Staatshaftung für Tumultschäden: Historische Entwicklung, Zustand und Reformperspektiven einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden in Deutschland unter vergleichender Berücksichtigung der französischen Rechtslage [1 ed.] 9783428512188, 9783428112180

Kommt es - wie etwa alljährlich anläßlich der »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration« in Berlin - durch das unfriedliche V

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Staatshaftung für Tumultschäden: Historische Entwicklung, Zustand und Reformperspektiven einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden in Deutschland unter vergleichender Berücksichtigung der französischen Rechtslage [1 ed.]
 9783428512188, 9783428112180

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 935

Staatshaftung für Tumultschäden Von

Christiane Kimmel

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIANE K I M M E L

Staatshaftung für Tumultschäden

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 935

Staatshaftung für Tumultschäden Historische Entwicklung, Zustand und Reformperspektiven einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden in Deutschland unter vergleichender Berücksichtigung der französischen Rechtslage

Von Christiane K i m m e l

Duncker & Humblot • Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11218-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im WS 2002/2003 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen worden. Sie befindet sich auf dem Stand von Juni 2002; später erschienene Rechtsprechung und Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Mein Dank gebührt an erster Stelle Herrn Professor Dr. Fritz Ossenbühl. Er hat die Arbeit angeregt, gefördert und betreut und mir während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft bzw. Mitarbeiterin an seinem Institut den notwendigen Freiraum zu ihrer Erstellung eingeräumt. Zu danken habe ich auch Herrn Professor Dr. Schmidt-Preuß für die Erstattung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus gilt mein Dank Herrn Dr. Matthias Cornils für eine kritische Durchsicht der Arbeit sowie den studentischen Hilfskräften am Institut für Staatsrecht, die mir bei der Beschaffung der Literatur wertvolle Hilfe geleistet haben. Besonders bedanken möchte ich mich schließlich bei meinen Eltern und bei meinem Ehemann, Herrn Sandro Amendola, ohne deren Unterstützung die Arbeit nicht in der vorliegenden Form hätte entstehen können. Bonn, im April 2003

Christiane Kimmel

Inhaltsverzeichnis Einführung

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I. Die Entstehung von Tumultschäden II. Die zivilrechtliche Haftung für Tumultschäden 1. Die Problematik 2. Die Haftung der passiven Demonstrationsteilnehmer a) Die Haftung als Mittäter bzw. Gehilfe gemäß § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB b) Die Haftung wegen Mißachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt (Fahrlässigkeitshaftung) gemäß § 823 Abs. 1 BGB c) Die Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB 3. Die Haftung der aktiv an Gewalttaten beteiligten Demonstranten III. Versicherungsleistungen bei Tumultschäden 1. Die Problematik 2. Personenschäden 3. Sachschäden 4. Der Begriff der „inneren Unruhen" in den Ausschlußklauseln der Allgemeinen Versicherungsbedingungen IV. Staatshaftung für Tumultschäden? 1. Legitimation einer Staatshaftung für Tumultschäden a) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als pflichtwidriges Unterlassen des Staates b) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als rechtmäßige Entscheidung zum Schutz anderer Rechtsgüter c) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als Folge der notwendigen Unvollkommenheit staatlichen Schutzes aa) Der Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger als elementare Staatsaufgabe bb) Die spezialgesetzliche Begründung einer finanziellen Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden 2. Gegenstand und Gang der Untersuchung

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1. Kapitel Der Ersatz von Tumultschäden nach den allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten A. Amtshaftung für Tumultschäden I. Die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht durch das Nichtverhindern der Tumultschäden seitens der zuständigen Behörden

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Inhaltsverzeichnis 1. Die Bestimmung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage(n) a) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld der Versammlung aa) Das präventive Verbot der gesamten Versammlung gemäß § 15 Abs. 1 VersG bb) Vorfeldmaßnahmen gegen Einzelpersonen cc) Resümee b) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Verlauf der Versammlung aa) Die Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG bb) Der Ausschluß störender Versammlungsteilnehmer gemäß §§18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG cc) Resümee 2. Die Untätigkeit der Polizei in Gefahrensituationen als Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht a) Der personelle Schutzbereich der Eingriffsermächtigungen b) Die Problematik der Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen aa) Das Opportunitätsprinzip als Grundprinzip des Gefahrenabwehrrechts bb) Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen cc) Die besondere Problematik der Amtspflichtverletzung bei der Betätigung des polizeilichen (Entschließungs-)Ermessens II. Der Kausalitätszusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden . 1. Die doppelte Problematik im Falle einer Amtspflichtverletzung durch ermessensfehlerhaftes Unterlassen 2. Die Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null als Voraussetzung für einen Kausalitätszusammenhang zwischen Ermessensfehler und Schaden a) Die Anerkennung der Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null in der Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte b) Die Voraussetzungen für eine Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null aa) Die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter bb) Die tatsächliche Unmöglichkeit als Grenze der Ermessensschrumpfung cc) Resümee III. Das Erfordernis des Verschuldens

B. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff C. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignendem Eingriff und Aufopferung I. Enteignender Eingriff und Aufopferung durch Unterlassen? 1. Die haftungsrechtliche Relevanz hoheitlichen Unterlassens 2. Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen 3. Die Gestattung von Demonstrationen als Anknüpfungspunkt eines Aufopferungsanspruchs?

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Inhaltsverzeichnis II. Allgemeiner Aufopferungsanspruch und spezielle Tumultschädengesetze D. Zusammenfassung

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2. Kapitel Der Ersatz von Tumultschäden kraft spezialgesetzlicher Anordnung A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung in Deutschland I. Die genossenschaftliche Gesamthaftung als Ursprung der Tumultschädenhaftung . II. Das französische Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (2. Oktober 1795) 1. Der wesentliche Inhalt des Gesetzes 2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung a) Der Gedanke der Prävention b) Der Gedanke der Schadensrepartition c) Die Tumultschädenhaftung der Gemeinden als Haftung wegen eines Versagens der „staatlichen Ordnungsmacht"? III. Die Tumultschädengesetzgebung in Preußen (und anderen deutschen Staaten) nach der Revolution von 1848 1. Der wesentliche Inhalt des preußischen Tumultschädengesetzes vom 11. März 1850 2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung 3. Der Umfang der Haftung nach dem preußischen Tumultschädengesetz 4. Resümee IV. Das Reichstumultschädengesetz vom 12. Mai 1920 1. Inhaltliche Neuerungen gegenüber dem preußischen Tumultschädengesetz . a) Die Ersatzverpflichteten b) Der Entschädigungstatbestand aa) Das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhen bb) Die (weiteren) gesetzlichen Vorkehrungen zur Beschränkung der Ersatzpflicht (1) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf den unmittelbaren Schaden (2) Die Fortkommensklausel des § 2 RTSchG (3) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf 75% des Schadens durch die Verordnung vom 8. Januar 1924 cc) Resümee 2. Die Auswechslung des Rechtsgrundes der Haftungsanordnung a) Der Legitimationsverlust der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Grundlage der Anordnung einer Gemeindehaftung für Tumultschäden .. b) Der Rechtsgrund der Haftungsanordnung nach dem Reichstumultschädengesetz

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Inhaltsverzeichnis aa) Das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung als causa der Haftungszuweisung? 109 bb) Staatshaftung für Tumultschäden als sozial motivierte Entschädigung 110

B. Die Staatshaftung für Tumultschäden nach der geltenden Rechtslage I. Die Fortgeltung des Reichstumultschädengesetzes und des Kriegspersonenschädengesetzes nach 1945 1. Die Fortgeltung in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung (alte Bundesländer) 2. Die Fortgeltung im Beitrittsgebiet (neue Bundesländer) 3. Resümee II. Auslegung und Anwendung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung 1. Die Schwierigkeiten bei der Subsumtion heutiger Erscheinungsformen von Tumulten unter das Tatbestandsmerkmal der „inneren Unruhen" 2. Verfahrensrechtliche Probleme III. Ergebnis

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C. Exkurs: Die Entwicklung des Tumultschädenrechts in Frankreich seit dem Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV I. Das Gesetz vom 5. April 1884 II. Das Gesetz vom 16. April 1914 III. Das Gesetz vom 7. Januar 1983 IV. Das geltende französische und deutsche Tumultschädenrecht im Vergleich

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3. Kapitel Staatshaftung für Tumultschäden de lege ferenda A. Die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung des Tumultschädenrechts I. Die Besonderheiten der Entstehung von Tumultschäden II. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung 1. Die Gewährleistung von Sicherheit als konstituierende Grundaufgabe des (modernen) Staates 2. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten . 3. Die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht durch Gesetzgebung und Verwaltung III. Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tbmultschädenrisikos als Folge der Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht im Falle von Tumultschäden 1. Die Unzulänglichkeit der gesetzlichen Schutzvorkehrungen im Falle von Tumultschäden 2. Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tumultschädenrisikos ... 3. Die Begrenzung der Pflicht zur staatlichen Risikoübernahme auf Tumultschäden 4. Resümee

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Inhaltsverzeichnis B. Die inhaltliche Ausgestaltung einer staatlichen Tumultschädenhaftung durch den Gesetzgeber I. Staatlicher Ausgleich für Tumultschäden als soziale Entschädigung oder als rechtsstaatliche Garantiehaftung? II. Die Ausgestaltung einer reformierten Tumultschädenhaftung des Staates im einzelnen 1. Der haftungsbegründende Tatbestand 2. Die Bestimmung des Ersatzverpflichteten 3. Der Umfang des Ersatzanspruchs a) Die Bemessung der staatlichen Einstandspflicht am Umfang des entstandenen Schadens b) Der Einfluß von Leistungen Dritter an den Geschädigten auf den Umfang seines Ersatzanspruchs gegen den Staat c) Der Einfluß des Mitverschuldens des Geschädigten auf den Umfang des Ersatzanspruchs 4. Die Gesetzgebungskompetenz a) Der Begriff der Staatshaftung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG b) Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Bundeskompetenz 5. Verfahrensrechtliche Regelungen a) Gerichtliche Zuständigkeit b) Behördliches Vorverfahren

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C. Resümee: Entwurf eines Tumultschädengesetzes

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Literaturverzeichnis

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Personen- und Sachregister

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Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen der zitierten französischen Zeitschriften und Entscheidungssammlungen: AJDA Bulletin civil DA Dr. soc. GP J.O. JCP LPA RDP Recueil Lebon Rev. adm. RFDA

Actualité juridique droit administratif Bulletin des arrêts de la Cour de Cassation, Chambres civiles Droit administratif Droit social Gazette du Palais Journal officiel Juris-Classeur Périodique (La Semaine Juridique) Les Petites Affiches Revue du droit public et de la science politique en France et à l'étranger Recueil des arrêts du Conseil d'Etat, des décisions du Tribunal des Conflits et des jugements des Tribunaux administratifs Revue administrative Revue française de droit administratif

Einführung Die Schädigung fremder Rechtsgüter durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit ist keine erst in der Gegenwart auftretende Erscheinung, sondern bereits in den Staaten und Gesellschaften der Antike zu beobachten1. Daß dieses Phänomen jedoch bis heute nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat, bewiesen etwa die Ausschreitungen von Kurden in vielen deutschen Städten nach der Festnahme des PKK-Führers Öcalan im Februar 1999, durch die ein in die Millionen gehender Sachschaden angerichtet wurde 2. Auch die regelmäßig in Krawalle und Straßenschlachten ausartende „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" in Berlin liefert hierfür alljährlich einen neuerlichen Beleg. Daß die Problematik tumultuarischer Auseinandersetzungen zudem nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt ist, zeigten jüngst die von Gewalttaten begleiteten Proteste von Globalisierungsgegnern gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation in Seattle (USA) im Herbst 1999, gegen die Amerika-Konferenz in Québec (Kanada) im Frühjahr 2001 sowie gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua (Italien) im Sommer 2001. Eine Vielzahl weiterer Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik ließe sich anführen, angefangen mit den Studentenunruhen im Jahre 1968 über die Auseinandersetzungen über den Vietnam-Krieg und den NATO-Doppelbeschluß in den 70er Jahren bis hin zu Großdemonstrationen gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, die die 80er Jahre geprägt haben und sich in Form der Proteste gegen die sog. Castor-Transporte bis in die heutige Zeit hinein fortsetzen 3. Infolge gewalttätiger Ausschreitungen durch Teile der versammelten Menschenmenge sind bei all diesen Ereignissen nicht unerhebliche Personen- und Sachschäden entstanden: Verletzte Polizisten und Demonstranten gehören ebenso zu den Folgeerscheinungen der Übergriffe wie eingeschlagene Fensterscheiben, in Brand gesetzte Fahrzeuge und sonstige Zerstörungen und Beschädigungen fremden Eigentums4.

I. Die Entstehung von Tumultschäden Auslöser solcher zu Tumulten ausartenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen können die unterschiedlichsten Ursachen und Beweggründe sein: Neben so1

Vgl. H. Bruch, Die Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 1. Vgl. A. Dimski, VersR 1999, S. 804. 3 Vgl. zum Streit um die Atomkraft die Chronik von Jochen Paulus, Der Kampf geht weiter, DIE ZEIT Nr. 28/2000 vom 6. Juli 2000, S. 74. 4 Vgl. auch die Auflistung typischer Tumultschäden bei A. Dimski, VersR 1999, S. 804 2

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Einführung

zialen, wirtschaftlichen und religiösen spielen insbesondere politische Motive eine Rolle 5 . Darüber hinaus kommt es aber in den letzten Jahren vermehrt auch zu gewalttätigen Ausschreitungen einer größeren Menschenmenge, bei denen das Moment der Meinungsbildung und -kundgäbe im Wege der argumentativen Auseinandersetzung völlig fehlt. Erinnert sei nur an die Massenkrawalle von Fußballfans 6, die durch die bloße Unzufriedenheit mit einem Sportergebnis oder die schlichte Lust am Randalieren motiviert sind7. Auch sie gehören zum Gegenstand dieser Untersuchung, wenngleich das Hauptaugenmerk wegen ihrer zahlenmäßig und gesellschaftlich größeren Bedeutung sowie der verfassungsrechtlichen Implikationen auf die nicht von vornherein als insgesamt und ausschließlich unfriedlich geplanten Versammlungen und Demonstrationen gerichtet sein wird, in deren Verlauf es zu Gewalttaten durch das Kollektiv oder Teile desselben kommt. Bei allen Unterschieden im Einzelfall lassen sich einige charakteristische Merkmale feststellen, die sämtlichen tumultuarischen Geschehensabläufen immanent sind und ihr besonderes Gefahrenpotential ausmachen. Kennzeichnend für Tumulte ist die Unübersichtlichkeit des Gesamtgeschehens8. Sie hat zur Folge, daß die einzelnen schadenstiftenden Handlungen in der Regel nicht voneinander unterschieden und ihre Täter nicht identifiziert werden können9. Als Urheber der Schäden tritt dem Geschädigten weniger der einzelne Gewalttäter als vielmehr die anonyme Masse gegenüber. Das Risiko für den einzelnen Gewalttäter, für die von ihm angerichteten Schäden zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist dabei um so geringer, je unübersichtlicher sich die Situation insgesamt darstellt. Mit jeder neuen Gewalttat sinkt daher das Haftungsrisiko des einzelnen Täters und erhöht sich gleichzeitig die Bereitschaft des Kollektivs zu weiteren schädigenden Handlungen10. Diese Gefahr einer Eskalation der Gewalt, bedingt durch die Anonymität der einzelnen Tat und ihres 5 So schon die nach wie vor gültige Einschätzung von H. Bruch, Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 1; vgl. außerdem U. Hübner, ZVersWiss. 1981, S. 1 (7); auch F. Ossenbühl, Der Staat 1971, S. 53 (54ff.). 6 Vgl. M. Rieve, Kollektive Sicherungssysteme bei Tumultschäden, S. 1 f.; zur Problematik der Haftung für Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen ausführlich H. Stein, Haftungsrechtliche Folgen von Zuschauerausschreitungen bei Massensportveranstaltungen. 7 Demgegenüber wird den in diesem Zusammenhang ebenfalls häufig genannten Chaos-Tagen der Versammlungscharakter nicht abgesprochen werden können; vgl. VG Hannover, NVwZ-RR 1997, S.622; zustimmend A. Deutelmoser, NVwZ 1999, S.240 (242); M. Kniesel, NJW 2000, S.2857 (2858); ablehnend demgegenüber/. Deger, NJW 1997, S.923 (924), mit der Begründung, im Vordergrund stehe nicht die Kundgabe der alternativen Meinung über die richtige Lebensform oder Lebensgestaltung, sondern die unmittelbare Verwirklichung dieser Lebensart. 8 A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 1; vgl. außerdem die Definition des Begriffs „Tumult" als „lärmendes Durcheinander aufgeregter Menschen" bei Brockhaus, Die Enzyklopädie, 22. Band. 9 Vgl. nur A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (805); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 1. 10 W. Henrichs, NJW 1968, S. 973; U. Karpen, ZRP 1987, S. 349.

Einführung

Täters vor dem Hintergrund weiterer Gewalttaten, gehört zu den prägenden Eigenschaften von Tumulten und begründet ihr besonderes Schädigungspotential. Von einem tumultuarischen Zustand kann demgemäß nicht bereits dann gesprochen werden, wenn es im Verlauf einer an sich friedlichen Demonstration vereinzelt zu Steinwürfen oder sonstigen Gewalttaten kommt. Ebensowenig bewirkt das Randalieren einzelner Fußballfans oder einiger weniger militanter Autonomer in den Innenstädten eine derartige Unübersichtlichkeit des Gesamtgeschehens, wie sie für Tumulte konstituierend ist. Erst wenn - wie im Falle der eingangs geschilderten Ereignisse geschehen - die schädigenden Handlungen ein solches Ausmaß erreichen, daß sie vor dem Hintergrund des Gesamtgeschehens ihre Individualität verlieren und damit jede weitere Handlung die Gefahr einer Eskalation in sich birgt, liegen die für Tumulte charakteristischen Merkmale eines erhöhten Schadensrisikos einerseits bei gleichzeitig nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten einer Identifikation der Täter andererseits vor. I I . Die zivilrechtliche Haftung für Tumultschäden 1. Die Problematik

Für den - meist zufällig - Geschädigten ist es bei dieser Sachlage nahezu aussichtslos, vom Schädiger Ersatz zu erlangen, wird es ihm doch in der Regel nicht gelingen, ihn überhaupt namentlich zu benennen, geschweige denn den für eine deliktische Haftung nach § 823 BGB erforderlichen Nachweis zu führen, daß eine bestimmte vorsätzliche Handlung des in Anspruch Genommenen den entstandenen Schaden verursacht hat 11 . Feststehen wird gemeinhin lediglich die Anwesenheit des Beklagten am Ort des Geschehens, im Regelfall also seine Teilnahme an einer von Ausschreitungen begleiteten Demonstration, nicht jedoch auch seine aktive Beteiligung an den Gewalttaten selbst durch eigene Handlungen, beispielsweise durch das Werfen von Steinen. 2. Die Haftung der passiven Demonstrationsteilnehmer

a) Die Haftung als Mittäter bzw. Gehilfe gemäß § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB Unter diesen Umständen scheidet regelmäßig auch eine Haftung aufgrund Mittäterschaft oder psychischer Beihilfe gemäß § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB aus. 11

Dies wird von allen Autoren als typische Beweisschwierigkeit bei der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs für Tumultschäden erkannt; vgl. etwa U. Diederichsen/P. Marburger, NJW 1970, S. III (782); A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (805); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 1; U. Karpen, ZRP 1987, S.349; H. Kollhosser, JuS 1969,S.510; E.Reinelt, NJW 1970,S.19f.

Einführung

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Zwar ist für eine zivilrechtliche Haftung nach diesen Vorschriften eine physische Mitwirkung an der Tatausführung nach der Rechtsprechung des BGH nicht zwingend erforderlich 12. Ausreichend für die Annahme einer haftungsbegründenden Mittäterschaft bzw. Beihilfe kann vielmehr bereits der bloße Wille sein, die schadenstiftenden Handlungen einschließlich der entstandenen Schäden - jedenfalls in ihren groben Zügen - als eigene zu verwirklichen bzw. als fremde zu fördern und zu unterstützen13. Einen solchen Willen als sog. innere Tatsache festzustellen und zu beweisen, bereitet bereits im Normalfall erhebliche Probleme, kann auf sein Vorliegen doch nur aufgrund äußerer Umstände geschlossen werden. Steht indessen - wie im vorliegenden Fall - die zivilrechtliche Haftung eines Teilnehmers an einer von Gewalttaten begleiteten Demonstration in Rede, dem selbst kein unfriedliches Verhalten nachgewiesen werden kann, so tritt erschwerend hinzu, daß nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 24.01.198414 zur Großdemonstration an der Baustelle des Kernkraftwerks Grohnde die Vorschriften des § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB aus verfassungsrechtlichen Gründen restriktiv zu handhaben sind. Als für die Annahme einer Mittäterschaft oder Teilnahme an den Gewaltakten anderer Demonstranten nicht ausreichend sieht es der BGH nach diesem Urteil an, „wenn der an ihnen nicht aktiv beteiligte Demonstrant an Ort und Stelle verharrt, auch wenn er, wie es die Regel sein wird, von vornherein mit Gewalttätigkeiten einzelner oder ganzer Gruppen rechnet und weiß, daß er allein schon mit seiner Anwesenheit den Gewalttätern mindestens durch Gewährung von Anonymität Förderung und Schutz geben kann" 15 . Ein solches Verhalten könne - so der BGH - „auch nur die Kundgabe der eigenen Meinung zu den sachlichen Anliegen der Demonstration in der Öffentlichkeit darstellen" 16. Dieses Verhalten gleichwohl als für die Bejahung einer haftungsbegründenden Teilnahme an den Gewaltakten anderer Demonstranten ausreichend anzusehen, würde die Ausübung des durch Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Demonstrationsrechts - das den friedli12

BGHZ 8, 288 (294); 17, 327 (333); BGH, VersR 1960, S.540; BGH, NJW 1975, S.49 (50); BGH, NJW 1998, S.377 (382); außerdem G. Schiemann, in: Erman, BGB, §830, Rn.3; A. Zeuner, in: Soergel, BGB, § 830, Rn.4. 13 Kritisch zu dieser Dominanz des subjektiven Elements in der Rechtsprechung des BGH etwaD. W. BellinglC. Eberl-Borges, in: Staudinger, BGB, §830, Rn.21, 53; G. Schiemann, in: Erman, BGB, § 830, Rn.4; vgl. außerdem die umfassende Behandlung bei St. Kreutziger, Die Haftung von Mittätern, Anstiftern und Gehilfen im Zivilrecht. 14 BGHZ 89, 383 = BGH, NJW 1984, S. 1226 (Grohnde); siehe dazu U. Kornblum, JuS 1986, S. 600; R. Stürner, JZ 1984, S. 525. 15 BGHZ 89,383 (395) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde); insoweit dem Grunde nach ähnlich auch schon die Vorinstanz OLG Celle, VersR 1982, S.598 (600, 603). 16 BGHZ 89,383 (395) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde); vgl. aus jüngerer Zeit auch BGH, NJW 1998, S. 377 (382), der in dieser Entscheidung betont, daß die im GrohndeUrteil aufgestellten Grundsätze über die Haftung passiver Demonstrationsteilnehmer nicht nur für die Teilnahme an einer Großdemonstration gelten, sondern auch für die Beteiligung an einer kleineren und überschaubaren Versammlung.

Einführung chen Teilnehmern auch dann erhalten bleibt, „wenn eine Minderheit Ausschreitungen begeht" 1 7 - mit einem „unkalkulierbaren und untragbaren Risiko" belasten und „so das Recht auf öffentliche Kundgebung der Meinung unzulässig beschränken" 18 . Allein durch ihr Verweilen in einer Demonstration, die von den Veranstaltern als friedliche geplant war, jedoch einen teilweise unfriedlichen Verlauf nimmt, werden die passiven Demonstranten mithin nicht zu Mittätern oder Gehilfen der Gewalttäter 1 9 . Erforderlich ist vielmehr, daß sie sich durch Anfeuerung, ostentatives Zugesellen zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt werden, oder ähnliches Verhalten mit den gewalttätigen Demonstranten solidarisieren und dadurch ihren Willen zum Ausdruck bringen, diese in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken 20 . Günstiger könnte sich die Situation für den Geschädigten allenfalls dann darstellen, wenn die Versammlung von den Veranstaltern bereits von vornherein als insgesamt unfriedlich geplant war. In diesem Fall würden auch die selbst passiv bleibenden Demonstranten allein durch ihre Teilnahme in Kenntnis der geplanten Gewalttätigkeiten ihrer Billigung der Gewalttaten und ihrer Solidarisierung mit den Gewalttätern Ausdruck verleihen. Verfassungsrechtliche Hindernisse in Gestalt der Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG stünden damit einem Rückschluß von der bloßen Anwesenheit 17 BVerfGE 69,315 (361) (Brokdorf). Das unfriedliche Verhalten einzelner führt mithin nur für diese und nicht für die Gesamtheit der Versammlungsteilnehmer zum Fortfall des Grundrechtsschutzes. Schwierig zu beantworten ist freilich die Frage, ob dies auch dann noch zutrifft, wenn die unfriedlichen Teilnehmer sich nicht mehr nur in der Minderheit befinden. Ausgehend vom Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG gilt es hierbei zu erkennen, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht ein Grundrecht der Versammlung, sondern ein Grundrecht des einzelnen Teilnehmers ist (vgl. E. Benda, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 8, Rn.40; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8, Rn. 36,73,116; H.D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rn. 7; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 8, Rn. 27). Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist deshalb bei der Beurteilung der Friedlichkeit auf das Verhalten der einzelnen Personen und nicht auf das Gesamtgepräge der Versammlung abzustellen (vgl. R. Herzog, a. a. O.; nicht so eindeutig aber das BVerfG im Brokdorf-Beschluß, vgl. BVerfGE 69,315,361). Denkt man diesen individuellen Ansatz konsequent-abstrakt zu Ende, so könnten sich theoretisch auch die letzten beiden friedlichen Teilnehmer einer Versammlung noch auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, daß für die Einstufung eines Demonstranten als friedlich oder unfriedlich die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles ausschlaggebend sind (vgl. W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8, Rn. 34; M. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 143, Rn.41). Diese dürften indessen in aller Regel dafür sprechen, daß eine nur noch in der Minderheit verbleibende Anzahl passiver Teilnehmer (d. h. solcher Teilnehmer, die selbst keine Gewalttaten verüben) allein durch ihre fortdauernde Anwesenheit ihre Solidarisierung mit den Gewalttätern zum Ausdruck bringt. Dies gilt namentlich dann, wenn auch die Veranstalter und Leiter der ursprünglich als friedlich geplanten Versammlung zwischenzeitlich die Seiten gewechselt haben. Unter solchen Umständen steht Art. 8 Abs. 1 GG der Annahme einer zivilrechtlichen Haftung dieser passiven Teilnehmer gemäß § 830 BGB nicht länger entgegen. 18 BGHZ 89, 383 (395) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde). 19 A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (805); U. Stein, in: MünchKomm-BGB, § 830, Rn. 13. 20 BGHZ 89,383 (395) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde); vgl. hierzu auch oben Fn. 17 a. E. sowie A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 2.

2 Kimmel

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auf den Mittäter- bzw. Gehilfen willen nicht länger entgegen21. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß eine Zurechnung sog. Exzeßhandlungen der Täter auch über den Weg des § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB nicht möglich ist. Zudem läßt sich die Vorstellung einer nach dem gemeinsamen Willen von Veranstaltern und Teilnehmern von vornherein auf Gewalttätigkeiten angelegten Versammlung auf den Fall der hier vornehmlich interessierenden Massendemonstrationen bei realistischer Betrachtung nicht übertragen. Zum einen treten dort nämlich zumeist eine Vielzahl unterschiedlicher Veranstalter mit zum Teil abweichenden Zielvorstellungen in Erscheinung 22, und zum anderen sind auch die Teilnehmer an einer Großdemonstration, wie der BGH in seinem Grohnde-Urteil zutreffend feststellt, keine homogene Gruppe, in der über Durchführung und Ablauf der Demonstration die gleichen Zielsetzungen herrschen23.

b) Die Haftung wegen Mißachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt ( Fahrlässigkeitshaftung ) gemäß § 823 Abs. 1 BGB24 Ebenfalls verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet vor dem Hintergrund des Grohnde-Urteils des BGH eine Entscheidung des LG Berlin aus dem Jahre 1969, in der das Gericht allen Teilnehmern einer Demonstration, bei der sich die Gefahr von Ausschreitungen einzelner realisiert hat, allein aufgrund ihrer Teilnahme eine deliktische Fahrlässigkeitshaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Nichtbeachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auferlegen wollte 25 . Zur Begründung berief sich das Gericht auf eine alle Demonstranten treffende (Sorgfalts-)Pflicht, entweder für Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz unbeteiligter Dritter zu sorgen oder aber den Ort des Geschehens zu verlassen und von einer Teilnahme an der Kundgebung abzusehen26. Die Annahme einer solchen Pflicht erscheint nach dem Grohnde-Urteil des BGH mit Art. 8 Abs. 1 GG indessen schon deshalb unvereinbar, weil sie die friedlichen Demonstranten gleichermaßen mit einem unkalkulierbaren Haftungsrisiko belasten und damit in ihrer Grundrechtsausübung über Gebühr beschränken würde. Hinzu kommt, daß es die unfriedlichen Teilnehmer bei einer solchen Sicht21

So auch/. Schreiber, DuR 1983, S.232f. Vgl. K. Thommes , Zivilrechtliche Haftung im Zusammenhang mit Versammlungen, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, S.943 (953), Rn.20. 23 BGHZ 89, 383 (391) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1228) (Grohnde). 24 Der Gedanke an eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 125 StGB (Landfriedensbruch) als Schutzgesetz wird von Rechtsprechung und Literatur zu Recht nahezu einstimmig verworfen, da Zweck des Straftatbestandes ausschließlich die Sicherung des Gemeinschaftsfriedens im öffentlichen Interesse ist, während sich der dem einzelnen durch die Strafvorschrift mittelbar zustatten kommende Schutz lediglich als eine Reflexwirkung des Gesetzes darstellt. Vgl. nur BGHZ 89, 383 (400f.) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1239) (Grohnde); St. Kreutziger, Die Haftung von Mittätern, Anstiftern und Gehilfen im Zivilrecht, S. 293 f. 25 LG Berlin, NJW 1969, S. 1119f. (Mahler). 26 LG Berlin, NJW 1969, S. 1119f. (Mahler); ähnlich auch OLG Karlsruhe, OLGZ 80,494. 22

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weise entgegen den Ausführungen des BVerfG im Brokdorf-Beschluß 27 letztlich doch in der Hand hätten, Demonstrationen über den Weg einer haftungsrechtlichen Inpflichtnahme auch der friedlichen Demonstranten in ihrem Sinne „umzufunktionieren" 28. c) Die Beweiserleichterung

des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB

Schließlich hilft dem Geschädigten in dieser Situation, in der sich eine vorsätzliche schädigende Handlung der einzelnen Demonstranten nicht nachweisen läßt, auch die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht weiter. Sie erfaßt nur die Fälle, in denen man nicht ermitteln kann, welcher von mehreren Beteiligten durch seine Tat, die jede für sich betrachtet zur Herbeiführung des Schadens geeignet war, diesen letztlich verursacht hat 29 . Zweifel daran, ob die als Schädiger in Frage kommenden Personen überhaupt eine unerlaubte Handlung begangen haben, vermag die Regelung demgegenüber nicht auszuräumen30. Abgesehen vom Merkmal der Kausalität muß die Verwirklichung eines deliktsrechtlichen Haftungstatbestandes in der Person eines jeden Beteiligten vielmehr feststehen, damit § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB Anwendung finden kann31. 3. Die Haftung der aktiv an Gewalttaten beteiligten Demonstranten Sollte es dem Geschädigten trotz der geschilderten praktischen Schwierigkeiten dennoch einmal gelingen, einen oder mehrere Schädiger zu ermitteln und ihnen eine aktive schädigende Handlung nachzuweisen, so bedeutet dies für ihn indessen noch nicht, daß er in jedem Fall Ersatz für sämtliche ihm durch die tumultuarischen Ausschreitungen entstandenen Schäden erhält. Verfassungsrechtliche Hindernisse stehen einer Ersatzpflicht des Schädigers jetzt allerdings nicht mehr entgegen, da den (erwiesen) gewalttätigen Demonstranten die Berufung auf Art. 8 Abs. 1 GG, der kraft seines eindeutigen Wortlauts nur das Recht 27

BVerfGE 69, 315 (361) (Brokdorf); vgl. außerdem^. Thommes, Zivilrechtliche Haftung im Zusammenhang mit Versammlungen, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, S.943 (948), Rn.6. 28 Vgl. zur Unhaltbarkeit der Rechtsprechung des LG Berlin nach dem Brokdorf-Beschluß auch U. Stein, in: MünchKomm-BGB, § 830, Rn. 13; schon früher neben einfachrechtlich-systematischen auch verfassungsrechtliche Bedenken bei K. Ballerstedt, JZ 1973, S. 105 (108); U. Diederichsen/P. Marburger, NJW 1970, S. 777 (783); H. Kollhosser, JuS 1969, S.510 (514 f.). 29 D. W. Belling/C. Eberl-Borges, in: Staudinger, BGB, § 830, Rn. 65; H. Thomas, in: Palandt, BGB, §830, Rn.7. 30 U. Stein, in: MünchKomm-BGB, § 830, Rn. 26; außerdem BGHZ 89, 383 (399) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1230) (Grohnde). 31 U. Stein, in: MünchKomm-BGB, § 830, Rn. 26; A. Zeuner, in: Soergel, BGB, § 830, Rn. 17. 2*

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zu friedlichen Versammlungen gewährleistet, von vornherein verwehrt ist 3 2 . Ebenso garantiert auch Art. 5 Abs. 1 GG, der bei Demonstrationen als auf die Meinungsäußerung und -bildung in der Öffentlichkeit gerichteten Versammlungen zusätzlich zur Anwendung k o m m t 3 3 , nur die Auseinandersetzung i m Meinungskampf mit geistigen Mitteln 3 4 . Schwierigkeiten bereitet jedoch die Bestimmung des Schadensumfangs, für den der einzelne Schädiger i n diesem Fall einzustehen hat. Zwar trifft nach der Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 1 B G B jeden Mittäter einer gemeinschaftlichen unerlaubten Handlung eine Haftung für den gesamten Schaden. Bei dem für Tumultschäden charakteristischen schadenstiftenden Verhalten einer größeren Menschenmenge wird sich ein gemeinschaftlicher Tatentschluß aller Versammelten mit dem Inhalt der Billigung sämtlicher von den übrigen Gewalttätern verursachten Schäden indessen kaum feststellen lassen. Demgemäß hat der B G H i m Grohnde-Urteil die (Mit-)Haftung des einzelnen gewalttätigen Teilnehmers einer Großdemonstration auf diejenigen Schäden beschränkt, die von anderen Gewalttätern in einem für ihn räumlich und zeitlich überschaubaren Aktionsfeld verursacht werden 3 5 . Darüber hinaus ist zu beachten, daß eine (Mit-)Haftung für Exzeßhandlungen schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts in keinem Fall in Betracht kommt 3 6 . 32

Vgl. nur BGHZ 89,383 (394) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde); BVerfGE 69, 315 (359f.) (Brokdorf); A. Dimski, VersR 1999, S. 804. Zweifelhaft ist nach den Entscheidungen BVerfGE 73, 206 (Mutlangen) und 92, 1 (Großengstingen) lediglich, ob auch Sitzblockaden bereits unfriedlich im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sind. Werden jedoch aktiv Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verübt, so liegt auch weiterhin ein unfriedliches Verhalten vor, das verfassungsrechtlich keinesfalls gerechtfertigt werden kann. Zudem weisen Sitzblokkaden unabhängig von ihrer verfassungsrechtlichen Einordnung in tatsächlicher Hinsicht die für Tumulte charakteristischen Merkmale eines durch die Eskalation der Gewaltbereitschaft erhöhten Schadensrisikos einerseits bei gleichzeitig nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten einer Identifizierung der Täter andererseits nicht auf. Solange sich die Blockierer auf rein passive Resistenz beschränken, fehlt es an der für tumultuarische Situationen typischen Unübersichtlichkeit des Gesamtgeschehens, in dem die einzelne Tat und ihr Täter vor dem Hintergrund weiterer (aktiver) Gewalttaten ihre Individualität verlieren. Die staatliche Ordnungsmacht sieht sich nicht mit einer für sie nicht beherrschbaren Situation konfrontiert. Unter den Tatbestand der Tumultschädengesetze (vgl. dazu näher unten S. 98 ff. und 118 ff.) lassen sich Sitzblockaden deshalb nicht subsumieren. 33 M. Kloepfer , in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 143, Rn. 27, 72; H. Schulze-Fielitz , in: Dreier, GG, Art. 8, Rn. 74; BVerfGE 82, 236 (258); BGHZ 89, 393 (394) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde). 34 Vgl. nur C. Starck , in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 33. 35 BGHZ 89,383 (392) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1228) (Grohnde). Eine weiterreichende Haftung kann nur die sog. Rädelsführer geplanter Gewaltaktionen treffen; vgl. BGH, a. a. O. Eine Haftung des Veranstalters einer Demonstration, die als friedliche geplant war, jedoch einen unfriedlichen Verlauf nimmt, läßt sich demgegenüber weder aus § 830 Abs. 2 BGB (Anstifter- und Gehilfenhaftung) noch aus § 823 Abs. 1 BGB (Fahrlässigkeitshaftung wegen Eröffnung einer Gefahrenquelle) begründen; vgl. A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (806). 36 Einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur; vgl. statt aller nur U. Stein , in: MünchKomm-BGB, §830, Rn.9,17; BGHZ 89,383 (396) = BGH, NJW 1984, S. 1226 (1229) (Grohnde).

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Schließlich ist dem Geschädigten aber auch mit einem einmal erlangten vollstreckbaren Titel nur selten gedient, denn das Risiko der Insolvenz des Schädigers ist um so höher, je größer der angerichtete Schaden ist 37 . Gerade bei Massenausschreitungen nimmt aber die Gewaltbereitschaft des einzelnen in dem Maße zu, wie die Wahrscheinlichkeit sinkt, identifiziert und für seine Taten haftbar gemacht zu werden 38. Je größer mithin das Gefährdungspotential und die angerichteten Schäden sind, desto unwahrscheinlicher ist es, daß man einen konkreten Schädiger überhaupt ermitteln, geschweige denn von ihm in vollem Umfang Ersatz für die erlittenen Schäden erlangen kann. Die theoretisch bestehenden deliktischen Ansprüche erweisen sich deshalb in der Praxis insgesamt als wertlos; ein zivilrechtliches Vorgehen gegen die einzelnen Täter wird im Ergebnis kaum jemals von Erfolg gekrönt sein.

I I I . Versicherungsleistungen bei Tumultschäden 1. Die Problematik 39 Nicht weniger problematisch stellt es sich für die Geschädigten dar, von ihren Versicherern Deckung für die bei Tumulten entstandenen Schäden zu erhalten. Dies hat seine tiefere Ursache in der Art der versicherungstechnischen Prämienkalkulation. Sie erfolgt im voraus und erfordert deshalb, daß sich die zu deckenden Schäden nach Häufigkeit und Höhe im Rahmen einer rational beschreibbaren Wahrscheinlichkeit halten40. Die Schwankungen im Schadensverlauf dürfen nicht so extrem sein, daß sie mit einer auf dem freien Markt realistischerweise erzielbaren Prämie nicht mehr ausgeglichen werden können41. Tumultschäden weisen indessen eine grundsätzliche Tendenz zu einem extrem unausgeglichenen Schadensverlauf auf 42 . Weder über die zeitlichen Abstände, in denen es zu Tumulten und Tumultschäden kommt, noch über den Umfang dieser Schäden im Falle ihres Eintritts läßt sich eine hinreichend sichere Vorhersage treffen 43. Angesichts dieses sog. Kumulrisikos stellen sich Tumultschäden als prinzipiell unversicherbar dar, ist es den Versicherern mangels zuverlässiger Prognosen über Umfang und Anzahl der Tumult37

Vgl. W. Henrichs, NJW 1968, S.973. W. Henrichs, NJW 1968, S.973. 39 Vgl. hierzu E. Frey, VersR 1975, S.965; D. Geitner, VersR 1983, S.5; K. Gerathewohll E Nierhaus, ZfV 1980, S.535; H.P: Glotzmann, VersR 1975, S.784; A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S.75ff.; U. Hübner, ZVersWiss. 1981, S. 1; ders., VersR 1982, S. 1013; H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121; AT. Nickusch, NJW 1969, S. 20; E. Wilkens, ZfV 1968, S.776. 40 H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (130). 41 H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (130). 42 H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (130). 43 U. Hübner, ZVersWiss. 1981, S. 1 (12f.); H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (130). 38

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Schäden innerhalb eines bestimmten Zeitraums doch nicht möglich, die angemessenen Prämien im voraus zu berechnen44. Aus diesem Grunde enthalten nahezu alle einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) 45 mit ausdrücklicher Billigung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen 46 Ausschlußklauseln für „innere Unruhen" mit der Folge, daß der Versicherungsnehmer auch dann keine Leistung seitens des Versicherers erhält, wenn der erlittene Schaden seiner Art nach eigentlich vom Versicherungsvertrag umfaßt ist. Die Möglichkeit, eine eigenständige Versicherung speziell gegen alle Arten von Unruheschäden abzuschließen (sog. Aufruhrversicherung), war in Deutschland zwar zu Beginn der Weimarer Republik unter dem Eindruck der revolutionären Unruhen der Jahre 1918/19 eingeführt worden; mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde sie indessen abgeschafft und auch in der Bundesrepublik - selbst nach Beruhigung und Stabilisierung der anfangs ungewissen politischen Lage - nicht wieder erneuert 47. Lediglich in den Bereichen der Feuerversicherung 48 und der Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung 49 sehen mittlerweile sog. Extended-Coverage-Bedingungen (ECB) für Industrie- und Handelsbetriebe den sowohl zeitlich 50 als auch betragsmäßig51 begrenzten Einschluß von Unruheschäden vor. Für die übrigen Versicherungsnehmer sowie in den sonstigen Sparten besteht demgegenüber nur die theoretische Möglichkeit, die in den jeweiligen AVB enthaltenen Ausschlußklauseln durch individualvertragliche Vereinbarung abzubedingen; in der Praxis dürften sich die Versicherer hierauf kaum jemals einlassen52. Letztlich hängt der Umfang des Versicherungsschutzes im Falle von Tumultschäden mithin entscheidend von der Auslegung des Begriffs der inneren Unruhe ab, den die AVB selbst nicht näher definieren. Bevor auf die insoweit einschlägige Rechtsprechung der Zivilgerichte eingegangen wird, soll jedoch ein kurzer Überblick 44 A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 75 unter Hinweis auf die Auffassung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV), GB 1968, S. 67. 45 Hierbei handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Versicherer, deren Anwendung in praxi zu einer Vereinheitlichung der Versicherungsverträge führt und infolgedessen eine vom individuellen Vertrag losgelöste generelle Betrachtung über den Umfang des Versicherungsschutzes gestattet (vgl. auch A. Dimski, VersR 1999, S. 804 [806]). Die AVB unterliegen der Inhaltskontrolle nach dem AGBG (seit 1. Januar 2002: §§ 307ff. BGB). Allerdings ist die Wirksamkeit der Ausschlußklauseln für innere Unruhen von der Rechtsprechung bisher nicht in Frage gestellt worden (so zutreffend M. Rieve, Kollektive Sicherungssysteme bei Tumultschäden, S. 92). 46 Vgl. A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 75 unter Verweis auf BAV, GB 1968, S. 67. 47 Vgl. E. Wilkens, ZfV 1968, S.776 (780); außerdem ZfV 1968, S.400. 48 §§ 2 Nr. 1 a), 4, 5 ECB 87, veröffentlicht in VerBAV 1988, S. 209ff. 49 §§ 2 Nr.2a) ECBUB 87, veröffentlicht in VerBAV 1988, S.212ff. 50 § 3 Nr. 2 ECB 87 und § 3 Nr. 2 ECBUB 87. 51 §§ 3 Nr. 1, 8 Nr. 1 ECB 87 und §§ 3 Nr. 1, 9 Nr. 1 ECBUB 87. 52 Vgl. A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (808); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 109.

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über die Versicherungsbedingungen der verschiedenen Sparten im einzelnen gegeben werden. Hierfür bietet sich eine Differenzierung zwischen Versicherungen für Personenschäden und solchen für Sachschäden an. 2. Personenschäden Soweit es um den Ausgleich von Personenschäden geht, sind die private Unfallversicherung, die private Lebensversicherung sowie die private und gesetzliche Krankenversicherung einschlägig. Ein Leistungsausschluß wegen der bei inneren Unruhen entstandenen Schäden findet sich indessen lediglich in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) und erfaßt auch dort nur diejenigen Personen, die auf Seiten der Unruhestifter an den Unruhen teilgenommen und dabei einen Unfall erlitten haben53. Sowohl der Lebensversicherung 54 als auch der privaten 55 und gesetzlichen56 Krankenversicherung ist ein derartiger Leistungsausschluß demgegenüber fremd 57. Dies mag damit zusammenhängen, daß man bei einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit ein elementares Sekuritätsbedürfnis der Versicherten anerkennt, das auch im Falle innerer Unruhen keine Einschränkung der Versicherungsleistungen gestattet. 3. Sachschäden Weniger günstig stellt sich die versicherungsrechtliche Situation hingegen für den weitaus größeren Kreis derer dar, die bei inneren Unruhen Sach- und Vermögensschäden erleiden. In allen einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit Ausnahme der Transportversicherung 58 findet sich eine Klausel, die ein Eintreten der Versicherung für die bei inneren Unruhen entstandenen Schäden ausschließt. Keine Leistungen werden demgemäß namentlich erbracht von der Glasversicherung 59 , der Feuerversicherung 60, der Hausratversicherung 61, der Fahrzeug- und 53 § 21 (3) AUB 88, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 2239ff. (2246); ebenso auch schon §3(1) AUB 61, abgedruckt ebd., S. 2279ff. (2282). 54 § 8 ALB 94 (bzw. § 7 ALB 86), abgedruckt bei Prölss/A. Martin, VVG, S. 1764ff. (1771) (bzw. S.1713ff. [1731]). 55 § 5 MBKK 94 und § 5 MBKT 94, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1607 ff. (1650) und S.1679ff. (1691). 56 Vgl. namentlich §§ 2 und 52 SGB V. 57 Die genannten Vorschriften der ALB, MBKK und MBKT enthalten lediglich Einschränkungen der Leistungspflicht im Falle von Kriegsereignissen. 58 Vgl. A. Dimski, VersR 1999, S.804 (806) mit Fn.42; H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (134). 59 § 1 (3) AG1B, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1129ff. (1130). 60 § 1 (7) AFB 30 bzw. § 1 Nr. 7 AFB 87, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1001 ff. (1003) bzw. S. 1046 ff. (1048); § 1 Nr. 4 VGB 62 bzw. § 9 Nr. 1 b) VGB 88, abgedruckt ebd., S. 1071 ff. (1073) bzw. S. 1089ff. (1092); §2 Nr.4a) FBUB, abgedruckt ebd., S. 1115 ff. (1117). 61 § 9 Nr. 1 b) VHB 84 bzw. § 9 Nr. 1 b) VHB 92, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1379ff. (1394) bzw. S. 1419ff. (1424).

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Kraftfahrtunfallversicherung , der Maschinenversicherung 63, der Elektronikversicherung 64, der BauleistungsVersicherung 65, der technischen Betriebsunterbrechungsversicherung 66 sowie der Versicherung gegen Einbruchdiebstahl und Raub67. Schließlich wird die im Falle innerer Unruhen ohnehin wenig aussichtsreiche Rechtsverfolgung zusätzlich dadurch erschwert, daß auch die Allgemeinen Bedingungen der Rechtsschutzversicherung eine derartige Ausschlußklausel enthalten68. Als für den Umfang des Versicherungsschutzes bei Tumultschäden entscheidend erweist sich damit die Frage, ob und inwieweit Tumulte in dem eingangs dieser Untersuchung beschriebenen Sinne vom Begriff der inneren Unruhen erfaßt werden, wie er in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendet wird 69 . 4. Der Begriff der „inneren Unruhen" in den Ausschlußklauseln der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Die zuständigen Zivilgerichte verstehen diesen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen selbst nicht näher definierten Begriff in ständiger Entscheidungspraxis als einen eigenständigen versicherungsrechtlichen Terminus, der in seiner Reichweite über den Inhalt des strafrechtlichen Tatbestands des Landfriedensbruchs im Sinne des § 125 StGB hinausgeht70. Bei ihrer Auslegung läßt sich die Rechtsprechung von dem Sinn und Zweck leiten, den die Versicherer mit der Aufnahme der Ausschlußklausel in die AVB verfolgt haben, nämlich solche Risiken von sich fernzuhalten, die sie mangels Überschaubarkeit und Voraussehbarkeit bei ihrer Prämienberechnung nicht einkalkulieren können. Hiervon ausgehend hat das Reichsgericht das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhen im Sinne der AVB dann als erfüllt angesehen, wenn „zahlenmäßig nicht unerhebliche Teile des Volkes in einer die öffentliche Ruhe und Ordnung störenden Weise in Bewegung geraten und Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verüben" 71 . In anderen Entscheidungen wird darauf abgestellt, daß eine zusammenge62

§ 2b Nr. 3 a) AKB, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1492ff. (1502). § 2 (4) a) AMB 91, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 2050ff. (2054). 64 § 2 (5) b) ABE, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 2092ff. (2094). 65 § 2 Nr.4c) ABU, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 2129ff. (2132). 66 §2 Nr.2b) AMBUB, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S.2149ff. (2151). 67 § 1 Nr. 6 e) AERB 81 bzw. § 1 Nr. 7 e) AERB 87, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 951 ff. (954) bzw. S. 986ff. (988). 68 § 4 (1) a) ARB 75 bzw. § 3 (1) a) ARB 94, abgedruckt bei J. Prölss/A. Martin, VVG, S. 1813 ff. (1829) bzw. 1915 ff. (1920). 69 Ausführlich dazu H. Boyan, VR 1988, S. 162ff., der insbesondere den Begriff der inneren Unruhe im Sinne der AVB mit dem Begriff der inneren Unruhe im Sinne des Reichstumultschädengesetzes vergleicht. Ausführlich dazu unten S. 120 ff. 70 So zuerst RGZ 97, 206 (207); seither st. Rspr., vgl. insbesondere LG Koblenz, VersR 1951, S. 19; KG, VersR 1975, S. 175 ff. 71 RGZ 108, 188 (190). 63

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rottete Menschenmenge mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht72. Erforderlich ist aber in jedem Fall ein gewisses Maß an öffentlich-provokatorischem Handeln, denn nur dann besteht die Gefahr, daß „das Rechtsbewußtsein der Menschen im ganzen erschüttert und getrübt, ihre niederen Triebe entfesselt und Gewalttaten aller Art begangen werden" 73, die Lage mithin in versicherungstechnisch nicht mehr zu kalkulierender Weise eskaliert 74. Ob im Einzelfall eine solche Situation erhöhter GewaltbereitscKaft vorgelegen hat, beurteilt sich aus der Sicht eines das Gesamtgeschehen überblickenden objektiven Beobachters anhand äußerer Kriterien wie etwa der Zahl der Unruhestifter, der Dauer und Intensität der Übergriffe oder der Größe und Lage des Unruheherdes 75. Keine Rolle spielt es demgegenüber, welche Ziele die Unruhestifter mit ihren Aktionen verfolgen; insbesondere ist keine Stoßrichtung gegen die Staatsgewalt erforderlich 76. Als durch innere Unruhen verursacht und vom Versicherungsschutz ausgenommen sind Schäden demnach dann anzusehen, wenn ihre Entstehung gerade darauf zurückzuführen ist, daß sich ausgehend von einzelnen Gewalttaten aus einer versammelten Menschenmenge heraus eine Trübung des Rechtsempfindens der übrigen anwesenden Personen eingestellt und sie zu weiteren Gewalttaten veranlaßt hat 77 . Dies ist sicherlich noch nicht der Fall, solange es im Rahmen einer ansonsten friedlichen Demonstration nur zu vereinzelten Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen kommt 78 . Von einem unkalkulierbaren Risiko kann hier gewiß noch nicht gesprochen werden. Arten anfangs friedliche Demonstrationen infolge einer Kumulation und Eskalation der einzelnen Gewalttaten jedoch zu unübersichtlichen Tumulten aus, so weist das Geschehen alle Merkmale einer inneren Unruhe im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf. Gleiches gilt, wenn es in der Öffentlichkeit zu Schädigungen durch eine von vornherein zur Begehung von Gewalttaten entschlossene größere Menschenmenge kommt 79 . In diesem Fall liegt das Risiko eines über die normale Prämienkalkulation hinausgehenden Schadensverlaufs weniger in einem Übergreifen der Gewaltbereitschaft auf außenstehende Personen, die die Vorfälle zum Anlaß für eigene Gewalt72

RGZ 97, 206 (208); HansOLG, HansRZ 1922, S. 883; BGH, VersR 1952, S. 177; BGH, VersR 1975, S. 126. 73 RGZ 108, 188 (190). 74 A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (808). 75 Vgl. A. Martin, Sachversicherungsrecht, F I , Rn. 11 f.; außerdem BGH, VersR 1975, S. 126. 76 So bereits RGZ 97, 206 (208); seither st.Rspr.; vgl. etwa RGZ 108, 188 (190); BGH, VersR 1952, S. 177. 77 Vgl. A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 119; außerdem BGH, VersR 1975, S. 126. 78 K. Nickusch, NJW 1969, S.20 (21); BGH, VersR 1975, S. 126 (127). 79 Vgl. R. Schmidt/K. Gerathewohl, ZVersWiss. 1971, S.277 (300).

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akte nehmen. Indessen ist das Rechtsempfinden der Gewalttäter selbst in dem Bewußtsein größerer Stärke und Anonymität in der Masse bereits a priori derartig abgesunken, daß sie sich gegenseitig zu immer neuen Gewaltakten hinreißen lassen, die in ihrer Häufung und ihren Auswirkungen das vom Versicherer vorauszusehende „normale" Maß übersteigen. Im Ergebnis ist damit eine Leistungspflicht des Versicherers aufgrund der entsprechenden Klauseln in nahezu sämtlichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgeschlossen, sobald die Situation, aus der heraus die Schäden entstanden sind, die für Tumulte charakteristischen Merkmale einer Anonymität der einzelnen Tat und ihres Täters vor dem Hintergrund weiterer Gewalttaten aufweist. Nimmt man die Unzulänglichkeit der zivilrechtlichen Haftung hinzu, so hat der bei tumultuarischen Auseinandersetzungen Geschädigte seinen Schaden daher nach dem bisher Gesagten im Regelfall letztlich selbst zu tragen.

IV. Staatshaftung für Tumultschäden? Dieses Resultat wird von den Betroffenen oftmals als ungerecht empfunden werden, denn sie sind zumeist allein aufgrund ihrer körperlichen Anwesenheit oder der Lage ihres Geschäftslokals oder sonstigen Eigentums oder Besitzes am Ort des Geschehens von den Tumulten lediglich zufällig in Mitleidenschaft gezogen; ebenso gut hätte der Schaden aus ihrer Sicht jeden anderen Bürger treffen können.

1. Legitimation einer Staatshaftung für Tumultschäden In einem organisierten Staatswesen moderner Prägung 80, zu dessen Aufgaben es seit jeher anerkanntermaßen gehört, Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger zu schützen81, liegt in einer solchen Situation der Gedanke an ein Einstehen des zahlungsfähigen und zahlungskräftigen Staates nahe.

80 Die modernen Staaten entstanden in Europa zu Beginn der Neuzeit, d.h. in der Zeitspanne vom ausgehenden Mittelalter bis hinein ins 17. Jahrhundert; vgl. K. Eichenberger, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 78 (1977), S.433f. 81 Vgl. hierzu etwa H.P: Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, § 18, S. 347 ff. Selbst die Verfechter eines radikalen Liberalismus, die im ausgehenden 18. Jahrhundert den Staat auf seine unverzichtbaren Mindestaufgaben beschränken wollten (sog. Nachtwächterstaat), erkannten die Pflicht zum Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger als elementare Aufgabe und Pflicht des Staates an; vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 1.

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a) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als pflichtwidriges Unterlassen des Staates Volle Berechtigung hat dieser Gedanke, wenn die Schadensentstehung auf ein pflichtwidriges Fehlverhalten der Staatsmacht zurückzuführen ist, wenn also ein echter Fall von Staatsunrecht vorliegt. Geht es um den Ersatz von Tumultschäden - worunter hier ausschließlich solche Schäden verstanden werden sollen, die den Betroffenen durch Handlungen der Gesamtheit oder eines Teils der versammelten Menschenmenge entstehen, nicht jedoch auch solche Schäden, die durch positive Maßnahmen der Polizei zur Bekämpfung des Tumultes verursacht werden 82 - , so kommt als Ansatzpunkt für eine Pflichtverletzung seitens des Staates lediglich ein Unterlassen in Betracht. Es gilt im Einzelfall zu prüfen, ob dem Staat die Nichtverhinderung der bei Tumulten entstandenen Schäden als pflichtwidriges Unterlassen vorgeworfen werden kann - etwa weil er das Gefahrenpotential einer Versammlung unterschätzt oder die möglichen Brennpunkte falsch lokalisiert und infolgedessen nicht genügend Polizeikräfte eingesetzt oder diese falsch verteilt hat. Ist dies zu bejahen, so kommen Ersatzansprüche gegen den Staat nach den gängigen Haftungsinstituten, namentlich aus Amtshaftung sowie aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff, in Betracht. Der Gedanke einer Einstandspflicht des Staates vermag aber möglicherweise über den Bereich der Staatsunrechtshaftung hinaus auch dann Geltung zu beanspruchen, wenn die Nichtverhütung der Tumultschäden nicht auf staatliches Fehlverhalten zurückzuführen und ihm nicht als Pflichtwidrigkeit anzulasten ist. Insoweit sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. b) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als rechtmäßige Entscheidung zum Schutz anderer Rechtsgüter Zum einen kann der Staat sich, obwohl ihm ein Einschreiten tatsächlich möglich gewesen wäre, aus Gründen des Schutzes anderer Rechtsgüter bewußt dafür entschieden haben, nicht gegen die Tumultuanten vorzugehen - sei es, um gemäß der sog. Deeskalationsstrategie den Eintritt größerer Schäden zu verhindern, sei es, weil ein Eingreifen nur unter Gefährdung von Leben und Gesundheit der eigenen Einsatzkräfte möglich erschien, oder sei es, um im Falle nur einzelner Gewalttäter, die 82

Eine staatliche Ausgleichspflicht für Schäden, die jemand durch eine rechtswidrige polizeiliche Maßnahme oder infolge einer polizeilichen Inanspruchnahme als Nichtstörer erleidet, ist in § 39 Abs. 1 OBG NW i.V. m. § 67 PolG NW und den vergleichbaren Vorschriften in den übrigen Bundesländern vorgesehen. Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten erstrecken sich darüber hinaus auch die Entschädigungstatbestände der Tumultschädengesetze auf die durch polizeiliche Abwehrmaßnahmen hervorgerufenen Schäden (vgl. unten S. 88,98), denn häufig wird sich nicht feststellen lassen, ob die Schäden durch Gewalttaten aus der versammelten Menschenmenge heraus oder durch hiergegen ergriffene Abwehrmaßnahmen verursacht worden sind.

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nicht isoliert werden konnten, die grundrechtlich geschützte Betätigung der überwiegenden Anzahl friedlicher Demonstranten nicht zu beeinträchtigen. Ist dieses bewußte Nichteinschreiten der Polizei rechtmäßig, ist also insbesondere die getroffene Abwägung zwischen geschützten und beeinträchtigten Rechtsgütern nicht zu beanstanden, so kommen für die Geschädigten Ersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung für das Gemeinwohl in Frage. c) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als Folge der notwendigen Unvollkommenheit staatlichen Schutzes Zum anderen kann der Staat aber auch einfach - ohne daß ihm deswegen der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gemacht werden könnte - faktisch nicht in der Lage gewesen sein, mit einer ausreichenden Anzahl von Polizeikräften gegen die Tumultuanten vorzugehen und die entstandenen Tumultschäden zu verhindern. Gemeint sind hiermit die in praxi am häufigsten vorkommenden Fälle, daß dem Staat aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, ein umfassender und absoluter Schutz der Rechtsgüter des einzelnen vor dem Zugriff der Tumultuanten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht möglich war. aa) Der Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger als elementare Staatsaufgabe Gewiß gehört es zu den konstituierenden und elementaren Aufgaben des modernen Staates, in dem Selbsthilfe, Faustrecht und Fehde abgeschafft sind und der Urzustand des „Krieges aller gegen alle" 83 überwunden ist, für den Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger Sorge zu tragen. Der Staat - und nur der Staat - ist für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung auf seinem Gebiet verantwortlich und verfügt zu diesem Zweck über das Monopol der Gewaltanwendung84; er ist die Monopolinstanz der inneren Friedenswahrung. Ein hundertprozentiger Schutz der Bürger vor gegenseitigen Schädigungen ist dem Staat jedoch - wie bereits Hobbes realistischerweise erkannt hat 85 - niemals möglich und in einem freiheitlich verfaßten Gemeinwesen auch nicht aufgegeben. Ein moderner Verfassungsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland, zu dessen 83 Th. Hobbes, Leviathan, 13. Kapitel („bellum omnium contra omnes"); vgl. auch J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 3. 84 Ausgehend hiervon gibt M. Weber , Wirtschaft und Gesellschaft, S. 1043, folgende Definition des (modernen) Staates: „Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht." Vgl. außerdem F. von der Heydte , Artikel „Staat", in: Handbuch der Soziologie, S.938 (957);/. Isensee, FS Eichenberger, S.23 ff.; C. Starck, FS Carstens, S. 867 (868). 85 Th. Hobbes, De Cive, Caput VI, 3 („Tutos quidem reddere homines a mutuis damnis, ita ut laedi, vel occidi iniuria non possint, impossibile est; neque ergo cadit in deliberationem."); vgl. auch J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S.4.

