Staatsaktion im Wunderland: Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930) 9783486731767, 9783486706482

Stephanie Kleiner beschreibt das Musiktheater in der Ära einer krisengeladenen klassischen Moderne und über die Zäsur de

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German Pages 588 [592] Year 2013

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Staatsaktion im Wunderland: Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930)
 9783486731767, 9783486706482

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Stephanie Kleiner Staatsaktion im Wunderland

Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael

Band 39

Stephanie Kleiner

Staatsaktion im Wunderland Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930)

Oldenbourg Verlag München 2013

Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz „Kulturelle Grundlagen von Integration“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 143, 81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: hauser lacour, www.hauserlacour.de Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Memminger MedienCentrum, Memmingen ISBN 978-3-486-70648-2 eISBN 978-3-486-73176-7

Inhaltsverzeichnis Danksagung

11

I. Einleitung 1. Wie klingt Europa? Ein EU-Krisengipfel im Mozartjahr 2006

15

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung: Leitmotive der Arbeit (I) und Einordnung in den Forschungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

3. Zwischen Machtglanz, Pathos und Verfall der Aura: Leitmotive (II) und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . .

35

4. Die Epiphanie des ,glorreichen Augenblicks‘: Das Musiktheater als ,Experiment an der Gegenwart‘ . . . . .

49

II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit 1. Weltkurstadt und Kaiserresidenz: Wiesbaden 1890–1914 . . .

57

2. Frankfurt und seine Oper 1890–1914 . . . . . . . . . . . . . .

75

3. Frankfurt und die Internationale Elektrotechnische Ausstellung 1891 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

3.1 Ein „Fest des Friedens und des Fortschritts“ . . . . . . 3.2 Etappen und Dimensionen der Ausstellung . . . . . . . 3.2.1 Die „Sensations-Nummer“ der Stunde: Pietro Mascagnis Oper Cavalleria rusticana . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Ein „Denkmal bürgerlicher Thatkraft und Hingabe“: Die Ausstellung und der Deutsche Städtetag . . . . . . 3.2.3 Der „erste Gentleman des Reiches“ zu Besuch auf der Ausstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Die Ausstellung als Medium innen- und außenpolitischer Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 100 100 108 113 115 117

4. Der Beginn einer Ära wilhelminischer Geschichts- und Kulturpolitik: Die Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden 1894 119 4.1

Das ,Lieblingstheater‘ des Kaisers: Die Erbauung des neuen Hoftheaters in den 1890er Jahren . . . . . . . . .

122

6

Inhaltsverzeichnis

4.2

Die Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals durch Wilhelm II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

Ein Fest der Kunst und der „ängstlichen Repräsentation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

5. Gipfel- und Schlusspunkt einer Epoche: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele (1896–1914) . . . . . . . . .

155

4.3 4.4

5.1

Ein Bayreuth für den Kaiser . . . . . . . . . . . . . . .

155

5.2

Burggraf und Eisenzahn: Die Hohenzollerndramen Joseph Lauffs bei den Maifestspielen . . . . . . . . . . .

164

5.3

Der „unübertroffene Höhepunkt aller Festspiele“: Die ,Wiesbadener Bearbeitung‘ von Carl Maria von Webers Oper Oberon . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Oberon im Kontext der Debatten um eine deutsche Nationaloper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Das „Maifestspiel an sich“: Der Wiesbadener Oberon . . Die Maifestspiele im Widerstreit von Tradition und Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Das Hoftheater als Medium innenpolitischer Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 ,Weltpolitik‘ mit dem ,Lilienzepter‘: Das Hoftheater als Arena außenpolitischer Repräsentation . . . . . . . . .

176 178 186

5.4

195 202 204

6. „Im schönen Garten heil’ger deutscher Kunst“: Frankfurt feiert das Jubiläum seines Opernhauses (1905) . . . . . . . . . . . . 217 6.1

Die Oper als Geschäfts- und Kulturbetrieb . . . . . . .

6.2

„Was andere Städte können, sollte Frankfurt nicht schwer fallen!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

224

6.3

Der Bürger als „Triumphator“: Zur Entstehung eines Deutungsmusters am Beispiel des Opernhausjubiläums . . . . . . . . . .

229

6.4

,Volksfest‘ und ,Familienfest‘: Formen und Dimensionen des Opernhausjubiläums im Spiegel von Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg . . . . . 236 6.4.1 Der „schöne, demokratische Zug“ der Frankfurter Oper: Das Opernhausjubiläum als Volksfest . . . . . . . . . . 237 6.4.2 Der „Väter schlichte Kunst“: Das Opernhausjubiläum als Familienfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 6.5

Fazit: Das Opernhausjubiläum als „Erinnerungsfest“ . .

243

Inhaltsverzeichnis

7

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik 1. Frankfurt in den 1920er Jahren: Von der preußischen Provinzstadt zur „zweiten Hauptstadt“ der Weimarer Republik . . . . 253 1.1 1.2 1.3 1.4

Die frühen Nachkriegsjahre . . . . . . . . . . . . . . . Die Städtischen Bühnen nach dem Ersten Weltkrieg . . Oper und politische Festkultur im Zeichen der neuen Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das „Werden einer neuen Gesellschaft“: Die Frankfurter Oper als gesellschaftspolitisches Laboratorium . . . . .

2. Die Frankfurter Goethewoche (1922) und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution (1923) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

2.8

Institutionelle Voraussetzungen der Goethewoche und der Paulskirchenfeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf der Suche nach „unseres Ursprungs Einheit“: Die Goethewoche und das ,neue Deutschland‘ . . . . . Geschichtspolitische Deutungskämpfe im Kontext der Paulskirchenfeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schaffung eines „republikanischen Zeremoniells“: Friedrich Ebert im Frankfurter Opernhaus . . . . . . . Die ,Festoper Goethes‘: Thomas Mann und Die Zauberflöte im Kontext der Goethewoche . . . . . Der Zauber des ,erfüllten Augenblicks‘: Fidelio als Festoper der Paulskirchenfeier . . . . . . . . . . . . . . Beethoven als „Leitstern“ im Kampf um die „beglückende Freiheit“: Das Komponistensymbol in der Lesart Paul Bekkers . . . . . . . . . . . . . . . . Der „erste Ton einer neuen Zeit“: Goethewoche und Paulskirchenfeier als Wegbereiter der politischen Festkultur Frankfurts in der Zeit der Weimarer Republik

253 258 262 263 271 274 281 285 290 295 298

303

309

3. Wiesbaden und sein Theater 1918–1930: ,Staatsbühne von höchstem Rang‘ oder ,Kulturtheater für die deutsche Provinz‘?

311

4. Ein „Fels im brandenden Meer der feindlichen Propaganda“: Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes 1923 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327

4.1

Der Theaterbrand im Kontext der alliierten Besatzungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327

8

Inhaltsverzeichnis

4.2

Das Wiesbadener Theater als Aufmarschgebiet der „Kerntruppen deutscher Musik“: Publizistische Reaktionen auf die französische Kulturpolitik . . . . . .

336

Von der ,Trümmerstätte‘ zum ,Festspiel der Nation‘: Diskursive Deutungsstrategien des Theaterbrandes . . .

341

Die Festwochen zur Wiedereröffnung des Großen Hauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

348

Lohengrin und das „Gestalt-werden“ des „Volkstums“ im Medium der Oper . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

352

Fazit und Ausblick: Das Ende der Ära Hagemann in Wiesbaden und die Zäsur der Frankfurter Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

360

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt: Der Besuch Paul von Hindenburgs 1925 . . . . . . . . . . . .

365

4.3 4.4 4.5 4.6

5.1

Frankfurt und der Beginn der ,Ära Landmann‘ . . . . .

5.2

In „Treue fest“ zur Republik? Die kontroverse Aufnahme Hindenburgs in Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . 376

5.3

Republikanische Traditionspflege oder charismatische Selbstinszenierung? Paul von Hindenburg im Frankfurter Opernhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382

Die Hochzeit des Figaro als Festoper für Paul von Hindenburg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

388

Ein „Finale von höchster Vollkommenheit“? Die Frankfurter Feierlichkeiten im Kontext der Süddeutschland-Reise Paul von Hindenburgs . . .

394

6. Das „Locarno der Kultur“: Frankfurt und der Sommer der Musik 1927 . . . . . . . . . . .

397

5.4 5.5

6.1

370

Frankfurt plant eines der „größten Ereignisse der Musikgeschichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

Der „Schrei nach Seele“ (L. Landmann): Der Mythos Beethoven und die Eröffnung der Internationalen Musikausstellung im Frankfurter Opernhaus . . . . . .

404

6.3

Das Theater als „Werkraum der Demokratie“ . . . . . .

415

6.4

Musik im „Geiste der allmenschlichen Geltung“ (P. Bekker): Doktor Faust beim Sommer der Musik . . .

419

Die Richard Strauss-Festwoche und das Ende des Frankfurter Ausstellungssommers . . . . . . . . . .

424

6.2

6.5

Inhaltsverzeichnis

9

7. Vom ,Lieblingstheater‘ des Kaisers zum ,Volks‘- und ,Kulturtheater‘ der Republik. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker (1928–1932) . . . . . . . . . . . . . . . . .

433

7.1

7.2

7.3 7.4 7.5

Vom „Traumbild vergangener Romantik“ zum „Zukunftsbild der neuen Form“: Bekkers musiksoziologischer Formbegriff als konzeptioneller Leitfaden seiner kulturpolitischen Arbeit in Wiesbaden

435

Die ,republikanischen Maifestspiele‘ als „lebendige Erneuerung der Tradition“ und als „Gesellschaftswesen der Gegenwart“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

443

Ernst Kreneks Operneinakter als Auftakt der Maifestspiele 1928 und die Ressentiments gegen Bekker

449

Bekker und die Teilhabe am Kompositionsprozess einer neuen Oper für Wiesbaden . . . . . . . . . . . .

457

Bekkers ästhetische Kapitulation und der Sieg der Reaktion: Oberon in neuem Gewand . . . . . . . .

461

8. Vom „Totentanz am Rhein“ zu einem neuen „Platz an der Sonne“? Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ anlässlich des Abzugs der alliierten Truppen 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 8.1

Der ,Kampf um die Kunst‘ als ,Kampf um die Nation‘: Die ,Befreiungsfeier‘ im Kontext der politischen Festkultur der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . .

467

8.2

Die Planung der Festwoche im Frühjahr 1930 . . . . .

472

8.3

Die Wiesbadener ,Befreiungswoche‘

475

8.4

„Leuchtend steigt aus Nacht und Tiefen / Unsrer Freiheit Strahlendom“: Das ,Befreiungs-Festspiel‘ Deutschlands Strom und der Wiesbaden-Besuch Paul von Hindenburgs 484

8.5

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

495

9. Ein „halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt“: Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930 . . . . . . . . . . .

497

9.1

. . . . . . . . . .

Bestandsaufnahme einer Krise: Frankfurt und das Opernproblem der Gegenwart . . . . . . . . . . . .

501

9.2

Ein „Volks-Patronat“ für die Frankfurter Oper . . . . .

507

9.3

Die Festwoche der Frankfurter Oper . . . . . . . . . .

510

9.4

„Wir selber sind in Mahagonny“: Bertolt Brechts und Kurt Weills ,Skandaloper‘ in Frankfurt . . . . . . . . .

516

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

526

9.5

10

Inhaltsverzeichnis

IV. Schlussbemerkungen: Die Oper als „Inventio dessen [. . . ], was fehlt“ (Ernst Bloch) 1. Die Oper als Ort kollektiver Traditionsstiftung . . . . . . . . .

535

2. Strategien der Selbstreferentialität: Das Musiktheater im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik . . . . .

543

3. Die Oper als Arena des Austragens von Dissens . . . . . . . .

547

4. Die Oper als Rahmen politischen Bekennens . . . . . . . . . .

549

5. Zwischen Utopie und Nostalgie. Die Oper in der Spätphase der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

553

Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

555

Quellen . . . . . . . . Archivbestände . . Gedruckte Quellen Forschungsliteratur . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

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. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

555 555 555 563

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

581

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

583

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

583 587

Danksagung Die Fertigstellung und Drucklegung des vorliegenden Buches, das aus meiner im Wintersemester 2008/09 an der Universität Konstanz eingereichten Dissertationsschrift hervorgegangen ist, wären ohne die Hilfe und Unterstützung von vielen Seiten nicht denkbar gewesen. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Jürgen Osterhammel, der die Arbeit mit großer Neugierde und Hilfsbereitschaft begleitet und mir zugleich die Freiheit gelassen hat, eigene Wege zu beschreiten. Dafür danke ich ihm sehr. Herzlichen Dank schulde ich zudem Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Prof. Dr. Juliane Vogel und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jan Assmann, die das Manuskript im Rahmen von Gutachten kritisch kommentiert und mir zahlreiche wichtige und anregende Hinweise gegeben haben. Prof. Dr. Lutz Raphael, Prof. Dr. Anselm Doering-Manteuffel und Prof. Dr. Dietrich Beyrau haben das Buch in die Reihe „Ordnungssysteme“ aufgenommen. Lutz Raphaels ausführliche Kommentare trugen maßgeblich dazu bei, dass aus dem Manuskript schließlich ein Buch wurde. Dass ich ihm und der verantwortlichen Ansprechpartnerin im Oldenbourg Verlag, Cordula Hubert, auch für ihre große Geduld und klaren Worte Dank schulde, sei nicht unterschlagen. Der Konstanzer Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ sowie das Cusanuswerk haben mir durch großzügige Stipendien die Abfassung der Arbeit ermöglicht. Zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Stadtgeschichte (Frankfurt am Main), des Hessischen Hauptstaatsarchivs (Wiesbaden) und des Stadtarchivs Wiesbaden sowie der dortigen Hessischen Landesbibliothek, der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin) und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (Berlin) sowie der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln bin ich für ihre kundige und tatkräftige Unterstützung zu Dank verpflichtet. Viele Freunde und Kollegen haben den Fortgang der Arbeit begleitet. Nennen möchte ich besonders Sven Oliver Müller, dessen Begeisterung für die Oper zutiefst ansteckend war und der mir immer wieder die Möglichkeit zum gemeinsamen Austausch und zur Vertiefung eigener Gedankengänge geboten hat. Holger Stunz ist bei Archivaufenthalten in Wiesbaden ein ebenso kundiger wie unterstützender Gesprächspartner gewesen. Ohne meine Konstanzer Freunde jedoch, die mir mit vielen wichtigen Ratschlägen, aber auch mit einem stets offenen Ohr zur Seite standen, hätte das Buch kaum zustande kommen können. Ganz besonders möchte ich mich bei Alexander Schmitz, Gabriele Schaub und Marcus Sandl bedanken. Simone Warta und Eva Wiebel haben mir mit ihrer professionellen und einschüchternd kompetent-geduldigen Durchsicht und Redaktion der Arbeit sehr geholfen. Durch Höhen und Tiefen hat mich meine Familie mit großer Zuneigung

12

Danksagung

begleitet. Meinen Großeltern, Eltern und meinen beiden Schwestern gilt daher mein tief empfundener Dank. Eine besondere Zäsur war das Schreiben des Buches nicht zuletzt deshalb, weil sich seine Fertigstellung durch die Geburt unserer beiden Söhne Caspar und Anton aufs willkommenste verzögert hat. Niemand ist mir in diesen turbulenten Jahren so stetig, kritisch beratend und liebevoll zur Seite gestanden wie Christopher Möllmann, dem mein ganz besonderer Dank gilt. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern Gabriele und Jürgen Kleiner: in Dankbarkeit. Stephanie Kleiner

I. Einleitung

1. Wie klingt Europa? Ein EUKrisengipfel im Mozartjahr 2006 Anlässlich des 250. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart (1756– 1791) am 27. Januar 2006 lud der damalige österreichische Bundeskanzler und EU-Ratspräsident Wolfgang Schüssel rund 300 Politiker, Künstler und Wissenschaftler nach Salzburg ein, um dort gemeinsam über die Zukunft der Europäischen Union zu diskutieren. Es galt, Wege aus der allseits diagnostizierten Krise des ,Projektes Europa‘ zu suchen.1 Altbekannte Probleme wie die wirtschaftlichen Turbulenzen im Zeichen von Globalisierung, Marktliberalisierung und Turbokapitalismus, soziale Krisenanzeichen wie Arbeitslosigkeit und Sozialabbau, aber auch die Tatsache, dass viele Mitgliedstaaten nach wie vor am Prinzip nationalstaatlicher Souveränität festhielten und Brüssel nur zögerlich angestammte Hoheitsrechte überantworten wollten, beschäftigten die Konferenzteilnehmer.2 Nachdem ein europäischer Verfassungsvertrag bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden und damit gescheitert war (2005), rief der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, die Konferenz, die den etwas bemühten Titel The Sound of Europe trug, zum Impulsgeber für das „Gesamtkunstwerk Europäische Union“ aus.3 Die Teilnehmer der Tagung, zu denen neben hochrangigen EU-Politikern auch international renommierte Wissenschaftler und Künstler wie der Politikwissenschaftler Andrew Moravcsik, der Historiker David Cesarani, der Dirigent Nikolaus Harnoncourt und der Theaterregisseur und Intendant Jürgen Flimm zählten, wiesen dabei nicht nur auf die vielfältigen Krisenmomente der EU hin, sondern suchten 1

2 3

Der Reigen erinnerungswürdiger Jahrestage bringt allerdings mitunter ebenso aufsehenerregende wie bizarre Kombinationen hervor, jährte sich an jenem 27. Januar 2006 doch nicht nur der 250. Geburtstag Mozarts, sondern zugleich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch russische Armeetruppen im Jahr 1945. Himmel und Hölle europäischer Identität, so war es in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, bündelten sich in diesem Datum daher wie in einem Brennspiegel und bildeten hervorstechende Eckpfeiler einer europäischen Erinnerungslandschaft. In seiner Eröffnungsansprache griff der damalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel auf einen Ausspruch des österreichischen Dirigenten Josef Krips (1902–1974) zurück, der die Metapher von ,Himmel‘ und ,Hölle‘ europäischer Identität folgendermaßen geprägt hatte: „Während der eine – Mozart – vom Himmel kommt, ist das andere – Auschwitz – heute geradezu zum Synonym für die Hölle geworden.“ Beides, so meinte auch Schüssel, „paradiesische Erwartung, Traum, Vision und auch die Realität des Scheiterns, des Verbrechens, das Böse, die Hölle – all das macht die menschliche und wohl auch die europäische Identität aus“. Vgl. den Wortlaut der Rede Schüssels unter: http://www.eu2006.at/de/News/ Speeches_Interviews/2701schuesseleroeffnung.html (letzter Zugriff: 24.03.12). Siehe den Artikel von Martin Winter: Wir wollten Mozart, und haben Wagner bekommen, in: Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2006. Ebd.

16

I. Einleitung

auch nach zukunftweisenden Perspektiven. Der Blick auf Höhen und Tiefen, Sternstunden und Abgründe europäischer Geschichte schien in besonderem Maß dazu angetan, neue Wegmarken für eine gemeinsame Politik zu setzen. Dass sich führende Politiker, Künstler und Intellektuelle zum Krisengipfel in der altehrwürdig-beschaulichen Bischofs- und Festspielstadt zusammenfanden und deren berühmtesten Sohn feierten, mag man als bewusst kalkulierte, medienwirksame Geste einstufen, mit der eine internationale Kultur- und Politelite in wohlgesetzten Sonntagsreden zwar hohe Ideale ausrief, im Endeffekt aber klangvolle Platitüden an die Stelle tatsächlicher politischer Resultate treten ließ. Vorbehalte gegen eine symbolische Politik, die durch groß angelegte, medial vorzeigbare öffentliche Inszenierungen und Rituale besticht, das vermeintlich eigentliche politische Alltagsgeschäft aber auf den Hinterbänken und -bühnen abhandelt und die politische Gestaltungsrealität damit intransparent hält, ja gleichsam verschleiert, um sozioökonomische Privilegien zu verteidigen, haben eine lange Tradition und warnen vor einer Unterminierung demokratischer Partizipationsprinzipien.4 Vertreter einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Forschung haben immer wieder darauf hingewiesen, dass eine solche Perhorreszierung des „Politainments“ es versäumt, die sich mit dem rasanten Medienwandel des beginnenden 20. Jahrhunderts fundamental wandelnden Kommunikations- und Vermittlungsbedingungen zwischen Politik und Öffentlichkeit in Rechnung zu stellen.5 Mittlerweile hat sich hier eine Sichtweise etabliert, die die symbolisch hervorgebrachten Konstruktions- und Darstellungsmodalitäten des Politischen ernst nimmt und es nicht auf den Bereich institutionell-staatlicher politischer Institutionen – im Sinne eines klassischen Verständnisses von Politik – einengt.6 Der Bereich des Politischen bezeichnet somit stets auch 4

5

6

Vgl. vor allem Murray Edelman: Politik als Ritual. Die symbolische Form staatlicher Institutionen und politisches Handeln [1976], Frankfurt a.M./New York 1990, sowie Thomas Meyer: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, Frankfurt a.M. 2001. Zu einer differenzierten Bewertung der zusehends engen Verflechtung von Politik und Unterhaltungskultur ruft beispielsweise der Politologe Andreas Dörner auf, der zwar mögliche Deformationen des politischen Raumes benennt, zugleich aber auf die Entstehung neuer Modelle politischen Engagements und bürgerschaftlichen Gemeinsinns hinweist. Siehe hierzu Andreas Dörner: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft, Frankfurt a.M. 2001. Vgl. aus der reichhaltigen Forschungsliteratur unter anderem Sabine R. Arnold/Christian Fuhrmeister/Dietmar Schiller (Hrsg.): Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht, Wien/Köln/Weimar 1998; Thomas Mergel: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28/2002, S. 574–606; Hans Georg Soeffner/Dirk Tänzler (Hrsg.): Figurative Politik. Zur Performanz der Macht in der modernen Gesellschaft, Opladen 2002; Gerhard Göhler: Politische Symbole – symbolische Politik, in: Werner Rossade (Hrsg.): Politik und Bedeutung. Studien zu den kulturellen Grundlagen politischen Handelns und politischer Institutionen. Ralf Rytlewski zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2002, S. 27–42; Ute Frevert/Wolfgang Braungart (Hrsg.): Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen 2004; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Ber-

1. Wie klingt Europa?

17

einen durch medial strukturierte Kommunikation hervorgebrachten Raum und lässt sich nicht schematisch in tatsächliches politisches Handeln – das ausschließlich in den parlamentarischen Instanzen moderner Demokratien anzusiedeln wäre – auf der einen und strategisch platzierte, medial aufgerüstete Inszenierungen auf der anderen Seite unterteilen. Vielmehr wird der Blick auf jene spezifischen Inszenierungsformen gerichtet, die politische Macht einsetzen kann, ja einsetzen muss, um überhaupt präsent und handlungsmächtig sein zu können. Verschiedenartige Praktiken der Repräsentation – vom Wahlkampf bis zur Fernsehtalkshow, vom Staatsbesuch bis zur homestory – vermessen den Bereich des Politischen und lassen sich als symbolische, politische Realität stiftende Akte begreifen. Freilich will eine solche Herangehensweise auch nicht auf die Verabsolutierung symbolpolitischer Elemente hinwirken. Die „Sinnlichkeit der Macht“7 aber formt eine konstitutive Dimension des Politischen aus, indem sie es als geteilten, kollektive Verbindlichkeiten ermöglichenden Wahrnehmungs- und Handlungsraum entwirft und aufrechterhält, gegebenenfalls aber auch hinterfragbar und dekonstruierbar hält. Diese immer schon symbolisch erzeugte und vermittelte Verfasstheit des Politischen ist es, die die Aufmerksamkeit gerade auch auf solche Ereignisse richtet, die vermeintlich jenseits einer die politischen ,Kerngeschäfte‘ verhandelnden Sphäre angesiedelt sind. Dies eingerechnet, kann ein zweiter Blick auf die Sound of Europe-Konferenz Facetten einer politischen Fest- und Erinnerungskultur zu Tage fördern, die unbeachtet bleiben, wenn die Salzburger Tagung lediglich als raffinierter, die Strahlkraft des Mozartjahres berechnend nutzender Polit-Event abgetan wird. Die räumliche Distanzierung von den Schaltzentralen europäischer Politik erlaubte vielmehr einen unverstellten Blick auf die Chancen und Gefährdungen des ,Projektes Europa‘, und im Bewusstsein des gewichtigen Jahrestages schien es geboten, nach dem historischen Gewordensein und nach gestaltbaren Neuausrichtungen Europas zu fragen. Im Wissen um den symbolisch aufgeladenen Gedenktag avancierte die Tagung zu einem geschichtspolitisch sensiblen Ereignis, das Vergangenes und Zukünftiges im Spiegel der Kultursemantik ineinander blendete und um erhellende Konnotationen bereichern konnte. So nahm Wolfgang Schüssel in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich auf den Lebensweg und das Schaffen Mozarts Bezug, um gemeinsame Traditionen und gleichsam schicksalhafte Verstrickungen der europäischen Geschichte nachzuzeichnen:

7

lin 2005; Jan Andres/Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M./New York 2005; Ute Frevert/Heinz Gerhard Haupt (Hrsg.): Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt a.M./New York 2005. Vgl. den gleichnamigen Sammelband von Andres/Geisthövel/Schwengelbeck: Die Sinnlichkeit der Macht.

18

I. Einleitung

„Mozart kann dabei manche Antworten geben [...]. Er ist in einer Zeit geboren und hat in einer Zeit gelebt, die – und das sollten sich vielleicht europäische Bürger von heute in Erinnerung rufen – von dramatischen Veränderungen geprägt war. [...] Die amerikanische Revolution beispielsweise. In Mozarts Todesjahr wurde die ,Bill of Rights‘ geschrieben und formuliert. Die Französische Revolution, Adam Smith hat in seinem Werk ,Wealth of Nations‘ die Grundlagen der modernen Gesellschaft beschrieben. Als Mozart in Wien ,Die Entführung aus dem Serail‘ komponierte, hat Hegel gleichzeitig die ,Phänomenologie des Geistes‘ zu Papier gebracht. Die Industrielle Revolution begann damals mit der Dampfmaschine, mit der Entdeckung der Elektrizität. Die Webstühle, industriell und programmierbar, wurden erfunden. Die modernen Printmedien [...] sind damals gegründet worden. [...] Mozart selber ist ja wie ein Wirbelwind in dieser Zeit der Veränderung quer durch Europa gereist und hat damit die europäische Geschichte mitgeprägt. Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass er in seinem kurzen Leben [...] ein Drittel auf Reisen gewesen ist und 200 europäische Städte erfahren, erspürt und vielleicht auch ihren Klang mitkomponiert hat, dann kann man durchaus auch sagen, dass er Teil dieser Veränderung war. Er hat manches vorausgespürt. Er hat gespürt – diesen Gedanken verdanke ich Martin Kušej –, dass manches in einem dramatischen Blutbad enden kann. Nimmt man etwa die Oper ,La Clemenza di Tito‘ zum Beispiel, die mit einem Blutbad und einem Anschlag auf das Kapitol endet, während ein Mordanschlag gegen Kaiser Titus ohne triftigen Grund verübt werden soll. Mozart hat hier schon die Französische Revolution vorausgeahnt und zugleich auch die Antwort gegeben, wie man die Dinge in Ordnung bringen kann: Nicht mit den Waffen, sondern mit Musik: In der Zauberflöte werden mit Hilfe einer Flöte das Militär und die Verfolger zum Stehen, ja zum Tanzen gebracht [...].“8

Ausgehend von diesen programmatischen Impulsen Schüssels erörterten die Tagungsteilnehmer in den folgenden Tagen in verschiedenen Diskussionsrunden und Foren das Ausmaß der europäischen Krise (,Die europäische Krise. Ein Klang in Moll?‘), um zugleich nach Auswegen und neuen Gestaltungsmöglichkeiten Europas zu fragen (,Was nun? Ein neuer Klang?‘) und nach jenen ,Musen und Sirenen‘ Ausschau zu halten, die die gemeinsame Kultur bereichern und inspirieren könnten.9 In der Diskussion um Möglichkeiten und Probleme einer gemeinsamen europäischen Zukunftsgestaltung brachte der Historiker Bronislaw Geremek (1932–2008), einer der bedeutendsten Intellektuellen und liberalen Politiker des Landes, die Dilemmata europäischer Identität zugespitzt auf den Punkt, indem er sich gleichfalls einer musikalischen Metaphorik bediente: „Wir wollten die Musik Mozarts, und haben die Musik Wagners bekommen.“10 Indem er die Komponisten Mozart und Richard Wagner (1813–1883) zu sinnfälligen Verkörperungen von Glanz und Düsternis europäischer Kultur stilisierte und sie zu Chiffren einer europäischen politischen Ideengeschichte erhob, benannte er aussagekräftige Bruchlinien der gemeinsamen Vergangenheit. Mit Mozart ließen sich vorwiegend positiv besetzte Facetten europäischer 8 9 10

Vgl. den Wortlaut der Rede Schüssels unter: http://www.eu2006.at/de/News/Speeches_ Interviews/2701schuesseleroeffnung.html (letzter Zugriff: 24.03.12). Vgl. das Tagungsprogramm unter: www.eu2006.at/de/The_Council_Presidency/Con ference_The_Sound_of_Europe/index.html (letzter Zugriff: 24.03.12). Vgl. den Redebeitrag Bronislaw Geremeks unter: http://stream.babiel.com/push euat3_2701b.wmv (letzter Zugriff: 13.12.08).

1. Wie klingt Europa?

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Geschichte in Verbindung bringen, die in den Stichworten wie Aufklärung, Toleranz, Weltoffenheit und politischer Liberalisierung anklingen, während Wagner offenbar vorrangig für megalomanischen Nationalismus und Antisemitismus einzustehen kam und damit die als ,dunkel‘ und ,schlecht‘ apostrophierte Facette europäischer Geschichte repräsentierte. Dass sich Geremek neben Mozart auf Wagner berief, um die durch viele fatale Irr- und Umwege gekennzeichnete Vorgeschichte des europäischen Einigungsprozesses zu veranschaulichen, erstaunt nicht. Der kosmopolitische Geist des josephinischen Zeitalters ließ sich jenem Abschnitt der Bayreuther Festspielgeschichte kontrastreich gegenüberstellen, der durch die besondere Freundschaft von ,Wolf‘ und ,Winnie‘ geprägt war. Der Wagner-Verehrer Adolf Hitler war häufig bei den Festspielen zugegen und rückte den Grünen Hügel zur Festspielzeit ab 1933 in den Mittelpunkt seiner kulturpropagandistischen Politik.11 Geremeks rhetorisch wirkungsvolle Assoziationsketten blendeten Politik und Kultur beredt ineinander, so dass ihre wechselseitige Verwobenheit sichtbar wurde und als ein strukturierendes, ja dramatisierendes Moment europäischer Geschichtspolitik gedeutet werden konnte. Der vermeintlich exklusiv hochkulturelle Kanon klassisch-romantischer Kunstmusik wurde so aus dem Kokon einer elitär-bildungsbürgerlichen sozialen Praxis befreit und zum Instrument prägnanter Geschichts- und Gegenwartsdeutung umfunktioniert.

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Zu Adolf Hitlers Verehrung für Richard Wagner und seiner Bewunderung für Bayreuth vgl. Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth, München 2002; Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker, München 1997.

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung: Leitmotive der Arbeit (I) und Einordnung in den Forschungszusammenhang Dieses Beispiel lenkt den Blick auf die symbolischen Rahmungen des Politischen, mithin auf jene Wirklichkeit konstituierenden Wahrnehmungs- und Deutungsweisen politischer Ereignisse, Verfahrensweisen und Institutionen, die die Politikgeschichte seit einiger Zeit zu einem „bevorzugten Gegenstand der neueren Kulturgeschichte“ haben werden lassen; denn ob „Kriege oder Friedensschlüsse, ob revolutionäre Bewegungen oder Staatsakte, ob sozialer Protest oder ökonomische Ungleichheiten Folgen zeitigen und wie diese beschaffen sind“, ist letzten Endes davon abhängig, wie sie wahrgenommen und eingestuft werden.1 Mediale Arrangements der Beobachtung und Sinnzuschreibung treten dadurch ebenso in den Vordergrund wie jene performativ vollzogenen Praktiken und Rituale, die der Handlungsebene der historischen Akteure besonderes Gewicht einräumen.2 Ein solcher Perspektivwechsel, der politische Kulturen mit Blick auf ihre symbolisch hervorgebrachten und medial vermittelten Bedeutungszuschreibungen untersucht, richtet den Fokus aber gerade auch auf jene Akteure, Ausdrucksformen und Arenen, die bislang nicht zu einem Gegenstand politikgeschichtlicher Analyse geworden sind. Dadurch haben sich zugleich gängige Konzepte politischer Repräsentation gewandelt: Hatte sich der Begriff der ,politischen Repräsentation‘ bislang stets auf den „klassischen Bereich der politischen und der sozialen Verfassung“ beschränkt und mithin also Verfahren und Strategien der politischen Partizipation und Interessenvertretung innerhalb institutionalisierter Regelsysteme bezeichnet, erweiterte er sich im Zuge der kulturalistischen Wende innerhalb der Geschichtswissenschaften signifikant.3 Zusehends gerieten nun Sinn und Bedeutung stiftende Praktiken in den Blick, die das Konzept einer interessegeleiteten politischen Repräsentation in eine Vielzahl möglicher 1

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So Ute Daniel, Inge Marszolek, Wolfram Pyta und Thomas Welskopp programmatisch in ihrer Einleitung zu: dies. (Hrsg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München 2010, S. 7–25. So hat etwa Sven Reichardt schon vor längerem für eine praxeologisch ausgerichtete Geschichtswissenschaft plädiert, siehe dazu Sven Reichardt: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung, in: Sozial.Geschichte 22/2007, S. 43–65. Vgl. zum gewandelten Verständnis politischer Repräsentation Bernd Weisbrod: Die Politik der Repräsentation. Das Erbe des Ersten Weltkrieges und der Formwandel der Politik in Europa, in: Hans Mommsen (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung: Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln u. a. 2000, S. 13– 41, hier S. 14.

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I. Einleitung

„Repräsentationen des Politischen“ ausfächerten4 : So wurde etwa im Bereich der Bürgertumsforschung auf das vielgestaltige Terrain von bürgerlichen Repräsentationsformen und -foren hingewiesen – etwa den Bereich der politischen Festkultur –, die eine „Kultur der Selbst-Repräsentation“ offenlegten, deren politische Bedeutung gerade in der symbolischen Geltendmachung bestimmter Verhaltenscodices, Umgangsformen oder Bildungsstandards bestand und einen politischen Raum eigenen Rechts umschrieb.5 Im Kontext einer Kulturgeschichte des Politischen haben sich somit die „Grenzen des Politischen“ nachdrücklich verschoben zugunsten erfahrungsbezogener Vermittlungs- und Darstellungsweisen.6 Nimmt man diesen Formwandel ernst, werden auch bis dahin auf den Bereich der klassischen Hochkultur verengte Bereiche wie Oper, Theater, Konzerte, Festspiele und Museen als politische Arenen sichtbar. Während aber im Zuge der konzeptionellen Neuausrichtung des linguistic turn oder des iconic turn literatur-, medien- und kunstwissenschaftliche Theorieangebote auch innerhalb der Geschichtswissenschaft äußerst produktiv rezipiert worden sind, wird die soziale und politische Dimension der Musik von Historikerinnen und Historikern nach wie vor erst zögerlich in den Blick genommen.7 Methodische Schwierigkeiten – etwa werkanalytischer oder quellenkritischer Art – haben den disziplinenübergreifenden Austausch lange Zeit erschwert. Gerade unlängst aber haben Sven Oliver Müller und Jürgen Osterhammel eindringlich dafür plädiert, den kommunikativen Charakter der Musik stärker zu berücksichtigen und musikalische Aufführungen als „Akte sozialer Ordnung“ zu begreifen, um so der Musik insgesamt einen prominenteren Ort innerhalb eines allgemeinen Geschichtsverständnisses einzuräumen.8 Indem sie die symbolischen und performativen Dimensionen politischen Handelns betont, kann nämlich gerade die Kulturgeschichte des Politischen den „planvollen öffentlichen Einsatz von Musik in ihren Horizont einbeziehen“.9 Hier bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte zu einer kulturwissenschaftlich inspirierten Musikwissenschaft, die sich gleichfalls von einer rein werk- und stilzentrierten Herangehensweise abwendet und Musik zusehends auch als soziale Praxis deutet.10 4

Ebd., S. 15. Ebd., S. 22. 6 Ebd., S. 22. 7 Zu diesem Befund kommen Sven Oliver Müller und Jürgen Osterhammel in ihrer Bestandsaufnahme zur Rezeption des Themenfeldes ,Musik‘ innerhalb der Geschichtswissenschaft; siehe ausführlich: dies.: Geschichtswissenschaft und Musik, in: Geschichte und Gesellschaft 38/2012, S. 5–20. 8 Ebd., S. 14. 9 Ebd., S. 17. Neben der Kulturgeschichte des Politischen versprechen sich die beiden Autoren außerdem von einer Geschichte der Emotionen im Musikleben anregende Impulse, um die kommunikative Funktion der Musik zu spezifizieren. 10 Vgl. beispielsweise Martin Clayton/Trevor Herbert/Richard Middleton (Hrsg.): The cultural study of music. A critical introduction, New York/London 2003 sowie Hansjakob 5

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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Seit einiger Zeit ist vor allem das Musiktheater als ein Forum politischer Sinnkonstituierung und Repräsentation prominent in den Vordergrund gerückt11 und sowohl als „a symbol of the continuity of governments“ wie auch als „an integral part of state ceremonial“ beschrieben worden: „Like the grandest form of monarchy or religious rite, the operatic institution is an environment of complex ceremonial traditions, as expressed by the kind of audience which traditionally attends it and the monumental architecture which houses it. Opera is more than a composite art, or a social experience, it is a state ceremony and has important political consequences, giving it wider and richer significance than the other ,arts‘. In this way, opera can be seen to represent the quintessence of the establishment arts and patrician culture.“12 Einer ähnlichen Herangehensweise ist auch die vorliegende Arbeit verpflichtet, die das Musiktheater in der Ära einer krisengeladenen klassischen Moderne (1890–1930) als Ort sozialer Praxis und als Medium politischer Sinnbildung profilieren möchte. Konkret werden dabei die Städte Frankfurt am Main und Wiesbaden in den Blick genommen: Indem deren musikalische Festkulturen gegeneinander konturiert werden, können die politischen Implikationen des Operntheaters über die Zäsur von 1914/1918 hinweg exemplarisch und vergleichend nachgezeichnet werden. Entlang einer Reihe von herausragenden Festanlässen werden dabei einige zentrale Stationen der politischen Festkultur beider Städte abgeschritten, um gerade auch Brüche und Diskontinuitäten zu thematisieren, die die Jahrzehnte zwischen dem ausgehenden Kaiserreich und der Endphase der „improvisierten“ Weimarer Republik kennzeichneten.13 Die analysierten Ausstellungen, Staatsbesuche, Festspiele und Jubiläen werden als außeralltägliche Ereignisse gedeutet, die Gelegenheit zu Reflexion und Standortbestimmung boten und im Kontext symbolischer Ordnungs- und Sinnbildungsverfahren eine konstitutive Rolle einnahmen. Kaiser und Präsidenten, Minister, Künstler und Stadtoberhäupter – sie alle nahmen in den Festlogen der Opernhäuser Platz, um sich zu zeigen und das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen. Für die gehobenen bürgerlichen Schichten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts

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Ziemer: Die Moderne hören. Das Konzert als urbanes Forum, 1890–1940, Frankfurt a.M. 2008. Vgl. Jane Fulcher: The nation’s image. French grand opera as politics and politicized art, Cambridge u. a. 1987; Sven Oliver Müller/Jutta Toelle (Hrsg.): Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 2008; sowie unlängst Fabian Bien: Oper im Schaufenster. Die Berliner Opernbühnen in den 1950er Jahren als Orte nationaler kultureller Repräsentation, München 2011; sowie Sarah Zalfen: Staats-Opern? Der Wandel von Staatlichkeit und die Opernkrisen in Berlin, London und Paris am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2011. Ruth Bereson: The Operatic State. Cultural Policy and the Opera House, London/New York 2002, S. 3. Zum Begriff der „improvisierten Demokratie“ von Weimar siehe Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 7. Aufl., München 2009, S. 1.

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I. Einleitung

wiederum gehörte ein Abonnement für Oper und Konzert zum guten Ton. Bühnen- und Zuschauerräume wurden diesem gewichtigen Anliegen gemäß opulent ausgestattet und hergerichtet, Kostüme und Dekor sollten eine Atmosphäre von Glanz und Reichtum vermitteln, um die Wirkmacht des auf der Schaubühne Dargebotenen zusätzlich zu intensivieren. Kleiderordnungen und spezifische Verhaltenscodices boten dem anwesenden Publikum die Möglichkeit, sich als eine symbolische Gemeinschaft zu konstituieren. Das Geschehen auf der Bühne setzte vielfach ähnlich gelagerte identifikatorische Prozesse in Gang. Indem beispielsweise Chöre emphatisch die Größe der eigenen Nation beschworen, tragisch-tapfere Helden und opfermütige Jungfrauen sich in den Dienst einer höheren Sache stellten, indem prunkvolle Bühnenbilder durch Farbenpracht überwältigten und das Orchester mitreißende Melodien aufbranden ließ, stellte das auf der Bühne Dargebotene stets – wie bereits Adorno angemerkt hat – einen beispiellosen „acte de présence“ dar.14 Durch seine imposante akustische Wirkung, seine pompösen Ausstattungen und spektakulären Bühnenbilder, vor allem aber durch das gemeinsame und einmalige synästhetische Gesamterlebnis evozierte es eine überwältigende Präsenz, die zur Identifikation einlud und eine – von Adorno kritisch bewertete – Integration der Anwesenden bewirken konnte. In diesem Sinn bezeichnete die Oper das ,Wunderland‘ gemeinsamer ästhetischer Erfahrung, eines kollektiven „seligen Augenblicks“, der als repräsentatives Fest das Bewusstsein eines „gehobenen Dasein[s]“ vermittelte und an der symbolischen Zurichtung einer gemeinsamen Welt mitwirkte, sich aber keinesfalls auf die bloße Affirmation eines Status quo reduzieren lässt.15 Den politischen Eliten des wilhelminischen Reiches und der Weimarer Republik wie auch den Adressaten ihrer Machtansprüche bot die Oper mithin ein geeignetes Terrain, um das zu vollziehen, was mit dem im Alltagsverstand abschätzig gemeinten, aber doch sehr treffenden Terminus der ,Staatsaktion‘ umschrieben wird. Die Opernhäuser der großen Metropolen waren stets Orte der politischen Repräsentation, indem sie den Herrschenden und den Angehörigen der städtischen, regionalen und nationalen Eliten einen „öffentlichkeitswirksamen und politisierbaren Kommunikationsraum“ zur Verfügung stellten.16 Hier wurden gesellschaftliche Ordnungsmuster und politische Weltbilder nicht 14

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Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen [1962], 9. Aufl., Frankfurt a.M. 1996, S. 100. Zur Präsenz schaffenden Kraft des Theatralischen und den gesellschaftlichen Implikationen performativer Prozesse vgl. des Weiteren Josef Früchtl/Jörg Zimmermann (Hrsg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a.M. 2001. Ernst Bloch: Prunk, Elysium in Oper und Oratorium, in: ders.: Das Prinzip Hoffnung [1954–1959], Frankfurt a.M. 1985, S. 969ff. Sven Oliver Müller/Jutta Toelle: Oper als Bühne der Politik. Historische und musikwissenschaftliche Perspektiven, in: dies. (Hrsg.): Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien/München 2008, S. 7–19, hier S. 9.

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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nur wiedergegeben und zur Schau gestellt; vielmehr kann der performativen Praxis der Aufführung selbst ein produktives, gleichsam welterzeugendes Moment attestiert werden.17 Die beteiligten Akteure – sowohl auf der Bühne wie auch im Theaterraum – schufen und perpetuierten ein Netzwerk politischer Beziehungen: Kleider- und Sitzordnungen etwa verfestigten soziopolitische Machtgefüge, das Musikfeuilleton vermittelte Bildungswissen und Normbestände, die zu kennen für die Angehörigen des Bildungsbürgertums unerlässlich waren. Musikalische Bildung fungierte seit 1800 gewissermaßen als „billet d’entrée“ in eine ausgewählt-auserwählte Diskursgemeinschaft, die sich über gemeinsame soziopolitische Interessen definierte, und deren Zugehörigkeitsregeln durch spezifische soziale Praktiken eingeübt wurden.18 Umgekehrt – und darauf hat die für sozial- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen offene Musikwissenschaft eindrücklich hingewiesen – war etwa das populäre Genre der Musikgeschichtsschreibung von einem „Netz politisch lesbarer Metaphern“ durchzogen, die für den Prozess bildungsbürgerlicher Identitätsfindung und -aufrechterhaltung unerlässlich waren.19 Während die Interaktion zwischen Bühne und Zuschauern im Theaterraum auf eine vergleichsweise kleine Gruppe beschränkt blieb, beschrieben und bewerteten die Vertreter der Presse einzelne Inszenierungen nachträglich für einen ungleich breiteren Kreis von Lesern. Obwohl die Wirkung des unmittelbaren Erlebnisses so zwar nicht erschöpfend vermittelt werden konnte, generierten diese Berichterstattungen doch in hohem Maß öffentliche Meinungen, indem sie einzelnen Werken und Komponisten einen bestimmten Stellenwert zuschreiben oder aberkennen konnten. Daher rücken die nachfolgenden Analysen die reichhaltige Presseberichterstattung in Form von Aufführungskritiken oder Werkanalysen in Fachzeitschriften ebenso in den Blick wie solche Darstellungen, die den rituellen und gesellschaftlichen Aspekt einzelner Operninszenierungen behandelten. Unter den Vorzeichen einer zusehends massenmedial organisieren Moderne kann das Theater als ein Ort beschrieben werden, an dem face-to-face Kommunikation unter Anwesenden und Distanzkommunikation über das Medium der Presse zusammenliefen. Das Reden und Schreiben über Opernaufführungen war Bestandteil eines massenmedialen Settings, das neuartige Kommunikationsformen und -logiken hervorbrachte und zugleich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Politik neu definierte20 : Die Jahre zwischen 1890 und 1930 lassen sich je17 18 19 20

Ebd., S. 9f. Ulrich Tadday: Die Anfänge des Musikfeuilletons. Der kommunikative Gebrauchswert musikalischer Bildung in Deutschland um 1800, Stuttgart/Weimar 1993, S. 17. Vgl. exemplarisch etwa Frank Hentschel: Bürgerliche Ideologie und Musik. Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutschland 1776–1871, Frankfurt a.M. 2006, S. 486. Vgl. exemplarisch Bernd Weisbrod: Medien als symbolische Form der Massengesellschaft. Die medialen Bedingungen von Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert, in: Hans Medick/ Martin Schaffner/Beate Wagner-Hasel (Hrsg.): Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag 9/2001, H. 2, S. 271–283.

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I. Einleitung

ner „massenmedialen Sattelzeit“ zurechnen, in der sich die wechselseitige Verwobenheit von medialer und politischer Sphäre zusehends intensivierte und in der grundlegende „Formen von Kommunikation, Öffentlichkeit und Medialität neu verhandelt“ wurden.21 Medientechnische Veränderungen und Ausdifferenzierungen – etwa der Durchbruch neuer Medien wie Rundfunk und Film – gingen mit sich wandelnden „medienkommunikativen Praktiken“ Hand in Hand; ihr oftmals spannungsreiches Wechselverhältnis wiederum wurde diskursiv beobachtet und reflektiert – Hinweis darauf, dass Medien als zentraler Gegenstand der Gesellschafts- und Alltagsgeschichte ernst zu nehmen sind, um der „Historizität sozialer Figurationen“ gerecht werden zu können.22 Bereits die um 1900 einsetzende Medienrevolution hatte die Medialisierung der Politik vorangetrieben23 , doch verliehen die politischen Macht- und Deutungskämpfe der Weimarer Jahre der wechselseitigen Dynamik zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit noch einmal eine neue Qualität.24 Somit war das Musiktheater in jene umwälzenden Transformations- und Modernisierungsvorgänge eingebunden, die zwischen 1890 und 1930 einerseits eine begeisterte Fortschrittseuphorie auslösten, andererseits aber auch als eine „dramatische Bedrohung von Statusansprüchen, altgewohnten Gewissheiten, der vertrauten räumlichen Umwelt wie der eigenen kulturellen Milieus“ wahrgenommen wurden.25 Für die politische und soziokulturelle Selbstvergewisserung des städtischen Bürgertums war es eine unverzichtbare Institution, so dass sich hier auch jene „Krise von Ordnungsvorstellungen“ wie auch die Bezugnahme auf das „Ideal einer absoluten Ordnung“ niederschlugen, die für diese „Krisenjahre der klassischen Moderne“ (Detlev J. K. Peukert) charakteristisch waren.26 Dies eingerechnet, kann eine auf institutionelle Verfahrensweisen, diskursive Rezeptionskontexte und performative Praktiken zugreifende Analyse des Musiktheaters dazu beitragen, seine symbolpolitischen Gehalte ausdrücklich zu betonen und die „polemische Gegenüberstellung von Kulturgeschichte und politischer Geschichte“ zu überwinden.27 In diesem Sinn lehnt sich die Arbeit an die konzeptionelle Ausrichtung der Reihe „Ordnungssysteme“ an, indem sie die Oper in 21

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Vgl. Habbo Knoch/ Daniel Morat: Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960. Zur historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: Habbo Knoch (Hrsg.): Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003, S. 9–34, hier S. 9. Ebd., S. 13. Vgl. besonders Martin Kohlrausch: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005. Daniel/Marszolek/Pyta/Welskopp: Einleitung, S. 11. Wolfgang Hardtwig: Einleitung, in: ders. (Hrsg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007, S. 11–17, hier S. 11. Vgl. konzeptionell zum Diskurs über ,Krise‘ und ,Ordnung‘ ebd., S. 12. Ebd., S. 17.

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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die Tradition einer europäischen Kulturproduktion und Ideengeschichte einbettet, dabei aber besonders auf Prozesse der symbolischen wie medialen Hervorbringung von sozialem Sinn beziehungsweise sozialer Ordnung abhebt. Dass die Prägekraft musikalisch-ästhetischer Symbole bis in die Gegenwart hinein eine außerordentliche longue durée entfaltet hat, zeigt die einleitend skizzierte Bezugnahme auf Mozart und Wagner, ihre symbolische Inanspruchnahme als positiv wie negativ besetzte Pole einer europäischen, vor allem aber auch einer spezifisch deutschen Identität. Diese Deutungsweise freilich hat ihre eigene wechselvolle Geschichte und setzt lange vor der propagandistischen Indienstnahme Bayreuths in der NSZeit an. Sie ist im Kontext eines Erzählmusters zu verorten, das seit dem frühen 19. Jahrhundert die eigene Kultur zum Fundament nationaler Zusammengehörigkeit erhob und in einer gemeinsam geteilten Sprache, aber auch im Bereich der Kunst eine Projektionsfläche nationaler Wünsche, Hoffnungen und Ängste erblickte.28 Innerhalb Deutschlands kam dabei der Musik eine herausragende Stellung zu, formte diese sich doch sukzessive zu einer zentralen Ressource deutscher Nationalidentität und zu einem Vehikel politischer Selbstbehauptung aus. In den Augen zahlreicher Publizisten, Schriftsteller, Künstler und Intellektueller verkörperte die an sich so abstrakte Musik wie keine andere Kunst die Idee und Essenz eines ,deutschen Nationalcharakters‘ – „[K]ann man Musiker sein, ohne deutsch zu sein?“ fragte Thomas Mann (1875–1955) ebenso provozierend wie lapidar in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen29 , jener Schrift, die die Musik eindrucksvoll als Medium der „Selbstdarstellung und Selbstkritik des deutschen Wesens“ profilierte.30 Diese rückversichernde Suche nach Eigenem erklärte den Bereich des Ästhetischen zum Garanten einender Traditionen und stattete die „zu spät gekommene Nation“ mit spezifisch deutsch konnotierten, stets aber auch klischeehaft anmutenden Eigenschaften wie grüblerischer Gedankentiefe, romantischüberschwänglichem Eifer, metaphysischer Ernsthaftigkeit und archaischkraftvoller Expressivität aus.31 Komponisten wie Carl Maria von Weber (1786–1826), Ludwig van Beethoven (1770–1826) oder Richard Wagner wurden so zu quasi mythologischen „symbols of German nationalism“ und trugen maßgeblich zur Konsolidierung einer deutschen Nationalkultur bei.32 Es waren in erster Linie Angehörige des Bildungsbürgertums, die sich als 28

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Vgl. exemplarisch aus der Fülle der Literatur etwa Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a.M./Leipzig 1994; Andreas Dörner: Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannsmythos, Opladen 1995. Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen [1918], Frankfurt a.M. 2001, S. 100. Ebd., S. 96. Vgl. dazu grundlegend: Celia Applegate/Pamela Potter (Hrsg.): Music and German national identity, Chicago 2002. Celia Applegate/Pamela Potter: Germans as the ,People of Music‘. Genealogy of an iden-

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I. Einleitung

Initiatoren und Träger dieses Kultur- und Bildungskonzeptes verstanden und gesellschaftliche und politische Ansprüche mit Hilfe ihres kulturellen Status begründeten und rechtfertigten.33 Hier wie auch in zahlreichen anderen Ländern und Regionen Europas avancierte der Bereich des Ästhetischen somit zum bevorzugten Reflexionsmedium einer Gesellschaft, die sich selbst zusehends als modern einstufte und mit diesem Wandlungsprozess verbundene Ängste, Hoffnungen und Herausforderungen vor allem im Medium der Kunst reflektierte und bearbeitete.34 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts formte sich allerdings zusehends jene nationalistische Denkstile und Rezeptionsweisen begünstigende Denkfigur eines vermeintlichen ,deutschen Sonderweges‘ aus, die zunächst eine Identität generierende „Grenzbestimmung“ markierte, seit der Ära des wilhelminischen Kaiserreiches aber auch zunehmend kulturimperialistischchauvinistische Züge annahm.35 Mit der Diskursformation einer so bezeichneten ,deutschen Bewegung‘ etablierte sich seit 1850, vor allem aber in den Jahren um 1900 ein affirmatives, positiv definiertes Konzept eines ,deutschen Sonderweges‘: Lebensphilosophie, Reformpädagogik, eine historistisch geprägte Geschichtswissenschaft sowie die Germanistik, aber auch die ästhetischen Zirkel um Stefan George oder Hugo von Hofmannsthal schufen „transformierende Wiedererzählungen nationaler Mythen“, mit deren Hilfe sich ein wirkmächtiges Modell nationaler Identität und Selbstermächtigung inszenieren ließ.36 Verkörpert in der Kulturnation Deutschland und im Kontrast zu den (west-) europäischen Staatsnationen England und vor allem Frankreich wurden hier Kultur und Zivilisation, Rationalismus und Irrationalismus, aber auch Transzendenz und Immanenz einander gegen-

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tity, in: dies. (Hrsg.): Music and German national identity, Chicago 2002, S. 1–35, hier S. 12. Vgl. exemplarisch aus der Fülle der Literatur besonders die Arbeiten von Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 1994; ders.: Die Herausforderung der bürgerlichen Kultur durch die künstlerische Avantgarde. Zum Verhältnis von Kultur und Politik im Wilhelminischen Deutschland, in: Geschichte und Gesellschaft 20/1994, S. 424–444; ders.: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933, Frankfurt a.M. 2000. Siehe daneben aber auch die Studien von Matthew Jefferies: Imperial culture in Germany, 1871–1918, Basingstoke 2003, sowie ders.: Contesting the German Empire, 1871–1918, Malden, Mass. 2008; sowie Suzanne Marchand/David Lindenfeld (Hrsg.): Germany at the Fin de siècle. Culture, politics, and ideas, Baton Rouge 2004. Udo Bermbach: Ästhetik statt Politik? Eine Herausforderung an das demokratische Denken im 19. Jahrhundert, in: ders.: Opernsplitter. Aufsätze, Essays, Würzburg 2005, S. 13– 26, hier S. 20. So formuliert es der Journalist und Kunsthistoriker Hanno Rauterberg in seinem Beitrag „Verliebt in die Zweifler“, in: Die Zeit 15 (April 2008), S. 45f. Siehe zur Genese und Wirkmacht der Diskursformation der ,deutschen Bewegung‘ Daniela Gretz: Die deutsche Bewegung. Der Mythos von der ästhetischen Erfindung der Nation, München 2007, S. 17.

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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übergestellt – keineswegs in Form eines wertneutralen Vergleichens, sondern in der – wenn auch mitunter implizit formulierten – Überzeugung von der Überlegenheit der deutschen Kulturnation.37 Diese Koppelung von politischen Ambitionen und kultureller Selbstermächtigung lässt sich auch im Bereich der Musikpolitik und des musikpolitischen Diskurses auffinden. In viel beachteter Weise hat Thomas Mann den fatalen Nexus zwischen deutscher Machtpolitik und einer nach Weltgeltung strebenden deutschen Musik in seinem 1947 publizierten Roman Doktor Faustus thematisiert, der die fiktive Biographie des ,Tonsetzers‘ Adrian Leverkühn erzählt. Mit Leverkühns Lebens- und Leidensgeschichte – er wird 1885 geboren und stirbt im Jahr 1940 – lieferte Mann einen ebenso eigenwilligen wie kontrovers aufgenommenen Erklärungsversuch dieses so katastrophalen Sonderweg-Denkens, indem er „die deutsche Musik und das von ihr inspirierte kulturelle und politische Hegemoniestreben“ zueinander in Beziehung setzte und damit die wechselseitige Verwobenheit beider postulierte.38 Wer sich mit der Epoche des ausgehenden Kaiserreiches und der Zeit der Weimarer Republik auseinandersetzt, wird eine allzu teleologische Zuspitzung auf die Jahre nach 1933 vermeiden und diese so zwiespältige Ära nicht nur – um es mit den Worten von Thomas Manns Chronisten Serenus Zeitblom zu formulieren – als „eine von donnernden Flammen umtanzte Höllenfahrt“ beschreiben.39 Dennoch dürfen bei einer Beschäftigung mit der ,deutschesten aller Künste‘ die ideologischen und kulturpropagandistischen 37

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Gretz: Die deutsche Bewegung, S. 17. Dies impliziert, wie Daniela Gretz überzeugend herausgearbeitet hat, einen gleichsam „invertierte[n] ,Mythos vom Deutschen Sonderweg‘“, nämlich eine gleichsam „ursprüngliche, positive identitätsstiftende Parole von Deutschland als Kulturnation“; dieses Deutungsmuster wurde nach 1945 von der Denkfigur eines gescheiterten, nahezu pathologischen deutschen Sonderweges abgelöst (S. 9). Entgegen eines vermeintlich ,normalen‘, durch umfassende gesellschaftliche und politische Liberalisierung und Demokratisierung gekennzeichneten Modernisierungsverlaufes – so ließe sich diese bekannte Interpretation knapp resümierend zusammenfassen – wurde dem Deutschen Kaiserreich allenfalls eine halbherzig vollzogene Modernisierung zugebilligt. Zu übermächtig – so etwa die berühmt-provokante These von Hans-Ulrich Wehler in ,Das deutsche Kaiserreich 1871–1918‘ (Göttingen 1973) – war die Beharrungskraft der ,alten‘ Eliten aus Militär, ostelbischer Aristokratie und Bürokratie, als dass ein grundlegender Transformationsprozess hätte stattfinden können. Im Gegenteil wurden die antimodernen Facetten der wilhelminischen Gesellschaft etwa von Autoren wie Fritz Fischer so stark betont, dass ein direkter Weg vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus führte. Diese Annahme eines pathologischen deutschen Sonderweges, der langfristig wirksame Kontinuitätslinien zwischen 1871 und 1933 zog, war nach 1945 deshalb so wirkmächtig, weil die junge Bundesrepublik nun für sich in Anspruch nehmen konnte, endlich den „,Anschluss‘ an die demokratische Entwicklung der westeuropäischen Staaten“ gefunden zu haben. Siehe hierzu Helga Grebing: Der „deutsche Sonderweg“ in Europa 1806–1945. Eine Kritik, Stuttgart u. a. 1986, S. 140. Hans Rudolf Vaget: Seelenzauber. Thomas Mann und die Musik, Frankfurt a.M. 2006, S. 46. Thomas Mann: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde [1947], 6. Aufl., Frankfurt a.M. 1995, S. 597.

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I. Einleitung

Potenziale nicht unterschätzt werden, die im Konstrukt einer ,deutschen Musik‘ mitschwingen. Kultivierte Musikidolatrie, so hat Hans Rudolf Vaget überzeugend argumentiert, konnte nur allzu leicht ein „Suprematiedenken“ bestärken und eine „Überlegenheitsmentalität“ entfesseln, die „sich im Handumdrehen zur Legitimierung des politischen Hegemonieanspruchs, der sich 1914 und 1939 aufs massivste manifestierte, instrumentalisieren“ ließ.40 Doch auch abgesehen von der Frage nach einem ,deutschen Sonderweg‘ rückt – wie vorangehend bereits angedeutet – die ambivalente Dynamik einer gegenseitigen Verwobenheit von Musik und Politik in jüngster Zeit vermehrt in den Blickpunkt des Interesses. Dies ist weniger einem sich anbahnenden „musical turn“ geschuldet, wohl aber dem Bestreben, die Musik als Untersuchungsgegenstand etwas prominenter auf der Agenda einer kulturwissenschaftlich inspirierten Geschichtswissenschaft zu platzieren.41 Gerade von Seiten einer für akteursbezogene Erfahrungs- und Wahrnehmungsweisen sowie symbolische Praktiken und Weltbezüge offenen geschichtswissenschaftlichen Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass dem Musikleben des 19. und 20. Jahrhunderts trotz des wachsenden Interesses an kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Themen bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.42 Dieser Befund trifft auch für eine Erforschung der Geschichte des Operntheaters nach wie vor zu: Gemessen an dem kulturellen, sozialen und politischen Gewicht des Musiktheaters und seinen Sinn erzeugenden Valenzen sind die konkrete gesellschaftliche Situierung, der politische Rang und die jeweils eigensinnige Rezeptionsweise einzelner Werke durch ein anwesendes Publikum wie durch die Vertreter der Presse bislang noch nicht ausreichend untersucht worden. Dies erstaunt insofern, als nicht nur die Bürgertumsforschung mit ihrer Rekonstruktion schichtenspezifischer Weltbilder und Praktiken dieses Terrain seit langem streift43 , sondern neuerdings auch die Erforschung einer europäischen 40 41

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Vaget: Seelenzauber, S. 12. Vgl. dazu programmatisch Sven Oliver Müller: Analysing musical culture in nineteenthcentury Europe: towards a musical turn?, in: European Review of History – Revue européenne d’histoire 17/2010, No. 6, S. 835–859. Vgl. dazu grundlegend die Anregungen, die aus dem von Philipp Ther, Sven Oliver Müller und Heinz Gerhard Haupt ins Leben gerufenen und betreuten internationalen Forschungsprojekt „Die Oper im Wandel der Gesellschaft. Musikkulturen europäischer Metropolen im ,langen‘ 19. Jahrhundert“ hervorgegangen sind: Sven Oliver Müller: Einleitung. Musik als nationale und transnationale Praxis im 19. Jahrhundert, in: Journal of Modern European history 5/2007, No. 1: Demarcation and exchange. „National“ music in 19th century Europe, hrsg. v. Sven Oliver Müller und Lutz Raphael, S. 22–38; sowie ders.: Analysing musical culture in nineteenth-century Europe; außerdem Phillip Ther: Das Musiktheater als Zugang zu einer Gesellschafts- und Kulturgeschichte Europas (Einleitung), in: ders./Sven Oliver Müller/Jutta Toelle/Gesa zur Nieden (Hrsg.): Oper im Wandel der Gesellschaft. Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters im modernen Europa, Wien/Köln/Weimar 2010, S. 9–24. Exemplarisch ist dabei etwa auf die bahnbrechende Studie des Sozialhistorikers Wil-

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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Adels- und Theaterkultur in all ihren Facetten beliebter wird.44 Allerdings hat das Interesse an den sozial- und kulturgeschichtlichen Dimensionen des europäischen Operntheaters sowie an seinen institutionellen Rahmenbedingungen seit den spätern 1990er Jahren auch merklich zugenommen – zu denken ist hier beispielsweise an die spezifischen Leitungs- und Publikumsstrukturen, an die am Opern- und Konzertbetrieb beteiligten Akteure wie Komponisten und Dirigenten, Sänger und Sängerinnen, Musiker oder Tänzerinnen sowie an Mechanismen der sozialen Kontrolle durch Werk- und Pressezensur.45 Das Musiktheater hat sich mittlerweile als ausgesprochen ergiebiger Zugang zu einer „kulturellen Topographie Europas“ erwiesen46 : Der evidente Zusammenhang zwischen der im 19. Jahrhundert rasant voranschreitenden Urbanisierung und einer sprunghaften Zunahme an prunkvollrepräsentativen Opernhäusern und Konzertsälen liegt auf der Hand, und rasch markierte die Oper als Gattung wie auch als Institution „Urbanität, Fortschritt, Zivilisation“.47 Bedingt durch die Einführung moderner Verkehrsmittel, vor allem aber durch den Siegeszug der Massenmedien entfaltete sich ein metropolitanes Netzwerk, in dem ästhetische Formsprachen, soziale Praktiken und habituelle Verhaltensnormen wie Hör- und Sehgewohnheiten oder Kleiderordnungen konvergierten48 , in dem sich zusehends aber auch

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liam Weber: Music and the middle class: The soical structure of concert life in London, Paris and Vienna, London 1975, zu verweisen, der das internationale Konzertleben des 19. Jahrhunderts als soziale Praxis untersucht und damit maßgebliche Impulse für eine geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Themenfeld ,Musik und Gesellschaft‘ liefern konnte. Siehe exemplarisch vor allem Ute Daniels kulturgeschichtliche Untersuchung der beiden Hoftheater und der höfischen Kulturen von Karlsruhe und Mannheim: dies.: Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995. Zum aktuellen Stand der Adelsforschung in der Neuzeit vgl. Eckart Conze: Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln/ Weimar/Wien 2004. Vgl. hier exemplarisch etwa die wegweisende Analyse des Musikwissenschaftlers Michael Walter: Die Oper ist ein Irrenhaus. Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1997; Ingrid Scheurmann: Szenenwechsel. Eine Kulturgeschichte der Oper und der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Bonn 1998; sowie Philipp Ther: In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa, 1815–1914, Wien/München 2006, und Jutta Toelle: Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900, Kassel 2006. So der gleichnamige und gewissermaßen programmatische Titel des von Peter Stachel und Philipp Ther herausgegebenen Bandes: dies. (Hrsg.): Wie europäisch ist die Oper? Die Geschichte des Musiktheaters als Zugang zu einer kulturellen Topographie Europas, Wien/Köln/Weimar 2008. Ther: Das Musiktheater als Zugang zu einer Gesellschafts- und Kulturgeschichte Europas, S. 16. Für das 19. Jahrhundert ist die soziale und kulturelle Relevanz des Musiktheaters in einer Reihe von Einzelstudien mittlerweile anschaulich dokumentiert. Vgl. aus der Fülle der Literatur exemplarisch Anselm Gerhard: Die Verstädterung der Oper. Paris und das Musiktheater des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1992; James H. Johnson: Listening in Paris.

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I. Einleitung

eine Bevorzugung der eigenen Nationalkultur und damit exkludierende Abwehrstrategien ausformten, sodass ein wechselseitiger transkultureller Austausch mit nationaler Grenzziehung durchaus Hand in Hand ging.49 Als im 19. Jahrhundert in ganz Europa nationalstaatliche Einheitsbestrebungen laut wurden, war es nicht zuletzt die Kunstform Oper, die zum Medium nationaler Selbstfindung avancierte und kulturelle Kommunikationsräume schuf, in denen der Wunsch nach nationaler Einheit beschworen und die erhoffte Größe der eigenen Nation bild- und klanggewaltig imaginiert und inszeniert werden konnte. Der Erfolg zahlreicher Nationalopern, von Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (1868 in München uraufgeführt) über Bedřich Smetanas (1824–1884) Dalibor (am 16. Mai 1868 zur Grundsteinlegung des Prager Nationaltheaters uraufgeführt) bis zu Michail Glinkas (1804–1857) Ein Leben für den Zaren (1836 in St. Petersburg uraufgeführt), legt in eindrücklicher Form Zeugnis davon ab, wie sehr die Oper an einer ingeniösen Bestückung nationaler Gedächtnisse mitwirkte. Dass sich dabei das „Konzept nationaler Abgrenzung und die Praxis europäischer Aneignung“ gegenseitig bedingten und ineinander verwoben waren, macht diesen Prozess so vielschichtig und lenkt den Blick auf die jeweils individuellen Rezeptionshaltungen und Aufführungskontexte einzelner Komponisten und Werke.50 Über regionale und nationale Grenzen hinweg wurden Opern- und Konzerthäuser als ebenso schillernde wie exklusive Unterhaltungs- und Repräsentationsräume genutzt, von London bis Prag, von Paris bis St. Petersburg etablierten sich ähnliche Aufführungskonventionen und Rezeptionspraktiken wie etwa das schweigsame Zuhören im Theatersaal oder die Verdunkelung des Theaterraumes während der Aufführung. Oper und Konzert waren damit ein „gleichsam komprimierter Ausdruck sowohl der spezifischen Kultur eines Landes wie gesamteuropäischen Transfers“.51 In ihren Kompositionen setzten sich Künstler wie Wagner, Verdi oder Smetana immer wieder auch mit historischen Stoffen auseinander, ihre Opern griffen dabei wort- und klanggewaltig in den Prozess nationaler Selbstkonstitution ein, indem sie mit idealisierenden Interpretationen der eigenen Geschichte aufwarteten und exemplarische, kollektiv akzeptierte Hel-

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A cultural study, Berkeley 1995; Simon Gunn: The public culture of the Victorian middle class. Ritual and authority in the English industrial city 1840–1914, Manchester 2000; Ther: In der Mitte der Gesellschaft; William Weber: Redefining the status of opera. London and Leipzig, 1800–1848, in: Journal of Interdisciplinary History 36/2006, S. 507– 532; Jennifer Hall-Witt: Fashionable acts. Opera and elite culture in London, 1780–1880, Durham 2007; Sven Oliver Müller: ,A musical clash of civilizations‘? Musical transfers and rivalries around 1900, in: Dominik Geppert/Robert Gerwarth (Hrsg.): Wilhelmine Germany and Edwardian Britain: Essays on cultural affinity, Oxford 2009, S. 305–329; Gesa zur Nieden: Vom ,grand spectacle‘ zur ,great season‘. Das Pariser Théatre du Chatelet als Raum musikalischer Produktion und Rezeption (1862–1914), München 2010. Vgl. hierzu Müller: Musik als nationale und transnationale Praxis im 19. Jahrhundert. Ebd., S. 34. Ebd., S. 35.

2. Das Musiktheater als Medium politischer Sinnstiftung

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denmythen und Identifikationsfiguren ersannen. Überdies trugen spezifische musikalische Stilmittel – beispielsweise der Einsatz (quasi-)volkstümlicher Lied- oder Tanzsequenzen sowie als typisch empfundener Instrumente – dazu bei, der Musik einzelner Opern einen vermeintlich nationalen Klangstil zu verleihen. Indem das Musiktheater seinem Publikum darüber hinaus stilisierte, pseudo-naturalistische Bühnenbilder mittelalterlicher Handwerksstuben oder Ritterburgen, Thronsäle oder Kirchen präsentierte oder einzelne Bühnenfiguren – wie Hans Sachs – zu idealtypischen Verkörperungen vermeintlich deutscher Tugenden erhob, führte es Zuschauern und Kritikern zugleich bestimmte, normativ gesetzte Ordnungsmuster und Gesellschaftsentwürfe vor und trug so dazu bei, zeitgenössische Weltbilder und Wertvorstellungen in einen öffentlichen Diskurs einzuschleusen und zu verfestigen, gegebenenfalls aber auch zu reformulieren oder gar zu verwerfen.52 Einzelne Opern fügten sich besonders geschmeidig in das Gewebe einer nationalen Kollektivsymbolik ein, indem sie ein Netz von anschlussfähigen Assoziationen, Metaphern und Topoi woben, das verschiedenartige Facetten nationaler Identität aufrief und zum Schillern brachte.53 In ihren Bild-, Text- und Klangwelten schuf die Oper ein symbolisches Reservoir, das sich wandelnde zeitgenössische Befindlichkeiten, Wunschbilder und Ängste gleichsam evozierte, bearbeitete und in übergeordnete Plausibilitätsbezüge einstellte. Auf diese Weise griff sie in den Prozess kollektiver Weltdeutung und Selbstherstellung ein. Ein Werk wie Wagners im August 1850 in Weimar uraufgeführte romantische Oper Lohengrin kann dies exemplarisch veranschaulichen. Situiert in der mittelalterlichen Welt des 10. Jahrhunderts stiftete die Oper ein geschichtspolitisch relevantes Kontinuum zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie dem zeitgenössischen Publikum des 19. Jahrhunderts mit der Figur König Heinrichs I. einen historischen Herrscher vor Augen führte, der aufgrund seiner erfolgreichen innenpolitischen Konsolidierungspolitik und seiner expansiven Außenpolitik von Teilen der deutschen Geschichtswissenschaft – besonders von Heinrich von Sybel – zum ersehnten Reichsbegründer und zur exemplarischen Herrscherikone stilisiert wurde. Gleichzeitig ging die Oper über ein historisches Tableau hinaus, indem sie mit Lohengrin eine mythische, 52

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Vgl. Ther: In der Mitte der Gesellschaft, sowie ders.: Das Europa der Nationalkulturen. Die Nationalisierung und Europäisierung der Oper im ,langen‘ 19. Jahrhundert, in: Journal of Modern European History 5/2007, No. 1: Demarcation and exchange. ,National‘ music in 19th century Europe, hrsg. v. Sven Oliver Müller und Lutz Raphael, S. 39–67. Zum Begriff des Kollektivsymbols vgl. Ute Gerhard/Jürgen Link: Zum Anteil der Kollektivsymbolik an den Nationalstereotypen, in: Jürgen Link/Wulf Wülfing (Hrsg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1991, S. 16– 52, sowie Frank Becker/Ute Gerhard/Jürgen Link: Moderne Kollektivsymbole. Ein diskurstheoretisch orientierter Forschungsbericht mit Auswahlbibliographie (Teil II), in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 22, H. 1, hrsg. v. Georg Jäger, Dieter Langewiesche und Alberto Martino, Tübingen 1997, S. 70–154.

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I. Einleitung

Weisheit und Opferbereitschaft verkörpernde Helden-, Führer- und Ritterfigur einführte, die als rettend-numinose Kraft die brabantischen Edelleute und Ritter zu innerer Einheit aufruft und bei ihrem Abschied das ruhmreiche Wiedererstarken des Reiches prophezeit. Auf diese Weise thematisierte Lohengrin eindringlich die Rolle des Volkes als politischem Akteur, stellte zugleich aber die Frage nach den Legitimitätsgrundlagen guter Herrschaft. Wagners Schwanenritter beherrschte nicht nur die weltflüchtige Phantasiewelt des bayerischen Königs Ludwig II.; sie befeuerte Jahrzehnte später zugleich die narzisstischen Selbststilisierungen Wilhelms II. (1859–1941), der sich gerne als auserwählter Künstlerkönig sehen wollte. Die häufige Bezugnahme auf das Motivgefüge von Kampf und Ehre, von Not und Wehrhaftigkeit sowie auf das Metaphernfeld von Schild, Eiche und Schwert umschrieb dabei die Ängste vieler Zeitgenossen, für die das Bedrohungsszenario einer ,deutschen Mittellage‘ als Rechtfertigung einer massiven Aufrüstungspolitik diente. Zur selben Zeit ließ sich durch einfache binäre Zuordnungen von Gut und Böse, von nationalem Verteidigungskampf und unrechtmäßiger äußerer Bedrohung die Komplexität der zusehends verworren erscheinenden außenpolitisch-diplomatischen Situation scheinbar reduzieren. In seinem 1914 fertiggestellten und 1918 in Buchform veröffentlichen Roman Der Untertan hat Heinrich Mann (1871–1950) die für die wilhelminische Ära typische Fixierung auf eine militaristische Deutung der Oper karikierend zugespitzt. Demgegenüber weckte die mythische Welt des Schwanen- und Gralsritters Lohengrin die Assoziation besonderer Auserwähltheit, schicksalhafter Berufung und weihevoll-kollektiver Opferbereitschaft. Das Motiv der eigenen Andersartigkeit, ja der speziellen Sendung nahm im Fundus nationaler Stereotypen und -charaktere einen breiten Raum ein und findet sich auch in vielfältigen diskursiven Konstellationen, wie zum Beispiel den Erklärungsmustern der Auseinandersetzung zwischen ,Händlern und Helden‘54 , zwischen deutscher Kultur und europäischer Zivilisation, wieder.

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Werner Sombart: Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München/Leipzig 1915.

3. Zwischen Machtglanz, Pathos und Verfall der Aura: Leitmotive (II) und Aufbau der Arbeit Im Sinne dieser konzeptionellen Vorüberlegungen und auf den aktuellen Forschungsdiskussionen aufbauend soll in den nachfolgenden Analysen das Musiktheater als Ort einer sozialen Praxis Gestalt annehmen und im Besonderen als Medium politischer Sinnstiftung profiliert werden. Ganz konkret wird sich der Blick auf einen Vergleich der damals zu Preußen gehörenden Städte Frankfurt am Main und Wiesbaden richten. Eine solche Herangehensweise, die in gleichsam pointillistischer Manier zwei Stadtkulturen in den Blick nimmt, untersucht die komplexen und oftmals spannungsreichen Wechselbeziehungen zwischen städtischer, regionaler und nationaler Identität.1 Wie die Idee der ,Nation‘ entstehen auch Vorstellungen der ,Region‘ und der ,Metropole‘ durch fortlaufende Konstruktions- und Zuschreibungsprozesse, die sich überlappende, gegebenenfalls aber auch widerstreitende Modelle kollektiver Identität hervorbringen. Die vielstimmigen Erfahrungen und Deutungsweisen der historischen Akteure treten somit prominent in den Vordergrund und tragen dazu bei, jene Welt des Fin de siècle und der 1920er und 1930er Jahre, in der Neues und Altes spannungsreich nebeneinander standen und in der historische Akteure und Gruppierungen eine Vielzahl verästelter Pfade in eine als offen gedeutete Zukunft einschlugen, um eine eigenwillige Facette zu ergänzen.2 In diesem Sinn wird eine Form der Geschichtsschreibung angestrebt, die Geschichte als „fractured, contradictory, and open to multiple readings“ begreift.3 Es steht zu hoffen, dass damit auch dicht beforschten Feldern wie der Geschichte Preußens oder der Bürgertumsforschung einige neuartige Akzente hinzugefügt werden können. Der erste Teil der Arbeit wendet sich den Jahren zwischen 1890 und 1914 zu, einer Phase, in der sich die sozialen, konfessionellen, politischen und kulturellen Bruchlinien immer mehr zu jener von Wolfgang Mommsen beschriebenen ,latenten Krise‘ des wilhelminischen Reiches verdichteten und dessen innere Stabilität zunehmend gefährdeten, um schließlich eine Konstellation zu begünstigen, in der die politischen und militärischen Führungseliten das Risiko eines europäischen Krieges kühl kalkulierend in Kauf nahmen, wenn nicht gar – etwa durch eine ebenso aggressiv wie unbehol1

2 3

Vgl. zur kulturwissenschaftlichen Situierung der ,Region‘ James Retallack: Introduction: Locating Saxony in the landscape of German regional history, in: ders. (Hrsg.): Saxony in German history. Culture, society, and politics, 1830–1933, Ann Arbor 2000, S. 1–30. Suzanne Marchand/David Lindenfeld: Germany at the fin de Siécle: An introduction, in: dies. (Hrsg.): Germany at the fin de Siècle, S. 1–34, hier S. 5. Retallack: Introduction, S. 21.

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I. Einleitung

fen auftretende ,Weltpolitik‘ – offensiv betrieben.4 In kultureller Hinsicht vollzog sich in diesen Jahren der „Durchbruch der Moderne“, der mit der zunehmenden Akzeptanz der ästhetischen Avantgarde, einer fortschreitenden Professionalisierung von Handlungsfeldern, einem grundsätzlichen Relativismus wissenschaftlicher Erkenntnis und einer fortschreitenden Auflösung des Bürgertums als einer einheitlichen Gruppe mit gleichgerichtetem Lebensstil und Normhorizont den tiefgreifenden, als Krise begreifbaren Umbruch der bürgerlich-liberalen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts mit sich brachte.5 Das Musiktheater spiegelte diese konfliktgeladenen Entwicklungen nicht nur wider, sondern wirkte an ihnen mit, ohne auf eine kompensatorische Funktion reduziert werden zu dürfen. Gerade in einer Zeit sich vertiefender gesellschaftlicher Konflikte wurde der Bereich der Kunst seinerseits zu einer umkämpften politischen Sinnressource. Anhand der ausgewählten Stadt- und Theaterkulturen und ihrer verschiedenartigen Opern- und Theatergeschichte lässt sich dies exemplarisch nachzeichnen. Während Frankfurts Bürgerkultur auf jahrhundertealten Traditionen aufruhte und ihr 1880 feierlich eröffnetes Opernhaus – die heutige Alte Oper – als ureigenste Domäne eines selbstbewussten Bildungs- und Besitzbürgertums ansah, fand Wiesbaden lange Zeit sein Richtmaß eher in der höfischen Kultur Berlins. Die verschiedenartigen Reaktionsweisen beider Städte auf die Annektierung durch Preußen im Jahr 1866 erhellen die Unterschiede der politischen Kultur beider Städte: Wiesbaden, das neben Kassel zum preußischen Regierungssitz aufstieg und 1867 Verwaltungszentrum der Provinz Hessen-Nassau wurde, verfolgte von Anfang an einen preußen- und kaiserfreundlichen Kurs. Das zwischen 1892 und 1894 erbaute Hoftheater unterstand der Leitung der Generalintendanz in Berlin und verstand sich als preußische Musterbühne, die den ästhetischen Präferenzen ihres ranghöchsten Mäzens, Wilhelm II., ausdrücklich entgegen kommen wollte. Anlässlich seiner regelmäßigen Besuche in Wiesbaden besuchte der Monarch zumeist auch das Hoftheater und ließ es vor allem durch die 1896 ins Leben gerufenen Mai- beziehungsweise Kaiserfestspiele zu einem vielbeachteten Fixpunkt höfisch-monarchischer Repräsentation aufsteigen.6 4 5 6

Vgl. Wolfgang J. Mommsen: Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 1990. Vgl. ebd., S. 257ff., hier S. 282. Die Glanzzeit der Kurstadt Wiesbaden und ihres Theaters in den Jahren zwischen 1890 und 1914/18 ist mittlerweile in einer Reihe historischer Monographien detailreich aufbereitet worden. Unterschiedlichste Aspekte haben hierbei Berücksichtigung gefunden: So widmete sich Gerda Haddenhorst den Mai- oder Kaiserfestspielen zwischen 1896 und 1914 aus einer vornehmlich theaterwissenschaftlichen Perspektive (dies.: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, Wiesbaden 1985), während sich Yvonne Istas: Das ehemals königliche Hoftheater in Wiesbaden 1892–1894. Studien zu Bau und Ausstattung, Göttingen 1999, und Peter Schabe: Das Foyer des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden von Felix Genzmer, in: Nassauische Annalen 97/1986, S. 151–173, auf die Bau- und Ausstattungsgeschichte des neuen Wiesbadener Theaters konzentrierten. Helmut Schwitzgebel: Freudig begrüßen wir die edle Halle. 100 Jahre Wiesbadener Theater am Warmen

3. Zwischen Machtglanz, Pathos und Verfall der Aura

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Diese große Kaisernähe ging zwar nicht mit einer mühelos zu erheischenden Dauerakklamation der monarchischen Ordnung einher. Davon zeugte nicht zuletzt die minutiöse Sorgfalt, die der Kaiser auf seine Auftritte verwendete. Dennoch – im Vergleich zu Frankfurt bot sich im Wiesbaden der Kaiserzeit das Bild einer weithin affirmativen Festkultur (vergleiche hierzu die Kapitel II.1, II.4 und II.5). Die monarchische Festkultur Wiesbadens lässt sich treffend als Plattform einer „aktiven Repräsentation“ monarchischer Macht und Einflussnahme charakterisieren7 : Bei seinen häufigen Aufenthalten in der Stadt stilisierte sich der Kaiser – aktiv unterstützt von den städtischen und regionalen Eliten sowie von Vertretern der Presse – zum charismatischen Gestalter politischer Prozesse, hier präsentierte er sich als Volkskaiser und „Medienstar“.8 Dies kann zwar durchaus als Anzeichen für den gelingenden Auf- und Ausbau einer „persönlichen Monarchie“ gedeutet werden9 , doch Damm 1894–1994, Wiesbaden 1994, sowie Alexander Hildebrand/Eva Christina Vollmer/ Karl Heinz Roland: Theater in Wiesbaden 1765–1978, Wiesbaden 1978, präsentierten langfristig angelegte kulturgeschichtliche Überblicksdarstellungen über Geschichte und Entwicklung des Wiesbadener Theaters. Sozialgeschichtliche Aspekte stehen im Zentrum von Winfried Schülers Studie zum wilhelminischen Wiesbaden (ders.: Das wilhelminische Wiesbaden. Modellstadt einer Freizeit- und Dienstleistungsgesellschaft?, in: Nassauische Annalen 99/1988, S. 89–110). Demgegenüber haben bislang allerdings diejenigen Aspekte, die sich mit der symbol- und geschichtspolitischen Bedeutung der politischen Festkultur Wiesbadens im genannten Zeitraum beschäftigen, wenig Beachtung gefunden. Eine Ausnahme bildet die vergleichend angelegte Studie von Silke Satjukow über Geschichte und Bedeutung der Bahnhofstraße, die sie als bedeutenden Kristallisationspunkt der öffentlich-städtischen Kommunikation und als symbolisch-repräsentativen Raum deutet (dies.: Bahnhofstraßen. Geschichte und Bedeutung, Köln/Weimar/Wien 2002). 7 Diese treffende Beschreibung der wilhelminischen Monarchie findet sich bei Martin Kohlrausch: Monarchische Repräsentation in der entstehenden Mediengesellschaft: Das deutsche und das englische Beispiel, in: Jan Andres/Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2005, S. 93–12, hier S. 107. 8 Das spannungsreiche Verhältnis zwischen (Massen-)Medien und Monarchie haben mittlerweile eine Reihe von Arbeiten gewinnbringend untersucht; vgl. besonders Kohlrausch: Der Monarch im Skandal; Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Die Kaiser und die Macht der Medien, bearb. v. Franziska Windt, Jürgen Luh und Carsten Dilba, Berlin 2005; Jost Rebentisch: Die vielen Gesichter des Kaisers: Wilhelm II. in der deutschen und britischen Karikatur (1888–1918), Berlin 2000; Lothar Reinermann: Der Kaiser in England. Wilhelm II. und sein Bild in der britischen Öffentlichkeit, Paderborn 2001. 9 John C. G. Röhls monumentale Biographie des letzten deutschen Kaisers, die die internationale Forschungslandschaft und das öffentliche Bild Wilhelms II. nach wie vor deutlich prägt, beurteilt die Rolle des Kaisers als durchweg negativ und attestiert ihm einen hemmungslos ausgelebten, dramatische Konsequenzen zeitigenden „autokratischen, ja aggressiven Machtanspruch“ (ders.: Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie. 1888–1900, München 2001, S. 935). Die prominente Gegendarstellung stammt von Nicolaus Sombart und beschreibt den Kaiser eher als repräsentative Figur des Fin de siècle, die der „Glanz und Glamour der Belle Époque“ umflimmerte, als tragisch-sensible Künstlerpersönlichkeit. Gerade seine Vorliebe für Pomp und Repräsentation rechnet Sombart ihm als Verdienst an; denn sein Gespür für die Erfordernisse einer „grandio-

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I. Einleitung

legt die nachfolgende Analyse den Fokus eher auf die strukturellen Facetten und medialen Arrangements, die zu jenem gelingenden monarchischen Selffashioning beitrugen. Singulären Ereignissen und zielgerichteten Handlungen einzelner Akteure ist demnach zwar durchaus der Status der Einmaligkeit zuzubilligen, doch bleiben auch sie in Strukturen eingebettet, gleichsam mit ihnen verwoben10 : Selbst strategisch geplante Handlungs- und Ereignisfolgen sind somit im Kontext der sie hervorbringenden kommunikativen und medialen Strukturen zu untersuchen, wobei gerade auch die damit korrespondierenden Wahrnehmungen und Reaktionen markant hervortreten.11 In dieser Hinsicht schließt die Arbeit an Martin Kohlrauschs Untersuchung der wilhelminischen Monarchie an, die den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Medien und Monarchie untersucht und nach den Möglichkeiten monarchischer Herrschaftsrepräsentation in der Ära der Massenmedien fragt.12 Die Expansion und Ausdifferenzierung der Medienlandschaft bewirkte eine weitreichende Transformation der Monarchie: Einerseits wurde diese nun zusehends zu einem Objekt der öffentlichen Kritik, der Personalisierung und Skandalisierung, da die medial minutiös ausgeleuchtete Person des Kaisers einen „dauerhaften und kontroversen Referenzpunkt“ bot.13 Andererseits beförderte die öffentliche Dauerpräsenz Wilhelms das Idealbild eines Herrschers, der aktiv in das politische Geschehen eingriff, so dass sich für die Monarchie neuartige Möglichkeiten eröffneten, um sich als symbolisches Zentrum gesellschaftlicher Harmonie und politischer Integration zu profilieren.14 Das Beispiel der Wiesbadener Kaiserfestspiele etwa kann demonstrieren, wie monarchische Repräsentation in der Ära einer massenmedial organisierten Moderne überaus erfolgreich funktionieren konnte. Gerade die vermeintlich archaischen Momente der Herrschaftsrepräsentation – etwa die aufwändigen Festeinzüge des Monarchen in die Stadt oder die pompösen Spezialaufführungen im Opernhaus – sicherten dem viel gescholtenen Medien- und Reisekaiser ein beträchtliches Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit und bestätigten so die integrativen Ordnungsleistungen

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sen imperialen Show“ habe der Idee des Kaisertum Leben und Glanz verliehen. Siehe dazu Nicolaus Sombart: Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin 1996, hier S. 29 und 37; ausgewogen und vermittelnd argumentieren dagegen die überzeugenden Darstellungen von Wolfgang J. Mommsen: War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten, München 2002, sowie Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008. Zur medialen Konstruktion von Ereignissen vgl. Frank Bösch: Ereignisse, Performanz und Medien in historischer Perspektive, in: ders./Patrick Schmidt (Hrsg.): Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2010, S. 7–29. Ebd., S. 7f. Kohlrausch: Monarchische Repräsentation, S. 95. Ebd., S. 101. Ebd., S. 107.

3. Zwischen Machtglanz, Pathos und Verfall der Aura

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der Monarchie.15 Sie riefen dabei ein betont traditionales Formenrepertoire monarchischer Charismaproduktion ab und vermieden die eher als ,modern‘ einzustufenden Momente der politischen Kommunikation – namentlich die politische Rede, die im Falle der öffentlichen Auftritte Wilhelms sonst so oft zu notorischen Entgleisungen führte. Die durch den cultural turn bewirkte Hinwendung zur Monarchie als Forschungsgegenstand16 hat somit nicht nur den Blick für die symbolischen Inszenierungsstrategien monarchischer Macht schärfen können, sondern regt auch dazu an, die Frage nach der spezifischen Modernität des wilhelminischen Kaisertums erneut zu stellen. Nachfolgend wird mithin auch zu untersuchen sein, inwieweit die wilhelminische Opern- und Festspielkultur zu einer Neukonzeptionalisierung des Kaisertums beitragen konnte, die Wilhelm II. seit den 1890er Jahren umzusetzen suchte, und die den Anspruch verfolgte, für eine möglichst große Vielzahl gesellschaftlicher Gruppierungen integrativ wirken zu wollen. Insbesondere werden die Ordnung und Sinn stiftenden Potenziale nationaler Ideen, Mythen und Diskurse in den Blick genommen werden; denn da der nationale Diskurs um 1900 von einer Vielzahl von Akteuren und Gruppen genutzt wurde, um eigene Ansprüche zu formulieren, ist für diesen Zeitraum auch eine äußerst spannungsreiche „Pluralisierungsdynamik“ nationaler Leitbilder und -ideen zu konstatieren.17 Somit wurde es zusehends schwierig, auf nationale Zusammengehörigkeit abzielende und konsensuell anerkannte Erzählmuster zu etablieren.18 Das Beispiel des Nationalismus erlaubt es mithin, die Frage nach der „gesellschaftlichen Gestaltungskraft“ von Ideen in neuartiger Weise zu stellen. Die Anregungen einer neuen Ideengeschichte aufgreifend, sollen Ideen hierbei nicht als handlungsleitend-intentionale, weitgehend rationalisierte und in sich kohärente Weltbilder gedeutet werden; viel eher soll die 15

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Zur herrschaftsgenerierenden und -sichernden Funktion der wilhelminischen Kulturpolitik vgl. allgemein Michael A. Förster: Kulturpolitik im Dienst der Legitimation. Oper, Theater und Volkslied als Mittel der Politik Kaiser Wilhelms II., Frankfurt a.M. 2009. Für die Epoche des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ist mit Blick auf Deutschland neben den bereits genannten Arbeiten von Martin Kohlrausch und Alexa Geisthövel auf Johannes Paulmanns Studie zu den Monarchenbegegnungen zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg hinzuweisen (ders.: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000); außerdem ist auf Monika Wienforts zahlreiche Studien zu Adel und Monarchie hinzuweisen, so etwa exemplarisch auf dies.: Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848, Göttingen 1993, sowie dies.: Zurschaustellung der Monarchie – Huldigungen und Thronjubiläen in Preußen-Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert, in: Peter Brandt (Hrsg.): Symbolische Macht und inszenierte Staatlichkeit. ,Verfassungskultur‘ als Element der Verfassungsgeschichte, Bonn 2005, S. 81–100, und dies.: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006. Moritz Föllmer/Andrea Meissner: Ideen als Weichensteller? Polyvalenz, Aneignung und Homogenitätsstreben im deutschen Nationalismus 1890–1933, in: Lutz Raphael (Hrsg.): Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006, S. 313–373, hier S. 314. Ebd.

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I. Einleitung

Eigenwilligkeit und Eigendynamik symbolischer Handlungen und Erzählungen betont werden, mithin also die Ebene der subjektiven Aneignung und Auslegung gesellschaftlicher Wirklichkeit durch die historischen Akteure.19 Wie sehr nämlich etwa nationale Ideen und Weltbilder in gesellschaftliche und politische Macht- und Deutungskämpfe eingelassen waren, zeigt das Beispiel der politischen Festkultur Frankfurts, wo Vertreter linksliberaler Traditionen und Überzeugungen, wie sie sich etwa in der Frankfurter Zeitung manifestierten, auf Anhänger eines kaisertreuen Kurses trafen, so dass hier offensichtliche Brüche und Konfliktlinien zutage traten. Als Zentralort städtischer Öffentlichkeit wurde das 1880 eröffnete Opernhaus im Zuge der Reichseinigung von 1871 immer mehr zu einem Forum, in dem Befürworter und Kritiker preußischer Politik um Sichtbarkeit und Einfluss sowie um die Deutungshoheit über den Zuschnitt der Staatsnation rangen.20 Die Frage, inwiefern die Frankfurter Oper weiterhin als Hort liberaler, dezidiert stadtbürgerlicher Traditionen beibehalten oder aber als Monument des neuen, sich über weite Strecken autoritär gerierenden wilhelminischen Machtstaates auftreten sollte, prägte der politischen Festkultur der Kaiserzeit ihren Stempel auf (vergleiche Kapitel II.6). Möglichkeiten und Grenzen einer gelingenden Integration des Nationalstaats lassen sich somit anschaulich anhand einer Rekonstruktion der divergierenden Theaterkulturen beider Städte nachzeichnen und profilieren das Musiktheater als eine Arena, in der gesellschaftliche Prozesse der Ordnungssuche spannungsreich ausgehandelt wurden. Gleichzeitig besticht eine Analyse der politischen Festkultur Frankfurts in den Jahren um 1900 durch die Möglichkeit, die komplexen Modernisierungsvorgänge jener spannungsreichen Ära streifen zu können. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchlief die Stadt umwälzende Transformierungsprozesse, durch die sich die ehemalige Freie Reichsstadt zusehends zu einer modernen Bürgermetropole ausformte und zu einer der bedeutendsten Metropolen des Reiches aufstieg.21 Dies bot einerseits Gelegenheit zu optimistischem Fortschrittsdenken, ja zu „hochfliegenden nationalen Zukunftsentwürfe[n]“.22 Am Beispiel der großen, auch international für Furore sorgenden Elektrotechnischen Ausstellung des Jahres 1891 gelang es der Stadt, sich zur Bannerträgerin naturwissenschaftlicher Expertise und fortschrittsbetonter Rationalität aufzuschwingen (vergleiche 19 20 21

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Ebd., S. 331f. Wolfgang Schivelbusch: Eine wilhelminische Oper, Frankfurt a.M. 1985. Vgl. hierzu insbesondere Andreas Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historisch-soziologische Rekonstruktion, Frankfurt a.M. 1992; Jörg R. Köhler: Städtebau und Stadtpolitik im Wilhelminischen Frankfurt. Eine Sozialgeschichte, Frankfurt a.M. 1995. So Ute Freverts Kennzeichnung der optimistischen Grundstimmung der Jahrhundertwende; siehe dazu Ute Frevert: Jahrhundertwenden und ihre Versuchungen, in: dies. (Hrsg.): Das neue Jahrhundert. Europäische Zeitdiagnosen und Zukunftsentwürfe um 1900, Göttingen 2000, S. 7–15, hier S. 9.

