehen. 55 | Ebd., S. 87-88, Zeile 455-479. 56 | Ebd., S. 88, Fußnote 1.

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doch das Vorhaben der Missionare nicht, denn ihre Überleitungssemantik konnte im Prinzip mit dieser Art Verneinung arbeiten, um die Darstellung des christlichen Gottes als Äquivalent zur Positivität zu entfalten.

b.4 Die Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit Zur Übermittlung des Christentums gehören sowohl das Lehren als auch das Lernen von Dogmen. Wir möchten das Beispiel des Dogmas der Heiligen Dreifaltigkeit fokussieren, um die Lösungen zu illustrieren, die die Überleitungssemantik hierfür gefunden hat. Dieses Dogma ist, wie alle Dogmen, durch ein Geheimnis konstituiert, dass den Willen an ihn zu glauben fordert, also der, der dem Glauben an den Glauben ermöglicht, um an sie zu glauben. Pedro de Córdoba hat in seiner christlichen Doktrin versucht, eine Überleitungssemantik zu entfalten, um dieses Geheimnis darzustellen: »Gott ist eine Natur, wie gesagt, in mehreren Personen: diese Personen sind nämlich drei. Die erste Person heißt Gott Vater, die zweite heißt Gott Sohn, weil sie durch den Vater gezeugt wurde, aber nicht wie Menschen zeugen, denn er hat keinen Körper, er zeugt wie die Sonne, die ihre Strahlen produziert. Die dritte Person ist der Heilige Geist, der von dem Vater und von dem Sohn abstammt, wie das Licht von den Strahlen und von der Sonne abstammt. Diese drei Personen haben eine Natur, die Gott oder Göttlichkeit heißt, genauso wie die Menschen eine Natur haben, die Menschheit heißt, und viele Steine eine Natur haben, die Stein heißt […] diese Natur liegt in dem Vater, in dem Sohn und in dem Heiligen Geist ohne teilbar zu sein. Genauso wie eine Kleidung oder ein Tuch mehrere Falten hat und alle Falten eine Natur haben, die ein Tuch ist, das mehrere Falten hat, und sie nicht mehrere Tücher sind, sondern nur eins. Auf diese Art gibt es in Gott mehrere Personen, also Vater, Sohn und Heiliger Geist, und sie sind nicht mehrere Götter, sondern nur ein einziger wahrer Gott, genauso wie das Tuch mit mehreren Falten nur ein Tuch ist und nicht mehrere Tücher. Jedoch hat es mehrere Falten und eine Falte ist nicht die andere Falte, sondern eine andere. Auf diese Weise ist Gott ein einziger Gott und hat mehrere Personen, und eine Person ist weder die andere, noch die andere, sondern eine andere. Jede Person ist in sich unterschiedlich. […] Und ein einziger Gott ist drei Personen und nicht eine einzige Person, sondern eine einzige Essenz.« 57 57 | »Y así Dios que es una naturaleza como ya es dicho está en muchas personas: conviene a saber: en tres. La primera persona se llama Dios Padre La segun-

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Die Indigenen ordneten die Informationen der Überleitungssemantik nach ihren eigenen Möglichkeiten. Denn sie hatten keine Alternative. Ihr Verstehen konnte nicht durch die Erwartungen der Missionare festgelegt werden. Das bedeutet, dass die Missionare die Effekte der Überleitungssemantik christlicher Doktrin nicht gezielt steuern konnten. Denn sie konnten nicht vorprogrammiert werden, um zum Beispiel die Entstehung ausgewählter struktureller Transformationen sicherzustellen. Jedoch entzog sich diese Tatsache ihrer Beobachtungskapazität. Sie konnten nur die Notwendigkeit der Bestätigung ihrer religiösen Erwartungen wahrnehmen und jede Abweichung diesbezüglich konnten sie nur als eine Enttäuschung ihrer Erwartungen verstehen. Denn für sie war die kulturelle und religiöse Vielfalt der Indigenen eine Abweichung von der gewünschten Normalität,58 die sie durch ihre Überleitungssemantik

da Dios Hijo: porque lo engendró el Padre: no como los otros hombres engendran, porque no tiene cuerpo más como el sol engendra los rayos que produce. La tercera persona se llama Dios Espíritu Sancto: que procede del Padre y del Hijo: como la luz procede del rayo y del sol. Estas tres personas tienen una naturaleza que se llama Dios o Divinidad: así como muchos hombres tienen una naturaleza que se llama humanidad, y muchas piedras tienen una naturaleza que se llama piedra. […] porque la naturaleza que está en el Padre está en el Hijo y en el Espiritu santo sin partirse: así como una vestidura o un paño es una naturaleza y este paño tiene muchos dobleces y todos ellos tienen una naturaleza que es un paño, el cual tiene muchos dobleces y no son muchos paños sino uno: así en Dios hay muchas personas: conviene a saber: tres: que son: Padre: Hijo: Espíritu Sancto: y no son muchos dioses: mas un dios solo verdadero: así como el paño que tiene muchos dobleces no son muchos paños sino uno: empero tiene muchos dobleces: y un doblez no es el otro: ni el otro, es otro: así Dios es uno solo y tiene muchas personas: y la una persona no es la otra, ni la otra es otra: más cada una persona realmente es distinta por sí. […] Y un solo Dios son tres personas, y no una sola persona: sino una sola esencia.« Cordoba, Pedro de, Doctrina cristiana para instrucción y información de los indios, a.a.O., S. 71-72. 58 | Luhmann hat diesen Prozess wie folgt definiert: »Eine erste Folge war das massive Auftreten negativer Kennzeichnungen fremder Kulturen im Kontext eines verbreiteten Interesses an Abweichungen, Deformationen, Entartungen, Monstren.« Luhmann, Niklas, »Frühneuzeitliche Anthropologie. Theorietechnische Lösungen für ein Evolutionsproblem der Gesellschaft«, a.a.O., S. 206.

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(antizipatorisch-teleologisch)59 zu bekämpfen hatten. Jedoch, wie gesagt, waren die Enttäuschungen der Missionare auf unterschiedlichen Ebenen der Übermittlung der christlichen Doktrin nicht zu vermeiden. Gerade aus diesen Enttäuschungen sollten sie eine Semantik entfalten, die, mit anderen Argumenten, zur negativen Darstellung der Indigenen beitragen sollte.

c. Die Erwartungen der Missionare und das Verstehen der Indigenen: Die Kontingenz der Überleitungssemantik Die Missionare konnten die Kontingenz ihrer Überleitungssemantik (die Unwahrscheinlichkeit ihrer kommunikativen Anschlüsse) nicht beobachten. Denn sie disponierten über einen Mechanismus, der die kommunikative »Unbestimmbarkeit in Bestimmbarkeit […] [überführte]«.60 Dieser Mechanismus war die Darstellung der Notwendigkeit des christlichen Gottes, also die Vorstellung von Gott als Kontingenzformel.61 Diese Kontingenzformel war die Voraussetzung der Möglichkeit der Beobachtung (»Handhabung von Unterscheidungen«62) der Missionare und die Unterscheidung, die die Entstehung des blinden Flecks ihrer Beobachtungskapazität verursachte.63 Eine solche Formel zielt darauf ab, »[…] andere 59 | Siehe für ausführlichere Informationen über die Kritik an Definitionen von teleologischen Wandelprozesse: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 470-487. 60 | Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 147. Siehe für ausführlichere Informationen über die Prozesse der Ausdifferenzierung der Religion Luhmann, Niklas, »Ausdifferenzierung der Religion«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1989 (S. 259-357). 61 | Siehe hierzu: Luhmann, Niklas, »Die Unterscheidung Gottes«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 4: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, 3. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005 (S. 250268); ders., Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., insb. Kapitel 4: »Kontingenzformel Gott«. 62 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 63. 63 | Die Definition des Konzeptes »blinder Fleck« lautet: »Beobachten ist die Verwendung einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite. Unterscheidung ist das Markieren einer Grenze mit der Folge, daß man nur

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Möglichkeiten, die auch gegeben sind, zu unterdrücken«.64 Auf ihr waren die Glaubensdogmen und religiösen Geheimnisse aufgebaut, worüber die Überleitungssemantik zu informieren hatte. Diese Form der Kontingenzreduktion determinierte nicht nur die Selektionen zur Konstruktion der Überleitungssemantik, sondern auch die Erwartungen der Missionare bei der Evaluation des Verstehens der Indigenen über die christliche Doktrin. Die Indigenen verstanden ihrerseits die Informationen der Überleitungssemantik nach ihren eigenen Möglichkeiten der Informationseinordnung. Aus diesem Grund stimmte ihr Verstehen darüber in der Regel mit den Erwartungen der Missionare nicht überein. Dies verursachte die Enttäuschung der Erwartungen der Missionare. Aber wie konnten die Missionare sich ihre eigenen Enttäuschungen erklären, wenn sie wegen ihrer religiösen Überzeugung weder die Kontingenz der Überleitungssemantik noch die Alterität (die Möglichkeit, etwas unterschiedlich zu verstehen) der Indigenen nicht als solche wahrgenommen haben? Hierzu lautet die Antwort: Sie haben versucht, das Verstehen der Indigenen als eine defiziente Leistung darzustellen, die von ihrer negativen Natur herzuleiten war. Darüber kann man zum Beispiel in Bezug auf das Dogma der Heiligen Dreifaltigkeit lesen: »[…] es geht um […] ein scharfsinniges Geheimnis, das den menschlichen Sinn übertrifft; und der Sinn dieser Armseligen ist so stumpf, dass sie sich nicht mal die Heilige Dreifaltigkeit vorstellen können«.65

durch Überschreiten der Grenze von der einen zur anderen Seite gelangen kann. Spencer Brown nennt das Form. Da die Benutzung einer Unterscheidung Voraussetzung jeder Beobachtung ist, ist diese Unterscheidung in ihrer operativen Verwendung selbst nicht unterscheidbar (obwohl auf noch ungeklärten logischen Grundlagen auch über sich-selbst-unterscheidende bzw. sich-selbst-bezeichnende Unterscheidungen diskutiert wird). Die in der Beobachtung operativ verwendete, aber nicht beobachtbare Unterscheidung ist der blinde Fleck des Beobachters.« Luhmann, Niklas, »Ich sehe was, was du nicht siehst«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 5: Konstruktivistische Perspektiven, 3. Auflage, Verlag für die Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, (S. 220-226) S. 222-223. 64 | Luhmann, Niklas, Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., S. 150. 65 | »[…] se trata, […] de un misterio sutil y que sobrepasa mucho al sentido humano; y el sentido de estos miserables es tan obtuso, que ni pensar pueden en la

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Da die Missionare weder die Kontingenz der Überleitungssemantik noch die Alterität der Indigenen beobachten konnten, kann man sagen, dass sie die Indigenen »[…] wie Trivialmaschinen (im Sinne von Heinz von Foerster66) [behandelten]. Die Kommunikation [wurde] als Input, das richtige Verhalten als Output angesehen«.67 Das von ihnen erwartete richtige Verstehen (Verhalten) der Indigenen war für sie der einzige richtige und mögliche Output. Dabei war es für sie eine Selbstverständlichkeit, dass, falls ein anderer Output vorliegen sollte, sie eingreifen mussten, um den Fehler zu korrigieren. Hierfür haben sie zum Beispiel die »Methode« entwickelt, die Indigenen durch Gewaltanwendung zu bestrafen. Eine solche Bestrafung brauchte ebenfalls eine theologische Basis, um legitim zu sein. Aus diesem Grund entstand eine Semantik, deren Ziel es war, die Formen der Gewaltanwendung gegen die Indigenen zu bestimmen und zu rechtfertigen. Dabei ging es um eine Semantik, die wiederum auf der Vorstellung der asymmetrischen Qualität der Natur der Indigenen gründete: »Wenn es irgendwo nötig sein mag, strengere Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen, dann ist es zwischen den Indio Völkern vollkommen notwendig, denn ihr Naturell ist servil, und ihre Gewohnheiten sind in der Regel kindisch. Sie verhalten sich in einer Art und Weise, dass, wenn sie keinen Anreiz durch Angst und Schrecken erhalten, sie sich leicht zerstreuen lassen oder faulenzen. Die Frage ist, wie und in wie fern der Diener Gottes die Bestrafung anzuwenden hat. […] Auf keinen Fall wäre angebracht, ihre Vergehen oder Nachlässigkeit mit dem geistlichen Schwert (demjenigen, das in die Zuständigkeit der Kirche fällt) zu bestrafen. Denn wenn man anordnet, sie durch Interdikte, Exkommunikation oder Kirchenzensur […] zu bestrafen, dann würden sie die Härte der Strafe nicht erkennen und wahrnehmen, und ohne die Hilfe des Lichts der Kirche werden sie mit Leichtigkeit zur Finsternis des Aberglaubens zurückkehren. In derselben Weise, wie wir Tiere durch Stockschläge bestrafen, damit sie große Schmerzen verspüren, jedoch ohne sie in GeTrinidad«. Acosta, José, De procuranda indorum salute. Educación y evangelización (1588), Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid 1987, S. 231. 66 | Foerster, Heinz von, Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993. 67 | Luhmann, Niklas, »Sozialisation und Erziehung«, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 4: Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, 3. Auflage, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, (S. 183­-192) S. 190.

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fahr zu bringen, müssen sie bestraft werden. Und derjenige [Spanier] verdiente die Höchststrafe, der zur Bestrafung sein Schwert an den Hals oder seinen Dolch auf die Brust von einem von ihnen, der unkontrolliert oder außer sich ist, platzieren würde und ihn nicht besser hart, aber ohne Gefahr auf dem Rücken oder auf den Waden geißeln würde. Denn er [der Indio] würde im ersten Fall außer sich, wie er ist, den Tod der Bestrafung vorziehen, und im zweiten Fall würde umgekehrt der Schmerz selbst ihm Erlösung bringen […] besser ist es, ihnen körperliche Bestrafungen aufzuerlegen, die Schmerzen verursachen, aber die keinen Schaden anrichten und sehr viel helfen.« 68

Die Indigenen sollten bestraft werden, wie die Spanier ihre Tiere bestraften. Jedoch verstanden die Indigenen das Ziel der Bestrafung wiederum nach ihren eigenen Möglichkeiten der Informationseinordnung und nicht nach den Erwartungen der Missionare: 68 | »Si en alguna parte es preciso adoptar medidas disciplinares más severas, entre los pueblos indios es esto absolutamente necesario, porque son de condición servíl y de costumbres las más de las veces pueriles. De tal manera se comportan, que si no tienen el estímulo del temor, facilmente se desvían o se hacen el remolón. […] La cuestión está en saber cómo y en qué medida ha de hacer uso del castigo el siervo de Dios. […] Pero en modo alguno conviene castigar sus delitos o su negligencia con la espada espiritual (que es la que compete a la Iglesia). Porque si se ordena imponer como castigo los entredichos, excomuniones y censuras de la Iglesia, fácilmente los tendrán en poco, pues no perciben ni reconocen su fuerza y privados de la luz de la Iglesia volverán fácilmente a las tinieblas de su superstición. Al igual que solemnos castigar a los animales dándoles palos que les hagan sentir fuerte dolor; pero sin ningún peligro, y merecería la más absoluta condena quien para escarmiento pusiese su espada al cuello de uno que estuviera fuera de sí o enajenado o el puñal al pecho, y no más bien le azotase fuertemente, sin peligro, en las espaldas y pantorrillas, porque en el primer caso enajenado como está preferiría la muerte al castigo y en el segundo, por el contrario, el dolor mismo se convertiría en causa de su salvación […] mejor es imponerles castigos corporales que duelen, pero que en nada perjudican y ayudan muchísimo.« Acosta, José, De procuranda indorum salute, a.a.O., S. 143, 149, 151. Hierbei ist anzumerken, dass das Werk von Acosta in Peru entstanden ist. Jedoch benutzen wir es, weil seine Anmerkungen sich für die Gesamtheit der Indigenen generalisieren lassen. Dies insbesondere, wenn man von der Stratifikation ausgeht, die als soziale Ordnung in den spanischen Kolonien Amerikas herrschen sollte.

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»Scourging in particular seemed to them a very meritorious thing, and the penitents were frequently disappointed when the confessor did not impose it. ›Why do you not order me to be whipped?‹« 69

Diese Reaktion hat höchstwahrscheinlich weitere Enttäuschungen der Erwartungen der Missionare verursacht. Solche Folgen der Überleitungssemantik waren für die Missionare mit Sicherheit eine unerfreuliche Überraschung. Jedoch sind sie aus unserer theoretischen Perspektive eine Selbstverständlichkeit. Denn nach ihr reduziert jeder kommunikative Versuch die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens einer Mitteilung und verursacht gleichzeitig Kommunikationen, die neue Formen der Wahrscheinlichkeit und der Unwahrscheinlichkeit des Verstehens weiterer Mitteilungen generieren. Dies kann man mit besonderer Prägnanz wahrnehmen, wenn man die Berichte der Missionare liest, die über ihre enttäuschten Erwartungen bezüglich der Leistung der Indigenen bei der Beichte informieren. In dem in Nahuatl und Spanisch veröffentlichten Beichtspiegel von Alonso de Molina (1569) kann man lesen, dass die Indigenen Schwierigkeiten hatten, mit dem Begriff des freien Willens umzugehen: »[…] Du sollst nicht sagen, dass der Teufel dich gezwungen hat, zu sündigen; du sollst auch nicht sagen, dass ein Freund oder ein Verwandter dich zum Begehen einer Sünde gezwungen hat… [sondern] ich trage die Schuld meines Handels und des Unsinns, den ich begangen habe […]«.70

Juan Bautista informiert ebenfalls darüber:

69 | Motolinía zitiert in: Ricard, Robert, The Spiritual Conquest of Mexico, a.a.O., S. 121. 70 | »[…] No dirás hízome fuerza o provocóme el demonio a que pecasse; ni tampoco diras era mi amigo o pariente el que me hizo cometer el peccado…[sino] yo tengo la culpa de lo que cometí y del desatino que hize […]«. Molina, Alonso de, Confesionario mayor en lengua mexicana y castellana, México, Antonio de Espinoza, 1569, 124 hjs., fols. 12 v y 13. Zitiert in: Gruzinski, Serge, »Aculturación e individuación: Modalidades e impacto de la confesión entre los indios nahuas de México Siglos XVI-XVIII«, in: Cuadernos para la historia de la evangelización en América Latina 1, Quito 1986, (S. 9-33) S. 14.

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»[…] sie erfinden Geschichten, um eine Sünde anzuerkennen, sie denken sich tausend Rechtfertigungen aus, um sie zu minimieren oder um zu täuschen, damit sie [die Sünde] nicht so schlimm aussieht, dafür suchen sie ausgesuchte Ausdrücke, damit man sie nicht versteht […]«.71

Die Mehrheit der Missionare lehnte die Vorstellung der negativen Natur der Indigenen nicht ab. Jedoch fiel einigen von ihnen – ohne die Notwendigkeit des Christentums in Frage zu stellen – auf, dass der Grund der Schwierigkeiten der Indigenen wahrscheinlich in der Sprache oder in den mangelhaften Übersetzungen der Überleitungssemantik liegen könnte: »Die Sprache ist eine Notwendigkeit, um zu sprechen, predigen, Konversationen führen, unterrichten und um die Sakramente zu reichen; und noch mehr um diese Leute zu verstehen, die in der Regel scheu und schüchtern sind, dass man davon ausgehen könnte, sie wurden zum Gehorchen geboren […].«72

José Acosta argumentierte theologisch gegen die schlechte sprachliche Ausbildung und die schlechte Übersetzungen der Missionare: »Ich glaube, und behaupte seit längerer Zeit, dass der Priester, der die Sprache der Indios nicht beherrscht, eine Beschäftigung akzeptiert, die seine Seele in Gefahr bringt. […] Derjenige, der die Sprache nicht beherrscht, kann nicht den Glauben unterrichten oder predigen. […] Die Dolmetscher, die sie benutzen, sind entweder 71 | »[…] meten historias porque suele, para dezir un pecado, poner primero mil excusas para disminuirlo y disfraçándolo para que no paresca tan mal y para ella buscan bocablos exquísitos para que no se entienda […]«. Baptista, Juan O.F.M., Advertencias para los confesores de los naturales, Primera Parte, México 1600, fol. 13v. Zitiert in: ebd., S. 21. 72 | »La lengua es menester para hablar predicar, conversar, enseñar, y para administrar todos los sacramentos; y no menos el conoçimiento de la jente que regularmente es temerosa y muy encojida, que no pareçe que nacieron sino para obedeçer, […].« Benavente, Toribio de (Motolinia), Relación de los ritos antiguos, idolatrías y sacrificios de los indios de la Nueva España, y de la maravillosa conversión qu edios en ellos ha obrado. Manuscrito de la Ciudad de México, Introducción, transcripción paleográfica y notas de colación con los manuscritos de la Biblioteca del Monasterio de san Lorenzo el Real de el escorial y de »the Hispanic Society of America« de la ciudad de Nueva York, Mexico 1979, S. 63.

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Heiden oder Ignorante, die selbst kaum verstehen, was sie gesagt bekommen und wenn sie es verstehen, können sie es kaum erklären, denn sie sind letztendlich auch Indios oder Nachfahren von Indios, die unzureichende Kenntnisse unserer Dinge oder unserer Sprache haben.« 73

Juan Bautista dachte über den möglichen Ursprung des Problems der Indigenen nach, wenn es darum ging, das Dogma der Heiligen Dreifaltigkeit zu verstehen. Er ging davon aus, dass der Grund dafür ein Übersetzungsfehler war: »Fray Juan de Bautista explained the origin of two errors about the dogma of the Trinity […] were extremely common among the Indians. The first has to do with Divine Unity and came about from missionaries’ use of an ambiguous sentence in nahuatl: ›There is only one God, who is Father, Son, and Holy Ghost, three persons, only one whom is the true God‹. Almost all Indians […] interpreted the proposition in its last sense, and believe that only the Son was God. The second error arises from separating the persons [of the Trinity]. Some missionaries made a precise statement on the subject of the father, son, and Holy Ghost, ›three in person, but one in essence‹. But this sentence is also obscure, and many Indians understood that God was only one person who appeared in three different guises. ›[…] many preachers have even preached and taught the true doctrine against these two errors, which are manifest heresies, and there are many Indians who do not succeed in thinking or responding according to the true and pure doctrine of our Holy Catholic Religion‹.«74

73 | »Yo creo, y desde hace mucho tiempo vengo sosteniendo, que el sacerdote que no sabe la lengua de los indios no puede aceptar el oficio de párroco sin detrimento de su alma. […] El que desconoce el idioma no puede enseñar ni predicar la fe. […] Pero es que los intérpretes que usan son ordinariamente infieles o ignorantes, que apenas ellos mismos entienden lo que les dicen, y cuando lo entienden apenas saben explicarlo, indios al fin como son también ellos o descendientes de indios, que con frecuencia no conocen suficientemente nuestras cosas ni nuestro idioma.« Acosta, José, De procuranda indorum salute, a.a.O., S. 55. 74 | Vera y Zuria, Pedro, Cartas a mis seminaristas en la primera visita pastoral de la arquidiócesis, 2. ed., Barcelona 1929. Zitiert in: Ricard, Robert, The Spiritual Conquest of Mexico, a.a.O., S. 279-280.