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Fundamenten die Gewährleistung von Freiheitsrechten seiner Bürger zählt, die in ihrer Funktion als Abwehrrechte die staatliche Macht begrenzen und dem Bürger einen von staatlicher Ingerenz freien Raum garantieren, ist weder verpflichtet noch berechtigt, jedem Bürger Tag und Nacht einen Polizisten zur Seite zu stellen, der ihn vor jedem auch nur theoretisch denkbaren Angriff auf seine Rechtsgüter schützt und ihn umgekehrt an einem eigenen Übergriff auf die Rechtsgüter anderer hindert. Der Staat ist nicht berufen, seine „mündigen" Bürger vor jeglichen Risiken zu bewahren, die aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben erwachsen, wo die Rechtsgüter des einzelnen zwangsläufig den Einflüssen seiner Mitmenschen ausgesetzt sind. Gewisse Risiken sind einer freiheitlich-demokratisch verfaßten Gesellschaft vielmehr immanent und von ihren Bürgern (entschädigungslos) hinzunehmen. Auch der Schutz der Bürger vor Tumultschäden ist in einem Staat, der kein polizeilicher Überwachungsstaat ist, schon aus diesem Grunde notwendigerweise unvollkommen. Daran vermag selbst der Umstand nichts zu ändern, daß eine größere Menschenansammlung in der Öffentlichkeit grundsätzlich geeignet ist, die Aufmerksamkeit der staatlichen Sicherheits- und Ordnungskräfte auf sich zu ziehen. Die Eigenheiten tumultuarischer Situationen machen es dem Staat vielfach unmöglich, die Entstehung von Tumultschäden zu verhindern. Tumultuarische Auseinandersetzungen entwickeln sich charakteristischerweise nicht nach vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten, sondern spontan aus den Umständen des Augenblicks. Sie sind deshalb in ihrem Verlauf für den Staat nur schwer vorhersehbar und mit den ihm zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Mitteln kaum beherrschbar 86. bb) Die spezialgesetzliche Begründung einer finanziellen Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden Diese Erkenntnis, daß eine vollkommene Sicherheit vor Tumultschäden vom Staat nicht gewährleistet werden kann, steht dem Gedanken an ein finanzielles Einstehen des Staates für die entstandenen Schäden jedoch nicht entgegen. Die allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstitute sind in den Fällen, in denen sich die Nichtverhinderung von Tumultschäden durch den Staat weder als pflichtwidriges Unterlassen noch als bewußt-rechtmäßige Entscheidung zum Schutz anderer Rechtsgüter darstellt, freilich nicht dazu angetan, den Geschädigten einen Ersatzanspruch zu verschaffen. In Betracht kommt jedoch die spezialgesetzliche Begründung einer staatlichen Einstandspflicht, die sich insbesondere auf zwei Rechtsgründe stützen ließe: Betont man einerseits die einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen immanente Unmöglichkeit einer vollkommenen Verhütung von Schäden, die indessen im Einzelfall ein solches Ausmaß annehmen können, daß eine entschädigungslose Hinnahme durch die betroffenen Bürger unzumutbar erscheint, dann ließe sich die 86

Vgl. H.-J. Vogel, Die Verwirklichung der Rechtsstaatsidee im Staatshaftungsrecht, S.32.

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Tumultschädenhaftung des Staates als eine sozialstaatlich motivierte Billigkeitshaftung begreifen und begründen. Legt man demgegenüber den Akzent darauf, daß die Nichtverhinderung der Schäden nichtsdestotrotz eine elementare und originäre Aufgabe des Staates gewesen wäre, so könnte die staatliche Tumultschädenhaftung andererseits auch als rechtsstaatlich fundierte verschuldensunabhängige Garantiehaftung bei einem Versagen des Staates in seiner Funktion als Garant der Sicherheit und Ordnung aufgefaßt und ausgestaltet werden. Allerdings bedarf es dann gegebenenfalls einer Begründung, weshalb das Einstehen des Staates auf Tumultschäden begrenzt sein und sich nicht auch auf andere Fälle erstrecken soll, in denen der einzelne durch unerlaubte Handlungen Dritter Schäden an seinen Rechtsgütern erleidet. Als erster moderner Staat hat Frankreich im Jahre 1795 unter dem Eindruck der Revolutionsunruhen ein spezielles Tumultschädengesetz geschaffen 87, das die Gemeinden für die auf ihrem Gebiet durch Zusammenrottungen oder Aufläufe entstandenen Schäden an Personen und Eigentum für unbedingt schadenersatzpflichtig erklärte 88. In die Gesetzgebung zahlreicher deutscher Einzelstaaten fand der Gedanke einer Gemeindehaftung für Aufruhrschäden nach dem Vorbild des französischen Gesetzes im Anschluß an die Revolution von 1848 Eingang. Unter diesen Gesetzen diente maßgeblich das preußische Tumultschädengesetz von 185089 als Modell für das bis heute als Landesrecht gültige Reichstumultschädengesetz aus dem Jahre 192090, das indessen im Unterschied sowohl zur französischen als auch zur preußischen Vorgängerregelung die Tumultschädenhaftung aus dem gemeindlichen Kontext löste und sie dem Reich bzw. - seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 192491 - den Ländern aufbürdete. 87 Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (2. Oktober 1795) „sur la police intérieure des communes de la République", Bulletin des Lois de la République Française, Série I, Tome VI, cahier n° 188. Vgl. dazu aus der deutschsprachigen Literatur etwa Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 ff.; L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159ff.; R. Horn, Assekuranz-Jahrbuch Band 42 (1922), S.99ff.; A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 7 f.; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.6ff.; O. Mayer, Theorie des Französischen Verwaltungsrechts, S.455 f.; R. Mayr, Der Schadenersatz wegen Tumultschäden, S. 3 ff.; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 11 ff.; A. Röhring, Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung und der heutige Stand der Tumultschadensgesetzgebung in Deutschland, S. 3 ff. 88 Von der Haftung befreit war die Gemeinde nur dann, wenn die Tumultuanten ortsfremd waren und die Gemeinde nachweislich alle ihr möglichen Verhütungsmaßregeln getroffen hatte; vgl. O. Mayer, Theorie des Französischen Verwaltungsrechts, S.456. 89 Gesetz betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens vom 11. März 1850, Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, Nr. 3251, S. 199f., Nr. 16. 90 Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 (RTSchG), RGBl. 1920,1, S.941. 91 Verordnung zur Überleitung der Tumultschädenregelung auf die Länder vom 29. März 1924, RGBl. 1924,1, S.58.

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Trotz der mit dem fortgeltenden Reichstumultschädengesetz existierenden spezialgesetzlichen Entschädigungsregelung wird der Zustand der Staatshaftung für Tumultschäden in der Bundesrepublik Deutschland seit langem allgemein als unbefriedigend und reformbedürftig empfunden 92. Beklagt werden insbesondere93 die Schwierigkeit, die heutigen Erscheinungsformen der Tumulte unter den vom Reichstumultschädengesetz verwendeten Begriff der „inneren Unruhe" zu subsumieren, das Erfordernis einer Existenzgefährdung des Geschädigten als Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach dem Reichstumultschädengesetz94 sowie die Begrenzung dieser Entschädigung auf 75 % des festgestellten Schadens95. In der Mehrzahl der Fälle sei damit ein Entschädigungsanspruch der Geschädigten gegen den Staat nicht gegeben. 2. Gegenstand und Gang der Untersuchung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll es sein, die Berechtigung solcher Reformbegehren und -Vorschläge einer kritischen Prüfung und Bewertung zu unterziehen. Dabei gilt es zunächst anhand einer Befund- und Bestandsaufnahme des geltenden Rechts zu verifizieren, ob die Aussichten der Tumultopfer, wegen der erlittenen Schäden einen finanziellen Ausgleich vom Staat zu erlangen, tatsächlich so gering sind, wie dies von den Befürwortern einer Reform geltend gemacht wird. Im Vordergrund wird dabei der spezialgesetzlich begründete Anspruch nach dem fortgeltenden Reichtstumultschädengesetz stehen (2. Kapitel). Gleichwohl sind aber auch die allgemeinen Staatshaftungsinstitute in die Betrachtung einzubeziehen, will man nicht der Gefahr erliegen, einen Teil der möglichen Anspruchsgrundlagen auszublenden und damit zu möglicherweise unzutreffenden Schlußfolgerungen zu gelangen (1. Kapitel). Vor dem Hintergrund des gefundenen Ergebnisses ist sodann zu überlegen, ob eine Reform der staatlichen Tumultschädenhaftung verfassungsrechtlich geboten und wie sie im einzelnen zu gestalten ist (3. Kapitel). Als Vergleichsmaßstab mag dabei aufgrund seiner historischen Vorbildwirkung für die deutsche Tumultschadensgesetzgebung das französische Tumultschädenrecht dienen. Insbesondere wird 92 Vgl. etwa B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.52; O.L. Brintzinger, DÖV 1972, S.227 (230); U.DiederichsenlP. Marburger, NJW 1970,S.777 (783f.); A.Dimski, VersR 1999,S.804 (812); U. Karpen, ZRP 1987, S.349 (350f.); W. Melzer, Die demokratische Gemeinde 1969, S. 1166 (1170ff); F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 376. 93 Vgl. namentlich U. Karpen, ZRP 1987, S.349 (350). 94 § 2 Abs. 1 Satz 1 RTSchG in der Fassung vom 8. Januar 1924 (RGBl. 1924,1, S.4) lautet: „Ein Anspruch auf Entschädigung ist nur gegeben, wenn und soweit ohne solche das wirtschaftliche Bestehen des Betroffenen gefährdet würde." 95 § 2 Abs. 1 Satz 2 RTSchG in der Fassung vom 8. Januar 1924 (RGBl. 1924,1, S.4) lautet: „Die Entschädigung darf fünfundsiebzig vom Hundert des festgestellten Schadens nicht überschreiten."

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in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage zu beantworten sein, auf welchen Rechtsgrund die spezialgesetzliche Begründung einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden gestützt werden kann und soll. Insoweit stehen sich die Befürworter einer an der Bedarfssituation der Opfer orientierten sozialstaatlichen Billigkeitshaftung einerseits und die Verfechter einer auf das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung gestützten rechtsstaatlichen Garantiehaftung andererseits gegenüber. Von der Zuordnung der Tumultschädenhaftung zum Rechts- oder zum Sozialstaatsprinzip hängt maßgeblich ab, welche Spielräume der Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung hat. Darüber hinaus gewinnt die Bestimmung des die Risikoübernahme durch den Staat legitimierenden Zurechnungsgrundes möglicherweise auch Bedeutung im Rahmen der Frage, ob eine staatliche Einstandspflicht auf das Feld der Tumultschäden begrenzt werden kann oder notwendige Weiterungen auch für sonstige Fälle zeitigt, in denen Leben, Gesundheit und Eigentum einzelner Bürger durch rechtswidrige Handlungen anderer - zu denken ist hier namentlich an Terrorschäden und sonstige Straftaten - beschädigt werden. Sie muß deshalb beantwortet werden, bevor es möglich ist, am Ende der Untersuchung auf die Einzelheiten eines konkreten Reformvorschlages einzugehen.

1. Kapitel

Der Ersatz von Tumultschäden nach den allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten Will man sich in Ermangelung erfolgversprechender Alternativen wegen der bei Tumulten entstandenen Schäden an den Staat wenden, so stellt das geltende Recht hierfür zum einen eine spezialgesetzliche Regelung in Gestalt des als Landesrecht fortgeltenden Reichstumultschädengesetzes zur Verfügung. Daneben können jedoch grundsätzlich auch die allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstitute, namentlich die Amtshaftung und der enteignungs- bzw. aufopferungsgleiche Eingriff, die den Betroffenen Ersatzansprüche bei schuldhaftem bzw. schuldlosem rechtswidrigem hoheitlichem Handeln gewähren, sowie die Ansprüche aus Aufopferung und enteignendem Eingriff, die staatliche Kompensationspflichten in Fällen rechtmäßigen hoheitlichen Verhaltens begründen1, zur Anwendung kommen. Im folgenden gilt es deshalb zunächst ihre Tauglichkeit für den Ersatz von Tumultschäden zu untersuchen, bevor die Leistungsfähigkeit der spezialgesetzlichen Regelungen vor dem Hintergrund der von verschiedener Seite seit langem erhobenen Forderung nach einer Neuregelung des Tumultschädenrechts einer näheren Überprüfung unterzogen wird.

A. Amtshaftung für Tumultschäden Die besondere Eigenart der deutschen Amtshaftung liegt in ihrer personalen, an den einzelnen Beamten2 als unmittelbares Handlungs- und Zurechnungssubjekt anknüpfenden Konstruktion. Haftungsauslösend wirkt ein rechtswidriges und schuldhaftes deliktisches hoheitliches Handeln des einzelnen Amtswalters, für dessen 1 Vgl. namentlich die Darstellungen des Staatshaftungsrechts bei B. Bender ; Staatshaftungsrecht; H. Maurer ; Allgemeines Verwaltungsrecht, §§25-30; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht; W. Rüfner, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, §§46-50. 2 Damit ist hier und im folgenden stets der Beamte im haftungsrechtlichen Sinne gemeint. Beamter ist danach jeder, der hoheitlich tätig wird. Unerheblich ist demgegenüber für das Amtshaftungsrecht, ob es sich bei der handelnden Person auch um einen Beamten im statusrechtlichen Sinne handelt, d. h. um jemanden, der nach den geltenden Beamtengesetzen wirksam zum Beamten ernannt worden ist. Vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen dem haftungsrechtlich-funktionalen Beamtenbegriff einerseits und dem staats- bzw. statusrechtlichen Beamtenbegriff andererseits F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 13 ff.

3 Kimmel

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

schädigende Folgen der Staat lediglich mittelbar einsteht. Über Art. 34 Satz 1 GG wird die in der Person des Beamten begründete Haftung auf den Staat umgeleitet, der damit im Außenverhältnis zum Geschädigten als allein und ausschließlich Ersatzverpflichteter in Erscheinung tritt 3 . Will jemand auf dem Wege der Amtshaftung vom Staat Ersatz (v)erlangen, so muß er demnach ein Verhalten einer Amtsperson darlegen und beweisen, das den deliktischen Haftungstatbestand des § 839 Abs. 1 BGB erfüllt, also eine schuldhafte Verletzung einer gerade (auch) dem Schutz der Rechtsgüter des Geschädigten dienenden Amtspflicht darstellt, durch die der erlittene Schaden verursacht worden ist. Trotz der personalen Konstruktion nicht erforderlich ist indessen - sofern das pflichtwidrige Verhalten feststeht - die individuelle Feststellung und namentliche Benennung der verantwortlichen Einzelperson4. Geht es nun um eine Amtshaftung des Staates für Tumultschäden, so kommt als haftungsbegründendes Verhalten im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB lediglich ein Unterlassen in Betracht. Der Geschädigte wirft den zuständigen Polizei- bzw. Ordnungsbehörden vor, sie hätten die Tumulte und die aus ihnen resultierenden Schäden nicht durch geeignete Maßnahmen verhindert. Dieser Vorwurf ist jedoch von vornherein nur dann geeignet, einen Amtshaftungsanspruch auszulösen, wenn die Untätigkeit der zuständigen Beamten als Verletzung einer (drittschützenden) Amtspflicht zu bewerten ist. Hinzutreten müssen sodann als weitere Tatbestandsvoraussetzungen des § 839 Abs. 1 BGB ein Verschulden der Beamten sowie die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden, deren Feststellung im Falle eines Unterlassens indessen lediglich hypothetisch möglich ist5 und sich daher in aller Regel schwieriger gestaltet als bei positivem Tun.

I. Die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht durch das Nichtverhindern der Tumultschäden seitens der zuständigen Behörden Zu den Amtspflichten, die jeder Amtswalter im Rahmen seiner hoheitlichen Tätigkeit zu beachten hat, zählt namentlich diejenige zu rechtmäßigem Verhalten6. Um beurteilen zu können, ob sich das Nichteinschreiten der zuständigen Polizei- bzw. Ordnungsbehörden gegen drohende oder bereits ausgebrochenen Tumulte als rechts- und damit amtspflichtwidrig darstellt, ist deshalb zunächst zu ermitteln, ob und welche Maßnahmen die zuständigen Beamten zur Verhinderung oder Unterbin3 Vgl. zu dieser personalen Konstruktion der Amtshaftung näher F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.6ff. 4 So bereits RGZ 100, 102 (103); außerdem BGH, WM 1960, S. 1304 (1305); B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 173; H. Thomas, in: Palandt, BGB, § 839, Rn. 27. 5 Vgl. F.-J. Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn.413. 6 Vgl. nur F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.43f.

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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dung der Tumulte hätten ergreifen können oder müssen. Es stellt sich mit anderen Worten die Frage, ob und auf welcher Rechtsgrundlage ein Einschreiten gegen die Tumultuanten überhaupt in Betracht gekommen wäre 7. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung dieser Frage wegen der verfassungsrechtlichen Implikationen, die ein Vorgehen gegen eine versammelte Menschenmenge mit Blick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in sich birgt. Die Suche nach einer einschlägigen Ermächtigungsgrundlage muß deshalb stets eingedenk der Bedeutung des Art. 8 GG erfolgen. 1. Die Bestimmung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage(n) Sedes materiae der in Betracht kommenden Vorschriften ist das (allgemeine und besondere) Polizei- und Ordnungsrecht, denn bei der Unterbindung von Tumulten handelt es sich um eine präventiv-polizeiliche Aufgabe. Es geht darum, Schäden an Leben, Gesundheit und Eigentum zu verhindern und dadurch eine bevorstehende Gefahr oder bereits eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen. Bei der Suche nach der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage ist allerdings zu beachten, daß das Versammlungsgesetz als sonderordnungsrechtliche lex specialis grundsätzlich Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen landesrechtlichen Polizeiund Ordnungsgesetzen entfaltet 8. Lediglich außerhalb des von der Sperrwirkung erfaßten Regelungsbereichs ist ein Rückgriff auf die allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Eingriffsermächtigungen möglich und zulässig. Eine Versammlung fällt indessen nicht bereits dann gleichsam automatisch aus dem Anwendungs- und Regelungsbereich des VersG heraus, wenn sie einen (teilweise) unfriedlichen Verlauf nimmt, der zum Verlust des Grundrechtsschutzes nach Art. 8 Abs. 1 GG führt 9. Maßnahmen zur Beendigung einer solchen Versammlung richten sich vielmehr in vollem Umfang nach den Vorschriften des VersG. Etwas anderes gilt nur in den (seltenen) Fällen, in denen sich die zusammengerottete Menschenmenge - etwa eine größere Gruppe randalierender Fußballfans - von Beginn an insgesamt aggressiv und gewalttätig verhält und sich damit außerhalb dessen bewegt, was begrifflich dem Versammlungswesen10 im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 7

Vgl. hierzu ausführlich T. Burfeind, Polizeiliche Maßnahmen gegen gewalttätige Demonstranten; außerdem M. Kniesel, RuP 1988, S.203 (204f.). 8 So die ganz h. M., vgl. nur A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 1, Rn. 188; K.H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 26 a. 9 So zutreffend VGH Mannheim, VB1BW 1986, S.299 (303); M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S. 293 (296); M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn. 207; U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.221. 10 Zur inhaltlichen Bedeutungsgleichheit des in der Entwurfsphase des GG ursprünglich verwendeten Begriffs des „Versammlungswesens" und des Terminus des „Versammlungsrechts", der in den endgültigen Verfassungstext Eingang gefunden hat, vgl. H. von Mangoldtl F. Klein!C. Pestalozzi GG, Art. 74, Rn. 206. *

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

GG unterfallen kann 1 1 . Hier findet das VersG von vornherein keine Anwendung und steht einem unmittelbaren Zugriff auf die Eingriffsbefugnisse nach den allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetzen nicht entgegen 12 . Die polizeilichen Standmaßnahmen wie die Platzverweisung 13 oder die Ingewahrsamnahme 14 erlauben daher ein unmittelbares Vorgehen gegen die einzelnen Gewalttäter, ohne daß hierbei auf Art. 8 Abs. 1 GG oder die Sperrwirkung des VersG Rücksicht genommen werden müßte. Allerdings können diese Maßnahmen aus tatsächlichen Gründen in der Mehrzahl der Fälle erst getroffen werden, wenn sich die allein und ausschließlich zur Begehung von Gewalttätigkeiten entschlossene Menschenmenge bereits zusammengerottet hat. Da die Zusammenrottung in aller Regel ungeplant und ohne vorherige Ankündigung erfolgt - etwa nach der Niederlage der unterstützten Fußballmannschaft oder durch ein zufälliges Zusammentreffen rivalisierender Fangruppen 15 - , sind die Behörden zumeist nicht in der Lage, bereits i m Vorfeld die potentiellen Randalierer zu identifizieren und durch geeignete Maßnahmen von vornherein an der Ausübung von Gewalttätigkeiten zu hindern. Etwas anderes kann 11 VGH Mannheim, VB1BW 1986, S.299 (303); U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 221. 12 So ausdrücklich VGH Mannheim, VB1BW 1986, S.299 (303); M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S.293 (296); M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn.207; U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.221; a. A. offenbar A. Bertuleit! F. Steinmeier, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 1, Rn. 42; nicht eindeutig A. DietellK. Gintzel/M. Kniesel, Demonstration- und Versammlungsfreiheit, § 1, Rn. 188. 13 Vgl. § 12 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: § 3 PolG BW; Art. 16 Satz 1 BayPAG; § 29 Abs. 1 Satz 1 ASOG Bin; § 16 Satz 1 BbgPolG; § 14 Satz 1 BremPolG; § 12a HbgSOG; § 31 Satz 1 HessSOG; § 52 Satz 1 SOG MV; § 17 Abs. 1 Satz 1 NdsGefAG; § 34 Satz 1 PolG NW; § 13 Satz 1 RhPfPOG; § 12 Satz 1 SaarlPolG; §21 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG; §36 Satz 1 SOG LSA; §201 Satz 1 LVerwG SH; § 18 Satz 1 ThürPAG. 14 Vgl. zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Ingewahrsamnahme § 13 Abs. 1 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: §28 Abs. 1 PolG BW; Art. 17 Abs. 1 BayPAG; §30 Abs. 1 ASOG Bin; § 17 Abs. 1 BbgPolG; § 15 Abs. 1 BremPolG; § 13 Abs. 1 HbgSOG; §32 Abs. 1 HessSOG; § 55 Abs. 1 SOG MV; § 18 Abs. 1 NdsGefAG; § 35 Abs. 1 PolG NW; § 14 Abs. 1 RhPfPOG; § 13 Abs. 1 SaarlPolG; §22 Abs. 1 SächsPolG; §37 Abs. 1 SOG LSA; §204 Abs. 1 LVerwG SH; § 19 Abs. 1 ThürPAG. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme entsprechen die einzelnen landesrechtlichen Vorschriften weitgehend dem ME PolG; insbesondere kennen sie alle den sog. Präventivgewahrsam zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr. Unterschiede bestehen demgegenüber im Hinblick auf die zulässige Höchstdauer der Ingewahrsamnahme: Während die festgehaltene Person in einem Teil der Bundesländer spätestens 24 Stunden bzw. am Ende des Tages nach dem Ergreifen zu entlassen ist, erlauben andere Bundesländer eine polizeiliche Ingewahrsamnahme nach richterlicher Anordnung auch für einen längeren Zeitraum (§21 Satz 2 2. Halbsatz NdsGefAG und § 40 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 2. Halbsatz SOG LSA: 4 Tage; § 22 Nr. 3 Satz 2 2. Halbsatz ThürPAG: 10 Tage; § 28 Abs. 3 Satz 4 2. Halbsatz PolG BW, Art. 20 Satz 2 BayPAG und § 22 Abs. 7 Satz 3 2. Halbsatz SächsPolG: 2 Wochen; § 13 Abs. 1 a.E. BremPolG und §204 Abs. 5 Satz 2 a. E. LVerwG SH: ohne zeitliche Beschränkung). 15 Vgl. H. Stein, Haftungsrechtliche Folgen von Zuschauerausschreitungen bei Massensportveranstaltungen, S. 344.

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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lediglich dann gelten, wenn behördlich bekannte und erfaßte „Berufsrandalierer" bei einer Ausweiskontrolle im Vorfeld einer Sportveranstaltung (zufällig) auffallen. Im allgemeinen lassen es die tatsächlichen Umstände jedoch nicht zu, bereits die Zusammenrottung der Randalierer und damit die Entstehung der gewaltträchtigen Situation zu verhindern; sie gestatten ein polizeiliches Einschreiten vielmehr erst dann, wenn es schon zu ersten Gewalttätigkeiten gekommen ist. Die weitaus überwiegende Anzahl von Tumultschäden wird indessen nicht durch randalierende Fußballfans oder andere von vornherein insgesamt unfriedliche und aggressive Menschengruppen verursacht, sondern dadurch, daß es im Laufe einer von den Veranstaltern und der Mehrheit der Teilnehmer ursprünglich als friedlich geplanten Demonstration zu einem Übergreifen der Gewaltbereitschaft einzelner oder einer Minderheit auf weite(re) Teile des Kollektivs kommt. Auch hier erweist sich aber der aus der Perspektive der Opfer sicherste und wirksamste Weg, entweder die Durchführung der gesamten Veranstaltung oder zumindest die Teilnahme der von vornherein zur Begehung von Gewalttätigkeiten Entschlossenen an ihr zu verhindern, nur selten als gangbar. Dies hat - wie sogleich zu zeigen sein wird - nicht nur tatsächliche, sondern auch und vor allem rechtliche Gründe. Zentrale Bedeutung gewinnt deshalb die weitere Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten die zuständigen Behörden haben, um zum Zwecke der Schadensverhütung gegen eine in der Öffentlichkeit in ursprünglich friedlicher Absicht bereits versammelte Menschenmenge einzuschreiten, sobald aus ihr heraus Gewalttätigkeiten begangen werden oder in Kürze zu erwarten sind. a) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld der Versammlung Will die zuständige Behörde bereits im Vorfeld einer Versammlung durch geeignete Maßnahmen der späteren Entstehung von Tumulten vorbeugen, so bietet sich hierfür neben dem Verbot der gesamten Veranstaltung insbesondere ein Vorgehen gegen die von vornherein zu Gewalttätigkeiten bereiten und entschlossenen Einzelpersonen an. aa) Das präventive Verbot der gesamten Versammlung gemäß § 15 Abs. 1 VersG Gemäß § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Die Untersagung einer Versammlung, die als friedliche geplant war, jedoch einen unfriedlichen Verlauf nimmt und zu Tumulten ausartet, auf der Grundlage dieser Vorschrift kommt indessen im Regelfall sowohl aus tatsächlichen wie auch aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

Zum einen scheidet die Möglichkeit eines präventiven Verbots bereits rein faktisch in den Fällen aus, in denen eine vorherige Anmeldung der Versammlung entgegen § 14 VersG vorschriftswidrigerweise unterblieben ist oder im Hinblick auf den spontanen Charakter einer sich aus aktuellem Anlaß bildenden Versammlung aus verfassungsrechtlichen Gründen entbehrlich war 16 . Verfügen die für ein Verbot zuständigen Behörden mithin nicht oder nicht rechtzeitig über die notwendigen Informationen, haben sie insbesondere keine Kenntnis davon, daß überhaupt eine Versammlung stattfindet und ob von ihr eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht, so sind sie auch nicht imstande, präventive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen. Doch selbst wenn im vorhinein konkrete Anhaltspunkte für die Gewaltbereitschaft einzelner Teilnehmer einer angemeldeten Versammlung vorhanden und den zuständigen Behörden bekannt sind, so ist zu berücksichtigen, daß die Auslegung und Anwendung der Verbotsnorm des § 15 Abs. 1 VersG aufgrund ihrer - massiven - grundrechtsbeschränkenden Wirkung stets im Lichte des Art. 8 Abs. 1 GG erfolgen muß17. Die Versammlungsfreiheit ist nicht als Grundrecht der Versammlung, sondern als Grundrecht des einzelnen Versammlungsteilnehmers formuliert und garantiert 18. Bei der im Ermessen der zuständigen Behörde stehenden Entscheidung über die Verhängung eines präventiven Verbots der gesamten Veranstaltung ist demgemäß in Rechnung zu stellen, daß hierdurch den friedlich gesonnenen Demonstranten die Ausübung ihrer grundrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit von vornherein unmöglich gemacht wird. Ein Fortfall des Grundrechtsschutzes für die Gesamtheit der Teilnehmer tritt - legt man die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Brokdorf-Beschluß zugrunde 19 - demgegenüber erst ein, wenn damit zu rechnen ist, daß die Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt 20 oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen. Solange eine derartige Unfriedlichkeit der gesamten Versammlung weder eingetreten noch zu erwarten ist, verlieren hingegen nur die gewaltbereiten bzw. gewalttätigen Demon16 Vgl. zu der insoweit gebotenen verfassungskonformen Auslegung und Handhabung der in § 14 Abs. 1 VersG statuierten Anmeldepflicht im Hinblick auf Spontanversammlungen BVerfGE 69, 315 (350) - Brokdorf; außerdem M. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 143, Rn.28f.; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 8, Rn.48f. 17 So in Übernahme der im Lüth-Urteil (BVerfGE 7, 198 [208]) zur Meinungsfreiheit entwickelten Rechtsprechung BVerfGE 69,315 (348 f.) - Brokdorf; eingehend auch F. Ossenbühl, Der Staat 1971, S.53 (70ff.). 18 So besonders deutlich R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8, Rn. 36 und 116; vgl. außerdem H.D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8, Rn. 8. 19 BVerfGE 69, 315 (361) - Brokdorf; vgl. auch M. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 143, Rn.65; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 8, Rn.56. 20 Schwierig zu bestimmen ist hier freilich, von welchem (Zeit-)Punkt an das unfriedliche Verhalten einer größeren Zahl von Teilnehmern einen unfriedlichen Verlauf der gesamten Veranstaltung erwarten läßt. Vgl. zu diesen Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall C. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 8, Rn. 24; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8, Rn. 34; M. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, § 143, Rn.41.

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stranten den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG. Anderenfalls hätten sie es in der Hand, die Realisierung der Versammlungsfreiheit durch friedliche Veranstalter und Teilnehmer faktisch außer Kraft zu setzen21. Namentlich bei Großdemonstrationen würde der Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG damit quasi leerlaufen, da sich hier nahezu immer Erkenntnisse über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen22. Charakteristisch für die hier zu untersuchenden Sachverhalte ist indessen, daß das Übergreifen der Gewaltbereitschaft einzelner auf weitere Teile der ursprünglich in friedlicher Absicht versammelten Menschenmenge in aller Regel nicht vorhersehbar ist, sondern vielmehr aus den konkreten Umständen des Augenblicks und der Eigengesetzlichkeit kollektiven Handelns entspringt. Ob aufgrund der Gewaltbereitschaft einzelner die Lage dergestalt eskaliert, daß die eigentlich als friedlich geplante Versammlung in einen Tumult ausartet, hängt zumeist von situationsbedingten Faktoren wie etwa der Stimmung unter den übrigen Demonstranten und ihrer Bereitschaft zur spontanen Solidarisierung mit den Gewalttätern ab, die sich einer objektiven und zuverlässigen Ex-ante-Einschätzung entziehen23. Fehlt es mithin im Regelfall an konkreten Anhaltspunkten, die eine Unfriedlichkeitsprognose bezüglich der gesamten Veranstaltung gestatten, so ist ein präventives Verbot zwar nicht völlig ausgeschlossen24, mit Rücksicht auf die grundrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit der friedlichen Teilnehmer jedoch als ultima ratio anzusehen25 und nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter zulässig26. Um den friedlichen Teilnehmern nicht von vornherein die Chance einer Grundrechtsausübung abzuschneiden, ist deshalb aus Gründen der Verhältnismäßigkeit27 in aller Regel insbesondere 21

A. Dietel/K. GintzellM. Kniesel, Demonstration- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn.29; vgl. auch BVerfGE 69, 315 (361)-Brokdorf. 22 BVerfGE 69, 315 (361) - Brokdorf; vgl. auch J.A. Frowein, NJW 1985, S. 2376 (2378); W.-R. Schenke, JZ 1986, S.35 (36). 23 Ähnlich C. Gusy, JuS 1986, S.608 (609, 613). 24 Vgl. zu einem für rechtmäßig erachteten Versammlungsverbot VGH Mannheim, NVwZRR 1994, S. 87 (88 f.). 25 BVerfGE 69, 315 (362) - Brokdorf. Voraussetzungen für ein verfassungsrechtlich zulässiges Verbot der gesamten Versammlung sind danach eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvollen Alternativmaßnahmen (BVerfGE 69, 325 [349, 362]). Für die Anwendung des einfachen (Polizei-)Rechts bedeuten diese verfassungsrechtlichen Vorgaben, daß ein Vorgehen gegen eine nicht kollektiv unfriedliche Versammlung als Ganzes nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes (friedliche Teilnehmer = Nichtstörer) statthaft ist; vgl. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8, Rn. 117; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 8, Rn. 28; zu den Voraussetzungen der polizeilichen Nichtstörerhaftung vgl. § 6 ME PolG. 26 BVerfGE 69, 315 (349) - Brokdorf. 27 Vgl. zur ermessenseinschränkenden Einwirkung des Art. 8 Abs. 1 GG auf § 15 Abs. 1 VersG über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S. 293 (296 f.). Allgemein zur Bedeutung der Grundrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen von Ermessensentscheidungen etwa H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn. 23; F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 18.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

eine spätere Auflösung - etwa zu dem Zeitpunkt, in dem sich eine „Infektion" weiter Teilnehmerkreise durch die von vornherein gewaltbereite Minderheit herauskristallisiert - als milderes Mittel vorzuziehen 28. bb) Vorfeldmaßnahmen gegen Einzelpersonen Als gegenüber einem präventiven Verbot der gesamten Versammlung weniger einschneidendes Mittel könnte sich zudem ein Vorgehen ausschließlich gegen die potentiellen Gewalttäter darstellen. In Betracht käme insoweit namentlich die Einrichtung von Kontrollstellen an den Zugangswegen zum Versammlungsort mit dem Ziel, Waffen und sonstige gefährliche Gegenstände aus dem Verkehr zu ziehen und die Gewalttäter am Zutritt zur Veranstaltung zu hindern. Das VersG sieht indessen als einzige Maßnahme im Vorfeld einer Versammlung das Versammlungsverbot vor; für Vorfeldmaßnahmen, die sich lediglich gegen Einzelpersonen richten, bietet es demgegenüber keine Handhabe. Gleichwohl werden Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen von Personen und Sachen sowie die Sicherstellung von hierbei gefundenen Waffen und gefährlichen Gegenständen an eingerichteten Kontrollstellen auf der Grundlage der allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze unter Hinweis auf den im Vorfeldbereich erkennbar nicht abschließenden Regelungsgehalt des VersG grundsätzlich für statthaft erachtet 29 . Die Befugnis zur Identitätsfeststellung ist dabei in den meisten Bundesländern dergestalt gefahrenunabhängig ausgestaltet, daß sie an jeder polizeilichen Kontrollstelle, die im Zusammenhang mit einer Versammlung eingerichtet worden ist, ohne weitere Anhaltspunkte gegenüber allen anreisenden Personen durchgeführt werden darf 30 . Im übrigen kann die Identitätsfeststellung 31 - ebenso wie die Durchsuchung 28 BVerfGE 69, 315 (362) - Brokdorf; vgl. auch BVerwG, NJW 1982, S. 1008; A. Dietelf K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn.29; J.A. Frowein, NJW 1985, S.2376 (2378). 29 Vgl. aus der Rechtsprechung OVG Münster, DÖV 1982, S.551 (552); VG Würzburg, NJW 1980, S. 2541; auch BVerwG, NJW 1982, S. 1008 f.; aus der Literatur etwa Drews/WakkelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 177; M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S.293 (294); C. Gusy, Polizeirecht, Rn. 341; Th. Würtenberger/D. Heckmann/R. Riggert, Polizeirecht in BadenWürttemberg, Rn. 197. 30 Vgl. §9 Abs. 1 Nr. 4 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 BayPAG; § 12 Abs. 1 Nr. 4 BbgPolG; § 11 Abs. 1 Nr. 3 BremPolG; §4 Abs. 1 Nr. 4 Hbg. Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (GVB1. 1991,1, S. 187 [191 ff.]); § 18 Abs. 2 Nr. 5 HessSOG; §29 Abs. 1 Satz 2 Nr.4d) SOG MV; § 13 Abs. 1 Nr. 4 NdsGefAG; § 12 Abs. 1 Nr. 4 PolG NW; § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 RhPfPOG; § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 a) SächsPolG; § 20 Abs. 2 Nr. 5b) SOG LSA; § 181 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4d) LVerwG SH; § 14 Abs. 1 Nr.4 ThürPAG; vgl. dazu H. Wagner, AK-PolG NW, § 9, Rn 32 ff. 31 Lediglich Baden-Württemberg, Berlin (!) und das Saarland kennen keine spezielle Ermächtigungsvorschrift für Identitätsfeststellungen an polizeilichen Kontrollpunkten, die im Zusammenhang mit Versammlungen (zulässigerweise) eingerichtet wurden. Identitätsfeststellungen können dort daher ausschließlich auf der Grundlage der allgemein-präventiven Vorschriften der § 26 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW, § 21 Abs. 1 ASOG Bin und § 9 Abs. 1 Nr. 1 SaarlPolG

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von Personen und Sachen , für die es an einer vergleichbaren Spezialregelung fehlt - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für polizeiliches Einschreiten als sog. Gefahrerforschungseingriff bereits bei Vorliegen eines objektiven Gefahrenverdachts angeordnet werden 34. In dem Bemühen, die Effektivität präventiver Polizeieinsätze zur Sicherung der Gewaltfreiheit von Versammlungen zu gewährleisten, sieht die Rechtsprechung einen Verdacht auf das Mitführen von Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen hierbei bereits dann als gegeben an, wenn sich eine Person auf dem Weg zu einer Demonstration befindet, bei der nach den Aufklärungserkenntnissen der Polizei und den Erfahrungen mit früheren vergleichbaren Veranstaltungen mit gewalttätigen Aktionen gerechnet werden muß35. Mit Blick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, das auch bereits die Anreise zu einer Versammlung umfaßt 36, ist jedoch sicherzustellen, daß durch diese Vorfeldkontrollen die Teilnahme an der Versammlung für die in friedlicher Absicht anreisenden Personen weder zeitlich beschränkt noch unmöglich gemacht wird 37 . Unzulässig ist es deshalb etwa, durch schleppende Abfertigung an den eingerichteten Kontrollstellen nicht nur bewaffneten oder erkennbar unfriedlichen Personen, sondern auch denjenigen Teilnehmern, die friedlich und unbewaffnet sind, den Zugang zur Versammlung unzumutbar zu erschweren oder sogar ganz zu verwehren 38. Aus diesem Grund dürfen auch Platzverweis 39 und Ingewahrsamnahme als Maßnahmen, die eine Grundrechtsbetätigung der Betroffenen unmöglich machen, nur (Identitätsfeststellung zum Zwecke der Abwehr einer polizeilichen Gefahr) durchgeführt werden. 32 Vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 2 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: § 29 Abs. 1 Nr. 2 PolG BW; Art. 21 Abs. 1 Nr. 1 BayPAG; § 34 Abs. 1 Nr. 1 ASOG Bin; § 12 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG; § 19 Abs. 1 Nr. 2 BremPolG; § 15 Abs. 1 Nr. 2 HbgSOG; §36 Abs. 1 Nr. 1 HessSOG; § 53 Abs. 1 Nr. 1 SOG MV; § 22 Abs. 1 Nr. 2 NdsGefAG; § 39 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW; § 18 Abs. 1 Nr.2RhPfPOG; § 17 Abs. 1 Nr. 1 SaarlPolG; §23 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG; §41 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA; § 202 Abs. 1 Nr. 1 LVerwG SH; § 23 Abs. 1 Nr. 2 ThürPAG. 33 Vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: § 30 Nr. 1 und 3 PolG BW; Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BayPAG; § 35 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ASOG Bin; § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BbgPolG; § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BremPolG; § 15 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 HbgSOG; § 37 Abs. 1 Nr. 1 und 3 HessSOG; § 57 Nr. 1 und 2 SOG MV; § 23 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NdsGef AG; § 40 Abs. 1 Nr. 1 und 3 PolG NW; § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 3 RhPfPOG; § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SaarlPolG; § 24 Nr. 1 und 3 SächsPolG; § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SOG LSA; § 206 Nr. 1 und 2 LVerwG SH; § 24 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ThürPAG. 34 OVG Münster, DÖV 1982, S. 551 (552); vgl. auch D. Birk, JuS 1982, S. 496 (498) zu VG Würzburg, NJW 1980, S.2541. Zur Figur des Gefahrenverdachts allgemein etwa Drews/Wakke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S.226f.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 154 ff. 35 OVG Münster, DÖV 1982, S.551 (553). 36 BVerfGE 69, 315 (349) - Brokdorf; BVerfGE 84, 203 (209). 37 OVG Münster, DÖV 1982, S. 551 (552); aus der Literatur zustimmend etwa Drews/WakkelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 177; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.501; W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn. 142. 38 BVerfGE 69, 315 (349) - Brokdorf; BVerfGE 84, 203 (209). 39 In Gestalt des Platz- bzw. Betretungsverbotes.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

gegenüber solchen Personen angeordnet werden, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit 4 0 i m Verlauf der Veranstaltung unfriedliches Verhalten zu erwarten ist, das Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum Dritter in sich birgt. Zudem ist - nicht zuletzt mit Blick auf den bei allen polizeilichen Maßnahmen zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 41 - zu fordern, daß die Gefahr nicht bereits durch Sicherstellung der mitgeführten Waffen und gefährlichen Gegenstände 42 gebannt werden kann. Platzverweis und Ingewahrsamnahme können damit i m Ergebnis allenfalls gegenüber solchen bewaffneten Personen rechtmäßig verhängt werden, bei denen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer den Behörden als gewalttätig und militant bekannten Szene oder Organisation nicht damit zu rechnen ist, daß eine Entwaffnung sie an der Begehung von Gewalttätigkeiten hindern wird. Werden die entsprechenden Vorschriften der allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze in diesem Sinne gehandhabt, so begegnet ihre Anwendung auch im Hinblick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken 43 , denn auf Art. 8 Abs. 1 GG - der von den Polizeigesetzen nicht als einschränkbares Grundrecht genannt wird - können sich Teilnahmewillige mit erkennbar unfriedlichen Absichten nicht berufen. Eine effektive Verhinderung von Tumulten und Tumultschäden bewirken die genannten Vorfeldmaßnahmen freilich nur dann, wenn es dabei tatsächlich gelingt, die 40

Eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose verlangt BVerfGE 69, 315 (362) aus verfassungsrechtlichen Gründen für das präventive Verbot der gesamten Versammlung. Da auch ein Platzverweis oder eine Ingewahrsamnahme einzelner Personen im Vorfeld der Versammlung ihnen die Chance der Grundrechtsausübung von vornherein abschneidet, sind hier bei der Gefahrenprognose die gleichen (strengen) Maßstäbe anzulegen. 41 Vgl. § 2 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: § 5 PolG BW; Art. 4 BayPAG; § 11 ASOG Bin; § 3 BbgPolG; § 3 BremPolG; §4 HbgSOG; §4 HessSOG; § 15 SOG MV; §4 NdsGefAG; § 2 PolG NW; § 2 RhPfPOG; § 2 SaarlPolG; § 3 SächsPolG; § 5 SOG LSA; § 4 ThürPAG. Lediglich im LVerwG SH ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen nicht ausdrücklich verankert. Als verfassungsrechtlicher Grundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) seine Stütze findet, beansprucht er aber auch dort uneingeschränkt Geltung. 42 Vgl. § 21 ME PolG sowie die landesrechtlichen Vorschriften: § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW; Art. 25 Nr. 1 BayPAG; § 38 Nr. 1 ASOG Bin; § 25 Nr. 1 BbgPolG; § 23 Nr. 2 BremPolG; § 14 Abs. 1 lit. a) HbgSOG; §40 Nr. 1 HessSOG; §61 Abs. 1 Nr. 1 SOG MV; §26 Nr. 1 NdsGefAG; §43 Nr. 1 PolG NW; §22 Nr. 1 RhPfPOG; §21 Nr. 1 SaarlPolG; §27 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG; § 45 Nr. 1 SOG LSA; § 210 Abs. 1 Nr. 1 LVerwG SH; § 27 Nr. 1 ThürPAG. 43 Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts mit Blick auf das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG werden namentlich vorgebracht von VG Bremen, NVwZ 1989, S. 895 (896); OVG Bremen, NVwZ 1990, S. 1188 (1190); M. Breitbach/D. Deiseroth/U. Rühl, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 15, Rn. 298; C. Gusy, Polizeirecht, Rn. 341. Ob diese Einwände durchgreifen, kann vorliegend indessen dahinstehen, da Adressaten derjenigen polizeilichen Maßnahmen, die sich auf die allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze stützen, ausschließlich gewalttätige Versammlungsteilnehmer sind. Grundlage für Verfügungen, die gegen die gesamte Veranstaltung und damit auch gegen friedliche Demonstranten gerichtet sind, ist demgegenüber ausschließlich das VersG, das seinerseits mit der Vorschrift des § 20 VersG dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung trägt.

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potentiellen Gewalttäter herauszufiltern. Abgesehen davon, daß die Durchführung von Vorfeldkontrollen nur bei angemeldeten und geplanten Versammlungen überhaupt in Betracht kommt und es - namentlich bei Großdemonstrationen - auch dann logistisch kaum möglich sein wird, alle anreisenden Teilnehmer anzuhalten und zu überprüfen, hängt eine Aussonderung der potentiellen Gewalttäter damit wesentlich davon ab, daß sie als solche erkennbar sind. Werden bei einer Durchsuchung - die als Gefahrerforschungseingriff gegenüber jedem erfolgen darf, der sich auf der Anreise zu einer Veranstaltung befindet, bei der mit Gewalttätigkeiten zu rechnen ist - hingegen keine Waffen oder andere gefährlichen Gegenstände gefunden, so dürften Platzverweis und Ingewahrsamnahme als weitere polizeiliche Maßnahmen angesichts ihrer grundrechtsverhindernden Wirkung selbst dann unzulässig sein, wenn die betreffenden Personen den Behörden als einer gewalttätigen und militanten Szene zugehörig bekannt sind44. Gerade in dem aus grundrechtlicher Sicht besonders sensiblen Vorfeldbereich verbietet es sich, die Anforderungen an das Vorliegen einer polizeilichen Gefahr zu weit abzusenken. Geht es nicht mehr lediglich um die Gefahrerforschung, so dürfen präventiv-polizeiliche Maßnahmen nur dann angeordnet werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, daß auch und gerade von der betreffenden Person eine konkrete Gefahr ausgeht. Allein die Zugehörigkeit zu einer einschlägig bekannten Szene vermag indessen allenfalls eine abstrakte Gefahr zu begründen, während eine konkrete Gefahr erst bei Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte - zu denken ist hier für den Fall, daß bei der angehaltenen Person keine Waffen oder anderen gefährlichen Gegenstände gefunden werden, etwa an einen Aufruf der betreffenden Szene zu Gewalttätigkeiten gerade bei der bevorstehenden Versammlung sowie eine Beteiligung gerade der betreffenden Person an vergleichbaren Aktionen bei früheren Gelegenheiten - angenommen werden kann. cc) Resümee Sowohl das spezialgesetzliche als auch das allgemeine präventiv-polizeiliche Eingriffsinstrumentarium bieten nur selten eine Handhabe, um bereits im Vorfeld einer Versammlung Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Entstehung von Tumultschäden infolge eines Übergreifens der Gewaltbereitschaft einzelner Teilnehmer auf weitere Teile des Kollektivs im Laufe der Versammlung zu verhindern. Einerseits kann eine sog. gemischte Versammlung, an der zwar eine von vornherein zur Begehung von Gewalttätigkeiten bereite und entschlossene Minderheit teilnimmt, die jedoch von den Veranstaltern und der Mehrheit der Teilnehmer als friedliche geplant ist 45 , mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine kollektive Unfriedlichkeit kaum jemals zulässigerweise nach § 15 Abs. 1 VersG verboten werden. 44

Vgl. M. Kniesel, RuP 1988, S.203 (211). Vgl. die Verwendung und Definition des Begriffs der „gemischten Versammlung" bei M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn.425. 45

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Zum anderen kommt eine Entwaffnung und Eliminierung der späteren Gewalttäter mittels Durchsuchung, Sicherstellung, Platzverweis und Ingewahrsamnahme bereits im Vorfeld der Versammlung nur in Betracht, wenn diese sich als solche zu erkennen geben oder der Polizei als solche bekannt sind. Von vornherein nicht ausgesondert werden können auf diesem Wege demgegenüber diejenigen Personen, die erst im Laufe der Veranstaltung den Entschluß zu Gewalttätigkeiten fassen und sich zu ihrer Begehung entweder der eigenen Körperkraft oder solcher Gegenstände bedienen, die - man denke etwa an Gläser, Flaschen oder Steine - noch während der Versammlung ohne weiteres beschafft werden können. Die für Tumulte typische Gefahr einer Eskalation der Gewalt durch die „Infektion" der ursprünglich friedlich gesonnenen Mehrheit der Demonstrationsteilnehmer kann deshalb durch präventivpolizeiliche Maßnahmen bei Vorfeldkontrollen auf der Grundlage der allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze zwar möglicherweise verringert, nicht jedoch auch nur annähernd vollständig gebannt werden. b) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Verlauf der Versammlung Erweisen sich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr bereits im Vorfeld der Versammlung mithin nur bedingt tauglich, um spätere Tumultschäden zu verhindern, so richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Möglichkeit und Zulässigkeit von polizeilichen Eingriffen im Verlauf der Veranstaltung. In Betracht kommt hier zum einen die Auflösung der gesamten Versammlung auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 VersG. Zum anderen sind aber insbesondere auch solche Maßnahmen in die Untersuchung einzubeziehen, die sich nur gegen die (einzelnen) Gewalttäter richten. aa) Die Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG Die nachträgliche Auflösung einer Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG ist namentlich dann rechtlich möglich und zulässig, wenn nunmehr die Voraussetzungen vorliegen, unter denen auch ein präventives Verbot hätte ausgesprochen werden können, wenn sich also herausstellt, daß die weitere Durchführung der Versammlung eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bedeuten würde. Die Auflösung ist damit im besonderen zur Beendigung solcher Versammlungen geeignet, die infolge eines Übergreifens der Gewaltbereitschaft einzelner Teilnehmer insgesamt unfriedlich geworden sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze zu werden drohen 46. Hat die zuständige Behörde 47 mit Rücksicht auf das 46

Vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, S. 886. Welche Behörde für die Entscheidung über die Verhängung eines präventiven Verbots nach § 15 Abs. 1 VersG zuständig ist, richtet sich nach Landesrecht. Im Regelfall bestimmen die Landesgesetze die Polizeiverwaltungs- bzw. Ordnungsbehörden zu den zuständigen Versammlungsbehörden; vgl. A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versamm47

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Grundrecht der Versammlungsfreiheit der mangels hinreichend sicherer gegenteiliger Anhaltspunkte im Vorfeld als friedlich einzustufenden Mehrheit der Teilnehmer von einem präventiven Verbot der gesamten Versammlung oder Demonstration abgesehen, obwohl mit Ausschreitungen einer gewaltbereiten Minderheit zu rechnen war, so erlaubt es das gleichfalls in ihrem Ermessen48 stehende Mittel der nachträglichen Auflösung der Polizei 49 , in dem Moment die gesamte Veranstaltung zu beenden, in dem eine kollektive Unfriedlichkeit eingetreten ist oder jedenfalls unmittelbar bevorsteht50. Darüber hinaus bietet die nachträgliche Auflösung eine Handhabe auch in den Fällen, in denen ein präventives Verbot mangels Anmeldung der Veranstaltung bereits rein faktisch nicht möglich war 51 . Jedoch ist das Mittel der nachträglichen Auflösung ebenso wie das des präventiven Verbots stets gegen die gesamte Versammlung gerichtet; ein Vorgehen nur gegen die Gewalttäter erlaubt es nicht. Solange die Gewaltbereitschaft der Minderheit noch nicht auf weitere Kreise des Kollektivs übergegriffen hat und auch nicht die konkrete Gefahr eines solchen Übergreifens besteht, begegnet eine Auflösung der gesamten Veranstaltung vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 1 GG daher - ebenso wie das präventive Verbot - verfassungsrechtlichen Bedenken52. Um einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Versammlungsgrundrecht der friedlichen Teilnehmer zu vermeiden, sind deshalb primär solche polizeilichen Maßnahmen zu ergreifen, die sich allein und ausschließlich gegen die Gewalttäter richten. Sie würden den zuständigen Behörden zudem ein Einschreiten bereits zu einem früheren Zeitpunkt ermöglichen, müßten diese doch nicht abwarten, bis hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die (bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende) Gefahr einer kollektiven Unfriedlichkeit vorliegen. Tumultschäden könnten auf diese Weise wirksamer und besser verhütet werden. Lediglich wenn sich unter den gegebenen Umständen gewalttätige und friedliche Demonstranten nicht voneinander unterscheiden oder jedenfalls nicht voneinander trennen lassen und damit ein isoliertes Vorgehen nur gegen die Gewalttäter als milderes Mittel einsatztechnisch unmöglich erscheint, kann ausnahmsweise die Auflölungsfreiheit, § 15, Rn. 129; § 14, Rn. 17 sowie Anhang 8 (S. 407 ff.); S. OttlH. Wächtler, VersG, § 15, Rn. 56 sowie Anhang 5 (S. 306ff.). 48 Vgl. A. Dietel, DVB1. 1969, S.569. 49 Zuständig für die Entscheidung über die Auflösung einer Versammlung und die Verhängung nachträglicher Auflagen nach § 15 Abs. 2 VersG ist nach den landesrechtlichen Vorschriften in der Regel die Vollzugspolizei bzw. die Polizei im institutionellen Sinne; vgl. A. DietellK. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn. 130; S. OttlH. Wächtler, VersG, § 15, Rn.56. 50 Vgl. A. DietellK. GintzellM. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn.62; U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.233f. 51 Vgl. U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S.233. 52 Vgl. BVerfGE 69, 315 (353) - Brokdorf; grundlegend BVerwG, NJW 1982, S. 1008f.; BVerwG, NVwZ 1988, S. 250; aus der Literatur etwa W.-D. Drosdzol, JuS 1983, S. 409 (412); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 8, Rn. 56; U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 234.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

sung einer gemischten Versammlung auch vor Erreichen der Schwelle kollektiver Unfriedlichkeit rechtlich zulässig sein53 - vorausgesetzt, den bedrohten Rechtsgütern Dritter ist mit Blick auf Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit und Nähe der von den Gewalttätern ausgehenden Gefahr gegenüber der Versammlungsfreiheit der friedlichen Demonstranten im Einzelfall der Vorrang einzuräumen. Auch in diesem Ausnahmefall garantiert indessen die Auflösung der Versammlung allein keineswegs das Ende der Ausschreitungen. Sie begründet zwar eine Pflicht der Teilnehmer, sich sofort vom Veranstaltungsort zu entfernen (§13 Abs. 2 VersG). Jedoch bedarf es zur (zwangsweisen) Durchsetzung der Entfernungspflicht, da die Auflösungsverfügung als gestaltender Verwaltungsakt einer Vollstreckung nicht zugänglich ist 54 , zunächst eines weiteren (vollstreckbaren) Verwaltungsaktes in Gestalt eines Platzverweises55. Dieser kann nunmehr auf die Vorschriften des allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsrechts gestützt werden, denn mit der Auflösung einer Versammlung enden - und darin liegt ihre wesentliche Bedeutung - zugleich die Sperrwirkung des VersG sowie der damit einhergehende spezielle versammlungsrechtliche Schutz56. Auch eine Auflösungsverfügung nebst anschließender Platzverweisung vermag aber nicht die Fortsetzung der Ausschreitungen durch eine Zusammenrottung der Gewalttäter an einem anderen Ort zu verhindern. Zur Verhinderung einer solchen Verlagerung des Geschehens nach Auflösung der Versammlung erscheint vielmehr eine Ingewahrsamnahme der (potentiellen) Gewalttäter erforderlich; sie kann bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auf der Grundlage der allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze angeordnet werden 57.

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Vgl. M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S.293 (297); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art.8, Rn. 117; M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn.426. 54 Vgl. W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn. 142. 55 Vgl. M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn. 540; U. Rühl, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 13, Rn.25. 56 Vgl. A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstration- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn.51; M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn.536. 57 Ungeklärt und umstritten ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob auf der Grundlage der landesrechtlichen Vorschriften über die polizeiliche Ingewahrsamnahme auch ein sog. Verbringungsgewahrsam verfügt werden darf. Gemeint ist hiermit die Verbringung von Demonstrationsteilnehmern an eine vom Versammlungsort entfernte Stelle. Für von der Ermächtigung zur Ingewahrsamnahme gedeckt und daher grundsätzlich rechtlich zulässig erachtet wird der Verbringungsgewahrsam von BayObLG, NVwZ 1990, S. 194 (196 f.); OVG Bremen, NVwZ 1987, S. 235 (236f.) (Obiter dictum); A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 15, Rn.51; M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn. 566; R. Leggereit, NVwZ 1999, S. 263 ff. Bedenken hingegen bei LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, S. 537 ff.; K.H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Abschnitt, Rn. 134; A.-M. Kappeler, DÖV 2000, S. 227 ff.; R. Maaß, NVwZ 1985, S. 151 ff.

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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bb) Der Ausschluß störender Versammlungsteilnehmer gemäß §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG Vor diesem Hintergrund gewinnt für die hier interessierenden Fälle einer sog. gemischten Versammlung die Frage Bedeutung, ob ein isoliertes Vorgehen gegen die Gewalttäter mittels Platzverweisung oder Ingewahrsamnahme auch ohne den vorherigen Erlaß einer Auflösungsverfügung rechtlich zulässig ist. Das Versammlungsgesetz, dessen Sperrwirkung bis zum Erlaß einer Auflösungsverfügung fortbesteht, sieht für ein Einschreiten gegen Einzelpersonen mit dem Ziel ihrer Entfernung aus der Versammlung lediglich die Möglichkeit eines Ausschlusses solcher Teilnehmer vor, die „die Ordnung gröblich stören" (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG) 58. Gestattet werden soll damit ein individuelles Vorgehen gegen diejenigen Teilnehmer, die beabsichtigen, die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung zu vereiteln oder wesentlich zu beeinträchtigen, und mit ihrem störenden Verhalten auf eine Unterbrechung oder Beendigung der Veranstaltung abzielen59. An einem solchen Abbruch der Versammlung kann die gewaltbereite Minderheit in einer ansonsten (noch) friedlichen Demonstration im Grunde genommen zwar kein Interesse haben, erlaubt es die anonyme Masse den einzelnen Gewalttätern doch, in ihr unterzutauchen und dadurch eine Entdeckung und Individualisierung mit der Folge einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme auf Schadenersatz oder einer Strafverfolgung nahezu unmöglich zu machen. Gleichwohl zielt ihr Verhalten im Ergebnis darauf ab, den ordnungsgemäßen, d. h. insbesondere auch friedlichen und gewaltfreien 60 Ablauf der Demonstration zu vereiteln; eine Beteiligung an der argumentativen Auseinandersetzung oder ein Meinungsbeitrag zu dem sachlichen Anliegen der Demonstration ist von ihnen nicht intendiert. Ein Ausschluß der Gewalttäter auf der Grund58 Im Rahmen des § 15 Abs. 2 VersG können zwar aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch unmittelbar teilnehmerbezogene Anordnungen - etwa die Sicherstellung mitgeführter Waffen - als sog. Minus-Maßnahmen gegenüber einer Auflösung getroffen werden. Haben sie allerdings zur Folge, daß die weitere Teilnahme an der Versammlung unmöglich gemacht wird, so sind sie ausschließlich auf der Grundlage und unter den Voraussetzungen der §§18 Abs. 3, 19 Abs. 4 und 17 a Abs. 4 VersG zulässig, die für individuelle Maßnahmen mit der Wirkung eines Ausschlusses eine abschließende Regelung beinhalten. Vgl. M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S. 293 (297); M. Kniesel, NJW 1992, S. 857 (863 f.); ders., in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn.562. 59 Vgl. M. Breitbach, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18, Rn. 21 und § 11, Rn. 10; A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 18, Rn. 35. 60 Der Begriff der gröblichen Ordnungsstörung im Sinne der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG ist allerdings nicht mit dem Begriff der Unfriedlichkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG gleichzusetzen. Eine gröbliche Ordnungsstörung kann und wird im Regelfall vielmehr auch schon unterhalb der Schwelle der Unfriedlichkeit vorliegen. Vgl. M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S. 293 (297). Andererseits geht von Versammlungsteilnehmern, die Gewalttaten begehen und damit die Schwelle zur Unfriedlichkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG überschritten haben, in jedem Fall eine gröbliche Ordnungsstörung aus; vgl. T. Burfeind, Polizeiliche Maßnahmen gegen gewalttätige Demonstranten, S. 122.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

läge der §§18 Abs. 3,19 Abs. 4 VersG erscheint damit rechtlich möglich und zulässig, steht jedoch - entsprechend dem das Recht der Gefahrenabwehr beherrschenden Opportunitätsprinzip 61 - im Ermessen der Polizei. Auch wenn sich die Polizei nach Ausübung dieses Ermessens in der gegebenen Situation für einen Ausschluß der Gewalttäter entscheidet, bewirkt eine solche Anordnung - ebenso wie eine AuflösungsVerfügung nach § 15 Abs. 2 VersG - im Ergebnis lediglich, daß die Sperrwirkung des VersG für die Betroffenen endet. Zwar trifft die Ausgeschlossenen gemäß § 18 Abs. 1 i.V. m. § 11 Abs. 2 VersG auch die Pflicht, sich sofort zu entfernen 62, d. h. ihre anteilnehmende Beziehung zu der Versammlung aufzugeben 63. Zur Durchsetzung dieser Pflicht bedarf es indessen zusätzlich eines Platzverweises64, und eine Fortsetzung der Ausschreitungen an einem anderen Ort läßt sich oftmals nur mit dem Mittel einer Ingewahrsamnahme verhindern 65. Die letztlich maßgeblichen Ermächtigungsgrundlagen für ein polizeiliches Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten zum Zwecke der Verhinderung von Tumulten und Tumultschäden finden sich damit in den allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetzen. cc) Resümee Eine Auflösung der gesamten Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG kann - ähnlich wie das präventive Verbot - im Regelfall erst angeordnet werden, wenn ein Übergreifen der Gewaltbereitschaft einzelner oder einer Minderheit auf die ursprünglich friedlich gesonnene Mehrheit und damit der Zustand kollektiver Unfriedlichkeit bereits eingetreten oder mit hoher Wahrscheinlichkeit in nächster Zukunft zu erwarten ist. Sie ist damit im allgemeinen kaum geeignet, den Ausbruch tumultuarischer Auseinandersetzungen und die Entstehung von Tumultschäden zu verhindern. Doch auch in den (seltenen) Fällen, in denen eine Auflösungsverfügung 61

Vgl. zur Entwicklung und Bedeutung des Opportunitätsprinzips im Recht der Gefahrenabwehr Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 370ff.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 347 ff.; ausführlich H.P. Schmatz, Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht, S.87ff.; allgemein F. Mayer, Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung. 62 Nach ganz h. M. besteht die Pflicht, sich sofort zu entfernen, nicht nur im Falle eines Ausschlusses aus einer Versammlung gemäß § 18 Abs. 3 VersG, sondern auch nach einem Ausschluß aus einem Aufzug, der auf der Grundlage des § 19 Abs. 4 VersG angeordnet wurde. Der Umstand, daß § 19 VersG im Unterschied zu § 18 Abs. 1 VersG keine Verweisung auf § 11 Abs. 2 VersG enthält, wird mit Blick auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 VersG, der auch das Nichtentfernen nach einem gemäß § 19 Abs. 4 VersG verfügten Ausschluß unter Strafe stellt, als offensichtliches Redaktionsversehen des Gesetzgebers eingestuft. Vgl. M. Breitbach, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 19, Rn.27; A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, § 19, Rn.27; S. Ott/H. Wächtler, VersG, § 19, Rn. 10. 63 M. Breitbach, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 18, Rn. 26. 64 Vgl. M.-E. Geis, Die Polizei 1993, S.293 (297). 65 Vgl. M. Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H, Rn. 562.