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Kapitel II.3). Das städtische Opernhaus war in diese Strategie urban-kultureller Selbstschöpfung einbezogen23 , indem es ein öffentliches Forum darstellte, das ästhetische und technische Moderne miteinander kurzschloss und in einprägsame Bild- und Klangformationen übersetzte. In einer Reihe sorgsam ausgewählter Opern- und Ballettaufführungen wurden Themenfelder wie Fortschritt, Modernität und Zivilisation aufgerufen und synästhetisch überwältigend auf die Bühne gebracht, so dass Oper und Ballett nicht etwas bereits Vorgegebenes – die technisch-naturwissenschaftliche Moderne – lediglich illustrierend abbildeten, sondern diese im Moment der Aufführung, der theatralischen Inszenierung vor einem anwesenden Publikum in ihren Bedeutungsdimensionen vielmehr erst hervorbrachten und mit kollektiver Plausibilität ausstatteten.24 Die Schattenseiten dieser dynamischen Fortschrittsideologie und der rapiden Beschleunigungs- und Veränderungsprozesse der Jahrhundertwende lassen sich unter dem Stichwort des „nervösen Zeitalters“ treffend subsumieren25 und beleuchten einen anderen Aspekt der Mentalitäts- und Kulturgeschichte, nämlich jenes „Fin-de-siècle-Gefühl“ der Angst, Verunsicherung und der weit verbreiteten Skepsis.26 Der zusehends fühlbare Verlust verbindlicher Ordnungsmuster und sichernder Traditionsbestände machte sich in den Großstädten, den Zentren des Wandels, am deutlichsten und empfindlichsten bemerkbar. Hier prallten zivilisationskritische Ängste und rasante Fortschrittseuphorie aufeinander, und nirgendwo sonst war der ruhelos-flüchtige Charakter jener sich selbst als Moderne wahrnehmenden Zeit greifbarer. Die Bewohner der Metropolen, so schreibt Peter Fritzsche über Berlin, „came to think about the city as a vast, enticing spectacle, as movement, as motley and mysterious“, ein Befund, der sich auch auf das Frankfurt der Jahrhundertwende übertragen lässt.27 Die urbanen Ballungszentren der Jahrhundertwende lassen sich als Orte des Experimentierens, als Schwellen- und Übergangsräume beschreiben, in denen sich unterschiedliche Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung überlagerten. Im 25-jährigen Jubiläumsfest des Opernhauses (1905) wurden diese soziokulturellen Konflikte überaus greifbar, denn der Jahrestag des Opernhauses bot ausreichend Anlass 23

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Zum Begriff der kulturellen Selbstschöpfung siehe Jürgen Martschukat/Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: dies. (Hrsg.): Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 1–32, hier S. 2. Ein breit angelegter Überblick über die Dimensionen des ,performative turn‘ in den Geschichtswissenschaften findet sich in: Martschukat/Patzold: Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Siehe Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998. So Jens Malte Fischer: Jahrhundertdämmerung. Ansichten eines anderen Fin de siècle, Wien 2000, S. 22. So Peter Fritzsche: Reading Berlin 1900, Cambridge, Mass. 1996, S. 3.

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I. Einleitung

zu Reflexion und Standortbestimmung. Dabei dominierte nach wie vor die Hoffnung, dass die sich zuspitzenden sozialen, politischen und kulturellen Konflikte nach wie vor durch den Bereich einer integrativen Bürgerkultur überwunden, zumindest aber eingehegt und befriedet werden konnten.28 Die Oper bezeichnete für die bürgerlichen Eliten der Stadt nach wie vor jenes „Wunderland“29 einer gemeinsamen kulturellen Alltagspraxis, die ihren sozialen Zusammenhalt gewährleistete und dadurch relevante symbolische Ordnungsleistungen vollzog. Dies sollte sich nach den Wirren des Ersten Weltkrieges zunächst nur bedingt ändern, wie im zweiten Teil der Arbeit aufgezeigt werden soll, der sich mit den Jahren zwischen 1918 und 1930 auseinandersetzt. Mit Blick auf die politische Festkultur Frankfurts und Wiesbadens wird nachgezeichnet, inwieweit Oper und Festspiel auch über den Epochenbruch des Ersten Weltkrieges hinweg als relevante Medien politischer Repräsentation fungieren konnten. Musiksoziologisch und werkgeschichtlich wurde bislang vor allem der Zäsurcharakter der Jahre um 1914 hervorgehoben.30 Parallel zu einer Auflösung traditioneller musikalischer Formsprachen und zu dem allmählichen Erfolg der ,neuen Musik‘ eines Arnold Schönberg (1874–1951), eines Igor Strawinsky (1882–1971) oder eines Alban Berg (1885–1935) vollzog sich der graduelle Statusverlust des bildungsbürgerlichen Publikums, das bislang die Opernhäuser und Konzertsäle bevölkert hatte und auf der musikalischen Schaubühne die „Symbolik seiner Macht und seines materiellen Aufschwungs mit dem Ritual der verblassenden, aber urbürgerlichen Idee befreiter Natur“ vereint gesehen hatte.31 Zudem erwuchs gerade dem Musiktheater durch die neuen Medien der Zeit wie dem Kino und seit 1923 dem Rundfunk eine ernsthafte Konkurrenz. Nach der Überzeugung Theodor W. Adornos (1903–1969) war die Oper – ganz besonders der klassisch-romantische Opernkanon – dadurch irreversibel von dem von Walter Benjamin diagnostizierten ,Verfall der Aura‘ betroffen, schienen doch ihr Pathos und ihre grandiosen Gesten im Zeitalter

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Siehe zur Definition einer Kultur der Bürgerlichkeit nach wie vor Jürgen Kocka: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 21–63; sowie Dieter Hein/Andreas Schulz (Hrsg.): Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Lebenswelt, München 1996. Ebd. Theodor W. Adorno etwa stufte Richard Strauss’ Der Rosenkavalier (1911 in Dresden uraufgeführt) als Endpunkt des traditionellen Opernbetriebes und als „letztes Werk der Gattung“ ein, das es noch „zu breiter Popularität“ bringen könne. Vgl. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie, S. 91. Eine ähnliche Zäsur setzt Carl Dahlhaus, für den das Jahr 1910 den Endpunkt des klassisch-romantischen Musikkanons markiert, vgl. Carl Dahlhaus: Epochen und Epochenbewußtsein in der Musikgeschichte, in: Reinhart Herzog/ Reinhart Koselleck (Hrsg.): Epochen und Epochenbewußtsein (Poetik und Hermeneutik XII), München 1987, S. 81–96. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie, S. 100.

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des Jazz, der Neuen Sachlichkeit, der Bubiköpfe und Wochenschauen seltsam fremd und unzeitgemäß.32 Der Zäsurcharakter der Jahre um 1914 büßt freilich viel von seiner scheinbaren Prägnanz ein, wenn der Blick sich auch auf die symbolpolitischen Gehalte der Oper sowie auf ihre Rezeption als öffentlich-politische Kunstform richtet. Konzentriert man sich beispielsweise auf den kulturpolitischen Diskurs jener Jahre, drängt sich eine alternative Zugriffsweise auf, die das Musiktheater weiterhin im Kreuzungspunkt symbolpolitischer Deutungskämpfe zu situieren vermag.33 Erbittert wurde in den zusehends auseinanderdriftenden und zerklüfteten Teil- und Subkulturen der Weimarer Jahre darum gerungen, den Kanon klassischer Kunstmusik nach wie vor als Symbol nationalkultureller Einheit und Größe zu bewahren, sollte die Musik doch nun das leisten, „was die Politik ganz offensichtlich nicht mehr zu leisten imstande war“.34 Dies wirft die Frage auf, wie sich das Verhältnis zwischen Musik und Politik konkret gestaltete, welche Veränderungen im Vergleich zur Vorkriegsära zu diagnostizieren waren und mit welchen divergierenden Bedeutungsgehalten die Erzählfigur der ,deutschesten‘ aller Künste nun aufgeladen wurde. Wenngleich also die fraglose Gültigkeit ungebrochener Traditionslinien für die 1920er Jahre nicht länger gewährleistet blieb, ist dennoch zu hinterfragen, ob und inwieweit die öffentliche Wirkmacht und die politische Relevanz des Operntheaters tatsächlich unterminiert wurden. Wendet man sich den konkreten Beispielen Frankfurt und Wiesbaden zu, so lässt sich zunächst weder ein Bedeutungsverlust der Kunstform Oper noch des Opernhauses als Raum ästhetischen Erlebens und ritueller, symbolpolitisch bedeutsamer Kommunikation feststellen. Gleichwohl aber wandelten sich die Mechanismen wie die Inhalte der Repräsentation. Neben den bereits angeführten soziologischen und musikimmanenten Faktoren war dies auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Frankfurt überstand den Epochenbruch der Jahre 1914/18 vergleichsweise unbeschadet und trat selbstbewusst als Zentrum der Weimarer Moderne auf. Immer wieder ist der Stadt vor allem für die goldene Ära der mittleren 1920er Jahre das Flair einer lebendigen Stadtkultur zugesprochen und 32

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Vgl. ebd., S. 97. Siehe auch Walter Benjamins Ausführungen zum „Verfall der Aura“ des Kunstwerks in ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie [1936/1963], Frankfurt a.M. 1977, S. 7–44. Der Musikwissenschaftler Michael Walter etwa setzt sich von ausschließlich werkgeschichtlich begründeten Zäsuren ab. In seiner Untersuchung des deutschen Musiklebens nach 1918 konzentriert er sich vornehmlich auf Dokumente des musikpublizistischen Diskurses und plädiert auf dieser Basis dafür, die Jahre zwischen 1919 und 1924 genauer in den Blick zu nehmen, da sich hier jene Ära auszuformen begann, „die das Musikleben der Weimarer Republik und, abgewandelt, auch des Dritten Reichs prägten“. Vgl. Michael Walter: ,Die Mörder sitzen im Rosenkavalier‘. Die Neuorientierung des deutschen Musiklebens nach dem ersten Weltkrieg, in: ders.: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919–1945, Stuttgart 1995, S. 1–41, hier S. 8ff. Walter: ,Die Mörder sitzen im Rosenkavalier‘, S. 17.

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I. Einleitung

der „aufregende, moderne, experimentierfreudige und provozierende Lebensrhythmus einer neuen Kulturperiode“ betont worden.35 Nicht umsonst wählte Thomas Mann als Aufführungsort für Leverkühns geläutertes, im Geist transnational-europäischer Kunstmusik verfasstes apokalyptisches Oratorium „[s]elbstverständlich“ die Stadt Frankfurt, der Mann in seinem Roman einen „der gutwilligen, freimütigsten Stadtcharaktere des Reiches“ zubilligte.36 Hier findet die von Seiten der kulturkonservativen Reaktion als kulturbolschewistisch attackierte Musik Leverkühns „intelligente, des Wortes mächtige Verteidiger“.37 Die Goethestadt erweist sich bei Mann damit als „welt- und freiheitsfreundlich[e]“ Metropole und bildet einen entschiedenen Gegenpart „zur nationalistisch-wagnerisch-romantischen Reaktion“.38 Tatsächlich avancierte das Frankfurter Opernhaus zu demjenigen Ort, an dem die gesellschaftspolitische Wende sinnfällig untermauert und öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt werden konnte. Die politischen Repräsentanten Weimars nutzten es nicht zuletzt aufgrund seiner exponierten Stellung innerhalb der städtischen Topographie, um eine neue symbolische Ordnung zu postulieren. Nachdem sie die Regierungsmacht übernommen hatte, begann die Sozialdemokratie – namentlich ist hier auf Reichspräsident Friedrich Ebert zu verweisen –, sich das Diskursfeld ,nationaler Einheit und Größe‘ zu eigen zu machen: Der Begriff des ,Volkes‘ etwa wurde nun nicht mehr im Sinne einer monarchischen Untertanengemeinschaft gedeutet, sondern sollte eine demokratisch verfasste und national verbundene Volksgemeinschaft bezeichnen. Auf diesem Weg versuchten die neuen politischen Eliten, den Nationalismus in eine Legitimationsstrategie prorepublikanischer Politik zu überführen.39 Wie zu sehen sein wird, avancierte die Oper nun immer mehr zu einem politischen Bekenntnisraum, in dem sich eine an neuen Sagbarkeitsregeln aufruhende symbolpolitische Ordnung ausformte (siehe vor allem Kapitel III.2). Im Zuge einer durch den Krieg bewirkten Umformung kollektiver Ordnungskonzepte von einer – so die Diagnose Bernd Weisbrods – auf „Kontrakten“ beruhenden Gesellschaft zu einer auf „Verständnissen“ basierenden Gemeinschaft wurde die Oper zu einem Forum, das einen neuartigen, für die Weimarer Republik charakteristischen Repräsentationsstil einführte40 : Bei zahlreichen Anlässen richteten Politiker und Künstler unmittelbar an 35

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Dieter Rebentisch: Frankfurt am Main in der Weimarer Republik und im Dritten Reich 1918–1945, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.): Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 423–519, hier S. 457. Mann: Doktor Faustus, S. 515. Ebd. Ebd. Siehe zur Transformation der „Nation als Volk“ zwischen 1890 und 1933 vor allem Föllmer/Meissner: Ideen als Weichensteller?, S. 320. Siehe zur sich wandelnden politischen Kultur in der Weimarer Republik die Analyse von Bernd Weisbrod: Die Politik der Repräsentation, S. 31.

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das versammelte Festpublikum eindringlich formulierte Ansprachen, die in expliziter Weise das tagespolitische Geschehen kommentierten und so in politische Abläufe eingriffen. In eigenwilliger Weise wurde hier eine „Dramatisierung des Politischen“ bewirkt, die bislang gängige Sagbarkeits- und Darstellungsregeln in Frage stellte und im Kontext einer sich wandelnden politischen Repräsentationskultur zu verorten ist, die bei den Zuhörenden und Zusehenden ein Gefühl der Einheit evozieren, ja sie zu gemeinsamem Empfinden und Handeln anhalten wollte.41 Politisches Handeln und Sprechen fand daher zusehends in einem Modus kollektiver Erwartung statt und stellte die Überwindung der ,Dauerkrise der Alltagserfahrung‘ (Detlev J. K. Peukert) in Aussicht. Die politische Kultur Frankfurts war dabei über weite Strecken von einer gestaltungsoptimistischen Grundstimmung geprägt, die den Anbruch einer ,neuen Ära‘, einer ,neuen Zeit‘ herbeisehnte und überzeugt war, die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Probleme bewältigen zu können.42 Demgegenüber betrauerte man in Wiesbaden den Untergang des Hohenzollernreiches lange schmerzlich. Die Stadt wurde 1918 von alliierten Truppen besetzt, und das in den frühen 1920er Jahren in eine preußische Staatsbühne umgewandelte Theater gab sich nun kämpferisch als vitale Nische einer bedrohten Nationalkultur zu erkennen. Erst als sich die Republik ab 1925 zu stabilisieren begann, nutzte der preußische Staat die ehemalige Hofbühne engagierter als Medium republikanischen Self-fashionings, indem er nun – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen – die Tradition der Maifestspiele fortführte und zum Aushängeschild einer gewandelten Festkultur machen wollte (vergleiche die Kapitel III.3 und III.7). Um das Jahr 1930 setzte jene „autoritäre Wende“ ein, die durch die fortschreitende Destabilisierung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens herbeigeführt worden war und den Legitimationsverlust der Weimarer Ordnung besiegelte.43 Da das Jahr 1930 für die beiden untersuchten Städte und Opernhäuser einen in vielerlei Hinsicht tieferen Einschnitt darstellte als das politikgeschichtlich etablierte Epochenende 1933, soll der Schlusspunkt der Arbeit auf dieses Jahr gelegt werden. Frankfurt beging im Oktober 1930 das 50-jährige Jubiläum seines Opernhauses − Grund genug, um in einer Festwoche die Wegstrecke abzuschreiten, die die Stadt von den Tagen ihrer 41 42

43

Ebd. Vgl. zum Verhältnis von Optimismus und Pessimismus in der Weimarer Republik sowie zur Eignung beider Begriffe als historische Kategorien Rüdiger Graf : Optimismus und Pessimismus in der Krise – der politisch-kulturelle Diskurs in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933, München 2007, S. 115–140, hier S. 132. Detlev J. K. Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987, S. 253ff. Vgl. ausführlich Eberhard Kolb: Auflösung und Zerstörung der Republik 1930–1933, in: ders.: Die Weimarer Republik, 7. Aufl., München 2009, S. 112–153.

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I. Einleitung

wilhelminischen Glanzzeit bis hin zu jenen Krisenzeiten der späten 1920er Jahren durchmessen hatte (vergleiche Kapitel III.9). Wiesbaden wurde im Juni und Juli 1930 Schauplatz so genannter ,Befreiungsfeierlichkeiten‘, die anlässlich der Räumung des Rheinlandes durch die alliierten Truppen zelebriert wurden. Ein eigens zu diesem Anlass gedichtetes ,Befreiungsfestspiel‘ wurde aufgeführt, das den Titel „Deutschlands Strom“ trug und als gigantisches Freilicht-Massen-Festspiel in Szene gesetzt wurde. Auch das Opernhaus war mit einer Reihe von Festaufführungen an der Feier beteiligt, nun aber − anders als in Frankfurt − in die symbolpolitische Peripherie gerückt (vergleiche Kapitel III.8). Bereits dieser skizzenhafte Abriss kann den möglichen Ertrag einer vergleichenden Perspektive andeuten und den Eigenheiten der jeweiligen Opern- und Festspielkulturen erste Konturen verleihen. Als methodische Vorgehensweise liegt der historische Vergleich somit nahe, lassen sich doch auf diesem Weg systematisch Ähnlichkeiten und Unterschiede profilieren. Der vergleichende Zugriff erlaubt es, auf der Folie des Gemeinsamen typische Besonderheiten und strukturelle Unterschiede einzutragen und charakteristische Entwicklungen nachzuzeichnen.44 Da sich beide Städte in zeitgenössischen Selbstbeschreibungen und in ihren symbolpolitischen Aktivitäten aber immer wieder aufeinander bezogen und miteinander in Austausch standen, lohnt es, darüber hinaus beziehungs- und transfergeschichtliche Momente zu berücksichtigen, mit denen die vergleichende Perspektive, die es gewöhnlich mit zwei oder mehreren klar abgegrenzten Objekten zu tun hat, bereichert werden kann.45 Weitet sich der Blick nämlich auf mögliche Imitationen und agonale Momente, auf bewusste Abgrenzungsversuche sowie auf kulturelle Import- und Exportprozesse zwischen Frankfurt und Wiesbaden, entsteht das Bild eines geographischen, soziokulturellen und symbolpolitischen Netzwerkes, das die Entwicklungen beider Stadtkulturen aufeinander bezieht und dennoch kontrastreich zu konturieren erlaubt. Ein im Kern vergleichend angelegtes Vorgehen, das beziehungs- und transfergeschichtliche Aspekte einbezieht, versucht mithin, einander kreuzende Verbindungslinien wie auch auseinanderstrebende Wegspuren nachzuzeichnen, um die facettenreiche Opern- und Festspielkultur zwischen Fin de Siècle 44

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Zur Methode des historischen Vergleichs vgl. insbesondere Heinz Gerhard Haupt/Jürgen Kocka: Historischer Vergleich. Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in: dies. (Hrsg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M./New York 1996, S. 9–46; sowie Hartmut Kaelble: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M./ New York 1999. Vgl. Hartmut Kaelble/Jürgen Schriewer (Hrsg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M./New York 2003, sowie Johannes Paulmann: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 267/1998, S. 649–685.

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und dem Ende der Weimarer Republik zu skizzieren, ihren gesellschaftlichen Status zu ermessen und ihre politischen Implikationen zu ergründen. Dieses vergleichende und beziehungsgeschichtliche Vorgehen wird konkret mit Hilfe von drei Analyseebenen umgesetzt: Auf einer institutionell-administrativen Ebene werden insbesondere die jeweils spezifischen Leitungs- und Finanzierungsmodalitäten beider Theater untersucht, unterschieden sich doch die privatwirtschaftlich-städtische Leitungsstruktur der Frankfurter Bühne und das vorwiegend von Seiten des Berliner Hofes respektive der preußischen Staatsregierung geleitete und finanzierte Wiesbadener Theater in diesem Bereich recht grundsätzlich voneinander. Zweitens ist der Bereich des Performativen zu berücksichtigen. Anhand konkreter Inszenierungen ist darzulegen, in welcher Form das Musiktheater eine öffentlichkeitswirksame Sphäre politischer Imagination hervorbrachte, und inwiefern Repertoirewahl und Inszenierungsweise Anteil daran hatten, bestimmte Werke zu ,besetzen‘ und Deutungshoheiten zu reklamieren. Eine dritte Analyseebene schließlich nimmt mit der reichhaltigen Presseberichterstattung jener Jahre diskursive Aspekte in den Blick. Im Gefolge des um 1900 rasant einsetzenden Medienwandels stieg die Zahl an Druckerzeugnissen signifikant an, so dass Opern- und Theateraufführungen mehr und mehr in einen vielstimmigen öffentlichen Diskurs eingebettet wurden. Eine zusehends selbstbewusst und professionell auftretende Musikberichterstattung und -kritik etwa transformierte die Kommunikationsbedingungen zwischen Komponist, Werk und Publikum. Immer mehr war es nun die Presse, die öffentliche Meinungen weiträumig konstituierte und damit Relevanzen setzte, Aufmerksamkeiten lenkte und Realitätswahrnehmungen strukturierte. Das vormals als autonom begriffene Kunstwerk wurde auf diese Weise in unkontrollierbare kommunikative Bezüge gerückt, die der Rezeptionsseite eine mindestens ebenso große Rolle im Prozess der Hervorbringung von Bedeutung zumaßen wie den Produzenten. Prozesse der Kanonbildung lassen sich hier kleinschrittig nachzeichnen. Ziel ist es, das Theater als komplexen, an Distanzmedien angeschlossenen „Interaktionsapparat“ hervortreten zu lassen, der gerade auch mit Hilfe unterschiedlicher Kommunikationsweisen und -strategien politischen Sinn herstellen und vermitteln konnte.46 Diese analytisch klar zu scheidenden Untersuchungsmomente greifen im konkreten Geschehensvollzug freilich stets ineinander. Institutionen bilden 46

Alexa Geisthövel hat diesen Begriff mit Blick auf das Eckfenster des kaiserlichen Palais in Berlin geprägt, wo sich Wilhelm I. alltäglich den Blicken von Zuschauern und Presse aussetzte. Für Geisthövel zeigt sich hier exemplarisch, wie präsentische und absentische Kommunikationsformen zusammenliefen und die Bedingungen monarchischer Repräsentation veränderten und determinierten. Vgl. deshalb Alexa Geisthövel: Wilhelm I. am ,historischen Eckfenster‘. Zur Sichtbarkeit des Monarchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Jan Andres/Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M./New York 2005, S. 163–185, hier S. 181.

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nicht nur einen festen, organisationsförmig verfassten und in sich ruhenden Rahmen. Da sie zugleich als Speicher symbolischer Ordnungen beschrieben werden können, die darauf abzielen, gesellschaftliche und politische Geltungsansprüche, Weltbilder und Normvorstellungen durchzusetzen, zu verstetigen, aber auch transformierbar zu halten47 , bedürfen sie in gewissen Abständen ereignishafter Aktualisierungen. Die hierzu nötige ,Übersetzungsarbeit‘, so lässt sich argumentieren, kann durch rituell-performative Kommunikationsakte geleistet werden, so dass öffentlichkeitswirksame Inszenierungen Anteil daran haben, politische Ordnung zu etablieren und aufrechtzuerhalten, in gewissem Sinne aber auch zu hinterfragen, zu dynamisieren und nicht selten sogar zu destabilisieren. Solche Performanzen wiederum sind im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zumeist im Wissen um massenmediale Konstellationen entworfen und stellen die diskursive Deutungsmacht der Medien in Rechnung. Aus diesem Grund wird im Verlauf der Darstellung das selten reinlich zu entwirrende Zusammenspiel von Institution, Performanz und Diskurs immer wieder zu beobachten sein. Es wird sogar ausdrücklich darauf verzichtet, die Ebenen voneinander isoliert abzuhandeln.

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Vgl. auch: Roland Lhotta: Rudolf Smends Integrationslehre und die institutionelle Rückgewinnung des Politischen im modernen Staat des permanenten Übergangs, in: ders.: Die Integration des modernen Staates. Zur Aktualität der Integrationslehre von Rudolf Smend, Baden-Baden 2005, S. 37–68.

4. Die Epiphanie des ,glorreichen Augenblicks‘: Das Musiktheater als ,Experiment an der Gegenwart‘ Bei der Darstellung der ausgewählten Festanlässe wird also versucht, das analytisch zu trennende Ineinandergreifen von institutioneller Rahmung, performativer Darbietung und diskursiver Sinnzuschreibung nachzuvollziehen. Eine kurze, dem Gesamtgefüge der Arbeit entnommene Fallstudie, in der Europa abermals zum Klingen gebracht wird, soll diese Vorgehensweise exemplarisch skizzieren. In seinem Essay „Der unbemerkte Augenblick“, der im Dezember 1927 in der Frankfurter Zeitung veröffentlicht wurde, beschrieb der Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) die Fragilität erlebter Wirklichkeit als eine sich permanent verflüchtigende Gegenwart, die nachträglich mit Sinn und Bedeutung ausgestattet werden müsse. Um das „Dunkel des gerade gelebten Augenblicks“ zu erhellen, hielt Bloch besondere Momente, Orte und Situationen bewusster Distanz-Schaffung für unabdingbar, die das Erlebte deuten und mit Relevanz aufladen sollten.1 Den „schöpferischen Raum“ beschwörend, der eine „höchste Gegenwärtigkeit“ ermögliche, verwies Bloch auf den emblematischen Charakter solcher Handlungen, Personen oder Ereignisse, die der Gegenwart als Vorbilder dienen und zu Sinn generierenden Symbolen werden sollten.2 Indem sie markante Wegspuren im Dickicht unbemerkt-unbelebter Gegenwart hinterließen, sollten sie Raum schaffen für ein „utopische[s] Präsens“, das die Sphäre des Alltäglichen transzendiere und als „in sich selbst einschlagende Intensität“ erfahren werde.3 Für Bloch ließ sich dieser Prozess der Sinnverdichtung und -zuschreibung allerdings ausschließlich im Rahmen einer konkreten sozialen Praxis realisieren. Allein das tastend-staunende, die „tiefen Nähepunkte der Geschichte“ ergründende und dennoch emphatisch auf das Zukünftige hin ausgerichtete „Experiment an unserer Gegenwart“ konnte für ihn das Maß an Distanz schaffen, das notwendig war, um neue Perspektiven zu gewinnen, sie gleichsam existenziell zu erspüren.4 Die Kraft, ein solches ,utopisches Präsens‘ für Augenblicke vernehm- und erlebbar werden zu lassen, schrieb Bloch dabei neben anderem der Musik Ludwig van Beethovens zu, dessen 100. Todestag am 26. März 1927 weltweit feierlich begangen wurde. Angesichts der berühmt gewordenen Fidelio-In1

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Ernst Bloch: Der unbemerkte Augenblick [1927], in: ders.: Der unbemerkte Augenblick. Feuilletons für die „Frankfurter Zeitung“. 1916–1934, hrsg. v. Ralf Becker, Frankfurt a.M. 2007, S. 69–75, hier S. 71. Ebd., S. 74. Ebd., S. 71ff. Ebd., S. 74f.

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I. Einleitung

szenierung, die aus diesem Anlass unter der Leitung Otto Klemperers an der Berliner Kroll-Oper stattfand, attestierte der Philosoph der Oper eine ganz besondere, die Gegenwart überschreitende, gleichsam Erlösung verheißende Wirkmacht, die für ihn zugleich die Möglichkeit menschlicher Solidarität, Freiheit und Identität symbolisierte.5 Beethovens Todestag – dies deutet die emphatische Sprachgebung der Blochschen Passagen an – war Teil eines die kollektiven Sehnsüchte und Hoffnungen der Zeitgenossen befeuernden ,mythmaking process‘, innerhalb dessen die „larger-than-life legend“ des Komponisten eine nahezu mythische Dimension erreichte: Beethoven symbolisierte für die Zeitgenossen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts den „triumph of greatness over adversity“, seine Biographie wie auch seine Kompositionen kamen dem „nostalgic yearning“ des europäischen Bildungsbürgertums nach einem „cultural rather than political or military hero“ entgegen – „a timely if ineffective spiritual antidote to the materialistic age of Bismarck and Kaiser Wilhelm II.“6 Ein ähnliches ,Experiment an der Gegenwart‘ fand 1927 im Frankfurter Opernhaus statt. Zahlreiche bedeutende „Staatsmänner, Diplomaten, Gelehrte, Künstler und Wirtschafter“ hatten den Weg in die Mainstadt gefunden, um der festlichen Eröffnung der international beachteten Ausstellung Musik im Leben der Völker beizuwohnen.7 Von den Zeitgenossen wurde dieser Veranstaltung ein geradezu epochaler Charakter zugeschrieben; denn zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges fand dergleichen in Deutschland statt. Nicht nur die Menge und Qualität der zusammengetragenen Exponate, sondern vor allem die zahlreichen Opernaufführungen und Konzerte, die von Künstlern, Orchestern und Chören aus aller Welt dargeboten wurden, wie auch die eigens angesetzten Vortragsreihen und Konzeptwochen ließen die Ausstellung denn auch in der Tat zu einem besonderen Ereignis werden, das Tausende von Besuchern anlockte und auch international ein erstaunliches Presseecho fand. Diese Frankfurter Kulturmesse, die nur ein Jahr nach der Unterzeichnung der Locarno-Verträge stattfand, unterstrich den völkerverbindenden Charakter der Musik und verstand sich dezidiert als eine „europäische Kundgebung“ und als Symbol einer Politik der Wiederannäherung.8 Institutionell ging die Initiative zu diesem Projekt von den städtischen Gremien aus; vor allem der DDP-Politiker und Oberbürgermeister Ludwig Landmann hatte das Projekt maßgeblich angeregt und administrativ mitgetragen – eine Geste, mit der die städtischen Eliten den Frankfurter Anspruch, als kulturelles Zentrum der Weimarer Republik aufzutreten, eindrücklich bekräftigen konnten. Der Mu5 6 7 8

Ernst Bloch: Marseillaise und Augenblick in Fidelio, in: ders.: Das Prinzip Hoffnung [1954– 1959], Frankfurt a.M. 1985, S. 1295–1297. Siehe zur Genese des Beethoven-Mythos exemplarisch Alessandra Comini: The changing image of Beethoven. A study in mythmaking, New York 1987, hier S. 14. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 13. Juni 1927, Abendblatt.

4. Das Musiktheater als ,Experiment an der Gegenwart‘

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siksommer wollte – so führte Landmann aus – einen „Geist der Erneuerung“ verströmen und eine „Zeitenwende“ inaugurieren, die nicht nur Deutschland in den Kreis der europäischen Mächte zurückführen, sondern auch eine Politik des Miteinander in die Wege leiten sollte.9 Programmatisch wollte die Veranstaltung „im Zeichen der Buntheit“ stehen:10 Bei der festlichen Eröffnung wurde dies hervorgekehrt, indem jeweils drei unterschiedliche Orchester und Ensembles das Vorspiel zu Wagners Meistersingern sowie das Largo aus Smetanas Quartett Aus meinem Leben und Ludwig van Beethovens Dritte Leonore-Ouvertüre aufführten. Die Musik, so betonte Landmann denn auch explizit, war dasjenige „Medium“, das dem Prinzip einer ,Einheit in der Vielfalt‘ sinnfällige Gestalt verleihen konnte.11 Die Frankfurter Oper, die nach dem Krieg zusehends in die administrative Verantwortung der Stadt überging und der kommunalen Symbolpolitik wirkungsvolle Ressourcen bot, wurde mithin zum Schauplatz eines „social drama“, das die Geburtsstunde einer neuen politischen Ordnung einläuten sollte.12 Hierbei erwies sich der 100. Todestag Beethovens als symbolischer Referenzpunkt, an dem sich Semantik und Dramaturgie des Festtages ausrichten ließen. Der Komponist wurde zum Propheten einer „Ethik der neuen Zeit“ erhoben und zum Impulsgeber für die symbolpolitische Neuausrichtung einer europäischen Nachkriegsordnung erklärt.13 Seine Musik stellte für den ebenfalls anwesenden französischen Bildungsminister Édouard Herriot eine „höhere Form der menschlichen Kultur“ dar, so dass seine Werke „geistige Vorarbeit“ für eine neue Politik der Versöhnung und der freiheitlichen Selbstbestimmung der Völker Europas leisten konnten.14 Europa klingt – anno 1927. Diese von Seiten der Frankfurter Kommune maßgeblich angeregten Festlichkeiten fanden eine Reihe von Würdigungen in der Presse. Der Herausgeber der Frankfurter Zeitung etwa, Heinrich Simon, hatte den Komponisten bereits im März 1927 in einem Feuilletonbeitrag als großen Gestalter und „Architekt[en]“ gefeiert und ihn als einen bürgerlichen „Mann der Gesetze“ und der Moral bezeichnet.15 Beethovens künstlerische Mission sah er in dessen unbedingtem Willen zur Meisterung der Form begründet. Indem er „Ordnung in das Chaos seiner Einfälle“ gebracht, sein Material dabei aber zugleich so virtuos zu differenzieren vermocht hatte, dass genug Raum für Improvisation und Unmittelbarkeit blieb, konnte seine Kunst sinnbildlich vermitteln, wie der „Zusammenklang von Erleben und Gestalten“ umge9 10 11 12

13 14 15

Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 27. Juni 1927, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Vgl. Jeffrey C. Alexander: Cultural pragmatics: Social performance between ritual and strategy, in: ders./Bernhard Giesen/Jason L. Mast (Hrsg.): Social performance. Symbolic action, cultural pragmatics and ritual, Cambridge 2006, S. 29–90. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 27. März 1927, Zweites Morgenblatt.

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I. Einleitung

setzt werden konnte.16 Diese schöpferische Syntheseleistung war es, die den Komponisten zur symbolischen Bezugsgröße der Frankfurter Musikausstellung werden ließ, hatte diese es sich doch zum Ziel gesetzt, kreativ am Bau einer neuen politischen Ordnung mitzuwirken und zwischen einer Welt der Ideale und der „rauhe[n] Welt der Wirklichkeit“ zu vermitteln.17 Die Festreden Landmanns und Herriots griffen damit die von Heinrich Simon in der Frankfurter Zeitung vorgegebene Semantik einer im Komponistensymbol Beethoven lebendigen schöpferischen Aktivität auf und übertrugen diese auf das politische Ereignis des Musiksommers. Auf diesem Weg wurde der Architekt und Gestalter zugleich als Spurenleger in Anspruch genommen, an dessen Fährten sich noch die Zeitgenossen der 1920er Jahre ausrichten konnten. Ein einprägsames Beispiel von der Wirkmacht dieses imaginierten Dialoges zwischen dem Komponisten und seiner Anhängerschaft konnte tags darauf eine Festaufführung von Beethovens Oper Fidelio liefern, die in einer kurz zuvor von Clemens Krauss und seinem Oberspielleiter Lothar Wallerstein neu einstudierten Fassung im Opernhaus gegeben wurde. Wie bereits die Eröffnungsfeier den „Geist des musikalischen Genius“ Beethoven „geatmet“ hatte, war auch diese Inszenierung als besondere Huldigung an den Komponisten angelegt.18 Sie ging freilich insoweit über eine bloße Ehrung des musikalischen Genies Beethovens hinaus, als sie an einem bereits von der Presse und den Festreden über die Gesamtveranstaltung gelegten symbolischen Netz mitwob. Im Rahmen des Musiksommers firmierte Fidelio mit seinen Leitgedanken und -motiven von Brüderlichkeit, Solidarität und Neubeginn als kongeniale Meistererzählung, indem in der Oper zentrale Anliegen des Ausstellungsprojektes aufgegriffen und in emotional bewegende Klang- und Bildwelten übersetzt wurden. Auch die Frankfurter Presse deutete die Aufführung in genau diesem Sinn und hob hervor, dass die Operninszenierung ihren Rang vor allem dadurch erhielt, dass „erst tags zuvor die große ,Leonore‘-Ouverture im gleichen Raum erklungen war“, und zwar „in einer Auffassung und Klangqualität, die dem Pariser ConservatoireOrchester“ die „größten Ehrungen eingebracht hatte“.19 Somit schuf die Opernaufführung vor einem anwesenden Publikum, vor den versammelten politischen Eliten und den Vertretern der Presse einen solchen Erlebnisraum von verdichteter Intensität und einer über sich selbst hinausweisenden Bedeutung, einen Erlebnisraum, den Bloch nur wenig später in der Frankfurter Zeitung einforderte, um das ,Dunkel des gelebten Augenblicks‘ erhellen zu können. Diesem nun in sehr geraffter Gestalt eingebrachten Beispiel folgend, 16 17 18 19

Ebd. Frankfurter Zeitung, 13. Juni 1927, Abendblatt. Ebd. Ebd.

4. Das Musiktheater als ,Experiment an der Gegenwart‘

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wurde in der Gesamtanlage der Arbeit für die Fallstudie als Form optiert, um die verschiedenen Festereignisse in ihrem konkreten Vollzug eingehend darstellen zu können. Auf diesem Weg soll versucht werden, das Ineinander der drei vorgestellten Untersuchungsdimensionen abzubilden und narrative sowie argumentative Passagen miteinander zu kombinieren. Der Gefahr, dass die Kapitel zwar individuell geschlossen wirken, sich jedoch nicht zu einer Gesamtheit fügen, wollen eine chronologische Anordnung und der vergleichend-beziehungsgeschichtliche Zugriff einen Riegel vorschieben. Mittels des weitgehend mikrogeschichtlich angelegten Ensembles der Fallstudien sollen sich die einzelnen Ereignisse gegenseitig erhellen, um die beiden Festkulturen in ihrer Spezifik mosaikartig zu entfalten. Als ein sinnrekonstruktives Instrument der Darstellung bietet sich die Fallstudie deshalb an, weil sie eine Annäherung an einen noch nicht erschöpfend ausgeleuchteten Gegenstand ermöglicht und dabei versucht, das Dargestellte als Fall zu präsentieren, mithin als ein „konkretes Besonderes“, das „über sich selbst hinausweist auf ein abstraktes Allgemeines“.20 Dem narrativ-darstellerischen Arrangements des zu analysierenden Materials wird dabei eine besondere epistemische Qualität übertragen, da Interpretation und Darstellung ineinandergreifen, ineinander übergehen und zusammenfallen können.21 Zumeist alternierend und chronologisch angeordnet, fügen sich die einzelnen Kapitel somit zu einem Mosaik zusammen, das die politischen Festkulturen beider Städte zum Leuchten oder besser: zum Klingen bringen will. Eingerahmt werden diese insgesamt elf Fallstudien durch vier kurze, einleitende Kapitel, die den ereignisgeschichtlichen Hergang knapp vermitteln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Städten skizzieren und erste Verbindungslinien aufzeigen. Abschließend sollen zentrale Analyseergebnisse und konzeptionelle Befunde, die während der Kapitel mitunter nur angedeutet werden können, noch einmal argumentativ zusammengeführt werden.

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Zur Theorie der Fallstudie vergleiche Johannes Süßmann/Susanne Scholz/Gisela Engel (Hrsg.): Fallstudien. Theorie – Geschichte – Methode, Berlin 2007, S. 19. Ebd., S. 20.

II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

1. Weltkurstadt und Kaiserresidenz: Wiesbaden 1890–1914 „Es war am 11. April des Jahres 1890. Der Winter war gegangen und siegreich brach der neue Lenz ins Land. Fahnen wehten auf den Zinnen der Stadt, und in den Straßen wogte eine nach tausenden zählende Menschenmenge. Wilhelm II. betrat zum erstenmal die Stadt als Kaiser und König. In seinen Jugendjahren hatte der Prinz schon öfters in Begleitung seines Vaters [...] unser Schloß besucht. Das letztemal begrüßten wir ihn am Tage der Einweihung des Nationaldenkmals auf dem Niederwald. Am Abend dieses denkwürdigen Tages erglänzte die Stadt im Lichte einer feenhaften Illumination. [...] Heute, an diesem Apriltage, war er nicht zu rauschenden Festlichkeiten erschienen. Der [...] Kaiserin von Oesterreich, deren schwankender Gesundheitszustand einen Aufenthalt in Wiesbaden erforderlich machte, galt der Besuch des ritterlichen Monarchen. Nur zwei Tage währte dieser erste Aufenthalt des jungen Monarchen. Aber diese kurze Spanne Zeit dürfte genügt haben, dem Herrscher die Stadt lieb werden zu lassen.“1

Anlässlich des 25-jährigen Regierungsjubiläums von Wilhelm II. blickte die Wiesbadener Presse auf die Jahrzehnte zurück, die seit dem Regierungsantritt des Kaisers im Jahr 1888 vergangen waren und in denen sich die einst eher beschauliche Residenz der nassauischen Herzöge den Ruf einer „Weltkurstadt“ erworben hatte.2 Ihren rasanten Aufschwung verdankte die Stadt zu weiten Teilen der öffentlichkeitswirksamen Protektion durch den Berliner Hof und den letzten Hohenzollernkaiser, der die Stadt zwischen 1890 und 1914 regelmäßig besuchte. Mit der Annexion durch Preußen im Jahr 1866 hatte eine von vielen Zeitgenossen rückblickend immer wieder als Glanzzeit beschworene ,goldene Ära‘ Wiesbadens begonnen, in der sich die Stadt immer mehr in einen Treffpunkt der internationalen Adels- und Finanzwelt verwandelte.3 Vor allem die Jahre um 1900 prägten Wiesbaden das Etikett einer ausgesprochenen Luxusstadt auf: Ab 1890 wurde die Stadt immer mehr zu einem beliebten Wohnort der „Aristokratie, der Plutokratie“ und „der hohen Militärs“.4 1 2

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Wiesbadener Zeitung, 14. Juni 1913. Grundlegend für die Analyse und Darstellung der sozialgeschichtlichen Entwicklung Wiesbadens zwischen 1891 und 1914 ist Thomas Weichels Studie zum Wiesbadener Bürgertum: Thomas Weichel: Die Bürger von Wiesbaden. Von der Landstadt zur ,Weltkurstadt‘ 1780–1914, München 1997, S. 317ff., siehe hier S. 15. Seit 1839 war Wiesbaden Residenz und Verwaltungszentrum des Herzogtums Nassau gewesen, und bereits Regierung und Fürstenhaus hatten sich darum bemüht, aus Wiesbaden ein Modebad zu machen, das „den Ansprüchen eines gehobenen Kurpublikums“ genügen sollte. Systematisch hatte man deshalb den Ausbau der Stadt betrieben und um die Altstadt eine Reihe repräsentativer Gebäude und Straßen errichtet, so etwa ein Hoftheater, erste Verwaltungsgebäude sowie Kasernen und Alleen. Vgl. hierzu ausführlich Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 15. So die Bestandsaufnahme von Ludwig Anders: Wiesbaden als Wohnort, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 3, H. 13/14 (1913), S. 177–180, hier S. 180.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Während der Frühjahrs- und Herbstsaison logierte ein internationales adelig-großbürgerliches Publikum in Wiesbaden, um die Annehmlichkeiten des Kurortes zu genießen oder um die meist im Beisein des Kaiserpaares stattfindenden so bezeichneten Mai- oder Kaiserfestspiele zu bestaunen: „Die Crème der internationalen Gesellschaft findet sich dann zusammen“, so eine zeitgenössische werbende Selbstdarstellung und -stilisierung Wiesbadens, „und neben dem regierenden Könige geniesst mancher Fürst im Reiche des Mammons, der Kunst- oder Geisteswelt“ die „herrlichen, unvergleichlichen“ Tage und Wochen in Wiesbaden.5 Innerhalb von rund hundert Jahren hatte sich Wiesbaden damit von einer „kleinen Landstadt zu einer Kur- und Rentierstadt mit über 100.000 Einwohnern“ entwickelt.6 Deutlich schlug sich dies in der besonderen Sozialstruktur der Stadt und in ihrer steigenden Einwohnerzahl nieder: Hatte Wiesbaden noch 1888 rund 60 000 Einwohner zu verzeichnen gehabt, zählte die Stadt 1905 bereits 100 000 Einwohner und gehörte damit zu den Großstädten des Reiches. Mit 109 000 Einwohnern erreichte sie schließlich 1905 ihren höchsten Einwohnerstand vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.7 Diese Entwicklung war vor allem dem wachsenden Erfolg des Kur- und Tourismusbetriebes geschuldet. Die Zahl der Kurgäste betrug bereits 1890 mehr als 100 000 Personen und stieg 1907 auf über 180 000 Besucher an8 , ehe sie 1909 mit gut 205 000 Gästen ihren Höhepunkt erreichte.9 Die ständig wachsende Zahl der Touristen und Kurgäste machte den Ausbau der städtischen und gewerblichen Infrastruktur nötig und veränderte zunehmend das Gesicht der Stadt, die sich immer mehr zu einer Freizeit- und Dienstleistungsmetropole entwickelte.10 Tiefgreifende soziale und politische Umbrüche innerhalb der städtischen Bürgerschaft, besonders der bürgerlichen Eliten, konnten in diesem Zusammenhang kaum ausbleiben. In politischer Hinsicht waren es bis circa 1850 die Liberalen gewesen, die die städtische Politik dominiert und in Opposition zum „Autokratismus und Regierungsabsolutismus“ der nassauischen Herzöge gestanden hatten.11 Die Verbitterung über die restriktive Politik der Regierung und die Ablehnung liberaler Reformen hatten in Nassau zu den entscheidenden Auslösern der Revolution von 1848 gehört und die relative Einheit der liberalen Bewegung 5

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Ludwig Anders: Wiesbadener Herbsttage, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Monatsschrift für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport (1911), S. 169–172, hier S. 172. Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 347. Siehe diese Angaben bei Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 89f. Ebd., S. 90. Siehe diese Angabe bei Ulrike von Hase: Wiesbaden – Kur- und Residenzstadt, in: Ludwig Grote (Hrsg.): Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtplanung und Baugestaltung im industriellen Zeitalter, München 1974, S. 129–149, hier S. 145. Siehe hierzu ebenfalls Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 90. Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 348.

1. Wiesbaden 1890–1914

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begünstigt. Bis Ende der 1850er Jahre wurde der Wiesbadener Gemeinderat liberal beherrscht und entwickelte sich zum „Sprachrohr des Wirtschaftsbürgertums“ der Stadt.12 Nach 1866 veränderte sich die politische Landschaft der Stadt, wenngleich das weiterhin gültige nassauische Bürgerrecht die Vorherrschaft der etablierten Gewerbetreibenden zunächst sicherte.13 Wiesbaden erhob hohe Bürgereintrittsgebühren, so dass viele der nun zuziehenden preußischen Beamten oder Offiziere auf den Erwerb des Bürgerrechtes verzichteten. Zudem waren die aktiven Beamten von den Wahlen ausgeschlossen, was die Anzahl der wahlberechtigten Bürger auf einen vergleichsweise kleinen Teil der Bevölkerung beschränkte.14 Die neu Hinzugezogenen, vielfach Beamte, Offiziere und Rentiers, fanden den Anschluss an die städtischen Eliten über die so genannte ,Casino-Gesellschaft‘, deren staatsbezogene Orientierung sich von den anderen bürgerlichen Vereinen und Clubs, etwa der Freimaurerloge Plato oder dem so bezeichneten Bürger-Casino, maßgeblich unterschied15 und zeitweise eine Art „Gegengesellschaft zum lokalen Wirtschaftsbürgertum“ bildete.16 Die alteingesessene Wiesbadener Bürgerschaft stand diesem Zuzug zwiespältig gegenüber. Auf der einen Seite war man auf die wohlhabenden Beamten und Militärs angewiesen und förderte deren Ansiedlung über niedrige Steuersätze, auf der anderen Seite gefährdete der Fremdenzustrom die Machtposition des traditionellen Gewerbebürgertums.17 Dem Urteil Thomas Weichels zufolge gelang die Integration dieser neuen Bevölkerungsschichten in die städtische Gesellschaft denn auch nur bedingt. Seiner Einschätzung nach war diese zumindest für einen Teil der Zugezogenen auch nicht von vorrangiger Bedeutung, da sie nicht auf eine wirtschaftliche Basis in der Kommune angewiesen waren, sondern ihre Einkünfte aus Hausbesitz oder Staatspapieren bezogen.18 Dennoch warnt Weichel davor, diese Gruppe vorbehaltlos als sozial homogene Schicht mit gleich gerichteten Interessen einzustufen, waren einige von ihnen doch als Geschäftsleute oder Gewerbetreibende in Wiesbaden tätig gewesen und somit – bedingt etwa durch eine stille Teilhaberschaft an einem Geschäftsbetrieb – durchaus in der Stadtgesellschaft verwurzelt.19 Mehr noch als Tourismus und Kurleben prägte diese zahlungskräftige Beamten- und Finanzaristokratie die Sozialstruktur des wilhelminischen Wiesbaden: In den Villengebieten häuften sich nun „die Träger von Adelsprädikaten“, drängten sich die Wohnungen „der Offiziere, Bankiers 12 13 14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 349. Ebd. Ebd. Ebd., S. 322ff. Ebd., S. 350. Ebd., S. 350. Ebd., S. 331. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

und Rittergutsbesitzer, der Privatiers und Rentner“.20 Die Stadt begünstigte diese Gruppe, indem sie günstige Steuerverhältnisse schuf und einen sehr geringen kommunalen Zuschlag zur Einkommensteuer erhob. Wiesbaden diente daher „nicht wenigen als repräsentativer Zweit- und Drittwohnsitz“21 und avancierte geradezu zu einem „Mekka der ortsungebundenen Rentiers“.22 Die Vermögenssteuerstatistik Wiesbadens erweist sich in diesem Zusammenhang als ein aussagekräftiger Indikator, um aus der zahlenmäßigen Verteilung und Staffelung der jeweiligen Einkommensschichten nähere Angaben über die soziale Gliederung der Einwohnerschaft zu gewinnen: Im Jahr 1905 verfügten rund 2000 Steuerzahler über ein Vermögen von 6000 bis 20 000 Mark, nochmals circa 2000 über ein Vermögen von 20 000 bis 50 000 Mark. Rund 1200 Steuerzahler hatten 1905 ein Vermögen von 100 000 bis 200 000 Mark vorzuweisen, während knapp 150 Steuerzahler über 1 000 000 bis 2 000 000 Mark verfügten, und circa 60 Personen nannten gar ein Vermögen von über 2 000 000 Mark ihr eigen.23 Den Angaben Thomas Weichels zufolge lebten 1900 in Wiesbaden demnach mehr als 200 Millionäre.24 Wie relevant diese Zahlen sind, kann der Vergleich mit anderen Städten Preußens in diesem Zeitraum belegen. In absoluten Zahlen berechnet, belegte Wiesbaden – gemessen am Anteil der dort lebenden Millionäre – hinter Berlin, Frankfurt am Main, Charlottenburg und Köln den fünften Rang.25 Aber nicht nur bezüglich des Anteils an Millionären, sondern auch gemessen am generellen Einkommen seiner Bürger musste Wiesbaden vor dem Ausbruch des Krieges zu den wohlhabendsten Städten des Reiches gerechnet werden. Mit einer Einkommensteuerleistung von gut 25 Mark pro Kopf rangierte Wiesbaden 1907 in Preußen an der vierten Stelle und stand damit nur wenig hinter den renommierten Berliner Wohnstädten Charlottenburg und Wilmersdorf sowie der Handelsmetropole Frankfurt zurück.26 In ökonomischer Hinsicht profitierte die Stadt von dem nach der Überwindung der Gründerzeitkrise einsetzenden industriellen take-off Preußens und des Reichs. Insgesamt war im Zuge der Annexion Nassaus durch Preußen eine deutliche interne Verschiebung weg von der Landwirtschaft und hin zu Industrie und Dienstleistung festzustellen. Während nach den Angaben der 20 21 22

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Istas: Das ehemals königliche Hoftheater, S. 101. Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 101. In der Kaiserzeit kam den Kommunalsteuern eine bedeutende Rolle zu, konnten diese doch oftmals ohne weiteres „einen größeren Betrag als die Staatssteuern ausmachen“. Nach nassauischem Gemeinderecht wie auch nach dem 1891 erlassenen neuen Stadtrecht konnte Wiesbaden über die Höhe dieses kommunalen Steueraufschlages auf die Staatssteuern weitgehend selbst bestimmen. Vgl. hierzu ausführlich Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 319f. Siehe hierzu Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 105. Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 320. Siehe hierzu Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 105. Schüler: Das wilhelminische Wiesbaden, S. 105f.

1. Wiesbaden 1890–1914

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Berufs- und Gewerbestatistik des Jahres 1907 der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten auf 20,5 Prozent abgesunken war, stieg der Anteil im industriellen Sektor auf 44,2 Prozent.27 Eine besonders wichtige Rolle spielten hierbei erwartungsgemäß die Nahrungs- und Genussmittel- sowie die Bekleidungs- und Reinigungsindustrie, vor allem aber das die Stadtexpansion ermöglichende Baugewerbe. Zukunftsweisende Branchen waren darüber hinaus der Dienstleistungsbereich, dessen Beschäftigtenanteil 1907 auf fast 20 Prozent angestiegen war, wobei vor allem Tourismus, Handel und Verkehr prosperierten.28 Der aufwendige Ausbau der Stadt, ihre einseitig auf die Bedürfnisse der Kurindustrie ausgerichtete wirtschaftliche Infrastruktur und die Aufrechterhaltung der niedrigen kommunalen Steuersätze sorgten allerdings zugleich dafür, dass sich Wiesbaden immer mehr verschulden musste. Nach 1907/08 setzte eine Konjunkturkrise ein, die die Wachstumsdynamik der Stadt bremste und dem anhaltenden Bauboom ein Ende bereitete.29 Die städtischen Gremien waren allerdings erst relativ spät zu einer ökonomischen Neuorientierung bereit und bemühten sich nun vermehrt um eine Stärkung des industriellen Sektors, indem sie die Eingemeindung einiger Industrievororte auf den Weg brachten. Die bereits erwähnte Einführung einer neuen Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden löste 1891 das bislang geltende nassauische Recht ab. Die Neuorganisation der kommunalen Selbstverwaltung – mit der Trennung von Magistrat als Exekutivorgan und der Stadtverordnetenversammlung als kontrollierendem Organ wurde eine „längst überfällige Reform“ vollzogen – bewirkte eine tief greifende Zäsur innerhalb der politischen Infrastruktur Wiesbadens.30 Die politischen Kräfteverhältnisse der Stadt verschoben sich allmählich zugunsten der wohlhabenden Neubürger. Von nun an erwarb jeder männliche Einwohner das Bürgerrecht und das kommunale Wahlrecht, nachdem er mindestens zwölf Monate in der Stadt gelebt hatte und über Grundbesitz sowie entsprechende Jahreseinkünfte verfügte.31 Damit weitete sich der Kreis der wahlberechtigten Bürger deutlich aus, obgleich sowohl das restriktive Dreiklassenwahlrecht als auch der mündliche Wahlmodus aufrechterhalten wurden.32 Nun wurden die zahlreichen Rentiers und Offiziere, die oftmals 27 28 29 30 31 32

Ausführliches statistisches Zahlenmaterial findet sich bei Bernd Liebert: Politische Wahlen in Wiesbaden im Kaiserreich 1867–1918, Wiesbaden 1988, S. 32ff. Ebd. Zur Krise des „Modells Wiesbaden“ vgl. Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 343f. Ebd., S. 325. Ebd., S. 324. Auf diese Weise benachteiligte das Wahlrecht – der Einschätzung Thomas Weichels zufolge – nicht nur die gering verdienenden Schichten, sondern erwies sich zugleich als Instrument einer restriktiven sozialen wie politischen Kontrolle, indem es jeden, der sich offen etwa zur Sozialdemokratie bekannte, öffentlich kennzeichnete. Vgl. hierzu Weichel: Die Bürger von Wiesbaden, S. 325.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

schon seit Jahren in der Stadt gelebt hatten, ohne das Bürgerrecht zu erwerben, mit einem Mal zu wahlberechtigten Bürgern, die in den ersten beiden Klassen ihre Stimmen abgeben konnten. Da sich diese Wählergruppen zumeist den Nationalliberalen und den Konservativen zugehörig fühlten, markierte die Einführung der neuen Städteordnung zugleich das Ende der Vorherrschaft der freisinnigen Partei beziehungsweise der Fortschrittspartei, die vornehmlich von den Wahlrechtsbeschränkungen des alten Gemeinderechtes profitiert hatte. Bereits bei den Wahlen Ende 1891 trat dieser Wandel deutlich zutage; denn sowohl in der ersten als auch in der zweiten Klasse siegte eine Koalition aus Nationalliberalen und Konservativen.33 Dieser Trend setzte sich in den kommenden Jahren fort, wenngleich es den Linksliberalen zeitweise gelang, einen Teil ihrer Kandidaten auch in der zweiten Klasse unterzubringen. Um 1900 aber verlor der politische Liberalismus immer mehr an Einfluss. Obwohl sich ihm ein großer Teil der alteingesessenen Geschäftsleute nach wie vor verbunden fühlte, war die politische Konkurrenz durch die steigende Anzahl der konservativ beziehungsweise nationalliberal wählenden Beamten, Rentiers und Offiziere auf der einen, durch die zunehmenden Wahlerfolge der Sozialdemokratie auf der anderen Seite zu groß.34 Ähnliche Tendenzen ließen sich bei den Reichstagswahlen beobachten: Auch hier musste der Linksliberalismus einige Rückschläge in Kauf nehmen. Traditionell war der Wiesbadener Wahlkreis eine „Bastion des Freisinns“ gewesen.35 Nun aber verlor die Partei des Wiesbadener Stadtbürgertums zwischen „den erstarkenden Gruppen des Nationalliberalismus und der Sozialdemokratie“ immer mehr an Bedeutung.36 Die einstmalige ,CasinoGegengesellschaft‘ wurde nun auch zu einer politisch bedeutsamen Gruppierung der Stadt. Besonders die Verbindung zwischen Stadtverordnetenmandat und Mitgliedschaft in der Casino-Gesellschaft war – so Thomas Weichel – ein ebenso auffälliger wie aussagekräftiger Befund: „Immerhin 69 % der Stadtverordneten der 1. Klasse und 56 % der 2. Klasse“ gehörten zu dieser „EliteGesellschaft“, die nun zunehmend auch die politischen Geschicke der Stadt bestimmte.37 Im Machtkampf gegen „eine Koalition von Rentiers mit dem nationalliberalen, eher großbürgerlich orientierten Oberbürgermeister Ibell“ (1883–1913) unterlag das ,alte‘ Stadtbürgertum Wiesbadens nun endgültig.38 Um die Jahrhundertwende hatte sich dieser Prozess nach und nach konsolidiert, und „in den Villenvierteln, wo der Reichtum seine prunkenden Stätten hat“, hatte sich ein neues städtisches „Patriziat“ herausgebildet.39 Langsam 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. eine ausführliche Analyse der Stadtverordnetenwahlen in den Jahren zwischen 1890 und 1913 ebd., S. 324ff. Ebd., S. 338. Ebd. Ebd., S. 338f. Ebd., S. 331. Siehe ebd., S. 350. Siehe hierzu den Beitrag „Die städtische Gemälde-Galerie“, in: Die Weltkurstadt. Wies-

1. Wiesbaden 1890–1914

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begann Wiesbaden damit, „sich hinter der Maske seiner Internationalität einen Eigencharakter zu sichern“.40 Die wachsende gesellschaftspolitische Bedeutung dieser adelig-großbürgerlichen Elite fand ihren offenkundigsten Ausdruck in der architektonischen Ausgestaltung der Stadt und der Kuranlagen, die mit ihren boulevardähnlichen Straßen, ihren Luxushotels und Alleen ganz auf die repräsentativen Bedürfnisse dieser sozialen Gruppe zugeschnitten war und in besonderer Weise auch den Wünschen des Berliner Hofes und Wilhelms II. entsprach. Zudem leistete sich die Stadt um 1900 zahlreiche kostspielige Bauprojekte, die sowohl der steigenden Einwohnerzahl als auch der Bedeutung Wiesbadens als internationaler Kurstadt Rechnung trugen: Bereits 1887 wurde ein neues Rathaus erbaut, dem 1892/94 die Errichtung und Eröffnung eines neuen Theaters folgte.41 Gekrönt wurden diese städtebaulichen Projekte schließlich durch den Bau eines neuen Hauptbahnhofs im Jahr 1906 sowie des neuen Kurhauses 1907.42 Neben einer Reihe politischer Würdenträger wie etwa dem Wiesbadener Regierungspräsidenten von Meister oder dem Polizeipräsidenten von Schenck zählte Oberbürgermeister Carl von Ibell zum engsten Wiesbadener Kreis des Kaisers. Diese personell wie institutionell sehr enge Anbindung an Preußen und die Dynastie der Hohenzollern trug maßgeblich dazu bei, Wiesbaden zu jener von Wilhelm so geschätzten ,Mairesidenz‘ zu machen.43 Dabei setzten sich Tendenzen fort, die sich bereits zu Zeiten der nassauischen Stadterweiterung angedeutet hatten: Der Wiesbadener Kurdirektor Ferdinand Hey’l verlieh den Kuranlagen den Charakter des Exklusiven und Luxuriösen und verwandelte das Kurviertel in ein „von der Gunst der Hohenzollern getragenes Theater“.44 Die Wandelhalle des neuen Kurhauses etwa stattete Hey’l mit üppigem Marmor und kostbaren Mahagonivertäfelungen aus, und über dem so genannten ,Kaiserzelt‘ des Konzertsaales fanden sich Abbildungen des Kaisers in der Gestalt Apolls. Diese Ikonographie sollte den Monarchen als Hüter und Förderer der Künste zeigen − ein Anliegen Wilhelms II., das auch im Raumprogramm des neuen Theaters deutlich zu Tage treten sollte, wie nachfolgend zu sehen sein wird.45 Der mit der Entwicklung zur mondänen Freizeit- und Kurstadt verbundene Aufstieg der Stadt ging mit der subjektiven Selbsteinschätzung des adeliggroßbürgerlichen Wiesbaden Hand in Hand:

40 41 42 43 44 45

badener Monatsschrift für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 1/1911, S. 137ff., hier S. 137. Ebd., Hervorh. im Original. Vgl. hierzu Kapitel II.4 (Der Beginn einer Ära). Siehe zum städtebaulichen Ausbau des wilhelminischen Wiesbaden insbesondere Satjukow: Bahnhofstraßen, S. 273ff. Vgl. hierzu Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele). Siehe hierzu von Hase: Wiesbaden − Kur- und Residenzstadt, S. 144. Vgl. hierzu Kapitel II.4 (Der Beginn einer Ära).

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

„Man hat gesagt, daß die Entwicklung Wiesbadens amerikanisch gewesen sei. Wir wollen das als ein Lob hinnehmen. Gewiß gibt es in Deutschland [...] keine andere Stadt mehr, die innerhalb vierzig Jahren eine solche Zunahme der Bevölkerungsziffer ohne Eingemeindung [...] zu verzeichnen hat. [...] Und was war es, was diesen erstaunlichen und gewaltigen Zulauf verursachte? Das waren die ganzen Vorzüge dieses Erdenfleckchens, denen sich menschliche Schaffenskraft und der Ausbau der Kulturerrungenschaften zugesellte, um [...] ein Stücklein Paradies zu schaffen. Es gibt wohl schwerlich eine Stadt, die als Wohnsitz in jedem Betrachte sich so empfiehlt, als gerade Wiesbaden. [...] Es ist eben: alles da. Wie könnte ein wohlhabender oder reicher Mann auch einen geeigneteren Ort als Wiesbaden finden, wo ein regeres und vielseitiges Kunstleben herrscht, wo die Kurverwaltung gezwungen ist, jahrein jahraus wahre Eliteprogramme für die Unterhaltung ihrer Gäste aufzustellen, die ja nicht immer Fremde sein können.“46

Dass die Blüte der Stadt hierbei nicht nur mit dem Aufschwung des Deutschen Reiches, sondern vor allem mit der Protektion durch Preußen und die Hohenzollern zusammenhing, stand für die Wiesbadener Presse außer Zweifel: „Während der nun fünfundzwanzigjährigen Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. hat das Deutsche Reich den gewaltigen Aufschwung genommen, der es ihm ermöglicht, als Kulturstaat eine erste Stelle in dem großen Staatengebäude der Welt einzunehmen. Wie unser Vaterland im großen, so unsere Vaterstadt im kleinen. Aus dem stillen Badeorte hat sich im Laufe der Jahre die prächtige Weltkurstadt mit ihrem Großstadtgetriebe und ihren nach Hunderttausenden zählenden Fremden entwickelt. Aus den bescheidenen Straßen und Gebäuden sind breite, schattige Alleen mit schönen Villen und Palästen entstanden. Zu dem wundervollen Bilde [...] hat [...] unser Kaiser gar manchen festen Pinselstrich getan. Mit großem Interesse gab er neue Anregungen.“47

Diese ,festen Pinselstriche‘ sollten zwischen 1890 und 1914 nicht zuletzt im Bereich der politischen Festkultur sichtbar werden. Eine Stimmung des Aufbruchs und des Neubeginns machte sich in jenen Jahren breit und feuerte das Leben der einst so behäbigen Stadt „zu ungemein schnellem Pulsschlag“ an.48 Die repräsentativen Potentiale Wiesbadens machte sich Wilhelm, unterstützt von den national gesinnten und kaisertreuen Funktionseliten des Wiesbadener Regierungsbezirkes, gerne zu Nutze: Anlässlich der häufigen Kaiserbesuche verwandelte sich die Stadt regelmäßig in eine festlichrepräsentative Kulisse, die in hohem Maß auf die Person des Monarchen zugeschnitten war. Hier ließ sich der Kaiser im Hoftheater, bei Banketten, bei Sportveranstaltungen oder „inmitten seiner Soldaten“ feiern, „umwallt von wehenden Fahnen“, und immer wieder nahm er hier den „donnernden Jubelruf seines Volkes“ entgegen, der ihm in seiner „Mairesidenz“ dargebracht wurde.49 Wie die „Pharaonen und Cäsaren des Altertums“ empfinde auch

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Anders: Wiesbaden als Wohnort, S. 178f. Wiesbadener Zeitung, 14. Juni 1913. Magdeburgische Zeitung, 9. Mai 1902. Wiesbadener Zeitung, 14. Juni 1913.

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der deutsche Kaiser „die Repräsentation als eine monarchische Pflicht“50 – so die Formulierung eines zeitgenössischen Chronisten –, und Wiesbaden bot dem umtriebigen und reisefreudigen Staatsoberhaupt eine publikums- und medienwirksame politische Bühne, auf der sich Wilhelm in Szene setzen konnte. Umgekehrt war man aber auch in Wiesbaden stolz darauf, „daß uns mit dem Kaiser ein besonderes Band“ verknüpfte.51 Großer Wert wurde insbesondere darauf gelegt, dass dieses Verhältnis zu Wilhelm ein fast persönlich-exklusives, „familiäres“ war52 , und stets bezeichnete sich Wiesbaden selbstbewusst als „Residenz des Kaisers“.53 Kaum jemand konnte dabei bestreiten, dass mit der Thronbesteigung Wilhelms II. die Zeiten andere geworden waren und „mancherlei Ereignisse“ „veränderte Gewohnheiten aufkommen“ ließen.54 Wenn der Kaiser in der Stadt weilte, konnte diese „kaum zur Ruhe kommen“, in so rascher Abfolge jagte ein Ereignis das andere, folgte ein festlicher Höhepunkt dem nächsten.55 Wer den Enkel Wilhelms I. „im Automobil dahinjagen“ sah, die imposante „Postenreihe vor dem Schloss“ erblickte, das „emsige Getriebe des starken Schutzmannaufgebotes“ begutachtete oder die große Zahl der Berichterstatter und Journalisten zur Kenntnis nahm, die die Stadt während der Frühjahrs- und Herbstsaison bevölkerten, der wusste, dass das gemächliche Tempo der ,guten alten Zeit‘ ein für alle Mal vorüber war.56 Wiesbaden entwickelte sich immer mehr zu einer „Uebergangsstation“ für das „internationale Fremdenpublikum, das selten daheim, sondern immer unterwegs“ war.57 Auch die „deutsche Aristokratie“ war „ebenso wie die Armee“ „sehr stark in Wiesbaden vertreten“, und besonders die „sehr beträchtliche Zahl hoher Militärs und Staatsbeamter“ nahm man hier mit Genugtuung zur Kenntnis.58 „An Generälen und höchsten Chargen aus der Armee“ trafen „aus allen Teilen des Reiches kurbedürftige Offiziere fast täglich mehrere ein“, wie ein Redakteur der Zeitschrift Die Weltkurstadt im September 1911

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Ludwig Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 3, H. 11/12 (1913), S. 153–160, hier S. 153. Ebd. Ebd., S. 153. Wiesbadener Zeitung, 14. Juni 1913. Siehe hierzu Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau, S. 155. Siehe hierzu Ludwig Anders: Wiesbadener Maientage, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 3, H. 9/10 (1913), S. 133–137, hier S. 133. Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau, S. 155. Anders: Wiesbadener Herbsttage, S. 171. Siehe hierzu den Beitrag „Kur und Gesellschaft“, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Monatsschrift für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 1 (1911), S. 156–159, hier S. 158.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

vermerkte.59 Damit wurde die Stadt zugleich ein gesellschaftlicher Treffpunkt der traditionell konservativen und kaisertreuen Eliten des Reiches. Das 1894 eröffnete neue Hoftheater stand dabei im Zentrum der politischen Festkultur. Freilich war es nach 1866 zunächst ungewiss gewesen, ob das Wiesbadener Theater den Status eines Hoftheaters beibehalten würde: Im Zuge der Annexion Hannovers, Kurhessens und Nassaus durch Preußen hatte der General-Intendant der Königlichen Schauspiele Berlin die technische Leitung der Theater von Hannover, Kassel und Wiesbaden zunächst in der Erwartung übernommen, „daß die hierdurch entstehenden Kosten auf die Staatskasse übernommen werden würden“.60 Die Königliche Staatsregierung ihrerseits hatte allerdings prompt erklärt, „daß sie zur Unterhaltung von Theatern Staatsmittel nicht bewilligen“ könne und sich für eine Überführung der Theaterbetriebe in städtische Verwaltung ausgesprochen.61 Die Verhandlungen zwischen Krone und Staatsministerium zogen sich solange hin, bis Wilhelm I., der „das Fortbestehen der fraglichen Theater lebhaft wünschte“, die Verwaltung der Theater zu weiten Teilen „auf Kosten der Königlichen Kronfideikommißkasse“ übernahm.62 Seinen Entschluss begründete er mit dem Argument, dass es sich „aus allgemeinen politischen und artistischen Gründen“, sowie aus einer besonderen Rücksichtnahme „auf die Hauptstädte dieser Gebiete“, als ein „dringendes Erforderniß“ erweise, den Fortbestand der drei Hoftheater zu sichern.63 Dabei behielt sich die Krone ausdrücklich das Recht vor, den finanziellen Rahmen dieser Unterstützung zu bestimmen; eine rechtlich bindende Verpflichtung gegenüber den Städten wurde von vornherein ausgeschlossen. Die finanzielle Unterstützung der Theater sollte ausdrücklich einen „Akt [...] Königliche[r] Gnade und Munificienz“ darstellen“.64 Ein möglicher Beweggrund Wilhelms I. mochte darin bestanden haben, sich gegenüber den annektierten Gebieten als engagierter Landesherr und kunstsinniger Mäzen zu präsentieren. Auch unter preußischer Herrschaft – so die Botschaft – würden regionale Institutionen und Traditionen geachtet und ihre Kontinuität sichergestellt. Außerdem demonstrierte der spätere Kaiser mit dieser Geste landesväterliche Generosität. Seinen Nimbus als „unvergeßlicher König“ erwarb sich Wilhelm I. in diesen Teilen Preußens nicht zuletzt dadurch, dass er sich in der so genannten ,Theaterfrage‘ über den Wunsch seines Staatsministeriums hinwegsetzte und die Finanzierung der 59 60

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Ebd. Siehe hierzu ein auf den 15. Juni 1892 datiertes Schreiben des Ministers des Königlichen Hauses an den Kaiser, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151 Finanzministerium, HB, Nr. 1225. Ebd. Ebd. Siehe diesen Erlass des Kaisers vom 30. Mai 1868 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 4435. Siehe hierzu das auf den 15. Juni 1892 datierte Schreiben des Ministers des Königlichen Hauses an den Kaiser.

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drei Hoftheater zu weiten Teilen aus Kronmitteln bestritt.65 Die Theaterfrage wurde somit sowohl von Seiten der Bevölkerung als auch von Seiten des Hofes und der Staatsregierung als politischer Akt eingestuft: Beständig schwang hier die Frage nach dem Status der annektierten Gebiete mit, so dass sich das Engagement der Krone für die Belange des Theaters unmittelbar auf die Beliebtheit und Akzeptanz der neuen Herrscher auswirkte. Die Höhe der Zuschüsse, die aus der Kronkasse für die Unterstützung der drei Bühnen aufgebracht werden mussten, war beträchtlich: Während sich diese Summe im Jahr 1868 noch auf 430 406 Mark belief, war dieser Betrag im Jahr 1892 bereits auf 968 619 Mark angestiegen.66 Erschwerend kam hinzu, dass Preußen im Jahr 1872 das Glücksspiel verbieten ließ, so dass die Wiebsadener Spielbankgesellschaft, die jährlich 97 716 Mark zur Erhaltung des Hoftheaters beigesteuert hatte, ihre Zahlungen einstellen musste.67 Nach längeren Verhandlungen wurde der Zuschuss der Stadt Wiesbaden auf 58 716 Mark erhöht, die Königliche Generalstaatskasse übernahm einen Beitrag von 25 500 Mark, das „weitere Erforderniß aber blieb zu Lasten der Krone“.68 Schon im Jahr 1873 stieg deren Beitrag auf 139 899 Mark, und da der Bedarf von Jahr zu Jahr anwuchs, die „Beiträge des Staats und der Stadt“ aber ganz „unverändert“ blieben, erhöhte sich der Zuschuss der Kronkasse kontinuierlich, bis er sich schließlich 1892 auf über 257 000 Mark belief.69 Die hohen Ausgaben für die Theaterbetriebe blieben auch nach dem Tod Wilhelms I. eine Konfliktquelle zwischen Krone und Staatsministerium. In den 1890er Jahren stand erneut zu befürchten, „daß die Stadt gegen Gewährung eines zu vereinbarenden Zuschusses aus der Kronkasse die Verwaltung des Theaters übernehmen“ sollte.70 Dieser Vorschlag stieß – wie zu erwarten gewesen war – in Wiesbaden auf „lebhafte Abneigung“.71 Die Behörden in Wiesbaden richteten eigens eine Petition an den Kaiser, in der sie forderten, dass das Theater als von der Krone subventioniertes und geleitetes höfisches Institut fortbestehen sollte. Letzten Endes war es wiederum das persönliche Eintreten des Kaisers, das den Fortbestand des Hoftheaters sicherstellte.72 Im Gegenzug sagte die Stadt zu, „an Stelle des sehr mangelhaften“ Theaters 65 66 67

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Siehe das Protokoll der Sitzung des Preußischen Herrenhauses vom 20. Juni 1892 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 4435. Siehe hierzu das auf den 15. Juni 1892 datierte Schreiben des Ministers des Königlichen Hauses an den Kaiser. Siehe diese Angabe in einem Schreiben des Ministers des Königlichen Hauses an den Magistrat und die Stadtverordneten der Stadt Wiesbaden vom 11. März 1893, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21201. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Erfüllt „von demselben wohlwollenden Interesse für die Belange des dortigen Hoftheaters, wie sein verstorbener Herr Großvater“ genehmigte er, dass „die Königliche Verwaltung dieses Instituts bis auf Weiteres“ fortbestehe sollte; siehe ebd.

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ein neues Gebäude zu errichten, das „in ästhetischer wie in technischer Beziehung allen [...] Anforderungen entsprechen“ werde.73 Da der Hof hoffte, auf diesem Weg höhere Einnahmen erzielen und seine Zuschüsse langfristig reduzieren zu können, hielt er seine finanzielle Unterstützung aufrecht.74 Das Engagement der Krone festigte in Wiesbaden „die Empfindung, daß uns mit dem Kaiser ein besonderes Band“ verknüpfe.75 Einen „große[n] Tag“ erlebte die Stadt so etwa am 16. Oktober 1894, als Wilhelm II. bei den Einweihungsfeierlichkeiten des neuen Theaters anwesend war und bei diesem Festakt nicht nur ein Denkmal für Wilhelm I. enthüllte, sondern zugleich die eigens hierzu angesetzte Festvorstellung von Wagners Oper Tannhäuser besuchte.76 Nur zwei Jahre nach diesem Versuch einer geschichts- und kulturpolitischen Invention of tradition besuchte Wilhelm II. Wiesbaden 1896 erneut, um dort den von dem Wiesbadener Intendanten Georg von Hülsen (1858–1922) initiierten ersten Maifestspielen beizuwohnen, die fortan als ,Kaiserfestspiele‘ international Furore machten und – dem Beispiel Bayreuths folgend – eine der ältesten Festspieltraditionen Deutschlands begründeten.77 Institutionell und administrativ von Seiten des Berliner Hofes und den politischen und gesellschaftlichen Eliten des Wiesbadener Regierungsbezirkes unterstützt, fand die wilhelminische Festkultur in den so genannten ,Mai- oder Kaiserfestspielen‘ einen charakteristischen Höhepunkt. Diese fanden von Anfang an eine enorme mediale Aufmerksamkeit und trugen dazu bei, sowohl den Ruf Wiesbadens als internationale Kurmetropole zu festigen als auch die keineswegs fraglos gewährleistete Popularität der Hohenzollern zu fördern. Dass sich die Wiesbadener Festspielkultur mit ihren Opern- und Theateraufführungen zusehends zu einem einflussreichen Medium politischer Repräsentation entwickelte, war zu weiten Teilen darauf zurückzuführen, dass sie das Identität stiftende Deutungsmuster einer deutschen Nationalkultur ebenso eigensinnig wie öffentlichkeitswirksam variierte und im Sinne eines monarchisch-nationalen Reichsmythos weiterentwickelte: Eine als spezifisch ,deutsch‘ ausgewiesene nationale Musikkultur sollte dazu beitragen, den nach wie vor fragilen inneren Zusammenhalt der Nation symbolisch zu festigen, indem sie dieser Projektionen nationaler Einheit, Echtheit und Tiefe zur Verfügung stellte und darüber die kulturelle Konstruktion einer kollektiven Identität beförderte. Komponisten wie Bach, Beethoven, Weber oder Wagner wurde nun der Rang kanonisierter Klassiker zugewiesen, ihre Musik wurde zusehends nationalistisch aufgeladen und zur „myth of the German genius“ verklärt – damit war ein Prozess der Bedeutungszuschreibung in Gang gesetzt, der zwar wenig über den musikalischen Gehalt ihrer Kom73 74 75 76 77

Ebd. Ebd. Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau, S. 153. Wiesbadener Zeitung, 14. Juni 1913. Vgl. hierzu auch Kapitel II.4 (Der Beginn einer Ära). Vgl. hierzu Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele).

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positionen aussagte, der allerdings Rückschlüsse auf die Rezeptionshaltung und die Wahrnehmungsweisen der zeitgenössischen deutungskulturellen Eliten zulässt.78 Kanonisierung und Nationalisierung waren dabei keineswegs Phänomene, die auf Deutschland begrenzt blieben, sondern europaweit verbreitet waren und eine paradoxe Situation wechselseitigen Austauschs und gegenseitiger Abgrenzung hervorriefen; denn gerade die Universalität klassischer Musikformen wie Oper und Konzert begünstigte ihre nationalistische Indienstnahme.79 Mit einer explizit als ,deutsch‘ verstandenen Kunstmusik waren somit auch nationale Hoffnungen und Erwartungen verknüpft, so dass Kunst und Kultur keine apolitische Sphäre ästhetischer Kontemplation bezeichneten. Vielmehr konstituierten musikalische Aufführungen einen öffentlichen Raum, innerhalb dessen einzelne Werke als politisch relevante Darbietungen gedeutet werden konnten: Ausgewählte Musiker und Werke konnten, so auch die Überzeugung Wilhelms II., dazu beitragen, die spezifische „Germanness of the new state and its kings“ zu verkörpern.80 Zu diesem Zweck unterstützte der Monarch seit 1889 die Publikation der so bezeichneten Denkmäler deutscher Tonkunst, ein Projekt, das mit einer Ausgabe der Kompositionen Friedrichs II. für Flöte begann und sich auf kanonische Vertreter deutscher Musikkultur konzentrierte.81 Der junge Nationalstaat war auf solche gelingenden Strategien der symbolischen und kulturellen Legitimation und Integration angewiesen, wollte er in der Lage sein, die bestehenden regionalen, politischen, konfessionellen und schichtenspezifischen Gegensätze innerhalb der Gesellschaft des Kaiserreiches aufzufangen und abzumildern. Dabei erwies er sich allerdings nur bedingt als erfolgreich, wie beispielsweise das Fehlen einer offiziellen Nationalhymne nahelegt.82 Zu groß war − der These Celia Applegates und Pamela Potters zufolge − die Kluft zwischen der Realität des wilhelminischen Machtstaates und einer „imagined cultural nation“, von der Generationen deutscher Künstler und Intellektueller geträumt hatten.83 Trotz oder gerade wegen dieser Widersprüchlichkeiten der politischen Kultur des Kaiserreiches ist es lohnend, divergierende Strategien der symbolpolitischen Sinnstiftung näher in den Blick zu nehmen und nach ihren spezifischen Eigenheiten, Möglichkeiten und Grenzen zu befragen. Die 78

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Vgl. exemplarisch Sven Oliver Müller: Cultural nationalism and beyond. Musical performances in Imperial Germany, in: ders./Cornelius Torp (Hrsg.): Imperial Germany revisited. Continuing debates and new perspectives, New York/Oxford 2011, S. 173–185, hier S. 180ff. Ebd., S. 180. Applegate/Potter: Germans as the ,People of Music‘, S. 15. Ebd. Siehe hierzu u. a. Jost Hermand: On the history of the ,Deutschlandlied‘, in: Celia Applegate/ Pamela Potter (Hrsg.): Music and German national identity, Chicago 2002, S. 251– 268. Applegate/Potter: Germans as the ,People of Music‘, S. 16.

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Wiesbadener Maifestspiele lassen sich in diesem Zusammenhang als ein Aufsehen erregendes kulturpolitisches (Massen-)Spektakel beschreiben, das die Legitimität des politischen Status quo nach innen festigen und den Machtanspruch des wilhelminischen Reiches nach außen behaupten wollte. Mithilfe kultureller Praktiken und Rituale ließ sich die behauptete Größe des Kaiserreiches und seiner politischen Eliten öffentlichkeitswirksam zur Schau stellen: Die prosperierende Weltkurstadt stellte dem Kaiser eine glanzvolle, medial ausgeleuchtete Arena politischer Herrschaftsentfaltung zur Verfügung und profitierte ihrerseits von der außergewöhnlichen Resonanz, die die Festspiele bei Publikum und Presse hervorriefen. Nicht allein die Theatervorführungen im Hoftheater, sondern auch die sie flankierenden Bankette, Spazierfahrten und Sportvorführungen erzeugten eine Atmosphäre der Außeralltäglichkeit, die überwältigen und bezaubern wollte. Die ebenso exklusiven wie opulenten Darbietungen im Hoftheater können somit als „manifestations of power and sovereignty“, als „an explicit governing strategy of the ruling elite“ beschrieben werden84 , denn hier zeigte sich der Monarch im Kreis einer kleinen gesellschaftlichen Elite, die das Zeremoniell des Opernbesuchs affirmierend mitfeierte. Die Berichte der zahlreich anwesenden Pressevertreter machten die glanzvollen Staatsspektakel zugleich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Diese sorgfältige Staffelung von Öffentlichkeit initiierte und begünstigte Prozesse gesellschaftlicher Hierarchisierung und trug dazu bei, soziale und politische Wirklichkeit zu erzeugen. Als gezielte Strategien der politischen Inszenierung waren diese symbolpolitischen Maßnahmen allerdings nicht nur egomanischer Selbstzweck oder Kennzeichen eines sinnentleerten wilhelminischen ,Operettenregimentes‘. Nachfolgend wird die These vertreten werden, dass die besonders am Beispiel der Maifestspiele skizzierte Wiesbadener Hofkultur nicht vorschnell als „second-rate tragi-comedy“ abgetan oder als epigonaler Anachronismus kaiserlicher „operetta-politics“ klassifiziert werden kann.85 Es griffe zu kurz, in der höfischen Kultur des Kaiserreiches nur den Beweis für das Beharrungsvermögen einer autoritär-antidemokratisch ausgerichteten politischen und militärischen Elite zu sehen und allein die spezifisch antimodernen Facetten einer offiziösen Kulturpolitik zu betonen.86 In diesem Zusammenhang soll ausdrücklich nicht erneut auf die These eines deutschen Sonderweges eingegangen werden, dessen argumentative Plausibilität mittlerweile kritisch

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Müller: Cultural nationalism and beyond, S. 173. Zur Metaphorik der ,Bühne des Politischen‘ im Kaiserreich und der Weimarer Republik vgl. konzeptionell David Blackbourn: Politics as theatre. Metaphors of the stage in German history, 1848–1933, in: Transactions of the Royal Society, 5th series, Nr. 37, London 1987, S. 149–167, hier S. 163f. So z. B. die Argumentation von Robin Lenman in seinem Beitrag: Art and national identity in Wilhelmine Germany, in: Michelle Facos/Sharon L. Hirsh (Hrsg.): Art, culture, and national identity in Fin-de-siècle Europe, Cambridge 2003, S. 119–136.

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hinterfragt und relativiert wird.87 Die Anregungen einer neuen Kulturgeschichte aufgreifend88 , wird das Deutsche Kaiserreich nicht mehr so sehr als Vorgeschichte von 1933 interpretiert, sondern als eine eigenständige Epoche der Kontraste und Gegensätze „on its own terms“ in den Blick genommen.89 Dabei rücken nun zusehends die Jahre zwischen 1890 und 1914 ins Zentrum des Interesses. Die Ära des Fin de Siècle wird dabei zusehends als eine Zeit des umfassenden und beschleunigten Wandels wahrgenommen, die eine Atmosphäre „of unsettledness or even uprootedness“ erzeugte: „The post-1885 years saw extraordinary cultural change, as German cities underwent massive growth and the ,second industrial revolution‘ transformed the coal, iron, steel, and chemical industries; in these years, feminist, socialist, and Catholic political movements burgeoned, Germany entered the race for colonies in Africa and Asia, and electricity, cinema, telephones, typewriters, and motorcars were integrated into everyday-life. School reforms opened the universites to non-Gymnasium trained students after 1890 and to women after 1908; Ibsen, Nietzsche, Buddhism and vegetarianism attracted critics of the status quo. Life-expectancy was increasing, so was leisure time, and with it nonelite entertainments like cabaret, film, circuses, and football. ,High‘ cultural pursuits, however, had not disappeared. Opera, art exhibitions, concerts, university lectures, and museums flourished, so much so that the avant-garde increasingly felt the need to wall off its art from the stultifying embrace of the parvenus. Never before had so much or so varied a print culture been available to the middling (and even lower middling) classes.“90

Einer solchen kulturgeschichtlichen Herangehensweise ist auch die hier vorliegende Analyse der wilhelminischen Festkultur verpflichtet. Kultur bezeichnet dabei – in Anlehnung an die kunstgeschichtliche Epocheneinteilung der klassischen Moderne zwischen 1890 und 1930 – zunächst den Bereich der 87

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Vgl. aus der Menge Geoff Eley/David Blackbourn: Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte bürgerliche Revolution, Frankfurt a.M. 1980; Thomas Nipperdey: 1933 und die Kontinuität der deutschen Geschichte, in: ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte, München 1986, S. 186–205; Geoff Eley: Is there a history of the Kaiserreich?, in: ders. (Hrsg.): Society, culture, and the state in Germany, 1870–1930, Ann Arbor 1996, S. 1–42; Marchand/Lindenfeld: Germany at the fin de siècle; Paul Nolte: Abschied vom 19. Jahrhundert: Auf der Suche nach einer anderen Moderne, in: Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2006, S. 103–132; Sven Oliver Müller/Cornelius Torp: Introduction, in: dies. (Hrsg.): Imperial Germany revisited. Continuing debates and new perspectives, New York/Oxford 2011, S. 1–17, sowie Helmut Walser Smith: When the Sonderweg left us, in: ebd., S. 21–36. Vgl. exemplarisch aus der Fülle der Literatur Paul Nolte: 1900. Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47/1996, S. 281–300; Geoff Eley: German history and the contradictions of modernity: The bourgeoisie, the state, and the mastery of reform, in: ders. (Hrsg.): Society, culture, and the state in Germany, 1870–1930, Ann Arbor 1996, S. 67–103, hier v.a. S. 76ff.; Lutz Raphael: Historische Anthropologie und neue Kulturgeschichte, in: ders.: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme: Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 228–247, sowie Marchand/Lindenfeld: Germany at the fin de siècle. So Suzanne Marchand und David Lindenfeld in ihrer Einleitung zu: dies.: Germany at the fin de siècle, S. 2. Ebd., S. 3.

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klassischen ,Hochkultur wie Literatur, Theater, Oper oder Museen.91 Zugleich weitet sie den Begriff allerdings auch aus auf Phänomene eines spezifischen ,Zeitgeistes‘, das heißt auf das geistige und intellektuelle Klima einer Epoche, sowie auf die materielle Kultur einer „,alltäglichen‘, massenkulturellen Moderne“, die sich in den Jahrzehnten um 1900 zur „globalen Kultur der Moderne“ ausgeformt hat92 : „Urbanisierung und technologischer Wandel, Wohlstandsentwicklung und Kommerzialisierung, Mobilität und kulturelle Dynamik entwickelten sich um 1900 sprunghaft weiter und ,zündeten‘ gemeinsam zu jenem Konglomerat der Massenkultur, das auch hundert Jahre später noch das Leben in den westlichen Gesellschaften grundlegend geprägt und seinen Siegeszug in anderen Teilen der Welt fortsetzt.“93

Obgleich die Abwesenheit eines „major constitutional change“ und eine nur halbherzig vorangetriebene politische Parlamentarisierung und gesellschaftliche Demokratisierung in den Jahren des Kaiserreiches kaum in Abrede gestellt werden können, steht fest, dass das Deutsche Reich zwischen 1890 und 1914 eine Reihe fundamentaler Veränderungs- und Modernisierungsprozesse durchlief.94 Diese lassen sich, so auch die überzeugende These von Matthew Jefferies, besonders einprägsam im Bereich der politischen Kultur aufspüren, gerade in jenem „realm of aesthetic culture“, dem in der Wertehierarchie der wilhelminischen Gesellschaft eine hohe Wertschätzung entgegengebracht wurde.95 Damit stellt sich aufs Neue die Frage nach dem Stellenwert und der spezifischen Modernität der sowohl regional als auch national beachteten städtischhöfischen Festkultur Wiesbadens. Vorangehend wurde ja bereits auf die sich verändernde Selbstwahrnehmung der städtischen Öffentlichkeit hingewiesen, die sich selbst als neu, andersartig und modern beschrieb und immer wieder die atemlose Ruhelosigkeit und das sich permanent steigernde Tempo des alltäglichen Lebens betonte. Die prototypische „Übergangsstation“96 Wiesbaden kann gerade aufgrund ihrer so charakteristischen Atmosphäre des Hektisch-Flüchtigen, des stetigen Wandels als zentraler Ort einer europäischen Moderne ausgemacht werden. Kulturelle Modernität und gesellschaftspolitischer Konservatismus gingen hier Hand in Hand und prägten sich in ihrer Ambivalenz, ja Gegenläufigkeit auch der öffentlichen Festkultur ein: Gerierte sich die Stadt einerseits als Huldigungskulisse für einen dynastisch-nationalen Kaiserkult, so bezeichnete sie mit ihrer Apparatur der theatralen Superlative, 91

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Vgl. stellvertretend für die Fülle an Literatur zur Ära der ,klassischen Moderne‘ Malcolm Bradbury/James McFarlane: Modernism. A guide to European literature 1890–1930 [1976], London 1991. Vgl. hierzu besonders prägnant Nolte: 1900. Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jahrhunderts, S. 284, sowie ders.: Abschied vom 19. Jahrhundert, S. 127. Nolte: Abschied vom 19. Jahrhundert, S. 127. Jefferies: Imperial culture in Germany, S. 3f. Ebd., S. 2f. Anders: Wiesbadener Herbsttage, S. 171.

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ihrem performativen Kalkül der kollektiven Überwältigung und ihrer medial generierten Selbstinszenierung andererseits ein Experimentierfeld spezifisch moderner Erfahrungsdynamiken. Wenn Marshall Berman eine „atmosphere [...] of agitation and turbulence, psychic dizziness and drunkenness, expansion of experiential possibilities and destruction of moral boundaries [...]“ als Kennzeichen eines spezifisch modernen Weltzugangs beschreibt, so hat die wilhelminische Festkultur Wiesbadens durchaus Anteil an der Formierung dieser gleichermaßen morbid-rückwärtsgewandten wie entdeckungshungrigen, national sich aggressiv abgrenzenden und doch international vernetzten modernen Erfahrungswelt.97

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Marshall Berman: All that is solid melts into air. The experience of modernity, New York 1982, S. 18.

2. Frankfurt und seine Oper 1890–1914 Seine Geburtsstadt Frankfurt beschrieb der jüdische Anwalt Selmar Spier (1893–1962) in seinen im Exil entstandenen Lebenserinnerungen im Rückblick folgendermaßen: „Die Freie Stadt Frankfurt, die, 27 Jahre vor meiner Geburt, von den Preußen besetzt, ziemlich übel behandelt und schließlich annektiert worden war, hatte sich in ihrer Ausdehnung von der Stadt um 1800 herum wohl unterschieden. Seitdem war sie gewaltig gewachsen, weit über den ehemals ummauerten Stadtkern und die Landhäuser vor den Toren hinaus und, nur von Brandmauern vertikal getrennt, zogen sich die öden Häuserfronten des Industriezeitalters nach Norden und Osten. [...] Frankfurt [...] war für deutsche Verhältnisse immer reich gewesen. Nie zerstört, nie geplündert, wenn auch zu allen Zeiten von allen Kriegführenden mit Kontributionen belegt, nie so ernstlich Partei ergreifend, daß es dem Handel hätte schaden können, Messestadt, Krönungsstadt der deutschen Kaiser, hatte es immer eine sehr wohlhabende Oberschicht in seinen Mauern gehabt, deren Zusammensetzung mit den Zeiten wechselte. Zu den Restbeständen des mittelalterlichen Adels waren nach der Reformation Franzosen, Niederländer, Italiener gestoßen und hatten sich in Frankfurter verwandelt. [. . . ] Als letzte vor 1866 waren die Juden zu den Frankfurter Bürgern gestoßen. [. . . ] Eine höchst selbstbewußte Oberschicht war auf diese Weise entstanden. Eine Gesellschaft, vorwiegend von Bankiers und Großhändlern, deren Familienbeziehungen und Geschäftsverbindungen sich über die damals bekannte Welt erstreckten. Um die Mitte des Jahrhunderts war Frankfurt einer der größten internationalen Finanzplätze gewesen.“1

Spier, der bis zu seiner Emigration im Jahr 1936 häufig im Feuilleton der Frankfurter Zeitung veröffentlicht hatte, blickte dabei mit einer zwischen Wehmut und Distanz changierenden Nostalgie auf die Heimatstadt seiner Kindheit zurück: „Ich kann nicht sagen, dass ich als Junge für Frankfurt eine besondere Zuneigung empfunden hätte. Der Mutter Heimat lag an der Saar und sie brachte dies oft zum Ausdruck. Für den Vater war Frankfurt der Ort geschäftlicher Erfolge. [. . . ] Erst nach dem Krieg, als ich hineinzuwachsen begann in Beruf und Gesellschaft, begann ich auch zu begreifen, was Frankfurt auszeichnete, die Toleranz, die nicht völlig auf Temperamentlosigkeit beruhte sondern auch auf alter reichsstädtischer [. . . ] Überzeugung, die Kompromißbereitschaft, begründet in dem [. . . ] gutmütigen Volkscharakter und im alten Wohlstand, die Aufgeschlossenheit für die Welt außerhalb der Grenzen, mit der man von alters her geschäftlich zu tun hatte, die Bereitschaft zu Stiftungen für Kunst und Wissenschaft, die oft aus echtem Interesse kam und nicht nur aus dem Geltungsbedürfnis des Reichtums.“2

Anders als Wiesbaden, das sich nach 1866 rasch mit der Eingliederung in den preußischen Staat abgefunden und zum Verwaltungszentrum eines preußischen Regierungsbezirkes geworden war, tat sich die ehemalige Freie 1 2

Selmar Spier: Vor 1914. Erinnerungen an Frankfurt geschrieben in Israel, Frankfurt a.M. 1961, S. 20ff. Ebd., S. 36.

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Reichsstadt Frankfurt mit der erzwungenen Änderung ihrer politischen Verhältnisse schwer. Wenngleich in der jüngeren Forschung zunehmend kritisch hinterfragt wird, ob die Annexion durch Preußen tatsächlich eine so tiefe und dramatische Zäsur innerhalb der Frankfurter Stadtgeschichte dargestellt hatte, wie bisher zumeist angenommen3 , änderten sich insbesondere die politischen Rahmenbedingungen erheblich. Mit der Einführung des Gemeindeverfassungsgesetzes vom 25. März 1867 erhielt Frankfurt eine neue politische Verfassung, die dem Staat Preußen umfangreiche Eingriffsrechte in die kommunale Selbstverwaltung einräumte und die „politischen Partizipationsmöglichkeiten der städtischen Einwohner“ empfindlich beschnitt.4 Ein neues und vergleichsweise restriktives Bürgerrecht verringerte beispielsweise die Anzahl der Bürgerrechtsinhaber. Das Bürgerrecht konnte nun nicht mehr durch Heirat oder Geburt erworben werden, sondern war an eine Reihe rigider Zensusbestimmungen geknüpft: Klauseln wie der Nachweis der preußischen Staatsbürgerschaft oder die Tatsache, dass entweder der Besitz eines Wohnhauses in der Stadt, ein stehendes Gewerbe mit mindestens zwei Gesellen oder ein Mindestjahreseinkommen von 700 Gulden vorzuweisen waren, erschwerten den Eintritt in die Bürgergesellschaft.5 Dass zudem weiterhin nur Männer das Bürgerrecht erwerben konnten, engte den Kreis der zum Stadtbürgertum zählenden Personen zusätzlich ein und zementierte vorerst das exklusiv-hierarchische Selbstverständnis des alten Frankfurter Patriziats.6 Mit dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung wurden nach 1866 neue politische Gremien installiert, die die ehemaligen städtischen Institutionen − etwa den Senat − ersetzten. Der Magistrat war dabei nicht nur „Exekutivorgan der bürgerlichen Selbstverwaltung“, sondern mittelbar zugleich Vertreter der staatlichen Obrigkeit in der Stadt, da der erste Bür-

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Die einschlägige lokale Geschichtsschreibung Frankfurts hat sich immer wieder mit den Geschehnissen von 1866, dem Krieg Preußens mit Österreich, der Besetzung der Stadt Frankfurt, die sich auf die Seite der besiegten Österreicher gestellt hatte, der „Einverleibung der Stadt in den preußischen Staat“ beschäftigt und diese Ereignisse zumeist als eine tiefe Zäsur in der Geschichte der Stadt markiert (vgl. hierzu exemplarisch etwa Wilfried Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.): Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 349–422). Dagegen argumentiert etwa Ralf Roth, dass bei „der gängigen These vom radikalen Schnitt in der Geschichte der Stadt“ allzu oft die „zäsurüberspannenden Prozesse ausgeklammert“ werden würden. Roth meint demgegenüber, dass sich die Mainstadt auch nach 1866 durch „komplexe soziale Beziehungen und kulturelle Besonderheiten“ auszeichnete und hebt in besonderer Weise die „Beharrungskräfte kultureller Traditionen und die Langfristigkeit sozialer Prozesse“ hervor. Siehe hierzu Ralf Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft 1760–1914, Frankfurt a.M. 1996, S. 490. Siehe hierzu ausführlich Ursula Bartelsheim: Bürgersinn und Parteiinteresse. Kommunalpolitik in Frankfurt am Main 1848–1914, Frankfurt a.M. 1997. Siehe für diese Ausführungen ausführlich ebd., S. 89ff. Ebd., S. 89.