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Die Missionare strebten danach, die Qualität der Überleitungssemantik zu verbessern, um die christliche Doktrin unter den Indigenen besser zu vermitteln. Dadurch widersprachen sie der Vorstellung der Natur bedingten Negativität der Indigenen nicht. Vielmehr versuchten sie, diese Vorstellung mit ihrem Glauben an die negativen intellektuellen Fähigkeiten der Indigenen zu verknüpfen. Sie gingen davon aus, dass die mangelhafte intellektuelle Kapazität der Indigenen durch die schlechte Qualität ihrer Natur zu erklären war. »Man kann tatsächlich zugeben, dass sie scharfsinnig sind und dass ihnen nicht an Intelligenz fehlt, ihre Natur ist aber verdorben, sie tendieren zum Bösen und sind Feinde alles Guten, sie sind so verkommen, dass sie schnell von den heiligen Dingen müde werden und nicht genügend Aufmerksamkeit haben, um sie zu lernen, sondern sie lehnen dieses Wissen ab und verabscheuen es zusätzlich; daher bleibt in ihrem Gedächtnis nichts und sie verstehen auch nichts, denn ihr Wille ist sehr abweisend, wenn es um die Sachen der christlichen Religion geht.« 75 »[…] es sieht so aus, als ob in ihnen der alte Fluch ihrer Rasse fortdauern würde. Denn ihr Stamm ist verdammt und ihre Boshaftigkeit ist ihrer Natur inhärent; ihre Mentalität kann nicht geändert werden«.76

Diese Art von Informationen sollte die negative Leistung der Indigenen bezüglich des Erlernens der christlichen Doktrin darstellen. Daraus ist eine Semantik entstanden, die die Indigenen als Menschen mit einem »mangelhaften Intellekt« definierte. Dadurch konnten die Missionare den Grund ihrer Enttäuschungen bezüglich des Verstehens der Indigenen (Verstehen, das sie als Nicht-Verstehen verstanden) erklären: Für sie 75 | »Conceden, es cierto, que son ingeniosos y no faltos de inteligencia, pero de natural viciosos, inclinados al mal, enemigos de todo bien, que por tan gran depravación se cansan de las cosas santas y no sólo no ponen la menor diligencia en intentar aprender, sino que al punto tambien lo rechazan y aborrecen; así que nada se les queda en la memoria y nada comprenden, porque son de voluntad muy refractaria a las cosas de la religión cristiana.« Acosta, José, De procuranda indorum salute, a.a.O., S. 23. 76 | »[…] que bien parece continuar en todos ellos la vieja maldición de la raza. Porque es maldita su casta y connatural su malicia y no puede cambiar jamás su mentalidad«. Ebd., S. 25.

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war das Verstehen der Indigenen der Ausdruck ihrer intellektuellen Unfähigkeit. Diese Semantik ermöglichte ihnen, durch die Betonung der Notwendigkeit der Annahme des Christentums den Beitrag der Indigenen zur kommunikativen Kontingenz auszublenden und neue Argumente zum Auf bau der Semantik zur negativen Darstellung der Indigenen zu generieren.77 Eine Semantik, die den Auf bau einer negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen unterstützte und die den Auf bau der Stratifikation beförderte.

III. D ie S emantik zur D arstellung der » fehlerhaf ten I ntelligenz« der I ndigenen Im XVI. Jahrhundert stellten die spanischen Autoritäten fest, dass eine andere Form der Abweichung des aus christlicher Perspektive Erwartbaren bei den Indigenen zu identifizieren war. Dabei ging es um Abwei77 | Die Missionare haben durch ihre Überleitungssemantik versucht, eine gezielte soziale Transformation anzuleiten. Das Beispiel der Einführung der christlichen Doktrin unter den Indigenen zeigt, wie Stratifikation in Gang gesetzt werden kann und wie wenig dabei soziale Evolution gezielt gesteuert werden kann. Über die unerwarteten kommunikativen Folgen dieser Einführung berichtet Charles Gibson: »In general, the Indians did not abandon their polytheistic view. The standards of Christian behaviour – whether communicated by teaching, encouraged by precept, or enforced by compulsion – failed to make understandable the basic Christian abstractions of virtue and sin. The community of saints was received by the Indians not as an intermediary between God and man but as a pantheon of anthropomorphic deities. The symbol of the crucifixion was accepted, but with an exaggerated concern for the details of an act of sacrifice. The Christian God was admitted, but not as an exclusive or omnipotent deity. Heaven and hell were recognized, but with emphasis on concrete properties and with obtrusive pagan attributes. Christian worship was acknowledged without distinction among the degrees of worship and Indians continued to act as if the object of worship relied upon the worshiper for its substance and upkeep. Indians confessed, but the Aztec preference for confession in time of crisis competed with the Christian requirement that confession be performed at least once a year. Indians accepted the concept of the soul, but they extended it to animals and inanimate objects.« Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 100-101.

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chungen, die sich nicht in die Kategorie eines mangelhaften Intellektes einordnen ließen. Solche »Anomalien« bestanden aus Argumentationen, die einige der in der christlichen Lehre gut ausgebildeten Indigenen formulierten, um absichtlich sowohl das Christentum als auch die besondere Qualität der Spanier abzulehnen. Diese Ideen enttäuschten nicht nur die Erwartungen der Missionare, sondern auch die der Gesamtheit der spanischen Gesellschaft. Sie waren als negative kommunikative Anschlüsse unter den Spanier prädestiniert, und deswegen stellten sie potentielle Konfliktauslöser dar. Solche Einstellungen wurden durch die Spanier als das Produkt einer fehlerhaften Intelligenz eingestuft, die nicht zwischen dem positiven notwendigen Christentum und der Fehlerhaftigkeit der Negativität ketzerischer Ansichten unterscheiden konnte. Daher haben sie diesen Standpunkt als Vollzug eines falschen und ketzerischen Denkens definiert, das mit allen Mitteln zur christlichen Vernunft und zur Reue bewegt werden sollte. Diese Meinungen waren für die spanische Gesellschaft in jeder Hinsicht zu korrigieren, denn sie nahmen sie als »Nichtvollzug einer erforderlichen Anpassung« 78 wahr. Hierbei war die Inquisition die christliche Organisation, die den Auftrag hatte, eine Überleitungssemantik zu entfalten, um solche Ideen zu bekämpfen. In diesem Abschnitt wollen wir das Beispiel der Entfaltung dieser Überleitungssemantik untersuchen. Dabei geht es um eine Semantik, die im Kontext der Inquisitionsprozesse entstanden ist und dazu beitrug, die Stabilisierung der Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen zu ermöglichen. Diese Semantik wurde durch die Bezeichnung Dogmatisierender Ketzer zum Ausdruck gebracht.

a. Die Inquisition als Organisation und die Logik ihrer Kommunikationen Die Inquisition wurde in Europa während des Mittelalters durch christliche Autoritäten zur Bekämpfung der Ketzerei eingeführt 79, und die Spa-

78 | Ausführlicher über diese Konzeption von Konflikt mit einem Beispiel über Konflikte in der Familie siehe: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 479. 79 | Aus einer umfangreichen Literaturliste wollen wir nur die erste ausführliche geschichtliche Untersuchung der Inquisition im Mittelalter erwähnen: Lea, Henry Charles, The Inquisition of the Middle Ages, Macmillan, New York 1961.

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nier haben sie mit der gleichen Absicht in ihren Kolonien eingesetzt.80 Bereits im Jahre 1520 führte Hernán Cortés Prozesse wegen Blasphemie gegen Mitglieder seiner Armee durch 81, und in den Archiven der Inquisition in Mexiko sind Informationen zu finden, die darauf hinweisen, dass 1522 zum ersten Mal gegen Indigene inquisitorisch ermittelt wurde.82 In diesem Jahr wurde dem Orden der Bettelmönche (Franziskaner und Dominikaner) durch die Bulle Exponi nobis von Papst Adrian VI. die Rolle der ekklesiastischen Richter in Mexiko zugestanden. So begann die Zeit der episkopalen (bischöflichen) Inquisition im Land, die bis 1571 mit der Ernennung von Moya de Contreras und der Übertragung der Aufgabe an den säkularen Klerus oder an regionalen Bischöfen dauern sollte.83 Den Dokumenten in den Inquisitionsarchiven ist zu entnehmen, dass der letzte Inquisitionsprozess gegen einen Indigenen 1818 stattfand.84 Der 80 | Siehe ausführlich über die mexikanische Inquisition in der von uns untersuchten Periode: Greenleaf, Richard E., Zumárraga and the Mexican Inquisition 1536-1543, Academy of American Franciscan History, Washington 1961; ders. The Mexican Inquisition of the sixteenth century, University of New Mexico Press, Albuquerque 1969; Mariel de Ibañez, Yolanda, El tribunal de la inquisición en México, Siglo XVI, Universidad Nacional Autónoma de México, México 1979; Alberro, Solange, Inquisición y sociedad en México, 1571-1700, Fondo de Cultura Económica, México 1990; Medina Zavala, José Toribio, Historia del Tribunal del Santo Oficio de la Inquisición en México, Consejo Nacional para la Cultura y las Artes, México 1991. 81 | Archivo General de la Nación (México), Hospital de Jesús, Leg. 271, exp. 11. Zitiert in: Greenleaf, Richard E., The Mexican Inquisition of the sixteenth century, a.a.O., S. 8. 82 | Ebd., S. 10. 83 | Sie wurde offiziell durch den königlichen Erlass des spanischen Königs Philipp II. am 25. Januar 1569 in Mexiko eingeführt. Der erste apostolische Inquisitor war der vom spanischen Inquisitor Diego Espinosa ernannte Pedro Moya de Contreras, der bis 1570 als Inquisitor von Murcia (Spanien) tätig gewesen war und am 12. September 1571 in Mexiko ankam. Ausführliche Informationen über Moya de Contreras sind zu finden in: Jiménez Rueda, Julio, Don Pedro Moya de Contreras, Primer Inquisidor de México, México 1944. 84 | Archivo General de la Nación (México) Inquisición, tomo 1421, exp. 9. Zitiert in: Greenleaf, Richard E., Inquisición y sociedad en el México Colonial, Ediciones José Porrúa Turanzas, Madrid 1985, S. 151.

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Aufgabenkatalog der Inquisition inkludierte die Bekämpfung und die Bestrafung von »Zauberei und Dämonenverschwörung, Beschimpfung von Heiligenbildern, Verspottung kirchlicher Bräuche, […] Astrologie, Bigamie, Besitz von verbotenen Büchern [usw.]«85 und vor allem die Verbreitung des Paganismus und des religiösen Synkretismus. Die Inquisition war kein Gerichtshof im heutigen Sinne des Begriffes, dessen Operation durch die Ausblendung der Paradoxie »das Recht sei kein Unrecht« im Kontext eines ausdifferenzierten Rechtssystems stattfand.86 Die Legitimation ihrer Prozesse basierte auf der Notwendigkeit des Christentums, daher brauchte sie keine naturrechtliche Theodizee. Das heißt, dass sie die Kontingenzformel Gott benutzte, um Unbestimmbarkeit in Bestimmbarkeit zu verwandeln; also um Kontingenz zu reduzieren.87 Dadurch konnte sie jegliche Vorstellungen von Unrecht ihrer Aktivitäten ausblenden. Denn sie ging davon aus, dass sie das Unrecht zu bekämpfen hatte, das sie als Produkt der Exsakramente der bösen Kirche des Teufels verstand. Unsere Untersuchung definiert die Inquisition als eine Organisation, deren zentrale Funktion es war, Kommunikationen zwischen Oberschicht (System) und Unterschicht (systeminterne Umwelt) zu ermöglichen. Ihre Prozesse und die Inszenierungen ihrer Hinrichtungen waren ihre Wege. Die Kommunikationen, die sie zu vermitteln hatte, waren sowohl die Prozesse selbst als auch ihre Entscheidungen über die Prozesse. Jedoch war der Erfolg der Kommunikationen zwischen Inquisition (Vertreterin der Obersicht) und Indigenen (Unterschicht) nicht gesichert. Aus diesem Grund sah sich die Inquisition gezwungen, eine Semantik zu entfalten, die zur Reduktion der operativen Unwahrscheinlichkeit solcher Kommunikationen beitragen sollte. Eine Semantik, die ihre Aktivitäten 85 | Lucka, Emil, Torquemada und die spanische Inquisition, Verlag Karl König, Leipzig 1925, S. 86-87. 86 | Siehe über die semantische Evolution der Distinktion Recht/Unrecht und über die Paradoxien des Rechts Luhmann, Niklas, »Am Anfang war kein Unrecht«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993 (S. 11-64). 87 | Luhmann, Niklas, »Die Unterscheidung Gottes«, a.a.O.; ders. Die Religion der Gesellschaft, a.a.O., insb. Kapitel 4: »Kontingenzformel Gott«.

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zugleich als eine soziale Notwendigkeit zu präsentieren hatte und die den angeklagten und zu bestrafenden Indigenen zeigen sollte, warum ihr Prozess richtig und erwünscht war und warum »die Strafe eine Sühnung sei, die der Verbrecher freiwillig übernehmen [sollte], um das Böse in sich abzutun und zu besiegen […]«.88 Nach Ansicht der Inquisition sollte sie bewirken, dass die Indigenen Prozesse und Bestrafungen nicht nur akzeptieren, sondern auch als etwas Notwendiges bevorzugen sollten. Dabei sollte sie soziale Selbstverständlichkeiten erzeugen, die den Indigenen abrieten, die von der Inquisition verfolgten Straftaten zu begehen. Diese Semantik sollte ebenfalls Sinn akkumulieren können, der zur Durchführung zukünftiger Inquisitionsprozesse als eine ganz normale Erwartbarkeit zur Verfügung stehen sollte, und sollte beweisen, dass sie kein Unrecht bei der Durchführung ihrer Aktivitäten verursachen konnte. Dabei sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass sie ihre Aktivitäten vor den Indigenen rechtfertigen musste. Denn der Ursprung ihrer Legitimität war, wie gesagt, in der Notwendigkeit des Christentums zu sehen. Die Inquisition konnte diese Semantik nur aus ihrer eigenen Praxis entfalten, also aus der Anklage gegen einen Straftäter und seiner Festnahme, der Untersuchung und Anhörung der Zeugen, der Anhörung der Verteidigung des Angeklagten, des Urteilspruchs (Schuldspruch oder Freispruch) und der Durchführung der Bestrafung. Sie war ein Resultat ihrer eigenen Kommunikationsprozesse.89 Dadurch hat sie eine Semantik aufgebaut, um Indigene dogmatisierende Ketzer zu erfassen und von anderen Indigenen Straftätern zu differenzieren. Dabei ging es um eine semantische Neuigkeit, weil bis dahin noch keine solche Bezeichnung in Mexiko zur Verfügung stand. Hierbei ging es vor allem um das Merkmal, dass diese Straftäter, obwohl sie eine ausgezeichnete christliche Ausbildung genossen hatten, Ideen entwickelten, die dafür plädierten, das Christentums und die besondere Qualität der Spanier abzulehnen. Hinzu kam, dass sie sich trauten, den Anspruch zu erheben, die legitime Machtausübung im Lande sei in ihrer Verantwortung. Durch die operative Logik der Inquisition wurde diese Überleitungssemantik entfaltet, deren Ziel es war: 1) die Abscheulichkeit solcher Ansichten zu zeigen, 2) die Gründe der Bestrafung dieser Ideen zu erklären, 3) die Notwendigkeit und Rich88 | Lucka, Emil, Torquemada und die spanische Inquisition, a.a.O., S. 97. 89 | Dabei kann man hinzufügen, dass ihre semantischen Lösungen vielfältig waren, denn sie befassten sich mit unterschiedlichen Straftaten.

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tigkeit der Bestrafung ihres Indigenen Autors hervorzuheben und 4) die angeklagten und zu bestrafenden Indigenen zu überzeugen, dass sie ihre Strafe freiwillig anzunehmen hatten und davon ausgehen mussten, dass ihre Bestrafung wünschenswert und notwendig war. Zur Durchführung unserer Untersuchung der Entstehung dieser Überleitungssemantik wollen wir das Beispiel der Inquisitionsakten über den Prozess gegen Don Carlos (Chichimecatecuhtli) Ahuaxpitzatzin Ometochtzin Yoyontzin Ixtlilxochitl Mendoza, Herrscher von Texcoco verwenden, der im Jahre 1539 unter Juan de Zumárraga als Inquisitor stattfand.90

b.

Die Entfaltung der Semantik zur Definition eines dogmatisierenden Ketzers: Das Beispiel des Inquisitionsprozesses gegen Don Carlos (Chichimecatecuhtli) Ahuaxpitzatzin Ometochtzin Yoyontzin Ixtlilxochitl Mendoza (1539)

b.1 Don Carlos ketzerische Ansichten: Die irritierte Er wartungen der Inquisition Don Carlos wurde am 22. Juni 1539 bei der Inquisition von einem Indigenen (die genaue Bezeichnung im Text lautet: indio natural)91 Namens Francisco (getauft Maldonado) aus dem Dorf Chiconabtla mit der Hilfe von Dolmetschern (Pater Antonio de Cibdad Rodrigo Leiter – Provincial – des Sankt Franziskus Ordens in Neu Spanien, Pater Alonso de Molina und Pater Bernardino de Sahagún) wegen einer Rede verklagt, die er Anfang Juni 1539 (nach dem Tag der Trinität) vor Don Alonso, dem Herrscher von Chiconabtla, Cristóbal, einem Indigenen aus Chiconabtla, und vor Zacanpatl, Coaunochitly und Poyoma, drei Indigenen aus Tezcuco, gehalten haben sollte. Der Anklage nach soll Don Carlos in dieser Rede Ideen formuliert haben, die gegen das Christentum und die spanischen Autoritäten in Neu Spanien gerichtet waren. In Laufe des Inquisitionsprozesses gegen Don Carlos reichte Francisco Maldonado der Inquisition am 11. Juli 1539 zur Erweiterung seiner Anklage (Ampliación de la denuncia que hizo Francisco Maldonado) einen Text auf Nahuatl (lengoa de indios)92 90 | Proceso inquisitorial del cacique de Tetzcoco, Publicaciones del Archivo General de la Nación, México 1910. 91 | Ebd. 92 | Lengoa de indios heißt auf Deutsch: »Sprache der Indios«. Ebd., S. 39.

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ein, in dem er ausführlich über die Rede von Don Carlos berichtete. Der Text wurde vom säkularen Priester Juan González übersetzt (porque esté en romance)93 und bestand aus mehreren argumentativen Teilen. In seiner Rede soll Don Carlos zunächst das Christentum vehement abgelehnt haben und für die Verehrung der Gottheiten seiner Vorfahren plädiert haben: »[…] daher, Bruder, sollst du verstehen, niemand soll sein Herz diesem Gesetz Gottes oder dieser Divinität vertrauen […] was ist diese Divinität, wie ist sie, woher kam sie? Was unterrichtest du, was nennst du? […] du sündigst, wenn du diesen Glauben bei den Alten und den Häuptlingen erweckst: Bruder: was sagst und unterrichtest du?« […] hör zu, ich sage es dir wahrlich, dass alles was wir in der Schule lernen, Betrug ist […] lass uns von den religiösen Pater fliehen und lass uns machen, was unsere Vorfahren gemacht haben; niemand soll es verhindern« […]«. 94

Don Carlos soll ebenfalls den Spaniern das Recht abgesprochen haben, über die Indigenen zu herrschen. Denn er behauptete, dass nur die Nachfahren der ursprünglichen Indigenen Herrscher das Land regieren sollten, also er und seine Verwandten. Dabei hat er die besondere Qualität der Indigenen Herrscher durch ihre Abstammung betont und hob ihre Überlegenheit gegenüber den Spaniern hervor: »[…] wer sind diese [Leute], die uns zerstören und stören und uns unterdrücken und unterwerfen? Hör zu, da bin ich und da ist der Herr von Mexiko, Yoanizi, da ist mein Neffe Tezapili, Herr von Tacuba, und da ist Tlachupantli, Herr von Tula, wir alle sind gleich, und keiner soll versuchen sich mit uns zu vergleichen, denn dieses ist unser Land und unser Vermögen und die Herrschaft gehört uns; und wenn jemand 93 | Ebd. 94 | »[…] por tanto hermano, entiéndeme, y ninguno ponga su corazón en esta Ley de Dios é Divinidad« […] »¿qué es está Divinidad, cómo es, de dónde vino? ¿qué es lo que enseñas, qué es lo que nombras? […] sino pecar y en hacer creer á los viejos é viejas y á algunos principales en Dios: hermano, ¿qué es lo que andáis enseñando y desciendo? […] »pues oye hermano que de verdad te digo que eso que se enseña en el colegio, todo es burla« […] huyamos de los padres religiosos y hagamos lo que nuestros antepasados hicieron, y no haya quien no los impida; […]«. Ebd., S. 40, 42.