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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ausnahmsweise schon vor dem Eintritt kollektiver Unfriedlichkeit ergehen darf 66 , schafft sie lediglich die rechtliche Vorbedingung dafür, daß anschließend eine Fortsetzung der Gewalttätigkeiten mittels Platzverweis oder Ingewahrsamnahme auf der Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts unterbunden werden kann. Auf die polizeilichen Mittel des Platzverweises und der Ingewahrsamnahme ist auch dann zurückzugreifen, wenn von vornherein nicht gegen die Versammlung als Ganzes, sondern lediglich gegen die Gewalttäter vorgegangen werden soll und kann. Im Anschluß an eine aus versammlungsrechtlichen Gründen zuvor notwendige individuelle Ausschlußverfügung nach §§18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG gestatten sie es, einzelne Teilnehmer vom Ort des Geschehens zu entfernen, sobald sie im Laufe der Versammlung als Gewalttäter in Erscheinung treten. Auf diese Weise können sie mithin auch dann an der Begehung weiterer Gewalttätigkeiten gehindert werden, wenn eine Entwaffnung durch Sicherstellung der mitgeführten gefährlichen Gegenstände - die als sog. teilnehmerbezogene Minus-Maßnahme auch ohne vorausgehende Ausschlußverfügung auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 VersG i.V. m. den Vorschriften der landesrechtlichen Polizeigesetze zulässig ist 67 - nicht erfolgversprechend erscheint. Trotz der verfassungsrechtlichen Implikationen stehen der Polizei mithin rechtlich zulässige Eingriffsinstrumente - namentlich aus den allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetzen - zur Verfügung, um gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge und ggfs. auch gegen die Versammlung insgesamt mit dem Ziel einzuschreiten, die Entstehung von Tumultschäden zu verhindern. 2. Die Untätigkeit der Polizei in Gefahrensituationen als Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht Es schließt sich deshalb die Frage an, ob und unter welchen Bedingungen es eine Amtspflichtverletzung gegenüber den durch die späteren Tumulte Geschädigten darstellt, wenn die Polizei von den genannten Eingriffsermächtigungen keinen Gebrauch macht und nicht oder nicht rechtzeitig gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge bzw. gegen die Versammlung insgesamt einschreitet. a) Der personelle Schutzbereich der Eingriffsermächtigungen Dabei gilt es vorab festzustellen, ob den genannten Eingriffsermächtigungen sowohl des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts als auch des Versammlungs66

Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Auflösungsverfügung ausnahmsweise auch schon vor dem Eintritt kollektiver Unfriedlichkeit zulässig ist, siehe oben S.45f. 67 Siehe hierzu den vergleichbaren Fall der Sicherstellung eines Transparents: BVerwGE 64, 55. 4 Kimmel

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

rechts überhaupt drittschützender Charakter gegenüber denjenigen Personen zukommt, deren Rechtsgüter durch das Verhalten der Gewalttäter gefährdet sind. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung hat bereits frühzeitig Amtshaftungsansprüche wegen Untätigkeit der Polizei- bzw. Ordnungsbehörden und damit implizit die (mögliche) Drittschutzwirkung von Ermächtigungsvorschriften des Gefahrenabwehrrechts anerkannt68. Demgegenüber gingen die verwaltungsrechtliche Wissenschaft und Praxis lange Zeit davon aus, daß die Gefahrenabwehrermächtigungen ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienten und ihre Anwendung dem in seinen Rechten und Interessen Gefährdeten lediglich als vorteilhafter Rechtsreflex zugute komme69. Selbst wenn die Behörden zur Abwehr von Gefahren für Individualrechtsgüter tätig würden, so geschehe dies ausschließlich um ihrer Bedeutung für das öffentliche Wohl willen; der einzelne sei lediglich als Repräsentant der Allgemeinheit, nicht jedoch als Individuum geschützt70. Mittlerweile hat sich jedoch auch in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die nach heutigem Verfassungsund Grundrechtsverständnis unumgängliche Erkenntnis durchgesetzt, daß dem einzelnen gegenüber den Gefahrenabwehrbehörden ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz zustehen kann71. Bezieht eine zur Gefahrenabwehr ermächtigende Norm (auch) Individualrechtsgüter in ihren Schutzbereich ein, so erfolgt dies nicht nur im Interesse der Allgemeinheit; vielmehr steht der Schutzpflicht der Polizei ein korrelierender Schutzanspruch des betroffenen einzelnen gegenüber72. Unter Zugrundelegung dieses geänderten Verständnisses in der Verwaltungsrechtslehre und -rechtsprechung kommt es mithin entscheidend darauf an, ob die im konkreten Einzelfall in Rede stehende Ermächtigungsnorm nach ihrem aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung zu erschließenden Sinn und Zweck neben dem Schutz des Allgemeininteresses auch den Schutz der gefährdeten individuellen Rechte und Rechtsgüter des betroffenen einzelnen intendiert 73. Ist dies zu bejahen, dann kann er im Wege der Verpflichtungsklage ein Einschreiten der Gefahrenabwehrbehörden oder jedenfalls eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber einfordern 74. 68

So schon RG, PrVBl. Band 43, S. 394 (395); RGZ121,225 (232 f.); 147,179(183); ebenso BGH, L M § 839, Fg Nr. 3; BGH, VerwRspr. 5, S. 319 (320) und S. 832 (833); BGH, VRS 7, S.87 (91); BGHZ 12, 206 (209); BGH, VerwRspr. 11, S.462 (463); BGHZ45,143 (145); vgl. hierzu außerdem V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 359, 364; W. Martens, JuS 1962, S.245 (246, 249). 69 Vgl. etwa K.A. Bettermann, NJW 1961, S. 1097 (1099); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S.207; C.-F. Menger, VerwArch. 52 (1961), S.92 (104); PrOVG 2,351 (354); 3,214 (215f.); 4, 226 (230). 70 Vgl. PrOVG 3, 214 (215 f.). 71 Vgl. erstmals BVerwGE 11,95 (97 f.) (Bandsäge) = BVerwG, DVB1.1960, S. 125 mit Anmerkung von O. Bachof; seitdem st. Rspr., vgl. etwa OVG Münster, OVGE 23, 78 (81 ff.); BVerwGE 37, 112(113). 72 Vgl. F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 131 ff. 73 Vgl. etwa BVerwGE 37,112 (113) m. w. N.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 362.

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Analysiert und interpretiert man vor diesem Hintergrund die genannten Ermächtigungsvorschriften der allgemeinen landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze sowie des VersG, die ein Einschreiten gegen die Gewalttäter bzw. gegen die Versammlung gestatten, so ergibt sich folgendes Bild: Die Mehrzahl der einschlägigen Vorschriften ermächtigt die Gefahrenabwehrbehörde zu einem Eingreifen zum Schutz der „öffentlichen Sicherheit": so die landesrechtlichen Vorschriften der allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze über Platzverweis 75, Sicherstellung 76 und - in einigen wenigen Bundesländern - den Präventivgewahrsam 77, die polizeilichen Generalklauseln sowie die Regelungen des § 15 Abs. 1 und 2 VersG über Verbot und Auflösung einer Versammlung einschließlich teilnehmerbezogener Minus-Maßnahmen. In diesen Fällen kann das Handeln der Gefahrenabwehrbehörde grundsätzlich eine doppelte Schutzrichtung haben: Zum einen eine staats- bzw. gemeinschaftsbezogene, denn zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählen die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen78. Andererseits umfaßt die öffentliche Sicherheit traditionell aber auch die Unversehrtheit der Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen79. Sind diese Rechtsgüter - wie hier durch die Gewalttäter innerhalb der versammelten Menschenmenge - bedroht, so steht der drittschützende Charakter der einschlägigen Ermächtigungen nach heute einhelliger Auffassung außer Frage. Doch auch soweit die Mehrzahl der Bundesländer das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in den Vorschriften über den Präventivgewahrsam auf die Verhinderung der „Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" beschränkt hat 80 , ist jedenfalls dann von einem drittschützenden Charakter der Ermächtigungsnorm auszugehen, wenn die im Einzelfall verletzten Strafgesetze als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sind. Dies ist für die hier interessierenden Straftatbestände des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB), der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sowie der Körperverletzungsdelikte (§§223 ff. StGB) zu bejahen81. 74 Vgl. Drews/Wacke/VogellMartens, Gefahrenabwehr, S.402f.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 361 f.; W. Martens, JuS 1962, S. 245 (248); H.J. WolfflO. Bachof, Verwaltungsrecht III, § 125, Rn.40. 75 Siehe hierzu im einzelnen oben Fn. 13. 76 Siehe hierzu im einzelnen oben Fn. 42. 77 § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW; § 22 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG. 78 K. H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Abschnitt, Rn. 33. 79 K.H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Abschnitt, Rn.33f. 80 Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG; § 30 Abs. 1 Nr. 2 ASOG Bin; § 17 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG; § 15 Abs. 1 Nr. 2 BremPolG; § 13 Abs. 1 lit. a) HbgSOG; § 32 Abs. 1 Nr. 2 HessSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 2 SOG MV; § 18 Abs. 1 Nr. 2 NdsGefAG; § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NW; § 14 Abs. 1 Nr. 2 RhPfPOG; § 13 Abs. 1 Nr. 2 SaarlPolG; § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA; § 204 Abs. 1 Nr. 2 LVerwG SH; § 19 Abs. 1 Nr. 2 ThürPAG. 81 Vgl. J. Hager, in: Staudinger, BGB, § 823, Rn. G42; aus der Rechtsprechung etwa RGZ 66, 251 (252) und 140, 392 (394) (für §223 StGB); OLG Nürnberg, VersR 1973, S.720 und OLG Hamm, NJW 1997, S.949 (für §230 StGB a.F.); BGHZ 63, 124 (129) (für § 123 StGB). 4*

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

Schließlich wird man auch die drittschützende Wirkung der §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG, die einen individuellen Ausschluß einzelner, die Ordnung gröblich störender Versammlungsteilnehmer ermöglichen, anerkennen müssen. Teilt man die hier vertretene Auffassung, daß Demonstranten, die aus der Menge heraus Gewalttätigkeiten nicht (nur) gegen andere Teilnehmer, sondern (auch) gegen außenstehende Dritte begehen, die Ordnung der Versammlung gröblich stören 82, so kommt man nicht umhin, den genannten Ermächtigungsvorschriften des VersG drittschützende Wirkung gegenüber allen von den Gewalttaten betroffenen Personen zuzumessen, auch wenn sie nicht Teilnehmer der Versammlung sind. Insgesamt begegnet also die Aufnahme derjenigen Personen, die durch die aus einer versammelten Menschenmenge heraus verübten Gewalttätigkeiten in ihren Rechtsgütern verletzt oder gefährdet sind, in den personellen Schutzbereich der einschlägigen Ermächtigungsvorschriften, die der Gefahrenabwehrbehörde ein Vorgehen gegen die einzelnen Gewalttäter oder die gesamte Versammlung gestatten, im Ergebnis keinen nennenswerten Bedenken. Wollen die betroffenen Personen wegen der ihnen entstandenen Schäden Amtshaftungsansprüche mit der Begründung geltend machen, die Gefahrenabwehrbehörde habe von diesen Eingriffsermächtigungen keinen Gebrauch gemacht, so scheitern diese mithin jedenfalls nicht an der fehlenden Drittgerichtetheit der möglicherweise verletzten Amtspflichten.

b) Die Problematik der Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen Schwierigkeiten bereitet die Annahme einer Amtspflichtverletzung bei Untätigkeit der Polizei aber deshalb, weil die Polizei von Gesetzes wegen grundsätzlich nicht zum Eingreifen verpflichtet ist. Die Entscheidung darüber, ob sie - bei Vorliegen der entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen - von ihren Eingriffsbefugnissen nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht sowie dem VersG im Einzelfall Gebrauch macht, liegt nach dem Willen des Gesetzgebers83 vielmehr in ihrem Ermessen.

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Siehe oben S. 47 f. Vgl. die Verwendung des Verbes „können/kann" in §§ 12 Satz 1 und 13 Abs. 1 ME PolG sowie in §§ 15 Abs. 2,18 Abs. 3 und 19 Abs.4 VersG. Durch diese Formulierung wird die Einräumung von Ermessen zum Ausdruck gebracht. 83

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aa) Das Opportunitätsprinzip als Grundprinzip des Gefahrenabwehrrechts Dies ist Ausdruck und Ausfluß des Opportunitätsprinzips, das in Deutschland seit jeher das (allgemeine) Recht der Gefahrenabwehr beherrscht 84. Die Polizei- bzw. Ordnungsbehörde wählt danach nicht nur in eigener Verantwortung diejenige unter den gesetzlich möglichen und zulässigen Maßnahmen aus, die sie zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ergreifen will (sog. Auswahlermessen), sondern entscheidet auch selbst darüber, ob sie überhaupt zur Abwehr der Gefahr tätig wird (sog. Entschließungsermessen)85. Die Entscheidung der Polizei- bzw. Ordnungsbehörde, gegen eine - bevorstehende oder bereits eingetretene - Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht einzuschreiten, ist mithin nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich ebenso rechtmäßig wie ihr Entschluß, Maßnahmen zu ihrer Beseitigung zu ergreifen. Voraussetzung ist jedoch, daß die Polizei von dem ihr zustehenden Ermessen überhaupt sowie in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und dabei zudem die rechtlichen Bindungen und Grenzen - namentlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Gleichheitssatz sowie die übrigen Grundrechte 86 - beachtet und eingehalten hat, die (auch) bei Ermessensentscheidungen Geltung beanspruchen87. Andernfalls setzt sie sich dem Vorwurf rechtsfehlerhafter Ermessensbetätigung durch Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensüberschreitung aus88. Trägt die Polizei den rechtlichen Schranken bei ihrer Ermessensausübung aber Rechnung, so kann sie rechtsfehlerfrei diejenige Entscheidung treffen, die ihr am zweckmäßigsten erscheint 89. Lediglich ausnahmsweise kann ihr (Entschließungs-)Ermessen aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls dahingehend reduziert sein, daß allein eine der beiden Alternativen - Einschreiten oder Untätigbleiben - im konkreten Fall als rechtmäßig anzusehen ist (sog. Ermes84 Vgl. dazu näher DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S. 371; W. Martens, JuS 1962, S.245f. 85 Vgl. hierzu nur DrewslWackelVogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 370ff.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.349ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn. 7. Gegen die Annahme eines polizeilichen Entschließungsermessens F.-L. Knemeyer, VVDStRL 35 (1977), S.221 (233). 86 Vgl. zu diesen rechtlichen Grenzen des Ermessens DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S. 375 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn. 19 ff.; M. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §40, Rn.73ff. 87 Vgl. zur rechtlichen Gebundenheit des Ermessens §40 VwVfG sowie H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn. 17; F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 13. 88 Vgl. zu dieser traditionell anerkannten Trias der Ermessensfehler etwa H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn. 19 ff.; F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 15ff.; außerdem W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 36ff.; HJ. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht I, § 31 Ild). 89 Vgl. H.J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht I, § 31 IIc) 3.

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sensreduzierung auf Null) 9 0 und sich der Anspruch des einzelnen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu einem Anspruch auf Einschreiten (bzw. Untätigbleiben) verdichtet. bb) Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen Auch eine Amtspflichtverletzung kann demgemäß nicht schon dann angenommen werden, wenn sich die von der Gefahrenabwehrbehörde in Ausübung ihres (Entschließungs-)Ermessens rechtsfehlerfrei getroffene Entscheidung im nachhinein als unzweckmäßig erweist 91. Solange die Behörde sich bei ihrer Entscheidung nicht von sachfremden Erwägungen, sondern von ihrem gesetzlichen Auftrag der Gefahrenabwehr und damit vom Ziel der ermessenseinräumenden Eingriffsermächtigung leiten läßt, kann ihr in einem Amtshaftungsprozeß nicht vorgeworfen werden, ihre Entscheidung sei nicht sachdienlich oder taktisch unklug gewesen. Die Zivilgerichte sind ebensowenig wie die Verwaltungsgerichte befugt, Ermessensentscheidungen der Verwaltung einer Zweckmäßigkeitsprüfung zu unterziehen und die Erwägungen der Verwaltung zur Sachdienlichkeit ihres Verhaltens durch eigene zu ersetzen. Die Einschätzung der Zweckmäßigkeit ihres Handelns bzw. Unterlassens obliegt vielmehr allein und ausschließlich den Verwaltungsbehörden selbst. Dies ist nicht nur in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, sondern auch in derjenigen der Zivilgerichte seit jeher anerkannt92. Die frühere zivilgerichtliche Rechtsprechung des Reichsgerichts93, die vom BGH zunächst übernommen worden war 94 , hatte jedoch den Bereich einer Amtshaftung 90

Vgl. zur Ermessensschrumpfung auf Null allgemein U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S. 214ff.; K.-E. Hain/V. SchlettelTh. Schmitz, AöR 122 (1997), S. 32ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, §7, Rn.24f.; F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 21; M. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §40, Rn.56ff.; speziell zur Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S. 396ff.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn.354; W. Martens, JuS 1962, S.245 (246f.); F. Ossenbühl, DÖV 1976, S.463 (467ff.); W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn. 69 ff.; D. Wilke, FS Scupin, S. 831 ff. 91 Vgl. DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S.638f.; F. Kreft, Öffentlich-rechtliche Ersatzleistungen, §839, Rn. 177. 92 Vgl. RGZ 99,254 (256): „Die Frage der bloßen Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme kann grundsätzlich [...] auch im Schadenersatzprozeß ebensowenig Gegenstand der richterlichen Nachprüfung werden, wie sie der Nachprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach der Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts unterliegt."; RGZ 147, 179 (183): „Auch die Vorschriften über die Staatshaftung geben den Gerichten kein Recht, [...] an die Stelle des pflichtmäßigen Ermessens der zuständigen Verwaltungsstelle das eigene zu setzen."; außerdem RGZ 138,6 (14f.) sowie - in Übernahme der reichsgerichtlichen Rechtsprechung-BGHZ 12, 206 (208); BGH, VerwRspr. 14, S.832. 93 Vgl. RGZ 99, 254 (256); 121, 225 (233); 138, 6 (14); 147, 179 (183). 94 Vgl. BGHZ 12, 206 (208f.); BGH, VerwRspr. 14, S.832; BGHZ45, 143 (146).

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für Ermessensentscheidungen darüber hinaus im Vergleich zur verwaltungsrechtlichen Ermessensfehlerlehre (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) zusätzlich eingeengt. Als amtspflichtwidrig stufte sie nicht jede ermessensfehlerhafte und damit rechtswidrige Ermessensentscheidung der Verwaltung ein. Vielmehr ging sie von einer Amtspflichtverletzung erst dann aus, wenn der Beamte bei Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens entweder willkürlich oder „in so hohem Maße fehlsam gehandelt hat, daß sein Verhalten mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar ist" 95 . Diese restriktive Linie ist in der Literatur zu Recht auf Kritik gestoßen96. Insbesondere wurde bemängelt, daß die Rechtsprechung einen weiten Teil ermessensfehlerhaften und damit rechtswidrigen Amtshandelns haftungsfrei stelle97. Eine solche Differenzierung ist in der Tat nicht gerechtfertigt. Ist ein Handeln oder Unterlassen der Verwaltung als rechtswidrig einzustufen, so darf es für die Frage der Amtshaftung keinen Unterschied machen, ob der Verwaltung bei ihrer Entscheidung ein Ermessensspielraum zustand oder nicht. Der einzelne Bürger muß seinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, den er vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen kann, auch im Wege der Amtshaftung in vollem Umfang liquidieren können. Deshalb müssen die Zivilgerichte an Ermessensentscheidungen der Verwaltung den gleichen rechtlichen Prüfmaßstab anlegen wie die Verwaltungsgerichte. Alle ermessensfehlerhaften und damit rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen sind mithin - sofern der ermessenseinräumenden Vorschrift drittschützender Charakter zukommt - zugleich als amtspflichtwidrig zu qualifizieren und also geeignet, einen Schadenersatzanspruch nach § 839 Abs. 1 BGB i.V. m. Art. 34 GG auszulösen98. Mit dem Urteil des BGH vom 15. Februar 1979" hat die Zivilrechtsprechung diese geforderte Anpassung an die Verwaltungsrechtslage vollzogen. Nunmehr erkennt sie an, daß im Anwendungsbereich des Opportunitätsprinzips eine Amtspflichtverletzung „auch dann in Betracht kommen kann, wenn die Schwelle des Amtsmißbrauchs noch nicht erreicht ist oder ein Fall evident fehlsamer Amtstätigkeit nicht vorliegt" 10°. Als für eine Amtspflichtverletzung notwendig und hinreichend wird es seither auch von den Zivilgerichten angesehen, „wenn das Verhalten des Beamten 95 RGZ 121, 225 (233); vgl. außerdem RGZ 99, 254 (256); 138, 6 (14); 147, 179 (183); BGHZ 12, 206 (208 f.). 96 Vgl. B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.553; K.A. Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/2, S.779 (842 f.); H.J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht I, §64Ib) 4. 97 K. A. Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/2, S. 779 (843). 98 So auch K.A. Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/2, S. 779 (843); H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25, Rn. 18; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn. 195; H.J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht I, § 641b) 4. 99 BGHZ 74,144 = BGH, NJW 1979, S. 1354; vgl. dazu H.-J. Papier, JuS 1980, S.265 (268). 100 BGHZ 74, 144 (156); 75, 120 (124).

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

den rechtlichen Bindungen, denen das Ermessen nach allgemeinen Grundsätzen und mit Rücksicht auf den Zweck des konkreten Gesetzes unterliegt, nicht genügt" 101 . Ein Beamter handelt mithin amtspflichtwidrig, wenn er sein Ermessen im Sinne der verwaltungsrechtlichen Ermessensfehlerlehre fehlerhaft ausübt. Damit ist die Ermessensprüfung im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs zutreffend auf den Kontrollumfang des § 114 Satz 1 VwGO erweitert worden 102. cc) Die besondere Problematik der Amtspflichtverletzung bei der Betätigung des polizeilichen (Entschließungs-)Ermessens Unter Zugrundelegung dieser geänderten Rechtsprechung ist auch jede rechtsfehlerhafte Betätigung des polizeilichen Entschließungsermessens als amtspflichtwidrig zu qualifizieren. Jeder der genannten Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, -nichtgebrauch und -fehlgebrauch) macht die Entscheidung der Gefahrenabwehrbehörde, in einer konkreten Gefahrensituation nicht einzugreifen, rechtswidrig und stellt eine Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB dar. Gleichwohl wird es dem Geschädigten im Regelfall nicht gelingen, auf der Grundlage des Amtshaftungsanspruchs Schadenersatz für erlittene Tumultschäden mit der Begründung zu erlangen, die zuständige Gefahrenabwehrbehörde sei nicht oder nicht rechtzeitig gegen die Gewalttäter eingeschritten. Die Gründe hierfür sind vielfältig und sowohl im Wesen und den Eigenheiten des Gefahrenabwehrrechts als auch in den tatsächlichen Besonderheiten tumultuarischer Situationen zu finden. Zum ersten kommen nach zutreffender herrschender Ansicht Rechtsfehler und damit Amtspflichtverletzungen im Entschließungsermessen der Gefahrenabwehrbehörde a priori nur in Betracht, wenn diese von der gefahrenträchtigen Situation Kenntnis hat 103 . Ein Einschreiten gegen unbekannte Gefahren kann nicht gefordert werden und ein Untätigbleiben in Unkenntnis der Gefahrensituation deshalb auch nicht ermessensfehlerhaft und damit amtspflichtwidrig sein. Auch wenn größere Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit grundsätzlich geeignet sind, die Aufmerksamkeit der staatlichen Ordnungskräfte auf sich zu ziehen, kann es an der notwendigen Kenntnis der Gefahrenabwehrbehörde in dem einen oder anderen Einzelfall, namentlich bei Spontandemonstrationen und sonstigen unangemeldeten Versammlungen, je nach den tatsächlichen Umständen möglicherweise einmal fehlen. Eine Amtspflichtverletzung kann dann allenfalls im Vorfeld der (Nicht-)Betätigung des Entschließungsermessens begangen werden. Erhält die Polizei- bzw. Ordnungs101

BGHZ 75, 120 (124) - Hervorhebung im Original. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.46. 103 So ausdrücklich Drews/Wacke, Allgemeines Polizeirecht, S.461; H.P. Schmatz, Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht, S. 177 ff.; implizit auch DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S. 371 („Hat die Polizei eine Gefahr oder Störung festgestellt, so hat sie also als erstes zu überlegen, ob ein polizeiliches Einschreiten [...] geboten ist."). 102

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behörde Hinweise auf eine bevorstehende größere Menschenansammlung in der Öffentlichkeit, so ist sie verpflichtet, diesen Hinweisen nachzugehen und zu überprüfen, ob von der Menschenmenge eine polizeiliche Gefahr ausgeht. Sie muß den für die Ermessensausübung maßgeblichen Sachverhalt sorgfältig aufklären, um auf diese Weise die Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung auf gesicherter Tatsachengrundlage zu schaffen 104. Versäumt sie dies trotz vorhandener Anhaltspunkte, so handelt sie zwar nicht ermessensfehlerhaft, aber gleichwohl amtspflichtwidrig. Auch eine zweite Eigenart des Gefahrenabwehrrechts darf man bei der Suche nach Ermessensfehlern und dadurch konstituierten Amtspflichtverletzungen nicht außer Acht lassen. Die Handlungsweise der Polizei- und Ordnungsverwaltung wird maßgeblich durch den Umstand geprägt, daß sie keine in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalte zu subsumieren, sondern künftige Entwicklungen vorauszusehen hat 105 . Die Einschätzung einer bestimmten Situation auf ihre Gefahrenträchtigkeit hin erfordert eine Prognose über den weiteren Verlauf der Dinge. Die zuständige Behörde muß abschätzen, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit den zu schützenden Rechtsgütern unter den gegebenen tatsächlichen Umständen, die sie im Rahmen des zeitlich Möglichen zu ermitteln und ihrem Urteil zugrundezulegen hat, ein Schaden droht. Erweist sich ihre Prognose im nachhinein als falsch, so macht dies ihre Entscheidung aber nicht eo ipso rechtswidrig. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob ein gewissenhafter, besonnener und sachkundiger Amtswalter die Lage ebenso eingeschätzt hätte, wenn er an der Stelle des handelnden (oder unterlassenden) Beamten gewesen wäre 106 . Für die rechtliche Beurteilung polizeilichen Handelns, die - sei es im Verwaltungsprozeß, sei es im zivilgerichtlichen Schadenersatzprozeß - stets im nachhinein, in der Rückschau erfolgt, bleibt mithin die (objektivierte) ex-ante-Perspektive maßgeblich107. Ist die Gefahrenprognose der zu104

Vgl. F. Kreft, Öffentlich-rechtliche Ersatzleistungen, §839, Rn. 188. F. Ossenbühl, DÖV 1976, S.463 (464). 106 Ygi n u r Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn.57. 105

107

Vgl. BVerwGE 45,51 (60); 47,31 (38); 49,36 (41 ff.). Auch bei einem Abstellen auf die ex-ante-Perspektive stößt die rechtliche Überprüfung polizeilichen Handelns aufgrund seiner Situationsgebundenheit indessen an Grenzen. Gewisse Stimmungen und atmosphärische Momente, die etwa bei einer Demonstration oder einem Sit-In geherrscht haben, lassen sich post factum kaum noch rekonstruieren. Nicht zu Unrecht fordern deshalb manche Stimmen in der Literatur, der Gefahrenabwehrbehörde in Grenzfällen einen Beurteilungsspielraum einzuräumen und dem tatsächlich handelnden Beamten die Letztverantwortung zuzuweisen (vgl. Drews/WackelVogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 266; F. Ossenbühl, DÖV 1976, S. 463 [466f.]; dagegen V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 151). Die Verwaltungsgerichte verwenden den Begriff des Beurteilungsspielraums zwar nicht ausdrücklich, haben ihre Kontrolle aber insofern in gewissem Umfang gelockert, als sie an die Überprüfung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine starren Maßstäbe anlegen, sondern nach Rang und Wertigkeit sowohl des Schutzgutes als auch des Eingriffsgutes differenzieren (so die Einschätzung von Drews/Wacke/VogellMartens, Gefahrenabwehr, S. 266). Teilweise findet sich in Urteilen sogar die explizite Feststellung, das der polizeilichen Prognose zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsurteil sei einer Kontrolle „naturgemäß nur begrenzt zugänglich" (VGH

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

ständigen Behörde aus dieser Sicht nicht zu beanstanden, so kann ihr auch dann keine Amtspflichtverletzung angelastet werden, wenn ihre Einschätzung durch die spätere Entwicklung widerlegt wird 108 . Dies gilt nicht nur im Falle der sog. Anscheinsgefahr, in dem sich die von der Polizei- bzw. Ordnungsbehörde ex ante zutreffend angenommene Gefahr ex post als nicht existent herausstellt, sondern gleichermaßen dann, wenn die Gefahrenabwehrbehörde die Gefährlichkeit einer Situation verkennt. Entscheidend ist allein, daß ein gewissenhafter, besonnener und sachkundiger Amtswalter auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Sachverhalts das gleiche Urteil gefällt hätte. Stellt sich deshalb etwa im nachhinein heraus, daß die zuständige Gefahrenabwehrbehörde das Gefahrenpotential einer Versammlung insgesamt unterschätzt und nicht genügend Einsatzkräfte zum Ort des Geschehens beordert hat, so ist ihr Verhalten gleichwohl nicht als rechts- und amtspflichtwidrig zu bewerten, sofern ihre Einschätzung, aus der objektivierten ex-antePerspektive betrachtet, zutreffend war. Gerade bei friedlich geplanten Versammlungen, die später infolge eines Übergreifens der Gewaltbereitschaft einer Minderheit auf die Mehrheit der Teilnehmer in Tumulte ausarten, wird es daher häufig schwierig sein, die Einschätzung der Gefahrenlage durch die zuständige Ordnungsbehörde zu beanstanden. Die Entstehung von Tumulten folgt typischerweise keinen vorgegebenen und vorhersehbaren Gesetzmäßigkeiten, sondern der besonderen Situation und Stimmung des Augenblicks und den unkalkulierbaren Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns. Unter diesen Bedingungen wird man es der Gefahrenabwehrbehörde im nachhinein kaum vorwerfen können, wenn sie die Gefahrenpunkte auf dem Weg einer Großdemonstration „falsch" lokalisiert und demgemäß ihre Einsatzkräfte an den „falschen" Stellen postiert hat. Darüber hinaus können in diesem Zusammenhang auch solche Gesichtspunkte der Polizeitaktik und Einsatzplanung zum Tragen kommen, die als reine Zweckmäßigkeitserwägungen einer Rechtskontrolle von vornherein nicht zugänglich sind. Schon aus diesem Grunde ist es daher nicht als Amtspflichtwidrigkeit zu beanstanden, wenn sich die von der Polizei im Rahmen einer Großveranstaltung, bei der an allen Stellen gleichermaßen Gefahren drohen, vorgenommene Schwerpunktbildung im nachhinein als unzweckmäßig herausstellt. Drittens und vor allen Dingen aber kommt ein Amtshaftungsanspruch wegen Untätigkeit der Polizei- bzw. Ordnungsbehörden im Ergebnis nur in den Fällen in Betracht, in denen ihr Entschließungsermessen auf Null geschrumpft und allein die Entscheidung zum Einschreiten noch als rechtmäßig einzustufen ist, während sich die Alternative des Untätigbleibens von vornherein als rechts- und amtspflichtwidrig und damit nicht gangbar darstellt. Anderenfalls fehlt es an der erforderlichen Mannheim, NJW 1987, S.2762, zur Frage der Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen; vgl. auch F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 148 ff.). Relevante Fehler sind damit hauptsächlich im tatsächlichen Bereich möglich, wenn die Polizei zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung von Tatsachen ausgegangen ist, die realiter schon damals nicht bestanden. 108 Vgl. nur DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S. 223; K. H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Abschnitt, Rn.53.

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Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden. Ein Amtspflichtverstoß kann nur dann als kausal für den späteren Schaden angesehen werden, wenn dieser bei amtspflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wäre 109 . Ist hingegen nicht auszuschließen, daß es auch bei einem in jeder Hinsicht amtspflichtgemäßen Verhalten zu dem späteren Schaden gekommen wäre, so läßt sich der notwendige Ursachenzusammenhang nicht herstellen.

II. Der Kausalitätszusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden 1. Die doppelte Problematik im Falle einer Amtspflicht Verletzung durch ermessensfehlerhaftes Unterlassen Besteht die Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, so ist demgemäß hypothetisch zu ermitteln, ob der Schaden bei amtspflichtgemäßem Tätigwerden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre 110 . Liegt die Entscheidung über Tun oder Unterlassen darüber hinaus im Ermessen der Behörde, so besteht die zusätzliche Schwierigkeit, daß auch am Ende eines ermessensfehlerfreien und damit amtspflichtgemäßen Entscheidungsprozesses nicht notwendig der Entschluß zum Eingreifen stehen muß. Es ist vielmehr ebenso denkbar, daß sich die Behörde bei korrekter Ermessenshandhabung gleichfalls rechtmäßig zum Untätigbleiben hätte entschließen können. Hat sich die Behörde bei ihrer Entscheidung etwa von unsachgemäßen Erwägungen leiten lassen, hat sie also ihre Entscheidung auf Beweggründe gestützt, die außerhalb der Ziel- und Zwecksetzung der Ermessensvorschrift liegen, oder hat sie die maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend berücksichtigt und einbezogen mit der Folge, daß die angegebenen Gründe die Entscheidung nicht zu tragen vermögen, so fehlt es trotz dieses sog. Ermessensfehlgebrauchs an der erforderlichen Kausalität zwischen Ermessensfehler und Schaden, wenn die Behörde mit anderer, sachangemessener und tragfähiger Begründung rechtsfehlerfrei die gleiche Entscheidung hätte treffen können. Allein die Möglichkeit, daß sie bei korrekter Ermessensausübung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, reicht nicht aus, um die Kausalität des Ermessensfehlers zu begründen. Erforderlich ist vielmehr, daß eine rechtsfehlerfreie Ermessensbetätigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Entscheidung geführt hätte 111 . Solange die Behörde entsprechend dem Wesen des Opportunitätsprinzips die Wahl zwischen mehreren gleichermaßen rechtmäßigen Alternativen hat, so109

Vgl. BGH, VersR 1966, S.286 (289); BGH, NJW 1995, S.2344 (2345); H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, §839, Rn.274. 110 BGH, NVwZ 1994, S.823 (825); H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, §839, Rn.275; H.Vinke, in: Soergel, BGB, §839, Rn. 193. 111 Vgl. BGH, NJW 1959, S. 1125 (1126); VersR 1982, S.275; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn. 274; H. Vinke, in: Soergel, BGB, § 839, Rn. 192.

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lange ihre Entscheidungsfreiheit also nicht auf nur noch eine als rechtmäßig zu qualifizierende Entscheidung reduziert und damit letztlich beseitigt ist, läßt sich das Ergebnis ihrer Ermessensbetätigung aber nicht sicher vorhersehen. Hier kommen Zweckmäßigkeitserwägungen sowie (polizei-)taktische Überlegungen zum Tragen, die eine zuverlässige Voraussage über den Ausgang des Entscheidungsprozesses unmöglich machen. Lediglich im Falle der Ermessensschrumpfung auf Null ist daher feststellbar, zu welchem Ergebnis ein in jeder Hinsicht rechtsfehlerfreies und amtspflichtgemäßes Verhalten geführt hätte. Selbst wenn sich die Entscheidung der Gefahrenabwehrbehörde, nicht oder noch nicht gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge oder gegen die Versammlung insgesamt vorzugehen, als ermessensfehlerhaft und damit rechts- und amtspflichtwidrig darstellen sollte, kommt ein Amtshaftungsanspruch aus Kausalitätsgründen deshalb nur in Betracht, wenn in der konkreten Situation eine Pflicht zum Eingreifen bestanden hätte.

2. Die Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null als Voraussetzung für einen Kausalitätszusammenhang zwischen Ermessensfehler und Schaden Von entscheidender Bedeutung für die weiteren Betrachtungen ist mithin die Beantwortung der Frage ob und unter welchen Voraussetzungen eine polizeiliche Pflicht zum Tätigwerden bestehen kann.

a) Die Anerkennung der Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null in der Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte Mit dieser Frage hatten sich zunächst die Zivilgerichte in Staatshaftungsprozessen auseinanderzusetzen. Im Anschluß an Walter Jellinek 112 erkannte bereits das Reichsgericht an, daß es trotz der Geltung des Opportunitätsprinzips im Gefahrenabwehrrecht nicht nur eine Obergrenze des Übermaßes gibt, jenseits derer ein Eingreifen der Gefahrenabwehrbehörden als unverhältnismäßig angesehen werden muß, sondern auch eine (Unter-)Grenze der Schädlichkeit. Ist diese untere Schwelle erreicht, so kann und darf die Polizei- bzw. Ordnungsbehörde nicht mehr untätig bleiben, ohne sich dem Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens und daraus resultierenden Amtshaftungsansprüchen auszusetzen113. Das polizeiliche Entschließungsermessen im Sinne einer Wahlmöglichkeit zwischen den beiden gleichermaßen rechtmäßigen Alternativen Einschreiten oder Untätigbleiben ist mithin im Einzelfall aufgehoben, sofern entweder die Grenze des Übermaßes oder diejenige der Schädlichkeit über- bzw. un112

W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S.432f. Vgl. etwa RG, JW 1939, S. 239 (240); RGZ 162, 273 (275). Der BGH hat diese Rechtsprechung übernommen; vgl. nur BGH, L M § 839, Fg Nr. 3; BGH, VerwRspr. 5, S. 319 (320); BGH, VRS 7, S.87 (91); BGH, NJW 1962, S. 1245 (1246). 1,3

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terschritten ist und damit ausnahmsweise nur noch jeweils eine der beiden Entscheidungen rechtsfehlerfrei getroffen werden kann. Mit dem sog. Bandsäge-Urteil des BVerwG vom 18. August i960 1 1 4 und dem dort grundsätzlich als möglich anerkannten Anspruch des einzelnen auf (baupolizeiliches Einschreiten 115 hat die Lehre von der Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auch Eingang in die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung gefunden 116. b) Die Voraussetzungen für eine Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null Keine eindeutige Klarheit besteht jedoch bis heute über die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen ein Untätigbleiben der Gefahrenabwehrbehörde als nicht mehr tolerierbar anzusehen ist und ihr Entschließungsermessen demgemäß ausnahmsweise auf eine Pflicht zum Einschreiten als einzig rechtmäßige Entscheidung zusammenschrumpft 117. Indessen sind die Bedingungen für eine Ermessensreduzierung auf Null einer exakten Festlegung auch nicht zugänglich, hängt die Annahme einer Ermessensschrumpfung doch zum einen maßgeblich von den besonderen tatsächlichen Umständen des Einzelfalles und zum anderen davon ab, ob im Lichte dieser Umstände den für ein Eingreifen streitenden Interessen der Vorrang gegenüber denjenigen gebührt, die für ein Untätigbleiben sprechen 118. Eine schematische Normierung des Inhalts, daß die Polizei- und Ordnungsbehörden bei Gefahren für bestimmte Rechtsgüter stets einzuschreiten verpflichtet sind, erscheint aus diesem Grunde nicht möglich 119 . Aufgestellt werden kann vielmehr lediglich eine Liste derjenigen rechtlichen Faktoren, die grundsätzlich geeignet sind, im Zusammenwirken mit den situationsbedingten Gegebenheiten des Einzelfalles sowie in Abhängigkeit von den widerstreitenden Interessen eine Ermessensreduzierung auf Null herbeizuführen 120. Bei der Bewertung des Einflusses dieser Faktoren ist jedoch stets im Auge zu behalten, daß die Einräumung von Ermessen im Sinne einer echten Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Entscheidungsalternativen nach dem Willen des Ge114

BVerwGE 11,95 (97). Vgl. O. Bachof, DVB1. 1960, S. 125 (128ff.). 116 Vgl. aus der weiteren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte etwa BVerwG, VerwRspr. 20, S.588 (589) = DVB1. 1969, S.586; OVG Münster, OVGE 23, 78 (81). 117 So auch die Einschätzung von U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S.214 (219); Drewsl Wacke/VogellMartens, Gefahrenabwehr, S.400; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 354; F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 131; D. Wilke, FS Scupin, S.831 (838). Iis Ygi y Qötz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 354; ebenso auch die Einschätzung des OLG Celle, DÖV 1972, S.243 (244). 115

119 Vgl. V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 354; F. Ossenbühl, DÖV 1976, S.463 (468); F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 131. 120 Vgl. K.-E. Hain/V. Schlette/Th. Schmitz, AöR 122 (1997), S.32 (42 ff.).

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setzgebers den Grundsatz und die Schrumpfung des polizeilichen Entschließungsermessens auf N u l l die Ausnahme darstellt.

aa) Die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter Sieht man einmal vom Fall der Selbstbindung der Verwaltung ab 1 2 1 , so sind als bedeutsame Faktoren namentlich die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter, das Ausmaß des drohenden Schadens, die Nähe und Wahrscheinlichkeit seines Eintretens sowie die Unmöglichkeit einer Selbsthilfe durch die betroffenen Bürger zu nennen 1 2 2 . Besonderes Gewicht kommt dabei nach übereinstimmender Auffassung 123 den (Grund-)Rechtsgütern Leben und Gesundheit zu, die der Staat von Verfassungs wegen umfassend zu schützen und auch vor Schädigungen von dritter Seite zu bewahren hat 1 2 4 . Gleiches wird mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG für bedeutende Vermögenswerte gelten müssen 125 . I m Falle der Gefährdung sonstiger Rechtsgüter ist die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung zwar ebenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen 126 ; jedoch dürften die besonderen Umstände der konkreten Situation 121

Vgl. zu diesem Fall der Ermessensreduzierung auf Null etwa U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S. 214 (223 ff.); F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn. 19f.; M. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §40, Rn. 103ff. Zur Bedeutung der Selbstbindung der Verwaltung im Rahmen der Amtshaftung vgl. etwa BGH, NJW 1959, S. 1125 (1126); BGH, VersR 1966, S.286 (289). 122 Vgl. DrewslWackelVogell Martens, Gefahrenabwehr, S.401 f.; F. Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10, Rn.21; außerdem BGH, VerwRspr. 5, S.319 (320) und BGH, NJW 1962, S. 1245 (1246): „unmittelbare Gefahren für wesentliche Rechtsgüter"; BVerwGE 11, 95 (97): „Für eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung kann neben anderen Umständen auch das Ausmaß oder die Schwere der Störung oder Gefährdung eine maßgebende Bedeutung haben. Bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung kann eine Entschließung der Behörde zum Nichteinschreiten unter Umständen sogar als schlechthin ermessensfehlerhaft erscheinen."; BVerwG, VerwRspr. 20, S.588 (589): „in besonders schweren Gefahrenfällen". 123 Vgl. nur F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 131; W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn.71. 124 Vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Pflicht des Staates, sich nicht nur verletzender Eingriffe in die Rechtsgüter Leben und Gesundheit zu enthalten, sondern sich auch bei Schädigungen und Gefährdungen durch Dritte schützend und fördernd vor die bedrohten Rechtsgüter zu stellen BVerfGE 39, 1 (42) - Schwangerschaftsabbruch; 46, 160 (164f.) - Schleyer; 49, 89 (141 f.) - Kalkar; 53, 30 (57 f.) - Mülheim-Kärlich; 56, 54 (73) - Fluglärm; 77, 170 (214) - C-Waffen-Lagerung; 77, 381 (402f.) - Gorleben; 79,174 (201 f.) -Verkehrslärm; 88, 203 (251 ff.) - Schwangerschaftsabbruch; außerdem U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S.214 (221). 125 Ygi y Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 354; F. Rachor, in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 131; W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn.71; OVG Berlin, NJW 1983, S.777 (778); a. A. VG Berlin, NJW 1981, S. 1748 (1749), das eine polizeiliche Handlungspflicht kraft Ermessensreduktion zum Schutz von Sacheigentum kategorisch ausschließt. 126

DrewslWackelVogellMartens, (839).

Gefahrenabwehr, S.401; D. Wilke,

FS Scupin, S. 831

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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hier nur selten so beschaffen und die drohenden Gefahren nur selten von solcher Intensität sein, daß man ein Untätigbleiben der Gefahrenabwehrbehörde unter keiner Bedingung und mit keiner Begründung dulden könnte, sondern als schlechthin rechtswidrig ansehen müßte127. Eine unbedingte Pflicht der Polizei, beispielsweise die Beschädigung von Schaufensterscheiben durch Steinwürfe gewalttätiger Demonstranten zu unterbinden, wird deshalb in aller Regel erst und allenfalls dann anzunehmen sein, wenn hierdurch weitere bedeutende Vermögenswerte gefährdet werden - zu denken ist hier namentlich an die Ausstellungsstücke im Schaufenster sowie das Geschäftsinventar und möglicherweise den Lagerbestand. Doch selbst bei einer Bedrohung der höchstrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit sowie bedeutender Eigentumspositionen besteht - auch wenn regelmäßig vieles dafür sprechen wird 1 2 8 - nicht in jedem Fall eine Handlungspflicht der Behörde kraft Ermessensreduktion und zieht ein Untätigbleiben nicht ohne weiteres Amtshaftungsansprüche nach sich. Vielmehr ist auch hier zwischen den bedrohten Rechtsgütern einerseits und den Folgen und Beeinträchtigungen, die ein Einschreiten für andere Rechtsgüter mit sich bringen würde, andererseits abzuwägen. Stehen den bedrohten Rechtsgütern gleich- oder sogar höherwertige kollidierende Rechtspositionen gegenüber, so kann sich der Ermessensspielraum nicht zu einer Handlungspflicht verdichten 129. Vielmehr muß, solange sich ein Abwägungsüberschuß zugunsten der bedrohten Rechtsgüter nicht feststellen läßt, die nach dem Willen des Gesetzes grundsätzlich bestehende Entschließungsfreiheit der Gefahrenabwehrbehörde erhalten bleiben 130 . Ist mithin ein Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten, die durch ihr Verhalten Leben, Gesundheit oder Eigentum Dritter gefährden, im Einzelfall nicht ohne Lebensgefahr für die beteiligten Polizeibeamten oder nur unter Einsatz von Schußwaffen möglich, so wird man trotz der (Höchst-)Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter nicht davon sprechen können, daß allein ein Einschreiten der Gefahrenabwehrbehörde die einzig rechtmäßige Entscheidung darstellt. Gleiches gilt, wenn nach - ex ante betrachtet zutreffender - Einschätzung der Polizei ein Eingreifen zu einer Eskalation der Lage und einer Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum weiterer Personen führen würde 131 ; auch hier liegt die Entscheidung über Tätigwerden oder Untätigbleiben in ihrem (nicht reduzierten) Ermessen. Die Verfolgung einer wohl verstandenen Deeskalationsstrategie, die sowohl von der Sach- und Er127

So auch D. Wilke, FS Scupin, S. 831 (839). Vgl. U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S.214 (221 f.); K.H. Friauf, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Abschnitt, Rn. 64; W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn.71. 129 U. Di Fabio, VerwArch. 86 (1995), S.214 (231); A. Dimski, VersR 1999, S.804 (810); V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 354; F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 131. 130 A. Gern, DVB1. 1987, S. 1194 (1199). 131 Insoweit zutreffend VG Berlin, NJW 1981, S. 1748 (1749); F. Rachor, in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 135; B. Schlink, NVwZ 1982, S.529 (532f.). 128

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

kenntnislage im Zeitpunkt der Entscheidung gedeckt als auch von polizeilichen Erwägungen getragen ist 132 , vermag deshalb ein (vorläufiges) Untätigbleiben der Gefahrenabwehrbehörde zu rechtfertigen. Eskaliert die Situation gleichwohl und kommt es zu tumultartigen Zuständen, so kann der Polizei ihre (anfängliche) Untätigkeit nicht ex post als Amtspflichtwidrigkeit vorgehalten werden. Stehen einem Eingreifen der Polizei demgegenüber keine kollidierenden Rechtsgüter gleichen oder höheren Ranges entgegen, dann wird die Wertigkeit der durch die Tumultuanten bedrohten (Grund-)Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum regelmäßig für eine Reduzierung ihres Entschließungsermessens auf eine Pflicht zum Einschreiten sprechen. bb) Die tatsächliche Unmöglichkeit als Grenze der Ermessensschrumpfung Trotz des tatbestandlichen Vorliegens einer derartigen ermessensreduzierenden Fallkonstellation bereitet indessen die Annahme einer unbedingten Pflicht der Polizei, gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge einzuschreiten, dann Probleme, wenn ihr ein solches Vorgehen mit den zur Verfügung stehenden personellen und sachlichen Mitteln schlicht nicht möglich ist. Gerade bei Großveranstaltungen und Massendemonstrationen wird sich die Gefahrenabwehrbehörde nicht selten in diesem Zustand tatsächlicher Unmöglichkeit befinden, ist hier doch nach polizeilichen Erfahrungswerten zur Festnahme der Gewalttäter im allgemeinen ein Stärkeverhältnis von 2:1 oder sogar 3:1 zugunsten der Polizei erforderlich 133 . Hinzu kommt, daß eine ursprünglich als friedlich geplante Demonstration typischerweise dadurch in tumultuarische Auseinandersetzungen ausartet, daß die Gewaltbereitschaft einzelner innerhalb kurzer Zeit in nicht vorhersehbarer Weise auf weitere Kreise des Kollektivs übergreift. Die Polizei sieht sich daher zumeist nicht nur einzelnen, sondern einer Vielzahl von Gewalttätern und damit einer Situation gegenüber, die für sie mit den verfügbaren Einsatzkräften oft nicht beherrschbar ist 134 . Würde man ihr unter diesen tatsächlichen Umständen dennoch - sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, namentlich also ein Abwägungsüberschuß zugunsten der bedrohten hochrangigen Rechtsgüter vorliegt - qua Ermessensreduktion eine Pflicht zum Eingreifen auferlegen wollen, so liefe dies darauf hinaus, die Mög132 Insoweit wohl zu weitgehend VG Berlin, NJW 1981, S. 1748 (1749), das die Entscheidung der Gefahrenabwehrbehörde, mit Blick auf eine angestrebte „umfassende politische Lösung des Problems" nicht gegen Hausbesetzer vorzugehen, für rechtmäßig erachtet hat. Kritisch hierzu W. Martens, DÖV 1982, S. 89 (97 f.); F. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, F, Rn. 117; W.-R. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II, Rn.70 mit Fn. 133; B. Schlink, NVwZ 1982, S.529 (532f.). 133 H. Honnacker, MDR 1987, S. 974 (975), Fn. 8. 134 Vgl. W. Henrichs, NJW 1968, S.973 (974); U. Karpen, ZRP 1987, S.349; A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 85; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148.

A. Amtshaftung für Tumultschäden

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lichkeit der Verurteilung der Gefahrenabwehrbehörde zu einer aus tatsächlichen Gründen unmöglichen Leistung im Wege der Verpflichtungsklage, mit der der betroffene Bürger seinen Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten geltend macht, zu billigen 135 . Es ist indessen allgemein anerkannt undfindet in der überkommenen Rechtsmaxime „ultra posse nemo obligatur" seinen Ausdruck, daß die Rechtsordnung niemandem - auch nicht der Verwaltung - etwas abverlangen kann, wozu er schlechterdings nicht in der Lage ist. Selbst bei der Bedrohung hochrangiger Rechtsgüter ist die Annahme der Schrumpfung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null deshalb dann ausgeschlossen, wenn der Polizei ein Einschreiten mangels ausreichender Personalmittel tatsächlich nicht möglich ist. Amtshaftungsansprüche können sich unter diesen Umständen lediglich ergeben, wenn die Gefahrenabwehrbehörde den Zustand tatsächlicher Unmöglichkeit pflichtwidrig herbeigeführt hat, etwa durch fehlerhafte Organisation und Einteilung (nicht: Verteilung) ihres Personals oder durch den Verzicht auf Anforderung von Unterstützung seitens der Polizei der Nachbarländer oder des Bundesgrenzschutzes 136 . Auch hier kann der Kausalzusammenhang zu den späteren Tumultschäden indessen nur bejaht werden, wenn die Gefahrenabwehrbehörde bei ordnungsgemäßem Personalmanagement und rechtzeitigem Amtshilfeersuchen gegen die Gewalttäter hätte einschreiten können (tatsächliche Möglichkeit) und müssen (Ermessensreduzierung auf Null). In der Regel liegt die mangelnde Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl von Einsatzkräften allerdings nicht in einem Planungs- oder Organisationsfehler der Gefahrenabwehrbehörde, sondern einerseits in der charakteristischen Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit tumultuarischer Situationen sowie andererseits schlicht darin begründet, daß ihre personellen und finanziellen Mittel durch die Vorgaben im Landeshaushalt bedingt und begrenzt ist. Hierin eine Amtspflichtverletzung seitens des Haushaltsgesetzgebers zu sehen, kommt schon mit Blick auf den ihm zustehenden weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum nicht in Betracht 137. Die Erkenntnis, daß es einen Totalschutz der Bürger vor Tumultschäden - zumal in Zeiten knapper öffentlicher Mittel und Kassen - nicht geben kann, ist daher unumgänglich. cc) Resümee Schreitet deshalb die Gefahrenabwehrbehörde nicht oder nicht rechtzeitig gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge ein, so kann hierin eine für den (Tumult-)Schaden kausale Amtspflichtverletzung allenfalls unter der - bei realistischer Betrachtung nur in den seltensten Fällen erfüllten - Prämisse 135

So U. DiFabio, VerwArch. 86 (1995), S.214 (230f.); W. Martens, DÖV 1982, S.89 (98). Vgl. hierzu R. Mußgnug, in: Die Durchsetzung des Rechts, S.59 (72). 137 Vgl. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 106. Verwiesen sei hier auch auf das Urteil des HessVGH im Streit um die hessische Richterbesoldung, DRiZ 1969, S.253 (255). 136

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

erblickt werden, daß ihre Einsatzkräfte - sei es auf Anweisung oder aus eigenem Entschluß - sehenden Auges untätig bleiben, obwohl ihnen ein Eingreifen tatsächlich möglich und wegen der Hochwertigkeit der bedrohten Rechtsgüter zudem zwingend aufgegeben wäre. Auch Amtspflichtverletzungen im Vorfeld - etwa eine schon aus der ex-ante-Perspektive unzutreffende Einschätzung des Gefahrenpotentials und der Gefahrenbrennpunkte einer Demonstration oder die nicht rechtzeitige Anforderung von Unterstützung durch die Polizei der Nachbarländer und den Bundesgrenzschutz - , die dazu führen, daß im entscheidenden Moment nicht genügend Einsatzkräfte an der richtigen Stelle zur Verfügung stehen, können nur dann als kausal für spätere Tumultschäden angesehen werden, wenn die Gefahrenabwehrbehörde bei amtspflichtgemäßem Verhalten nicht nur die Pflicht, sondern auch die Möglichkeit gehabt hätte, gegen die Gewalttäter vorzugehen und so die Entstehung der Tumultschäden zu verhindern.

III. Das Erfordernis des Verschuldens Demgegenüber bereitet die Feststellung des Verschuldens im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in den seltenen Fällen, in denen die Nichtverhinderung der Tumulte seitens der Gefahrenabwehrbehörde ausnahmsweise eine für die späteren Schäden kausale Amtspflichtverletzung darstellt, angesichts der in der Rechtsprechung zu verzeichnenden Tendenz zu seiner Objektivierung und Entindividualisierung 138 keine besonderen Schwierigkeiten. Denn abgesehen davon, daß durch die Aufstellung objektiver Verhaltensstandards, die sich am „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten" orientieren, die Tatsache einer Amtspflichtverletzung praktisch schon den Fahrlässigkeitsvorwurf impliziert und es insoweit im allgemeinen keiner besonderen Feststellung mehr bedarf 139, ist es der Rechtsprechung zufolge auch nicht erforderlich, daß der Geschädigte den schuldhaft untätigen Beamten namentlich benennen oder in anderer Weise individualisieren kann 140 . Ein Amtshaftungsanspruch ist vielmehr bereits dann begründet, wenn feststeht, daß überhaupt irgendein Amtsträger der in Anspruch genommenen Körperschaft Dritten gegenüber obliegende Amtspflichten schuldhaft verletzt hat und damit letztlich das Verhalten der Verwaltung insgesamt in einer den verkehrsnotwendigen Sorgfaltsanforderungen

138 Vgl. dazu die Darstellungen bei P. Dagtoglou, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 34, Rn. 191 ff.; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.76f.; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn. 288; H.Vinke, in: Soergel, BGB, § 839, Rn. 194 und 201; aus der Rechtsprechung etwa BGH, W M 1960, S. 1304 (1305). 139 BGH, VersR 1967, S. 1150 (1151); BGH, NJW 1979, S.2097 (2098); BGHZ 106, 323 (329f.); BGH, NJW 1993, S.3065 (3066); vgl. außerdem F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.76; H.Vinke, in: Soergel, BGB, §839, Rn. 198 und 201. 140 Schon RGZ 100,102; vgl. auch F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.77; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn. 288.

B. Entschädigung aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff

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widersprechenden Weise amtspflichtwidrig gewesen ist . Ausreichend ist es daher, wenn in dem Gesamtverhalten der Verwaltung ein sog. Organisationsverschulden gesehen werden kann, wenn also die Schädigung durch den handelnden (bzw. untätigen) Beamten auf die Verletzung von im behördlichen Verkehr bestehenden Sorgfaltspflichten bei der Organisation des Dienstbetriebes oder der Aufsicht über deren Ablauf zurückzuführen ist 142 . Damit werden namentlich auch diejenigen hier interessierenden Fälle vom Amtshaftungsanspruch erfaßt, in denen die Nichtverhinderung der Tumultschäden zwar nicht den konkret eingesetzten Beamten, die sich insoweit in einer Situation tatsächlicher Unmöglichkeit befanden, wohl aber einer fehlerhaften Organisation der Gefahrenabwehrbehörde anzulasten ist, die vorwerfbar-pflichtwidrig nicht genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gestellt hat. Gelingt es dem Geschädigten mithin ausnahmsweise, ein für die von ihm erlittenen Tumultschäden kausales amtspflichtwidriges Verhalten darzulegen, dann wird die Geltendmachung seines Schadenersatzanspruchs kaum am Nachweis fehlenden Verschuldens scheitern. Insgesamt erweist sich der Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG jedoch nur in engen Grenzen und seltenen Fällen als tauglich, um vom Staat Ersatz für Tumultschäden wegen Schutzverweigerung durch die Polizei zu erhalten.

B. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff Dies gilt in gleicher Weise für die neben der Amtshaftung bestehenden143 Anspruchsinstitute des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs. Ohne hier auf die Entwicklung dieser richterrechtlich geprägten Haftungsinstitute näher eingehen zu wollen, kann der enteignungsgleiche Eingriff nach dem derzeitigen Entwicklungsstand der Rechtsprechung kurz als Entschädigungstatbestand für rechtswidrige hoheitliche Maßnahmen definiert werden, durch die unmittelbar eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition beeinträchtigt wird 144 . Soweit hoheitlicher Zwang in rechtswidriger Weise nachteilig auf nicht Vermögenswerte Rechtsgüter, insbesondere auf Leben, Freiheit und Gesundheit, einwirkt, besteht ebenfalls ein Entschädigungsanspruch, der teilweise als Anspruch aus aufopferungsgleichem 141

H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, §839, Rn.288. BGH, NJW 1964, S.41 (44); BGHZ 66, 302 (312); OLG Düsseldorf, NWVB1. 1988, S.248; vgl. außerdemH.Winke, in: Soergel, BGB, §839, Rn.201. 143 Die Ansprüche aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff werden vom Amtshaftungsanspruch nicht verdrängt, sondern bleiben daneben bestehen; vgl. St. Detterbeckl K. Windthorst/H.-D. Sproll, Staatshaftungsrecht, § 16, Rn. 74 und § 17, Rn. 51. 144 Vgl. BGHZ 117,240 (252); 125,19 (21); F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.263; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn.25ff. 142

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

Eingriff 145 , teilweise einfach als Aufopferungsanspruch bezeichnet wird 146 . Ein Verschulden der öffentlichen Gewalt ist - anders als bei der Amtshaftung - in beiden Fällen nicht erforderlich. Man kann die Ansprüche aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff in ihrer gegenwärtigen Gestalt, die sie in der Rechtsprechung angenommen haben, deshalb dem Bereich der verschuldensunabhängigen unmittelbaren Staatsunrechtshaftung zuordnen 147. Nach überkommener Auffassung der Rechtsprechung setzt ein Anspruch aus enteignungs- wie aus aufopferungsgleichem Eingriff in Anlehnung an Tatbestand und Rechtsfigur der Enteignung jedoch einen positiven Eingriff von hoher Hand voraus, während für rechts- und damit pflichtwidriges Unterlassen der öffentlichen Gewalt nach diesen Haftungsinstituten grundsätzlich keine Entschädigung zu leisten ist 148 . Etwas anderes soll erst dann gelten, wenn sich das Unterlassen ausnahmsweise als ein in bereits bestehende grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Betroffenen eingreifendes Handeln qualifizieren läßt 149 , wenn ihm durch die Untätigkeit der Verwaltung nicht nur etwas nicht gegeben, sondern etwas genommen wird 150 . Die bloße Nichterfüllung eines Anspruchs des Bürgers seitens der Verwaltung genügt nach ständiger Rechtsprechung diesen Anforderungen im allgemeinen nicht 151 . Lediglich im Gewährleistungsbereich der Baufreiheit sowie - eingeschränkt - im Schutzbereich des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs 152 stuft die Judikatur die rechtswidrige Nichterteilung einer beantragten Genehmigung als ein145 Diese Bezeichnung ist in Anlehnung an den enteignungsgleichen Eingriff in der Literatur geprägt worden; vgl. B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 114; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 133; H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn. 54 mit Fn. 148. 146 So die Rechtsprechung, die bei der Beeinträchtigung nicht vermögenswerter Rechte begrifflich nicht zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Eingriffen differenziert, sondern stets von Aufopferung spricht. Praktische Konsequenzen zeitigen diese terminologischen Unterschiede indessen nicht (vgl. H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn. 680). Ist die hoheitliche Maßnahme rechtswidrig, so ist allein hierdurch bereits das den Aufopferungsanspruch kennzeichnende Sonderopfer konstituiert; resultiert der Schaden dagegen aus rechtmäßigem Verwaltungshandeln, so bedarf das Sonderopfer einer besonderen Begründung. Vgl. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 133 f.; W. Rüfner, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, §48, Rn. 85. 147 H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn.680. 148 St.Rspr. des BGH, vgl. etwa BGHZ 12, 52 (56); 32, 208 (211); 56, 40 (42); 102, 350 (364 f.); 120, 124(132). 149 BGHZ 32, 208 (211); 56,40 (42); 102, 350 (364f.); 120, 124 (132). 150 BGH, NJW 1962, S.2347f.; BGH, VersR 1963, S.628 (630). 151 BGH, NJW 1962, S.2347f.; BGH, VersR 1963, S.628 (630); BGH, DVB1. 1971, S.464 (465); BGH, NJW 1985, S. 1287 (1289). 152 Ein enteignungsgleicher Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn dem Inhaber eines bereits bestehenden Betriebes die für bestandssichernde Ersatz- oder Anpassungsinvestitionen erforderlichen Genehmigungen zu Unrecht versagt werden, nicht jedoch bereits dann, wenn die Verwaltung eine Gewerbeerlaubnis oder eine Betriebserweiterungserlaubnis rechtswidrigerweise versagt oder nicht erteilt. Vgl. BGH, DVB1.1972, S.827; BGH, NJW 1980, S.387f.; außerdem//.-/. Papier, in: MünchKomm-BGB, §839, Rn.42f.