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germeister direkt vom preußischen König ernannt wurde.7 Auch die Wahl des zweiten Bürgermeisters musste vom preußischen Monarchen bestätigt werden. Zudem unterstand die Ortspolizei der staatlichen Verwaltung in Wiesbaden. Der neuen Verfassung gemäß verfügte der Oberbürgermeister gegenüber Beschlüssen des Magistrats über ein Vetorecht, das seine Position als Vertreter der staatlichen Obrigkeit stärkte.8 Ein ähnliches Vetorecht konnte der Magistrat auch gegenüber den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung geltend machen, dem repräsentativen Organ der Bürgerschaft. Vor allem in den Anfangsjahren der preußischen Herrschaft begegnete das Stadtparlament dem Magistrat daher mit einiger Reserve und erblickte in ihm einen „Rivalen um die Führung der Stadt“.9 Trotzdem war der politische Einfluss der Stadtverordnetenversammlung sehr weitreichend; denn indem das Stadtparlament das Budgetrecht innehatte und die Verwaltung kontrollierte, entschied es über relevante Gemeindeangelegenheiten.10 Die Frankfurter Kommunalverfassung spiegelte mit diesem „Dualismus von bürgerlicher Selbstverwaltung und obrigkeitlicher Regierung“ die politische Verfasstheit des preußischen Staates wider, die ebenfalls auf dem Nebeneinander von König und Beamtenapparat auf der einen und einem gewählten Parlament auf der anderen Seite beruhte.11 Durch die am 8. Oktober 1866 vollzogene Eingliederung in den preußischen Staat war Frankfurt eine „preußische Provinzstadt“ geworden, die sich gegenüber den beiden Regierungsbezirken Wiesbaden und Kassel in eine „unglückliche Randlage“ abgedrängt sah.12 Entsprechend blieb Frankfurt auch nach 1870/71 ein entschiedener Gegner des wilhelminischen Macht- und Militärstaates13 : „[A]lter Stolz“ war hier wirksam genug, um „das alte Kollektivbewußtsein der modernen Großstadt zu beeinflussen, in dem eine dunkle Erinnerung an die einstige Souveränität der Stadt weiterlebte, umgeformt in eine Abneigung gegen Preußen und in eine reservierte und nicht unbedingt kooperative Haltung gegenüber der preußischen Regierung“, deren Vertreter bezeichnenderweise „nicht in Frankfurt, sondern im ehemals Herzoglich Nassauischen Wiesbaden und der weiland Kurfürstlichen Landeshauptstadt Kassel residierten“.14 Vor allem im Stadtparlament sammelte sich die preußenfeindliche Opposition: Bis 1914 war der Linksliberalismus hier die stärkste politische Kraft, und wenngleich die demokratischen Parteien ihren Vorrang nicht unein7 8 9 10 11 12 13 14

Ebd., S. 91. Ebd., S. 92f. Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, S. 372. Bartelsheim: Bürgersinn und Parteiinteresse, S. 93. Ebd, S. 94f. Siehe hierzu Wolfgang Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, H. 54/1974, S. 161–182, hier S. 162. Ebd. Spier: Vor 1914, S. 26.

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geschränkt behaupten konnten – bedingt etwa durch den ab 1900 rasant einsetzenden Aufstieg der Sozialdemokraten –, waren sie die entscheidenden Gestalter kommunaler Politik.15 Die bedeutendste liberale Gruppierung innerhalb des Stadtparlamentes war der Demokratische Verein, der sich als lokaler Zweig der Deutschen Volkspartei sah und aufgrund seiner föderalistisch-großdeutschen Ausrichtung und seines Eintretens für eine konsequente politische Parlamentarisierung die maßgebliche Opposition zu Preußen und der Politik Bismarcks verkörperte. Die Demokraten waren eine der politisch aktivsten und mitgliederstärksten liberalen Gruppierungen Frankfurts. Sie rekrutierten sich zumeist aus den Reihen des akademisch gebildeten Bürgertums sowie aus Teilen der so genannten ,technischen Intelligenz‘.16 Zu ihren Anhängern zählte aber auch ein Teil des jüdischen Großbürgertums, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend bis in die Spitzen der bürgerlichen Eliten aufsteigen konnte. Exemplarisch lässt sich dies an der Person Leopold Sonnemanns (1831–1909) aufzeigen, der als Mitbegründer der Deutschen Volkspartei und Herausgeber der einflussreichen Frankfurter Zeitung die Frankfurter Demokraten lange Jahre anführte. Sonnemann, der die Deutsche Volkspartei zeitweilig auch im Reichstag vertrat, gehörte der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung mehr als dreißig Jahre lang an und war nicht zuletzt durch seine Mitarbeit in zahlreichen lokalen Stiftungen und Vereinen einer der profiliertesten Kommunalpolitiker und Mäzene jener Zeit.17 Eine dezidiert preußen- und regierungsfreundliche Politik vertraten dagegen die Vertreter der Nationalliberalen, die innerhalb des politischen Spektrums der Stadt ebenfalls einen bedeutenden Platz einnahmen.18 Die Nationalliberalen unterstützten so etwa Bismarcks Sozialgesetzgebung, begrüßten gleichzeitig aber auch Gesetzesinitiativen der Regierung für ein eingeschränktes Versammlungs- und Vereinsrecht, um damit nicht nur die auch in Frankfurt sehr rührige Sozialdemokratie, sondern auch die linksliberalen Vereinigungen zu treffen. Anhänger fanden die Frankfurter Nationalliberalen in den Reihen der preußischen Beamtenhierarchie und des alten unternehmerischen Mittelstandes, aber auch zahlreiche Angehörige des jüdischen Großbürgertums wie etwa der Bankier Mayer Carl Rothschild fühlten sich dem Nationalliberalismus verbunden. Ein vielfältiges liberales Spektrum bestimmte damit die politischen Geschicke Frankfurts. Im Gegensatz zu Wiesbaden fand der parteipolitische 15

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Zur Geschichte und Bedeutung des Liberalismus in Frankfurt am Main siehe vor allem Siegbert Wolf : Liberalismus in Frankfurt am Main. Vom Ende der Freien Stadt bis zum Ersten Weltkrieg (1866–1914), Frankfurt a.M. 1987. Siehe hierzu Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, S. 365. Zur Person und dem Wirken Leopold Sonnemanns siehe ausführlich Klaus Gerteis: Leopold Sonnemann. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Nationalstaatsgedankens in Deutschland, Frankfurt a.M. 1970. Siehe die nachfolgenden Ausführungen exemplarisch bei: Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, S. 364f.

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Konservatismus in Frankfurt keine tragfähige Basis, und auch der Einfluss der antisemitischen Gruppierungen kann vor 1914 als vergleichsweise gering eingeschätzt werden.19 Allerdings stieg die Sozialdemokratie nach der Aufhebung der Sozialistengesetzte 1890 zu einem relevanten Faktor städtischer Parteipolitik auf: Bei den Stadtverordnetenwahlen 1908 und 1910 bildete sie nach den Linksliberalen die zweitstärkste Fraktion.20 Der Aufschwung der Partei nach 1900 war zum einen auf die Lockerung des strikten Zensuswahlrechtes zurückzuführen; zum anderen spielte es aber eine wichtige Rolle, dass sich die Partei im Vergleich zu den anderen politischen Gruppierungen umfassend professionalisiert und modernisiert hatte. Aufgrund ihres neuartigen Politikstils, entwickelte sie sich rasch zu einem entscheidenden Faktor in der parteipolitischen Landschaft Frankfurts.21 Die soziale Struktur der städtischen Bevölkerung begünstigte dabei den Erfolg der Sozialdemokratie: Um 1900 wuchs Frankfurt – ähnlich wie Wiesbaden – zu einer auch international beachteten Großstadt heran. Zahlreiche Eingemeindungen und die nunmehr einsetzende Industrialisierung hatten einen enormen Bevölkerungszuwachs zur Folge22 , und bis 1910 stieg die Einwohnerzahl auf über 400 000 Einwohner an.23 Im Zuge dieses Modernisierungsprozesses erhöhte sich vor allem der Anteil der Arbeiter, die sich der SPD zuwandten, um für politische Mitsprache und bessere Lebensbedingungen zu kämpfen.24 Besonders die Amtszeit des dem Nationalliberalismus nahestehenden Oberbürgermeisters Franz Adickes (1890–1912) wird in der Forschung allgemein als Phase einer expansiven Wirtschaftspolitik und Stadtplanung gekennzeichnet, die dazu beitrug, die Stadt zu modernisieren. Der Ausbau der städtischen Infrastruktur − von der Mainkanalisierung 1883/88 über die Errichtung eines neuen Hauptbahnhofes 1888 bis zum Bau des Osthafens 1909/1912 oder der Gründung der Universität 1912 − legt von dieser

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Zwar existierten auch in Frankfurt antisemitisch-völkisch ausgerichtete Organisationen, doch weist ihnen Inge Schlotzhauer in ihrer Untersuchung des politischen Antisemitismus in Frankfurt am Main vor 1914 „nur lokale Bedeutung“ zu: Die zentrale antisemitische Vereinigung, der so genannte Deutsche Verein, war ihrer Einschätzung zufolge „klein“, seine „Propagandatätigkeit reichte kaum über Frankfurt hinaus“. Dennoch, so hält sie fest, war er im „Rahmen seiner Möglichkeiten“ „politisch aktiv“. Siehe hierzu ausführlich Inge Schlotzhauer: Ideologie und Organisation des politischen Antisemitismus in Frankfurt am Main 1880–1914, Frankfurt a.M. 1989, S. 10. Bartelsheim: Bürgersinn und Parteiinteresse, S. 259. Siehe zur Situation der Frankfurter Sozialdemokratie zwischen 1890 und 1914 ausführlich: Bartelsheim: Bürgersinn und Parteiinteresse, S. 257 ff. Bis 1900 gewann Frankfurt nicht nur Bornheim (1877) und Bockenheim (1895), sondern vor allem auch die aufgrund ihrer Industrieansiedlungen wichtigen Gemeinden Seckbach, Niederrad und Oberrad (1900) hinzu. Siehe diese Angaben bei Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 175. Siehe diese Angaben bei Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, S. 389. Siehe hierzu Bartelsheim: Bürgersinn und Parteiiinteresse, S. 263.

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Entwicklung Zeugnis ab.25 Auch die weitreichende Industrialisierung der Stadt fiel in diese Phase: Das traditionell eher industriefeindliche Frankfurt schuf nun zielstrebig jene Voraussetzungen, die es der Stadt ermöglichten, am allgemeinen Industrialisierungsboom der Jahre um 1890 teilzunehmen. Elektrotechnik, Chemie und Metallindustrie siedelten sich hier ebenso an wie Maschinenbau oder Feinmechanik, so dass sich Frankfurt − begünstigt durch seine verkehrstechnische Lage − rasch „zum Rückgrat der rheinmainischen Industrielandschaft“ aufschwingen konnte.26 Durch diese umsichtige Wirtschaftspolitik konnte sich Frankfurt seinen Wohlstand trotz der Konkurrenz durch das ebenfalls als Messestadt reüssierende Leipzig und trotz des Statusverlusts als wichtigstes Banken- und Börsenzentrum des Reiches sichern. Allerdings waren die sozialen Unterschiede innerhalb der Bevölkerung beträchtlich. Die Einkommensteuerzahlen aus dem Jahr 1908 ergaben, dass 17,2 Prozent der Bevölkerung 93,4 Prozent der Steuer zahlten, was die Vermögenskonzentration in den Händen einer verhältnismäßig kleinen städtischen Oberschicht belegt.27 Wie Wiesbaden zählte auch Frankfurt in den Jahren zwischen 1890 und 1914 zu den wohlhabendsten Städten Preußens und des Reiches. Die Strukturanalyse der wirtschaftlichen Oberschicht Frankfurts ergibt, dass im Jahr 1910 rund 552 Millionäre in der Mainstadt lebten. Mehr als 200 davon waren Bankiers, 126 Kaufleute, 64 Fabrikanten, 36 Ingenieure oder Architekten. Nur sieben Bierbrauer und 15 Handwerker waren in den Reihen dieser ökonomischen Elite vertreten.28 Viele städtische Projekte jener Zeit − und dazu zählten auch die Finanzierung und Unterhaltung der städtischen Theaterbetriebe − wurden entweder ganz oder zum Teil aus privaten Vermögen und Aktiengesellschaften finanziert.29 Ohne die Initiative des vorwiegend liberal orientierten städtischen Bürgertums hätte der Aus- und Umbau der Stadt kaum durchgeführt werden können. Frankfurts Bürgerkultur bot sich hierdurch Gelegenheit, ihre Gestaltungsmacht unter Beweis zu stellen, so dass die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Maßnahmen dieser Jahre durchaus auch politische Implikationen aufwiesen. Während sich eine bürgerliche Kultur in Wiesbaden an die dominierende höfische Kultur anlagerte, war für die Bürgerstadt Frankfurt eher ein mitunter antagonistisch geprägtes Nebeneinander von politischbürokratischer Macht und öffentlicher Kultur charakteristisch.30 Die Vielfalt des bürgerlichen Vereinswesens sowie die Anzahl der kulturellen und wis-

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Siehe hierzu exemplarisch Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 172ff., sowie Forstmann: Frankfurt am Main in wilhelminischer Zeit, S. 376ff. Siehe hierzu Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 175. Siehe diese Angaben bei Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 176. Siehe diese Angaben bei Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 575ff. Ebd., S. 554f. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 79.

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senschaftlichen Institutionen und Stiftungen vor 1866 zeigen, dass kulturelles Engagement ein essentieller Teil einer bürgerlich-urbanen Lebenswelt war.31 Bürgerlichkeit konstituierte sich nicht nur durch einen bestimmten sozialen oder wirtschaftlichen Status, sondern manifestierte sich vor allem in einem spezifischen Lebensstil und dem Anspruch auf Teilnahme an den öffentlichen Belangen des Gemeinwesens. Seit dem ausgehenden 18. und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein machte das Frankfurter Bürgertum nicht nur durch seine Tätigkeit im Bankwesen, in Handel oder Industrie, sondern auch durch seine engagierte Förderung kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen seinen Einfluss geltend. Der Primat einer traditionsreichen, privat initiierten und autonom gestalteten mäzenatischen Bürgerkultur wurde in einem umfassenden Transformationsprozess um 1900 allerdings zunehmend in Frage gestellt und durch eine öffentlich-städtische und bürokratisch organisierte Kulturpolitik ergänzt beziehungsweise ersetzt. Dieses Wechselspiel zwischen kommunaler Administration und privater Initiative in den Jahren zwischen 1890 und 1914 ist nicht zuletzt als eine für Frankfurt typische Antinomie „zwischen seiner Bürgerkultur auf der einen“ und einer „politisch-administrativen Form der Kulturträgerschaft“ auf der anderen Seite gedeutet worden.32 Demgegenüber lässt sich das stets konfliktreiche Verhältnis von Kultur und Politik aber auch anders auslegen, indem die binäre Gegensätzlichkeit zwischen autonomer Bürgergemeinde und autoritärem Staat relativiert wird zugunsten einer Darstellung, die sich nicht als ,klassische‘ Institutionenkunde versteht und Institutionen als stabile Entitäten deutet. Von Interesse sind vielmehr institutionelle Mechanismen, die die Prozesshaftigkeit und Historizität politischer Körperschaften und sozialer Organisationsformen in den Blick nehmen und Institutionen als kulturell hervorgebrachte symbolische Ordnungen begreifen.33 Dementsprechend wäre zu untersuchen, wie verschiedenartige Akteure versuchten, innerhalb des städtischen Kosmos grundlegende Ordnungsentwürfe und Leitideen zu entwerfen und 31

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Siehe hierzu exemplarisch Wolfgang J. Mommsen: Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat, in: Herfried Münkler/Hermann Danuser (Hrsg.): Deutsche Meister − Böse Geister? Nationale Selbstfindung in der Musik, Schliengen 2001, S. 61–74, hier S. 65. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 35. Konzeptionell wird hier an die programmatischen Impulse des Dresdner Sonderforschungsbereiches 537 ,Institutionalität und Geschichtlichkeit‘ angeknüpft, der „institutionelle Mechanismen“ im „Spannungsfeld von Wandel und intendierter Dauer“ situiert. Im Besonderen werden hierbei „historische Entwürfe und Konkretionen von Handlungs- und Kommunikationsordnungen“ untersucht, die „deshalb als ,institutionell‘ zu bezeichnen sind, weil sie ihre Prinzipien, Leitideen und Wertemuster auch symbolisch darstellen und gerade damit selbststabilisierende Leistungen vollbringen.“ Siehe Gert Melville: Vorwort, in: ders. (Hrsg.): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/ Wien 2001, S. Vf., hier S. V.

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diese als verbindlich zu kennzeichnen. Die im Medium der öffentlichen Festkultur angestrebte Sichtbarmachung gesellschaftspolitischer Leitideen spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle; denn diese symbolischen Verkörperungen von gesellschaftspolitischen Ordnungsprinzipien trugen entscheidend zum Prozess institutioneller und gruppenspezifischer Selbstgenerierung bei.34 Innerhalb der Frankfurter Bürgerschaft und ihrer politischen Festkultur waren entsprechend sowohl innerhalb wie außerhalb der bürokratischen Machtapparate angesiedelte Akteure an der Inszenierung und Selbstherstellung von städtischer Eigengeschichte beteiligt. Exemplarisch lassen sich die hier kurz skizzierten Umbrüche innerhalb der Frankfurter Bürgerkultur − insbesondere die Ausbildung einer städtischen und zunehmend professionalisierten Kulturbürokratie sowie die damit verbundenen Wandlungen der autonomen privaten Bürgerkultur − auch anhand einer Analyse der Frankfurter Opern- und Festkultur nachzeichnen. Im Oktober 1880 festlich eröffnet, galt die Frankfurter Oper lange als Paradebeispiel bürgerlich-mäzenatischer Stiftungstätigkeit. Im Unterschied zu dem in der Kaiserzeit gesellschaftlich sehr exklusiven Wiesbadener Hoftheater attestierten Zeitgenossen der Frankfurter Oper „jene[n] schöne[n] demokratische[n] Zug“, der den Charakter einer offenen bürgerlichen Gesellschaft widerspiegeln sollte.35 Diese Selbstbeschreibung erweist sich allerdings in zweifacher Hinsicht als problematisch. Einerseits traf es kaum zu, dass allein der opferfreudige Kunstsinn der Frankfurter Bürgerschaft die Finanzierung des Prachtbaus ermöglicht hatte; denn den von den 67 Stiftern 1869 ursprünglich gezeichneten 0,8 Millionen Mark standen jene 5,4 Millionen Mark gegenüber, die die Stadt schließlich in den Bau und die Fertigstellung des Opernhauses investieren musste.36 Andererseits war die Frankfurter Oper ebenso wenig wie das Wiesbadener Hoftheater eine demokratische Institution, sondern in erster Linie ein Renommierprojekt der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten der Mainstadt. Das private Startkapital war von den Stiftern nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt worden, dass unter anderem jedem von ihnen auf Lebenszeit eine eigene Loge zuerkannt werden würde.37 Bereits hier deutet sich an, dass das von der Stadt geplante Theater keineswegs allein einen Ort gepflegter Unterhaltung darstellte, sondern nachdrücklich als eine öffentliche Arena fungierte, in der gesellschaftliches Prestige gewonnen und wirkungsvoll zur Schau gestellt werden konnte. Zu den Initiatoren des Theaterbaus zählten nämlich nicht nur alteingesessene

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Siehe bei Winfried Müller: Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion, in: ders. (Hrsg. in Verbindung mit Wolfgang Flügel, Iris Loosen und Ulrich Rousseaux): Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenierungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S. 1–75, hier S. 3. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Siehe diese Angaben bei Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 169. Siehe Schivelbusch: Eine wilhelminische Oper, S. 34.

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und angesehene Frankfurter Bürger wie die Familien Bethmann, Bolongaro, de Neufville, Manskopf oder Metzler, deren Namen, Firmen und Vermögen bis ins 17. und 18. Jahrhundert zurückreichten. Daneben gab es auch eine Reihe gesellschaftlicher ,Aufsteiger‘ wie Leopold Sonnemann, für die die Oper der Ort war, „an dem sie ihren wirtschaftlichen Aufstieg gesellschaftlich und kulturell vollenden“ konnten.38 Ein sehr großer Teil der Spender gehörte − wie Adolph Goldschmidt, Emil Ladenburg, Sigismund KohnSpeyer, Mayer Carl Rothschild, Raphael Erlanger, Rudolph und Sigismund Sulzbach oder Max Stettheimer − zudem jenem gerade erst in die bürgerliche Elite Frankfurts aufgestiegenen Kreis jüdischer Bankiers an.39 Ihr Vermögen hatten die meisten von ihnen nicht geerbt; viele hatten in den 1840er und 1850er Jahren selbst Banken gegründet und waren durch die Finanzierung von Industrieunternehmungen reich geworden.40 Gerade für diesen Teil des jüdischen Großbürgertums stellte das Frankfurter Opernhaus darum eine „Art von Belagerungsmaschine“ dar, „mit deren Hilfe der Durchbruch in die Sphäre der guten Gesellschaft“ erkämpft und behauptet werden sollte.41 Der Kreis der ersten Spender umfasste daher bezeichnenderweise insgesamt 25 Bankiers und 15 Kaufleute sowie 23 Rentiers, jedoch nur vier Fabrikanten.42 Die Vormachtstellung des auf Handel und Gewerbe aufruhenden patrizischen Altbürgertums wurde auf diesem Weg durch die Angehörigen einer aufstrebenden liberalen ,Westend-Bourgeoisie‘ zunehmend in Frage gestellt und durch den Aufstieg des industriellen Wirtschaftsbürgertums um 1900 endgültig unterminiert. Die Jahre zwischen 1890 und 1910 markierten eine deutliche Umbruchphase innerhalb der Entwicklung und Zusammensetzung der städtischen Eliten.43 Wie für die zusehends segmentierte und pluralistische wilhelminische Gesellschaft als solche trat somit auch für Frankfurt das 38 39 40 41 42 43

Ebd., S. 53. Siehe hierzu Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 558. Schivelbusch: Eine wilhelminische Oper, S. 51. Ebd., S. 114. Siehe diese Angaben bei Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 558. Ablesen lässt sich dies etwa an der Struktur der Gewerbe- und Einkommensteuer Frankfurts, die Ralf Roth in seiner Studie zum Frankfurter Bürgertum ausführlich untersucht und dargelegt hat: Um 1890 wurde das obere Drittel des städtischen Einkommensteuereinkommens beinahe ausschließlich von den Bankiers und Handelsbürgern der Mainstadt erwirtschaftet, Fabrikanten, Handwerker, selbst Großkaufleute spielten kaum eine Rolle. Dabei befanden sich unter den „zehn größten Steuerzahlern der Stadt [...] acht jüdische Bürger, davon allein vier Rothschilds“. Die Gewerbesteuer war ähnlich strukturiert wie die Einkommensteuer. Auch hier reichten die Abgaben der Fabrikanten nicht an die Erträge der Großkaufleute und Bankiers heran: Eine Untersuchung der zehn größten Gewerbesteuerzahler gibt einen konkreteren Eindruck. Auf den ersten Plätzen rangierten mit Georg Speyer, Mayer Carl Rothschild und Theodor Stern drei Bankiers, bevor „Leo Gans mit seiner Anilinfabrik und Wilhelm Merton mit seiner Metallgesellschaft als die finanzstärksten Fabrikanten an die Reihe kamen“. Bis 1910 änderte sich wenig an diesen Relationen, dann allerdings zeigt ein zweiter Blick, dass sich in diesen Jahren bedeutende Veränderungen ergeben hatten: „Drei Fabrikanten standen nun an der Spitze, erst da-

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„Element der Veränderung und des Übergangs“ um 1900 besonders spürbar hervor.44 Das Opernhaus wurde hierbei rasch zu derjenigen Arena, in der dieser Kampf um Status, Anerkennung und symbolisches Kapital ausgetragen wurde. Für die etablierte Kaufmanns- und Rentiers-Bourgeoisie stellte es eine „Verteidigungsbastion gegen die aus dem Westend andrängende Schicht“ der oftmals jüdischen Bankiersfamilien wie der um 1900 in die städtischen Eliten aufsteigende Gruppe der Industrieunternehmer dar, denen der Bereich der Kulturförderung umgekehrt die Möglichkeit erschloss, ihren wirtschaftlichen Aufstieg nach außen zu dokumentieren und sich für jedermann sichtbar in den Kreis der städtischen Eliten einzureihen.45 Wie „Paläste, Dome und Rathäuser“ waren damit auch Oper und Theater keine „aus dem praktischen Leben ausgesonderten und „nur der Betrachtung“ dienenden „Museumsstücke“, sondern sie gehörten zum Alltag „in der Weise alter Kulturen, die den Zweck eines Gegenstands in Symbolen“ zur Darstellung brachten.46 In plastischer Form verweist diese zeitgenössische Charakterisierung darauf, dass Opernhaus und Theater bereits in der Selbstwahrnehmung des Frankfurter Bürgertums als „Präsenz stiftende Symbole“ wahrgenommen wurden, die die Selbstherstellung der städtischen Gesellschaft ermöglichten und vorantrieben.47 Zwischen 1870 und 1880 führten die Bauplanungen des neuen Opernhauses immer wieder zu heftigen Kontroversen innerhalb der städtischen Gremien, so dass die ursprünglichen Pläne mehrfach überarbeitet werden mussten.48 Insbesondere die repräsentativen Gesellschaftsräume − etwa der Bereich der insgesamt achtzehn Proszeniumslogen, das Foyer oder das Treppenhaus − mussten zum Teil deutlich vergrößert werden.49 Am Tag ihrer Eröffnung am 20. Oktober 1880 enthielt die Frankfurter Oper „auf einer Grundfläche von 4000 Quadratmetern und einer Höhe von 34 Metern eine der größten Bühnen Deutschlands“, die auch den internationalen Vergleich mit den renommierten Opernhäusern von Wien oder Paris nicht zu scheuen brauchte.50 Das Repräsentationsbedürfnis der Mainmetropole und ihrer im

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nach kamen drei Bankfirmen“. Siehe diese Angaben bei Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 574f. Thomas Nipperdey: War die wilhelminische Gesellschaft eine Untertanengesellschaft?, in: ders.: Nachdenken über die deutsche Geschichte, München 1990, S. 208–224. Schivelbusch: Eine wilhelminische Oper, S. 113. Spier: Vor 1914, S. 29. Karl-Siegbert Rehberg: Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Analyse und Symboltheorien. Eine Einführung in systematischer Absicht, in: Gert Melville (Hrsg.): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 3–49, hier S. 34. Zu den langwierigen Debatten um den Opernhausbau siehe ausführlich Schivelbusch: Eine wilhelminische Oper, S. 96ff. Ebd., S. 140. Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 559.

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Abbildung 1: Das Frankfurter Opernhaus (1880)

Umbruch begriffenen bürgerlichen Elite hatte in dem neuen Prachtbau seinen sinnfälligsten Ausdruck gefunden (Abb. 1). Wendet man sich den institutionellen Leitungsstrukturen der Frankfurter Oper zu, minimiert sich die Relevanz eines vermeintlichen Dualismus zwischen privatem Mäzenatentum und städtischer Kulturpolitik zusehends. Demgegenüber tritt das Miteinander der städtischen Gremien und des privaten bürgerschaftlichen Engagements deutlicher hervor. Offiziell erfolgte die Leitung der beiden städtischen Theater – also Opern- und Schauspielhaus – durch die so genannte ,Neue Theater Aktien-Gesellschaft‘, der vor allem die Angehörigen der sozialen und wirtschaftlichen Eliten der Stadt angehörten.51 Neben etablierten Familien − hier wären nochmals Namen wie Metzler, Bethmann oder Grunelius zu nennen − waren auch die Angehörigen des jüdischen Großbürgertums − etwa die Familien Rothschild, Sonnemann, Erlanger oder Kohn-Speyer − prominent vertreten. Administrativ besonders einflussreich war der aus neun Mitgliedern und für jeweils fünf Jahre gewählte Aufsichtsrat, aus dessen Reihen der Vorstand der Gesellschaft gewählt wurde. Auch im Aufsichtsrat versammelten sich in erster Linie einflussreiche Frankfurter Bürger wie der Großkaufmann Alfred Bolongaro Crevenna oder 51

Das Organisationsprinzip der Aktiengesellschaft war für das bürgerliche Frankfurt der Kaiserzeit charakteristisch. Eine Reihe wichtiger Dienstleistungen wie beispielsweise die Wasser- und Gasversorgung wurden in den Jahren nach 1870 Aktiengesellschaften überantwortet. Der Kreis der Gründer und Aufsichtsratsmitglieder rekrutierte sich zumeist aus Teilen des alteingesessenen Handelsbürgertums, doch auch das jüdische Großbürgertum engagierte sich in den kommunalen Aktiengesellschaften. Die Beteiligung in den Aufsichtsräten der städtischen Gesellschaften stellte gewissermaßen die wirtschaftliche Emanzipation des jüdischen Stadtbürgertums dar und ergänzte damit dessen bereits weitgehend abgeschlossene soziale und politische Gleichstellung.

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die Bankiers Carl Metzler und Albert Andreae, wie der langjährige Intendant der Frankfurter Bühnen, Emil Claar, in seinen Lebenserinnerungen eigens hervorhob.52 In ihrer sich wandelnden Sozialstruktur hatte die Theater Aktien-Gesellschaft damit Anteil an der Formierung, Zusammensetzung und Veränderung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten der Stadt; denn auch die um 1900 zunehmend einflussreichere Gruppe der Fabrikanten und Industriekapitäne war nun − beispielsweise mit den Familien Weinberg, Merton oder Gans − in den Reihen der Theater Aktien-Gesellschaft vertreten. Damit war diese über Jahrzehnte hinweg ein Forum, in dem sich die städtischen Führungsschichten sichtbar als Elite konstituieren konnten: Regelmäßig die Oper zu besuchen und hier über eine eigene Loge zu verfügen, war ein wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Lebens, und wenn „ein betresster Portier“ „nach der Abendvorstellung“ vor dem Opernhaus „die wartenden Equipagen mit den Namen der Familien“ aufrief, denen sie gehörten, so kam dies einem symbolischen Lakmustest gleich, durch den der Nachweis der Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite der Mainstadt erbracht werden konnte.53 Die Statuten der Theater-Aktiengesellschaft sahen unter anderem vor, dass dem Aufsichtsrat das Recht zustand, nach einer Verständigung mit dem Magistrat den Intendant der städtischen Bühnen zu ernennen. Durch die Auswahl des Intendanten hatten sich die Honoratioren der Theater-Aktiengesellschaft mittelbar auch ein Mitbestimmungsrecht über die programmatischen und ästhetischen Richtlinien der Frankfurter Theater gesichert, da der Intendant für „die gesamte artistische und ökonomische Geschäftsleitung“ zuständig war.54 Allerdings war er verpflichtet, dem Aufsichtsrat einen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzulegen. Zudem musste der Aufsichtsrat bei Engagements, Dienstverträgen oder Gastspielen, „bei welcher die Gesellschaft mit Mk. 1000 oder mehr verpflichtet werden kann“, seine Genehmigung erteilen.55 Umgekehrt musste sich die Gesellschaft in allen wichtigen Fragen der Theateradministration mit dem Magistrat verständigen. Mit diesem Neben- und Miteinander privatwirtschaftlicher und städtischer Leitungsgremien unterschied sich die institutionell-administrative Form der Frankfurter Bühnen erheblich von der des Wiesbadener Hoftheaters, das ausschließlich der Berliner Generalintendanz unterstellt war und der Stadt keinerlei Kontrollmöglichkeiten über die Art und Weise der Theaterleitung einräumte. Die dezentrale Leitungsstruktur der Frankfurter 52 53 54

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Siehe hierzu: Emil Claar: Fünfzig Jahre Theater. Bilder aus meinem Leben, Frankfurt a.M. 1926, S. 117. Spier: Vor 1914, S. 26. Siehe hierzu die Statuten der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft Frankfurt aus dem Jahr 1887, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater, Neue Theater Aktien-Gesellschaft in sp. Vertrags-Abschluß 1887–1891, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 533, Blatt 45. Ebd.

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Bühnen führte vor allem nach 1900 immer wieder zu Konflikten zwischen Aktiengesellschaft und Stadt. Zumeist entzündeten sich diese Streitigkeiten an finanziellen Fragen, da die Ausgaben der beiden Theater bis 1914 kontinuierlich stiegen, die Stadt jedoch nicht immer bereit war, den Forderungen der Aktiengesellschaft nach einer Erhöhung der Subventionen nachzugeben.56 Der Magistrat kritisierte wiederholt die umfassenden Kompetenzen der Aktiengesellschaft, die allerdings darauf hinwies, „dass, wenn nicht die Form der Aktien-Gesellschaft [...] bestünde, und die Theater sich in städtischer Hand befänden, weit grössere Summen von der Stadt aufzuwenden [...] wären, als bisher“.57 Die Gesellschaft verteidigte ihre einflussreiche Position mit dem Argument, dass sie „sich aus Frankfurter Bürgern rekrutierte“, und dass allein eine solche Gesellschaft mit ihren Aktionären „eine breite Basis für die Kunstinstitute in der Bevölkerung schaffen“ könne.58 Ihrer Meinung nach war nur so der „Zusammenhang mit weiten Kreisen der Bürgerschaft“ und damit auch „das Gefühl der Zusammengehörigkeit“ gewährleistet.59 Demgegenüber argumentierten die städtischen Gremien immer wieder, dass Oper und Schauspielhaus „nur durch Gewährung enormer jährlicher städtischer Zuschüsse betrieben werden“ könnten.60 Der Konflikt um Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Belange des Theaters und der Oper setzte sich bis in die 1920er Jahre hinein fort, so dass die Aktiengesellschaft als Ausdruck der autonomen Bürgerkultur Frankfurts eine erstaunliche Beharrungsfähigkeit unter Beweis stellen konnte. Das hier skizzierte Mit- und Gegeneinander von mäzenatischer Bürgerkultur und städtischer Kulturpolitik lässt sich anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der öffentlichen Festkultur eindrücklich nachzeichnen. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung des Jahres 1891 etwa war eines der letzten Großprojekte, bei dem das Engagement der traditionellen

56

57 58 59 60

Für das Jahr 1912/13 wies die Bilanz die Theater-AG beispielsweise einen Fehlbetrag von 571 639,86 Mark auf, zu dessen Deckung die normale städtische Subvention in Höhe von 382 500 Mark nicht ausreichte, so dass die Stadt eine Extra-Subvention in Höhe von 120 000 Mark gewähren musste. Nur durch das Aufzehren von Reserven und durch einen von den Garantiezeichnern zur Verfügung gestellten Betrag in Höhe von 46 862,30 Mk. konnte das Defizit schließlich ausgeglichen werden. Siehe hierzu: Bericht der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft an den Magistrat vom 6. Februar 1914, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater (...) Neue Theater AktienGesellschaft, Bd. IX: Januar 1914 März 1916, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Blatt 15f. Ebd. Ebd. Ebd. Siehe hierzu ein Memorandum der Frankfurter Stadtverordneten, die als Mitglieder der Theater-Deputation die Interessen der Stadt in der Neuen Theater-Aktien-Gesellschaft zu wahren hatten, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater (...) Neue Theater-Aktien-Gesellschaft, Bd. IX: Januar 1914 März 1916, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Blatt 38ff.

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bürgerschaftlichen Eliten deulich hervortrat.61 Kennzeichnend war nicht nur die weitgehend private Initiative − Leopold Sonnemann fungierte als einer der Hauptverantwortlichen des Projektes −, sondern zugleich die offensichtliche Distanz zu Wilhelm II. und Preußen. Die Ausstellung wurde von der Frankfurter Presse in erster Linie als Kraftakt einer engagierten Bürgerkultur gefeiert, die sich im Zeichen eines allgemeinen gesellschaftlichen Fortschrittsdenkens die Förderung von Wissenschaft und Technik zu einem besonderen Anliegen gemacht hatte. Die Ausstellung wurde von einer Reihe kultureller Festveranstaltungen flankiert, bei denen die Frankfurter Oper als repräsentativer Festort im Zentrum stand. Einem Verlangen nach Neuem und Außergewöhnlichem trug die Intendanz der Oper neben anderem dadurch Rechnung, dass sie einem internationalen Publikum erstmals Pietro Mascagnis (1863–1945) Oper Cavalleria rusticana präsentierte, mit der die Stilrichtung des italienischen Verismus ihren Siegeszug über die Bühnen der Welt angetreten hatte. Die deutliche Abgrenzung von Berlin als politischem Zentrum war in diesem Kontext für die Frankfurter Bürgerkultur von maßgeblicher Bedeutung: Der liberale Nationalökonom Moritz Julius Bonn (1873–1965), der 1933 nach London emigrieren musste und hier an der London School of Economics unterrichtete, stellte in seinen Lebenserinnerungen beide Städte kontrastierend gegenüber. Während er Berlin ein wenig geringschätzig als „parvenu city“ beschrieb, der historische Wurzeln und Traditionen fehlten und die er deshalb als ,römisch‘ charakterisierte, erschien ihm seine Geburtsstadt Frankfurt als ausgesprochen ,griechisch‘ – ein Vergleich, der vor allem die Ressentiments des eher süddeutsch-liberal geprägten Frankfurt gegenüber der „Prussian dominance of the empire“ zum Ausdruck brachte: „[In Berlin] everything was new and extremely clean; streets and buildings were spacious, but there was a lot of tinsel meant to look like gold. [...] The place was not unlike an oil city of the American west, which had grown up overnight and, feeling its strength, insisted on displaying its wealth.“62

Mit dieser Abwertung verband sich zugleich das Anliegen, Frankfurt vom Makel der preußischen Provinzstadt zu befreien: Wie viele andere Großstädte wollte sich auch Frankfurt gleichberechtigt in die Liste der wichtigen urbanen Zentren des Reiches einreihen und sich als moderne Metropole präsentieren. Im Verlauf einer seit 1870/71 angeheizten Städtekonkurrenz avancierten Kunst- und Kulturförderung zusehends zu Gradmessern urbanen Prestiges und bürgerlicher Leistungsbereitschaft.63 Der Oper fiel hier eine Schlüsselrolle zu, denn in den prunkvollen Opernhäusern des ausgehenden 61 62

63

Vgl. Kapitel II.3 (Internationale Elektrotechnische Ausstellung). Siehe die Zitate aus den Lebenserinnerungen Moritz Julius Bonns (Wandering scholar, London 1949) in: Modris Eksteins: The limits of reason. The German democratic press and the collapse of Weimar democracy, London 1975, S. 24f. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel II.3 (Internationale Elektrotechnische Ausstellung).

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19. Jahrhunderts manifestierten sich großstädtisch-bürgerliches Selbstverständnis und gesellschaftspolitische Hegemonieansprüche in plastischer Form. Auch 1905, als die Stadt das 25-jährige Jubiläum des Opernhauses feierte, stand die Auseinandersetzung mit urbanen, bürgerschaftlichen und nationalen Deutungsmustern im Vordergrund.64 Mit Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg brachte man eine Festoper zur Aufführung, die mit ihrem musiktheatralischen „Entwurf des utopischen Modells der Selbstregierung freier Bürger“ geeignet war, die reichsstädtisch-bürgerliche Vergangenheit Frankfurts wirkungsvoll zu thematisieren.65 Die Oper wurde somit zur analytischen Folie, mit deren Hilfe aktuelle Problemlagen identifiziert und bearbeitet werden konnten. Die vielschichtige, mitunter ambivalente Rezeptionsgeschichte gerade dieser Oper im Kontext der politischen Festkultur Frankfurts brachte die politisch-gesellschaftlichen Widersprüche des späten Kaiserreiches verdichtet zum Ausdruck und belegt einprägsam, wie sehr die Oper an der Konstruktion nationaler und urbaner Selbstbilder beteiligt war.

64 65

Vgl. Kapitel II.6 (,Im schönen Garten heil’ger deutscher Kunst‘). Siehe hierzu ausführlich: Udo Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg. Poetische Regeln demokratischer Selbstregierung, in: ders.: „Blühendes Leid“. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen, Stuttgart 2003, S. 247–280, hier S. 280.

3. Frankfurt und die Internationale Elektrotechnische Ausstellung 1891 3.1 Ein „Fest des Friedens und des Fortschritts“1 Als am 16. Mai 1891 die Internationale Elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt eröffnet wurde, feierte die Presse das Unternehmen selbstbewusst als „einen hervorragenden Markstein“ in der „Geschichte der Elektrotechnik“ wie auch in der „Geschichte der Wissenschaft“ und „der Menschheit“.2 Bis zum 19. Oktober 1891 fand vor den Augen einer staunenden internationalen Öffentlichkeit die bis dahin weltweit umfangreichste Präsentation auf dem Gebiet der Elektrotechnik statt. Renommierte Firmen, darunter das „Welthaus“ Siemens & Halske, waren für die Ausstellung gewonnen worden und gewährten Einblick in ihre „vielgegliederte Thätigkeit“.3 Dadurch sicherten sie der Ausstellung fachwissenschaftliches Prestige und verhalfen außerdem „der deutschen Elektrotechnik zu hoher Ehre“4 – ein Hinweis darauf, dass ein „Denken in Begriffen weltumspannender Rivalität“ um die Jahrhundertwende nicht nur die Militärapparate und Volkswirtschaften der führenden Territorialstaaten und Industrienationen prägte, sondern sich auch auf den Bereich der Wissenschaft und Kultur erstreckte.5 Das Frankfurter Messeprojekt wurde als Ausdruck „einer künstlerischen, technisch und sozial fortschreitenden Entwicklung“ wahrgenommen und in einen internationalen Konkurrenzkampf eingestellt, in dem die Zivilisationen um Ansehen und Einfluss rangen.6 In zahlreichen Abteilungen befasste sich die Ausstellung mit den Möglichkeiten der gewerblichen, technischen und wissenschaftlichen Nutzung der Elektrizität und konzentrierte sich auf die verschiedenartigen Aspekte der Elektrotechnik wie Beleuchtung, Kraftübertragung oder Telegraphie und deren Anwendung unter anderem in den Bereichen der Schiffskunde und des Eisenbahnwesens. In erster Linie machte sich die Ausstellung somit zum Anwalt des wissenschaftlichen Fortschritts.7 Nicht so sehr nüchterne 1 2 3 4 5 6

7

Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 7. Juni 1891, Drittes Morgenblatt. Ebd. Jürgen Osterhammel/Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003, S. 70. Siehe hierzu den Artikel „Eine große Frankfurter Ausstellung“, in: Die Sonne 43 (1. März 1913), in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Versammlungen, Kongresse, Ausstellungen − Generalia, Bd. I: 1909–1924, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2261. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt.

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Dokumentation, sondern plastische Demonstration und gezielte Popularisierung der eigenen fachwissenschaftlichen Leistungen bestimmten daher das inszenatorische Arrangement der Ausstellung: Neben eigenen Abteilungen für Elektrochemie, Eisenbahnwesen, Telegraphie, Medizin und Wissenschaft hatte man eine Verteilungs- sowie eine Installationshalle errichtet, in der eine Reihe „elektrisch erleuchtete[r] Wagen“ zu besichtigen waren.8 Einer der Hauptanziehungspunkte des Ausstellungsgeländes war die so genannte ,große Maschinenhalle‘, in der vor allem Dynamomaschinen, Transformatoren und Elektromotoren zu bestaunen waren.9 Besonders nach Einbruch der Dunkelheit bot sich den Besuchern des Messegeländes hier „ein unbeschreiblich herrlicher Anblick“, da die Halle dann von „mehrere[n] Tausende[n] von Glühlampen“ erhellt wurde, die das Gebäude „in ein Meer von Licht“ tauchten.10 Unwillkürlich sah sich hier mancher Besucher – so eine zeitgenössische Darstellung – von einem Gefühl „der Eitelkeit auf die Thaten des Jahrhunderts“ erfüllt.11 Selbst wer sich nie für die Errungenschaften der Elektrotechnik begeistert hatte, konnte „in diesem mächtigen Raum, in dem die stählernen Riesen brausend und sausend ihre gewaltigen Glieder“ bewegten, nicht umhin, „sich stolz in die Brust zu werfen: ,Wir sind doch ein ganz verflixtes Zeitalter!‘“12 Fortschrittsoptimismus, Wissenschaftsgläubigkeit sowie das Gefühl von Ehrfurcht gegenüber dem als numinos und erhaben wahrgenommenen Bereich moderner Technik und Wissenschaft lassen sich in dieser Beschreibung wiederfinden und verweisen auf den außerordentlichen Stellenwert, der den Real- und Naturwissenschaften beigemessen wurde. Die „Geschichte der Elektrizität“ stelle – so auch die Einschätzung der Presse – „eines der anziehendsten Blätter der Kulturgeschichte“ dar; denn den „Blitz zu fassen und ins Arbeitsjoch des Menschengeistes zu zwingen“ erschien dem Gros der Zeitgenossen als außerordentliche Leistung: „[L]ebten wir noch in den Zeiten der Mythologie“, so die Meinung der Frankfurter Zeitung, würden die Männer, „welche dasselbe vollbringen, gleich dem ersten Schmied Hephästos, dem Lichtbringer Prometheus und dem Riesenarbeiter Herakles gewiß zu Göttern und Heroen erhoben werden“.13 Die Taten der modernen Helden – so die allgemeine Überzeugung – rechtfertigten dieses emphatische Lob. Die Dimensionen von Zeit und Raum, die bislang „mit autokratischer Unbeugsamkeit das menschliche Leben unter ihre Gesetze“ gezwungen hatten, schienen mit einem Mal kalkulierbar und überwindbar geworden zu sein.14 Plötzlich war es ein Leichtes, „es mit den Tyrannen 8 9 10 11 12 13 14

Frankfurter Zeitung, 10. Oktober 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 10. Juni 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Paul Goldmann: Spaziergang durch die Frankfurter Ausstellung, in: Frankfurter Zeitung, 6. August 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Goldmann: Spaziergang durch die Frankfurter Ausstellung.

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Zeit und Raum aufzunehmen“ und mit „viel tausendfacher Raschheit“ den „Weg zum Ziele“ zurückzulegen.15 Diese Entwicklungen wurden emphatisch als Akt menschlicher Selbstermächtigung und Weltbeherrschung gefeiert.16 Die Frankfurter Ausstellung galt den Zeitgenossen damit nicht nur als Teil eines zivilisatorischen „Entwicklungsprozesses“, der die „gesammte Welt“ mit „fieberhaftem Fleiße einem hohen Ziele entgegen“ bringen sollte, sondern war in eine gleichsam existenzielle, beinahe heilsgeschichtliche Semantik gegossen, schienen Wissenschaft und Technik doch dazu angetan, menschliches Leben auf eine qualitativ andere, bessere Ebene zu heben.17 Die Ausstellung thematisierte und bearbeitete daher zugleich jene durch die Technik- und Medienrevolution des 19. Jahrhunderts ausgelösten einschneidenden Wandlungsprozesse, mit denen sich die wilhelminische Gesellschaft in der Phase der Hochindustrialisierung konfrontiert sah. Was Thomas Großbölting in Bezug auf die deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen zwischen 1790 und 1914 insgesamt herausgearbeitet hat, trifft in hohem Maß auch auf die Frankfurter Exposition von 1891 zu: Sie bezeichnete sowohl ein Deutungsangebot als auch einen konkreten Erfahrungsort „für den technischen und industriellen Fortschritt, die Ausbildung der Konsumgesellschaft, die Verlockungen und Angebote einer entstehenden Freizeitindustrie“.18 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass zahlreiche Kommentatoren in ihren Beschreibungen immer wieder so symbol- und bezugreiche Metaphernfelder wie Licht, Aufklärung, Glanz und Fortschritt aufgriffen, um den Stellenwert der Ausstellung zu umreißen: Diese wurde immer wieder als ein „hohe[s] Fest der Arbeit, des Friedens und des Fortschrittes“ wahrgenommen, das einen „nicht blos äußeren Glanz entfalten“, sondern „eine tiefgreifende Wirkung“ zum „Heile Frankfurts, zum Ruhme der Wissenschaft, zur Wohlfahrt des Vaterlandes und der ganzen Menschheit“ ausüben sollte.19 Die Ausstellung befeuerte somit einen reflexiven Selbstverständigungsprozess, in dem über Möglichkeiten und Dimensionen gesellschaftlichen und technischen Wandels nachgedacht werden konnte. Neben der Präsentation fachwissenschaftlicher Exponate waren zahlreiche künstlerische Darbietungen vorgesehen, die das festlich-spektakuläre Gesamtarrangement der Ausstellung hervorhoben, so etwa die telefonische Übertragung von Richard Wagners Oper Tristan und Isolde aus dem Frankfurter Opernhaus im Juni 1891.20 Die Firma Mix und Genest aus Berlin 15 16 17 18

19 20

Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Thomas Großbölting: „Im Reich der Arbeit“. Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914, München 2008, S. 11. Ebd. Siehe hierzu Bettina Götz: Die Oper im Frankfurter Rundfunk von 1924 bis 1932 (Magisterarbeit), Frankfurt a.M. 1991, S. 43.

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hatte hierzu am „Proscenium des Opernhauses vier Aufnahme-Apparate angebracht, von welchen zwei für die Gesangsübertragung, zwei für die Orchesterübertragung bestimmt“ waren.21 Auf dem Ausstellungsgelände hatte man eine „Cabine“ errichtet, in der das Publikum die Übertragung der Oper verfolgen und bewundern konnte.22 Wie die Frankfurter Zeitung notierte, zeigten sich die Zuhörer dabei „sehr befriedigt von der Wiedergabe des Gesangs und der Orchesterbegleitung“.23 Durch die publikumswirksame Inszenierung wurden die technischen Errungenschaften somit konkret erfahrbar gemacht. Bereits hier deutet sich an, dass der ästhetischen Darbietung eine bedeutende Rolle zugewiesen wurde: Ihre Aufgabe war es, ein interessiertes Laienpublikum anzusprechen und dadurch eine konzeptionelle Weitung der Ausstellung zu bewirken. Mit der elektronischen Musikübertragung der Oper wurde das innovatorische Potential von Naturwissenschaft und Technik über einen kleinen Expertenkreis hinaus unmittelbar erfahrbar, so dass sich die Anziehungskraft der Technik auf diesem Weg publikumswirksam dokumentieren ließ. Auf dem Ausstellungsgelände war außerdem ein Theater mit einem „stimmungsvolle[n] Zuschauerraum“ errichtet worden, in dem von Mai bis Oktober eine Reihe elektrischer Ballettaufführungen dargeboten wurden.24 Die aufgeführten Werke trugen so vielsagende Titel wie „Pandora oder Götter-Funken“ oder „Auf der Höhe der Kultur“ und unterstrichen demonstrativ das inhaltliche Anliegen der Messe.25 Besonders das zuletzt genannte Ballett, das in einer „Apotheose“ den „Sieg des Lichts“ thematisierte, sollte dem Publikum die Bedeutung der modernen Naturwissenschaften vor Augen führen26 : In drei Szenen ließ man unter anderem den italienischen Physiker Alessandro Graf Volta (1745–1827) auftreten, dessen nach ihm benannte ,Voltasche Säule‘ die erste nutzbare elektrochemische Stromquelle darstellte. Eine weitere Szene des Balletts spielte in „einem Festsaal“, wo „österreichische, französische, italienische Offiziere, französische Volksrepräsentanten“ und „Magistratspersonen“ versammelt waren, um den Siegeszug der Wissenschaften zu feiern.27 Einzelne Ballettszenen und Zwischenspiele trugen so aufschlussreiche Titel wie „Experimente, Ruhm und Ehre“, um die wissenschaftliche Pionierleistung und den gesellschaftspolitischen Stellenwert der Elektrotechnik hervorzuheben.28 Des Weiteren gelangten in den Balletten die neun Musen, die vier Jahreszeiten und Elemente, die Sternbilder, die fünf Weltteile sowie „Telegra21 22 23 24 25 26 27 28

Frankfurter Zeitung, 10. Juni 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Goldmann: Spaziergang durch die Frankfurter Ausstellung. Frankfurter Zeitung, 2. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd.

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phie, Photographie, Telephonie oder Phonographie“ und die Metalle Gold, Silber, Eisen, Kupfer zur Darstellung.29 Auf diesem Weg fand die Idee eines buchstäblich globalen und universalen Fortschrittsdenkens ihre sinnfällige Vergegenwärtigung. Die „splendid[en]“, die Aufmerksamkeit des Zuschauers fesselnden Szenen, Kostüme und Dekorationen spiegelten damit – so auch der Eindruck eines zeitgenössischen Beobachters – den „Grundgedanke[n] des Ganzen“ treffend wider.30 Das Ballett konnte die Ausstellungsidee symbolisch verdichten, denn im Medium der Kunst wurde der Status der technischen Moderne in eingängige Bild- und Klangwelten überführt. Erneut zeigte sich hier die zugleich überhöhende wie auch die vermittelnd-entdifferenzierende Funktion der Kunst, die die Relevanz der Technik für ein breiteres Publikum erst fassbar machte, indem sie Stationen ihrer geschichtlichen Entwicklung sowie ihre zukunftsweisenden Möglichkeiten offenlegte und mit der „neuen [...] Kraft“ der Maschinen zugleich „eine neue Art“ der „eisernen Schönheit“ feierte.31 Die Vorbereitung und Organisation der Ausstellung lag weitgehend in den Händen Leopold Sonnemanns, der gemeinsam mit dem Münchener Ingenieur Oscar von Miller den Ausstellungsvorstand gebildet hatte. Das Unternehmen konnte im Oktober 1891 mit Gewinn abschließen: Ausgaben für Bau- und Betriebskosten in Höhe von rund 1,3 Millionen Mark standen Einnahmen von über 1,4 Millionen Mark gegenüber, so dass der Optimismus der Organisatoren bestätigt wurde.32 Auch die Besucherzahlen belegten das positive Ergebnis des Unternehmens: Bereits im Juni hatten knapp 180 000 Personen die Ausstellung besucht33 , und bis zum Ausstellungsende im Oktober konnte die Elektrotechnische Messe insgesamt rund 1 100 000 Besucher verzeichnen.34 Die Ausstellung stellte damit ein zentrales Großprojekt städtischer Wissenschafts- und Kulturpolitik dar. Noch nach Jahren wurde sie als „ein für Laien und Fachleute unvergeßliches Ereignis“ gefeiert, das den Beginn „einer neuen Epoche der Technik“ eingeleitet und sowohl der Stadt Frankfurt als auch „Deutschland und seiner Industrie“ einen außerordentlichen Dienst erwiesen habe.35 Zugleich kann die Ausstellung im Kontext jenes von Andreas Hansert diagnostizierten Transformationsprozesses gedeutet werden, musste sich die bislang vorwiegend mäzenatische Bürgerkultur der Mainstadt doch nun neben einer sich herausbildenden öffentlichen Kulturverwaltung und 29 30 31 32 33 34 35

Ebd. Goldmann: Spaziergang durch die Frankfurter Ausstellung. Ebd. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Internationale electrotechnische Ausstellung 1891, Generalia. 1889f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2303. Frankfurter Zeitung, 30. Juni 1891, Erstes Morgenblatt. Karl Maly: Die Macht der Honoratioren. Geschichte der Stadtverordnetenversammlung, Bd. I: 1867–1900, Frankfurt a.M. 1992, S. 287. Frankfurter General-Anzeiger, 29. November 1911.

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-politik zum einen, sowie der zusehends professionalisierten empirischen Wissenschaft und der auf Autonomie drängenden Kunst der Moderne zum anderen behaupten.36 Seit 1866 begann sich die Stadt immer mehr zu einer modernen und international ausgerichteten Metropole umzuformen, wobei bis circa 1900 die „Traditionslinien aus der freistädtischen Zeit“ freilich noch deutlich sichtbar blieben.37 Die Elektrotechnische Ausstellung des Jahres 1891 markierte gewissermaßen den Eintritt in eine zweite Phase urbaner Expansion, die – den Worten Hanserts zufolge – die „womöglich offensivste und dynamischste Epoche der modernen Stadtgeschichte“ darstellte.38 Zudem erwies sich die Elektrotechnische Messe aber auch als eines der zentralen nationalen wie auch internationalen Ereignisse des Jahres 1891. Weit über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus wurde sie als ein „Wunder-Erzeugnis menschlichen Schöpfer-Geistes“39 gelobt und als Garant eines „ungeahnte[n] Fortschritt[s]“ eingestuft, der „tiefe Eingriffe in die alte Ordnung der Dinge“ in Aussicht stelle.40 Nicht nur der Deutsche Städtetag berief aus gegebenem Anlass seine Versammlung vom 27. bis zum 29. August nach Frankfurt ein; auch Wilhelm II. stattete der Ausstellung im Oktober einen unangekündigten Besuch ab, während bereits am 10. August einige Kommissäre der für das Jahr 1893 geplanten Weltausstellung in Chicago nach Frankfurt gereist waren, um die Ausstellung zu begutachten. Schließlich fand auch eine Reihe fachwissenschaftlicher Kongresse in diesem Jahr in Frankfurt statt, unter anderem im September ein internationaler Elektrotechniker-Kongress. Blickt man genauer auf die konzeptionelle Gestaltung und die diskursive Rahmung der Ausstellung, fallen vor allem drei Aspekte auf. Erstens dokumentierte sie den Anspruch Frankfurts, als international anerkannte Großstadt wahrgenommen zu werden, um in der zunehmenden Konkurrenz mit den anderen urbanen Zentren des Reiches bestehen zu können. Mit der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung wollte sich Frankfurt als ein Zentrum von Wissenschaft und Technik, als ein „Mekka [...] für die Wissensdurstigen [...] aus aller Herren Länder“ präsentieren.41 Mit dem Anspruch, etwas noch nie Dagewesenes und Neuartiges zu präsentieren und sich auf diesem Weg zum Fackelträger eines universalen Fortschritts zu stilisieren, versuchte die Stadt überdies, ihren politischen Machtverlust zu kompensieren.42 Sichtbar wurden zweitens die bereits erwähnten soziopolitischen Transformationsprozesse der städtischen Bürgerkultur, die im Spannungsfeld

36 37 38 39 40 41 42

Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 110. Ebd., S. 111. Ebd., S. 117. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 30. August 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 27. August 1891, Erstes Morgenblatt. Vgl. die Abschnitte in Kapitel II.3.2 (Etappen und Dimensionen der Ausstellung).

3. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung

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von großbürgerlich-mäzenatischer Elitenkultur einerseits und staatlicher beziehungsweise städtischer und institutionell-bürokratischer Kulturpolitik andererseits angesiedelt waren. Während etwa die Frankfurter Zeitung immer wieder die „zähe Energie opferbereiter Bürger“ hervorhob43 und die Ausstellung als „ehrende[s] Denkmal bürgerlicher Thatkraft und Hingabe“ kennzeichnete44 , betonte Oberbürgermeister Adickes in seinen Festreden stets die aktive Rolle der hohen Staatsbehörden.45 Von einer besonderen Hervorhebung der obrigkeitlichen Autorität der preußischen Staatsbehörden konnte dagegen in den Ansprachen des Ausstellungsvorsitzenden Leopold Sonnemann kaum je die Rede sein. Anlässlich des in Frankfurt stattfindenden Städtetages sollte sich auch die Frankfurter Zeitung vielmehr wiederholt kritisch zur Politik Preußens äußern, das die Freiheitsrechte der Kommunen empfindlich beschneide. Anders als in seiner Residenz Wiesbaden konnte Wilhelm II. bei seinem spontanen Besuch der Frankfurter Ausstellung nicht erwarten, ins Zentrum der offiziellen Festlichkeiten gerückt zu werden.46 Kritik an Preußen und seiner machtstaatlich-militärischen Ausrichtung artikulierte sich im Verlauf der Ausstellung aber auch in anderer Weise. Die Organisatoren waren drittens bestrebt, ihr Projekt als Beitrag zu einer internationalen Friedensarbeit auszuweisen.47 Dieser Anspruch wurde besonders bei dem Besuch einer amerikanischen Delegation der für 1893 geplanten Chicagoer Weltausstellung vernehmbar, mit dem Frankfurt Amerika und Europa, „die beiden denkenden Gehirnhälften der denkenden Menschheit“, näher zusammenzubringen suchte.48 Wissenschaft, Industrie und Technik schienen hierbei die geeigneten Medien, die das weltweite Projekt einer ,bürgerlichen Zivilisierungsmission‘ siegreich vollenden sollten. Für die Frankfurter Zeitung stand fest, dass die Ausstellung ein Symbol „der friedlichen Arbeit und des stetigen materiellen wie geistigen Fortschritts“ darstelle, die „den Menschen“ plastisch vor Augen führe, wie sie „in gemeinsamer Kulturarbeit“ als „Genossen, Freunde, Brüder“ leben sollten.49 Die Beschwörung eines umfassenden Völkerfriedens war ein gängiger Topos der Selbstlegitimierung: Bereits 1850 hatte Prinz Albert die Londoner Weltausstellung als „große, heilige Mission“ charakterisiert und ihre völkerverbindenden Impulse hervorgehoben.50 Auch im Kontext der Frankfurter Exposition wurde die Elektrizität ausdrücklich zu einem Werkzeug des Friedens und der kosmopolitischen Verflechtung 43 44 45 46 47 48 49 50

Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 27. August 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Vgl. in Kapitel II.3.2: Der ,erste Gentleman des Reiches‘. Frankfurter Zeitung, 7. Juni 1891, Drittes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Vgl. hierzu ausführlich Großbölting: „Im Reich der Arbeit“, S. 299, sowie Jeffrey A. Auerbach: The Great Exhibition of 1851. A nation on display, New Haven/London 1999, S. 159–192.

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erklärt, das „keine Entfernungen kennt und alle Hindernisse mit Blitzeskraft niederschlägt“.51 Neben einer hochgerüsteten „Kriegswirtschaft“, in der sich „Millionen-Heere“ wie „Riesenmaschinen vernichtungsbereit“ gegenüberstünden, seien nun – so die Überzeugung der Zeitung – auch „die Künste und Wissenschaften des Friedens“ mächtig geworden.52 Diese Rhetorik völkerverbindender Kooperation darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausstellung zugleich ein Forum bezeichnete, auf dem internationale Rivalitäten ausgetragen konnten und um nationales Prestige gerungen werden musste. Aus Rücksicht auf nationales Prestigedenken sowie aus handelspolitischen Erwägungen heraus war die Reichsregierung bemüht, auf der Weltausstellung in Chicago vertreten zu sein, und nahm die 1891 ausgesprochene Einladung aus Chicago an. 1893 präsentierte sich das Deutsche Reich erstmals selbstbewusst mit einem eigenen Pavillon bei einer Weltausstellung; die ostentative Demonstration nationaler Einheit und Größe stand hierbei fraglos im Zentrum der inszenatorischen Bemühungen.53 Die Repräsentation Deutschlands nach außen wie auch die Nationalisierung nach innen spielten allerdings bereits 1891 eine zentrale Rolle. Obgleich das Unternehmen selbstbewusst die machtpolitischen Ansprüche des deutschen Kaiserreichs propagierte, wurden auch Stimmen laut, die vor der Dynamik eines militärischen Wettrüstens und einer aggressiv-imperialistischen Weltpolitik warnten. Von Anfang an prägten damit divergierende politische Untertöne die Presseberichterstattung rund um die Elektrotechnische Ausstellung, die im Spannungsfeld von nationaler Selbstermächtigung und kosmopolitischer Weltläufigkeit angesiedelt war. Im Bemühen um programmatische Kohärenz und eine festliche Gestaltung der Messe griffen die Organisatoren immer wieder auf die Repräsentationsmöglichkeiten des Frankfurter Opernhauses zurück, das einen prominenten Platz im raum-symbolischen Gesamtarrangement der Ausstellung einnahm und durch eine elektrische Eisenbahn mit dem eigentlichen Ausstellungsgelände verbunden war. Hier befand sich die Abteilung der Stadttheater, die über Wochen und Monate hinweg gleichfalls ein besonderes „Ausstellungsobjekt“ beherbergte, das „zwar keine ganz neue Erfindung mehr“ darstellte, sich aber bereits seit langem als „ein Mechanismus von erprobter Güte“ erwiesen hatte.54 Das 1881 an der Mailänder Scala uraufgeführte „prächtige Ballet“ Excelsior von Luigi Manzotti (Libretto) und Romualdo Marenco (Musik), das den Kampf der Finsternis mit dem Licht thematisierte, fand „in der Frankfurter Neubearbeitung von Adolph Stoltze“ einen „ganz außerordentlichen Erfolg“ und erwies sich monatelang als zugkräftiger Publikumsmagnet.55 51 52 53 54 55

Ebd. Ebd. Vgl. außerdem in: Kapitel II.3.2: Die Ausstellung als Medium innen- und außenpolitischer Repräsentation. Siehe hierzu auch Großbölting: „Im Reich der Arbeit“, S. 396. Frankfurter Zeitung, 2. Juli 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd.

3. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung

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Neben dem Ausstellungs-Ballet Excelsior war es vor allem die Frankfurter Erstaufführung von Pietro Mascagnis Oper Cavalleria rusticana (1890), die auf die Besucher eine „große Anziehungskraft“ ausübte und dem Anspruch der Veranstalter, etwas Neues und Aufsehenerregendes zu präsentieren, ästhetischen Ausdruck und symbolische Bestätigung gab.56 Dass die Intendanz des Hauses mit dieser Programmwahl eine publikumswirksame Entscheidung getroffen hatte, schlug sich in der Zahl der verkauften Karten nieder: Zwischen Mai und Oktober war das Opernhaus fast permanent ausverkauft. Zuletzt hatte das Haus so hohe Einnahmen nur im ersten Jahr seiner Eröffnung zu verzeichnen gehabt.57 Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher spezifischen Weise die Frankfurter Oper mit ihren beiden ,Ausstellungsnummern‘ Excelsior und Cavalleria rusticana die konzeptionelle und symbolpolitische Ausrichtung der Elektrotechnischen Ausstellung unterstreichen und ergänzen konnte. Hierbei wird die These vertreten, dass das Musiktheater dem Unternehmen nicht nur den gewünschten opulent-festlichen Glanz verlieh, sondern die programmatische Kohärenz der Ausstellung nachdrücklich festigte, indem es relevante Kernanliegen im Medium des Ästhetischen aufnahm und in eindringliche Erlebnisstrukturen übersetzte. Oper und Ballett waren hierbei in Diskursfelder eingebettet, die ihren unmittelbaren Bezug zur Gesamtausrichtung der Fachausstellung dokumentieren sollten. Indem man sie dezidiert als ,Erfindungen‘ und ,Ausstellungsobjekte‘ kennzeichnete und als einen „Mechanismus von erprobter Güte“ anpries, wies man ihnen die Aufgabe zu, den als revolutionär ausgewiesenen kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt in die Bild- und Klangwelt von Oper und Ballett zu übersetzen, ihn gewissermaßen ästhetisch-performativ sichtbar und erlebbar zu machen.58 Als spektakuläre, das mediale Interesse bindende Ereignisse generierten Excelsior und Cavalleria somit jene symbolische Wirkmacht, die sowohl einem kundigen Fach- als auch einem interessierten Laienpublikum die Erfolge des Industriezeitalters plastisch vor Augen führen sollte.

56 57 58

Frankfurter Zeitung, 20. Oktober 1891, Abendblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 2. Juli 1891, Zweites Morgenblatt.

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3.2 Etappen und Dimensionen der Ausstellung 3.2.1 Die „Sensations-Nummer“59 der Stunde: Pietro Mascagnis Oper Cavalleria rusticana Mit einem offiziellen Festakt wurde die Ausstellung am 16. Mai 1891 im Beisein lokaler Eliten sowie der Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden eröffnet. Leopold Sonnemann begrüßte die rund sechshundert Teilnehmer und bezeichnete die Ausstellung als wegweisenden „Kulturfortschritt“.60 Andere Festredner nahmen diesen Tenor eines selbstbewussten Fortschrittsoptimismus gerne auf, wenngleich sie mitunter deutlich andere Akzente setzten. Der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Johannes Miquel (1829–1901), der mittlerweile zum preußischen Finanzminister aufgestiegen war, attestierte den durch die „Realwissenschaften“ initiierten Endeckungen zwar ein umfangreiches sozialreformatorisches Potenzial, das „Wissenschaft und Praxis, Hörsaal und Werkstatt“ immer mehr zusammenführen könne.61 Explizit hob er ergänzend allerdings auch die Rolle der Politik hervor, die als ordnende Instanz auftreten und die wissenschaftliche Arbeit durch entsprechende institutionelle Rahmenbedingungen in die von ihr gewünschten Bahnen lenken solle. Hierbei betonte Miquel vor allem die reformatorische und disziplinierende Rolle des Kaisers, den er als unermüdlichen Förderer der „Volkswohlfahrt“ charakterisierte.62 „Absterbende[s]“ sei mithin zwar „vorsichtig durch Neues“ zu ersetzen, doch solle „das historisch Entwickelte“ gleichzeitig bewahrt werden.63 In diesen Worten schien zugleich eine leise Mahnung vernehmbar zu sein, die bestehende gesellschaftliche Ordnung – namentlich die politische Vorherrschaft des preußischen Staates und die Autorität seines obersten Repräsentanten – nicht in Zweifel zu ziehen. Der wissenschaftliche Pioniergeist der Frankfurter Ausstellung sollte nicht in ein politisches Manifest antipreußischer Agitation umschlagen, sondern die maßvolle Mitarbeit an „der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung“ zum Ziel haben.64 Wie Miquel rühmte auch der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes in seiner Ansprache die „Wunderwelt der Elektrizität“.65 Er verwies darauf, dass die Ausstellung ihr Zustandekommen ebenso sehr der „Initiative ihrer Mitbürger“ wie auch „der Unterstützung der Behörden“, insbesondere der

59 60 61 62 63 64 65

Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Abendblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd.

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„hohen Staatsbehörden“ verdanke.66 Auch Adickes machte aus seiner weitgehend konservativ-staatstreuen Haltung keinen Hehl: Seiner Einschätzung zufolge ging ein „Geist der Unruhe“ „durch diese Zeit“, weite Kreise der Bevölkerung sah er von „phantastische[n] Vorstellungen“ erfüllt.67 Entsprechend charakterisierte er die eigene Gegenwart als eine „Zeit der Utopien“68 : Da man gelernt habe, „an die Technik“ zu glauben und sie als ein Medium der Welterklärung und -deutung einzustufen, erwarte man „das Unmögliche von ihr“69 – eine „Gesinnung“, deren utopisch-revolutionäre Züge Adickes ablehnte.70 Obgleich weder Adickes noch Miquel die Sozialdemokratie oder den Linksliberalismus direkt angriffen, zielte der mahnende Tenor ihrer Ansprachen darauf ab, die Umwälzungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik und der Naturwissenschaften nicht mit der Forderung nach einer Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu verknüpfen, wie dies etwa die Frankfurter Zeitung nahegelegt hatte: Diese zeigte sich nämlich überzeugt, dass nahezu jeder „große[n] politische[n] oder soziale[n] Revolution“ eine „Umwälzung“ in den Arbeitsbedingungen und im „praktische[n] Leben“ der Menschheit vorauszugehen habe.71 Den Anbruch einer ähnlich offenen Zukunft erhoffte sich die Zeitung auch durch die Triumphe der Wissenschaften, die „alle politischen und sozialen Schranken“ niederreißen könne, „um den Grundsatz der friedlichen Arbeit und des stetigen materiellen wie geistigen Fortschritts zu verkündigen“ und damit „zum Heile Frankfurts“ und „zur Wohlfahrt des Vaterlandes und der ganzen Menschheit“ zu wirken.72 Sowohl die Redner der Frankfurter Eröffnungsfeier als auch die über das Ereignis berichtenden Medien nutzten die Elektrotechnische Ausstellung damit recht unverblümt zum politischen Schlagabtausch. Nicht nur die Frage nach einer wertfreien Wissenschaft stand hierbei zur Debatte; vor allem verhandelten die politischen Vertreter der Mainstadt deren sozialpolitisches Potenzial in einer „Zeit der Utopien“.73 Unterschiedliche Auffassungen, welchen Weg in die Moderne man einschlagen sollte, wurden hierbei heftig diskutiert, so dass die Ausstellung die politischen Kräfte Frankfurts polarisierte. Zugleich verlieh die Ausstellung der Stadt Frankfurt nach außen hin ein eigenständiges charakteristisches Profil. Offensichtliche politische Meinungsverschiedenheiten ließen sich hierdurch bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Ein sich verschärfender Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Großstädten kennzeichnete dabei die Jahre des ausgehenden Kaiserreiches. Urbane Zentren wie Frankfurt, München, Düsseldorf oder Leipzig mussten 66 67 68 69 70 71 72 73

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt.

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sich gegen die immer offensichtlichere Übermacht der Metropole Berlin, aber auch im internen Ringen untereinander behaupten. Exemplarisch kann dies ein Artikel des Frankfurter General-Anzeigers aus dem Jahr 1913 demonstrieren, in dem davor gewarnt wurde, dass sich Frankfurt im „Kampf “ der deutschen Städte „nicht zu sehr in den Hintergrund drängen“ lassen dürfe, sondern seine „Sonderbedeutung“ gezielter herausstellen solle.74 Städten wie München, das beispielsweise über die „schlechtweg beste deutsche Oper“ verfüge, oder Leipzig, das „sich durch fortwährende Eingemeindungen auf den vierten Platz unter den deutschen Städten geschraubt“ habe, könne Frankfurt oftmals „nichts Gleichartiges entgegensetzen.“75 Zudem glaubte die Stadt, sich als „viertgrößte Stadt Preußens“ gegen eine Reihe „gefährlicher Gegner“ behaupten zu müssen, etwa gegen das politisch-institutionell bevorzugte Wiesbaden, das das „Prestige“ Frankfurts empfindlich zu beschneiden drohe.76 Gerade aus diesem Grund hatte Frankfurt an der Elektrotechnischen Ausstellung nicht nur ein fachwissenschaftliches, sondern ein nachdrücklich politisches Interesse, bot sich hier doch die Möglichkeit, das symbolische Kapital als traditionelle Messestadt zu unterstreichen, und sich zudem als moderne Kultur- und Wissensmetropole zu bewähren. Neben Leipzig war Frankfurt einer der wenigen Messestandorte, der sich über Jahrhunderte hatte behaupten können: Im 13. und 14. Jahrhundert war die Stadt zu einem bedeutenden Handels- und Messeplatz aufgestiegen und hatte sich innerhalb eines europaweiten Netzwerkes etablieren können. Mit der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung konnte sich das moderne Frankfurt als Erbe der mittelalterlichen Markt- und Handelstradition präsentieren. Die großen Ausstellungen des 19. Jahrhunderts knüpften aber auch an die im Zuge der Französischen Revolution aufkommenden, staatlich geförderten Kunst- und Gewerbeausstellungen an, die zusehends auch Maschinen und Manufakturerzeugnisse ausstellten und sich zwischen 1789 und den 1840er Jahren immer mehr zu „umfassenden Produkt- und Kulturschau[en]“ entwickelten.77 Paris prägte damit gewissermaßen den Prototyp der modernen Industrie-, Kultur- und Warenmessen und fungierte als Vorbild, das den Engländer Henry Cole anregte, eine vergleichbare übernationale „Great Exhibition of the Works of Industry of all Nations“ ins Leben zu rufen.78 1851 74 75 76 77

78

Frankfurter General-Anzeiger, 12. August 1913. Ebd. Ebd. Thomas Schriefers: Für den Abriss gebaut? Anmerkungen zur Geschichte der Weltausstellungen, Hagen 1999, S. 14. Aus der Fülle der Literatur zur Geschichte der Weltausstellungen vgl. außerdem Eckhardt Fuchs (Hrsg.): Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2000; Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt a.M. 1999; Martin Wörner: Vergnügen und Belehrung. Volkskultur auf den Weltausstellungen 1851–1900, Münster/Berlin 1999. Schriefers: Für den Abriss gebaut?, S. 14f.

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trafen sich in London circa 17 000 Aussteller aus 28 Nationen zur ersten Weltausstellung im Crystal Palace. Gut sechs Millionen Besucher reisten zwischen Mai und Oktober dieses Jahres in die englische Hauptstadt, um die spektakulären Exponate zu bestaunen.79 Neben dem offiziell propagierten Ziel einer weltweiten Friedenssicherung diente die Ausstellung vor allem der Erschließung neuer Absatzmärkte sowie der Hervorhebung der eigenen nationalen Leistung auf dem Gebiet industrieller, technischer und wissenschaftlicher Entwicklung.80 Basierend auf Freihandel, internationalem Konkurrenzdenken und Liberalismus fungierte die Londoner Weltausstellung – wie auch die nachfolgenden Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts – als „Schaufenster der materiellen Produktion und technischen Errungenschaften, des industriellen Wachstums“ und der wissenschaftlichen Innovation.81 Sie waren einem optimistischen Fortschrittsdenken verpflichtet, das den Siegeszug westlicher Lebensstile mit kolonialer Subordination verband. Somit befeuerten und verfestigten sie zugleich imperiale Rivalitäten, diente doch das demonstrative Zurschaustellen nationaler Stärke gerade auch der Erringung und Verteidigung kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hegemonie.82 Spätestens in den 1890er Jahren hatte sich das politische Klima aber deutlich gewandelt. Die Ära des Freihandels war zu Ende, mit Ausnahme Großbritanniens kehrten die meisten Staaten in den Jahren nach 1878 zum Protektionismus zurück. Mit Hilfe zoll- und sozialpolitischer Maßnahmen versuchten die sich formierenden „modernen Interventionsstaat[en]“, „Globalisierung im ,nationalen‘ Sinne zu steuern“ und die Möglichkeiten der „[w]eltwirtschaftliche[n] Integration“ der „Macht des Staates zugute kommen“ zu lassen.83 Im Zug einer zunehmend offensiv propagierten ,Weltpolitik‘ verschärften sich nun die Interessenkämpfe zwischen den einzelnen Großmächten, und „Machtpolitik im Weltmaßstab“ wurde zu einem bezeichnenden „Signum der Epoche um die Jahrhundertwende“.84 In diesem Klima war auch die Internationale Elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt angesiedelt. Obgleich die Elektrotechnische Ausstellung Frankfurts kaum den Rang einer Weltausstellung für sich reklamieren konnte, wurde ihr von Seiten der internationalen Gäste dennoch eine weltweite Strahlkraft attestiert: Die 79

80 81

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Zur Geschichte der Great Exhibition von 1851 siehe vor allem Franz Bosbach/John R. Davis (Hrsg.): Die Weltausstellung von 1851 und ihre Folgen, München 2002; Arndt Mersmann: ,A true test and a living picture‘. Repräsentationen der Londoner Weltausstellung von 1851, Trier 2001; Auerbach: The Great Exhibition of 1851. Schriefers: Für den Abriss gebaut?, S. 16. Eckhardt Fuchs: Nationale Repräsentation, kulturelle Identität und imperiale Hegemonie auf den Weltausstellungen. Einleitende Bemerkungen, in: ders. (Hrsg.): Weltausstellungen im 19. Jahrhundert, Leipzig 2000, S. 8–14, hier S. 9. Siehe hierzu ebd. Osterhammel/Petersson: Geschichte der Globalisierung, S. 69f. Ebd., S. 70.

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Goethestadt könne mit Stolz behaupten, „die größte elektrische Ausstellung“ ausgerichtet zu haben, „welche jemals in der Welt veranstaltet worden ist“, meinte etwa der Vorsitzende der Chicagoer Kommission, Benjamin Butterworth.85 Niemals zuvor, so der Redner, habe die Welt etwas gesehen, „was dieser wundervollen Ausstellung in Bezug auf elektrischen Fortschritt“ gleich kommen könne.86 Mit ihrer Ausstellung konnte sich die Stadt damit erfolgreich im internationalen Wettstreit positionieren und eine technischwissenschaftliche und ökonomische Vorreiterrolle reklamieren. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Organisatoren der Ausstellung auf ein reiches kulturelles Angebot besonderen Wert legten, das dem neuartigen Stellenwert der Stadt wirkungsvoll Kontur verleihen sollte. Im Kontext der Ausstellung fungierte besonders die Oper als ein öffentliches Forum, das zur Gewährleistung einer stringenten metropolitanen Selbstdarstellung beitrug und die ästhetisch-symbolischen Profilierung des Ausstellungsprojektes gewährleistete. Ein erstes zentrales Festereignis war darum die am Eröffnungstag der Ausstellung stattfindende Frankfurter Erstaufführung von Pietro Mascagnis „Sensations-Nummer“ Cavalleria rusticana.87 Mascagnis Oper war erst ein Jahr zuvor in Rom mit beispiellosem Erfolg uraufgeführt worden. Die Frankfurter Erstaufführung markierte eine weitere Etappe im weltweiten Siegeszug des Werkes, trennten die Inszenierung doch nur „wenige Monate“ „von der ersten deutschsprachigen Aufführung in Hamburg“ sowie von den Erstaufführungen in London (Oktober 1891) oder New York (Oktober 1891)88 , so dass Frankfurt mit der raschen Inszenierung des Werkes ein waches Gespür für den „heutigen Zeitgeschmack“ bewiesen hatte, wie die Frankfurter Zeitung stolz notierte.89 In den folgenden Jahren errang sich Cavalleria rusticana hier einen beispiellosen Erfolg. Am 20. Juli 1892 konnte man bereits die 50. Aufführung, am 24. August 1894 die 100. Vorstellung des Werkes verzeichnen.90 Den Auftakt dieser Erfolgsserie bildete die Erstaufführung der Oper im Mai 1891, mit der der „frohbewegte“ Eröffnungstag der internationalen Ausstellung seinen „festlichen Abschluß“ fand (Abb. 2).91 Sowohl das auserlesene Festpublikum wie auch das „schöne Haus mit seinen vornehmen architektonischen Linien“ ließen den Abend zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden.92 In „der großen Mittelloge“ des Zuschauerraums hatten „die offiziellen Ehrengäste der Ausstellung“ − etwa 85 86 87 88 89 90 91 92

Frankfurter Zeitung, 10. August 1891, Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Siehe hierzu Albert Richard Mohr: Das Frankfurter Opernhaus 1880–1980. Ein Beitrag zur Frankfurter Theatergeschichte, Frankfurt a.M. 1980, S. 112f. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Mohr: Das Frankfurter Opernhaus 1880–1980, S. 112f. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd.

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Abbildung 2: Emil Rumpf, Bühnenbild zu Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana (Blick durch den Zuschauerraum der Frankfurter Oper auf die Bühne während der Vorstellung, 1891)

Finanzminister Miquel − gemeinsam mit den „Mitglieder[n] des Vorstandes der Elektrotechnischen Ausstellung“ und „ihren Damen“ Platz genommen.93 Anlässlich dieser Premiere machte die lokale Presse in den Reihen des Publikums eine besonders „erwartungsvolle Stimmung“ aus, die den Saal „von Anfang an“ „beherrschte“.94 Auch in künstlerischer Hinsicht – so wusste die Frankfurter Zeitung zu berichten – konnte sich das Opernhaus an diesem Abend in einer Weise präsentieren, die sowohl den „zahlreichen Gästen“ wie „dem angestammten Publikum“ ausschließlich Worte „des Lobes und der Freude“ entrang.95 Die Festvorstellung setzte mit der Ouvertüre zum dritten Akt von Carl Maria von Webers Oper Silvana ein, deren „pompöse[s] Schlußbild“ allgemein „lebhafte Anerkennung“ fand.96 Erfreut zeigten sich Publikum und Presse vor allem über „die tanzenden Schmetterlinge“, die „mit den blitzenden Glühlämpchen im Haar“ „sinnig auf die bedeutungsvolle Veranstaltung“ hinwiesen, „die heute in Frankfurt ihren Anfang genommen“ hatte.97 93 94 95 96 97

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Mehr noch als Webers Oper jedoch begeisterte Cavalleria rusticana das Frankfurter Publikum: „[S]ichtlich und hörbar“ – so die Frankfurter Zeitung – stehe das Werk „unter dem Eindrucke des Festes“, so dass man sehr weit zurückgehen müsse, „wenn man sich eines ähnlich bewegten Theater-Abends in Frankfurt erinnern“ wolle.98 Obgleich die Zeitung konzedierte, dass das Werk durch „manche Trivialitäten“, etwa „die Sucht nach geräuschvollen Effekten in der Instrumentation“ oder durch „opernhaft überladene Szenen“ geprägt sei, habe die Oper auch hier nicht jene „eindringliche Wirkung“ verfehlt, die sie bei ihrer Uraufführung ein Jahr zuvor ausgelöst hatte.99 Nach Maßgabe der Frankfurter Zeitung waren es vor allem zwei Aspekte, die den Sensationserfolg der Oper verdientermaßen sicherstellten und das Werk zur künstlerischen Hauptattraktion der internationalen Ausstellung machten: „[O]hne Zweifel“, so meinte das Blatt, habe man es hier mit dem „eigenartige[n] Erzeugnis eines echten Talentes“ zu tun, das „durch kraftvolle musikalische Behandlung“ und einen „mit kecken Umrissen“ gezeichneten „derben Realismus“ auffalle, der sehr genau den „heutigen Zeitgeschmack“ treffe.100 Die Frankfurter Zeitung war aber nicht nur vom Sujet und der kompositorischen Eigenwilligkeit der Oper fasziniert, sondern ausdrücklich auch von deren „Entstehungsgeschichte“.101 Der mühsame Lebens- und Ausbildungsweg des Komponisten wurde der Leserschaft in einem ausführlichen FeuilletonBeitrag im Duktus einer Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte geschildert: „Ein junger Mensch namens Pietro Mascagni, Sohn eines armen Bäckers, wird von reichen Gönnern auf ein Conservatorium geschickt, ohne jedoch in seinen Leistungen den auf ihn gesetzten Erwartungen zu entsprechen. Er geräth an eine jener reisenden Operntruppen, die die kleineren Orte durchziehen, führt ein paar Jahre hindurch als deren Kapellmeister ein unstetes, aber erfahrungsreiches Wanderleben und läuft Gefahr, darin unterzugehen.“102

Der „rettende Engel“ – so die Darstellung der Zeitung – sei dem jungen Künstler schließlich „in Gestalt eines Preisausschreibens“ erschienen, „das ein rühriger Verleger für eine einaktige Oper“ erlassen hatte.103 Nachdem sich Mascagni entschlossen hatte, den Stoff des „bekannten sicilianischen Zugstückes des Giovanni Verga“ zu bearbeiten, vollendete er „in wenigen Wochen“ die erbetene Komposition − der Rest war nach Meinung der Frankfurter Zeitung Geschichte: „Das Stück erhält den Preis, wird aufgeführt, und nicht lange dauert es, so hallen sämmtliche Paradeplätze Italiens von Mascagni’schen Weisen wider − der neue ,Verdi‘ ist fertig.“104

Den Lebensweg des Komponisten Mascagni schilderte die städtische Presse 98 99 100 101 102 103 104

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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somit als Paradebeispiel einer bürgerlichen Erfolgsbiographie, in der sich Leistungsbereitschaft, Pragmatismus, Kreativität und Zielstrebigkeit miteinander verbanden und den jungen Italiener zu einem der beliebtesten Künstler seiner Zeit aufsteigen ließen. Derart zum erfolgreich-innovativen selfmade-man stilisiert, war Mascagni dazu prädestiniert, zum Aushängeschild der Frankfurter Ausstellung zu werden, bot seine Oper doch Gelegenheit, im Medium des Ästhetischen einen als spezifisch bürgerlich ausgewiesenen Wertekanon und Lebensstil zu feiern. Ausstellung und Oper wurden zu ikonischen Projektionsflächen, in denen sich der „wahre Triumph“ „selbstlose[n] Bürgersinn[s]“ widerzuspiegeln vermochte.105 In der Lesart der Frankfurter Zeitung fand der experimentelle, Neuland beschreitende Charakter der Ausstellung seine künstlerische Entsprechung im „kühnem Realismus“, im „Reichthum an melodischer Erfindung“ sowie im „geschickte[n] Aufbau der Ensemblesätze“, durch die sich Mascagnis Oper ihre „eindringliche Wirkung“ gesichert habe.106 Die Engführung von wissenschaftlichem und ästhetischem Diskurs prägte das Pressenarrativ der Ausstellung: Indem sie etwa auf die Erfindungsgabe Mascagnis, auf den virtuosen Aufbau seiner Ensemblesätze oder die Kühnheit seiner harmonischen Wendungen hinwies, stellte die Musikkritik anspielungsreiche Bezüge zur Semantik des wissenschaftlichen Ausstellungsdiskurses her. Die Art und Weise, in der Mascagni so etwa „das Licht seiner tonsetzerischen Gewandtheit in möglichst mannichfaltigen und farbenreichen Brechungen glänzen“ lasse und sein Publikum bald mit „[f]eierliche[n] Orgelklänge[n]“, bald mit „große[m] Ensemblesatze“ oder einem „vulkanisch gährende[n] Duett“ überrasche107 , erinnerte nicht von ungefähr daran, dass auch die Frankfurter Ausstellung als ein „Wunder-Erzeugnis menschlichen Schöpfer-Geistes“ gefeiert werden wollte, der die „scheinbar unberechenbare und schreckhaft-geheimnisvolle Naturkraft des Blitzes“ gezähmt und in seinen Dienst genommen hatte.108 Künstlerische Virtuosität und wissenschaftlicher Erfindungsreichtum wurden auf diesem Weg miteinander kurzgeschlossen und als sicht- und hörbare Marksteine auf jenem „steilen Wege der Wissenschaft und der Kultur“ präsentiert, von dem die Frankfurter Ausstellung Zeugnis abzulegen bemüht war.109 Der inszenatorische Aufwand, den Oper und Ausstellung aufboten, erzielte eine „eindringliche Wirkung“110 und wurde von einer staunenden Öffentlichkeit als „etwas ganz Neues, noch nicht Dagewesenes“ bestaunt.111 Dem Frankfurter Opernhaus

105 106 107 108 109 110 111

Frankfurter Zeitung, 15. Oktober 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt.

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bot sich mit der Erstaufführung der Cavalleria die Gelegenheit, „auf musikalisch-lyrischem, -dramatischem und -mimischem Gebiete zu zeigen, was es zu leisten vermag“.112 Die Oper wurde hier in Kategorien eines bürgerlichen Leistungswillens und einer nationalen Kraftanstrengung gekleidet, so dass technische und kulturelle Moderne als komplementäre und aufeinander bezogene Phänomene erkennbar wurden, die sich gegenseitig verstärkten und ergänzten. Geradezu „[e]lektrisch“ − und damit „ganz dem Tage und der Gelegenheit entsprechend“ − nämlich sei „der Eindruck, den die Novität auf das hiesige Publikum hervorbrachte“.113 Die „Erregung“, die das Werk allgemein hervorrief114 , schien mit der Begeisterung für jene „gewaltige Umwälzung“ zu korrespondieren, die mit dem „siegreichen Eindringen der Technik in alle Lebensbereiche des staatlichen, kommunalen und privaten Organismus“ einherging.115 War das Opernhaus seit Jahrzehnten zentraler Bestandteil der städtischen und symbolpolitischen Topographie Frankfurts, so hatte sich die Stadt auf dem Ausstellungsgelände nun einen zweiten „herrliche[n] Tempel“ errichtet, der der „neuen Wissenschaft“ der Elektrotechnik gewidmet war und ebenfalls „Gewaltiges, Ungeahntes“ darbot.116 Neben den offiziellen Festrednern waren es somit vor allem die anwesenden Journalisten und Publizisten, die mit ihren Berichten der Ausstellung zum Erfolg verhalfen und die „Geschichte der Elektrizität“einem breiteren bürgerlichen Publikum nahebrachten.117 3.2.2 Ein „Denkmal bürgerlicher Thatkraft und Hingabe“118 : Die Ausstellung und der Deutsche Städtetag Ein weiteres herausragendes Ereignis, mit dem sich die Ausstellung als Vehikel bürgerlichen Leistungswillens und wissenschaftlicher Expertise in Szene setzen konnte, fand vom 27. bis zum 29. August 1891 statt, als der Deutsche Städtetag in Frankfurt zusammentraf. Mehr als 530 „Bürgermeister und Mitglieder der kommunalen Behörden von mehreren hundert Städten“ waren nach Frankfurt gekommen, um „durch Anschauung und Belehrung ihre Kenntnisse auf einem für die Gemeinden eminent wichtigen [...] Gebiete, der Elektrizität und ihrer praktischen Anwendung“, zu erweitern.119 Der Städtetag war somit nicht nur als fachbezogene Informationsveranstaltung

112 113 114 115 116 117 118 119

Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 30. August 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 27. August 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd.

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Abbildung 3: Plakat der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt (1891)

angelegt; den Teilnehmern sollte zudem das Gespür für die „sozialpolitischen Aufgaben kommunaler Gemeinwesen“ vermittelt werden.120 Einer der Höhepunkte des Städtetages war die Lauffener Kraftübertragung, bei der „zum ersten Male die elektrischen Lampen in der Ausstellung von Lauffen aus in Betrieb gesetzt“ wurden121 (Abb. 3). Doch auch sonst erwartete die Gäste ein reichhaltiges Programm: Tagsüber konnten sich die Teilnehmer bei Vorträgen beispielsweise über die verschiedenen „Systeme der Stromvertheilung zur Beleuchtung und Kraftübertragung in Städten“ informieren.122 Am ersten Abend fand eine Festvorstellung des Balletts Pandora im Ausstellungstheater statt. Für den folgenden Abend hatte man eine Festvorstellung im Opernhaus angesetzt, die den Delegierten den ersten Akt von Richard Wagners Oper Lohengrin sowie Mascagnis Cavalleria rusticana und das erste und zweite Bild 120 121 122

Frankfurter Zeitung, 27. August 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 25. August 1891, Abendblatt. Vgl. hierzu auch Maly: Die Macht der Honoratioren, S. 287. Frankfurter Zeitung, 27. August 1891, Zweites Morgenblatt.

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des Ausstellungsballetts Excelsior präsentierte und selbstbewusst den Siegeszug des städtischen Bürgertums feierte. Die Frankfurter Zeitung schilderte die Darbietung rückblickend als eine der „gelungendsten und glänzendsten Veranstaltungen“, die „zu Ehren der Gäste“ gegeben worden seien.123 Wie bereits bei der feierlichen Ausstellungseröffnung im Mai war das Haus auch an diesem Augusttag „bis auf den letzten Platz gefüllt“.124 Sämtliche Logenreihen und ein Teil des Parketts waren den Teilnehmern des Städtetages vorbehalten, während das Präsidium mit dem Ausstellungsvorstand in der großen Mittelloge des Hauses Platz nahm und damit das gesellschaftliche Gravitationszentrum des Raumes bildete. Die für diesen Anlass zusammengestellte Programmauswahl − „erster Akt Lohengrin, Cavalleria rusticana, erster Akt Excelsior“ − hätte nach Ansicht der Frankfurter Zeitung „für eine derartige Vorstellung kaum glücklicher zusammengestellt werden können“.125 Mascagnis Cavalleria rusticana und das pompöse Ausstellungs-Ballett Excelsior erwiesen sich erneut als besondere Attraktionen. Beide Werke erlaubten es der Intendanz, „ihre besten Kräfte“ und „ihre schönsten Scenerien zu verwenden“.126 Damit gaben sie „dem Publikum Gelegenheit, unsere Oper von der besten Seite kennen zu lernen“ und führten „einem großen Theile der Gäste etwas ihnen Neues“ vor.127 Zuschauer wie Kritiker zeigten sich zur Freude der Presse entsprechend überwältigt.128 Mit Excelsior hatte man – wie bereits im Falle der Erstaufführung der Cavalleria rusticana – auf ein Sensationsstück zurückgegriffen, das seit seiner Uraufführung an der Mailänder Scala am 11. Januar 1881 für Furore gesorgt und dort allein in diesem Jahr mehr als 100 Aufführungen erlebt hatte.129 Luigi Manzottis (1835–1905) und Romualdo Marencos (1841–1907) Ballett, das den Kampf von Licht und Finsternis thematisierte, spiegelte treffend den Fortschrittsoptimismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts wider und fasste in einem opulenten Bühnenspektakel das bisher auf dem Gebiet der Technik- und Ingenieurwissenschaften Geleistete zusammen: In elf Tableaus wurden so etwa die Fahrt eines Dampfschiffes, der Bau einer Eisenbahnbrücke, die Errichtung eines Frankreich und Italien verbindenden Tunnels, die Erbauung der Brooklyn Bridge, die Eröffnung des Suezkanals sowie der Triumph der Elektrizität vorgeführt und als Sieg der westlichen Zivilisati123 124 125 126 127 128 129

Frankfurter Zeitung, 29. August 1891, Abendblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Zur Aufführungsgeschichte von Excelsior vgl. auch: Markian Prokopovych: Die Produktion von Excelsior in Budapest 1887: Modernität, Erotik und die Bestätigung der politischen Ordnung, in: Sven Oliver Müller/Jutta Toelle (Hrsg.): Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien/München 2008, S. 39–53.