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etwas anders behauptet, lass uns über ihn lachen, […] wer ist hierher gekommen, um uns zu befehlen, um uns zu verhaften und um uns zu unterwerfen? Der, der kein Verwandter von uns ist, der unser Blut auch nicht hat und versucht sich mit uns zu vergleichen: […] wir sind hier und niemand soll sich über uns lustig machen, […]«. 95

Zugleich soll sich Don Carlos für eine soziale Ordnung ausgesprochen haben, die auf der Vorstellung kultureller Pluralität basieren sollte. Dabei soll er überzeugt gewesen sein, dass die Indigenen im Rahmen einer solchen Vielfalt das Recht hatten, ihr Leben wie das Leben ihrer Eltern vor der Eroberung zu führen: »[…] Schau mal, dass Pater und Priester unterschiedliche Buße haben; schau mal, dass die Franziskaner eine Art Doktrin, Leben, Kleidung und Gebet haben; und die Augustiner eine andere; und die Dominikaner auch; und die Priester gleichwohl, wie wir alle sehen können. Genauso war es bei denjenigen, die auf unsere Götter aufgepasst haben, die die in Mexiko waren, hatten ihre Kleidung, Gebete, Opferund Fastenweise und in anderen Dörfer war es anders; in jedem Dorf hatten sie ihre eigenen Opferweisen und Gebete usw. […] lass uns denjenigen [Gebräuche] folgen und fortsetzen, die unsere Vorfahren hatten und lass uns leben, wie sie gelebt haben. Das ist so zu verstehen, […] dass jeder nach seinem Wille den Gesetzen, Gewohnheiten und Zeremonien folgen soll, die er möchte […] wir sollen nicht die Predigen der religiösen Patres beachten, […] sie wollen keine Frauen haben und verachten weltliche Dinge; diese Pater können das tun, wir respektieren es, denn das ist ihre Lehre, jedoch nicht unsere Lehre […]«. 96 95 | »[…] ¿quién son estos que nos deshacen y perturban é viven sobre nosotros y los thenemos á cuestas y nos sojuzgan? Oíd acá, aquí estoy yo y allí está el señor de México, Yoanizi, y allí esta mi sobrino Tezapili, señor de Tacuba, y allí está Tlcahupantli, señor de Tula, que todos somos iguales y conformes, y no se ha de igoalar nadie con nosotros, que esta es nuestra tierra y nuestra hacienda y nuestra alhaja y posesión y el señorío es nuestro y á nosotros pertenece; é si alguno quiere facer ó decir alguna cosa, reiámonos dello, […] ¿quién viene aquí á mandarnos y apreendernos y á sojuzgarnos? que no es nuestro pariente ni nuestra sangre, y también se nos iguala: […] pues aquí estamos y no ha de haber quien haga burla de nosotros, […]«. Ebd., S. 42, 43. 96 | »[…] Mira que los frayles y clérigos cada uno tiene su manera de penitencia; mira que los frayles de San Francisco tienen una manera de dotrina, y una manera

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Don Carlos soll ebenfalls das christliche Verhalten der Spanier in Frage gestellt haben: »[…] haben die Christen nicht viele Frauen und betrinken sich, ohne dass die religiösen Patres es vermeiden können?«97 Die Inquisition stellte durch die Argumente dieser Rede fest, dass es Indigene gab, die obwohl (und weil!) sie eine exzellente christliche Ausbildung genossen hatten und die Voraussetzungen der Stratifikation kannten, Ansichten propagierten, die die Notwendigkeit des Christentums und der spanischen sozialen Ordnung bestritten. Die Inquisition sah dadurch ihre Erwartungen irritiert und fühlte sich zur Intervention aufgerufen, denn ihre Funktion war, die soziale Ordnung vor solchen Gefahren zu schützen.

b.2 Die Entstehung des Katalogs zur Definition eines dogmatisierenden Ketzers: Die rekursiven Kommunikationen der Inquisition Die Inquisition nahm Don Carlos am 4. Juli 1539 fest. Am diesen Tag wurde ebenfalls sein Haus durchsucht und sein Eigentum unter Aufsicht der Inquisition gesetzt. In seinem Haus fand die Inquisition als Belastungsmaterial gegen ihn Bethäuser, Idole und einen Codex mit Indigenen Zeichnungen (»[…] Buch oder Bilder der Indios, […] die Bilder erzählen von den Festen des Teufels, die die Indios im Rahmen ihres Gesetzes für

de vida, y una manera de vestido, y una manera de oración; y los de Sant Agustín tienen otra manera; y los de Santo Domingo tienen otra manera; y los clérigos de otra, como todos lo veemos, y así mismo era entre los que goardaban á los dioses nuestros, que los de México tenían una manera de vestido, y una manera de orar, é ofrecer y ayunar, y en otros pueblos de otra; en cada pueblo tenían su manera de sacrificios, y su manera de orar y de ofrescer, […] sigamos aquello que tenían y seguían nuestros antepasados, y de la manera que ellos vivieron, vivamos, y esto se ha de entender así, […] que cada uno de su voluntad siga la ley que quiere y costumbres y ceremonias […] que no conviene que miremos á lo que nos predican los padres religiosos, […] y esfuerzan que no tienen mujeres y que menosprecian las cosas del mundo y las mujeres; y que los padres hagan eso que dicen, en buena hora, que es su oficio, más no es nuestro oficio eso […]«. Ebd., S. 41. 97 | »[…] ¿por ventura los xpianos no tienen muchas mujeres y se emborrachan sin que les puedan impedir los padres religiosos?« Ebd., S. 42.

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gewöhnlich zelebriert haben […]«)98. Die Situation von Don Carlos wurde dadurch erschwert, dass die Inquisition im Laufe ihrer Ermittlungen durch Zeugenaussagen zusätzliche Informationen über die negativen Ansichten und Handlungen von ihm erfuhr. Nach diesen Aussagen sollte er zum Beispiel, obwohl er christlich verheiratet war, eine außereheliche Beziehung zu seiner Nichte unterhalten haben.99 Hinzu kam, dass sein Schwager, Don Alonso, der Herrscher von Chiconabtla, seine polygame Haltung bestätigte. Denn er sagte, dass Don Carlos seiner Frau, in seiner Anwesenheit aufforderte, ihm zu erlauben, außerehelichen Beziehungen zu führen: »[…] falls dein Ehemann zwei oder drei Frauen unterhalten möchte, solltest du es ihm erlauben, du sollst weder mit ihm darüber streiten noch eifersüchtig sein«.100 Ein zusätzliches Argument gegen Don Carlos stellte die Inquisition fest, als sie erfuhr, dass sein Sohn keine christliche Ausbildung genossen hatte.101 Don Carlos wurde am 15. Juli 1539 verhört. Die Befragung bestand aus einem Fragebogen, den die Inquisition nach den Beschuldigungen der Anklage gegen ihn zusammengestellt hatte.102 Diesen Fragebogen kann 98 | »[…] libro ó pintura de indios, […] la pintura ó cuenta de las fiestas del demonio que los indios solían celebrar en su ley […]«. Ebd., S. 7. 99 | »Don Carlos tiene por su manceba á una sobrina suya que se dice Doña Ines, […]«. Ebd., S. 38. 100 | »[…] si tu marido quisiere dos o tres mujeres, no se lo impidas ni riñas ni vivas celosamente, […]«. Ebd., S. 47. 101 | Das Kind (zehn oder elf Jahre alt) sagte in seinem Verhör aus, dass »Don Carlos, sein Vater, ihm befahl, nicht in die Kirche zu gehen«. »Don Carlos su padre le decía é mandaba que no fue fuese á la iglesia.« Ebd., S. 37. 102 | Er sollte zum Beispiel beantworten, ob es der Wahrheit entsprächte, dass er Idole verehre, ob er gesagt habe, dass niemand Gott lieben solle und dass die Gesetze des Christentums zu verspotten seien, ob er die Gesetze seiner Vorfahren beachtet habe, ob er die Gebräuche und die Gewohnheiten der religiösen Orden und des säkularen Klerus und der Unterschiede der Kleidung und der religiösen Praktiken der Indigenen vor der Eroberung verglichen hatte, ob er gesagt hatte, dass die Indigenen nicht auf Frauen und auf weltliche Dinge verzichten sollten wie die Pater der unterschiedlichen religiösen Orden und dass keiner die Befehle des Vizekönigs und des Bischofs beachten solle usw. Aber vor allem wurde ihm die Frage gestellt, ob er gegen den katholischen Glauben dogmatisiert, gepredigt und ermahnt hatte. Ebd., S. 61.

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man als einen Katalog definieren, der die negativen Meinungen und Handlungen auflistete, um einen Indigenen als dogmatisierenden Ketzer zu definieren. Aus diesem Grund nahm diese Auflistung den zentralen Platz in der offiziellen Anklage der Inquisition gegen Don Carlos ein, die der Inquisitionsanwalt (Nuntius der Inquisition) Cristóbal Canego durchgeführt hat: »[…] Don Carlos, den ich hiermit anklage, […] mit wenig Furcht vor Gott und mit großer Gefahr für seine Seele und sein Gewissen und mit großer Verachtung für die Justiz [Justicias] [Papst, König und Inquisitor] als getaufter Christ, der in der Kirche Gottes erzogen, unterrichtet und indoktriniert wurde, hat unseren Herrn Gott, seinen Glauben und seine heilige Doktrin vergessen und hat Dämonen verehrt und für sie Opferungen durchgeführt. Er hat Häresien ausgesprochen und veröffentlicht und skandalöse Fehler gemacht, verteidigt und bestätigt. In einem Haus, das er in dem Dorf Tezcuco besitzt, hat er zwei Bethäuser ihrer alten verehrten Idole und Dämonen gehabt, […] dahin ging Don Carlos oft […] [um] besagte Idole zu verehren, die zahlreich waren und viele Namen hatten […]. Zugleich hat Don Carlos mit teuflischen Gedanken versucht, die Verbreitung der christlichen Doktrin zu verhindern. Dafür hat er gesagt, dass sie nur Betrug sei und dass die Patres, die sie predigen, mit dem Nichts zu vergleichen seien. Er hat versucht, die Leute zu überzeugen, dass sie nicht in die Kirche gehen müssen, um das Wort Gottes zu hören. Ebenso hat er gesagt, dass niemand sein Herz dem Wort Gottes anvertrauen solle und dass sie Gott nicht zu lieben hätten und dass es eine Sünde sei, in den Indios das Gesetz Gottes und die christliche Doktrin zu erwecken, weil sein Vater und Großvater Propheten waren und gesagt hätten, dass ihre alten Gesetze die richtigen gewesen seien und dass ihre Götter die wahren Götter seien. Er hat in der Öffentlichkeit als Ketzer dogmatisiert und versucht […], die Leuten zu ihrem gewohnten, perversen und häretischen Leben zurückzubringen, also zum Leben, das sie hatten, bevor sie Christen wurden. Er hat gesagt […], dass jeder nach dem Gesetz leben soll, das ihm am besten gefällt und dass es keine Sünde ist, viele Frauen und Konkubinen zu haben oder sich zu betrinken. Im Gegenteil hat er versucht, zu erklären, dass das gut sei. Und so hat er mehrere häretische und fehlerhafte Beispiele und Gründe dafür angegeben. […] Don Carlos wollte alle Leute Neu Spaniens dogmatisieren und zurück zu ihrer alten Idolatrien und Opferritualen führen […] und das ist Tatsache, […] weil er mit Eifer besagte fehlerhafte Aussagen und skandalöse Häresien einführte, deklarierte, verteidigte und billigte; […] [er]

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muss hart, grausam und öffentlich bestraft werden, denn er ist als dogmatisierender Ketzer zu verurteilen […].«103

Die Inquisition entfaltete, wie man feststellen kann, diese Semantik durch zirkuläre kommunikative Operationen, die durch ihre Selbstreferenz bedingt waren. Hierbei sollten ihr ihre Sinnselektionen ermöglichen, die Vorbedingungen und Voraussetzungen der Definition dogmatisierender Ketzer 103 | »[…] Don Carlos, por mi acusado, […] con poco temor de Dios y en grande peligro de su ánima y conciencia, y en mucho menosprecio de las justicias [Pontífice en la Silla Apostólica Nuestro muy santo Padre Paulo Tercero, y reinando en estos reinos la Cesárea católica Majestad del Emperador Don Carlos, Rey Nuestro Señor y Fray Juan de Zumárraga (Obispo é Inquisidor Apostólico)], siendo como es xpiano bautizado, y criado enseñado y dotrinado en la iglesia de Dios, olvidando a Nuestro Señor Dios y á su fee y dotrina santa, ha idolatrado y sacrificado y ofrescido á los demonios; dicho, publicado é hecho y defendido y aprobado muchas herejías y errores heréticos muy escandalosos, theniendo como thenía en el dicho pueblo de Tezcuco, en una casa suya, dos adoratorios de sus ídolos y demonios que antiguamente solían adorar […] adonde el dicho Don Carlos iba y entraba muchas veces […] [a] adorar y á reverenciar […] eran muchos y de muchos nombres, […] é asímismo el dicho Don Carlos, con diabólico pensamiento ha impedido y perturado que no se predique ni enseñe la dotrina xpiana, desciendo y afirmando que toda ella es burla, y que los frayles que predicaban no era nada; y persuadiendo que ninguno fuese á la iglesia á oir la palabra de Dios ni nadie pusiera su corazón en la palabra de Dios, […] y que no amasen á Dios, y que era pecado hacer creer á los indios esta ley de Dios y dotrina xpiana, porque su padre y agiielo habían sido grandes profetas; y que habían dicho que la ley que ellos goardaban era la buena y que sus dioses eran verdaderos; domatizando públicamente como hereje queriendo […] volver á la vida perversa y herética que antes que fuesen cristianos solían thener; desciendo […] que cada uno había de vivir en la ley que quisiese, y que no era pecado thener muchas mujeres y mancebas, ni emborracharse, antes probando que aquello era lo bueno y poniendo para ello muchos enxemplos y razones heréticas y reprobadas […] el dicho Don Carlos quererlos domatizar, volver y restituir á las idolatrías y sacrificios antiguos, herejías y errores suso dichos, toda la gente de la Nueva España, […] está claro por […] voluntad conque introducia, declaraba y defendía, y aprobaba los dichos errores y herejías muy escandalosas; […] debe ser castigado y ponido grave y atroz y públicamente, condenándole como a hereje domatizante […].« Ebd., S. 63-65.

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zu bestimmen. Durch diese operative Logik stand bereits in der formellen Anklage gegen Don Carlos der Inhalt der Definition eines dogmatisierenden Ketzers zur Verfügung, jedoch war sie noch nicht stabilisiert. Der Prozess gegen ihn sollte fortgesetzt werden, denn nur dadurch konnte es der Inquisition gelingen, diese Semantik als Kommunikation zu stabilisieren.

b.3 Die Verteidigung von Don Carlos: Der Versuch, Negativität in Positivität zu transformieren Die Inquisition benötigte keine Beweise mehr gegen Don Carlos. Jedoch konnte sie den Prozess noch nicht beenden, denn sie erwartete schließlich ein Schuldbekenntnis vom Straftäter. Sie konnte seine Schuld »aufgrund von Indizien oder Zeugenaussagen [beschließen], aber voll zur Evidenz [konnte sie] nur im Bekenntnis [kommen]«:104 Aus diesem Grund und zur Fortsetzung des Prozesses teilte sie ihm mit: »[…] dass, wenn er die Wahrheit gestehen sollte, also wenn er seine Schuld eingestehen, selbst offen legen sollte, dann sein Fall mit Gutherzigkeit behandelt würde und dass er nach Recht und Gesetz Barmherzigkeit bekommen sollte […]«.105

Hierbei ist zu unterstreichen, dass vor der Inquisition das Schuldbekenntnis des Straftäters nicht unbedingt seine Begnadigung garantierte. Denn gerade dadurch konnte seine Hinrichtung legitimiert werden: »[…] das Prozeßrecht, das sich in Europa im Anschluß an das IV. Laterankonzil [XI. Jahrhundert] herausbildet [hatte], gestattet die Hinrichtung eines Menschen nur dann, wenn entweder zwei Zeugen die todwürdige Tat gesehen haben oder wenn der Beschuldigte ein Geständnis ablegte«.106 Vicencio de Riverol, der Verteidiger (Procurador de causas) von Don Carlos, und Don Carlos wähl104 | Hahn, Alois, »Zur Soziologie der Beichte and anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34, 1982, (S. 407-434) S. 415. 105 | »[…] fuéle dicho é apercibido que si dixiese la verdad, confesando sus culpas enteramente, que se habían con él benínamente y se rescibiría á misericordía conforme á derecho […]«. Proceso inquisitorial del cacique de Tetzcoco, a.a.O., S. 56. 106 | Hahn, Alois, »Zur Soziologie der Beichte and anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess«, a.a.O., S. 415.

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ten die Alternative des Schuldbekenntnisses nicht aus. Im Gegenteil optierten sie für die Möglichkeit, die Unschuld von Don Carlos zu beweisen.107 Don Carlos beantwortete die Fragen der Befragung negativ und gab nur zu, eine außereheliche Beziehung mit seiner Nichte geführt zu haben. Die Strategie von Riverol war die Unschuld von Don Carlos durch den Beleg zu beweisen, dass er eine exzellente christliche Instruktion genossen hatte und ihm daher keine ketzerischen Handlungen zuzuschreiben waren. Dadurch sollte die Vorstellung seiner Negativität in Positivität transformiert werden. Am 22. August 1539 reichte Vicencio de Riverol der Inquisition die Verteidigung ein. In dieser Verteidigungsschrift, die so formuliert war, als ob Don Carlos selbst spräche, betonte er seine christliche Lebensführung: »[…] ich wurde, seit meiner Kindheit, unter der Doktrin und der Verwaltung des Marqués del Valle [Hernán Cortés] erzogen, denn nach seinem Sieg und nach seiner Übernahme des Landes lebte ich in seinem Haus […] und ich wurde dann mit der Ankunft der Pater getauft und habe unter ihrer Aufsicht (Verwaltung) und ihrem Gesetz gelebt. Sie haben mir die christliche Doktrin offenbart, die ich angenommen und geachtet habe, […]. Als katholischer Christ fürchte ich Gott unseren Herrn und glaube an unsere heilige Mutter, die Kirche. Und ich habe Sonntage und Feste beachtet, ich habe Gottesdienste besucht und ich habe den Predigten der Patres mit Aufmerksamkeit zugehört […].«108

Durch diesen Text sollte die Inquisition zur Kenntnis nehmen, dass Don Carlos eine normale christliche Intelligenz besaß. Zur möglichen Begründung der Anklage gegen ihn wurde die Möglichkeit einer Verschwörung in Erwägung gezogen: 107 | Die Inquisition konnte keine dritte Alternative der Verteidigung von Don Carlos zulassen. Die Vorstellung, dass die Verteidigung von Don Carlos für die Richtigkeit seiner Ansichten plädieren könnte, war für die Inquisition undenkbar. 108 | »[…] yo desde mi niñez me crié debaxo de la dotrina é administración del Marqués del Valle, porque luego como esta tierra se ganó, yo estuve en su casa, […] é después que en en esta tierra vinieron los frayles é fuí bautizado, yo he estado debaxo de su administración y gobernación, y ellos me han mostrado la dotrina xpiana, […], como cathólico xpiano, temeroso de Dios Nuestro Señor, é que tengo é creo lo que tiene é cree nuestra santa Madre Yglesia: yo he goardado los domingos é fiestas, oyendo misa é sermones de los padres que nos predican, […].« Proceso inquisitorial del cacique de Tetzcoco, a.a.O., S. 66-67.

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»[…] und wenn ein Zeuge das Gegenteil behauptet haben sollte […], dann wurde dies aufgrund von schlechtem Wille oder wegen heftiger Abneigung gesagt, damit ich meine Position als Gobernador besagtes Dorfes verliere, […] denn ich als Gobernador musste die Leute wegen ihrer Exzesse und schlechten Gewohnheiten bestrafen und korrigieren, die Leute, die sich gegen mich geäußert haben […]«.109

Die Strategie der Verteidigung bestätigte implizit die Semantik zur Darstellung eines dogmatisierenden Ketzers. Sie bestritt nicht, dass solche Ansichten und Handlungen negativ und zu bestrafen waren. Riverol ging es nur darum zu beweisen, dass Don Carlos keine solchen Ansichten gehabt haben konnte. Jedoch wurde der Prozess fortgesetzt und die Zeugen bestätigten ihre Aussagen gegen ihn. Nach dieser Bestätigung besaß die Inquisition ausreichend Beweise gegen ihn, um seine Schuld zu beweisen. Somit scheiterte die Verteidigungsstrategie von Riverol.

b.4 Prozessabschluss: Die Stabilisierung der Semantik des dogmatisierenden Ketzers Am 11. November 1539 reichte Cristóbal Canego der Inquisition einen Antrag zur Beendigung des Prozesses ein. Dies erfuhr Vicencio de Riverol und informierte die Inquisition, dass »[…] auch er den Prozess definitiv als beendete ansehe und in Namen Don Carlos, seines Mandanten, nichts weiter anzufügen habe«.110 Somit begann der Abschluss des Prozesses gegen Don Carlos. Die Inquisition sollte ein Urteil gegen ihn fällen. Hierbei hatte sie nur zwei Alternativen: 1) Entweder war der Ketzer durch das Bekennen seiner Schuld und einer Geld- oder religiösen Strafe (Gebete und Pilgerfahrten), Gefängnis, Arbeitsstrafe oder den Eintritt in ein Klos-

109 | »[…] é si algund testigo hay que diga lo contrario [das ist: yo he goardado los domingos é fiestas, oyendo misa é sermones de los padres que nos predican] […] lo dirán con mala voluntad é odio que me tienen, é porque yo no sea señor del dicho pueblo é gobernador, […] é porque siendo gobernador del dicho pueblo les tengo que castigar é corregir á esos que contra mí han depuesto sus eccesos é malas costumbres, […]«. Ebd., S. 67. 110 | »[…] asímismo concluía é concluyó definitivamente en nombre del dicho Don Carlos, su parte, porque no tenía que decir ni alegar«. Ebd., S. 81.

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ter für das Christentum zurück zu gewinnen oder 2) seine Seele sollte durch eine religiöse Hinrichtung der Hölle entrissen werden.111 Der Inquisitor Juan de Zumárraga übersah die Außergewöhnlichkeit der Irritationen des Prozesses gegen Don Carlos nicht. Daher entschied er, dass das Urteil durch die religiöse und weltliche Justiz gefällt werden sollte: »[…] er befahl den Prozess vor Ihrer hochwürdigen Exzellenz Don Antonio de Mendoza, Vizekönig Neu Spaniens, und den Oidores de la Audiencia zu bringen, damit sie mit anderen Personen, die über Wissenschaft und Gewissen verfügen, darüber beraten, um zu entscheiden, was in diesem Fall am besten zu tun ist […]«112

Am 20. November 1539 traf Juan de Zumárraga den Vizekönig, die Oidores (Mitglieder der Audiencia) Ceynos, Loaysa y Tejada, den Vorsitzender des Dominikanerordens und den Leiter des Klosters des Franziskanerordens, um mit ihnen zu beraten, wie Don Carlos bestraft werden sollte. Eine Woche nach diesem Treffen, am 28. November 1539, fällte die Inquisition in einer öffentlichen Sitzung ihr endgültiges Urteil gegen Don Carlos. Dieses Urteil lautet: »[…] durch den Prozess wurde bestätigt, dass besagter Don Carlos, wie mehrere Zeugen es behaupten, ein Dogmatizador ist, und weil er es bestritten und negiert hat und nicht freiwillig seine Fehler gestanden hat und keine Barmherzigkeit erbeten hat, nachdem ihm erklärt wurde, dass, wenn er seine Fehler, Idolatrien und Exzesse gestehe, mit Barmherzigkeit nur zur Buße gezwungen werden sollte, ergibt sich als Resultat, dass wir folgendes Urteil fällen: Wir erklären, dass besagter Don Carlos ein dogmatisierender Ketzer ist; als solcher wollen wir ihn bezeichnen. Wir wollen ihn dem weltlichen Arm der Justiz dieser Stadt übergeben und wir bitten sie 111 | Dabei behauptete die Inquisition, dass die Wahrscheinlichkeiten einen Unschuldigen zu bestrafen, reduziert waren. Jedoch fügte sie hinzu, dass, wenn das vorkommen sollte, man sich mit dem allgemeinen Grundsatz trösten solle: »[…] daß es besser sei, hundert Unschuldige zu strafen als einen Schuldigen entwischen zu lassen«. Lucka, Emil, Torquemada und die spanische Inquisition, a.a.O., S. 97. 112 | »[…] mandó que este proceso se lleve al Ilustrísimo Señor Don Antonio de Mendoza, Visorrey de esta Nueva Spaña, é á los Señores Oidores estando en su acuerdo, para que por ellos visto y platicado con otras personas de ciencia é conciencia, dén su parescer y se determina lo que convenga en el caso, […]«. Proceso inquisitorial del cacique de Tetzcoco, a.a.O., S. 81.