B. Entschädigung aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff

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griffsgleiche Verkürzung bestehender Eigentumspositionen und damit als sog. qualifiziertes Unterlassen ein 153 . Voraussetzung ist jedoch, daß die Behörde ihren Willen, den Anspruch des Bürgers auf Erteilung der begehrten Erlaubnis rechtswidrigerweise nicht zu erfüllen, entweder durch die förmliche Ablehnung des Antrags oder durch eine eindeutig ablehnende Haltung bereits im Vorfeld der Antragstellung unzweideutig offenbart hat 154 . Bleibt die Verwaltung indessen einfach untätig, indem sie ein eingereichtes Baugesuch nicht bearbeitet, so ordnet die Rechtsprechung dieses hoheitliche Verhalten in den entschädigungsrechtlich unerheblichen Bereich des schlichten Unterlassens ein 155 . Legt man diese Differenzierung der Judikatur zwischen qualifiziertem und schlichtem Unterlassen zugrunde, dann kommt eine Entschädigung für Tumultschäden unter dem Gesichtspunkt des enteignungs- bzw. aufopferungsgleichen Eingriffs nicht in Betracht. Selbst wenn die Entscheidung der Polizei, nicht gegen die Gewalttäter innerhalb einer versammelten Menschenmenge oder gegen die Versammlung als ganzes einzuschreiten, obwohl ihr dies tatsächlich möglich wäre, auf einer rechtsfehlerhaften Ermessensbetätigung beruht, wird man diese Untätigkeit schon deshalb als schlichtes Unterlassen anzusehen haben, weil es zumeist an ihrer förmlichen und damit „qualifizierten" Offenbarung gegenüber den betroffenen Bürgern fehlt. Darüber hinaus stellt sich die Nichtgewährung polizeilichen Schutzes selbst in den Fällen, in denen das Entschließungsermessen auf Null reduziert und die Polizei zum Eingreifen verpflichtet war, nicht als eingriffsgleiche Verkürzung bestehender Rechtspositionen des Bürgers im Sinne der angeführten Rechtsprechung dar. Daß der Bürger auf die Gewährung des vorenthaltenen polizeilichen Schutzes im Falle der Ermessensschrumpfung auf Null einen subjektiv-rechtlichen Anspruch hat, genügt der Judikatur nicht, um die Untätigkeit der Polizei als qualifiziertes Unterlassen einzustufen. Demgegenüber wird in der Literatur die von der Rechtsprechung praktizierte Unterscheidung seit langem kritisiert und eine Gleichsetzung von Unterlassen und Tun im Rahmen des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs in Anlehnung an die Behandlung in anderen Bereichen der Rechtsordnung stets dann befürwortet, wenn die Behörde gegenüber dem Betroffenen eine Rechtspflicht zum Handeln trifft 156 . Folgt man dieser Auffassung - die angesichts der wenig plausiblen Abgrenzungskriterien des BGH die besseren Gründe für sich hat und der man in dem Maße, wie sich der enteignungs- und der aufopferungsgleiche Eingriff von ihrer ursprüng153 Vgl. etwa BGH, DVB1.1971, S.464 (465); BGH, DVB1.1972, S.827; BGH, NJW 1980, S. 387; BGHZ 102,350 (364); näher H.-J. Papier, in: MünchKomm-BGB, § 839, Rn.43; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn.703. 154 BGH, DVB1. 1973, S. 142 (143); BGHZ 102, 350 (364); näher F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 255 ff. 155 BGHZ 65, 182 (189); BGH, DVB1. 1971, S.464 f.; BGH, NJW 1980, S. 1567 (1570); BGH, NVwZ 1988, S. 1066 (1067); vgl. auch F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 255 ff. 156 B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 109; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 256ff.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn.681.

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

liehen Verankerung in Art. 14 GG abgekoppelt und zu eigenständigen, gewohnheitsrechtlich fundierten Haftungsinstituten entwickelt haben, auch nicht mehr entgegenhalten kann, die Rechtsfigur einer „Enteignung durch Unterlassen" existiere nicht 157 - , so kommen Entschädigungsansprüche für Tumultschäden aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff in den Fällen in Betracht, in denen das Entschließungsermessen der Polizei ausnahmsweise auf Null reduziert war und ihr gegenüber den Inhabern der beeinträchtigten Rechtsgüter eine Rechtspflicht zum Einschreiten oblag. Zweifelhaft könnte dann allenfalls sein, ob sich die Rechtsgutsbeeinträchtigungen als unmittelbare Folge der polizeilichen Untätigkeit darstellen, denn ihre Letztursache liegt in den aktiven Schädigungshandlungen der Gewalttäter. Indessen wird das Erfordernis der Unmittelbarkeit des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs in Literatur und Rechtsprechung nicht in dem Sinne verstanden, daß das hoheitliche Verhalten die letzte Bedingung für die Schadensentstehung gesetzt haben muß. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, ob der Schaden unter Berücksichtigung der „Eigenart der hoheitlichen Maßnahme"158 und der von ihr „typischerweise ausgehenden Gefahr" 159 dem Risiko- und Verantwortungsbereich des Staates zuzurechnen ist 160 . Eine solche Zurechnung wird man bejahen können, wenn die Polizei ihrer Pflicht zum Einschreiten - sollte eine solche im Einzelfall ausnahmsweise kraft Ermessensreduzierung bestehen - nicht nachkommt und die deliktischen Taten der Gewalttäter nicht verhindert. Sofern man pflichtwidriges Unterlassen der öffentlichen Gewalt mit der Literatur in den Tatbestand des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs einbezieht, sind diese Haftungsinstitute deshalb in den Ausnahmefällen geeignet, Entschädigungsansprüche für Tumultschäden zu begründen, in denen das Entschließungsermessen der Polizei auf eine Pflicht zum Einschreiten geschrumpft war und ihr unterbliebenes Eingreifen aus diesem Grunde als rechtswidrig zu bewerten ist. Ist die Entscheidung der Polizei, nicht gegen die Gewalttäter vorzugehen, hingegen lediglich mit einem sonstigen Ermessensfehler behaftet, beispielsweise auf sachfremde Erwägungen gestützt, ohne daß ihre Entschließungsfreiheit auf eine Pflicht zum Tätigwerden geschrumpft war, dann kann ihre Untätigkeit auch nach Auffassung der Literatur nicht einem positiven enteignungs- bzw. aufopferungsgleichen Eingriff gleichgeachtet werden. Darüber hinaus kommen diese Haftungsinstitute von vornherein nicht zur Begründung von Ersatzansprüchen für Tumultschäden in Betracht, wenn das Untätigbleiben der Polizei rechtlich nicht zu beanstanden ist, etwa weil sie von einem Eingreifen mit Rücksicht auf die hierbei gefährdeten 157

So aber BGHZ 12, 52 (56). Vgl. BGHZ 28, 310 (313); 92, 34 (41); 99, 249 (255); 100, 335 (338); 102, 350 (358), BGH, MDR 1976, S.826; BGH, NJW 1980, S.770. 159 Vgl. BGHZ 92, 34 (42); 100, 335 (339); 102, 350 (358); BGH, NJW 1980, S.770. 160 Ygi z u diesem Verständnis des Unmittelbarkeitserfordernisses in der gegenwärtigen Rechtsprechung und zu seiner Entwicklung F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 247 ff. 158

C. Entschädigung aus enteignendem Eingriff und Aufopferung

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Rechtsgüter zu Recht abgesehen hat oder weil es ihr unverschuldet schlicht an der erforderlichen Anzahl an Einsatzkräften mangelte. Die Mehrzahl der Tumultschadensfälle wird mithin von den gewohnheitsrechtlichen Haftungsinstituten des enteignungs- und aufopferungsgleichen Eingriffs ebensowenig erfaßt wie vom gesetzlichen Amtshaftungsanspruch. Lediglich wenn die Polizei untätig bleibt, obwohl ihr Entschließungsermessen ausnahmsweise auf Null reduziert und sie deshalb zum Eingreifen verpflichtet war, stehen den geschädigten Rechtsgutsinhabern - vorausgesetzt, man befürwortet mit der Literatur eine Gleichsetzung von Tun und pflichtwidrigem Unterlassen - neben Amtshaftungsansprüchen auch Entschädigungsansprüche aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff zu. Bleibt man hingegen auf dem Boden der Rechtsprechung, dann werden Entschädigungsansprüche auch in diesem Fall zu versagen sein.

C. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignendem Eingriff und Aufopferung Sind die Tumultschäden hingegen nicht auf ein rechtswidriges Verhalten der Polizei- und Ordnungsbehörden zurückzuführen, sondern entstehen sie, obwohl diese sich in jeder Hinsicht pflichtgemäß verhalten und entweder zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter auf ein Einschreiten bewußt verzichtet haben oder hierzu mangels ausreichender Einsatzkräfte faktisch nicht in der Lage waren, so ist jedoch an Ersatzansprüche der Geschädigten aus enteignendem Eingriff (Eigentumsaufopferung) 161 und (allgemeiner) Aufopferung 162 zu denken. Im Unterschied zu den Ansprüchen aus Amtshaftung sowie enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff entschädigen diese Haftungsinstitute nicht für Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch staatliches Fehlverhalten, sondern sollen solche - meist atypischen und unvorhersehbaren - schädigenden Nebenfolgen rechtmäßiger hoheitlicher (Zwangs-)Maßnahmen kompensieren, die sich für die Betroffenen als Sonderopfer darstellen 163. Wird der einzelne durch die unmittelbaren Auswirkungen einer staatlichen Maßnahme, die im Interesse und zum Wohle 161

So die Bezeichnung von E. Klein, in: Soergel, BGB, Anh § 839, Rn. 154. Sie bringt u. a. zum Ausdruck, daß auch der enteignende Eingriff nach der neueren Rechtsprechung des BGH, die sich im Anschluß an den Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG (BVerfGE 58,300) entwikkelt hat, seine Rechtsgrundlage im allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§74, 75 PrALR findet; vgl. BGHZ 91, 20 (27 f.); 122, 76 (77). 162 Im Sinne der Literatur (vgl. oben Fn. 145) ist hiermit nur die Aufopferung für rechtmäßiges hoheitliches Handeln gemeint, während der rechtswidrige aufopferungsgleiche Eingriff begrifflich ausgeklammert bleibt. 163 Vgl. nur F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 143 (Aufopferung) und S. 273 ff. (enteignender Eingriff); W. Rüfner, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, §48, Rn.75ff. (enteignender Eingriff) und Rn. 82 ff. (Aufopferung); vgl. auch BGHZ 117, 240 (252) (enteignender Eingriff).

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

der Allgemeinheit pflichtgemäß getroffen wird, in einer Weise in seinen Rechtsgütern beeinträchtigt, die über das nach dem Prinzip der Lastengleichheit entschädigungslos hinzunehmende Maß hinausgeht, dann liegt in seiner Person eine anspruchsbegründende Sonderopferlage vor. Die Haftungsinstitute des enteignenden Eingriffs und der Aufopferung scheinen damit auf den ersten Blick jedenfalls in den Fällen zum Ausgleich von Tumultschäden geeignet zu sein, in denen der Staat von einem Vorgehen gegen die Gewalttäter unter Inkaufnahme der von ihnen angerichteten Schäden bewußt abgesehen hat, um Schlimmeres zu verhüten. Doch auch wenn die staatliche Untätigkeit ihren Grund allein darin hat, daß - unverschuldet - nicht genügend Einsatzkräfte zur Beherrschung der tumultuarischen Situation zur Verfügung standen, werden die Betroffenen den Schaden als ein Opfer empfinden, das allein ihnen aufgrund der zufälligen Lage ihres Geschäftslokals oder ihrer zufälligen Anwesenheit am Ort der Auseinandersetzungen abverlangt wird und durch das sie im Verhältnis zur Allgemeinheit ungleich belastet werden. Bei näherer Betrachtung erweist sich eine Entschädigung für Tumultschäden aus dem Institut des enteignenden Eingriffs und dem (allgemeinen) Aufopferungsgedanken indessen in mehrfacher Hinsicht als problematisch.

I. Enteignender Eingriff und Aufopferung durch Unterlassen? Ebenso wie schon bei der Haftung aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff hängen diese Schwierigkeiten maßgeblich damit zusammen, daß nicht ein positives Tun, sondern ein hoheitliches Unterlassen den Anknüpfungspunkt für eine mögliche Ausgleichspflicht des Staates bildet. Im Unterschied zu den dort behandelten Fällen ist das Unterlassen in den nunmehr in Rede stehenden Konstellationen, die Anlaß zu einer Haftung aus enteignendem Eingriff und Aufopferung geben können, aber in jeder Hinsicht rechtmäßig. Es geht jetzt ausschließlich um diejenigen Situationen, in denen die Untätigkeit den Gefahrenabwehrbehörden nicht als Pflichtwidrigkeit angelastet werden kann. 1. Die haftungsrechtliche Relevanz hoheitlichen Unterlassens Haftungsrechtliche Relevanz kann ein Unterlassen der öffentlichen Hand jedoch ebenso wie dasjenige einer Privatperson allein über eine Pflicht zum Tätigwerden gewinnen164. Dies entspricht nicht nur allgemein anerkannten Regeln des (zivilen) Haftungsrechts 165, sondern ist zudem gerade in den Schadensfällen, die dem Bereich mangelnder staatlicher Gefahrenabwehr zuzuordnen sind, auch zwingend ge164 165

W. Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, S. 81. Vgl. dazu E. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 102.

C. Entschädigung aus enteignendem Eingriff und Aufopferung

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boten, um eine umfassende und uferlose Haftung des Staates für sämtliche Risiken, die aus dem menschlichen Zusammenleben resultieren, zu vermeiden. Wollte man die Untätigkeit der Gefahrenabwehrbehörden unter Berufung auf die elementare Aufgabe des Staates, Eigentum, Leben und Gesundheit seiner Bürger zu schützen, auch dann dem positiven Tun gleichstellen, wenn es an einer konkreten Rechtspflicht zum Tätigwerden fehlt, so wäre einer Haftung des Staates für den gesamten Bereich unterbliebener staatlicher Fürsorge Tür und Tor geöffnet 166. Letztlich könnten dann nämlich alle Schädigungen durch Dritte als Nichterfüllung dieser Aufgabe angesehen und so zum Anknüpfungspunkt einer staatlichen Ausgleichspflicht aus Aufopferung und enteignendem Eingriff gemacht werden 167. Rechtsprechung und Literatur lehnen es deshalb zu Recht übereinstimmend ab, einem als rechtmäßig zu bewertenden hoheitlichen Unterlassen im Rahmen des enteignenden Eingriffs und der Aufopferung haftungsrechtliche Relevanz beizumessen168.

2. Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen Ob den Staat eine Haftung für die nachteiligen Auswirkungen rechtmäßigen hoheitlichen Handelns trifft, hängt mithin entscheidend von der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen ab. Gelingt es, das von dem einzelnen Bürger erlittene Opfer auf eine positive Maßnahme des Staates zurückzuführen, dann kommen auch Ausgleichsansprüche aus enteignendem Eingriff und Aufopferung in Betracht. Man könnte deshalb versucht sein, die bei tumultuarischen Auseinandersetzungen entstandenen Schäden unter bestimmten Voraussetzungen nicht lediglich als nachteilige Auswirkungen einer rechtlich nicht zu beanstandenden Untätigkeit der Gefahrenabwehrbehörden, sondern auch als Folgen eines vorausliegenden positiven Tuns zu begreifen. In Betracht kämen insoweit namentlich die Fälle, in denen die Untätigkeit der Polizei gegenüber den Gewalttätern nicht darauf beruht, daß ihr ein Eingreifen mit den verfügbaren Mitteln schlicht unmöglich war, sondern auf eine Abwägungsentscheidung zwischen den durch die Gewalttäter bedrohten und den bei einem Einschreiten gefährdeten Rechtsgütern zurückgeht. Hier könnte es naheliegen, den Entschluß zum Untätigbleiben als ein der späteren tatsächlichen Untätigkeit vorausliegendes positives Tun anzusehen, das seinerseits geeignet wäre, Ausgleichsansprüche aus Aufopferung und enteignendem Eingriff zu begründen. 166

Vgl. OLG Celle, VersR 1975, S. 177 (181). R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S.214. 168 BGHZ 12, 52 (56); 32, 208 (211); 56,40 (42); B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 109; St. Detterbeck/K. WindthorstIH.-D. Sproll, Staatshaftungsrecht, § 17, Rn.61; W. Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, S. 81 ff.; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14, Rn.681; W. Rüfner, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, §48, Rn.88. 167

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1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

Einer näheren Überlegung vermag eine solche Betrachtungsweise indessen nicht standzuhalten. Letztlich geht jede Untätigkeit der Behörde - sofern sie in Kenntnis der gefahrenträchtigen Situation erfolgt - auf einen Willensentschluß des einzelnen Beamten, der Einsatzleitung oder des Dienstherrn zurück 169 . Lediglich die Gründe und Argumente, die den Entscheidungsfindungsprozeß beeinflussen und den Entschluß zum Untätigbleiben tragen, sind unterschiedlicher Natur: Sie können in dem höher veranschlagten Wert der bei einem Eingreifen gefährdeten Rechtsgüter ebenso begründet liegen wie in der Erkenntnis, daß ein Einschreiten mit den verfügbaren Mitteln und Einsatzkräften nicht möglich ist. Nach außen tritt jedoch in dem einen wie dem anderen Fall allein die tatsächliche Untätigkeit des Staates in Erscheinung, während der Entschluß hierzu als das Ergebnis eines Willensbildungsprozesses des einzelnen Beamten, der Einsatzleitung oder des Dienstherrn im internen Bereich der Verwaltung verbleibt. Der Schwerpunkt des Verwaltungshandelns liegt in all diesen Fällen nicht in dem Entschluß zur Untätigkeit, sondern in der Untätigkeit selbst. Die Nichtverhinderung von Tumultschäden durch die staatlichen Gefahrenabwehrbehörden läßt sich damit unter keinem Aspekt als ein Tatbestand begreifen, der Ausgleichsansprüche aus den Haftungsinstituten der Aufopferung und des enteignenden Eingriffs zu begründen geeignet ist. 3. Die Gestattung von Demonstrationen als Anknüpfungspunkt eines Aufopferungsanspruchs? An diesem Befund vermag auch der bei Schulin anklingende Gedanke nichts zu ändern, der Staat müsse deshalb für Demonstrationsschäden einstehen, weil seine liberale Verfassungsordnung sich für eine im Gegensatz zu früheren Zeiten effektivere Garantie des Meinungs- und Versammlungsfreiheit entschieden und damit eine gewisse Erhöhung des Schadensrisikos in Kauf genommen habe170. Es erscheint nicht möglich, aus der verfassungsrechtlichen Garantie der Demonstrationsfreiheit die Konsequenz zu ziehen, daß derjenige, der infolge der Ausübung dieses Grundrechts durch seine Mitbürger in seinen Rechtsgütern beeinträchtigt wird, vom Staat hierfür auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsanspruchs zu entschädigen ist. Art. 8 GG gewährleistet nur das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Von einer echten Aufopferung der Tumultgeschädigten für das Allgemeinwohl könnte daher allenfalls in den Fällen gesprochen werden, in denen der Polizei ein isoliertes Vorgehen gegen die Gewalttäter einsatztechnisch nicht möglich ist und sie von einer Auflösung der gesamten Versammlung gerade mit Rücksicht auf das 169

Vgl. auch E. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 97, der zutreffend feststellt, daß im Willensbereich kein Gegensatz zwischen Handlung und Unterlassung besteht. 170 B. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S.213.

C. Entschädigung aus enteignendem Eingriff und Aufopferung

75 171

Grundrecht der Versammlungsfreiheit der friedlichen Teilnehmer absieht . Im allgemeinen läßt sich dieser Allgemeinwohlbezug jedoch nicht herstellen, sondern sind die Tumultschäden allein als die Folgen mißbräuchlicher Grundrechtsbetätigung anzusehen. Auf den Gedanken der Aufopferung des einzelnen für die Ausübung verfassungsmäßig garantierter Rechte seiner Mitbürger kann eine Entschädigung für Tumultschäden deshalb nicht gegründet werden 172. Zudem wäre der Schritt von einer Tumultschädenhaftung kraft Aufopferung hin zu einer Haftung des Staates für sämtliche Schäden, die sich seine Bürger unter Mißbrauch der ihnen zustehenden Freiheiten zufügen, nicht mehr weit. Eine solche umfassende Vergesellschaftung der Risiken des menschlichen Zusammenlebens ist indessen nicht nur nicht finanzierbar, sondern stünde auch im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien und Konstituanten unserer freiheitlich verfaßten Staatsund Gesellschaftsordnung 173. Durch die Verbürgung von Freiheitsrechten gewährleistet der Staat seinen Bürgern einen von hoheitlicher Ingerenz freien Lebensbereich, in dem sie sich - im Rahmen der Gemeinverträglichkeit - selbstverantwortlich entfalten und betätigen dürfen. Als notwendiges Korrelat dieser Eigenverantwortlichkeit müssen sie jedoch grundsätzlich auch die Folgen ihrer Entscheidungen tragen 174 . Wollte man ihnen demgegenüber die mit dem Zusammenleben in einer freien und offenen Gesellschaft 175 verbundenen Risiken mittels einer umfassenden Haftung des Staates wegen mangelnder Gefahrenabwehr weitgehend abnehmen, dann würde man diese Zusammengehörigkeit von Vor- und Nachteilen aufbrechen und damit zugleich die sich auch und gerade in der Verteilung von Verantwortungs- und Risikobereichen äußernde Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Grundbedingung der individuellen Freiheit in Frage stellen176. Abgesehen davon, daß bereits die Einordnung einer Tumultschädenhaftung in die traditionelle Tatbestandsstruktur des Aufopferungsanspruchs erhebliche dogmatische Schwierigkeiten bereitet und letztlich nicht möglich erscheint, sprechen mithin auch weiterreichende grundsätzliche Überlegungen verfassungstheoretischer Natur dagegen, dem Staat auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsgedankens eine Pflicht zum Ausgleich von Tumultschäden aufzuerlegen.

171

Vgl. hierzu näher oben S.45f. Vgl. auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 36. 173 R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S. 214ff. 174 Vgl. näher C. Starck, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts II, § 29, Rn. 6 und 16; ders., in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 147-150. 175 Vgl. den Begriff bei K.R. Popper, Offene Gesellschaft, S. 233 ff. 176 R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S. 214ff. Zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft näherE.-W. Böckenförde, FS Hefermehl, S. 11; ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft; U. Karpen, JA 1986, S. 299; H.H. Rupp, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts I, § 28. 172

76

1. Kap.: Ersatz nach allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten

II. Allgemeiner Aufopferungsanspruch und spezielle Tumultschädengesetze Gegen eine Staatshaftung für Tumultschäden aus dem allgemeinen Aufopferungsgedanken läßt sich zudem die Existenz der speziellen Tumultschädengesetze ins Feld führen, die unabhängig von Pflichtverletzung und Verschulden den Opfern Entschädigungsansprüche zubilligen 177 . Ihre Existenz belegt, daß den Staat eine Ersatzpflicht für solche Schäden, die er trotz pflichtgemäßer Anstrengung nicht verhindern konnte, obwohl dies seine Aufgabe als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewesen wäre, nicht schon nach den allgemeinen Haftungsinstituten, sondern nur kraft spezialgesetzlicher Anordnung treffen soll. Allein der Umstand, daß der Staat die Entstehung von Tumulten und Tumultschäden nicht verhütet und damit in seiner Funktion als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung versagt hat, genügt nicht, um eine staatliche Ausgleichspflicht auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsgedankens zu begründen. Dies hat seinen Grund nicht zuletzt in der Erkenntnis, daß die Gewährleistung vollkommener Sicherheit in einem freiheitlich-liberalen Rechtsstaat nicht möglich ist und es keine staatliche Garantiehaftung für sämtliche Schäden geben kann, die infolge unzulänglicher Gefahrenabwehr entstehen. Solange der Staat sich in jeder Hinsicht rechtmäßig verhalten und die Schäden entweder aus Gründen des Schutzes höherwertiger Rechtsgüter nicht verhindert hat oder in Ermangelung ausreichender Mittel zu verhindern nicht in der Lage war, solange er also die Schwelle der Pflichtwidrigkeit noch nicht überschritten hat, kommen gegen ihn gerichtete Ausgleichsansprüche für die gleichwohl entstandenen Schäden daher nur in Betracht, wenn und soweit dies spezialgesetzlich vorgesehen ist. Im Rahmen des allgemeinen Aufopferungsanspruchs sowie des enteignenden Eingriffs kann die nicht als pflichtwidrig zu bewertende Nichtverhinderung von Tumultschäden hingegen nicht zum Anknüpfungspunkt für eine staatliche Ausgleichspflicht gemacht werden 178.

D. Zusammenfassung Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß die allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Ansprüche aus Amtshaftung, aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff sowie aus Aufopferung und enteignendem Eingriff sich für den Ersatz von Tumultschäden insgesamt als ungeeignet erweisen. Gerade die Ansprüche, die an ein rechtswidriges hoheitliches Verhalten anknüpfen, versagen in den typischen Tumultsituationen, in denen der Gefahrenabwehrbe177 178

Vgl. oben S.30. So im Ergebnis auch A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (812).

D. Zusammenfassung

77

hörde eine Verhinderung der Tumultschäden mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften aufgrund der Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns faktisch nicht möglich ist. Selbst wenn eine Abwägung zwischen den durch die Tumultuanten bedrohten und den bei einem Eingreifen der Polizei gefährdeten Rechtsgütern zu dem Ergebnis führt, daß tatbestandlich an sich eine das Entschließungsermessen auf Null reduzierende Fallkonstellation vorliegt, steht die tatsächliche Unmöglichkeit der Annahme einer Pflicht zum Einschreiten und damit auch der Verurteilung der Behörde zum Schadenersatz entgegen. Ebensowenig vermag jedoch das nicht als pflichtwidrig zu bewertende Versagen der Polizei bei der Verhinderung von Tumultschäden einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung oder enteignendem Eingriff zu begründen. Eine Einbeziehung der Tumultschäden in den Schutzbereich dieser Ansprüche läßt sich nicht nur mit ihrer dogmatischen Struktur nicht vereinbaren, sondern liefe im Ergebnis zudem auf eine umfassende Vergesellschaftung sozialer Risiken und eine umfassende Haftung des Staates wegen mangelnder Gefahrenabwehr hinaus, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung nicht zu vereinbaren ist. Ersatzansprüche gegen den Staat können den durch Tumulte Geschädigten daher regelmäßig nur aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung zustehen.

2. Kapitel

Der Ersatz von Tumultschäden kraft spezialgesetzlicher Anordnung In der Bundesrepublik Deutschland trifft den Staat eine Ersatzpflicht für Tumultschäden kraft spezialgesetzlicher Anordnung gemäß den Vorschriften des Reichstumultschädengesetzes vom 12. Mai 19201, die größtenteils bis heute als Landesrecht fortgelten 2. Danach bestehen „wegen der Schäden, die an beweglichem oder unbeweglichem Eigentum im Zusammenhang mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht werden, [...] Ersatzansprüche gegen das Land, in dem der Schaden entstanden ist" 3 . Eine staatliche Ersatzpflicht für Schäden an Leib und Leben im Zusammenhang mit inneren Unruhen war zu Anfang ebenfalls im RTSchG vorgesehen; seit einer Gesetzesänderung im Jahre 1923 richtet sie sich jedoch nach den Vorschriften des Kriegspersonenschädengesetzes vom 15. Juli 19224, die nach 1945 weitgehend ebenfalls Eingang in die bundesrepublikanische Rechtsordnung gefunden haben. Die ersten Kodifikationen einer Einstandspflicht des übergeordneten Gemeinwesens für die bei Tumulten erlittenen Schäden datieren in Deutschland indessen bereits aus der Mitte des 19. Jahrhunderts: Im Zuge der revolutionären Unruhen von 1848 haben zahlreiche deutsche Einzelstaaten sog. Tumultschädengesetze erlassen, unter denen namentlich das preußische5 dem Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes im Jahre 1920 als Vorbild diente6. Das preußische Tumultschädengesetz seinerseits hatte sich - ebenso wie die Tumultschädengesetze der meisten an1

Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920, RGBl. 1920,1, S.941 mit Ausführungsverordnungen vom 19. Mai 1920, RGBl. 1920,1, S.987 und vom 15. September 1920, RGBl. 1920,1, S. 1647; geändert durch Verordnung vom 8. Januar 1924, RGBl. 1924,1, S.4 sowie durch Verordnung zur Überleitung der Tumultschädenregelung auf die Länder vom 29. März 1924, RGBl. 1924,1, S.381. 2 F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 376; näher dazu unten S. 113 ff. 3 § 1 Abs. 1 des RTSchG i.d.F. vom 29. März 1924. 4 § 18 des Kriegspersonenschädengesetzes vom 15. Juli 1922 (RGBl. 1922,1, S.620) in der neubekanntgemachten Fassung vom 30. Juni 1923, RGBl. 1923,1, S.545; zum Umfang seiner Fortgeltung vgl. unten S. 114ff. 5 Gesetz, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens vom 11. März 1850, Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, Nr. 3251, S. 199f., Nr. 16. 6 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 8,79; R. Horn , Assekuranz-Jahrbuch Band 42 (1922), S.99; R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S. 103.

A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung

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deren deutschen Staaten - maßgeblich an einem französischen Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (= 2. Oktober 1795)7 orientiert 8. Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund erscheint es sinnvoll, vor einer näheren Untersuchung der Fortgeltung, Auslegung und Anwendung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung zunächst deren Vorläufer vorzustellen. Neben den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs für Tumultschäden und der Ausgestaltung der Haftung im einzelnen soll ein besonderes Augenmerk dabei von vornherein der Frage nach dem Rechtsgrund der Haftungsanordnung gelten. Die Kenntnis der rechtlichen Motive und Prinzipien, auf denen die Haftungsregelungen der verschiedenen Tumultgesetze beruhen, ist von wesentlicher Bedeutung, wenn es zu entscheiden gilt, ob und wie das geltende deutsche Tumultschädenrecht zu reformieren ist. Von der rechtlichen Einordnung des Haftungsgrundes hängt es ab, welche Anforderungen an Eintritt, Inhalt und Umfang einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden zu stellen sind: Ist es möglich, den Eintritt der staatlichen Haftung an die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Geschädigten zu koppeln? Darf die Haftung davon abhängig gemacht werden, daß dem Geschädigten kein anderweitiger Ersatzanspruch zur Verfügung steht? Kann die Haftung prozentual oder summenmäßig auf einen Teil des festgestellten Schadens begrenzt werden? Ist es zulässig, eine staatliche Einstandspflicht kraft spezialgesetzlicher Anordnung lediglich und ausschließlich für Tumultschäden zu begründen? All diese Fragen lassen sich zuverlässig nur beantworten, wenn man zuvor Klarheit über Grund und Notwendigkeit einer spezialgesetzlich normierten Staatshaftung für Tumultschäden gewonnen hat.

A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung in Deutschland Ausgangspunkt jeder entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung der deutschen Tumultschädengesetzgebung muß aufgrund seiner unverkennbaren Vorbildwirkung namentlich für das preußische Tumultschädengesetz von 1850 und damit mittelbar auch für das Reichstumultschädengesetz von 1920 das französische Revolutionsgesetz vom 2. Oktober 1795 sein9. Auch dieses Gesetz war jedoch keine von jeglichem Vorbild freie Schöpfung des Revolutionsgesetzgebers, sondern konnte seinerseits auf mehrere Vorgängerrege7 Loi sur la police intérieure des communes de la République, Bulletin des Lois de la République Française, Série I, Tome VI, cahier n° 188. 8 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 19 f.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 31; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 11. 9 Vgl. auch R. Horn, Assekuranz-Jahrbuch Band 42 (1922), S.99.

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

lungen zurückblicken, die in Frankreich bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts erlassen worden waren 10. Mit einer Königlichen Ordonnanz von 1670 war Frankreich das erste Land, das eine besondere (Gemeinde-)Haftung für Tumultschäden statuierte und kodifizierte 11: Kam es in einer Gemeinde zu tumultuarischen Zuständen, so sollte ihr der Prozeß gemacht und sie zur Zahlung einer Schadenersatzsumme wegen der entstandenen Schäden verurteilt werden können12. Der Gedanke, die Einwohner eines bestimmten äußerlich abgegrenzten Bezirks gegenüber demjenigen haften zu lassen, welcher durch eine Handlung eines ihrer Mitbewohner in seinen Rechten geschädigt worden war, ist indessen weitaus älter. Erste Wurzeln einer solidarischen Haftung der Gemeinschaft für das unrechte Handeln ihrer Angehörigen finden sich bereits in der Sippenhaftung der altgermanischen Familien- und Geschlechterverbände 13. Daneben trat aber auch schon bald die örtliche Gemeinschaft in Gestalt der genossenschaftlich verfaßten und organisierten Markgemeinde als Trägerin kollektiver Verantwortlichkeit in Erscheinung 14. Dieses Institut der „genossenschaftlichen Gesamthaftung" 15 der örtlichen Gemeinschaft ist dem germanischen Rechtsleben bis zum Ende des Mittelalters, vereinzelt sogar darüber hinaus, erhalten geblieben16. Es hat auch in das englische Rechtssystem Eingang gefunden und dort bereits frühzeitig zur Herausbildung der heute noch anerkannten Tradition der sog. Liability of the Hundreds geführt 17. Ebenso war der 10 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S.26; L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159 (162). 11 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 18; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 31; A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 6; A. Röhring, Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung und der heutige Stand der Tumultschadensgesetzgebung in Deutschland, S. 3. 12 C. Bréchon-Moulènes, Les régimes législatifs de responsabilité publique, S.26; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 12. 13 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.27. 14 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 27; O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band 1, S.60ff., insbes. S.72f. mit Fn.43. 15 O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band II, S. 387; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S. 5. Soweit andere Autoren in diesem Zusammenhang den Begriff der „Gesamtbürgschaft" verwenden (vgl. etwa K. F. Eichhorn, Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 1. Teil, S. 60; Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 [1835], S. 26; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.25; G.L. von Maurer, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland, Erster Band, S. 348), meinen sie in der Sache nichts anderes (vgl. auch St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.5). 16 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.27 f.; näher K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 17 f. mit Fn. 2. 17 Vgl. Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 ( 1835), S. 26 und 42 ff.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 30; A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 160; G. Philips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte, Zweiter Band, §XXXI (S. 62) und

A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung

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Grundsatz der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Gemeinde für das durch eines ihrer Mitglieder verübte Verbrechen in der französischen Rechtsordnung seit dem frühen Mittelalter anerkannt18.

I. Die genossenschaftliche Gesamthaftung als Ursprung der Tumultschädenhaftung Die Herausbildung des Rechtsinstituts der Gesamthaftung der Gemeinde im germanischen Recht hing auf das engste mit der dort herrschenden Auffassung vom Begriff und Wesen der örtlichen Gemeinschaft zusammen19. Charakteristisch für die germanische - im Gegensatz zur römischen - Rechtsanschauung war die fehlende Unterscheidung zwischen der Rechtspersönlichkeit des einzelnen Angehörigen und der Verbandspersönlichkeit der Gemeinde: „Die Korporation stand nicht dem einzelnen als etwas Anderes gegenüber, sondern der einzelne lebte nur als Glied der Gemeinschaft, wie die Gemeinschaft nur in ihren Gliedern lebte."20 Die Verbundenheit innerhalb der Gemeinschaft ging so weit, daß die Gesamtheit aller Mitglieder und damit letztlich jeder einzelne nicht nur für die von der Gemeinde insgesamt übernommenen Verbindlichkeiten einzustehen hatte, sondern auch für bestimmte Verbindlichkeiten des einzelnen21. So traf einerseits die Gemeindemitglieder untereinander eine Pflicht zu Beistand und gegenseitiger Unterstützung in Krankheit, Alter, Armut und sonstigen Notsituationen (Gedanke der gemeinschaftlichen Assekuration) 22. Andererseits implizierte die gemeinschaftliche Verbundenheit innerhalb des Gemeinwesens neben dieser fürsorgerechtlichen auch eine ordnungsrechtliche Komponente. Die örtliche Gemeinschaft haftete auf Schadenersatz gegenüber denjenigen, die durch die unerlaubte Handlung eines ihrer Angehörigen Schaden erlitten hatten23. Rechtsgrund dieser § L (S. 295). Im Statute of Winchester aus dem Jahre 1285 wurde der bis in „unvordenkliche Zeiten" zurückreichende Rechtsbrauch einer Ersatzpflicht der Gesamtheit der Einwohner eines Gemeindebezirks (Hundred) für Schäden aus bestimmten verbrecherischen Handlungen ihrer Angehörigen erstmals kodifiziert. 18 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S.26; L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159 (162); St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.6. 19 O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band II, S. 381; E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S.26. 20 E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S.27. 21 O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band II, S. 384ff.; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.5. 22 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.26 und 32; Einzelheiten bei O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band I, S.72. 23 Näher ß. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.27 f.; O. von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band I, S.72 f. mit Fn.43 und Band II, S.387. 6 Kimmel

2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

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Solidarhaftung war nicht ein eigenes Verschulden der Gemeinde, sondern allein die enge personenrechtliche Verbundenheit ihrer Mitglieder 24 . Die Verantwortlichkeit traf die Gemeinde allein deshalb, weil die schädigende Handlung durch eines ihrer Mitglieder verübt worden war, weil der Täter aus ihrer Mitte stammte25 und zur Sorge der Gemeinschaft für ihre Angehörigen auch die Pflicht gehörte, darüber zu wachen, daß diese sich unerlaubter Handlungen enthalten (Gedanke der Gefahrvermeidung bzw. Prävention) 26. Ob der Gemeinde die ungenügende Überwachung des Täters als Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden konnte und sie zur Verhinderung der Tat in der Lage gewesen wäre, war demgegenüber ohne Bedeutung. Es handelte sich um eine Haftung ausschließlich für fremdes Verschulden27, die die Gesamtheit der Einwohner allein aufgrund ihrer engen personenrechtlichen Verbundenheit traf.

II. Das französische Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres I V (2. Oktober 1795) Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Kodifizierung einer speziellen Gemeindehaftung für Tumultschäden in Frankreich durch das Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV, so sind die Spuren des altdeutschen Grundsatzes der genossenschaftlichen Gesamthaftung nicht zu übersehen28; er wird deshalb zu Recht als Ursprung der besonderen Tumultschädenhaftung der Gemeinden angesehen29. 1. Der wesentliche Inhalt des Gesetzes War den Gemeinden nach einer ersten gesetzlichen Regelung durch den Nationalkonvent vom 23 ./26. Februar 1790 noch die Exkulpation mit dem Beweis gestattet, daß sie zur Verhinderung des Auflaufs nicht in der Lage gewesen sind, daß sie also kein Verschulden traf 30 , so hafteten sie nunmehr ohne Rücksicht auf Pflichtwidrigkeit und Verschulden allein aufgrund der Tatsache, daß es in ihrem Gebiet zu Tu24 25

O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Band III, S.922. E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten,

S.27. 26

B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.26 und 32. O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Band III, S.922 und 932. 28 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 unter Hinweis auf ein Urteil der Cour de Cassation vom 17. Januar 1817; L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159 (162). 29 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.25ff.; B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S.9; O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Band III, S. 924; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.5. 30 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 19; E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S.91. 27

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multschäden gekommen war. Jede Gemeinde traf gemäß Titel I V Art. 1 des Gesetzes eine unbedingte Verantwortlichkeit „für die Vergehen, die auf ihrem Gebiete mit offener Gewalt oder sonst in gewalttätiger Weise durch bewaffnete oder unbewaffnete Aufläufe und Zusammenrottungen gegen Personen oder gegen staatliches oder privates Eigentum verübt werden, sowie für den dadurch verursachten Schaden" 31 . Schadenersatzpflichtig war dabei nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht die Gemeinde als juristische Person, sondern die Gesamtheit ihrer Einwohner 3 2 . Eine Exkulpation der Gemeinde mit dem Nachweis, daß sie alle ihr möglichen Maßnahmen zur Verhinderung des Tumultes ergriffen hatte, war nur noch möglich, wenn es sich bei den Tumultuanten ausschließlich um ortsfremde Personen handelte 3 3 . Waren jedoch (auch) Angehörige der Tatortgemeinde an den Unruhen beteiligt, so traf diese eine unbedingte Ersatzpflicht gegenüber jedem 3 4 , der in diesem Zusammenhang Schäden an Person oder Eigentum erlitten hat 3 5 . Zudem war die Tatortge31 Zitiert in der Übersetzung von K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 48, Fn. 1. Der französische Originaltext lautet: „Chaque commune est responsable des délits commis à force ouverte ou par violence sur son territoire, par des attroupements ou rassemblements armés ou non armés, soit envers les personnes, soit contre les propriétés nationales ou privées, ainsi que des dommages-intérêts auxquels ils donneront lieu/ 4 32 So Titel I Art. 1 des Gesetzes: „Tous citoyens habitant la même commune sont garants civilement des attentats commis sur le territoire de la commune, soit envers les personnes, soit contre les propriétés." sowie Titel V Art. 1 : „...tous les habitants de la commune seront tenus de la restitution..."; vgl. auch H. Bruch, Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 3; Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 (29 ff.); R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S. 3 f. 33 So Titel IV Art. 5 des Gesetzes: „Dans le cas où les rassemblements auraient été formés d'individus étrangers à la commune sur le territoire de laquelle les délits ont été commis, et où la commune aurait pris toutes les mesures qui étaient en son pouvoir à l'effet de les prévenir et d'en faire connaître les auteurs, elle demeurera déchargée de toute responsabilité." Vgl. die deutsche Übersetzung bei Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 (33); außerdem W. Kisch, Elsaß-Lothringisches Landesprivatrecht, S. 353 f.; O. Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, S. 456; R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S. 6f.; Cour d'appel de Colmar, 16. Februar 1874, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band V, 1875, S. 172 (174); Cour d'appel de Colmar, 21. Dezember 1874, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band VI, 1875, S. 273 (276f.). 34 Entgegen der Darstellung von A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 8, war der Kreis der Ersatzberechtigten nicht auf diejenigen Personen begrenzt, die zur Aufbringung der Gemeindelasten herangezogen wurden (i.e. Gemeindebürger und sog. Forensen). Ein Ersatzanspruch stand vielmehr jedem durch die Tumulte Geschädigten zu, auch wenn er sich nur vorübergehend für wenige Stunden in der Gemeinde aufgehalten hatte. Vgl. L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159 (173); W. Kisch, Elsaß-Lothringisches Landesprivatrecht, S.355; R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S.9. 35 Waren neben Angehörigen der Tatortgemeinde auch Angehörige anderer Gemeinden in nennenswerter Anzahl (vgl. zu diesem Erfordernis näher W. Kisch, Elsaß-Lothringisches Landesprivatrecht, S. 353) an der Zusammenrottung beteiligt, so waren gemäß Titel IV Art. 3 des Gesetzes auch diese Gemeinden zum Schadenersatz verpflichtet: „Si les attroupements ou rassemblements ont été formés d'habitants de plusieurs communes, toutes seront responsables des

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meinde in diesem Fall verpflichtet, eine Geldbuße in gleicher Höhe an den Staat zu entrichten 36. 2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung a) Der Gedanke der Prävention Mit dem Prinzip einer unbedingten Schadenersatzhaftung, von der sich die Tatortgemeinde nur unter der doppelten Voraussetzung, daß sich niemand ihrer Angehörigen an dem Tumult beteiligt und sie alle ihr möglichen Maßnahmen zu seiner Abwehr ergriffen hatte, ausnahmsweise befreien konnte, hat das französische Gesetz den Gedanken der Prävention als einen der beiden Grundgedanken der genossenschaftlichen Gesamthaftung aufgegriffen. Indem es alle Einwohner einer Gemeinde, in der es unter Beteiligung zumindest einiger von ihnen zu Tumulten gekommen ist, kollektiv zum Schadenersatz gegenüber dem Geschädigten und zusätzlich zu einer an den Staat zu entrichtenden Geldbuße verpflichtete, wollte das Gesetz sie dazu anhalten, einander besser zu beaufsichtigen und so bereits frühzeitig auf tumultuöse Bewegungen aufmerksam zu werden. Jeder Einwohner sollte veranlaßt werden, an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in seiner Gemeinde mitzuwirken 37. Motivationsbestimmend mochte dabei in tatsächlicher Hinsicht dasfinanzielle Eigeninteresse des einzelnen Einwohners wirken, das bei jedem Tumultschaden auf dem Spiel stand38. Die rechtliche Legitimation für eine verschuldensunabhängige Tumultschädenhaftung sämtlicher Einwohner der Tatortgemeinde lieferte demgegenüber das altdeutsche Rechtsinstitut der genossenschaftlichen Gesamthaftung. Eine auf den Präventionsgedanken gestützte strenge Inpflichtnahme aller Gemeindeangehörigen für die in ihrem Gebiet vorgefallenen Tumulte ist nur aufgrund ihrer engen gemeinschaftlichen Verbundenheit untereinander gerechtfertigt. Demgemäß können sie ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden und ohne die Möglichkeit einer délits qu'ils auront commis, et contribuables, tant à la réparation et dommages-intérêts, qu'au paiement de l'amende." Allerdings betraf die Verteilung der verschiedenen Haftungsanteile nur das Innenverhältnis zwischen den Gemeinden. Gegenüber den Geschädigten konnte sich die Tatortgemeinde hingegen nicht von ihrer unbedingten Haftung für alle entstandenen Tumultschäden befreien. Vgl. O. Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, S.456. 36 So Titel IV Art. 2 des Gesetzes: „Dans le cas où les habitants de la commune auraient pris part aux délits commis sur son territoire par des attroupements et rassemblements, cette commune sera tenue de payer à la République une amende égale au montant de la réparation principale." 37 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 (29 f.). 38 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S.26 (29 f.).

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Haftungsbefreiung nur zur Verantwortung gezogen werden, wenn die Tumultuanten (auch) aus ihrer Mitte stammen. Ihre Grenzefindet die strikte Tumultschädenhaftung der Gemeinden deshalb dort, wo ausschließlich Ortsfremde an der Zusammenrottung beteiligt sind. Dieser Grenze trug das französische Gesetz dadurch Rechnung, daß es den Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung der Gemeinde in diesem Fall durchbrach und durch eine Haftung für vermutetes Verschulden ersetzte39. Insgesamt stellte sich das französische Revolutionsgesetz mithin als Fortführung bzw. Erneuerung des Grundsatzes der genossenschaftlichen Gesamthaftung dar. Durch das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung der Gesamtheit der Gemeindeangehörigen wurde der diesem altdeutschen Rechtsinstitut zugrundeliegende Rechtsgedanke der Prävention zur Anwendung gebracht mit dem politischen Ziel, nach den revolutionären Unruhen wieder Ruhe und Ordnung im Land herzustellen40. b) Der Gedanke der Schadensrepartition Demgegenüber war das Gesetz nicht darauf angelegt, auch den weiteren diesem Rechtsinstitut innewohnenden Gedanken der gemeinschaftlichen Assekuranz zu verwirklichen. Es ging dem Gesetzgeber nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie darum, den einzelnen durch die Umlage seiner unverschuldet erlittenen (Tumult-)Schäden auf die Gemeinschaft aus Billigkeitsgründen zu entlasten (Schadensrepartition). Hätte für ihn dieser fürsorgerechtliche Aspekt der genossenschaftlichen Gesamthaftung bei der Anordnung einer Tumultschädenhaftung der Gemeinden im Vordergrund gestanden, dann wäre zum einen eine Begrenzung des Kreises der Ersatzberechtigten auf die Gemeindeangehörigen geboten gewesen41. Zum Ersatz aus einer Art Zwangsversicherung auf Gegenseitigkeit kann bei logischer Betrachtung nur derjenige berechtigt sein, der im „Versicherungsfair auch in Anspruch genommen wird. Ein Ersatzanspruch ortsfremder Personen, die nicht in das zwischen den Gemeindeangehörigen bestehende nachbarschaftliche Unterstützungs- und Fürsorgeverhältnis eingebunden sind, läßt sich demgegenüber mit diesem Gedanken nicht begründen. Auf der anderen Seite ist auch die Schlechterstellung des Geschädigten in dem Fall, in dem der Schaden ausschließlich durch ortsfremde Tumultuanten verursacht worden ist, mit einer fürsorgerechtlichen Zielsetzung nicht in Einklang zu bringen. Geht es nur um die Verteilung des Schadens auf die Gemeinschaft zum Zwecke der 39

So Titel IV Art. 5 des Gesetzes (näher oben Fn. 33); vgl. auch O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Band III, S. 932 mit Fn. 54. 40 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S.26 (30); H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 14. 41 Das Gesetz unterscheidet indessen nicht danach, ob der Geschädigte Gemeindeangehöriger oder Ortsfremder ist; vgl. oben Fn. 34.

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Entlastung des Geschädigten, so ist es unerheblich, ob ortsansässige oder auswärtige Tumultuanten für den Schaden verantwortlich sind. Entscheidend ist vielmehr aus fürsorgerechtlicher Perspektive allein, daß einer der Gemeindeeinwohner einen Schaden erlitten hat 42 .

c) Die Tumultschädenhaftung der Gemeinden als Haftung wegen eines Versagens der „staatlichen Ordnungsmacht"? Trotz der mithin primär ordnungspolitischen Zielsetzung des Gesetzes kann die Haftung der Gemeinde für Tumultschäden indessen nicht als Haftung wegen eines Versagens der staatlichen Ordnungsmacht begriffen werden. Sie traf eine Gemeinde zwar im Ergebnis deshalb, weil es ihr nicht gelungen war, die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf ihrem Gebiet aufrechtzuerhalten. Jedoch kam es für den Eintritt der Haftung nicht darauf an, ob die Gemeinde in administrativ-organisatorischer Hinsicht Inhaberin der Polizeigewalt war. Ob der Gemeinde die Ausübung der Polizei - sei es als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises, sei es kraft staatlicher Betrauung - als Verwaltungsaufgabe oblag, war für die Anwendung des Gesetzes ohne Bedeutung. Das Gesetz verstand die Tumultschädenhaftung der Gemeinden nicht als Korrelat einer ihnen zustehenden staatlich-polizeilichen Ordnungsgewalt43. Vielmehr wurzelte die ihrer strengen Haftung letztlich zugrundeliegende garantieähnliche Pflicht, darüber zu wachen, daß es auf ihrem Gebiet nicht zu tumultuösen Unruhen kam, ausschließlich in der engen gemeinschaftlichen Verbundenheit ihrer Angehörigen untereinander. Adressaten der haftungsbegründenden Pflicht zur gegenseitigen Beaufsichtigung waren nicht etwa Organe der Gemeinde als Polizeibehörden, sondern die einzelnen Mitglieder der örtlichen Gemeinschaft 44. Es handelte sich bei der angeordneten Haftung der Gemeinden für Tumultschäden mithin nicht um eine Haftung wegen eines Versagens der übergeordneten staatlichen Ordnungsmacht, sondern vielmehr um eine Haftung wegen eines Versagens der „Selbstordnungsmacht" der Gemeindebürger. 42

In diesem Sinne auch Eichbaum, DStrZ 1919, S. 31 (33); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 36. 43 Titel IV Art. 1 des Gesetzes weist die Verantwortlichkeit ausdrücklich jeder Gemeinde zu: „Chaque commune est responsable...". Entscheidungen der Cour de Cassation, die die Stadt Paris vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausnehmen wollen mit der Begründung, die Polizeigewalt für ihr Gebiet stehe nicht ihr, sondern den nationalen Behörden zu (vgl. näher W. Kisch, Elsaß-Lothringisches Landesprivatrecht, S. 352 mit Fn. 8; R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S. 7 f.), tragen daher in das Gesetz eine weder vom Gesetzgeber gewollte (laut E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S. 91, war das Gesetz vielmehr in erster Linie gerade für Paris geschaffen worden) noch vom Sinn und Zweck des Gesetzes geforderte Unterscheidung hinein, die nicht zu überzeugen vermag. So zutreffend L. Fuld, Puchelts Zeitschrift für französisches Civilrecht, Band XVI, 1886, Beilagenheft, S. 159 (171). 44 Vgl. auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 13.

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Nur bei einer solchen Betrachtungsweise läßt sich i m übrigen auch die unterschiedliche Ausgestaltung des Haftungsregimes je nachdem, ob an den Tumulten Gemeindeangehörige beteiligt waren oder nicht, begründen. Anders als die aus der personenrechtlichen Verbundenheit resultierende Überwachungspflicht kann sich eine den Gemeinden zustehende allgemein-administrative Polizeigewalt nicht auf ihre Angehörigen beschränken, sondern muß sich ohne Ansehen der Herkunft der ruhestörenden Personen mit gleicher Intensität auf das gesamte Gemeindegebiet erstrecken. Allein die Rechtsfigur der genossenschaftlichen Gesamthaftung erlaubt es daher, die vom Gesetzgeber vorgesehene Durchbrechung des Prinzips der verschuldensunabhängigen Haftung für den Fall, daß die gewalttätige Zusammenrottung ausschließlich aus ortsfremden Personen bestand, zu erklären und zu rechtfertigen 45 .

I I I . Die Tumultschädengesetzgebung in Preußen (und anderen deutschen Staaten) nach der Revolution von 1848 Nach den Revolutionsunruhen von 1848 haben sich viele deutsche Staaten das französische Tumultschädengesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres I V zum Vorbild für eigene gesetzliche Regelungen genommen, unter ihnen Bayern 4 6 , Württemberg 4 7 , Baden 4 8 und vor allem Preußen 49 , aber auch Hessen 50 , Braunschweig 51 , An45 So im Ergebnis auch A. Horster; Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 13. 46 Gesetz vom 12. März 1850, die Verpflichtung zum Ersätze des bei Aufläufen diesseits des Rheins verursachten Schadens betreffend, Gesetzblatt für das Königreich Bayern vom 13. März 1850, S. 73. Vgl. hierzu H. Bruch, Haftung bei Aufruhr in Bayern; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S. 18 f.; R. Mayr, Der Schadensersatz wegen Tumultschäden, S. 17 ff.; P. Oertmann, Bayerisches Landesprivatrecht, S. 268 ff. 47 Gesetz betreffend das Verfahren bei dem Aufgebot der bewaffneten Macht gegen Zusammenrottung vom 28. August 1849, auszugsweise abgedruckt bei von Besnard, Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.41 f. und bei R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.96ff. 48 Gesetz vom 13. Februar 1851, die Entschädigungspflicht der Gemeindeangehörigen wegen der bei Zusammenrottungen verübten Verbrechen betreffend, abgedruckt bei von Besnard, Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.40f. und bei R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.98ff. Vgl. näher St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S. 18 f.; D. Moericke, Die deutschen Tumultgesetze. 49 Gesetz, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens vom 11. März 1850, Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, Nr. 3251, S. 199 f., Nr. 16; vgl. dazu K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz; H. Dernburg, Das bürgerliche Recht II/2, S. 758 ff.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?; A. Liebrecht, Preußisches Tumultschadengesetz; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden; Wüsthoff\ Die Haftpflicht der Gemeinden und Zuschauer bei Aufruhrschäden. Die zu

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halt, Sachsen-Koburg-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt Schwarzburg-Sondershausen 52 und Sachsen-Weimar-Eisenach 53 .

1. Der wesentliche Inhalt des preußischen Tumultschädengesetzes vom 11. März 1850 Während manche dieser Gesetze in einzelnen Punkten, namentlich in der Exkulpationsfrage, vom französischen Vorbild abgewichen sind 5 4 , entsprach die Haftungsanordnung in § 1 des preußischen Gesetzes nahezu wörtlich 5 5 ihrem französischen Vorläufer: „Finden bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maßregeln Beschädigungen des Eigentums oder Verletzungen von Personen statt, so haftet die Gemeinde, in deren Bezirk diese Handlungen geschehen sind, für den dadurch verursachten Schaden." Auch die Exkulpationsregelung des § 2 war inhaltlich der französischen Vorgängervorschrift nachgebildet. Eine Haftungsbefreiung der Gemeinde, in der ein Tudiesem Zeitpunkt bereits existente „Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der dem Gesetze schuldigen Achtung" vom 17. August 1835, abgedruckt etwa bei B. Frederich, a. a. O., Anhang B, S. 105, kann nicht als Vorläufer des Tumultschädengesetzes betrachtet werden, da sie lediglich eine verschärfte Haftung der Zuschauer normierte, nicht jedoch eine verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinde. 50 Gesetz vom 3. März 1859, die Verantwortlichkeit der Gemeinden für Verletzungen und Beschädigungen infolge von Zusammenrottungen betreffend, abgedruckt bei von Besnard, Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.42ff. und bei R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S. 100ff. 51 Städteordnung vom 19. März 1850, §§ 165 ff. 52 Vgl. die Aufzählung bei B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 7; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S. 20; A. Röhring, Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung und der heutige Stand der Tumultschadensgesetzgebung in Deutschland, S.6f. 53 Gesetz über die Haftpflicht der Gemeinden für die bei einem Auflaufe, Aufruhr oder Landfriedensbruche vorgekommenen Eigentumsverletzungen vom 14. April 1848; vgl. dazu A. Röhring, Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung und der heutige Stand der Tumultschadensgesetzgebung in Deutschland, S.7ff. 54 Vgl. im einzelnen D. Moericke, Die deutschen Tumultgesetze, S.67ff. Namentlich das hessische Gesetz gestattete den Gemeinden, sich mit der Einrede mangelnden Verschuldens von ihrer Haftung gegenüber dem Geschädigten zu befreien. Nach den Gesetzen von Schwarzburg-Rudolstadt und Sachsen-Koburg-Gotha führte der Nachweis, daß die Gemeinde zur Verhinderung der Tumultschäden außerstande war, zwar nicht zu einer Haftungsbefreiung gegenüber dem Geschädigten, berechtigte die ersatzpflichtigen Gemeinden aber zu einem Regreß gegen die Staatskasse (vgl. O. von Gierke, DJZ 1919, S.7 [8], Fn.4; D. Moericke, a.a.O., S.40mit Fn. 1). 55 B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S.9; St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.15.

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mult stattgefunden hat, war danach ebenso wie nach dem französischen Gesetz nur unter der kumulativen Bedingung möglich, daß die Tumultuanten von auswärts eingedrungen und die Einwohner der Tatortgemeinde „zur Abwehr des Schadens erweislich außerstande gewesen sind". 2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung Indessen beschränkte sich der Wille des preußischen Parlaments nicht darauf, das französische Revolutionsgesetz, das in einer vergleichbaren Situation geschaffen worden war und sich dort nach Einschätzung der preußischen Abgeordneten bewährt hatte56, einfach in die eigene Gesetzgebung zu übernehmen57. Die Kodifizierung einer speziellen Tumultschädenhaftung der Gemeinden erfolgte vielmehr gleichzeitig in dem Bewußtsein, damit das altdeutsche Rechtsprinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung von neuem zur Anwendung zu bringen 58. Dies belegen die Verhandlungen, die in der 1. preußischen Kammer über den Entwurf des Tumultschädengesetzes geführt wurden 59. Der Berichterstatter Wallach sowie weitere Abgeordnete, die das Gesetz befürworteten, hoben in der Debatte ausdrücklich hervor, daß die vorgesehene Gemeindehaftung für Tumultschäden auf dem altdeutschen Grundsatz der Gesamtbürgschaft der Genossenschaft beruhe 60 und in erster Linie das Ziel verfolge, „die wohlgesinnten Einwohner, welche in der Regel die Mehrheit bilden, zum kräftigen Zusammenwirken behufs Unterdrückung eines jeden Aufstandes [zu] veranlassen"61. Auch wenn der preußische Gesetzgeber zur Erreichung dieses Ziels auf die zusätzliche Auferlegung einer Geldbuße an die Tatortgemeinde verzichtete, stand für ihn damit - ebenso wie für den französischen Konvent - der ordnungsrechtliche Gedanke der Prävention im Vordergrund, hinter den die dem Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung gleichfalls innewohnende fürsorgerechtliche Komponente der Schadensverteilung nahezu vollständig zurücktrat 62. 56

Berichterstatter Abg. Wallach, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2426. 57 So aber E. Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten, S.91. 58 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 25 f. Gleiches stellt H. Bruch, Die Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 3, für das bayrische Gesetz fest. 59 Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2426 ff. 60 Berichterstatter Abg. Wallach, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2426; Abg. Milde, a. a. O., S. 2430. 61 Berichterstatter Abg. Wallach, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2426; vgl. auch Berichterstatter Abg. Gudenau, Stenographische Berichte, Zweite Kammer, Fünfter Band, S. 2959f. 62 So auch Eichbaum, DStrZ 1919, S.31 (32); St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S. 16.