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on kenntlich gemacht. Damit unterstrich das Ballett die programmatische Ausrichtung der Elektrotechnischen Ausstellung, sah sich doch auch diese in ihrem Versuch, den „Blitz zu fassen und ins Arbeitsjoch des Menschengeistes zu zwingen“, als Bannerträgerin von Aufklärung und zivilisatorischem Fortschritt.130 Wie die bereits vorgestellte Aufführung der Oper Cavalleria rusticana war damit auch Excelsior als anspielungsreicher impliziter Kommentar zur Ausstellung angelegt: Der ,Dämon der Finsternis‘ kämpfte mit dem ,Genius des Lichtes‘, ehe dieses schließlich erwartungsgemäß den Sieg davontrug.131 Seinen dramatischen Reiz verdankte das Werk vor allem der Figur des Obscurantismus, der als Prinzip des Bösen auftrat und in zahlreichen Intrigen versuchte, den Sieg des Lichtes und des Fortschritts zu durchkreuzen. Alle „Untaten“ musste der „Herr des Bösen“ dabei allein ersinnen und ausführen, „während die Inkarnation des Lichts sich in der Gunst der Massen“ sonnen und dem Publikum eine „bunte Revue“ opulenter Schaueffekte vorführen konnte.132 Neben den Inkarnationen des Guten und der Finsternis trat als handelnde und tanzende Figur auch die (westliche) Zivilisation in allegorischer Personifikation auf – die selbstverständliche zivilisatorische Überlegenheit des Westens wurde fraglos behauptet und fand sich in den stereotypen Charakterzeichnungen der Protagonisten wieder: Exotische Haremsdamen, trippelnde Chinesen und athletische Sklaven waren ebenso Teil des bunten Schauspiels wie Ismail Pascha, Vizekönig von Ägypten, der 1869 bei Giuseppe Verdi anlässlich der Eröffnung des Suezkanals die Oper Aida in Auftrag gegeben hatte, und den Marenco und Manzotti nun – mit einer „roten Bauchbinde versehen“ und ein „flottes Tänzchen“ wagend – auf die Bühne holten.133 Für die Frankfurter Aufführung des Werkes waren eigens eine Reihe aufwendiger Dekorationen von dem österreichischen Hoftheatermaler Hermann Burkhardt aus Wien und dem an den Frankfurter Bühnen tätigen Waldemar Knoll angefertigt worden. Ein „Damen-Ballett-Korps von 60–70 Tänzerinnen und etwa 200 Figurantinnen und Figuranten“ sowie ein „großer Theil des Schauspiel-Personals“, das ebenfalls mit Rollen bedacht worden war, trugen zum Gelingen der Aufführung bei.134 Mit seiner monumentalen Ästhetik, seinen revueartigen Tanzeinlagen und farbenprächtigen Dekorationen erwies sich Excelsior als Vorläufer späterer Filmmusicals, und bereits die Zeitgenossen bejubelten das Ballett als „Zugstück ersten Ranges“.135 In Frankfurt war der Erfolg von Excelsior so groß, dass sich die Intendanz der Städtischen Büh130 131 132

133 134 135

Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 2. Juli 1891, Zweites Morgenblatt. Engelbert Hellen: Excelsior, in: Klassika. Die deutschsprachigen Klassikseiten, http:// www.klassika.info/Komponisten/Marenco_Romualdo/Ballett/1881_01/index.html (letzter Zugriff: 08.12.08). Ebd. Frankfurter Zeitung, 29. April 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 6. August 1891, Abendblatt.

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nen in „Folge des anhaltenden Andranges zu den Aufführungen“ entschloss, das Ballett „auch nach der Eröffnung der Opernsaison“ noch „für einige Zeit“ weiterzuspielen.136 Die Attraktion des Werkes war vor allem darauf zurückzuführen, dass es den Fortschrittsoptimismus und die Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit der Jahrhundertwende in plastische Bilder und gängige Topoi (Dampf, Eisenbahn) goss und dadurch anschaulich die Erfolgsgeschichte des bürgerlichwestlichen Pioniergeistes schilderte: Die großen Industrienationen Europas und Nordamerikas wurden dabei als Initiatoren von Kultur und zivilisatorischem Fortschritt identifiziert, so dass Excelsior gerade im Kontext der Frankfurter Ausstellung ein hohes identifikatorisches Potenzial bereit stellte, begriff sich doch auch die Mainstadt als Anwalt rationaler Weltbeherrschung und zivilisatorischer Selbstvollendung. Die Wissenschaftler und Ingenieure, die mit der Elektrizität die „launenhafteste“ und „am schwierigsten zu fassen[de]“ Naturgewalt gebändigt digen und sie wie „Wasser, Feuer, Luft, Dampf “ oder „Thierkräfte“ „zu regieren“ verstünden, schienen mythologischen Licht- und Heldenfiguren zu gleichen.137 Mit seiner Metaphorik vom Sieg des Lichtes über Nacht und Finsternis feierte das Ballett denn auch den Erfolg jener Forscher und Politiker, die diesen Sieg von ihren Logen und Sitzen aus im Beisein der anwesenden Festgesellschaft unmittelbar miterleben und auskosten konnten.138 Wiederum erwies sich die Frankfurter Oper als wirkmächtiges symbolisches und repräsentatives Forum, in dem konstitutive Bestandteile eines bürgerlichen Habitus performativ hergestellt werden konnten. Die Teilnahme an der Theateraufführung dokumentierte dabei nicht nur den Erfolg einer bürgerlichen Leistungs- und Arbeitsethik, sondern erlaubte es dem anwesenden Publikum auch, seinen gesellschaftlichen Status selbstbewusst nach außen zu dokumentieren und sich als Teil eines bürgerlich-westlichen Zivilisierungsprojektes in Szene zu setzen. Beherzt nahm Frankfurt daher den Konkurrenzkampf mit anderen städtischen Zentren auf. Zum Abschluss des Städtetages fand eine Exkursion nach Wiesbaden statt, das der Delegation des Städtetages einen herzlichen Empfang bereitete. Wiesbaden wollte, den Worten seines Oberbürgermeisters Ibell zufolge, „mit Frankfurt nicht konkurrieren“.139 Hier gebe es „nichts Elektrisches zu lernen,“ wie das Stadtoberhaupt launig bemerkte, dagegen „verstehe Wiesbaden, zu zeigen, wie man sich erfrische, nach gethaner Arbeit erhole und des Lebens sich freue“.140 Wiesbaden war deshalb stolz darauf, den Teilnehmern des Städtetages vorführen zu können, „wie gut es sich“ hier „leben läßt“.141 136 137 138 139 140 141

Frankfurter Zeitung, 1. August 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 16. Mai 1891, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 30. August 1891, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd.

3. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung

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Auch Frankfurts Oberbürgermeister Adickes räumte ein, dass Wiesbaden und Frankfurt nicht als konkurrierende, sondern vielmehr als „sich ergänzende Städte“ anzusehen seien.142 Diese gegenseitigen Beteuerungen zeigen nicht nur, dass beide Städte sich sehr wohl bewusst waren, in einem beständigen Ringen um Prestige, Einfluss, Einwohnerzahlen und Einkommensteuern zu stehen, sondern dass sie sich desgleichen zunehmend auf eine jeweils individuelle Profilierung konzentrierten. 3.2.3 Der „erste Gentleman des Reiches“143 zu Besuch auf der Ausstellung Anfang Oktober stattete Wilhelm II. der Frankfurter Messe einen spontanen Besuch ab: „Der Kaiser besichtigte zunächst die Maschinenhalle, fuhr dann in das Bergwerk ein, besichtigte darauf die Hallen für Wissenschaft, Eisenbahnwesen, Telegraphie, das Siemenstheater, Panorama, den Circus Sallé, die Lauffener Kraftübertragung, die Vertheilungshalle“ und die Mainausstellung, ehe er „längere Zeit in den Werkstätten“ verweilte und sein „besonderes Interesse für die elektrische Vertheilung der Kraft für das Kleingewerbe“ kundgab.144 Mit Genugtuung hielt die Frankfurter Zeitung fest, dass sich der Monarch von dem Ausstellungsvorsitzenden Leopold Sonnemann „mit herzlichem Händedruck“ verabschiedete, „nachdem er demselben wiederholt seinen Dank und seine große Befriedigung über den günstigen Verlauf und über den großen Erfolg der Ausstellung [...] ausgesprochen hatte“.145 Wilhelm zeigte sich bei dieser Gelegenheit als interessierter Beobachter und Förderer von Industrie, Technik und Wissenschaft. Es entstand das Bild eines Monarchen, der den Neuerungen der technischen Moderne aufgeschlossen und wohlwollend gegenüberstand und sich zum Verfechter des technischzivilisatorischen Fortschritts und zum Exponenten eines neuen, modernen Zeitgeistes stilisieren wollte. Bereits die Zeitgenossen nahmen den Kaiser nicht nur wegen seines feinen Gespürs für massenmedial wirksame Repräsentationsformen, sondern auch aufgrund seines Interesses für Kanalbau, Funkwesen, Automobil- und Flugzeugbau oder Elektrotechnik sowie seiner entschiedenen Förderung der naturwissenschaftlich-technisch und mathematisch ausgerichteten Realgymnasien und Oberrealschulen als Repräsentant einer ,neuen Zeit‘ wahr.146 Zumeist speiste sich das Interesse des Monarchen für Naturwissenschaft und Technik aus genuin militärischen Motiven, sah sich Wilhelm doch bevorzugt als „Generaldirektor der Firma Deutschland“, 142 143 144 145 146

Ebd. Frankfurter Zeitung, 15. Oktober 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 10. Oktober 1891, Abendblatt. Ebd. Siehe hierzu ausführlich Wolfgang König: Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technisch-industrielle Welt, Paderborn 2007, S. 264.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

dessen Einflussnahme auf die Bereiche der Wissenschafts-, Technik- und Industriepolitik entscheidend dazu beitragen sollte, Preußen und dem Reich den „Weg zur Weltmacht“ zu ebnen.147 Das technische Interesse des Kaisers beschränkte sich zumeist allerdings auf „punktuelle Einflussnahmen“, hinter denen keine stringente Politik zu erkennen war.148 Es war vor allem das „Neue, das Sensationellste, das Größte und das Beste“, das ihn fesselte und seinen „vielfältigen Einfluss auf Technik, Industrie und Wissenschaft“ motivierte, bot sich hier doch die Gelegenheit, preußisch-nationale Machtpolitik mit der „Emanzipation des Bürgertums“ und der „gesellschaftliche[n] Integration von Wissenschaft, Technik und Industrie“ zu verbinden.149 Auch im Kontext der Frankfurter Ausstellung wollte der Kaiser an den spektakulären Innovationen der Elektrotechnik partizipieren und sich zum Mentor des wissenschaftlich-technischen Fortschritts aufschwingen. Obwohl sich im Verlauf seines Besuches „nach und nach eine große Menschenmenge“ auf dem Ausstellungsgelände versammelte, „welche den Kaiser wiederholt durch Hoch- und Hurrahrufe begrüßte,“ schien der Monarch bemüht, seinem Aufenthalt eine betont informelle Note zu verleihen150 : Wilhelm trat weniger als charismatischer Imperator auf, sondern präsentierte sich als „der erste Gentleman seines Reiches“.151 Mit Verve betrieb der Kaiser, der ansonsten eher für seine spektakulären öffentlichen Auftritte bekannt war, einen für ihn eher untypischen Aufwand an Entpolitisierung, mit dem er zugleich den bürgerlich-urbanen Habitus des Frankfurter Groß- und Wirtschaftsbürgertums übernahm und akzeptierte. Diese Strategie scheinbarer Entpolitisierung war dem Bemühen geschuldet, sich in der Rolle des über den politischen Parteien stehenden Landesvaters zu profilieren. Politisches Kalkül war insofern sehr wohl Bestandteil des sorgfältig inszenierten Kurzbesuchs. Mit großem Geschick passte sich Wilhelm den Erwartungen der städtischen Öffentlichkeit an, hatte doch gerade die Frankfurter Zeitung insistierend darauf hingewiesen, dass dem regierenden Monarchen „der Verkehr mit Männern, mit denen er sich nicht in allen Anschauungen begegnet, niemals Verlegenheiten bereiten“ dürfe.152 Trotz eines betont konzilianten Tons waren weder die Organisatoren der Ausstellung noch die linksliberale städtische Presse bereit, über die Maßen um die Gunst des Kaisers zu buhlen oder diesen zum symbolischen Zentrum der Ausstellung zu machen. Ähnlich wie in der Residenzstadt Wiesbaden, wo sich der Kaiser mit feinem Gespür in die aufwendige Apparatur monarchischer Charismaproduktion einpasste, fügte sich Wilhelm bei seinem Besuch der Elektrotechnischen 147 148 149 150 151 152

Ebd., S. 268. Ebd., S. 271. Ebd., S. 267ff. Frankfurter Zeitung, 10. Oktober 1891, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 15. Oktober 1891, Abendblatt. Ebd.

3. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung

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Ausstellung in die Festchoreographie ein, die die Organisatoren des Unternehmens vorgesehen hatten. Freundlich-distanzierten Respekt zollte man dem ,ersten Gentleman‘ des Reiches gern. Zu größeren Zugeständnissen war das linksliberale Frankfurter Bürgertum nicht bereit, und so musste sich der Kaiser für dieses Mal denn auch mit der für ihn untypischen ,Komparsenrolle‘ des flüchtigen Besuchers zufriedengeben und dem „Bürger und AusstellungsVorsitzenden Sonnemann“ den ,Platz an der Sonne‘, respektive die repräsentative Mittelloge des Frankfurter Opernhauses überlassen.153 3.2.4 Die Ausstellung als Medium innen- und außenpolitischer Repräsentation Auch in einem internationalen Kontext konnte die Elektrotechnische Ausstellung reüssieren: Eine große Zahl ausländischer Korrespondenten – unter anderem aus Japan, China und Südamerika – berichteten ausführlich über das Projekt, und im August 1891 reisten einige Kommissäre der für 1893 geplanten Chicagoer Weltausstellung nach Frankfurt, um die Messe zu besuchen. Sonnemann selbst hatte die amerikanische Delegation eingeladen und sich erfreut gezeigt, dass die Gäste das Angebot interessiert angenommen hatten, nachdem ihnen bereits in London, Paris und Berlin „ein großer officieller Empfang bereitet worden“ war.154 Obgleich Sonnemann einräumte, dass Frankfurts „elektrische Ausstellung“ „klein und unbedeutend“ sei im Vergleich mit „dem gigantischen Unternehmen“ einer Weltausstellung, zeigte er sich doch selbstbewusst, den Gästen „nützliche Anregungen“ mit auf den Weg geben zu können.155 Der Vorsitzende der Chicagoer Kommission bestätigte diese Einschätzung und hielt fest, dass die Ausstellung „die Länder näher zu einander“ gebracht habe.156 Nur durch ökonomische Verflechtung, wissenschaftliche Zusammenarbeit und kulturpolitisches Miteinander schien es möglich, so Butterworth, eine „Föderation der Welt“ zu schaffen, in der „die Kriegstrommel“ endgültig „verhüllt“ und „alle Kriegsflaggen zusammengerollt werden“ könnten.157 Das insistierende Beharren auf den völkerverbindenden Impulsen der elektrotechnischen Ausstellung war zugleich eine Form des Umgangs mit dem sich zusehends verschärfenden internationalen Konkurrenzkampf und konnte nicht davon ablenken, dass die Demonstration nationaler Macht gleichfalls ein zentrales Anliegen der Ausstellung markierte. Wie die Weltausstellung selbst war nämlich auch die Frankfurter Exposition eine Bühne, auf der politische[...] und kulturelle[...] Rivalitäten zwischen den Staaten und ihren 153 154 155 156 157

Ebd. Frankfurter Zeitung, 10. August 1891, Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Interessenvertretern“ ausgetragen werden konnten beziehungsweise auf der sich spezifische Repräsentationen nationaler Größe und Einheit in Szene setzen ließen.158 Der städtische Magistrat etwa nutzte die Gelegenheit, für die Teilnahme Frankfurts bei der Weltausstellung zu werben: Die Stadt wollte bei der Beschickung des so bezeichneten ,Deutschen Hauses‘ vertreten sein, eines eklektizistischen Repräsentationsbaus, dessen Fassade nationale Symbole zierten.159 Neben Fotos und Plänen funktionaler Bauten wie der städtischen Grundwasserleitung hatten sich die städtischen Eliten auch darauf verständigt, ein Modell der Frankfurter Oper nach Chicago zu entsenden, da diese fraglos einen Zentralort innerhalb der symbolischen Topographie der Stadt markierte. Vor dem Versand nach Chicago wurden die ausgewählten Exponate im Februar 1893 im Kaisersaal des Römer ausgestellt.160 Frankfurt, so die Botschaft dieser Selbstinszenierung, war keine Stadt, die auf ihre Funktion als Banken- und Handelsmetropole reduziert werden konnte. Die demonstrative Wertschätzung des scheinbar zweckfreien Bereichs des Ästhetischen sollte demgegenüber eine Aura distinguiert-urbanen Lebensstils vermitteln. Hier wurden kulturstaatliche Idealbilder entworfen, mit deren Hilfe sich Stadt und Staat als Zentren weltoffener Bürgerlichkeit präsentieren konnten. Dieses Programm habitueller Selbstoptimierung spielte auch beim Besuch der Chicagoer Delegation 1891 eine Rolle: Um den Besuch der Gäste festlich zu beschließen, lud man zu einer Festvorstellung ins Opernhaus, wo eine „treffliche Aufführung der Mascagni’schen Cavalleria rusticana“ geboten wurde.161 Abermals erwies sich die Frankfurter Oper eindrücklich als Symbol nationaler Größe und bürgerlicher Kultiviertheit, und einmal mehr wurde sichtbar, dass die Elektrotechnische Ausstellung neben der technischen vor allem auch die Förderung der kulturellen Moderne vorantrieb und Kultur und Technik zu komplementären Facetten bürgerlicher Selbstwahrnehmung ausformte. Erfolgreich stilisierte sich Frankfurt mithin zur schillernd-modernen Metropole; denn – so hielt der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Paul Goldmann (1865–1935) mit milder Ironie fest – selbst der „ein wenig skeptisch[e] und ein wenig übersättigt[e]“ Fremde müsse einräumen, dass Frankfurt „mit seiner glänzenden mondainen Bevölkerung“ und seinem kultivierten Sinn für „Musik, Eleganz und Flirtation“ beinahe einem „fashionablen Seebade“ zu gleichen schien.162 Die Ausstellung trage daher maßgeblich dazu bei, den Besuchern der Stadt das Gefühl zu vermitteln, „daß wir eine gar bedeutende Generation sind“.163

158 159 160 161 162 163

Großbölting: „Im Reich der Arbeit“, S. 397. Siehe dazu auch Maly: Die Macht der Honoratioren, S. 295. Ebd. Frankfurter Zeitung, 10. August 1891, Abendblatt. Goldmann: Spaziergang durch die Frankfurter Ausstellung. Ebd.

3. Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung

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3.3 Fazit „Nun ist er vorübergefluthet, der gewaltige Lichtstrom, der seit Monaten allabendlich von Westen her über unsere schöne Mainstadt sich ergoß, des Firmaments Gestirne überstrahlend und weithin in die Lande Kunde tragend, daß am Ufer des Mainstromes ein herrlicher Tempel erbaut sei einer neuen Wissenschaft, die schon im Jugendalter die Schwingen Gewaltiges, Ungeahntes kundend regt.“164

Erfolgreich hatte sich Frankfurt mit seiner Elektrotechnischen Ausstellung einen Namen als Symbolort der Moderne gemacht, indem es – dem programmatischen Konzept der Weltausstellungen folgend – für sich reklamierte, den „Geschmack der Massen gebildet“ und sich als „Trägerin eines bedeutsamen Fortschritts“ erwiesen zu haben.165 Eifrig waren auch die Städtischen Bühnen bemüht gewesen, eine Reihe Aufsehen erregender Novitäten bieten zu können, um diesen Anspruch ästhetisch und performativ zu untermauern. Kulturelle und fachwissenschaftliche Repräsentation gingen damit Hand in Hand; denn immer wieder hoben zahlreiche Presseberichte die komplementären Funktionen und Bezugsweisen von Kunst und Technik, von künstlerischer und technischer Schöpferkraft hervor. Zusammenfassend kann deshalb noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die zeitgenössischen Darstellungen die Frankfurter Ausstellung mit Vorliebe in Theater-Metaphern beschrieben: Ein häufig verwendeter Topos der Presseberichterstattung imaginierte das gesamte Stadtbild als Bühne, auf der Aufsehen erregende Darbietungen zu bestaunen waren. Das Moment des Inszenatorischen und Performativen spielte eine entscheidende Rolle, um die Attraktivität der technisch-fachwissenschaftlichen Exponate zu transportieren und sowohl einem Laien- als auch einem Fachpublikum zugänglich zu machen. Mit Hilfe der künstlerischen Veranstaltungen ließen sich basale Aussagen der Ausstellung in einprägsame und plastische Bild- und Klangwelten übersetzen, um auf diesem Weg die gleichsam numinose und sprachlose Kraft der Naturgewalten fassbar zu machen. Die Aufführung des Balletts Excelsior mit seinen kollagehaften Sequenzen führte dem Publikum unmittelbar den Stellenwert der Elektrotechnik vor Augen. Indem die städtische Presse die technischen Exponate auf dem Ausstellungsgelände und die Darbietungen im Frankfurter Opernhaus in erstaunlich ähnliche Semantiken kleidete, konstituierte sie das Narrativ eines universalen Fortschritts- und Zivilisierungsprozesses aktiv mit: Angefangen bei der ,Tempel‘-Metaphorik, mit der sowohl das Ausstellungsgelände als auch das städtische Opernhaus immer wieder beschrieben wurden, bis hin zur Gleichsetzung von technischer und 164 165

Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1891, Erstes Morgenblatt. Siehe hierzu den Artikel „Eine große Frankfurter Ausstellung“, in: Die Sonne 43 (1. März 1913), in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Versammlungen, Kongresse, Ausstellungen − Generalia, Bd. I: 1909–1924, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2261.

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künstlerischer Schöpferkraft war deutlich erkennbar, dass das zeitgenössische Urteil beiden die Qualitäten des Neuen, Innovativen und Genialischen zuschrieb. Diese wechselseitige Verschränkung, die die ästhetischen Potenziale der Technik mit den technizistischen Elementen des Ästhetischen kurzschloss, schuf ein inszenatorisches und diskursives Gesamtensemble, durch das sich Frankfurt als bürgerlich geprägte und weltoffene Metropole präsentieren konnte. Es war nicht zuletzt dieses Fluidum des Spektakulären und Außergewöhnlichen, das auch der Kaiser bei seinem kurzen Besuch der Ausstellung wahrnahm und das ihn bewog, sich hier in der Rolle des ,ersten Gentleman des Reiches‘ zu zeigen. Auf diesem Weg partizipierte der Monarch an dem besonderen Glanz, den das Frankfurter Unternehmen verbreitete. Zugleich bot ihm die Ausstellung die Chance, sein eigenes Prestige zu mehren, indem er sich als über den parteipolitischen Kämpfen stehender Förderer von Wissenschaft und Technik in Szene setzen konnte. Prozesse wohl kalkulierter Entpolitisierung gingen Hand in Hand mit offen ausgetragenen parteipolitischen Debatten und Deutungskämpfen, in denen unterschiedliche Standpunkte vertreten wurden. Bereits unmittelbar bei ihrem Abschluss bewertete man die Elektrotechnische Messe selbstgewiss als „ein in hellem Ruhme leuchtendes Blatt“, das das internationale Renommee der Mainstadt nachdrücklich gehoben habe.166 Für das Gros der lokalen Presse wie der Kommunalpolitik stand fest, dass weitere Ausstellungsprojekte folgen mussten, um den eingeschlagenen Weg fortführen und Frankfurt auch künftig als Pionier „einer künstlerischen, technisch und sozial fortschreitenden Entwicklung“ vorzeigen zu können.167 Im zweiten Teil der Arbeit wird ein weiteres großes Ausstellungsprojekt der Frankfurter Stadt- und Kulturgeschichte vorgestellt.168 Mit der groß angelegten internationalen Kulturausstellung Musik im Leben der Völker wurde diese 1891 ins Leben gerufene Tradition unter gewandelten politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg weitergeführt. 1927 bezogen sich die Organisatoren immer wieder auf die Ausstellung des Jahres 1891, um idealtypische Facetten bürgerlicher Lebenswelten herauszupräparieren und gelingende Strategien nationaler Selbstdarstellung zu entwerfen. Erneut stand dabei auch die Oper als Medium symbolpolitischer Sinnstiftung und als Forum gesellschaftlicher Selbstherstellung im Mittelpunkt.

166 167

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Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1891, Erstes Morgenblatt. Siehe hierzu den Artikel „Eine große Frankfurter Ausstellung“, in: Die Sonne 43 (1. März 1913), in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Versammlungen, Kongresse, Ausstellungen − Generalia, Bd. I: 1909–1924, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2261. Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘).

4. Der Beginn einer Ära wilhelminischer Geschichts- und Kulturpolitik: Die Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden 1894 Dass Wiesbaden als Treffpunkt einer internationalen gesellschaftlichen Elite und als ,Mairesidenz‘ des deutschen Kaisers insbesondere zwischen 1890 und 1914/18 eine enorme Popularität entfalten konnte, war – wie bereits angedeutet – Ergebnis einer überaus sorgfältig arrangierten Invention of tradition, die einen national ausgerichteten Kaiser- und Reichskult stiften wollte und bemüht war, historische Kontinuität und Legitimität zu erzeugen.1 Die politische Festkultur der Stadt passte sich dabei flexibel an die medialen und ästhetischen Anforderungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts an. Gerade in einer Zeit, die sich in ihrer Komplexität und Pluralität immer mehr als Moderne wahrzunehmen begann, wurde der „Kampf um die Kontrolle über die Symbole und die Riten der Zugehörigkeit zum ,Staatsvolk‘“ zu einer wichtigen Komponente des politischen Alltags.2 Die jeweiligen politischen Eliten konkurrierten nun vermehrt um solche „Symbole der Zusammengehörigkeit und der emotionalen Loyalität“, die – wie etwa die aufwendigen politischen Feste und zahlreichen Denkmäler bezeugen – „öffentliche Zeremonienräume“ konstituierten, durch die und in denen nationale Gemeinschaft hergestellt und erlebbar gemacht werden konnten.3 In Wiesbaden wurden diese symbolpolitischen Maßnahmen von den städtischen Führungsschichten wie auch von den staatlichen Funktionseliten, die als Vertreter der preußischen Regierung in Wiesbaden Residenz bezogen, institutionell gefördert. Zudem hatte der Berliner Hof ein besonderes Interesse an der Förderung eines national ausgerichteten Kaiserkultes, der den Zusammenhalt der Staatsnation unter der Führung einer monarchischen Spitze sicherstellen sollte. Das Gros der Fürsten und Höfe agierte im Ringen um öffentlichen Einfluss und Prestige erstaunlich erfolgreich und stellte bis 1918 einen wesentlichen Faktor der politischen Sphäre dar. Dem Urteil Ute Daniels zufolge konnte „das Ausmaß affirmativer Zuwendung und Loyalitätsbekundungen, das den Dynastien seitens der Bevölkerung zuteil wurde“, auch noch „zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit staatlich-nationalen Sinnstiftungserfolgen durchaus konkurrieren“.4 Einen partei-, konfessions- und schichtenübergreifenden Nationalismus 1 2 3 4

Zum Konzept der Invention of tradition vgl. Eric Hobsbawm/Terence Ranger (Hrsg.): The invention of tradition, Cambridge 1983. Eric Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter. 1875–1914, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1999, S. 122. Ebd., S. 140f. Daniel: Hoftheater, S. 395.

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konnten die Hohenzollern nach 1870/71 vor allem deshalb erfolgreich propagieren, weil mit der Reichseinigung eine tatsächliche Stärkung des nationalen, besonders aber des militärischen wie des monarchischen Prinzips stattgefunden hatte. Herrscherpersönlichkeiten wie Wilhelm I. oder Wilhelm II. schickten sich an, nach innen wie nach außen vermehrt die „abstrakten Einheiten Nation und Staat“ zu verkörpern.5 Die konstitutionelle Monarchie war darauf angewiesen, dieses politische Weltbild überzeugend zu vermitteln. Zu ihren zentralen Ordnungsleistungen gehörte es daher, die symbolpolitische Deutungsmacht über gesellschaftliche Rituale und Feiern sowie historische Mythen zu reklamieren, um den monarchischen Machtstaat demonstrativ als „the framework of the citizens’ collective actions“ zu installieren und so die stets prekäre Einheit von „[s]tate, nation and society“ zu generieren.6 Der Einschätzung Eric Hobsbawms zufolge kam hierbei dem Bereich der Kultur und vor allem der Musik eine entscheidende Rolle zu, indem insbesondere das gemeinsame Singen der Nationalhymne sowie Militärmärsche oder -paraden zu unverzichtbaren Bestandteilen öffentlicher Zeremonien wurden.7 Auch Theater und Oper wurden in diese Sinnstiftungsprozesse einbezogen, denn sie stellten ästhetische Erlebnisräume bereit, in denen ein nationalkultureller Kanon ausgebildet und dargeboten werden konnte. Vor diesem Hintergrund markierten die Erbauung und festliche Eröffnung des neuen Wiesbadener Theaters 1892/94 für die Stadt ausdrücklich den Beginn einer neuen Ära. Rasch stieg das neue Hoftheater zu einem Mittelpunkt des städtischen Raumes und zur gesellschaftlichen Hauptattraktion der Wiesbadener Frühjahrs- und Herbstsaison auf. Wilhelm II. schätzte das Theater als Medium höfisch-dynastischer Repräsentation und Unterhaltung und betrachtete die neue Bühne stets als eines seiner Lieblingstheater.8 Auf welchem Weg versucht wurde, das neue Hoftheater zu einem zentralen Bestandteil der politischen Festkultur Wiesbadens zu machen, lässt sich detailliert anhand der Eröffnungsfeier der Wiesbadener Bühne am 16. Oktober 1894 nachvollziehen. Wilhelm II. stattete der Stadt aus diesem Anlass einen offiziellen Besuch ab, bei dem er zunächst ein Denkmal Wilhelms I. enthüllte und anschließend einer Festvorstellung zur Einweihung der neuen Hofbühne beiwohnte.9 Neben ihrem außerordentlichen zeremoniellen Aufwand zeichnete sich die Wiesbadener „Doppelfeier“ durch eine besondere inszenatorische Sorgfalt aus10 : Vom Intendanten des Hoftheaters war eigens ein Festspiel verfasst worden, das sich mit den spezifischen Aufgaben und 5 6 7 8

9 10

Ebd., S. 409. Hobsbawm/Ranger: The invention of tradition, S. 264f. Hobsbawm: Das imperiale Zeitalter, S. 140. Eva Christina Vollmer: Vom nassauischen Hoftheater zum Berliner Kaiserstil 1852–1903, in: dies./Alexander Hildebrand/Karl Heinz Roland (Hrsg.): Theater in Wiesbaden 1765– 1978, Wiesbaden 1978, S. 46–76, hier S. 68. Vgl. hierzu Kapitel II.4.2 (Die Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals). Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894.

4. Die Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden

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Funktionen einer Hofbühne auseinandersetzte. Als Medium der Selbstbeschreibung stellte das Festspiel eine äußerst aufschlussreiche Textquelle dar, sollte das Hoftheater doch dazu beitragen, ein monarchisch-konservatives Gesellschaftsmodell mit dem politischen Weltbild einer nationalstaatlich und bürgerlich ausgerichteten Öffentlichkeit zu verschmelzen. Zu dieser nur scheinbar anachronistischen Behauptung, ja Verfestigung des monarchischen Kultes konnte es vor allem deshalb kommen, weil die tonangebenden bürgerlichen Schichten die Repräsentationsmechanismen und -symbole der Monarchie weitgehend akzeptierten und ihren eigenen habituellen Bedürfnissen und ästhetischen Präferenzen anpassten und eine vergleichsweise spannungsfreie Synchronisierung adelig-höfischer, militärischer und bürgerlicher Lebenswelten bewirkten. Dennoch fördert die Analyse der ,Doppelfeier‘ auch Bruchstellen und Ambivalenzen zutage, die die scheinbar so reibungslose Initiierung eines monarchischen Kultes in ein etwas anderes Licht taucht. Immer wieder nämlich lässt sich beobachten, dass das Hoftheater keine wohlfeile Apparatur kaiserlicher Glorifizierung darstellte: Am Beispiel des zweiten Aktes von Richard Wagners Künstleroper Tannhäuser, der im Anschluss an das Festspiel inszeniert wurde, soll dargelegt werden, dass die Oper ästhetischsemantische ,Überschüsse‘ produzierte, die Momente der Zweideutigkeit, wenn nicht gar der offenen Dissonanz in die offizielle Partitur des Festtages einzuschleusen drohten und eine eindimensionale Funktionalisierung des Werkes verhinderten. Die berühmten Szenen des Sängerwettstreits riefen zwar einerseits die Wartburg als spezifisch deutschen Erinnerungsort und als nationales Kollektivsymbol auf, thematisierten andererseits aber auch die Fragilität, ja das Scheitern der Wartburg-Gesellschaft und ihrer gesellschaftlichen Fundamente. Damit legte Tannhäuser zeitgenössische politische und soziale Spannungen frei, die – wie zu sehen sein wird – auch von den Zeitgenossen immer wieder artikuliert wurden. Die semantische Komplexität der Oper verhinderte so ihre Domestizierung durch Intendanz und Hof. Gerade aufgrund ihrer Vielschichtigkeit wurde sie als identifikatorische Folie wirksam, die konkrete politische Ängste und Spannungen aufgreifen und in einen öffentlichen Diskurs einbringen konnte.11

11

Vgl. Kapitel II.4.3 (Ein Fest der Kunst und der ,ängstlichen Repräsentation‘).

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

4.1 Das ,Lieblingstheater‘ des Kaisers: Die Erbauung des neuen Hoftheaters in den 1890er Jahren Bereits seit den 1860er Jahren war in Wiesbaden immer wieder die Forderung nach einem neuen und größeren Theater laut geworden, da der alte klassizistische Bau aus dem Jahr 1827 mit seinen 800 Plätzen die beständig steigende Zahl der Theaterbesucher nicht mehr fassen konnte. Zudem setzte die Inszenierung großer historischer Opern eine ausreichend geräumige Bühne sowie entsprechende maschinelle und technische Vorrichtungen voraus, denen das alte Haus nicht genügen konnte. Hinzu kam, dass der klassizistische Bau nicht länger dem ornamental-pompösen Stil entsprach, durch den sich das Stadtbild des wilhelminischen Wiesbaden nun vielfach auszeichnete. Weite Teile der Bevölkerung wie der städtischen Eliten äußerten daher wiederholt den Wunsch nach einem repräsentativeren Theaterbau.12 Allerdings war umstritten, ob der Theaterneubau im Stadtzentrum oder außerhalb im Bereich der Kuranlagen angesiedelt werden sollte. Schließlich wandte man sich in dieser Angelegenheit direkt an Berlin. Der Kaiser selbst schaltete sich in die so bezeichnete Theaterplatzfrage ein und sprach sich für „den Platz südlich der Mitte der Neuen Kolonnade“ aus, so dass der städtische Gemeinderat sich schließlich ebenfalls für diesen Platz entschied.13 Am 2. Mai 1890 bestätigte der Kaiser offiziell, dass dieser Entschluss seinen Intentionen entsprach und erteilte dem Vorhaben seine Ermächtigung.14 Der nur durch die mondäne Wilhelmstraße mit dem eigentlichen Stadtzentrum verbundene Kur- und Theaterbereich bildete somit zusehends ein exklusives zweites Stadtzentrum, das in erster Linie den Bedürfnissen einer „kleinen Schicht von Adel und Bürgertum nach Repräsentation, Zerstreuung, internationaler Begegnung, Reiselust und einem Heiratsmarkt“ entgegenkam.15 Dies entsprach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Kur- und Residenzstadt Wiesbaden, wo der Hof der nassauischen Herzöge lange Zeit den Mittelpunkt des öffentlichen und kulturellen Lebens gebildet und die Sphären der poli-

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Vgl. hierzu Otto Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, Wiesbaden 1894, S. 88. Vgl. zum Verlauf der sogenannten ,Theaterneubaufrage‘ eine leider nicht näher genannte Pressenotiz in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21204, Blatt 68. Siehe folgende Mitteilung vom 9. Mai 1890 an den Minister des Königlichen Hauses, Wedell: Am 2. Mai 1890 hatte der Kaiser die „Gnade gehabt, mittels Allerhöchster Ordre vom 2. d. M. Allerhöchste Ermächtigung zur Bestätigung jenes Entschlusses der Gemeindebehörden zu Wiesbaden [...] zu ertheilen“, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21204, Blatt 66. Satjukow: Bahnhofstraßen, S. 281.

4. Die Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden

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tisch-bürokratischen beziehungsweise militärischen Macht und der öffentlichen Kultur zusammengeführt hatte. Nach dem offiziellen Placet aus Berlin entschloss sich Wiesbaden zur Ausschreibung eines Wettbewerbes zwischen mehreren Architekturbüros. Schließlich entschied man sich für einen Entwurf des renommierten Wiener Architektenduos Ferdinand Fellner und Hermann Helmer. Nach ihren Plänen wurde das Theater in knapp zwei Jahren mit einem Kostenaufwand von fast zwei Millionen Mark erbaut und zählte damit zu den aufwendigsten und teuersten Theaterbauten der Zeit.16 Das Wiener Atelier Fellner und Helmer war mit seinen prunkvollen Theaterbauten ebenso erfolgreich wie stilprägend: Zwischen 1870 und 1914 erbauten die beiden Architekten insgesamt 48 Theater in 39 Städten, darunter in Hamburg, Berlin, Bratislava, Graz, Darmstadt, Zürich, Wien und Zagreb.17 Ihr oftmals eklektizistischpompöser Baustil entsprach den Repräsentationsbedürfnissen einer internationalen großbürgerlich-adeligen Elite und dominierte die europäische Theaterlandschaft der Jahrhundertwende. Mit seiner „Theaterfabrik“ war das Architekturbüro Fellner und Helmer somit Teil jenes „goldenen Zeitalters“ der Theaterarchitektur zwischen 1880 und 191418 , als europaweit ein regelrechter „Bauboom“ repräsentativer Oper- und Konzerthäuser einsetzte und ein prachtvoller Theaterneubau zum Gradmesser nationalkultureller Größe wurde.19 Indem Wiesbaden das Wiener Atelier mit dem Theaterneubau beauftragte, schrieb es sich gezielt in die kulturelle Topographie Europas ein. Zugleich dokumentierte diese Geste den Anspruch, großbürgerliche Weltgewandtheit und gesellschaftliches Prestige symbolisch herzustellen und zu kommunizieren, und diesem Anliegen verlieh der von Fellner und Helmer geschaffene Theaterneubau sinnfälligen Ausdruck. Im Vergleich zu dem alten Hoftheater war die neue Bühne im neoklassizistischen Stil mit eingestreuten Barockelementen als luxuriöser Kolossalbau konzipiert, der sich harmonisch in die Kuranlagen einfügte. Durch die südlichen Kolonnaden gelangte man zum Eingang des Theaters, so dass es sich verbot, die Hauptfront des Hauses architektonisch zu sehr hervorzuheben.20 Dagegen erhielt die zum Park ,Am warmen Damm‘ hin offene Hinterfront eine prunkvolle Schauseite. Die opulente Bauweise zeigte sich vor allem in 16 17 18

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Siehe hierzu Vollmer: Vom nassauischen Hoftheater zum Berliner Kaiserstil, S. 64. Siehe in Hans-Christoph Hoffmann: Die Theaterbauten von Fellner und Helmer, München 1966, S. 86. Gerhard M. Dienes: Zur Ausstellung, in: ders. (Hrsg.): Fellner und Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa (anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Grazer Oper“), Graz 1999, ohne Seitenangabe. Iskra Buschek: Theaterbau. Geschichtlicher Abriß – Eine Einleitung, in: Gerhard M. Dienes (Hrsg.): Fellner und Helmer. Die Architekten der Illusion. Theaterbau und Bühnenbild in Europa (anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Grazer Oper“), Graz 1999, S. 1– 14, hier S. 10. Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 95.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Abbildung 4: Das Wiesbadener Theater (1894)

der Fassadengestaltung mit ihren zahlreichen Säulen und Pilastern. Arkaden, Freitreppen und Terrassenanlagen, die unmittelbar als Promenadenübergänge zum Kurbezirk ausgebaut wurden, umgaben den Theaterbau und vervollständigten die monumentale Gesamtanlage (Abb. 4). Die innere Ausstattung des Theaters stand der äußeren Prachtentfaltung in nichts nach. Der Mode der Zeit folgend, war die Innenausstattung des rund 1400 Besucher fassenden Zuschauerraumes im Barock- und Rokokostil gehalten.21 Wände, Decken und Balkonbrüstungen waren mit reichen Stuckverzierungen versehen worden, die den Eindruck des Kostbaren und Opulenten noch unterstrichen. Die ikonographische Ausgestaltung des Theaterinnenraumes unterstrich nachdrücklich die symbolpolitischen Bestrebungen des Berliner Hofes und der preußisch-wilhelminischen Beamtenaristokratie: Zahlreiche Wappen zeigten den preußischen Adler und die kaiserlichen Insignien Schwert und Kreuz sowie das Wappen der Stadt Wiesbaden. Das neue Hoftheater schuf auf diesem Weg ein öffentliches Forum, in dem jene zwischen Wiesbaden und Berlin bestehenden „innigsten Bande gegenseitiger Treue“ ihre expressive Bestätigung und Festigung finden konnten.22 Zusätzlich wurde dies durch das Hauptplafondgemälde unterstrichen, 21 22

Ebd., S. 98. Vgl. hierzu Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau, S. 155.

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das neben anderem allegorische Darstellungen der Künste zeigte.23 Der Personifikation der Malerei war dabei ein Bild beigegeben, bei dem es sich wahrscheinlich um ein Porträt Wilhelms II. handelte.24 Abbildungen römischer Feldzeichen und der deutschen Kaiserkrone sowie die Darstellung eines „Adler[s] mit ausgespannten Flügeln“ und der „preussischen Krone auf dem Kopf “ wiesen die Bühne zusätzlich als preußisches Hoftheater aus.25 Gesäumt wurde das Gemälde von elf Medaillons, die die Porträts berühmter Dichter und Komponisten zeigten. Die Rolle Wilhelms als Schützer und Förderer der Künste stand damit im Zentrum des ikonographischen Bauprogramms.26 Der Monarch fand offenkundig Gefallen an dem neuen Hoftheater, das er gegenüber den Architekten als das „wohl schönste Theater in Deutschland“ lobte.27 Die Aufteilung der Logen und Sitzplätze im Zuschauerraum unterstützte dieses architektonische und ikonographische Arrangement. Der hufeisenförmig angelegte Zuschauerraum war mit insgesamt drei Galerien ausgestattet worden. Über Parkett und Parterre erhob sich der erste Rang, der insgesamt 22 Logen sowie eine pompös ausgestattete Mittelloge umfasste, die als kaiserliche Festloge genutzt wurde und den Hofcharakter des Raumes betonte.28 Die Gliederung des Zuschauerraumes konstituierte dabei eine direkte Sichtachse zwischen Bühne und Kaiserloge.29 Diese wurden zu privilegierten Fluchtpunkten des Zuschauerraumes, die die Blicke des Auditoriums anzogen und lenkten. Damit erwiesen sich beide als exklusive, um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurrierende Orte, die sich durch ein deutliches „Pathos der Distanz“ auszeichneten und eine herausragende Bedeutung in der Gesamtanlage des architektonischen Arrangements einnahmen (Abb. 5).30 Auch die links liegenden Logen des Erdgeschosses und des ersten Ranges waren als Kaiserlogen ausgewiesen. Sie verfügten über ein Vor- beziehungsweise Empfangszimmer, in dem rund zwanzig Personen Platz fanden.31 Dieser Raum war einer Kajüte auf der kaiserlichen Yacht Hohenzollern nachempfunden − ein Indiz dafür, dass Wilhelm II. die Wiesbadener Bühne als seine ureigenste Domäne ansah.32 Zudem verfügten die kaiserlichen Proszeniumslogen über einen separaten Treppenaufgang, der ausschließlich dem Kaiser und seiner 23 24 25 26 27 28 29

30 31 32

Vgl. hierzu Istas: Das ehemals königliche Hoftheater, S. 227. Ebd., S. 224. Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 109. Istas: Das ehemals königliche Hoftheater, S. 224. Ebd., S. 257. Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 97. Vgl. zudem Isabel Matthes: Das öffentliche Auge. Theaterauditorien als Medien der Vergesellschaftung im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Erika Fischer-Lichte/Jörg Schönert (Hrsg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Inszenierung und Wahrnehmung von Körper−Musik−Sprache, Göttingen 1999, S. 419–432, hier S. 419. Ebd., S. 424. Siehe auch Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 4. Ebd., S. 155, Endnote 51.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit Abbildung 5: Blick in den Zuschauerraum des Wiesbadener Theaters (1894)

Entourage vorbehalten war, sowie über eine eigene Auffahrt zum Theater vom ,Warmen Damm‘ her, die Wilhelm II. die Anfahrt bis in die unmittelbare Nähe des Zuschauerraums ermöglichte.33 Von dort konnte er über den erwähnten Treppenaufgang ungesehen in seine Loge gelangen, ohne den gleichen Weg wie das Publikum nutzen zu müssen. Ankunft und Abfahrt des Kaisers hoben sich somit vom übrigen Publikumsverkehr ab. Auf diese Weise konnte der Monarch sein Erscheinen im Theater wirkungsvoll in Szene setzen, wodurch er selbst Teil der theatralen Gesamtinszenierung wurde. Der zweite Rang war ähnlich angeordnet wie der erste, allerdings hatte man hier die Anzahl der Logen deutlich verringert: Außer den beiden Proszeniumslogen gab es nur noch eine große Mittelloge, die mit insgesamt 24 Plätzen ausgestattet war.34 Der dritte Rang verfügte demgegenüber nicht mehr über Logen, sondern war als offener Balkon konzipiert worden.35 Das Bauprogramm des neuen Theaters unterstrich den höfisch-repräsentativen Charakter der Bühne und war einerseits auf den Monarchen ausgerichtet, artikulierte andererseits aber auch das politische Weltbild der städtischen Eliten, die aus der Bindung an Berlin ökonomische Vorteile sowie 33 34 35

Ebd., S. 4. Siehe hierzu Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 97. Ebd., S. 97ff.

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eine kaum zu unterschätzende symbolische Aufwertung erfuhren.36 Obwohl die Stadt Wiesbaden die eigentliche Eigentümerin des Theaters war, war die Aufrechterhaltung des Betriebes ohne die Gewährung beträchtlicher Subventionssummen von Seiten des Berliner Hofes undenkbar. Das Wiesbadener Theater war allerdings nicht nur finanziell, sondern auch institutionell-administrativ als Verlängerung des Berliner Hofes anzusehen, da die Intendantur des Wiesbadener Theaters unmittelbar dem Königlichen Hausministerium unterstellt und an dessen Weisungen gebunden war. Wie sehr sich der Kaiser als ,Hausherr‘ des Theaters sah, geht daher nicht zuletzt aus diversen Schreiben des Ministeriums des Königlichen Hauses an die Intendantur des Theaters hervor, die unter anderem die Vergabe der Dienst- und Freiplätze an die politischen und administrativen Eliten der Stadt und des Wiesbadener Regierungsbezirkes regelten. Diese Vergabepraxis stellte zugleich auch einen Akt der kommunikativ hervorgebrachten Hierarchisierung dar, denn Nähe und Distanz zum Monarchen markierten den sozialen Status der anwesenden politischen Eliten. Ein konkretes Beispiel für diese symbolpolitische Herrschaftspraxis findet sich in der Einweihungsfeier des neuen Theaters, die im Oktober 1894 mit großem Pomp in Wiesbaden stattfand.

4.2 Die Enthüllung des Kaiser-WilhelmDenkmals durch Wilhelm II. Zu Ehren des Kaisers hatte Wiesbaden am 16. Oktober 1894 „prächtigen Festschmuck“ angelegt:37 Plätze, Häuser und Straßenzüge, die der Kaiser auf seiner Fahrt vom Bahnhof zum Theater und dem Kaiserdenkmal passieren musste, waren in eine aufwendig mit Fahnen und Tannengewinden geschmückte „via triumphalis“ verwandelt worden.38 Mithilfe einer sorgfältig arrangierten Festchoreographie war der städtische Raum ikonographisch bezugreich ausgestaltet worden. Am Eingang zur Wilhelmstraße hatte die Stadt nach Entwürfen des Stadtbaumeisters Felix Genzmer „ihrem Kaiser einen mächtigen Triumph- und Ehrenbogen errichtet“.39 Dieser bestand aus zwei Pylonen, die die preußischen Wappen trugen und in schlanke Spitzen ausliefen, „welche mit heraldischen Adlern gekrönt“ waren.40 In seiner Mitte zeigte der Bogen das „reichbekränzte W., darüber das Reichswappen mit der Krone und eine aus deutschen und 36 37 38 39 40

Siehe in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, General-Akten betrf. Dienst- und Freiplätze, Bd. II: 1894–1897, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 101, Blatt 9. Rheinischer Kurier, 15. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Ebd.

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preußischen Fahnen gebildete Trophäe, außerdem die Wappen der größeren deutschen Bundesstaaten mit ihren Fahnen“.41 In diesen Ehrenbogen hatte man „ein rotes Velarium“ spannen lassen, „welches vorn [...] die Inschrift trägt: ,Salve Imperator Rex‘“.42 In der Fahrt des Kaisers und seiner Entourage durch die Stadt vermischten sich auf diese Weise ältere, bis in Antike und Frühmittelalter zurückreichende Elemente der zeremoniellen Einholung und triumphalen Verherrlichung des Fürsten mit populären Traditionen des bürgerlichen Festumzuges.43 In seiner üppigen Plastizität war der ornamentale Aufwand des Herrscherempfangs auch in der Ära des Automobils weiterhin genuiner Bestandteil des preußischen Hofzeremoniells. Als öffentliches Massenspektakel markierte er die Kontinuität des neuen Kaiserreichs zum Heiligen Römischen Reich; zudem führte er einer staunenden Menge die Größe und das Selbstbewusstsein des neuen Staates vor Augen und diente der Identifikation mit dem Nationalstaat und seiner monarchischen Spitze.44 Schon lange vor der Ankunft des Kaisers, so beobachtete das Wiesbadener Tagblatt, „[w]ogte eine frohbewegte Menge durch die Straßen, um die Ankunft des Kaisers zu beobachten.45 Nachdem der Zug des Monarchen „[p]ünktlich um 4 Uhr 20 Min.“ in Wiesbaden eingetroffen war, begleiteten den Kaiser auf seiner Fahrt durch die Stadt „Glockengeläute, der Jubel der nach Tausenden zählenden Menge, das Hurrarufen unserer spalierbildenden Garnison und der Biebricher Unteroffizierschule, sowie der Krieger- und Militärvereine“.46 Insbesondere die Präsenz des Militärs war für die wilhelminische Ära typisch, brachte sie doch die „kolossale Staatsmacht“ eindrücklich zum Ausdruck.47 Der pompöse Herrscheradventus zielte somit darauf ab, den Besuch des Kaisers zu einem außeralltäglichen Erlebnis werden zu lassen, um weite Teile des Stadtbürgertums in die Festapparatur einbeziehen zu können. Der eigentliche Festakt fand im Kurareal statt, wo in der Nähe des neuen Hoftheaters das Kaiser Wilhelm-Denkmal errichtet worden war. Theater und Denkmal waren in besonderer Weise zueinander in Beziehung gesetzt worden: Die beiden Monumente waren räumlich so angeordnet, dass der Blick des Betrachters „[g]anz naturgemäß [...] vom Denkmalsplatze [...] über die wenigen Baum- und Ziersträucher-Gruppen hinüber zum Neuen Theater“ schweifen konnte, dessen „weithin gedehnte Umgebung mit mächtigen Flaggenmasten geschmückt“ worden war.48 Diese räumliche Nähe der Wiesba41 42 43

44 45 46 47 48

Ebd. Ebd. Zur Tradition des historischen Triumph- und Festzuges vgl. vor allem Klaus Tenfelde: Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235/1982, S. 45–84. Ebd., S. 63ff. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Ebd. Tenfelde: Adventus, S. 75. Ebd.

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dener Bühne zum Denkmal Wilhelms I. signalisierte nicht nur, dass es sich hier um ein von der Gunst der Hohenzollern getragenes Hoftheater handelte, sondern das durch Sichtachsen absichtsvoll hergestellte Arrangement von Theater und Denkmal konstituierte auch jene geschichtspolitisch bedeutsame Allianz mit Preußen und seinem Hof, die in den Folgejahren für Wiesbaden unverzichtbar bleiben sollte. In der architektonisch-topographischen Anordnung von Denkmal und Theater war damit ein symbolisch aufgeladener Raum geschaffen worden, der ein spezifisches politisches Ordnungsgefüge zu plastischer Form gerinnen ließ. Der Kaiser nämlich – so vermerkte die lokale Presse – habe „ausdrücklich gewünscht“, „gelegentlich der Theater-Einweihung auch der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals beiwohnen zu können“49 , so dass beide Monumente komplementäre Bestandteile eines symbol- und geschichtspolitischen Ensembles bildeten, das den Kult um Kaiser, Nation und Reich befeuerte.50 Wie so oft war die Initiative zur Errichtung eines Kaiser-Denkmals auch in Wiesbaden von Teilen der städtischen Beamtenschaft ausgegangen. Das Vorhaben erhielt so einen offiziellen Anstrich, wahrte zugleich aber „seinen freiwilligen Charakter“.51 Das Denkmal war zum größten Teil durch Spenden finanziert worden, an denen sich sowohl ein eigens gegründeter DenkmalAusschuss als auch Teile der Stadtbevölkerung beteiligt hatten.52 Wilhelm II. stand solchen Vorhaben in der Regel wohlwollend gegenüber, da sie als „patriotischer Kult die gesamte Monarchie umfaßten und in eine kontinuierliche Legitimität stellten“.53 Das von Johannes Schilling, dem Schöpfer des Niederwald-Denkmals, entworfene Monument zeigte Wilhelm I. ausdrücklich als „Friedensfürsten“ und „Einiger des Reiches“54 : Dargestellt war der Kaiser als etwa 70-Jähriger im „einfachen Interims-Uniformrock, das Haupt [...] unbedeckt, die Rechte leicht erhoben nach vorwärts gestreckt, mit einer ungezwungenen natürlichen Bewegung des Segens oder des Dankes“55 (Abb. 6). Mit dieser ikonographischen Gestaltung wandte sich das Denkmal nicht exklusiv an Adel und Militär, 49 50 51 52

53 54 55

Dieser Pressebericht über den Besuch Wilhelms II. in Wiesbaden am 16. Oktober wurde leider ohne nähere Quellenangabe gefunden in: Inst. f. StG Ffm, Ordner S 2665. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ute Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806–1918), Essen 1995, S. 254. Das Wiesbadener Tagblatt wies in seiner Ausgabe vom 16. Oktober 1894 darauf hin, dass das „geschäftsführende Comité jenes Denkmal-Ausschusses“ bereits am 19. April 1888 „das erste Gabenverzeichnis veröffentlichen [konnte, S.K.], welches über 6.000 Mk. an freiwilligen Beiträgen aus allen Schichten der Bevölkerung nachwies.“ Die Mittel zur Verwirklichung des „idealen Planes“ flossen nach Angaben des Blattes auch „in der Folge nicht minder reichlich“, so dass bereits „nach verhältnismäßig kurzer Zeitspanne“ „zur Ausführung des Denkmals geschritten werden“ konnte. Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert, S. 254. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit Abbildung 6: Denkmal Kaiser Wilhelm I.

sondern hatte ausdrücklich auch einen zivilbürgerlichen Adressatenkreis im Blick. Es sollte ein einprägsames „Wahrzeichen“ jenes Bandes „herzlicher Liebe und Dankbarkeit“ sein, durch das sich „das deutsche Volk mit seinem Kaiserhause“ verbunden wusste.56 Im Bildprogramm des Denkmals fand das politische Weltbild der Zeitgenossen gewissermaßen eine „ästhetisch faßbare und bewertbare Form“.57 Die zeitgenössische Denkmalsarchitektur war Ausdruck einer affektiv besetzten sozialen „Symbolbeziehung“, indem sie grundlegende gesellschaftspolitische Ordnungsvorstellungen in eine einprägsame Bildsprache übersetzte und damit kollektiv wirksame Vorstellungen politischen Sinns transportierte.58 Eine ähnliche Funktion erfüllte auch das Ritual der Denkmalsenthüllung. Damit dieses störungsfrei verlaufen konnte, legte ein sorgsam entworfenes 56 57

58

Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Karl Rohe: Politische Kultur. Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, in: Oskar Niedermayer/Klaus von Beyme (Hrsg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, Opladen 1996, S. 1–21, hier S. 7. Gerhard Göhler: Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation, in: ders. u. a. (Hrsg.): Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997, S. 11–62, hier S. 23f.

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Protokoll die Raumaufteilung des Festareals sowie die Anordnung der teilnehmenden Gäste fest. Unmittelbar gegenüber dem anfangs noch mit Tuch verhüllten Standbild Wilhelms I. erhob sich das „Kaiserzelt auf einem dreistufigen Unterbaue“.59 Das Zelt war von „vergoldeten Adlern gekrönt“ und mit der Kaiserkrone geschmückt worden.60 Auch das Innere war üppig dekoriert, unter anderem zierte der „Hermelinmantel mit dem Königswappen“ den Hintergrund des Zeltes.61 Davor standen „drei kronengezierte, mit rotem Seidenstoffe drapierte Sessel“.62 Um Denkmal und Kaiserzelt waren Tribünen errichtet worden, die etwa 2200 Personen fassten.63 Vor der Tribüne war ein Podium für den „Sängerchor“ aufgestellt worden, für die Vertreter der Regierung, die Gäste des Kaisers, die Pressevertreter sowie die städtischen Gremien hatte man besondere Plätze reserviert.64 Hinter den beiden Tribünenteilen war je ein schmaler Streifen für die verschiedenen Vereinsdeputationen freigelassen worden, die hier mit ihren Fahnen Aufstellung nehmen sollten. Schließlich war noch ein niedriges Podium „für die Absendungen aus den oberen Klassen sämtlicher Schulen“ aufgestellt worden.65 Erst der übrige, „hinter dem Denkmale kreisförmig sich herumziehende Teil“ des Festplatzes war dem Publikum zugänglich.66 Eine streng hierarchisch angeordnete Sitzordnung regelte somit die Nähe zum Monarchen und stabilisierte die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse, indem sie ausgewählte Amtsträger und Eliten der Stadt und des Regierungsbezirkes privilegierte. Dieser inszenatorische Aufwand diente nicht nur städtischer und monarchischer Selbstdarstellung. Zugleich wohnte ihm ein disziplinierendes Element inne, da sowohl die Vergabe von Steh- und Sitzplätzen als auch die Fixierung von Prozessionswegen das Verhalten der teilnehmenden Zuschauer festlegte und die Möglichkeiten zur Artikulation von Kritik oder Dissens einschränkte. Damit stellte das Zeremoniell der Denkmalsenthüllung nicht zuletzt ein Instrument der sozialen Kontrolle dar, indem es die obrigkeitliche Deutungsmacht über den Verlauf des Festtages sicherstellen und die Interaktion unter den Anwesenden einer bestimmten, sorgsam festgelegten Ordnung unterwerfen sollte. Dies kann zugleich als Hinweis auf eine gewisse Labilität der staatlichen Machtstrategie gedeutet werden. Die angestrebte Integration der Anwesenden in das offiziell privilegierte symbolpolitische Ordnungsgefüge konnte nur dann erfolgreich bewerkstelligt werden, wenn sie in den Reihen der Zuschauer auf Zustimmung stieß. Die sorgsam arrangierte Apparatur der Macht 59 60 61 62 63 64 65 66

Rheinischer Kurier, 15. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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musste somit stets darauf achten, als Teil und „kollektive[s] Ergebnis“ eines kommunikativen, durch Interaktion hervorgebrachten Prozesses erkennbar zu bleiben.67 Obgleich öffentliche Selbstdarstellung unter diesen Vorzeichen als ein nur bedingt beeinflussbares Verfahren beschrieben werden kann, dem sich auch der Monarch zu unterwerfen hatte, erwiesen sich die höfischen und städtischen Eliten als überaus professionalisierte Akteure, die mit den Regeln massenmedialer öffentlicher Kommunikation vertraut waren und sich dieser bewusst aussetzten, wie anhand des Ablaufs der Feierlichkeiten des 16. Oktober 1894 aufgezeigt werden kann.68 Bereits lange vor der Ankunft des Kaisers und der geladenen Ehrengäste waren die Tribünen überfüllt, und seit dem Nachmittag sorgte die Ehrenkompagnie des 80. Infanterie-Regiments „mit schmetternder Musik“ für Unterhaltung.69 Schließlich kündigte Glockenläuten die Ankunft des Kaisers an, woraufhin „[b]rausende Hurrahs“ erschallten, „als der kaiserliche Wagen [...] die Wilhelmstraße [...] durchfuhr“.70 Besonders aufschlussreich sind diejenigen Passagen der Presseberichterstattung, die das Eintreffen des Kaisers auf dem Festplatz schildern und einen Eindruck von der besonderen Wirkungsweise des sorgsam arrangierten Herrscheradventus vermitteln. Kaum ertönte der verabredete Präsentiermarsch, als sich „voll staunender Erregung“ „alle Blicke auf den nahenden Landesfürsten“ richteten, der – auch dieses Detail notierte die Presse – an diesem Tag „die Uniform seiner Leibhusaren mit grauem Paletot angelegt hatte“.71 Begrüßt durch „ein brausendes Hoch“ der Festgäste, eilte der „jugendfrische Kaiser“ „sofort zum Kaiserzelt“ und blieb dort stehen, „während sich sein Gefolge hinter ihm im Zelt und neben letzerem aufstellte“.72 Ebenso minutiös hielt man auch den weiteren Verlauf des Empfangszeremoniells sowie die Begrüßungsansprachen des Wiesbadener Oberbürgermeisters fest, der besonders die „unwandelbare Treue“ Wiesbadens zu Preußen und der Dynastie der Hohenzollern beschwor.73 Der Kaiser gab daraufhin das Zeichen zur Enthüllung des Denkmals und „salutierte“ vor diesem.74 Nachdem die offizielle Feier zu Ende war, „defilierte die Ehrenkompagnie im Parademarsch an dem Kaiser vorbei“, woraufhin dieser „unter der Führung von Prof. Schilling und in Begleitung der Herren v. Ibell und Fresenius einen langsamen Rundgang um das Denkmal“ machte.75 Nach der „Beendigung des Rundganges“ drückte der Kaiser „den drei Herren kräftig 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Rohe: Politische Kultur: Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, S. 8. Siehe zum ambivalenten Verhältnis der Monarchie zur Logik der Massenmedien vor allem Kohlrausch: Der Monarch im Skandal, S. 66. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ebd.

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die Hand und schritt zu seinem Wagen zurück“, um „[u]nter den Hochs des Publikums“ über den neuen Theaterplatz „durch die Burggasse nach dem Schloß“ zu fahren.76 Die umfassende Planung und Kontrolle des Zeremoniells waren nicht zuletzt deshalb notwendig, weil die einzelnen Vorgänge des Festes nicht länger autonome Ereignisse bezeichneten, sondern zu Objekten „für das neue Öffentlichkeitsinstrument der Presse“ wurden.77 Gerade nach 1890 entfaltete sich im Zuge einer umfassenden ,Medienrevolution‘ eine vielstimmige und dynamische Presselandschaft, die in ihrer meinungsbildenden Macht von einzelnen Akteuren nicht mehr vollständig instrumentalisiert und kontrolliert werden konnte. Wilhelm versuchte dennoch – wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg – , die rezipientenseitigen Erwartungen zu bedienen und der Komplexität einer ausdifferenzierten Öffentlichkeit entgegenzukommen. Seine öffentlichen Auftritte waren daher auch sorgsam arrangiert und penibel ,durchchoreographiert‘, so dass sie, wie Christopher Clark pointiert zu bedenken gegeben hat, in ihrer bombastischen Stilisiertheit oftmals den „Historiengemälden des 19. Jahrhunderts“ zu gleichen schienen, waren sie doch „überladen mit schwülstigem Symbolismus, in dem sich Stürme mit Strahlen erlösenden Lichts abwechselten, wo alles ringsumher dunkel war und erhabene Gestalten über den kleinen, alltäglichen Streitigkeiten schwebten“.78 Solche Charismatisierungsbestrebungen ließen sich auch 1894 in Wiesbaden ausmachen: Die Ankunft des Kaisers in seiner ,Mairesidenz‘, sein Weg zum Festplatz im Kurareal und die hier stattfindende Denkmalsenthüllung in Anwesenheit der verschiedenen Vereinsdeputationen, politischen Amtsträger und Zuschauer wurden von der Presse in ausführlichen Berichten und Stellungnahmen als öffentliches Ereignis in Szene gesetzt. Somit lag eine Besonderheit des Festtages darin begründet, dass er Momente personaler Anwesenheit und medialer Repräsentation zueinander in Beziehung setzte und damit verschiedenartige Formen öffentlicher Kommunikation miteinander kombinierte. Die massenmediale Filterung und Beobachtung schleuste ein Moment der Unkontrollierbakeit in das festliche Geschehen ein und entzog den professionellen Sinnproduzenten des Hofes und der Stadt die unumschränkte Deutungshoheit: Das Festzeremoniell entfaltete seine Wirkung nur noch bedingt während seines „eigentlichen Vollzugs“, sondern zugleich in der es „unendlich vervielfältigenden Berichterstattung“ durch die lokale und überregionale Presse, die ihm rückblickend – im Wortsinn – Bedeutung zu-schrieb.79 Die unmittelbare Präsenz des Monarchen reichte für sich allein genommen nicht (mehr) aus, um den Prozess der politischen 76 77 78 79

Ebd. Siehe hierzu Gerhart von Graevenitz: Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit, Stuttgart 1987, S. 171. Zur Rolle Wilhelms als ,Medienkaiser‘ vgl. überzeugend Clark: Wilhelm II., S. 217f. Ebd., S. 171.

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Sinnstiftung und der gesellschaftlichen Integration in Gang zu setzen und zu steuern. Zu weiten Teilen war es nun die Massenpresse, die das Auftreten des Kaisers kommentierte und deutete und es – in diesem besonderen Fall – als ein bedeutsames außeralltägliches Ereignis mitkonstituierte. Die Möglichkeit kritischer Beurteilung, satirischer Kommentierung oder einer das Ereignis bagatellisierenden Nichterwähnung war hierbei selbstverständlich ebenfalls gegeben und verwies darauf, dass es kein sakrales oder staatlich-monarchisches Sinnzentrum mehr gab, das die Deutungshoheit über das Geschehen monopolisieren konnte. Vielmehr war es das Distanzmedium Presse, das kollektive Ordnungsvorstellungen generierte. Der performative Aufwand der Denkmalsenthüllung war damit zwar als Medium einer Identität stiftenden „Synchronisation von Subjekten“ unverzichtbar, brachte aber zugleich den instabilen Konsens zum Vorschein, auf dem die zunehmend heterogene Gesellschaft des Kaiserreiches aufruhte.80 Auch die zeitgenössische Presseberichterstattung thematisierte diese Erfahrung eines Bruches und die Gefährdung einer nicht vollständig gelungenen nationalen Integration. Obgleich – so die Einschätzung des Rheinischen Kuriers– „in den letzten Jahrzehnten“ ein „neues Geschlecht [...] herangewachsen“ sei und „Volksgenossen aus allen Teilen des Reichs“ sich in Nassau niedergelassen hätten, schien „ein völliges Zusammenwachsen der alten und neuen stammesverschiedenen Glieder“ auch mehr als zwanzig Jahre nach der vollzogenen Reichseinigung noch immer in weiter Ferne zu liegen.81 Es bedurfte aus diesem Grund kollektiv akzeptierter öffentlicher Räume, Institutionen und Rituale, die eine verläßliche „imaginäre Übereinstimmung“ herbeiführen und nach außen hin bestätigen konnten.82 Als integrativ wirksames Heilmittel galt dem Großteil der regionalen Presse ein alle konfessionellen, regionalen und parteipolitischen Gegensätze überwölbender Kaiser- und Reichskult, war man sich doch weitgehend darin einig, „in unserem Preußen, in unserem Deutschland, in unserem Kaiser und König Wilhelm II.“ den „feste[n] Hüter“ der Rechte und den „Schirmer“ des heimatlichen „Herdes“ ausmachen zu können.83 Die bislang skizzierten Festlichkeiten des 16. Oktober 1894 thematisierten somit zwar das Bewusstsein gesellschaftlicher und politischer Instabilität, stellten zugleich aber ein Angebot zu deren Überbrückung und Überwindung in Aussicht (Abb. 7). Dies war sicherlich einer der Gründe, warum Wilhelm II. bei seinem Besuch in Wiesbaden auf einer festlichen Doppelfeier beharrte und zur Sicherung seiner herrschaftspolitischen Legitimität ungern auf das mit der Person Wilhelms I. verbundene Charisma verzichten wollte. Die allgemeine Bewunderung, die Wilhelm I. als nationaler Leit- und Integrationsfigur 80 81 82 83

Satjukow: Bahnhofstraßen, S. 44. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. Satjukow: Bahnhofstraßen, S. 42. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894.

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Abbildung 7: Titelseite des Wiesbadener General-Anzeigers zur Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden 1894

entgegengebracht wurde, sollte sich – so eine sich aufdrängende Deutung dieses ersten Teils des Festtages – im Rahmen des Festzeremoniells auch auf dessen Enkel übertragen und diesen gleichfalls mit einem Nimbus von Güte, Macht und Größe ausstatten. War es das Verdienst Wilhelms I. gewesen, sich als „Neu-Begründer des deutschen Reiches“, als „gewaltige[r], ruhmreiche[r] Kriegsfürst“, zugleich aber als huldreich-gütiger „Vater des Vaterlandes“ hervorzutun84 , so präsentierte sich Wilhelm II. im Oktober 1894 als feinsinniger „Förderer und Beschützer unserer vaterländischen Kunst“.85 Offenbar war sich Wilhelm II. der Tatsache bewusst, dass der Rückgriff auf das Integrationssymbol des ,Heldenkaisers‘ und ,Reichseinigers‘ nicht ausreichte, um ihn selbst mit der notwendigen Autorität und Würde auszustatten. Erst eigenständige und kollektiv akzeptierte symbolische Zuschreibungen konnten die Legitimität und Akzeptanz des jungen Monarchen sicherstellen. Aus diesem Grund, so beobachtete der Rheinische Kurier, versuche Wilhelm auch, ein neues „augustisch Alter“ der Wissenschaften und Künste einzuleiten, das „die Stirne unseres Kaisers mit nicht minderen Ehren“ schmücken solle als 84 85

Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Wiesbadener General-Anzeiger, 19. Oktober 1894.

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„wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, die Größe und Unabhängigkeit des Vaterlandes siegreich zu verteidigen“.86 Das Wiesbadener Hoftheater sollte nach dem Willen des Kaisers zum Sinnbild dieser dezidiert ,vaterländisch‘ und ,national‘ apostrophierten Kunst werden, deren aktive Förderung seine eigene Autorität als Herrscher festigen und zugleich „ein hervorragendes Bildungsmittel für unsere Nation“ darstellen sollte.87 Das symbolpolitische Deutungsmuster einer nationalen, integrativ wirksamen ,deutschen Kunst‘ erfuhr hiermit zugleich eine monarchisch-höfische Aufladung. Diese neuartige Strategie dynastischmonarchischer Traditionsstiftung konnte allerdings nur dann erfolgreich verlaufen, wenn das öffentliche Zeremoniell der Herrschaftslegitimation auf die „kollektiven Integrationsphantasien“ des anwesenden Publikums abgestimmt war und dessen Erwartungen und Bedürfnisse aufgriff.88 Ob und inwieweit dies gelang, zeigte sich am Abend der festlichen Einweihung des neuen Hoftheaters.

4.3 Ein Fest der Kunst und der „ängstlichen Repräsentation“89 Im öffentlichen Ritual der Denkmalseinweihung war die offiziell propagierte Vision eines preußisch-dynastisch geführten Nationalstaates bereits als kollektives Faszinosum erlebbar gemacht worden. Ähnlich turbulente Szenen blieben auch anlässlich der feierlichen Eröffnung des neuen Theaters nicht aus. Obwohl der Festakt „erst um 6 Uhr abends“ offiziell beginnen sollte, füllten sich die „vornehmen Räume des neuen ideal schönen Kunsttempels“ „schon lange“ vor dem Beginn der Festvorstellung.90 Erwartungsgemäß staute sich eine „zahllose Wagenburg [...] vor dem Portal an der neuen Colonnade“, und „in kostbaren Toiletten und glänzendsten Uniformen entstiegen die eingeladenen Damen und Herren“.91 War der feierliche Auftakt der Denkmalsenthüllung einem vergleichsweise großen Zuschauerkreis zugänglich gewesen, gestaltete sich die abendliche Zeremonie im Opernhaus als ein deutlich exklusiveres Ereignis, das vornehmlich den geladenen Gästen des Kaisers, Teilen der staatlichen und städtischen Eliten sowie dem zahlungskräftigen Wiesbadener Bürgertum vorbehalten war. 86 87 88 89 90 91

Ebd. Ebd. Bernhard Jahn/Thomas Rahn/Claudia Schnitzer (Hrsg.): Zeremoniell in der Krise. Störung und Nostalgie, Marburg 1998, S. 14. So charakterisierte Fedor von Zobelitz (1857–1934) in der Rückschau die öffentlichen Auftritte des Kaisers, in: Hamburger Nachrichten, 28. März 1923. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ebd.

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Auch über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus hatte man die Eröffnung des neuen Wiesbadener Theaters mit Spannung erwartet. Anwesend waren daher nicht nur „viele bedeutende Journalisten“ von Berlins „ersten Blättern“, sondern auch „eine große Anzahl von Theaterleitern“.92 Um die außergewöhnliche Atmosphäre des Abends hervorzuheben, beschrieb die Presse detailliert den prunkvollen Theaterneubau und sein erlesenes Publikum. Immer wieder war von „schöne[n] Frauen“, von „prachtvolle[n] Edelsteine[n] und blinkende[n] Ordenssterne[n]“ zu lesen, die „man in unzähliger Anzahl“ bestaunen konnte, sobald man das Vestibül des Theaters betreten hatte.93 Machte bereits der Eingangsbereich des Hauses mit seinen „weißen Treppen“ und „roten Läufern“ einen überaus „vornehmen Eindruck“, so wurde „das Auge erst recht geblendet von all der Pracht“, mit der der Zuschauerraum des neuen Theaters „so splendid ausgestattet“ worden war.94 „Pünktlich um 6 Uhr“ konnte das versammelte Festpublikum dann zum ersten Mal Zeuge jenes für die wilhelminische Theaterkultur Wiesbadens so charakteristischen Festzeremoniells werden, mittels dessen sich Wilhelm II. als Hausherr und glanzvolles Zentrum des Hauses in Szene setzte95 : „[L]anganhaltende Fanfaren“ kündigten „die Ankunft des Kaisers“ an, der vom Wiesbadener „Intendanten Herrn v. Hülsen in die königliche Proszeniumsloge des ersten Ranges geleitet wurde“.96 Dem Kaiser scholl auf dieses Zeichen hin ein „allseitig ausgebrachtes Hoch“ des Publikums entgegen, vor dem der Monarch sich „huldvoll verneigte“.97 Auf diesem Weg wurde bereits durch die zeremonielle Rahmung eine „atmosphere of communal ritual“ geschaffen, die die Zuschauer darauf vorbereitete, jene „barrier of space and role“ zu durchbrechen, die sie vom folgenden fiktiv-dramatischen Geschehen auf der Bühne trennte, sie aber zugleich in affirmativer Weise in das symbolpolitische Programm eines nationalen Weihefestes einbezog.98 Um den festlichen Anlass des Abends zu unterstreichen, war der Ablauf der abendlichen Festvorstellung im Voraus mit Bedacht zusammengestellt worden: Nach Ludwig van Beethovens Ouvertüre zur Weihe des Hauses kam ein 92

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So nahmen „u. A. die Herren General-Intendant Graf Hochberg von Berlin, General-Intendant Freiherr v. Bezenzy, Hofburgtheaterdirektor Dr. Burkhard und Hofoperndirektor Jahn, sämtlich aus Wien, ferner Intendant v. Putlitz aus Stuttgart, Intendant Ledebur aus Schwerin, General-Intendant Bronsart v. Schellendorf aus Weimar, v. Wagenheim aus Braunschweig, v. Claar − Frankfurt, Pollini − Hamburg u. a.m.“ teil. Siehe Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. James Parakilas: Political representation and the chorus in nineteenth-century opera, in: 19th -Century Music 16/1992, H. 2, S. 181–202, hier S. 181.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit Abbildung 8: Plakat der Festvorstellung am 16. Oktober 1894

eigens zur Eröffnung des neuen Theaters gedichtetes und mit Musik begleitetes Festspiel zur Aufführung, ehe der Abend mit der Ouvertüre und der Inszenierung des zweiten Aktes von Wagners Tannhäuser seinen Höhe- und Schlusspunkt erreichte (Abb. 8). Ermöglicht wurde dieses national-höfische „Gesamtinszenierungskunstwerk“99 durch die Mithilfe jener professionellen Sinnproduzenten und -exegeten, die in die Herstellung und Popularisierung des Reichs- und Kaiserkultes eingebunden waren. Mehr noch als der Wiesbadener Oberbürgermeister Ibell tat sich hierbei der Wiesbadener Intendant und spätere Generalintendant der königlich-preußischen Bühnen, Georg von Hülsen, hervor (Abb. 9). Als Jugendfreund Wilhelms stand er seit jeher in engem Kontakt zum Berliner Hof und dem jungen Monarchen und verfügte hierdurch über einen nicht unerheblichen institutionellen Einfluss.100 Das Amt 99 100

Daniel: Hoftheater, S. 243. 1858 als Sohn des damaligen Generalintendanten der Königlichen Bühnen zu Berlin, Botho von Hülsen, in Berlin geboren, verbrachte er seine Kindheit und Jugend im Umfeld des Berliner Hofes. Nach dem Abitur schlug von Hülsen zunächst eine militärische Laufbahn ein. Daneben begleitete er seinen Vater aber frühzeitig auf dessen Inspektionsreisen und lernte so bereits in jungen Jahren alle wichtigen deutschen und europäischen Theaterbühnen kennen. Am 1. Oktober 1893 wurde von Hülsen von seinem Freund Wilhelm II. zum Intendanten der Wiesbadener Hofbühne ernannt. Gleichzeitig mit der Ernennung erhielt von Hülsen seine Erhebung in den Adelsstand, die ihn nun zu einem Kammerherrn des Kaisers machte. Von Hülsens Aufstieg war damit aber noch

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des Generalintendanten der Königlichen Hofbühnen war ausschließlich Adeligen vorbehalten, da es mit einer Hofstellung verbunden war und sich niemals ganz aus seinem ursprünglich militärischen Kontext herauslösen konnte. Viele Hofbühnen des Reiches wurden im 18. und 19. Jahrhundert von ehemaligen Militärs geleitet, die dem jeweiligen Monarchen oder dessen Hausministerium unterstellt waren und die ihnen anvertrauten Hofbühnen „im Auftrag des jeweiligen Herrschers [...] mit Erlassen, Dekreten und Verwaltungsakten“ führten.101 Während seiner Tätigkeit in Wiesbaden und Berlin unterstützte Hülsen die restriktive Kunstauffassung des Monarchen nach Kräften und machte aus der Wiesbadener Bühne ein Hoftheater, „das höfischer als der Hof sein wollte“ − und in diesem Sinn dessen institutionelle Verlängerung bezeichnete.102 Traditionell stellte die aktive Förderung der Künste eines der zentralen Betätigungsfelder fürstlichen Mäzenatentums dar, da der Anspruch auf herrschaftliche Autorität und die Aura fürstlicher Glorie auf diese Weise öffentlichkeitswirksam hervorgehoben und als Instrument der Herrschaftssicherung und Legitimierung genutzt werden konnte. Dementsprechend präsentierte sich Wilhelm stets als großzügiger Patron der Künste, und seine Teilnahme an den Feierlichkeiten des 16. Oktober 1894 war eine „ganz laute Verkündigung“, „daß der Kaiser und König“ die Kunst „als ein unschätzbares Gut angesehen wissen will, dem er selbst seine Huldigung darbringt“.103 In der Tat unterstützte Wilhelm Projekte und Institutionen in großzügiger Weise, solange die genau umzirkelten Grenzen eines konventionellen Idealismus und Historismus nicht verletzt wurden, die der Kaiser − und ein nicht geringer Teil seiner Untertanen − gewahrt sehen wollten. Die meisten Vertreter der klassischen Moderne und ihre Suche nach neuen und eigenwilligen Formsprachen sowie ihre sozialkritischen Impulse lehnte Wilhelm

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nicht beendet: 1903 wurde ihm die Leitung der Königlich-preußischen Hofbühnen in Berlin übertragen, und von nun an „häuften sich Ämter, Titel und Orden.“ Nach dem Tode seines Bruders Dietrich von Hülsen-Haeseler ging nicht nur der Grafentitel und der Name ,Haeseler‘ auf Georg über; 1906 wurde ihm zudem der Titel Excellenz verliehen, und im gleichen Jahr wurde er oberster Chef des Kasseler und 1911 des Hannoverschen Hoftheaters. Somit leitete er nun als Generalintendant alle Königlichpreußischen Hoftheater, wodurch ihm eine fast monopolistische Stellung in der Gestaltung einer offiziellen preußischen Theaterpolitik sicher war: „Zusammen mit den Ämtern als Bühnenvereins- und Wohlfahrtskassenvorsitzendem sowie als Mitglied der Schillerpreisstiftung besaß Hülsen ungeheure Machtfülle“, die er zusätzlich zu „seinen mannigfachen Aufgaben bei Hofe, die der Posten einer Oberhofcharge mit sich brachte,“ zu bewältigen hatte. Siehe ausführlich Hans-Günther Reichel: Das Königliche Schauspielhaus unter Georg Graf von Hülsen-Haeseler (1903–1918). Mit besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen Tagespresse, Dissertation Berlin 1962, S. 7. Walter: Die Oper ist ein Irrenhaus, S. 74. Jens Malte Fischer: „Das Theater ist auch eine meiner Waffen“. Die Hofoper im Zeichen des Kaiserreichs, in: Georg Quander (Hrsg.): 250 Jahre Opernhaus Unter den Linden, Frankfurt a.M./Berlin 1992, S. 117–146, hier S. 133. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit Abbildung 9: Der Wiesbadener Intendant Georg von Hülsen

entschieden ab und glaubte, ihnen in seinem „Kampf gegen den Materialismus und das undeutsche Wesen“ entgegensteuern zu müssen.104 So berühmt wie berüchtigt war hierbei die offensichtliche Vorliebe des Kaisers für Bühne und Theater; seine Hoftheater bezeichnete Wilhelm gerne als „Werkzeug“ und „Waffe“ zur „Veredelung der sittlichen Anschauungen“ und zur „Erhaltung der höchsten geistigen Güter“ des „herrlichen deutschen Vaterlandes“.105 Vornehmlich besuchte der Kaiser daher Vorstellungen seiner Hofbühnen, die den von ihm so geschätzten pompösen ,Kaiserstil‘ pflegten.106 Als Generalintendant der preußischen Bühnen teilte Georg von Hülsen weitgehend die ästhetischen Präferenzen des Kaisers und machte sich ostentativ zum Anwalt der wilhelminischen Kunst- und Kulturpolitik.107 104

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So Wilhelm II. in einer Rede anlässlich seines zehnjährigen Regierungsjubiläums im Juni 1898. Die Rede findet sich in voller Länge bei: Adolf von Achenbach u. a.: Unser Kaiser. 25 Jahre der Regierung Kaiser Wilhelms II. 1888–1913, Berlin/Leipzig 1913, S. 330f. Ebd. Hier – so meinte der zeitgenössische Kunstkritiker Hans von Hülsen – herrschte der Kaiser uneingeschränkt, hier wurde ihm „geboten, was ihm zusagt“, so dass das Repertoire in erster Linie „Ausdruck seines persönlichen Geschmacks“ war. Hans von Hülsen: Der Kaiser und das Theater, in: Die Tat 5/1913, S. 590f. In einem Brief versicherte er seinem „Allerdurchlauchtigste[n], Großmütigste[n] Kaiser“, „daß ich auf der Stelle, auf die Euer Majestät Huld mich berief, kämpfen werde bis zum letzten Atemzuge für die deutsche Kunst, die in Eurer Majestät ihren erhabens-

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In Wiesbaden wurde Hülsen damit zum Mitbegründer einer „neue[n] Aera“ „im Gebiete der Kunst“; sein opulenter Hoftheaterstil wurde hier weitaus enthusiastischer aufgenommen als in der schillernd-modernen Kulturmetropole Berlin.108 . Hülsen wurde hier als der „neue Mann“ wahrgenommen, dessen „Entdeckermut“ dem Wiesbadener Theater endgültig „einen festen Platz auf der Theaterkarte und eine Bedeutung in der Internationale“ sichern und die Aufmerksamkeit des Kaisers auf Wiesbaden richten sollte.109 In den Jahren seiner Tätigkeit in Wiesbaden sollte Hülsen „dem vormals unbedeutenden Provinztheater einen Ruf “ verschaffen, „der selbst die reichdotierten Frankfurter Bühnen neidvoll auf das rasche Wachsen des bevorzugten Konkurrenzunternehmens blicken ließ“.110 Ihre nachdrücklichste Form fanden die künstlerischen Vorstellungen sowie die kultur- und gesellschaftspolitischen Überzeugungen Hülsens in den maßgeblich von ihm ins Leben gerufenen so genannten ,Mai- oder Kaiserfestspielen‘, die ab 1896 regelmäßig in Wiesbaden stattfanden und der ,neuen Ära‘ ihren Stempel aufdrücken sollten. Auch nach seinem Weggang aus Wiesbaden fühlte sich Hülsen den Maifestspielen verbunden: Sein Nachfolger empfing von ihm nicht nur bindende Anweisungen für die Gestaltung der Spielpläne und den gesellschaftlichen Ablauf der Festspiele, sondern war zudem angehalten, dem Berliner Generalintendant regelmäßig Meldung über den Verlauf der einzelnen Vorstellungen zu erstatten.111 Auch der Erfolg der Wiesbadener „Doppelfeier“ am 16. Oktober 1894 war wesentlich auf die besondere Macht- und Vertrauensstellung Hülsens zurückzuführen.112 Zur Einweihung des Theaters hatte der Wiesbadener Intendant gemeinsam mit dem populären Schriftsteller und Major a.D., Joseph von Lauff (1855– 1933), dem späteren Dramaturgen des Wiesbadener Theaters, eigens ein Festspiel verfasst, das sich mit der „socialen Aufgabe der Kunst“113 auseinandersetzte; für die musikalische Ausgestaltung hatte der Theaterkapellmeister

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ten Förderer und Schirmer sieht“. Siehe diesen Brief Georg von Hülsens an Wilhelm II. vom 31. Dezember 1894, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21198. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. Wilhelm Clobes: Georg von Hülsen-Haeseler, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 3, H. 3/4 (1913), S. 33–37, hier S. 33ff. Reichel: Das Königliche Schauspielhaus unter Georg Graf von Hülsen-Haeseler, S. 2. Intendantur des Königlichen Theater zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Festspiele 1908, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 64, Blatt 86. Vgl. auch Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele). Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Siehe den „Prolog zur Eröffnung des neuen Hoftheaters in Wiesbaden“, in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Verfügung und (...) Bestimmung der Königlichen Intendantur bezügl. der Festspiele 1894, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 58.

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Joseph Rebicek Sorge getragen.114 Hülsen selbst hatte das Festspiel mit den Angehörigen der Wiesbadener Bühne einstudiert. Die Handlung präsentierte dem Publikum zunächst die in „eine[r] entzückende[n] Felsgrotte“ weilende allegorische Figur der Stadtgöttin Wiesbadensia.115 Die herbeieilenden Musen der Kunst, der Schauspielkunst, der Musik und der Baukunst geleiteten diese zu Beginn des Festspiels zu ihrer neuen Bleibe: Nach einer Verwandlung der Szene hob sich der Vorhang langsam vor einer idealen Landschaft, in deren Mittelpunkt ein säulenverzierter Tempelbau zu sehen war. Indem sie sich unmittelbar an das Publikum richteten, beschworen Wiesbadensia und die versammelten Musen nun in gängigen Topoi die veredelnden Aufgaben der Kunst, die dem „Geist des Volks“ einen Raum „zu seiner Insichschau“ zur Verfügung stelle und ihm den „Weg zu seinem Heil“ weise.116 Die anwesenden Zuschauer wurden nachfolgend immer mehr in die Handlung des Festspiels einbezogen, indem sie von Wiesbadensia und den Musen aufgefordert wurden, zu ihren „Häuptern“ hinaufzublicken, um dort mit dem „große[n] Fürst[en]“ jenes Ideal zu erblicken, dem es nachzustreben gelte.117 Den Regieanweisungen zufolge hob sich erst jetzt der Vorhang vollständig, um den Blick auf die neue „Segensstätte“ freizugeben, die nun endlich ihre „Pforten“ zu „dem Dienste“ öffne, zu dem „des Herrschers Machtwort“ sie bestimmt habe.118 In einem symbolischen Akt der Übergabe wandten sich die auf der Bühne versammelten Musen direkt an den Kaiser und forderten diesen auf, gemeinsam mit den „deutschen Dichter[n]“ „[d]er wahren Wohlfahrt Licht voran zu tragen“ und seinem Volk „in Zeiten wilder Gährung“ „Ziel und Wegeweiser“ zu sein.119 Das Eröffnungsfestspiel verschmolz somit höfisches Divertissement, politisches Plädoyer und dynastisches Herrschaftszeremoniell wirkungsvoll miteinander: Indem das Publikum mehrfach aufgefordert wurde, den Blick zur Hofloge zu richten, um dem kaiserlichen Schutzherrn der deutschen Kunst und der Wiesbadener Bühne zu huldigen, wurde es selbst aktiv in die Handlung des Festspiels – und damit in den rituellen Vollzug des Herrschaftszeremoniells – einbezogen, mittels dessen sich der Monarch als „ideeller Konvergenzpunkt der gemeinsamen Staatlichkeit“ präsentieren konnte.120 Panegyrisches Festspiel und höfisches Zeremoniell bildeten ein 114 115 116

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Vgl. hierzu auch Schwitzgebel: Freudig begrüßen wir die edle Halle, S. 6f. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Vgl. hierzu den „Prolog zur Eröffnung des neuen Hoftheaters in Wiesbaden“ , in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Verfügung und (...) Bestimmung der Königlichen Intendantur bezügl. der Festspiele 1894, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 58. Ebd. Ebd. Ebd. Jahn/Rahn/Schnitzer: Zeremoniell in der Krise, S. 7.

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performatives Sinnkontinuum, das das symbolpolitische Programm der Wiesbadener Doppelfeier unterstrich und darauf abzielte, „new images of order and legitimacy“ zu produzieren.121 Der Rückgriff auf das integrative Potenzial des bildungsbürgerlich-nationalkulturellen Deutungsmusters deutscher Kunst und Kultur unterstützte auf diesem Weg die offizielle Strategie der obrigkeitsstaatlichen „state-building efforts after 1871“, die die symbolischen Gehalte der Kulturnation auf die noch junge Staatsnation übertragen wollte.122 Auch während der nachfolgenden Pause stand der Monarch im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses: Nun nämlich „wurden alle leitenden Personen, die an der Erbauung des Hauses teilgenommen“ hatten – etwa die beiden Baumeister, der Wiesbadener Oberbürgermeister sowie einzelne Stadträte – „in die Hofloge beschieden und dem Kaiser vorgestellt“.123 Diesen gegenüber äußerte sich Wilhelm „sehr lobend über den Theaterbau“, wie die Presse stolz zu vermelden wusste.124 Den Worten des Wiesbadener Tagblatts zufolge bezeichnete der Kaiser das neue Theater hierbei ausdrücklich als „wohl mit das schönste in Deutschland“ und fügte hinzu, dass ihm in Berlin „kein so schönes“ Haus bekannt sei.125 Gerade diese in einer ganzen Reihe von Presseberichten festgehaltene Geste des Hofhaltens bestätigt die bereits geäußerte Vermutung, dass das Theater dem Monarchen als symbolischer Raum herrschaftlicher Glorifizierung diente, der unterschiedliche Modi der höfisch-dynastischen Repräsentation − vom zeremoniellen Herrschergruß an das Publikum über den panegyrischen Lobgesang auf den kaiserlichen Hausherrn bis hin zu den streng reglementierten Audienzen in dessen Theaterloge − ermöglichte und damit als symbolpolitisches Machtmedium fungieren konnte. Dennoch wurden während dieses offiziellen Festabends auch die Grenzen dieser sorgsam entworfenen Apparatur der Macht und Charismaerzeugung sichtbar. Während nämlich die lokale Presse begeistert immer wieder die hohe „Weihe“ der „Doppelfeier“ hervorhob126 , fand die Frankfurter Zeitung in ihrer Darstellung und Bewertung der Wiesbadener Theatereröffnung wesentlich kritischere Worte. Dies macht vor allen Dingen deutlich, wie schwierig es im Rahmen einer modernen und massenmedial geprägten Öffentlichkeit war, symbolische Deutungshoheit zu gewinnen und dauerhaft zu reklamieren, geschweige denn abschließend zu sichern. Zwar lobte auch die Frankfurter Zeitung den heiter-prächtigen Gesamteindruck des neuen Theaters, dessen Reichtum sie als „verschwenderisch“, aber „doch nicht überladen“ bezeichne121 122 123 124 125 126

Parakilas: Political representation and the chorus in nineteenth-century opera, S. 190. Jefferies: Imperial culture in Germany, S. 3. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Ebd. Ebd.

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te, und der ihrer Ansicht nach „in seiner hellen Vornehmheit“ sogleich „die Erwartung und die Stimmung“ hebe.127 Weniger lobende Worte fand das Blatt dagegen für die vornehmlich höfisch-militärisch geprägte Wiesbadener Festgesellschaft: In sarkastischem Ton berichtete die Zeitung von den zahlreich versammelten „Methusaleme[n] von Generalen“ und von „hundertjährige[n] Geheimräthe[n]“, die „von der Last ihrer Orden gebückt einherwankten“.128 Die Vorliebe der vielen „ältere[n] Damen“ für besonders „tief ausgeschnitten[e]“ Roben ließ das Blatt gar auf ein Reichsgesetz hoffen, das „Frauen vom 60. Lebensjahre aufwärts“ das Tragen tief dekolletierter Kleider verbieten sollte.129 Mit bissiger Kritik bedachte die Frankfurter Zeitung aber vor allem das von Hülsen und Lauff gedichtete Festspiel: Dieses habe sich bemüht, „eine Anzahl allegorischer Gestalten“ aufzubieten „für eine Absicht, die uns nicht recht verständlich geworden ist“.130 Was die beiden Autoren dem Publikum nämlich vorgeführt hatten, bezeichnete die Zeitung rundheraus als „Trivialität von der billigsten Marke“.131 Hülsen und Lauff seien „in ihrer Arbeit von jedem sinn- und beziehungsreichen Ziel weit abgekommen“, da sie sich ausschließlich an „Byzanz“ orientiert hätten.132 Gerade diese Passage belegt eindrücklich die Störanfälligkeit des wilhelminischen Staatsspektakels. Weniger angriffslustig zeigte sich die Frankfurter Zeitung angesichts des eigentlichen Höhepunktes der Festvorstellung. Die prunkvolle Ausstattung und Inszenierung des zweiten Aktes von Wagners Tannhäuser wurde selbst von der Frankfurter Zeitung als „reich und sorgfältig“ gelobt, und auch die Darbietungen einzelner Sängerinnen und Sänger würdigte das Blatt als „sehr beachtenswerthe Leistungen“.133 Besonders anerkennend hob die Zeitung hervor, dass sich hier „vielfach die Schule von Bayreuth“ zeige.134 Einen „großartigen Eindruck“ mache – so die Einschätzung der Biebricher Tagespost – vor allem „die Entfaltung der großen Menschenmassen, woran [...] das gesamte Schauspielerpersonal sich beteiligte“.135 Die spezifischen visuellen und technischen Inszenierungsmöglichkeiten – etwa die Entfaltung opulenter Bühnenbilder oder das Aufgebot überwältigender Massenszenen – trugen nachdrücklich zur großen Beliebtheit der Kunstgattung Oper beim Publikum des 18. und 19. Jahrhunderts bei, und auch beim Bau des neuen Wiesbadener Theaters war sowohl auf einen üppigen Dekorationenfundus als auch auf eine moderne bühnentechnische Ausstattung geachtet worden, um die „Stimmung“ und „Illusion der Zuschau127 128 129 130 131 132 133 134 135

Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894.

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er“ fesseln zu können.136 Das städtische Festpublikum wurde am 16. Oktober 1894 Zeuge der Wirkmacht dieses inszenatorisch-technischen Aufwandes: Die Felsgrotte und die „mit seltenem Farbenreiz ausgestattete Landschaft“ des Festspiels sowie der „später im 2. Tannhäuser-Akt folgende Wartburgsaal“ wurden einhellig als wahre „Meisterstücke der Dekorationsmalerei“ wahrgenommen.137 Mit dem zweiten Akt der Oper Tannhäuser hatte man ein Paradestück der ,großen romantischen Oper‘ – als solche war sie 1845 unter Wagners eigener Leitung in Dresden uraufgeführt worden – auf die Bühne gebracht.138 Einige Szenen und Passagen dieses noch die Form einer klassischen Nummernoper tragenden Werkes – wie etwa der ,Einzug der Gäste‘ in die Sängerhalle auf der Wartburg – zählten im 19. Jahrhundert zu den „beliebtesten und berühmtesten“ Stücken Wagners, was sicherlich einer der Gründe war, warum man die Oper zur Eröffnung des neuen Theaters ausgewählt hatte.139 Zudem unterstrich das Werk in wirkungsvoller Weise das Programm der symbolpolitischen Integration des Nationalstaates. Mit ihrer Adaption von „Sage, Legende und Märchen“ beschwor die ,Wartburg-Welt‘ der Oper ein imaginäres deutsches Mittelalter140 , das als „Inbegriff deutscher Romantik“ gelten konnte und der ästhetischen Vorstellungswelt einer ,imagined cultural nation‘ des 19. Jahrhunderts entstammte.141 ,Tannhäuser‘ bot sich dem zeitgenössischen Publikum mit seiner Version eines romantischen deutschen Mittelalters als bezugreiches Kollektivsymbol an, mit dessen Hilfe sich Presse und Theaterbesucher ein in sich stimmiges Bild der eigenen Gegenwart machen konnten. Im Rahmen der Wiesbadener Doppelfeier wurde dabei eine monarchische Ausdeutung des Opernstoffes versucht, indem der zweite Aufzug in das höfisch-zeremonielle Festarrangement der wilhelminischen Huldigungsfeier eingepasst wurde. Der Beginn der 4. Szene, in deren Verlauf der berühmte Sängerwettstreit auf der Wartburg stattfindet, wiederholte und verdichtete markante Abläufe des Wiesbadener Festtages und konnte so als symbolische 136 137 138

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Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 111. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Egon Voss: Nachwort, in: Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg. Textbuch der letzten Fassung mit Varianten der Partitur und der vorangehenden Fassungen, hrsg. v. Egon Voss, Stuttgart 2001, S. 81–99, hier S. 81. Ebd., S. 82. Mit der Tannhäuserlegende und der Wartburgsage brachte Wagner in seiner Oper zwei ursprünglich voneinander getrennte Sagenbereiche zusammen. Beide Stoffe hatten – so der Verweis Hans Mayers – eine lange „Genealogie dichterischer Verarbeitungen“ vorzuweisen. Wagner hatte hierbei sowohl die ursprünglichen Sagenelemente als auch die literarischen Bearbeitungen einer Reihe von Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts wie E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck oder Heinrich Heine studiert und hier Anregungen z. B. für seine Gestaltung des Motiv des Sängerkriegs gefunden. Vgl. hierzu Hans Mayer: Tannhäuser und die künstlichen Paradiese, in: ders.: Richard Wagner, hrsg. v. Wolfgang Hofer, Frankfurt a.M. 1998, S. 82–92, hier S. 83. Voss: Nachwort, S. 83. Mayer: Tannhäuser und die künstlichen Paradiese, S. 86.