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darum, Don Carlos gutherzig zu bestrafen. Eine weitere Strafe, die wir ihm auferlegen wollen, ist: die Inquisition konfisziert seine Güter und sein Vermögen […]«.113

Die weltliche Autorität sollte die Hinrichtung von Don Carlos vollstrecken und sie sollte in der Öffentlichkeit inszeniert werden. Dadurch sollte eine besondere Art der Kommunikation zwischen der Inquisition und ihrer Indigenen Umwelt ermöglicht werden. Die Hinrichtung sollte dazu beitragen, die Semantik zur Definition eines dogmatisierenden Ketzers unter ihnen zu verbreiten. Durch sie sollten die Indigene erfahren, dass solche negativen Ansichten zu vertreten, eine große Gefahr für sie und die soziale Ordnung darstellte. Die Hinrichtung sollte die Definition des Straftäters und die Notwendigkeit seiner Bestrafung als eine Selbstverständlichkeit präsentieren. Am Samstag den 29. November 1539 wurde in Mexiko-Stadt ausgerufen: »[…] morgen, am Sonntag, soll eine Bestrafung der Inquisition vollzogen werden und es wird auch gepredigt, daher müssen alle Leute anwesend sein, denn die Abwesenden sind mit der Exkommunikation zu bestrafen […]«.114 113 | »[…] visto como el dicho Don Carlos por el proceso está convencido de ser domatizador por mucho número de testigos, y el habello negado y no haber querio confesar su error ni pedir misericordia en caso que por nos fué avisado sería rescibido á penitencia, con misericordia, confesando sus hierros, idolatrías y eccesos; atento todo lo que y lo demás que de lo procesado resulta, á que nos referimos: Fallamos, que debemos de declarar é declaramos al dicho Don Carlos ser hereje domatizador y por tal le pronunciamos, y que le debemos remitir é remitimos al brazo seglar de la justicia ordinaria de esta cibdad, á la cual rogamos y encargamos que con el dicho Don Carlos se hayan beninamente; condenámosle más en perdimiento de todos sus bienes aplicados al Fisco de Su Majestad deste Santo Oficio […]«. Ebd., S. 82. Diese Formulierung zur Mitteilung einer Hinrichtung bezieht sich auf eine alte Formel, die die Inquisition um das Jahr 1300 durch den Vorschlag von Bernhard Guidonis in seinem »Handbuchlein für Inquisitoren« für die Ausübung von Folter oder für die Abschließung ihrer Prozesse durch Hinrichtung einführte. Nach Guidonis sollte der Ketzer dem weltlichen Arm ausgeliefert (»relaxiert«) werden. Siehe hierzu: Lucka, Emil, Torquemada und die spanische Inquisition, a.a.O., S. 20. 114 | »[…] cómo mañana domingo había de haber abto el Santo Oficio, é sermón, é que todos fuesen á lo oir é veer, so pena de excomunión […]«. Proceso inquisitorial del cacique de Tetzcoco, a.a.O., S. 83.

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Das Auto de fe (von Actus fidei, Feier des Glaubens) fand am Sonntag den 30. November 1539 statt: »[…] am Morgen wurde Don Carlos aus dem Gefängnis der Inquisition herausgeführt […] und er wurde mit einem Kreuz vornweg zum Schafott gebracht, zum Schafott, das auf dem öffentlichen Platz besagter Stadt aufgebaut war […]«.115

Die Inquisition betonte vor der Hinrichtung die »Irrtümer, Häresien und häretischen Worte, die Don Carlos gemacht und gesagt hatte, welche ihm im Laufe des Prozesses nachgewiesen worden sind […]«.116 Danach hielt der Priester Juan González eine Predigt auf Nahuatl: »[…] er sprach vor dem Eingeborene Neu Spaniens gegen Don Carlos, seine Predigt war gegen Don Carlos gerichtet, er hat ihnen die Schuld von Don Carlos und die Gründe seiner Buße und Bestrafung erklärt […]«.117

Durch diese Predigt wurde ebenfalls Don Carlos der Grund seiner Schuld und die Natur seiner Bestrafung erklärt. Hierauf reagierte Don Carlos, so die Inquisition, mit keiner Wiederholung seiner Rede, sondern durch eine Aussage, die die Richtigkeit der Aktivitäten und Beschlüsse der Inquisition bestätigt hat. Er sagte dem Inquisitor: »[…] [dass] er die Bestrafung Ihrer Exzellenz gegen ihn gutwillig als Buße für seine Sünde akzeptierte […]«.118

Hinzu kam, dass Don Carlos eine kurze Rede auf Nahuatl gehalten haben soll, in der er ein Bekenntnis seiner Schuld und seinen Fehler lieferte: 115 | »[…] por la mañana fué sacado el dicho Don Carlos de la cárcel de este Santo Oficio, […] y con una cruz delante fue llevado al cadalso, que para ello estaba puesto en la Plaza pública desta dicha cibdad […]«. Ebd., S. 82-83. 116 | »[…] errores y herejías y palabras heréticas por el dicho Don Carlos hechas é dichas, que en este proceso se prueban contra él […]«. Ebd., S. 84. 117 | »[…] predicó á los naturales desta Nueva España en su contra, y les dió á entender las culpas del dicho Don Carlos y la cabsa de su penitencia y condenación […]«. Ebd. 118 | »[…] él rescibía de buena voluntad, en penitencia de sus pecados, la sentencia contra él dada por su Señoría […]«. Ebd.

Die Entfaltung der Semantik der negativen Anthropologie

»[…] Und er fragte Ihre Exzellenz nach Ihrer Erlaubnis sich an die Eingeborenen in ihrer Sprache zu wenden, [und er sagte], dass sie in ihm ein Beispiel sehen sollten, um die Durchführung ihrer Idolatrien einzustellen und um sich zu unserem Herrn Gott bekehren zu lassen, [er hat auch gesagt], dass sie keine Angst vor dem Teufel haben sollten und dass sie nicht weiter verblendet leben sollten, wie er bis dahin gelebt hatte. Das hat er der Indios in seiner Sprache gesagt […].«119 Trotz seines Schuldbekenntnisses gelang es Don Carlos nicht, sein Leben zu retten. Denn die Inquisition konnte aus seiner Rede keine unbestreitbare Bestätigung seiner Reue ziehen. Für sie bestand die Möglichkeit, dass Don Carlos die Rede in der Hoffnung gehalten hatte, begnadigt zu werden. Die Inquisition musste die Unklarheit vermeiden, die aus dieser Ungewissheit resultierte. Daher wurden ihre Anordnungen durchgeführt und die Hinrichtung vollstreckt.120 Die Inquisition attestierte durch das Schuldbekenntnis von Don Carlos ihre Unfehlbarkeit, die Relevanz ihrer Funktion und die Richtigkeit ihrer Aktivitäten wurden vor den Indigenen bestätigt. Dadurch bewies sie zugleich, dass der Prozess den dogmatisierenden Ketzer zur Vernunft gebracht hatte. Die Rede von Don Carlos zeigte, dass seine fehlerhafte Intelligenz nicht mehr bestand. Denn dadurch wurde belegt, dass er bereits zwischen Negativität und Positivität unterscheiden konnte und im Stande war, seine eigene Negativität zu erkennen und abzulehnen. Der Prozess konnte abgeschlossen werden, und die Inquisition hatte ihr Ziel erreicht: Die Anpassung des Straftäters war vollzogen, der Konflikt und die Gefahr 119 | »[…] e pidió licencia á su Señoría para hablar a los naturales en su lengoa para que tomasen ejemplo en él, y se quitasen se sus idolatrías, y se convirtiésen a Dios Nuestro Señor, y no los tuviese el demonio ciegos como á el lo había tenido; lo cual todo les dixo en su lengoa á los indios, […].« Ebd. 120 | In der Sprache der Inquisition ist das wie folgt zu erklären: »[Die] eigentliche Verzeihung […] [erlangt] der Sünder […] dadurch, daß er die innere Wirklichkeit der Sünde tilgt, durch die Negation der Intention, die in der reuigen Zerknirschung des Sünders besteht. Diese Zerknirschung – der terminus technicus ist contritio – ist nicht in äußerer Reue, in Furcht vor ewigen oder zeitlichen Strafen, sondern in der Erkenntnis der Schändlichkeit der Sünde begründet, im Schmerz darüber, solche Absichten gehabt zu haben.« Hahn, Alois, »Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess«, a.a.O., S. 411.

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für die soziale Ordnung bestanden nicht mehr, und die Semantik zur Darstellung eines dogmatisierenden Ketzers war stabilisiert. Durch die Untersuchungen, die wir in diesem Kapitel durchgeführt haben, haben wir gezeigt, dass die semantischen Lösungen, die zum Aufbau einer negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen beigetragen haben, mittels autopoietischer Produktion und Reproduktion von Kommunikationen entstanden sind. Das heißt, dass sie eine Semantik darstellen, deren zirkuläre Selbstbezogenheit die damalige spanische Vorstellung der Notwendigkeit christlicher sozialer Ordnung priorisiert hat und dadurch Informationen generierte, um die Indigenen zum Beispiel als Menschen mit einem »mangelhaften Intellekt« oder einer »fehlerhaften Intelligenz« zu definieren. Wir gehen davon aus, dass diese Art von Definitionen die Entfaltung einer Vorstellung sozialer Asymmetrie zwischen Spaniern und Indigenen unterstützt hat und daher zum Auf bau einer sozialen Ordnung beitrug, deren Hierarchisierung auf der Rangdifferenz (Oberschicht/Unterschicht) zwischen ihnen basieren sollte. Im nächsten Kapitel wollen wir die Erforschung der Entfaltung dieser Hierarchisierung aus der strukturellen Perspektive fortsetzen. Das bedeutet, dass wir uns mit strukturellen Transformationen befassen werden, die simultan (epigenetisch) neben der Entstehung der Semantik negativer Anthropologie zu Darstellung der Indigenen entstanden sind. Hierfür wollen wir Strukturen fokussieren, die die Konzentration von Ressourcen (und ihrer Disposition) in der Oberschicht unter der Vorbedingung der erleichterten Kommunikationsbedingungen ermöglicht haben. Das heißt, dass wir ein Beispiel der Entfaltung von strukturellen Voraussetzungen untersuchen werden, die die operative Wahrscheinlichkeit der »Harmonie trotz Ungleichheit« im XVI. Jahrhundert in Mexiko erhöht haben.121 Dabei geht es also um die Erforschung eines Prozesses, der zur »Überführung unstrukturierter in strukturierte Komplexität«122 beigetragen und die zur Ausdifferenzierung einer stratifizierten sozialen Ordnung kontribuiert hat.

121 | Zur Formulierung »Harmonie trotz Ungleichheit« siehe: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 694. 122 | Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O., S. 383.

Homogenisierung der Indigenen Unterschicht Die strukturelle Ausdifferenzierung der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den Spaniern und den Indigenen

In diesem Kapitel beabsichtigen wir, ein Segment jener Gesellschaftsstrukturen1 zu untersuchen, die durch ihre Herausbildung die Entstehung einer stratifizierten sozialen Ordnung mit einer spanischen Oberschicht und einer Indigenen Unterschicht nach der Ankunft der Spanier im XVI. Jahrhundert bis zur Hälfte des XVII. Jahrhunderts in Mexiko ermöglicht haben. Wir gehen davon aus, dass in dieser Periode der Primat der Stratifikation seine operative Stabilität erreicht hat. Absicht dieser Arbeit ist, diese These zu überprüfen. Hierfür werden wir das Segment des Beispiels der Strukturen fokussieren, die zur Entfaltung der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen Spaniern und Indigenen beigetragen haben.2 Das bedeutet, dass wir uns mit den rekursiven Anschlüssen kommunikativer Handlung zwischen den Erwartungen der Spanier und den Erwartungen der Indigenen beschäftigen werden, deren Sinnselektionen zum Auf bau eines Indigenen Unterschichtindexes3 beigetragen haben. 1 | Siehe Luhmanns Definition von Gesellschaftsstruktur in: Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 55. 2 | Durch unsere Entscheidung, Strukturen zu fokussieren, die die Organisation der Arbeit in einer stratifizierten sozialen Ordnung koordinieren, folgen wir einem Vorschlag von Louis Dumont. Siehe hierzu: Dumont, Louis, Homo hierarchicus, Le système des castes et ses implications, Gallimard 1966. Siehe zum Beispiel: S. 65. 3 | Für eine Untersuchung der Zuordnung von Personen in einem sozialen Teilsystem nach Prozessen stratifizierter Differenzierung, die das Konzept von Schicht-

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Wir werden uns also hier mit Prozessen der »Einbeziehung von Oppositionen in eine hierarchische Struktur bevorzugter Lebensweise« 4 befassen.

I. M e thodische V or ausse t zungen Wir gehen davon aus, dass die Bildung von Rangdifferenzierung »nicht über Ungleichheit, sondern […] [über die] Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation«5 erfüllt wird. Auf der Basis dieser theoretischen Prämisse möchten wir Strukturen fokussieren, die durch ihren Beitrag zur Arbeitsteilung die Steigerung der Wahrscheinlichkeit der Herausbildung von einem spanischen und einem Indigenen Teilsystem verursacht haben, deren interne Gleichheit zugleich systemische Ungleichheit generiert hat. Mit unserer Untersuchung der Homogenisierung der Indigenen Unterschicht beabsichtigen wir, einen solchen paradoxen Prozess zu beleuchten. Die Tatsache, dass die Strukturen der Arbeitsteilung des Kolonialismus durch Asymmetrien zwischen den Kolonialherren und ihren Untergebenen gekennzeichnet sind, ist nicht zu bestreiten. Jedoch wollen wir anhand unserer Methode unterstreichen, dass ihre Entstehung weder als ontologische Selbstverständlichkeiten noch als teleologische Notwendigkeiten einzuordnen ist. Denn im Moment ihrer Entfaltung entwickeln sich Strukturen nicht als eine historische Unvermeidbarkeit, deren Funktion wäre, soziale Phänomene unbedingt in eine bestimmte Richtung zu steuern. Sie stellen vielmehr vorübergehende Lösungen für vorübergehende Probleme dar, die durch Rekursivität Stabilität erreichen können oder nicht. Sie sind also als »[…] eine Nebenfolge von strukturellen Um-

index benutzt, siehe: Luhmann Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 30. 4 | Luhmann, Niklas, »Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung«, in: ders., Aufsätze und Reden, hg. von Oliver Jahraus, Reclam, Stuttgart 2001, (S. 262-296) S. 263. 5 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 75.

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lagerungen […]«6 zu begreifen, die kein notwendiges Projekt des Strukturenauf baus verkörpern. Das bedeutet, dass wir eine Untersuchung durchführen, die Konzepte wie Steigerung der Komplexität 7 und Kontingenz einsetzt, um Prozesse sozialer Transformation zu erklären. Dies impliziert, dass unsere Methode im Bereich der Kausaltheorie die Vorstellung ablehnt, »daß die Wirkungen den Ursachen gleichen und unmittelbar auf sie folgen müssen«.8 Die Entfaltung der Strukturen, die wir hier fokussieren wollen, ist als eine kontingente Verkettung von kommunikativen Ereignissen zunehmender Komplexität zu definieren, deren Sinnvorkommnisse nicht unbedingt gebündelt werden mussten, die aber durch ihre Sinnselektionen bestimmte hierarchische Asymmetrien der Arbeitsteilung ermöglicht haben, die sonst nicht möglich gewesen wären.9 Dabei geht es also um strukturelle Transformationen, die weder durch ein einziges Ereignis ausgelöst werden konnten noch durch bestimmte strukturelle Möglichkeiten besonderer Qualität stattgefunden haben, die sich gegen gesteuerte Änderung hätten sperren können. Die Informationen, die wir zur Durchführung dieser Untersuchung benutzen werden, sind auf der einen Seite Berichte von spanischen Entscheidungsträgern und Gesetzestexte, und auf der anderen Seite Produkte historischer Forschung, die uns in ihrer Zusammenschau ermöglichen, einen Überblick über die damalige Entfaltung von Gesellschaftsstrukturen zu erlangen. Sie bieten ausführliche Daten, deren Betrachtung wir verwenden werden, um die Entwicklung interner Gleichheit einer Indigenen Schicht zu dokumentieren, die zur Entstehung systemischer Ungleichheit in Mexiko geführt hat.

6 | Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 22. 7 | Steigerung der Komplexität definiert Luhmann wie folgt: »Steigerung der Komplexität ist weder eine sinnvolle Zielvorstellung gesellschaftlichen Handels noch ein normales, kontinuierlich eintreffendes Resultat gesellschaftlicher Evolution«. Ebd. 8 | Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 56. 9 | Diese theoretische Formulierung ist zu finden in: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, S. 482.

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II. S truk turierung der A rbeitsteilung in der I ndigenen U nterschicht a. Hierarchische Arbeitsteilung: Die Er wartungen der Spanier und der Indigenen und die Funktion struktureller Kopplung Die Stratifikation besteht aus einer Stufenordnung, »[…] in der jeder nur eine Position einnehmen kann, und daß die Positionsordnung semantisch ausgefüllt wird mit Annahmen über unterschiedliche Qualitäten (Natur) und unterschiedliche Erwartungen (Moral)«.10 Die Entstehung der sozialen Ordnung, die wir untersuchen, wurde durch eine Vorstellung der Qualitäten und Erwartungen gesteuert, die durch folgende soziale, zeitliche und sachliche Sinnidentifikationspunkte konstituiert war: 1) Das Spanisch-Sein (soziale Dimension), 2) die Zeit nach 1521 mit der Vorstellung der Perfektion Gottes als teleologische Zeitbestimmung (zeitliche Dimension) und 3) die spanische Realitätsdefinition (sachliche Dimension). Aus diesen Identifikationspunkten sind Annahmen entstanden, die die Entfaltung einer hierarchischen sozialen Ordnung zwischen Indigenen und Spaniern ermöglichen sollten, in der sie jeweils nur eine Position mit unterschiedlichen, unaustauschbaren, vorherbestimmten Aufgaben hatten. Das bedeutet zum Beispiel, dass Indigene und Spanier unterschiedliche Arbeiten zu leisten hatten, die durch diese Vorstellung der Schichtdifferenzierung bestimmt waren. Dieser Stufenordnung nach waren die Spanier auf der einen Seite für die Organisation der Arbeit der Indigenen und für die Verwaltung ihrer Arbeitsprodukte zuständig. Sie gingen davon aus, dass ihre Position in der Gesellschaft alle anderen Arbeitsalternativen für sie ausschloss: Sie waren nicht »[…] like those [settlers or colonist] of Plymouth Plantation or Jamestown […] [they] were neither equipped nor preparated to farm, but wished to live in the style of a new aristocracy […]«.11 Auf der anderen Seite waren für die Indigenen, obwohl sie mit hierarchischen Formen der Arbeitsteilung vertraut waren,12 10 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 682. 11 | Berdan, Frances F., The Aztecs of Central Mexico, an Imperial Society, California State College, San Bernardino 1982, S. 178. 12 | Die Tatsache, dass die Indigene Gesellschaft mit Stratifikationsstrukturen vertraut war, ermöglichte ihr die Neuigkeit des spanischen Projekts festzustellen und setzte die Bedingungen, die die strukturelle Transformation erst ermöglichen

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die bevorzugten asymmetrischen Voraussetzungen der entstehenden sozialen Ordnung fremd. Das war der Fall nicht nur weil sie nichts über die Rolle einer Unterschicht im Kontext der Kolonialisierung wussten, sondern auch, weil zum Beispiel ihre Vorstellung von hierarchischer Arbeitsteilung nicht mit der spanischen übereinstimmte: »[…] Indians appeared […] even to derive satisfaction from occupations that were monotonous or degrading in European eyes. In Europe, unskilled mass labor carried implications of coercion and enslavement. In the Indian tradition the same mass labor, […] might be considered rewarding as a shared and pleasurable experience.«13

Die Indigenen kannten nur ihre eigenen Formen der Arbeitsteilung und wussten nichts über die spanische Vorstellung hierarchischer Arbeitskoordination. Deswegen gehen wir davon aus, dass es ohne die Entfaltung von geeigneten Kommunikationsoperationen für sie nicht möglich gewesen wäre, die Logik dieser hierarchischen Arbeitsteilung zu verstehen, ihre Auferlegung zu akzeptieren, um sie dann zu produzieren und zu reproduzieren. Diese Kommunikationsoperationen waren strukturelle Lösungen, die sowohl zur operativen Schließung (Autopoiesis) der Indigenen Unterschicht als Teilsystem der Gesellschaft aufgrund ihrer Unterstützung der Prozesse zur Entfaltung der Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation beigetragen haben als auch kommunikative Anschlüsse (Kopplungen) zwischen Oberschicht und Unterschicht bezüglich der Arbeitsteilung ermöglicht haben. Diese strukturellen Lösungen definiert man systemtheoretisch als strukturelle Kopplung.14 »Der Begriff der strukturellen Kopplung erklärt schließlich auch, daß Systeme sich zwar völlig eigendeterminieren, aber im großen sollten. Dies ist zu erklären, weil, »[was] immer als neu auftaucht – es kann nur auftauchen, wenn es vorher schon möglich war. Der Einsatzort der Erfahrung und Beschreibung als neu liegt mithin im Bereich der redundanten Möglichkeiten eines Systems«. Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 38. 13 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 220. 14 | Siehe für ausführliche Informationen über das Konzept von struktureller Kopplung: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O. Siehe insb. Kapitel I, Abschnitt VI: »Operative Schließung und strukturelle Kopplung«.

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und ganzen doch in einer Richtung entwickeln, die von der Umwelt toleriert wird.«15 In der Systemtheorie geht man ebenfalls davon aus, dass ohne ihre Operation kein Informationsaustausch zwischen System und Umwelt oder zwischen Teilsystemen stattfinden kann. Das heißt, dass ohne den Auf bau dieser Strukturen keine Kommunikationen zwischen Indigener Unterschicht und spanischer Oberschicht hätten vorkommen können, und daher wäre die Entstehung einer stratifizierten sozialen Ordnung nicht denkbar gewesen. Im Folgenden wollen wir uns mit der Untersuchung einer Selektion struktureller Kopplungen beschäftigen, die zur hierarchischen Arbeitsteilung zwischen Indigenen und Spaniern nach den oben genannten bevorzugten Sinnidentifikationspunkten beitrugen. Diese strukturellen Kopplungen sind die Encomienda und das Repartimiento. Durch ihre Fokussierung wollen wir zeigen, wie die Arbeit zwischen Indigenen und Spaniern auf einer asymmetrischen Basis geteilt wurde und wie diese Teilung die Homogenisierung einer Indigenen Unterschicht verursacht hat.

b. Encomienda und Repartimiento als strukturelle Kopplungen Encomienda und Repartimiento sind als Strukturen zu definieren, die durch ihre Sinnselektionen den Bereich kommunikativer Anschlüsse (struktureller Kopplungen) zwischen Indigener Unterschicht und spanischer Oberschicht bezüglich der Arbeitsteilung nach dem von den Spaniern bevorzugten Stratifikationsprimat zu beschränken hatten. Das bedeutet, dass ihre Antworten auf die Fragen, wer, was, wann zu tun hat, mit einer Rechtsordnung übereingestimmt haben, die im Prinzip »kein übergreifendes Gleichheitsgebot [kannte und] […] für ganz normal [hielt], wenn rechtswidrige Handlungen, insbesondere Straftaten von Höhergestellten gegenüber Rangniedrigen anders beurteilt [wurden] als im umgekehrten Fall«.16 Auf der Basis dieser asymmetrischen Erwartung wurde die Entfaltung einer hierarchischen Arbeitsteilung durch Sinnselektionen vorangetrieben, die die Befriedigung der Bedürfnisse der Spanier zu sichern hatte. Strukturen sind als Mechanismen zu begreifen, die zur Umwandlung von Erwartungen in Formen beitragen und ebenfalls sozialen Systemen ermöglichen, auf den Selektionsdruck der Kom15 | Ebd., S. 118. 16 | Ebd., S. 694.