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Diesem Grundgedanken entsprechend hat auch der preußische Gesetzgeber die Haftung der Gemeinden im Grundsatz verschuldensunabhängig ausgestaltet. Die Gemeinden hafteten ohne Rücksicht darauf, ob sie die Tumulte überhaupt hätten verhindern können, für Sach- und Personenschäden, die bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlauf von Menschen auf ihrem Gebiet entstanden sind. Die Möglichkeit, sich durch den Nachweis mangelnden Verschuldens von der Haftung zu befreien, eröffnete das Gesetz den Gemeinden nur in dem (Ausnahmefall, daß die Tumultuanten sämtlich ortsfremd waren 63. Bedenken64 gegen diese strenge Inpflichtnahme der Gemeinden wurden unter Hinweis auf das der Haftung zugrundeliegende Prinzip der „Gesamtbürgschaft der Genossenschaft" mit Recht zurückgewiesen65. Zudem wurde betont, daß die regelmäßige Einräumung einer Befreiungsmöglichkeit das Gesetz um seine praktische Wirksamkeit bringen würde 66. Gleichermaßen fand auch der Einwand67 kein Gehör, daß nach der damaligen Verfassungs- und Gesetzeslage die Polizeigewalt in Preußen nicht den Gemeinden, sondern dem Staat zustand68. In den Verhandlungen der beiden preußischen Kammern wurde zwar zutreffend hervorgehoben, daß (auch) der Staat seiner grundlegenden Bestimmung und Funktion nach zum Schutz von Eigentum und Person seiner Bürger verpflichtet ist 69 und daß es deshalb dem Grunde nach möglich wäre, eine Haftung für Tumultschäden nicht den Gemeinden, sondern dem Staat aufzuerlegen. Von die63 Dieses Gesetzesverständnis wurde bestätigt durch das Königliche Obertribunal, Erkenntnis des 1. Senats vom 15. Februar 1875, Entscheidungen des Königlichen Obertribunals, 74. Band, 1875, S. 124 (125 ff.). 64 Abg. Kisker, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2428; Abg. Wachler, a.a.O., S.2428. 65 Minister des Innern von Manteuffel, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S. 2427. 66 Minister des Innern von Manteuffel, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S.2429; Abg. Graf von Itzenplitz, a.a.O., S.2431. Interessant und aufschlußreich insoweit auch die Hinweise bei D. Moericke, Die deutschen Tumultgesetze, S. 39 f., auf die Beratungen, die der Verabschiedung des vergleichbaren badischen Gesetzes vorausgingen. 67 Abg. Kuh, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S.2426 (2427); Abg. Von Rönne, a. a. O., S. 2430. 68 Vgl. hierzu näher G. Anschütz, FS Brunner, S. 339 (345 f.); E. Rasch, DÖV 1960, S. 81 f.; E. Wolff, JW 1919, S. 272: Während Art. 104 der preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 noch bestimmt hatte, daß den Gemeinden die selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei zustehe, ordnete Art. 105 der preußischen Verfassung nach einer Revision vom 31. Januar 1850 an: „Über die Beteiligung der Gemeinden bei Verwaltung der Ortspolizei bestimmt das Gesetz." Die einschlägige Bestimmung in § 1 des - zum Zeitpunkt der Beratung des Tumultschädengesetzes noch im Entwurfsstadium befindlichen - Polizeigesetzes lautete: „Die örtliche Polizeiverwaltung wird von den nach den Vorschriften der Gemeindeordnung dazu bestimmten Beamten im Namen der Krone geführt." (Hervorhebung von mir). Unzutreffend ist daher die Behauptung von Müller, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 22, S. 272 (273), der preußische Gesetzgeber habe unter „Gemeinden" nur die mit der Polizeigewalt ausgerüsteten Gemeinden verstehen wollen. 69 Abg. Kisker, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S.2427; Berichterstatter Abg. Gudenau, Stenographische Berichte, Zweite Kammer, Fünfter Band, S. 2959 (2960).

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ser Möglichkeit sah der preußische Gesetzgeber jedoch bewußt ab, weil er befürchtete, dadurch die präventiv-ordnungspolitische Zielsetzung des Tumultschädengesetzes zu gefährden 70. Ihren Rechtsgrund fand die angeordnete Gemeindehaftung demgemäß nicht in einem Versagen der staatlichen Polizei- und Ordnungsgewalt, sondern - ebenso wie in Frankreich - in einem Versagen der „Selbstordnungsmacht" der örtlichen Gemeinschaft. Ob den Gemeinden für ihr Gebiet die obrigkeitliche Polizeigewalt zustand, war für die Haftung ohne Bedeutung71. Um sie dennoch bei der Erfüllung und Durchsetzung ihrer Pflicht zur Verhinderung von Tumulten nicht völlig mittellos zu stellen, gestattete § 7 des Tumultschädengesetzes den Gemeinden, bis zum Erlaß eines allgemeinen Gesetzes über eine Gemeinde-, Bürger- oder Schutzwehr wenigstens die Errichtung eines SicherheitsVereins bei der Bezirksregierung zu beantragen. Auch wenn diese Vorschrift keine große praktische Bedeutung erlangt hat 72 und insbesondere nichts am Grundsatz der Verschuldensunabhängigkeit der Gemeindehaftung änderte, verdeutlicht sie einmal mehr, daß die Tumultschädenhaftung kein Korrelat der staatlichen Polizeigewalt war, sondern ausschließlich in der engen personenrechtlichen Verbundenheit der Gemeindemitglieder untereinander wurzelte 73. Ebenso wie sein Vorbild aus der französischen Revolution stellte sich damit das preußische Tumultschädengesetz insgesamt als Wiederbelebung des altdeutschen Rechtsinstituts der genossenschaftlichen Gesamthaftung und des ihm innewohnenden Präventionsgedankens dar mit dem Ziel, nach den revolutionären Unruhen wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen und tumultuöse Bewegungen in Zukunft rechtzeitig zu verhindern. An diesem prohibitiven Charakter des Gesetzes vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß das preußische Tumultschädengesetz - anders als das französische Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV - die Pflicht zum Schadenersatz nicht der Gesamtheit der Gemeindeeinwohner, sondern der Gemeinde als juristischer Person auferlegte. Erreichte die Schadenersatzsumme eine spürbare Höhe, so war sie im Ergebnis auch bei dieser rechtlichen Konstruktion über den Umweg einer Erhöhung der Gemeindesteuern letztlich von jedem einzelnen Gemeindeeinwohner aufzubringen 74. War die Schadenersatzsumme demgegenüber insgesamt so gering, daß die Gemeinde sich zum Zwecke ihrer Aufbringung nicht zu einer Steuererhöhung gezwungen sah, so hätte auch eine unmittelbare anteilige Inanspruchnahme des einzelnen Bürgers ihm keinen finanziellen Anreiz zu erhöhter Aufmerksamkeit gebo70

Abg. Lautz, Stenographische Berichte, Erste Kammer, Fünfter Band, S.2426; Abg. Kisker, a. a. O., S. 2427; Abg. Graf von Itzenplitz, a. a. O., S. 2431; Berichterstatter Abg. Gudenau, Stenographische Berichte, Zweite Kammer, Fünfter Band, S. 2959 (2960). 71 Königliches Obertribunal, Erkenntnis des 1. Senats vom 15. Februar 1875, Entscheidungen des Königlichen Obertribunals, 74. Band, 1875, S. 124 (128f.). 72 Vgl. B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 38. 73 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S.45. 74 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S.55; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S.42f.

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ten . Der Gedanke der Prävention findet mithin seinen signifikanten Ausdruck weniger in der Person des Ersatzpflichtigen als vielmehr in der verschuldensunabhängigen Ausgestaltung der Haftung. Aus diesem Grunde sind diejenigen deutschen Gesetze, die - wie etwa das hessische Tumultschädengesetz vom 3. März 1859 - den Gemeinden stets die Einrede mangelnden Verschuldens eröffnen, nicht nur vom Text des französischen Revolutionsgesetzes abgewichen, sondern auch von der rechtlichen Fundierung der Tumultschädenhaftung der Gemeinden im Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung 76. Zur Begründung einer Verschuldens- und damit verhaltensabhängigen Haftung der Gemeinden ist ein Rückgriff auf dieses Prinzip weder notwendig noch geeignet, denn eine Haftung für pflichtwidrig-schuldhaftes Tun und Unterlassen einschließlich der Möglichkeit, eine Umkehr der Beweislast einzuräumen, bestand bereits nach den allgemeinen Regeln des privaten wie des öffentlichen Rechts. Weiterführende Erkenntnisse im Hinblick auf die vorliegend zu untersuchende spezialgesetzliche Normierung einer Tumultschädenhaftung des Staates, die vom Pflichtwidrigkeits- und Verschuldenserfordernis der Unrechtshaftung gelöst ist und damit den Besonderheiten einer tumultuarischen Situation Rechnung trägt, sind aus diesen Gesetzen deshalb nicht zu gewinnen.

3. Der Umfang der Haftung nach dem preußischen Tumultschädengesetz Unterschied sich die Haftung der Gemeinden nach dem preußischen Tumultschädengesetz vom 11. März 1850 in ihrem Rechtsgrund und ihren tatbestandlichen Voraussetzungen mithin maßgeblich von den allgemeinen verschuldensabhängigen Haftungsinstituten des privaten wie des öffentlichen Rechts und war sie insoweit „singulärer Natur" 77 , so schließt sich die Frage an, ob dies auch für den Umfang des Schadenersatzanspruchs galt. Das Gesetz selbst bestimmte insoweit in § 1 nur, daß der durch die bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maßregeln entstandenen Beschädigungen des Eigentums oder Verletzungen von Personen „verursachte" Schaden zu ersetzen ist. Es forderte damit einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen offener Gewalt, Verletzungsakt und Schaden, während es für das Verhältnis von Zusammenrottung und Verletzungshandlung einen zeitlich-räumlichen Zusammenhang genügen ließ 78 . 75 76 77 78

Vgl. D. Moericke, Die deutschen Tumultgesetze, S. 68 f., auch S. 35. Zutreffend O. von Gierke, Deutsches Privatrecht, Band III, S.932 mit Fn.53 und 54. B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.41. B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.21 ff.

A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung

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Von vornherein von der Ersatzpflicht der Gemeinden ausgenommen waren nach dem Wortlaut dieser Vorschrift indessen nur wenige Schäden79. So fehlte es etwa bei einem Diebstahl, der - sei es von Tumultuanten, sei es von an der Zusammenrottung nicht beteiligten Personen - zwar unter Ausnutzung der allgemeinen Unaufmerksamkeit, aber dennoch heimlich begangen wurde, am Tatbestandsmerkmal der offenen Gewalt80. Heimliche Taten sind nicht geeignet, die Aufmerksamkeit der Gemeindeeinwohner auf sich zu ziehen und sie so - dem präventiven Zweck des Gesetzes entsprechend - zur Mitwirkung bei ihrer Unterdrückung und Verhinderung zu veranlassen81. Auch war der Verlust, den ein Geschäftsinhaber dadurch erlitt, daß er infolge polizeilicher Anordnung sein Lokal schließen mußte, nicht nach den Vorschriften des Tumultschädengesetzes ersatzfähig, denn er ließ sich nicht kausal auf eine vorausgegangene Beschädigung des Eigentums - worunter ausschließlich das Sacheigentum als absolutes Recht zu verstehen war und nicht etwa auch das Vermögen als solches oder der heutzutage als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB geschützte eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb 82 - zurückführen 83. Anders konnte die Rechtslage demgegenüber in dem Fall zu beurteilen sein, in dem der Laden wegen der angerichteten Zerstörungen im Anschluß an die Tumulte geschlossen bleiben mußte. Ob in diesem Fall der entgangene Gewinn als adäquat kausale Folge der eingetretenen Eigentumsverletzung nach § 1 PrTSchG zu ersetzen war, ließ sich dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht entnehmen. Sie sagte nichts darüber aus, ob unter den „verursachten" Schaden nur der unmittelbare oder auch der mittelbare Schaden zu rechnen war 84 . Wenn einige Autoren annehmen, der Gesetzgeber habe mit der Verwendung des Begriffs der „Verursachung" die Ersatzpflicht der Gemeinden auf den unmittelbaren Schaden begrenzen wollen 85 , so ist dies nicht zutreffend. Zur Begründung berufen sie sich auf Wortwahl und Intention des preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838, das den Unternehmern eine strenge und umfassende Haftung aufzuerlegen beabsichtigte und in diesem Zusammenhang von einer Ersatzpflicht „für allen Schaden" sprach, „welcher bei der Beförderung entsteht"* 6. Bei einer näheren Betrachtung des allgemeinen Gesetzes79

Vgl. Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18, S. 221 (222); A. Karger, Deutsche Gemeindezeitung 1919, S. 139. 80 Eichbaum, DStrZ 1919, S. 31 f.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 16 f. 81 H. Bruch, Die Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 17. 82 Vgl. Eichbaum, DStrZ 1919, S.31 (32); A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.90. 83 E. Wolff, JW 1919, S. 272 (277 f.); a. A. ohne nähere Begründung K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 33. 84 So zutreffend Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18.S.221 (222); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 42; F. Koch, JW 1919, S. 364 (366); H. Bruch, Die Haftung bei Aufruhr in Bayern, S.27 für das insoweit vergleichbare bayrische Tumultschädengesetz. 85 So O. Ruer, PrVerwBl. 1910, Heft 8, S. 113; E. Wolff, JW 1919, S.272 (277). 86 Zitiert nach E. Wolff, JW 1919, S. 272 (277); Hervorhebung von mir.

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Sprachgebrauchs, insbesondere im Preußischen Allgemeinen Landrecht, zeigt sich jedoch, daß die Verben „verursachen" und „entstehen" synonym verwendet werden und sich nicht dem Ersatz lediglich der unmittelbaren Schäden einerseits und dem Ersatz auch der mittelbaren Schäden andererseits zuordnen lassen87. Wenn der Gesetzgeber die Haftung auf die unmittelbaren Schäden begrenzen will, bringt er dies durch einen entsprechenden Zusatz explizit zum Ausdruck 88. Dem Rechtsbegriff der „Verursachung" allein wohnt die Bedeutung einer Begrenzung des Ersatzes auf den unmittelbaren Schaden indessen nicht inne. Welchen Umfang der Ersatzanspruch des Geschädigten nach dem preußischen Tumultschädengesetz hatte, konnte man deshalb nicht aus dem Gesetz selbst ablesen. Vielmehr war hierfür auf das geltende allgemeine Recht zurückzugreifen, auf welches das Tumultgesetz durch seinen Verzicht auf eine nähere Konkretisierung von Anspruchsinhalt und -umfang stillschweigend verwies 89. Für die Zeit vor Inkrafttreten des BGB bestimmte sich der Umfang des Schadenersatzes in Preußen je nach Landesteil daher entweder nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht (PrALR), nach dem Gemeinen Recht oder nach dem französischen Code Civil 90 . Einen Ersatz auch des mittelbaren Schadens und insbesondere des entgangenen Gewinns konnten die Tumultgeschädigten dabei nach den Vorschriften des PrALR von den Gemeinden nicht verlangen, da es an der hierfür gesetzlich vorausgesetzten vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung fehlte 91. Zum 1. Januar 1900 hat indessen das BGB die privatrechtlichen Vorschriften der verschiedenen in seinem Anwendungsbereich bis dahin gültigen Landesgesetze abgelöst (Art. 55 EGBGB). Der Umfang des Schadenersatzes nach dem preußischen Tumultschädengesetz, dessen Fortgeltung seinerseits gemäß Art. 108 EGBGB durch das Inkrafttreten des BGB nicht berührt worden ist, richtete sich deshalb seither einheitlich nach den §§ 249 ff. und §§ 842 ff. BGB und umfaßte unabhängig vom Grad des Verschuldens stets auch den mittelbaren Schaden, namentlich den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) 92 . 87

Siehe insbesondere Erster Teil, 6. Titel, § 69 PrALR; außerdem Erster Teil, 3. Titel, §§4 und 5 PrALR; vgl. hierzu näher F. Koch, JW 1919, S.364 (366). 88 Siehe Erster Teil, 6. Titel, §§2,18,19,41,69 PrALR sowie näher F. Koch, JW 1919,S.364 (366). 89 RGZ 98,3(12); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.42; A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.91; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S.39f. 90 Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18, S.221 (222); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.42; F. Koch, JW 1919, S. 364 (366). 91 Erster Teil, 6. Titel, §§ 10 und 11 PrALR; vgl. H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 39. 92 So die h. M.; vgl. RGZ 98, 3 (12); K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S.50; Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18, S. 221 (222); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.42; F. Koch, JW 1919, S. 364 (366); A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.91; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S.39ff.; Wüsthoff, Die Haftpflicht der Gemeinden und Zuschauer bei Aufruhrschäden, S. 13 f.

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Zu ersetzen war deshalb beispielsweise neben den Reparaturkosten für ein bei Tumulten beschädigtes Fuhrwerk auch der Geschäftsverlust, den der Fuhrunternehmer dadurch erlitt, daß er seinen Wagen wegen des Schadens mehrere Tage nicht einsetzen konnte93. Ebenso hatte der Geschäftsinhaber, dessen Lokal geplündert oder zerstört worden war, nicht nur Anspruch auf Ersatz der entwendeten oder vernichteten Waren, sondern auch auf den Gewinn, den er beim Verkauf dieser Waren nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte erwarten können94. Wurde eine Person verletzt, so waren ihr nicht nur die Heilungs- und Kurkosten sowie der während der Zeit ihrer Erkrankung entgangene Verdienst zu ersetzen, sondern darüber hinaus auch die Folgen einer durch die Verletzung verminderten Erwerbsfähigkeit in Form einer Rente auszugleichen (§ 843 BGB) 95 . Daneben stand ihr gemäß § 847 BGB ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld zu 96 . Im Todesfalle hatte der Schädiger gemäß § 844 BGB die Kosten der Beerdigung zu tragen und an die unterhaltsberechtigten Angehörigen des Getöteten eine Geldrente zu entrichten97. Ob sich der Ersatzanspruch minderte oder entfiel, wenn der Geschädigte selbst zu den Tumultuanten gehörte, bestimmte sich in Ermangelung einer eigenen Regelung im preußischen Tumultschädengesetz ebenfalls nach den Vorschriften des BGB. Gemäß § 254 BGB muß ein Geschädigter, den ein Mitverschulden (im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst) an der Entstehung oder Entwicklung des Schadens trifft, eine Kürzung seines Anspruchs, möglicherweise bis hin zum völligen Verlust, hinnehmen. Es kam für die Reduzierung des Anspruchs mithin entscheidend darauf an, ob der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hatte, die nach Lage der Dinge erforderlich erschien, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Vor diesem Hintergrund war namentlich den an dem Aufruhr selbst aktiv beteiligten Personen ein überwiegendes Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB zur Last zu legen, das ihren Ersatzanspruch nach dem Tumultschädengesetz entfallen ließ 98 . 93

Vgl. das Beispiel bei K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 33. Vgl. das Beispiel bei H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S.41. 95 K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 33 f.; B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S. 33 (Anm. 23 zu § 1); D. Moericke, Die deutschen Tumultgesetze, S. 53 f.; H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S.41 f. 96 H. Bruch, Die Haftung bei Aufruhr in Bayern, S. 28; Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18, S.221 (222); B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.47; B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S.33 (Anm. 23 zu § 1); a. A. inkonsequenterweise K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 34. 97 B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.47; B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S. 33 (Anm. 23 zu § 1); H. Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 35. 98 So auch Delius, PrVerwBl. Band40 (1919), Heft 18, S.221 (223); B. Friedländer, Das preußische Tumultschadengesetz, S.33 (Anm.23 zu § 1); Wüsthoff, Die Haftpflicht der Gemeinden und Zuschauer bei Aufruhrschäden, S. 14; vgl. außerdem Reichs Versorgungsgericht, JW 1925, S. 1554; R. Geigei , Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.46; A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 171. 94

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4. Resümee Getreu ihrem französischen Vorbild war die Haftung der Gemeinden nach dem preußischen Tumultschädengesetz streng und umfassend". Gleichwohl ist das Gesetz in der politisch vergleichsweise ruhigen Zeit bis zum Ersten Weltkrieg kaum zur Anwendung gelangt100. Erst die revolutionären Unruhen der Jahre 1918/1919 stellten es vor eine ernsthafte Bewährungs- und Belastungsprobe. Die Gemeinden, allen voran die Hauptstadt Berlin als Zentrum der Unruhen, sahen sich mit Schadenersatzverpflichtungen in einer Höhe konfrontiert, die die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit überstiegen 101. Die Belastungsprobe endete mit der Ablösung der Tumultschädengesetze der einzelnen deutschen Staaten durch das Reichstumultschädengesetz vom 12. Mai 1920 102 und der Überleitung der Tumultschädenhaftung von den Gemeinden auf das Reich.

IV. Das Reichstumultschädengesetz vom 12. Mai 1920 1. Inhaltliche Neuerungen gegenüber dem preußischen Tumultschädengesetz a) Die Ersatzverpflichteten Anders als nach dem preußischen Tumultschädengesetz war nunmehr nicht mehr die Gemeinde, in der es zu Tumulten gekommen war, sondern das Reich dem Geschädigten gegenüber zur Ersatzleistung verpflichtet. In Ausführung einer Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924 103 , die die Leistungen nach dem Reichstumultschädengesetz in die „Aufgaben der Wohlfahrtspfle99

Vgl. C. Bornhak, Gesetz und Recht 1919, S.61. K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 11 f.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.7. Belegt wird dieser Befund durch das nahezu vollständige Fehlen von Gerichtsentscheidungen zum Preußischen Tumultschädengesetz. 101 In Berlin wurden die bis zum September 1919 entstandenen Schäden auf 50-60 Millionen Mark geschätzt; vgl. Abg. Heimann, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 329, Stenographische Berichte, S.2766 (2768). In der ca. 20.000 Einwohner zählenden Stadt Marienburg belief sich die Schadenssumme auf über 1,5 Millionen Mark; vgl. B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.76. 102 Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920, RGBl. 1920,1, S. 941 mit Ausführungsverordnungen vom 19. Mai 1920, RGBl. 1920,1, S.987 und vom 15. September 1920, RGBl. 1920,1, S. 1647; geändert durch Verordnung vom 8. Januar 1924, RGBl. 1924,1, S.4, sowie durch Verordnung zur Überleitung der Tumultschädenregelung auf die Länder vom 29. März 1924, RGBl. 1924,1, S. 381. § 11 des Gesetzes bestimmt, daß die landesgesetzlichen Vorschriften über den Ersatz von Aufruhrschäden auf die nach dem Inkrafttreten des Reichstumultschädengesetzes verursachten Schäden keine Anwendung mehr finden. 103 Es handelt sich um §42 der Dritten Steuemotverordnung vom 14. Februar 1924, RGBl. 1924,1, S.74 (84 f.). 100

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ge" eingeordnet und diese den Ländern nach Maßgabe näherer reichsrechtlicher Vorschriften zur „selbständigen Regelung und Erfüllung" zugewiesen hatte, ist die Tumultschädenhaftung des Reichs jedoch ihrerseits durch Verordnung vom 29. März 1924 104 auf die Länder übergeleitet worden. Die Überleitung erstreckte sich sowohl auf Sach- als auch auf Personenschäden, obschon letztere seit einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 1923 nicht mehr nach den Vorschriften des Reichstumultschädengesetzes, sondern nach denjenigen des Kriegspersonenschädengesetzes entschädigt wurden 105 . Zum Ersatz verpflichtet war seit der Verordnung von 1924 nunmehr in beiden Fällen „das Land, in dem der Schaden entstanden ist" 106 . Allerdings räumten beide Gesetze in Umsetzung einer entsprechenden Vorschrift der Notverordnung 107 dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit ein zu bestimmen, daß an Stelle des Landes ganz oder zum Teil die Gemeinden dem Geschädigten gegenüber ersatzpflichtig sein sollten 108 . Nur Braunschweig hat indessen durch ein Gesetz vom 17. November 1924 von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht; im übrigen blieb es bei der vom Reichsgesetzgeber vorgesehenen Haftung des Landes109. Haben mithin sowohl das Reichstumultschädengesetz als auch das Kriegspersonenschädengesetz die Gemeinden im Außenverhältnis zum Geschädigten - vorbehaltlich einer anderen Regelung durch den Landesgesetzgeber - aus der Tumultschädenhaftung entlassen, so waren diese andererseits nach beiden Gesetzen verpflichtet, sich im Innenverhältnis neben den Ländern (und - bis 1924 - dem Reich) weiterhin finanziell an der Tragung der Entschädigungslasten zu beteiligen. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 RTSchG in seiner ursprünglichen Fassung wurde die Kostenlast zu 6/12 auf das Reich, zu 4/12 auf das Land, in dem der Schaden entstanden ist, und zu 2/12 auf die beteiligte Gemeinde umgelegt. Nach der Überleitung der Außenhaftung auf die Länder teilten sich diese die Ersatzleistungen sowohl für Sach- als auch für Personenschäden im Innenverhältnis mit den Gemeinden im Verhältnis 2 : 1 n o . 104

Verordnung zur Überleitung der Tumultschädenregelung auf die Länder vom 29. März 1924, RGBl. 1924,1, S. 381; vgl. dazu A. Liebrecht, PrVerwBl. Band 45 (1924), Heft 29, S.283. 105 § 18 des Kriegspersonenschädengesetzes (KPSG) vom 15. Juli 1922 (RGBl. 1922, I, S. 620) in der neubekanntgemachten Fassung vom 30. Juni 1923, RGBl. 1923,1, S.545; vgl. A. Olshausen, PrVerwBl. Band 46 (1925), Heft 41, S. 451; unzutreffend demgegenüber Cuntz, DJZ 1932, S. 1144, der eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Reichsunruheschädengesetzes erst durch die Verordnung zur Überleitung der Tumultschädenhaftung auf die Länder vom 29. März 1924 annimmt. 106 So § 1 Abs. 1 RTSchG und § 18 Abs. 1 KPSG in der durch Artikel I und II der Verordnung vom 29. März 1924 geänderten Fassung. An dieser Fassung des § 18 KPSG hat sich durch die unter dem 22. Dezember 1927 erfolgte Neubekanntmachung des Gesetzes (RGBl. 1927, I, S.533) nichts geändert. 107 § 42 Abs. 3 Satz 2 der Dritten Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924, RGBl. 1924,1, S.74 (85). 108 § 1 Abs. 2 RTSchG und § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. KPSG in der durch die Verordnung vom 29. März 1924 geänderten Fassung. 109 Ygi tiebrecht, Tumultschadenrecht, S.32. 110

§ 10 Abs. 1 Satz 1 RTSchG (Sachschäden) und § 18 Abs. 3 KPSG (Personenschäden) in der durch die Verordnung vom 29. März 1924 geänderten Fassung. 7 Kimmel

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b) Der Entschädigungstatbestand Ungeachtet dieses Unterschiedes in der Person des Ersatzpflichtigen hat das preußische Tumultschädengesetz dem Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes im Jahre 1920 als Vorlage gedient111. Namentlich in § 1 des Gesetzes waren die Spuren seiner preußischen Vorgängerregelung 112 noch deutlich zu erkennen: „Wegen der Schäden, die an beweglichem und unbeweglichen Eigentume sowie an Leib und Leben im Zusammenhange mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht werden, bestehen Ersatzansprüche gegen das Reich nach Maßgabe dieses Gesetzes." In ihrer Formulierung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen für den Eintritt der Haftung - die mit der Auslagerung der Personenschäden im übrigen auch Eingang in § 18 des Kriegspersonenschädengesetzes gefunden hat - knüpfte diese Vorschrift weitgehend an § 1 des preußischen Tumultschädengesetzes an 113 . Sie hielt an dem Prinzip einer verschuldensunabhängigen Haftung fest, die allein aufgrund der Tatsache eines Tumultes zur Entstehung gelangte114. Lediglich das Tatbestandsmerkmal „bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlauf" wurde durch das Erfordernis eines Zusammenhangs der Schäden mit „inneren Unruhen" ersetzt 115. aa) Das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhen Unklar ist jedoch, ob der Haftungstatbestand durch die Einfügung dieses neuen Tatbestandsmerkmals gegenüber der preußischen Regelung in seinen Voraussetzungen ausschließlich weiter gefaßt oder möglicherweise zugleich verschärft werden sollte. Legt man die amtliche Begründung zum Entwurf des Reichstumultschädengesetzes zugrunde, so ging die gesetzgeberische Absicht dahin, die Entschädigung für die durch die Revolution entstandenen Schäden, deren Ersatzfähigkeit nach den Vorschriften des preußischen Tumultschädengesetzes umstritten war 116 , sicherzu111

A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.21 unter Hinweis auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Reichstumultschädengesetzes; vgl. außerdem B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 8. 112 Siehe oben S. 88. 113 So ausdrücklich die amtliche Begründung zu § 1 des Gesetzentwurfs, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 337, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 643. 114 Die den Gemeinden nach dem preußischen Tumultschädengesetz eingeräumte Möglichkeit, sich durch den Nachweis mangelnden Verschuldens unter bestimmten Bedingungen ausnahmsweise von der Haftung zu befreien, ist mit der Herauslösung aus dem gemeindlichen Kontext allerdings gestrichen worden. Eine Exkulpation des Reiches ist nun in keinem Fall mehr möglich. 115 A. Mosse, DJZ 1919, S.712. 116 Dafür Delius, PrVerwBl. Band 40 (1919), Heft 18, S. 221 f.; B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.54ff. und S. 61; F. Koch, JW 1919, S. 364f., sowie die Rechtsprechung: RGZ 98,3 (5 ff.); RGZ 98,203 (204f.); RGZ 105,147 (148); OLG Posen, JW 1920, S. 661 mit zustimmender Anmerkung von E. Heilfron, ebd., S. 662. Dagegen

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stellen117. Daneben sollten solche Schäden, die unzweifelhaft bereits den Tatbestand des preußischen Tumultgesetzes erfüllten, auch auf der Grundlage der neuen Regelung in vollem Umfang weiterhin ersetzt werden 118. Dieser letztgenannte Wille des Gesetzgebers hat in der unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse gewählten Formulierung indessen keinen hinreichenden Ausdruck gefunden 119. Ausgehend von Wortlaut und Wortsinn ist der Begriff der inneren Unruhe in § 1 RTSchG in Literatur und Rechtsprechung deshalb dahingehend verstanden und ausgelegt worden, daß er tumultuarische Zusammenrottungen und Zusammenläufe, die auf einen individuell abgegrenzten Personenkreis oder ein begrenztes räumliches Gebiet beschränkt blieben, nicht (mehr) umfaßte 120. Als erforderlich wurde nach der neuen Gesetzesfassung vielmehr angesehen, daß der das Gegenstück zu den inneren Unruhen bildende Zustand der allgemeinen inneren Ruhe gestört und über die an dem Tumult beteiligten Personen hinaus weitere Bevölkerungsschichten mit einem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfüllt wurden 121. In diesem Sinne hat das Reichsversorgungsgericht - welches in letzter Instanz zur Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nach dem Kriegspersonenschädengesetz berufen war - den Begriff der inneren Unruhe in einer Entscheidung vom 16. Dezember 1924 wie folgt umschrieben: „Innere Unruhen i. S. d. § 1 TSchG sind von innen heraus sich entwickelnde Bewegungen, welche über eine engere räumliche Abgrenzung oder einen begrenzten Personenkreis hinaus die Ruhe weiterer Volksschichten stören, ohne Unterschied der Beweggründe. Es kommt auf den Umfang der Auswirkung der Unruhen auf das normale öffentliche Leben an. Es sind also nicht nur politische Bewegungen, sondern auch andere, z.B. wirtschaftliche, zu den inneren Unruhen zu rechnen, sofern dadurch weitere Bevölkerungsschichten mit dem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung erfüllt werden. Die Auswirkung der Unruhe auf die Allgemeinheit ist von ihren Beweggründen unabhängig. Wann ein solF. Caro, DJZ 1920, S.622 mit Fn.2; E. Wolff, JW 1919, S.272 (274ff., 276). Differenzierend 5i. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.29ff. 117 Vgl. F. Caro, DJZ 1920, S. 622; R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.20. 118 So ausdrücklich die amtliche Begründung zu § 1 des Gesetzentwurfs, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 337, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 643. 119 So auch B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 80. 120 Vgl. Küppers, PrVerwBl. Band 45 (1923), Heft 5, S. 38 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Reichswirtschaftsgericht vom 2. September 1921 - 483/21 - ; ebenso K. Müller, PrVerwBl. Band 47 (1926); Heft 49, S.533 (534); A. Olshausen, PrVerwBl. Band 46 (1925), Heft 41, S.451 (453); außerdem Köster, DJZ 1932, S.992 (993); Schaelicke, JW 1922, S. 1695 (1696). F. Caro, DJZ 1920, S.622, spricht anschaulich von „zwei sich schneidenden Kreisen", um das Verhältnis der Tatbestandsvoraussetzungen des preußischen Tumultschädengesetzes (Zusammenrottung oder Zusammenlauf) und des Reichstumultschädengesetzes (innere Unruhen) zueinander zu charakterisieren. 121 Vgl. A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.25. 7*

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eher Unruhezustand vorliegt, ist Tatfrage. Es genügt einerseits nicht, daß die örtlich und in ihrer Wirkung begrenzt bleibenden Bewegungen in erhebliche Gewalttaten ausarten. Andererseits ist es auch nicht erforderlich, daß die Autorität der öffentlichen Sicherheitsorgane ausgeschaltet ist; auch wenn diese der Bewegung Herr werden, kann sehr wohl die Ruhe der Allgemeinheit gestört sein." 122

Das Erfordernis einer „inneren Unruhe" beschränkte mithin den Anwendungsbereich des Reichstumultschädengesetzes zwar nicht auf revolutionäre Bewegungen mit dem Ziel einer Staatsumwälzung. Jedoch erfaßte der gesetzliche Entschädigungstatbestand andererseits nur noch solche tumultuarischen Vorgänge, die in ihrem Umfang und ihren Auswirkungen eine Störung des normalen öffentlichen Lebens auf größerem Raum bedeuteten und das Vertrauen weiterer Bevölkerungskreise in die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beeinträchtigten 123 . Als innere Unruhen sind in der Zeit der Weimarer Republik demgemäß etwa die revolutionären Novemberunruhen des Jahres 1918 - die den unmittelbaren Anlaß für den Erlaß des Reichstumultschädengesetzes abgaben - , die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch im Jahre 1920 und die Demonstrationen nach der Ermordung von Außenminister Rathenau am 24. Juni 1922 qualifiziert worden 124 , nicht jedoch Studentenkrawalle in der Berliner Universität Ende 1931, da sie nicht über eine räumlich enge Abgrenzung und einen auf die Studentenschaft beschränkten Personenkreis hinausgingen125. Ebensowenig vermochten Streiks, die sich auf ein einzelnes Werk oder Landgut beschränkten, Ersatzansprüche nach dem Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden zu begründen 126. Auch bei Ausschreitungen am Rande einer Parade oder eines Umzugs, durch die es zu Beschädigungen von Schaufenstern und Waren kam, konnte man noch nicht von inneren Unruhen sprechen 127. Auf die Probleme und Schwierigkeiten, die sich aus der zeitgeschichtlich bedingten Fassung des bis heute fortgeltenden Entschädigungstatbestandes des Reichstumultschädengesetzes bei seiner Anwendung in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung ergeben, wird an späterer Stelle zurückzukommen sein 128 .

122 Reichsversorgungsgericht, Entscheidung vom 16. Dezember 1924, abgedruckt bei Waschow, JW 1925, S. 1263 (1264). 123 Vgl. Reichswirtschaftsgericht, X V I I AV 483/21 und 551/21, zitiert nach K. Schreiner, JW 1922, S. 673 (675); außerdem K. Müller, PrVerwBl. Band 47 (1926), Heft 49, S. 533 (534). 124 Vgl. P. Schaefer, JW 1932, S. 3045. 125 Vgl. P: Schaefer, Tumultschäden, S.21 f. 126 Vgl. P. Schaefer, Tumultschäden, S.23. 127 Delius, PrVerwBl. Band 41 (1920), Heft 38, S.429; P Schaefer, Tumultschäden, S.22f. 128 Vgl. unten S. 118 ff.

A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung

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bb) Die (weiteren) gesetzlichen Vorkehrungen zur Beschränkung der Ersatzpflicht War damit die sich aus dem neu eingefügten Merkmal der inneren Unruhe ergebende Einschränkung des zum Ersatz berechtigenden Tatbestandes im Vergleich zum preußischen Tumultschädengesetz vom Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes eigentlich nicht beabsichtigt, so lassen andere Vorschriften des Gesetzes daneben seinen ausdrücklichen Willen erkennen, die Ersatzpflicht für Tumultschäden in ihrem Umfang zu begrenzen. (1) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf den unmittelbaren Schaden Schon der Grundentschädigungstatbestand des § 1 RTSchG beschränkte die Ersatzpflicht des Reiches bzw. der Länder von vornherein auf solche Schäden an Eigentum, Leib und Leben, die im Zusammenhang mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder deren Abwehr „unmittelbar" verursacht wurden. Er griff damit auf die im Allgemeinen Preußischen Landrecht getroffene Unterscheidung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schäden zurück 129 und nahm solche Schäden von der Ersatzpflicht aus, die „zwar aus der Handlung [...], jedoch nur in Verbindung derselben mit einem andern von ihr verschiedenen Ereignisse, oder mit einer nicht gewöhnlichen Beschaffenheit der Person oder Sache" entstanden130. Als nicht ersatzfähig eingestuft wurden damit diejenigen Schäden, die erst durch das Hinzutreten einer weiteren, selbständigen Ursache aus der im Zusammenhang mit inneren Unruhen verübten offenen Gewalt als der ursprünglich schädigenden Handlung hervorgegangen sind. Indessen wurde der Ausschluß dieser mittelbaren Schadensfolgen aus der Ersatzpflicht des Reiches bzw. der Länder nur bzgl. der Sachschäden strikt durchgehalten. Ein Ersatz des infolge einer Beschädigung des Eigentums entgangenen Gewinns war nach dem Gesetz ebenso ausgeschlossen wie der Ersatz sonstiger Erwerbsschä129

Behnisch, JW 1922, S. 57; P: Chone, JW 1922, S. 206; Delius, PrVerwBl. Band 41 (1920), Heft 38, S. 429 (430), jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch H. Richter, Reichstumultschadensgesetz, S.45 (Anm.4 zu §3); RGZ 105,115 (118). Unzutreffend insoweit die These von A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 28 mit Fn. 119, der in der Formulierung des § 1 RTSchG keine Begrenzung auf den unmittelbaren Schaden erblickt und behauptet, die Annahme einer solchen Begrenzung sei auch bereits seinerzeit nur von einer vereinzelt gebliebenen Mindermeinung geteilt worden. 130 Erster Teil, 6. Titel, § 3 PrALR. Demgegenüber definiert der vorausgehende § 2 den unmittelbaren Schaden als einen Nachteil, der „durch eine Handlung... unmittelbar und zunächst bewirkt" wird. Vgl. außerdem Erster Teil, 3. Titel, §§4 und 5 PrALR: „Folgen, die aus einer Handlung, an und für sich betrachtet, nach dem natürlichen und gewöhnlichen Laufe der Dinge zu entstehen pflegen, heißen unmittelbar. Mittelbar heißen diejenigen Folgen, die nur aus der Verbindung der Handlung mit einem andern von derselben verschiedenen Ereignis, oder mit einer nicht gewöhnlichen Beschaffenheit, entstanden sind."

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den, die einem Arbeitgeber beispielsweise dadurch entstanden, daß er während einer durch Aufruhrschäden bedingten vorübergehenden Schließung seines Gewerbebetriebs zur Lohnfortzahlung verpflichtet blieb 131 . Wegen der Schäden an Leib und Leben wich das Reichstumultschädengesetz demgegenüber von der Begrenzung der Ersatzpflicht auf den unmittelbaren Schaden ab und sprach in § 4 dem Geschädigten neben einem Ersatz der Heilungskosten auch eine Rente für die Einbuße an Erwerbsfähigkeit sowie seinen Hinterbliebenen eine Rente zum Ausgleich der Nachteile zu, die ihnen durch den Fortfall des Ernährers entstanden sind 132 . Darüber hinaus hatten die Hinterbliebenen, seitdem sich der Ersatz von Personenschäden aufgrund einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 1923 nach den Vorschriften des Kriegspersonenschädengesetzes bestimmte, ein Anrecht auf Sterbegeld, von dem in erster Linie die Kosten der Beerdigung zu bestreiten waren 133 . Abgesehen davon, daß ein Anspruch auf Schmerzensgeld weder nach dem Tumult- noch nach dem Kriegspersonenschädengesetz bestand134, war der Umfang des zu ersetzenden Personenschadens entgegen der Formulierung in § 1 RTSchG und § 18 KPSG mithin nicht auf die unmittelbaren Schadensfolgen begrenzt und blieb insoweit kaum hinter den Maßstäben des preußischen Tumultschädengesetzes zurück 135 . Demgegenüber ist der Kreis der ersatzfähigen Sachschäden durch die Beschränkung auf den unmittelbaren Schaden und den damit verbundenen Ausschluß des entgangenen Gewinns gegenüber der preußischen Rechtslage erheblich reduziert worden.

131 Vgl. von Besnard, Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S. 10; Delius, Mitteilungen für die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten 1924, S.42 mit weiteren Beispielen; R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.27f. 132 Vgl. zur (richtigen) Einordnung dieser Schäden als mittelbare Schäden F. Caro, DJZ 1920, S.622 (624); R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S.28. 133 §§6 Abs. 1 und 1 Abs. 1 KPSG i.V.m. §34 des Reichsversorgungsgesetzes (RGBl. 1927, I, S.515, 520). Unter der Geltung des Reichstumultschädengesetzes war demgegenüber ein Anspruch der Hinterbliebenen auf Ersatz der Beerdigungskosten von der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur stets abgelehnt worden; vgl. Reichswirtschaftsgericht, Entscheidung vom 21. Mai 1921, DWZ 1921, S.305 (306f.); Bacmeister, HansRZ 1921, S.215f.; Küppers, PrVerwBl. Band 43 (1922), Heft 28, S. 332 unter Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Reichswirtschaftsgerichts; Schaelicke, JW 1922, S. 1695; a. A. P. Chone, JW 1922, S.206. 134 Vgl. Küppers, PrVerwBl. Band 43 (1922), Heft 28, S. 332; Schaelicke, JW 1922, S. 1695, jeweils unter Hinweis auf Entscheidungen des Reichswirtschaftsgerichts; außerdem A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 165 f. 135 Lediglich der infolge eines Personenschadens entgangene Verdienst fällt aus den ersatzfähigen mittelbaren Schadensfolgen heraus; vgl. Waschow, JW 1925, S. 1263 (1264) unter Hinweis auf eine Entscheidung des Reichs Versorgungsgerichts. Allerdings besteht nach § 12 Reichsversorgungsgesetz ein Anspruch auf Krankengeld; vgl. A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.167.

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(2) Die Fortkommensklausel

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des § 2 RTSchG

Nach § 2 Abs. 1 RTSchG war ein Ersatzanspruch darüber hinaus nur gegeben, wenn und soweit ohne einen solchen „nach den Umständen das Fortkommen des Betroffenen unbillig erschwert würde" 136 . Allein die Tatsache der Entstehung eines Tumultschadens - wie er in seinen objektiven Voraussetzungen gesetzlich näher definiert ist - genügte damit nicht mehr, um die Ersatzpflicht des Staates auszulösen; hinzukommen mußte vielmehr ein individuell-subjektives Bedürfnis nach Entschädigung in der Person des Betroffenen. Die Pflicht des Staates zum Ersatz von Tumultschäden hing mithin nicht mehr ausschließlich von den objektiv-tatsächlichen Umständen des Schadenseintritts ab, sondern zugleich von den „gesamten Vermögens- und Erwerbsverhältnissen" 137 des Geschädigten. Standen ihm wegen der erlittenen Tumultschäden vertragliche oder gesetzliche Ansprüche gegen eine Versicherung zu, so war bereits hierdurch sein Fortkommen hinreichend gesichert; einer Entschädigungsleistung des Reiches bzw. der Länder bedurfte es daneben nicht 138 . Namentlich Ansprüche aus einer Versicherung gegen Schäden durch Aufruhr, einem Versicherungszweig, der sich in Deutschland seit dem Ende des Ersten Weltkrieges entwickelt hatte und auf den auch in den Beratungen der Nationalversammlung explizit hingewiesen worden war 139 , waren deshalb geeignet, Entschädigungsansprüche nach dem Reichstumultschädengesetz auszuschließen140. Desgleichen entfiel ein Entschädigungsanspruch aufgrund der Fortkommensklausel des § 2 RTSchG, wenn der Geschädigte von sonstiger dritter Seite, etwa vom Schädiger, Leistungen wegen der erlittenen Schäden erhalten hatte oder jedenfalls die Durchsetzung dieser Ansprüche gesichert erschien 141. Eine weitere Begrenzung erfuhr der Anspruch auf Schadenersatz nach dem Reichtstumultschädengesetz durch die Verordnung vom 8. Januar 1924, die das bisherige Erfordernis der unbilligen Fortkommenserschwerung durch die im ursprüng136

So die Fassung des Gesetzes bis zum Erlaß der Verordnung vom 8. Januar 1924, RGBl. 1924,1, S.4. 137 § 2 Abs. 1 RTSchG in der bis zum Erlaß der Verordnung vom 8. Januar 1924 (RGBl. 1924,1, S.4) gültigen Fassung. Jedoch dürften auch nach der Streichung dieser Formulierung aus dem Gesetzeswortlaut im Zuge der Neufassung des § 2 RTSchG durch die genannte Verordnung bei der Frage nach der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz weiterhin die gesamten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Geschädigten zu berücksichtigen sein; vgl. Delius, Mitteilungen für die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten 1924, S.42 (43). 138 Vgl. nur Bacmeister, HansRZ 1921, S. 215 (216); Delius, Mitteilungen für die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten 1924, S.42 (43); Küppers, PrVerwBl. Band43 (1922), Heft 27, S. 315 (317); Lang, LeipzZ 1921, S. 168 (169). 139 Abg. Waldstein, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 333, Stenographische Berichte, S.5614 (5616). 140 Cuntz, DJZ 1932, S. 1144 (1145 f.); R. Geigei, Das Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, S. 32. 141 A. Olshausen, PrVerwBl. Band 46 (1925), Heft 41, S.451 (452); vgl. auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 31.

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liehen Entwurf des Gesetzes142 bereits enthaltene Bedingung einer Gefährdung des wirtschaftlichen Bestehens des Geschädigten ersetzte 143. Wegen der bereits durch die Gesetzesänderung von 1923 erfolgten Herauslösung der Haftung für Personenschäden aus dem Reichstumultschädengesetz galt diese weitere Verschärfung indessen nur für Sachschäden, während Personenschäden seither nach den Vorschriften des Kriegspersonenschädengesetzes ohne jegliches Ansehen der individuellen Vermögenslage entschädigt wurden 144. Voraussetzung für den Ersatz von Sachschäden war jedoch nunmehr, daß der Geschädigte ohne einen solchen in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht gewesen wäre. Dies war bei einer erwerbswirtschaftlich tätigen juristischen Person etwa dann anzunehmen, wenn infolge der erlittenen Tumultschäden die Möglichkeit ihres Fortbestehens oder die Fortführung ihrer Geschäfte in Frage gestellt war 145 . Eine bloß unbillige Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, die beispielsweise eine Verringerung des Reingewinns oder der Dividende zur Folge hatte, begründete demgegenüber noch keinen Ersatzanspruch 146. Selbst wenn man das schon vom Gesetzgeber für notwendig erachtete Wohlwollen bei der Auslegung der Fortkommensklausel walten ließ 147 , war danach alles in allem nicht zu verkennen, daß durch die Aufnahme eines subjektiven Bedürfniselements die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem Reichstumultschädengesetz im Vergleich zum preußischen Tumultschädengesetz stark eingeengt worden waren. Dies galt in besonderem Maße seit der Gesetzesänderung von 1924. Auch bei einer Betrachtungsweise, die die bisherigen Lebensverhältnisse des Geschädigten berücksichtigte und eine Existenzbedrohung bereits dann annahm, wenn zwar sein notwendiger Lebensunterhalt gesichert, eine Aufrechterhaltung seiner „standesgemäßen" Lebensverhältnisse jedoch gefährdet war 148 , konnte man - zumal bei 142 Entwurf eines Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 337, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 643. 143 Verordnung zur Abänderung des Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 8. Januar 1924, RGBl. 1924,1, S.4; vgl. zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des § 2 RTSchG näher A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 35 ff.; außerdem Rukser, JW 1922, S.87; P. Schaefer, Tumultschäden, S.59ff. 144 Vgl. A. Liebrecht, PrVerwBl. Band 45 (1924), Heft 29, S. 283. 145 A. Olshausen, PrVerwBl. Band 46 (1925), Heft 41, S.451 (454). 146 A. Olshausen, PrVerwBl. Band 46 (1925), Heft 41, S.451 (453f.); P Schaefer, Tumultschäden, S. 60. 147 Amtliche Begründung zu § 2 des Gesetzentwurfs, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 337, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 643. 148 So Delius, Mitteilungen für die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten 1924, S.42f., mit der wohl zutreffenden Begründung, daß wegen der Begrenzung der Entschädigung auf 75 % ansonsten das Existenzminimum unterschritten würde; vgl. außerdem B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 87 f.; A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 37.

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juristischen Personen und anderen Geschäftsleuten - von einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Geschädigten nur in den seltensten Fällen sprechen 149. (3) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf 75 % des Schadens durch die Verordnung vom 8. Januar 1924 Sollte dennoch in der Person des einen oder anderen Geschädigten eine derartige Existenzgefährdung bestanden haben, so stand ihm indessen nach dem Gesetz kein Anspruch auf Ersatz aller im Sinne des § 1 RTSchG „unmittelbar verursachten" Sachschäden in voller Höhe zu. Zum einen konnte der Entschädigungsanspruch schon nach der ausdrücklichen Formulierung der Fortkommensklausel auch dann nur so weit reichen, wie dies erforderlich war, um die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz zu beheben. Darüber hinaus legte § 2 Abs. 1 Satz 2 RTSchG, der durch die Verordnung vom 8. Januar 1924 zugleich mit der Verschärfung der Fortkommensklausel in das Gesetz eingefügt wurde, eine von den individuellen Bedürfnissen unabhängige Obergrenze fest, wonach die Entschädigung 75 % des festgestellten Sachschadens - das Kriegspersonenschädengesetz enthält keine vergleichbare Vorschrift - nicht überschreiten durfte. Selbst wenn der Geschädigte alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Gewährung eines Ersatzanspruchs zum Ausgleich der Beschädigungen seines Eigentums erfüllte, hatte er mithin in jedem Fall ein Viertel seines Sachschadens selbst zu tragen 150. cc) Resümee Zusammenfassend ist damit festzuhalten, daß die Ersatzfähigkeit von Personenschäden in erster Linie durch das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhe eine Einschränkung gegenüber der preußischen Rechtslage erfahren hat, während die im Grundentschädigungstatbestand (§ 1 RTSchG bzw. § 18 KPSG) statuierte Begrenzung auf den unmittelbar verursachten Schaden durch die in anderen Gesetzesvorschriften ausdrücklich ausgesprochene Einbeziehung mittelbarer Schadensfolgen in den Ersatzanspruch weitgehend aufgeweicht worden ist. Weitere gesetzliche Beschränkungen sah das Kriegspersonenschädengesetz, nach dessen Vorschriften sich der Ersatz von Personenschäden seit seiner Änderung im Jahre 1923 bestimmt, daneben nicht vor. 149

Vgl. schon die Bedenken des Abg. Warmuth in der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 329, Stenographische Berichte, S. 2766 (2776); außerdem Cuntz, DJZ 1932, S. 1144 (1145); A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 13. 150 P. Schaefer, Tumultschäden, S.42.

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Ungünstiger stellte sich hingegen die Situation für den in seinem beweglichen oder unbeweglichen Eigentum Geschädigten dar. Ersatzfähig war hier nur noch der unmittelbare Schaden, und auch dieser nur, wenn und soweit ansonsten die wirtschaftliche Existenz des Geschädigten bedroht gewesen wäre. Selbst dann durfte der Ersatz 75 % des festgestellten Schadens jedoch nicht überschreiten. In beiden Fällenfindet darüber hinaus bei mitwirkendem Verschulden des Geschädigten an der Schadensentstehung die Vorschrift des § 254 BGB weiterhin Anwendung 151 mit der Folge, daß sich der Ersatzanspruch mindert oder sogar ganz entfällt. 2. Die Auswechslung des Rechtsgrundes der Haftungsanordnung Die aufgezeigten Neuerungen bedeuteten jedoch nicht nur eine inhaltliche und umfängliche Änderung des Haftungsregimes gegenüber dem preußischen Tumultschädengesetz, sondern rührten zugleich an die rechtlichen Legitimationsgrundlagen der Haftungsanordnung. a) Der Legitimationsverlust der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Grundlage der Anordnung einer Gemeindehaftung für Tumultschäden Indem das Reichstumultschädengesetz zunächst das Reich und später die Länder im Außenverhältnis gegenüber dem Geschädigten zu Ersatzpflichtigen bestimmt und damit die Aufruhrschadenshaftung aus dem gemeindlichen Kontext gelöst hat, hat es zugleich auch das Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung der örtlichen Gemeinschaft hinter sich gelassen152, das - in Anknüpfung an das französische Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV - dem Gesetzgeber des preußischen, aber auch des badischen und des bayrischen Tumultschädengesetzes als Rechtsgrund für die Normierung einer Tumultschädenhaftung der Gemeinden gedient hatte. Der Reichsgesetzgeber hat damit dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen, der sich, befördert durch die technischen und wirtschaftlichen Veränderungen, in der Zeit seit dem Erlaß des preußischen Tumultschädengesetzes vollzogen hatte. Im Zuge der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfindenden Entwicklung Deutschlands vom fast reinen Agrarstaat zum modernen Industriestaat war die Bevölkerung bis auf das Doppelte, in den großen Städten sogar bis auf das Zehnfache angestiegen153. Zugleich hatte das Bürgertum, das bislang nach Zahl, 151 152

So die ausdrückliche Anordnung in §5 RTSchG und § 18 Abs. 1 a.E. KPSG. Zutreffend A. Horster; Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung,

S. 15. 153 U. Wesel, Geschichte des Rechts, Rn. 268. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Beitrag von Hans Doderer, Sollen sie doch Steine klopfen, DIE ZEIT Nr. 10 vom 1. März 2001, S. 72 über die Entstehung von Arbeitslosigkeit im Kaiserreich.

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Ansehen und Einfluß den Mittelpunkt des gemeindlichen Lebens bildete, gegenüber der anwachsenden Arbeiterschaft an Gewicht verloren 154. Schließlich trug nicht zuletzt auch die durch die Entwicklung der Eisenbahnen und anderer Verkehrsmittel möglich gewordene Mobilität der Gemeindeeinwohner dazu bei, daß sich die überkommenen innergemeindlichen Sozialstrukturen auflösten und die örtliche Gemeinschaft ihre Bedeutung als Zusammengehörigkeits- und Schicksalsgemeinschaft einbüßte155. Unter diesen im Vergleich zum Zeitpunkt des Erlasses des preußischen Tumultschädengesetzes grundlegend veränderten tatsächlichen Verhältnissen stieß das Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung, das auf der engen persönlichen Verbundenheit der Gemeindeeinwohner untereinander fußte, an die Grenzen seiner Legitimation. Das Band zwischen den Gemeindemitgliedern war inzwischen derart gelockert, daß die Idee einer „Gesamtbürgschaft" und des wechselseitigen Einstehens ihre innere Berechtigung verloren hatte156. Der ordnungspolitische Gedanke der Prävention, auf den sich der preußische Gesetzgeber seinerzeit maßgeblich gestützt hatte, vermochte eine Tumultschädenhaftung der Gemeinden nicht mehr länger zu rechtfertigen, da eine gegenseitige Beaufsichtigung der Gemeindeeinwohner jedenfalls in den Städten, die zugleich auch die Unruhezentren bildeten, nicht mehr möglich war. Aber auch der fürsorgerechtliche Gedanke der Schadensrepartition, auf dessen Verwirklichung das preußische Tumultschädengesetz nicht angelegt war, ließ sich nicht fruchtbar machen, um einen Fortbestand der gemeindlichen Tumultschädenhaftung zu legitimieren 157. Abgesehen davon, daß den Gemeinden zunehmend die finanzielle Leistungskraft fehlte, um die von ihren Mitgliedern erlittenen Schäden zu übernehmen, mangelte es infolge von Bevölkerungswachstum und Freizügigkeit auch an der für eine solche Umlage auf den Gemeindeverband erforderlichen Solidarität der Gemeindeeinwohner untereinander. Durch die Auflösung der bisherigen Sozialstrukturen hatte das Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung mithin insgesamt seine Existenzgrundlage und -berechtigung verloren. Dies hat der Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes erkannt und hieraus die Konsequenz gezogen, die Haftung für Unruheschäden von den Schultern der Gemeinden zu nehmen und sie dem Reich aufzuerlegen. Er hat auf diese Weise die Haftung nicht nur aus dem gemeindlichen Kontext, sondern zugleich auch von der Rechtsgrundlage der genossenschaftlichen Gesamthaftung der örtlichen Gemeinschaft gelöst. Daß die Gemeinden im Innenverhältnis weiterhin finanziell an der Lastentragung beteiligt waren, steht diesem Befund nicht entgegen. Grundlage der Haftungsbeteiligung im Innenverhältnis war zwar weiterhin der insoweit fortlebende genossen154

B. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S.74. St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.55. 156 A. Mosse, DJZ 1919, S. 712 (714). 157 A. A. K. Bertram, Das preußische Tumultgesetz, S. 22f.; D. Moericke, DJZ 1911, S. 647. 155

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schaftliche Präventionsgedanke. Entscheidend für die Emanzipation der Haftungsanordnung im Außenverhältnis von der bisherigen Legitimationsgrundlage ist jedoch, daß die Primärverantwortlichkeit gegenüber den Geschädigten nicht mehr bei den Gemeinden, sondern beim Reich bzw. bei den Ländern lag. Allein das Reich bzw. die Länder traten den Geschädigten als Ersatzverpflichtete gegenüber. Dies schließt es aus, das Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung weiterhin als Grundlage der Tumultschädenhaftung anzusehen158. Es vermochte lediglich noch die finanzielle Beteiligung der Gemeinden im Innenverhältnis zu legitimieren, ließ jedoch die Außenrechtsbeziehungen zwischen dem Reich bzw. den Ländern als Ersatzverpflichteten auf der einen Seite und den Geschädigten als Ersatzberechtigtem auf der anderen Seite unberührt. Desgleichen bedeutete die im Zuge der Überleitung der Haftung vom Reich auf die Länder im Jahre 1924 sowohl in das Reichstumult- als auch in das Kriegspersonenschädengesetz aufgenommene Ermächtigung an den Landesgesetzgeber, die Gemeinden auch im Außenverhältnis zu Ersatz verpflichteten zu bestimmen159, keine Rückkehr zu den altdeutschen Wurzeln 160 . Diese Ermächtigungsvorschrift wurde nicht in dem Bewußtsein eingeführt, damit das Wesen der Tumultschädenhaftung von neuem zu ändern und eine Rückkehr zum rechtlichen Fundament der genossenschaftlichen Gesamthaftung zu ermöglichen. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber lediglich um die Umsetzung einer entsprechenden Vorgabe der Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924, die sich ihrerseits nicht nur auf die Tumultschädenhaftung, sondern auf alle Aufgaben der Wohlfahrtspflege sowie darüber hinaus auf das Schul- und Bildungswesen sowie die Polizei erstreckte und für all diese Bereiche eine Ermächtigung an den Landesgesetzgeber vorsah, über eine Beteiligung der Gemeinden an der Aufgabenerfüllung zu entscheiden161. Rechtliche Erwägungen zu Grundlage und Legitimation speziell einer Aufruhrschadenshaftung waren mithin nicht ausschlaggebend für die Aufnahme der Ermächtigungsvorschrift in das Reichstumult- und das Kriegspersonenschädengesetz 162. Es bleibt deshalb dabei, daß das deutschrechtliche Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung die vom Reichsgesetzgeber angeordnete Tumultschädenhaftung nicht mehr zu erklären und zu rechtfertigen vermag.

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So auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 15. § 1 Abs. 2 RTSchG und § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. KPSG in der durch Artikel I und II der Verordnung vom 29. März 1924 (RGBl. 1924,1, S.381) geänderten Fassung. 160 A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 32. 161 § 42 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Dritten Steuemotverordnung vom 14. Februar 1924 (RGBl. 1924,1, S.74, 84): „Die Aufgaben der Wohlfahrtspflege, des Schul- und Bildungswesens und der Polizei werden den Ländern nach Maßgabe näherer reichsrechtlicher Vorschriften zu selbständiger Regelung und Erfüllung überlassen. Die Länder bestimmen, inwieweit die Gemeinden (Gemeindeverbände) an der Erfüllung der einzelnen Aufgaben zu beteiligen sind." (Hervorhebung von mir). 162 A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 32. 159

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b) Der Rechtsgrund der Haftungsanordnung nach dem Reichstumultschädengesetz Demnach stellt sich die Frage, auf welchen neuen Rechtsgrund das Reichstumultschädengesetz die Haftung für Unruheschäden gestellt hat.

aa) Das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung als causa der Haftungszuweisung? In den parlamentarischen Beratungen des Gesetzes klang von verschiedener Seite der Gedanke an, der Staat müsse deshalb für Tumultschäden einstehen, weil er seine Kernaufgabe, Leben, Gesundheit und Eigentum seiner Bürger zu schützen, nicht erfüllt habe163. Grundsätzlich ist dieser Gedanke eines Versagens des Staates in seiner Funktion als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geeignet, eine gesetzlich normierte Ersatzpflicht für Tumultschäden zu legitimieren, die aus dem gemeindlichen Kontext herausgelöst und dem Reich bzw. den Ländern auferlegt ist. Er erlaubt es, die Tumultschäden dem Staat kraft spezialgesetzlicher Anordnung ohne Rücksicht auf ein Fehlverhalten und Verschulden seiner Organe mit der Begründung zuzurechnen, daß es gleichwohl seine Aufgabe als Inhaber des Gewaltmonopols und Träger der Polizeigewalt164 gewesen wäre, jegliche Schädigungen seiner Bürger zu verhindern. Zugleich stünde die Tumultschädenhaftung bei einer solchen Fundierung trotz der unterschiedlichen Haftungssubjekte weitgehend in der Tradition der bisherigen Gesetzgebung: Die Haftung trifft in beiden Fällen denjenigen Verband, der zur Verhinderung von Schädigungen seiner Angehörigen berufen ist. War dies früher die örtliche Gemeinschaft kraft ihrer genossenschaftlichen Verfaßtheit und Verbundenheit, so ist es in Anbetracht der gewandelten Sozialstrukturen nunmehr allein der Staat, dem zu diesem Zweck die Polizei- und Ordnungsgewalt zusteht. Bei einer derartigen Begründungsweise, die die staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden als garantieähnliche Konsequenz der Nichterfüllung der staatlichen Schutzaufgabe begreift, wäre die Tumultschädenhaftung - will man sie ausgehend von Rechtsgrund und Ausgestaltung der Haftung in eine bestimmte Kategorie einordnen - dem Bereich der verschuldensunabhängigen Risikohaftung des Staates wegen mangelnder Gefahrenabwehr zuzurechnen: Das aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben resultierende Risiko, einen Tumultschaden zu erleiden, wird vom einzelnen Opfer auf den Staat und damit die Allgemeinheit in der Erwägung verla163

Abg. Astor, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 329, Stenographische Berichte, S.2769; Abg. Warmuth, a.a.O., S.2775. 164 Vgl. § 1 PrPVG (1931): „Die Polizei ist Angelegenheit des Staates." (Hervorhebung von mir).