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Umkleidung des realen Geschehens gedeutet werden. Wie der Kaiser selbst zogen auch Wagners „Grafen, Ritter und Edelfrauen“ zum Klang feierlichmajestätischer Trompeten „in reichem Schmuck“ in die Sängerhalle der Wartburg ein, und ebenso überwältigt wie Publikum und Presse das Wiesbadener Theater betreten hatten, begrüßte der Chor die „edle Halle, / wo Kunst und Frieden immer nur verweil’“.142 Freilich ließen sich auch noch weitere Parallelen zwischen Bühnengeschehen und Festzeremoniell finden: In der gleichen Weise nämlich, in der auf der Opernbühne der thüringische Landgraf und Elisabeth „unter einem Baldachin“ ihre „Ehrensitze“ einnahmen, war auch Wilhelm vom Intendanten des Hauses in seine Ehrenloge geleitet worden.143 Während schließlich dem Kaiser bei seinem Erscheinen in der Festloge ein „allseitig ausgebrachtes Hoch“ entgegenschallte und der Monarch sich „huldvoll“ vor dem Publikum verneigte144 , wünschte auch die Festgesellschaft in der Oper „Thüringens Fürsten, Landgraf Hermann, Heil!“145 Somit spiegelte und wiederholte die Bühnenhandlung ostentativ das kaiserliche Begrüßungszeremoniell im Opernhaus. Die szenisch-musikalische Darbietung auf der Bühne ließ sich mühelos als ästhetische Doppelung des feierlichtriumphalen Herrscheradventus im neuen Hoftheater interpretieren.146 Hier traten nicht nur die performativen Qualitäten des wilhelminischen Herrschaftszeremoniells hervor, sondern Opernhandlung und Zeremoniell verschränkten sich auch in ebenso absichts- wie bedeutungsvoller Weise, um eine kolossale Aura des Feierlichen, eine ästhetisch hervorgebrachte Totalität des Außeralltäglichen zu erzeugen. Auch die nachfolgende Ansprache des Landgrafen an die in der Sängerhalle versammelte Festgesellschaft schien in anspielungsreichen Worten das Programm der Wiesbadener Doppelfeier aufzugreifen; denn Wagner ließ seinen Landgrafen Hermann die Festgesellschaft auf der Wartburg mit folgenden Worten begrüßen: „Wenn unser Schwert in blutig ernsten Kämpfen / stritt für des deutschen Reiches Majestät, / wenn wir dem grimmen Welfen widerstanden / und dem verderbenvollen Zwiespalt wehrten: so ward von euch nicht mindrer Preis errungen. / Der Anmut und der holden Sitte, / der Tugend und dem reinen Glauben / erstrittet ihr durch eure Kunst / gar hohen, herrlich schönen Sieg.“147

Auffallend ähnliche Worte hatte auch der Rheinische Kurier in seiner Festausgabe anlässlich des Wiesbadener Kaiserbesuchs gefunden und an die „goldene Ernte“ jener „blutigen Aussaat“ erinnert, die „das deutsche Reich neu begrün142

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Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg. Textbuch der letzten Fassung mit Varianten der Partitur und der vorangehenden Fassungen, hrsg. v. Egon Voss, Stuttgart 2001, 2. Aufzug, 4. Szene. Ebd. Biebricher Tagespost, 18. Oktober 1894. Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, 2. Aufzug, 4. Szene. Ebd., 2. Aufzug, 3. Szene. Ebd., 2. Aufzug, 4. Szene.

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det“ habe.148 Mit besonderer Emphase dankte das Blatt seinem „Herrscher“, „der mit Stolz auf das starke Schwert schlagen darf, das uns diesen Frieden sichert“, und der zugleich „dem ,Großen, Wahren und Schönen‘ eine Stätte“ bereite.149 Wie auf der Opernbühne der Chor der Ritter und Edelfrauen dem „Beschützer“ der „holden Kunst“ seine Reverenz erwies150 , so forderte auch die Tagespresse den Monarchen auf, im „Festschmucke der Stadt, in dem jubelnden Zuruf der Menge [...] die Gesinnung der nassauischen Bevölkerung“ zu erkennen.151 So verschieden die Textsorten Opernlibretto und Zeitungsbericht waren, so unterschiedlich ihre Entstehungskontexte und Adressatenkreise auch sein mochten, in ihrer Semantik nationaler und kultureller Einheit oder ihrer Suche nach Identität stiftendenen Ursprungs- und Gemeinschaftsmythen glichen sie einander auf verblüffende Weise und erzeugten so ein medial vermitteltes und kollektiv wirksames Sinnkontinuum. Dies mochte in erster Linie dem Umstand geschuldet sein, dass viele von Wagners Figuren zumeist zwar als „Menschen des Mittelalters“ auftraten, vom Komponisten und Dichter Wagner zugleich jedoch ganz „entschieden als Menschen der Moderne“ konzipiert worden waren, „in denen die Konflikte der eigenen Zeit virulent“ wurden, und in deren Schicksal und Handeln daher die Krisenmomente des 19. Jahrhunderts „mit seinen ökonomischen, sozialen und nicht zuletzt politischen Umwälzungen“ fassbar wurden und dem Publikum auf diese Weise gewissermaßen die Dekodierung der Sagenstoffe erleichterten.152 Vordergründig mochte die in Wagners Oper porträtierte Wartburg-Gesellschaft mit ihrem Massenaufgebot an Edelfrauen und Rittern, ihrer Betonung einer hierarchisch geordneten Gesellschaft oder ihrem Verweis auf Glaube und Sitte eine weitgehend traditionale Welt repräsentieren, die vornehmlich durch Religion und Brauchtum zusammengehalten wurde. Indem es allerdings auf die Bedeutung nationaler Einheit hinwies und die Majestät einer integrativ-nationalen Kunst pries, schaltete sich das Werk zugleich in einen Moderne-Diskurs ein. Gerade dadurch, dass sowohl der Operntext als auch das journalistische Erzählmuster mit sich „wiederholenden und variierenden Kombinationen“ ähnlicher rhetorischer Topoi arbeiteten, lassen sich beide zueinander in Beziehung setzen. Daher kann die Oper auch als „Hybride der journalistischen Wahrnehmung“ beschrieben werden, da das Opernpublikum des 19. Jahrhunderts nicht nur „seiner Zusammensetzung, sondern

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Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. Ebd. Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, 2. Aufzug, 4. Szene. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. Udo Bermbach: Die Machtlosigkeit der Mächtigen. Herrscherfiguren in Wagners Musikdramen, in: ders.: Opernsplitter. Aufsätze. Essays, Würzburg 2005, S. 213–220, hier S. 214.

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auch seinen Wahrnehmungsgewohnheiten nach identisch mit demjenigen der europäischen Presse“ war.153 Der zweite Akt des Tannhäuser ließ sich im Rahmen des Wiesbadener Kaiserbesuchs somit besonders wirkungsvoll in die symbolpolitisch erzeugte Maschinerie eines national ausgerichteten Reichs- und Kaiserkultes einpassen. Allerdings war ein hoher inszenatorischer und institutioneller Aufwand notwendig gewesen, um diese Gesamtarchitektur der Charismaerzeugung und der nationalen Integration möglich zu machen. Obschon sich die zuständigen Instanzen der Hofbühne um eine sehr gezielte Ausdeutung des vielschichtigen Opernstoffes bemüht hatten, ließ sich die Oper alles in allem dennoch nicht bruchlos in die monarchische Huldigungsapparatur einfügen; denn Tannhäuser erschöpfte sich keineswegs in der idyllisierenden Repräsentation des Mittelalters und der Darstellung einer vermeintlich harmonisch geordneten Gesellschaft. Sowohl Wagners kunstpolitische Intentionen als auch die frühe Rezeptionsgeschichte der Oper weisen in eine ganz andere Richtung. Wenige Jahre vor dem Ausbruch der 1848er Revolution uraufgeführt, konnte die Oper als Kommentar zu den aktuellen tagespolitischen Ereignissen gedeutet und als Kritik an der autoritären klerikal-monarchischen Herrschaftsordnung des vormärzlichen Deutschland interpretiert werden: Es lag und liegt nahe – neuere Interpretationen der Oper heben dies hervor –, im Helden Tannhäuser den idealistischen Revolutionär und Künstler, den gesellschaftlichen Außenseiter und bürgerlichen Emporkömmling zu sehen, der sich nicht bereitwillig der hierarchisch gestuften und weitgehend klerikal beziehungsweise höfisch-militärischen Ordnung der Wartburg-Gesellschaft anpassen will, sondern als ,hilfloser Anarchist‘ (Udo Bermbach) permanent gegen deren Gesetze verstößt.154 Mit seinem ekstatischen Loblied auf Venus, die „Göttin der Liebe“ und „Quelle alles Schönen“, begeht Tannhäuser schließlich einen nicht wiedergutzumachenden Tabubruch, der den Einbruch der dunklen, unkontrollierbaren, bacchantisch-höllischen Venuswelt in die geordnete Welt der Wartburg-Gesellschaft zur Folge hat.155 Tannhäusers normverletzendes Verhalten kann nur durch den Opfertod der selbstlos liebenden Elisabeth sowie durch seine Verbannung aus der Gesellschaft und seinen eigenen Sühnetod wiedergutgemacht werden.156 Solche revolutionär-anarchistischen und gesellschaftskritischen Untertöne privilegieren eine Deutungsweise, die das Werk eher als prototypische Künst153 154

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Von Graevenitz: Mythos, S. 267f. Udo Bermbach: Tannhäuser − Der hilflose Anarchist, in: ders./Ulrich Müller/Matthias Vogt (Hrsg.): Individuum vs. Institution. Zur Urfassung (1845) von Richard Wagners Oper ,Tannhäuser‘, Leipzig 1996, S. 11–17. Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, 2. Aufzug, 4. Szene. Vgl. hierzu etwa Bermbach: Tannhäuser − Der hilflose Anarchist, S. 13, oder Mayer: Tannhäuser und die künstlichen Paradiese, sowie ders.: Tannhäuser als Außenseiter, in: ders.: Richard Wagner, hrsg. v. Wolfgang Hofer, Frankfurt a.M. 1998, S. 93–103.

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leroper sowie als eine dem Gedankengut der 1848er Revolution verpflichtete deutsche Revolutions- oder Nationaloper begreift und bestehende traditionale Ordnungen und Wertehierarchien hinterfragt, ja sogar demontiert. Mit dem Sängerstreit auf der Wartburg hatte Wagner „das Porträt der deutschen Sängerbewegung im Vormärz“ gezeichnet und dieser damit ein hör- und sichtbares Denkmal gesetzt.157 Auch Wagner selbst verstand seinen Tannhäuser in erster Linie als „ein großes Nationalmusikwerk“.158 Die frühe Rezeptionsgeschichte der Oper nahm das Werk auch in diesem Sinn auf; denn für die Musikkritik des 19. Jahrhunderts war Tannhäuser ein „unveräußerliches Gemeingut der deutschen Nation“, wie etwa der Kritiker Richard Pohl meinte.159 Nicht zuletzt durch Wagners Oper wurde die Wartburg in der Folgezeit zu einem „symbolischen Erinnerungsort der Deutschen“ stilisiert, der die Erinnerung an die Bibelübersetzung Luthers und das Wartburgfest von 1817 lebendig hielt und ihr hierdurch die „Aura eines heiligen Ortes“ verlieh.160 Die seit 1853 durch den Großherzog von Sachsen-Weimar wieder errichtete Wartburg stieg zusehends in den Rang eines Symbols deutscher Nationalkultur auf und avancierte zur Projektionsfläche einer Utopie nationaler Einheit und Größe. Hierbei stand nicht so sehr die detailgetreue Rekonstruktion ihrer ehemaligen Form im Vordergrund. Der architektonische Wiederaufbau war vielmehr Ergebnis einer ästhetischen Fiktion, die um die „Repräsentation früherer Bedeutung“ bemüht war, sollte die Wartburg doch in erster Linie „die nationalen Erwartungen der Deutschen symbolisch rechtfertigen“.161 Allerdings setzten in der Folgezeit erbitterte Deutungskämpfe um den Erinnerungsort Wartburg ein, die sich gerade an deren Semantik des Nationalen entzündeten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war unübersehbar geworden, dass hier gravierende Bedeutungsverschiebungen stattgefunden hatten, die auch die Rezeption von Wagners Wartburg-Oper Tannhäuser nicht unberührt ließen. Im Zuge der Reichseinigung büßte der Nationalismus seine liberal-demokratischen Züge zunehmend ein und wurde immer mehr zu einer konservativ-staatstragenden Ideologie. Das Raumsymbol Wartburg, das einstmals die revolutionär-liberalen politischen Ziele der Burschenschaften verkörpert hatte, wurde im Zuge dieser Entwicklung von einem spezifisch wilhelminischen Nationalismus okkupiert. Bezeichnenderweise war es Wilhelm II. selbst, der sich vehement in den Kampf um die geschichtspolitische Deutungshoheit des Wartburgmythos einschaltete und dem Großherzog 1901 ein riesiges Mosaik im Stil des um die Jahrhundertwende so beliebten

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Ther: In der Mitte der Gesellschaft, S. 365, Hervorh. im Original. Vgl. hierzu Wolfgang Schieder: Die Wartburg als politisches Symbol der Deutschen, in: Herfried Münkler/Hermann Danuser (Hrsg.): Deutsche Meister – Böse Geister? Nationale Selbstfindung in der Musik, Schliengen 2001, S. 15–35, hier S. 25. Ebd. Ebd. Ebd., S. 26.

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historischen Eklektizismus stiftete, das bald die neu errichtete so bezeichnete ,Elisabeth-Kemenate‘ zierte.162 Eine 1917 publizierte Arbeit über die Wartburg im Lauf der Jahrhunderte bekräftigte diesen nationalmonarchischen ,claim for power‘, indem sie den Schutz und die Förderung „eines starken Herrschergeschlechtes“ als ein die Wartburg in besonderer Form dignifizierendes Moment herausstellte.163 Dass Wilhelm II. zudem regelmäßig im Frühling die Wartburg besuchte, kann als ein weiteres Indiz für die geschichtspolitische Inanspruchnahme des symbolpolitisch relevanten Erinnerungsortes gewertet werden, der auf diese Weise zugleich immer mehr zu einer Arena „monarchischer Selbstdarstellung“ wurde.164 Folgerichtig stand das Vorhaben einer preußisch-monarchischen Fokussierung des Nationalgedankens auch am 16. Oktober 1894 im Mittelpunkt der offiziellen Wiesbadener Festlichkeiten, und wie die Wartburg selbst wurde auch Wagners Wartburg-Oper Tannhäuser als monarchisch-nationale Festoper in Szene gesetzt. Die zitathafte Reduzierung der Oper auf das Raumsymbol Wartburg zielte dabei in erster Linie auf die Popularisierung und Verfestigung eines nationalen Kaiser- und Reichskultes ab. Offenbar verfehlte diese Inszenierungsstrategie die Erwartungen des Publikums und der deutungskulturellen Eliten nicht: Einen Tag nach der Festvorstellung im Opernhaus nämlich äußerte sich der Weimarer Generalintendant Bronsart von Schellendorf im Rahmen eines von der Stadt Wiesbaden ausgerichteten Festmahls im Kreis ausgewählter Honoratioren besonders lobend über die Festvorstellung.165 Die erste Bewährungsprobe des Wiesbadener Theaters stufte er als „eine Gewähr dafür“ ein, „daß hier [...] eine Pflegestätte der Kunst“ emporblühe, die „das Banner des Idealismus“ hochhalte und sich gegen den „Ansturm der kunstfeindlichen Elemente“ behaupte.166 Der explizite Dank des Intendanten galt vor allem „unserem erhabenen Kaiser“, der sich als „Förderer und Beschützer unserer vaterländischen Kunst“ gezeigt habe.167 Den Angaben der Presse zufolge hatte das Wiesbadener ,Gesamtinszenierungskunstwerk‘ des 16. Oktober 1894 auch den Erwartungen des Monarchen entsprechen können, der sich lobend „über den Empfang, die Ausschmückung der Stadt, sowie das Denkmal“ äußerte und besonders seinem Intendanten die „Allerhöchste Anerkennung“ aussprach.168 Hülsen seinerseits versicherte dem Kaiser, dass Wiesbaden stets in „Dankbarkeit des Tages“ gedenken werde, „da sich ihm unter den Augen seines geliebten Kaisers und Herrn der neue Bau“ erschlossen ha-

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Ebd., S. 27. Wilhelm Nicolai: Die Wartburg im Wandel der Jahrhunderte, Dresden 1917, S. 6. Vgl. hierzu Schieder: Die Wartburg als politisches Symbol der Deutschen, S. 28. Wiesbadener General-Anzeiger, 19. Oktober 1894. Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894.

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be.169 Mit dem Festakt im Wiesbadener Theater hatten es der Kaiser und die deutungskulturellen Eliten des Reiches somit erfolgreich verstanden, sich die Verfügungsgewalt über eine symbol- und geschichtspolitisch bedeutsame Machtressource zu sichern. Zugleich aber – und dies relativierte den Erfolg der kaiserlichen Huldigungsapparatur und machte Tannhäuser zu einer äußerst ambivalenten Festoper – thematisierte Wagners Werk offen die Fragilität gesellschaftlicher und politischer Ordnungen: Aufgrund äußerer Bedrohung, vor allem aber in Folge innerer Zersetzung sieht sich die Wartburg-Gesellschaft im Verlauf der Opernhandlung zusehends mit der Gefahr des Verfalls konfrontiert. Wagner brachte das Misslingen der angestrebten Vergemeinschaftung durch Normverletzung und drohende Desintegration ebenso auf die Bühne wie einen im Endeffekt blassen und einflusslosen Inhaber weltlich-politischer Macht oder einen scheiternden idealistisch-charismatischen ,Künstler-Fürsten‘. Das Versagen der politischen Amtsträger wurde von Wagner als gleichsam inhärenter Mängel der politischen Ordnung entlarvt und an den Pranger gestellt. Durch ihr Unvermögen, das unberechenbar Andere und Chaotische der Venus-Gegenwelt zu integrieren und dem Außenseiter Tannhäuser einen Platz im sozialen Gefüge der Wartburg-Gesellschaft zuzuweisen, erweist sich diese Gesellschaft als zunehmend statisch und brüchig. Die Oper behandelte damit Problemlagen, die den Zeitgenossen vertraut sein mussten, etwa die Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Integration, nach gemeinsamen normativ-ethischen Fundamenten oder nach der Basis politischer Herrschaft und Verfassung. Der zweite Akt des Tannhäuser legte damit auch die tiefgreifenden Konfliktlagen und Gefährdungen der wilhelminischen Gesellschaft offen. Somit störte die Oper die angestrebte programmatische Eindeutigkeit des Festtages, wohnte ihr doch ein Moment des Zweifels und der Gebrochenheit inne, das die gesellschaftliche Realität in einer ganz anderen Weise deutete als dies die mitunter angestrengte Panegyrik der politischen Lobreden und des offiziösen Festspiels versuchten. Gerade die Komplexität und semantische Offenheit des Kunstwerks Oper ließ es nicht zu, Tannhäuser eindimensional als affirmative Hofdichtung oder -komposition zu deuten. Entsprechendes galt für die Wiesbadener Doppelfeier als solche. Ob bewusst oder unbewusst, war sich das Gros der journalistischen Beobachter darin einig, Zeuge eines in sich durchaus fragilen und ungewissen Unternehmens zu sein, dessen möglicher Bedeutungsüberschuss dem der Oper in nichts nachstand. Insbesondere stand für viele Berichterstatter die Frage nach der Reichweite und Strahlkraft der monarchischen Präsenz zur Debatte. Das Urteil der Zeitgenossen entschied zugleich darüber, ob Wilhelm II. – ähnlich dem thüringischen Landgrafen in Wagners Oper – dazu verurteilt sein sollte, 169

Siehe diesen Brief Georg von Hülsens an Wilhelm II. vom 31. Dezember 1894, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21198.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

künftig eine „zweitrangige Position“ zu besetzen und sich in „Prozessen von Machtverfall“ aufzureiben, oder ob es ihm gelang, seine Vision eines dynastisch geführten Nationalstaates im Medium der politischen Festkultur erfolgreich zu kommunizieren.170 In einer Reihe von Berichten tauchte daher wiederkehrend das Motiv des Kampfes und des Wettstreites auf, das auch den zweiten Tannhäuser-Akt dominierte. Einige Darstellungen wiesen dem Kaiser explizit die Rolle des um die Gunst seines Publikums Werbenden und Kämpfenden zu: Die Presse war sich bewusst, mit dem 16. Oktober 1894 dem Beginn einer „neue[n] Aera“ beizuwohnen, in der der Kaiser nur dann den Sieg „über die Herzen seiner Wiesbadener“ erringen könne171 , wenn er „die Bedürfnisse“ seines neuen „Landesteiles gerecht“ abwäge.172 Den Darstellungen des Wiesbadener Tagblatts zufolge sprach aus dem Verhalten des Wiesbadener Publikums allerdings eine Begeisterung, „wie sie hier [...] nicht oft erlebt worden ist. Der Kaiser kam, sah und siegte, so darf man mit Recht sagen“173 , und machte sich „durch seine Offenheit“ und „durch sein frohes Herz“ auch in Wiesbaden „wieder Tausende und Abertausende von Herzen seinem Zauber unterthan“.174 Mit diesen emphatischen Formulierungen offenbarte das Blatt eines der zentralen Konstruktionsprinzipien der kaiserlichen Huldigungsapparatur. Dem werbenden ,Kampf‘ um die Herzen der Wiesbadener wohnte ein Moment der Anstrengung und Ungewissheit inne, so dass das inszenatorische Geschick der deutungskulturellen Eliten wie auch der Presse vonnöten war, um diesen Sieg herbeizuführen. Der Beifall, der dem Monarchen in seiner Hofloge zum Abschluss des Abends entgegenbrandete, war somit das Ergebnis einer ebenso sorgsam wie zielstrebig verfolgten Strategie monarchischer Charismaerzeugung. Diesem Versuch der performativen Inbesitznahme des Opernraumes sowie der affektiven Überwältigung des anwesenden Festpublikums wohnte damit zugleich ein Element „ängstlicher Repräsentation“ inne.175 Die ,imaginäre Gemeinschaft‘ von Nation und Kaiser wurde als ein fragiles Gebilde sichtbar, das auf den ikonographischen und performativen Aufwand angewiesen war, um sich seiner Intaktheit versichern zu können. Es brauchte Institutionen und Räume, mit deren Hilfe das durch Hierarchien und Fremdheit gekennzeichnete Verhältnis zwischen Staat und Stadt, Zentrum und Peripherie, zwischen Monarch und Bevölkerung in ein vertraut-familiäres umgewandelt werden konnte. Das Theater erwies sich hierbei als ein Ort, an dem nationale Empfindungen evoziert und „Gemein-

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Bermbach: Die Machtlosigkeit der Mächtigen, S. 216ff. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. Wiesbadener Tagblatt, 17. Oktober 1894. Rheinischer Kurier, 16. Oktober 1894. So Fedor von Zobelitz in seinen Erinnerungen an „jene großen Tage Wiesbadens“ mit ihrem „Theaterglanz“, in: Hamburger Nachrichten, 28. März 1923.

4. Die Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden

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schaft exemplarisch imaginiert“, aber – wie es das Beispiel des Tannhäuser nahelegte – auch problematisiert werden konnte.176

4.4 Fazit Widersprüchlichkeiten prägten die Festlichkeiten des 16. Oktober 1894. Dies war zum einen darauf zurückzuführen, dass eine städtische Öffentlichkeit, die sich nicht nur über Interaktion und Rituale unter Anwesenden konstituierte, sondern der Logik massenmedialer Kommunikation folgte, die von professionellen Sinnproduzenten entworfenen politischen Weltbilder nicht fraglos übernahm und akzeptierte. Ein enormer inszenatorischer Aufwand war erforderlich, um die angestrebte affektive Bindung an den wilhelminischen Nationalstaat und seine Repräsentanten zu bewirken und die anwesenden Zuschauer und Festteilnehmer sowie die Angehörigen der Presse in die imaginäre Einheit von Kaiser und Nation zu integrieren. Zum anderen beruhte die latente Gebrochenheit der Doppelfeier auf der Auswahl der Festoper Tannhäuser, die sich nur bedingt als kaiserliche Huldigungsoper und als Kollektivsymbol nationaler Geschlossenheit und Größe interpretieren ließ, sondern eine semantische Vielschichtigkeit produzierte, die eine eindeutige Indienstnahme erschwerte, wenn nicht gar behinderte. Hier kann ein Befund bilanziert werden, der sich bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet hatte: Das Bemühen, den Kaiser als integratives Nationalsymbol zu installieren, ließ sich angesichts einer zusehends pluralistischen und massenmedial geprägten Öffentlichkeit kaum durchsetzen. Selbst in seiner bevorzugten Mairesidenz Wiesbaden präsentierte sich der Monarch mit dem Risiko des Scheiterns, denn auch hier trat die Ambivalenz der pompösen wilhelminischen Festkultur sichtbar zutage. Dennoch begründete die Wiesbadener Doppelfeier eine städtische Festtradition, die sich in den folgenden Jahren als ausgesprochen wirkmächtig erweisen sollte. Die Fesseln ,ängstlicher Repräsentation‘ ließen sich kaum vollends abstreifen, aber die 1896 ins Leben gerufenen Kaiserfestspiele boten die Möglichkeit, mit den inszenatorischen und massenmedialen Möglichkeiten der kulturellen Moderne gegen deren destabilisierende Mechanismen anzukämpfen.177

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Matthes: Das öffentliche Auge, S. 419. Vgl. hierzu Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele).

5. Gipfel- und Schlusspunkt einer Epoche: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele (1896–1914) „Und wieder kam der Mai gegangen, Blüten im Haar, vom Krönungskleid Des blonden Baldur reich umfangen Und – unsere Herzen werden weit! Das sind des Jahres Feierstunden, In denen, Veilchen in der Hand, Der Frühling seinen Weg gefunden Am Rhein entlang in’s deutsche Land! Laßt weh’n die schwarz-weiß-roten Flaggen Als Willkommzeichen unserm Gast, Wenn er im Land der Mattiaken Einkehrt zu liebgewordner Rast, Und sorgt, daß sich die Kunst der Bühne Mit der Natur hier würdig paart – Dann lacht der Mai mit heller Miene Des deutschen Kaisers Taunusfahrt!“1

5.1 Ein Bayreuth für den Kaiser Das Jahr 1896 markierte für Wiesbaden eine bedeutsame Zäsur. In diesem Jahr richtete die Stadt zum ersten Mal mit großem Aplomb die so bezeichneten Mai- oder Kaiserfestspiele aus, die noch lange über die Ära des Wilhelminismus hinaus zu ihrem erklärten Markenzeichen werden sollten. Die Maifestspiele waren im Kontext einer umkämpften Fest- und Erinnerungskultur angesiedelt. Um schichten- und parteiübergreifend integrativ wirksam werden zu können und die Strahlkraft des Kaiserreiches nach innen und außen unter Beweis zu stellen, knüpften die Maifestspiele bewusst an Prozesse der nationalen Sinnstiftung an. Von Anfang an wurden sie als Emanation eines patriotischen Kaiserkultes wahrgenommen, da es – so die Einschätzung der Zeitgenossen – in erster Linie dieser „Glanz des modernen Kaisertums“ sei, der den Festspielen ihren „äußerst fesselnden und imposanten Reiz“ verleihe.2 1

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Wilhelm Clobes: Des Kaisers Taunusfahrt, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 2, H. 6 (1912), S. 206f. So der Kritiker Alfred Holzbock in: Bühne und Welt 1/1899, S. 370.

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Schon vor der Etablierung der Festspiele erreichte die „frühjährliche Hochsaison“ Wiesbadens im Mai „ihren Höhepunkt“; denn regelmäßig fanden dann „Massen“ von Kurgästen ihren Weg in die Stadt, brachte jeder Tag „neue Scharen“ von Reisenden.3 Mit den Festspielen und den häufigen Besuchen des Kaisers konnte Wiesbaden seine besondere „Anziehungskraft“ nochmals steigern, denn nun wurde die Kurstadt im Frühjahr unbestritten „zum Sammelpunkt der ganzen vornehmen Welt“.4 Sportwettkämpfe, Bankette, Feuerwerke und Militärparaden wetteiferten darum, „dem kaiserlichen Gaste wie den abertausenden von Kurgästen festliche Stunden bei angenehmer Erholung zu bieten“.5 Dem Gros der „rauschenden Festlichkeiten“ hielt sich Wilhelm zumeist fern, und außer den Festvorstellungen des Hoftheaters und dem Festkonzert der Kurverwaltung besuchte er offizielle Veranstaltungen in der Regel kaum.6 Umso markanter profilierte sich das Hoftheater als Zentralort staatlicher Repräsentation und höfischer Pracht, war der deutsche Kaiser doch zugleich „Veranstalter“, „Huldigungsobjekt“ und „ranghöchster Zuschauer“ der Festspiele.7 Die Maifestspiele gingen sehr wahrscheinlich auf eine Anregung des Wiesbadener Intendanten Georg von Hülsen zurück, der das Prestige der Wiesbadener Hofbühne steigern8 und einem von ihm diagnostizierten „krankhaften, krassen Realismus“ die „wahre Kunst“ des „Idealismus“ entgegensetzen wollte.9 Hülsen unterstützte damit die nationalkonservative Kunstauffassung Wilhelms II.10 Zum Teil lässt sich die Initiative wohl aber unmittelbar auf Wilhelm selbst zurückführen, der, angeregt durch die Bayreuther Festspielidee, an dem Gedanken einer die „deutsche Nationalliteratur

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Anders: Wiesbadener Maientage, S. 198. Ebd. Ebd., S. 198f. Ebd., S. 200. Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 10. Vgl. hierzu Istas: Das ehemals königliche Hoftheater, S. 255. Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 58f. Das künstlerische Niveau der Wiesbadener Festspiele unter Georg von Hülsen polarisierte bereits die Zeitgenossen immer wieder, so dass ein ausgewogenes Urteil heute umso schwerer scheint. Die Vorliebe des Intendanten für die Zurschaustellung des gewaltigen Wiesbadener Bühnenapparates, für die Inszenierung großer Massenszenen setzten Hülsen immer wieder dem Vorwurf aus, eine vornehmlich tendenziöse und höfischservile Kunstauffassung zu vertreten. Sicher sind diese Anschuldigungen nicht von der Hand zu weisen, doch ist ebenso in Rechnung zu stellen, dass der ,Kavalierintendant‘ Hülsen offenbar über ein sensibles künstlerisches Urteilsvermögen verfügte, das ihn immer wieder erstklassige MusikerInnen und SängerInnen wie etwa Lilli Lehmann oder Hans Richter für Wiesbaden verpflichten ließ. Wenngleich ihn sein eher konservativer Kunstgeschmack davon abhielt, sich den Herausforderungen der klassischen Moderne zu stellen, hinderte ihn aber eben diese Kunstauffassung in gleichem Maß auch daran, den so beliebten Operetten, Possen und Lustspielen im Spielplan der Wiesbadener Hofbühne einen zu großen Raum zu gewähren.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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und Musik“ feiernden Gedenkstätte Gefallen fand.11 Im Festspielprogramm konzentrierte sich Hülsen zumeist auf die Inszenierung klassischer Schauspiele und Opern, die dem Publikum in besonders aufwendigen so bezeichneten ,Wiesbadener Bearbeitungen‘, Erstaufführungen oder Neueinrichtungen präsentiert wurden: Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Schiller, William Shakespeare oder Friedrich Hebbel waren so etwa regelmäßig auf dem Spielplan der Festspiele zu finden. Mit dem Plan einer so genannten ,Hohenzollern‘-Tetralogie wurde zudem der Versuch unternommen, eine eigenständige höfisch-nationale Festspieltradition ins Leben zu rufen und Wiesbaden zu einem „kleinen Bayreuth der dramatischen Muse“ zu machen.12 Allerdings dominierte ab 1899 die Oper das Festspielprogramm der Maifestwochen: Spieloper, romantische Oper und Große Oper kamen hierbei am häufigsten zur Aufführung. Hülsen entwickelte rasch eine Vorliebe für besonders pompöse „Prima-Schauopern“,13 die – wie beispielsweise Christoph Willibald Glucks (1714–1787) Armide oder Giacomo Meyerbeers (1791–1864) Die Afrikanerin – oftmals als „,Haupt-Spektakel‘ der Festspiele eine bemerkenswerte Renaissance erlebten“.14 Beim Publikum waren die prunkvollen Operninszenierungen trotz höherer Preise oftmals beliebter als die ausgewählten Schauspiele.15 Obgleich Wiesbaden maßgeblich auf ein internationales Publikum angewiesen war16 und die Spielpläne daher während 11

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Heinrich Stümcke: Die Festspiele auf dem Wiesbadener Hoftheater. Ein kunstpolitischer Traktat, in: Bühne und Welt, Ausgabe ohne genaue Jahresangabe, in: StAW, Ordner ,Kaiserfestspiele/ Maifestspiele‘ 1896–1939, S. 769–784, hier S. 770. Berliner Illustrierte Zeitung, 21. Mai 1899. Vgl. dazu ausführlicher Kapitel II.5.2 (Burggraf und Eisenzahn). Frankfurter Zeitung, 8. Juni 1903. Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele, S. 26. Im Vorfeld der Festspiele des Jahres 1913 vermeldete die Intendantur beispielsweise am 2. Mai, dass bereits alle Karten für die Vorstellungen des Oberon und des Freischütz ausverkauft, während für die beiden Schauspiele Flachsmann als Erzieher und Der Verschwender noch Karten zu haben seien. Siehe in: Akten der Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Festspiele 1913, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 69, Blatt 86. Bereits 1903 hatten über 150 000 Gäste die Stadt Wiesbaden besucht, darunter mehr als 23 000 ausländische Reisende. Bis 1913 war hier ein permanenter Zuwachs zu verzeichnen, denn von rund 192 000 Kurgästen reisten im letzten Friedensjahr circa 40 000 aus dem Ausland an (aus: Österreich-Ungarn: 2276, Schweiz: 1166, Frankreich: 1961, NordAmerika: 5726, Süd-Amerika: 556, England: 5554, Russland: 9341, Holland: 7841, Belgien: 2429, Italien, Schweden-Norwegen, Dänemark, Spanien und sonstige Länder: 3200). Damit war die Anzahl der Kur- und Feriengäste fast doppelt so hoch wie die der Einwohner Wiesbadens. Siehe diese Angaben bei Herbert Müller-Werth: Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden. Unter besonderer Berücksichtigung der letzten 150 Jahre, Wiesbaden 1963, S. 118. Siehe in: Bericht des Wiesbadener Magistrats über die „Einwirkungen des Krieges auf das Wirtschaftsleben der Stadt Wiesbaden“ vom 1. Dezember 1918, in: StAW, Akten der Städtischen Kurverwaltung betrf. Weltkrieg 1914– 1918, Bestand WI/2, Nr. 1721.

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der Festspiele auch ausländische Autoren und Komponisten vorzuweisen hatten, spielte im Rahmen der Maifestwochen der Aspekt des nationalen Festes stets eine besonders herausragende Rolle. Kanonische Werke der deutschen Romantik wie Carl Maria von Webers wiederholt in das Programm der Festspiele aufgenommene Oper Der Freischütz entsprachen – so das Votum der Zeitgenossen – ganz besonders „dem „nationale[n] Empfinden“ der Zuschauer, da sich hier „das innerste Wesen des Volksgemüthes“ manifestiere und „die deutsche Romantik mit ihrer schwärmerischen Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen und Dämonischen“ Einzug auf die Opernbühne halte.17 Damit wurde der Inszenierung dieser Oper ausdrücklich der Status einer „nationale[n] Tat“ zuerkannt, halte das Werk doch die Erinnerung an jene Ära lebendig, in der der Freischütz die deutsche Oper von der „Herrschaft fremdländischer [...] Kunst“ gerettet und „den fast verlorenen Glauben an die Größe und Bedeutung des deutschen Genius“ auf „musikalischdramatischem Gebiet“ entzündet habe.18 Ihre besondere Wirkmacht entfalteten die Wiesbadener Festvorstellungen somit aufgrund der expliziten Bezugnahme auf nationale Mythen, Geschichtsbilder und Integrationssymbole. Zudem bestachen sie durch ihre Aura des Außeralltäglichen und Exquisiten, machten doch die „angenehmen Nervenreize“, die das Publikum sowohl „von der Kaiserloge“ als auch von „den Szenenwundern“ empfing, das besondere Fluidum der Kaiserfestspiele aus.19 Die Oper war auf diesem Weg in den Prozess der kulturellen Codierung des Nationalen und eines obrigkeitlichen Nation-building einbezogen. Mit ihrer spezifischen und selektiven Verbindung politischer und ästhetischer Elemente stellten die Maifestspiele freilich keinen Einzelfall dar. Erst vor dem Hintergrund einer das 19. Jahrhundert prägenden Musik- und Festspielkultur gewinnen sie ihre individuelle Kontur. Bürgerliche Musikfeste – etwa das 1818 ins Leben gerufene Niederrheinische Musikfest – hatten seit den Tagen des Vormärz die nationale Festkultur des 19. Jahrhunderts geprägt und die massenmedial wirksame und sozial integrative Verquickung politischer Weltbilder und ästhetischer Inszenierungen unter Beweis gestellt.20 Dabei entstanden die bürgerlichen Musikfeste eigentlich aus einem defizitären Gefühl heraus: Immer drängender artikulierte sich innerhalb der bildungsbürgerlichen Schichten die Sorge, dass die Musik ihre gesellschaftliche Bedeutung zunehmend eingebüßt habe. Vielfach wurde beklagt, dass sich der Konzert- und Opernbetrieb immer mehr auf einen kleinen Kreis Privile17 18 19 20

Siehe diese Darstellung von Carl Maria von Webers Freischütz in: Programmheft der Wiesbadener Maifestspiele 1905, 17.–20. Mai, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 762. Wiesbadener Tagblatt, 9. Mai 1913. Ebd. Cecilia Hopkins Porter: The new public and the reordering of the musical establishment: The Lower Rhine Music Festivals, 1818–1867, in: 19th Century Music 3/1980 (März), S. 211–224, hier S. 211.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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gierter beschränke.21 Im Rahmen der Bewegung des Vormärz wurde darum der Ruf nach einer Musik laut, die die volkstümlich-nationalen Empfindungen der eigenen Gegenwart aufnehmen und sich aktiv mit den politischen und sozialen Veränderungen auseinandersetzen sollte.22 Ästhetische und musiksoziologische Konzepte reflektierten diesen sich wandelnden Status der Musik23 und dokumentierten zugleich den wachsenden Einfluss des städtischen Bürgertums im öffentlichen Musikleben des frühen 19. Jahrhunderts.24 Musik galt nicht länger als ein vornehmlich amüsant-trivialer Zeitvertreib; vielmehr nahm man sie als einen sozialen und gesellschaftspolitischen Faktor ernst. Vor diesem Hintergrund erlangten die Musikfeste des 19. Jahrhunderts eine wachsende gesellschaftspolitische Bedeutung, wurde ihnen nun doch geradezu der Status von „vaterländischen Unternehmen“ zugesprochen.25 Auch nach dem Scheitern der politischen Forderungen des liberalen Bürgertums blieb dieses Konzept einer alle Standesunterschiede nivellierenden, erzieherisch-sittlich wirkenden und Gemeinschaft stiftenden Nationalkultur Herzstück einer sich in erster Linie über den Bereich der Kultur definierenden bürgerlichen Identität.26 Einen Höhepunkt erreichten diese an Aufklärung und Frühromantik anschließenden Theaterreformbestrebungen des 19. Jahrhunderts in der Festspielidee Richard Wagners, die – wie die zentralen Schriften Die Kunst und die Revolution (1849), Das Kunstwerk der Zukunft (1849) und Oper und Drama (1850/51) nahelegen – zugleich als ästhetisches Programm und als gesellschaftspolitische beziehungsweise sozialutopische Vision gedeutet werden kann.27 Wagners Festspielkonzept war zwar keineswegs frei von Ambivalenzen und Inkonsistenzen28 , kreiste aber 21

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Vgl. hierzu Ernst Lichtenhahn: Das bürgerliche Musikfest im 19. Jahrhundert, in: ders./ Paul Hugger/Walter Burkert (Hrsg.): Stadt und Fest. Zur Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur, Stuttgart 1987, S. 161–180, S. 161f. Ebd., S. 162. Ebd. Vgl. auch Hopkins Porter: The new public and the reordering of the musical establishment, S. 224. Vgl. Lichtenhahn: Das bürgerliche Musikfest, S. 162f. Vgl. Winfried Gebhardt/Arnold Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich. Die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele und ihr Publikum. Eine kultursoziologische Studie, Konstanz 1998, S. 34. Ebd. Der Analyse Gebhardts und Zingerles zufolge changierte die Festspielidee Wagners zwischen zwei Extremen: Einerseits spielte die noch in den Jahren des Schweizer Exils entwickelte Idee des demokratischen Festes eine zentrale Rolle im Denken Wagners. Hier war es der „geniale Künstler“, der dem „ganzen Volk“ den Sinn der Revolution deutete und diesem damit den Weg in eine „neue, glücklichere und humanere Zukunft“ wies. Auf der anderen Seite markierte die in den Münchener Jahren entstandene „Vision einer ,mythischen Andachtsfeier‘“, in der der gleichsam als Priester oder Prophet auftretende Künstler einer kleinen „Schar von Auserwählten“ ein Offenbarungserlebnis gewährte, eine weitere Grundüberzeugung Wagners. Eine explizite Entscheidung „für das eine und gegen das andere“ habe Wagner – so die Aussage der Autoren – nie getroffen, so dass

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gleichfalls um die Bestimmung des Verhältnisses von Politik und Ästhetik und sollte in der Idee eines alle Künste synthetisierenden Gesamtkunstwerkes seine plastische Form finden. In seiner Gegenwartsanalyse unterzog der Komponist die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts einer vehementen Kritik, spiegelte diese für ihn doch die „abgestumpfte, entstellte, bis zur Ausdruckslosigkeit geschwächte Physiognomie der Geschichte“ wider, die er darum in erster Linie als Verfallsgeschichte deutete.29 Alle „lebendige Energie der historischen Erscheinungen“, so monierte Wagner, stumpfe in dem Grad ab, in dem die bürgerliche Gesellschaft darauf bedacht sei, allein „im Staat ihre Forderungen zur Geltung“ bringen“.30 Dem Künstler Wagner schien der bürgerliche Mensch der Moderne durch eindimensionale Rationalität und isolierende Subjektivität gezeichnet zu sein, erinnere doch seine „verschrumpfte, ekelerregende Gestalt“ „in Nichts“ mehr an den „wahren Menschen, wie wir aus der Fülle seines natürlichen Wesens ihn in Gedanken uns vorgestellt hatten“.31 Wagners ästhetisches und gesellschaftsvisionäres Konzept des Gesamtkunstwerkes sollte entsprechend darauf hinwirken, aufs Neue die „unter dem Schutte der historischen Zivilisation“ verborgen rieselnde „Quellader“ eines authentischen Lebens zu erschließen32 und einen sinnhaften, die vermeintliche Notwendigkeit der Geschichte transzendierenden „Zusammenhange der Erscheinungen“ herzustellen.33 Die ,wahre‘ menschliche Natur – davon zeigte sich Wagner überzeugt – könne nur in der Gemeinschaft und im lebendigen Austausch mit anderen wieder geweckt werden. Kollektive menschliche Erkenntnis- und Ausdrucksfähigkeit manifestierten sich für ihn vor allem in der bewussten Rückkehr zum Mythos, den er als die „gemeinsame Anschauung vom Wesen der Erscheinungen“ definierte.34 Der Mythos fungierte somit als Schlüssel, der die Wiederaneignung der Welt ermöglichte. Hier manifestierte sich für Wagner der „Gestaltungstrieb des Volkes“ am eindrücklichsten, verwirkliche hier doch der „gottschöpferische“ Mensch seinen „sehnsüchtigen Wunsch“, „sich und sein eigenstes Wesen“ „in dem dargestellten Gegenstande wieder zu erkennen“.35 In diesem Prozess der Welterschließung und -deutung sah Wagner zugleich das Wesen der Kunst begründet: Durch die schöpferischen Möglichkeiten seiner Vorstellungs- und Einbildungskraft nämlich könne „das Volk“ „alle nur denkbaren Realitäten

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auch den ersten Bayreuther Festspielen „keine einheitliche Konzeption zugrunde liegt.“ Vgl. ebd., S. 33. Richard Wagner: Oper und Drama, in: ders.: Dichtungen und Schriften, Bd. 7, hrsg. v. Dieter Borchmeyer, Frankfurt a.M. 1983, S. 174. Ebd. Ebd., S. 175. Ebd., S. 368. Ebd., S. 152. Ebd., S. 154. Ebd., S. 153.

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und Wirklichkeiten“ plastisch zusammenführen und so im Mythos „zum Schöpfer der Kunst“ werden.36 Das von Wagner erhoffte Kunstwerk der Zukunft sollte mit seinem Rückbezug auf den Mythos eine „zweite, utopische Realitätsebene“ erschließen.37 Indem er der Kunst einen geradezu radikalen Anspruch auf Authentizität, Identität und Wahrheit einräumte, überantwortete der Komponist und Dichter ihr zugleich eine revolutionäre gesellschaftspolitische Aufgabe, die letzten Endes auf die Überwindung der politischen Ordnung im Sinne staatlicher Institutionalität abzielte. Der von Wagner seit dem Scheitern der 1848er Revolution immer mehr als „Ausdruck entfremdeter Verhältnisse“ und als „Symbol einer wahrheitslosen Zeit“ erlebte Bereich des Politischen sollte im Kunstwerk der Zukunft aufgelöst beziehungsweise zu seiner eigentlichen Bestimmung zurückgeführt werden.38 Dabei erhob er den Künstler zur visionären Führer- und Lichtgestalt, war er es doch, der den Weg in eine authentische Existenz weisen sollte: Wo der „Staatsmann“ verzweifele, der Politiker „die Hände sinken“ lasse, wo sich der „Sozialist mit fruchtlosen Systemen“ abplage und selbst der Philosoph „nur noch deuten, nicht aber vorausverkünden“ könne, verleihe der Künstler einer „noch ungestaltete[n] Welt im Voraus“ Form, Inhalt und Ziel.39 Der Künstler-Prophet war damit Exeget der sozialutopischen Idee des Gesamtkunstwerks, zugleich aber auch Reformator und Sozialingenieur, der die numinosen Qualitäten des Kunstwerks gegen den wachsenden Skeptizismus der Moderne verteidigte und diese dadurch zugleich lenkend mitgestaltete.40 Zeitgenossen Wagners, die sich wie dieser mit den tiefgehenden Transformationsprozessen des 19. Jahrhunderts auseinandersetzten, schenkten seiner Idee des Gesamtkunstwerks von Anfang an ihre Aufmerksamkeit. Friedrich Nietzsches Auseinandersetzung mit Wagners Werkidee ist dabei besonders eingehend dokumentiert und analysiert worden. Nietzsche war vom Opernschaffen Wagners fasziniert und bezeichnete die Bayreuther Festspielidee in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen – und damit zu einem Zeitpunkt, an dem er sich noch nicht mit Wagner überworfen hatte – als die „Morgen-Weihe am Tage des Kampfes“.41 Wagners Kunst bestimmte er als Gegenteil eines kompensatorischen „Heil- und Betäubungsmittel[s]“, „mit dem man alle übrigen elenden Zustände von sich abtun“ könne.42 Vielmehr 36 37 38 39 40 41

42

Ebd. Bermbach: Ästhetik statt Politik?, S. 21. Gebhardt/Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich, S. 40. Wagner: Oper und Drama, S. 368. Vgl. hierzu auch Martin Geck: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen Idealismus, Stuttgart 1993, S. 437. Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth [1876], in: ders.: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Bd. 1, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1988, S. 429–510, hier S. 451. Ebd.

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sah er im Festspielkonzept Wagners das Abbild des „tragischen Kunstwerks“, das den „Kampf “ mit „allem“ aufnehme, was dem Einzelnen „als scheinbar unbezwingliche Notwendigkeit entgegentritt, Macht, Gesetz, Herkommen, Vertrag“.43 In Wagner bewunderte Nietzsche den großen Zertrümmerer jener politischen „Ordnungen der Dinge“, denen im Kunstwerk der „Schein einer einfacheren Welt, einer kürzeren Lösung der Lebens-Rätsel“ entgegengestellt werden konnte.44 „Je schwieriger die Erkenntnis von den Gesetzen der Lebens“ werde, so die Überzeugung Nietzsches, desto verzweifelter suche der moderne Mensch „nach dem Scheine jener Vereinfachung“ der Welt.45 „Damit der Bogen nicht breche“, so sein Resümee, „ist die Kunst da“, die dem einzelnen als „etwas Heiliges“ begegnen und ihm das Wissen um jene überpersönliche Ganzheit vermittle, mit der der moderne Mensch seinem „persönliche[n] Ungenügen“, seinem „Halb- und Unvermögen“ entgegentreten könne.46 Seine ganzheitliche Aura, das heißt seine besondere Qualität ästhetischen Erlebens, konnte dieses revolutionäre ,Kunstwerk der Zukunft‘ allerdings nur dann entfalten, wenn es zum Gegenstand bewusster, außeralltäglicher Erfahrung wurde.47 In der Routine des Theateralltags musste der visionäre Appell des auratischen Kunstwerks hingegen ungehört verhallen, die Essenz des mythischen Kunsterlebnisses dem Unterhaltungsverlangen des Publikums zum Opfer fallen.48 Erst wenn die Kunst die Routine des Theaterbetriebs auch räumlich hinter sich lasse, so Wagners Überzeugung, könne sie ihre numinose Kraft als öffentlich-kollektives Heilserlebnis entfalten. Diesen zentralen Aspekt seiner Festspielidee suchte Wagner schließlich in Bayreuth zu verwirklichen. Die Errichtung eines eigenständigen Festspielbaus inmitten einer ländlich-abgeschiedenen Idylle war unabdingbare Voraussetzung für eine Veränderung der eingeschliffenen Seh- und Hörgewohnheiten der Zuschauer. Nur an einem solchen Ort war die Möglichkeit der „theatralen Epiphanie“ gewährleistet, die dem Kunstwerk seine ihm eigentümliche Aura zurückgeben und selbst eine „ästhetische Öffentlichkeit“ konstituieren konnte.49 Die revolutionäre Qualität des Gesamtkunstwerkes sollte die Kunst damit zu sich selbst zurückführen und sie befähigen, ihre Funktion als ein Medium der Offenbarung, der ästhetisch hervorgebrachten Selbstreflexion und endlich

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Ebd. Ebd., S. 451f. Ebd., S. 452f. Ebd., S. 451ff. Zum Begriff der Aura und des auratischen Kunstwerks bei Wagner vgl. allgemein Sven Friedrich: Das auratische Kunstwerk. Zur Ästhetik von Richard Wagners MusiktheaterUtopie, Tübingen 1996, S. 207. Vgl. Gebhardt/Zingerle: Pilgerfahrt ins Ich, S. 41. Friedrich: Das auratische Kunstwerk, S. 193.

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der Erlösung wahrzunehmen. In einem schöpferischen und zugleich unitären Akt sollte dadurch ein neuer, geläuterter Mensch hervorgebracht werden.50 Indem sie die integrativen und Idenität stiftenden Facetten einer deutschen Nationalkultur betonten und auf die auratischen Qualitäten der Kunst vertrauten, knüpften die Wiesbadener Festspiele an die Traditionen des bürgerlichen Musikfestes und der Bayreuther Festspielidee an. Wie diese können sie als szenisch-performatives Medium kollektiver Selbstreflexion beschrieben werden.51 Die Maifestspiele taten sich darüber hinaus mit ihrer spektakulären Inszenierung von Außeralltäglichkeit hervor: Ihr spezifisches Anliegen war es, kaiserliches Charisma mit nationalstaatlicher Einheit und Größe zu verbinden. Die performativ herbeigeführte Evokation und Entfesselung nationaler Emotionen zielte darauf ab, innen- wie außenpolitische Legitimation zu sichern und erhob das Theater somit gezielt zum Generator politischer Prozesse. Während die Bayreuther Festspielidee allerdings als eine politische Utopie beschrieben werden kann, die – dem Willen Wagners entsprechend – bewusst ein widerständig-revolutionäres Kunstverständnis propagierte, das Ästhetik an die Stelle von Politik treten lassen wollte, können die Wiesbadener Festspiele als affirmatives Ritual gedeutet werden.52 Hier stand die geschichtspolitische Legitimierung, Bestärkung und Festigung des Bestehenden im Zentrum. Ein spezifisches Arrangement institutioneller Rahmenbedingungen war notwendig, um die besonderen programmatischen und zeremoniellen Anforderungen einer solchen Festspielidee zu konkretisieren. In enger Anlehnung an die Vorgaben des Hofes verfolgte Intendant Hülsen eine Strategie obrigkeits- beziehungsweise nationalstaatlichen Self-fashionings. Allerdings sollte es eine Reihe von Jahren in Anspruch nehmen, ehe die Wiesbadener Festspiele zu ihrer endgültigen Form gefunden hatten und sich von ihrem Bayreuther Vorbild, aber auch aus ihrer anfangs noch sehr pointierten Programmatik preußisch-protestantischer Herrscherpanegyrik lösen und als nationale Festspielstätte etablieren konnten. Erst mit einigen der bereits erwähnten so genannten ,Wiesbadener Spezial-Einrichtungen‘ gelang es dem Intendanten schließlich, den Kaiserfestspielen ein eigenes charakteristisches Profil zu verleihen. Nachfolgend sollen daher einzelne Etappen in der Entwicklung der Festspiele nachgezeichnet werden, die die jeweils charakteristischen Elemente dieser regional, aber auch (inter-)national beachteten Festspieltradition konturieren. In einem ersten Schritt werden die bewusst an die Bayreuther Festspielidee anknüpfenden Hohenzollern-Dramen Joseph Lauffs in den 50 51

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Vgl. hierzu allgemein ebd. Vgl. hierzu auch Peter von Matt: Die ästhetische Identität des Festspiels, in: Balz Engler/Georg Kreis (Hrsg.): Das Festspiel. Formen, Funktionen, Perspektiven, Willisau 1988, S. 12–28, hier S. 14. Bermbach: Ästhetik statt Politik?, S. 21.

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Blick genommen werden, ehe in einem zweiten Schritt die berühmteste und erfolgreichste der ,Wiesbadener Spezialeinrichtungen‘, Hülsens Bearbeitung von Carl Maria von Webers Oper Oberon, vorgestellt werden wird. Die Maifestspiele sollen dabei als spezifischer Bestandteil eines Moderne-Diskurses vorgestellt werden: Nicht so sehr die archaisierend-rückständigen Momente einer konservativen Kunst- und Kulturpolitik oder die vermeintlich an überkommenen Traditionen orientierten Repräsentationsbestrebungen eines reaktionären Monarchen stehen hier im Zentrum. Vielmehr geht es darum, die eigenständigen und genuin neuartigen Elemente herauszumodellieren, die die Wiesbadener Festspiele auszeichneten und den Facettenreichtum einer kulturellen Moderne aufscheinen lassen, die gegenläufige und heterogene Entwicklungslinien zuließ.

5.2 Burggraf und Eisenzahn: Die Hohenzollerndramen Joseph Lauffs bei den Maifestspielen So sehr sich die Programmatik Wiesbadens auch von der Bayreuths unterschied, auf Wagner wollten und konnten die Maifestspiele nicht verzichten. Als Ikone nationalkultureller Größe besaß Wagner in den Jahren nach 1870/71 eine nahezu unangefochtene Autorität. Der Erfolg der ersten Aufführung von Wagners Ring des Nibelungen im Bayreuther Festspielhaus 1876 hatte einen bislang ungekannten Künstler- und Heroenkult um die Person des Komponisten entfacht. Wagner war zum Inbegriff des „schaffenden Meisters“53 geworden, und seine Rolle als Hohepriester deutscher Nationalkultur schien mitunter beinahe religiöse Züge anzunehmen: „In nature and degree“, so Frederic Spotts in seiner Geschichte der Wagner-Festspiele, „this Wagnermania was unprecedented, quite unlike the devotion inspired by any other composer, or indeed by any other artistic creator in any field. It was almost religious in its fanaticism and self-sacrificing dedication“.54 Vor allem in den 1890er Jahren dominierte Wagners Opernschaffen auch die Spielpläne des Wiesbadener Theater- und Festspielbetriebes. Bereits die ersten Maifestspiele 1896 standen ganz im Zeichen des Bayreuther Meisters: Neben Mozarts Zauberflöte standen Tannhäuser, Der fliegende Holländer, Die Meistersinger von Nürnberg sowie Lohengrin und Die Walküre auf dem Programm.55 Für die Festaufführung der Meistersinger am 14. Mai war es Hülsen sogar gelungen, 53 54 55

Siehe in: Programmheft der Wiesbadener Festspiele anlässlich der ersten Aufführung der Ring-Tetralogie im Wiesbadener Theater (19.–24. Mai 1899). Frederic Spotts: Bayreuth. A history of the Wagner Festival, New Haven/London 1994, S. 6. Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele, S. 216ff.

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Hans Richter (1843–1916), der 1876 die erste komplette Aufführung des Ring des Nibelungen in Bayreuth dirigiert hatte und seit 1875 als Kapellmeister der Wiener Hofoper sowie als Dirigent der Philharmonischen Konzerte eine Vorrangstellung im Musikleben Wiens bekleidete, zu gewinnen.56 Anlässlich der Festspiele des Jahres 1899 fand die erste Wiesbadener Gesamtaufführung des Ring des Nibelungen statt.57 Auch Wilhelm II. war lange Zeit vom Werk und der Wirkung Richard Wagners fasziniert gewesen. Seit einem Besuch in Bayreuth 1887 von der „nationalen Bedeutung der Bayreuther Aufführungen“ überzeugt, bewunderte er Wagners Musikdramen besonders aufgrund ihrer – so Wilhelm – „veredelnden Wirkung“, die er „auch auf weitere Kreise“ ausgedehnt sehen wollte.58 Vor allem Wagners Umgang mit mittelalterlichen Sagen- und Legendenmotiven sowie mit mythologischen und geschichtlichen Stoffen begeisterte den jungen Monarchen, der „im Gewande der kraftstrotzenden germanischen Sagenwelt“ die „Blüte des deutschen Geistes“ zu erblicken glaubte.59 Der beinahe kultischen Wagner-Verehrung seiner Zeitgenossen schloss sich der Kaiser insofern an, als er sich bei einigen seiner öffentlichen Auftritte als überzeugter Wagnerianer präsentierte. Zur Einweihung des Hamburger Freihafens im Jahr 1888 ließ er den für ihn bestimmten Alsterdampfer mit einer überdimensionalen und reich vergoldeten Figur eines Schwanes dekorieren. Dies erinnerte absichtlich an Wagners Schwanenritter Lohengrin, dessen Persona numinoser Heldenhaftigkeit sich der junge Kaiser aneignete, als er – begleitet von „Hunderte[n] von Sportbooten“ und umgeben von „Scharen ,richtiger‘ weißer Schwäne“ – von der Außenalster bis hin zur Landungsstelle am Jungfernsteig entlang fuhr.60 Diese in ihrem gravitätischen Gestus heute beinahe peinlich anmutende Episode zeigt, wie konsequent die „Wagnersche Mythologie“ in die „Wilhelminische Bilderwelt“ überging, sie belegt jedoch zugleich, wie geschmeidig der Monarch auf die medialen Möglichkeiten und Anforderungen seiner Zeit reagierte61 : Angefangen vom „Hupensignal des Kaisers“, das unschwer als eine „Simplifizierung des Donnermotivs aus dem Ring“ zu erkennen war, über die „eklektische Architektur falscher Ritterburgen“ bis hin zu den „aggressiven Traummodellen des neudeutschen 56 57 58

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Vgl. hierzu Schwitzgebel: Freudig begrüßen wir die edle Halle, S. 15, sowie Louis de La Grange: Wien. Eine Musikgeschichte, Frankfurt a.M./Leipzig 1997, S. 280. Vgl. hierzu auch Schwitzgebel: Freudig begrüßen wir die edle Halle, S. 14ff. Der Brief Wilhelms II. an Kommerzienrat Groß vom 7. Januar 1887 befindet sich im Richard Wagner-Museum in Bayreuth und wird zitiert nach: John C. G. Röhl: Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers. 1859–1888, München 1993, S. 936. Von Achenbach u. a.: Unser Kaiser, S. 323. Vgl. hierzu Tobias von Elsner: Kaisertage. Die Hamburger und das Wilhelminische Deutschland im Spiegel öffentlicher Festkultur, Frankfurt a.M. 1991, S. 171. Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner [1952], in: ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 13: Die musikalischen Monographien, Frankfurt a.M. 1997, S. 7– 148, hier S. 117.

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Aufschwungs“ – überall, so die treffende Polemik Theodor W. Adornos, ließ sich die enge „Beziehung der Wagnerschen Mythologie zu jener Bilderwelt“ des wilhelminischen Zeitalters nachzeichnen, durch die Wagner zu einer Schlüsselfigur des 19. Jahrhunderts wurde und seinen Einfluss weit über die Grenzen der musikalischen Welt ausdehnen konnte.62 Gleichwohl erwiesen sich die Musikdramen Wagners als nicht ungefährliche Vorlagen, wenn es – wie im Falle der Wiesbadener Festspieltradition – in erster Linie darum gehen sollte, die Popularisierung eines national ausgerichteten Kaiserkultes voranzutreiben. Zu nachdrücklich kreiste die Gedankenwelt Wagners um „das Ritual der permanenten Katastrophe“63 , zu deutlich artikulierte sich in seinen Werken jene die Kunst der Moderne kennzeichnende Doppelbödigkeit, die man in Wiesbaden um jeden Preis vermeiden wollte. Zu ,geräuschvoll‘ sei ihm Wagners Musik, soll Wilhelm II. denn auch bisweilen geäußert haben64 , und vielleicht meinte er damit jenes „Element der Entfesslung“, jene „subversive Botschaft“, die der Musik und der Handlungsführung von Wagners Bühnenwerken oftmals zugeschrieben wurden und die bereits Bismarck und Wilhelm I. bewogen hatten, Wagner den erhofften Reichszuschuss zu den Bayreuther Festspielen zu versagen.65 Die programmatischen Vorgaben und das mäzenatische Engagement der wilhelminischen Kulturpolitik wiesen in eine deutlich andere Richtung. Der konstitutiven Gebrochenheit der klassischen Moderne mit ihrer „Angst vor dem Abgrund“ versuchte man offensiv entgegenzutreten66 , indem man – so Hülsen in seiner Begrüßungsansprache an das Personal der Wiesbadener Hofbühne im Oktober 1893 – einen „Idealismus“ pflege, der die „Grenzen des Wahren und Schönen“ wahre und die „alte Tradition der königlich preussischen Hofbühnen“ weiterführe.67 In Wiesbaden beeilte man sich zudem, das Wohlwollen des kaiserlichen Protektors der Hofbühne nicht zu verspielen und bemühte sich deshalb, den kunstpolitischen Präferenzen des Kaisers zu entsprechen. Vermutlich war dies auch einer der Gründe, warum die ansonsten sehr beliebten Opern Wagners im Rahmen der Wiesbadener Festspiele nicht immer denselben prominenten Platz einnahmen, der ihnen etwa innerhalb der Theaterkultur Frankfurts eingeräumt wurde. Hülsen zog es vor, in Wiesbaden eine alternative Festspieltradition ins Leben zu rufen. Diese propagierte einen preußisch-monarchischen Herrscherkult, der die Monarchie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft verankern und zudem einen spezifisch nationalstaatlichen Bezug herstellen wollte.68 62 63 64 65 66 67 68

Ebd. Ebd., S. 114. Vgl. Ludwig Marcuse: Richard Wagner, Ein denkwürdiges Leben, Zürich 1973, S. 295. Vgl. Michael Stürmer: Das ruhelose Reich. Deutschland 1866–1918, Berlin 1994, S. 251. Ebd., S. 249. Vgl. den Gesamttext der Rede in: Weddigen: Geschichte des Königlichen Theaters in Wiesbaden, S. 58f. Vgl. hierzu Paulmann: Pomp und Politik, S. 414.

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Bereits 1894 hatte sich ein solcher Plan zur Schaffung einer eigenständigen Wiesbadener Festspieltradition angedeutet. Im Anschluss an die Festlichkeiten zur Eröffnung des neuen Hoftheaters beauftragte Wilhelm II. den durch eine Reihe historischer Heimatromane berühmt gewordenen und seit 1898 in Wiesbaden lebenden Schriftsteller Joseph Lauff mit der Abfassung einer so bezeichneten „Hohenzollern-Tetralogie“.69 Allerdings wurden insgesamt nur zwei dieser historischen Schauspiele – Der Burggraf und Der Eisenzahn – tatsächlich realisiert und im Rahmen der Wiesbadener Festspiele 1897 beziehungsweise 1899 uraufgeführt. Historische Schauspiele gehörten zu den beliebtesten Genrewerken der gründerzeitlichen Theaterkultur.70 Geschichtspolitische Intentionen spielten in vielen der oft als ,Oberlehrertragödien‘ belächelten Dramen eine bedeutende Rolle.71 Eine Reihe populärer Autoren, darunter auch Joseph Lauff, siedelten ihre Stoffe bevorzugt in der Ära des untergehenden Stauferreiches oder der Reformationszeit an und behandelten das Thema der Erneuerung des Reichsgedankens oder der Geburt eines deutschen Nationalbewusstseins in der Auseinandersetzung mit Rom beziehungsweise der katholischen Kirche. Vielfach stand dabei das Bemühen, einen Beitrag zur nationalen Integration des 1871 errichteten Kaiserreiches zu leisten, deutlich im Vordergrund. So war auch Lauff in seinen Hohenzollerndramen in erster Linie darum bemüht, seine historischen Heldenfiguren mit jenen „typischen Merkmale“ auszustatten, die – so hieß es programmatisch in einem begleitenden Einführungstext anlässlich der Erstaufführung des Burggrafen 1897 – „in den Persönlichkeiten der späteren glorreichen Zollernherrscher“ ihre „weltgeschichtliche Bestätigung“ gefunden hatten.72 Zudem dürfte das Bestreben, mit der Hohenzollern-Tetralogie eine nationale Kultstätte nach dem Beispiel Bayreuths ins Leben zu rufen, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. In Anlehnung an das Vorbild Richard Wagners sollte auch die Hohenzollern-Tetralogie Themen und Konflikte aufgreifen, die für die Geschichte und Geschicke der Nation von Bedeutung waren.73 Zentral war hierbei das Auftreten einzelner Heldenfiguren, die eine positive Identifikation gewährleisten und ein affirmatives Bild der eigenen Nationalkultur zeichnen sollten. Die Wiesbadener Festspiele wurden in der

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Joseph Lauff : Der Eisenzahn, in: Programmheft der Wiesbadener Festspiele 1899 (14.– 28. Mai), o. S. „Indeed, from ancient Greece and Rome to the Franco-Prussian war, there was hardly an historical period to escape the blank verse of German playwrights.“ Siehe Jefferies: Imperial culture in Germany, S. 107. Ebd., S. 108. Einführung in den „Burggraf “, in: Programmheft der Festspiele zu Wiesbaden 1897, Wiesbaden 1897, S. 1–17, hier S. 10. Heinrich Stümcke: Die Festspiele auf dem Wiesbadener Hoftheater. Ein kunstpolitischer Traktat, in: Bühne und Welt, Ausgabe ohne genaue Jahresangabe, in: StAW, Ordner ,Kaiserfestspiele/ Maifestspiele‘ 1896–1939, S. 769–784, hier S. 770.

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Folgezeit tatsächlich oftmals als „Schauspiel-Baireuth“ wahrgenommen74 , und auch Lauffs historische Dramen wurden mehrfach mit den Bühnenwerken Wagners verglichen: Die Berliner Post etwa kennzeichnete den Burggrafen ausdrücklich als ein „Bühnenfestspiel“, das jedem Zuschauer „mit Recht“ den Vergleich mit Bayreuth „in den Sinn“ kommen lassen müsse.75 Wie Wagner strebe auch Lauff – so die Meinung des Rezensenten – die „Vereinigung der bildenden und redenden Künste“ an, so dass der Burggraf bereits aufgrund „seiner ganzen äußeren Erscheinung“ an „die Bühnenkunst Richard Wagners“ erinnere.76 Tatsächlich hatten Wagners vielschichtige und monumentale Parabeln vom Scheitern der bürgerlichen Gesellschaft und dem „Versagen aller bisherigen Politik“ mit Joseph Lauffs kaum verhohlenem Hymnus auf Preußen und die Dynastie der Hohenzollern sowohl hinsichtlich ihrer ästhetischen Gestaltung als auch ihres konzeptionellen Anspruchs und ihres intellektuellen Horizontes wenig gemein.77 Dennoch war der stilbildende Einfluss, der von der Person und dem Werk Wagners ausging, unübersehbar: Auch in Wiesbaden setzten Wagners Werke den Maßstab für eine zeitgenössische ästhetisch-politische Reflexion. Dies hatte nicht allein Auswirkungen auf die äußere Erscheinung und Anlage der Festspiele – wie in der Post angedeutet –, sondern bezog sich durchaus auch auf den Umgang mit nationaler Geschichte und deren Übersetzung in quasi mythologische Deutungsmuster. Die Konzeption charismatischer Herrscher- und Heldenfiguren wie Siegfried oder Lohengrin, die affektive Bezugnahme auf die eigene Nation und deren Kultur – wie in den Meistersingern von Nürnberg thematisiert – oder der monumentale Entwurf eines national-epischen Tableaus, der in der Ring-Parabel zu bestaunen war – all diese Elemente ließen sich – wenngleich freilich in trivialisierter Form – auch in den HohenzollernDramen Lauffs wiederfinden und heben den autoritativen Einfluss Wagners plastisch hervor. Sehr wahrscheinlich war es Wilhelm selbst, der die Idee für die Gestaltung des ersten Teils des Hohenzollern-Zyklus anregte: Nach Motiven eines Historiengemäldes von Hermann Knackfuß, das der Kaiser für das Berliner Schloss erworben hatte, sollte Lauff ein Schauspiel über

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Siehe in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde, 1. Jg., Nr. 11 ( Juni 1900), S. 146f. Die Post, Berlin, 18. Januar 1898. Ebd. Udo Bermbach: Oper und Politik, Aspekte eines komplizierten Verhältnisses, in: ders.: Opernsplitter. Aufsätze, Essays, Würzburg 2005, S. 27–45, hier S. 27.

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Friedrich III., Burggraf von Nürnberg und Vorfahre Wilhelms (gest. 1297), verfassen.78 Lauff konzipierte die Figur des Burggrafen als entschlossenen Vorkämpfer für die „Wiedergeburt“ der „deutsche[n] Nation“.79 Unschwer lässt sich Lauffs Bemühen erkennen, im Medium des historischen Schauspiels die politischen Vorstellungswelten seines Publikums zu prägen.80 Der Autor sah es als eine besondere „Pflicht der nationalen Geschichtsschreibung und Poesie“, das „Dunkel zu lichten“ und den Zuschauern diese „Heldengestalt aus dem Zollernhause“ nahezubringen.81 Die im Handlungsverlauf des Festspiels entworfenen politischen Szenarien zielten damit offensiv auf die „Produktion politischer Sinnperspektiven“ ab82 , indem sie den Einsatz des Protagonisten für „die Geschicke der deutschen Nation“ als exemplarisches Handeln darstellten.83 Hierbei bediente sich Lauff aus einem Bestand nationalkultureller Topoi, Mythen und Symbole, so dass nicht nur die zeitgenössische Vorliebe für geschichtliche Stoffe hervortrat, sondern auch die Fixierung auf die als handlungsleitend ausgewiesenen Taten imposanter Herrscher- und Heldenfiguren sichtbar wurde. 78

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Angesiedelt im Jahr 1273 wollte die Handlung den Zuschauern die Endphase des Interregnums vor Augen führen. Im ersten Teil der Tetralogie lenken rücksichtslos auf eigene „Sonderinteressen“ bedachte „Scheinkönige“ nach dem Untergang der Dynastie der Hohenstaufen „die Geschicke der deutschen Nation“. Niemand – so scheint es – kann dem „grenzenlosen Verfall des Reiches“ Einhalt gebieten; denn – so informierte das Festspielprogramm das Publikum – mit dem Tod Konrads IV. (gest. 1254) war das „stolze Wort ,Semper Augustus‘“ für „Deutschland und die übrige Welt zu einem leeren Wortgeklingel herabgesunken“. Erst das beherzte Eingreifen des Zollerngrafen Friedrich kann den Niedergang beenden. Zugunsten Rudolfs von Habsburg verzichtet Friedrich, der wie Rudolf durch „Familienbande“ „dem hohen Hause der Hohenstaufen“ angehörte, auf die Kaiserkrone. Als engagierter Fürsprecher Rudolfs gelingt es ihm, die Intrigen anderer Thronanwärter zu zerschlagen und die Kurfürsten von der Eignung des Habsburgers zu überzeugen, wodurch dessen Wahl im fünften Aufzug des Dramas endlich „zu einem glücklichen Ende“ geführt werden kann. Friedrich eilt zum Feldlager Rudolfs nach Basel, um „den Grafen von dem Wahlbeschluß der Kurfürsten in Kenntniß zu setzen“. Unter „Kaiserfanfaren“ verwandelt sich die Szene: Ein letztes Bild präsentiert dem Publikum das Feldlager von Basel, wo sich Rudolf und Friedrich im Morgengrauen begegnen. Der Burggraf huldigt dem neuen Herrscher und wird zum Dank für seine Treue von Rudolf zu dessen Nachfolger bestimmt. Die geschichtspolitischen Implikationen des Dramentextes waren dabei unverkennbar: Der Schluss des Burggrafen beschwor die innere Geschlossenheit der Nation unter der Führung eines starken Volkskaisers sowie die äußere Befriedung des Reiches durch die Begründung einer deutsch-österreichischen ,Nibelungentreue‘. Das Stück verhandelte auf diesem Weg Problemlagen, die dem zeitgenössischen Publikum der 1890er Jahre als zentrale Komponenten wilhelminischer Politik vertraut waren. Siehe dazu: Einführung in den „Burggraf “, S. 2ff. Einführung in den „Burggraf “, S. 1. Vgl. vor allem: Andreas Dörner/Ludgera Vogt: Literatursoziologie. Lieratur, Gesellschaft, Politische Kultur, Opladen 1994, S. 168. Einführung in den „Burggraf “, S. 1. Dörner/Vogt: Literatursoziologie, S. 168. Einführung in den „Burggraf “, S. 2.

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Bezeichnenderweise fiel die Uraufführung des Burggrafen im Jahr 1897 mit dem Gedenken an den 100. Geburtstag Wilhelms I. zusammen, und vor diesem Hintergrund erhielt die Hohenzollern-Tetralogie Lauffs eine zusätzliche Bedeutung. Die Figur des Burggrafen kann als kaum verschlüsseltes Doppelporträt Wilhelms I. und seines Enkels gelesen werden: Das Publikum sollte im Protagonisten des Werkes einerseits Wilhelm I. erblicken, der wie sein Vorfahre Friedrich „den schwachen Pulsschlag des entnervten Reiches“ aufs Neue belebt hatte; andererseits war in der Figur des Burggrafen aber auch Wilhelm II. zu erkennen, der wie Friedrich ebenfalls berufen schien, den „Sonderinteressen“ der einzelnen Parteien und Konfessionen sein „energisches ,Halt‘“ entgegenzusetzen.84 Wie engagiert der Kaiser dieses symbol- und geschichtspolitische Programm unterstützte, zeigt sich an seiner aktiven Beteiligung an der Inszenierung und Ausstattung des Burggrafen: Wilhelm fertigte nicht nur einzelne Kostümentwürfe an, sondern entwarf und zeichnete neben „verschiedenen Einzeldekorationen“ auch die „große Schlußszene“, die das Feldlager vor Basel zeigte.85 Dies belegt eindrücklich, welches Gewicht er der Hohenzollern-Tetralogie Lauffs beimaß und wie entscheidend es für ihn war, sich in die geschichtspolitischen Deutungskämpfe seiner Zeit einzuschalten und diese so weit als möglich zu kontrollieren. Wilhelm ging soweit, die Generalprobe des Burggrafen im Wiesbadener Theater zu begutachten, um im Vorfeld der Uraufführung (16. Mai 1897) sicherzustellen, dass alles zu seiner Zufriedenheit ausgeführt werden würde.86 Als sich der Kaiser am Tag der lang erwarteten Festvorstellung in seine Theaterloge begab, wusste er somit bereits genau, was ihn am Abend erwarten würde. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Wilhelm hier das Beispiel Georgs II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914) vor Augen hatte, dessen Meininger Hoftheatertruppe mit ihren spektakulären Inszenierungen von Schauspielklassikern und historischen Dramen seit den 1870er Jahren landesweit wie auch international für Aufsehen sorgte. Wie Wilhelm unterstützte der Herzog sein Hoftheater nicht nur finanziell, sondern erwies sich auch als künstlerischer Ideen- und Ratgeber. Als talentierter Zeichner entwarf er Szenenbilder und Kostüme und betätigte sich mitunter auch als Regisseur einzelner Theaterproduktionen. Der rigorose Historismus, den die Meininger Schauspieltruppe pflegte, legte großen Wert auf die akkurate Gestaltung historischer Schauplätze, Interieurs und Kostüme. Besondere Sorgfalt verwendete man auf die Ausarbeitung großer Massen- und Kampfszenen, die den Höhepunkt von Schauspielen wie Heinrich von Kleists Hermannsschlacht 84 85

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Ebd., S. 1f. Vgl. hierzu auch Helmut Schwitzgebel: Joseph Lauff und das Wiesbadener Theater um die Jahrhundertwende, in: Gerhard Kaldewei (Hrsg.): Joseph von Lauff, 1855–1933. Dichter des Niederrheins und der Wilhelminischen Zeit, Kleve 1988, S. 43–50, hier S. 45. Ebd., S. 45.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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darstellten. Obwohl Kritiker immer wieder den Vorwurf erhoben, dass sich der Inszenierungs- und Schauspielstil der Meininger allzu oft auf spektakuläre Effekte kapriziere, gelang es dem Hoftheater, einen eigenständigen künstlerischen Ansatz zu finden, der bereits Grundzüge eines Regietheaters erkennen ließ und die Zusammenarbeit des künstlerischen Ensembles in den Mittelpunkt stellte. Dies machte das Meininger Hoftheaterensemble für mehr als ein Jahrzehnt selbst in Berlin zum beliebten „talk of the artistic community“.87 Die möglichst umfassende Kontrolle über die Gesamtapparatur der Festspiele war auch für Wilhelm zentral, stand er doch als Hauptgeldgeber sowie als von den Medien permanent beobachtete Hauptattraktion der Kaiserfestspiele stets im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Das Beispiel des Burggrafen kann dies anschaulich dokumentieren; denn der absichtsvoll herbeigeführte „Brückenschlag zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem im Zuschauerraum“88 ging bei seinen Aufführungen so weit, dass das Festpublikum bei den Worten des Burggrafen: „Ein Reich, ein Kaiser, eine Treue“ in „brausende[n] Beifall“ ausbrach und das Haus sich während der „Huldigungsrufe der Soldaten“ an die Protagonisten des Stückes erhob, „um in entflammter patriotischer Begeisterung dem Herrscherpaare nicht endenwollende Ovationen darzubringen“.89 Allerdings fand der erste Teil der Hohenzollern-Tetralogie nicht überall den erhofften Beifall. Vielmehr rief das Stück auch eine lebhafte und in den Augen der kaisertreu-konservativen Presse äußerst „gehässige Opposition“ auf den Plan.90 Dauerhaft konnte sich Lauffs Burggraf mit seinem offensiven Bemühen um einen dynastisch-monarchischen Kult in Wiesbaden jedenfalls nicht etablieren. Nach 1897 wurde er nicht mehr in das Programm der Maifestspiele aufgenommen.91 Die Einflussnahme auf die öffentliche Selbstdarstellung des Herrscherhauses und die Auslegung der preußischdeutschen Geschichte war vor allem deshalb an ihre Grenzen gelangt, weil die

87 88

89 90 91

Jefferies: Imperial culture in Germany, S. 109. Rudi Strauch: Dichten auf Allerhöchsten Befehl. Die dramatischen Arbeiten Joseph von Lauffs als Beispiel des szenischen Historismus der Jahrhundertwende, Magisterarbeit Universität Köln 1983, S. 22. Schlesische Zeitung, Breslau, 26. Mai 1897. Wiesbadener Festspiele 1902, Sonderheft der Zeitschrift Berliner Leben. Zeitschrift für Schönheit und Kunst 5/1902, Nr. 308. In Wiesbaden brachte es Der Burggraf trotzdem in fünf Spielzeiten auf immerhin sechzehn Wiederholungen. In anderen Städten wie Hamburg, Königsberg oder Nürnberg war das Stück demgegenüber ein deutlicher Misserfolg. Auch in Berlin sah dies kaum anders aus. Der Darstellung Gerda Haddenhorsts zufolge musste das Stück nach seiner Erstaufführung am 26. Januar 1898 zwar auf kaiserliche Anordnung hin noch 36 Mal wiederholt werden, doch war das Interesse des Publikums so gering, dass es schließlich abgesetzt werden musste. Vgl. hierzu Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 23.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Rezeptionserwartungen des Publikums nicht ausreichend bedacht worden waren. Einen ebenfalls nur mäßigen Erfolg erzielte auch der 1899 uraufgeführte und 1911 zur Erinnerung an den 40. Jahrestag des Frankfurter Friedensschlusses erneut in das Programm der Maifestspiele aufgenommene zweite Teil der Hohenzollern-Tetralogie. Das Drama Der Eisenzahn versetzte das Publikum in das Brandenburg des 15. Jahrhunderts und wollte den Zuschauern das Erblühen des „kräftige[n] Zollerngeschlecht[es]“ vor Augen führen, das „in der Mark den Grundstein legte, auf den sich das geeinigte Deutsche Reich aufbaute“.92 Lauff nahm damit in seinem Eisenzahn die wesentlichen geschichtspolitischen Aussagen des Burggrafen erneut auf. Auch im zweiten Hohenzollern-Drama stand mit der Figur des Kurfürsten Friedrich II. (1413–1471), dem sein „eiserne[r] Wille“ im Kampf gegen die „Elemente des Unfriedens“ den Ehrennamen ,Eisenzahn‘ eingetragen hatte, ein Vorfahre des Kaisers im Mittelpunkt der Dramenhandlung.93 Lauff wollte sein Werk als authentisches Zeitdokument und pädagogisches Lehrstück verstanden wissen, und so präsentierte er seinem Publikum statt „gefälliger Musik, leichtem Gesang und Rokokokostümen, eine schwere, bilderreiche Sprache, eiserne Rüstungen, Männer, die sich in wildem Haß gegenüberstanden, Tod, Blut, Verderben“.94 Wie auch im Falle des Burggrafen dominierte der Wunsch, ein preußisch-dynastisches Heldenepos zu schaffen, die Anlage des Werkes. Lauff entwarf seinen Friedrich Eisenzahn als einen „Schirmherr des Volkes“, dessen „eiserne[r] Wille“ die Willkürherrschaft der herrschenden Patriziergeschlechter in der Mark Brandenburg beendet und es versteht, in „dem schwer heimgesuchten Lande“ „Ruhe und Ordnung“ zu schaffen.95 Bereitwillig gab sich Lauff hier als „vaterländische[r] Verkündiger zollernscher Kraft und 92 93 94 95

Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911. Lauff : Der Eisenzahn, o. S. Wiesbadener Tagblatt, 12. Mai 1911. Kurfürst Friedrich, der „Mann mit den eisernen Zähnen und der eisernen Faust“, sieht sich dabei herausgefordert vom Berliner Bürgermeister Berend Ryke, der den Bund der märkischen Städte gegen den Kurfürsten aufwiegeln will. Dieses Ansinnen verhindern aber die „monarchisch gesinnten Elemente der Bürgerschaft“, indem „Fleischhauer und Zimmerleute“ mit „ihren Aexten“ den von Ryke errichteten „Verhau“ um die Stadt niederreißen und „den Eisenzahn mit seinen Eisenmännern“ in die Stadt einziehen lassen, damit dieser die Rebellion niederschlagen kann. Besonders mit der drastischen Schilderung der „selbstherrlichen Bestrebungen der Städte“ und der „unzufriedenen Elemente“, denen „jeder Sinn für das gesammte Staatswohl“ abhanden gekommen sei und die es verstanden hätten, „ihre Unzufriedenheit auch in die bürgerliche Masse zu tragen“, verarbeitete der Autor gesellschaftspolitische Verunsicherungen und Konflikte seiner eigenen Gegenwart. Dies verband Lauff mit einem nur dürftig kaschierten Plädoyer für den wilhelminischen Machtstaat. Der Vorfahre des gegenwärtigen Kaisers habe es erfolgreich verstanden, so Lauff in einem Beitrag für das Programmheft der Wiesbadener Festspiele 1899, mit „kräftige[r] Faust“ „den Hader und die Mißgunst der Parteien zum Wohle der Allgemeinheit“ zu bändigen und dem „innern Unfried“ ein Ende zu bereiten, um so zum „Segen des Landes“ zu werden. Siehe Lauff : Der Eisenzahn.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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Siege“ zu erkennen.96 In seinen Texten betrieb er in offensiver Weise symbolische Politik, die kommunikativ in das politische Geschehen eingriff, um nicht nur bestimmten Anlässen breitenwirksame Aufmerksamkeit zu sichern, sondern um politische Kultur langfristig modellieren und beeinflussen zu können.97 Sein Stück ließ Lauff deshalb in einer demonstrativen „Apostrophe des Kurfürsten an die sich selbst wiedergefundenen Bürger“ enden, die sich glücklich unter die Führung einer „straffe[n] und einheitliche[n] Regierung“ begeben.98 Dass dieses demonstrative Werben für einen nationalkonservativmilitärisch geprägten Machtstaat gerade in Wiesbaden immer wieder auf fruchtbaren Boden fiel und sich die Botschaft des Festspiels auch in der „rauhe[n] Luft des Alltags“ behauptete, zeigt ein Ereignis, das am Rande des Festspiele des Jahres 1910 für einigen Wirbel sorgte99 : In diesem Jahr fiel die Ankunft des Kaiserpaares auf den 1. Mai. Aus gegebenem Anlass hatte die SPD eine „Versammlung und einen Zug veranstaltet“.100 Zu den „Tausenden“ kaisertreuer Einheimischer gesellte sich „die unabsehbare Menge der Fremden“, so dass die Angehörigen der Sozialdemokratie einsehen mussten, dass „der monarchische Gedanke“ in Wiesbaden „doch noch“ das „größte Übergewicht“ besaß.101 Lauffs historische Dramen waren auf diese Weise in aktuelle partei- und symbolpolitische Konfliktkonstellationen eingebettet. Seine fast propagandistisch anmutende Parteinahme für den monarchischen Machtstaat war es, die Lauff zu einem der engsten Wiesbadener Vertrauten des Kaisers machte. Nicht allein der künstlerische Wert, sondern auch die kulturpolitische Bedeutung der Hohenzollern-Dramen Lauffs wurde von Seiten des Kaisers und der Wiesbadener Intendanz sehr geschätzt: 1899 eröffnete der Eisenzahn die Festspiele nicht nur feierlich, sondern er wurde während dieser Festspielsaison insgesamt vier Mal aufgeführt. Unter anderem wurde er bei der in diesem Jahr realisierten ersten vollständigen Wiesbadener Gesamtaufführung der Ring-Tetralogie zwischen Walküre und Siegfried angesetzt. Damit unterstrich Hülsen das Vorhaben Wiesbadens, sich zu einem ,Schauspiel-Bayreuth‘ aufzuschwingen und wie Bayreuth als Wallfahrtsstätte nationaler Kultur wahrgenommen zu werden. 96

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100

101

Wilhelm Clobes: Einer vom Niederrhein. Joseph Lauff und Wilhelm II., in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Monatsschrift für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 2/1912, H. 4, S. 222–225, hier S. 222. Vgl. auch Dörner/Vogt: Literatursoziologie, S. 175. Lauff : Der Eisenzahn. Heinrich Stümcke: Die Festspiele auf dem Wiesbadener Hoftheater. Ein kunstpolitischer Traktat, in: Bühne und Welt, Ausgabe ohne genaue Jahresangabe, in: StAW, Ordner ,Kaiserfestspiele/ Maifestspiele‘ 1896–1939, S. 769–784, hier S. 784. Christian Spielmann: Die Maifestvorstellungen im Wiesbadener Hoftheater, in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 11, Nr. 10 (16. Mai 1910), S. 121–123, hier S. 121. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Wilhelm II. schätzte den Markgrafen und Kurfürsten Friedrich Eisenzahn als seine „Lieblingsheldenfigur“, weil er in ihm den „eigentliche[n] Festiger der Zollernmacht in der Mark“ verkörpert sah.102 Entsprechend fungierte der Protagonist des Dramas als Alter Ego-Figur des Monarchen. Publikum und Presse waren sich der inszenatorischen Strategie der offensiven Charismabewirtschaftung von Anfang an bewusst. Bühnenhandlung und zeremonielle Rahmung verstärkten einander erneut in ostentativer Weise; denn während der Uraufführung des Eisenzahn am 14. Mai 1899 bereitete das Publikum dem Kaiserpaar „eine sinnige Überraschung“: „Eine sehr große Anzahl von Damen“ war nämlich „in weißen und rothen Toiletten erschienen“, um dem Kaiser mit „den brandenburgischen Farben“ „eine Ovation darzubringen“.103 Dieser Ausbruch patriotischen Gefühls wollte sich bei der Wiederaufnahme des Stücks 1911 allerdings nicht mehr einstellen, obgleich das ansonsten zahlreich im Theater versammelte internationale Publikum am Abend des 11. Mai 1911 „dem überwiegend deutschen“ gewichen war.104 Die Rheinische Volkszeitung resümierte knapp: Das Publikum „ging nicht mit“, und selbst der „einige Male“ einsetzende „schwache Applaus“ verstummte „unheimlich schnell“.105 Diese Notizen über die Reaktionen des Publikums legen nicht nur nahe, dass die jeweilige Disposition der einzelnen Rezensenten einen erheblichen Einfluss auf die Art und Weise ihrer Berichterstattung ausübte, sondern sie zeigen zugleich den Einfluss und die kommunikative Macht der im Theater versammelten Öffentlichkeit, die sich der kaiserlichen Festapparatur nicht vorbehaltlos auslieferte und von dieser nicht vollends kontrolliert werden konnte. Gerade seine allzu angestrengte Stellungnahme für einen dynastischen Reichsmythos bescherte dem Eisenzahn eine äußerst kontroverse Aufnahme bei Publikum und Presse: Während die liberale Presse Lauffs Historiendrama wegen seiner „Verherrlichung brutaler Willkür und despotischer Herrschergewalt“ als „Byzantinismus in höchster Reinkultur“ heftig angriff106 und wiederholt seine „literarische Unzulänglichkeit“107 kritisierte, lobten national-konserative Zeitungen den Ton „hochgehender patriotischer Empfindung“108 , der das gesamte Stück durchdringe.109 Besonders heftig wurde 102

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Christian Spielmann: Die Maifestvorstellungen im Wiesbadener Hoftheater, in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 12, Nr. 11 (Juni 1911), S. 135. Schlesische Zeitung, Breslau, 17. Mai 1899. Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911. Rheinische Volkszeitung, 12. Mai 1911. Lakonisch merkte der Kritiker der Rheinischen Volkszeitung zudem an, dass nach dem vierten Akt „ein einziger Zuschauer“ im Parterre laut geklatscht habe, wobei es sich – so der Rezensent – bei diesem sicherlich um einen der „Wenigen im Theater“ handeln musste, „die noch keinen Orden hatten“. Wiesbadener Zeitung, 12. Mai 1911. Rheinische Volkszeitung, 12. Mai 1911. Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911. Wiesbadener Zeitung, 12. Mai 1911.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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in den unterschiedlichen Lagern die Außenwirkung des Stückes diskutiert. Ein streckenweise eher grobschlächtig-martialisches Werk wie der Eisenzahn müsse, so befand die Rheinische Volkszeitung, bei einem internationalen Fremdenpublikum die Überzeugung wecken, dass „unsere Literatur, unsere Bildung, unser Geschmack“ auf einem Tiefstand angelangt seien.110 Über das ,Volk der Dichter und Denker‘ – so prophezeite das Blatt – werde man im Ausland witzeln. Der Rezensent der Wiesbadener Zeitung stellte Lauff demgegenüber mit Hebbel und Schiller auf eine Stufe111 , und die Hamburger Nachrichten glaubten sogar, die Werke des niederrheinischen Dichters mit Shakespeare vergleichen zu müssen.112 Diese Bemühungen um eine Kanonisierung der Hohenzollern-Tetralogie konnten indes kaum davon ablenken, dass von Lauffs Dramenzyklen die Gefahr der Überreizung der Sinn- und Integrationspotenziale ausging, auf die das politische Festwesen Wiesbadens eigentlich abzielte. Was sich in Kapitel II.4 bereits angedeutet hatte, wird hier noch einmal deutlich sichtbar: Die politische Festkultur des Kaiserreiches war spätestens seit den 1890er Jahren zu ausdifferenziert und zerklüftet, als dass einseitige oder allzu offenkundige Propagandabestrebungen − wie etwa die Hohenzollern-Tetralogie Joseph Lauffs − ausreichten, um eine kollektiv akzeptierte Symbol- und Geschichtspolitik auszuformen. Die umstrittene Aufnahme, die der Eisenzahn nicht nur in den Reihen des Publikums, sondern auch bei weiten Teilen der lokalen wie überregionalen Presse fand, weist nachdrücklich auf die kommunikative Macht einer kritischen Öffentlichkeit hin. Mit ihrem Versuch, eine allzu forcierte dynastische ,Huldigungsmaschinerie‘ zu etablieren, trugen die Maifestspiele letzten Endes zur Fragmentierung der Gesellschaft und zur Zementierung milieuspezifischer Grenzen bei, als deren Korrektiv sie ursprünglich angetreten waren. Augenscheinlich hatten die Maifestspiele noch nicht die geeignete ästhetische Form gefunden, die sie zum Vehikel eines massenmedial wirksamen und allgemein anerkannten Kaiser- und Reichskultes hätten werden lassen können.