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plexitätssteigerungen von Ausdifferenzierungsprozessen zu reagieren. Hinzu kommt, dass sie ihnen als strukturelle Kopplungen ebenfalls erlauben, operative Antworten zu generieren, die unvermeidlich aus ihren gegenseitigen Irritationen entstehen. Das bedeutet, dass soziale Systeme ohne diese Kopplungen auf der einen Seite in eine Selektionslähmung verfallen könnten und auf der anderen Seite sich von der sozialen Realität entfremden würden.17 Aus diesen theoretischen Gründen kann man sagen, dass Encomienda und Repartimiento sowohl Indigenen als auch Spaniern ermöglichten, zwischen Wirkungsvoraussetzungen und Wirkungsrichtungen bezüglich der Arbeitsteilung zu unterscheiden. Dabei haben sie Prozesse sozialer Inklusion und Exklusion verursacht, die zur Stabilisierung einer hierarchischen Schichtordnung beitrugen.

b.1 Encomienda Die Encomienda (von encomendar, »anvertrauen«) war eine feudale Einrichtung, deren ursprüngliche Aufgabe es war, die Verwaltungsleere zu füllen, die die Muslime nach ihrer Vertreibung aus Spanien (1492) hinterlassen haben. Ihre Ziele waren das Land zu besiedeln, es verwaltungsgemäß zu ordnen und seine militärische Verteidigung zu garantieren.18 Auf dem amerikanischen Kontinent wurde sie mit der Absicht eingeführt, Entdecker, Eroberer und höchste Diener der spanischen Krone für ihre Leistungen zu belohnen, die Kolonisierung des Landes zu sichern, seine militärische Verteidigung zu garantieren, die Eingeborenen zu schützen, sie im Sinne des europäischen Gedankengutes umzuerziehen, und zum Christentum zu bekehren.19 Die Belohnung der Encomienda bestand aus dem Nutznießen der Arbeitskraft einer großen Zahl von Indigenen und ihrer Produkte durch einen Encomendero (einen Spanier mit einer Encomienda). Die Indigenen waren verpflichtet, Arbeit und Zahlungen für ihre katholische Erziehung zu leisten. Obwohl die Encomienda ein strikt 17 | Siehe hierfür: Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O. 18 | Siehe für mehr Informationen über die Encomienda in Spanien: Chamberlain, Robert S., »Castilian Backgrounds of the Repartimiento-Encomienda«, in: Carnegie Institution of Washington Publication, no. 509, Washington 1939 (S. 19-66); Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, University of Missouri, Columbia 1946, S. 22. 19 | Hierzu ausführlicher ebd., S. 24.

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reglementiertes Verwaltungsprojekt war, beachteten die Encomenderos dennoch in der Regel nicht ihre Anordnungen, sodass sie zur Verwaltungsinstanz der Indigenen Zwangsarbeit wurde. Für die Spanier bedeuteten die Maßnahmen zum Schutz der Indigenen eine Beeinträchtigung ihrer eigenen Interessen, und es stellte sich ihnen zugleich die Frage, ob sie tatsächlich die Bedürfnisse der Indigenen beachten sollten, wenn ebenfalls angesehene »Intellektuelle« der Epoche zur gleichen Zeit über »die Vernichtung dieser Barbaren«20 sprachen. Hierbei ist zu betonen, dass die Encomenderos selbst diejenige waren, die über Missachtungen von Anordnungen und fehlerhafte Verwaltung einer Encomienda in ihrer ersten Einführungsphase zu urteilen hatten. Die Ausrottung der Eingeborenen der karibischen Inseln ist ohne die grenzenlose Macht- und Gewaltausübung der Encomenderos nicht zu erklären.21 Eine Auslöschung, die aus spanischer Sichtweise nicht nur negative Folgen hatte. Gonzalo Fernández de Oviedo formuliert in seinen Berichten eine Aussage, die in der Epoche mit hoher Wahrscheinlichkeit keine seltene Meinung unter den Spaniern war: »Der Satan ist von dieser Insel vertrieben worden, er ist mit dem Tod der meisten Indios verschwunden; und die, die noch übrig sind, sind sehr wenige und den Christen unterworfen.«22 Die Encomienda stipulierte, dass die Indigenen ohne ökonomische Gegenleistung für die Spanier arbeiten sollten. Daher könnte man sie als eine Form der Sklaverei definieren, jedoch ist sie in die Annalen der Geschichte nicht als eine Ausformung der Institutionalisierung des Sklaventums eingegangen. Das ist der Fall, weil ihre Anordnungen die Indigenen als freie Menschen definierten, die nicht dem Encomendero als Eigentum gehörten. Sie waren nur sein vorübergehender Besitz: »The grantees, called encomenderos, were entitled to receive tribute and labor from the Indians delegated to them. The Indians, though liable to the demands for 20 | Ginés de Sepulveda, Juan, Tratado sobre las justas causas de la guerra contra los indios, a.a.O., S. 115. 21 | Das Werk des Dominikaners Bartolomé de las Casas bietet mehrere Beispiel der Gewaltexzesse der Spanier an den Indigenen. Siehe zum Beispiel: Casas, Bartolomé de las, Brevísima relación de la destrucción de las Indias, a.a.O.; ders., Historia de las Indias, a.a.O. 22 | Fernández de Oviedo, Gonzalo, Historia General y Natural de las Indias, Biblioteca de Autores Españoles, Bd. 1 (Buch 5, Kapitel 3), Atlas, Madrid 1959, S. 124.

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tribute and labor during the effective period of the grant, were regarded as free for the reason that they were not owned as property by their encomenderos. Their freedom established a legal distinction between encomienda and slavery, and between encomienda and more refined types of feudal tenure. A grant of encomienda conferred no landed property, judicial jurisdiction, dominium, or señorío. It entrusted to each encomendero the Christian welfare of a designated number of Indians. Encomienda was a possession not a property, and it was per se inalienable and non-inheritable, save insofar as the term of particular grants might allow. A vacant (unpossessed) encomienda reverted to the monarch, who might retain its Indians under royal administration or reissue them to a new encomendero.« 23

1512-1513 wurden die Gesetze von Burgos erlassen, deren Ziel es war, die Brutalität der Encomienda durch weitere Reglementierungen der Arbeit der Indigenen zu reduzieren. Ihre zentralen Verordnungen waren: »[…] that the Indians were to be brought into towns to live and that the encomendero was to provide a church for them and see that they were instructed in the faith; Indians were not to be used as carriers; encomenderos were not allowed to exchange Indians; no person should call an Indian a dog or any other names unless it was his real name; […] the Indians were compelled to give nine months service to the Spaniards; to prevent them from being idle the other three months they were to work their own farms or work for the Spaniards for wages […]«. 24

Dass die Geschichte dieser Anordnungen älteren Encomienda-Verordnungen glich, überrascht nicht. Auf der einen Seite war die negative Semantik zur Darstellung der Indigenen in Expansion begriffen,25 und auf der anderen Seite fehlten der spanischen Krone die Überwachungsmechanismen, um von der iberischen Halbinsel aus die Beachtung ihrer Gesetze zu überwachen. Hinzu kam, dass sie unbegrenzt von den Steuerzahlungen der Encomenderos profitierte. Das Resultat dieser Anordnungsmissachtung war die Verschlechterung der Lebensbedingungen und Lebensaussichten der Indigenen, eine Situation, die nicht in allen 23 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 58. 24 | Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, a.a.O., S. 26. 25 | Siehe für eine Erklärung der epigenetischen Evolution von Gesellschaftsstruktur und Semantik: Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O. Siehe insb. S. 56.

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scholastischen Kreisen Spaniens auf Zustimmung stieß.26 Durch diese theologischen Diskussionen beeinflusst, untersagte die spanische Krone 1519 das Bestehen der Encomienda.27 Jedoch dauerte ihr Verbot nur eine kurze Zeit, denn sie wurde durch die Beseitigung des aztekischen Reichs (1521) und die Notwendigkeit der »Verwaltung« des Landes erneut ins Leben gerufen. 1522 richtete Hernán Cortés einen Brief an Karl V. um für diese Verwaltungsform des Landes zu plädieren: »[…] ich habe Eure Majestät darüber unterrichtet, dass die Eingeborenen dieser Länder intelligenter als die der anderen Inseln sind […] und dass mir schwierig erschien, sie zu zwingen, uns wie auf den anderen Inseln zu dienen. […] Aber ich habe jetzt festgestellt, dass wir viele und regelmäßige Ausgaben haben […] und in Anbetracht der Tatsache, dass wir eine lange Zeit Kriege geführt haben und deswegen Schulden gemacht haben und wir uns daher in einer Notlage befinden. […] [W] urde ich geradezu gezwungen, die Herren und die Eingeborenen dieser Länder den Spanier zu übergeben, dafür habe ich in Betracht gezogen, in welchem Maße sie Eurer Majestät gedient haben, dadurch sollten […] diese Herren und Eingeborene ihrem spanischen Herrn dienen und ihm das Nötige für seinen Unterhalt geben […] und man kann nichts Besseres denken, um sowohl den Unterhalt der Spanier als auch die beste Behandlung der Indios zu sichern […].« 28 26 | Missbrauch und Gesetzesbruch der Encomenderos führten dazu, dass die Missionare das System vor der Krone bald als unmoralisch und ungerecht anklagten. Informationen über solche theologischen Ansichten und ihre Vertreter sind zum Beispiel zu finden in: García y García, Antonio, »Die Herausforderung der Neuen Welt. Francisco de Vitoria und seine Vordenker«, a.a.O. 27 | Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, a.a.O., S. 27. 28 | »[…] hice saber a vuestra majestad cómo los naturales de estas partes eran de mucha más capacidad que no los de las otras islas, […] y que por esta causa me parecía cosa grave por entonces compelerlos a que sirviesen a los españoles de la manera que los de las otras islas, […]. Y después acá, vistos los muchos y continuos gastos […] y visto también el mucho tiempo que hemos andado en las guerras, y las necesidades y deudas en que a causa de ellas todos estábamos puestos, […] fuéme casi forzado depositar los señores y naturales de estas partes a los españoles, considerando en ello las personas y los servicios que en estas partes a vuestra majestad han hecho, para que […] los dichos señores y naturales sirvan y den a cada español a quien estuvieren depositados, lo que hubieren menester para su sustentación. […] y no se pudo ni puede tener otra cosa que sea

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Die Einführung der Encomienda auf dem Gebiet des aztekischen Reichs beabsichtigte, sowohl die Arbeit als auch die Steuerzahlung der Indigenen zu verwalten.29 Diese Verwaltung fand tatsächlich durch sie statt, dies jedoch nicht, ohne dass die Encomienda strukturelle Merkmale der Indigenen Gesellschaft übernahm. Durch sie behielten die Indigenen Formen ihrer eigenen Arbeitskoordination, die die Entfaltung der Encomienda unter ihnen vereinfachte. Diese Form der Encomienda mit Indigenen Merkmalen setzte zum Beispiel die Arbeits- und Steuerpflichten der Indigenen gegenüber ihren Altepetl (Dorf, Lebensort) ein und inkludierte das Prinzip der Arbeitsorganisation durch das Teilungsprinzip von Gruppen von jeweils zwanzig Indigenen (»Zwanzigstens«): »When the Marqués del Valle [Hernán Cortés Anm. E.A.G.] ordered Indians of Coyoacan to build the house of the oidor Quesada in 1548, the workers supplied the materials, the labor was organized […] 340 Indians were directed to bring seventeen wooden beams, an indication not only of the continuing use of a vigesimal organization, but also of the high ratio of laborers to labor units, with twenty Indians for each beam.« 30

Die Einführung der Encomienda in Mexiko schloss die Fortsetzung des Missbrauchs der Encomenderos gegen die Indigenen ein. Diese Situation wurde dennoch nicht immer mit Gleichgültigkeit von allen spanischer Autoritäten wahrgenommen, die inzwischen das Land bewohnten und es für die Krone verwalteten. Die Nachrichten über die Ausbeutung der Indigenen verbreiteten sich in Spanien durch die Bemühungen von Gegnern der Encomienda wie Bartolomé de las Casas und sorgten in einigen Gelehrten- und Adelskreisen für Empörung. Las Casas war der Meinung, dass die Encomienda verboten werden sollte,31 und benutzte seinen Einfluss am Hof von Karl V., um den Erlass der Nuevas Leyes (der Neuen mejor, que convenga más, así para la sustentación de los españoles como para conservación y buen tratamiento de los indios, […]«. Cortés, Hernán, »Tercera carta de relación – 15 de mayo de 1522«, a.a.O., S. 144. 29 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 221. 30 | Ebd., S. 222. 31 | Siehe für Informationen über das philosophische Denken von Las Casas: Queralto, Moreno, Ramón-Jesus, El pensamiento filosófico político de Bartolomé de Las Casas, a.a.O.

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Gesetze, 1542--1543) zu ermöglichen.32 Durch sie sollte die Arbeit der Indigenen besser reguliert werden, um ihren Missbrauch zu verhindern. Sie ordneten zum Beispiel an: »Indians were free persons and vassals of the Crown and, as such, should not give personal service. All Indian held in encomienda by the viceroys, their lieutenants, treasury officials, prelates, monasteries, hospitals, religious houses, and other organizations were to be transferred at once to the Crown. Excessively large encomiendas were to be reduced. Those who had mistreated the Indians were to lose their encomiendas; grants lost in this manner were to revert to the crown. Hereafter no encomienda was to be granted to anyone for any reason, and when the incumbent died his Indians would revert to the crown […]. The tribute of newly discovered Indians was to be assessed fairly and derived to the royal treasurer. Spaniards were to have no authority over newly discovered Indians and were not to make use of them in any way. The tributes paid to an encomendero or to the Crown were to be fixed at a lower rate than that which prevailed before the conquest. No encomendero could exact a greater tribute from his Indians than the fixed by the viceroy and the audiencia.« 33

Jedoch scheiterte die Umsetzung des anspruchsvollen Projekts von Las Casas wegen des Unmuts der Encomenderos, die durch die Gesetze ihre Interessen in höchster Gefahr sahen. Diese Anordnungen sollten die gleiche Geschichte der Gesetze von Burgos haben. Das bedeutet, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Indigenen prekär blieben: »The Indians were forced to pay more than they were assessed, […] the Indians were overworked […] the Indian were forced to perform personal service […] the Indian were forced to carry heavy loads as beast of burden […] the Indians were forced to carry their tribute from the town in which they lived to the encomenderos places of residence […] old taxations were continued […].« 34

32 | In die Geschichtsschreibung ist eingegangen, dass diese Gesetze Las Casas zu zuschreiben sind. Siehe hierzu: Chaunu, Pierre, Bartholomé de Las Casas, »Francisco de Vitoria und Amerika«, in: Eberhard Straub (Hg.), Conquista Amerika oder die Entdeckung der Menschenrechte, Communio, Köln 1991 (S. 28-47). 33 | Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, a.a.O., S. 39. 34 | Ebd., S, 48.

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Weitere spanische Reaktionen gegen die Encomienda wurden durch Eingriffe der psychischen und der biologischen Umwelt der Gesellschaft35 in die Gesellschaft ausgelöst. Überarbeitung, Erschöpfung und Seuchen verursachten eine drastische Reduktion der Zahl der Indigenen Arbeitskräfte.36 Die Spanier waren gezwungen zu handeln, und sie reagierten auf die Art und Weise, die ihnen ihre rekursiven und selbstreferentiellen Strukturen ermöglichten, also durch den Erlass neuer Gesetze: »There was to be no personal service commuted for tribute […] if the Indian did work beyond the amount of the tribute owed he was to be pay a fair wage […] the tribute was to be less than that paid in pre-conquest times […] a book of the tributes was to be kept […] the taxation lists were to be drawn up by the members of the audiencia […] in assessing the tribute the official making the list was to take into consideration the population of the town, plagues or other reason for a decrease of the population […] the tribute was to be made in money or in kind […] the Indians were not to be forced to carry the tribute they paid from their own town to the residence of the encomendero […].« 37

Die Unwirksamkeit dieser Gesetze war vorprogrammiert, denn die sozialen Bedingungen, in die sie eingebettet waren, waren die gleichen, die die Wirksamkeit der Gesetze von Burgos oder der Neuen Gesetze unterbunden hatten. Aus diesem Grund schrumpfte die Indigene Bevölkerung graduell weiter. Hinzu kam, dass die in das Land eingereisten Spanier ohne Encomienda ebenfalls auf die Arbeitskraft der Indigenen angewiesen waren. Die spanische Schlussfolgerung dieser Notlage war die Annahme, dass die Encomienda ihre Aufgabe nicht mehr ausreichend leistete. Nach der Auffassung unserer Untersuchungsmethode könnte man sagen, dass die Anschlüsse, die sie zwischen spanischer Oberschicht und Indigener Unterschicht generierte, die Fortsetzung der Arbeitsteilung nach spanischer Erwartung nur begrenzt garantierte. Denn ihr Vollzug stellte eine Gefahr für ihre Reproduktion und Verbreitung dar. Aus diesem Grund waren die Spanier aufgefordert, eine Lösung für dieses Problem zu fin35 | Informationen über das autopoitische System des Lebens sind zu finden in: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O, S. 270. 36 | Cook, Shelburne F./Woodrow Borah, The Indian Population of Central Mexico 1531-1610, a.a.O. 37 | Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, a.a.O., S. 48.

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den, sonst drohte ihnen das Risiko, ihre hierarchische Stellung im Land zu verlieren. Um dieses Problem zu lösen, installierten die Spanier das System des Repartimiento, durch seine kommunikativen Anschlüsse sollte dieses Risiko gebändigt werden.

b.2 Repartimiento Das Repartimiento (Verteilung/Zuteilung) ist als eine strukturelle Lösung einzuordnen, deren Ziel war, auf der einen Seite die Fortsetzung der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen Oberschicht und Unterschicht zu ermöglichen und auf der anderen Seite das Überleben der Indigenen zu sichern. Seine Entstehung löste die Encomienda jedoch nicht auf, in mehreren Fällen operierten sie parallel: »[Repartimiento] was applied to a series of diverse colonial procedures, including encomienda grants, land allotment, tribute apportionment, forced sale, and draft labor. […] It was a system of rationed, rotational labor, purportedly in the public interest or for the public utility, affecting both encomienda and non-encomienda Indians, and benefiting a much larger employer class than had been possible under encomienda.« 38

Die Dimensionen der Arbeitskoordination des Repartimientos gingen über die Encomienda hinaus und seine Zuständigkeit schloss, anders als bei der Encomienda und mit der Ausnahme der durch Arbeit zu leistenden Steuern, keine Verwaltung der Indigenen Steuerzahlung ein.39 Das 38 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 224. 39 | Siehe hierzu: ebd., S. 228. Für ausführliche Informationen über die Verwaltungsformen der Steuerzahlung der Indigenen siehe: ebd., Kapitel 8: »Tribute and Town Finance«. Hier ist anzumerken, dass während einer langen Periode der Kolonialzeit Mexikos die Arbeit der Indigenen als eine Form der Steuerzahlung eingestuft wurde. In Tlaxcala wurden sogar territoriale Abgrenzungen zur Verwaltung der Indigenen Arbeitskraft und ihrer Steuerzahlung markiert, die als Tequitl bezeichnet wurden. Ein Wort, das in diesem Kontext sowohl Arbeit als auch Steuerzahlung bedeutete. Anguiano, Marina/Matilde Chapa, »Estratificación social en Tlaxcala durante el siglo XVI«, in: Pedro Carrasco/Johanna Broda (Hg.), Estratificación social en la Mesoamérica prehispánica, a.a.O. Siehe hierzu auch: Lockhart, James/ Frances Berdan/Arthur J.O. Anderson (Übers. und Hg.), The Tlaxcalan Actas, A Compendium of the Records of the Cabildo of Tlaxcala (1545-1627), University

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Repartimiento übernahm ebenfalls vorspanische Praktiken der Arbeitsteilung. »The principles of compulsion and rotation, which were essential to it, had precedents in both pre-conquests and early colonial labor. Communities had alternated in service for Nezahualcoyotl in the fifteenth century, and they alternated in service for the viceroy in the early sixteenth century.« 40

Auf der einen Seite verbesserte das Repartimiento die Arbeits- und Lebensbedingungen der Indigenen nicht, denn die hierarchischen Bedingungen des Kolonialismus ließen dies, wie im Falle der Encomienda, nicht zu. Auf der anderen Seite gelang es ihm auf der Verwaltungsebene vorübergehend, die hierarchische Arbeitsteilung zwischen Spaniern und Indigenen zu stabilisieren: »In fact, it did not fulfil the royal demands for short hours, moderate tasks, or voluntarily labor for wages. But it subjected the labor procedures of the colony to administrative scrutiny for the first time, and it satisfied, at least temporarily, the needs of the new colonial employers. « 41

Die kommunikativen Anschlüsse, die das Repartimiento generierte, verkörperten keine dauerhafte Lösung zur Fortsetzung der strukturellen Kopplung bezüglich der Arbeitskoordination zwischen Indigener Unterschicht und spanischer Oberschicht. Ihre Antworten zu den Aufforderungen einer sozialen Ordnung zunehmender Komplexität waren begrenzt. Ihre Operation dauerte etwa fünfundsiebzig Jahren, bis 1633,42 als der Vizekönig Rodrigo Pacheco y Osorio es mit einer Ausnahme außer Kraft setzte: »The termination of all repartimientos, except those in mines, was to take effect January 1, 1633.«43

of Utah, Salt Lake City 1986, S. 68, Fußnote 68. Zwei unterschiedliche Listen zur Steuerzahlung der Indigenen sind zu finden in: Scholes, Walter V., The Diego Ramirez Visita, a.a.O., S. 34 ff. und 54ff. 40 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 224. 41 | Ebd. 42 | Diese ist eine Einschätzung von Gibson. Ebd. 43 | Ebd., S. 235.