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gert, daß die Verhinderung von Tumultschäden in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der staatlichen Ordnungsmacht fällt 165 . Die Tumultschädenhaftung des Staates in der Gestalt, wie sie das Reichsunruheschädengesetz normiert hat, läßt sich mit Hilfe dieses Gedankens allein indessen nicht hinreichend legitimieren 166. Er ist nicht geeignet, die Aufnahme subjektiver Anspruchselemente in den Entschädigungstatbestand zu erklären und zu rechtfertigen. Faßt man die staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden als eine Art Erfolgshaftung auf, die sich ausschließlich aus der bloßen Nicht- bzw. Schlechterfüllung des staatlichen Schutzauftrages legitimiert, dann ist es nicht angängig, den Entschädigungsanspruch von der Bedürftigkeit (Existenzgefährdung) des Geschädigten oder anderen opferbezogenen Kriterien abhängig zu machen. Der Staat hat seinen Schutz allen Bürgern unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen in gleicher Weise zu gewähren 167. Zur Begründung einer garantieähnlichen finanziellen Einstandspflicht des Staates muß daher die Entstehung von Tumulten als objektiv-schädigendes Ereignis genügen. Nimmt man hingegen - wie in § 2 des Reichstumultschädengesetzes geschehen - zusätzlich in der Person des Opfers liegende subjektive Voraussetzungen in den Entschädigungstatbestand auf, so läßt sich der Rechtsgrund der Haftungszuweisung mit dem Zurechnungskriterium der Nichterfüllung des staatlichen Ordnungsauftrages allein nicht mehr zutreffend erfassen. Die Haftungsanordnung vermag sich bei einer solchen Ausgestaltung nicht mehr allein aus der Nichterfüllung der Pflicht des Staates zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu legitimieren. Sie beinhaltet trotz ihrer Anknüpfung an das objektiv-schädigende Ereignis der inneren Unruhe nicht das Anerkenntnis des Staates, für alle Tumultschäden schlechthin einstehen zu wollen 168 . bb) Staatshaftung für Tumultschäden als sozial motivierte Entschädigung Eine solche Ausgestaltung des Haftungsregimes bringt vielmehr zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes sich wesentlich vom Gedanken der sozialen Sicherung und des sozialen Ausgleichs leiten ließ und die Einstandspflicht des Staates angeordnet hat, um auf eine durch die Tumultschäden hervorge165 Vgl. zu diesem Gedanken^. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.52,A. Dimski, VersR 1999, S.804 (812); F. Ossenbühl, JuS 1978, S.720 (722); ders., Staatshaftungsrecht, S.376 und 451; H.-J. Papier, DVB1. 1974, S.573 (579); R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S. 213 f. 166 So auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 35. 167 Vgl. schon Abg. Astor, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 329, Stenographische Berichte, S.2769 (2771); A. Mosse, DJZ 1919, S.712 (713). 168 So auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 37.

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rufene Bedarfssituation auf Seiten der Geschädigten zu reagieren . Sein Wille ging dahin, den Staat dann, aber auch nur dann zur Entschädigungsleistung zu verpflichten, wenn dies erforderlich ist, um eine infolge der Tumultschäden bei den Betroffenen entstandene Notlage zu beheben. Ausweislich der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs sollte die staatliche Tumultschädenhaftung „überall dort, aber auch nur dort eingreifen, wo unzweifelhaft Härten zutage getreten sind und es unabweislich erscheint, sie zu beseitigen"170. Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber ein soziales Absinken derjenigen Geschädigten, für die die erlittenen Tumultschäden in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse eine besondere Belastung bedeuteten, verhindern und sie bei einem Neuanfang unterstützen. Die Anordnung der staatlichen Einstandspflicht diente damit nicht zuletzt auch dem politischen Zweck, nach den revolutionären Unruhen von 1918/19 weiterer sozialer Unzufriedenheit vorzubeugen und ein drohendes gesellschaftliches Konfliktpotential zu entschärfen, bevor es zu einer Gefahr für die junge Demokratie werden konnte 171 . Nach alledem vermischen sich in der staatlichen Haftung für Tumultschäden, wie sie das Reichstumultschädengesetz normiert und ausgestaltet hat, kausale und finale Elemente: Einerseits richtete sich die Entschädigung nur an den Kreis der bedürftigen Personen und diente damit dem in die Zukunft gerichteten sozialen Ziel einer „wirtschaftlichen Resozialisation"172 der Opfer. Dies galt gleichermaßen für Sachwie für Personenschäden, obgleich der Ersatz letzterer nach der Herauslösung des Haftungstatbestandes aus dem Reichstumultschädengesetz und seiner Eingliederung in das Kriegspersonenschädengesetz - das seinerseits auf das Reichsversorgungsgesetz verwies - im Jahre 1923 nicht mehr an die Voraussetzung der wirtschaftlichen Existenzgefährdung im Sinne der Fortkommensklausel des § 2 RTSchG geknüpft war. Die dem Geschädigten und seinen Hinterbliebenen nach dem Reichsversorgungsgesetz zustehenden Ansprüche - sie hatten ein Anrecht auf Heilbehandlung, Krankengeld, soziale Fürsorge, Rente, Sterbegeld, nicht jedoch auf Schmerzensgeld und Ersatz des entgangenen Gewinns173 - trugen jedoch ohnehin den Charakter zielund zweckgerichteter sozialer Versorgungsleistungen, die vom Staat gewährt wurden, um eine durch die erlittenen Personenschäden hervorgerufene Bedarfssituation zu überbrücken und ein soziales Absinken der Geschädigten zu verhindern 174. 169

So auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 37 f.; ähnlich K. Ballerstedt, JZ 1973, S. 105 (110), nach dessen Ansicht das Tumultschädengesetz „auf dem Gedanken einer Nothilfe für den von den Wirkungen innerer Unruhen in seinen Existenzgrundlagen betroffenen Bürger" beruht. 170 Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 337, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 643, S.401. 171 A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 37 f. 172 Vgl. den Begriff bei H. Rohwer-Kahlmann, Sgb. 1972, S. 1 (4). 173 Vgl. A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S. 165 f. (sub 4.) und S. 167f. (sub 9.). 174 Vgl. zu dieser Zielrichtung der mit dem Bundesversorgungsgesetz auch in das Recht der Bundesrepublik übernommenen Kriegsopferversorgung etwa F. Leisner, Die Kriegsopferversorgung 1972, S. 49 (51 ff.).

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

Andererseits machten sowohl das Reichstumult- als auch das Kriegspersonenschädengesetz die Entschädigungspflicht von einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Ereignis - den inneren Unruhen - abhängig, das das Bedürfnis der Betroffenen nach staatlicher Unterstützung verursacht hat. Hierdurch unterschied sich die so normierte Entschädigung für Tumultschäden von den klassischen sozialen Fürsorgeleistungen des Staates, die zum Ausgleich allgemeiner Notlagen unabhängig von ihrem Entstehungsgrund gedacht sind 175 . Sie ist daher zutreffend als eine Art besondere - da nicht ausschließlich final orientierte, sondern auch kausal verankerte - Sozialleistung zu begreifen.

B. Die Staatshaftung für Tumultschäden nach der geltenden Rechtslage Die Gesetzgeber in beiden deutschen Staaten fanden mithin nach 1945 mit dem Reichstumultschädengesetz und dem Kriegspersonenschädengesetz ein gesetzlich normiertes Haftungsregime sowohl für Tumultsach- als auch für Tumultpersonenschäden vor, das in der staatlichen Einstandspflicht vornehmlich eine sozial motivierte Entschädigungsmaßnahme erblickte, zu der sich der Staat zum Zwecke der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen „Resozialisation" der Geschädigten veranlaßt sah.

I. Die Fortgeltung des Reichstumultschädengesetzes und des Kriegspersonenschädengesetzes nach 1945 1. Die Fortgeltung in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung (alte Bundesländer) Gemäß der in Art. 123 Abs. 1 GG normierten Grundanordnung gilt vorkonstitutionelles Recht in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland fort, sofern es dem Grundgesetz inhaltlich nicht widerspricht. Seine Einordnung in die bundesstaatliche Normenhierarchie richtet sich nach den Vorschriften der Art. 124 und 125 GG, die ihrerseits an die Kompetenzverteilung nach dem Grundgesetz anknüpfen: Sofern die geregelte Materie danach weder der ausschließlichen noch der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zuzuordnen ist, gilt das vorkonstitutionelle Recht als Landesrecht fort. Vorbehaltlich einer anderweitigen späteren Aufhebung durch den zuständigen Gesetzgeber haben die Vorschriften des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes über die Entschädigung von Tumultschäden deshalb zunächst als Landesrecht Eingang in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gefun175

Vgl. zu dieser im Sozialrecht bis heute vorherrschenden sog. finalen Betrachtungsweise H. Bogs, FS Sieg, S.67 (74ff.); G. Stier, ZSR 1973, S.257 (258ff.).

B. Staatshaftung nach der geltenden Rechtslage

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den , denn weder stand dem Bund vor der Einführung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG im Jahre 1994 eine Gesetzgebungskompetenz für das Staatshaftungsrecht zu, noch erscheint eine Einordnung des Tumultschädenrechts, das trotz seiner Regelung in zwei verschiedenen Gesetzen als Einheit anzusehen ist, in einen anderen Kompetenztitel der Art. 73 und 74 GG möglich. Insbesondere Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG („öffentliche Fürsorge") liefert keine Kompetenzgrundlage zur generellen Regelung und Einführung sog. sozialer Entschädigungsleistungen und ist daher auch dann nicht geeignet, dem Bund eine Gesetzgebungszuständigkeit für das Tumultschädenrecht in seiner Gesamtheit - einschließlich der Entschädigung für Sachschäden - zu verleihen, wenn man seine de lege lata vornehmlich soziale Motivation betont 177 . Um Klarheit über Umfang und Inhalt des fortgeltenden Rechts zu schaffen und Zweifel an der Fortgeltung einzelner Vorschriften zu beseitigen, haben sowohl der Bund als auch die einzelnen Länder indessen eine Rechtsbereinigung durchgeführt und das fortgeltende Recht in eine systematisch geordnete Sammlung aufgenommen. Die verschiedenen Rechtsbereinigungs- und Rechtssammlungsgesetze sahen dabei vor, daß die im Anhang nicht erwähnten bzw. in die Sammlung nicht aufgenommenen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften aus der Zeit vor dem Zusammentritt des ersten Bundestages mit Ablauf eines festgesetzten Datums außer Kraft treten. Im Zuge dieser sowie späterer Rechtsbereinigungen haben daher in einigen Bundesländern auch das Reichstumult- und das Kriegspersonenschädengesetz ihre Gültigkeit verloren. Im einzelnen ergibt sich heute folgender Befund: Das Reichstumultschädengesetz ist in Baden-Württemberg 178, Rheinland-Pfalz 179 und dem Saarland 180 durch Rechtsbereinigungsgesetze jüngeren Datums unter Berufung auf seine praktische Bedeutungslosigkeit aufgehoben worden 181 . In den übrigen (alten) Bundesländern sind die Haftungsregelungen des Reichstumultschä176

Einhellige Auffassung, vgl. nur O.L. Brintzinger, DÖV 1972, S.227 (228); W. Henrichs, NJW 1968, S. 973 (974); U. Karpen, ZRP 1987, S.349 (350); A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 83; W. Melzer, Die demokratische Gemeinde 1969, S. 1166 (1171) mit Fn.26; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.376; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150). Vgl. außerdem BT-Drucksache 8/2080, S.9. 177 H. von Mangoldt/F. Klein/C. Pestalozza, GG, Art. 74, Rn. 349f.; W. Rüfner, 49. DJT, S. E10 f. Im Zuge der Neuordnung des Staatshaftungsrechts durch das - später für nichtig erklärte - Staatshaftungsgesetz des Bundes, das in seiner ursprünglichen Fassung auch eine Neuordnung des Tumultschädenrechts in Aussicht genommen hatte, war demgemäß die Aufnahme eines neuen Art. 74 Nr. 1 a GG vorgesehen, der dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Tumultschädenrecht verleihen sollte; vgl. BT-Drucksache 8/2080, S.3 und 9. 178 Art. 1 i.V. m. Anlage 1 Nr. 2183 des Dritten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 18. Dezember 1995, GVB1. BW 1996, S.29 und 38. 179 Art. 1 Abs. 4 Nr. 11 des Achten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 12. Oktober 1995, RhPf. GVB1. 1995, S.421 (423). 180 Art. 3 Abs. 11 Nr. 3 des Gesetzes Nr. 1383 zur Vereinheitlichung und Bereinigung landesrechtlicher Vorschriften vom 5. Februar 1997, Saarl. ABl. 1997, S.258 (281). 181 Vgl. A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn.91 und 99f. 8 Kimmel

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

dengesetzes hingegen nach wie vor Bestandteil des bereinigten Landesrechts 182 ; lediglich die Vorschriften über die Mithaftung der Gemeinden i m Innenverhältnis (§ 10 RTSchG) sind zwischenzeitlich in den Stadtstaaten Berlin 1 8 3 , Bremen 1 8 4 und Hamburg 1 8 5 außer Kraft gesetzt worden. Das Kriegspersonenschädengesetz war in den ehemaligen US-amerikanischen Besatzungszonen Bayern 1 8 6 , Bremen 1 8 7 , Hessen 188 und Württemberg-Baden 189 bereits i m Jahre 1947 - und damit noch vor dem Stichtag für eine mögliche Fortgeltung auf der Grundlage des Art. 123 Abs. 1 G G 1 9 0 - durch den Erlaß jeweils gleichlautender Körperbeschädigten-Leistungsgesetze abgelöst worden, die ihrerseits indessen keine Regelungen über den Ersatz von Tumultpersonenschäden mehr enthalten. A l lerdings hat Bayern inzwischen eine solche Haftung durch die Ausdehnung des Ent182 Bayern: Art. 1 i.V. m. Nr. 7 der Anlage des Dritten Gesetzes zur Bereinigung des bayerischen Landesrechts vom 22. Juli 1968,BayGVBl. 1968, S.235 ff.; Berlin: § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage zu § 1 Nr. 6 des Dritten Berliner Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts vom 12. Oktober 1976, GVB1. Bln. 1976, S.2452f.; Bremen: §2 Abs. 1 des Zweiten Bremischen Rechtsbereinigungsgesetzes vom 18. Oktober 1966 i.V. m. Nr. 2172-a-1 der Sammlung des bremischen Rechts (früheres Reichsrecht), GBl. Bremen, Sonderband Sammlung des bremischen Rechts (früheres Reichsrecht), Stand vom 31. Dezember 1965; Hamburg'. § 2 des Zweiten Gesetzes über die Sammlung des hamburgischen Landesrechts vom 23. Juni 1969, Hbg. GVB1. 1969, S. 129 und 132; Hessen: § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts aus Reichsverkündungsblättern vom 31. Oktober 1972, Hess. GVB1.1972, S.349 und 360; Niedersachsen: § 1 i.V. m. Anlage I Nr. 20 des Zweiten Gesetzes zur Bereinigung des niedersächsischen Rechts vom 30. März 1963, Nds. GVB1.1963, S. 147 und 150; vgl. auch Nds. GVB1. - Sonderband I I - , Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts 1.1.1919-8.5.1945, Nr. 2183; NordrheinWestfalen: § 5 i.V. m. Anlage II Nr. 1 des Gesetzes zur Bereinigung des als Landesrecht fortgeltenden ehemaligen Reichsrechts vom 13. Januar 1970, GVB1. NW 1970, S. 18 und 20; Schleswig-Holstein: § 1 des Gesetzes über den Abschluß der Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts vom 5. Oktober 1963, GVB1. SH, Sonderdruck: Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 1963, Band I, Nr. 2183. 183 § 1 Abs. 1 i.V. m. Anlage zu § 1 Nr. 6 des Dritten Berliner Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts vom 12. Oktober 1976, GVB1. Bln. 1976, S.2452f. 184 §2 Abs. 1 des Zweiten Bremischen Rechtsbereinigungsgesetzes vom 18. Oktober 1966 i.V.m. Nr.2172-a-l der Sammlung des bremischen Rechts (früheres Reichsrecht), GBl. Bremen, Sonderband Sammlung des bremischen Rechts (früheres Reichsrecht), Stand vom 31. Dezember 1965. 185 Einziger Paragraph Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Gesetzes zur Aufhebung entbehrlich gewordenen Landesrechts vom 3. März 1969, Hbg. GVB1. 1969, S.23. 186 Art. 38 lit. d) des Gesetzes Nr. 64 über Leistungen an Körperbeschädigte vom 26. März 1947, BayGVBl. 1947, S. 107 (111). 187 § 38 lit. d) des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte vom 28. Juni 1947, GBl. Bremen 1947, S. 109 (112). 188 § 38 lit. d) des Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte vom 8. April 1947, Hess. GVB1. 1947, S. 19 (23). 189 § 38 lit. d) des Gesetzes Nr. 74 über Leistungen an Körperbeschädigte vom 21. Januar 1947, Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden 1947, S.7 (13). Das Gebiet entspricht den heutigen Regierungsbezirken Nord-Württemberg und Nord-Baden des Bundeslandes Baden-Württemberg. 190 Vgl. H.D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 123, Rn.5.

B. Staatshaftung nach der geltenden Rechtslage

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schädigungstatbestandes des fortgeltenden Reichstumultschädengesetzes auf Schäden an Leib und Leben wieder eingeführt 1 9 1 . Das Kriegspersonenschädengesetz ist bis heute darüber hinaus auch in Berlin 1 9 2 , Hamburg 1 9 3 , Nordrhein-Westfalen 194 , Rheinland-Pfalz 195 , Schleswig-Holstein 1 9 6 sowie den übrigen Landesteilen BadenWürttembergs 197 aufgehoben worden. Damit besitzt die Haftungsanordnung des § 18 KPSG auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik kraft Rechtsfortgeltung lediglich in Niedersachsen 198 und i m Saarland 1 9 9 weiterhin Gültigkeit. Entgegen der Ansicht von Häupke 200 vermochte hieran auch § 84 Abs. 2 Nr. 2 c) B V G 2 0 1 nichts zu ändern. Zwar ordnete er an, daß das Kriegspersonenschädengesetz mit dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes am 1. Oktober 1950 außer Kraft trat. Jedoch konnte sich diese Anordnung nicht auf die Vorschrift des § 18 KPSG erstrecken, da es dem Bundesgesetzgeber insoweit an der erforderlichen Kompetenz fehlte. Trotz ihrer formellen Verankerung i m Kriegspersonenschädengesetz ist der Haftungstatbestand des § 18 KPSG sachlichinhaltlich und damit kompetentiell nicht dem Recht der Kriegsopferversorgung i m Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG, sondern dem Tumultschädenrecht zuzuordnen, 191 Art. 9 Abs. 2 des Bayerischen Katastrophenschutzgesetzes vom 31. Juli 1970, BayGVBl. 1970, S.360 (362). 192 § 1 Abs. 1 des Dritten Berliner Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts vom 12. Oktober 1976, GVB1. Bln. 1976, S.2452. Ausweislich der Anlage zu § 1 dieses Gesetzes ist das Kriegspersonenschädengesetz nicht in die Sammlung des als Landesrecht fortgeltenden Reichsrechts aufgenommen worden und damit außer Kraft getreten. 193 Art. 1 Nr. 13 des Siebten Gesetzes zur Aufhebung entbehrlich gewordenen Landesrechts vom 5. Februar 1985, Hbg. GVB1. 1985, S.62. 194 Art. 1 Nr. 62 des Rechtsbereinigungsgesetzes 1984 für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1984, GVB1. NW 1984, S. 806 (811). 195 Art. 1 Abs. 4 Nr. 12 des Achten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 12. Oktober 1995, RhPf. GVB1. 1995, S.421 (423). 196 § 2 Abs. 2 des Gesetzes über den Abschluß der Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts vom 5. Oktober 1963, GVB1. SH 1963, S. 117 i.V.m. §§ 1 Abs.4,3 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, GVB1. SH 1961, S.47 (49). Danach ist das Kriegspersonenschädengesetz nicht in die Sammlung des bereinigten Landesrechts aufgenommen und somit außer Kraft gesetzt worden. 197 § 1 des Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 12. Februar 1980, GVB1. BW 1980, S.98. Das Kriegspersonenschädengesetz ist nicht in der Anlage zu § 1 des Gesetzes aufgeführt und damit spätestens hierdurch aufgehoben worden. 198 § 1 i.V. m. Anlage I Nr. 44 des Zweiten Gesetzes zur Bereinigung des niedersächsischen Rechts vom 30. März 1963, Nds. GVB1.1963, S. 147 und 152; vgl. auch Nds. GVB1. - Sonderband I I - , Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts 1.1.1919-8.5.1945, Nr.2183. 199 § 1 Abs. 2 i.V. m. Anlage Nr. 13 des Zweiten Saarländischen Rechtsbereinigungsgesetzes vom 4. Oktober 1972, Saarl. ABl. 1972, S.607 und 609; § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage Nr.46 des Vierten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 26. Januar 1994, Saarl. ABl. 1994, S.509 und 516; Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes Nr. 1383 zur Vereinheitlichung und Bereinigung landesrechtlicher Vorschriften vom 5. Februar 1997, Saarl. ABl. 1997, S.258 (287). 200 W. Häupke, NJW 1968, S.2229. 201 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) vom 20. Dezember 1950, BGBl. 1950,1, S.791 (804).

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2. Kap. : Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

das indessen - jedenfalls vor Einführung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG - nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fiel und dementsprechend mit dem Zusammentritt des ersten Bundestages gemäß Art. 124,125 GG auf landesrechtlicher Ebene Eingang in die bundesrepublikanische Rechtsordnung gefunden hat. Auf diese Weise war § 18 KPSG zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes im Jahre 1950 bereits dem Zugriff des Bundesgesetzgebers entzogen und konnte in seiner Fortgeltung durch die Regelung des § 84 Abs. 2 Nr. 2 c) BVG nicht berührt werden 202. 2. Die Fortgeltung im Beitrittsgebiet (neue Bundesländer) Auch die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949203 ging in Art. 144 Abs. 1 im Grundsatz von der Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts aus, sofern es der Verfassung nicht entgegenstand. Gleichwohl bestehen erhebliche Zweifel daran, daß das Reichstumult- und das Kriegspersonenschädengesetz im Jahre 1949 Eingang in die Rechtsordnung der DDR gefunden und dort bis zur Wiedervereinigung fortgegolten haben, um sodann über Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages 204 als Landesrecht auch in die gesamtdeutsche Rechtsordnung übergeleitet worden zu sein. Welche reichsrechtlichen Vorschriften von der Fortgeltungsanordnung in der DDR-Verfassung von 1949 erfaßt wurden, läßt sich schon deshalb nicht sicher feststellen, weil eine offizielle Übersicht hierüber während der gesamten Zeit des Bestehens der DDR nicht angefertigt wurde 205 . Es spricht jedoch vieles dafür, daß das Reichstumult- und das Kriegspersonenschädengesetz, auch wenn sie formell niemals aufgehoben worden sein mögen, ebenso wie etwa § 839 BGB jedenfalls de facto keine Gültigkeit mehr hatten bzw. unanwendbar waren 206. Zum einen war der Rechtsweg zu den für die Geltendmachung von Tumultentschädigung zuständigen (allgemeinen und besonderen) Verwaltungsgerichten verschlossen, da die zunächst noch in drei der fünf Länder existierenden Verwaltungsgerichte aufgrund eines engen Enumerationsprinzips von vornherein unzuständig waren und - ungeachtet ihrer Garantie in Art. 138 der DDR-Verf. von 1949 - zudem im Jahre 1952 aufgelöst 202 So die nahezu einhellige Meinung; vgl. etwa W. Henrichs, NJW 1968, S. 2230; A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 18, Fn. 72; A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 104; W. Rüfner, 49. DJT, S. E10. Vgl. in diesem Sinne außerdem die Antwort der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1968 auf die Kleine Anfrage Nr. 251 des Abgeordneten Frey (CDU), LT-Drs. NW, 6. Wahlperiode, Band 5, Nr. 827. 203 GBl. DDR 1949,1, S.5. 204 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschland (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990, BGBl. 1990, II, S.889 (892). 205 Vgl. G.Janke, NJ 1993, S.444 (447), Fn.42. 206 Vgl. zur Frage der Fortgeltung des § 839 BGB nach der DDR-Verfassung von 1949 O . L Brintzinger, ROW 1965, S. 145 ff.; G. Brunner, Einführung in das Recht der DDR, S. 95; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.459f.

B. Staatshaftung nach der geltenden Rechtslage

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wurden . Zum anderen entwickelte die DDR im Laufe der Zeit ihr eigenes Staatshaftungssystem, in dem indessen eine Entschädigung für Tumultschäden nicht vorgesehen war. Die seit den 50er Jahren normierten Spezialfälle der Gefährdungshaftung erstreckten sich nicht auf die bei Tumulten entstandenen Schäden208, und auch das Staatshaftungsgesetz von 1969 erfaßt eine Haftung des Staates für Tumultschäden nicht. Es ordnete in der Generalklausel des § 1 zwar eine allgemeine verschuldensunabhängige Haftung des Staates für solche Schäden an, „die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch Mitarbeiter oder Beauftragte staatlicher Organe oder staatlicher Einrichtungen in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden" 209 . Damit waren Tumultschäden jedoch vom Anwendungsbereich der allgemeinen Haftungsanordnung ausgenommen210, da sie in aller Regel weder durch rechtswidriges noch durch positives staatliches Handeln verursacht werden, sondern auf Seiten des Staates lediglich eine im Regelfall nicht als rechtsbzw. pflichtwidrig zu bewertende Untätigkeit in Rede steht. Das Staatshaftungssystem der DDR läßt daher insgesamt den Schluß zu, daß eine Entschädigungspflicht des Staates für Tumultschäden nicht gewollt war. Dies legt es nahe, zumindest von einer konkludenten Außerkraftsetzung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes auszugehen.

3. Resümee Der Zustand des Tumultschädenrechts im wiedervereinigten Deutschland ist nach alledem sehr uneinheitlich und aus der Sicht der Geschädigten - ungeachtet der bundesstaatlichen Kompetenzordnung - schon deshalb unbefriedigend. Während eine Haftung für Sachschäden auf der Basis des Reichstumultschädengesetzes in der Mehrzahl der alten Bundesländern nach wie vor existiert, ist die Haftungsgrundlage für Tumultpersonenschäden in § 18 KPSG dort fast überall aufgehoben worden. Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Fortgeltung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes in den neuen Bundesländern. Auf das dort größtenteils noch in Kraft befindliche Staatshaftungsgesetz der DDR, das eine verschuldensunabhängige unmittelbare Staatshaftung (lediglich) für rechts widriges hoheitliches Tun und Unterlassen vorsieht, kann ein Anspruch auf den Ersatz von Tumultschäden im Regelfall ebenfalls nicht gegründet werden. Es fehlt mithin im Beitrittsgebiet insgesamt an einer gesicherten Rechtsgrundlage für eine Entschädigungspflicht des Staates für Tumultschäden.

207 vgl p Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.460. 208 Vgl. die detaillierte Aufzählung bei E. Herbst/H. Lühmann, Die Staatshaftungsgesetze der neuen Länder, S.40ff.; außerdem F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.461. 209 Gesetz zur Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik - Staatshaftungsgesetz - vom 12. Mai 1969, GBl. DDR 1969,1, S.34. 210 A. A. A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 89f.

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

II. Auslegung und Anwendung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung Verstärkt wird die aus der höchst disparaten Rechtslage in den einzelnen Bundesländern resultierende Rechtsunsicherheit noch durch Probleme bei der Auslegung und Anwendung der fortgeltenden Tumultschädengesetze in der heutigen Zeit. Diese Schwierigkeiten hängen maßgeblich mit dem zeitgeschichtlichen Entstehungshintergrund der Gesetze zusammen, der die Formulierung des Entschädigungstatbestandes geprägt und dort namentlich zur Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der „inneren Unruhen" geführt hat. Darüber hinaus wirft die Überleitung der Gesetze in die bundesrepublikanische Rechtsordnung Fragen nach der Behörden- und Gerichtszuständigkeit sowie den bei der Durchsetzung der Entschädigungsansprüche anzuwendenden Verfahrensregeln 211 auf. 1. Die Schwierigkeiten bei der Subsumtion heutiger Erscheinungsformen von Tumulten unter das Tatbestandsmerkmal der „inneren Unruhen" Unter den Tatbestandsmerkmalen der § 1 RTSchG und § 18 KPSG bereitet insbesondere dasjenige der „inneren Unruhen" dem heutigen Rechtsanwender Probleme. Er sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob unfriedlich verlaufende und in Gewalttätigkeiten ausartende (Massen-)Demonstrationen als die „modernen" Erscheinungsformen tumultuarischer Auseinandersetzungen (schon) als innere Unruhen im Sinne dieser Gesetze zu qualifizieren sind. Das Reichsversorgungsgericht hat in einer Grundsatzdefinition des vom Gesetzgeber selbst nicht näher umschriebenen Begriffes aus dem Jahre 1924 entscheidend darauf abgestellt, welche Auswirkungen die Tumulte auf das „normale öffentliche Leben" 212 haben. Die Schwelle vom Zustand innerer Ruhe zu demjenigen innerer 211

Die „Verordnung betreffend das Verfahren zur Feststellung der Entschädigung auf Grund des Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden" vom 15. September 1920 (RGBl. 1920,1, S. 1647) gilt zwar in der Mehrzahl der alten Bundesländer fort, wirft dort jedoch infolge der neu geordneten Behörden- und Gerichtsstruktur Anwendungsprobleme auf. Aufgehoben wurde die Verfahrens Verordnung in Baden-Württemberg (Art. 42 Abs. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Anpassung des Landesrechts an das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts und das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 26. November 1974, GVB1. BW 1974, S. 508 [518]), Hamburg (Einziger Paragraph Abs. 1 Nr. 3 des Vierten Gesetzes zur Aufhebung entbehrlich gewordenen Landesrechts vom 3. März 1969, Hbg. GVB1.1969, S. 23), RheinlandPfalz (§ 8 Abs. 2 des Siebzehnten Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung im Lande Rheinland-Pfalz vom 12. November 1974, RhPf. GVB1. 1974, S.521 [523]) und im Saarland (Art. 3 Abs. 11 Nr. 5 des Gesetzes Nr. 1383 zur Vereinheitlichung und Bereinigung landesrechtlicher Vorschriften vom 5. Februar 1997, Saarl. ABl. 1997, S.258 [281]). 212 Reichs Versorgungsgericht, Entscheidung vom 16. Dezember 1924, abgedruckt bei Waschow, JW 1925, S. 1263 (1264); ähnlich auch die Spruchpraxis des Reichswirtschaftsge-

B. Staatshaftung nach der geltenden Rechtslage

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Unruhe sah es (erst) dann als überschritten an, wenn über einen begrenzten Personenkreis hinaus „weitere Bevölkerungsschichten mit dem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung erfüllt werden" 213 . Als unerheblich für die Einordnung als innere Unruhen stufte es demgegenüber ein, welche Ursachen die Auseinandersetzungen hatten; sie konnten politischer, wirtschaftlicher oder sonstiger Natur sein, sofern nur die Auswirkungen der Unruhen ein bestimmtes Maß überstiegen214. Ausschlaggebend für die Qualifikation tumultuarischer Auseinandersetzung als innere Unruhen war mithin allein, ob sie das Vertrauen weiterer Bevölkerungskreise in die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Sicherheit und in die Beherrschbarkeit der Situation durch die staatlichen Sicherheitskräfte erschütterten. Obwohl diese richterrechtliche Definition aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt, wird sie im großen und ganzen auch heute noch zur Auslegung des § 1 RTSchG herangezogen215. Zwar ist die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der inneren Unruhen danach begrifflich nicht auf solche Bewegungen beschränkt, die den Umsturz der bestehenden Staatsordnung zum Ziel haben216. Gleichwohl erscheint es aber fraglich, ob Demonstrationen von Nachrüstungsgegnern, Kernkraftgegnern, Umweltschützern oder militanten Kurden, die einen gewalttätigen Verlauf nehmen, heute ein derartiges Gefühl der Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung hervorrufen, daß man sie mit dem Reichsversorgungsgericht schon als „innere Unruhen" qualifizieren kann 217 . Die gewalttätigen Ausschreitungen der genannten Protestgruppen dürften in einem gefestigten demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig noch nicht geeignet sein, das Vertrauen der Bevölkerung in die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und die Beherrschbarkeit der Lage durch die staatlichen Polizeikräfte zu beeinträchtigen. Allenfalls die Stundentenunruhen des Jahres 1968 könnten sich in der Nähe des Zustandes innerer Unruhen bewegt haben218. Mit hinreichender Sicherheit wird man von inneren Unrichts, vgl. die bei Schaelicke, JW 1922, S. 1695 (1696), referierten Entscheidungen vom 19. November 1921 und 5. April 1921. 213 Reichsversorgungsgericht, a.a.O.; vgl. auch schon oben S.99f. 214 Reichsversorgungsgericht, a. a. O. 215 Ygi v g Berlin in einem (nicht veröffentlichten) Urteil vom 10. November 1982, Az. 1 A 56/82, das in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich die Definition der inneren Unruhen durch das Reichsversorgungs- und das Reichswirtschaftsgericht in Bezug nimmt (Urteilsausfertigung S.6f.). Gegenstand weiterer Gerichtsentscheidungen sind Ersatzansprüche nach den Tumultschädengesetzen in der Bundesrepublik - soweit ersichtlich - bislang nicht gewesen. Auch die Literatur nach 1945 knüpft überwiegend an die Rechtsprechung des Reichsversorgungs- und des Reichswirtschaftsgerichts an; vgl. etwa W. Henrichs, NJW 1968, S.973 (974); U. Karpen, ZRP 1987, S. 349 (350); R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150); a. A. A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 86. 216

W. Henrichs, NJW 1968, S.973 (974); A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.26. So auch die Einschätzung von HJ. Bonk, in: Schäfer/Bonk, Staatshaftungsgesetz, § 15, Rn. 89; H. Boyan, VR 1988, S. 162 (165); U. Diederichsen/P. Marburger, NJW 1970, S.777 (783); A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (809); J. Linck, DÖV 1971, S. 626 (627). 218 So jedenfalls die Einschätzung von W. Henrichs, NJW 1968, S. 973 (974); R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150). 217

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

ruhen in diesem Sinne aber erst sprechen können, wenn quasi bürgerkriegsähnliche Verhältnisse erreicht sind 219 . Vor diesem Hintergrund ist die Geltendmachung von Ersatzansprüchen für Demonstrationsschäden, die sich auf die fortgeltenden Tumultschädengesetze stützt, in tatbestandlicher Hinsicht mit erheblicher Ungewißheit behaftet. Diese Unsicherheit wiegt aus Sicht der Geschädigten um so schwerer, als unterhalb der Schwelle der inneren Unruhen im Sinne der Tumultschädengesetze nicht automatisch die Deckung durch von ihnen abgeschlossene (Sach-)Versicherungsverträge eintritt. Zwar greifen die Ausschlußklauseln der jeweils einschlägigen Versicherungsbedingungen erst ein, wenn die Schäden „bei inneren Unruhen" entstanden sind. Auf den ersten Blick scheinen damit Versicherungsleistungen einerseits und Entschädigungsleistungen des Staates nach den Tumultschädengesetzen andererseits dergestalt nahtlos ineinander zu greifen, daß sich der Geschädigte unterhalb der Schwelle der inneren Unruhe an seinen Versicherer und bei Überschreiten dieser Grenze an den Staat halten kann. Bei näherem Hinsehen erweist sich indessen, daß dem Begriff der inneren Unruhen von den zur Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen berufenen Zivilgerichten einerseits und den für die Anwendung der Tumultschädengesetze zuständigen allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichten 220 andererseits nicht dieselbe Bedeutung beigelegt wird. Dies führt dazu, daß ein Geschädigter im konkreten Fall auf der einen Seite bereits kraft Leistungsausschluß aus der Versicherungsdeckung herausfallen kann, ohne jedoch auf der anderen Seite schon in den Genuß einer staatlichen Entschädigung zu kommen221. Das unterschiedliche Begriffsverständnis erklärt sich aus der Eigenständigkeit der beiden Regelwerke, die jeweils ihre eigenen Zielsetzungen verfolgen. Den Versicherern geht es darum, in ihrem Umfang nicht übersehbare und daher über die normale Prämienkalkulation hinausgehende Gefahrensteigerungen von ihrer Leistungspflicht auszunehmen222. Innere Unruhen i. S. d. AVB sieht der BGH deshalb bereits dann als gegeben an, wenn eine zusammengerottete Menschenmenge „mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen verübt", denn „bei einer derart massierten Ausschreitung kann davon ausgegangen werden, daß das Rechtsbewußtsein der Teilnehmer so erschüttert war, daß daraus die gemeinsam be219

Vgl. H. Boyan, VR 1988, S. 162 (164). Zuständig für Streitigkeiten nach den Tumultschädengesetzen waren ursprünglich das Reichswirtschaftsgericht (für Sachschäden) sowie das Reichsversorgungsgericht (für Personenschäden). Heute nimmt man an, daß diese Zuständigkeit auf die Verwaltungsgerichte einerseits und die Sozialgerichte andererseits übergegangen ist. Vgl. W. Henrichs, NJW 1968, S. 973 (974f.); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 16ff.; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (151). 221 H. Boyan, VR 1988, S. 162 (164); A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (809); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 128f.: a. A. ohne Begründung A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 88; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150). 222 BGH, VersR 1952, S. 177; BGH, VersR 1975, S. 126 f. 220

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gangenen Gewalttaten hervorgegangen sind" . Entscheidend für das Eingreifen der versicherungsrechtlichen Ausschlußklauseln ist mithin, ob die Schäden in einer Situation erhöhter Gewaltbereitschaft entstanden sind, in der das Rechtsempfinden der gesamten Menschenmenge derart getrübt war, daß sich die Teilnehmer zu immer weiteren Gewalttaten hinreißen ließen 224 . Ob eine Demonstration, in deren Verlauf es zu schädigenden Handlungen kommt, bereits als innere Unruhe im Sinne der Versicherungsbedingungen zu qualifizieren ist, hängt mit anderen Worten maßgeblich davon ab, in welchem Umfang sich die versammelte Menschenmenge durch die Gewaltbereitschaft einzelner Teilnehmer anstecken läßt. Solange es bei vereinzelten Gewalttaten einiger weniger Teilnehmer bleibt, wird man noch nicht von inneren Unruhen i. S. d. AVB sprechen können; eskaliert die Lage jedoch, indem die Gewaltbereitschaft auf weitere Teilnehmerkreise übergreift, und sieht sich der Geschädigte infolgedessen nicht mehr mit individualisierbaren Einzeltätern als vielmehr mit einer anonymen gewalttätigen Masse konfrontiert, dann ist für die Versicherer die Grenze zum unkalkulierbaren und daher unversicherbaren Risiko überschritten. Den Tumultschädengesetzen liegt demgegenüber nach Auffassung der Rechtsprechung - wie gezeigt - ein anderer und im Regelfall zugleich engerer Begriff der inneren Unruhen zugrunde. Ob die Schwelle zur inneren Unruhe bereits überschritten ist, beurteilt sich hier mit Blick auf den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Gesetze225 nach den Ausstrahlungswirkungen, die die gewalttätigen Ausschreitungen auf das Sicherheitsempfinden der unbeteiligten Bevölkerungskreise zeitigen. Erst wenn diese das Vertrauen in die Beherrschbarkeit der Lage durch die staatlichen Polizeikräfte verloren haben, ist das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhen erfüllt und können dem Geschädigten Entschädigungsansprüche gegen den Staat zustehen. In Konsequenz dieses von den AVB abweichenden Begriffsverständnisses gibt es Schadenssituationen, die nicht mehr durch Versicherungsleistungen gedeckt sind, in denen aber auch das staatliche Entschädigungssystem der Tumultschädengesetze noch nicht greift. Namentlich ein Großteil der Demonstrationsschäden heutiger Prägung, die durch den unfriedlichen Verlauf einer Massenkundgebung von Kernkraftgegnern, Umweltschützern oder sonstigen Protestgruppen entstehen, wird diesem Bereich zuzuordnen sein. Aus der Perspektive des solchermaßen Geschädigten ist dieses divergierende Begriffsverständnis unbefriedigend, denn es führt dazu, daß er seinen Schaden - vorbehaltlich eines ausnahmsweise erfolgreichen Rückgriffs gegen den individuellen Schädiger - selbst zu tragen hat 226 . Wünschenswert wäre aus seiner 223

BGH, VersR 1975, S. 126. Vgl. A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 119. 225 Vgl. zur Bedeutung des entstehungsgeschichtlichen Hintergrundes für die Auslegung des Begriffs der inneren Unruhen A. Liebrecht, Tumultschadenrecht, S.26. 226 Exemplarisch insoweit der Fall, der dem (unveröffentlichten) Urteil des VG Berlin vom 10. November 1982, Az. 1 A 56/82, zugrunde lag. Hier hatte die Kraftfahrzeug-Versicherung des Geschädigten ihre Leistungspflicht unter Hinweis auf die Ausschlußklausel in den AVB für die durch innere Unruhen verursachten Schäden abgelehnt (Urteilsausfertigung S.3). Das VG Berlin seinerseits wies die daraufhin von dem Geschädigten erhobene Klage mit der Begrün224

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

Sicht deshalb eine einheitliche Auslegung der wortidentischen Begriffe mit der Folge, daß er in jedem Falle entweder eine Leistung seines Versicherers oder - sofern er auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt - eine Entschädigung seitens des Staates erhält. Rechtlich zwingend ist ein solches kongruentes Begriffsverständnis indessen nicht. Die staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden wurde nicht mit dem Ziel angeordnet, den Versicherungsschutz nach Art eines in sich geschlossenen Systems nahtlos zu ergänzen, um dem Geschädigten in jedem Fall einen finanziellen Ausgleich zu gewähren 227. Eine solche Annahme verbietet sich schon deshalb, weil das Reichstumultschädengesetz im Jahre 1920 in dem Bewußtsein verabschiedet worden ist, daß der Geschädigte - anders als heute - die Möglichkeit hatte, eine spezielle Versicherung gegen Aufruhrschäden abzuschließen. Die Haftungsanordnung beruht vielmehr auf der autonomen Einschätzung des Gesetzgebers, daß in bestimmten Fällen einer Störung der öffentlichen Sicherheit, die er mit dem eigenständigen Begriff der inneren Unruhe umschrieb, der Staat für die entstandenen Schäden einzustehen habe, um soziale Härten zu vermeiden 228. Bedeutung kommt den versicherungsvertraglichen Ansprüchen in diesem Rahmen nur insoweit zu, als sie geeignet sind, die Existenzgefährdung des Geschädigten i. S. d. § 2 RTSchG und damit die staatliche Einstandspflicht auszuschließen. Nicht jedoch ist das staatliche Entschädigungssystem umgekehrt darauf angelegt und ausgerichtet, dem Geschädigten im Falle des Fehlens einer versicherungsvertraglichen Deckung jedenfalls eine staatliche Entschädigungsleistung zu garantieren. Es ist deshalb rechtlich nicht angreifbar, wenn die Verwaltungsgerichte unter Berufung auf den entstehungsgeschichtlichen Hintergrund und die eigenständige Zielsetzung der Tumultschädengesetze bei ihrer eigenen Auslegung des Begriffs verharren. 2. Verfahrensrechtliche Probleme Zusätzlich verkompliziert wird die danach schon aus materiell-rechtlichen Gründen ohnehin wenig aussichtsreiche Rechtsverfolgung durch verfahrensrechtliche Schwierigkeiten, die mit der Überleitung des Haftungsregimes der Tumultschädengesetze in die Behörden- und Gerichtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zusammenhängen. Unklar ist dabei insbesondere, bei welcher Behörde Entschädigungsansprüche wegen Sachschäden vorprozessual geltend zu machen sind. § 6 RTSchG sah insoweit vor, daß der Geschädigte seinen Anspruch binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten nach Schadenseintritt bei einem von der Landeszentralbehörde nach Bedung ab, es habe sich bei der Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Jugendgruppen, in deren Verlauf der Pkw des Klägers beschädigt worden war, (noch) nicht um innere Unruhen i.S.d. fortgeltenden Reichstumultschädengesetzes gehandelt (Urteilsausfertigung S.6ff.). 227 H. Boyan, VR 1988, S. 162 (164); A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (809). 228 Vgl. A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 128.

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darf einzurichtenden Ausschuß anzumelden hatte. Im Zuge der Rechtsbereinigung ist diese Verfahrensvorschrift jedoch in einigen Bundesländern - unter Übernahme des Tumultschädengesetzes im übrigen - ganz 229 oder teilweise 230 außer Kraft gesetzt worden. Ob und vor welcher Behörde in diesen Ländern ein Anmeldeverfahren durchzuführen ist, ist deshalb fraglich und läßt sich auch mit Hilfe der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht beantworten 231. Doch auch in den übrigen Bundesländern, die die Verfahrensregel des § 6 RTSchG nicht aufgehoben haben, bereitet die Durchführung der Anmeldung praktische Schwierigkeiten, da die gesetzlich vorgesehenen Ausschüsse in aller Regel nicht mehr bestehen232. Es wird deshalb vorgeschlagen, daß der Geschädigte beim Landesinnenministerium als der Landeszentralbehörde i. S. d. Gesetzes einen Antrag auf Bildung der Ausschüsse stellt und anschließend ggf. Leistungsklage gegen das betreffende Bundesland erhebt 233. Demgegenüber plädieren andere Stimmen dafür, der Geschädigte solle seine Ansprüche direkt beim Landesinnenministerium anmelden, welches dann seinerseits entweder den Ausschuß einrichten oder beim Gesetzgeber auf eine Neuregelung des Entschädigungsfeststellungsverfahrens drängen werde 234 . Letzteres dürfte angesichts der geänderten Verhältnisse der einzig gangbare Weg sein, um in verfahrensrechtlicher Hinsicht Rechtssicherheit herzustellen. Er böte zudem Gelegenheit, auch der für den Geschädigten wenig hilfreichen Aufsplitterung der gerichtlichen Zuständigkeit zwischen den für den Ersatz von Sachschäden zuständigen Verwaltungsgerichten einerseits 235 und den mit dem Aus229 Hamburg: Einziger Paragraph Abs. 1 Nr. 2 des Vierten Gesetzes zur Aufhebung entbehrlich gewordenen Landesrechts vom 3. März 1969, Hbg. GVB1. 1969, S.23. 230 Berlin: § 1 Abs. 1 i.V. m. Nr. 6 der Anlage zu § 1 des Dritten Berliner Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts vom 12. Oktober 1976, GVB1. Bln. 1976, S.2452f. Vorgeschrieben ist dort nun nur noch, daß der Anspruch binnen einer Ausschlußfrist von 3 Monaten anzumelden ist. 231 § 3 VwVfG enthält für den Fall, daß spezialgesetzliche Zuständigkeitsvorschriften fehlen, lediglich eine Auffangregelung betreffend die örtliche Zuständigkeit. In den Vorschriften zur Neuordnung des Tumultschädenrechts, die in §§ 18-25 des ursprünglichen Entwurfs des - später für nichtig erklärten - Staatshaftungsgesetzes enthalten waren, war die Anmeldung der Ansprüche binnen einer Frist von 6 Monaten vorgesehen (§ 24 Abs. 1), wobei die zur Entgegennahme und Entscheidung zuständige Behörde von der Landesregierung bestimmt werden sollte (§ 25 Abs. 2); vgl. BT-Drs. 8/2079, S. 9. 232 W. Henrichs, NJW 1968, S. 973 (975); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 16; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150). 233 R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (150). 234 W. Henrichs, NJW 1968, S.973 (975); vgl. auch A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 105. 235 Vgl. zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für die Entschädigung von Tumultsachschäden W. Henrichs, NJW 1968, S.973 (975); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 17; R. Schmidt, VersPrax 1968, S. 148 (151); OLG Celle, VersR 1975, S. 177 (181). Die genannten Autoren verweisen zur Begründung einerseits auf die frühere Zuständigkeit des Reichswirtschaftsgerichts, das später in das Reichsverwaltungsgericht übergeleitet worden ist (§ 1 des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts vom 3. April 1941, RGBl. 1941,1, S.201), sowie anderer-

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

gleich von Personenschäden betrauten Sozialgerichten andererseits 236 ein Ende zu setzen.

III. Ergebnis Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß die Aussichten des Geschädigten, vom Staat Ersatz für Tumultschäden zu erlangen, nicht nur aufgrund des differierenden Umfangs, in dem die Haftungstatbestände des Reichstumultschädengesetzes und des Kriegspersonenschädengesetzes als Landesrecht fortgelten, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich zu beurteilen sind. Sie müssen vielmehr auch bei inhaltlicher Betrachtung als insgesamt wenig erfolgversprechend eingestuft werden, denn selbst wenn man eine gewalttätig verlaufende Demonstration ausnahmsweise bereits als innere Unruhe im Sinne des § 1 RTSchG qualifizieren möchte, so wird es doch in der Person des Geschädigten in aller Regel am Erfordernis der Existenzgefährdung fehlen. Nachteilig betroffen durch tumultuarische Auseinandersetzungen einer öffentlich versammelten Menschenmenge sind heutzutage typischerweise die Inhaber von Geschäftslokalen oder Büroräumen im Zentrum der Innenstädte, deren „wirtschaftliches Bestehen" indessen durch eingeworfene Schaufensterscheiben und Beschädigungen des Inventars kaum jemals gefährdet sein dürfte 237 . Sie werden ihren Schaden daher letztlich selbst zu tragen haben. Angesichts dieser Feststellung vermag es nicht zu verwundern, daß einige Bundesländer in den letzten Jahren das bis dahin noch in Kraft befindliche Reichstumultschädengesetz unter Hinweis auf seine praktische Bedeutungslosigkeit aufgehoben haben238. Zugleich wirft dieser Befund die grundsätzliche Frage nach Notwendigkeit und Inhalt einer Reform des Tumultschädenrechts auf. Ist aus rechtlicher Sicht ein seits auf die Generalklausel des §40 Abs. 1 VwGO, wonach öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art vor die Verwaltungsgerichte gehören, soweit sie nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen sind. § 40 Abs. 2 VwGO sei demgegenüber nicht einschlägig, da es sich bei der Entschädigung nach dem Reichstumultschädengesetz weder um einen Aufopferungsanspruch noch um einen Anspruch wegen der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten handele. 236 Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ergibt sich aus folgender Überlegung: § 18 Abs. 2 KPSG beinhaltete hinsichtlich des Verwaltungs- und Spruchverfahrens sowie der Behördenzuständigkeit einen Verweis auf die Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes. An deren Stelle sind nunmehr u. a. die Vorschriften des SGB X und des SGG anzuwenden. Entschädigungsansprüche für Tumultpersonenschäden sind deshalb vorprozessual bei den Versorgungsämtern anzumelden und im Gerichtswege vor den Sozialgerichten geltend zu machen. Vgl. nur W. Henrichs, NJW 1968, S.2229 (2230); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 18; A. Kunschert, in: Geigei, Der Haftpflichtprozeß, 21. Kapitel, Rn. 105; Antwort der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 1. August 1968 auf die Kleine Anfrage Nr. 251 des Abgeordneten Frey (CDU), LT-Drs. NW, 6. Wahlperiode, Band 5, Nr. 827. 237 Vgl. A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (809); U. Karpen, ZRP 1987, S. 349 (350). 238 So geschehen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, vgl. oben S. 113.

C. Exkurs: Die Entwicklung in Frankreich

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Bedürfnis nach einer effektiven staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden anzuerkennen? Auf welchen Rechtsgrund läßt sich eine solche Einstandspflicht stützen? Wie ist das Haftungsregime auszugestalten? Die Antworten hierauf sollen durch einen rechtsvergleichenden Blick nach Frankreich als dem Ursprungsland (auch) der deutschen Tumultschädengesetzgebung erleichtert werden. Aus der Entwicklung, die das Tumultschädenrecht dort seit dem Revolutionsgesetz des Jahres 1795, der „Ahnfrau" des Reichstumultschädengesetzes239, genommen hat, lassen sich möglicherweise - ungeachtet konzeptioneller und struktureller Unterschiede des Staatshaftungsrechts beider Länder im übrigen, dessen allgemeine Anspruchsinstitute indessen die Haftung für Tumultschäden regelmäßig nicht erfassen - Erkenntnisse im Hinblick auf eine zeitgemäße Neuordnung der Staatshaftung für Tumultschäden in Deutschland gewinnen.

C. Exkurs: Die Entwicklung des Tumultschädenrechts in Frankreich seit dem Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV Die im Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung wurzelnde strenge Tumultschädenhaftung der Gemeinden nach dem Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (2. Oktober 1795) hatte in Frankreich gut 100 Jahre Bestand. Die Gemeinden (bzw. die Gesamtheit ihrer Einwohner) hafteten danach ohne Rücksicht auf Pflichtwidrigkeit und Verschulden für alle auf ihrem Gebiet entstandenen Tumultschäden und konnten sich hiervon nur unter der doppelten Bedingung befreien, daß die Tumultuanten sämtlich ortsfremd waren und die Gemeinden ihrerseits alles in ihrer Macht Stehende unternommen hatten, um die Tumulte zu verhindern 240. Eine weitere Ausnahme von der strengen Gemeindehaftpflicht bestand lediglich aufgrund eines Spezialgesetzes vom 30. September 1830 für die infolge der Julirevolution - die man als eine Frankreich zum Nutzen gereichende „cause nationale" ansah - entstandenen Schäden; für sie kam anstelle der Gemeinden die Staatskasse auf 241 . Im übrigen gab aber erst ein Gesetz vom 5. April 1884 Forderungen nach großzügigeren Entlastungsmöglichkeiten zugunsten der Gemeinden nach.

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Vgl. den Begriff bei R. Horn, Assekuranz-Jahrbuch 1922 (Band 42), S.99. Vgl. näher oben S. 82 ff. 241 Fölix, Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes, Band 7 (1835), S. 26 (41); St. Jakubowski, Wer haftet in Preußen für die bei der Revolution und der Bekämpfung der Spartakus-Bewegung entstandenen Schäden?, S.7f. 240

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

I. Das Gesetz vom 5. April 1884 Das Gesetz über die Gemeindeverwaltung (Loi sur 1'Organisation municipale) vom 5. April 1884 beinhaltete in seinen Art. 106 bis 109 eine Neuordnung des Tumultschädenrechts242. Blieb dabei der Haftungstatbestand in seinen objektiven Voraussetzungen im Vergleich zum Revolutionsgesetz aus dem Jahre 1795 zwar nahezu unverändert 243 und lastete die Haftung nach wie vor auf den Schultern der Gemeinden244, so wurden jedoch ihre Exkulpationsmöglichkeiten erheblich erweitert. Art. 108 des Gesetzes sah drei Fälle vor, in denen die Haftpflicht der Gemeinde entfiel: - wenn sie nachweisen konnte, daß sie alle ihr zu Gebote stehenden Maßnahmen ergriffen hatte, um den Tumulten vorzubeugen oder jedenfalls ihre Urheber namhaft zu machen; - wenn sie weder die Ortspolizei handhabte noch über die bewaffnete Macht verfügte; - wenn die Beschädigungen die Folgen eines Krieges waren 245 . Insbesondere der erstgenannte Befreiungsgrund zeigt, daß sich mit der Ausweitung der Exkulpationsmöglichkeiten zugleich die Rechtsnatur und der Rechtsgrund der Haftung geändert haben. Traf die Haftung eine Gemeinde bislang prinzipiell ohne Rücksicht auf Fehlverhalten und Verschulden allein aufgrund der Tatsache, daß es in ihrem Gebiet unter Beteiligung ihrer Einwohner zu Tumulten gekommen 242

Loi sur l'organisation municipale vom 5. April 1884, Bulletin des Lois de la République Française 1884, S. 369 (391 f.). 243 Art. 106 Abs. 1 des Gesetzes vom 5. April 1884 lautet: „Les communes sont civilement responsables des dégâts et dommages résultant des crimes ou délits commis à force ouverte ou par violence sur leur territoire par des attroupements ou rassemblements armés ou non armés, soit envers les personnes, soit contre les propriétés publiques ou privées." Zum weitgehend identischen Wortlaut des Gesetzes vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (Titel IV, Art. 1) vgl. oben Fn.31. 244 Zwar traf die Haftung nach dem neuen Gesetzeswortlaut nicht mehr die Gemeindeeinwohner als Kollektiv, sondern die Gemeinde selbst als juristische Person. Aufgebracht wurde die Entschädigungssumme gemäß Art. 106 Abs. 2 des Gesetzes jedoch nicht aus dem allgemeinen Gemeindehaushalt, sondern mittels einer Sondererhebung unter den Gemeindeeinwohnern. Vgl. dazu auch C. Bréchon-Moulènes, Les régimes législatifs de responsabilité publique, S. 47; J.-C. Maestre , AJDA 1976, S. 486 (488). 245 Vgl. den Text des Art. 108: „Les dispositions des articles 106 et 107 ne sont pas applicables: I o Lorsque la commune peut prouver que toutes les mesures qui étaient en son pouvoir ont été prises à l'effet de prévenir les attroupements ou rassemblements, et d'en faire connaître les auteurs; 2° Dans les communes où la municipalité n'a pas la disposition de la police locale ni de la force armée; 3° Lorsque les dommages causés sont le résultat d'un fait de guerre."

C. Exkurs: Die Entwicklung in Frankreich

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war, so ist an die Stelle dieser reinen Erfolgshaftung (responsabilité sans faute) nunmehr eine Haftung für vermutetes Verschulden getreten (responsabilité pour faute présumée) 246. Die Gemeinde konnte sich jetzt durch den Nachweis mangelnden Fehlverhaltens 247 jederzeit entlasten und nicht mehr nur in den Fällen, in denen die Tumultuanten ausschließlich Ortsfremde waren 248. Rechtsgrund der Haftpflicht war damit nicht mehr das überkommene Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung der Gemeindeeinwohner, sondern vielmehr ein (vermutetes) Fehlverhalten der gemeindlichen Polizeibehörden 249. Demgemäß war eine Gemeinde nach Art. 108 Nr. 2 des Gesetzes von vornherein von der Haftung befreit, wenn die Polizeigewalt nicht in ihren Händen lag, sondern von staatlichen Stellen ausgeübt wurde. Gerade große Städte wie Paris, Lyon und Marseille, in denen das Risiko gewalttätiger Ausschreitungen einer größeren Menschenmenge in der Öffentlichkeit erfahrungs- und naturgemäß am höchsten ist, waren auf diese Weise von der Tumultschädenhaftung ausgenommen250. Da hier jedoch auch der Staat als Inhaber der Polizeigewalt nicht anstelle der Gemeinden haftete - das Gesetz von 1884 sah eine solche Einstandspflicht des Staates nicht vor, und außerhalb spezialgesetzlicher Anordnung galt auf dem Gebiet des Polizeirechts zu jener Zeit noch das Prinzip der haftungsrechtlichen Immunität der öffentlichen Gewalt 251 - gingen die durch Tumulte in diesen Städten Geschädigten leer aus 252 .

II. Das Gesetz vom 16. April 1914 Auch das Gesetz von 1884 stieß deshalb schon bald, namentlich unter dem Eindruck tumultuarischer Unruhen, die sich in Lyon im Jahre 1894 ereignet hatten253, auf 246

Vgl. A. de Laubadère/J.-C. Venezia/Y. Gaudemet, Traité de droit administratif, Tome 1, n°1354. 247 Vgl. in diesem Zusammenhang das Urteil der Cour de Cassation, Chambre des requêtes, 31.5.1910, Riquier./.Commune de Fressenneville, Dalloz 1913,1, S.521 ff., das für eine Haftungsbefreiung bereits den Umstand genügen ließ, daß die - untätig gebliebene - Gemeinde angesichts der Unvorhersehbarkeit der tumultuarischen Auseinandersetzungen von vornherein keine geeigneten Maßnahmen hätte treffen können, um den Tumulten vorzubeugen. 248 Vgl. H. Berthélemy, Traité élémentaire de droit administratif, S. 628. 249 Vgl. L. Rolland, RDP 1913, S.350 (354). 250 Vgl. A. de LaubadèreU.-C. Venezia/Y. Gaudemet , Traité de droit administratif, Tome 1, n° 1354; außerdem H. Berthélemy, Traité élémentaire de droit administratif, S. 628; L. Rolland, RDP 1913, S. 350 (353). 251 Vgl. A. de Laubadère/J.-C. Venezia/Y. Gaudemet , Traité de droit administratif, Tome 1, n° 1354. Die Möglichkeit einer Haftung des Staates für die schädigenden Folgen polizeilicher Maßnahmen wurde vom Conseil d'Etat erstmals im Urteil Tomaso Grecco vom 10. Februar 1905 anerkannt; vgl. dazu M. Long/P. Weil/G. Braibant/P. Delvolvé/B. Genevois, Les grands arrêts de la jurisprudence administrative, S. 79 ff. 252 Vgl. auch die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 (387) sowie J.-C. Maestre, AJDA 1976, S.486 (488); L. Rolland, RDP 1913, S. 350 (356). 253 Vgl. dazu die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 (387 sub.3.) sowie H. Berthélemy , Traité élémentaire de droit administratif, S.628; L. Rolland, RDP 1913, S.350.