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Rheinische Volkszeitung, 12. Mai 1911. Wiesbadener Zeitung, 12. Mai 1911. Wie dieser habe auch Lauff sich bemüht, „die Geschichte seines Vaterlandes auf die Bühne“ zu bringen, und sei dabei − das Vorbild Shakespeares vor Augen − nicht davor zurückgeschreckt, „durch Blut waten“ zu müssen, ging es doch im Preußen des 15. Jahrhunderts, der „Zeit der ellenlangen Stahlschuhe und gewichtiger Kürasse, in der Zeit der Scheiterhaufen und der uneingeschränkten Tätigkeit des Galgens auch nicht ohne Blut ab“. Gerade diese vermeintliche „Schnoddrigkeit“ des „drastischen Berlinertums“ war dem Urteil der konservativen Presse zufolge dazu angetan, jene „besondere Weihe“ zu erzeugen, die das Publikum wie ein „brandenburgisch-preußischer Hauch“ umwehte. Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

5.3 Der „unübertroffene Höhepunkt aller Festspiele“113 : Die ,Wiesbadener Bearbeitung‘ von Carl Maria von Webers Oper Oberon Ändern sollte sich dies bei den Maifestspielen des Jahres 1900, als mit einer grundlegenden Neubearbeitung der Oper Oberon von Carl Maria von Weber eine der erfolgreichsten so genannten ,Wiesbadener Spezialeinrichtungen‘ zum ersten Mal in das Programm der Maifestspiele aufgenommen wurde (Abb. 10). Aufwendig inszenierte und oftmals in Text und Musik abgewandelte beziehungsweise ergänzte Neubearbeitungen von Werken wie Christoph Willibald Glucks Oper Armide oder Webers Oberon sollten fortan – so die Intention Hülsens, auf den die Idee zur Inszenierung dieser Neubearbeitungen zurückging – zum besonderen Aushängeschild der Maifestspiele werden und ein internationales Festspielpublikum begeistern. Diese besonders durch ihre Opulenz und szenische Pracht auffallenden Novitäten kreierten einen eigenständigen Festspielstil, der die Emanzipation vom Vorbild Bayreuths oder Meiningens ermöglichen sollte. Der Wiesbadener Oberon in der Bearbeitung Hülsens, Lauffs und Joseph Schlars war dabei die am häufigsten gespielte Oper der gesamten kaiserzeitlichen Festspielära.114 Mit seiner inszenatorischen Prachtentfaltung und seinen filmähnlichen Wandeldekorationen erwarb sich der Wiesbadener Oberon bald den Ruf als „,greatest attraction‘ der Wiesbadener Maifestspiele“.115 Vor allem durch den Einsatz montageartiger Bühnenbild-Sequenzen konnte Hülsen außergewöhnliche Illusionseffekte erzielen, die an die technischfilmischen Innovationen des frühen Kinos erinnerten. Indem sich der Wiesbadener Intendant dessen innovative Visualisierungsmöglichkeiten zu eigen machte, unterstrich er den Anspruch des Hoftheaters, als zeitgemäße kulturelle Institution wahrgenommen zu werden, denn wie Eisenbahn, Automobil oder Telegraph faszinierte das Kino sein Publikum vor allem dadurch, dass es die Wahrnehmung von Zeit und Raum beeinflusste und ganz neue, mitunter beinahe schockartige Wirkungen hervorrufen konnte. Mit seinem Rückgriff auf quasi-cineastische Hilfsmittel situierte Hülsen die Maifestspiele in jener Moderne, der der politisch konservative Vertraute des Kaisers eigentlich so skeptisch gegenüberstand. Indem sich die Festspiele die Errungenschaften der technischen Moderne zumindest partiell zu eigen machten, konnten sie dem Vorwurf entgegentreten, Statthalter einer epigonalen Kunstpflege zu sein. Häufig wurde den Hoftheatern nämlich zur Last gelegt, mit den Entwicklungen der Zeit nicht mehr Schritt halten zu können und zuneh113 114 115

Wiesbadener Tagblatt, 17. Mai 1907. Zum ersten Mal 1900 aufgeführt, bildete das Werk den glanzvollen Höhe- und Mittelpunkt der Festspieljahre 1902, 1903, 1907, 1908, 1910, 1911, 1912, 1913 und 1914. Wiesbadener Zeitung, 5. Mai 1913.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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Abbildung 10: Plakat der Maifestspiele 1900

mend veralteten Darstellungs- und Inszenierungskonventionen verhaftet zu bleiben. In einer Zeit aber, die sich selbst immer mehr als Moderne begriff und sich vor allem über ihre innovatorischen Potenziale – und damit über ihre „Fähigkeit zum Wandel“ – definierte, liefen die Höfe und ihre Theater Gefahr, „zum Inbegriff einer aus modernem Blickwinkel entlarvenden Kontinuität“ zu werden.116 Wie zentral die Kategorie des Neuen, Noch-nieDagewesenen für die Selbsteinschätzung der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts war, wie unbedingt sie den Anspruch verfocht, als Initiator eines umfassenden zivilisatorischen Fortschritts aufzutreten, ist bereits thematisiert worden (vgl. Kapitel II.3). Indem sich Hülsen, der adelige Kavalierintendant, konservative Ex-Militär und Repräsentant des vielfach 116

Daniel: Hoftheater, S. 360f.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

reaktionären Hoftheater-Systems, mit seinen Wiesbadener Neubearbeitungen die technisch-visuellen Möglichkeiten der kulturellen Moderne zunutze machte, unterstrich er, dass das Wiesbadener Theater sich nicht einfach als traditionalistischer Überhang einer längst vergangenen Ära beschreiben ließ, sondern einen eigenwilligen Weg in die Moderne einschlug. Der Einsatz moderner bühnentechnischer Mittel kontrastierte dabei mit dem von Hülsen bevorzugten Werkkanon, stand der Intendant der kulturellen Moderne doch zu weiten Teilen ablehnend gegenüber. Ästhetische und technische Moderne waren in diesem Fall nicht als komplementäre Facetten eines gleichförmig verlaufenden Wandels zu beschreiben, sondern standen in einem mitunter dezidiert antagonistischen Spannungsverhältnis. Dies lässt sich exemplarisch an der Genese und Aufführungsgeschichte des Wiesbadener Oberon nachzeichnen. Über ein Jahrzehnt garantierte das Werk stets ein ausverkauftes Haus und höchste Einnahmen. Während der Maifestspiele des Jahres 1911 konnte die Oper, die ehedem „im Zeitraum eines Jahrzehnts kaum mehr als ein halb dutzendmal“ inszeniert worden war, „unter der Flagge der ,Wiesbadener Bearbeitung‘“ ihre 170. Aufführung feiern.117 Da sie zudem aufgrund ihrer Ausstattungspracht „so recht dem luxuriösen Zuschnitt“ der Kur- und Kaiserstadt Wiesbaden entsprach, setzte man sie mit Vorliebe bei wichtigen repräsentativen und politischen Anlässen – wie etwa dem Besuch des russischen Zaren 1903 – als Festvorstellung auf den Spielplan.118 Webers Oberon stieg schnell zum „Brennpunkt der Wiesbadener Festspiele“ auf und erwies sich mehr als ein „ganze[s] glorreiche[s] Jahrzehnt“ hindurch als „das wertvollste und zugkräftigste Werk“ der Maifestspiele.119 Somit war es als fast symbolischer Gipfel- und Schlusspunkt einer ganzen Epoche zu sehen, als diese Oper am 18. Mai 1914 den Festspielreigen auf ,Allerhöchsten Befehl‘ beschloss und damit die Ära der prunkvollen höfischen Spektakel endgültig beendete. 5.3.1 Oberon im Kontext der Debatten um eine deutsche Nationaloper Carl Maria von Webers letzte Oper Oberon war im April 1826 im Londoner Covent Garden mit großem Erfolg als ,Grand Romantic and Fairy Opera‘ uraufgeführt worden.120 Der Pächter des Hauses, Charles Kemble, hatte Weber das Angebot gemacht, für das berühmte Londoner Theater eine Oper zu komponieren und deren Uraufführung auch selbst zu dirigieren. Unter schwierigen Arbeitsbedingungen – das von James Robinson Planché (1796–1880) in 117 118 119 120

Wiesbadener Tagblatt, 15. Mai 1911. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Vgl. hierzu in Kapitel II.5.4: ,Weltpolitik‘ mit dem ,Lilienzepter‘. Rheinischer Kurier, 17. Mai 1907. Wiesbadener Zeitung, 5. Mai 1913.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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englischer Sprache verfasste Libretto ging ihm nur aktweise zu – stellte der zu diesem Zeitpunkt bereits schwer an Lungentuberkulose erkrankte Komponist das Werk fertig, dessen Uraufführung für ihn zu einem „triumphale[n] Erfolg“ wurde.121 Planché stützte sich für das Textbuch der Oper auf eine Reihe literarischer Quellen. In erster Linie ist hier Christoph Martin Wielands (1733–1813) romantisches Heldengedicht Oberon aus dem Jahr 1796 zu nennen, doch übernahm Planché auch Szenen und Figuren aus William Shakespeares Dramen Ein Sommernachtstraum und Der Sturm. Textteile dieser Werke verarbeitete der Librettist „zu einer losen Szenenabfolge, die zwar allen theatralen Anforderungen entsprach“, den inneren Gehalt der Vorlagen aber vermissen ließ.122 Aufgrund ihres nur bedingt bühnenwirksamen Gesamtcharakters hatte die Oper deshalb schon frühzeitig zahlreiche Bearbeitungen erfahren. Bereits zu Lebzeiten verfasste Theodor Hell in enger Anlehnung an die englische Originalfassung das erste deutsche Textbuch der Oper, das auch der deutschen Erstaufführung im Dezember 1826 in Leipzig zugrunde lag.123 121 122

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Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 46. Ebd., S. 45. Ende des 8. Jahrhunderts angesiedelt, erzählt Oberon von den Abenteuern und Prüfungen des ,hohen Paares‘ Rezia und Hüon und des bereits aus Shakespeares Sommernachtstraum bekannten Elfenkönigs Oberon. Der erste Aufzug versetzt den Zuschauer in das Feenreich Oberons. Ein Streit zwischen Oberon und seiner Gemahlin Titania um die Frage, ob Mann oder Frau eher zu Untreue und Unbeständigkeit neigen, setzt die Handlung in Gang. Beide geloben, sich erst dann wieder miteinander zu versöhnen, wenn sie ein in seiner Liebe beständiges Liebespaar gefunden hätten. Oberons Diener Puck macht seinen Herrn auf den fränkischen Ritter Hüon von Bordeaux aufmerksam, der von Kaiser Karl dem Großen nach Bagdad geschickt worden ist, nachdem er im Zweikampf den Sohn des Kaisers getötet hat. Zur Strafe muss Hüon einen Gefolgsmann des Kalifen töten und dessen Tochter Rezia den Brautkuss geben. Oberon befiehlt Puck, Hüon und seinen Knappen Scherasmin herbeizuzaubern und lässt dem Ritter im Traum das Bild Rezias erscheinen, die ihn bittet, sie aus dem Harem des Palastes von Bagdad zu befreien und vor einer arrangierten Hochzeit zu bewahren. Nachdem Oberon dem Ritter ein Zauberhorn geschenkt hat, mit dem dieser ihn in größter Not herbeiholen kann, bricht Hüon auf, um Rezia zu befreien. Der zweite Aufzug präsentiert dem Publikum den Palast des Kalifen Harun al Raschid in Bagdad. Wie ihm von Karl befohlen, tötet Hüon den Prinzen Babekan, dem Rezia zur Frau versprochen ist. Die gemeinsame Flucht aus dem Palast des Kalifen gelingt durch das Eingreifen Oberons, den Hüon mit seinem Zauberhorn herbeigerufen hat. Hüon und Rezia geloben einander die Treue und brechen mit dem Schiff in die Heimat des Ritters auf. Ein Sturm kommt auf; Hüon und Rezia erleiden Schiffbruch und werden voneinander getrennt. Erst nach einer Reihe von weiteren Abenteuern, Gefahren und Prüfungen, mit denen Oberon die Liebenden auf die Probe stellt – unter anderem führt sie der dritte Aufzug der Oper in den Palastgarten des Emirs Almansor von Tunis – findet das Paar schließlich zueinander. Mit Hilfe eines Feenzaubers von Oberon, der sich − überzeugt von der Treue und Standhaftigkeit Hüons und Rezias − erneut mit Titania versöhnt, gelangen die Liebenden endlich an den Hof Karls des Großen. In Aachen, wo man sich gerade anschickt, das Osterfest zu feiern, kniet Hüon um Vergebung bittend vor dem Kaiserthron Karls nieder und berichtet von der Erfüllung der ihm aufgetragenen Bußtat. Versöhnt eint Karl die beiden Liebenden, während der Chor das Lob von Hüon und Rezia anstimmt. Vgl. Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 46.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Weitere erwähnenswerte Bearbeitungen stellen die von Franz Grandauer und Franz Wüllner erarbeitete so bezeichnete ,Wiener Fassung‘ aus dem Jahr 1881 sowie Gustav Mahlers Kölner Bearbeitung von 1913 dar.124 Frühzeitig wurde die Oper aufgrund der ihr zugeschriebenen „elementaren Tiefe und zauberischen Poesie“ als Ausdruck „siegender Genialität“ gefeiert125 : „[U]nerreicht und vorbildlich“ markierte sie noch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen um 1900 einen Höhepunkt von Webers Schaffenskraft.126 Dem Urteil der jüngeren Forschung zufolge sind es vor allem Instrumentation und Orchestertechnik, die bis heute die besondere Qualität des Oberon ausmachen. Hervorgehoben wird zumeist der differenzierte Umgang mit unterschiedlichen Klangfarben, die die unterschiedlichen Handlungsorte und -ebenen der Oper kennzeichnen: „Folkloristische, orientalische Elemente wechseln mit Klangkombinationen, die das Geister- und Feenreich charakterisieren, die ,ritterlichen‘ Motive der mittelalterlichen Hofgesellschaft bieten hierzu einen reizvollen Kontrast.“127

Die „eigenständige Kraft“ der Musik, die keine nur begleitende Funktion einnimmt, deutet nach Ansicht von Forschung und Kritik bereits auf Wagner hin, der ebenso wie Berlioz oder Mendelssohn ein eifriger Bewunderer Webers war128 : Nicht nur verweise der „Stil der deklamierenden Melodik“ schon auf „Wagners unendliche Melodie“, sondern auch die leitmotivische Kompositionsweise Wagners sei im Oberon bereits vorbereitet worden.129 Durch den Einsatz bestimmter Leitmotive versuchte Weber, die Brüche und Uneinheitlichkeiten des Librettos mit seiner Vielzahl unterschiedlicher Schauplätze, Handlungsstränge und Protagonisten miteinander zu verbinden.130 Die steigende und fallende Terzsequenz von Oberons Hornruf, mit der die Ouvertüre der Oper anhebt, taucht an vielen Stellen der Partitur als „bewußte Beschwörung des Hornrufs“ auf und stiftet so den inneren Zusammenhalt der Bühnenhandlung.131 In Wiesbaden war es der Hoftheaterintendant Hülsen, der auf „den epochemachenden Einfluß“ Webers aufmerksam geworden war und dessen letztes Bühnenwerk für die Kaiserfestspiele einer gezielten Umarbeitung und „Verdeutschung“ unterzog.132 Deutliche und mitunter drastische Eingriffe in die 124

125 126 127 128 129 130 131 132

Vgl. hierzu auch Michael Leinert: Carl Maria von Weber, 5. Aufl., Hamburg 2003, S. 121ff., sowie John Warrack: Carl Maria von Weber. Eine Biographie, Leipzig 1986, S. 463ff. Georg von Hülsen: Einführung in den „Oberon“, in: Programmheft zu den Wiesbadener Festspielen 1902 (11.–19. Mai), o. S. Ebd. Leinert: Carl Maria von Weber, S. 123. Ebd., S. 124. Vgl. hierzu Warrack: Carl Maria von Weber, S. 462. Ebd., S. 453f. Ebd. Hülsen: Einführung in den „Oberon“.

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ursprüngliche Fassung blieben dabei nicht aus. Hülsen nahm eine umfassende Neubearbeitung des Textbuchs in Angriff und übertrug hierbei die poetische Ausarbeitung einzelner Sequenzen dem inzwischen von Wilhelm II. zum Dramaturgen des Wiesbadener Theaters ernannten Joseph Lauff, mit dem er bereits bei der Abfassung des Festpiel-Prologs zur Eröffnung des Wiesbadener Theaters 1894 erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Die Wiesbadener Bearbeitung stützte sich hierbei auf das Textbuch Theodor Hells, doch anstelle von dessen Prosa-Dichtung „schrieb Lauff Verse und dichtete – entsprechend der erweiterten oder veränderten Handlung – neue hinzu“.133 Zudem komponierte der seit 1894 in Wiesbaden tätige Kapellmeister Joseph Schlar eigens für diese Neubearbeitung der Oper eine Reihe musikalischer Passagen, die in möglichst werkgetreuer Form „aus den Motiven der Oper“ abgeleitet sein sollten, um den „Styl des Meisters“ wie auch die „Webersche Instrumentation zu wahren“.134 Schlar schuf so etwa ein Vorspiel zum zweiten Akt der Oper, eine die große Wandeldekoration des dritten Aktes untermalende Musikbegleitung sowie ein feierliches ,Kyrie‘ für das Finale der Oper.135 Nach eigenen Aussagen legte Hülsen bei der dramatischen Neubearbeitung großen Wert auf eine möglichst umfassende Werktreue. Seine Eingriffe rechtfertigte der Intendant mit dem Verweis auf den fragmentarischen Charakter des Werkes. Immer wieder berief er sich dabei auf den Komponisten, der − der Darstellung seines Enkels zufolge − davon überzeugt gewesen sei, seine Oper trotz ihres fulminanten Londoner Erfolgs „für Deutschland nie vollendet“ zu haben.136 Hülsens „Verdeutschung“ erhob dagegen den Anspruch, eine „dem deutschen Empfinden näher liegende Fassung“ der Oper darzustellen und auf diese Weise dem „Ideal des Meisters“ zu entsprechen.137 Hinter all diesen Bemühungen um die Rehabilitierung und Popularisierung der um 1900 in Deutschland nur selten aufgeführten Oper stand vor allem der Versuch, den Wiesbadener Festspielen ein eigenständiges Profil zu verleihen. Nachdem Publikum und Presse den Hohenzollern-Dramen Lauffs nicht uneingeschränkt wohlwollend gegenübergetreten waren, suchte der umtriebige Intendant nach neuen künstlerischen und programmatischen Impulsen für die Maifestspiele. Es lag hierbei nahe, dass der Opernkenner und -liebhaber Hülsen verstärkt auf das Musiktheater zurückgriff; denn die in der Oper „zu einem organischen Ganzen“ zusammengeführten „drei Schwesterkünste, Musik, Poesie und Malerei“ stellten umfassendere Möglichkeiten einer medien- und publikumswirksamen Prachtentfaltung bereit als Lauffs historischer Schauspielzyklus.138 Insbesondere das internationale 133 134 135 136 137 138

Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 47. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Vgl. Haddenhorst: Die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896–1914, S. 47. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Ebd. Wiesbadener Zeitung, 10. Mai 1910.

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Fremdenpublikum konnte an den Sujets der romantischen Zauberoper oder der Großen Oper eher Gefallen finden als an der vaterländisch-preußischen Hohenzollern-Tetralogie. Der Wiesbadener Oberon bestach nicht zuletzt durch seine „von wahrhaft dichterischer Schönheit durchtränkten Bühnenbilder“, die „mit unverminderter Anziehungskraft auf die staunenden Zuschauer wirkten“ und „Webers Musik in ihrer frischen, feurigen zartsinnig-rührenden, zaubrisch rankenden Melodie“ zu ihrer vollen Wirkung verhalfen.139 Gerade hier hatten die Dekorationsmaler und künstlerischen Werkstätten des Wiener Ateliers KautskyRottonara alles aufgeboten, um in fünfzehn Bühnenbildern den „Zauber der phantastischen Märchenwelt“ des Oberon publikumswirksam zur Darstellung zu bringen140 (Abb. 11): „[H]ier das im zartesten Farbenschmelz traumhaft emportauchende Reich der Elfen. [...] Dort in gleicher Weise die buntschillernde Pracht des Orients: Bagdad im Abendschein, und der interessante [...] Einblick in den Harem; danach wieder der üppige ambradurchduftete Thronsaal des Kalifen; und, nach dem famosen Seesturm-Bild, die blaue Meerflut mit schäumend sich überstürzenden Wogen, die erst im Sonnenuntergang, nun im nächtlichen Dämmerschein, dann im Silberglanz des Mondes wechselnd erstrahlen; endlich, im letzten Akt die exotische Pracht der Palmengärten Afrikas; die entzückenden Landschaftsbilder der Hüonschen Luftreise − bis hin zu dem Palast Kaiser Karls in Aachen mit all dem glanzvollen Gepräge der Reichsversammlung!“141

Die Rückbesinnung auf Carl Maria von Weber war in diesem Zusammenhang freilich kein Zufall. Mit seiner Neubearbeitung des Oberon konnte Hülsen vielmehr gezielt einen eigenen Beitrag zum monumentalen Projekt einer deutschen Nationaloper leisten, das mit der am 18. Juni 1821 erfolgten „Uraufführung von Webers Freischütz im Schinkel-Theater am Berliner Gendarmenmarkt seinen Anfang genommen“ hatte.142 Bereits 1817 hatte der zu diesem Zeitpunkt als Hofkapellmeister an der Dresdener Oper tätige Weber in der Dresdner Abendzeitung bedauernd angemerkt, dass die Deutschen − im Gegensatz etwa zu Franzosen und Italienern − nicht über eine eigenständige Opernform verfügten, „in der sie sich befriedigt hin und her“ bewegen konnten.143 An gleicher Stelle hatte der Komponist auch sein Konzept einer deutschen Nationaloper näher umrissen. Dem deutschen Publikum – so glaubte er – sei es eigentümlich, „das Vorzügliche aller Übrigen, wißbegierig und nach stetem Weiterschreiten verlangend, an sich zu 139 140 141 142

143

Wiesbadener Tagblatt, 15. Mai 1911. Wiesbadener Tagblatt, 17. Mai 1907. Ebd. Vgl. hierzu Herfried Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität. Webers ,Freischütz‘ und Wagners ,Meistersinger‘, in: ders./Hermann Danuser (Hrsg.): Deutsche Meister – Böse Geister? Nationale Selbstfindung in der Musik, Schliengen 2001, S. 45– 60, hier S. 48. Weber wird zitiert nach: Hans Hoffmann: Carl Maria von Weber. Biographie eines realistischen Romantikers, Düsseldorf 1986, S. 184.

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Abbildung 11: Franz Angelo Rottonara, Bühnenbild zu Carl Maria von Webers Oberon (Palast des Kalifen), 1900

ziehen“, zugleich aber „alles tiefer“ zu ergreifen.144 Wo es – so die Auffassung Webers – bei „den anderen“ meist auf die „Sinnenlust einzelner Momente“ allein ankomme, wolle das deutsche Publikum ein „in sich abgeschlossenes Kunstwerk“ sehen und hören, „wo alle Teile sich zum schönen Ganzen runden und einen“.145 Weber leitete damit den Anspruch, eine deutsche Nationaloper zu schaffen, aus einem emphatisch überhöhten Konzept nationaler Identität ab. Zugleich stellte dieses mit Nachdruck propagierte Idealbild eines deutschen Nationalcharakters gerade in der Zeit der Befreiungskriege auch ein politisches Programm dar. Eine im und durch das Medium der Kunst sich formende deutsche Identität wurde zum Ausgangspunkt jener kollektiven imagined community, die die Nation als „kulturelle Größe und politische Idee“ auffasste und in ihr eine wichtige Voraussetzung für eine in der Zukunft noch zu realisierende politische Einheit erblickte.146 Demgemäß stellte auch die Verwendung der deutschen Sprache – und zwar nicht nur im Alltagsgebrauch, sondern auch auf der Theater- und Opernbühne – in unmittelbarer Form ein „politische[s] Projekt“ dar.147 Eine in erster Linie kulturell bestimm144 145 146 147

Ebd. Ebd. Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 52. Ebd., S. 55.

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te deutsche Identität war damit zugleich zum „Platzhalter einer [...] politischen Identität“ geworden, „Residualgestalt und Vorbereiter in einem“.148 Komponisten wie Wagner, der in Weber zeitlebens „eine musikalische Vater- und Vorbildgestalt gesehen“ hatte, führten dieses Konzept einer deutschen Nationaloper fort.149 Die systematische Stilisierung Webers zum ,deutschesten aller Musiker‘ hatte denn auch spätestens mit Wagners berühmter Rede anlässlich der Überführung und Beisetzung Webers in Dresden im Dezember 1844 eingesetzt: Niemals, so Wagner in seiner zum Teil als „Theatermanöver und Selbstinszenierung“ angelegten Grabrede150 , habe „ein deutscherer Musiker“ als Weber gelebt, der stets mit „zarten Fasern an das deutsche Volksherz gekettet“ geblieben sei und mit seinem Werk einen unverwechselbaren Beitrag zur deutschen Nationalkultur geliefert habe.151 Wie Weber charakterisierte Wagner diese – so die Beobachtung Herfried Münklers – als „Zufluchts- und Bewahrungsort deutscher Identität“, wobei sich Wagners mitunter „stark affirmativer Bezug auf die Kunst als Platzhalter einer politischen Ordnung“ im Unterschied zu Webers „appellativen Bezugnahmen“ darauf gründen konnte, dass die „Erneuerung des Reichs unter Mitwirkung der Kunst“ mit einem Mal in greifbare Nähe gerückt war.152 Bereits die zeitgenössische Wahrnehmung hob die Bedeutung einer deutschen Nationaloper als Basis einer kollektiv wirksamen kulturellen wie politischen Identität immer wieder hervor, und auch Hülsen griff in seiner Neubearbeitung des Oberon explizit darauf zurück. In Webers Kunst mit ihrer harmonischen „Verbindung der Schwesterkünste Musik, Schauspielkunst und Malerei“, der „märchenhafte[n] Eigenart“ ihrer „Blüten- und Feenwelt“ oder ihren „malerischen historischen Interieurs und gewaltigen Naturschilderungen“153 spiegele sich „das innerste Wesen des deutschen Volksgemüts“ wie Hülsen in seiner programmatischen Oberon-Einführung im Mai 1900 notierte.154 Weber verkörpere „den ersten modernen Musiker, dessen Schaffen ein neues Evangelium der Tonkunst gepredigt“ und jene „gewaltige Epoche der deutschen dramatischen Musik“ eingeleitet habe, die dann mit dem „großen Bayreuther Meister“ einen besonderen Gipfelpunkt erreichen sollte.155 Aufgrund seines frühen Todes, so konstatierte Hülsen, habe Weber in seinem Oberon die in Freischütz oder Euryanthe so meisterhaft entwickelten künstlerischen Gestaltungsprinzipien einer deutschen Nationaloper nicht mehr zu 148 149 150 151 152 153 154 155

Ebd., S. 56. Vgl. ebd., S. 48. Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert, 4. Aufl., München 2001, S. 218f. Vgl. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 56. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Hülsen nahm an dieser Stelle ein Zitat aus einer am 11. Oktober 1860 in Dresden gehaltenen Rede H. Hettners in seine Wiesbadener Oberon-Einführung auf. Hülsen: Einführung in den „Oberon“.

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Ende bringen können. Zu oft habe die „ideale Natur“ des Komponisten „mit dem spröden Material der Textdichtung in Konflikt“ geraten müssen.156 Der Wiesbadener Intendant legte dem Libretto Planchés zur Last, ausschließlich auf die Schaulust des Londoner Publikums bedacht gewesen zu sein; daher habe er „in scrupellosester Weise, ohne festeres dramatisches Gefüge, Scenen und Situationen“ aneinandergereiht, die dem Auge „in thunlichst kurzer Zeit möglichst viel des Wechselvollen und Sehenswerten“ bieten wollten.157 Für „unser deutsches Empfinden“ aber stelle dies eine Verletzung der Werkintention Webers dar, und so schickte sich der Intendant in seiner Neubearbeitung an, der „Textdichtung alles Triviale thunlichst zu nehmen“ und „ihren Gehalt an poetisch Gesundem und Schönem voll zu verwerten“.158 Hülsen wollte einen deutschen Musiktheaterstil weiterentwickeln und wurde mit seiner Wiesbadener Bearbeitung „reformatorisch“ tätig, um „die poetische Stimmung des Werkes“ vollends ausschöpfen zu können.159 Neben den bereits erwähnten Veränderungen in Libretto und Partitur strebte der Intendant vor allem eine „Reform des gesamten Scenariums“ an, um dem Publikum an Stelle der in London so beliebten „hohle[n], äußere[n] Pracht“ kulturhistorisch wertvolle und „poetisch abgetönte Stimmungsbilder“ darbieten zu können.160 Seine Aufgabe als Intendant erblickte Hülsen nicht zuletzt darin, das „Vermächtnis“ Webers zu bewahren und weiterzutragen, um dem „deutschesten Tonmeister“ und „reinsten Vertreter der romantischen Kunst“ ein bleibendes Denkmal zu setzen.161 Der Zeitpunkt für ein solches Projekt schien klug gewählt zu sein: Erst an der Schwelle zum neuen Jahrhundert – so die Meinung Hülsens – zeige sich die volle Bedeutung Webers.162 Jetzt erst, so Hülsen, könnten alle „deutsche[n] Herzen“, in denen „still und verschlossen die blaue Blume der Romantik blüht“, lernen, in dem „Geliebten“ auch den „Großen“ zu erkennen.163 Mit seiner „Verdeutschung“ des Werkes bemühte sich Hülsen, dem von Weber geschaffenen ,neuen Evangelium der Tonkunst‘ in Wiesbaden eine eigene Kultstätte zu errichten, um den Ruf der Stadt und ihres Theaters als Zentrum deutscher Nationalkultur auszubauen. Das Ideal einer deutschen Nationaloper, das im Zuge der revolutionären Ereignisse von 1848 immer weiter politisiert und zum Wegbereiter eines de156 157 158 159

160 161 162 163

Ebd. Ebd. Ebd. Das Zitat ist einer nicht näher gekennzeichneten Pressenotiz aus dem Ordner ,Artikel über die Mai-Festtage 1900‘ entnommen und findet sich in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Ebd. Ebd. Ebd.

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mokratischen Verfassungsstaates aufgewertet worden war, interpretierte der Wiesbadener Intendant vornehmlich im Hinblick auf die Anforderungen eines spezifisch wilhelminischen Volkskaisertums. Dieses wollte den bürgerlich-nationalen Kulturstaat mit dem monarchischen Machtstaat preußischer Prägung versöhnen und den Kaiser- und Reichskult als tragendes Bindeglied dieser Allianz etablieren. Demonstrativ widmete Hülsen seine Wiesbadener Neubearbeitung denn auch „in tiefster Ehrfurcht und Dankbarkeit“ „alleruntertänigst“ „Seiner Majestät dem deutschen Kaiser, König von Preußen, Wilhelm II.“164 Hülsen konnte hierbei als hof- und staatsnaher Akteur und Vertrauter des Kaisers agieren, wodurch ihm entsprechende finanzielle und administrative Ressourcen zur Verfügung standen, um sein Konzept der symbolpolitischen Sinnvermittlung im Medium der Oper und des Festspiels wirkungsvoll realisieren und sich selbst als Vollender der Weberschen Werkidee und als Prophet wilhelminischer Kunstpolitik in Szene setzen zu können.165 Dem Kaiser versicherte er denn auch, es sei die erste Aufgabe seines Oberon, auf „idealem Gebiete“ wirksam zu werden und hierbei „Allerhöchste Anregungen“ aufzugreifen und zu „verarbeiten“.166 Der „Majestät“ des Kaisers überantwortete es der Wiesbadener Intendant „beurtheilen“ zu wollen, „in wie weit ich dem gerecht werden konnte!“167 5.3.2 Das „Maifestspiel an sich“168 : Der Wiesbadener Oberon Mit besonderer Spannung erwartete man in Wiesbaden schon Monate vor dem offiziellen Beginn der Maifestspiele am 16. Mai 1900 die Premiere der Oberon-Bearbeitung Hülsens. Eine ungewöhnlich akribische Planungsphase war dieser Erstaufführung vorausgegangen: Intendant Hülsen, Dramaturg Lauff und Kapellmeister Schlar waren eigens vom Kaiser, „der sich lebhaft für die ,Oberon‘-Bearbeitung interessiert“, „in dieser Angelegenheit empfangen worden“, um diesem die Details der Neufassung des Werkes zu unterbreiten.169 Anfang Mai informierte Hülsen den Kaiser, dass „sich die Vorbereitungen zu dem Riesenwerk ,Oberon‘ nun dem Ende nähern“.170 164 165 166 167 168 169 170

Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 49. Siehe diesen Brief Georg von Hülsens an den Kaiser vom 9. Mai 1900 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21198. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 17. Mai 1907. Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 1, Nr. 3 (Februar 1900), S. 39. Siehe den Brief Georg von Hülsens an den Kaiser vom 9. Mai 1900, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21198.

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Gleichzeitig konstatierte er, dass „das Interesse an dieser Premiere“ „in allen Kreisen ein derartig großes und erwartungsvolles“ sei, „daß ich mich nicht entsinne, etwas Aehnliches erlebt zu haben“.171 Zeitgleich vermeldete die Presse, dass sich ein „selbst für diese Kaiserfestspiele ganz ungewöhnliches Interesse“ auf die Neubearbeitung des Oberon konzentriere172 , und dass Wilhelm II. „nach den getroffenen Dispositionen bereits am 15. ds. Mts. in Wiesbaden“ eintreffen wollte, „um der an diesem Tag stattfindenden Generalprobe des ,Oberon‘ beizuwohnen“.173 Wie bereits im Falle des HohenzollernZyklus wollte es sich der Kaiser nicht nehmen lassen, diese bereits vorab zu inspizieren beziehungsweise zu zensieren, ein Vorrecht, das Wilhelm als wichtigstem Finanzier der Maifestspiele und als Hausherr des königlichen Instituts auch in diesem Fall fraglos zuerkannt wurde: Allein für die Maifestspiele des Jahres 1900 hatte der „hohe Protektor“ 170 000 Mark gespendet, um die „Wiesbadener Hofbühne zu einer deutschen Musterbühne“ aufzubauen.174 Das Interesse des Kaisers trug auch dazu bei, die Neugier des Publikums anzufeuern, und so war schon Anfang Mai „der Andrang zur Vorausbestellung der Plätze“ „so enorm“, dass etwa die Plätze im ersten Rang, wo die kaiserliche Entourage sowie die offiziell geladenen Gäste des Kaisers Platz nahmen, sofort ausverkauft waren.175 Zudem waren im Vorfeld geschickt gestreute Details über die neueste Attraktion der Maifestspiele in Umlauf gebracht worden, die das Interesse des Publikums zusätzlich anstachelten. Am 15. Mai bereitete die Wiesbadener Presse das Publikum enthusiastisch auf „all das Neue und Herrliche“ vor, das durch „eine noch nie dagewesene Kunst der Inszenierung ins Leben gerufen“ werde und sich „den staunenden Hörern offenbaren“ solle.176 Was am folgenden Abend „an herrlichen Bildern“ auf der Bühne des Theaters erscheine, meinte ein Rezensent nach der Teilnahme an der Generalprobe am 15. Mai, „spottet jeder Beschreibung“.177 Nur „andeuten“ könne man, „welche Genüsse da der Zuschauer warten“.178 Gerade diese gezielte Medien- und Werbekampagne zeigt den eminent modernen Charakter der Wiesbadener Festspiele, die gekonnt mit der Neugierde und den Erwartungen des Publikums arbeiteten und den Oberon erfolgreich als öffentliches Ereignis lancierten. Der sachkundige Einsatz von Presse und Werbung verdeutlichte, dass die 171 172 173 174 175 176

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Ebd. Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 1, Nr. 9 (Mai 1900), S. 119. Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 1, Nr. 10 (Mai 1900), S. 131. Ebd., S. 147. Ebd., S. 131. Das Zitat ist einer nicht näher gekennzeichneten Pressenotiz aus dem Ordner ,Artikel über die Mai-Festtage 1900‘ entnommen und findet sich in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Ebd. Ebd.

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Festspiele sich zeitgemäße Formen einer öffentlichen Kommunikation zu Nutze machen konnten und hiermit Bestandteil eines Moderne-Diskurses waren, der das Verhältnis von Medien, Politik und Öffentlichkeit neu definierte. Tatsächlich sollte das Interesse des Publikums und der Presse nicht enttäuscht werden. Der Wiesbadener Oberon bestand seine „Feuerprobe glänzend“ und präsentierte sich als „formvollendetes Werk“ einer illustren „Versammlung von Gästen“ aus „Militär und Civil“: Die Sänger und Darsteller leisteten „wacker das Ihre“, so dass es dem Urteil der Kritik zufolge unter „größter künstlerischer Anspannung“ gelang, „dem deutschen Volke“ ein wahres Meisterwerk „zum Geschenke“ zu machen.179 Insbesondere bewunderten Presse und Publikum die „entzückend[en] Wandeldekorationen“, unter denen vor allem der „Audienzsaal zu Bagdad und die Marienkirche zu Aachen“ begeisterten.180 Bei dem über acht Minuten „an unsern Blicken vorüberziehenden Wechselbilde ,Heimwärts‘ (die Reise der beiden Liebespaare von Bagdad nach Aachen symbolisierend) [...] brach das Publikum, hingerissen, bei offener Scene in lauten Beifall aus, mit dem es bei der Glanzleistung überhaupt nicht kargte“.181 Die Schöpfer der Oberon-Bearbeitung hatten mit ihrer Umarbeitung des Werkes einen beispiellosen Erfolg erzielt. Was im Mai 1900 als „geistvolle[s] und interessante[s] Experiment“182 begonnen hatte, avancierte in den folgenden Jahren immer mehr zur „Inkarnation der Hülsenschen Bühnenkunst“, zum „Maifestspiel an sich“.183 Sowohl institutionell als auch inszenatorisch hatte die Wiesbadener Theater- und Festspielkultur um 1900 damit eine eigenständige künstlerische und inszenatorische Ausdrucksform gefunden, die bis 1914/18 nur noch minimal verändert werden sollte. Dem Kaiser konnte Hülsen somit „frohen Herzens“ „Gutes melden“184 : Der „Fremdenzustrom zum ,Oberon‘“ – so Hülsen im April 1901 – „steigt von Tag zu Tag, und Weber ist in Mund und Herzen der ca. 65.000 Menschen, die [...] die Aufführungen sahen“.185 Bei „durchschnittlich ausverkauften Häusern“ decke „sich hier einmal – ein leider seltener Fall – der ideelle und materielle Erfolg vollkommen“.186 Selbst nach einem Jahrzehnt wirkte „der Zauber, der von Oberons Lilienzepter ausgeht“, noch immer „mit ungeminderter Kraft!“187 Auch nachdem die Oper 179 180 181 182 183 184 185 186 187

Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 1, Nr. 11 (Juni 1900), S. 146f. Ebd., S. 146. Ebd. Ordner ,Artikel über die Mai-Festtage 1900‘, in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Wiesbadener Tagblatt, 17. Mai 1907. Siehe diesen Brief Georg von Hülsens an den Kaiser vom 18. April 1901, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21201. Ebd. Ebd. Rheinische Volkszeitung, 7. Mai 1910.

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kaum mehr als Neuheit bezeichnet werden konnte, garantierte sie zuverlässig ein „bis auf den letzten Platz“ ausverkauftes Haus.188 Dies wurde in Wiesbaden als „einzig dastehender“ und keineswegs selbstverständlicher „Erfolg“ der lokalen Theatertradition bewertet. Denn während der Maifestspiele wurden die Karten für Oberon und die anderen Festvorstellungen immer außer Abonnement und zu besonders hohen Preisen verkauft, wobei die Festspielpreise „noch etwas um das doppelte höher“ ausfielen als die regulären ,erhöhten Preise‘.189 Die Preispolitik der Maifestspiele trug entscheidend dazu bei, deren exklusiven Charakter zu betonen: Wie im Falle der Festlichkeiten zur Eröffnung des neuen Hoftheaters war ein großer Teil der Wiesbadener Bevölkerung von der Teilnahme an der Festvorstellung ausgeschlossen und musste sich darauf beschränken, den Monarchen bei seinen Ausritten, Spazierfahrten oder anderen offiziellen Auftritten zu bestaunen. Im Gegensatz zu diesen Gelegenheiten markierte das Opernhaus eine privilegierte adelig-großbürgerliche Sphäre, die einer zahlungskräftigen gesellschaftlichen Elite vorbehalten war. Keine Festoper konnte dieses Flair des Besonderen und Kostbaren besser zum Ausdruck bringen als Oberon, so dass die Oper im Lauf der Zeit immer mehr zum exemplarischen Vehikel einer höfisch-monarchischen Repräsentationskultur wurde. Wie kein anderes Werk erfüllte die stets „pomphafte Inszenierung“ Hülsens „jeden der zahlreich anwesenden Theaterdirektoren mit blassem Neid“190 und trug dazu bei, die „heutigen ,Modekomponisten‘“ zu einer „quantité négligeable“ zu degradieren.191 Der Meinung der Wiesbadener Presse zufolge brauche die „,gute alte Zeit‘“ hinsichtlich der „Lebens- und Zugkraft ihrer Werke“ den Vergleich mit den vermeintlich ephemeren Erfolgen der ,modernen‘ Komponisten „nicht zu scheuen“192 − eine Aussage, die in treffender Weise die konservative Spielplangestaltung der Wiesbadener 188 189

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Ebd. Ebd. Für die zugkräftigsten Aufführungen der Maifestspiele wurden vergleichsweise hohe Eintrittspreise verlangt. 1913 beispielsweise waren folgende Preise für die Vorstellungen des Oberon und des Freischütz vorgesehen: Mittelloge 25,50 Mk. − Seitenloge I. Ranggalerie, Orchestersessel 20,50 Mk. − Parkett 15,50 Mk. − II. Ranggalerie 8,50 Mk. − Parterre 6,50 Mk. − III. Ranggalerie 4,50 Mk. − Amphitheater 3,50 Mk. Vgl. in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Akten der Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden. Special-Akten betreffend Festspiele 1913, Abt. 428, Nr. 69. Demgegenüber waren die regulären ,erhöhten Tagespreise‘ wesentlich niedriger angesetzt. Im Jahr 1908 betrugen sie beispielsweise: Seitenloge im I. Rang 10,50 Mk., I. Ranggalerie und Orchestersessel 9,50 Mk., Parquet 7,50 Mk., Parterre 4,50 Mk., II. Ranggalerie 1. Reihe 6,50 Mk., II. Ranggalerie 2. Reihe und 3., 4. und 5. Reihe Mitte 4,50 Mk., II. Ranggalerie 3. bis 5. Reihe Seite 3,50 Mk., III. Ranggalerie 1. Reihe und 2. Reihe Mitte 3,50 Mk., III. Ranggalerie 2. Reihe Seite und 3. und 4. Reihe 2,50 Mk., Amphitheater 1,90 Mk. Siehe in: Akten der Intendantur des Königlichen Theater zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Festspiele 1908, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 64. Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911. Wiesbadener Zeitung, 15. Mai 1911. Ebd.

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Bühne umriss, die sich gegenüber Neuerungen nur sehr zögerlich öffnete. In der Wiesbadener Interpretation der Themen- und Bilderwelt des Oberon meinte die Presse eben jene „echt deutsche Gemütstiefe und Gefühlsinnigkeit“ zu erblicken, die der Oper ihre „tiefgehende Wirkung“ sichere.193 Das nationalkulturelle Deutungsmuster einer Identität stiftenden ,deutschen Kunst‘, auf das Hülsen in seiner Einführung zur Neubearbeitung des Oberon verwiesen hatte, spielte damit auch in der Presserezeption des Werkes eine bedeutende Rolle. Vor allem bestimmte Topoi und Motive trugen dazu bei, dem Werk prototypische Attribute einer deutschen Nationaloper zuzuweisen. Wie bereits im Freischütz, jener exemplarischen deutschen Nationaloper194 , spielte auch im Oberon das Motiv des ,deutschen Waldes‘ als Symbol nationaler Identität eine herausragende Rolle. Es diente als Kollektivsymbol deutscher Nationalkultur, verdichteten sich hier doch vermeintlich jene Empfindsamkeit, Treue und Heimatverbundenheit, die in der zeitgenössischen Selbstwahrnehmung besondere Merkmale eines deutschen Nationalcharakters markierten.195 So farbenprächtig die Wiesbadener Wandeldekorationen das Elfenreich des Oberon oder die Pracht des Kalifen-Palastes auch darstellen mochten − den eigentlichen Höhepunkt der Oper sahen viele zeitgenössische Kritiker in den letzten Szenen des Werkes, die „uns über das wogende Meer, durch das Wunderland Italien, über die schneebedeckten Alpen zu den herrlichen Ufern des Rheins“ führten, wo „endlich“ der „deutsche Wald“ das Theaterpublikum grüßte und ein „dem Adagio der FreischützOuvertüre nachgebildeter Hornsatz“ erklang.196 Der „exotische Dunst der fremdländischen Sage“ war der „deutsche[n] Waldluft“ gewichen, so dass die Wiesbadener Presse Oberon als „ein herrliches deutsches Werk mit einer Musik voll Weihe, Kraft, Schönheit und beglückender Befreiung“ lobte.197 Mit dieser Deutung unterstützte das Gros der lokalen und regionalen Presse Hülsens Interpretation des Werkes. Während nämlich – so etwa die Meinung des Rheinischen Kuriers – „die glühende und exotisch überschäumende Phantasie eines Wieland“ gelegentlich schemenhafte und „mit entzündeten Blutkörpern überfüllte“ Figuren ersonnen habe, „die dichte193

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Christian Spielmann: Die Festvorstellungen im Wiesbadener Hoftheater, in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 4, Nr. 12 (16. Juni 1903), S. 146–147, hier S. 146. Vgl. hierzu vor allem Theodor W. Adorno: Bilderwelt des Freischütz [1961/1962], in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 17: Musikalische Schriften IV: Moments musicaux. Impromptus, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1982, S. 36–42. Vgl. hierzu folgende Passage aus Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 57: „Der Wald ist, wie ein gewisser Forstrat Dr. Zentgraf in einer Schriftenreihe zur politischen Bildung im Jahre 1923 versicherte, der Wurzelgrund der Treue. Deutscher Wald und deutsche Treue gehören in der Autostereotypisierung der Deutschen von der Romantik an zusammen.“ Fritz Keiser: Carl Maria von Weber. Oberon. Wiesbadener Bearbeitung, Wiesbaden 1900, S. 15. Ebd.

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risch niemals dem deutschen Volksherzen näher kommen“ könnten, sei es Weber gelungen, „aus den Tiefen der deutschen Romantik, aus der Seele des deutschen Waldes und aus dem Kinderherzen des deutschen Volkes den alles vergoldenden Zauberklang der deutschen Musik“ zu schaffen, mit dem er selbst „Frankreich, Arabien und Persien“ in eine „Gemüts-Provinz deutschen Volkstums“ verwandelt habe.198 Romantik, Wald sowie die affektive Wirkmacht einer als spezifisch deutsch deklarierten Musik – in dieser Pressedarstellung wurden unterschiedliche Chiffren nationaler Identität aufgerufen und miteinander kombiniert, so dass es hier zu einem gleichsam totalisierenden „semantische[n] Floating“ verschiedenartiger Facetten deutscher Nationalkultur kommen konnte, die dem Oberon seine besondere Anziehungskraft verliehen.199 Vorrangig wurde der Wiesbadener Oberon denn auch als ein dezidiert „deutsches Opernwerk“ aufgenommen – „deutsch in all seinen Gestalten, ob sie in der Guienner Rüstung oder in arabischen Hosen einherschreiten, deutsch in Stimmung, Gefühl und Empfindung“.200 Hülsens nationale Zurichtung des Werkes begnügte sich allerdings nicht mit der zitathaften Aufnahme bereits etablierter Nationalsymbole. Vielmehr zielte seine Opernbearbeitung auch auf eine Neuausrichtung politischer Identität ab; denn der Intendant verband seine Version einer deutschen Nationaloper mit der Glorifizierung eines monarchisch-höfischen Kaiserkultes. Damit unterstrich er noch einmal die ursprüngliche programmatische Ausrichtung der Maifestspiele. Gleichzeitig passte Hülsen seine prunkvolle ,Zauberoper‘ aber auch den Erwartungen und Wünschen eines internationalen Publikums an, das im Wiesbadener Hoftheater in erster Linie eine Stätte kosmopolitischen Glanzes und luxuriöser Unterhaltung erblickte. Besondere Sorgfalt verwandte er hierbei auf die Überarbeitung des Finales der Oper, das im Thronsaal Karls des Großen in Aachen angesiedelt war. Dieser Szene war in der Originalfassung kein besonderes Gewicht beigemessen worden; häufig hatte man sich ihrer sogar entledigt, „indem man sie einfach fortließ“.201 Hülsen war allerdings überzeugt, dass man mit einer solchen Aufführungspraxis den Willen des Komponisten missachtet und die Handlung „ihres natürlich gegebenen Abschlusses“ beraubt habe.202 Seiner Ansicht nach könne kein Zweifel bestehen, dass Weber „gerade dem Ausklang seines Werkes“ gerne „eine wesentlich andere Form gegeben hätte, wäre textlich nur ein

198 199

200

201 202

Ebd. Jürgen Link/Wulf Wülfing: Einleitung, in: dies. (Hrsg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität, Stuttgart 1991, S. 7–15, hier S. 11. Christian Spielmann: Die Maifestspiele am Wiesbadener Hoftheater, in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 8, Nr. 11 (1. Juni 1907), S. 136–138, hier S. 137. Hülsen: Einführung in den „Oberon“. Ebd.

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Abbildung 12: Franz Angelo Rottonara, Bühnenbild zu Carl Maria von Webers Oberon (Thronsaal Karls des Großen), 1900

anregenderer Abschluß vorhanden gewesen“.203 Vor allem die Rolle Karls des Großen musste nach Einschätzung des Wiesbadener Intendanten eine deutliche Aufwertung erfahren. In der ursprünglichen Version war der Kaiser „nicht einmal zu Worte“ gekommen, so dass Weber sich nicht der Mühe unterzogen habe, für das Finale eigens eine „neue Komposition“ zu schaffen, sondern „einen Chor aus seiner Jugendoper ,Peter Schmoll‘“ verwendet habe.204 Der Einschätzung Hülsens zufolge verlor Oberon dadurch aber jede „tiefere künstlerische Bedeutung“, und so glaubte sich der Intendant im Einklang mit Weber, wenn er sich anschickte, in seinem Entwurf „die Frage des Finale“ nun endlich „würdig und pietätvoll“ zu „lösen“.205 Er beauftragte den Kapellmeister Joseph Schlar, für das Finale der ,Wiesbadener Bearbeitung‘ einige musikalische Passagen zu komponieren, die dem Gesamtcharakter der Neuinszenierung entsprechen sollten. Schlar schuf nun neben anderem ein ,Kyrie‘ für die am Aachener Hof stattfindende Osterfeier, das eine feierliche Ansprache des Kaisers an seine Ritter und Gefolgsleute untermalen sollte. Die letzte Szene im Kaiserhof zu Aachen (Abb. 12) wurde damit im Rahmen der ,Wiesbadener Bearbeitung‘ systematisch zu einem dramaturgischen 203 204 205

Ebd. Ebd. Ebd.

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und musikalischen Höhepunkt der Oper ausgebaut. Karl erscheint in dieser letzten Szene mit großem Gefolge in seinem Thronsaal, wo er Hüon und Rezia erblickt und mit seinem Zug stehen bleibt. Hüon tritt auf den Kaiser zu und grüßt diesen mit den Worten: „Gewalt’ger Karl, daß stets / Dein Ruhm sich mehre. / Gewalt’ger Karl, von Majestät umloht / Ich bringe heim die ruhmbedeckte Wehre, / Die kühn vollbracht, was mir Dein Mund gebot.“206

Der Kaiser, angerührt durch den Gehorsam und den Eifer Hüons, vergibt diesem endlich und erinnert die Umstehenden an den Beginn der Osterfeierlichkeiten: „Ich seh Dich an − und muß den Schmerz verwinden / Der wieder sich um Karlmann erneut, / Doch balsamgleich läßt ihn von hinnen schwinden / Der Osterglocken feierlich Geläut. Denn Er, der Herr, der [...] heute, wie vor aberhundert Jahren, / Die Welt zur Auferstehungsfeier weckt, / [...] Der hat auch mir die Milde und den Frieden / Am Ostermorgen in die Brust gesenkt!“207

Daraufhin wird Rezia von Karl getauft, der nun die beiden Liebenden zum „ew’gen Bund am bräutlichen Altar“ eint.208 Während Responsorien einsetzen, ruft der Kaiser den Hofstaat zur feierlichen Messe in den Dom: „Und wenn im Dom die hohen Kerzen glimmen, [...] / Im heißen Dank erhebet Eure Stimmen / Als Ostergruß zum lichten Firmament. / Vom innern Frieden wundersam durchdrungen, / Der reine Kelch der Liebe ist entflammt. − − − / Schon klingt es nieder wie mit Engelszungen, / Zur Kirche denn − − es ruft das heilge Amt.“209

Feierlicher Schlussgesang hebt an, und es ertönen die „Auferstehungschöre, die hineinklingen in das glaubensfrohe Fest der Erlösung von aller Erdenpein und Not − in die Osterfeier Kaiser Karls! − Kyrie eleison!!“210 Bereits dieser kurze Textauszug aus dem Wiesbadener Libretto belegt, dass die Schluss-Szene der Oper ihre bislang eher marginale Rolle vor allem durch die Aufwertung der Person Karls des Großen verlor: In Hülsens Neubearbeitung wurde der Kaiser nun zu einem der entscheidenden Protagonisten und trat als gütiger, verzeihender und majestätischer Priesterkönig auf. Die Dramaturgie dieser Szene war vornehmlich auf die Überhöhung seines herrscherlichen Charismas ausgerichtet; denn Karl sollte dem Publikum nun – neben dem Feenkönig Oberon und dem ritterlichen Helden Hüon – als zentrale Figur der Opernhandlung präsentiert werden. In seiner religiösen Tiefe, seiner ritterlichen Erhabenheit und gütigen Menschlichkeit wurde Karl zur 206

207 208 209 210

Vgl. Libretto zu: ,Oberon, König der Elfen‘. Grosse romantische Feenoper in 3 Akten, Musik von C. M. v. Weber, Wiesbadener Bearbeitung, Gesamtentwurf Georg von Hülsen, Melodramatische Ergänzung: Jos. Schlar, Poesie: Jos. Lauff, Wiesbaden, Mai 1900, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1744. Ebd. Ebd. Ebd. Hülsen: Einführung in den „Oberon“.

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Inkarnation kaiserlicher Macht und Würde, eine Bühnenfigur, die der Nimbus des Heiligen umgab, wie Hülsen dies in seinem das ,Kyrie-Eleison‘ intonierenden Schluss der Oberon-Einführung nahelegte. Es war kein Zufall, dass Hülsens Opernbearbeitung symbolisch so aufgeladenen Orten und Personen wie der Kaiserstadt Aachen oder der Figur Karls des Großen einen besonderen Platz einräumen wollte. Um Oberon wirkungsvoll als nationalmonarchische Festoper realisieren zu können, musste Hülsen auf bekannte und kollektiv akzeptierte Symbole zurückgreifen. Die Person Karls des Großen bot sich hier in besonderer Weise an, fungierte dieser doch in der zeitgenössischen Wahrnehmung als Inkarnation der deutschen Nation und verkörperte sowohl das Idealbild nationalen Kaisertums als auch die Einheit des deutschen Reichsgedankens.211 Diese Umdeutung des Finales fand vielfach das Lob der Kritik: Hülsen und Lauff wurde das Verdienst zugeschrieben, „Kaiser Karl, einst eine lächerliche, zu hilflosem Schweigen verdammte Theaterfigur“ zu neuem Leben erweckt und mit der Osterpredigt des Kaisers an die versammelte Festgemeinde „die rechten ergreifenden Worte zum Abschluß so herrlicher Tondichtung“ gefunden zu haben.212 Elemente wie die mittelalterlich-ritterliche Sagenwelt, das christliche Erlösungs-Motiv, die österliche Heilsbotschaft, die Taufe der heidnischen Frau, die Wahl von Schloss- oder Tempelhallen als bevorzugte Schauplätze der Bühnenhandlung sowie das Schlusstableau einer ästhetisch-mythischen Apotheose erinnern unwillkürlich an Wagners Parsifal, der zur Zeit der Uraufführung des Wiesbadener Oberon noch nicht außerhalb Bayreuths aufgeführt werden durfte. Die für dreißig Jahre erwirkte Schutzfrist des Parsifal, die 1883 mit Wagners Tod begonnen hatte, umgab die Oper mit dem Nimbus des Besonderen. Trotzdem war das Werk im Ausland – unter anderem im Dezember 1903 an der Metropolitan Opera in New York York – äußerst erfolgreich inszeniert worden.213 Ob Hülsen mit Oberon ein Pendant zu Wagners Bühnenweihfestspiel im Sinn hatte, oder ob Publikum und Presse den Wiesbadener Oberon als komplementären Entwurf zum Bayreuther Parsifal wahrnahmen, ist anhand der vorliegenden Presserezensionen nicht eindeutig zu belegen. Fest steht aber, dass die Wiesbadener Festspiele aufgrund von Hülsens eigenwilligen Opernbearbeitungen – und hier ist Oberon als erfolgreichste der ,Spezialeinrichtungen‘ hervorzuheben – für sich einen exklusiven Sonderstatus in Anspruch nehmen konnten, der ihnen gleichfalls die Aura des Einzigartig-Exklusiven verlieh, ohne sich explizit auf Bayreuth berufen zu müssen. Mit ihrem Vorhaben, dem Opernschaffen der Romantik 211

212 213

Vgl. hierzu auch Rüdiger Haude: ,Kaiseridee‘ oder ,Schicksalsgemeinschaft‘. Geschichtspolitik beim Projekt ,Aachener Krönungsausstellung 1915‘ und bei der ,Jahrtausendausstellung Aachen 1925‘, Aachen 2000, S. 102. Ordner ,Artikel über die Mai-Festtage 1900‘, in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Vgl. hierzu Hans-Joachim Bauer: Richard Wagner, Stuttgart 1992, S. 366.

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und besonders dem Werk Carl Maria von Webers einen bevorzugten Platz einzuräumen, waren Hülsen und Lauff erstaunlich erfolgreich. So bezeichnete beispielsweise der Frankfurter General-Anzeiger im Mai 1900 die „Wiesbadener Veranstaltungen“ als Verkörperungen eines „urewige[n] Evangelium[s] der Schönheit“.214 Während sich manch andere „unnatürliche Kunstrichtung“ „prahlerisch mit den Zeichen des Fortschritts“ schmücke und dabei nur dem „Ungesunden und Häßlichen eine Stätte“ bereite, ziehe die von Wiesbaden ausgehende Kunst der Romantik zu einem „neuen Eroberungszug“ aus, um „neben dem Wahren auch dem Schönen in der Kunst“ aufs Neue zu „seinen unantastbaren Rechten zu verhelfen“.215 Solche Deutungen der regionalen Presse zeigen nicht nur, dass ein Großteil der Rezensenten bereit war, der Werkinterpretation Hülsens eine beträchtliche nationalidentifikatorische Bedeutung zuzuerkennen.216 Sie belegt zudem den hochgradig artifiziellen Charakter der Maifestspiele, die unterschiedliche Facetten deutscher Nationalkultur aufriefen und in einer so eigenwilligen Weise montierten, dass sie zum Inbegriff einer wilhelminischen Moderne avancierten.

5.4 Die Maifestspiele im Widerstreit von Tradition und Moderne Die Marke Oberon wurde mit ihrem „Zauber der phantastischen Märchenwelt“ selbst zunehmend geschichtsmächtig und verkörperte das dramaturgische Äquivalent der Weltkurstadt mit ihrem prunkvollen Kurviertel, ihren Villen und Prachtstraßen und ihren sorgsam arrangierten ,Kaisermanövern‘217 : Schillernd, opulent und ein wenig phantasmagorisch gelang es hier, verschiedenartige Elemente und Traditionen zusammenzuführen und dabei den Eindruck scheinbarer Leichtigkeit und Harmonie zu erwecken, wobei das Gesamtergebnis geschickt das sorgsam und kunstvoll gefertigte Schnittmuster verbarg, dem es sein Entstehen verdankte. So entschieden man sich in Wiesbaden einerseits auch gegenüber bestimmten Aspekten der Moderne – zu erwähnen wäre hier beispielsweise die Vermeidung von Industrieansiedlungen und der Versuch, die gesellschaftspolitischen Spannungen im Zeichen der sozialen Frage zu umgehen – abzuschirmen versuchte, um demgegenüber eine höfisch geprägte Kur-Idylle zu kultivieren und eine vermeintlich idealistische Kunstauffassung zu pflegen, so wenig konnte und wollte man andererseits darüber hinwegtäuschen, wie manifest sich diese 214 215 216 217

Frankfurter General-Anzeiger, 18. Mai 1900. Ebd. Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 58. Wiesbadener Tagblatt, 17. Mai 1907.

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Moderne gerade hier in ihrem „zusammengesetzt[en], gerechnet[en], künstlich[en]“ Charakter zeigte.218 Der von Hülsen so konsequent und häufig angestrebte Vergleich mit Wagner und Bayreuth entstammte nicht zuletzt einem Wissen um gemeinsame Ordnungs- und Strukturprinzipien, der beide Festspieltraditionen – bei allen Unterschieden – letzten Endes doch miteinander verband. Wenn Nietzsche Wagner 1888 als „Cagliostro der Modernität“, als den „moderne[n] Künstler par excellence“ bezeichnete, gilt dies – auf andere Art – sicher auch für die wilhelminische Festkultur Wiesbadens219 : Wie Wagner und seine Bayreuther Musikdramen waren die Wiesbadener Maifestspiele modern vor allem in ihrer kalkulierten Künstlichkeit, die in immer „höhere Formen der Organisation“ aufstieg, um zu verbergen, dass „das Leben nicht mehr im Ganzen wohnt“.220 Im Verlust und der Unmöglichkeit einer „large-scale coherence“ oder einer „structural unity in works of art“ zeigte sich – so die Analyse Walter Frischs – für Nietzsche eines der „keyelements of modernity“221 , dem Wagner durch „Pathos“, durch das „Wollen eines extremen Gefühls“ und durch die „Überzeugungskraft der Gebärde“ zu begegnen suchte.222 In auffallender Entsprechung war auch Hülsens Oberon modern in seiner Suche nach dem größtmöglichen Effekt, vor allem aber in seiner Zugehörigkeit zu jenem nationalkulturellen Symbolfundus, der die deutsche Nationaloper als Teil einer identitätsstiftenden invented tradition begriff und den Anspruch erhob, als genuiner Ausdruck einer authentischen Volkskunst wahrgenommen zu werden, obgleich er in erster Linie als ,Erfindung‘ und Konstrukt einer deutungskulturellen Elite anzusehen war. Auf diesem Weg präsentierten sich die Maifestspiele als hochgradig reflektiertes Unternehmen, das massenmedial ausgeleuchtet war und insofern in den Rahmen einer kulturellen Moderne eingelassen war. Kritiker der Festspiele griffen wiederholt gerade die eklektizistische Künstlichkeit und den montageartigen Charakter der erfolgreichen Wiesbadener Spezialeinrichtungen an und legten damit das Unauthentisch-Konstruierte oder gar gezielt Manipulative der Opernneubearbeitungen Hülsens offen. In der Beurteilung des Oberon trat dies deutlich zutage; denn besonders Teile des dritten Aufzuges fanden keineswegs den uneingeschränkten Beifall der Presse. Im Berliner Tageblatt vom 20. Mai 1902 griff Leopold Schmidt die vom Publikum stets so bejubelte „Fahrt des von Oberon erretteten Paares von Bagdad bis Aachen heraus“, die dem Publikum zwar in einer „großartig gelungenen“ Wandeldekoration vor Augen geführt werde, seiner Ansicht nach aber 218

219 220 221 222

Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem [1888], in: ders.: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Bd. 6, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1988, S. 9–53, hier S. 27. Ebd., S. 23. Ebd., S. 27. Walter Frisch: German Modernism. Music and the arts, Berkeley/Los Angeles/London 2005, S. 27. Nietzsche: Der Fall Wagner, S. 29.

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in ihrer musikalischen Umsetzung keinesfalls überzeugen könne.223 Offenbar, so notierte Schmidt, hätten „Herrn Schlar“ zugleich „das Gewissen und der gute Geschmack [...] im Stich gelassen“224 : „Wir passiren den Rhein: Nibelungenklänge tauchen auf, der deutsche Wald zieht vorüber, und sofort ertönen Hörner aus dem ,Freischütz‘!“225

Ein ernstzunehmendes Kunstinstitut dürfe sich eine so „unwebersche Instrumentation“ nicht leisten, die „ein Finale mit Militärmusik und Orgelklängen an ein Märchenspiel“ hängen musste, um sich wirkungsvoll und effekthascherisch in Szene zu setzen.226 Die rund 230 000 Menschen, die den Wiesbadener Oberon allein bis zum Jahr 1910 in mehr als 160 Vorstellungen erlebt hatten, schienen allerdings nichts gegen den artifiziellen Charakter des Werkes einzuwenden zu haben, sondern ließen sich bereitwillig von dem „Märchenwunder“ verzaubern, das das „Künstlertrio Hülsen – Lauff – Schlar“ für die Wiesbadener Bühne geschaffen hatte.227 Die enorme Popularität des Oberon trug rasch dazu bei, dass sich in Wiesbaden bald eine florierende „Kaisertags-Industrie“ etablierte, die mitunter einen „bizarren Ausdruck von manchmal grotesker Komik“ anzunehmen drohte.228 Dekorationsartikel mit Kaisermotiven verkauften sich in großer Zahl, die „Ansichtskarten-Industrie und der Momentphotograph“ hatten „Hochkonjunktur“.229 Allein die Zahl der in den Maitagen verkauften Ansichtskarten mit Bildern der kaiserlichen Familie ging „in die Tausende“.230 Auch die ausländischen Gäste bildeten hier keine Ausnahme, und so war der deutsche Kaiser „in der ganzen Welt so bekannt wie kein zweiter Monarch der Erde“, gab es doch auf „dem Erball“ kaum eine „zivilisierte Familie, die nicht schon von irgendwoher eine Karte mit dem Bilde des Kaisers erhalten hätte“.231 Die moderne Massenpresse stilisierte die Maifestspiele zu monumentalen Medienereignissen und sicherte ihnen damit einen Großteil ihrer Anziehungskraft und ihrer außerordentlichen internationalen Beliebtheit. Neben den Bildern der „offiziell bestellten Hofphotographen“ spielte der „freie Wettbewerb“ eine immer wichtigere Rolle; denn überall warteten „Zeitungen und Zeitschriften“ auf Bilder und Berichte, wollte das Publikum über alle „Phasen der Kaisertage“ informiert sein und wenigstens aus der Ferne an dem exklusiven Geschehen teilhaben.232 Entscheidend war 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232

Berliner Tageblatt, 20. Mai 1902. Ebd. Ebd. Ebd. Rheinische Volkszeitung, 7. Mai 1910. Wiesbadener Tagblatt, 15. Mai 1908. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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dabei, dass die „Aufnahmen sehr rasch herausgebracht“ wurden, wenn sie „ihren Wert“ behalten sollten.233 Auch die einheimische Tourismusindustrie profitierte von diesem Siegeszug der „Kaisertags-Industrie“: Fensterplätze und Balkone ließen sich bei Paraden und Spazierfahrten des Kaisers zu einträglichen Preisen vermieten, und besonders günstig gelegene Wohnungen – etwa am Schlossplatz – konnten auf diese Weise in wenigen Tagen einen „erheblichen Teil der Jahresmiete“ herauswirtschaften.234 Mancher Beobachter mochte dabei beklagen, dass die „Qualität des Fremdenverkehres“ immer mehr im Begriff war, einen deutlichen „Rückgang“ hinnehmen zu müssen, da sich die „finanzielle und soziale Qualität der Reisenden“ sukzessive veränderte.235 An die Stelle der Aristokratie und der Plutokratie trat zunehmend der „internationale und deutsche Mittelstand“, so dass sich das gern so mondän und elitär gebende Wiesbaden der Gefahr ausgesetzt sah, von einer „reisenden Masse“ überrannt zu werden.236 Dennoch war diese Entwicklung hin zu einer massenmedial vermittelten und zunehmend kommerzialisierten ,Eventkultur‘ unaufhaltsam. Die Wiesbadener Kaiserbesuche und Festspiele waren ohne das Interesse von Seiten der Medien und des (inter-)nationalen Fremdenpublikums kaum noch denkbar. Die hierbei explizit propagierte „nationale Ideologie“ trug dazu bei, „Königinnen und Kaiser, Bürgerinnen und Bürger, Verleger und Filmhersteller“ zusammenzubringen, wobei etwa Wilhelm II. selbst nur noch bedingt Einfluss darauf nehmen konnte, ob sein öffentliches Auftreten vornehmlich zu einer integrativen „Nationalisierung“ der Massen oder zu ihrer Unterhaltung beitrug.237 Das Hoftheater war ein unverzichtbarer Bestandteil dieser inszenatorischen Gesamtapparatur. Nach wie vor umgab die pompösen Festvorstellungen eine Aura exklusiver Vornehmheit und luxuriöser Opulenz. Dies zeigte sich beispielsweise an den exorbitant hohen Preisen, die für einzelne Festvorstellungen erhoben werden konnten. Die immense Nachfrage und das „unsinnige Überbieten“ trieb die Preise für die Eintrittskarten in enorme Höhen: Bei den Festspielen des Jahres 1907 hatte „ein reicher Amerikaner bei einem Zigarrenhändler für eine Loge am zweiten Abend, die ein anderer Stammesgenosse ihm streitig machte, sage und schreibe 915 M. bezahlt“, um eine der Aufsehen erregenden ,Wiesbadener Spezial-Einrichtungen‘ – es handelte sich in diesem Fall um Glucks Oper Armide – besuchen zu können.238 Der in Wiesbaden und seinem Hoftheater so sorgsam geförderte Kult um Kaiser und Reich war so eng mit einer sich zunehmend kommerzialisieren233 234 235

236 237 238

Ebd. Ebd. Ludwig Anders: Fremdenverkehr, in: Die Weltkurstadt. Wiesbadener Halbmonathefte für Kur- und Fremdenwesen, Gesellschaft, Kunst, Theater und Sport 2/1912, H. 12, S. 377–379, hier S. 378. Ebd., S. 378. Paulmann: Pomp und Politik, S. 416. Wiesbadener Tagblatt, 15. Mai 1908.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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den Waren- und Konsumwelt verbunden. Mit den Wiesbadener ,SpezialEinrichtungen‘ wie Armide oder Oberon war diese Allianz von „Pomp und Politik“, von „Kommerz und Nation“ wirkungsvoll auf die Spitze getrieben worden.239 Die Kaiserfestspiele waren damit zugleich Teil jener zwischen 1870 und 1914 sprunghaft ansteigenden Zahl von „invented rites“, die – der Aufwand, mit dem etwa Krönungsjubiläen oder profane Gedenk- und Festtage wie Nationalfeiertage oder auch sportliche Großereignisse wie die Olympischen Spiele begangen wurden, legt dies nahe – dem Wunsch Ausdruck verliehen, inmitten einer Zeit kontinuierlichen Wandels Spuren verbindlicher Kontinuität und kollektiv wirksamer Tradition zu ziehen.240 Wie viele andere dieser „[n]ewly invented rites“ wurden auch die Wiesbadener Maifestspiele rasch in stetig wiederholte, formalisierte Ereignisstrukturen gegossen, die im Lauf der Jahre nur minimal variierten und Kennzeichen einer postulierten „idea of the unchanging“ war, die gerade innerhalb einer durch permanenten, institutionalisierten Wandel gekennzeichneten Moderne von besonderer Anziehungskraft sein musste.241 Im Bemühen, gesellschaftliche Harmonie und Ordnung durch ebenso absichts- wie kunstvoll erwirkte invented traditions nicht nur zu suggerieren, sondern tatsächlich herbeizuführen und zu befestigen, offenbarte sich ein tiefer Zwiespalt: Der Versuch, den Zerfall traditionaler Ordnungsmuster aufzufangen und so dem „gesprengte[n] Bild“ erneut ein ruhendes, die Dinge arrangierendes Zentrum zu verleihen, musste durch die Flucht in scheinbar etabliert-erprobte Formen behutsam und mühevoll umgesetzt werden, ohne dabei allerdings den Verlust dieser Ordnung ganz verdecken zu können.242 Somit erstaunt es nicht, dass auch der zeremonielle Ablauf der Festvorstellungen im Königlichen Hoftheater einer über die Jahre hinweg kaum veränderten Konvention unterlag, die die Rollen der beteiligten Akteure fixierte und in erwartbare Ablauffolgen unterteilte. Dies schien zwar den anachronistischen Charakter der Festspiele zu unterstreichen, offenbarte aber tatsächlich die spezifische Modernität des Wiesbadener Unternehmens, das durch die Konstruktion archaisierender Muster versuchte, das Transitorische, Ungewisse der eigenen Gegenwart zu bannen. Die architektonische Gesamtanlage des Hauses und sein ikonographisches Programm bildeten dabei ein wirkungsvolles zeremonielles Setting, um den suggestiv in Szene gesetzten monarchischen Kult zur vollen Entfaltung zu bringen. Mit „Menzel-Augen“ müsse man die Atmosphäre solcher Festvorstellungen in sich aufnehmen, schrieb etwa die Wiesbadener Zeitung am 7. Mai 1913 und betonte damit nicht zuletzt den hochgradig artifiziellen und 239 240 241 242

Paulmann: Pomp und Politik, S. 416. Paul Connerton: How societies remember, Cambridge 1989, S. 63. Ebd., S. 64. Werner Busch: Adolph Menzel. Leben und Werk, München 2004, S. 90.

200

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arrangierten Charakter dieser Anlässe, die stets einer vorab genau festgelegten Schablone folgten243 : „[M]attweiß“ ergossen sich „Fluten“ „gedämpfter Strahlen in den reich geschmückten Zuschauerraum des Hoftheaters“, „Ordenssterne“ blinkten überall „auf schwarzen Fräcken und auf glitzernden Uniformen“, während das „Inkarnat dekolletierter Nacken und Schultern“ „durch zarten Puderflaum“ hindurch leuchtete und „herrliche Perlen“ „einen berauschenden Mondenschimmer“ verströmten.244 Nachdem sich das Haus gefüllt hatte, erwartete die Festgesellschaft „[v]oll Spannung“ das Eintreffen des Kaisers.245 „[D]en Rücken der Bühne zugewandt“ und den Blick zur Hofloge gerichtet, fieberte das Publikum dem ersten Höhepunkt des Abends entgegen, und im „stetige[n] An- und Abschwellen“ der Geräusche erklang jene „Symphonie der Erwartung“, die der eigentlichen Festvorführung stets vorausging.246 Kurz nachdem aus der Kaiserloge „ein dreimaliges Aufstoßen des Intendantenstabes“ ertönte und im Zuschauerraum Stille eingekehrt war, erschien der Kaiser „im dämmerigen Hintergrunde der Loge“, eilte „leichten Fußes an die Brüstung“ und verbeugte sich zum Publikum, woraufhin ihm „im mächtigen Forte“ „das Hoch der Begrüßung“ entgegenbrauste.247 Erst nachdem der Kaiser in seiner Loge Platz genommen hatte, setzten sich „wie auf Kommando“ auch die Zuschauer.248 Auf ein Zeichen Hülsens hin erlosch dann das Licht im Zuschauerraum, „der Vorhang rauscht empor: Das Spiel kann beginnen“.249 243

244

245 246 247 248 249

Wiesbadener Zeitung, 7. Mai 1913. Gerade der Verweis auf Adolph v. Menzel (1815– 1905) und seine besondere Art der Bildkomposition ist in diesem Zusammenhang zentral; denn dieser – wie Werner Busch in seiner Darstellung hervorgehoben hat – brachte auf vielen seiner Bilder nicht nur Unordnung und Regellosigkeit, ja das unmittelbare „Zusammenbrechen aller Ordnung“ zur Darstellung, sondern thematisierte durch sein Festhalten an „abstrakte[n] Bildordnung[en]“ auch den Versuch, seinen Zeichnungen und Bildern nachvollziehbare Strukturen einzuschreiben und damit Reste und Versatzstücke verbindlicher Ordnungsprinzipien durch die Betonung der Form zu retten. Vgl. Busch: Adolph Menzel, S. 118ff. Wiesbadener Zeitung, 7. Mai 1913. Hierbei ist hervorzuheben, dass es sowohl für das Publikum als auch für die Mitglieder des Theaters eine feste Kleiderordnung gab, die den Hofzeremoniellcharakter der Festvorstellungen in Gegenwart des Kaisers unterstrich. Vgl. hierzu folgenden Aushang: „Für die den Festspielen als Zuschauer beiwohnenden Mitglieder des Königlichen Theaters gelten die für das Publikum vorgeschriebenen Anzugsbestimmungen (Besucher des I. Ranges und Parketts: Damen runde ausgeschnittene Kleider, Herren Frack und weisse Binde oder kleine Uniform) mit der Massgabe, dass diese Bestimmungen auch auf die die Dienstlogen im II. und III. Rang benutzenden Mitglieder Anwendung finden. Wiesbaden, [...] April 1908, Intendantur der Königlichen Schauspiele, Mutzenbecher“. Siehe in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, Spezial-Akten betreffend Festspiele 1908, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 64, Blatt 39 (Hervorh. im Original). Wiesbadener Zeitung, 7. Mai 1913. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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Besonders an den Abenden, an denen der Kaiser die Festaufführungen des Oberon besuchte, fand gleichsam eine Doppelung des sorgsam arrangierten Huldigungszeremoniells auf der Bühne und im Zuschauerraum statt: Das historistisch geprägte Bühnenbild, das den Thronsaal Kaiser Karls zeigte, fungierte mit seinen Thronsitzen, Säulen und Adlern als majestätischer Huldigungstempel und entsprach in dieser Funktion der kaiserlichen Festloge, in der Wilhelm II. Platz nahm. Zudem läßt die Beschreibung des wilhelminischen Empfangszeremoniells erahnen, dass der zunehmend ritualisierte Verlauf dieser Festvorstellungen im Wiesbadener Hoftheater darauf abzielte, die Glorifizierung einer charismatischen Herrscherpersönlichkeit zu fördern, die die Gepflogenheiten der traditional-preußischen Herrschaftsrepräsentation immer mehr hinter sich ließ und sich stattdessen mit der Aura eines ruhmreichen Nationalmonarchen zu umgeben suchte. Weite Teile der lokalen und überregionalen Presse machten sich hierbei gerne zum Sprachrohr dieser kaiserlichen Interessenpolitik, indem sie wie der Rheinische Kurier den Monarchen als „Mittelpunkt unseres nationalen geistigen und politischen Lebens“ feierten.250 Gerade vor diesem Hintergrund erschließt sich die anhaltende Faszination, die von einem Werk wie Oberon ausgehen musste. Mit Karl dem Großen erweckte die Weber-Oper eine der zentralen Referenzfiguren deutscher Geschichte auf der Bühne zu neuem Leben, wobei der Frankenkaiser nicht nur das Idealbild majestätischer Herrschschaft verkörperte, sondern zugleich in nostalgischer Verklärung die ruhmreiche Vergangenheit des deutschen Reiches beschwor. Unschwer konnte der Bühnen-Kaiser daher als Alter Ego-Figur Wilhelms II. wahrgenommen werden. Wenn am Ende der Oper der Ritter Hüon im Thronsaal zu Aachen Karl als „von Majestät umloht[en]“251 Herrscher grüßte, so unterschieden sich diese Vorgänge auf der Theaterbühne nur unwesentlich von dem zeremoniellen Begrüßungsritual im Zuschauerraum, bei dem das versammelte Festpublikum ebenfalls „mit dreimaligem stürmischen ,Hoch‘“ den gegenwärtigen Träger der Kaiserkrone willkommen hieß.252 Auch in Wiesbaden zeigte sich somit das Bemühen „die Kontinuitätsfiktion bis auf Karl den Großen zurück zu verlängern und den amtierenden Kaiser in einen Kontinuitäts-Zusammenhang mit dem ,Gründer‘ des alten Reiches zu stellen“.253 Es war hierbei kaum zu übersehen, 250

251

252 253

Vgl. diese Passage aus dem Rheinischen Kurier vom Mai 1900 (genaues Datum nicht angegeben) in: Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Vgl. Libretto zu: ,Oberon, König der Elfen‘. Grosse romantische Feenoper in 3 Akten, Musik von C. M. v. Weber, Wiesbadener Bearbeitung, Gesamtentwurf Georg von Hülsen, Melodramatische Ergänzung: Jos. Schlar, Poesie: Jos. Lauff, Wiesbaden, Mai 1900, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1744. Wiesbadener Tagblatt, 5. Mai 1913. Haude: ,Kaiseridee‘ oder ,Schicksalsgemeinschaft‘, S. 99.

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wie sehr Szene und Handlung der Oper einerseits und das absichtsvoll arrangierte Festzeremoniell andererseits einander bedingten und verstärkten. Die dekorative Ausgestaltung des Oberon fand ihre Entsprechung in dem „[r]eichen, festliche[n] Schaugepränge“, mit dem die „heiteren Blumengewinde“, das „blendende Lichtermeer“ und der „farbenfreudige Glanz der Toiletten und Uniformen“ das Theater belebten, sobald diese ,Wiesbadener Spezialeinrichtung‘ zur Aufführung kam.254 Mit Hilfe dieser vermeintlich archaisierenden Symbole und Topoi sollte die ungebrochene Beständigkeit der monarchischen Ordnung behauptet werden, um reale Legitimationsdefizite der Monarchie ebenso wie bestehende Friktionen innerhalb der wilhelminischen Gesellschaft aufzuheben und in eine harmonische Einheit von Kaiser, Volk und Reich aufzulösen. Der Oberon-Kult sollte auf diesem Weg eine erwünschte politische Realität konstituieren, und die zumeist affirmativbegeisterte Aufnahme der Oper bei Publikum und Presse weist darauf hin, dass die Teilnahme an diesem Theaterspektakel Einstellungen nicht einfach nur widerspiegelte, sondern dazu beitragen konnte, sie hervorzubringen und zu bestätigen. Zurschaustellung und Erzeugung nationaler Empfindungen gingen somit Hand in Hand: „Display therefore implies construction, the musical performance of an ideal state, the creation of a victorious nation“.255 5.4.1 Das Hoftheater als Medium innenpolitischer Repräsentation Um den Erfordernissen dieser höfisch-dynastischen Repräsentationskultur genügen zu können, erwies es sich bald als notwendig, die Gesellschaftsräume des Theaters zu erweitern, da weder das insgesamt zu kleine Vestibül, noch die engen Übergänge auf den Rängen einen festlichen Aufenthaltsraum boten und damit auch nicht die steigenden Erfordernisse der aufwendigen höfischen Repräsentation erfüllen konnten.256 1894 hatte man noch vom Bau eines größeren Theaterfoyers abgesehen, aber da sich Wiesbaden mit seinen Festspielen auch international etabliert hatte, wurde von den Zeitgenossen vielfach auf die Notwendigkeit eines solchen festlichen Pausen- und Aufenthaltsraumes hingewiesen. Es könne nicht angehen, dass die „Festspiel- und Kaiserstadt“ das Theater der Weltkurstadt „mit ihrem vornehmen Publikum“ nicht über ein Foyer verfüge, ereiferte sich etwa der Literat Adam Röder im Rheinischen Kurier.257 Dieser Ansicht folgten auch die städtischen Gremien, 254 255 256 257

Wiesbadener Tagblatt, 5. Mai 1913. Müller, Cultural nationalism and beyond, S. 183. Vgl. hierzu vor allem Schabe: Das Foyer des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden, S. 152. Vgl. hierzu Adam Röder: Das Foyer im Königlichen Theater, in: Rheinischer Kurier, 7. Mai 1902, zitiert nach Schabe: Das Foyer des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden, S. 152f.

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die 1900 den Bau eines festlichen Aufenthaltssaales beschlossen, der in den Folgejahren nach den Plänen des Architekten Felix Genzmer für eine Summe von insgesamt 600 000 Mark fertiggestellt und anlässlich der Maifestspiele 1902 von Wilhelm II. feierlich eröffnet wurde. Der Kaiser zeigte sich von dem im neobarocken Stil gehaltenen Neubau sehr begeistert und sprach dem Architekten seine „höchste Anerkennung für die geschmackvolle und stilvolle Einrichtung des prächtigen Raumes“ aus, wie das Wiesbadener Tagblatt stolz vermeldete.258 Der wachsende Erfolg der Kaiserfestspiele und der Bau des neuen Foyers ermöglichten eine Intensivierung der Beziehungen zwischen den lokalen Eliten des Wiesbadener Regierungsbezirkes und dem Berliner Hof. In der Folgezeit etablierte sich das gesellschaftliche Ritual der so genannten ,Herren- oder Bierabende‘, mittels derer diese Bindung an Preußen und sein Herrscherhaus gefestigt und jährlich erneuert werden sollte. Im Zuge einer nach innen gerichteten Repräsentation wurden diese zumeist im Theaterfoyer stattfindenden und jeweils von langer Hand geplanten Herrenabende zu einem festen Bestandteil des jährlichen Wiesbaden-Aufenthaltes des Kaisers. Etwa 30 bis 40 Personen waren zu diesen Zusammenkünften geladen, wobei die Zusammensetzung der Gästeliste jeweils nur minimal variierte. Neben ausgewählten Mitgliedern des Berliner Hofes, die die kaiserliche Entourage bildeten, beschränkte sich dieser exklusive Kreis weitgehend auf die Funktionseliten der Stadt und des Regierungsbezirkes. Dem Kaiser gelang es hierbei, sich mit seinem so bezeichneten ,Wiesbadener Kreis‘ ein personelles Netzwerk zu schaffen, dem die politischen, gesellschaftlichen, und wirtschaftlichen Eliten des Wiesbadener Regierungsbezirkes angehörten: Neben den Hoftheaterintendanten Mutzenbecher und Hülsen waren dies unter anderem der bereits erwähnte Dramaturg des Wiesbadener Theaters, Joseph Lauff, der Wiesbadener Bürgermeister Carl von Ibell, der langjährige Wiesbadener Regierungspräsident von Meister, der gleichzeitig „Reichstagskandidat der Konservativen und des Bundes der Landwirte“259 war, sowie der Wiesbadener Polizeipräsident von Schenck oder der städtische Kurdirektor und Major a.D. von Ebmeyer.260 In dieser sozialen Zusammensetzung waren die Herrenabende eine Kombination spezifisch bürgerlicher Geselligkeitsformen und einer adelig-höfischen Fest- und Bankettkultur. Geladener Gast bei den Herrenabenden des Kaisers zu sein befestigte den jeweiligen gesellschaftlichen Status, den die einzelnen Honoratioren innehatten und bedeutete zugleich einen deutlichen Zuwachs an persönlichem Prestige. Ein wichtiges Merkmal der Herrenabende war ihr semi-offizieller Charakter. Ab 1902 fanden die kaiserlichen Bierabende in dem neu erbauten Theaterfoyer statt und waren unter Ausschluss der Öffentlichkeit bewusst ,privat‘ 258 259 260

Wiesbadener Tagblatt, 12. Mai 1902. Hamburger Nachrichten, 12. Mai 1911. Vgl. hierzu Anders: Kaiser Wilhelm II. und Nassau.

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gehalten, um die Exklusivität und den elitären Status dieses Zirkels nach außen hin zu dokumentieren. Trotzdem ging die Bedeutung der Herrenabende weit über den Bereich des Privaten hinaus. Der scheinbar informelle Herrenzirkel formte vielmehr ein quasi höfisches Zentrum aus, konnten hier doch die lokalen Eliten der Vereins- und Kommunalpolitik mit den Spitzen des Berliner Hofes zusammentreffen. Die Bierabende boten dem Kaiser die Gelegenheit, in kleiner Runde ungezwungen Hof zu halten und hierdurch − etwa durch die Einladungspraxis oder die Sitzordnung bei Tisch − die gesellschaftliche Elitenbildung seines Wiesbadener Regierungsbezirkes zu steuern. Der Kaiser bildete hierbei stets das unbestrittene Zentrum dieser Zusammenkünfte. Wie in kaum einer anderen sozialen Konstellation zeigte sich während der Bierabende im Theaterfoyer „die fröhliche Menschlichkeit“ des Herrschers; denn hier, „unter Freunden und Künstlern“, vergaß Wilhelm gerne „die Sorgen des Herrscherberufes“ und gab sich „ganz dem ungetrübten Genuß der Stunde hin: ein Fröhlicher unter Fröhlichen“.261 Dass die Planung und Organisation der Herrenabende in den Händen des Hoftheaterintendanten lag, ja dass diese regelmäßig in den Räumen des Theaterfoyers stattfanden, unterstreicht die besondere symbolpolitische Ordnungs- und Herrschaftsfunktion des Hoftheaters und seines Intendanten, der „hinter dem Rücken des Monarchen“ über die strikte Einhaltung der gesellschaftlichen Etikette wachte, wenn etwa einzelne Gäste zu sehr „aus sich herauszugehen“ drohten und vom Kammerherrn des Kaisers in ihre Schranken gewiesen werden mussten.262 Als fester Bestandteil des kaiserlichen Besuchsprogramms verdeutlichten die Herrenabende, wie sorgsam und strategisch die höfischen Eliten die Befestigung des Kultes um Kaiser und Reich planten und durchführten, um die kommunikativ erzeugte und affektiv wirksame Magie des Wiesbadener ,Kaisermechanismus‘ lebendig zu halten. 5.4.2 ,Weltpolitik‘ mit dem ,Lilienzepter‘: Das Hoftheater als Arena außenpolitischer Repräsentation Neben der hier skizzierten Verdichtung hoheitlicher Netzwerke spielte auch der Bereich der außenpolitischen Repräsentation des Reiches im Rahmen der Festspiele eine zunehmend wichtige Rolle, wenngleich die politisch-zeremonielle Außendarstellung nicht länger als monarchischer „Arkanbereich“ gelten konnte.263 Eine seit den 1890er Jahren etwa von dem 1891 gegründeten Alldeutschen Verband, dem seit 1897 bestehenden Flottenverein oder von Politikern wie 261 262

263

Vgl. hierzu Anders: Wiesbadener Maientage, S. 202f. Vgl. diesen nicht näher datierten Ausschnitt aus dem Rheinischen Kurier vom Mai 1900 im Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen Kur-Verwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Vgl. hierzu allgemein Paulmann: Pomp und Politik, S. 405.

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dem Großadmiral und Marinepolitiker Alfred von Tirpitz oder von Reichskanzler Bernhard von Bülow immer selbstverständlicher und aggressiver propagierte so bezeichnete ,Weltpolitik‘ verlangte nach einem Monarchen, der sich zum „Repräsentanten der deutschen Macht und des deutschen Fortschritts“ berufen sah.264 Seit Mitte der 1890er Jahre unterstützten die bürgerlichen Schichten des Reiches ausdrücklich ein energisches weltpolitisches Auftreten des Deutschen Reiches, das als „Vollendung des deutschen Nationalstaates“ angesehen wurde.265 Der Meinung des Rheinischen Kuriers zufolge hatte der Kaiser diesen „weltgeschichtlichen Moment“ hellsichtig erkannt und sich an die Spitze der nationalen „Flottensache“ gestellt.266 Die Presse tat das übrige, um den Kaiser zum geeigneten „Lehrer und Führer“, zum charismatischen „Organisator der That“ zu stilisieren, der „den Fortschritt und die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Prestiges unseres Vaterlandes“ notfalls mit der „Macht der Waffen“ zu sichern wisse.267 Begleitet wurden diese Suprematieansprüche von einer oftmals äußerst aggressiv gehaltenen kulturimperialistischen Agitation, die die wirtschaftliche und militärische Expansion des Deutschen Reiches kulturell legitimieren wollte und die Überlegenheit deutscher Kunst und Kultur propagierte. Dabei griffen Autoren wie Houston Stewart Chamberlain oder Paul Rohrbach mit Vorliebe auf sozialdarwinistische Argumentationsfiguren zurück. In hohen Auflagen publizierte Schriften wie Chamberlains Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts (1899) oder Rohrbachs Der deutsche Gedanke in der Welt (1912) wurden rasch zu Klassikern. Beide Werke vertraten den Standpunkt, dass die ,germanische Rasse‘ aufgrund ihrer kulturellen Dominanz dazu berechtigt war, eine diesem Status entsprechende militärische, politische und wirtschaftliche Führungsrolle in der Welt zu übernehmen. Die kolonialimperialistischen Bestrebungen des wilhelminischen Reiches ließen sich auf diesem Weg unmittelbar aus dem Anspruch auf kulturelle Überlegenheit herleiten und brachten einen genuin „imperialistischen Denkstil“ hervor, der sich in einer chauvinistischen Sendungsideologie niederschlug und die aggressive Weltpolitik des Kaiserreiches begründete.268 Auch während der Maifestspiele des Jahres 1900 zelebrierte man diesen 264

265

266

267 268

Siehe Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen KurVerwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Zur „Inaugurierung einer pathetischen Weltpolitik“ unter Bülow und Tirpitz vgl. ausführlich Wolfgang J. Mommsen: Bürgerstolz und Weltmachtstreben. Deutschland unter Wilhelm II. 1890 bis 1918, Berlin 1995, S. 301ff. Siehe Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen KurVerwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Ebd. Vgl. vor allem Dirk van Laak: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 12.

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neuen Anspruch auf Weltgeltung in großem Stil: „Im nämlichen Augenblick“, in dem der Kaiser im Hoftheater die „neuen Offenbarungen“ seines Intendanten bestaunte und der „deutschen Kunst“ sein „herzliches und feinsinniges Interesse“ entgegenbrachte, zog „die Torpedoflotille den Rhein hinauf “.269 Diese demonstrative Geste wurde freimütig als „nationale[r] Reklamefeldzug für die Flottensache“ deklariert, die Teil des pompös arrangierten Wiesbadener Kaiserbesuches war und den politischen Charakter der Maifestspiele untermauerte.270 Die „nationalen Lebensbedingungen“ Deutschlands, so meinte man in diesen Tagen, hätten in der Weise „ihre Struktur verändert“, dass das Reich sich zu „gewaltiger Thatkraft ausstrecken“ müsse, um seinen „Teil an der Neugestaltung des Welterbes“ zu sichern.271 Wilhelm II. hatte den Flottenbau dabei frühzeitig zu seinem „persönlichen Programm“ gemacht, und er vertrat den Bau einer Weltgeltung verheißenden Flotte „mit der ihm eigenen Vehemenz in der Öffentlichkeit“.272 So engagiert sich der Kaiser um die Belange „einer nationalen Kunst“ sorgte, so unermüdlich förderte er gleichfalls auch die „Bedeutung des Handels, der Industrie, des Verkehrs“.273 Die Maifestspiele boten hierbei Gelegenheit, beide Facetten medien- und publikumswirksam miteinander zu verbinden und ihnen den „historische[n] Odem sieghaften deutschen Entwicklungsgeistes“ einzuhauchen.274 Ab 1900 machten sich die Festspiele immer mehr zum Sprachrohr einer wilhelminischen Macht- und Interessenpolitik, die „Flottenbau, Weltmachtgestus und Charisma“ zusammenbringen wollte.275 Nicht von ungefähr waren hierbei etwa die „Herren der Marine“ wie Großadmiral Alfred von Tirpitz oder der Chef des Marinekabinetts, Admiral Georg Alexander von Müller, eine oft und gern gesehene „Begleitung unseres Kaisers“ bei seinen Wiesbadener Theaterbesuchen, und auch Reichskanzler Bernhard von Bülow war ein häufiger Gast des Kaisers.276 Seine performativ herbeigeführte Überhöhung fand der angestrebte weltpolitische Status des wilhelminischen Machtstaats in den pompösen Schauopern des Hoftheaters, die die Presse als „Attraktionen von besonderer Art und Kraft“ feierte.277 Die Forderung nach einer wirtschaftli269

270 271 272 273

274 275 276 277

Siehe Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen KurVerwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Ebd. Ebd. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte. 1866–1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 636. Siehe Presseordner ,Maitage 1900, Vermischtes‘, in: StAW, Akten der Städtischen KurVerwaltung Wiesbaden betrf. Blumenkorso 1900, 1904, 1908, 1909, Bestand WI/2, Nr. 1710. Ebd. Vgl. hierzu Stürmer: Das ruhelose Reich, S. 326. Siehe etwa: Hamburger Nachrichten, 15. Mai 1911. Otto Sonne: Von den Maifestspielen und den Kaisertagen in Wiesbaden, in: Illustrirte Zeitung, 27. Mai 1909.

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chen, politischen und militärischen Weltgeltung Deutschlands wurde auf diesem Weg kulturell begründet und zementiert, indem man sich offensiv auf die vermeintlich unangefochtene Ausnahmestellung der deutschen Musik berief. Gerade der Wiesbadener Oberon erwies sich als besonders medien- und publikumswirksames Aushängeschild einer deutschen Kulturmission, und seine Anziehungskraft beschränkte sich keineswegs auf das deutsche Publikum.278 Vor allem der immense dekorative und inszenatorische Aufwand trug dazu bei, Oberon „seit nahezu dreizehn Jahren als die ,greatest attraction‘ der Wiesbadener Maifestspiele“ vorführen zu können, wie die Wiesbadener Presse anlässlich der Maifestspiele 1913 selbstsicher notierte, als die Oper einmal mehr „den unübertrefflich glänzenden Auftakt“ der Festspielsaison bildete.279 Mochte man auch schon „ein beträchtliches Stück in der Welt herumgekommen sein“ und „des Schönen und Guten noch so viel gesehen und gehört haben“, so die Überzeugung der Presse, so zähle trotzdem das, „was die Herren G. v. Hülsen, Schlar und Lauff mit ihrer Wiesbadener Bearbeitung“ des Oberon geschaffen hatten, zum „Besten, Wirkungsvollsten und Poetischsten“, was „die dramatisch-musikalische Kunst der letzten Dezennien nicht nur bei uns, sondern auch in den benachbarten Ländern aufzuweisen“ habe.280 Die Aufführung „dieses herrlichen Werkes“ – so meinte die Wiesbadener Zeitung – habe maßgeblich dazu beigetragen, „den Ruhm der ,Wiesbadener Festspiele‘ [...] über den ganzen Kontinent“ und „in alle Welt“ zu verbreiten.281 Unübertroffen − „weil unübertrefflich“, wie das Wiesbadener Tagblatt glaubte, − stelle der Wiesbadener Oberon mit seinen fünfzehn szenischen Bildern einen „Triumph“ der Bühnenkunst dar, der „Vornehmheit und Geschmack, Phantasie und Schönheitsgefühl zu unwiderstehlicher Wirkung“ zusammenbringe und auch dem ausländischen Publikum ein „helles Entzücken“ abringen könne.282 Ein auf außenpolitische Repräsentation abzielendes symbolisches Handeln prägte die Wiesbadener Theaterkultur auch außerhalb der Festspielzeiten. Häufig empfing der deutsche Kaiser in seinem ,Lieblingstheater‘ auch die Spitzen der europäischen Fürstenhäuser, um „Pomp und Politik“ im Medium 278

279 280 281 282

In seinen Memoiren berichtet der Wiesbadener Intendant Carl Hagemann davon, dass sich Oberon auch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg einer staunenswerten Beliebtheit erfreute: „Von den Inszenierungen dieser trotz äußeren Glanzes so unfruchtbaren Periode hat sich der Wiesbadener ,Oberon‘ bis nach dem Kriege im Spielplan erhalten. Das internationale Kurpublikum lief noch in den Inflationsjahren mit Wonne hinein und jubelte der Verballhornung des Weberschen Meisterwerkes mit derselben Begeisterung zu, die früher die Gäste des Kaisers aufgebracht hatten. Schließlich erbarmten sich die Elemente der wilhelminischen Kulissen. Der Brand des Bühnenhauses zerstörte sie und setzte damit den auch von der französischen Besatzung heiß geliebten ,Oberon‘-Aufführungen ein spätes Ziel.“ Vgl. Carl Hagemann: Bühne und Welt. Erlebnisse und Betrachtungen eines Theaterleiters, Wiesbaden 1948, S. 162. Wiesbadener Zeitung, 5. Mai 1913. Ebd. Wiesbadener Zeitung, 10. Mai 1910. Wiesbadener Tagblatt, 15. Mai 1911.