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Weitere strukturelle Lösungen sind im Laufe der Kolonialzeit Mexikos entstanden, um die Wahrscheinlichkeit der hierarchischen Arbeitsteilung nach spanischer Erwartung zu erhöhen.44 Hier befassen wir uns nicht mit ihrer Untersuchung, denn wir gehen davon aus, dass der Primat der Stratifikation seine operative Stabilität auf der Ebene der Arbeitsteilung durch die strukturellen Lösungen der Encomienda und des Repartimientos erreichte. Um diese Annahme zu belegen, wollen wir zeigen, wie diese strukturellen Lösungen zur Homogenisierung der Indigenen Unterschicht beitrugen und daher ihre operative Schließung als Teilsystem gegenüber der spanischen Oberschicht unterstützt haben. Wir gehen davon aus, dass durch sie die Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation ermöglicht wurde.

III. H omogenisierung der U nterschicht Zum Zeitpunkt ihrer Ankunft auf dem Gebiet des aztekischen Reichs fanden die Spanier eine stratifizierte Indigene Gesellschaft vor, die im Laufe der Kolonialisierung eine Schichtdifferenzierung annahm, die für die Indigenen bis dahin unbekannt war. Die Erwartung der Spanier war, dass die soziale Ordnung aus zwei Schichten bestehen sollte: Indigene Unterschicht und spanische Oberschicht. Da diese Binarität für die Indigenen keine Selbstverständlichkeit war, war sie zunächst durch Kommunikationsoperationen zu ermöglichen. Hierfür haben sowohl die Encomienda als auch das Repartimiento Selektionen bevorzugt, die zur Auflösung der vorspanischen Schichten der Indigenen Gesellschaft geführt haben, und daher zu ihrer Homogenisierung beitrugen: »Indian society, highly stratified in pre-conquest times, became increasingly homogeneous under the force of Spanish rule.«45 Die Homogenisierung der Indigenen als Unterschicht, deren Aufgabe es war zu arbeiten, um die Bedürfnisse der Oberschicht zu befriedigen, ist durch vier Phänomene aufgetreten, die parallel stattfanden:

44 | Hierfür wurde zum Beispiel eine weitere Alternative generiert: die Hacienda. Sie sollte überwiegend die Arbeitsdistribution nach der Vorstellung der Oberschicht bis zum Ende der Kolonialzeit Spaniens in Mexiko steuern. Siehe ebd. 45 | Berdan, Frances F., The Aztecs of Central Mexico, a.a.O., S. 179.

Homogenisierung der Indigenen Unterschicht

1) In der ersten Stunde der Kolonialisierung haben die Spanier die Arbeitsteilung und die Steuerzahlung der Indigenen mit Hilfe derjenigen Indigenen koordiniert, die an der Spitze der Hierarchie der vorhandenen Indigenen Gesellschaftsordnung standen.46 Dies war möglich, weil die Indigene Gesellschaft sie einerseits noch als eine zentrale Machtinstanz erkannte und weil andererseits für die Spanier die Vorstellung einer adeligen Hierarchie keine unbekannte Form sozialer Ordnung war.47 Pipiltin (Tlatoque oder Tlatoani) nahmen diese Zuständigkeit für sich in Anspruch, bis sie durch unterschiedliche Transformationen ihre hierarchische Position verloren und andere Indigene ihre Rolle als Ansprechpartner gegenüber den Spaniern übernahmen. Durch die Einführung der Verwaltungseinheit des Gobernadors oder Juez-Gobernadores wurde den Macehualtin 48 (den »normalen Leuten des Volkes«) Zugang zu dieser Verwaltungsaufgabe eingeräumt.49 Eine weitere Transformation in diese 46 | Ein Beispiel einer Kette von Zahlung und Übertragung von Steuern ist in den Notizen eines Nahuatl-Steuerbuches zu finden, das um 1530 in der Region von Cuernavaca geführt wurde: »Francisco Yaotl gives his tribute to Martín Huitznahuatl, and Martín gives it to the cacique, and the cacique gives it to the marqués [Cortés].« Lockhart, James/Enrique Otte (Übers. und Hg.), Letters and People of the Spanish Indies, The Sixteen Century, Cambridge Latin American Studies, Cambridge University Press, Cambridge 1976, S. 156-157. 47 | Die Indigene Gesellschaft »[…] were classified according to a system of titular designations that recalled to Spaniards the noble orders of Europe«. Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 155. 48 | Ausführliche Informationen über diese Form der Stratifikation sind zu finden in: Carrasco, Pedro/Johanna Broda (Hg.), Estratificación social en la Mesoamérica prehispánica, a.a.O., S. 126. Beispiele aus dem Tlaxkalan Cabildo im XVI. Jahrhundert sind zu finden in: Lockhart, James/Frances Berdan/Arthur J.O. Anderson (Übers. und Hg.), The Tlaxcalan Actas, a. a O. Siehe ähnliche Dokumente für den Fall von Huejotzingo hier: Anderson, Arthur J.O./Frances Berdan/James Lockart (Übers. und Hg.), Beyond the Codices, a.a.O. 49 | Diese Möglichkeiten traten immer ein, wenn außergewöhnliche Situationen entstanden waren: Zum Beispiel wenn die Fortsetzung der Tlatoani-Dynastie in Schwierigkeiten geraten war. Das Bestehen eines Tlatoanis und eines Gobernadors in dem gleichen Altepetl verursachte eine Spaltung der Macht, die zuvor nur der Tlatoani auf sich vereinte. Mitte des XVI. Jahrhunderts waren Gobernadores, die keine Tlatoani waren, keine Seltenheit.

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Richtung kam durch die Einführung der Cabildos (municipal council)50, deren Anordnungen vorsahen, dass ihre führenden Stellen (Alcalde und Regidor) in regelmäßigen Abständen gewählt werden sollten.51 2) Die Sklaven und Diener (Tlalmaites und Mayeques)52, die die Indigenen selbst besaßen oder unterhielten, wurden durch die Abschaffung ihrer Steuerprivilegien zur Seltenheit. Ein Bericht aus dem XVI. Jahrhundert definierte ihre Aufgaben wie folgt: »Die vierte Art der Steuerzahler hießen Tlalmactes oder Mayeques, das bedeutet: Bauern, die fremde Länder belandwirtschaften […]. Es wurde nicht gesehen, dass die Mayeques andere Länder betrieben […] und die Nachfahren der adeligen Besitzer der Länder erbten sie und das Erbe inkludierte die Mayeques, die sie betrieben, sie sollten den neuen Besitzern weiterhin Arbeitsdienste leisten und Pacht zahlen, wie sie es mit ihren Vorfahren gemacht hatten […]«. 53 50 | Diese Institution war eine Neuheit für die Indigenen: »The offices, and the persons serving in them, so far as we can see, had no relation to any known institution in pre-Spanish political life.« Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 173. 51 | Diese Institution wurde allmählich von den Indigenen übernommen, obwohl sie ihr in den ersten Jahren nach ihrer Einführung abgelehnend gegenüberstanden hatten: »[They] retain tlaloque as gobernadores, to prolong the term of the gobernadores, and to resist Spanish directives requiring annual elections and rotation in office. [In] Tequixquiac in 1569, one gobernador, two alcaldes, and four regidores were to be selected annually from among thirteen principales. In Xilotzingo, where a full cabildo had similarly to be chosen, only five principales remained as candidates in 1569.« S. 175. 52 | Diese Indigenen wurden von Charles Gibson als Indigene des »sub-macegual Status« bezeichnet. Ausführlichere Informationen über die Komplexität der sozialen Unterschiede zwischen den Indigenen des »sub-macegual Status« nach den Kategorien ihrer Arbeit, ihrer Pflichten zur Steuerzahlung und ihres Landbesitzes sind zu finden in: Carrasco, Pedro, »Estratificación social indígena en Morelos durante el siglo XVI«, in: ders./Johanna Broda (Hg.), Estratificación social en la Mesoamérica prehispánica, a.a.O. (S. 102-117). 53 | »Otra y cuarta manera había de tributarios que llamaban tlalmactes o mayeques, que quiere decir labradores que están en tierras ajenas […] No podían ir estos mayeques de unas tierras a otras, ni se vio que se fuesen y dejasen las que labraban… y en estas tierras sucedían los hijos y herederos del señor de ellas, y

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Diese Sklaven und Diener waren in den 1550er Jahren im ehemaligen Einflussbereich des aztekischen Reichs in Zentralmexiko noch zahlreich: »160 in a population of 826 in Culhuacán, 46 in a population of 278 in Huitzilopochco, 1,667 in a population of 6,361 in Tepetlaoztoc.«54 Dennoch nahm ihre Zahl im Laufe des XVI. Jahrhunderts ab: »[…] when these were transferred to the category of tribute payers – as they all were in the latter half of the sixteenth century – they became indistinguishable from maceguales [»normale Leute des Volkes] in the Indian social system«.55 3) Die Seuchen von 1545-1548 und 1576-158156 verursachten eine drastische Abnahme der Anzahl der Indigenen.57 Der Mangel an den üblichen Indigenen Ansprechpartnern ließ den Spanier keine Alternative übrig, als neue Verbündeten zu suchen. 4) Die Zunahme sozialer Bedeutung des männlichen Nachwuchses »gemischter« Eheschließungen zwischen spanischen Männer und Indigenen Frauen adliger Abstammung trug ebenfalls zur Homogenisierung der Unterschicht bei. Die Mestizos waren als Entscheidungsträger der Unterschicht prädestiniert, weil sie teilweise von den Privilegien ihrer Vorfahren profitierten: »Most early mestizos were considered illigitimate under Spanish law. But as New Spain became estabished under colonial rule, more and more Peninsulares and Criollos were encouraged to find available Indian wives: the crown wished greater pasaban a ellos con los mayeques que en ellas había, y con la carga y obligación del servicio y renta que pagaban por ellas, como lo habían pagado a sus predecesores […].« Zorita, Alonso de, Breve y sumaria relación de los señores de la Nueva España, Biblioteca del Estudiante Universitario, núm. 32, UNAM, México 1963, S. 113. 54 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 154. 55 | Ebd. 56 | Siehe hierzu: Sticker, Georg, »Die Einschleppung europäischer Krankheiten in Amerika während der Entdeckungszeit; ihr Einfluss auf den Rückgang der Bevölkerung,«, in: Iberoamerikanisches Archiv VI, 1932-1933 (S. 62-83) (S. 194224); Cook, Sherburne F., »The Incidence and Significance of Disease Among the Aztecs and Realted Tribes«, in: Hispanic American Historical Review XXVI, 1946, (S. 320-335). 57 | Cook, Shelburne F./WoodrowBorah, The Indian Population of Central Mexico 1531-1610, a.a.O.

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stability, the church sought a higher morality. Many later mestizos, therefore, were considered legal heirs. […] Most, ignored by their Spanish fathers, were raised by their Indian mothers; these mestizos were often culturally indistinguishable from Indians […]. A few others, from wealthy backgrounds, penetrated Spanish society and more closely mirrored the Spanish culture.« 58

Nach spanischer Ansicht war die Unterschicht eine homogene Einheit, deren Aufgabe es war, die Bedürfnisse der Spanier durch Arbeit zu stillen. Die resultierende Homogenisierung der Unterschicht veranlasste und bestätigte den Auf bau einer Grenze zwischen Unterschicht und Oberschicht, die ihre Mitglieder nicht überschreiten durften. Sie unterstützte und trieb ebenfalls die Entstehung eines Indexes voran, dessen es Funktion war, die Beschleunigung der Präjudizierung und Lokalisierung der Indigenen als Mitglieder der Unterschicht zu ermöglichen.59 Der Unterschichtindex sollte eine soziale Selbstverständlichkeit werden, die zur Entfaltung einer Rangordnung zwischen Indigenen und Spaniern beitrug und die auf der bevorzugten positiven Selektionspräferenz »Spanier« der Distinktion »Spanier/Indio« basierte.60 Diese Änderungen sollten strukturelle und semantische Transformationen in der Unterschicht veranlassen, die nicht nur zu ihrer Homogenisierung beitrugen, sondern ebenfalls die Substitution ihrer alten (vorspanischen) Schichthierarchie durch eine neue Hierarchie verursacht haben. Wir sind der Überzeugung, dass diese Substitution durch die Übernahme der Selektionspräferenz der Hispanisierung (Spanisch-Wer58 | Berdan, Frances F., The Aztecs of Central Mexico, a.a.O., S. 179. 59 | Luhmann betont die operative Relevanz eines Schichtindex wie folgt: »Sowohl für Segmentäre als auch für stratifizierte Gesellschaften sind […] Mischexistenzen problematisch, weil zu viel Verhaltenserwartungen an der Person hängen, die ohne Schichtindex nur ein privates Individium wäre.« Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 30. 60 | In Spanien stand ein ähnlicher Index zur Verfügung, jedoch mit einem anderen Charakteristikum: »In Adelsgesellschaften wird sehr auf die Distinktionsmerkmale adeliger Lebensführung geachtet, und die Unterscheidungen werden so gewählt, dass immer auch die negative Seite, das ›Gemeine‹, ›Bäuerische‹ mitgemeint ist.« Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 606. Das »Indio-Sein« hat das Gemeine und Bäurische substituiert und zur Entfaltung von spezifischen Formen der Arbeitsteilung und Ausbeutung beigetragen.

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den, die Zeit nach 1521 mit der Vorstellung der Perfektion Gottes als teleologische Zeitbestimmung und die spanische Realitätsdefinition, die die Vorstellung des »Indio-Seins« ablehnte) erfolgte. Das bedeutet, dass die Unterschicht ihre Sinnselektionen überwiegend durch das Bevorzugen der Hispanisierung durchgeführt hat. Durch diese Transformation ihrer Selektionskriterien erhöhte sie nicht nur die Wahrscheinlichkeit ihrer Kommunikation mit ihrer sozialen Umwelt (Oberschicht), sondern sie reagierte zugleich durch ihre eigenen Operationen auf die Bestimmungen des Stratifikationsprimats. Mittels dieser Transformationen stellte die Unterschicht ihre eigene systeminterne Gleichheit und Ungleichheit (Asymmetrie, Hierarchie) her, und es gelang ihr, ihre operative Fortsetzung und Reproduktion zu ermöglichen. Im nächsten (letzten) Kapitel wollen wir uns mit der Untersuchung der Entstehung dieser systeminternen Hierarchisierung befassen. Unsere Absicht ist zu belegen, dass durch ihre Entfaltung sich eine zirkuläre und selbstreferentielle Sinnproduktion ergeben hat, die die semantische Form »Indio« als soziales Stigma in Gang gebracht hat, dessen bevorzugte Sinnselektionen zur operativen Schließung der Unterschicht als Teilsystem einer stratifizierten sozialen Ordnung beitrug.

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Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht Die Entstehung des »Stigmas-Indio«

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Entfaltung einer stratifizierten sozialen Ordnung aus der Perspektive der Indigenen Unterschicht, also von unten nach oben. Hierfür werden wir zwei Prozesse fokussieren, die nach unserer Ansicht die operative Schließung der Unterschicht ermöglicht und die die Wahrscheinlichkeit ihrer strukturellen Kopplungen zur spanischen Oberschicht erhöht haben: 1) die Entfaltung einer sozialen Hierarchie, die durch die Hispanisierung als von den Indigenen bevorzugte Präferenz zur Durchführung von Sinnselektionen entstanden ist und 2) die Herausbildung des »Stigmas-Indio« als ein semantisches Produkt, das zur operativen Schließung der Unterschicht beitrug. Unsere Untersuchung beabsichtigt, sowohl zu belegen, dass die Indigene Gesellschaft in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts ihre operative Geschlossenheit als Unterschicht erreicht hat, als auch zu zeigen, dass die Indigene Unterschicht einen zentralen Beitrag zur Stabilisierung einer stratifizierten sozialen Ordnung leistete.

I. H ier archisierung der U nterschicht durch H ispanisierung Wie wir es im dritten und vierten Kapitel dieser Arbeit gezeigt haben, haben die Spanier ihre eigene Vorstellung von einer spanischen Oberschicht durch die Bestimmung der positiven Seite der Distinktion »Spanier/Indio« aufgebaut und sie zeitgleich zur Entfaltung ihrer hierarchischen semantischen und gesellschaftsstrukturellen Konstrukte eingesetzt. Aus

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diesem Sachverhalt sind Erwartungen entstanden, die die Indigene Gesellschaft nicht übersehen konnte. Sie geriet vielmehr unter den Druck der operativen Reaktion, denn ohne die Entfaltung eigener passender (stratifikationskonformer) Gesellschaftsstrukturen und Semantik zur Durchführung ihrer Sinnselektionen wäre ihr Bestehen nicht möglich gewesen. Die Hispanisierung ist als eine Lösung zu begreifen, die die Indigene Gesellschaft strukturell entwickelt hat, um die Wahrscheinlichkeit der Vorsetzung ihrer Operation zu erhöhen. Wir gehen davon aus, dass es der Unterschicht durch ihren Einsatz gelang, auf der einen Seite die Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation zu bestimmen1 und auf der anderen Seite die Ungleichheit zwischen Indigenen festzulegen und zu signalisieren.

a. Hispanisierung Hispanisierung wollen wir als die damalige Durchführung von Selektionen definieren, die folgende Sinnselektionskriterien bevorzugte: Das Spanisch-Werden, die Zeit nach 1521 mit der Vorstellung der Perfektion Gottes als teleologische Zeitbestimmung und die spanische Realitätsdefinition, die die Vorstellung des »Indio-Seins« ablehnte. Ihre Funktion war, die objektive Stufenordnung des Stratifikationsprimats widerzuspiegeln, »[…] in [dem] jeder nur eine Position [einnimmt], und daß die Positionsordnung semantisch ausgefüllt wird mit Annahmen über unterschiedliche Qualitäten (Natur) und unterschiedliche Erwartungen (Moral)«.2 Die Hispanisierung generierte eine Positionsordnung und Selektionspräferenzen, die die Entstehung der Indigenen Unterschicht unterstützt haben, und im Laufe der Zeit als ganz normale Erwartbarkeiten in ihre Operation eingebaut wurden, bis sie eine zentrale Stelle in ihrer operativen Logik übernommen haben, und in dieser Form weiter reproduziert wurden. Da die Beispiele hierzu zahlreich sind, wollen wir unsere Annahme nur mit zwei von ihnen belegen. Die Indigenen haben zum Beispiel optiert, ihre ursprünglichen Namen durch spanische Namen zu ersetzen

1 | Diese Formulierung ist zu finden in: Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 75. 2 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 682.

Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht

(was nur mit spanischer Genehmigung erlaubt war) und zugleich die spanische soziale Anerkennung »don« daran anzufügen:3 »One of the fullest cases is a gentleman of Quiyahuiztlan who started as Hernando Tececepotzin, briefly became Hernando Lázaro, soon improved that to Hernando de Salazar, which he continued to be for years as regidor and alcalde, then tried out the »don« briefly in August 1562 before acquiring it definitively along with the governorship in 1563. Much the same happened with the sucessor to don Julián Motolinia as tlatoani of Quiyahuiztlan; appearing first as regidor Antonio Huitztlaomacatzin, he quickly became Antonio de Luna, but was not »don« until he acceded to the rulership«. 4

Das zweite Beispiel für Transformationen, die die Hispanisierung mit sich brachten, war, dass die Indigenen die Notwendigkeit zu erachten begannen, spanische Kleidung zu tragen, spanische Waffen zu benutzen und spanische Aktivitäten durchzuführen (ebenfalls nur mit spanischer Bewilligung): »[…] to carry sword or firearms, to wear Spanish clothing, to ride horses or mules with saddle and bridles […]«.5 Somit fanden Änderungen des Indigenen Alltags statt, die sich nicht mehr rückgängig machen ließen: »They built their houses in Spanish colonial styles and adopted beds, mattresses, pillows, tables, chairs, chests, and other Spanish furnishing. Following the example of the economic promoters of the colony, they established sheep ranches and other enterprises. Wills and inventories of their possessions show a progressive adoption of the articles of Spanish civilization, sometimes even including Negro slaves.« 6

3 | Siehe für eine ausführlichere Erklärung über dieses Phänomens: Lockhart, James/Frances Berdan/Arthur J.O. Anderson (Übers. und Hg.), The Tlaxcalan Actas, a.a.O. Siehe insb. Fußnote 126. 4 | Ebd., S. 22. 5 | Gibson, Charles, The Aztecs under Spanish Rule, a.a.O., S. 155. 6 | Ebd., S. 156.

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Die Hispanisierung stimmte mit den Prozessen der Homogenisierung der Unterschicht aus der Perspektive der Oberschicht überein.7 Denn sie öffnete den hispanisierten »plebejischen« Indigenen (den Maceguales) die Tür zur sozialen Mobilität: »A macegual might engage in commerce, gain a measure of wealth and local influence, and become accepted as a principal. Or he might serve in a monastery, make himself a favourite with the friars, escape the tribute and labor rolls of the community, and come to be regarded as a principal. Again, he might win the favour of his encomendero and be elevated to a position of gubernatorial power in defiance of the electoral principle and the claims of caciques and principales.« 8

Jeder Indigene hätte im Prinzip den Versuch starten können, sich einer Hispanisierung zu unterziehen, um berechtigt zu sein, nach einer höheren hierarchischen Position (und ihren Privilegien) in der Unterschicht zu streben.9 Die Wahrscheinlichkeit jedoch, sie zu erreichen, hing in jeder Hinsicht von der Bewilligung der spanischen Oberschicht ab: »Viceroys always retained the power to disallow election results, […] and in the sixteenth century, and frequently in he seventeenth and eighteenth century as well, newly elected Indian officers travelled to Mexico City to receive viceregal confirmation of their positions, as pre-conquest tlaloque had travelled to Tenochtitlan to receive confirmation from Montezuma […].«10

Die Annahme in eine höhere Hierarchie beruhte auf dem erreichten Hispanisierungsgrad: Die Indigenen, die für diese Position zu bevorzugen waren, waren diejenige, die über eine »bessere« Hispanisierung verfügten. Diese stetige Bemühung war ein pausenloses Bestreben der Indigenen, um zu beweisen, mehr Hispanisierung erreicht zu haben als andere Indigene. Aus diesem Grund kann man sagen, dass die Hispanisierung 7 | Wir haben uns mit dem Phänomen der Homogenisierung der Unterschicht im vierten Kapitel dieser Arbeit beschäftigt. 8 | Ebd. 9 | Eine solche Position stellte den Indigenen besondere Privilegien in Aussicht: »Like any Spanish hacendado, the cacique received payments from Indians who cut wood and grazed animals on his property.« Ebd., S. 163. 10 | Ebd., S. 177, 179.

Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht

ein geeigneter Mechanismus war, der die Nivellierung der Unterschicht durch massenhaften Aufstieg zur obersten hierarchischen Stellung (Indigener Entscheidungsträger zu sein) zu verhindern hatte.11 Die Indigenen konnten die Grenze zwischen Unterschicht und spanischer Oberschicht nicht überschreiten.12 Aus diesem Grund wirkten sie in dieser Epoche an keinem der Prozesse der zentralen Machtentscheidungen mit.13 Diese Entscheidungen waren exklusive Aufgabe der Oberschicht. Die Hierarchisierung der Unterschicht durch Hispanisierung ist als einer der zentralen Beiträge der Indigenen zur Entfaltung des Unterschichtindexes14 wahrzunehmen. Denn sie trug dazu bei, eine Grenze zwischen Oberschicht und Unterschicht durch Sinnselektionen deutlich zu markieren.