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

Kritik. Zu einer Neufassung der Vorschriften kam es indessen nach langwierigen parlamentarischen Vorarbeiten und Beratungen 254 erst durch ein Gesetz vom 16. April 1914255. Dieses Gesetz nahm Abstand von der erst 30 Jahre zuvor eingeführten Konzeption einer Haftung für vermutetes Verschulden und kehrte zum Prinzip der verschuldensunabhängigen (Garantie-)Haftung zurück, wie sie bereits nach dem Revolutionsgesetz des Jahres IV bestanden hatte. Die Haftpflicht der Gemeinden trat damit wieder ohne Rücksicht auf Fehlverhalten und Verschulden allein aufgrund der Tatsache ein, daß es durch Gewalttätigkeiten einer versammelten Menschenmenge zu Schäden gekommen war, und legitimierte sich aus dem insoweit fortlebenden altdeutschen Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung ihrer Mitglieder 256 . Jedoch hat der Gesetzgeber von 1914 die gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die seit der Revolutionsepoche stattgefunden hatten, nicht ignoriert und erkannt, daß der Gedanke der solidarischen Verbundenheit der Mitglieder einer Gemeinde zunehmend seine innere Berechtigung verlor und die Einstandspflicht für Tumultschäden zudem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vieler Gemeinden überforderte 257. Er hat den Gemeinden deshalb im Innenverhältnis ein Rückgriffsrecht gegen den Staat in Höhe der Hälfte der Schadenssumme eingeräumt, ohne sie jedoch im Außenverhältnis zum Geschädigten aus der Haftung zu entlassen258. Im Unterschied zum Gesetzgeber des Reichstumultschädengesetzes hat er aber darauf verzichtet, den Entschädigungsanspruch der Höhe nach zu begrenzen oder ihn von subjektiven Kriterien in der Person des Geschädigten abhängig zu machen. Der Entschädigungsanspruch trug damit - anders als der Anspruch nach dem Reichstumultschädengesetz259 - weiterhin den Charakter eines reinen staatshaftungsrechtlichen Schadenersatzanspruchs. 254

Ein erster Gesetzentwurf war bereits im Juli 1895 eingebracht, nach Ablauf der Legislaturperiode jedoch nicht weiter verfolgt worden. Gegenstand der parlamentarischen Beratungen, die letztlich zu dem Gesetz vom 16. April 1914 führten, war sodann ein zweiter Entwurf vom 26. März 1900. Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes L. Rolland, RDP 1913, S. 350ff. mit Fn.5, sowie die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 ff. 255 Das Gesetz ist abgedruckt in Dalloz 1916, IV e partie, S. 386ff. Später wurden die Vorschriften des Gesetzes in den Code d'Administration Communale (Art. 116 bis 122) inkorporiert, der seinerseits im Jahre 1977 durch den Code des Communes (Art.L. 133-1 bis L. 133-8) abgelöst worden ist. 256 Vgl. J.-C. Maestre, AJDA 1976, S.486 (487). 257 Vgl. die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 (388 sub. 8.). 258 So Art. 108 Abs. 1 der Loi sur l'organisation municipale in der Fassung vom 16. April 1914: „L'Etat contribue pour moitié, en vertu du risque social, au payement des dommages-intérêts et frais visés par l'art. 106." Vgl. zu den durch das Gesetz konstituierten rechtlichen Beziehung zwischen Geschädigtem, Gemeinde und Staat außerdem Cour d'appel de Paris, 16.4.1945, Soc. d'Affichage et de publicité./.Etat français et Ville de Paris, Sirey 1946, II, S. 24 (25); Cour de Cassation, 6.11.1946, Etat français./.Staebler, Sirey 1947,1, S. 100; G.-M. Pancrazi, GP 1981, doctrine, S. 119f.; G.Vedel, JCP 1951,1, n°923, sub. §IIAa) und b). 259 Siehe obenS.llOff.

C. Exkurs: Die Entwicklung in Frankreich

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Die neu eingeführte Haftungsbeteiligung des Staates im Innenverhältnis war indessen nicht nur für die finanziell entlasteten Gemeinden von unmittelbarer praktischer Bedeutung, sondern im Hinblick auf ihre rechtliche Legitimation vor allem auch aus haftungstheoretischer Sicht von weitreichender Relevanz. Als Rechtsgrund der (anteiligen) Einstandspflicht des Staates benannte der Gesetzestext ausdrücklich das „soziale Risiko" („risque social") 260 . Gemeint ist mit diesem Begriff das dem menschlichen Zusammenleben in einer (zivilisierten) Gesellschaft inhärente Risiko, daß sich ihre Mitglieder durch ihr Verhalten gegenseitig Schaden zufügen 261. Zum Anknüpfungspunkt einer haftungsrechtlichen Einstandspflicht des Staates kann die Realisierung eines solchen sozialen Risikos nur mit der Begründung gemacht werden, daß es seine Aufgabe als Inhaber des Gewaltmonopols gewesen wäre, Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger zu schützen und die eingetretenen Schäden zu verhindern. An einer vom Staat durch eigene Aktivitäten und Veranstaltungen hervorgerufenen Risikolage, für deren schädigende Folgen er nach dem Gefährdungsprinzip haftbar gemacht werden könnte, wird es im Falle der Realisierung sozialer Risiken demgegenüber regelmäßig fehlen 262. Allein der Umstand, daß der Staat durch von ihm zu verantwortende politische Entscheidungen seiner demokratisch legitimierten Organe Demonstrationen und Proteste einzelner Gruppen in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat, in deren Verlauf es zu tumultuarischen Ausschreitungen gekommen ist, erlaubt es nicht, ihm die hierbei entstandenen Schäden als Verwirklichung eines von ihm geschaffenen Risikos zuzurechnen 263 . Auch können Tumultschäden, die sich die Bürger untereinander zufügen, nicht als hoheitliche Auferlegung eines Sonderopfers begriffen werden, für das der Staat aus Gründen der Belastungsgleichheit aufzukommen hätte (responsabilité pour rupture de l'égalité devant les charges publiques)264. Rechtfertigen läßt sich eine Zurechnung des Tumultschädenrisikos zum Verantwortungs- und Haftungsbereich des Staates vielmehr nur mit der Erwägung, daß dieser in seiner Aufgabe als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung versagt hat 265 . Diese Erwägung hat sich der französische Gesetzgeber des Jahres 1914 ausdrücklich zu eigen gemacht, indem er eine (Mit-)Haftung des Staates für Tumultschäden 260

Vgl. den Wortlaut des neugefaßten Art. 108 in Fn. 258. Vgl. C. Bréchon-Moulènes, Les régimes législatifs de responsabilité publique, S. 134; G.Vedel, JCP 1951,1, n°923, sub. §111 A. 262 Vgl. W. Leisner, VerwArch. 1963, S. 369 (381). 263 So auch A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (812); A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 52 ff.; a. A. offenbar H. K. Jannott/H. P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (123 ff.). K. Gerathewohl/F. Nierhaus, ZfV 1980, S.535 (540) und U. Hübner, ZVersWiss. 1981, S. 1 (20) erkennen hingegen die Fragwürdigkeit eines solchen Zurechnungskriteriums und führen die mögliche staatliche Veranlassung des Tumults lediglich als zusätzlichen Gesichtspunkt neben dem allein maßgeblichen Legitimationsgrund eines Versagens des Staates als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung an. 264 C. Bréchon-Moulènes, Les régimes législatifs de responsabilité publique, S. 131. 265 Vgl. auch W. Leisner, VerwArch. 1963, S. 369 (381 f.). 261

9 Kimmel

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

„en vertu durisque social" statuiert hat 266 . Daß diese Haftung grundsätzlich auf 50% des Schadens begrenzt war 267 und zudem nur im Innenverhältnis zu den Gemeinden als den gegenüber den Geschädigten ausschließlich Verpflichteten zum Tragen kam, war Ausdruck eines Kompromisses zwischen den Befürwortern einer alleinigen Haftung des Staates, die sich indessen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durchsetzen konnten, und denjenigen, die aus Gründen der Prävention für eine Beibehaltung der Gemeindehaftpflicht plädierten 268. Dieser Kompromißcharakter vermag jedoch nichts daran zu ändern, daß der französische Gesetzgeber - wenn auch in beschränktem Umfang - erstmals eine Haftung des Staates für Tumultschäden angeordnet hat, die als Risikohaftung konzipiert war und sich aus dem Versagen des Staates als Inhaber des Gewaltmonopols und Garant der inneren Sicherheit legitimierte 269. Zudem tut der Kompromißcharakter auch der Konsistenz des gesamten Haftungsregimes letztlich keinen Abbruch, da die Grundgedanken einer auf das soziale Risiko gegründeten staatlichen Tumultschädenhaftung einerseits und einer Tumultschädenhaftung der Gemeinden, die ihre Wurzeln im Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung hat, andererseits nicht weit voneinander entfernt liegen. Es handelt sich in beiden Fällen um eine Haftung wegen objektiv unzureichender Gefahrenabwehr, die mit dem Staat bzw. der Gemeinde denjenigen Verband trifft, dessen Aufgabe es gewesen wäre, die Tumulte zu verhindern. War dies nach den Rechtsvorstellungen des Mittelalters die genossenschaftlich verfaßte Markgemeinde, die kraft der engen personenrechtlichen Verbundenheit ihrer Angehörigen dafür Sorge zu tragen hatte, daß diese sich unerlaubter Handlungen enthielten, so obliegt die Gewährlei266 Vgl. die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 (392 sub.2. und 393 sub.9); außerdem C. Bréchon-Moulènes, Les régimes législatifs de responsabilité publique, S. 116. 267 Art. 108 Abs. 2 und 3 des Gesetzes sah die Möglichkeit einer von diesem Grundsatz abweichenden Haftungsverteilung in zwei Fällen vor: 1. Wenn die Gemeinde ihre Pflichten durch untätiges Zusehen oder (heimliches) Einverständnis mit den Tumultuanten verletzt hat, wenn ihr also ein Fehlverhalten zur Last zu legen ist, kann der Staat in Höhe von bis zu 60% seines Anteils bei der Gemeinde Rückgriff nehmen. 2. Verfügt andererseits die Gemeinde weder über die Ortspolizei noch über die Streitkräfte oder hat sie alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen ergriffen, um die Tumulte zu verhindern oder zu unterdrücken, dann steht ihr ein Rückgriffsanspruch gegen den Staat zu, der indessen seit einer Gesetzesänderung vom 30. Dezember 1975 nicht mehr auf 60% des Haftungsanteils der Gemeinde begrenzt ist. Diese Vorschrift ist zugleich ein weiterer Beleg dafür, daß dem Fehlverhalten der Gemeindepolizeibehörden nach dem Gesetz von 1914 keine haftungsbegründende Wirkung mehr zukommt; lediglich im Rahmen einer vom Grundsatz des Art. 108 Abs. 1 abweichenden internen Haftungsverteilung zwischen Staat und Gemeinde spielt sie noch eine Rolle; vgl. M. Hauriou, Précis de droit administratif et de droit public, S.538; G.Vedel, JCP 1951, I, n°923, sub. §IIBa). 268 Vgl. zur Entstehungsgeschichte die Gesetzesmaterialien, Dalloz 1916, IV e partie, S.386 (387 ff.); außerdem H. Berthélemy, Traité élémentaire de droit administratif, S. 629; J.-C. Maestre , AJDA 1976, S.486 (488); L. Rolland, RDP 1913, S.350 (364). 269 So die einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung, vgl. nur Cour de Cassation, 1.8.1939, Ville de Marseille./.Cie. d'assurances Le Soleil et autres, Sirey 1947,1, S. 21 (23); G.Vedel, JCP 1951,1, n°923, sub. §IIIA.

C. Exkurs: Die Entwicklung in Frankreich

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stung innerer Sicherheit in einem Staatswesen moderner Prägung dem Staat als dem Inhaber des Gewaltmonopols. Konsequent wäre es deshalb gewesen, die Gemeinden nunmehr auch aus der Haftung für Tumultschäden als einem Überbleibsel des mittelalterlichen Rechtsinstituts der genossenschaftlichen Gesamthaftung zu entlassen und diese allein dem Staat aufzuerlegen. Diesen Schritt ist der französische Gesetzgeber indessen erst i m Zuge einer weitgehenden Übernahme - namentlich auf dem Gebiet des Versammlungswesens - der bislang partiell noch von den Kommunen in eigener Verantwortung wahrgenommen Polizeigewalt durch den Staat 2 7 0 i m Jahre 1983 gegangen.

I I I . Das Gesetz vom 7. Januar 1983 M i t dem Gesetz vom 7. Januar 1983 hat er die Tumultschädenhaftung endgültig aus dem gemeindlichen Kontext gelöst und sie vollständig auf den Staat übertragen, der nunmehr ihr alleiniger Schuldner ist 2 7 1 . Die Gemeinden können seither nur noch nach den allgemeinen Regeln der Verschuldenshaftung auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden 2 7 2 . Zuständig für Streitigkeiten aus dem Tumultschädengesetz sind seit einem Gesetz vom 9. Januar 1986 zudem nicht mehr die Zivil-, sondern die Verwaltungsgerichte 273 .

270

Art. 88 des Gesetzes vom 7. Januar 1983 „relative à la répartition des compétences entre les communes, les départements et l'Etat" (J.O. Janvier 1983, Lois, S. 215 [227]) bestimmte: „L'institution du régime de police d'Etat est de droit... si le conseil municipal le demande, dans les communes dotées d'un corps de police municipale, lorsque sont réunies les conditions soit d'effectifs et de qualification professionnelle, soit de seuil démographique, définies par décret en Conseil d'Etat." Vgl. dazu R. Letteron , RDP 1990, S. 489 (493). Vor dem Gesetz von 1983 lag die Polizeigewalt nur in den ca. 700 Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern in der Hand des Staates; vgl. J. Morand-Deviller, Cours de droit administratif, S. 484ff. (487). 271 Art. 92 Abs. 1 des Gesetzes vom 7. Januar 1983 (J.O. Janvier 1983, Lois, S.215 [227]) lautet: „L'Etat est civilement responsable des dégâts et dommages résultant des crimes et délits commis, à force ouverte ou par violence, par des attroupements ou rassemblements armés ou non armés, soit contre les personnes, soit contre les biens." Vgl. auch D. Mardesson, Dalloz 1984, Jurisprudence, S. 625. 272 Ist neben dem ohnehin zum Ersatz verpflichteten Staat aufgrund der allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstitute auch die Gemeinde für die entstandenen Tumultschäden haftbar, dann steht dem Staat gemäß Art. 92 Abs. 2 des Gesetzes vom 7. Januar 1983 ein Rückgriffsanspruch gegen die Gemeinde zu: „II peut exercer une action récursoire contre la commune, lorsque la responsabilité de celle-ci se trouve engagée." 273 Art. 27 Abs. 1 des Gesetzes vom 9. Januar 1986 „portant dispositions diverses relatives aux collectivités locales" (J.O. Janvier 1986, S.470 [472]) hat die Art.L. 133-1 bis L. 133-8 Code des Communes (vgl. dazu oben Fn. 255) und damit auch die ausdrückliche Zuweisung der Streitigkeiten aus dem Tumultschädengesetz an die Zivilgerichte aufgehoben. In Anwendung der allgemeinen Regeln liegt die Zuständigkeit deshalb seither bei den Verwaltungsgerichten; vgl. etwa F. Moderne, Dalloz 1987, chronique, S. 110 (111); Tribunal des Conflits, 19.12.1988, Santacroce, Recueil Lebon 1988, S.497; Conclusions de Clausade sous Conseil d'Etat, 16.2.1990, Société GAN Incendie-Accidents, Recueil Lebon 1990, S.36 (38). 9*

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung haben sich indessen gegenüber den Vorgängerregelungen begrifflich nicht geändert und werden von den Verwaltungsgerichten auch inhaltlich weitestgehend i m Sinne der bisherigen Rechtsprechung verstanden und ausgelegt 274 . Erforderlich ist damit nach wie vor, daß die erlittenen Schäden durch Straftaten hervorgerufen worden sind, die eine versammelte Menschenmenge mit offener Gewalt oder sonst in gewalttätiger Weise gegen Personen oder Sachen begangen hat. Das charakteristische Merkmal, das die Tumultschäden von sonstigen Kriminalitätsschäden unterscheidet, liegt mithin in ihrer Verursachung durch kollektives Handeln. Die Schädiger treten nicht als Einzeltäter auf, sondern als Teile eines Kollektivs, in dem sich ihre Individualität verliert 2 7 5 . In dieser Anonymität des einzelnen Täters vor dem Hintergrund weiterer Gewalttaten liegt das besondere Gefahrenpotential kollektiven Handelns begründet. Anlaß und Ziel der Versammlung sind demgegenüber für die Anwendung des Tumultschädengesetzes ohne Bedeutung 2 7 6 . Über die frühere Entscheidungspraxis hinausgegangen ist die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung lediglich hinsichtlich des Umfangs des zu ersetzenden Schadens, indem sie den infolge des Verhaltens der Tumultuanten entgangenen Gewinn (préjudice commercial) ausdrücklich in die zu leistende Entschädigung einbezogen hat 2 7 7 . 274

So auch die Einschätzung von R. Chapus, Droit administratif général, n° 1501. Vgl. zur Konturierung der - synonym verwendeten - Begriffe „rassemblement" und „attroupement" durch die Rechtsprechung etwa Cour de Cassation, 2.1.1951, Ville de Lille./.Demarcq, JCP 1951, II, n°6226; Tribunal des Conflits, 16.11.1964, Ets. Schenk./.Commune de Bessan, Recueil Lebon 1964, S.793 = AJDA 1965, II, n°99, observations Moreau; Cour de Cassation, 5.3.1980, Commune d'Arles-sur-Rhône, Dalloz 1980, IR, S. 326 = Bull. civ. II, n°48; Tribunal des Conflits, 24.6.1985, Préfet du Val-de-Marne, Recueil Lebon 1985, S.407; Tribunal des Conflits, 4.11.1985, EDF, Recueil Lebon 1985, S.407 (408) = AJDA 1986, S. 50, observations Moreau = JCP 1986, II, n°20703; Tribunal des Conflits, 27.6.1988, Ets. Leclerc, JCP 1989, II, n°21244; Tribunal des Conflits, 9.5.1989, Préfet des Ardennes, Recueil Lebon 1989, S.534; Tribunal adminstratif de Strasbourg, 30.7.1993, LPA 14 janvier 1994, n°6, S. 17f. Ausführlich außerdem/?. Chapus, Droit administratif général, n° 1502; R. Letteron, RDP 1990, S.489 (512ff.); P. Talbot, Rev. adm. 1991, S.397 (398f.). 276 Vgl. Cour de Cassation, 1.8.1939, Ville de Marseille./.Cie. d'assurances Le Soleil et autres, und 3.8.1943, Ville de Lille./.Cie. Mutuelle du Commerce et de l'Industrie, beide abgedruckt in Sirey 1947,1, S.21 ff.; Tribunal des Conflits, 22.4.1985, Soc. automobiles Peugeot, Recueil Lebon 1985, S.405 = AJDA 1985, n° 112 (S.509 [510]), observations Moreau = Dr. soc. 1985, S.545 (550); außerdem/?. Chapus, Droit administratif général, n° 1502; M. Guittard, GP 1980, doctrine, S.490 (491). 277 Grundlegend Conseil d'Etat, 6.4.1990,2 Avis, Société COFIROUTE et S. N. C.F., Recueil Lebon 1990, S. 95 f. = RDP 1990, S. 1145 (1159ff.) = Dalloz 1991, sommaires commentés, S.235 = LPA 1er août 1990, n°92, S. 15, note Prelot = RFDA 1991,S.562, note Letteron; vgl. dazu auch M. Long/P. Weil/G. BraibantiP. Delvolvé/B . Genevois, Les grands arrêts de la jurisprudence administrative, S. 752 ff. sowie die Conclusions von P. Hubert , Recueil Lebon 1990, S. 96 (97 ff.) = RDP 1990, S. 1145 (1148 ff.). Nachfolgend Cour administrative d'appel de Paris, 6.6.1991, S.N.C.F., LPA 17 juillet 1991, n°85, S.3 (7 f.); Tribunal administratif de Strasbourg, 30.7.1993, LPA 14 janvier 1994, n°6, S. 17 (18). Aus der früheren Rechtsprechung siehe etwa 275

C. Exkurs: Die Entwicklung in Frankreich

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IV. Das geltende französische und deutsche Tumultschädenrecht im Vergleich Vergleicht man dieses französische Haftungsregime mit den Regelungen der fortgeltenden deutschen Tumultschädengesetze, so fällt zunächst die unterschiedliche rechtliche Fundierung der staatlichen Einstandspflicht ins Auge. Zwar haben beide Systeme das Institut der genossenschaftlichen Gesamthaftung der örtlichen Gemeinschaft als Rechtsgrund der Haftungsanordnung überwunden und die Haftung - jedenfalls im Außenverhältnis - aus dem gemeindlichen Kontext gelöst, um sie statt dessen dem Staat aufzuerlegen. Während der staatlichen Einstandspflicht nach den deutschen Gesetzen, die die Entschädigung nicht nur vom objektiv-schädigenden Ereignis eines Tumultes, sondern zusätzlich von subjektiven Kriterien in der Person des Geschädigten abhängig machen, jedoch der Charakter einer besonderen staatlichen Fürsorgeleistung zukommt, begreift die französische Konzeption sie als reine Erfolgs- bzw. Garantiehaftung. Jedem Geschädigten steht dort unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ein umfassender und von jeglichem fürsorgerechtlichen Einschlag freier Entschädigungsanspruch zu. Der französische Staat haftet unabhängig vom Fehlverhalten und Verschulden seiner Polizeikräfte für das soziale Risiko „Tumultschaden", weil er als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung versagt hat. Da es seine Aufgabe als Inhaber des Gewaltmonopols gewesen wäre, seine Bürger - auch - vor solchen Gefahren zu schützen, die aus dem menschlichen Zusammenleben in der Gesellschaft erwachsen, hat er nach dem Willen des Gesetzgebers für sämtliche schädigenden Folgen tumultuarischer Auseinandersetzungen einzustehen. Neben diesem haftungstheoretischen Unterschied, der freilich im Hinblick auf den Umfang der Entschädigung auch praktische Folgen zeitigt, ist auffällig, daß das Tumultschädenrecht in Frankreich bis heute von weitaus größerer Bedeutung und häufigerer Anwendung ist als in Deutschland. Hiervon zeugt eine Vielzahl von Gerichtsverfahren und -entscheidungen, die sich mit der Problematik eines Entschädigungsanspruchs aus dem französischen Tumultschädengesetz auseinanderzusetzen hatten und haben278. Demgegenüber haben Streitigkeiten aus dem ReichstumultTribunal des Conflits, 7.6.1982, Préfet du Pas-de-Calais, Recueil Lebon 1982, S. 457 = Dalloz 1982, jurisprudence, S.637 (639); Tribunal des Conflits, 13.2.1984, Haut-Commissaire de laRépublique en Nouvelle-Calédonie, DA 1984, n° 129 = RDP 1985, S.515. 278 Vgl. beispielhaft Cour de Cassation, 1.8.1939, Ville de Marseille./.Cie. d'assurances Le Soleil et autres, und 3.8.1943, Ville de Lille./.Cie. Mutuelle du Commerce et de l'Industrie, beide abgedruckt in Sirey 1947,1, S.21 ff.; Tribunal des Conflits, 2.6.1945, Epoux Cuvillier, Recueil Lebon 1945, S. 276 = Sirey 1945, III, S. 61; Cour de Cassation, 2.1.1951, Ville de Lille./.Demarcq, JCP 1951, II, n°6226; Tribunal des Conflits, 16.11.1964, Ets. Schenk./.Commune de Bessan, Recueil Lebon 1964, S.793 = AJDA 1965, II, n°99, observations Moreau; Tribunal des Conflits, 24.5.1965, Roche./.Ville d'Amiens, Recueil Lebon 1965, S. 815 = JCP 1965, II, n° 14366 = AJDA 1965, II, n° 188; Conseil d'Etat, 23.2.1968, Epoux Lemarchand, Rev. adm. 1968, S. 319, note Liet-Veaux; Cour de Cassation, 5.3.1980, Commune d'Arles-sur-Rhône, Dalloz 1980, IR, S. 326 = Bull. civ. 1980, II, n°48; Tribunal des Conflits, 22.4.1985, Soc. automo-

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2. Kap.: Ersatz kraft spezialgesetzlicher Anordnung

und dem Kriegspersonenschädengesetz die deutschen Gerichte nur in den Jahren der Weimarer Republik beschäftigt 279, während sich aus der Zeit seit 1945 hierzu kaum noch ein Urteil findet 280. Dies hängt indessen weniger mit einer größeren Disziplin und geringeren Gewaltbereitschaft der deutschen Nachkriegsgesellschaft als vielmehr damit zusammen, daß der Tatbestand der deutschen Gesetze mit dem Begriff der inneren Unruhen, der unter dem Eindruck der Revolution von 1918/19 eingeführt wurde, wesentlich enger gefaßt ist und unfriedlich verlaufende Demonstrationen als die maßgeblichen tumultuarischen Erscheinungsformen heutiger Prägung dadurch weitgehend von der Entschädigungspflicht ausnimmt. In den Genuß einer Entschädigung kamen die durch Tumulte Geschädigten deshalb lediglich in Einzelfällen, in denen - wie etwa in Berlin - staatliche Entschädigungsleistungen für die im Zusammenhang mit einer unfriedlich verlaufenen Demonstration entstandenen Schäden „ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs" unmittelbar auf der Grundlage eines Regierungs-(Senats-)Beschlusses gewährt wurden 281 . Die französischen Tumultschädengesetze halten demgegenüber seit mehr als 200 Jahren unverändert schlicht am Erfordernis gewalttätiger strafbarer Handlungen einer versammelten Menschenmenge fest, um eine Einstandspflicht des Staates zu begründen. Sie liefern damit den Beweis dafür, daß Tumultschädengesetze bei geeigneter Tatbestandsfassung zu erheblicher praktischer Bedeutung für die Geschädigten gelangen können, ohne gleichzeitig den Haushalt des zum Ersatz verpflichteten Staates in den Ruin zu stürzen. Dies ist ebenso wie die anderen aus dem Rechtsvergleich gewonnenen Erkenntnisse zu berücksichtigen, wenn es nunmehr die Frage nach Notwendigkeit, Inhalt und Ausgestaltung einer Reform des deutschen Tumultschädenrechts zu beantworten gilt.

biles Peugeot, Recueil Lebon 1985, S.405 = AJDA 1985, n° 112 (S.509), observations Moreau = Dr. soc. 1985, S.545; Conseil d'Etat, 6.4.1990,2 Avis, Soc. COFIROUTE et S.N.C.F., Recueil Lebon 1990, S. 95 = RDP 1990, S. 1145 = Dalloz 1991, sommaires commentés, S. 235 = LPA 1er août 1990, n°92, S. 15, note Prelot = RFDA 1991, S.562, note Letteron; Cour administrative d'appel de Paris, 6.6.1991, S.N.C.F., LPA 17 juillet 1991, n°85, S.3; Tribunal administratif de Strasbourg, 30.7.1993, Ets. Leclerc et Cie. d'assurances Albingia, LPA 14 janvier 1994, n°6, S. 17. 279 Vgl. hierzu die Rechtsprechungsberichte von Küppers, PrVerwBl. Band 43 (1922), Heft 27, S.315 und Heft 28, S. 332; ders., PrVerwBl. Band 45 (1923), Heft 5, S.38; Schaelicke, JW 1922, S. 1695; K. Schreiner, JW 1922, S.673; Waschow, JW 1925, S. 1263. Vgl. außerdem die im Wortlaut abgedruckten Entscheidungen RWG, DWZ 1921, S.305; RWG, JW 1924, S. 336 und S. 572 (573); RVG, JW 1925, S. 1554. 280 Die - soweit ersichtlich - einzige Entscheidung ist diejenige des VG Berlin vom 10. November 1982, Az. 1 A 56/82 (nicht veröffentlicht). 281 Vgl. dazu näher J. Linck, DÖV 1971, S.626ff.

3. Kapitel

Staatshaftung für Tumultschäden de lege ferenda Auszugehen ist nach der entwicklungsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Betrachtung der Tumultschädengesetzgebung von zwei Grundmodellen, die dem deutschen Gesetzgeber bei einer Neuregelung der staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden mit dem Ziel, dem Geschädigten eine realistische Aussicht auf Entschädigung zu verschaffen, a priori zur Verfügung stehen. Er kann einerseits die Konzeption des Reichstumultschädengesetzes fortführen und die Einstandspflicht des Staates auch nach Neufassung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen weiterhin als besondere Sozialleistung ansehen, die - anders als die klassischen, ausschließlich final orientierten Sozialleistungen - nicht zur Befriedigung eines allgemeinen sozialen Bedarfs gewährt wird, sondern nur die durch eine bestimmte Schadensursache (causa) bewirkten Nachteile ausgleichen will 1 , die sich die Allgemeinheit aufgrund ihrer gesteigerten Verantwortung für die Umstände ihrer Entstehung zurechnet2. Im Unterschied zu einem staatshaftungsrechtlichen Schadenersatzanspruch läge es nicht in der Intention einer so verstandenen Tumultentschädigung, den Geschädigten durch Wiederherstellung des Status quo ante so zu stellen, wie er stünde, wenn der zum Schadenersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre 3. Vielmehr soll die Allgemeinheit für die aus einer bestimmten Situation erwachsenen Schadensfolgen nur eintreten, soweit sie den Betroffenen bei der Wahrung seiner sozialen Existenz unverhältnismäßig belasten4. Das Bestreben einer als besondere Sozialleistung begriffenen Tumultentschädigung wäre es daher nicht, den entstandenen Schaden vollständig auszugleichen, sondern lediglich, dem Tumultopfer nach dem erlittenen Schaden Hilfe für einen neuen Anfang zu geben, um seine soziale Existenz für die Zukunft zu sichern5. Ihr Verankerung fände eine solche an der Bedarfssituation der Geschädigten ausgerichtete Entschädigungsleistung trotz ihrer Begrenzung auf die durch ein bestimmtes Schadensereignis - die Tumulte - hervorgerufene Notlage vorrangig im Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 Satz 1 GG) 6 . Systematisch wäre sie dem sozialen Entschädi1

K. Hauck, in: ders., SGB I, K § 5, Rn. 5. Vgl. F.E. Schnapp, in: Wertenbruch, Bochumer Kommentar zum SGB-AT, §5, Rn. 10. 3 Vgl. W. Rüfner, 49. DJT, S.E30. 4 Vgl. C.J. Schulte, ZSR 1974, S.588 (596). 5 Vgl. W. Rüfner, 49. DJT, S.E30; C.J. Schulte, ZSR 1974, S.588 (592). 6 Vgl. H. Bley, ZSR 1974, S. 193 (208, 224f.); K. Hauck, in: ders., SGB I, K § 5, Rn. 5; H. Rohwer-Kahlmann, ZSR 1974, S. 139 (156); C.J. Schulte, ZSR 1974, S.588 (597). 2

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

gungsrecht im Sinne des § 5 SGB AT als der dritten Säule des Rechts der sozialen Sicherung neben der Sozialversicherung und der Sozialhilfe 7 zuzuordnen8. Andererseits besteht die Möglichkeit, die staatliche Einstandspflicht entsprechend dem der französischen Tumultschädengesetzgebung seit 1914 zugrundeliegenden Konzept als einen Fall verschuldensunabhängiger Staatshaftung zu begreifen, die den Staat unabhängig von einer Bedarfssituation auf Seiten des Geschädigten in garantieähnlicher Weise allein deshalb trifft, weil er als Inhaber des Gewaltmonopols und Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung versagt hat. Bei einem derartigen Verständnis stünde jedem Tumultopfer ein von jeglichem fürsorgerechtlichen Einschlag freier Ersatzanspruch zu, der ohne Ansehen seiner Person sowie seiner finanziellen und sozialen Verhältnisse allein nach dem objektiv entstandenen Schaden zu bemessen wäre. Ihre Legitimation fände eine solche als reine Erfolgshaftung begriffene staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG 9 . Zudem stünde sie in der Tradition der Tumultschädengesetze, die sich Preußen und andere deutsche Staaten in Anlehnung an das französische Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV nach der Revolution von 1848 gegeben hatten. Denn auch wenn die Haftung seinerzeit noch im Rechtsinstitut der genossenschaftlichen Gesamthaftung wurzelte und nicht den Staat, sondern die Gemeinde bzw. die Gesamtheit ihrer Angehörigen traf, handelte es sich bereits um eine Garantiehaftung desjenigen Verbandes, der in seiner Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, versagt hatte. Die Haftung kam jedem Geschädigten unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen zugute und umfaßte den gesamten Schaden einschließlich des entgangenen Gewinns10. An der Schwierigkeit, die Tumultschädenhaftung des Staates dem Staatshaftungsrecht oder dem Recht der sozialen Entschädigung zuzuordnen, ist der bislang einzige erfolgversprechende Anlauf zu einer Reform des Tumultschädenrechts11 gescheitert. 7 Vgl. zu dieser überkommenen Trias der Grundformen sozialer Sicherung im deutschen Sozialverwaltungsrecht etwa W. Burdenski, in: ders./von Maydell/Schellhorn, SGB-AT, § 5, Rn. 1; F. E. Schnapp, in: Wertenbruch, Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 5, Rn. 1. Die von H. Zacher, DÖV 1970, S.3 (6 mit Fn.41) und DÖV 1972, S.461 (462), vorgeschlagene Klassifizierung in Vorsorge-, Entschädigungs- und Ausgleichssysteme entspricht im Kern weitgehend der traditionellen Dreiteilung. 8 Für eine solche Zuordnung plädieren namentlich//. Bley, ZSR 1974, S. 193 (224); H. Bogs, ZSR 1975, S.593; H. Rohwer-Kahlmann, ZSR 1974, S. 139 (157); auch/. Müller-Volbehr, ZRP 1982, S. 270 (271, 275); B. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 285; H.-J. Vogel, Die Verwirklichung der Rechtsstaatsidee im Staatshaftungsrecht, S. 32. 9 Für ein solches Verständnis insbesondere B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn.52; A. Dimski, VersR 1999, S.804 (812); K. Gerathewohl/F. Nierhaus, ZfV 1980, S.535 (540); H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (125); F. Ossenbühl, JuS 1978, S.720 (722); ders., Staatshaftungsrecht, S. 376 und 451; wohl auch R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S. 209ff. (insbes. S.221). 10 Siehe im einzelnen oben S.94f. 11 Gesetzesinitiativen der parlamentarischen Opposition in Nordrhein-Westfalen (Tumultschädengesetzentwurf der CDU-Fraktion, LT-Drs. NW, 6. Wahlperiode, Band 6, Nr. 920; vgl.

3. Kap.:Staatshaftung de lege ferenda Der Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes aus dem Jahre 1978 hatte neben der Kodifizierung der Staatsunrechtshaftung, die seinen eigentlichen Regelungsgegenstand bildete, in Übernahme eines entsprechenden Vorschlags der Staatshaftungsrechtskommission 12 auch eine Neuregelung des Tumultschädenrechts vorgesehen 1 3 und dies mit der „Nähe der Tumultschädenhaftung zur Pflichtwidrigkeitshaftung des Staates" gerechtfertigt 14 . Allerdings war die Tumultschädenhaftung nicht als rechtsstaatliche Garantiehaftung des Staates wegen seines Versagens als Garant der Sicherheit und Ordnung ausgestaltet worden, sondern beinhaltete mit der Bemessung der Entschädigung von Personenschäden am Bundes Versorgungsgesetz 15 sowie der Begrenzung des Ersatzes von Sachschäden oberhalb einer Schwelle von 20.000 D M auf solche Schäden, die selbst zu tragen dem Geschädigten mit Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann 1 6 , eine Anzahl von Elementen, die sich als Ausfluß des Sozialstaatsprinzips darstellten 17 . Dies machte es dem Bundesrat leicht, unter Hinweis auf den „sozialstaatlichen Charakter der Tumultschädenregelung" gesetzessystematische Bedenken gegen ihre Verankerung i m in diesem Zusammenhang auch die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Frey [CDU] betr. Schadensersatzanspruch für bei Demonstrationen auftretende Personen- und Sachschäden, LT-Drs. NW, 6. Wahlperiode, Band 5, Nr. 827) und Baden-Württemberg (Tumultschädengesetzentwurf der NPD-Fraktion, LT-Drs. BW V/3800) waren demgegenüber von vornherein zum Scheitern verurteilt. 12 Die Staatshaftungsrechtskommission war im Januar 1970 vom Bundesinnen- und vom Bundesjustizminister eingesetzt worden und hatte im Oktober 1973 ihren Arbeitsbericht vorgelegt (Kommissionsbericht „Reform des Staatshaftungsrechts"). Der von ihr vorgeschlagene Entwurf eines Staatshaftungsgesetzes sah in den §§ 19 bis 25 auch eine Neuregelung des Tumultschädenrechts vor (Reform des Staatshaftungsrechts, S.20ff.). Zur Begründung verwies die Kommission auf den „engen Sachzusammenhang" mit der Staatsunrechtshaftung und betonte, daß die Haftung des Staates für die Folgen von ihm nicht verhüteter Tumulte „keine sozialstaatliche Hilfsmaßnahme" darstelle, da er - auch wenn ihm kein Fehlverhalten zur Last zu legen sei - „jedenfalls als Garant für Sicherheit und Ordnung, also in seiner Funktion als Rechtsstaat versagt" habe (Reform des Staatshaftungsrechts, S.64). Gleichwohl sollte es sich bei der Tumultschädenhaftung nach dem Entwurf der Kommission lediglich um eine Billigkeitshaftung handeln. Gesundheitsschäden sollten demgemäß nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes und sonstige Schäden nur insoweit entschädigt werden, „als die wirtschaftliche Existenz des Verletzten gefährdet ist oder es ihm aus sonstigen Gründen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selbst zu tragen." (§ 20 Abs. 1 und 2 KE-StHG). 13 Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes, BT-Drs. 8/2079, §§ 18-25. 14 BT-Drs. 8/2080, S. 9 (Zu Nummer 3). 15 § 19 Abs. 1 RE-StHG. Vgl. dazu folgende Passage aus der Begründung dieser Vorschrift: „Die Tumultschädenhaftung unterliegt nach Art und Umfang nicht den Regeln der Unrechtshaftung. Ihre Aufgabe besteht bei Personenschäden vorrangig darin, dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen seitens des Staates Hilfeleistungen mit dem Ziel zu gewähren, ein gesichertes Leben führen zu können. Dieses Ziel läßt sich am besten mit dem ausgebauten Leistungssystem des Bundesversorgungsgesetzes erreichen." (Hervorhebung von mir) (BTDrs. 8/2079, S.62). 16 § 19 Abs. 2 Satz 2 RE-StHG. 17 So ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 8/2079, S. 28, sub. 3.9): „Die Billigkeitsentschädigung im zuletzt bezeichneten Vermögensschädenbereich und der Ausgleich von Personenschäden ist Ausfluß des Sozialstaatsprinzips."

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

Staatshaftungsgesetz vorzubringen und die Neuschaffung einer Bundesgesetzgebungskompetenz für das Tumultschädenrecht abzulehnen18. Noch vor der Verabschiedung des - später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten 19 - Gesetzes im Bundestag wurden deshalb die Vorschriften über die Tumultschädenhaftung auf Vorschlag des Rechtsausschusses20 aus dem Entwurf gestrichen 21. Eine gesetzgeberische Neuordnung der Tumultschädenhaftung ist seither nicht wieder in Angriff genommen worden, obgleich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG seit der Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1994 nunmehr eine konkurrierende Bundeskompetenz zur Regelung der Staatshaftung zur Verfügung steht, die - worauf im einzelnen noch zurückzukommen sein wird 22 - unabhängig von seiner Verortung im Rechtsoder im Sozialstaatsprinzip auch das Tumultschädenrecht einschließt. Spielt die gesetzgeberische Entscheidung für eines der beiden Grundmodelle mithin in kompetenzieller Hinsicht heute keine Rolle mehr, so kommt ihr jedoch nach wie vor Bedeutung im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung der Haftung zu. Von der Verortung der staatlichen Einstandspflicht im Rechts- oder im Sozialstaatsprinzip hängt es maßgeblich ab, in welchem Umfang der Staat zur Entschädigung von Tumultschäden verpflichtet ist bzw. verpflichtet werden kann: Trifft ihn eine gleichmäßige Leistungspflicht gegenüber allen Geschädigten oder nur gegenüber denjenigen, die durch die Tumultschäden in eine wirtschaftliche und soziale Notlage geraten sind? Kann die Entschädigung auf Personenschäden beschränkt werden oder muß sie sich auch auf Sachschäden erstrecken? Läßt sich die Entschädigungsleistung summenmäßig begrenzen oder umfaßt sie den vollen Schaden? Vorrangig stellt sich jedoch darüber hinaus die Frage, ob die rechtssystematische Einordnung der Haftung nicht nur Einfluß auf die Ausgestaltungs-, sondern auch bereits auf die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers hat. Ist er in seiner Entscheidung, ob er eine Neuregelung des Tumultschädenrechts in Angriff nimmt, frei oder ist er zur Durchführung einer Reform mit dem Ziel, dem Geschädigten einen realisierbaren Entschädigungsanspruch zu verschaffen, von Verfassungs wegen verpflichtet? Hängt es von der Wahl des haftungstheoretischen Konzepts ab, ob sich die Neuregelung des Tumultschädenrechts als eine lediglich rechtspolitische Aufgabe oder aber als eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers darstellt? Ist es allein dem politischen Willen des Gesetzgebers überlassen, ob er das Tumultschädenrisiko übernimmt, oder ist eine Verlagerung des Tumultschädenrisikos vom einzelnen auf die Allgemeinheit verfassungsrechtlich geboten?

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Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes, BT-Drs.8/2079, S.90f. (sub. 19.). 19 BVerfGE 61, 149. 20 BT-Drs. 8/4026, S. 12ff.; BT-Drs. 8/4144, S. 12ff. und 37. 21 E Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.452. 22 Vgl. unten S. 161.

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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A. Die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung des Tumultschädenrechts Gemeinsam ist beiden Haftungsmodellen die Anknüpfung an eine bestimmte Situation der Schadensentstehung. Auch eine als soziale Entschädigung verstandene Einstandspflicht will nur solche Personen unterstützen, die sich gerade infolge der bei Tumulten erlittenen Schäden in einer wirtschaftlichen Notlage befinden. Durch diesen Bezug auf eine bestimmte Ursache (causa), die die wirtschaftliche Notlage hervorgerufen hat, unterscheidet sie sich von den allgemeinen, ausschließlich final ausgerichteten Sozialleistungen. Der Staat will im Wege der sozialen Entschädigung nicht einen allgemeinen sozialen Bedarf befriedigen, sondern nur für solche Risiken eintreten, für die die Allgemeinheit eine gesteigerte Verantwortung gegenüber dem Geschädigten trifft 23 . Zu dem unmittelbar schadensverursachenden Verhalten der Tumultuanten muß deshalb ein Anknüpfungspunkt in der Sphäre des Staates hinzutreten, der es erlaubt, ihm das Tumultschädenrisiko zuzurechnen. Nicht nur bei rechtsstaatlicher Fundierung der Tumultschädenhaftung, sondern auch bei ihrer vorrangigen Verortung im Sozialstaatsprinzip bedarf es daher letztlich eines Zurechnungskriteriums, das die Übernahme auch und gerade des Tumultschädenrisikos durch die Allgemeinheit rechtfertigt 24. Ob der Staat zur eine Übernahme des Tumultschädenrisikos - sei es in Form einer besonderen Sozialleistung, sei es in Form einer reinen Erfolgshaftung - nicht nur berechtigt, sondern möglicherweise sogar verpflichtet ist, hängt mithin von der Bestimmung dieses Zurechnungskriteriums ab.

I. Die Besonderheiten der Entstehung von Tumultschäden Tumultschäden zeichnen sich - im Unterschied zu sonstigen Kriminalitätsschäden - durch die kollektive Schadenszufügung aus. Der Geschädigte sieht sich weniger dem einzelnen Täter als vielmehr einer anonymen gewalttätigen Menschenmenge gegenüber, in der der einzelne seine Individualität verliert. Er kann der einzelnen Täter daher in aller Regel nicht habhaft werden und sie nicht im Wege deliktischer Schadenersatzansprüche zur Rechenschaft ziehen. Zugleich erhöht diese aus der Anonymität gewonnene zivilrechtliche „Immunität" die Gewaltbereitschaft der einzelnen Teilnehmer, die sich um so eher zu weiteren Gewalttaten hinreißen lassen, je weniger sie befürchten müssen, für die Folgen ihrer Taten haftbar gemacht zu wer23

Vgl. W. Burdenski, in: ders./von Maydell/Schellhom, SGB-AT, §5, Rn. 1. Vgl. H. Bley, ZSR 1974, S. 193 (207); //. Bogs, ZSR 1975, S.593 (595 f.); ders., FS Sieg, S. 67 (72 f.); K. Hauck, in: ders., SGB I, K § 5, Rn. 5; W. Rüfner, 49. DJT, S. E41 ff.; F. E. Schnapp, in: Wertenbruch, Bochumer Kommentar zum SGB-AT, § 5, Rn. 10. Vgl. außerdem den Wortlaut des § 5 SGB I: „Wer einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht, hat ein Recht auf..." (Hervorhebung von mir). 24

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

den. Diese für kollektives Handeln charakteristische Gefahr einer Eskalation der Gewalt begründet und rechtfertigt zugleich die Ausschlußklauseln in den jeweils einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die namentlich Tumultschäden vom Versicherungsschutz ausnehmen. Dieser Befund, daß er aufgrund der Besonderheiten tumultuarischer Situationen seinen Schaden ohne staatliche Hilfe im Regelfall selbst tragen müßte, mag aus Sicht des Geschädigten bereits genügen, um das Bedürfnis nach einem Eintreten des stets solventen Staates zu begründen. Aus rechtlicher Perspektive bedarf es jedoch weiterer Gründe und Argumentationsschritte, um eine Verlagerung des Tumultschädenrisikos vom einzelnen Opfer auf den Staat und damit die Allgemeinheit zu legitimieren. Ungeeignet ist insoweit der Gedanke einer durch hoheitliches Handeln veranlaßten Aufopferung des Tumultgeschädigten für die Allgemeinheit, da es sowohl an der hoheitlichen Auferlegung des Opfers wie an seinem Allgemeinwohlbezug fehlt 25 . Auf ein Fehlverhalten der staatlichen Polizeikräfte werden Tumultschäden regelmäßig ebenfalls nicht zurückzuführen sein. Sie entstehen typischerweise aus den Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns, indem die Gewaltbereitschaft einzelner innerhalb kurzer Zeit auf weitere Teile des Kollektivs übergreift, und entziehen sich deshalb einer sicheren Vorhersage. Ob, wo und an welcher Stelle es im Rahmen einer ursprünglich friedlichen Massendemonstration zu tumultuarischen Auseinandersetzungen kommt, ist für die zuständigen Gefahrenabwehrbehörden kaum voraussehbar. Auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Polizeikräfte wird es dem Staat daher - ohne daß ihm dies als Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen wäre - im Regelfall schlicht nicht möglich sein, rechtzeitig einzugreifen und den Eintritt von Tumultschäden zu verhindern. Den einzigen möglichen Anknüpfungspunkt für eine Verlagerung des Tumultschädenrisikos auf die Allgemeinheit bildet deshalb die Grundaufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und ihre Rechtsgüter Leben, Freiheit, Gesundheit und Eigentum vor Beeinträchtigungen Dritter zu schützen. Erleidet ein Bürger durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit einen Tumultschaden, so hat der Staat - unabhängig davon, ob ihm insoweit ein Fehlverhalten zur Last zu legen ist - diese Aufgabe im Ergebnis nicht erfüllt. Sowohl die Befürworter einer rechtsstaatlich legitimierten Garantiehaftung 26 als auch die Verfechter einer sozialen Entschädigung27 erblicken demgemäß in dem Versagen der staatlichen Ordnungskräfte diejenige Anknüpfungstatsache (causa), die eine 25

Vgl. näher oben S. 72ff. Vgl. B. Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 52; K. GerathewohllF. Nierhaus, ZfV 1980, S.535 (540); H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (124); F. Ossenbühl, JuS 1978, S.720 (722); ders., Staatshaftungsrecht, S.451; auch R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S.215 und 221. 27 Vgl. H. Bley, ZSR 1974, S. 193 (208,226); ders., Sgb. 1974, S.45 (54,56); H. Hommel, in: Peters, SGB-AT, § 5, Anm. 6; J. Müller-Volbehr, ZRP 1982, S. 270 (275). 26

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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gesteigerte Verantwortung der Allgemeinheit begründet und eine Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden rechtfertigt.

II. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung 1. Die Gewährleistung von Sicherheit als konstituierende Grundaufgabe des (modernen) Staates Die Aufrechterhaltung des inneren Friedens und die Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürger gehören zu den konstituierenden Grundaufgaben des neuzeitlichen Staates, der als institutionalisierte und souveräne Entscheidungs- und Handlungseinheit aus den Bürger- und Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts hervorgegangen ist 28 . Er bezieht aus dieser Schutzaufgabe bis heute die staatstheoretische Legitimation seiner Existenz29 und verfügt zum Zwecke ihrer Erfüllung über das Monopol der Gewaltanwendung. Hatte Hobbes dieses Legitimationsprinzip noch für den absoluten Staat des 17. Jahrhunderts entworfen, so hat es jedoch auch in den unter dem Einfluß der Philosophie der Aufklärung gewandelten Staatsstrukturen unverändert seine Gültigkeit behalten30 und ist desgleichen im sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht überflüssig oder entbehrlich geworden. Gerade der Rechtsstaat bewährt sich darin, die Unversehrtheit der Rechtsgüter des einzelnen im Leben der Gesellschaft zu gewährleisten und das Gebot des neminem laedere durchzusetzen31. Zwar schreibt der Text des Grundgesetzes - anders als etwa die 28

Hierzu und zum folgenden ausführlich/. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S.3ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S.27ff. 29 Vgl. BVerwGE 49, 202 (209) und BVerfGE 49, 24 (56 f.): „Die Sicherheit des Staates als verfaßter Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet." (Hervorhebung von mir). 30 So stehen etwa am Anfang des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, das unter dem maßgeblichen Einfluß des Aufklärers Carl Gottlieb Svarez geschaffen worden ist, folgende grundlegende Bestimmungen (zitiert nach J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S.9; vgl. auch G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S.91 ff.): § 1: „Der Staat ist für die Sicherheit seiner Unterthanen, in Ansehung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Rechte, und ihres Vermögens zu sorgen verpflichtet." § 2 II 17: „Dem Staate kommt es also zu, zur Handhabung der Gerechtigkeit, zur Vorsorge für diejenigen, welche sich selbst nicht vorstehen können, und zur Verhütung sowohl, als Bestrafung der Verbrechen, die nöthigen Anstalten zu treffen." In ähnlicher Weise findet sich in den Verfassungen der amerikanischen Staaten des 18. Jahrhunderts sowie in den Verfassungen der französischen Revolution die Sicherheit als Pflicht des Staates bzw. Recht des Bürgers ausdrücklich festgeschrieben. Vgl. J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S.12ff. 31 /. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 83.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 178932 oder die französische Revolutionsverfassung vom 24. Juni 179333 - die Gewährleistung von Sicherheit als Verpflichtung des Staates und Recht des Bürgers nicht explizit fest 34. Jedoch kommt der Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürger auch ohne ausdrückliche Verankerung verfassungsrechtlicher Rang zu, weil die Institution Staat bis heute aus ihr die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet 35. Auch im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes gehört daher die Gewährleistung von Sicherheit zu den seiner Existenz vorausliegenden grundlegenden Aufgaben und Pflichten des Staates. Sie bildet die Vorbedingung für die Entfaltung seiner Bürger in grundrechtlicher Freiheit und Gleichheit36. 2. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten Darüber hinaus findet die Pflicht des Staates, Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger zu schützen, ihre verfassungsrechtliche Verankerung in den Grundrechten selbst. Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals im Urteil zur Fristenlösung 37 aus den Grundrechten als „objektiver Wertordnung" die Pflicht des Staates abgeleitet, sich „schützend und fördernd" vor das Leben zu stellen und es „vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren" 38. In späteren Entscheidungen hat es diese Schutzpflicht-Dogmatik weiter entfaltet und auch auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zur Anwendung gebracht 39. Wenngleich sich Entscheidungen zu anderen Freiheitsgrundrechten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang nicht finden, beansprucht die Schutzpflicht des Staates darüber hinaus 32 Art. 2 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte lautet: „Le but de toute association politique est la conservation des droit naturels et imprescriptibles de l'homme; ces droits sonst la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l'oppression." (Hervorhebung von mir). 33 Art. 1 und 2 des dem eigentlichen Verfassungstext vorangestellten Grundrechtskataloges lauteten: „Le gouvernement est institué pour garantir à l'homme la jouissance de ses droits naturels et imprescriptibles. - Ces droits sont l'égalité, la liberté, la sûreté , la propriété." (Hervorhebung von mir). Zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung in Frankreich während und nach der Revolution ausführlich G. Robbers, Menschenrecht auf Sicherheit, S.64ff. 34 Vgl. V. Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, § 79, Rn. 9; J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 83. 35 Vgl. BVerwGE 49, 202 (209) und BVerfGE 49, 24 (56 f.). 36 J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 83. 37 BVerfGE 39, 1. 38 BVerfGE 39, 1 (42). 39 Vgl. BVerfGE 46, 160 (164f.) - Schleyer; 49, 89 (141 f.) - Kalkar; 53, 30 (57 f.) - Mülheim-Kärlich; 56, 54 (73) - Fluglärm; 77, 170 (214) - C-Waffen-Lagerung; 77, 381 (402 f.) - Gorleben; 79, 174 (201 f.) - Verkehrslärm; 88, 203 (251 ff.) - Schwangerschaftsabbruch II.

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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als allgemeine Grundrechtsfunktion letztlich Geltung für alle Freiheitsgrundrechte, namentlich auch für das Eigentumsgrundrecht 40. Die Wirkung der Freiheitsgrundrechte erschöpft sich damit nicht in ihrer abwehrrechtlichen Funktion, dem einzelnen einen von staatlicher Ingerenz freien Schutzbereich zu gewährleisten und seine Rechtsgüter vor rechtswidrigen Eingriffen seitens des Staates zu bewahren. In ihrer objektiv-rechtlichen Dimension verpflichten die Grundrechte den Staat vielmehr zugleich, die Rechtsgüter seiner Bürger vor Übergriffen Dritter zu schützen. Sie setzen mithin dem Handeln des Staates nicht nur in negativer Hinsicht eine Grenze, die ihn verpflichtet, selbst verletzende Eingriffe in die geschützten Rechtspositionen zu unterlassen, sondern geben dem Staat den Schutz der Rechtsgüter jedes einzelnen vor Beeinträchtigungen durch seine Mitbürger als positive Verpflichtung auf 41 . Auf diese Weise bieten die Grundrechte nicht nur Schutz gegen grundrechtsbeeinträchtigendes staatliches Tun, sondern auch gegen solche Gefahren, die den geschützten Rechtsgütern aus einem Unterlassen des Staates erwachsen42. Dem einzelnen steht ein subjektives Recht auf Schutz zu, das der objektiven Schutzverpflichtung des Staates korrespondiert und im Falle der Nichterfüllung dieser Schutzpflicht durch den Staat einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung - etwa in Gestalt eines Amtshaftungsanspruchs wegen unterlassenen polizeilichen Einschreitens - nach sich ziehen kann43.

3. Die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht durch Gesetzgebung und Verwaltung Im Unterschied zur abwehrrechtlich-negatorischen Funktion ist die schutzpflichtbegründende Funktion der Grundrechte zu ihrer Verwirklichung und Entfaltung jedoch auf das Gesetz angewiesen44. Aus der Verfassung selbst ergibt sich lediglich, daß der Staat zur Gewährleistung des Schutzes der Grundrechtsgüter seiner Bürger vor Eingriffen Dritter verpflichtet ist. Nicht vorgegeben ist dem Staat hingegen, welche Vorkehrungen er zu treffen und welche Mittel er einzusetzen hat, um seiner Schutzpflicht zu genügen. Wie er seine Verpflichtung im einzelnen erfüllt, ist vielmehr seinem Gestaltungsermessen überlassen45, dem von Verfassungs wegen ledig40 Vgl. nur J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 86; V. Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, §79, Rn. 10. 41 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350. 42 Vgl. J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 1. 43 Vgl. J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des StaatsrechtsV, § 111, Rn. 184; K. Stern, Staatsrecht I, S.743. 44 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350; J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 151 f. 45 Vgl. BVerfGE 46, 160 (164f.) - Schleyer; 77, 170 (214f.) - C-Waffen-Lagerung.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

lieh ein Untermaßverbot aufgerichtet ist 46 . Nur im Ausnahmefall kann sich daher das Gestaltungsermessen auf eine bestimmte geforderte Schutzmaßnahme reduzieren 47 , während grundsätzlich verschiedene Modalitäten einer verfassungskonformen Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht denkbar sind 48 . Gefordert ist insoweit in erster Linie der Gesetzgeber, denn die Erfüllung der Schutzpflicht wird regelmäßig einen Eingriff in den grundrechtlich geschützten Rechtskreis des Störers oder eines unbeteiligten Dritten mit sich bringen. Entsprechende Eingriffstitel, die sich als Verwirklichung der Schutzpflicht des Staates darstellen, muß jedoch aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit der Gesetzgeber bereitstellen. Er ist dazu berufen, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Grundrechtspositionen des Störers einerseits und des Opfers andererseits herbeiführen 49. Als Instrument des Grundrechtsschutzes erweisen sich dabei insbesondere die gesetzlichen Regelungen des Polizei- und Ordnungsrechts 50. Sie gestatten es den zuständigen Behörden, bereits im Falle einer Gefährdung der zu schützenden Rechtsgüter präventiv gegen den Störer vorzugehen und auf diese Weise den Eintritt eines Schadens zu verhindern. Daß es hierbei im Ermessen der Verwaltungsbehörden liegt, ob und wie sie von den ihnen eingeräumten präventiv-polizeilichen Eingriffsbefugnissen Gebrauch machen, steht mit dem grundrechtlichen Schutzauftrag des Staates im Einklang, denn auf diese Weise wird eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen auch bei der Anwendung der Gesetze im Einzelfall ermöglicht und garantiert. Allerdings kann sich das polizeiliche Entschließungsermessen ausnahmsweise auf Null reduzieren, wenn höchstrangige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit oder bedeutende Vermögenspositionen bedroht sind und der Staat dieser Bedrohung begegnen kann, ohne dabei Rechtsgüter gleichen Ranges zu gefährden. In diesem Fall erfüllt der Staat seine Schutzpflicht nur dann, wenn er von seinen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch macht und gegen die Störer vorgeht 51. Nach Abwägung der durch den Störer bedrohten und vom Staat zu schützenden Rechtsgütern einerseits und den bei einem Eingreifen gefährdeten Rechtsgüter an46

Vgl. BVerfGE 88, 203 (254) - Schwangerschaftsabbruch II; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350; J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 162 ff. 47 Vgl. etwa BVerfGE 39, 1. 48 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350; J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 152; K. Stern, Staatsrecht I, S.737f. 49 Vgl. J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 5; zur Bedeutung des Gesetzesvorbehalts im Atomrecht BVerfGE 49, 89 (126f.) - Kalkar; 77, 381 (402)-Gorleben. 50 Vgl. V. Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, §79, Rn. 14; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S.52f.; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 157; G. Robbers, Menschenrecht auf Sicherheit, S.228ff. 51 Vgl. K.-E. Hain/V. Schlette/Th. Schmitz, AöR 122 (1997), S.32 (50).

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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dererseits stellt sich in diesem Fall allein die Entscheidung zum Einschreiten als rechtmäßig dar. Der Anspruch des einzelnen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung wandelt sich unter dem Einfluß der staatlichen Schutzpflicht in einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten um. Daneben kommt der Staat seiner gesetzgeberischen Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger vor Übergriffen Dritter nach, indem er eingetretene Rechtsgutsverletzungen mit den repressiven Mitteln des Strafrechts 52 sowie mit deliktischen Schadenersatzansprüchen53 sanktioniert.

I I I . Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tumultschädenrisikos als Folge der Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht im Falle von Tumultschäden 1. Die Unzulänglichkeit der gesetzlichen Schutzvorkehrungen im Falle von Tumultschäden Im Falle von Tumultschäden erweisen sich diese in Konkretisierung der Schutzpflicht getroffenen Regelungen indessen allesamt als unzulänglich und wertlos. Die repressiven Sanktionen des Strafrechts und des zivilen Deliktsrechts versagen, weil sich die Schädiger in der für Tumulte charakteristischen Situation kollektiver Gewaltanwendung, in der die einzelne Tat und ihr Täter vor dem Hintergrund weiterer Gewalttaten ihre Individualität verlieren, nicht ermitteln und identifizieren lassen. Die präventiv-polizeilichen Eingriffsbefugnisse erweisen sich gleichfalls als ungenügend. Zwar wird aufgrund der Wertigkeit der im Falle tumultuarischer Unruhen bedrohten Rechtsgüter sowie des Ausmaßes und der Intensität der von einer versammelten Menschenmenge ausgehenden Gefahr regelmäßig eine Situation vorliegen, in der das polizeiliche Entschließungsermessen auf Null reduziert und allein die Entscheidung zum polizeilichen Einschreiten rechtmäßig ist 54 . Jedoch befinden sich die Polizeikräfte in tumultuarischen Situationen typischerweise in einem Zustand tatsächlicher Unmöglichkeit, in dem sie sich außerstande sehen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einer Eskalation der Gewalt im Verlauf einer Demonstration Einhalt zu gebieten und die Entstehung von Tumultschäden durch rechtzeitiges Eingreifen zu verhindern. Ob, zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle es im Verlauf einer Massendemonstration zum Ausbruch von Gewalttätigkeiten kommt, ist für die Gefahrenabwehrbehörde aufgrund der unkalkulierbaren Eigenge52

Vgl. V. Götz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, §79, Rn. 12. Vgl. BVerfGE 49, 304 (319); J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 157. 54 Vgl. näher oben S. 62 ff. 53

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

setzlichkeiten kollektiven Handelns kaum vorhersehbar. Die nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte werden deshalb häufig nicht zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zur Verfügung stehen, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Diese aus den tatsächlichen Umständen resultierende Unmöglichkeit der Polizei, von den rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, verhindert getreu der überkommenen Rechtsmaxime „nemo ultra posse tenetur", daß aus dem tatbestandlichen Vorliegen einer ermessensreduzierenden Fallkonstellation eine vom einzelnen im Wege des gerichtlichen Primärrechtsschutzes durchsetzbare Pflicht der Polizei zum Einschreiten erwächst und daß die Nichterfüllung dieser Pflicht auf Sekundärebene Amtshaftungsansprüche wegen pflichtwidrigen Unterlassens nach sich zieht55.

2. Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tumultschädenrisikos Gerade in einer Situation, in der die öffentliche Sicherheit durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge in erheblichem Maße gestört und der Staat in seiner Funktion als Garant der Sicherheit und Ordnung in besonderer Weise gefordert ist, ist er damit nicht in der Lage, seine grundrechtlich gebotene Schutzpflicht zu erfüllen und die Rechtsgüter des einzelnen, der sich einer gewalttätigen anonymen Menschenmenge gegenüber sieht, vor Übergriffen zu bewahren. Der subjektive Schutzanspruch des einzelnen ist trotz des tatbestandlichen Vorliegens einer ermessensreduzierenden Fallkonstellation, in der an sich nur noch die Entscheidung zum polizeilichen Einschreiten rechtmäßig ist, infolge der durch die tatsächlichen Umstände bedingten Unfähigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Schutzpflicht weder auf der Primärebene des Polizei- und Ordnungsrechts durchsetzbar, noch läßt er sich auf der Sekundärebene mit Hilfe der allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstitute liquidieren. Bei dieser Sach- und Rechtslage, in der sämtliche in Konkretisierung der Schutzpflicht getroffenen Regelungen ins Leere gehen, kann deshalb nicht davon gesprochen werden, daß der Staat seine Schutzpflicht im Falle von Tumultschäden in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise erfüllt hat 56 . Aus verfassungsrechtlichen Gründen erscheint es daher erforderlich, daß der Gesetzgeber als Kompensation für die Vorenthaltung des grundrechtlich gebotenen 55

Siehe oben S. 64 f. Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erfüllung der Schutzpflicht BVerfGE 77, 170 (215) - C-Waffen-Lagerung (Nichterfüllung der Schutzpflicht durch den Staat im Falle gänzlich ungeeigneter oder völlig unzulänglicher Vorkehrungen); 88, 203 (254, 261 ff.) - Schwangerschaftsabbruch II (Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung eines angemessenen und wirksamen Schutzes). 56

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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Schutzes eine Verhaltens- und verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden vorsieht 57. Es kann nicht hingenommen werden, daß der Geschädigte einen Schaden, den zu verhindern eine Grundaufgabe und grundrechtlich gebotene Verpflichtung des Staates gewesen wäre, gerade deshalb zu tragen hat, weil der Staat zur Erfüllung dieser Verpflichtung tatsächlich nicht in der Lage war. Vielmehr gebietet es das Rechtsstaatsprinzip, daß der Staat, dem die Nichtverhinderung von Tumulten nur deshalb nicht als Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen ist, weil sich die zuständigen Gefahrenabwehrbehörden insoweit in einer Situation tatsächlicher Unmöglichkeit befanden, i m Wege einer Verhaltens- und verschuldensunabhängi-

gen Quasi-Unrechtshaftung für Tumultschäden einsteht. Der dem einzelnen Bürger in der Gestalt eines Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten zustehende grundrechtliche Schutzanspruch, der wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit seiner Erfüllung nicht realisierbar ist, muß sich in den Händen des Gesetzgebers58 gleichsam in einen Entschädigungsanspruch wegen Nichterfüllung umwandeln, ohne daß es hierfür auf die Frage eines pflichtwidrigen und vorwerfbaren Verhaltens der Gefahrenabwehrbehörden ankommt. Von der Notwendigkeit einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden geht - jedenfalls seit 1914 - im übrigen auch der französische Gesetzgeber aus, der die Entschädigung von Tumultschäden durch den Staat als zwangsläufige Folge seines Versagens als Garant der Sicherheit und Ordnung ansieht59. Das französische Beispiel zeigt zudem, daß eine Staatshaftung für Tumultschäden, die nicht nur auf dem Papier existiert, sondern in praxi tatsächlich Anwendung findet und die Geschädigten mit einem realisierbaren Entschädigungsanspruch ausstattet, keine unverhältnismäßige finanzielle Belastung des Staatshaushalts bedeutet. Die Zahl der Anwendungsfälle und die Gesamtsumme der Ersatzleistungen dürften im Verhältnis zu den Belastungen durch sonstige Staatshaftungsansprüche nicht erheblich ins Gewicht fallen 60.

57

Ähnlich bereits W. Martens, DÖV 1982, S. 89 (98). Eine Entschädigung von Tumultopfern unmittelbar durch den Richter ohne gesetzliche Grundlage würde demgegenüber die verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung im demokratischen Rechtsstaat überschreiten, denn aufgrund ihres gebotenen Verhaltens- und verschuldensunabhängigen (Ausnahme-)Charakters läßt sich eine Tumultschädenhaftung des Staates nicht an vorhandene rechtliche Grundgedanken und Leitprinzipien anlehnen und aus ihnen entwickeln. Ihre Anerkennung ist deshalb allein dem Gesetzgeber vorbehalten. Vgl. auch Th. von Danwitz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 34, Rn. 17 und 22; BGHZ 54, 332 (336f.); 55, 229 (232f.) (zur öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung). 59 Vgl. die Gesetzesmaterialien zum Gesetz vom 16. April 1914, Dalloz 1916, IV e partie, S. 386 (387); außerdem H. Berthélemy, Traité élémentaire de droit administratif, S. 629. 60 Ähnlich die Einschätzung von H. Rohwer-Kahlmann, Sgb. 1974, S. 1 (5). 58

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

3. Die Begrenzung der Pflicht zur staatlichen Risikoübernahme auf Tumultschäden Außerhalb der finanziellen Möglichkeiten des Staatshaushaltes läge eine staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden erst dann, wenn sie eine Pflicht des Staates zur Übernahme weiterer Fremdgefährdungsrisiken nach sich ziehen würde 61. Eine Entschädigungspflicht des Staates für sämtliche Schäden, die sich seine Bürger untereinander durch ihr rechtswidriges Verhalten zufügen, ist von Verfassungs wegen indessen nicht geboten. Allerdings scheint das Versagen des Staates in seiner Funktion als Garant der Sicherheit und Ordnung, das den Anknüpfungspunkt für die Pflicht zur Übernahme des Tumultschädenrisikos durch den Staat bildet, a priori auch geeignet, eine Pflicht zur Übernahme sämtlicher Fremdgefährdungsrisiken zu begründen. Denn letztlich lassen sich alle Fälle von Gefährdung und Schädigung der Rechtsgüter des einzelnen durch unerlaubte Handlungen Dritter als Fälle mangelnder Gefahrenabwehr seitens des Staates begreifen, dem es im Ergebnis nicht gelungen ist, das Gebot des „neminem laedere" durchzusetzen. Mit dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) vom 11. Mai 197662 hat der Staat zudem denjenigen Personen, die infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen ihre oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erleiden 63, bereits einen Entschädigungsanspruch eingeräumt und dies maßgeblich damit begründet, daß es Aufgabe des Staates ist, seine Bürger vor Gewalttätern zu schützen, und er sich für die Entschädigung der Opfer verantwortlich fühlen muß, wenn er diese Pflicht nicht erfüllen kann64. Im Gegensatz zur Entschädigung von Tumultopfern ist die staatliche Entschädigung von Opfern sonstiger unerlaubter Handlungen Dritter von Verfassungs wegen 61 Vgl. E. von Hippel, ZRP 1971, S. 5 (6); R. Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, S. 214. In diesem Fall wäre eine bessere staatliche Unterstützung (auch) der Tumultopfer lediglich mittels eines Ausbaus der final ausgerichteten Sozialleistungen, beispielsweise in Richtung einer allgemeinen Volksunfallversicherung, möglich, die allerdings nicht nur den Tumultgeschädigten, sondern allen Personen zugute käme, die unverschuldet einen Gesundheitsschaden mit Dauerfolgen erleiden. Vgl. zu dieser Idee näher E. von Hippel, ZRP 1971, S.5; H. Kötz, ZRP 1972, S. 139 (144f.); außerdem//. Kötz, AcP 170 (1970), S. 1 (14) mit Fn. 34; M. Stolleis, FS Wannagat, S. 579 (584); ablehnend der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des OEG, BT-Drs. 7/2506, S. 10. 62 BGBl. 1976,1, S. 1181, neugefaßt durch Gesetz vom 7. Januar 1985, BGBl. 1985,1, S. 1. 63 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. 64 So die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 7/2506, S. 1 (7). Vgl. auch die Begründung zum vorausgegangenen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion, BT-Drs.VI/2420, S. 3: „Für eine solche Entschädigung des Opfers einer mit Strafe bedrohten Handlung aus öffentlichen Mitteln spricht insbesondere, daß der Staat die Pflicht hat, seine Bürger vor strafbaren Handlungen zu schützen, und daher auch für den Schaden des Opfers einer mit Strafe bedrohten Handlunge aufkommen muß, soweit der staatliche Schutz nicht ausreicht, um derartige Straftaten zu verhüten."

A. Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung

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jedoch nicht geboten. Die Übernahme einzelner Risiken des menschlichen Zusammenlebens, namentlich des allgemeinen Kriminalitätsrisikos, mag zwar verfassungsrechtlich zulässig sein; eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates zu ihrer Übernahme besteht hingegen nicht. Anders als im Falle von Tumultschäden kann bei sonstigen Schäden, die der einzelne Bürger durch rechtswidrige bzw. strafbare Handlungen seiner Mitbürger erleidet, nicht davon gesprochen werden, daß der Staat die ihm aus seiner Grundaufgabe und den Grundrechten erwachsende Schutzpflicht in verfassungswidriger Weise nicht erfüllt hat. Zwar erstreckt sich die Schutzpflicht des Staates grundsätzlich auch auf den Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger vor Beeinträchtigungen durch Straftaten und sonstige rechtswidrige Übergriffe Dritter. Ebenso wie im Falle von Tumultschäden erweisen sich die Regelungen des Polizeirechts zudem insoweit als unzulänglich, denn es wird den Gefahrenabwehrbehörden nur selten gelingen, bevorstehende Straftaten oder sonstige unerlaubte Handlungen durch präventives Eingreifen zu verhindern. Dies hat seinen Grund jedoch nicht mehr in den für tumultuarische Situationen charakteristischen Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns, sondern darin, daß die zuständigen Behörden - anders als bei der von einer in der Öffentlichkeit versammelten Menschenmenge ausgehenden Gefahr - von dem bevorstehenden rechtswidrigen Handeln einzelner in der Regel keine Kenntnis haben und in einem freiheitlichen Rechtsstaat auch keine Kenntnis haben können. Die Erfüllung der Schutzpflicht durch die Anwendung der präventiv-polizeilichen Eingriffsbefugnisse stößt hier an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen in Gestalt der freiheitssichernden Funktion der Grundrechte, die jedem Bürger einen von staatlicher Ingerenz freien Lebensbereich gewährleisten und es dem Staat verwehren, seine Bürger durch lückenlose Überwachung vor jeglichen Angriffen auf ihre Rechtsgüter zu schützen bzw. sie umgekehrt an jeglichem Übergriff auf die Rechtsgüter ihrer Mitbürger zu hindern 65. Anders als im Falle von Tumultschäden besteht damit von vornherein kein Anspruch des Bürgers auf polizeiliches Einschreiten, der lediglich infolge tatsächlicher Unmöglichkeit nicht erfüllt werden kann. Vielmehr ist das Risiko, daß die Gefahrenabwehrbehörden typischerweise heimlich begangene Straftaten und sonstige unerlaubte Handlungen Dritter nicht durch präventives Einschreiten verhindern können, von Verfassungs wegen von jedem einzelnen Bürger grundsätzlich hinzunehmen. Im übrigen kann von einer verfassungswidrigen Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht durch die Nichtverhinderung sonstiger Fremdgefährdungsschäden auch deshalb nicht gesprochen werden, weil sich die Sanktionsregelungen des Strafrechts sowie des zivilen Deliktsrechts bei der Verfolgung und Inanspruchnahme „gewöhnlicher" Schädiger nicht als insgesamt und von vornherein unzulänglich erweisen. Gewiß wird es nicht in jedem Einzelfall gelingen, den Schädiger ausfindig zu machen und zu identifizieren, um ihn anschließend strafrechtlich oder zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können. Dieses Risiko, daß neben den präventiv65

Vgl. J. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111, Rn. 144 f.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

polizeilichen Eingriffsbefugnissen im Einzelfall auch die repressiven Sanktionsmöglichkeiten des Strafrechts und des Deliktsrechts versagen, ist jedoch ebenfalls Ausdruck des von jedem Bürger in einem freiheitlichen Rechtsstaat, dem eine lükkenlose Überwachung seiner Bürger weder möglich noch erlaubt ist, hinzunehmenden verfassungsrechtlichen Restrisikos. Nach alldem begegnet die Begrenzung der staatlichen Risikoübernahme auf Tumultschäden schließlich auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken. Denn die Tumultschäden unterscheiden sich von den sonstigen Fremdgefährdungsrisiken gerade durch die kollektive Schadenszufügung, die einerseits die besondere Gefährlichkeit tumultuarischer Situationen ausmacht und dort zu einer tatbestandlichen Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null führt und andererseits zugleich der Grund dafür ist, daß der dem Grunde nach bestehende Anspruch auf polizeiliches Einschreiten weder auf der Primärebene durchsetzbar noch auf der Sekundärebene liquidierbar ist, so daß von einer Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht durch den Staat nicht mehr gesprochen werden kann.

4. Resümee Während die Normierung einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden mithin verfassungsrechtlich geboten ist, weil der Staat in seiner Funktion als Garant der Sicherheit und Ordnung vor der kollektiven Erscheinungsform der Tumulte versagt, besteht keine Verpflichtung des Staates zur Übernahme sämtlicher Risiken, die den Bürgern aus dem menschlichen Zusammenleben erwachsen, in dem die Rechtsgüter des einzelnen zwangsläufig den Einflüssen Dritter ausgesetzt sind. Diese Risiken hat jeder einzelne als verfassungsrechtlich hinzunehmende Restrisiken vielmehr grundsätzlich selbst zu tragen.

B. Die inhaltliche Ausgestaltung einer staatlichen Tumultschädenhaftung durch den Gesetzgeber Vor diesem Hintergrund gilt es nunmehr die Frage zu beantworten, welches der beiden zu Anfang beschriebenen Grundmodelle - dasjenige der sozialen Entschädigung oder dasjenige einer rechtsstaatlichen Garantiehaftung - der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Tumultschädenhaftung zugrundelegen soll und wie die Haftungsregelungen im einzelnen zu gestalten sind.

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

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I. Staatlicher Ausgleich für Tumultschäden als soziale Entschädigung oder als rechtsstaatliche Garantiehaftung? Charakteristisch für das Rechtsinstitut der sozialen Entschädigung ist die Verknüpfung kausaler und finaler Elemente. Während sie - anders als die klassischen, ausschließlich final orientierten Sozialleistungen - nur die durch eine bestimmte Schadensursache bewirkten Nachteile ausgleichen will und insoweit auf der haftungsbegründenden Seite auch ein rechtsstaatliches Element beinhaltet66, folgt sie in ihrer Ausgestaltung sozialstaatlichen Grundsätzen. Sie dient nicht der Schadenskompensation durch Wiederherstellung des Status quo ante, sondern der Sicherung der sozialen Existenz des Betroffenen für die Zukunft 67 und erlaubt es daher, eine Entschädigung für Sachschäden von der wirtschaftlichen Lage des Betroffenen abhängig zu machen68 oder die Entschädigung von vornherein auf den Ausgleich von Personenschäden zu beschränken69. Aufgrund dieser rechtlichen Struktur erweist sich das Institut der sozialen Entschädigung indessen als ungeeignet, um als Modell einer staatliche Einstandspflicht für Tumultschäden zu dienen, die den Staat allein deshalb trifft, weil er seine verfassungsrechtliche Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger vor Beeinträchtigungen durch das Handeln privater Dritter nicht erfüllt hat. Eine in ihrem Umfang nach söz/a/staatlichen Grundsätzen ausgestaltete und bemessene Entschädigung für Tumultschäden läßt sich mit dem haftungsbegründenden Zurechnungskriterium, das auch die Verfechter einer sozialen Entschädigung im Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung und damit in einem Versagen des Rechtsstaates erblicken, nicht in Einklang bringen 70. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit obliegt dem Staat gegenüber allen seinen Bürgern in gleichem Maße. Er ist zum Schutz der Rechtsgüter jedes einzelnen Bürgers ohne Ansehen seiner Person oder seiner finanziellen Verhältnisse in gleicher Weise berufen und verpflichtet. Eine staatliche Einstandspflicht, die ihren 66

Vgl. etwa H. Bley, ZSR 1974, S. 193 (207 ff.). Vgl. nur C.J. Schulte, ZSR 1974, S. 588 (592). 68 So geschehen im Regierungsentwurf des - später vom BVerfG für nichtig erklärten - Staatshaftungsgesetzes vom 5. September 1978, BT-Drs. 8/2079, der-anders als das letztlich verabschiedete Gesetz - noch Vorschriften über eine Tumultschädenhaftung des Staates beinhaltete. § 19 Abs. 2 des Regierungsentwurfs machte eine Entschädigung für Sachschäden, die sich auf mehr als 20.000 DM beliefen, davon abhängig, daß es „dem Geschädigten mit Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage nicht zugemutet werden kann, den Schaden selbst zu tragen", und berief sich insoweit ausdrücklich auf das Sozialstaatsprinzip (BT-Drs. 8/2079, S. 28, sub. 3.9). Vgl. auch den Gesetzgebungsvorschlag von H. Bogs, ZSR 1975, S. 593 (606 f.), §2 Abs. 2. 69 So der Wortlaut des § 5 SGB I; vgl. außerdem K. Hauck, in: ders., SGB I, K § 5, Rn. 3. Kritisch H. Bley, ZSR 1974, S. 193 (209); C.J. Schulte, ZSR 1974, S.588 (592f.). 70 Vgl. F. Ossenbühl, JuS 1978, S.720 (722). 67

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

Grund in der Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht hat, muß deshalb allen Geschädigten in gleicher Weise zugute kommen. Gelingt es dem Staat nicht, seiner Schutzverpflichtung nachzukommen und Tumultschäden zu verhindern, so hat er gegenüber allen Betroffenen versagt und nicht nur gegenüber denjenigen, die durch die erlittenen Schäden in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG schließt es daher aus, eine auf das Versagen des Staates als Ordnungsmacht gestützte Einstandspflicht auf der Rechtsfolgenseite als sozialstaatliche Hilfeleistung auszugestalten, die nur bestimmten Opfern zugute kommen oder nur bestimmte Schadensfolgen entschädigen soll 71 . Eine Eingrenzung des Kreises der Ersatzberechtigten nach opferbezogenen Kriterien - wie sie auch Eingang in den Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes aus dem Jahre 1978 gefunden hatte72 - erscheint vor dem Zurechnungskriterium des Staatsversagens nicht zulässig. Als systemgerecht73 und willkürfrei stellt sich vielmehr nur eine Konzeption dar, die die Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden auch in ihrem Umfang und Inhalt als Garantiehaftung begreift, die ihn gegenüber allen Geschädigten in gleichem Maße trifft 74 . Eine auf das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung und damit auf das Versagen des Rechtsstaates gegründete Ersatzpflicht muß in ihrer Ausgestaltung ebenfalls rechtsstaatlichen Grundsätzen folgen und sich ohne Ansehen der Person des Geschädigten sowie seiner finanziellen und sozialen Lage allein nach dem objektiv entstandenen Schaden bemessen. Einer Abstufung nach der Art der geschädigten Rechtsgüter oder nach den subjektiven Auswirkungen der erlittenen Vermögenseinbuße auf die wirtschaftliche Situation jedes einzelnen Geschädigten ist sie nicht zugänglich75. 71

So auch A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 48 f. Vgl. oben Fn. 16 und 68. 73 Vgl. zum Gedanken der Systemgerechtigkeit bzw. Konsequenz C. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn.44. 74 So auch K. GerathewohllF. Nierhaus, ZfV 1980, S.535 (540); H.K. Jannott/H.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (125f.); F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.451. 75 Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG), das sich zur Begründung maßgeblich auf die Aufgabe des Staates stützt, seine Bürger vor Straftaten zu schützen, die Entschädigung aber gleichwohl auf die „gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen" begrenzt, die jemand „infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person" erleidet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG), muß in seiner Konzeption aus rechtssystematischer Sicht deshalb als unbefriedigend bezeichnet werden. Vgl. T. Otte, Staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, S. 82 und 231; kritisch außerdem A. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, S. 39; K. Röhmel, JA 1977, StR S. 39 (40ff.); B. Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 103 ff., 221 ff.; K. Sieg, JA 1972, StR S. 7 (9). Anders als im Falle der Tumultschäden ist damit aber eine als soziale Entschädigung ausgestaltete staatliche Einstandspflicht für Kriminalitätsschäden, die sich in Ausmaß und Umfang an der Situation der Opfer orientiert, nicht ausgeschlossen. Hier sind neben dem Versagen des (Rechts-)Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung weitere Anknüpfungspunkte vorstellbar, die eine am Sozialstaatsprinzip ausgerichtete Ausgestaltung und Begrenzung auf der 72

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

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II. Die Ausgestaltung einer reformierten Tumultschädenhaftung des Staates im einzelnen Zu erörtern bleibt deshalb abschließend, wie eine als rechtsstaatliche Garantiehaftung verstandene Tumultschädenhaftung des Staates inhaltlich im einzelnen zu gestalten wäre.

1. Der haftungsbegründende Tatbestand Bei der Konzeption des haftungsbegründenden objektiven Tatbestandes, der die Bedingungen für den Eintritt der staatlichen Einstandspflicht normiert, kommt es insbesondere darauf an, die kollektive Erscheinungsform als das charakteristische Erscheinungsmerkmal, das die Tumulte von sonstigen Gefährdungen durch das Verhalten Dritter unterscheidet, in eine rechtliche Form zu gießen. Zu suchen ist dabei nach einer tatbestandlichen Formulierung, die das im Reichstumultschädengesetz statuierte Erfordernis der inneren Unruhen durch einen weiter gefaßten Begriff ersetzt, der auch die modernen Erscheinungsformen tumultuarischer Auseinandersetzungen umfaßt 76, ohne gleichzeitig Ereignisse unterhalb der Schwelle kollektiver Gewaltausübung mit einzubeziehen. In den letztgenannten Fällen, in denen die Schäden lediglich das Resultat vereinzelter Gewalttaten sind, die zwar aus einer versammelten Menschenmenge heraus, aber nur von einzelnen Teilnehmern begangen werden, ohne daß deren Gewaltbereitschaft auf weitere Kreise übergreift, ist eine Verlagerung des Schadensrisikos vom einzelnen auf den Staat noch nicht geboten. Solange das tatsächliche Geschehen noch nicht jene Merkmale kollektiven Handelns aufweist, die die besondere Gefährlichkeit tumultuarischer Ausschreitungen ausmachen und dazu führen, daß sich sämtliche in Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht getroffenen gesetzlichen Regelungen als unzulänglich und wertlos erweisen, unterscheidet es sich qualitativ nicht von den sonstigen Situationen, in denen der Staat die Gefährdung und Verletzung von Rechtsgütern seiner Bürger durch das rechtswidrige Verhalten Dritter nicht verhindern kann. Nicht „tumultuarische" Schäden vermögen daher eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Staates nicht zu begründen. Orientieren kann sich der Gesetzgeber bei der Abfassung des haftungsbegründenden Tatbestandes zum einen an den Vorschriften über die Tumultschädenhaftung, die seinerzeit im Regierungsentwurf des später für nichtig erklärten StaatshaftungsgeRechtsfolgenseite möglich erscheinen lassen. Zu denken ist dabei in erster Linie an das sozialstaatlich fundierte Ziel der Resozialisierung der Täter, das durch eine staatliche Unterstützung zumindest derjenigen Opfer, die durch die Straftat und ihre Folgen besonders schwer betroffen sind, indem sie einen Gesundheitsschaden mit Dauerfolgen erlitten haben oder in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, erleichtert werden kann. 76 Vgl. dazu näher oben S. 118 ff.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

setzes enthalten waren 77, zum anderen aber auch an der französischen Gesetzeslage78 und in gewissem Umfang sogar an den Tumultschädengesetzen, die sich Preußen79 und andere deutsche Staaten nach der Revolution von 1848 gegeben hatten. Übereinstimmend stellen alle diese Vorschriften darauf ab, daß aus einer in der Öffentlichkeit versammelten Menschenmenge heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, und verpflichten den jeweiligen Träger der Haftung 80 zum Ersatz des durch die Gewalttätigkeiten oder die zu ihrer Abwehr getroffenen Maßnahmen entstandenen Schadens. Mit dem Begriff der Menschenmenge, den der Regierungsentwurf verwendet hat und der den französischen Begriffen des „rassemblement" und „attroupement" entspricht, sollen dabei solche Schäden von der Staatshaftung ausgenommen werden, die durch gewalttätige Handlungen aus einer zahlenmäßig kleineren Personengruppe heraus verursacht werden, in der der einzelne Teilnehmer aufgrund ihrer geringeren Größe seine Individualität (noch) nicht verliert und in der die Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns infolgedessen nicht zum Tragen kommen. Zur Menschenmenge wird eine Personengruppe daher dann, wenn es auf das Hinzutreten oder Weggehen einzelner nicht mehr ankommt81. Daneben hat der Regierungsentwurf mit dem zusätzlichen Erfordernis einer „erheblichen" Störung der öffentlichen Sicherheit durch das unfriedliche Verhalten der Menschenmenge solche Schäden von der staatlichen Entschädigungspflicht ausnehmen wollen, die - obwohl aus einer solchen Menschenmenge heraus begangen - (noch) nicht das Ergebnis kollektiver Gewaltanwendung sind82 . Möglicher77 § 18 Abs. 1 RE-StHG (BT-Drs. 8/2079, S. 8) lautete: „Wird die öffentliche Sicherheit durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit erheblich gestört und erleidet jemand durch dabei ausgeübte Gewalttätigkeit oder durch deren Abwehr einen Schaden, so hat das Land, in dem die Gewalttätigkeit verübt wurde, Entschädigung zu leisten." 78 Die Formulierung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen in den verschiedenen französischen Tumultschädengesetzen hat sich seit der Revolution (Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV) nahezu nicht geändert und lautet gegenwärtig: „L'Etat est civilement responsable des dégâts et dommages résultant des crimes et délits commis, à force ouverte ou par violence, par des attroupements ou rassemblements armés ou non armés, soit contre les personnes, soit contre les biens." (Art. 92 Abs. 1 des Gesetzes vom 7. Januar 1983, J.O. Janvier 1983, Lois, S. 215 [227]). 79 § 1 des preußischen Tumultschädengesetzes vom 11. März 1850 (Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1850, Nr. 3251, S. 199f., Nr. 16) lautete: „Finden bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maßregeln Beschädigungen des Eigentums oder Verletzungen von Personen statt, so haftet die Gemeinde, in deren Bezirk diese Handlungen geschehen sind, für den dadurch verursachten Schaden." 80 Dies ist nach dem RE-StHG von 1978 das Bundesland, in dem die Gewalttätigkeit verübt worden ist, nach dem französischen Gesetz vom 7. Januar 1983 der Staat und nach dem preußischen Gesetz von 1850, das noch auf dem Grundgedanken der genossenschaftlichen Gesamthaftung beruhte, die Tatortgemeinde. 81 Vgl. die amtliche Begründung zu § 18 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S.61. 82 Vgl. die amtliche Begründung zu § 18 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S.61; vgl. auch Reform des Staatshaftungsrechts, S. 125: „Die Störung muß tumultuarisch sein."

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

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weise läßt sich dies nach französischem Vorbild indessen auch schon durch die einfachere Formulierung erfassen, daß die Schäden „durch das gewalttätige Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit" hervorgerufen werden müssen, denn sie bringt zum Ausdruck, daß die Gewaltbereitschaft bereits auf den überwiegenden Teil des Kollektivs übergegriffen haben muß und die Schäden damit das Resultat kollektiver Gewaltausübung sind. Gleichwohl trägt auch die Formulierung des Regierungsentwurfs insgesamt dem Umstand Rechnung, daß die durch die kollektive Handlungs- und Erscheinungsform begründete Unübersichtlichkeit des Gesamtgeschehens entscheidend für die Verlagerung des Tumultschädenrisikos auf den Staat ist. Sie macht einerseits einen wirksamen Schutz der gefährdeten Rechtsgüter durch ein Eingreifen der staatlichen Ordnungskräften aus tatsächlichen Gründen unmöglich, obwohl es mit Blick auf die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter und die Intensität der drohenden Gefahr dem Grunde nach geboten ist, und verhindert auf der anderen Seite zugleich, daß die Geschädigten sich wegen der erlittenen Schäden mit Erfolg an die individuellen Schädiger halten können. Bei einer Neuregelung des Tumultschädenrechts könnte sich der zuständige Gesetzgeber somit in wesentlichem Umfang jene Formulierung des haftungsbegründenden Tatbestandes zum Vorbild nehmen, die seinerzeit von der Staatshaftungsrechtskommission vorgeschlagen worden war 83 und anschließend fast wörtlich Eingang in den Regierungsentwurf gefunden hatte84. 2. Die Bestimmung des Ersatzverpflichteten Gleiches gilt für die Bestimmung derjenigen Körperschaft, die zum Ersatz der Tumultschäden verpflichtet sein soll. Kommissions- und Regierungsentwurf hatten insoweit eine Einstandspflicht desjenigen Bundeslandes vorgesehen, in dem die Gewalttätigkeit) verübt worden war. Mit Blick auf die Polizeihoheit der Länder sollte auch ein zukünftiger Reformgesetzgeber, der die Tumultschädenhaftung des Staates als rechtsstaatliche Garantiehaftung wegen eines Versagens der staatlichen Ordnungsmacht begreift und ausgestaltet, diesem Vorschlag folgen und dasjenige Bundesland zur Entschädigung verpflichten, in dem die schadensverursachende Gewalttätigkeit begangen wird.

83 84

§ 19 Satz 1 KE-StHG, Kommissionsbericht S.20. § 18 Abs. 1 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 8.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

3. Der Umfang des Ersatzanspruchs a) Die Bemessung der staatlichen Einstandspflicht am Umfang des entstandenen Schadens Hingegen können Kommissions- und Regierungsentwurf nicht mehr als Vorbilder herangezogen werden, wenn es um die Bestimmung des Umfangs des Ersatzanspruchs geht, denn sie folgen insoweit sozialstaatlichen Grundsätzen und machen das Ausmaß der als soziale Entschädigung verstandenen Einstandspflicht von opferbezogenen Kriterien abhängig. Begreift man eine auf das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung gegründete Tumultschädenhaftung demgegenüber in richtiger und sachgerechter Weise als rechtsstaatliche Garantiehaftung, dann muß sie grundsätzlich auf vollen Ersatz des entstandenen Schadens gerichtet sein und sich auf sämtliche Schäden erstrecken, die durch die tumultuarischen Auseinandersetzungen entstanden sind 85 . Ebenso wie alle Geschädigten ohne Ansehen ihrer Person und ihrer finanziellen und sozialen Lage in gleicher Weise durch die staatlichen Einsatzkräfte zu schützen gewesen wären, sind sie durch ihr Versagen in gleicher Weise betroffen und deshalb durch eine rechtsstaatlich fundierte Garantiehaftung auch in gleichem Umfang zu entschädigen. Die Normierung einer Garantiehaftung beinhaltet von Seiten des Staates das Anerkenntnis, für Tumultschäden schlechthin einzustehen, ohne Rücksicht auf die Größe des Schadens und ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation des Geschädigten. Maßstab für den Umfang der Ersatzpflicht muß demgemäß der gesamte dem Geschädigten objektiv entstandene Verlust einschließlich des entgangenen Gewinns und Verdienstes sein86. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld dürfte dem Geschädigten demgegenüber im Rahmen einer als verschuldensunabhängige Garantiehaftung begriffenen staatlichen Tumultschädenhaftung nicht zuzubilligen sein87. Rechtssystematischen Bedenken müßte deshalb eine Regelung begegnen, die mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen eine prozentuale Begrenzung der Einstandspflicht (etwa auf 75 % des entstandenen Schadens) vorsähe 88, denn in dem Umfang, in dem sich die Einstandspflicht vom vollen Ersatz des Schadens entfernt, büßt sie zugleich ihren Charakter als rechtsstaatliche Garantiehaftung ein. Desgleichen erschiene es grundsätzlich problematisch, den Umfang der Ersatzpflicht summenmäßig beschränken zu wollen 89 , führt eine solche Deckelung doch dazu, daß gerade diejeni85 So K. GerathewohüF. Nierhaus, ZfV 1980, S. 535 (540); auch H. K. Jannott/H. P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (126). 86 So auch bereits das Preußische Tumultschädengesetz, vgl. oben S.94f. 87 Vgl. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.375. Danach wird bei Gefährdungshaftungstatbeständen Schmerzensgeld grundsätzlich nicht gewährt. Diese Grundregel läßt sich im Wege eines Erst-recht-Schlusses auf den ebenfalls verschuldensunabhängigen Tatbestand der Garantiehaftung ohne weiteres übertragen. 88 So § 2 Abs. 1 Satz 2 RTSchG in der Fassung der Verordnung vom 8. Januar 1924; vgl. oben S. 105. 89 So § 19 Abs. 2 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 8.

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

157

gen Geschädigten, die den größten Schaden erlitten haben, einen Teil davon selbst tragen müssen. Dies läßt sich mit einer als rechtsstaatlicher Garantiehaftung begriffenen Tumultschädenhaftung des Staates in systemgerechter Weise kaum in Einklang bringen und ruft darüber hinaus Bedenken unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG hervor. Zulässig könnte demgegenüber die Einführung einer Bagatellgrenze aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sein, wonach jedem Geschädigten eine Eigenbeteiligung in geringer Höhe (etwa 500 DM) auferlegt und die Einstandspflicht des Staates erst oberhalb dieser Summe eingreifen würde 90. Ihren rechtsstaatlichen Charakter dürfte die Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden durch eine solche verhältnismäßig geringe Einschränkung gegenüber dem vollen Ersatzanspruch noch nicht verlieren. Auch eine Beeinträchtigung des Art. 3 Abs. 1 GG wird man mit der Begründung negieren können, daß alle Geschädigten zwar nicht prozentual, wohl aber betragsmäßig in gleicher Höhe belastet werden. Gleichwohl sollte der deutsche Gesetzgeber bei entsprechenden Reformüberlegungen nicht außer Acht lassen, daß nach der französischen Rechtslage dem Geschädigten seit mehr als 200 Jahren unverändert ein Anspruch auf Ersatz des gesamten Schadens einschließlich des entgangenen Gewinns zusteht und eine Bagatellgrenze dort bislang keinen Eingang in das Tumultschädengesetz gefunden hat. b) Der Einfluß von Leistungen Dritter an den Geschädigten auf den Umfang seines Ersatzanspruchs gegen den Staat Soweit der deliktische Schadenersatzanspruch gegen den individuellen Schädiger im Einzelfall realisierbar ist oder dem Geschädigten wegen der erlittenen Tumultschäden ein Anspruch gegen seinen Versicherer zusteht, weil die einschlägigen Versicherungsbedingungen ausnahmsweise keine Ausschlußklauseln wegen der bei inneren Unruhen entstandenen Schäden enthalten oder diese ausnahmsweise individualvertraglich abbedungen sind 91 , stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Leistungen bzw. Ansprüche zu einer spezialgesetzlich normierten Einstandspflicht des Staates. Der Regierungsentwurf des Staatshaftungsgesetzes hatte insoweit vorgesehen, daß der Entschädigungsanspruch gegen den Staat „entfällt, soweit der Schaden durch Leistungen des Schädigers ausgeglichen wird oder soweit der Geschädigte aus Anlaß des Schadens einen Anspruch auf Leistung eines Versicherers oder eines Sozialversicherungsträgers, auf Fortzahlung von Dienst- oder Amtsbezügen, Vergütung oder Lohn oder auf Gewährung von Versorgungsbezügen oder Heilbehandlung hat" 92 . Die Staatshaftung für Tumultschäden sollte nach dem Willen des Gesetzgebers mithin nachrangig nicht nur gegenüber Ersatzleistungen des Schädigers, son90 91 92

So § 19 Abs. 2 Satz 1 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 8. Vgl. näher oben S. 22 f. §21 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S.8.

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

dem auch gegenüber Ansprüchen aus der gesetzlichen und privaten Versicherung sowie gegenüber Ansprüchen aus dem Beschäftigungsverhältnis des Geschädigten sein und bereits im Außenverhältnis zum Geschädigten zum Wegfall der staatlichen Einstandspflicht führen. Nach der französischen Rechtslage hingegen wird die Einstandspflicht des Staates gegenüber dem Geschädigten durch die gleichzeitige Zahlungsverpflichtung Dritter nicht berührt. Lediglich im Innenverhältnis hat der Staat einen Rückgriffsanspruch gegen den individuellen Schädiger 93, während dem Versicherer, der Leistungen an den Geschädigten erbracht hat, seinerseits ein Rückgriffsanspruch gegen den Staat zusteht94. Welche Regelung der deutsche Reformgesetzgeber treffen sollte, hängt mithin entscheidend davon ab, wem unter den verschiedenen zur Leistung an den Geschädigten Verpflichteten das Tumultschädenrisiko nach Rechtsgrund und Systematik der gesetzlichen Haftungsanordnung letztverbindlich zugewiesen ist. Normiert der Gesetzgeber eine verschuldensunabhängige Haftung, die auf einem Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung gründet, so erkennt er damit die unbedingte und unbeschränkte Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden an. Sie obliegt ihm gegenüber allen Geschädigten gleichermaßen und darf deshalb im Verhältnis zu ihnen nicht gegenüber Leistungen von dritter Seite zurückstehen. Doch auch im Innenverhältnis kann sie allenfalls gegenüber der Entschädigungspflicht des individuellen Schädigers subsidiär sein, der durch vorwerfbares Tun den Schaden (mit-)verursacht hat, während dem Staat die Nichtverhinderung der Schäden in aller Regel nicht als Pflichtwidrigkeit anzulasten ist. Sonstige Leistungen Dritter, die der Geschädigte wegen der entstandenen Tumultschäden erhält, können den Staat demgegenüber auch im Innenverhältnis nicht entlasten. Es ist nicht Sinn und Zweck der Leistungen eines Sozialversicherungsträgers oder eines privaten Versicherers, die sich der Geschädigte durch die Zahlung von Versicherungsprämien „erkauft" hat, den zur Übernahme des Tumultschädenrisikos verpflichteten Staat von seiner Haftung zu entlasten, zumal dies letztlich zu Lasten der Solidargemeinschaft aller Versicherten ginge95. Erbringt ein Versicherer wegen der erlittenen Tumultschäden Leistungen an den Geschädigten, so muß er deshalb anschließend im Wege des Forderungsübergangs 96 die Ersatzansprüche aus dem Tumultschädengesetz gegen den Staat geltend machen können. Desgleichen sind Ansprüche des Geschädigten auf Fortzahlung von Arbeitsentgelt oder Dienstbezügen von vornherein nicht ge93

Vgl. M. Guénaire, AJDA 1987, doctrine, S. 227 (239). Conseil d'Etat, 16.2.1990, Société GAN Incendie-Accidents, avis, J.O. 1990, S. 2646 = Recueil Lebon 1990, S. 36 = Dalloz 1991, sommaires commentés, S. 234 = LPA 1er octobre 1990, n°118, S. 20. 95 Vgl. BGHZ 79,26 (33) betreffend die gesetzliche Krankenversicherung und BGHZ 79,35 (37) betreffend die private Krankenversicherung; außerdem A. Dimski, VersR 1999, S. 804 (812); D. Geitner, VersR 1983, S. 5 (7); H.K. JannottlH.P. Glotzmann, FS Hauß, S. 121 (139f.); auch U. Hübner, ZVersWiss. 1981, S. 1 (23). 96 Vgl. die Regelungen in § 67 VVG und § 116 SGB X. 94

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

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eignet, den Staat von seiner Tumultschädenhaftung zu entlasten, denn ihre Gewährung ist Ausfluß der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bzw. Dienstherrn und erfolgt nicht zu dem Zweck, dem geschädigten Arbeitnehmer oder Beamten einen Ausgleich für die erlittenen Schäden zu verschaffen 97. Auch insoweit muß deshalb eine cessio legis dem zur Fortzahlung verpflichteten Arbeitgeber bzw. Dienstherrn einen Rückgriffsanspruch gegen den Staat verschaffen 98, dessen Einstandspflicht für Tumultschäden sich auch auf den entgangenen Verdienst des Geschädigten erstreckt. Auch soweit es um das Verhältnis der Tumultschädenhaftung des Staates zu Ansprüchen gegen Dritte geht, die dem Geschädigten wegen der erlittenen Tumultschäden zustehen, mag die französische Rechtslage damit dem deutschen Reformgesetzgeber als Vorlage dienen. c) Der Einfluß des Mitverschuldens des Geschädigten auf den Umfang des Ersatzanspruchs Eine Minderung oder ein Wegfall der staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden, die bei rechtsstaatlichem Verständnis weder in ihrer Höhe summenmäßig oder prozentual begrenzbar ist noch in ihrem Bestand durch anderweitige Ersatzansprüche berührt wird, kann damit lediglich durch ein mögliches Mitverschulden des Geschädigten eintreten. Grundsätzlich wird ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten bei der Entstehung des Schadens zu seinem Nachteil zu berücksichtigen sein, denn der Rechtsgedanke des § 254 BGB, daß derjenige den Verlust oder die Kürzung seines Ersatzanspruchs hinnehmen muß, der die nach Lage der Dinge zur Verhinderung eigener Schäden erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt, beansprucht auch im öffentlichen Recht Geltung99. Eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB war demgemäß bereits in § 5 Abs. 1 RTSchG angeordnet. Auch die mit der staatlichen Tumultschädenhaftung befaßten französischen Gerichte kürzen den Ersatzanspruch des Geschädigten nach dem Maßstab seines Mitverschuldens. Gleichzeitig betonen sie jedoch, daß allein die Teilnahme an der Versammlung noch nicht per se anspruchsausschließend wirkt 100 . Letzteres muß mit Blick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung gelten101. Von einem mitwirkenden Verschulden geschädigter Versammlungsteilnehmer kann danach erst dann gesprochen werden, wenn sie sich aktiv an den Gewalttaten beteili97

Vgl. BGHZ 62, 380 (383 ff.). Vgl. die Regelung in § 6 EntgeltfortzG. 99 Vgl. nur H. Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 254, Rn. 1, 2, 7. 100 Tribunal des Conflits, 24.5.1965, Roche, Recueil Lebon S. 815 (816) = JCP 1965, II, n° 14366 = AJDA 1965, S. 610; Conseil d'Etat, 23.2.1968, Epoux Lemarchand, Rev. adm. 1968, S. 319; vgl. auch R. Chapus, Droit administratif général, n° 1504 a. E. 101 Vgl. auch Reform des Staatshaftungsrechts, S. 129; amtliche Begründung zu § 18 Abs. 2 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 62. 98

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

gen oder in anderer Weise ihrer Solidarisierung mit den Gewalttätern und ihrem Willen, diese in ihren Entschlüssen und Taten zu fördern und zu bestärken, Ausdruck verleihen 102. In diesem Fall tragen sie eine Mitverantwortung für die Eskalation der Situation, die es nach Treu und Glauben103 gerechtfertigt erscheinen läßt, ihren Ersatzanspruch gegen den Staat wegen der von ihnen selbst erlittenen Schäden nach dem Maß ihres Verursachungsbeitrags ggfs. bis auf Null zu kürzen. Eine entsprechende Regelung wäre vom deutschen Reformgesetzgeber in ein Tumultschädengesetz aufzunehmen.

4. Die Gesetzgebungskompetenz Damit stellt sich abschließend die Frage, auf welcher Gesetzgebungsebene in der föderativen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit zum Erlaß eines Tumultschädengesetzes angesiedelt ist. Liegt sie entsprechend der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern und hat damit die für die Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts maßgebliche Kompetenzverteilung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes, nach der das Reichstumultschädengesetz und das Kriegspersonenschädengesetz als Landesrecht Eingang in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland gefunden haben, nach wie vor Gültigkeit? Oder gibt es nunmehr im Kompetenzkatalog des Grundgesetzes eine Norm, die die Zuständigkeit für die Neuregelung des Tumultschädenrechts (auch) dem Bundesgesetzgeber zuweist? In Betracht kommt insoweit alleine die im Jahre 1994 eingeführte Vorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG, wonach sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz jetzt auch auf das Gebiet der Staatshaftung erstreckt. Auf dem Gebiet der Staatshaftung steht dem Bund damit gemäß Art. 72 Abs. 2 GG das Gesetzgebungsrecht zu, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht". Ob der Bund die Reform des Tumultschädenrechts in Angriff nehmen kann, hängt damit zum einen von der Frage ab, ob das Tumultschädenrecht vom Begriff der Staatshaftung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG umfaßt ist. In einem zweiten Schritt kommt es sodann darauf an, daß auch die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für ein Tätig werden des Bundesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung erfüllt sind.

102 Vgl. bereits oben S. 16 f. Ein mitwirkendes Verschulden passiver Demonstrationsteilnehmer dürfte danach im Ergebnis unter den gleichen Voraussetzungen anzunehmen sein, unter denen ihnen eine zivilrechtliche Mithaftung nach § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB auferlegt werden kann. 103 Vgl. H. Heinrichs, in: Palandt, BGB, §254, Rn.2.

B. Die inhaltliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber

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a) Der Begriff der Staatshaftung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG Auch wenn die Materialien zur Entstehung dieses Kompetenztitels keine nähere Erläuterung des Begriffs enthalten, ist vor dem Hintergrund der im Jahre 1981 aus Kompetenzgründen gescheiterten Staatshaftungsreform davon auszugehen, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber den Begriff in einem umfassenden Sinne verstanden wissen wollte 104 . Staatshaftung meint jede Art einer staatlichen Einstandspflicht für Schäden, unabhängig davon, ob sie an ein Handeln oder Unterlassen des Staates anknüpft, und unabhängig davon, ob ein rechtmäßiges oder rechtswidriges Verhalten des Staates in Rede steht105. Staatshaftung umfaßt mithin jede Pflicht des Bundes, der Länder sowie aller anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts106 zum Ersatz oder Ausgleich eines Schadens ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Einstandspflicht. Auf welchen Zurechnungsgrund der Gesetzgeber die staatliche Einstandspflicht stützt, ist für die Frage seiner Kompetenz ohne Bedeutung. Selbst sog. soziale Entschädigungsleistungen würden demgemäß heute unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG fallen 107 . Vor diesem Hintergrund muß sich der Begriff der Staatshaftung auch und erst recht auf eine Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden erstrekken, die sich nicht als soziale Entschädigung, sondern als rechtsstaatliche Garantiehaftung versteht und ihren Zurechnungsgrund im Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung findet. b) Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Bundeskompetenz Ob (auch) der Bund eine Neuregelung des Tumultschädenrechts in Angriff nehmen kann, hängt somit entscheidend davon ab, ob insoweit die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Inanspruchnahme einer konkurrierenden Bundeskompetenz erfüllt sind. Seit ihrer Neufassung im Jahre 1994 stellt diese Vorschrift in dem Bemühen, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit durch den Bund schärfer zu konturieren und justitiabel zu gestalten108, nicht mehr auf ein bloßes Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung, sondern auf die Erforderlichkeit einer solchen ab, um eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zu begründen. Indessen ist der Begriff der Erforderlichkeit im Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht in dem gleichen strengen Sinne zu verstehen wie bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Grundrechtseingriffs. Der Bundesgesetzgeber, der von einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen will, 104

Vgl. Ph. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 74, Rn. 122. Vgl. ausführlich H. von Mangoldt/F. Klein/C. Pestalozzi GG, Art. 74, Rn. 1808 ff. 106 Vgl. St. Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 74, Rn.214. 107 H. von Mangoldt/F. Klein!C. Pestalozza, GG, Art. 74, Rn. 1821. 108 Vgl. C. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72, Rn. 10; R. Stettner, in: Dreier, GG, Art. 72, Rn. 15 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Einführung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG. 105

11 Kimmel

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3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

muß den Eintritt der Sperrwirkung gegenüber dem Landesgesetzgeber nicht in gleicher Weise rechtfertigen wie der Staat einen GrundrechtseingrifF gegenüber dem Bürger 109 . Da der verfassungsändernde Gesetzgeber zudem die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 72 Abs. 2 GG im übrigen größtenteils unverändert beibehalten hat, ist dem Bundesgesetzgeber bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung auch weiterhin ein Einschätzungsspielraum einzuräumen 110 . Die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung wird danach nur zu verneinen sein, wenn dem Anliegen des Art. 72 Abs. 2 GG, d. h. der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, bereits durch im wesentlichen gleichgerichtete Landesgesetze Rechnung getragen ist oder dies jedenfalls in angemessener Zeit zu erwarten steht111. In Anbetracht des unterschiedlichen Umfangs der Fortgeltung des Reichstumultund des Kriegspersonenschädengesetzes in den einzelnen Bundesländern und des daraus resultierenden disparaten Rechtszustandes wird der Bundesgesetzgeber daher von der konkurrierenden Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Gebrauch machen können, um eine bundeseinheitliche Neuregelung des Tumultschädenrechts in Angriff zu nehmen. 5. Verfahrensrechtliche Regelungen a) Gerichtliche Zuständigkeit In verfahrensrechtlicher Hinsicht wäre in Anlehnung sowohl an die Regelungen des Reichstumultschädengesetzes112 wie des Regierungsentwurfs zum Staatshaftungsgesetz113 als auch mit Blick auf die französische Rechtslage114 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte sinnvoll und sachlich geboten. Zwar sind die Verwaltungsgerichte wegen Art. 34 Satz 3 GG nicht zuständig, um über gleichzeitig geltend gemachte Amtshaftungsansprüche zu entscheiden, während umgekehrt die Zivilgerichte gemäß § 17 Abs. 2 GVG im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses wegen der Nichtverhinderung von Tumultschäden auch spezialgesetzliche Ansprüche nach einem Tumultschädengesetz zu prüfen hätten. Wegen der strengeren Voraussetzungen eines verschuldensabhängigen Amtshaftungsanspruchs stellt dies jedoch keinen systematischen Grund dar, auch die Zuständigkeit 109

Vgl. C. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72, Rn. 10; Ph. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 72, Rn. 28; BVerfGE 81, 310 (338); a. A. R. Stettner, in: Dreier, GG, Art. 72, Rn. 17. 1,0 Vgl. B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 72, Rn.9; Ph. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 72, Rn. 28; a. A. jetzt BVerfG, DVB1. 2003, S. 44 (47). 111 Vgl. B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art.72, Rn.9; Ph. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 72, Rn.28. 112 Siehe dazu oben Fn.235. 113 § 24 Abs. 5 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 9. 114 Siehe dazu oben S. 131 mit Fn. 273.

C. Resümee: Entwurf eines Tumultschädengesetzes

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für Streitigkeiten nach einem reformierten Tumultschädengesetz in den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen. b) Behördliches Vorverfahren In diesem Zusammenhang erscheint es weiterhin sinnvoll, eine vorherige Entscheidung über den Anspruch durch Verwaltungsakt vorzusehen, wobei die Bestimmung der zuständigen Behörden dem Landesgesetzgeber oder der Landesregierung überlassen bleiben sollte. Nicht zwingend erforderlich dürfte hingegen die Statuierung einer gesetzlichen Ausschlußfrist sein, binnen derer der Geschädigte den Anspruch nach dem Tumultschädengesetz bei der nach dem jeweiligen Landesrecht zuständigen Behörde anzumelden hat. Zwar sahen sowohl das Reichstumultschädengesetz115 als auch der Regierungsentwurf eines Staatshaftungsgesetzes aus dem Jahre 1978116 sowie die Gesetzentwürfe der parlamentarischen Opposition in Nordrhein-Westfalen 117 und Baden-Württemberg 118 eine solche Ausschlußfrist mit einer Länge von 3 bis 6 Monaten vor, und auch Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz sind gemäß § 56 Abs. 1 BVG binnen einer Frist von 2 Jahren anzumelden. Ausreichend und mit Blick auf die rechtsstaatliche Fundierung einer reformierten Tumultschädenhaftung des Staates vorzugswürdig erscheint jedoch die Bestimmung lediglich einer Verjährungsfrist. Angemessen dürfte insoweit in Anlehnung an § 852 BGB sowie die seit dem 1. Januar 2002 maßgebliche regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB eine Dauer von 3 Jahren sein. Der Lauf der Verjährungsfrist wird durch die Anmeldung des Anspruchs bei der zuständigen Behörde gehemmt (§204 Abs. 1 Nr. 12 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 gültigen Fassung).

C. Resümee: Entwurf eines Tumultschädengesetzes Ein auf der Grundlage der aus der vorliegenden rechtshistorischen, rechtsvergleichenden und rechtssystematischen Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse reformiertes Tumultschädengesetz könnte damit in seinen wesentlichen Vorschriften etwa wie folgt aussehen: § 1 Erleidet jemand durch das gewalttätige Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit oder durch dessen Abwehr einen Schaden, so hat das Land, in 1,5

§ 6 Abs. 2 RTSchG, RGBl. 1920,1, S.941 (943). § 24 Abs. 1 Satz 2 RE-StHG, BT-Drs. 8/2079, S. 9. 117 §4 Abs. 1 des „Entwurfs eines Gesetzes über den Ersatz von Schäden anläßlich von Tumulten im Lande Nordrhein-Westfalen" der CDU-Fraktion, LT-Drs. NW, 6. Wahlperiode, Band 6, Nr. 920. 118 §4 Abs. 1 des „Entwurfs eines Gesetzes über den Ersatz von Schäden anläßlich von Tumulten im Lande Baden-Württemberg" der NPD-Fraktion, LT-Drs. BW V/3800. 116

Ii*

164

3. Kap.: Staatshaftung de lege ferenda

dem die Gewalttätigkeit verübt wurde, Ersatz zu leisten. Die Haftung nach anderen Vorschriften bleibt hiervon unberührt. § 2 Der Umfang des Ersatzanspruchs richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB und §§ 842ff. BGB. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht nicht. § 254 BGB findet entsprechende Anwendung. § 3 Soweit das Land Ersatz leistet, gehen Ansprüche, die dem Geschädigten wegen desselben Schadens gegen den Schädiger zustehen, auf das Land über. Wird der Schaden durch Leistungen des Schädigers ausgeglichen, so entfällt der Ersatzanspruch nach diesem Gesetz. Im übrigen geht, soweit der Schaden durch Leistungen von dritter Seite, namentlich durch Leistungen eines Versicherungsunternehmers, eines Sozialversicherungsträgers, durch Fortzahlung von Dienst- oder Amtsbezügen, Vergütung oder Lohn oder durch Gewährung von Versorgungsleistungen, ausgeglichen wird, der Ersatzanspruch nach diesem Gesetz auf den Dritten über. § 4 Der Anspruch ist bei der nach dem jeweiligen Landesrecht zuständigen Behörde geltend zu machen, die über seine Berechtigung durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat. Gegen die Entscheidung der Behörde steht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. §5 Der Anspruch verjährt in drei Jahren vom Zeitpunkt des Schadenseintritts an.

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Personen- und Sachregister Amtshaftung 27, 33 ff., 140, 143, 146 - Drittschutz im Gefahrenabwehrrecht 49 ff. - Ermessensentscheidungen 52ff., 59ff. - Kausalität 59 ff. - Organisationsverschulden 67 - Unmöglichkeit 64f., 140, 146 - Unterlassen 27, 34, 59ff., 143, 146 - Verschulden 66 f. Aufopferung 28, 71 ff., 140 Aufruhrversicherung 22, 103, 122 Bagatellgrenze 157 Begrenzung des Ersatzanspruchs, summenmäßige 31, 105 f., 137, 151, 156f. Billigkeitshaftung 30, 32, 85, 110f. Brokdorf-Beschluß (BVerfG) 17 Fn. 17, 19, 38, 39 Fn. 25 Bundesversorgungsgesetz 111 Fn. 174, 115 f., 137, 163 Deeskalation 27, 63 f. Deliktische Haftung 15 ff., 139, 145, 157 - Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB 19 - der aktiven Demonstrationsteilnehmer 15, 19 ff. - der passiven Demonstrationsteilnehmer 15 ff. - des Veranstalters 20 Fn. 35 - Exzeßhandlungen 18,20 - Fahrlässigkeitshaftung 18 f. - gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 125 StGB 18 Fn. 24 Demonstrationsfreiheit s. Versammlungsfreiheit Durchsuchung 40, 41, 43 enteignungsgleicher Eingriff 27, 67 ff. entgangener Gewinn 93 ff. , 101 f., 111, 132, 136, 156

Erfolgshaftung s. Garantiehaftung Ermessensfehler 53, 55, 56, 59, 70f, Ermessensreduzierung auf Null 53 f., 58 f., 60ff., 69 ff. Ex-ante-Prognose 39,57,63 f., 66,144f., 146 Exkulpation 32f., 88 f., 92, 98 Fn. 114, 126 Forderungsübergang 157 ff., 164 Frankreich - Königliche Ordonnanz 1670 80 - Tumultschädengesetz 1795 30,79f., 82 ff., 145 - Tumultschädengesetz 1884 125 ff. - Tumultschädengesetz 1914 127 ff., 136 - Tumultschädengesetz 1983 131 ff. Garantiehaftung 30,32,76,82f., 90,109, 126, 128, 133, 136, 139, 140, 147, 152, 156f., 161 Gefahrerforschungseingriff 41, 43 Gemeinden als Ersatzverpflichtete 30, 80ff., 88 ff., 96f., 106ff., 114, 125 ff., 136 genossenschaftliche Gesamthaftung 80ff., 84ff., 89ff., 106ff., 125,131, 136 Gesetzgebungskompetenz 113, 115 f., 138, 160 ff. Gewaltmonopol 28, 109, 129ff., 133, 136 Grohnde-Urteil (BGH) 16, 18, 20 Grundrechte als Abwehrrechte 29, 75, 143, 149 Haftung für vermutetes Verschulden 92, 126 f. Hobbes, Thomas 28,141 Identitätsfeststellung 40 Ingewahrsamnahme 36, 41 f., 46, 48, 51 innere Unruhen

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Personen- und Sachregister

- im Sinne des Versicherungsrechts 24 ff., 120 ff. - im Sinne des Reichstumultschädengesetzes 98 ff., 118 ff., 153 Kriegspersonenschädengesetz 78, 97 f., 102, 104, 105, 111, 114 ff., 118, 124 Fn. 236, 162 Kriminalitätsschäden 32, 132, 139, 148 ff., 152 Fn.75, 153 Landfriedensbruch 18 Fn. 24, 24 Liability of the Hundreds 80 Mitverschulden 95, 159f., 164 Nichtstörerhaftung 27 Fn. 82 OEG (Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten) 148,152Fn.75 Opportunitätsprinzip 48,59 f., 144,153 ff. Platzverweis 36, 41 f., 46,48, 51 Polizeigewalt 86,90f., 109,127,131,155 Polizeiliches Einschreiten, Recht auf 50, 60 ff., 143, 146 f., 149 Preußisches Allgemeines Landrecht 71 Fn. 161, 94, 101 Preußisches Tumultschädengesetz 30,78, 87 ff., 154 - Exkulpation 88 f. - Haftungstatbestand 88, 154 - Rechtsgrund der Haftungsanordnung 89 ff. - Umfang der Haftung 92 ff. Rechtsbereinigung 113 ff. Rechtsstaatsprinzip 30,32,136,139,147, 151 f., 161 Reform des Tumultschädenrechts 31, 136 ff., 153 ff. - als Verpflichtung des Gesetzgebers 139 ff., 146 f. - gerichtliche Zuständigkeit 162 f. - Gesetzesvorschlag 163 f. - Haftungstatbestand 153 ff. - Mitverschulden 159 f. - Umfang der Haftung 156 ff.

- Verwaltungsverfahren 163 Reichsversorgungsgesetz 102 Fn. 133, 111, 124 Fn. 236 Reichstumultschädengesetz 30, 78, 96 ff. - Auslegungsprobleme in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung 118 ff. - Existenzgefährdung 104,110,122,124 - Fortgeltung in der Bundesrepublik 112 ff., 162 - Fortgeltung in der DDR 116f., 162 - Fortkommensklausel 103 f. - gerichtliche Zuständigkeit 123 f. - innere Unruhen 98 ff., 118 f. - Personenschäden 78,97,102,104,105, 111 s. auch Kriegspersonenschädengesetz - Rechtsgrund der Haftungsanordnung 109 ff. - Sachschäden 78, 101 f., 104, 105, 106 - summenmäßige Begrenzung des Ersatzanspruchs 105 - Umfang des Ersatzanspruchs 101 ff. - unmittelbarer Schaden 101 f. - Verwaltungsverfahren 122 ff. Restrisiko 149 f. Schmerzensgeld 95, 102, 111, 156, 164 Schutzpflicht des Staates 28, 50, 62, 90, 110, 142 ff., 146, 149, 151 f. Sicherheit als Staatsaufgabe 26, 28, 76, 109,129 ff., 133, 136, 140, 141 f., 146, 148, 151 Sicherstellung 42,51 Sitzblockaden 20Fn.32 soziale Entschädigung 135 f., 139, 140, 151 f., 156, 161 soziales Risiko 129ff., 133 Sozialgerichte, Zuständigkeit 120, 124 Sozialstaatsprinzip 30,32,135,137,139, 151 Staatshaftungsgesetz 1978 137f., 151 Fn. 68, 154, 157 Staatshaftungsgesetz DDR 117 Tumulte, Begriff und Entstehung 14 f., 26, 29,37,39,58,64,132,139f., 145 f., 153 Tumultschäden 1,27

Personen- und Sachregister Tumultschädengesetze - Frankreich 1795 30,79f., 82ff., 125 - Frankreich 1884 125 ff. - Frankreich 1914 127 ff., 136 - Frankreich 1983 131 ff. - Preußen 1850 30, 78, 87 ff. - Reichstumultschädengesetz 1920 30, 78, 96 ff. Unmöglichkeit 28f., 64f., 71 f., 140, 145 ff., 149 Unterlassen 27, 34, 59ff., 68 ff., 72ff. Verbringungsgewahrsam 46 Fn. 57 Verjährung 163, 164 Versammlung - Anmeldung 36, 45, 56 - Auflösung 44,51 - Ausschluß von Teilnehmern 47 f., 52 - gemischte 43,47 - teilnehmerbezogene Minus-Maßnahmen 47 Fn. 58, 51

12 Kimmel

- unfriedliche 14, 17 Fn. 17, 18, 20 Fn. 35, 25 f., 35 f., 37ff., 43 ff. - Verbot 37 ff., 51 - Vorfeldmaßnahmen 40 ff. Versammlungsfreiheit 16,17 Fn. 17,19 f., 28, 38 f., 41, 45, 74f., 159 Versammlungsgesetz - drittschützende Wirkung 51 f. - Sperrwirkung 35,46,48 verschuldensunabhängige Haftung s. Garantiehaftung Versicherungsbedingungen, allgemeine (AVB) 22 ff. - Ausschlußklauseln 22, 120, 140,157 - Extended-Coverage-Bedingungen 22 Verwaltungsgerichte, Zuständigkeit 116 f., 120, 123, 131, 162, 164 Volksunfallversicherung 148 Fn. 61 Zitiergebot 42Fn.43 Zivilrechtliche Haftung s. deliktische Haftung