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der städtischen Festkultur zusammenzuführen.283 Monarchen wie Leopold von Belgien, Christian von Dänemark oder der schwedische König Oskar waren häufig im Wiesbadener Hoftheater zu Gast.284 1897 hatte man das italienische Königspaar im Rahmen seines Staatsbesuchs im Wiesbadener Hoftheater willkommen heißen können – ein Anlass, zu dem Joseph Lauff ein allegorisches Festspiel mit dem Titel Salve verfasst hatte, in dem die Figuren der Germania und der Italia die Vorteile eines militärischen Bündnisses beschworen.285 Das Hoftheater war bei diesen diplomatischen Zusammenkünften sowohl Schauplatz kaiserlicher Hof- und Herrschafts- als auch offizieller Staatszeremonielle, ging es bei diesen Treffen doch nicht nur um die persönliche Autorität der einzelnen Herrscher. Auf der außenpolitischen und internationalen Ebene vertraten die Monarchen im Zuge der wachsenden imperialen Rivalität und der nationalstaatlichen Aufladung des Politischen immer mehr ihre jeweiligen nationalen Imperien.286 Der Wettkampf zwischen einzelnen Staaten verlagerte sich auf diesem Weg in das symbolische Handeln der monarchischen Akteure, die ein zunehmend als unabwendbar und überindividuell beurteiltes Weltgeschehen in prägnante Gesten und Handlungen übersetzten.287 Wiesbaden war in den Regierungsjahren Wilhelms II. häufig ein Forum prunkvoll inszenierter Monarchentreffen und illustriert ein für die wilhelminische Ära typisches Modell außenpolitischer Diplomatie. Die Darbietung von Macht und Prestige spielte hierbei eine übergeordnete Rolle, so dass die Wiesbadener Monarchenbesuche eine Mischung zwischen höfischem Fest und Staatsbesuch darstellten. Das mediale Interesse an diesen Monarchenbegegnungen war enorm, so dass diese außeralltäglichen Spektakel einer minutiösen Planung bedurften. Als Beispiel kann der Besuch des russischen Zaren Nikolaus II. im November 1903 herangezogen werden, der nicht nur deutlich machte, wie sehr politisches Handeln der sinnfälligen Vermittlung bedurfte, sondern vor allem demonstrieren kann, wie maßgeblich gerade die Wiesbadener Oper und ihr Oberon die zeremonielle Fest-Architektur dieses Monarchenbesuchs beeinflussten. Am 4. November 1903 besuchte der russische Zar den deutschen Kaiser in dessen Mairesidenz, um die seit 1894 vorsichtig eingeleitete diplomatische Wiederannäherung der beiden Länder zu festigen.288 Dem Zarenbesuch war 283 284 285 286 287 288

Paulmann: Pomp und Politik, S. 416. Vgl. hierzu Müller-Werth: Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden, S. 119. Vgl. Strauch: Dichten auf Allerhöchsten Befehl, S. 69. Vgl. hierzu allgemein Paulmann: Pomp und Politik, S. 408. Vgl. hierzu allgemein ebd., S. 409. In den 1880er Jahren hatten sich die deutsch-russischen Beziehungen zunehmend verschlechtert und mit der Aufkündigung des Rückversicherungsvertrages von 1890 einen Tiefstand erreicht: „During the 1880’s, clashes of interest between the Tsarist empire and Germany’s other ally, Austria, in the Balkans, and the rise of a new virulent strain

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nicht nur eine ausgedehnte diplomatische Korrespondenz, sondern auch eine Reihe von – allerdings oft nur mäßig erfolgreichen – persönlichen Treffen der beiden Monarchen vorausgegangen (so etwa 1896, 1897, 1899, 1901, 1902), in denen sich Wilhelm vor allem darum bemüht hatte, die Allianz zwischen Frankreich und Russland zu schwächen und dafür die deutsch-russischen Beziehungen zu intensivieren. Nachdem sich bereits 1902/03 die 1904 endgültig besiegelte ,Entente cordiale‘ zwischen Großbritannien und Frankreich andeutete, die das europäische Gleichgewicht entscheidend verändern und Berlins Politik der ,freien Hand‘ einen Riegel vorschieben sollte, fürchtete Deutschland das „Ende des kalkulierbaren Aufstiegs zur Weltmacht“.289 Der Wunsch nach einer Überwindung der Mittellage durch weltpolitische Ansprüche erwies sich von nun an als immer unrealistischer, sofern das Reich nicht versuchte, gewaltsam eine Veränderung der politisch-militärischen Kräfteverhältnisse herbeizuzwingen.290 Ein Ende dieser Zwangslage erhoffte sich die deutsche Diplomatie von einer zunehmenden imperialistischen Rivalität der anderen Mächte. Insbesondere setzte man darauf, dass die Konflikte zwischen den Mächten an der Peripherie Europas – und damit vor allem zwischen England und dem Zarenreich – zu einer Stärkung der deutschen Position führen würden – eine Kalkulation, die sich letzten Endes als „verhängnisvolle Fehlrechnung“ erweisen sollte.291 Seitdem Großbritannien 1902 ein Bündnis mit Japan abgeschlossen hatte, glaubte man in Berlin, dass ein sich zuspitzender Konflikt zwischen Russland und Japan sowie zwischen Russland und Großbritannien eine Entlastung für das Deutsche Reich zur Folge haben und den seit 1890 abgerissenen „Draht nach St. Petersburg“ wiederherstellen würde.292 Bereits im Vorfeld eines Treffens zwischen dem Zaren und dem deutschen Kaiser 1901 in Danzig hatte von Bülow letzterem nahegelegt, Russland zu einem beherzten Vorgehen im Fernen Osten zu ermutigen.293 Ein konkretes Entgegenkommen signalisierte man Russland

289 290 291 292 293

of Russian nationalism, had made it increasingly difficult for Bismarck to preserve the diplomatic link with St. Petersburg. Wilhelm II.‘s accession as Kaiser in 1888 had played a role in speeding up the disintegration of the alliance“. Seit den 1890er Jahren, besonders seit der Thronbesteigung von Zar Nikolaus II. im Jahr 1894, war Berlin aber erneut darum bemüht, „first, to weaken, and, if possible, destroy the Franco-Russian alliance and, secondly, to encourage the Tsar to proceed with Russian expansion in Siberia and the Far East as a way of redirecting the orientation of Russian policy away from the Balkans, where her interests were liable to collide with those of Austria. Wilhelm remained convinced that the alliance between the Tsarist empire and France could not survive, for it was going against the nature for a monarchy to cooperate politically with a republic“. Siehe Roderick McLean: Royalty and diplomacy in Europe, 1890–1914, Cambridge 2001, S. 17ff. Stürmer: Das ruhelose Reich, S. 329. Ebd. Mommsen: Bürgerstolz und Weltmachtstreben, S. 320. Ebd., S. 323. Ebd.

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schließlich unter anderem durch ausgedehnte Kohlelieferungen im RussischJapanischen Krieg (1904/05).294 Die Möglichkeiten monarchischer Einflussnahme zeigten sich somit „most prominently in the spheres of military policy and diplomacy“.295 Mit dem Treffen in Wiesbaden wollte man den Handlungsspielraum Deutschlands ausloten, um – wie es feierlich in der Presse zu lesen war – „den Frieden unseres Weltteiles vor Erschütterungen zu bewahren und etwaigen auf die Störung des Friedens gerichteten Entwicklungen entgegenzuwirken“296 und die Aussichten auf eine Wiederannäherung an Russland zu verbessern.297 Aus diesem Grund richtete man für Zar Nikolaus II. „einen großen, festlichen Empfang“ aus, der Deutschlands Interesse an einem freundschaftlichen Bündnis der beiden Monarchien unter Beweis stellen sollte.298 Tatsächlich verbesserten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zwischen 1900 und 1908 nicht zuletzt aufgrund der entspannteren persönlichen Kontakte zwischen Wilhelm und Nikolaus, denn besonders der Zar zeigte 1902 „a noticeable inclination to consider a return to Russia’s traditional policy of co-operation with Germany and Austria“.299 Die Annäherung sollte allerdings nicht von Dauer sein, denn spätestens die Annexionskrise um Bosnien-Herzegowina 1908 – vor allem das deutsche Ultimatum an Russland im März 1909 – vertiefte die politischen Gräben zwischen den beiden Ländern erneut und „exposed the hollowness of the continuing expressions of friendship between the two emperors“.300 Der Auftakt des akribisch vorbereiteten Wiesbadener Monarchentreffens trug zunächst allerdings ganz den Charakter einer Huldigungsfeier für den deutschen Kaiser. Bereits einen Tag vor dem Zaren war Wilhelm in Wiesbaden eingetroffen, um sich mit einer eigens ihm zu Ehren angesetzten Festvorstellung im Hoftheater feiern zu lassen. Begleitet wurde der Kaiser an diesem Abend unter anderem von Reichskanzler von Bülow und dem deutschen Botschafter in St. Petersburg, Graf von Alvensleben. Das Theater bot seinen Gästen hierbei das gewohnt „glänzende Bild“; denn „reiche Uni294 295

296 297 298 299 300

Siehe McLean: Royalty and diplomacy in Europe, S. 49. Roderick McLean: Kaiser Wilhelm II and his Hessian cousins. Intra-state relations in the German Empire and international dynastic politics, 1890–1918, in: German History 19/2001, Nr. 1, S. 28–53, hier S. 29. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Siehe hierzu Mommsen: Bürgerstolz und Weltmachtstreben, S. 324. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. McLean: Royalty and diplomacy in Europe, S. 43. Ebd., S. 57. Obgleich sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern zwischen 1910 und 1912 noch einmal kurzzeitig entspannten, kam es nicht zu einem längerfristigen Bündnis. Russland hielt an seiner Allianz mit Frankreich und England fest, während Berlin und Wien enge Bündnispartner blieben. Bei Ausbruch des Krieges 1914 zeigte sich immer mehr, dass „the ,monarchical principle‘“ nicht mehr länger die adäquate Basis „for co-operation between two Empires whose political and strategic interests had diverged so sharply“, darstellte. Siehe McLean: Royalty and diplomacy in Europe, S. 72.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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formen“, „ordenübersäte Fracks“ und „pompöse Damenkostüme“ verliehen auch diesem Anlass seine besondere „Anziehungskraft“.301 Für den Abend des 3. November hatte man drei vaterländische Festspiele vorgesehen, von denen zwei aus der Feder Joseph Lauffs stammten: Das allegorische Festspiel Adlerflug, das die Festvorstellung eröffnete, war ursprünglich für das preußische Königsjubiläum am 18. Januar 1901 verfasst worden und berichtete davon, wie der „Völkerschmied“ Werdegang „das Hohenzollernsymbol aus Kraft, Treue und Gottverbundenheit schmiedet“.302 Das Festspiel stand im Zeichen der geschichtspolitischen Bemühungen um eine breitenwirksame „Nationalisierung der Monarchie“303 und erhob das machtvolle Volkskaisertum zum Ursprung und Garant der ,imaginären Gemeinschaft‘ von Kaiser und Nation. Die lokale Presse berichtete, dass das Publikum in einen wahren „Festrausch“ aus „prophetischen Worten“ und „glühende[n] Farben“ versetzt worden sei.304 Wilhelm Henzens Künstlerspiel Die Meisterschüssel, das eine Begegnung Maximilians I. mit Albrecht Dürer schilderte, bildete den Mittelteil des Abends und eignete sich den Worten des Wiesbadener Tagblatts zufolge ganz besonders für diesen Anlass, da auch hier „ein Kaiserbesuch die Angel des Ganzen“ darstelle − ein weiterer Hinweis darauf, wie sehr das Theater als Plattform kaiserlicher Symbol- und Interessenpolitik fungierte und den aktuellen politischen Anlass rahmend hervorhob, indem es der Profilierung der kaiserlichen Persona Wilhelms II. diente.305 Joseph Lauffs vaterländisch-historisches Festspiel Vorwärts vergegenwärtigte dem Publikum schließlich eine deutsche und europäische ,Schicksalsstunde‘, wie man sie auch gegenwärtig im Zusammentreffen der beiden Monarchen zu erleben glaubte.306 Während das allegorische Festspiel Adlerflug vornehmlich die Führungsposition Preußens innerhalb des Reiches propagiert hatte, feierte Lauffs historisches Festspiel Vorwärts eine Zentralfigur preußischer Militärgeschichte: „[D]ramatisch energisch zusammengefaßt“ schilderte es den „Zwiespalt in Blüchers Seele, als er, eben noch empört über Wellingtons Säumnis bei Ligny, diesem gegen Waterloo zu Hülfe kommen soll“.307 In dramatischen Wendungen wurde von den heroischen Kämpfen Blüchers gegen das napoleonische Heer berichtet. Gezielt verschränkte das Festspiel somit das für die höfische Repräsentations- und Festkultur typische Moment „nationaler Machtdemonstration“ mit den Möglichkeiten „populärer Unterhaltung“.308 Die sorgsam ausgewählten Festvorstellungen können als ergänzende Mosaiksteine des Wiesbadener 301 302 303 304 305 306 307 308

Wiesbadener Tagblatt, 4. November 1903. Ebd. Paulmann: Pomp und Politik, S. 385. Wiesbadener Tagblatt, 4. November 1903. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Wiesbadener Tagblatt, 4. November 1903. Paulmann: Pomp und Politik, S. 386.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Kaiserkultes beschrieben werden. Indem sie drei Alter Ego-Figuren des deutschen Kaisers auf die Bühne brachten, führten sie dem Publikum unterschiedliche Dimensionen der kaiserlichen Persona vor Augen: Mit dem allseits geliebten Volkskaiser und ,Völkerschmied‘, dem feinsinnigen Förderer deutscher Kunst und dem siegreichen preußischen Feldherrn waren drei Rollen zum Leben erweckt worden, die Wilhelm selbst gerne für sich reklamierte, im politischen Alltag freilich kaum je widerspruchsfrei zur Deckung zu bringen vermochte. Das Wiesbadener Theater fungierte somit einmal mehr als Arena monarchischer Charismabewirtschaftung, und die Ovationen des Publikums, die Wilhelm hier entgegengebracht wurden, waren Teil eines festlichen Rituals, das dazu beitrug, den symbolischen Status des Kaisers zu bestätigen und nach außen zu kommunizieren. Zudem förderte Lauffs Drama Vorwärts historische Verbindungslinien zutage, die das Verhältnis Russlands und Deutschlands thematisierten und dazu beitrugen, das Wiesbadener Hoftheater auch als ein die außenpolitischen Ambitionen des Kaiserreiches thematisierendes Kommunikationsmedium zu profilieren, hatten doch beide Staaten als Verbündete gegen das Napoleonische Frankreich gekämpft und hier bereits ihre siegreiche Allianz unter Beweis gestellt. Lauffs Vorwärts legte aber nicht nur die Möglichkeit eines erneuerten deutsch-russischen Bündnisses nahe, sondern konnte zugleich als geschichtspolitisch bedeutsamer Verweis auf eine der zentralen Epochen der nationaldeutschen Geschichte gedeutet werden, die mit der Befreiung von der napoleonischen Herrschaft zugleich an den Beginn der nationalen Einigung des Reiches erinnerte. Auch am folgenden Tag ging es darum, das Sichtbare, nämlich die im Festzeremoniell vorgeführte Begegnung zweier Monarchen, mit dem Sichtbargemachten − der symbolischen Aushandlung und Balance staatlicher Machtrelationen − in Einklang zu bringen.309 Von der Zusammenkunft der beiden Monarchen erhoffte man sich von offizieller Seite eine „neue erfreuliche Bekräftigung des engen freundschaftlichen Verhältnisses der beiden Monarchen“.310 Um dem Zaren seine Referenz zu erweisen, trug Wilhelm II. für die Empfangszeremonie im Wiesbadener Bahnhof eigens die „russische Uniform“ und das „hellblaue Band des Andreasordens“.311 In Begleitung des Reichskanzlers und des russischen Botschafters hatte der deutsche Kaiser Nikolaus II. in Empfang genommen, wobei die Presse jedes Detail dieser Begegnung zur Kenntnis nahm und akribisch analysierte: Die als „herzlich“ beschriebene Begrüßung und Umarmung der beiden Monarchen wurde ebenso zu Protokoll gegeben wie das Abschreiten der Ehrenkompagnie und die gemeinsame Abnahme des Parademarschs durch die beiden Regenten.312 309 310 311 312

Vgl. hierzu konzeptionell Paulmann: Pomp und Politik, S. 409. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Ebd. Ebd.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

213

Während eine ausgelassene und mitunter volksfestartige Stimmung ein wichtiges Kennzeichen der Maifestspiele war, trat nun das militärische Element ostentativ hervor. Vor dem Bahnhof wartete bereits „die Ehreneskorte der Paderborner Husaren“ auf den von vier Rappen gezogenen Galawagen der beiden Monarchen, und auch auf der gesamten Strecke zum Schloss hatten Truppen entlang der Wilhelm- und der Burgstraße Aufstellung bezogen, um den Regenten das Ehrengeleit zu geben.313 Musikkorps spielten dabei die russische Hymne, um dem Zaren ein herzliches Willkommen zu bereiten. Als weiteren Programmpunkt sah das Besuchszeremoniell eine „große Galatafel“ im königlichen Schloss vor, an der neben Reichskanzler Bülow auch der Großherzog von Hessen, Prinz Heinrich von Preußen, sowie „die Generale und sonstigen Vorgesetzten der in Parade stehenden Truppen“, die „Spitzen der hiesigen Zivilbehörden“ und selbstverständlich auch Intendant Hülsen teilnahmen.314 Nach dem Diner zeigten sich die beiden Regenten der auf dem Schlossplatz wartenden Zuschauermenge, um für die dargebotenen „Ovationen“ zu danken.315 Danach begaben sich die beiden Monarchen gegen „7 Uhr“ in das aus gegebenem Anlass „majestätisch geschmückt[e]“ Hoftheater, um eine Festvorstellung des Oberon zu besuchen.316 Wiederum erwartete ein illustres Publikum die beiden Regenten: „Offiziere und Staatsbeamte in schimmernden Uniformen“, Hofdamen und „edle Frauen“ hatten sich bereits versammelt, und erwartungsvoll waren „[a]ller Augen [...] auf die Hofloge gerichtet“.317 Den Gepflogenheiten des Protokolls folgend kündigte Generalintendant Hülsen, der die beiden Monarchen gemeinsam mit dem neuen Wiesbadener Hoftheaterintendanten Kurt von Mutzenbecher (1866–1938) im Theater empfangen und zur großen Mittelloge geleitet hatte, dem Publikum mit dem Kammerherrnstab das Kommen der beiden Monarchen an: „Sie kommen! Und die beiden Herrscher treten an die Brüstung der Loge und hören stehend die von der Hofkapelle intonierte Nationalhymne mit an. Dann ein dreifacher jubelnder Zuruf des Publikums, und die Oper beginnt.“318

Dass dieser Theaterabend ein ganz außergewöhnlicher war, stand nicht nur für Presse und Publikum, sondern auch für das Theaterensemble außer Frage, galt es doch, „vor den Augen des Monarchen und seines erlauchten Gastes mit Ehre zu bestehen!“319 Fast war es „vorauszusehen“ gewesen, so meinte die Wiesbadener Presse, dass man für den „Russisch-Deutschen Festabend“ die Prunkoper Oberon ausgewählt hatte, verband die beiden 313 314 315 316 317 318 319

Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 4. November 1903. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Monarchen doch die Verehrung für Carl Maria von Weber und seine letzte Oper: Die Original-Partitur des Oberon befand sich in russischem Besitz und stellte „einen der kostbarsten Schätze in der Petersburger Bibliothek des russischen Kaisers“ dar.320 Dies deutet – wie einleitend bereits erläutert worden ist – darauf hin, dass sich nationalen Abgrenzungsbestrebungen zum Trotz im 19. Jahrhundert eine gesamteuropäische Musikkultur entwickelt hatte, die nationale Sonderwege und -stile überwölbte, ja im Zuge eines regen transnationalen Kulturtransfers geradezu ineinanderblendete: Ein gemeinsamer Kanon populärer Werke und Komponisten war ebenso charakteristisch für das gesamteuropäische Musikleben wie die weitgehend synchronen Rezeptionshaltungen und ästhetischen Vorlieben des internationalen Musikpublikums, so dass „nationale Abgrenzung und die Praxis europäischer Angleichung“ Hand in Hand gingen.321 In Wiesbaden empfand man es entsprechend als ein ganz besonderes Privileg und als symbolische Geste gastlicher Zuvorkommenheit, dass der Zarenhof dem Wiesbadener Intendanten für dessen Erarbeitung der ,Spezialeinrichtung‘ „den Autograph zur Einsicht“ zur Verfügung gestellt hatte.322 Dies wertete man als Beweis für die sich bessernden Beziehungen der beiden Reiche. Im Gegenzug beeilte man sich, „die ersten, glänzenden Kräfte unserer Hofbühne“ aufzubieten, um den Zaren zu erfreuen − und mit den „üppig dekorativen Reizen“ und der „verschwenderischen Ausstattungspracht“ des Werkes zu beeindrucken.323 Wie erhofft nahm die Aufführung dieser für Wiesbaden „längst typisch“ gewordenen Oper einen „großartigen Verlauf “.324 Dem Urteil der Presse zufolge konnte die gesamte Inszenierung durch ihren „festlichen Charakter“ glänzen, da sowohl die „musikalische Gesamt-Wiedergabe“ des Werkes wie auch die „wundersame, poetische Ausgestaltung des gesamten szenischen Apparates“ einen ausgesprochen „wirkungsvollen Eindruck“ hinterlassen hätten.325 Wie der offizielle Empfang des Zaren und das für ihn ausgerichtete GalaDiner als feste Bestandteile des herrschaftlichen Zeremoniells und der werbenden Gastfreundschaft zu gelten hatten, fungierte auch der gemeinsame Opernbesuch der beiden Staatsoberhäupter als wichtiger repräsentativer und symbolischer Bestandteil dieses Staatsbesuchs: Mit „ihren üppigen dekorativen Reizen“ und ihrer „verschwenderischen Ausstattungspracht“ führte man dem russischen Zaren den Wiesbadener Oberon als ein Juwel wilhelminischer Inszenierungskunst vor, wobei die Grenzen zwischen Unter320 321 322 323 324 325

Ebd. Vgl. hierzu Müller: Musik als nationale und transnationale Praxis im 19. Jahrhundert, S. 34. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Vgl. Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 4, Nr. 22 (November 1903), S. 279. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Ebd.

5. Die Wiesbadener Kaiserfestspiele

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haltung, künstlerischer Darbietung und Staatsspektakel fließend ineinander übergingen. Oberon nämlich sollte dem Zaren demonstrativ die Macht und den Prunk des Kaiserreiches vor Augen führen.326 Gleichsam beiläufig bekundete Wiesbaden auf diese Weise, dass man sich sozusagen auf gleicher Augenhöhe begegnete. Der gemeinsame Besuch der Festoper Oberon stellte in dieser Hinsicht ein konstitutives Element des Zarenbesuchs dar und wurde von den Zeitgenossen als probates Medium europäischer Diplomatie- und Außenpolitik wahrgenommen. Der suggestiven Wirkmacht dieses ,Gesamtinszenierungskunstwerks‘ konnte sich Nikolaus II. offenkundig nur schwer entziehen, wie das Wiesbadener Tagblatt stolz vermerkte: Sowohl der Kaiser als auch der Zar bekundeten wiederholt ihr „höchste[s] Entzücken“ über die künstlerischen Darbietungen, und der Zar musste, wie das Blatt erfahren haben wollte, einräumen, noch nie im Leben „so etwas Schönes“ gesehen und gehört zu haben.327 Wie die Zeitung ihren Lesern mitteilte, verfehlte auch das neu erbaute Prunkfoyer seine Wirkung auf den hohen Gast nicht. Begeistert habe sich Nikolaus II. insbesondere über „die prächtige Ausschmückung“ des Raumes geäußert, der in den beiden Pausen für das Publikum abgesperrt worden war, da die beiden Regenten hier in den Pausen ausgewählte Gäste empfingen – unter anderem den Generalintendanten Hülsen, dem beide Monarchen „ihre höchste Anerkennung“ aussprachen, und dem der Zar darüber hinaus als Zeichen seiner Referenz „das Großkreuz des Stanislausordens“ verlieh.328 Die Oper diente mithin ebenfalls der symbolpoitischen Profilierung nach außen, indem sie dem Zaren und seiner Begleitung bewundernde Anerkennung abnötigte.329 Auch in den kommenden Jahren wurde der Wiesbadener Oberon bei bedeutenden repräsentativen Anlässen in den Spielplan der Hofbühne aufgenommen. Nach wie vor markierte das Werk einen wichtigen symbolischen Referenzpunkt, über den sich nicht nur die Institution Hoftheater definierte, sondern der zunehmend auch die stadtkulturelle Identität Wiesbadens prägte. Als die Stadt 1904 das 10-jährige Jubiläum des Hoftheaters feierte, folgte einem von Joseph Lauff verfassten „stimmungsvollen, hochpoetischen Prolog“ und der Jubelouverture Webers „des Meisters ewig junger ,Oberon‘“, mit dem die Stadt sich selbst und ihren „Musentempel“ feierte. 330 Oberon war damit nicht nur das Markenzeichen einer höfischen Repräsentationskultur in der Stadt; zugleich war das Werk zu einem Medium städtischer Selbstkonstitution aufgestiegen. Der Erfolg des ,ewig jungen‘ Oberon war die Gewähr für das Erfolgsmodell ,Weltkurstadt‘, mit ihm verfügte die Stadt über einen Tra326 327 328 329 330

Ebd. Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 5. November 1903. Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 5, Nr. 21 (November 1904), S. 267.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

ditionsbestand, der Vergangenes sinnhaft verortete und spezifische, kollektiv akzeptierte Welt- und Selbstbilder gleichzeitig in die Zukunft hinein verlängern konnte.331 Auch lange nach ihrer Erstaufführung erwies sich die Oper „als das wertvollste und zugkräftigste Werk“ der Wiesbadener Bühne.332 Immer wieder füllte sie die Hallen, „immer wieder huldig[t]en neue Hörer-Generationen dem Genius deutscher Kunst“.333 Folgerichtig war es diese ,Wiesbadener Spezialeinrichtung‘, die am 18. Mai 1914 die Ära der Festvorstellungen ,auf Allerhöchsten Befehl‘ beendete, als sich zum letzten Mal vor einem exklusiven Festspielpublikum die „buntschimmernd[e] Märchenpracht“ des Oberon auftat.334 Der Krieg sollte die Wahrnehmungsweisen des Wiesbadener Publikums gravierend verändern. Zwar konnte sich Oberon nach wie vor auf dem Spielplan der Wiesbadener Bühne behaupten − so wurde er beispielsweise am 12. April 1917 als patriotisches Weihespiel beim „Werbetag für die sechste Kriegsanleihe“ mit großem Erfolg aufgeführt −, doch immer deutlicher traten nun die zunehmend anachronistischen Züge von Hülsens Opernbearbeitung hervor.335 Krieg und Inflation ließen das romantische Feenreich des Oberon und die so widersprüchliche „Wunderwelt“ der Kaiserzeit in weite Ferne rücken.336 Nach 1918 überlebte das einstige Glanzstück der Wiesbadener Bühne daher vor allem als Zitat seiner früheren Bedeutung, als „Erinnerung an eine unerhörte szenisch-dekorative Prachtentfaltung“, deren „Spielleiter der Kaiser war“.337 Als 1923 bei einem verheerenden Brand des Wiesbadener Theaters auch die berühmten Wandeldekorationen des Oberon den Flammen zum Opfer fielen, blickte die einstige Mairesidenz Wiesbaden mit „Wehmut“ zurück auf jene „Zeit einstigen Glanzes“, für die sich auf lange Zeit hin kaum ein angemessenes Substitut mehr finden ließ.338

331 332 333 334 335 336 337 338

Müller: Das historische Jubiläum, S. 2. Rheinischer Kurier, 17. Mai 1907. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 19. Mai 1914. Siehe in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden. Special-Akten betreffend ,Nationaltag 12.4.1917‘ (6. Kriegsanleihe), in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 30. Vgl. hierzu das Sonderheft „Wiesbadener Festspiele 1902“ der Zeitschrift Berliner Leben. Frankfurter Nachrichten, 20. März 1923. Deutsche Allgemeine Zeitung, 23. März 1923.

6. „Im schönen Garten heil’ger deutscher Kunst“1 : Frankfurt feiert das Jubiläum seines Opernhauses (1905) Wie bereits die Elektrotechnische Ausstellung 1891 bot auch das 25-jährige Jubiläum des Opernhauses der Stadt Frankfurt Gelegenheit, bürgerschaftliche Traditionen und urbane Selbstbilder zu formulieren und zu verhandeln. Im Medium der städtischen Festkultur wurde dabei von Seiten der bürgerlichen Presse der Versuch unternommen, das Bild einer ebenso integrierten wie autonomen Bürgergesellschaft herzustellen, um interne Konflikte auszubalancieren und eine konsensuelle Vorstellung städtischer Einheit und Größe zu vermitteln. Die Oper diente somit als Projektionsfläche kommunalen Traditionsbewusstseins, bürgerschaftlicher Identität und nationalkulturellen Prestiges. Das Jubiläumsfest ihres Opernhauses beging die Stadt Frankfurt mit einer Vorstellung von Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg sowie mit einem thematisch eng an dieses Werk angelehnten einführenden Festspiel, das eigens zu diesem Anlass verfasst worden war. Wagners Oper stellte mit ihrer Vision einer weitgehend harmonischen, sich selbst organisierenden und regierenden Gemeinschaft, in der „Handwerk, Wissenschaft und Kunst eine identitätsstiftende Symbiose eingingen“, die geeignete symbolische und ästhetische Form bereit, mit der man in Frankfurt das Ideal einer traditionsreichen und um Homogenität bemühten Bürgerkultur feiern wollte.2 Als Inbegriff einer deutschen National- und Festoper ist kaum ein Werk im Lauf seiner Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte so heftigen Kontroversen ausgesetzt gewesen wie gerade diese Oper Wagners. Keiner seiner Opern wurde eine engere und fatalere Nähe zu Deutschlands politischer Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert attestiert, keine unterlag einem solch umfassenden „politischen Uminterpretations- und Vereinnahmungsprozess“.3 Von Anfang an waren die Meistersinger mehr als ,nur‘ eine Oper; die Vielzahl semantischer Verdichtungen und Zuschreibungen statteten des Werk seit dem Zeitpunkt seiner Entstehung mit politischen, mitunter heilsgeschichtlich-sakralen Facetten aus, die die Meistersinger gleichsam zu einem politischen Mythos erhoben. Gleichzeitig überfrachteten solche Politisierungsstrategien das Werk 1

2 3

Siehe den Festprolog von Rudolf Presber anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Frankfurter Opernhauses, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M., Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532. Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, hier S. 251. Vgl. vor allem Udo Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Rezeption – Verfälschungen, Stuttgart 2011, S. 419ff., hier S. 433.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

nachdrücklich, denn die mannigfachen symbolpolitischen Festschreibungen öffneten seiner „ideologische[n] Funktionalisierung“ Tür und Tor.4 Bereits im Vorfeld ihrer Uraufführung im Juni 1868 wurde die Oper von Hans von Bülow als kompositorisch-dichterische Glanzleistung Wagners gelobt und als ein Werk gefeiert, das Wagner „mehr noch als Beethoven zur ,Inkarnation des deutschen Kunstgeistes‘“ werden lasse.5 Die Meistersinger wurden in den Jahren und Jahrzehnten nach ihrer Uraufführung systematisch zur prototypischen deutschen Nationaloper erhoben, eine Lesart, die unter anderem auf die publizistischen Bemühungen der Bayreuther Blätter zurückzuführen ist, die Udo Bermbach unlängst eindrucksvoll analysiert und interpretiert hat.6 Nach 1871 setzte sich allmählich eine zusehends aggressiv-nationalistische Deutungsweise durch: Die Meistersinger wurden nun zum Bannerträger einer kulturpolitischen Mission erhoben, die die Überlegenheit der deutschen Nationalkultur behaupten sollte.7 Mit ihrer stilisierten Völkstümlichkeit, ihrem Entwurf einer harmonisch-integrierten Gemeinschaft von Handwerkern, Künstlern und Bürgern wurde die Oper zu einem Manifest national-deutscher Kunst erklärt, die den Zumutungen einer westlichen Moderne zu widerstehen schien. Nietzsches griffiges Bonmot „Meistersinger – Gegensatz zur Civilisation, das Deutsche gegen das Französische“ brachte die Auffassung vieler Zeitgenossen treffend auf den Punkt.8 Die direkte politische Indienstnahme des Werkes war hier bereits vorgezeichnet, doch setzte erst im Verlauf des Ersten Weltkrieges ein Prozess ein, der das Opernschaffen Wagners zusehends mit deutsch-nationalistischen Überlegenheitsansprüchen kurzschloss.9 Im Zug der Wiederaufnahme der Bayreuther Festspiele nach dem Krieg (1924) radikalisierte sich die nationalistische Instrumentalisierung der Meistersinger. Die Oper wurde immer öfter in einen „völkisch-nationalen Rahmen eingestellt“ und zum Spiegel- und Sinnbild deutschen Volkstums erhoben10 – eine Strategie affirmativ-aggressiver Selbstbehauptung, die sich in den Folgejahren fortsetzte und während der nationalsozialistischen Herrschaft ihren traurigen Höhepunkt erreichte: Die Meistersinger avancierten nun nämlich zur glanzvollen Festoper der Nürnberger Parteitage, deutete man die Oper doch bereitwillig als ein Symbol „großdeutschen Durchhaltewillens“.11 Allerdings dürfen „Aufführungspraxis und Rezeptionsweise“ der Meistersinger nicht vorschnell mit „den Intentionen 4 5 6 7 8

9 10 11

Bermbach: Richard Wagner in Deutschland, S. 433. Hans von Bülow wird zitiert nach: Bermbach: Richard Wagner in Deutschland, S. 422. Bermbach: Richard Wagner in Deutschland. Vgl. ebd., S. 426. Zitiert nach Bermbach: Richard Wagner in Deutschland, S. 426. Siehe dazu: Dieter Borchmeyer/Jörg Salaquarda (Hrsg.): Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, Frankfurt a.M./Leipzig 1994, Bd. 1, S. 590. Bermbach: Richard Wagner in Deutschland, S. 428f. Ebd., S. 430. Vgl. hierzu Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 47.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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ihres Schöpfers in eins“ gesetzt werden.12 Dass die hier skizzierten breiten Rezeptionslinien der Oper allerdings auch grundsätzlich andersartige und eigenwillige Deutungs- und Inszenierungsstrategien zuließen, soll nachfolgend am Beispiel der Frankfurter Jubiläumsfeiern des Jahres 1905 dargelegt werden. Diesem konkreten Falbeispiel vorgreifend ist zu konstatieren, dass die Meistersinger im Rahmen der politischen Festkultur Frankfurts seit langem eine herausragende Rolle einnahmen: Bereits anlässlich der Gedenkfeier des so bezeichneten Frankfurter Friedens (1871) hatte man hier im Mai 1896 den dritten Aufzug der Oper im Rahmen einer pompösen Festvorstellung auf die Bühne gebracht und die Oper im Sinne einer Identität stiftenden Nationaloper interpretiert.13 Sowohl hinsichtlich der Dekorationen und Kostüme als auch der musikalischen Interpretation war an „die Traditionen der Bayreuther Musteraufführungen“ angeknüpft worden.14 Geschichtspolitische Auseinandersetzungen prägten diesen Gedenktag und wirkten bis in die Pressedeutungen der Festvorstellung hinein. Frankfurt zeigte sich an diesem Tag als ein antagonistisch verfasster städtischer Raum, in dem verschiedene politische und soziale Lager um die Ausdeutung des Festtages rangen. Das nationalliberal-konservative Bürgertum um Bürgermeister Franz Adickes interpretierte den Jahrestag des Friedensschlusses als einen Sieg des wilhelminischen Machtstaates und nahm den Gedenktag zum Anlass, diese Allianz nach außen zu bekunden: Wilhelm II. war eigens nach Frankfurt gereist, um ein Denkmal seines Großvaters auf dem Opernplatz zu enthüllen und sich in der Nachfolge Wilhelms I. als Inkarnation nationalmonarchischen Charismas zu präsentieren. Zudem besuchte das Kaiserpaar am Abend die Festvorstellung im Opernhaus. Demgegenüber hob das linksliberale Frankfurt mit seinem Sprachrohr, der Frankfurter Zeitung, den völkerverbindenden Impetus internationaler Friedenssicherung hervor und verband dies zugleich mit einer äußerst kritischen Einschätzung des politischen Status quo. Divergierende politische Ansichten waren selbst noch denjenigen Presseberichten eingeschrieben, die über die Festvorstellung im Opernhaus berichteten, die mit einer Aufführung des dritten Aufzugs von Wagners Meistersingern ihren fulminanten Abschluss fand. Mit Nachdruck privilegierte die Frankfurter Zeitung in ihrem Bericht über die Vorstellung eine Lesart, die Frankfurt als modernes Spiegelbild von Richard Wagners idealisiertem Opern-Nürnberg interpretierte. Wagner 12 13

14

Ebd. Vgl. zur Rolle der Meistersinger von Nürnberg im Rahmen der Frankfurter Friedensfeier 1896 ausführlicher Stephanie Kleiner: „Staatsmännisch im höchsten und schönsten Sinn“. Die politische Ästhetik der Frankfurter Oper im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Sven Oliver Müller/Jutta Toelle (Hrsg.): Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien/München 2008, S. 139–157. Frankfurter Zeitung, 11. Mai 1896, Morgenblatt.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

hatte seinerseits auf den unter anderem von Wilhelm Heinrich Wackenroder in den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1797) ins Leben gerufenen ,Mythos Nürnberg‘ zurückgegriffen und die Stadt zum Symbol für „eine überschaubare und wohlgeordnete Gemeinschaft“ erklärt, in der „Handwerk, Wissenschaft und Kunst eine identitätsstiftende Symbiose eingingen“, in der gesellschaftliche Hierarchien nicht länger existierten, und in der staatlich-politische Institutionen nicht mehr notwendig waren, um das Zusammenleben der Bürgerschaft zu regeln.15 Nürnberg verkörperte für Wagner in der Nachfolge der Romantiker nicht nur die Heimstätte deutscher mittelalterlicher Kunst, sondern auch − ungeachtet der tatsächlichen politisch-sozialen Verfasstheit der Freien Reichsstadt − das „Idealbild einer urbanen, einer sozial wie politisch hoch integrierten Lebensgemeinschaft“.16 So erhoben die Meistersinger die Stadt Nürnberg zum überzeitlich gültigen „utopische[n] Gegenentwurf “ zu bestehenden gesellschaftspolitischen Verhältnissen17 − und damit stand das ,Opern-Nürnberg‘ des Hans Sachs auch der Stadt Frankfurt als symbolischer Spiegel zu Gebote. Wie Nürnberg war auch Frankfurt über Jahrhunderte hinweg – bis 1806 – Freie Reichsstadt gewesen, und stolz präsentierte sich die Stadt auch am 10. Mai 1896 als ,alte deutsche Reichsstadt‘ und als „natürliche[r] Hauptort“ „in dem weiten Gebiete“, das „stromauf- und stromabwärts“ durch Rhein und Main markiert wurde.18 Die Kunst des Meistergesangs, über dessen Regeln und konkrete Ausübung nicht nur die Meister, sondern das beim Wettsingen auf der Festwiese versammelte Volk entscheiden, stellt bei Wagner die Identifikation der Bürgerschaft mit ihrem Gemeinwesen sicher und dient als Motor gelingender Kommunikation. Hans Sachs, der im dritten Aufzug der Oper das Loblied der Kunst anstimmt, macht Walther und seine Nürnberger Mitbürger darauf aufmerksam, dass das Ideal einer integrierten Bürgergemeinschaft weder über die hochgeschätzten „Ahnen“ − also über Tradition − noch über „Wappen“, „Speer“ oder „Schwert“ − und damit auch nicht über den Bereich des Politischen oder des Militärischen − Gestalt annehmen, sondern sich einzig in der Pflege und Hochachtung der Kunst bewähren kann.19 Diese Idee einer durch das Ästhetische generierten gesellschaftlichen Harmonie war auch für die diskursive Rahmung der Frankfurter Friedensfeier von zentraler Bedeutung. Fast schien es, als habe der Schlussmonolog des Hans Sachs Pate gestanden für die Darstellungsweise der Frankfurter Zeitung, die eilfertig darauf hinwies, dass die Mainstadt wohl „noch nie“ zuvor ein „Volksfest“ erlebt 15 16 17 18 19

Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 251. Ebd., S. 255. Ebd. Frankfurter Zeitung, 11. Mai 1896, Morgenblatt. Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. Textbuch der Uraufführung mit Varianten der Partitur, hrsg. v. Egon Voss, Stuttgart 2002, Dritter Aufzug.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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hätte, „bei dem die Menschenschaaren so unter dem befriedenden Banne ästhetischer Empfindungen“ gestanden hätten wie an jenem 10. Mai 1896.20 Die Stadt schien nach dem Einbruch der Dunkelheit in ein „strahlendes Meer von Licht und Farbe“ getaucht zu sein.21 Angerührt durch die gemeinsame Feier des Friedensfestes oder durch die Teilnahme an jenem „weihevollen Abschluß des großen Tages“ im Frankfurter Opernhaus wickelte sich auf den „taghellen Straßen“ der „Riesenverkehr“ ohne jede „Störung“ ab.22 „Hunderte von Wagen“ – so hieß es – fuhren in „sanftestem Schritt“ durch die Stadt, Truppenabteilungen zogen „mit klingendem Spiel“ umher, um die festliche Illumination der Häuser zu bestaunen, und „eine vergnügte Menschenmenge“ „wogte“ durch die Straßen der Mainstadt, um den Tag feierlich ausklingen zu lassen.23 Kurzum: Frankfurt feierte nun selbst ganz in der Manier der Nürnberger Meistersinger ein „gemüthliches Volksfest“, wie „man es nicht so leicht zum zweitenmal erleben wird“.24 Hier – so jubelte die Frankfurter Zeitung – seien dem „Krieg die letzten Fortifikationen genommen“ worden, auf die sich seine „Vertheidigung gegen den Frieden“ stütze, namentlich die „große schaurige Schönheit, die den Höllenbränden der Schlachten“ innewohne.25 Demgegenüber war Frankfurt am Abend des 10. Mai 1896 in ein „strahlendes Meer von Licht und Farbe“ getaucht, und nirgendwo verdarben „Drängen“ oder „wüstes Lärmen“ den „weihevollen Abschluß des großen Tages“.26 Diese publizistische Zurichtung des Festtages griff bewusst auf die semantischen Gehalte der Festwiesen-Szene zurück, um die Friedensfeier zum Pendant des Nürnberger Bürgerfestes zu erheben. Für die Dauer der Jubiläumsfeier zeigte sich Frankfurt als reinkarniertes Nürnberg, indem es sich als Ort sozialer Harmonie in Szene setzte. Ausgehend von der Strahlkraft des Frankfurter Opernhauses und seiner Festvorstellung war für die Frankfurter Zeitung der gesamte Stadtraum zur treffenden Kulisse für jenes „Schauspiel“ des Friedens geworden, mit dessen Feier sich de Stadt nun selbst in eine ,Festwiese‘, einen harmonisch-geordneten und ästhetisch hervorgebrachten Kulturstaat verwandelte.27 Das Werk stellte somit ein Narrativ zur Verfügung, das spezifische Facetten städtisch-bürgerlicher Identität aufrief, war gleichzeitig aber mehr als nur „a story told and reflected on“.28 Vielmehr stieg die Oper zu einem „cult enacted“ auf, denn den demokratischen Kritikern des wilhelminischen Machtstaates stand sie als handlungsleitendes Korrektiv einer offiziellen staatlichen Festkultur zu Gebote. So sehr nämlich stand die 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Frankfurter Zeitung, 11. Mai 1896, Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Connerton: How societies remember, S. 70.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Frankfurter Zeitung unter dem Bann der Programmatik einer nationalen Friedens- und Volksfeier, dass sie die Abfahrt des Kaiserpaares nur quasi en passant erwähnte. Trotzdem platzierte das Blatt auch hierbei einige auf den Monarchen gerichtete rhetorische Spitzen. So monierte die Zeitung, dass Wilhelm II. es trotz der betont friedvollen Atmosphäre des Frankfurter Volksfestes für nötig erachtet hatte, sich von einem durch das 81. InfanterieRegiment gebildeten Spalier zum Bahnhof geleiten zu lassen, um von dort die Fahrt nach Wiesbaden anzutreten. Bezeichnenderweise, so stellte die Zeitung fest, hatte außer dem Gefolge des Kaisers „einzig Oberbürgermeister Adickes“ dem Monarchen das Geleit gegeben, während sich das „friedensfrohe Volk“ von dieser demonstrativen Militärpräsenz des preußischen Machtstaates distanzierte und sich statt dessen „in der kunstbeglänzten Zaubermainacht“ „tummelte“ − und damit zwar nicht, wie Wagner dies in seiner Oper eingefordert haben mochte, dem Politischen an sich den Rücken kehrte, wohl aber dem obrigkeitsstaatlichen Politikverständnis Wilhelms II. und seiner kaisertreuen Deutungseliten eine klare Absage erteilte.29 Wagners Meistersinger bildeten für Frankfurt auch bei künftigen Festanlässen einen wichtigen Referenzrahmen, über den städtische Eigengeschichte und bürgerliches Selbstbewusstsein artikuliert werden konnten. 1905 nämlich griff man auf ähnliche Motiv- und Inszenierungsressourcen zurück, die bereits 1896 als gelungene Symbolisierungen politischer und gesellschaftlicher Ordnungsentwürfe empfunden worden waren. Gerade in der diachronen Perspektive wird erkennbar, wie sich diese Wagner-Oper im Kontext der Frankfurter Stadt- und Theatergeschichte als kollektiv besonders wirksames kulturelles Deutungsmuster etablieren konnte. Hierdurch lässt sich darlegen, wie sehr die Oper an der Erzeugung und Vermittlung spezifischer Selbst- und Weltbilder beteiligt war und dabei jeweils zeitgebundene Bedürfnisse aufzunehmen vermochte. Nach einem kurzen, eher institutionengeschichtlich gehaltenen Abriss über die finanzielle Situation der Oper seit ihrer Gründung, über Abonnementeinnahmen oder Zuschussmodalitäten sowie die Gestaltung der Eintrittspreise30 , erfolgt die eigentliche Rekonstruktion der Jubiläumsfestivitäten in drei weiteren Abschnitten. Zunächst wird das Fest als Möglichkeit gedeutet, Frankfurt in einem nationalen wie internationalen Konkurrenzverhältnis zu anderen Städten mit metropolitanem Anspruch gut dastehen zu lassen. Als sich die Stadt im Spätjahr 1905 auf die Feier des 25-jährigen Jubiläums ihres Opernhauses vorbereitete, befand sich Frankfurt in einer Phase ausgeprägter Veränderung und wollte sich das „Profil einer eleganten, modernen Metropole“ zulegen.31 Mit dem Jubiläumsfest ergab sich die Möglichkeit, dieses neue, großstädtische Frankfurt zu feiern und sein urba29 30 31

Frankfurter Zeitung, 11. Mai 1896, Morgenblatt. Kapitel II.6.1 (Die Oper als Geschäfts- und Kulturbetrieb). Klötzer: Das wilhelminische Frankfurt, S. 172.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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nes Flair hervorzuheben, zumal die Oper selbst als besonders signifikantes Wahrzeichen des Wandels wahrgenommen wurde. Der in der lokalen Presse immer wieder angestrengte Vergleich mit der Weltstadt Paris dokumentiert das gewachsene Selbstvertrauen Frankfurts.32 Die tief greifenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Transformationen der zweiten Jahrhunderthälfte veränderten auch die Gesellschaftsstruktur der Stadt und ihrer Eliten grundlegend. Es konstituierte sich eine äußerst durchlässige, wohlhabende und weltoffene städtische Elite, die die Stadt als „Gegenmodell zur deutschen Gesellschaft im Kaiserreich“ hervortreten ließ.33 Innerhalb der städtischen Topographie besetzte das Opernhaus einen zentralen Ort, an dem das Ideal großstädtischer und bildungsbürgerlicher Identität ausgeformt und in die symbolische Infrastruktur der Stadt eingebracht werden konnte. Entlang der Geschichte des Hauses lassen sich die Verschiebungen der sozialen und politischen Kräfteverhältnisse innerhalb der sich wandelnden und neu konstituierenden Frankfurter Bürgerschaft und ihrer Eliten im Zeitraum zwischen Reichsgründung und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nachzeichnen. Das Opernhaus war nicht nur tief in die Lebenswelt einer immer selbstbewusster auftretenden bürgerlichen Schicht eingelassen. Es wirkte an deren Konstitution und interner Hierarchisierung maßgeblich mit.34 Wagners Meistersingern kam in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu, gerade weil diese Oper in gewisser Hinsicht eine gegenläufige, weil entdifferenzierende Programmatik verkörperte. In der zeitgenössischen Presse wurde die Oper vorrangig als ästhetische Projektion eines Volks-, Familien- und Erinnerungsfestes gedeutet – alles dies Komponenten, die für die Berichterstatter auch den Charakter der Jubiläumsfestivitäten ausmachten. Abermals wurden Bühne und Stadt gewissermaßen kurzgeschlossen. Bürgerliche Eliten frequentierten das Opernhaus demnach nicht nur, um ihre eigene symbolische Selbstkonstitution exklusiv gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen 32 33

34

Kapitel II.6.2 (Was andere Städte können. . . ). In der neueren Literatur erscheint Frankfurt daher auch vielfach als gelingendes Beispiel einer modernen Bürgergesellschaft, die sich nicht nur immer wieder fähig und bereit zeigte, unterschiedliche soziale und konfessionelle Gruppen − etwa Katholiken und Juden oder später die Angehörigen der Arbeiterschaft − in das Gemeinwesen zu integrieren und somit soziale und politische Spannungen aufzufangen, sondern die sich zudem als Vorkämpferin sozialer und administrativer Reformen verstand und sich konsequent um die Etablierung einer „auf Selbstverwaltung und ausgeglichenen Sozialverhältnissen“ aufruhenden bürgerlichen Gesellschaft bemühte. Diese Sichtweise, die langfristige Entwicklungslinien untersucht und damit das Innovations- und Professionalisierungspotenzial einer durch Preußen herbeigeführten Bürokratisierung und Modernisierung relativiert, hebt immer wieder hervor, dass eine aus der besonderen politischen Kultur der Mainstadt „gespeiste Vision einer modernen stadtbürgerlichen Gesellschaft“ im Rahmen dieses Transformationsprozesses eine wichtige Rolle gespielt hatte. Siehe diese Einschätzung bei Roth: Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main, S. 542f. Kapitel II.6.3 (Der Bürger als ,Triumphator‘).

224

II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

voranzutreiben. Ein ästhetisch hervorgebrachter Entwurf kommunaler Ganzheit und schichten-, ja generationenübergreifender Einheit, wie er sich aus den Meistersingern herleiten ließ, trug vielmehr flankierend dazu bei, sozialgeschichtliche Differenzierungen innerhalb der Stadt symbolisch zu überwölben.35

6.1 Die Oper als Geschäfts- und Kulturbetrieb Von Jahr zu Jahr steigende Abonnentenzahlen, solide Einnahmen und ausgeglichene Bilanzen deuten darauf hin, dass das Frankfurter Opernhaus zwischen 1890 und 1910 von weiten Teilen des Frankfurter Bürgertums als kulturelles und gesellschaftliches Herzstück der Stadt angesehen wurde. Dies legen vor allem auch die Rechenschaftsberichte der Frankfurter Intendanten an die Theater Aktien-Gesellschaft sowie deren Geschäftsberichte nahe.36 Diese positive Entwicklung setzte sich um die Jahrhundertwende ungemindert fort. Die Frankfurter Oper bildete in diesen Jahren − den Worten ihres Intendanten zufolge − den „Mittelpunkt des Interesses der gesammten musikalischen Welt“ Frankfurts.37 35 36

37

Kapitel II.6.4 (,Volksfest‘ und ,Familienfest‘). Intendant Emil Claar (1842–1930) bezeichnete das Geschäftsjahr 1889/90 „als ein in seinem Geschäftsgange und in Bezug auf sein finanzielles Endresultat befriedigendes“, da es der Theaterverwaltung in diesem Jahr möglich war, „ihre pecuniären Bedürfnisse durch die erreichten Einnahmen und die vertragsmäßig vorgesehene Subvention von Mk. 150.000 vollständig zu decken“. Siehe diesen Rechenschaftsbericht des Intendanten an die General-Versammlung der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft am 15. Februar 1891 ausführlich in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater. (...) Neue Theater-Aktiengesellschaft, Bd. III: Mai 1887–1894, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Bd. 3, Blatt 46ff. Auch das Geschäftsjahr 1895/96 stellte sich Claar „als ein ausgesprochen günstiges“ dar; denn aufgrund der regen „Antheilnahme des Publikums an den künstlerischen Vorgängen in den Theatern“ und der sich daraus ergebenden hohen Einnahmen konnte die Theaterleitung „die Summe von ca. Mk. 31.000 an nicht verbrauchter städtischer Subvention [...] an den Reserve-Fond [...] übermitteln“. Ein Defizit von rund 170 000 Mark konnte durch die mittlerweile auf 200 000 Mark angestiegene städtische Subvention vollständig gedeckt werden, wodurch die Bildung eines eigenen Reserve-Fonds ermögicht wurde. Siehe den Rechenschaftsbericht des Intendanten an die General-Versammlung der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft am 24. Februar 1897 in: Akten der Stadtverordnetenversammlung zu Frankfurt am Main, Theater Aktien-Gesellschaft, 6. Februar 1890–7. März 1911, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.936, S. 120ff. Siehe den Bericht der Intendanz der Oper über das Geschäftsjahr 1901/1902, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtische Theater (...), Neue Theater AktienGesellschaft, Bd. V: 1901–1904, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Blatt 26ff. Auch das Geschäftsjahr 1905/06 ergab für das Frankfurter Opernhaus durchweg „günstige Resultate“, da die Tageseinnahmen sogar „erheblich höher“ ausfielen als „im Voranschlag angenommen“. Zudem hatte das Abonnement abermals „eine sehr bedeutende Steigerung erfahren“, wie Claar stolz vermerkte. Siehe diesen Bericht der Intendanz der Oper

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

225

Mit den Jahren 1910/11 endete diese Phase finanzieller Prosperität. Das Ergebnis des Betriebsjahres 1910/11 musste von der Theaterleitung „leider als ein ungünstiges bezeichnet werden“, da das Opernhaus „einen weit über das etatmäßig vorgesehene Defizit hinausgehenden Fehlbetrag aufzuweisen“ hatte, der sich mittlerweile auf beinahe 300 000 Mark belief.38 Gemeinsam mussten die Städtischen Bühnen in diesem Jahr einen Betriebsverlust in Höhe von 360 000 Mark hinnehmen, der nicht mehr durch die Gewährung der ordentlichen städtischen Subvention in Höhe von rund 270 000 Mark beglichen werden konnte, sondern die Inanspruchnahme eines bei der Stadt hinterlegten Reservefonds notwendig machte.39 Als Begründung für dieses ungünstige Ergebnis führte die Intendantur die steigenden Ausgaben − etwa für Löhne und Gagen oder die an die Stadt abzuführende Billettsteuer von fast 67 000 Mark − an, die aufgrund der zeitgleich zurückgehenden Einnahmen nicht mehr ohne weiteres ausgeglichen werden konnten.40 Des Weiteren verschlechterte sich der Geschäftsgang vor allem „durch die neuentstandenen Unternehmungen, die vielen Kinematographen-Theater und sonstige[n] Unterhaltungsstätten“, durch die den Theatern „eine immer bedrohlicher werdende Konkurrenz“ erwuchs.41 In den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges setzte sich diese Entwicklung mit zunehmender Vehemenz fort, so dass die Oper als ästhetisches wie zeremonielles Leitmedium der Vorkriegsgesellschaft zunehmend in Bedrängnis geriet.42 Der deutlich nachlassende Besuch des Opernhauses war nach Meinung der Aktien-Gesellschaft allerdings nicht „auf mangelnde künstlerische Leistungen zurückzuführen“, denn weit über den lokalen Raum hinaus, so hieß es in einem Bericht, genieße die Frankfurter Oper „den allerbesten Ruf “ und könne sich über „ein

38

39 40 41 42

über das Geschäftsjahr 1905/06 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Bd. 6, Blatt 39ff. Das Geschäftsjahr 1907/08 erwies sich ebenfalls als „ein besonders gutes“, da es die Einnahmen „des an sich schon so günstigen Jahres 1906/1907 noch erheblich“ übertraf, so dass erneut ein Teil der städtischen Subvention an den Reserve-Fonds der Theater abgeführt werden konnte. Siehe diesen Bericht der Intendanz der Oper über das Geschäftsjahr 1907/08 in: Akten der Stadtverordnetenversammlung zu Frankfurt am Main, Theater Aktien-Gesellschaft, 6. Februar 1890–7. März 1911, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.936, Blatt 427. Siehe diesen Bericht über das Geschäftsjahr 1910/11 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater (...) Neue Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VIII: 1911–1913, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Blatt 36ff. Ebd. Ebd. Ebd. Auch in den Jahren 1912 und 1913 musste die Neue Theater Aktien-Gesellschaft dem Magistrat einen hohen Fehlbetrag von über 500 000 Mark vermelden, zu dessen Deckung die normale Subvention in Höhe von knapp über 380 000 Mark sowie eine Extra-Subvention in Höhe von 120 000 Mark nicht ausreichten, so dass der fehlende Betrag erneut durch Reserven und einen von den Garantiezeichnern zur Verfügung gestellten Betrag in Höhe von beinahe 47 000 Mark ausgeglichen werden musste.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

hohes Ansehen in der Kunstwelt“ freuen.43 Selbstbewusst hielt man fest, dass sich die Frankfurter Oper mühelos neben den „hochdotierten Hoftheatern von Berlin, München, Dresden behaupten“ könne.44 Die rückläufigen Besucherzahlen brachte man vor allem mit den „gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse[n]“ in Verbindung, da die von Seiten der Theaterleitung angeordnete Erhöhung der Eintrittspreise „namentlich den Mittelstand“ dazu veranlasst habe, seinen „Theaterbesuch einzuschränken“ oder auf billigere Plätze auszuweichen.45 Das Jahrzehnt zwischen 1900 und 1910 bezeichnete damit den Höhe-, zugleich aber auch den Schlusspunkt einer Epoche, in der die Oper ihre Position als „Solitär des Kulturbetriebs“ und als Symbol eines wohlhabenden und kultivierten Bürgertums geltend machen konnte.46 Genau in der Mitte dieses ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts beging die Stadt auch das 25-jährige Jubiläum ihres Opernhauses, das im symbolischen Haushalt der Stadt in der Folgezeit eine nicht minder wichtige Position besetzen sollte als die Eröffnung selbst. Noch zum 50. Jubiläum der Oper, das 1930 gefeiert wurde, rief man die Feier von 1905 ebenso eindringlich in Erinnerung wie den eigentlichen Jubiläumsanlass.47

6.2 „Was andere Städte können, sollte Frankfurt nicht schwer fallen!“48 Die angesichts des Jubiläums angestrengte Bilanzierung vergangener Größe zielte vorrangig auf deren emphatische Bekräftigung beziehungsweise Restituierung ab und erlaubte es Frankfurt, den für sich reklamierten Metropolencharakter öffentlich zu bekunden. Rückblickend stellte die Presse den Tag der Eröffnung des Opernhauses im Rückblick als denkwürdiges Ereignis heraus: Am 20. Oktober 1880 war die Stadt gleichsam in einen „neuen Abschnitt“ ihrer Geschichte eingetreten.49 Das Opernhaus war rasch zu einem prägnanten Sinnbild und zum repräsentativen Wahrzeichen des modernen, großstädtischen Frankfurt geworden, hatten umsichtige Politiker wie Leo43

44 45 46 47 48 49

Siehe diesen Bericht der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft an den Magistrat vom 6. Februar 1914 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main. Städtische Theater (...) Neue Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. IX: Januar 1914 März 1916, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532, Blatt 15f. Ebd. Ebd. Michael Walter: Oper 1918–1933, in: ders.: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919–1945, Stuttgart 1995, S. 71–130, hier S. 119. Vgl. hierzu Kapitel III.9 (Ein ,halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt‘). Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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pold Sonnemann doch zielstrebig darauf hingearbeitet, dass „Frankfurt zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Opernhaus gegeben“ wurde, das „auch den Anforderungen einer sich mächtig entwickelnden Großstadt nach jeder Richtung hin“ gewachsen sein sollte, um die gewünschte Außen- und Selbstdarstellung der Stadt zu befördern.50 Mit der Errichtung des monumentalen Opernhauses brachte Frankfurt vor allem seine Zugehörigkeit zu einem gesamteuropäischen Zivilisationsideal zum Ausdruck; denn eine Stadt, „die ein repräsentatives Bühnengebäude besaß, konnte sich zu den großen europäischen Metropolen rechnen“.51 Entsprechend feierte man das Haus als „neue, große Sache von Frankfurt“.52 Der „Kolossalbau“ war ein Spiegel „jenes stolzen, reichen und mächtigen Frankfurt“, „von dem man schon damals nicht mit Unrecht sagte, daß es gerne ,vierspännig zu fahren‘ pflege“.53 „Vierspännig gedacht“ war deshalb auch der „neue Musensitz“ der Stadt, der dem Betrachter am Eröffnungsabend „in den edelsten Formen italienischer Renaissance helleuchtend aus dem abendlichen Dämmer [...] entgegentrat“:54 Von den Zinnen des Hauses herabwallende Fahnen und Lampions in den Farben Frankfurts unterstrichen den feierlichen Anlass ebenso wie die zahlreichen Blumengewinde, die „dem Portal ihren festlichen Rahmen“ verliehen.55 Vor dem Opernhaus konnten die Berichterstatter der Zeitungen „zum erstenmal die lange Wagenreihe Revue“ passieren sehen, „welche die Elite des Frankfurter Publikums dem Musentempel zuführte“.56 Dass die Frankfurter Oper hinsichtlich ihrer Größenverhältnisse und ihrer Innenausstattung sämtliche nationalen Konkurrenten um Längen hinter sich ließ und den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchte, musste − davon waren die Vertreter der lokalen Presse auch 1905 überzeugt − jedem Besucher des Hauses deutlich auffallen: Hier könne man nicht nur das „prächtige Foyer [...] mit seinen reichen Fresken und Verzierungen in Gold und Malerei“ bewundern, sondern zugleich werde „das Auge“ auch geblendet durch „die glänzende [...] Pracht des Treppenhauses“, das wiederum „in wunderbarster Weise“ einen merklichen Kontrast zum „dunkel abgetönte[n] Durchgang nach dem Parterre und Parkett“ bilde.57 Nur ein Theaterbau könne – so meinte der General-Anzeiger – als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, um die ebenso geschmackvolle wie überwältigende Schönheit des Baus angemessen zu beschreiben: Wer denn − so das Blatt − auch „nur einigermaßen pariserisch gebildet erscheinen wollte“, der machte „seinen Nachbar“ an 50 51 52 53 54 55 56 57

Ebd. Ther: In der Mitte der Gesellschaft, S. 342. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

jenem Eröffnungsabend „mit berechtigtem Stolz darauf aufmerksam, wie sehr das neue Frankfurter Haus in der Pracht der Ausstattung der großen Oper in Paris verwandt“ zu sein schien.58 Die Frankfurter Presse wies ihre Leserschaft zudem darauf hin, dass „der kritisch geschulte Beurteiler“ beim Durchschreiten des Theaters „mit noch größerem Stolz“ feststellen könne, dass es sich im Fall der Frankfurter Oper keineswegs um „eine schablonenhafte Nachahmung“ des großen Pariser Vorbildes handele, ja dass der Bau „noch viel weniger“ danach trachte, den Beschauer „durch protzenhafte Ausgestaltung“ bloßer „Aeußerlichkeiten“ zu „verblüffen“.59 Im Gegenteil, so das Urteil des General-Anzeigers, habe bei der architektonischen Planung des Opernhauses „der feine und vornehme Geschmack, den wir von jeher als eine Haupteigenschaft der Frankfurter kennen und schätzen gelernt haben“, auch bei diesem Neubau „Gevatter gestanden“.60 Die Mainstadt, die „von jeher gute Beziehungen zu der französischen Kapitale“ unterhalten hatte, machte durch den Verweis auf die Pariser Oper deutlich, an welchen Vorbildern sie sich messen lassen wollte61 : Das imperiale Paris des Baron Haussmann, in dessen städtebaulichem Ideal der Siegeszug des Bürgertums seine „Apotheose“ erfahren hatte, wurde von Frankfurt ausdrücklich als symbolischer Vergleichsmaßstab herangezogen.62 Das 1875 eröffnete Palais Garnier sollte mit seiner konsequenten Fortführung des „barocke[n] Prinzip[s] der Illusion“ und seinen architektonischen und inszenatorischen Wirkungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von Theaterneubauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts paradigmatisch werden.63 Nicht nur die Bühne selbst, auch das äußere Kolorit sowie das üppige innere Dekor des Kolossalbaus erhielten hier eine immer dominantere Funktion. Gerade die üppig-monumentale Ausgestaltung von Fassade, Treppenhaus, Foyer und Theatersaal ließ die Opernhäuser und Theater der großen Metropolen des 19. Jahrhunderts sichtbar als „zentrale Ort[e]“ innerhalb der großstädtischen Topographie hervortreten.64 Mit seinem prunkvollen Foyer oder der „Pracht des Treppenhauses“ wurde auch das neue Frankfurter Opernhaus rasch zu einem bevorzugten Raum städtischer und großbürgerlicher Repräsentation.65 Ein weiteres Ideal urbaner Ästhetik war für Frankfurt richtungweisend; denn am Eröffnungsabend des neuen Hauses führte man mit Wolfgang 58 59 60 61 62 63

64 65

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Walter Benjamin: Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts [1935/1939], in: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, Frankfurt a.M. 1977, S. 170–184, hier S. 176ff. Eckart Kröplin: Theatralität als gesellschaftliches Phänomen im 19. Jahrhundert, in: Peter Andraschke/Edelgard Spaude (Hrsg.): Welttheater. Die Künste im 19. Jahrhundert, Freiburg i.Br. 1992, S. 85–98, hier S. 86. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

229

Amadeus Mozarts Oper Don Juan ein Werk auf, mit dem 1869 bereits die Wiener Hofoper eingeweiht worden war.66 Auch dieses Theater, das sich im Zuge der Wiener Ringbebauung gleichberechtigt neben Monumenten wie der neuen Hofburg, dem Parlament, dem Rathaus, der Universität oder den Kunst- und Naturhistorischen Museen in einem architektonischen Ensemble urbanen Glanzes behauptete, brachte das Selbstverständnis der bürgerlichadeligen Eliten der Stadt zum Ausdruck. Die Hofoper trug dazu bei, der Wiener Ringstraße ihren ikonischen Status als Wahrzeichen einer Ära zu sichern.67 Mit der demonstrativen Rückbindung an die Wiener Hofoper oder die Pariser Oper verortete sich Frankfurt bewusst in einer ästhetischen Tradition, die metropolitanes Flair mit bürgerlichem Selbstbewusstsein und elitärem Kunstverstand verband und Frankfurts Position im nationalen Konkurrenzkampf um die Gewinnung und Behauptung von kulturellem und symbolischem Kapital stärken sollte. Mit seiner Hervorhebung urbanen Prestiges und seiner demonstrativen Wertschätzung des Ästhetischen zielte das Opernhausjubiläum darauf ab, diese „arcana bürgerlicher Vorherrschaft“ medien- und öffentlichkeitswirksam zu beschwören.68

6.3 Der Bürger als „Triumphator“69 : Zur Entstehung eines Deutungsmusters am Beispiel des Opernhausjubiläums Das Opernhausjubiläum von 1905 lässt sich in eine ganze Folge von Veranstaltungen einreihen, die – wie die Elektrotechnische Ausstellung von 1891 und die Jubiläumsfeier von 1896 – daran mitwirkten, das bürgerlich-urbane Selbstverständnis Frankfurts stilbildend in der politischen Festkultur der Stadt zu verankern. In zahlreichen Presseartikeln, die 1905 auf die Stationen der Frankfurter Operngeschichte zurückblickten, wurde die Eröffnung des Opernhauses zu einem stadtgeschichtlichen Markstein stilisiert. Gerade in einer Zeit, in der sich die bürgerliche Oberschicht einem langwierigen und umfassenden Wandlungsprozess ausgesetzt sah, erwies sich das Opernhaus offensichtlich als taugliche Referenz, um Traditionsbestände gelingender sym66 67

68 69

Zur Geschichte der Wiener Hofoper vgl. Walter Vogel/Martina Paul: Wiener Staatsoper. Ein Blick hinter die Kulissen, Berlin 2001, S. 111. Vgl. zur Geschichte der Wiener Ringstraße als Wahrzeichen eines spezifischen urban modernism vor allem Carl E. Schorske: Fin-de-siècle Vienna. Politics and culture, New York 1980, S. 24ff. Mommsen: Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat, S. 69. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

bolischer Vergesellschaftung in Erinnerung zu rufen und für die Zukunft normativ verfügbar zu halten. Am 20. Oktober 1880 hatte Frankfurt im Beisein Wilhelms I. die Eröffnung seines neuen Opernhauses gefeiert. Aus diesem Anlass hatte die Mainstadt ihren „schönsten Schmuck angelegt“, um zu zeigen, „ welch stolzer Bürgergeist dort seit Jahrhunderten sein Heim gefunden“ habe.70 Insbesondere die Bockenheimergasse war „zu einer wahren via triumphalis“ umgestaltet worden, um den „ersten Vertreter des Reiches“ gebührend empfangen zu können.71 Doch nicht so sehr der auch in Frankfurt verehrte Kaiser stand an diesem Tag im Brennpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Vielmehr − so meinte der General-Anzeiger − bot das Fest der Theatereröffnung jedem „wackere[n] Frankfurter“ Gelegenheit, sich „wie ein Triumphator“ zu fühlen − eine Rolle, die gemeinhin für politisch-militärische Ikonen wie Bismarck oder die Vertreter der Hohenzollerndynastie reserviert war.72 Indem die Presse das städtische Bürgertum im Rückblick auf den 20. Oktober 1880 selbstbewusst als ,Triumphator‘ bezeichnete, erklärte sie es zum eigentlichen Träger deutscher Nationalkultur. Darüber hinaus jedoch kleidete sie diesen vermeintlich rein kulturellen Status in eine vernehmbar politische Semantik und stattete ihn mit einem Anspruch auf gesellschaftliche und politische Macht aus. Die Oper bezeichnete innerhalb der Presseberichterstattung dergestalt einen Konvergenzpunkt kultureller und politischer Semantiken.73 Immer wieder fallen hierbei Unterschiede zur politischen Festkultur Wiesbadens auf: Während Wiesbaden Wilhelm II. 1894 einen aufwendigen Empfang bereitete und im Rahmen der Einweihungsfeier bemüht war, die enge Verbindung zu Preußen und der Dynastie der Hohenzollern zu bekunden, nutzte Frankfurt seinen Festtag zur Demonstration eines selbstbewussten bürgerlichen Lebensstiles, indem es sein Opernhaus als „stolzberedte[s] Zeugnis“ wahren Bürgersinns feierte.74 Das Konzept einer genuin bürgerlichen Kunst stand hierbei mit dem politischen Programm eines emanzipatorischen Liberalismus allerdings nur noch partiell in Einklang, denn auch in Frankfurt identifizierten sich Teile des Bürgertums immer mehr mit der obrigkeitlichen Ordnung des wilhelminischen Machtstaates, so dass der „klassische bürgerliche Kulturbegriff “ dadurch mitunter „affirmative Züge“ annahm.75 Dennoch: In merklichem Kontrast zu den Gepflogenheiten der Wiesbadener Festkultur „erledigten“ an jenem 20. Oktober 1880 „Oberbürgermeister Dr. Miquel, Intendant Claar [...] und Dr. Hamburger als Vertreter des Auf-

70 71 72 73 74 75

Ebd. Ebd. Ebd. Applegate/Potter: Germans as the „People of Music”, S. 16. Claar: Fünfzig Jahre Theater, S. 130f. Mommsen: Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat, S. 73.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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sichtsrats (der Theater-Aktiengesellschaft)“ das „Begrüßungszeremoniell“ für den Kaiser sehr schnell, woraufhin sich dieser gemeinsam mit seinem Gefolge in die ihm „bestimmte Loge, die Mittelloge des Balkons“, begab.76 Von hier aus bot sich den Gästen „in dem festlich toilettierten Hause ein Anblick“, „wie er ihnen wohl kaum von einer zweiten Stadt Deutschlands gegeben werden“ konnte, wie der General-Anzeiger im Rückblick betonte.77 Der erste Intendant des neuen Hauses, Emil Claar, vermerkte in seinen Lebenserinnerungen stolz, dass der Kaiser bereits beim Betreten des „strahlenden Treppenhauses“ „lange“ stehen blieb, um die verschwenderische Pracht des Neubaus zu betrachten und diesen schließlich mit dem Ausspruch würdigte: „Das könnte ich mir in Berlin nicht erlauben!“78 Das Frankfurter Großbürgertum, das sich für die Errichtung des Hauses stark gemacht und dessen Finanzierung großzügig unterstützt hatte, sah in diesem Lob vor allem die Bestätigung, nicht nur in seinem neu errichteten Opernhaus, sondern vor allem in dem noch vergleichsweise jungen ,Staatenhaus‘ des deutschen Nationalstaates eine Heimstätte gefunden zu haben. Die anerkennende Bemerkung Wilhelms wertete man als Bestätigung des errungenen politischen und gesellschaftlichen Erfolgs, der sogar die repräsentativen und finanziellen Möglichkeiten des deutschen Kaisers in den Schatten zu stellen schien und den Sieg des Bürgertums signalisierte. Das Opernhaus symbolisierte somit städtisch-bürgerschaftliche Machtfülle und bot die Möglichkeit, die eigene bürgerliche Identität gegenüber den Dynastien, dem Militär oder der Aristokratie zu betonen.79 Von Anfang an wurde der Frankfurter Oper zudem eine über den lokalen oder regionalen Rahmen hinausgehende Bedeutung zugewiesen; denn im Kontext der glanzvollen Festvorstellung des 20. Oktober 1880 erhob die Stadt den Anspruch, ihr neues Opernhaus als Symbol des deutschen Nationalstaates zu etablieren. Ein der Inszenierung des Don Juan vorausgehendes „poetische[s] Festspiel Wilhelm Jordans“ feierte dabei „Glauben, Vaterlandsliebe und Kunst“80 und präsentierte dem versammelten Festpublikum eine auf dem „Brünhildenstein des benachbarten Feldbergs“ angesiedelte Szene, in der als handelnde Personen „Germania und die Muse“ auftraten.81 Auf die Frage der Muse, warum Germania gerade sie „aus Walhall zur ,Niederfahrt ins deutsche Land‘“ berufen habe, ließ Jordans Germania „aus dem Wolkenhintergrunde drei Zeichen hervortreten: Ein stolzes, ein heiliges und ein heiteres − das Denkmal am Niederwald mit der wachthaltenden Germania, den Kölner Dom und das nun vollendete Frankfurter Opernhaus“.82 76 77 78 79 80 81 82

Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd. Claar: Fünfzig Jahre Theater, S. 131. Vgl. hierzu auch Mommsen: Kultur als Instrument der Legitimation bürgerlicher Hegemonie im Nationalstaat, S. 67. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Anschaulich artikulierte sich hier das großstädtische Selbstbewusstsein der Mainstadt, stellte das Festspiel das neue Opernhaus doch mit so ikonischen Nationaldenkmälern wie dem zu diesem Zeitpunkt noch im Bau befindlichen Niederwalddenkmal und dem gleichfalls 1880 fertig gestellten Kölner Dom auf eine Stufe. Die im Festspiel aufgerufenen Motive nationalstaatlicher Einheit und nationalkultureller Größe lösten das Fest damit aus seinem nur regionalen Kontext heraus. In Jordans Festspiel lassen sich eine Reihe von Facetten auffinden, die in der zeitgenössischen Wahrnehmung konstitutive Bestandteile nationaler Identität bezeichneten: Während das Niederwalddenkmal vornehmlich die militärische Stärke des preußisch-deutschen Staates kundtat, manifestierte sich im Kölner Dom neben einem konservativen Staats- und Gesellschaftskonzept vor allem ein dem kulturellen Erbe der Romantik verpflichtetes historisierendes Nationalbewusstsein.83 Eine weitere Komponente wurde durch das Frankfurter Opernhaus hinzugefügt, das die Bindekraft von Kunst und Kultur als Identität stiftenden nationalen Symbolen bekräftigte und im Verlauf des Festzeremoniells performativ ausformte. Auf diesem Weg definierte das Festspiel nicht nur spezifische Welt- und Selbstbilder, sondern übersetzte diese gleichzeitig in konkrete Gesten und Handlungen.84 Indem es unmittelbar in den „Nationalgesang des ,Heil Dir im Siegerkranz‘“ überging, stellte es eine „erste Huldigung“ an den „kaiserlichen Herrn“ dar, die von Orchester und Publikum „begeistert“ intoniert wurde.85 Unterstrichen wurde der appellative Charakter des Werkes durch seinen „prophetische[n] Ausklang“, der „an Frankfurts Bürgerschaft“ gerichtet war und diese dazu aufrief, sich ihres „altererbten Ruhmes“ würdig zu erweisen und sich auch zukünftig als „ein Musterbild der Kraft des Bürgertumes“ hervorzutun.86 Jordans Festspiel thematisierte also eine Engführung von National-, Macht- und Kulturstaat und war somit Bestandteil eines geschichtspolitisch relevanten Deutungsmusters, das kollektive Erfahrung interpretierte und in bestimmte paradigmatische Verhaltensweisen umzusetzen verstand.87 Konzeptionell ähnliche Befunde lassen sich auch für das 25-jährige Jubiläum des Opernhauses feststellen, obgleich das im Oktober 1905 stattfindende Jubiläumsfest inhaltlich stellenweise deutlich andere Akzente setzte. Vor allem die offenkundige Begeisterung für die Dynastie der Hohenzollern, die bereits bei den Festlichkeiten des Jahres 1896 gerade von Seiten des Frank83

84 85 86 87

Vgl. hierzu vor allem Leo Haupts: Die Kölner Dombaufeste 1842–1880 zwischen kirchlicher, bürgerlich-nationaler und dynastisch-höfischer Selbstdarstellung, in: Dieter Düding/Peter Friedemann/Paul Münch (Hrsg.): Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Reinbek 1988, S. 191–211, hier S. 191. Vgl. hierzu allgemein Bollenbeck: Bildung und Kultur, S. 167. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd. Vgl. hierzu konzeptionell Bollenbeck: Bildung und Kultur, S. 19.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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furter Linksliberalismus äußerst kritisch gesehen worden war, fehlte 1905 fast vollkommen. Die Verehrung, die man Wilhelm I. bei seinem Besuch im Frankfurter Opernhaus entgegengebracht hatte, suchte man 25 Jahre später vergebens, und weder der preußische Staat noch Wilhelm II. wurden in den Darstellungen der Presse besonders hervorgehoben, zumal der Kaiser auch nicht nach Frankfurt gereist war, um am Jubiläumsfest des Opernhauses teilzunehmen. Dennoch hatte die Mainstadt im Oktober 1905 alle „Attribute äußeren Schmucks und Glanzes“ aufgeboten, „um der zur Jubiläums-Feier des Hauses gegebenen Fest-Vorstellung“ einen „über das Uebliche hinausgehenden glänzenden Rahmen zu sichern“.88 „Fahnenschmuck“ und „große Beleuchtung“ zierten das Haus.89 Eine „festlich gekleidete frohbewegte Zuhörerschar“ hatte das Theater „bis auf das letzte Plätzchen“ ausgefüllt und so „den besonderen Charakter der Veranstaltung“ unterstrichen.90 Um die „Jubiläumsfeier“ des „prächtigen, in vollem Lichterglanz erstrahlenden Hauses“ angemessen zu begehen, leitete ein „szenischer Prolog, gedichtet von Rudolf Presber, [...] würdig und weihevoll den Abend ein“.91 Inhaltlich suchte das Festspiel dabei vor allem den Bezug zur nachfolgenden Festaufführung von Wagners Meistersingern.92 Protagonisten des Jubiläumsfestspiels waren nun nicht mehr Germania und Muse, sondern ein in mittelalterlicher Tracht auftretender fahrender Ritter, den Presber zu einem „Sanggenoss[en]“ Walther von Stolzings erklärt hatte, sowie zwei Bürger, ein Handwerker und ein Kaufmann.93 Vor den Toren Frankfurts trifft der zum „Wettgesang“ der „Meistersinger“ in die Mainstadt eilende Ritter zufällig auf die beiden Bürger und überredet diese, gemeinsam mit ihm die Jubiläumsfeier des städtischen Opernhauses zu besuchen.94 Dabei zeigte die Szene dem Publikum zunächst „das herbstliche Bild der Main-Landschaft“.95 Im Hintergrund war die Silhouette Frankfurts zu sehen, das anfangs allerdings noch „von Herbstnebeln den Blicken verdeckt“ war und sich den Zuschauern erst allmählich enthüllte.96 Der Prolog führte die beiden Bürger als Karikaturen eines kleinbürgerlichen ,Philistertums‘ vor, indem er sie als „schlichte“ und „für Feste taub[e] Bürger“ beschrieb.97 Beide 88 89 90 91 92

93 94 95 96 97

Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1905, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 22. Oktober 1905. Siehe den von Rudolf Presber gedichteten „Festprolog“ in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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ereifern sich darüber, dass die „Stadt [...] wieder voll von Fest und Lärmen“ sei.98 Ihrem Urteil zufolge feierten die Bürger Frankfurts stets „zu viel“, sie selbst aber könnten dem „brotlos Spiel auf grell bekränzten Leyern“ wenig abgewinnen: „Zu schuften sind wir da, nicht zu geniessen / Und Zeit ist Geld, sag’ ich.“99 Im Gegenzug macht der Ritter beide darauf aufmerksam, dass diese „Feste just Euch selber feiern“, ja „dass es [...] der Schoss des Volkes war“, der „sich der Freuden himmlischste geboren“.100 Mit dieser Äußerung feierte der Prolog den Bereich der National- und Festkultur als ureigenste Domäne des Bürgertums und bereitete so die nachfolgende Inszenierung der Meistersinger vor, wo die Kunst gleichfalls als Spezifikum bürgerlicher Lebensführung gefeiert wird. Im weiteren Handlungsverlauf des Festspiels zeigen sich noch offenkundigere Parallelen zu Wagners Oper: Mit einem Lobgesang auf die Kunst als der „Menschheit Frühling“ und „Sehnsucht“ versucht Presbers Ritter, die beiden immer noch ungläubig-widerstrebenden Bürger zu überreden, ihn in die Stadt zu begleiten.101 Während er eindringlich die „Weihe [...] der Stunde“ beschwört, verwandelt sich die Szenerie, und die „herbstlich kahlen Aeste der Bäume“ bedecken sich allmählich „mit zarten Blüten“, ehe sich die „in helle[s] Sonnenlichte“ getauchte Bühne dem Publikum schließlich als „lachende Frühlingslandschaft“ präsentiert.102 Im Bühnenhintergrund senkt sich während dessen eine „reiche Blütenwand über das Stadtbild“, so dass die gesamte Szene „ganz in Blüten abgeschlossen ist“.103 Dem Zauber dieses Anblicks – so sah es das Festspiel vor – können sich auch Handwerker und Kaufmann „nicht versagen“, und freimütig bekennen beide, dass es dem Ritter gelungen sei, ihren „trotz’gen Bürgersinn“ zu wandeln.104 „[G]ütig abwehrend“ ermahnt dieser die beiden zu Ende des Prologs, am Fest der Kunst teilzunehmen und die „Meister“ zu ehren und sich „ihrer Gunst“ würdig zu erweisen: „Der Gärtner denkt“, so fordert er die beiden Bürger − und damit auch das im Opernhaus versammelte Frankfurter Festpublikum − auf, „die sich in Treue mühen / Im schönen Garten heil’ger deutscher Kunst. / Nicht jeder sammelt wie die Bie-

98 99 100 101

102 103 104

Ebd. Ebd. Ebd. „Glaub’, guter Freund, was Dir das Leben schönt, / Giebt allem Menschenwert erst die Vollendung. / Und was kein Wort mit schwacher Deutung nennt, / In Blumen schlummert’s, in der Vogelkehle. / Und rauscht aus diesem gold’nen Instrument / Der Menschheit zu: als Gruss der Weltenseele“. Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Ebd. Ebd.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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nen, / Nicht jeder kämpft mit Schild und Schwert. / Die dort im Tempel redlich dienen, / Bei Gott, sind ihres Lohnes wert“.105 Unschwer konnte das Festpublikum in dieser Passage eine Paraphrase des Meistersinger-Finales erkennen, in dem Hans Sachs die auf der Festwiese versammelte Nürnberger Bürgerschaft ebenfalls dazu auffordert, ihre „deutschen Meister“ zu ehren und ihrem „Wirken“ die gebotene „Gunst“ zu erweisen, seien sie es doch, denen die Festwiesen-Gesellschaft ihr „höchstes Glück“ zu danken habe.106 Wagner porträtierte seine Meistersinger nicht nur als Förderer der Kunst, sondern ließ sie vielmehr als Bewahrer der sozialen Ordnung des Gemeinwesens auftreten, da der Bereich der Kunst im Verlauf der Oper als zentraler, ja einzig relevanter Modus kollektiver Vergesellschaftung vorgestellt wird. Sowohl der Frankfurter Festprolog als auch Wagners Meistersinger reklamierten einen exponierten Sonderstatus für den Bereich des Ästhetischen, indem sie die Kunst zum Fundament des gemeinschaftlichen Lebens erklärten. Eindrücklich lässt sich dies auch im Abschlussmonolog des Ritters beobachten: Noch einmal wandelte sich am Ende die Szenerie, im Zentrum befand sich nun der „Tempelbau des Opernhauses“.107 „[H]och und frei“ präsentierte sich dieses den Zuschauern, und während der Ritter und die beiden Bürger auf einer „marmorne[n] Tempeltreppe“ zu dem Prachtbau hinaufstiegen, senkte sich langsam der Vorhang und die Musik „des MeistersingerVorspiels“ setzte ein.108 Was 1896 noch weitgehend impliziter Subtext des Pressediskurses gewesen war, fand 1905 seine plastisch-expressive Vergegenwärtigung: Frankfurt nutzte das Jubiläumsfest des Opernhauses, um sich als komplementäres Ebenbild von Wagners Opern-Nürnberg zu profilieren und präsentierte sich selbst als idealen Hort deutscher Nationalkultur. Indem man das städtische Opernhaus selbst buchstäblich in den Fokus des gemeinsamen künstlerischen Erlebens rückte, initiierte man einen selbstreflexiven Prozess, der soziale Praxis, politische Stellungnahme und ästhetische Selbstauslegung miteinander kurzschloss. Mit Hilfe der Meistersinger, jenem prototypischen Werk der „theatralischen Zelebrierung“, konnten so spezifische Aspekte städtischer Eigengeschichte thematisiert und in relevante geschichts- und erinnerungspolitische Ordnungsentwürfe eingebettet werden.109 Während der Wiesbadener Oberon die Person des deutschen Kaisers als glorreichen 105 106

107

108 109

Ebd. „Daß unsre Meister sie [= die Kunst, S.K.] gepflegt, gar recht nach ihrer Art, / nach ihrem Sinne treu gehegt, / das hat sie echt bewahrt“. Vgl. Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Dritter Aufzug. Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Hans Mayer: Parnaß und Paradies. Anmerkungen zu den Meistersingern von Nürnberg, in: ders.: Richard Wagner, hrsg. v. Wolfgang Hofer, Frankfurt a.M. 1998, S. 144–164, hier S. 144.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Nachfolger und als Abbild Karls des Großen bejubelte110 , holte Frankfurt in Presbers Festprolog kurzerhand sein Opernhaus auf die Bühne und machte sich selbst zum zentralen Protagonisten des Festtages. Sowohl das Wiesbadener Hoftheater als auch das städtisch-bürgerliche Frankfurter Opernhaus wiesen Festspiel und Oper den Status modellhafter Symbolisierungsinstanzen zu, mit denen relevante Selbst- und Weltbilder entworfen und kommuniziert werden konnten. Im Folgenden sollen deshalb eine Reihe individueller Facetten genauer betrachtet werden, die die exemplarische Prägekraft der Meistersinger und ihre Bedeutung für die symbolisch-ästhetische Zurichtung der Frankfurter Festkultur offenlegen wollen.

6.4 ,Volksfest‘ und ,Familienfest‘: Formen und Dimensionen des Opernhausjubiläums im Spiegel von Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg In ihren Darstellungen der Jubiläums-Festvorstellung hob die zeitgenössische Presseberichterstattung zwei Aspekte besonders hervor: In Analogie zu Wagners Vision der Nürnberger Festwiese deutete man die Oper zunächst als betont völkstümlich-basisdemokratische Institution, in der sich Reich und Arm, Jung und Alt immer wieder in harmonischem Miteinander begegnen und in der parteipolitische, schichtenspezifische oder religiöse Gegensätze problemlos überwunden werden konnten. Dergestalt erklärte man die Oper zum exemplarischen Ideal eines auf Ausgleich, Egalität und Konsens basierenden Gesellschaftsmodells, das der Frankfurter Bürgerschaft gerade in der Umbruch- und Übergangsphase zwischen 1890 und 1910 eine identifikatorische Folie liefern sollte. Frankfurt, davon war ein Großteil der lokalen Presse überzeugt, zeichnete sich seit jeher durch einen besonderen Bürgersinn aus, der es der städtischen Öffentlichkeit zweitens erlaubte, ihr Opernjubiläum im Stil eines beinahe intim-vertrauten Familienfestes zu feiern, da sich hier der Kreis derjenigen Familien regelmäßig zusammenfand, der die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Geschicke der Stadt zu weiten Teilen bestimmte. Gerade in einer Zeit, in der die Homogenität des Stadtbürgertums und seiner Eliten keineswegs mehr fraglos gewährleistet war, konnte die im Finale der Oper dargebotene Projektion eines gelingenden Gemeinschaftsideals als beschwörender Appell gedeutet werden: In den Meistersingern erblickte die Presse ein nachahmenswertes Modell sozialer Einheit und Harmonie, dessen Beispielhaftigkeit dem Publikum gerade in einer Phase umfassender gesellschaftlicher 110

Vgl. Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele).

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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Veränderung plastisch vor Augen geführt werden sollte. Ihre eindringliche Wirkmacht bezog diese Mahnung vornehmlich aus dem Vergleich mit der bürgerlich-freistädtischen Vergangenheit Frankfurts. Im Rückgriff auf ein vermeintlich ,goldenes Zeitalter‘ städtischer Harmonie und nationalkultureller Größe entwarf das „Erinnerungsfest“ deshalb zugleich ein prospektiv wirksames Angebot kommunaler Ordnung.111 Diese Deutungsweisen bezeichneten programmatische Selbstentwürfe, die vorhandene Brüche und Konfliktlagen aufzeigten und zugleich dazu beitragen sollten, im Medium des Ästhetischen Lösungsangebote zu formulieren. Die Festaufführung der Meistersinger erhob man hierbei zu einem sinnstiftenden Tableau, mit dem die integrative Wirkmacht symbolischer Deutungsmuster lebendig gehalten werden konnte.112 6.4.1 Der „schöne, demokratische Zug“113 der Frankfurter Oper: Das Opernhausjubiläum als Volksfest Im Kontrast zur Wiesbadener Festkultur, die gerne ihren mondän-exklusiven Charakter unterstrich und sich bevorzugt zum Mekka einer internationalen adelig-großbürgerlichen Elite aufschwang, präsentierte sich Frankfurt am Tag seines 25-jährigen Opernhausjubiläums stolz als betont bürgerliche Metropole. Stets spreche − so erläuterte der General-Anzeiger in seiner Festausgabe zum Opernjubiläum − der „Bürgersmann“ mit „ehrfürchtige[m] Unterton“ von „Frankfurts ,feinster‘ Kunststätte“.114 Doch obgleich der Besuch der Oper hier immer „etwas Distingirtes“ und „Vornehmes“ habe, sei ihm „nichts Exklusives“ eigen.115 Im Gegenteil hielt die Presse fest, dass das Opernhaus seit seiner Eröffnung im Jahr 1880 „sehr rasch“ „in allen Schichten der Bevölkerung“ „populär“ geworden sei.116 Dazu habe wesentlich „jener schöne demokratische Zug des Institutes“ beigetragen, der es allen sozialen Gruppen der Bevölkerung möglich mache, sich „zwanglos und in bestem Einvernehmen“ im Opernhaus aufzuhalten.117 Im Gegensatz zum Wiesbadener Hoftheater öffne die Frankfurter Oper ihr Foyer und ihre Wandelgänge „jedem Besucher ohne Ansehen seines Platzes“.118 In der Tat war im ,Lieblingstheater‘ Wilhelms II. nur den Besuchern des Parketts oder des ersten Ranges der direkte Zugang zum Foyer gestattet; die Besucher des zweiten Ranges mussten sich 111 112 113 114 115 116 117 118

Frankfurter General-Anzeiger, 22. Oktober 1905. Vgl. konzeptionell: Bollenbeck: Bildung und Kultur, S. 19. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Siehe den Artikel „Das Opernhaus“ in der Festausgabe zum „Jubiläum des Frankfurter Opernhauses“ des Frankfurter General-Anzeigers vom 20. Oktober 1905. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Ebd. Ebd. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

bereits mit dem Einblick in den Foyersaal begnügen, der ihnen durch spezielle Öffnungen gewährt wurde, während den Besuchern des dritten Ranges selbst „das passive Partizipieren an der Foyergesellschaft“ verwehrt war.119 Die zeremonielle Ordnung des Wiesbadener Theaters spiegelte damit soziale und politische Machtverhältnisse nicht nur wider, sondern trug dazu bei, schichtenspezifische Hierarchien zu zementieren und die Vorherrschaft der adeliggroßbürgerlichen und militärischen Eliten sicherzustellen. Anders dagegen die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Frankfurter Oper: Hier konnte der „Mann von der Gallerie“ das Foyer im Zwischenakt ebenso selbstverständlich besuchen „wie die Herrschaft aus der Fremdenloge“; und in den Annalen der Theatergeschichte ließ sich kein Fall finden, bei dem sich „eine vornehme Dame im Seidenkleid [...] von einem Vorstadtmädchen im chemisch gereinigten Crèmekleidchen etwa den Keuchhusten [...] geholt hätte“.120 Das divergierende Selbstverständnis der beiden Bühnen schlug sich allerdings nicht nur in verschiedenartigen zeremoniellen Reglements nieder, sondern ließ sich zudem ganz konkret an der jeweiligen Preispolitik der beiden Häuser ablesen.121 Der von der Frankfurter Presse nachdrücklich formulierte Anspruch, dem städtischen Opernhaus den Rang einer basisdemokratisch-volkstümlichen Institution zuzusprechen, wurde durch die Wahl der Jubiläums-Festoper zusätzlich unterstrichen. Mit Wagners Meistersingern führte man ein Werk auf, das nicht nur die „festliche Stimmung“ des Jubiläums „auszustrahlen“ 119 120 121

Vgl. Schabe: Das Foyer des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden, S. 166. Vgl. den Artikel „Das Opernhaus“ in der Festausgabe zum „Jubiläum des Frankfurter Opernhauses“ des Frankfurter General-Anzeigers vom 20. Oktober 1905. In Frankfurt waren die begehrten Logen- und Parkettplätze je nach Preiskategorie bereits zu Preisen zwischen zwei Mark und acht Mark zu haben: Für eine Seitenloge im ersten Rang mussten so etwa selbst bei erhöhten Preisen − die bei Festvorstellungen üblicherweise erhoben wurden − nur 3,50 Mark bezahlt werden, während in Wiesbaden bei erhöhten Preise für die gleiche Platzkategorie 10,50 Mark zu zahlen waren. Parterreplätze kosteten in Frankfurt normalerweise zwischen einer Mark und drei Mark, doch selbst bei erhöhten Preisen mussten hier maximal drei Mark gezahlt werden. Demgegenüber kostete im Wiesbadener Hoftheater ein Parkettplatz bei erhöhten Preisen immer noch 4,50 Mark. Bei erhöhten Preisen mussten in Wiesbaden für Ranggallerieplätze zwischen 2,50 und 4,50 Mark entrichtet werden, während dieselben Platzkategorien in Frankfurt − ebenfalls bei erhöhten Preisen − bereits für eine Mark zu haben waren. Noch deutlicher zeigten sich die Differenzen zwischen den beiden Theatern während der Wiesbadener Maifestspiele. Für eine Seitenloge im ersten Rang mussten dann nämlich 20,50 Mark gezahlt werden, ein Parkettplatz kostete 15,50 Mark, und auch ein Platz im Parterre war dann nicht unter 6,50 Mark zu haben. Siehe diese Preisangaben für Wiesbaden in: Intendantur des Königlichen Theaters zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Festspiele 1907, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 63, Blatt 40, sowie in: Intendantur des Königlichen Theater zu Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Festspiele 1908, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 64, Blatt 49. Die Angaben für Frankfurt siehe in: „Vertrag zwischen der Stadt Frankfurt a.M. [...] und der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft“ vom 3. Januar 1901, in: Akten der Stadtverordnetenversammlung zu Frankfurt am Main, Der Theater-Chor-Pensionsfonds, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.647, S. 5.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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vermochte, sondern das − dem Urteil der Presse zufolge − vor allem so sehr „aus dem Geiste des Volkstümlichen heraus geschaffen“ sei, dass es den ,schönen demokratischen Zug‘ der Frankfurter Oper prägnant akzentuiere.122 Vor allem der „jubelnde Abschluß des Volksfestes auf der Festwiese“ mit seinem „lustige[n] Reigen der Lehrbuben“, der karikierte[n] Person des Stadtschreiber[s] Beckmesser“, dem treffend entwickelten „Gegensatz zwischen Ritter- und Bürgertum“ und der „so überaus sympathische[n], volkstümliche[n] Gestalt des Hans Sachs“ sei – davon zeigte sich der GeneralAnzeiger überzeugt – so vollendet konzipiert, dass man „für große Feste und Ereignisse nichts Weihevolleres finden“ könne.123 Wagner hatte mit seiner Oper die prototypische Darstellung einer sich selbst organisierenden und regierenden Bürgergesellschaft geschaffen, die in der gemeinsamen Feier der Kunst den wesentlichen Modus sozialer Vergemeinschaftung erblickte. Genuin staatlich-politische Institutionen wie Rat, Bürgermeister oder Polizei, aber auch juristische oder geistliche Obrigkeitsinstanzen fehlen dagegen in den Meistersingern. Etablierte Ordnungs- und Kontrollmechanismen werden am ehesten durch den Stadtschreiber Beckmesser verkörpert, doch auch dieser tritt nicht als offizieller Repräsentant staatlicher oder politischer Instanzen, sondern als Konkurrent Walthers auf. Auf der Festwiese finden sich die in den Meistern verkörperten professionalisierten Eliten Nürnbergs mit den Handwerkszünften und dem zum Bürger bekehrten Junker Walther von Stolzing zum Wettsingen ein und entscheiden über die Vergabe des Siegespreises. Damit findet zugleich die produktive Weiterentwicklung der gemeinsam gesetzten Regeln sozialen Miteinanders statt. Die lokale Presse übertrug Wagners Entwurf eines demokratisch-harmonischen Gemeinwesens auf die Frankfurter Stadtgesellschaft: Auch dem Frankfurter „Bürgersmann“ gefalle sein Opernhaus „so gut“, weil er hier an einem ästhetisch gestifteten integrativen Gemeinschaftserlebnis teilhaben könne.124 Der Darstellung des General-Anzeigers zufolge erstreckten sich nämlich auch die „Abonnenten des Hauses“ auf „alle Schichten unserer Bevölkerung“, so dass das Frankfurter Opernpublikum in der Wahrnehmung der Presse ebenfalls einen engmaschigen bürgerschaftlichsolidarischen Kommunikationszusammenhang formierte und auf diese Weise schichten- und klassenspezifische Schranken überwinden konnte.125 Dass Wagners Oper auch interne Konflikte – wie zum Beispiel in der Prügelszene im Zweiten Aufzug – und Prozesse radikaler gesellschaftlicher Exklusion thematisierte, die bestehende Friktionen der Nürnberger Festgemeinde offen legten, sparten sowohl der Festprolog Rudolf Presbers als auch die Frankfur122 123 124 125

Frankfurter General-Anzeiger, 22. Oktober 1905. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Ebd.