11 | Diese Formulierung in Bezug auf die gesamte Stratifikation (Oberschicht/ Unterschicht) ist zu finden in: Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 704. 12 | Die Hispanisierung war eine Ausschließungsform, die die koloniale Gesellschaft Mexikos kennzeichnen sollte. Im Laufe der Kolonialzeit Mexikos sollte sie die Selektionsalternativen einer durch Mischung zwischen Europäern, Indigenen und Afrikanern komplexer werdenden Unterschicht koordinieren. Dies galt selbstverständlich für alle sozialen Distinktionen, die die Stratifikation angewendet hat, um sich selbst zu beschreiben. Siehe hierzu die Untersuchung über die Darstellung des »sozialen Imaginären« durch die Malerei der Kastenabbildungen in: Katzew, Ilona, La Pintura de Castas, Representaciones Raciales en el México del Siglo XVIII, CONACULTA-Turner, México 2004. 13 | Die Bezeichnung »Prozesse der Machtentscheidung« bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Operation eines ausdifferenzierten politischen Systems. Es geht dabei um soziale Phänomene, die durch Ausübung der Gewalt und Legitimierung der Macht der Oberschicht im Rahmen der Stratifikation stattfanden und die als evolutive Errungenschaften politischer Kommunikation definiert werden können. Siehe ausführlichere Informationen über die Ausdifferenzierung der Politik als soziales System in: Luhmann, Niklas, Die Politik der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000. 14 | Siehe für mehr Informationen über dieses Konzept: Luhmann Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 30.

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b. Das Paradox der Hispanisierung: Die strukturelle E xklusion der Indigenen aus der spanischen Oberschicht Die Hispanisierung ist als ein unterschichtspezifisches Phänomen einzuordnen, denn ihre Kommunikationen konnten keinen Anschluss in der spanischen Oberschicht finden: Kein Spanier hatte es nötig, sich einer Hispanisierung zu unterziehen, um sich irgendwelche sozialen oder ökonomischen Privilegien zu erhoffen. Indigene hingegen konnten ihre Selektionspräferenzen hispanisieren, also ihre Sinnselektionen hispanisierungsgemäß ausrichten. Aber sie konnten zum Beispiel ihre phylogenetischen Merkmale nicht hispanisieren. Eine »totale« Hispanisierung war für sie vollkommen ausgeschlossen. Sie konnten nur im Modus des ewigen Versuchs des Spanisch-Werdens existieren, ohne das SpanischSein erreichen zu können. Daher konnte die Lokalisierung eines Indigenen nie fehlschlagen. Aus diesem Grund kann man sagen, dass die Hispanisierung ein Exklusionsmechanismus war, der auf folgendem Paradox basierte: Die Hispanisierung konstituierte ihre eigene Unmöglichkeit. Dieser aussichtslose Versuch war ein blinder Fleck der Unterschicht, deren Streben nach Hispanisierung stets durch ihre Unerreichbarkeit vorangetrieben wurde. Wenn man die Relevanz der Interaktion in einer stratifizierten sozialen Ordnung betrachtet, um Hierarchien zu determinieren,15 kann man mit Deutlichkeit die zentrale Rolle der Hispanisierung als Grenzmarkierung zwischen Oberschicht und Unterschicht beobachten. Die Hispanisierung hatte die Funktion, die unvermeidliche Unterschichtzugehörigkeit der Indigenen zu signalisieren und dadurch den Ausschluss der Aufstiegsmöglichkeit der Indigenen zur Oberschicht zu garantieren. In einem Bericht von Gerónimo de Mendieta (1585) ist ein Beispiel zu finden, dass diese Form endemischer Exklusion zutreffend illustriert: »Don Juan, Häuptling aus einer Provinz von Michoacán […] trug solch eine starke Gottergebenheit und solch ein Erbarmen und eine inbrünstige Seele in sich, dass er mehrmals und unter vielen Tränen das Gelübde ablegte, die Lebensgebräuche 15 | »[die] oberste Schicht […] ist also darauf angewiesen, ihre Stellung durch Prätention zu behaupten und durchzusetzen, und dafür ist die Interaktion innerhalb dieser Schicht konstitutiv«. Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 77.

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des Heiligen Franziskus anzunehmen und versuchte, diesem Orden beizutreten […] er legte sein Häuptlingsgewand ab […], befreite mehrere seiner Sklaven und predigte ihnen und unterwies sie im Gesetz Gottes, er versuchte, so gut er konnte, sie zu beeinflussen, damit sie ihr Leben nach den heiligen Geboten ausrichten konnten […] und er fragte mehrmals in Michoacán nach, ob er dem Orden beitreten könne. Und weil sie ihn dort nicht ließen, kam er nach Mexiko [Stadt Anm. E.A.G.], und im Kloster von S. Francisco fragte er erneut, und weil er auch dort abgelehnt wurde, ging er mit der gleichen Bitte zur Inquisition zu Fr. Juan de Zumárraga. Juan de Zumárraga nahm seine Frömmigkeit und ausdauernde Beharrlichkeit wahr, daher war er ihm sehr zugeneigt und wenn er gekonnt hätte, hätte er ihm geholfen. Jedoch wusste er bereits, dass die Ordensgeistlichen damit nicht einverstanden sein würden. Und nach vielen Bemühungen konnte er erreichen, dass er mit seinem Laienbrudergewand unter den Patres leben durfte, und wenn sein Leben und seine Standhaftigkeit es erlauben sollten, dann sollte er in dem Orden aufgenommen werden. An einer guten Lebensführung und an fehlte es dem Indio nicht; jedoch nach langen Überlegungen und Diskussionen einigten sich die Ordensgeistlichen darauf, zu simulieren und die Verwirklichung des Versprechens hinaus zu schieben, um nicht anderen [Indios] Tür und Tor zu öffnen, und so kam es, dass er schließlich in seinem Laienbrudergewand starb.«16 16 | »D. Juan, señor principal y natural de un pueblo de la provincia de Michoacán […] vino en él tanta devoción y compunción y tan ferviente espíritu, que muchas veces y con muchas lágrimas hizo voto de vivir en el hábito y vida que el padre S. Francisco instituyó […] dejó el hábito y ropa de señor que traía […] hizo libres muchos esclavos que tenía, y predicóles y enseñóles la ley de Dios, y atrájolos cuanto pudo a la guarda de sus santos mandamientos […] y demandó muchas veces el hábito de la orden de Michoacán. Y como allí no se lo diesen, vínose a México, y en el convento de S. Francisco lo volvió a pedir, y como también allí se lo negasen, fuése con la misma demanda al santo oficio Fr. Juan Zumárraga. El cual viendo su devoción y constante perseverancia cobróle mucha afición, y si pudiera lo consolara. Empero ya sabía que los frailes no habían de venir en ello. Y al cabo de mucha diligencia, lo que pudo alcanzar fué, que con el mismo hábito o trage que traía anduviese entre los frailes, y que si le pareciese tal su vida y perseverancia, entonces le darían el hábito de la probación. La bondad de vida y la perseverancia no falto en el indio; más después de haberlo largo tiempo consultado y remirado, los frailes acordaron de disimular con él el dilatarle el cumplimiento de la promesa, por no abrir la puerta para otros, y así en su hábito de donado acabó la vida.« Mendieta, Gerónimo de, Historia Eclesiástica Indiana, a.a.O., S. 59.

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Die Entfaltung der Stratifikation wurde von der strukturellen Erwartung vorangetrieben, dass kein »Plebejer [Indigener] allein durch moralische Virtuosität, adelig [spanisch] werden [konnte] […]. Auch ein Bauer [Indigener] [sollte] ein Bauer [Indigener] [bleiben], wie tüchtig und reich er sein mag […].«17 In der Interaktion informierte die Anwesenheit der hispanisierten Indigenen ununterbrochen wegen ihres Aussehens über ihre Schichtposition. Die Hispanisierung aktivierte stets die Distinktion »Spanier/Indio« und hob ihre negative Seite hervor: das »Indio-Sein«. Die Prozesse der Hierarchisierung durch Hispanisierung haben zunächst die Distinktion »Spanier/Indio« aktualisiert, anschließend setzten sie eine weitere Spezifikation durch die Distinktion mehr hispanisiert/ weniger hispanisiert ein. Das bedeutet, dass beide Distinktionen sich äquivalent zusammenfügten. Daraus ergab sich eine Überschneidung zwischen der Negativität der Bezeichnung »Indio« und der Vorstellung mangelhafter Hispanisierung, die eine spezifische Dynamik der Hierarchisierung in Hinblick auf den jeweiligen Hispanisierungsgrad in der Unterschicht verursachte. Dabei ging es vor allem um eine Zusammenfügung, deren informative Effektivität durch die Semantik der negativen Anthropologie zur Darstellung der Indigenen unterstützt wurde. Diese Transformationen waren, wie wir gezeigt haben, keine Selbstverständlichkeit. Dies gilt ebenfalls für die semantischen Korrelate, die die Unterschicht entfaltet hat, um ihre operative Schließung zu vollziehen. Die Bezeichnung »Indio« war vor der Ankunft der Spanier unter den Indigenen nicht-existent und ihre Bedeutung als Ausdruck der Semantik negativer Anthropologie zur Darstellung der Indigenen war ihnen ebenfalls unbekannt. Sie wurde, wie wir erklären werden, durch Kommunikationsoperationen aufgebaut.

II. D ie semantische F orm »I ndio «: S elbstbeschreibung und F remdbeschreibung in der I ndigenen U nterschicht Das Kolonialisierungsprogramm der Spanier war eine radikale Irritation für die Indigene Gesellschaft Mexikos. Dieses Programm veranlasste den Zerfall der Indigenen Weltanschauung und verursachte den Verlust der 17 | Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 689.

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Position, die die Indigenen sich selbst in ihrer Universumsvorstellung verliehen hatten. Daher waren sie gezwungen, sich in dieser neuen sozialen Ordnung zu verorten. Das Streben danach begann mit der Entfaltung einer geeigneten Semantik, die ihnen erlauben sollte, ihre Selbstbeschreibung zu vollziehen. Die Indigenen aus dem Hochtal Zentralmexikos, deren Sprache Nahuatl war, fanden zum Beispiel hierfür eine semantische Lösung. Sie lautete nican tlaca (»hier Leute«)18 und wurde eingesetzt, um die Indigenen von den Europäern und Afrikanern zu differenzieren. Durch ihre homogenisierende Logik erübrigten sich zugleich örtliche Unterscheidungen wie Mexika, Tlatelolca oder Tlaxkalteka. Eine weitere semantische Lösung der gleichen Indigenen war die Anwendung des prähispanischen Konzeptes Macehualtin (die »normalen Leute des Volkes«19), jener Bezeichnung, deren Bedeutung sich bereits in einem Transformationsprozess befand. Denn als vorhispanische Semantik konnte sie nicht ihre ursprüngliche Bedeutung zur Einordnung des neuen Sinnerlebens behalten. Diesen Transformationsprozess kann man feststellen, wenn man die unpräzise Bedeutung betrachtet, die die Bezeichnung bereits in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts angenommen hatte: Sie wurde in der Regel in Pluralform verwendet und bezeichnete abwechselnd unterschiedliche Organisationsformen Indigener Kollektivität.20

18 | »The most general category to be found is nican tlaca ›here people‹, which indicated generally the local, native inhabitants of central Mexico and specifically those inhabitants in distinction to the Spaniards. The ›here‹ may have extended to all indigenous Western Hemisphere peoples of whom the Nahuas are aware, such as the Maya of the south or less sedentary peoples of the north […].« Lockhart, James, We people here, a.a.O., S. 13. 19 | Für ausführlichere Informationen über diese Bezeichnung siehe das vierte Kapitel dieser Untersuchung. 20 | »On occasion the term seems to designate a group distinct from nobles or war leaders, […] ›common people‹. Much of the time, however, it seems to denote the entire local population as body […].« Ebd., S. 23. Lockhart weist auf die unterschiedlichen Bedeutungen dieser Bezeichnung in seiner englischen Übersetzung des zwölften Buches von Sahagún »Historia General de la Nueva España« und eines Briefs des Cabildos von Huejotzingo hin.

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Diese semantischen Lösungen sind stets in Texten aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert zu finden, die in Nahuatl verfasst wurden. In diesen Texten taucht die negative spanische Bezeichnung »Indio« nicht auf. Sie ist nur in deren spanischen Übersetzungen zu lesen.21 Dies implizierte jedoch nicht, dass die Indigenen nicht bereits mit ihrer zugeschriebenen Negativität vertraut waren. Denn dafür sorgten, wie wir gezeigt haben, sowohl die Semantik zur Einführung der christlichen Doktrin als auch die Inquisition mit ausreichenden Irritationen. Die Bezeichnung »Indio« nahm jedoch im Laufe der Zeit eine zentrale Rolle in der operativen Logik der Unterschicht an, und dies nicht nur wegen der zunehmenden Bedeutung der spanischen Sprache als ein Segment der Selektionspräferenzen, die die Hispanisierung bevorzugte, sondern auch, weil nur durch eine gemeinsame Sprache die Wahrscheinlichkeit der strukturellen Kopplungen zwischen Unterschicht und Oberschicht zu erhöhen war: »Central Mexico, having been in the sixteenth century the arena of two almost separate societies, was evolving in the late colonial period toward a situation in which each local territorial subdivision of society consisted of an upper Spanish segment and a lower Indian segment. Consequent everything Spanish, language and all the rest, was acquiring a prestige which was not merely hypothetical or applied to distant spheres, but which was felt tangibly on the local scene. Whereas Indian towns, valuing their autonomy greatly, may once have found it advantageous to conduct their business in a medium Spaniards could not comprehend, now they faced the increasing necessity of having their affairs reviewed by Spanish speakers, with consequent utility of keeping records in Spanish in the first place, not to speak of the increase urging on the part of the Spaniards that they do so.« 22

Da nican tlaca und Macehualtin und jede andere denkbare spanische Bezeichnung für die Indigenen mit der Bezeichnung »Indio« zusammenfielen, haben die Indigenen keine andere Alternative gehabt, als sie zu übernehmen, wenn sie Spanisch geschrieben oder gesprochen haben. Eine schnelle Übernahme der Bezeichnung »Indio« fand in Indigenen Gesell21 | »Spanish documents, and even Spanish translations of Nahua documents, make repeated use of the term Indian (indio), but rarely do we find it in Nahuatl documents, not even in the very ones whose translations use the word.« Lockhart, James, The Nahuas after the Conquest, a.a.O., S. 8. 22 | Lockhart, James, Nahuas and Spaniards, a.a.O., S. 110.

Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht

schaften statt, die Spanisch und nicht ihre Sprache für das Verfassen von Texten bevorzugt haben. Peru stellt hierfür ein geeignetes Beispiel dar, um dies zu illustrieren.23 In einem Brief aus dem Jahre 1547, den ein peruanischer Indigener verfasst hat, ist die Bezeichnung »Indio« mehrmals zu lesen. Gonzalo Pizarro (Bruder von Francisco Pizarro, dem Eroberer Perus) hatte einem Häuptling Namens Don Martín den Auftrag erteilt, seine Feinde an der Küste auszuspähen. Hierzu antwortete Don Martín: »I am very careful to maintain Indians [›Indios‹ in der originalen spanischen Version Anm. E.A.G.] on the road to know who comes or goes, and I will continue to do so always, even if I go up the valley as I intend to do, to be more sure.« 24

Die Indigene Unterschicht adoptierte den Gebrauch der semantischen Form »Indio«. Jedoch setzte sie sie wegen ihrer konstituierenden Negativität nicht als Selbstbeschreibung ein, sondern stets als Fremdbeschreibung. Denn sie wurde im Kontext der Hispanisierung als in hohem Maße diskreditierend empfunden. Aus diesem Grund nahm die Selbstbeschreibung der Indigenen die Form des ewigen Versuches, »spanisch zu werden«, an, die, wie wir gezeigt haben, durch die Distinktion mehr hispanisiert/weniger hispanisiert gesteuert wurde. Das bedeutet, dass die Indigenen ihren Platz in der neuen sozialen Ordnung erst durch die Ablehnung ihrer Kultur und ihrer phylogenetischen Eigenschaften gefunden haben. Dabei waren sie stets auf eine Fremdbeschreibung angewiesen, die relational ihre Position in der Unterschicht definierte und eine negative soziale Identität zu lokalisieren hatte. Eine solche beschädigte Identität wollen wir, mit Goffman,25 Stigma nennen: Stigma »Indio«. Wir gehen davon aus, dass die Lokalisierung dieses Stigmas zur Asymmetrisierung 23 | »In Peru, since Quechua was rarely written down, the nobles tended to do their writing in Spanish«. »Einführung zum Brief 27: Indian high society«, in: James Lockhart/Enrique Otte (Übers. und Hg.), Letters and People of the Spanish Indies, a.a.O., S. 160. 24 | »Brief 26: The hispanized Indian«. Ebd., S. 159. Das spanische Original ist zu finden in: Pérez de Tudela, Juan, Documentos relativos a don Pedro de Gasca, Real Academia de la Historia, Archivo Documental Español, Bd. 21, Madrid 1964, S. 154-155. 25 | Siehe für ausführlichere Informationen über das Konzept der »beschädigten Identität«: Goffman, Ervin, Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter

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der Selbstachtung und der Rücksichtnahme in Interaktionssituationen zwischen Indigenen beitrug.

III. D as »S tigma -I ndio « und seine V isibilität Das »Stigma-Indio« ist relational durch eine asymmetrische Auslegung der Distinktion Selbstbeschreibung/Fremdbeschreibung entstanden und basierte auf der Vorstellung der Hispanisierungszunahme als erwünschte Normalität. Die Indigene haben aus der Hispanisierungsvoraussetzung die Informationen abgelesen, um ihre eigene Position in der Unterschicht zu erkennen. Und da jeder Indigene Beobachter von Interaktion zu Interaktion mit anderen Indigenen zu tun hatte, war er jedes Mal gezwungen, eine Fremdbeschreibung durchzuführen, um seine soziale Position durch die Aktualisierung der Distinktion mehr hispanisiert/wenig hispanisiert zu überprüfen. Somit fixierten die Indigenen ihre Selbstbeschreibung durch den Umweg der Fremdbeschreibung stets vorübergehend. Aus diesem Prozess ist eine Selbstregulierung in der Unterschicht entstanden, die eine hierarchische Kontrolle hervorgebracht hat. Die Indigenen bauten, wie gesagt, ihre Selbstbeschreibung relational durch Fremdbeschreibung auf. Dies galt ebenfalls für ihre höchste Hierarchie. Denn die Vorstellung spanischer Oberschicht konnte jeder Zeit als Vergleichsmaßstab aktualisiert werden, um die mangelhafte Hispanisierung der Indigenen Elite in den Vordergrund zu rücken. Das Streben nach Hispanisierung sollte eine ganz normale Erwartbarkeit für die Totalität der Unterschicht werden, die die Möglichkeit der Selbstbeschreibung der Indigenen als »Indio« invisibilisierte und ihre Anwendung nur als negative Fremdbeschreibung verursachte. Das daraus resultierende Stigma etablierte eine stabile Symbolik, die die Sinnselektionen zur Definition der Unterschichtshierarchie und ihrer Inklusionen (bzw. Exklusionen) gesteuert hat. Die Indigenen, die weniger hispanisiert waren, mussten weniger Selbstachtung und mehr Rücksichtnahme gegenüber den Indigenen haben, die mehr hispanisiert waren, und umgekehrt. Dieser Sachverhalt generierte Interaktionen, in denen die Indigenen stets damit beschäftigt waren, durch Prätention und Simulation einen höIdentität, hg. von Hans Blumenberg, Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Jacob Taubes, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1967.

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heren Hispanisierungsgrad aufzuweisen. Sie versuchten stets, ihre »bessere Hispanisierung« zu belegen, um »mehr Möglichkeiten des Handelns [zu] haben und in ihren Intentionen auf weniger Widerstand [zu] stoßen«,26 also um ihre Wahrscheinlichkeiten zu erhöhen, eine höhere hierarchische Position zu erreichen, und von den damit einhergehenden Privilegien zu profitieren. Dadurch gerieten die Indigenen unter den Zwang zu versuchen, die Negativität abzubauen, die ihnen von Situation zu Situation hypothetisch zugeschrieben werden konnte. Dabei ging es ihnen darum, sich von der Misere des Diskreditierten (»Indio«) durch den Abbau ihrer eigenen diskreditierbaren Eigenschaften fernzuhalten, um dann die Diskreditierbarkeit der Diskreditierten zu signalisieren.27 Hinzu kam, dass sie sich die mühevollen Anstrengungen der Hispanisierungsprätention nicht anmerken lassen sollten. Dies »weil die Anstrengung missfalle und zu falschen Erwartungen führe«.28 Die Indigenen mussten so tun, als ob sie nicht stets damit beschäftigt waren, ihre zugeschriebene Negativität durch ihre Handlung zu invisibilisieren. Als Indigener kein »Indio« sein zu wollen, erforderte für sie eine sehr hohe Leistung. Mit dem Ziel, geeignete Prätentionen und Simulationen zu generieren, mussten die Indigenen Techniken der Informationskontrolle entwickeln. Durch sie war ihre Selbstbeschreibung als »Indio« zu blockieren und die Sinnselektionen zu stabilisieren, um das Stigma zu lokalisieren. Um die Anwendung einer solchen Technik zu illustrieren, wollen wir hier ein Beispiel nennen, bei dem die semantische Form »Indio« eingesetzt wurde: 1547 antwortet der peruanische Häuptling Don Martín in einem Brief an den Spanier Gonzalo Pizarro, der ihm zuvor den Befehl gegeben hatte, seine Feinde auszuspähen, dass er selbst diesen Auftrag nicht durchführen konnte, weil er davon ausging, mit seinem Haarschnitt zu spanisch auszusehen, um als unauffälliger »Indio« wahrgenommen zu werden. Aus diesem Grund entschied er sich, einen für ihn wie ein »Indio« aussehenden Indigenen seiner Encomienda mit dieser Aufgabe zu beauftragen: 26 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 89. 27 | Ausführliche Informationen über die Distinktion Diskreditierten/Diskreditierbare sind zu finden: in Goffman, Ervin, Stigma, a.a.O., S. 12 28 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 105.

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»The moment I saw your lordship’s letter I would have fulfilled what your lordship commanded me therein and considered it a very great favor to be able to serve your lordship in something, since my desire is none other. But because I have my hair cut, by which I would be very easily recognized, I decided not to do it myself, but immediately sent a yanacona of mine who speaks very good Spanish, with the other two Indians from this valley, to Trujillo, to find out what your lordship ordered me to.« 29

Durch den Einsatz dieser Techniken konnten die Indigenen die Visibilität des »Stigmas-Indio« verwalten und somit die Entfaltung ihrer Selbst- und Fremdbeschreibungen steuern. In diesem Kontext waren die kommunikativen Folgen dieser Techniken von zentraler Bedeutung für die Entfaltung der operativen Logik der Unterschicht, denn in ihr wurde »Erscheinung, nicht Leistung in den Vordergrund gerückt«.30 Diese Techniken erbrachten eine hohe Leistung, die zugleich eine operative Grenze nicht überschreiten konnten: Sie konnten die phylogenetischen Eigenschaften der Indigenen nicht ändern, um sie als Spanier erscheinen zu lassen. Das »Stigma-Indio« ist als ein Mechanismus zu definieren, der die Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation in der Unterschicht unterstützt hat, und zugleich Asymmetrien vorangetrieben hat, die die Hierarchisierung der Unterschicht ermöglicht haben. Durch ähnliche Produkte gelang es der Unterschicht ebenfalls auf die Informationen über die überlegene hierarchische Rolle der Oberschicht zu reagieren und gleichzeitig eine operative Grenze zu markieren, die ihre endemische Exklusion aus der spanischen Oberschicht bestätigte. Das »Stigma-Indio« ist als ein Beispiel der selbstreferentiellen Reaktionen der Unterschicht zu begreifen, die ihre operative Schließung und Grenzmarkierung gegenüber der Oberschicht ermöglicht haben. Dabei ging es um kommunikative Anschlüsse, die die Unterschicht als ihre Eigenproduktion rekursiv erkennen konnte, um ihre Kommunikationen fortzusetzen und um ihr eigenes Gedächtnis zu entfalten.31 Wir gehen 29 | Lockhart, James/Enrique Otte (Übers. und Hg.), Letters and People of the Spanish Indies, a.a.O., S. 158. 30 | Luhmann, Niklas, »Interaktion in Oberschichten. Zur Transformation ihrer Semantik im 17. und 18. Jahrhundert«, a.a.O., S. 93. 31 | Die Funktion des Gedächtnisses definiert Niklas Luhmann wie folgt: »Von Gedächtnis soll hier nicht im Sinne einer möglichen Rückkehr in die Vergangen-

Die operative Klausur der Indigenen Unterschicht

davon aus, dass es der Indigenen Unterschicht durch die Entstehung dieser Eigenproduktionen gelang, die Wahrscheinlichkeit ihrer Konfiguration als Teilsystem einer stratifizierten sozialen Ordnung (autopoietische Schließung) zu erhöhen.32

IV. S elbstreferenz und oper ative K l ausur der I ndigenen U nterschicht Die Distinktion mehr hispanisiert/weniger hispanisiert stellte die operative Einheit der Hispanisierung dar. Eine Einheit, die auf einem religiösen Dogma basierte, dessen Perfektionsvorstellung33 die asymmetrische Struktur der Stratifikation garantierte: »Die traditionelle Teleologie hatte sich parallelschalten lassen zu einer hierarchisierten Kosmologie und

heit, aber auch nicht im Sinne eines Speichers von Daten oder Informationen die Rede sein, auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann. Vielmehr geht es um eine stets, aber immer nur gegenwärtig benutzte Funktion, die alle anlaufenden Operationen testet im Hinblick auf Konsistenz mit dem, was das System als Realität konstruiert. In unserem Themenbereich handelt es sich bei diesen Operationen um Kommunikationen; also nicht um neurobiologische Veränderungen von Gehirnzuständen und auch nicht um das, was ein einzelnes Bewußtsein sich bewußt macht. Die Funktion des Gedächtnisses besteht deshalb darin, die Grenze möglicher Konsistenzprüfungen zu gewährleisten und zugleich Informationsverarbeitungskapazitäten wieder frei zu machen, um das System für neue Irritationen zu öffnen. Die Hauptfunktion des Gedächtnisses liegt also im Vergessen, im Verhindern der Selbstblockierung des Systems durch ein Gerinnen der Resultate früherer Beobachtungen.« Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O., S. 578-579. 32 | Unterschiedliche Erklärungen über das Konzept der autopoitischen Schließung sind zu finden in: Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, a.a.O. 33 | Luhmann geht davon aus, dass die Vorstellung der Perfektibilität erst im XVIII. Jahrhundert die der Perfektion substituiert hat. Für ihn bedeutet Perfektibilität die »Unmöglichkeit der Perfektion«. Luhmann, Niklas, »Selbstreferenz und Teleologie in gesellschafts-theoretischer Perspektive«, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 2: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, 1. Taschenbuch-Auflage, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993, (S. 9-44) S. 21.

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einem stratifizierten Gesellschaftsauf bau.«34 Die Hispanisierung invisibilisierte ihre Unerreichbarkeit für die Indigenen durch die Vorstellung ihrer Notwendigkeit und signalisierte ihnen zugleich, das unvermeidbare Ziel zu erreichen. Dadurch generierte sie einen kommunikativen Kreis, der nur durch das Erreichen ihrer eigenen Perfektionsvorstellung unterbrochen werden konnte und der weitere Selektionsalternativen untersagte. Das bedeutet, dass die Hispanisierung durch ihre Wissens- und Wollensverbote keine Vorstellung von Latenz zuließ.35 Hinzu kam, dass jede mögliche negative Selektion die Bestätigung ihrer Notwendigkeit implizierte: In der Unterschicht war die negative Seite der Distinktion »Spanier/Indio«, »Indio«, keine Selektionsalternative und falls sie ausgewählt werden sollte, dann war ihre Aufgabe, die nötigen Mechanismen einzusetzen, um die Zwecksetzung von Sinnselektionen nach ihren operativen Voraussetzungen zu korrigieren. Diese Kommunikationen erforderten Selektionen von Anschlussoperationen, die den Übergang zu anderen Kommunikationen ermöglichten, deren Anschlussfähigkeit auf ihren kommunikativen Ausgangspunkt und auf ihre operative Logik verwiesen. Sie fanden also selbstreferentiell statt. Das bedeutet, dass ein Indigener das »Stigma-Indio« nur erkennen konnte, weil er durch den Einsatz der Hispanisierung den negativen semantischen Inhalt des Stigmas feststellen konnte. Ein Wissen, das er anwenden musste, um zu signalisieren, dass er selbst kein »Indio« war.36 Diese Selbstreferenz definierte die Schemen zur Festlegung der Gleichheit oder Ungleichheit unter den Indigenen und trug dazu bei, die operative Finalität der Semantik und der Gesellschaftsstrukturen der Unterschicht zu bestimmen. Hispanisierung und das »Stigma-Indio« waren stratifikationskonforme Konstrukte, deren Ursprung nur durch Unterschichtoperationen ermöglicht wurde und deren Operationen nur in der Unterschicht anschlussfähig waren. Durch beide markierte die Unterschicht auf der einen Seite ihre Grenze gegenüber der Oberschicht und ermöglichte auf der anderen Seite die Zulassung von Irritationen aus der spanischen Oberschicht. Letz34 | Ebd., S. 17. 35 | Siehe über das Konzept von Latenz, wie wir es hier anwenden: ebd., S. 39. 36 | »Basale Selbstreferenz liegt immer dann vor, wenn Operationen nur durch Bezug auf andere Operationen desselben Systems zu gewinnen sind.« Ebd., S. 33-34.

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teres war von zentraler Relevanz für das Stratifikationvorkommen, denn die »reine Selbstreferenz kennt […] aus sich heraus keine Zeitgrenze, also auch keine Finalität. Sie hat in sich selbst keinen Grund aufzuhören. Sie temporalisiert sich erst auf Grund der Notwendigkeit eines Umweltkontaktes.«37 Durch solche Prozesse hat die Indigene Unterschicht auf die operativen Erwartungen der Stratifikation durch ihre eigene Operationskapazität reagiert. Das »Stigma-Indio« war ihr operatives Produkt und als solches bestätigte es die Notwendigkeit der Hispanisierung als Vorstellung teleologischer Perfektion. Aus ihm sollte, wie gesagt, eine operative Selbstverständlichkeit der Unterschicht werden, die die Indigene Unterschicht unterstützte, um ihre operative Klausur zu vollziehen.

37 | Ebd. S. 32-33.

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Absicht unserer Untersuchung war es, auf der einen Seite die universellen Ansprüche der Systemtheorie Niklas Luhmanns durch die Betrachtung eines Forschungsthemas zu überprüfen, das nicht im Kontext des Übergangs europäischer Gesellschaft zur Moderne zu verorten ist, wie es in der Regel in Luhmanns Schriften der Fall ist. Und auf der anderen Seite die Diskussion über die Entstehung Indigener Exklusion in Mexiko durch eine bis jetzt noch nicht durchgeführte systemtheoretische Analyse zu bereichern. Wir gingen davon aus, dass diese Aufgabe durch die Erforschung von Gesellschaftsstrukturen und Semantik auszuführen ist. Dabei rechneten wir mit einem soziologischen Erkenntnisgewinn, denn wir wussten, was die Distinktionen dieser Theorie leisten. Unsere Fragestellung, Untersuchungsthesen und Methode ermöglichten uns, unsere Forschung zu beginnen. Jedoch waren wir im Laufe der Entstehung dieser Arbeit gezwungen, unterschiedliche systemtheoretische Begriffe mit weniger oder mehr Erfolg auszuprobieren, bis wir eine systematische Begrifflichkeit zur Verfügung hatten, die uns erlaubt hat, plausible Untersuchungsergebnisse zu erzielen. Eine zusätzliche Schwierigkeit der ersten Phase unserer Arbeit bestand darin, sich mit einer sehr großen Anzahl historischer Quellen auseinandersetzen zu müssen, die eine fast fünfhundertjährige Geschichte aufweisen. Hierfür sind uns unsere Selektionen nicht schwer gefallen, denn sie wurden durch unsere systemtheoretische Methode koordiniert. Der vorliegende Text ist das Resultat dieses Experiments. Das zentrale Thema unserer Arbeit ist die Entstehung des »StigmasIndio« als Exklusionsformel in Mexiko. Zur Durchführung einer systemtheoretischen Erklärung dieses Phänomens mussten wir uns mit Kontinuitäten, Brüchen und Differenzen des Sinns beschäftigen. Dies haben wir in fünf Kapitel getan. Die Fragen, an denen wir uns bei unseren Refle-

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xionen orientiert haben, lauteten: Wie ändern sich Strukturen und Semantik von zeitlich fern liegenden Gesellschaften? Und wie entsteht soziale Exklusion durch Trivialereignisse, wenn man die Variable der intelligenten Planung und der Naturgesetze außer Acht lässt?1 Diese Abhandlung basiert sowohl auf den systemtheoretischen Konzepten von Information, Mitteilung und Verstehen als auch auf den Systemdefinitionen Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Hinzu kommt, dass wir mit der historischen Chronologie der damaligen Ereignisse gearbeitet haben, um Sinntransformationen kontingenter Kommunikationsoperationen und ihre Paradoxe zu erforschen. Aus diesem Grund haben wir unsere Arbeit thematisch mit der Betrachtung der Bedingungen des Verstehens von Informationen bei den Indigenen und bei den Spaniern begonnen. Dabei haben wir ihre jeweilige Kapazität zur Verarbeitung doppelter Kontingenz in ihren Interaktionssituationen hervorgehoben. Denn ihre ersten Begegnungen konnten nur in der Interaktion erfolgen, und wie wir gezeigt haben, lassen sich in der Interaktion keine Handlungen ohne definierte Fremd- und Selbstbeschreibungen koordinieren. Die Indigenen mussten durch Sinnselektionen die Göttlichkeit der vermeintlichen Götter überprüfen, und die Spanier hatten dadurch ebenfalls die Unterwürfigkeit ihrer Untergebenen zu bestätigen. Aus diesen Erwartungen entstanden, je nach Enttäuschung oder Bestätigung solcher Erwartungen, asymmetrische Kommunikationen zwischen Mitgliedern beider Gesellschaften, die weitere Handlungen gesteuert haben, deren kommunikative Anschlüsse wiederum rekursiv erfolgten. Diese Asymmetrien und ihre Transformationen (Symmetrisierung und Reasymmetrisierung) haben wir mittels eines Modells von Interaktionsprozessen untersucht. In ihm haben wir durch Informationen aus Augenzeugenberichten gezeigt, wie Indigene und spanische Strukturen und Semantik durch überraschende Kommunikationen unterschiedlich irritiert wurden und wie jede Gesellschaft durch Wissensakkumulation ebenfalls anders vorübergehende Lösungen für vorübergehende Probleme mit mehr oder weniger Erfolg generiert und eingesetzt hat. Der Sieg der Spanier über die Indigenen erforderte für die Sieger die Notwendigkeit die Unternehmung zu starten, eine nach ihrer Vorstellung organisierte, stratifizierte soziale Ordnung in Mexiko einzuführen. Das 1 | Siehe die ursprüngliche Formulierung dieser Fragen in: Luhmann, Niklas, »Sinn, Selbstreferenz und soziokulturelle Evolution«, a.a.O., S. 10.

Konklusion

implizierte für die Indigene Gesellschaft die Notwendigkeit, mit einer sozialen Welt vertraut zu werden, die für sie fremd war. Aus diesem Sachverhalt hat sich die Transformation einer Vielzahl von Gesellschaftsstrukturen und Semantiken ergeben. Mit der Absicht, die Vorgänge semantischer Transformation zu erklären, haben wir Evangelisierungsdokumente und Inquisitionsakten erforscht und gezeigt, wie sie zum Auf bau einer Semantik negativer Anthropologie zur Darstellung der Indigenen beigetragen haben. Danach haben wir die Entfaltung von Strukturen fokussiert, die eine hierarchische Arbeitsteilung und die Homogenisierung der Indigenen Unterschicht verursachten, deren operative Folgen die Bildung von Rangdifferenzierung durch die Absonderung von Gleichen für relativ unwahrscheinliche Kommunikation und systemische Ungleichheit ermöglichten. Dabei haben wir die theoretische Voraussetzung unterstrichen, dass strukturelle und semantische Transformationen simultan stattfinden, ohne dass zwischen ihnen weder eine notwendige kausale noch eine unverzichtbare hierarchische operative Relationalität besteht.2 Anhand der Betrachtung der Folgen dieser Semantik und Strukturen haben wir die Prozesse der Entstehung einer Indigenen Unterschicht erforscht und festgestellt, dass sie durch die Selbstreferenz ihrer Sinnoperationen (z.B. Notwendigkeit der Hispanisierung) die Steigerung der Fortsetzungswahrscheinlichkeit ihrer eigenen Operationen in einem Kontext hoher Sinnirritationen selbst ermöglicht hat. Die Indigene Unterschicht hat Sinnformen produziert (z.B. das »Stigma-Indio«), die ihre Sinnselektionen orientiert haben und die wir als ihre spezifischen gesellschaftsstrukturellen und semantischen Reaktionen verstehen. Dabei haben wir betont, dass sie weder als das Produkt intelligenter Planung noch als das Resultat eines zufälligen Ereignisses zu definieren sind, sondern vielmehr als eine normalisierte Unwahrscheinlichkeit begriffen werden

2 | Luhmann definiert diese Simultanität wie folgt: »Es geht um das Verhältnis zweier Evolutionen [Gesellschaftsstruktur und Semantik], die beide sich der Möglichkeit der Sinn Evolution verdanken, die beide, aber in je unterschiedlicher Weise, auf eine Differenzierung von Variation, Selektion und Restabilisierung angewiesen sind, und die beide historisch simultan aufeinander einwirken, also nicht als Verhältnis von vorher/nachher, Ursache/Wirkung, Grund/Folge, höhere/ niedrigere Ebene begriffen werden können.« Ebd., S. 56.

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können, deren Entstehung erst durch kontingente Kommunikationsoperationen ermöglicht wurde.3 Wir gehen davon aus, dass es der Indigenen Unterschicht erst durch die Generierung von Eigenprodukten wie der Hispanisierung und dem »Stigma-Indio« gelang, ihre Auffassung des geschlossenen Zusammenhangs ihrer durch Sinn konstituierten Realität herzustellen. Durch sie konnte sie die Sinnselektionen durchführen, die ihr dann erlaubt haben, ihre Prozesse der Inklusion und der Exklusion eigenständig zu steuern. Diese operative Unabhängigkeit ermöglichte ihr, Distanz gegenüber den vielfältigen Irritationen aus der spanischen Oberschicht (ihrer sozialen Umwelt) zu gewinnen, um sie mittels ihrer eigenen Strukturen zu verarbeiten, ohne dabei ihre Kopplung zu ihr zu gefährden. Das heißt, dass die Indigene Unterschicht durch diese operative Eigenlogik die Geschwindigkeit und die Formen ihrer Evolution (Fortsetzung ihrer Mutationen) selbst beeinflusst und gesteuert hat. Dadurch entwickelte sie ihre eigene Direktionalitätsvorstellung, die ihr ihre selbstreferentielle Geschlossenheit als Teilsystem verliehen hat. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts von der operativen Schließung der Indigenen Unterschicht gesprochen werden kann. Betrachtet man diesen Transformationsprozess auf diese Weise, dann kann man behaupten, dass die Unterschicht selbst einen zentralen Beitrag zum Auf bau der Stratifikation geleistet hat. Die Indigenen haben die operative Logik der Stratifikation übernommen, um Sinnselektionen zu generieren, die die Produktion und Reproduktion sozialer Exklusion in der Unterschicht zu koordinieren hatten. Dadurch entfaltete die Indigene Unterschicht die notwendigen Mechanismen, um ihre systeminterne Hierarchie aufzubauen: Mittels der gegenseitigen Feststellung des jeweiligen Hispanisierungsgrads in der Form von Fremdbeschreibungen haben die Indigenen versucht, sich von der Misere ihrer ursprünglichen Conditio zu befreien, um einen besseren hierarchischen Platz in der Unterschicht zu erreichen. Dabei haben sie aber ausgeblendet, dass dies ihre endemische Ausschließung aus der Oberschicht garantierte. Denn keinem Indigenen konnte unter noch so günstigen Umständen eine totale Hispanisierung gelingen; das angestrebte Ziel war unmöglich zu er3 | Ausführliche Informationen über die Voraussetzungen sozialer Evolution sind zu finden: ebd.; Luhmann, Niklas, Die Gesellschaft der Gesellschaft, a.a.O. Siehe insb. Kapitel 3: »Evolution«.

Konklusion

reichen. Wenn man die Komplexität dieses Zusammenhangs erkannt hat, dann kann man verstehen, warum die Entstehung der Stratifikation nicht als einseitiger Prozess definiert werden kann: Ihr Auf bau läuft nicht nur von oben nach unten (Oberschicht-Unterschicht) ab, sondern ebenfalls von unten nach oben (Unterschicht-Oberschicht). Der Erkenntnisgewinn dieser Arbeit basiert auf unserer systemtheoretischen Theorieauswahl. Wir haben die Distinktion System/Umwelt in den Vordergrund gestellt und sie auf der Ebene der operativen Relationalität zwischen Indigener Unterschicht und spanischer Oberschicht platziert. Dadurch haben wir belegt, dass die Indigene Unterschicht durch ihre operative Selbstreferenz zur Konstruktion der Stratifikation kontribuiert hat. Denn ohne ihre Grenzmarkierung und operative Geschlossenheit wäre die Entfaltung der Stratifikation nicht möglich gewesen. Dieses Ergebnis soll auf keinen Fall die Vorstellung hervorrufen, dass wir die Geschichte des Kolonialismus zum Nachteil der Indigenen uminterpretieren möchten. Unsere Absicht ist selbstverständlich nicht, Spanien als Kolonialmacht von seiner historischen Verantwortung freizusprechen. Wir beabsichtigen vielmehr zu zeigen, dass die Fremdbeschreibung der Indigenen als edle, passive Wilde4 keine analytischen Anhaltspunkte bietet, um plausible Erklärungen über die Entstehung einer stratifizierten sozialen Ordnung zu formulieren. Die Indigene Gesellschaft hat nach den operativen Möglichkeiten ihrer Strukturen und Semantik auf die kommunikative Handlung der Spanier reagiert, um Lösungen für die daraus entstehenden Probleme zu generieren. Deswegen kann man behaupten, dass die Transformation der Strukturen und der Semantik, die die Konstruktion einer Indigenen Unterschicht ermöglicht haben, nur als eine operative Angelegenheit der Indigenen verstanden werden kann. Die Resultate unserer Untersuchungen bestätigen die systemtheoretische Annahme, die besagt, dass soziale Evolution auf folgendem Paradox basiert: Evolution sei eine Transformation, die Kontinuität garantiert.5 4 | Siehe hierzu: Montaigne, Michel de, »Des Cannibales«, in: Essais, Livre 1, Imprimerie Nationale, 1998; Fink-Eitel, Hinrich, Die Philosophie und die Wilden, a.a.O. 5 | Siehe Luhmann, Niklas, »Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition«, a.a.O., S. 46. Hier ist zu erwähnen, dass unterschiedliche philologische Studien eine ähnliche selbstreferentielle analytische Annahme verwenden, um z.B.

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Das bedeutet selbstverständlich nicht, wie wir in fünf Kapiteln gezeigt haben, dass die Indigene Gesellschaft von den Irritationen der Spanier unberührt und passiv geblieben ist. Es bedeutet vielmehr, dass sie durch ihre spezifische operative Logik die gesellschaftsstrukturellen und semantischen Neuigkeiten (Modifizierungen) generiert hat, um ihre operative Fortsetzung in einer sozialen Umgebung zu sichern, die unerwartete Irritationen hervorgebracht hat. Wir haben erwähnt, dass diese Abhandlung ein Experiment ist. Es wäre richtig zu behaupten, dass sie in der Reihe der Untersuchungen Luhmanns zur Transformation von Gesellschaftsstruktur und Semantik zu verorten ist. Jedoch verkörpert zum Beispiel unser Modell der Interaktionsprozesse eine kreative Anwendung der Möglichkeiten, die die Systemtheorie bietet, um sich mit der Untersuchung sozialer Phänomene zu befassen, die bislang noch nicht ausprobiert wurde. Wir denken ebenfalls, dass unsere Analyse das Werkzeug bietet, um systemtheoretische Untersuchungen über den Ursprung und die Folgen des Kolonialismus durchzuführen oder um die allgemeinen Entstehungsprozesse sozialer Exklusion zu erforschen, oder um die Prozesse der Emergenz von Gesellschaftsstrukturen und Semantik zu beleuchten. Wir sind vor allem der Auffassung, dass diese Untersuchung einen alternativen Beitrag im Kontext soziologischer Arbeiten leistet, die sich mit den sozialen Phänomenen der Geschichte Mexikos im XVI. und XVII. Jahrhundert beschäftigen.

die Evolution der Nahuatl-Sprache ab 1519 zu erklären. Siehe hierzu: Lockhart, James, Nahuas and Spaniards, a.a.O.

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Julia Verse Undoing Irishness Antirassistische Perspektiven in der Republik Irland 2012, 412 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1682-8

2012, 400 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2142-6

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3) ANZ2790.p 373051140414