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ter Presse in ihren Interpretationen des Werkes weitgehend aus. Im Festspiel wie in den Presserezensionen der Frankfurter Festvorstellung blieb so beispielsweise unerwähnt, dass der Stadtschreiber Beckmesser beim Wettsingen auf der Festwiese des Betrugs überführt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird, und dass somit Dissens, Regelverletzungen und Sanktionen durchaus Bestandteil der Meistersinger-Gesellschaft sind und deren Intaktheit gefährden. Festspiel und Presse betonten demgegenüber die harmonisch-egalitären Dimensionen der ästhetischen Praxis der Meistersinger, um die Vorbildfunktion des Opernfinales nicht zu beschädigen und das Idealbild kommunaler Integrität unangetastet zu lassen. Das Festspiel Presbers hob vornehmlich die verbindende Kraft des kollektiven Kunsterlebnisses hervor: Die Kunst – so hieß es hier, stärke „die Jugend“, labe „die Greise“ und führe die „Menschheit“ damit in jenen „Frühling“ zurück, in dem sich „alle[n] Herzen [...] erschliessen“ könne, „was gross und ewig“ sei.126 Das gemeinsame Kunsterlebnis sollte − die paradiesische Frühlings-Metapher deutet dies an − dazu beitragen, „gold’ne Brücken / In aller Schöpfung Werkstatt“ zu schlagen – eine Geste, mit der der Festprolog nicht nur den schichtenübergreifend-integrativen Charakter des Frankfurter Volksfestes betonte, sondern auch auf den prozesshaften Charakter gesellschaftlicher Selbstherstellung verwies, der durch die kollektiv geteilte ästhetische Erfahrung gestiftet wurde.127 Erst wenn das im Opernhaus versammelte Publikum gelernt habe, „zu empfangen, wie zu geben“ − so hieß es im Festprolog −, könne „die deutsche Kunst“ ihre „reichste Frucht“ tragen128 − und damit ganz im Sinne des Hans Sachs festlegen, „was deutsch und echt“ sein solle.129 In Anlehnung an Wagners ästhetisch vermittelte „Vision der Einlösung einer gesellschaftspolitischen Utopie“130 ließ sich auch innerhalb des kunstsinnigen Frankfurter Bürgertums – so die Überzeugung der Presse – eine Engführung von harmonischer sozialer Schichtung und ästhetischer Vergemeinschaftung beobachten: Wie das auf der Festwiese versammelte Nürnberger Volk zeichnete sich − gemäß den Worten des General-Anzeigers − auch der „Bürgersmann“ der Mainstadt durch eine umfangreiche „Sachkenntnis“ und ein „vortreffliche[s] Gedächtnis“ in allen Belangen der Kunst und der Oper aus, so dass das gemeinsame ästhetische Erleben die emotionale Identifikation der Bürger mit ihrem Gemeinwesen gewährleiste und festige.131 Man brauche, so das Blatt, das Publikum „nur anzusehen, wenn die Oper aus ist“ und es dabei zu beobachten, wie es „unter den pelzverbrämten Umhängen und Theatermänteln“ 126

127 128 129 130 131

Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Ebd. Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Vers 2843. Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 273. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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mit „glühen[den]“ Wangen und „blitzen[den]“ Augen „aus dem mächtigen Portal“ heraustrete, um zu ermessen, eine welch „liebe und vertraute Stätte“ das Opernhaus jedem Frankfurter geworden sei.132 Entsprechend notierte die Presse daher auch die „Begeisterung des Publikums“ nach der Festaufführung der Meistersinger, denn nur zu gerne habe das Frankfurter Publikum „das gesamte Personal mit stürmischen Beweisen seiner Anerkennung“ geehrt.133 Die in profunder Sachkenntnis und einem „sicheren Instinkt“ für alles „Feine“ begründete enge Verbundenheit mit dem Opernhaus trug auf diesem Weg dazu bei, die soziale Einheit und Harmonie des städtischen Gemeinwesens zu gewährleisten; denn „der Frankfurter“ – so die Meinung des GeneralAnzeigers – zeichne sich vor allem durch einen „regen Sinn für alle Vorgänge des öffentlichen Lebens“ aus und pflege „stets gerne überall dabei zu sein, wo es gilt, einem neuen Abschnitt seiner lokalen Geschichte die Weihe zu geben“.134 6.4.2 Der „Väter schlichte Kunst“135 : Das Opernhausjubiläum als Familienfest Dieser diskursive Selbstentwurf bildete die Gewähr dafür, dass die Stadt den Gedenktag als ein beinahe intim-vertrautes „Familienfest“ feierte.136 Das Publikum, so stellte die städtische Presse mit Genugtuung fest, sei „durch langjährigen Besuch des Theaters“ so sehr mit dem Haus verbunden, „mit seinen Mitgliedern“ so sehr „verwachsen“ und mit „seinen Schicksalen“ so fest „verkettet“, dass „ein jeder [...] seine Lieblinge“ habe.137 „Unzählig“ seien daher auch „die Anekdoten über Opernhaus und Opernkünstler“, die „längst Gemeingut aller Frankfurter geworden“ seien.138 Jeder kenne − so meinte der General-Anzeiger − die „schönen Geschichten vom Bauersmann im Opernhaus, von dem Pferd auf dem Giebel, von dem notdürftig gekleideten Engelchen an den Fassaden, von der vergessenen Anfahrt“ oder „von dem Sachsenhäuser im Opernhaus“.139 Die Frankfurter Presse stilisierte die Oper damit zum Generator eines kulturellen Gedächtnisses, das einen die Stadtbevölkerung einenden Erinnerungs- und Traditionszusammenhang stiftete. Mit der Schaffung generationen- und schichtenübergreifender Kontinuität 132 133 134 135

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Ebd. Frankfurter Zeitung, 21. Oktober 1905, Zweites Morgenblatt. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Frankfurter General-Anzeiger, 22. Oktober 1905. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Ebd.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

trug sie dazu bei, städtische Identität zu erzeugen und weiterzugeben; denn auch die „Söhne“ Frankfurts wurden durch „der Väter schlichte Kunst“ − und damit durch die Autorität der Tradition − an die Grundlagen ihres sozialen Miteinanders erinnert.140 Die Bindekraft dieses Erbes zeigte sich am eindrücklichsten in der konkreten sozialen Praxis des gemeinsamen Opernbesuchs: So sei der „erste Weihnachtswunsch, den die erwachsene Tochter den Eltern präsentiert“, ein „Abonnement in der Oper“, jener „Stätte der wundersamen Weihnachtsmärchen“, die den „bildsamen jungen Herzen“ auf diese Weise „lieb und teuer“ werden konnte.141 Während die „jungen Seelen“ hier zum ersten Mal „die Macht der Musik“ erlebten, falle zugleich die „Geburtsstunde gar mancher herzlichen Liebe [...] mit der Reise ins blaue Wunderland“ zusammen.142 Doch „auch die Alten, die ganz Alten“ fänden „im Opernhause noch einen Zufluchtsort für sich und die Kunst, die sie lieben“, und so könne man hier stets auch „die alten Damen mit den grauen Löckchen und dem schwarzen Spitzenhäubchen“ antreffen, denen „der ,Freischütz‘ oder die ,Zauberflöte‘ [...] die längstverklungenen alten Tage“ zurückzauberten, in denen „sie einst bei Menuett und Gavotte so glücklich waren“.143 Nicht nur standes- oder schichtenspezifische Unterschiede sollten im gemeinsamen Besuch des Opernhauses eingeebnet werden; die Frankfurter Presse charakterisierte das Opernhaus zugleich als denjenigen Ort, an dem sich ein gelingender generationenübergreifender Dialog beobachten ließ, durch den die vorab eingeforderte permanente Selbsterneuerung der Gesellschaft, ihres sozialen Wertekanons und ihrer ästhetischen Maßstäbe sichergestellt wurde. „[R]uhige, weihevolle Stunden, in denen Mozart mit unvergänglichen Rokokomelodien zu alten Herzen spricht“, fand man nach Maßgabe der Presse im städtischen Opernhaus ebenso wie die Werke eines musikalischen „Sturm und Drang“, und „wenn die Alten“ hier in erster Linie „Erinnerungen“ suchten, so offenbarte sich den „Jungen“ oftmals gar „das Bessere: das Erleben“.144 Um bestehende schichten- und generationenbedingte Konfliktlagen zu verschleiern beziehungsweise abzumildern, war die Frankfurter Presse am Tag des Opernhausjubiläums bestrebt, das Theater als einen nach wie vor spannungs- und wettbewerbsfreien Raum gelingender sozialer Interaktion vorzustellen. Indem das Opernhaus damit ostentativ in einen allen offen stehenden Zufluchts- und Erlebnisort transformiert wurde, traten zugleich

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Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Ebd. Ebd. Ebd.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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aber auch gesellschaftliche Bruchstellen hervor, durch die das immer wieder beschworene Selbstbild einer harmonisch integrierten Bürgergesellschaft in Frage gestellt wurde.

6.5 Fazit: Das Opernhausjubiläum als „Erinnerungsfest“145 Vor diesem Hintergrund war die Frankfurter Presse bemüht, das Opernjubiläum als „Erinnerungsfest“ zu feiern, das die herausragenden Stationen der städtischen Kultur- und Theatergeschichte lebendig machen und die Bedeutung des Hauses vergegenwärtigen sollte.146 Immer wieder rief man der Leserschaft daher die Begeisterung ins Gedächtnis, die am 20. Oktober 1880, dem Tag der Opernhauseröffnung, in der gesamten Frankfurter Bevölkerung auszumachen gewesen war: Damals hatte man vermeintlich „70.000 Billettsuchende“ abweisen müssen, da das Opernhaus nur rund 2000 Besucher fassen konnte.147 Mit dem Verweis auf den enormen Besucherandrang versuchte die Presse, die Einweihung der Bühne zu einem Markstein der Stadtgeschichte zu erheben. Frankfurt, so bilanzierte der General-Anzeiger, habe sich mit der Eröffnung seines prunkvollen Opernhauses endgültig den „Platz als Emporium des deutschen Südens“ sichern und seinem „stolze[n] Bürgergeist“ ein „Heim“ schaffen können.148 25 Jahre später schien dieses Selbstbild zwar nicht ungültig zu sein, doch hatte es an Strahlkraft wie an Selbstverständlichkeit eingebüßt. Die Begeisterung, mit der man das neue Opernhaus einst als „die neue, große Sache von Frankfurt angestaunt“ hatte, schien „nach und nach“ nachzulassen.149 So sehr am 20. Oktober 1880 alle „Geister [...] in Feuer und Flamme“ gestanden hätten, so unmissverständlich gerate „der Enthusiasmus eines verehrten Publikums allmählich ins Erkalten“, und von den vielen „stolzen Hoffnungen“, mit denen Frankfurt vormals angetreten sei, um als „Musterbühne“ von sich reden zu machen, habe sich nur ein Teil verwirklichen lassen.150 „Enttäuschungen“, so das verhaltene Resümee des General-Anzeigers, „sind uns nicht erspart“ geblieben.151 Seinem „Jubelkind“ überreiche Frankfurt im Oktober 1905 „den silbernen Lorbeerkranz“ daher zusammen mit dem Wunsch „für eine gute, ei145 146 147 148 149 150 151

Ebd. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905. Siehe den Artikel „Rückblick und Ausblick“ in der Festausgabe des Frankfurter GeneralAnzeigers zum „Jubiläum des Frankfurter Opernhauses“ vom 20. Oktober 1905. Frankfurter General-Anzeiger, 20. Oktober 1905.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

ne bessere Zukunft“.152 In die Sorge um ein nachlassendes Interesse an Kunst und Kultur mischte sich zugleich die Furcht vor einer fortschreitenden sozialen Desintegration, hatte doch der Bereich der gemeinsamen Kunstpflege stets einen bergenden Rahmen dargestellt, der die Frankfurter Bürgerschaft zusammengehalten hatte. Diese Pressedarstellungen unterstreichen, dass sich Frankfurt in den Jahren um 1900 sozial wie auch kulturell in einem Wandlungsprozess befand, der die unbestrittene Strahl- und Bindekraft erprobter Traditionen zunehmend fragwürdig erscheinen ließ. Vielleicht erklärt sich vor diesem Hintergrund auch der bewusste Rückgriff auf Wagners Meistersinger, jenes prototypische Beispiel einer allseits geliebten und bekannten Nationaloper. Zudem waren die für das Frankfurter Opernhaus so erfolgreichen Jahrzehnte zwischen 1880 und 1900 eng mit dem Schaffen des 1883 verstorbenen Komponisten verbunden. Bald nach der Eröffnung des Opernhauses hatten die Werke Wagners hier begonnen, „das Repertoire zu beherrschen“, und mit Stolz hob die Presse hervor, dass „des Meisters schwierigen Musikdramen“ gerade in Frankfurt stets „eine wirklich gute Wiedergabe zuteil“ geworden sei.153 Als ,KomponistenSymbol‘ repräsentierte Richard Wagner damit die vermeintlich ,goldene Ära‘ der Mainstadt, auf deren Restitution das Opernhausjubiläum abzielte, schienen die Meistersinger doch geradezu prädestiniert zu sein, den Bereich des „ästhetische[n] Genießen[s]“ als grundlegendes „Lebensbedürfnis“ eines gebildeten Bürgertums hervorzuheben.154 Mit ihrem idealisierenden Mittelalterbild entwarf die Oper hierbei die Vision einer harmonischen Bürgergemeinschaft und diente so auch der Mainstadt als ein Modell gelingender Vergesellschaftung. Spuren und Restbestände eines solch intakten Gemeinwesens wollten einige Pressevertreter noch im Frankfurt der 1880er Jahre ausmachen, indem sie den Festtag der Einweihung des Opernhauses in einem städtischen Umfeld ansiedelten, das deutliche Züge von Wagners stilisiertem Entwurf des mittelalterlichen Nürnberg aufwies: „Es war am 20. Oktober 1880“, als ein „feuchtkalte[r] Wind durch die altertümlichen Straßen der ehemalig freien Reichsstadt“ „peitschte“, deren hochgiebelige Häuser an jenem Tag dennoch „ihren schönsten Schmuck angelegt hatten“, um die Einweihung ihres Opernhauses zu feiern.155 Bereits durch die einleitende ,Es-war‘-Formel unterstrich der Bericht den gleichsam legendenhaften beziehungsweise „legendäre[n] Charakter“ jenes Festtages156 , an dem die Stadt ein letztes Mal in ihrem „mittelalterliche[n] Charakter“ „in [...] Erscheinung trat“, ehe die „Geister der Vergangenheit“ vor der „keck zugreifenden Hand“ des Wandels und der gesellschaftlichen Modernisierung 152 153 154 155 156

Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 19. Oktober 1905, Drittes Morgenblatt. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Ebd.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

245

„die Flucht“ ergreifen mussten.157 Anschaulich zeigte sich der mittelalterliche Charakter der ehemaligen Reichsstadt vor allem in der Gegend um das Bockenheimer Tor, wo „der moderne Geschmack“ noch nicht „korrigierend eingegriffen“ hatte und das Straßenbild noch von „spitzgegiebelten Häuserfront[en]“ dominiert wurde.158 Diese Beschreibung des mittelalterlichaltdeutschen Frankfurt erinnert auffallend an Wilhelm Heinrich Wackenroders programmatische Darstellung der Stadt Nürnberg, in der er diese als Heimstätte und Symbol deutscher Kunst und als Ideal einer intakt-geordneten, der Tradition verpflichteten Bürgergemeinschaft in Anspruch nahm159 : „Nürnberg! Du vormals weltberühmte Stadt“, heißt es in Wackenroders und Tiecks Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, „[w]ie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen, mit welch kindlicher Liebe betrachtete ich deine altväterlichen Häuser und Kirchen, denen die feste Spur unserer alten vaterländischen Kunst eingedrückt ist! Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich zurück in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der vaterländischen Kunst warst und ein recht fruchtbarer, überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte.“160

In seinen Meistersingern griff Wagner die Idee einer „mythischen Überhöhung der Vergangenheit Nürnbergs“ auf und wählte Schauplätze wie die Katharinenkirche (1. Aufzug, 1. Szene), die Straßen und Gassen Nürnbergs (2. Aufzug, 1. Szene) oder die Werkstube des Hans Sachs mit Blumenstöcken und Werktisch (3. Aufzug, 1. Szene), um mit diesen Chiffren eine Atmosphäre frommer Innerlichkeit, handwerklichen Fleißes und künstlerischer Schaffenskraft heraufzubeschwören. Zahlreiche Meistersinger-Inszenierungen aus dieser Zeit hielten an dieser Werkkonzeption fest und arbeiteten mit Bühnenbildern, die bewusste Stilisierungen bürgerlicher Behaglichkeit, materiellen Wohlstands und eines lebendigen kulturellen Traditionsbewusstseins verkörpern sollten (Abb. 13). Auch Frankfurt orientierte sich immer wieder an diesen Vorgaben und sah in Wagners Oper ein Modell urbaner Selbstdarstellung. Bereits 1896 waren Teile der Stadtbevölkerung bestrebt gewesen, sich diesem stilisierten Idealbild einer freistädtisch-liberalen Bürgergesellschaft anzunähern und sich als Gegenspieler des wilhelminischen Machtstaates zu behaupten. In diesem Sinn kann die Analyse des Opernjubiläums mit ihrer demonstrativen Anlehnung an das „verbürgerlichte Mittelalter“ der Meistersinger als Fortschreibung eines städtischen Erzählmusters gedeutet werden, mit dessen Hilfe sich Frankfurt einen eigenen Mythos schuf, der eine typisierende und exemplarische Ver157 158 159 160

Ebd. Ebd. Vgl. hierzu allgemein Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 251. Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders [1796/1797], hrsg. v. Martin Bollacher, Stuttgart 2005, S. 48.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Abbildung 13: Johann Kautzky/Carlo Brioschi/Hermann Burghart, Bühnenbild zu Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (Straße vor den Häusern von Pogner und Sachs)

gangenheit entwarf und damit Möglichkeiten zur Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Konfliktlagen bereit stellen sollte.161 Der doppelte Rückbezug auf das idealisierte Nürnberg der Meistersinger und auf das nicht minder stilisierte Frankfurt des Jahres 1880 legt dies nahe: Im Spiel der Doppelungen und Spiegelungen, der semantischen Verschachtelungen und Verstrebungen wurde ein symbolisches Vexierbild erzeugt, das eindringlich auf die normative Prägekraft ästhetisch hervorgebrachter und medial vervielfältigter Ordnungsentwürfe hinweist. Zugleich war dieses Narrativ von nostalgisch-wehmütigen Reminiszenzen durchzogen, so dass die hier getroffenen Beobachtungen ein komplementäres Gegenstück zu Kapitel II.3 darstellen. In der Zusammenschau bringen beide Fallstudien zwei Seiten jenes weit reichenden Wandlungsprozesses zur Darstellung, der den ambivalenten Charakter der Jahrhundertwende hervortreten lässt. Während 1891 Fortschrittsoptimismus und weltzugewandte Wissenschaftsgläubigkeit zentrale Komponenten der politischen Festkultur Frankfurts ausgemacht hatten, traten 1905 Ängste vor sozialer Desintegration und kultureller Unüberschaubarkeit zutage, die sich im melancholischen Rückblick auf eine vermeintlich wohlgeordnete und ruhmreiche Vergangen161

Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905.

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

247

heit äußerten und in der Evokation einstigen Glanzes die Gewähr künftiger Größe suchten. Es ließ sich kaum von der Hand weisen, dass sich der verklärte mittelalterliche Charakter der Mainstadt 1905 unwiederbringlich verflüchtigt hatte, und dass mit ihm auch die soziale Ordnung dieses ,bürgerlichen Paradieses‘ brüchig geworden war. Rudolf Presber brachte diese Facette des Jubiläumsfestes in seinem Festprolog unmissverständlich zum Ausdruck, indem er die Vergangenheit Frankfurts mit der Aura entschwundener Pracht ausstattete: Einleitend begrüßt sein fahrender Ritter Frankfurt als „[m]eines Heimwehs Land“, das er auf all seinen Fahrten stets „auf banger Sehnsucht Flügel“ gesucht habe.162 Wie das Opern-Nürnberg Richard Wagners erschien bei Presber auch die alte Kaiserstadt Frankfurt als nahezu mythischer Ort, an dem „der Main sein schimmernd grünes Band“ durch die „fruchtbekränzte[n] Hügel“ Frankens zog, wo einst „der Fuss des grossen Karl“ gewandelt war und die Mainstadt als der „Ebne Herrin an der Franken Furt“ den heimkehrenden „Sänger aus Herrn Walthers Zeit“ willkommen hieß.163 Von diesem Frankfurt, so legte der Prolog zunächst nahe, schien allerdings nicht mehr geblieben zu sein als „ein Heimwehklang“ und ein „Gruss aus Lebensfrühlingstagen“.164 Das Frankfurt der Meistersinger war nun in „des Herbstes Nebeldunst“ gehüllt und konnte daher auch keine topographisch oder historisch lokalisierbare Stadt mehr bezeichnen.165 Vielmehr verflüchtigte es sich zum Residuum einer mythisch entrückten Vergangenheit und war damit zum Symbol einer heilen und besseren Wirklichkeit geworden.166 Dergestalt schien das Frankfurter Erinnerungsfest zu weiten Teilen durch resignative Komponenten bestimmt zu sein, da der Generation der Erben vermeintlich nur die epigonale Bewahrung einer zunehmend hinfälligen Tradition blieb. Dieser Eindruck verflüchtigt sich jedoch, wenn man den weiteren Verlauf des Festspieles in den Blick nimmt und zur Festvorstellung der Meistersinger in Beziehung setzt. Wagners Oper konnte mit ihrer Beschwörung einer intakten, die eigenen Normen reflektierenden Bürgergemeinschaft als Wegbereiter einer grundsätzlich neuen gesellschaftlichen Ordnung gedeutet werden, die in der Praxis des Meistersangs, das heißt in einer ästhetisch fundierten Form der kollektiven Vergemeinschaftung, ihre performative Einlösung und Umsetzung erfuhr.167 Damit erteilte Wagner politischen Organisationsprinzipien eine klare Absage, da er den Bereich institutionalisierter Staatlichkeit und Politik ausschließlich in Kategorien hierarchischer Stufung, bürokratischer Ordnung und zen162

163 164 165 166 167

Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. hierzu allgemein Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 248. Ebd., S. 260.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

tralistischer Kontrolle fasste und demgegenüber sozialistische und linkshegelianische Konzepte einer unpolitischen Selbstorganisation präferierte.168 In diesem Sinn privilegierten seine Meistersinger eine ausdrücklich „nachpolitische“ beziehungsweise „meta-politische“ Form sozialer und ästhetischer Selbstorganisation.169 In Anlehnung an Wagners Opern-Nürnberg charakterisierte Presbers Festspiel die Stadt Frankfurt gleichfalls als ein Utopia ästhetischer Vergemeinschaftung: Auch hier war es „die deutsche Kunst“, die der „Liebe reichste Frucht“ trug, indem sie die Stadtbürger regelmäßig im „liebgeword’ne[n] Tempelhaus“ zusammenführte und so die reibungslose Kontinuität eines stadtbürgerlichen Lebensstiles verbürgen konnte. Das Frankfurter Opernjubiläum – so lässt sich folgern – begnügte sich nicht damit, die ästhetisch konstruierte Vergangenheit als nicht mehr einholbar zu charakterisieren und sie damit endgültig zum nostalgischen Rückzugsraum zu verklären. Ebenso wenig aber schien man bereit, Wagners Kunstverständnis in all seiner Radikalität zu übernehmen und nach ausschließlich meta- beziehungsweise postpolitischen Formen der sozialen Organisation zu suchen. Während Wagners Meistersinger in der Kunst ein „Gegenglück“ und eine „Gegenwelt“ zur bestehenden gesellschaftspolitischen Wirklichkeit erblickten170 und sich für einen revolutionären Kunstbegriff stark machten, der in letzter Konsequenz die Kunst als Substitut politischer Ordnung inthronisierte, propagierte Presbers Festprolog ein zu solchen Ablösungsvorstellungen konträres Kunstverständnis171 : Kein umwälzendes ,Kunstwerk der Zukunft‘ sollte hier die bürgerliche Gesellschaft an ihr Ende führen und den Bereich des Politischen durch eine absolute Ästhetik ersetzen.172 Hatte Wagners Hans Sachs im Finale der Oper das Ende des Politischen imaginiert und für den Fall, dass einst das „heil’ge röm’sche Reich“ „in Dunst“ zergehen werde, die „heil’ge deutsche Kunst“173 zur Grundlage „eines zum wahren Leben zurückgekehrten ,deutschen Bürgertums‘“ erklärt, favorisierte Presbers Festdialog einen alternativen Ausweg aus einer scheinbar heillosen Gegenwart.174 Während der fahrende Ritter hier das Loblied der Kunst singt und die Szenerie der Frankfurter Bühne sich in eine paradiesische Frühlingslandschaft verwandelt, in deren Zentrum sich der „Tempelbau des Opernhauses“175 befindet, endet der Festprolog Presbers nicht mit einer Geste melancholischer Rückbesinnung auf ein ver168 169 170 171

172 173 174 175

Ebd., S. 260f. Ebd., S. 261. Mayer: Parnaß und Paradies, S. 159ff. Udo Bermbach: Gesamtkunstwerk und Politik. Über utopische Erwartungen an politische Leistungen von Kunst, in: ders.: Opernsplitter. Aufsätze, Essays, Würzburg 2005, S. 47–57, hier S. 53. Ebd., S. 54. Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Dritter Aufzug. Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 277. Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städ-

6. Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses

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lorenes ,goldenes Zeitalter‘ oder in der utopischen Vision einer alle Politik verabschiedenden Zukunft. Vielmehr präsentierte das Festspiel mit dem Opernhaus ein Symbol, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sinnhaft miteinander verknüpfte und sowohl einen bewahrenden Gedächtnisspeicher als auch einen Motor der ästhetisch vermittelten Selbsterneuerung der städtischen Bürgerkultur darstellte. Das Jubiläumsfest konnte so zum Symbol des gelingenden Wandels, zu einer Apotheose des Neubeginns werden. Indem die Festvorstellung die Aufführung der Meistersinger unmittelbar an den Festprolog anschloss und damit beide gewissermaßen ineinander blendete, wurde die für Wagner so zentrale Utopie einer organisch-intakten Bürgergesellschaft in einen genau lokalisier- und datierbaren historischen und gesellschaftspolitischen Kontext zurückgeholt. Das Opernjubiläum ließ Wagners Utopie damit wieder zum Ideal werden, dem ein konkreter historischer Ort zuwiesen wurde: Kunst, so hieß es in Presbers Festspiel, sollte „gold’ne Brücken“ in „aller Schöpfung Werkstatt“ schlagen und damit einen für das politische und gesellschaftliche Leben der Stadt notwendigen Rahmen konstituieren.176 Das Jubiläumsfest erklärte die Oper nicht nur zum reinkarnierten Ebenbild des mittelalterlichen Nürnberg, sondern stellte sie zugleich als Teil und Spiegel einer modern-urbanen Lebenswelt vor, die sie in kommunalpolitische Kontexte und deren bürokratisch-institutionelle Strukturen einband. Vor diesem Hintergrund spielte das Frankfurter Opernjubiläum nicht so sehr Varianten einer Abschaffung des Politischen durch, sondern deutete den Zusammenhang zwischen Utopie, Politik und Kunst in einer merklich anderen Weise: Kunsttheoretische Überlegungen bildeten − im Gegensatz zur Werkidee der Meistersinger − nicht den Kern des Frankfurter Opernhausjubiläums.177 Der Selbstentwurf eines wohl gehegten „Gartens heil’ger deutscher Kunst“ rief dem Festpublikum vielmehr die Fundamente bürgerschaftlicher Identität in Erinnerung und konturierte zugleich Frankfurts Metropolencharakter.178 Damit wurde der meta-politische Aspekt des Festes politisch gewendet beziehungsweise um eine symbolpolitische Facette erweitert und ließ ein produktives Spannungsverhältnis zwischen dem Kunstwerk Oper, der Werkidee ihres Komponisten sowie deren künstlerischer Interpretation und Einbettung in eine konkrete Festpraxis entstehen. Das Frankfurter Opernjubiläum des Jahres 1905 oszillierte zwischen der nostalgischen Beschwörung einer als ganzheitlich-harmonisch imaginierten städtischen Vergangenheit einerseits und einer emphatischen Bestätigung des

176 177 178

tisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Festprolog von Rudolf Presber, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt a.M. Städtisches Theater (...) Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. VI: 1905–1908, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532.

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II. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Kaiserzeit

Gegenwärtigen andererseits. Indem sich die politische Festkultur Frankfurts dabei eng an Wagners Meistersinger anlehnte und die identifikatorischen Potenziale der Oper nutzte, deren radikale Vision vom Ende des Politischen aber verwarf, übernahm sie einen „utopischen Restbestand“ von Wagners ästhetischer Werktheorie, der die Selbstkonstitution urbaner Einheit und Größe gewährleistete.179 Oper und Festspiel stellten damit ein erinnerungs- und geschichtspolitisch relevantes Medienensemble parat, mit dessen Hilfe sinnstiftende Projektionen kommunaler und nationaler Identität entworfen und kommuniziert werden konnten. Nachdrücklich erschüttert wurde die Bindekraft dieser ästhetisch-politischen Vision großstädtischer Bürgerkultur erst durch den Ersten Weltkrieg und die hiermit verbundenen radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre verhalfen andersartigen ästhetischen und politischen Ordnungsmustern zum Durchbruch.180 Als Frankfurt im Oktober 1930 das 50-jährige Jubiläums seiner Oper feierte, hatte sich die fraglose Kontinuität dieser Tradition weitgehend erschöpft und war dem Gefühl einer tief greifenden Sinnkrise gewichen. Im Unterschied zu Wiesbaden aber blieb das Opernhaus selbst in dieser krisenhaften Zeit als Zentrum kommunalpolitischer und ästhetischer Vergemeinschaftung intakt.181

179 180 181

Bermbach: Gesamtkunstwerk und Politik, S. 57. Vgl. hierzu Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Vgl. hierzu Kapitel III.9 (Ein ,halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt‘).

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

1. Frankfurt in den 1920er Jahren: Von der preußischen Provinzstadt zur „zweiten Hauptstadt“1 der Weimarer Republik 1.1 Die frühen Nachkriegsjahre In den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Krieges hatte Frankfurt eine Phase kontinuierlichen Wachstums, wirtschaftlicher Prosperität, politischer Stabilität und kultureller Vielfalt durchlebt und sich als eine der wohlhabendsten Städte Preußens etabliert. Im Zuge der durch den Krieg hervorgerufenen Umwälzungen verblasste dieser kaiserzeitliche Glanz zusehends, und mit ihm verschwand auch das saturierte „Sicherheitsgefühl“ der Stadt.2 Wie in fast allen Großstädten Deutschlands machten sich während des Krieges auch in Frankfurt Hunger, Armut und Krankheit breit. Die vornehmlich auf Handel, Bankgeschäften und Gewerbe basierende städtische Wirtschaft kam – etwa durch die Isolierung von ausländischen Handelspartnern – immer mehr zum Erliegen, und besonders der aufgrund der mangelhaften Versorgungsverhältnisse oftmals so bezeichnete ,Kohlrübenwinter‘ der Jahre 1916/17 blieb vielen Frankfurtern in schlimmer Erinnerung.3 Entsprechend nahmen zeitgenössische Beobachter die Kriegs- und Nachkriegsjahre als einschneidende Zäsur wahr: „Krieg und Staatsumwälzung hatten das Innere der Menschen mächtig aufgewühlt, das Denken revolutioniert und viele aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen. Alle früheren Formen des staatlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens schienen unsicher geworden und der Erneuerung bedürftig zu sein. Probleme über Probleme tauchten vor dem Blick auf und heischten eine Lösung; kaum wußte man, welches man zuerst angreifen, geschweige denn, wie man sie bewältigen sollte. Das gilt nicht nur von den unmittelbar drängenden praktischen Aufgaben [...], sondern auch von den Fragen der höheren Politik, von denen das Schicksal der Gesamtheit unmittelbar abhing.“4

So kennzeichnete ein zeitgenössischer Frankfurter Chronist die tief greifenden Veränderungen, die Deutschland nach dem Ende des Krieges bewältigen musste. Auch Frankfurt stand zu Beginn der 1920er Jahre ganz im „Schatten

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Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Hans Drüner: Im Schatten des Weltkrieges. Zehn Jahre Frankfurter Geschichte von 1914– 1924, Frankfurt a.M. 1934, S. 53. Ebd., S. 419. Ebd., S. 372.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

des Weltkrieges“, dessen Nachwirkungen „die ganze bisherige Entwicklung der Stadt in Frage“ stellten.5 Obgleich Frankfurt zu keinem Zeitpunkt ein Zentrum der Novemberrevolution war, durchlebte die Stadt in den ersten Nachkriegsjahren eine Phase politischer Instabilität: Wie andernorts bildete sich im November 1918 ein unter der Dominanz der Mehrheitssozialisten stehender Arbeiter- und Soldatenrat, der sich zwar nominell als höchste Vertretung der Stadt ansah, der auf die städtische Verwaltung aber keinen entscheidenden Einfluss nahm.6 Als wesentlich schwierigere Aufgabe erwies es sich, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.7 Anfang April 1920 etwa wurde Frankfurt im Zuge des politischen Nachbebens des Kapp-Putsches kurzzeitig von französischen Truppen besetzt, wobei es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, in deren Verlauf auch Todesfälle zu beklagen waren.8 Erst als die französischen Truppen die Stadt Mitte Mai 1920 wieder verließen, kehrte in Frankfurt allmählich wieder Ruhe ein.9 Zu dem nun allmählich einsetzenden Normalisierungsprozess trug die kommunalpolitische Konstellation dieser Jahre entscheidend bei. Es gelang dem in Frankfurt traditionell sehr einflussreichen Linksliberalismus, der sich nun in den Reihen der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) wiederfand, bis 1924 die bestimmende und richtunggebende politische Kraft zu bleiben.10 Gemeinsam mit SPD und Zentrum bildete die DDP eine Koalition, die im Eintreten für den demokratisch-parlamentarischen Verfassungsstaat die entscheidende Basis ihrer gemeinsamen Politik erblickte.11 5 6 7

8 9 10

11

Ebd., S. 53. Siehe hierzu ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 425. Im März 1919 kam es beispielsweise zu schweren Unruhen, als sich Angehörige des so genannten ,Frankfurter Marine-Sicherheitsdienstes‘ und rund 200 befreite Untersuchungsgefangene einen Straßenkampf mit der Polizei lieferten, bei dem rund 20 Menschen getötet wurden. Die Lage beruhigte sich erst, als es dem neu berufenen Polizeipräsidenten, dem Sozialdemokraten Fritz Ehrler, im November 1919 gelang, die Marinetruppe und die Einheiten der Frankfurter Hilfspolizei zu entwaffnen. Siehe dazu ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 425ff. Siehe hierzu ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 433f. Ebd., S. 434. Noch 1924, als die demokratischen Parteien bei den Reichstagswahlen nur noch rund 10 Prozent der Stimmenanteile auf sich vereinigen konnten, behielt die DDP in Frankfurt „bis zum Jahre 1924 mit ihren 23,2 % und 26 Sitzen in der Stadtverordnetenversammlung [...] einen starken politischen Einfluß auf die Geschicke der Stadt“. Vgl. hierzu Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 435. Die Parteien der Weimarer Koalition hatten in den Jahren zwischen 1919 und 1924 immer die Mehrheit im Frankfurter Stadtparlament inne; zwischen 1928 und 1929 verfügten sie hier sogar über die absolute Mehrheit. Vgl. hierzu Barbara Köhler: Die Nationalsozialisten in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung 1929 bis 1933, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, im Auftrag des Frankfurter Vereins für Geschichte und Landeskunde hrsg. v. Wolfgang Klötzer und Dieter Rebentisch, H. 59 (1985), S. 439–483, hier S. 441. Zur Frankfurter Variante der ,Weimarer Koalition‘ siehe ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 434.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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Zudem stellte die DDP hier mit Georg Voigt (1912 beziehungsweise 1918– 1924)12 und Ludwig Landmann (1924–1933) den Ersten Bürgermeister, auch dies ein Hinweis auf den Stellenwert des parteipolitischen Linksliberalismus, der seinen Einfluss auch dann noch geltend machen konnte, als die politische Vorherrschaft der Weimarer Koalition längst gebrochen und sie auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien – etwa in einer Großen Koalition mit der DVP – angewiesen war. Für die Frankfurter Kommunalpolitik stellten insbesondere die frühen 1920er Jahre eine „Zeit der Wirren und des Beginns“ dar.13 Die sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen hinterließen ihre Spuren im Leben der Stadt: Das traditionell äußerst einflussreiche Frankfurter Bürgertum, dessen Wohlstand vornehmlich auf Anleihen, Aktien- und Kapitalbesitz beruhte, verlor im Zuge der Geldentwertung fast sein gesamtes Vermögen. Seine Position als städtischer Machtfaktor war damit empfindlich getroffen.14 Dieser tief greifende Status- und Machtverlust der bürgerlichen Schichten fügte sich in einen umfassenden Wandlungsprozess ein, der die sozialen, politischen und kulturellen Strukturen der Stadt grundlegend verändern sollte und mit den Stichworten Kommunalisierung, Bürokratisierung, Politisierung und Professionalisierung treffend umschrieben werden kann.15 Die Institutionen der städtischen Verwaltung und die parteipolitischen Fraktionen wurden nun zu zentralen Steuerungszentren und eroberten sich erweiterte Handlungsspielräume. Zwar setzten parteipolitische Willensbildung oder die Formierung kommunaler und regionaler Mehrparteiensysteme nicht erst mit der Konstituierung der Weimarer Republik ein, aber bis 1914/18 hatte sich der Honoratiorencharakter der bürgerlichen Parteien weitgehend erhalten. Nach dem Krieg wurde der Typus des Honoratiorenpolitikers, der vornehmlich aufgrund seiner Zugehörigkeit zur städtischen Oberschicht – also auf der Grundlage von Kriterien wie Besitz oder sozialer Herkunft – politische Ämter bekleidete, immer mehr durch ein professionalisiertes kommunales Berufsbeamtentum abgelöst, das sich vornehmlich durch akademische Leistung und inhaltliche Spezialisierung für einen politischen Posten qualifizieren

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Voigt war zwar seit 1912 Bürgermeister von Frankfurt am Main, gehörte aber vor 1918 der DVP an, ehe er 1918 Mitglied der DDP wurde. Vgl. Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. 2, im Auftrag der Frankfurter Historischen Kommission hrsg. v. Wolfgang Klötzer, Frankfurt a.M. 1994, S. 517ff. Diese Bezeichnung wählt Peter Gay für die Kennzeichnung der ersten beiden Phasen der politischen Geschichte Weimars, die er auf den Zeitraum zwischen November 1918 und Dezember 1923 datiert. Vgl. Peter Gay: Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur der Weimarer Zeit 1918–1933, Frankfurt a. M 1987, S. 193ff. Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 441. Siehe hierzu allgemein Achim Bonte: Werbung für Weimar? Öffentlichkeitsarbeit von Großstadtverwaltungen in der Weimarer Republik, Mannheim 1997, S. 23ff. Bezogen auf Frankfurt siehe ausführlich Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 110.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

musste.16 Dieses lokale Berufsbeamtentum konnte seinen Einflussbereich innerhalb der städtischen Bürokratien nun immer mehr ausweiten. Analog veränderte sich in den Weimarer Jahren auch die Rolle und Funktion des Oberbürgermeisteramtes: Hatte sich eine Persönlichkeit wie Franz Adickes noch in erster Linie als Verwalter des Gemeindewillens gesehen, waren Politiker wie Ludwig Landmann (1868–1945) um ein klares parteipolitisches Profil bemüht und legten Wert darauf, als gestaltende Impulsgeber städtischer Verwaltung und Politik aufzutreten.17 Zudem hatte das Aufkommen der Massenmedien das Verhältnis zwischen Politik und einer sich zunehmend in Teilkulturen ausdifferenzierenden Öffentlichkeit bereits seit 1900 maßgeblich verändert. Die oftmals so bezeichnete Medienrevolution dieser Jahre hatte insbesondere einen umfassenden Wandel politischer Kommunikations- und Repräsentationsformen zur Folge.18 Vor allem aufgrund ihrer Wirklichkeit konstituierenden und deutenden Funktion entwickelte sich die Presse nun immer mehr zu einer gewichtigen Machtinstanz, die sich nicht darauf beschränkte, zu informieren oder zu unterhalten, sondern wirkmächtige kollektive Normvorstellungen und Weltbilder ausformte.19 Um politische Konzepte erfolgreich präsentieren und umsetzen zu können, waren Politiker darauf angewiesen, sich der spezifischen Logik massenmedialer Kommunikation anzupassen. Nicht wenige zeitgenössische Beobachter – so eine These von Modris Eksteins in seiner Untersuchung der demokratischen Presse in der Weimarer Zeit – maßen dem politischen Massenmedium Presse gar einen größeren politischen Einfluss zu als den Parteien selbst.20 Neben der kritischen Tages- und Fachpresse etablierten sich allmählich neue publizistische Foren, die den Einfluss einer öffentlichen Meinung anzeigten und auf die Formen der politischen Kommunikation wie der symbolischen Sinnstiftung zurückwirkten: Parteien, Kommunen, aber auch zahlreiche Behörden und Verbände schufen nun beispielsweise eigene Presseabteilungen. Hatte es Ende 1918 nur in rund 35 deutschen Städten eigene Nachrichtenstellen gegeben, so wuchs diese Zahl bis zum Jahr 1926 auf über 80 an.21 Eine Sonderrolle nahmen die Großstädte des Reiches ein, die fast ausnahmslos über eigene Presseämter verfügten und eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit be16 17 18 19 20

21

Siehe dazu Dieter Rebentisch: Ludwig Landmann. Frankfurts Oberbürgermeister der Weimarer Republik, Wiesbaden 1975, S. 10f. Ebd. Vgl. hierzu allgemein Kohlrausch: Der Monarch im Skandal, S. 45ff. Ebd., S. 47. Gerade das Listenwahlrecht nämlich verhinderte in der Regel einen persönlichen Bezug zwischen Wählern und Politikern, so dass beide Lager die Presse als vermittelnde Instanz brauchten, um kritische Meinungsbildung beziehungsweise werbende Selbstexplikation gewährleisten und Mechanismen wechselseitiger Kontrolle entwickeln zu können. Siehe ausführlich Eksteins: The limits of reason, S. 70f. Vgl. diese Angaben bei Bonte: Werbung für Weimar?, S. 10.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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trieben.22 Im Zuge dieser Entwicklungen traten die Städte immer sichtbarer als eigenständige Verwaltungszentren neben den Ländern und dem Reich hervor, ja mitunter entwickelte sich sogar ein dynamischer Dualismus zwischen den Städten und dem Reich. Anhand einiger Beispiele der Frankfurter Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik lässt sich der hier beschriebene Wandlungsprozess konkretisieren. In den Nachkriegsjahren versuchten die kommunalpolitischen Instanzen der Stadt, Frankfurt zu einem einflussreichen wirtschafts-, verwaltungs- und verkehrspolitischen Zentrum Südwestdeutschlands auszubauen. Verstärkt förderte man „Ausstellungen, zugkräftige Veranstaltungen für den Fremdenverkehr“ sowie „internationale Einrichtungen“, um Industrie, Handel und Kapital wieder zu beleben und den Bedeutungsverlust der Stadt als Drehscheibe von Handel und Bankgewerbe abzumildern, der etwa durch die Verlagerung der Börse nach Berlin hervorgerufen worden war.23 An diesem Kurs hielt die Stadt zielstrebig fest, indem sie Anreize zur Ansiedelung von Industrie schuf, eine extensive Eingemeindungspolitik verfolgte, moderne Verkehrsmittel und -wege – etwa den Ausbau des Fernstraßennetzes und die Gründung der Südwestdeutschen Luftverkehrs AG – förderte und sich auf dem Gebiet des kommunalen Wohnungsbaus engagierte.24 Im Bereich der Sozial- und Kulturpolitik lassen sich ähnliche Linien nachzeichnen. Viele der gemeinnützigen Institute und Vereine, die das öffentliche Leben Frankfurts seit seinen Tagen als Freie Reichsstadt geprägt hatten, waren ursprünglich aus privaten Initiativen hervorgegangen. Ein Teil dieser privaten Stiftungen ging in den 1920er Jahren in städtische Verwaltung über, da viele ehemalige Träger infolge der Inflation ihre Gründungen nicht mehr allein finanzieren konnten.25 Spätestens im Frühsommer 1922 waren im Frankfurter Raum die Auswirkungen der rasanten Geldentwertung spürbar, nachdem das Rhein-Main-Gebiet während der Phase einer überhitzten Nachkriegskonjunktur einen vorübergehenden Aufschwung erlebt hatte.26 In Folge der Geldentwertung sank die Kaufkraft, das Warenangebot in den Geschäften wurde zusehends knapper, so dass das städtische Wohlfahrtsamt einer wachsenden Zahl von Bürgern Kohle, Kleider oder Nahrungsmittel zur Verfügung stellen musste.27 Durch den Ruhrkampf 1923 verschärfte sich die Situation weiter. Frankfurt musste in dieser Situation nicht nur Hunderte von Flüchtlingen aus den besetzten Gebieten aufnehmen, auch die städtische Wirtschaft kam immer mehr zum Erliegen. Geschäftsschließungen und Firmenzusammenbrüche waren keine Seltenheit, und auch Kleingewerbe, 22 23 24 25 26 27

Ebd. Frankfurter Nachrichten, 12. Oktober 1924. Siehe hierzu Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 445. Ebd., S. 441. Ebd., S. 438f. Ebd., S. 440.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Handwerk und Einzelhandel waren massiv von der Krise betroffen. Bis zum Ende des Jahres 1923 stieg die Zahl der Erwerbslosen auf 22 670.28 In dieser Situation war die Frankfurter Bevölkerung auf umfassende städtische Initiativen angewiesen, die die Vielzahl der anfallenden Aufgaben professionell koordinieren und übernehmen konnten. Vergleichbare Entwicklungen waren im Falle der wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen Frankfurts zu beobachten. Viele dieser Institutionen, die – wie etwa das Senckenbergmuseum oder die Städelsche Gemäldegalerie – ebenfalls oft „Schöpfungen hochherziger Bürger“ waren, mussten nun um ihren Fortbestand bangen.29 Auch die zwischen 1907 und 1914 erbaute, von Frankfurter Bürgerfamilien initiierte und zu großen Teilen durch Spenden finanzierte Universität war in ihrer Existenz bedroht und konnte nur dadurch gerettet werden, dass die Stadt mit Preußen einen besonderen Finanzierungsvertrag aushandelte.30 Es ließ sich in diesen Jahren gewissermaßen ein ,Stabwechsel‘ zwischen etablierter Bürgerkultur und städtischer Verwaltung beobachten, indem städtische Gremien nun vielfach die Organisation und Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen übernahmen und der städtischen Bevölkerung zur Verfügung stellten.

1.2 Die Städtischen Bühnen nach dem Ersten Weltkrieg Durch Krieg und Inflation verschlechterte sich auch die finanzielle Situation der Städtischen Bühnen: Die Neue Theater Aktien-Gesellschaft geriet finanziell zunehmend in Bedrängnis und war immer mehr auf städtische Subventionen angewiesen.31 Sukzessive wurden der Stadt nun weit reichende administrative Entscheidungsbefugnisse eingeräumt, ehe die Verwaltung von Oper und Schauspiel Ende der 1920er Jahre schließlich vollständig in städtische Verwaltung überging und einer städtischen Theaterdeputation unterstellt wurde. Bereits vor dem Krieg hatten die städtischen Gremien über ein Mitspra28 29 30 31

Ebd., S. 440f. Frankfurter Zeitung, 27. August 1927, Erstes Morgenblatt. Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 441. Im Betriebsjahr 1919/1920 etwa beliefen sich die Gesamteinnahmen der Städtischen Bühnen auf insgesamt rund fünf Millionen Mark, denen allerdings Gesamtausgaben von mehr als zehn Millionen Mark gegenüberstanden, so dass sich ein „Betriebsverlust in Höhe von 5.626.207.50 Mk.“ ergab. Dieser immense Betriebsverlust konnte nur durch städtische Subventionen gedeckt werden. Siehe dazu den Bericht der Neuen Theater Aktien-Gesellschaft an den Magistrat in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater i.sp. Städtische Bühnen-Aktien-Gesellschaft, Bd. XI: 1918– 1923, S. 61ff., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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cherecht bei der Regelung der Theaterverhältnisse verfügt: Eine so genannte ,Gemischte Commission‘ – bestehend aus Mitgliedern des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung – konnte Delegierte in den Aufsichtsrat der Theater Aktien-Gesellschaft entsenden, die über die Einhaltung des mit der Stadt geschlossenen Vertrages zu wachen hatten. De facto aber waren diese Delegierten nur mit einem „praktisch nicht sehr wirksamen Beanstandungsrecht ausgestattet“, das sich im Wesentlichen auf das Recht zur Genehmigung des Etats der Aktiengesellschaft beschränkte.32 Die städtischen Gremien stuften ihre Einflussmöglichkeiten deshalb als unzureichend ein. Frühzeitig nämlich stand für sie fest, dass die Stadt aufgrund ihrer besonderen finanziellen Aufwendungen für die Theaterbetriebe folgerichtig auch als „die eigentliche Trägerin des Unternehmens angesehen werden“ müsse.33 Im Jahr 1913 dehnte die Stadt ihre Einflussmöglichkeiten auf die Frankfurter Theater entscheidend aus: Durch einen Magistratsbeschluss wurde die Einrichtung einer so genannten ,Gemischten Theater-Deputation‘ entschieden.34 Diese bestand aus vier Magistratsmitgliedern, die direkt vom Ersten Bürgermeister ernannt wurden, sowie aus fünf Delegierten aus den Reihen der Stadtverordneten-Versammlung und war neben anderem zur Prüfung der Rechnungsführung der Gesellschaft befugt.35 Weite Teile der Frankfurter Öffentlichkeit begrüßten diese Veränderungen. Für die Frankfurter Zeitung etwa stand fest, dass sich die Stadt, „die bisher fast ganz allein die beiden Theater unterhielt“, umfangreichere Rechte sichern müsse; zudem rechnete sie damit, dass „die ,Kulisse‘ der Theateraktiengesellschaft“ ohnehin bald „fallen“ werde.36 All jene, so hieß es in einer Stellungnahme des Blattes zur ,Frankfurter Theaterfrage‘, „die sich irgendwie für das Theater interessieren“, müssten zustimmen, dass „heutzutage für Aktiengesellschaften dieser Art“ kein Raum mehr sei.37 Seit langem hatte vor allem die Stadtverordnetenversammlung kritisiert, dass dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft zu umfassende Eingriffsrechte 32

33 34

35

36 37

Dies war zumindest die Ansicht des Magistrates, der in einer Magistratssitzung am 20. April 1916 über die Neuregelung der Theaterverhältnisse nach dem Krieg beriet. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater, (...) Neue Theater Aktien-Gesellschaft, Bd. X: April 1916–1917, Blatt- 1ff., in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Ebd. Siehe diesen Magistratsbeschluss vom 21. Januar 1913, in: Akten der Stadtverordneten-Versammlung zu Frankfurt am Main, Theater-Aktien-Gesellschaft, 1912–1922, Beschluss Nr. 2854, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.934. So konnte sie etwa die Höhe der Eintrittspreise mitbestimmen oder über Neuanschaffungen und Veränderungen im Inventar mitentscheiden. Siehe den Vertrag zwischen der Neuen Theater-Aktien-Gesellschaft und der Stadt Frankfurt am Main vom 31. Mai 1913, in: Akten der Stadtverordneten-Versammlung zu Frankfurt am Main, Theater-AktienGesellschaft 1912–1922, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.934. Frankfurter Zeitung, 15. Januar 1913, Abendblatt. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

in den laufenden Bühnenbetrieb eingeräumt würden. Das Stadtparlament mahnte darum eine „Reorganisation der Verwaltung“ zugunsten der städtischen Körperschaften an.38 De facto nämlich – so monierte auch die Volksstimme – habe man es mit einem „Dualismus zwischen der Leitung eines künstlerisch verantwortlichen Intendanten und der künstlerisch unverantwortlichen Mitregierung einer Reihe von Aufsichtsräten“ zu tun.39 Nach Maßgabe des Blattes stellte dies einen „Krebsschaden“ schlimmster Form dar, indem eine zum „System erhobene Protektionswirtschaft“ die Autorität der künstlerischen Leitung zu untergraben drohe40 : „Was haben sich diese Kommerzienräte [...] in den inneren Betrieb zu mischen, was haben sie Einfluß zu üben auf die Bestimmungen des Intendanten in Besetzungs- und Urlaubsfragen? Ist das nicht Korruption schlimmster Art, wenn die Mitglieder der Oper und des Schauspiels über den Kopf der Leitung hinweg sich an Aufsichtsräte um diese oder jene Rolle wenden, ist es nicht für Künstler entwürdigend, beim Herrn Kommerzienrat oder Justizrat X., der vom Theater nichts versteht, um Gunst buhlen zu müssen, ist es im Interesse des Theaterpublikums gelegen, wenn Spielplan und Besetzung von den Launen und Wünschen einer kleinen Clique, die sich als Herren eines öffentlichen Kunstinstituts fühlen, beeinflußt werden, eines Instituts, das gehalten wird von den Steuern der Bürger und dem zahlenden Publikum?“41

Die Volksstimme plädierte daher immer wieder für eine vollständige Kommunalisierung der Theater, um Oper und Schauspielhaus in den allgemeinen Demokratisierungsprozess einzubinden, durch den – so die Meinung des Blattes – das Theater seine „Kulturmission“ erst ganz erfüllen könne.42 Die städtische Theater-Deputation wurde 1916 allerdings bereits wieder aufgelöst, da das „Nebeneinander zweier beschließender Körperschaften“, nämlich Aufsichtsrat und städtische Deputation, „nicht für zweckmäßig erachtet“ wurde.43 Im Gegenzug wurde mit Zustimmung der Theater Aktien-Gesellschaft die Vermehrung der Aufsichtsratsstellen um neun Mitglieder vereinbart, die aber ausschließlich „mit Vertretern der Stadt besetzt“ sein sollten, um den städtischen Einfluss weiterhin zu gewährleisten.44 Auch nach 1918/19 blieb die interne Organisation der Theater ein stritti38

39 40 41 42

43 44

So die Volksstimme in ihrem Artikel „Das Elend der städtischen Bühnen in Frankfurt“, Nr. 135, 12. Juni 1912, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Neue Theater Aktien-Gesellschaft i. sp. Zeitungs-Artikel, Bd. I: 1912–1923, Blatt 46, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 538. Volksstimme, 12. Juni 1912. Ebd. Ebd. Siehe hierzu den Artikel „Unser Opern- und Schauspielhaus“ in der Volksstimme, Nr. 139, 14. Juni 1920, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Neue Theater Aktien-Gesellschaft i.sp. Zeitungs-Artikel, Bd. I: 1912–1923, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 538. So das Ergebnis der Magistratssitzung am 20. April 1916, in der der Magistrat über die Neuregelung der Theaterverhältnisse nach dem Krieg diskutierte. So das Ergebnis der Magistratssitzung am 20. April 1916.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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ger Punkt. Waren die Städtischen Bühnen vor dem Krieg und auch während der Kriegsjahre noch eine weitgehend „gemischtwirtschaftliche Gesellschaft, in der die privaten Aktionäre mit etwa 49 % des 503.900 Mark betragenden Aktienkapitals immerhin einen erheblichen Faktor darstellten“45 , so brachte es der „durch die Inflationszeit verursachte Kapitalschwund [. . . ] mit sich, dass die Bedeutung des Aktienkapitals völlig hinter der des Zuschusses zurücktrat“.46 Entsprechend argumentierten die städtischen Gremien, dass „die Gesellschaft praktisch zu einer rein städtischen geworden“ sei – ein Umstand, dem nun „aber auch rechtlich und konstruktiv Ausdruck verliehen werden“ sollte.47 Um dieser immer engeren Bindung an die Stadt Ausdruck zu verleihen, bezeichnete sich die Gesellschaft seit Dezember des Jahres 1921 als ,Städtische Bühnen-Aktien-Gesellschaft‘. Ein weiterer Schritt in Richtung Kommunalisierung der Theater wurde 1928 vollzogen, als die „Verwaltung der städtischen Theater und die Beaufsichtigung des Betriebes der Theater“ auf eine städtische Theater-Deputation übertragen wurde.48 Diese setzte sich aus fünf Magistratsmitgliedern, die der Oberbürgermeister zu ernennen hatte, sowie aus elf von den Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung zu wählenden Personen zusammen, von denen allerdings mindestens sechs dem Stadtparlament auch angehören mussten. Die Theater-Deputation wurde Teil der bereits 1920 ins Leben gerufenen so genannten ,Deputation für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung‘, in der die unterschiedlichen Kulturgremien Frankfurts zusammengefasst waren. Nach und nach entstand somit eine zentral organisierte und professionell arbeitende kommunale Einrichtung, die in Ansätzen einem städtischen Kulturdezernat glich. Hierdurch war „ein wesentlicher Punkt in der Formierungsgeschichte der städtischen Kulturverwaltung und Kulturpolitik erreicht“, da sich die Gestaltung des öffentlichen Kulturlebens immer mehr von konkreten Personen ablöste und zunehmend institutionalisiert wurde.49 Insgesamt war so auch die Frankfurter Kulturpolitik – und insbesondere die Frankfurter Theaterpolitik – der Nachkriegszeit durch jenen umfassenden Transformationsprozess gekennzeichnet, der die Kräfteverhältnisse innerhalb des städtischen Kulturlebens neu verteilte und sukzessive eine moderne städtische Kulturpolitik etablierte.

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Siehe ein Schreiben des Theaterdezernenten des Magistrats vom 19. Oktober 1925, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main. Städtische Theater i. sp. Städtische Bühnen A.G., Bd. XII: 1924–1927, Blatt 12 (3), in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532. Ebd. Ebd. So hieß es in einem Vortrag des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung am 21. Juni 1928, in: Akten der Stadtverordnetenversammlung zu Frankfurt am Main, Theater-Deputation, 1928ff., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 1.468. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 137.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

1.3 Oper und politische Festkultur im Zeichen der neuen Ära Die umfassenden politischen Veränderungen der Nachkriegsjahre prägten auch der politischen Festkultur der Stadt ihren Stempel auf: Groß angelegte Festveranstaltungen wie die Frankfurter Goethewoche (1922) oder die 75Jahr-Feier der 1848er Revolution (1923)50 leiteten eine ,neue Ära‘ städtisch dominierter Kulturpolitik ein, die in den Jahren 1924 bis 1929 mit Veranstaltungen wie dem international beachteten Sommer der Musik (1927)51 einen besonderen Höhepunkt erreichen sollte. Diese festlichen Veranstaltungen zielten darauf ab, die Suche nach einer neuen symbolischen Ordnung ästhetisch zu umkleiden und der Weimarer Republik die erhoffte Legitimität zu sichern. Ludwig Landmann, seit 1924 Oberbürgermeister der Stadt, erwies sich hierbei als wichtiger Impulsgeber, der die „Zeit des Wiederaufbaues“ aktiv mitgestalten wollte.52 Mit Veranstaltungen wie der Goethewoche und der Paulskirchenfeier wollte sich Frankfurt zum Hauptort eines neuen, republikanisch-demokratischen Deutschland entwickeln. Dabei war unübersehbar, dass die fortdauernde Konkurrenz zu Berlin ein Hauptmotiv städtischer Selbstwahrnehmung blieb: Frankfurt verwies vorzugsweise auf seine besondere historische Stellung als Sitz des Paulskirchenparlaments und sah sich als Geburtsort Goethes berechtigt, das ,eigentliche‘ und ,bessere‘ Deutschland zu verkörpern, nämlich eine den Idealen von Idealismus und Aufklärung verpflichtete Kulturnation.53 Die Teilnahme von Reichspräsident Ebert bei der Goethewoche wie bei der Paulskirchenfeier belegt, dass Frankfurt mit seinem Versuch des republikanischen Self-fashionings durchaus erfolgreich war und auch auf Reichsebene Resonanz fand. Mit besonderem Nachdruck demonstrierte Frankfurt sein neues politisches Selbstbewusstsein bei einem Besuch Paul von Hindenburgs im November 1925, als der badische Staatspräsident Hellpach der Mainstadt gar den Rang einer ,zweiten Hauptstadt‘ der Weimarer Republik zuerkannte.54 Neben symbolisch so aufgeladenen Orten wie dem Römer oder der Paulskirche wurde bei vielen Festveranstaltungen auch das Frankfurter Opernhaus als zentraler zeremonieller Raum genutzt. Auch unter dem Signum des Neu50 51 52

53 54

Vgl. Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Vgl. Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘). So Ludwig Landmann in seiner Antrittsrede als Frankfurter Oberbürgermeister im November 1924. Siehe in: Städtisches Anzeigenblatt, 22. November 1924, in: Inst. f. StG Ffm, Personalakte OB Dr. Ludwig Landmann, Signatur 57.583. Vgl. Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Vgl. hierzu Kapitel III.5 (,Hindenburgrummel‘).

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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beginns wurde die Oper als wirkmächtiges Medium politischer Repräsentation und Sinnstiftung nach wie vor gebraucht. Den politischen Eliten Frankfurts gelang es lange Zeit erfolgreich, eine neue politische Festkultur ins Leben zu rufen und diese mit einer Befürwortung der Weimarer Republik zu verbinden. Mit Stolz präsentierte sich die Stadt hierbei als Zentrum der Moderne.55 An ihrer Profilbildung war das städtische Opernhaus unmittelbar beteiligt, indem Intendantur und künstlerische Leitung die Öffnung gegenüber dem Werkkanon der Moderne und der neuen Musik betrieben und die Stadt sich auch auf diesem Gebiet zum Aushängeschild eines umfassenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandels erklären konnte.

1.4 Das „Werden einer neuen Gesellschaft“56 : Die Frankfurter Oper als gesellschaftspolitisches Laboratorium Dieser Prozess vollzog sich allerdings langsam und diskontinuierlich; denn nach dem Weggang des Intendanten Karl Zeiss (1871–1924), der die Städtischen Bühnen für die Werke des Expressionismus geöffnet und die Frankfurter Oper von 1917 bis 1920 geleitet hatte, wurde Frankfurt oft als „Stadt der großen Möglichkeiten, aber der verpaßten Gelegenheiten“ eingestuft.57 Insbesondere – so monierte der Musikredakteur der Frankfurter Zeitung, Karl Holl (1892–1975) – habe man nur halbherzig den „Weg vom Unterhaltungs- und Repräsentationstheater der Besitzenden zum Kulturtheater der Gemeinde“ eingeschlagen.58 Immer wieder warnten Musikjournalisten und -publizisten davor, angesichts der veränderten politischen und gesellschaftlichen Gesamtlage an der „Fiktion einer ,Gesellschaft‘“ festzuhalten, die geistig keinen Bestand mehr habe und ihren exklusiven Anspruch nur durch Tradition und Besitz legitimiere.59 Gerade ein Blick in die lange Geschichte der Oper genüge, so glaubte der Frankfurter Theaterregisseur Herbert Graf (1903–1973), um den elitären Status dieser Kunstform offenzulegen, werde das Publikum hier doch rigide „nach ,Rang‘ und ,Logen‘ abgeteilt“ und durch das so genannte ,Guckkastenloch‘ „streng“

55 56 57 58 59

Arthur Holde: Frankfurt, in: Musikblätter des Anbruch 9, Nr. 5/6 (Mai/Juni 1927), S. 228– 230, hier S. 228. Karl Holl: Was geht in Frankfurt vor?, in: Melos. Zeitschrift für Musik 8, H. 3 (März 1929), S. 138–142, hier S. 140. Holde: Frankfurt, S. 228. Karl Holl: Frankfurter Musikpolitik, in: Sonderabdruck aus dem Stadtblatt der Frankfurter Zeitung vom 13., 14., 16. und 18. November 1928, S. 8. Holl: Was geht in Frankfurt vor?, S. 139.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

von der Bühne getrennt.60 Von einem gemeinsamen „Volks-Kunsterlebnis“ nach antikem Vorbild könne keine Rede sein, da nach wie vor „die früher herrschende gesellschaftliche Kluft“ zwischen „Mensch und Mensch“ sowie zwischen „Menschen und Bühne“ liege.61 Obgleich an der Berechtigung solcher Kritik nicht zu zweifeln ist, hatte sich Frankfurt bereits in den Vorkriegsjahren um die Förderung von Volkskonzerten und -vorstellungen bemüht und auf diesem Weg versucht, auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Als eine der ersten Städte Deutschlands hatte man hier für diejenigen Kreise der Bevölkerung, die sich den Besuch von Oper, Konzert oder Schauspiel kaum leisten konnten, die systematische Einrichtung von Volksvorstellungen angeregt. Die Unterstützung solcher „wahrhaft volkskulturell wirkende[n] Einrichtungen“ trug nach Ansicht zahlreicher Vertreter der städtischen Kulturpolitik dazu bei, das „Werden einer neuen Gesellschaft“, einer „nicht an den Besitz gebundenen Kulturschicht“ zu befördern.62 Gerade eine Stadt wie Frankfurt, die so sehr „mit dem Begriff der Freiheit und der Humanität“ in Verbindung gebracht werden wolle, müsse diese Tradition pflegen und die damit verbundene sozialpolitische und kulturelle Verantwortung auf sich nehmen, wie Karl Holl mahnend anmerkte.63 Andere zeitgenössische Intellektuelle wie der Musikkritiker und spätere Rundfunkintendant Adolf Raskin (1900–1940) nahmen die 1920er Jahre gleichfalls als einschneidende Reformära wahr und stellten sie auf eine Stufe mit den „Jahre[n] um 1770 (Glucks Reform)“ und „um 1850 (Richard Wagners Theorie vom musikalischen Drama)“.64 Im Kern zielten diese zeitgenössischen musiksoziologischen und musikpolitischen Appelle auf eine umfassende Reorganisation und Modernisierung der Spielpläne sowie auf die Förderung eines neuen Stammpublikums ab. Die zeitgenössischen Bühnen, so auch Grafs Plädoyer, sollten sich künstlerisch mit den Problemen und Anforderungen einer gewandelten Zeit auseinandersetzen.65 Damit ging die Forderung nach einer Neubewertung musikalischer Stilformen und ästhetischer Traditionsbestände einher. Für Adolf Raskin und andere ging es hierbei vor allem um die kritische Auseinandersetzung mit dem ästhetischen Erbe des 19. Jahrhunderts.66 Komponisten und Theoretiker 60 61 62 63 64 65

66

Herbert Graf : Zeitgemässe Opernregie, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 43/44 (Dezember 1929), S. 683–687, hier S. 683. Ebd., S. 683. Holl: Was geht in Frankfurt vor?, S. 140. Ebd., S. 141. Vgl. hierzu Kapitel III.9 (Ein ,halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt‘). Adolf Raskin: Das musikalische Theater der Gegenwart, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 23/24 (August 1930), S. 355–361, hier S. 355. Nach Meinung Herbert Grafs sollten Theaterschaffende und Kulturpolitik dabei neben wirtschaftlichen und organisatorischen Gesichtspunkten eine gründliche Umgestaltung des Repertoires in Angriff nehmen. Zudem forderte er eine zeitgemäße Regiearbeit, die sich zum Sprachrohr einer „neuen, zeitentsprechenden Theateridee“ machen solle. Siehe Graf : Zeitgemässe Opernregie, S. 683f. Ebd., S. 359.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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der zeitgenössischen Oper arbeiteten sich dabei vor allem an Richard Wagner und dessen Konzeption des Musikdramas ab: Wagner wurde nicht nur zur Last gelegt, seinem Ideal dramaturgischer Wahrheit die „Selbständigkeit der musikalischen Formen“ bereitwillig geopfert zu haben.67 Zudem kritisierten Publizisten wie Raskin seinen „ernsten philosophischen Ballast“ und seine „vermusikdramatisierte Weltanschauung“.68 Für Raskin konnte das moderne Musiktheater seine Existenzberechtigung nur dann unter Beweis stellen, wenn es sich erneut als experimentierfreudiges „Spiel“ zu erkennen gab.69 Komponisten wie Alban Berg, Ernst Krenek, Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Kurt Weill hob Raskin demgegenüber lobend hervor, da sie sich kreativ und engagiert um die Lösung der „Opernkrise“ der Gegenwart bemühten, indem sie die Selbständigkeit der Musik anerkannten und in ihren Werken nicht mehr den Versuch unternahmen, mehr als „,Spiel auf dem Theater‘ zu sein“.70 Eine Reihe von Komponisten und Musikjournalisten orientierte sich nun verstärkt an der Klassizität des 18. Jahrhunderts, und einige renommierte Publizisten wie beispielsweise der langjährige Musikkritiker der Frankfurter Zeitung und spätere Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, Paul Bekker (1882–1937), nahmen Mozart hierbei zum exemplarischen Vorbild: Mozarts Opern stellten für Bekker geradezu die „Idealgattung des Phantasiespiels“ dar, das sich „frei von allen dogmatisch ethisierenden Nebenabsichten“ entfalte und aus dem lebendigen „Widerschein buntester Lebensfarben“ schöpfe.71 Am Beispiel Raskins und Bekkers lässt sich anschaulich dokumentieren, dass sich das Selbstverständnis und die öffentliche Redeposition des Musikkritikers nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entscheidend gewandelt hatten. Nicht nur wurden nun zahlreiche einflussreiche Fachzeitschriften wie etwa die Musikblätter des Anbruch oder Melos gegründet, die insbesondere der Neuen Musik ein Forum boten. Auch in der Tagespresse ließen sich bedeutsame Veränderungen beobachten, indem der Person des Kritikers nun ausdrücklich die Rolle einer urteilenden, professionell-autoritären Instanz zugewiesen wurde. War es vor dem Krieg kaum üblich gewesen, dass Artikel der Feuilleton-Rezensenten namentlich ausgewiesen wurden – in der Regel erschienen Konzert-, Theater- oder Opernkritiken entweder anonym oder mit Nennung der Initialen des Kritikers –, waren Rezensionen nun zumeist namentlich zuweisbar.72 Der Musikkritiker wurde damit als erkenntnisleitende Instanz sichtbar, die die öffentliche Wahrnehmung eines 67 68 69 70 71 72

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 359f. Paul Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, in: Philipp Witkop (Hrsg.): Deutsches Leben der Gegenwart, Berlin 1922, S. 78–126, hier S. 98f. Zu den rhetorischen Konventionen des Feuilletons vergleiche ausführlich Almut Todorow: Das Feuilleton der ,Frankfurter Zeitung‘ in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung, Tübingen 1996, S. 83ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Werkes durch ihre wertende Deutung beeinflussen und lenken konnte. Diese öffentlichkeitswirksame Funktion des Kritikers hob Paul Bekker immer wieder nachdrücklich hervor, indem er dem Komponisten eine ausschließliche Deutungshoheit über sein Werk absprach und darauf beharrte, dass dieses die Vermittlung durch die Instanz der Kritik benötige. Dem zwischen Werk, Komponist und Publikum vermittelnden Kritiker wies Bekker ausdrücklich die Rolle eines gleichfalls produktiv Schaffenden und Gestaltenden zu, stellte ihn somit mit dem Komponisten sowie den ausführenden Künstlern auf eine Stufe. Der ausführliche Briefkontakt, den Bekker mit Komponisten wie Franz Schreker, Ferrucio Busoni oder Ernst Krenek pflegte, dokumentiert diese wechselseitige Anerkennung in eindrücklicher Weise. Zudem sah Bekker in der Aufwertung des Kritikers einen notwendigen Bestandteil einer sich wandelnden ästhetischen und sozialen Praxis, war es ihm doch maßgeblich darum zu tun, Musik als Medium ganzheitlicher Erziehung und Bildung fruchtbar zu machen und auf diesem Weg eine umfassende „gesellschaftlich-kulturelle Integration“ zu initiieren.73 Den elitär-bildungsbürgerlichen ,Musikbetrieb‘ der Vorkriegsjahre verurteilte Bekker und plädierte demgegenüber für eine neue Gesellschaft, die sich – vermittelt über das gemeinsame ästhetische Erleben – als „wahrnehmendes Kollektivwesen“ begreifen sollte.74 Zeitgenössische Komponisten wie Busoni schlossen sich Bekkers Forderung nach einer neuen und zeitgemäßen „jungen Klassizität“ an; in seiner Kompositionstechnik strebte Busoni eine Rückkehr zu klaren Formen an, um der neuen Musik zu einer umfassenderen Popularität zu verhelfen und sie vom Stigma einer vermeintlich elitären Ästhetik zu befreien.75 Kritiker und Komponisten waren auf diesem Weg in einen Diskurs eingebunden, der um eine Neubestimmung musikalischer Ästhetik rang und diese Standortsuche als gesamtgesellschaftlich relevanten Prozess ausmachte, um der erhofften ,neuen Gesellschaft‘ zu einem eigenen ästhetischen Profil zu verhelfen. Hier wurde sichtbar, dass die Musik weiterhin einen maßgeblichen, Identität verbürgenden Faktor darstellte, mit dessen Hilfe die Gesellschaft der Nachkriegszeit an der „Fiktion gesellschaftlicher Einheit“ festhalten und sich „ihrer selbst versichern“ konnte.76 73

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Vgl. zu Paul Bekkers reformpädagogischen Zielen: Andreas Eichhorn: „Magister, Magister, lasst Eure Zöpfe stutzen“. Paul Bekker als Visionär einer republikanischen Musikpädagogik, in: Matthias Kruse/Reinhard Schneider (Hrsg.): Musikpädagogik als Aufgabe. Festschrift zum 65. Geburtstag von Siegmund Helms, Kassel 2003, S. 31–54, hier S. 32. Paul Bekker: Das deutsche Musikleben, Berlin 1916, S. 23. Zu Paul Bekkers kulturpolitischem und publizistischem Engagement vgl. ausführlicher die Kapitel III.3 (Wiesbaden und sein Theater 1918–1930) und III.7 (Vom ,Lieblingstheater‘ des Kaisers zum ,Volks‘- und ,Kulturtheater‘ der Republik). Brief Ferrucio Busonis an Paul Bekker vom 20. Januar 1920 (veröffentlicht am 7. Februar 1920 in der Frankfurter Zeitung). Siehe in: Nachlass Ferrucio Busoni, BI, 61, in: Staatsbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Bestände der Musikabteilung. Walter: „Die Mörder sitzen im Rosenkavalier“, S. 16.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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In den 1920er Jahren versuchte die Frankfurter Kulturpolitik diesen von Busoni propagierten Weg der „Reinigung“ zu realisieren, um die vielfach beklagte „Zeit der Stagnation“ zu überwinden.77 Institutionell ermöglicht wurde dies durch eine städtische Kulturpolitik, die die Förderung der kulturellen Moderne zu einem wesentlichen Bestandteil städtischer Regierungstätigkeit erhob. Politiker wie Oberbürgermeister Landmann betrieben engagiert die kulturell-ästhetische Profilbildung Frankfurts, schätzten sie diese doch als ein geeignetes Medium städtischer Selbstdarstellung und Repräsentation ein, mit dem sich die Stellung der Stadt nach innen wie nach außen festigen ließ.78 Eine Reihe von Veranstaltungen zielte nun explizit darauf ab, den vielfach beschworenen Geist des Aufbruchs und des Neuen durch eine entsprechende Musik- und Theaterpolitik zu unterstreichen. Gerade im Rahmen groß angelegter repräsentativer Festanlässe ging die Frankfurter Oper in den 1920er Jahren vermehrt dazu über, einerseits bewusst auf den Werkkanon der Wiener Klassik zurückzugreifen, andererseits aber auch der ästhetischen Moderne mehr Raum zuzugestehen: Während des Sommers der Musik (1927) war so nicht nur eine Festvorstellung von Beethovens Fidelio angesetzt, sondern zugleich fand auch Busonis Oper Doktor Faust eine glanzvolle Aufführung.79 Zudem kann die von Hermann Scherchen ins Leben gerufene und geleitete moderne Musikwoche 1923 erwähnt werden, die wie die Goethewoche und die Paulskirchenfeier dazu beitragen sollte, Frankfurt vom Makel der Provinzialität zu befreien.80 Weitere kulturpolitische Projekte wie das 1924 durchgeführte Fest des ,Allgemeinen deutschen Musikvereins‘ oder das 1925 gleichfalls auf die Initiative Scherchens zurückgehende Strawinsky-Fest, das deutschlandweit den ersten umfassenden Überblick über das Schaffen des Komponisten vermittelte, trugen dazu bei, die „aufsteigende Kurve“ des Frankfurter Musik- und Kulturlebens fortzuführen.81 Schließlich lassen sich mit dem 1927 veranstalteten mehrtätigen Max-Reger-Fest sowie mit der ebenfalls 1927 stattfindenden Tagung der ,Internationalen Gesellschaft für neue Musik‘ weitere bedeutende musik- und kulturpolitische Ereignisse anführen. Vor allem der so bezeichnete Sommer der Musik des Jahres 1927 markierte ein ebenso zentrales wie kontrovers bewertetes Ereignis der urbanen Fest- und Musikkultur Frankfurts. Mit der Ausstellung Musik im Leben der Völker gelang es der Stadt, ein international beachtetes „Locarno der Kultur“ zu veranstalten.82 Die Ausstellung ging weit „über die bei früheren Fachaus-

77 78 79 80 81 82

Holde: Frankfurt, S. 229. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 143. Vgl. hierzu Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘). Holde: Frankfurt, S. 228. Ebd., S. 228f. Frankfurter Zeitung, 18. August 1927, Erstes Morgenblatt; vgl. auch hierzu Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

stellungen gewahrten Linien“ hinaus und versammelte Prunkstücke aus den großen Archiven und Bibliotheken Europas.83 Jeweils eine Woche andauernde Zyklen stellten zudem das Musikleben verschiedener Nationen und Nationalkulturen vor. Zusätzlich gab es neben einer Woche für katholische und evangelische Kirchenmusik auch eine Woche der Jugendmusikpflege sowie einen Schwerpunkt zum internationalen Arbeiterchorwesen.84 Vor allem aber war es gelungen, Vertreter der internationalen Staatenwelt nach Frankfurt zu holen, die das „Europa der gemeinsamen Kultur“ lebendig werden lassen wollten und um eine symbolpolitische und kulturelle Neuordnung Europas bemüht waren.85 Gerade der Musik wurde hierbei die Aufgabe überantwortet, diese Politik des Ausgleichs und der Wiederannäherung symbolisch zu umkleiden. Hier lässt sich nicht einfach eine Verzahnung von Politik und Ästhetik konstatieren. Vielmehr wird ersichtlich, dass Musik – und hierbei ganz wesentlich die Kunstgattung Oper – von den Zeitgenossen als ermöglichendes Prinzip und konstitutiver Bestandteil einer gemeinsamen politischen Wertewelt wahrgenommen wurde und damit Anteil an der Neugestaltung der politischen Nachkriegsordnung hatte. Obwohl der Sommer der Musik von Teilen der Frankfurter Öffentlichkeit wegen seines immensen Kostenaufwandes heftig kritisiert wurde, herrschte allgemein die Überzeugung, dass die Ausstellung dazu beigetragen habe, Frankfurt als „Musikstadt“ erneut einen klangvollen Namen zu sichern.86 Tatsächlich stellten die Jahre zwischen 1924 und 1929 im Urteil vieler Zeitgenossen eine neue „Glanzzeit in der Kulturgeschichte und der gesellschaftlichen Repräsentation Frankfurts“ dar.87 Diese Zeit war nicht zuletzt mit dem Wirken des Kapellmeisters Clemens Krauss (1893–1954) verbunden, den der Aufsichtsrat der Städtischen Bühnen 1924 von Wien nach Frankfurt geholt hatte. Die fünf Jahre seiner Tätigkeit gingen als ,Ära Krauss‘ in die Annalen der Frankfurter Theatergeschichte ein und verhalfen der Stadt weithin zu „erhöhtem Ansehen“.88 In Frankfurt war Krauss bald nicht nur als erster Kapellmeister und Direktor der Frankfurter Oper sowie als Dirigent der Museumsgesellschaft tätig, sondern er wurde 1925 zugleich zum neuen Intendanten des Opernhauses bestimmt, was ihm eine ausgesprochene „StarStellung“ sicherte.89 Krauss wurde weithin als „geborener Meister des Taktstocks“ und als „Musiker mit feinstem Ohr“ bejubelt, dem ein besonderes Gespür für „dekorative[s] Pathos“ und „die sinnliche Brillanz theatralischer 83

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Unter den Ausstellungsstücken befanden sich auch Teile bedeutender Frankfurter Privatsammlungen, beispielsweise von Kunstmäzenen wie Louis Koch und Nikolaus Manskopf. Siehe dazu Holde: Frankfurt, S. 230. Ebd. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Abendblatt. Holde: Frankfurt, S. 230. Frankfurter Rundschau, 18. Mai 1954. Holde: Frankfurt, S. 229. Holl: Frankfurter Musikpolitik, S. 9.

1. Frankfurt in den 1920er Jahren

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Musik“ zueigen seien.90 Weniger als Künstler, wohl aber als programmatischer Impulsgeber war er allerdings nicht unumstritten: Krauss, dem man das Verdienst zugestand, „das in recht verstaubtem Zustand übernommene Repertoire“ der Oper systematisch erneuert zu haben91 , konzentrierte sich weitgehend auf den klassisch-romantischen Werkkanon „im Zeichen eines Mozart, Beethoven, Wagner, Verdi“.92 Von den Vertretern der klassischen Moderne schätzte er vor allem Richard Strauss (1864–1949). Somit erwies sich Krauss als ausgesprochen zögerlicher Modernisierer, der die systematische Förderung der zeitgenössischen Musik vernachlässigte. Karl Holl charakterisierte Krauss denn auch als einen zwar „spezifisch musikantische[n]“, zugleich aber „relativ ungeistige[n] Musiker“, der insbesondere die neue Musik vernachlässige.93 Aus diesem Grund wie auch wegen seiner ausgedehnten internationalen Gastspieltätigkeit wurde Krauss immer mehr zur Zielscheibe der Kritik. Mit seinem Weggang im Jahr 1929 stand das Musikleben Frankfurts erneut „an einem Scheideweg“.94 In den späten 1920er Jahren wurde offenbar, dass auch Frankfurt von der vielfach diagnostizierten „Opernkrise“ der Gegenwart betroffen war.95 Der traditionelle Opernbetrieb tat sich immer schwerer damit, in Fragen der Spielplangestaltung Akzente zu setzen, das Wegbrechen des traditionellen Stammpublikums aufzuhalten und neue Publikumsschichten an sich zu binden. Zudem gerieten die Frankfurter Bühnen im Lauf der 1920er Jahre finanziell immer mehr in Bedrängnis. Beliefen sich die Einnahmen von Schauspiel und Oper im Geschäftsjahr 1924/25 – bei Ausgaben von mehr als 2,9 Millionen Reichsmark – noch auf insgesamt rund 2,7 Millionen Reichsmark96 , stiegen die Ausgaben für beide Häuser im Geschäftsjahr 1926/27 bereits auf knapp 4 Millionen Reichsmark, während die Einnahmen auf 2 Millionen Reichsmark zurückgingen.97 Die wachsenden Fehlbeträge mussten von der Stadt übernommen und durch steigende Subventionen ausgeglichen

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Ebd., S. 11. Ebd., S. 12f. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Holl: Was geht in Frankfurt vor?, S. 141. Karl Holl: Frankfurt und seine Oper. Wie feiern wir das Opernjubiläum?, in: Frankfurter Zeitung, 13. Juli 1930. Siehe den Geschäftsbericht der Frankfurter Bühnen für das Jahr 1924/25 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater i. sp. Städtische Bühnen A.G., Bd. XII: 1924–1927, Blatt 10f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532. Siehe den Geschäftsbericht des Vorstandes der Städtischen Bühnen A.G. Frankfurt am Main für die Zeit vom 1. April 1926 bis 31. März 1927, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Städtische Theater i.sp. Städtische Bühnen A.G., Vertrag, städt. Zuschuß, Bilanz und Geschäftsberichte, Bd. XII: 1928– , Blatt 26a, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532.

270

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

werden.98 Allein 1925 erforderte der Bühnenbetrieb einen städtischen Zuschuss in Höhe von 1,5 Millionen Reichsmark.99 1927 hatte sich diese Summe nahezu verdoppelt, 1929 wurde gar ein Betrag in Höhe von rund 2 700 000 Reichsmark notwendig, um die Fehlbeträge der Städtischen Bühnen ausgleichen und den Theaterbetrieb aufrechterhalten zu können.100 Der vielfach beklagte Rückgang der Einnahmen war fast vollständig auf Mindereinnahmen aus Abonnement und Tageseinnahmen zurückzuführen.101 Immens anwachsende öffentliche Subventionen und steigende Fehlbeträge waren dabei kein Phänomen, das ausschließlich die Frankfurter Bühnen betraf. Ein Vergleich mit Wiesbaden legt nahe, dass dies ein grundsätzliches Problem darstellte, das die meisten deutschen Bühnen in Bedrängnis brachte.102 Dementsprechend fand das 50. Jubiläum des Frankfurter Opernhauses im Oktober 1930, das die Fallstudien zur Frankfurter Operngeschichte der Weimarer Jahre beschließt103 , in einer Situation statt, die von vielen Zeitgenossen als ausgesprochen krisenbelastet eingestuft wurde. Anders als das Jubiläum im Jahr 1905 stand das 50. Jubiläum der Bühne im Zeichen einer tiefgreifenden Krise. Dennoch blieb die Oper weiterhin als Symbolort des städtischen Bürgertums erhalten: Mit einer Reihe repräsentativer Festvorstellungen wollte man dem Publikum eine synthetisierende Gesamtschau über fünfzig Jahre Operngeschichte vor Augen führen. Den Reigen der Festveranstaltungen deklarierte man daher als „Chronik“ einer Zeit, in der „bürgerliche[r] Gemeinsinn“ und eine „freudige Verantwortung gegenüber ideellen Werten“ vermeintlich noch intakt waren.104 In diesem Appell artikulierte sich zugleich das Bemühen, die Oper als Zentrum einer lebendigen sozialen Praxis zu bewahren und sich den Herausforderungen einer Gegenwart zu stellen, in der die repräsentative Strahl- und die integrative Bindekraft der Kunstgattung Oper zunehmend in Frage gestellt wurde.105 98 99

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Allein im Jahr 1926/27 war ein Defizit von 389 672,69 Reichsmark zu verzeichnen; siehe ebd. Siehe diese Angabe in einem Bericht des Städtischen Anzeigenblatts vom 12. Dezember 1925 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main. Städtische Theater i. sp. Städtische Bühnen A.G., Bd. XII: 1924–1927, Blatt 12, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. Siehe hierzu: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main: Städtische Theater i.sp. Städtische Bühnen A.G. Vertrag, städt. Zuschuß, Bilanz und Geschäftsberichte. Bd. XIII: 1928– , Blatt 30, in: Inst. f. StG Ffm, Magistratsakten, Signatur U 532. So ein Bericht des Vorstandes der Städtischen Bühnen AG vom 15. Juni 1927, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main. Städtische Theater i. sp. Städtische Bühnen A.G., Bd. 12, 1924–1927, Blatt 26(4), in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532. Städtisches Anzeigenblatt, 12. Dezember 1925. Vgl. hierzu Kapitel III.3 (Wiesbaden und sein Theater 1918–1930). Vgl. hierzu Kapitel III.9 (Ein ,halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt‘). Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Siehe zur Situation der Oper in der Zwischenkriegszeit ausführlich Walter: Oper 1918– 1933, S. 119.

2. Die Frankfurter Goethewoche (1922) und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution (1923) Mit groß angelegten und medial aufwendig in Szene gesetzten öffentlichen Feiern wie der Goethewoche (1922) und der Paulskirchenfeier (1923) bemühte sich Frankfurt zu Beginn der 1920er Jahre, an die glanzvolle städtische Festtradition anzuknüpfen, die mit Großprojekten wie der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung (1891) die Zeit des Kaiserreiches geprägt hatten. Dadurch sollte nicht nur kommunalpolitische Normalität gewährleistet werden, sondern zugleich hofften die städtischen und staatlichen Eliten, mit öffentlichkeitswirksamen symbolpolitischen Maßnahmen die Legitimität der Weimarer Republik festigen zu können. Bedingt durch die ökonomische Krise sowie durch eine äußerst instabile innen- und außenpolitische Lage durchlief diese gerade zwischen 1920 und 1923 eine Phase tief greifender Destabilisierung. Der Rekurs auf eine spezifische, Kontinuität stiftende und Tradition verbürgende Eigengeschichte war nicht zuletzt deshalb geboten, weil die Nachkriegsjahre die deutschen Großstädte vor zahlreiche neuartige Probleme stellten. Indem den Städten im Zuge der Erzbergerschen Finanzreform 1919/20 die Verfügungsmacht über die direkten Steuern entzogen, ihnen zugleich aber sozialstaatliche Aufgaben überantwortet wurden, waren die Kommunalpolitiker der 1920er Jahre darauf angewiesen, die städtischen Haushalte zu konsolidieren und nach neuen Einkommensquellen zu suchen.1 In einem umfassenderen Sinn ging es ihnen allerdings auch darum, gelingende Konzepte von Urbanität zu entwerfen und das Verhältnis von Staat und (Stadt-)Gesellschaft neu zu bestimmen. Da die Kommunen immer mehr die „ausgeprägte[n] Interessen- und Ideologiekonflikte“ moderner, ausdifferenzierter Großstadtgesellschaften bewältigen mussten, wurden die Metropolen des Landes zu exemplarischen Laboratorien gesellschaftlicher Modernität.2 Gleichzeitig setzte mit dem Übergang zur Weimarer Republik ein weitreichender Demokratisierungs- und Politisierungsschub ein, der 1

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So waren die Kommunen beispielsweise für die Unterhaltung ihrer Versorgungs- und Bildungseinrichtungen verantwortlich. Gerade nach dem Krieg wuchs dieser Aufgabenbereich um ein Vielfaches, indem Kriegsversehrte und -hinterbliebene versorgt, die Wohnungsbauförderung auf den Weg gebracht und die Jugend- und Erwerbslosenfürsorge ausgedehnt werden musste. Somit kam es bereits zu Beginn der 1920er Jahre zu einer immer deutlicheren Diskrepanz zwischen der „mißlichen staatsrechtlichen Stellung und der hohen gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Großstädte“. Vgl. hierzu Bonte: Werbung für Weimar?, S. 27ff. Ebd., S. 25.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

den städtischen Raum geradezu zum symbolischen Kampfplatz ausformte, rangen hier doch verschiedene soziale Gruppen und Parteien um politische Macht, ökonomischen Einfluss und kulturelles Prestige. Die Herstellung einer konsensfähigen städtischen Öffentlichkeit war daher ein zentraler Aufgabenbereich der Kommunalpolitik. Diese musste zugleich auf die weit verbreiteten Ängste vor Desintegration, Entfremdung und Isolation reagieren und versuchen, gelingende Konzepte soziokultureller Integration zu entwerfen.3 Dem Zerrbild einer sich in „dissonante Totalität“ auflösenden großstädtischen Gesellschaft sollte somit die auf Bindung angelegte Vision urbaner Vergemeinschaftung entgegengestellt werden.4 Zugleich wollten Ereignisse wie die Goethewoche und die Paulskirchenfeier ein öffentlichkeitswirksames Bekenntnis zur Weimarer Staatsverfassung ablegen: Das Gedenken an den 75. Jahrestag des Paulskirchenparlamentes etwa sollte einen Wendepunkt in der Geschichte der jungen Weimarer Republik herbeiführen, für die freilich auch 1922/23 noch kein Ende der „schweren Zeiten“ in Sicht war.5 Nach wie vor trug sie schwer daran, dass ihr jener Identität stiftende Nimbus abgesprochen wurde, der symbolträchtigen Ereignissen des Neubeginns – wie etwa dem Sturm auf die Bastille – sonst oftmals zugeschrieben wurde.6 Die mit dem Friedensschluss von Versailles verbundene Erbitterung weiter Kreise über die ,Erfüllungspolitik‘ des Reiches, der Verbleib antirepublikanisch gesinnter Eliten in Politik und Verwaltung, die unzureichende soziale und symbolische Integration eines beträchtlichen Teils des Bürgertums und die Auswirkungen der stagnierenden Nachkriegswirtschaft – diese keineswegs Vollständigkeit reklamierende Liste an „Soll-Posten“ belastete die Weimarer Republik7 und trug dazu bei, dass viele Bürger, für die Politik bislang „gleichbedeutend mit der Herstellung und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung durch eine sachverständige Obrigkeit“ gewesen war, die demokratische Neuordnung rasch als bürokratisch und ineffizient ablehnten.8 Die Vertreter der Weimarer Koalition mussten denn auch bereits bei den Wahlen zum ersten Reichstag am 6. Juni 1920 eine herbe Niederlage verkraften, als DDP, SPD und Zentrum ihre ZweidrittelMehrheit verloren und mit nur 43 Prozent der Mandate sogar unter die absolute Mehrheit absanken.9 Den Parteien der Weimarer Koalition als den 3 4 5

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Ebd., S. 32. Walter Prigge: Urbanität und Intellektualität im 20. Jahrhundert. Wien 1900, Frankfurt 1930, Paris 1960, Frankfurt a.M./New York 1996, S. 52f. So der Frankfurter Oberbürgermeister Georg Voigt in seiner Begrüßungsrede anlässlich der Eröffnung der Paulskirchenfeier im Kaisersaal des Frankfurter Römer, zitiert nach: Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. Siehe hierzu Peukert: Die Weimarer Republik, S. 59. Ebd., S. 60. Siehe dazu ausführlich Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933, Berlin 1994, S. 223. Ebd., S. 222.

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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einzigen wirklich staatstragenden Parteien sollte es von diesem Zeitpunkt an nie wieder gelingen, eine sichere Mehrheit im Reichstag zu erlangen.10 Regierungsbildungen durch das Parlament waren fortan nur in Form einer Koalition mit offen oder latent antidemokratisch eingestellten Parteien oder durch die Bildung von Minderheitskabinetten möglich.11 In beiden Fällen zeichnete sich eine Schwächung der parlamentarisch-demokratischen Kräfte ab. Sukzessive wurde die Republik hierdurch in die Defensive gedrängt; denn rechts- oder linksradikale Alternativen erschienen stets umso attraktiver, je geschwächter sich die häufig wechselnden Regierungen präsentierten.12 Außerdem erschütterte eine Reihe politischer Mordanschläge auf führende Politiker das ohnehin labile innenpolitische Gleichgewicht der noch jungen Republik. Diese meist von Angehörigen militaristisch-nationalistischer Freikorps begangenen Terrorakte wollten die Handlungsfähigkeit der Reichsregierung systematisch untergraben, indem sie die politischen Amtsträger der aus ihrer Sicht verhassten zivilen Republik zur unmittelbaren Zielscheibe politischer Aggression machten. So ermordeten Anhänger der nationalistischen Rechten am 26. August 1921 den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, und nur wenige Monate nach Abschluss der Frankfurter Goethewoche sollte im Juni 1922 auch der damalige Reichsaußenminister Walther Rathenau (1867–1922) Opfer eines politisch motivierten Anschlags werden.13 Rathenaus Ermordung schreckte das ganze Land auf: Im Juli 1922 verabschiedete der Reichstag gegen teils erbitterten Widerstand von linker wie von rechter Seite das so genannte ,Gesetz zum Schutz der Republik‘, mit dem die rechtliche Grundlage für die Verfolgung politischer Straftaten geschaffen wurde. Republikfeindliche Handlungen, Vereinigungen oder Publikationen konnten nun rechtlich sanktioniert werden.14 In Bayern formierte sich indes mit der NSDAP unter der Führung Adolf Hitlers eine besonders radikale Form der nationalistisch-völkischen Opposition gegen das vermeintliche ,Weimarer System‘15 , und auch die Aktionen linksradikaler Kampfverbände gefährdeten die Stabilität der Weimarer Regierung immer wieder. Die innenpolitischen Turbulenzen des Jahres 1923 waren zeitweise als so gefährlich 10 11 12 13 14 15

Ebd. Ebd. Ebd., S. 223. Ebd., S. 240ff. Vgl. hierzu allgemein Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1998, S. 174ff. Im Januar 1923 hielt die NSDAP ihren ersten Parteitag ab: SA-Leute marschierten auf dem Marsfeld auf, und zum ersten Mal zelebrierte Hitler bei dieser Gelegenheit eine Fahnen- und Standartenweihe. Bereits am 1. Mai 1923 organisierte Hitler dann eine Demonstration von Mitgliedern der ,Arbeitsgemeinschaft der vaterländischen Kampfverbände‘, an der rund 20 000 bewaffnete Männer teilnahmen, ehe er dann im November des gleichen Jahres seinen fehlgeschlagenen Staatsstreich durchführte. Siehe Dieter Rebentisch: Friedrich Ebert und die Paulskirche. Die Weimarer Demokratie und die 75Jahrfeier der 1848er Revolution, Heidelberg 1998, S. 15.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

einzustufen, dass die Republik eigentlich permanent am Abgrund eines Bürgerkriegs stand.16 Zudem stürzte der seit Januar 1923 tobende Ruhrkampf die Republik in ihre bisher schwerste innen- und außenpolitische Krise17 und ließ die Aussichten auf eine dauerhafte Stabilisierung des europäischen Mächtegleichgewichts in weite Ferne rücken.18 Vor diesem außen- und innenpolitischen Hintergrund erhielten die Goethewoche und die Paulskirchenfeier ihr spezifisch geschichtspolitisches Gewicht. Die hier propagierte Rückbesinnung auf kulturstaatlich-liberale Traditionen erschien als probates Mittel, um die Ausgrenzung sozialdemokratischer oder linksliberaler Normbestände während des Kaiserreichs endgültig zu beenden. Selbstbewusst feierte man 1923 die Weimarer Republik denn auch als Vollenderin der – letzten Endes – gescheiterten Revolution von 1848. Den Anhängern der Weimarer Koalition bot sich so die Gelegenheit, eine eigenständige Deutung der politischen Geschichte Deutschlands zu entwickeln und sich selbst als handlungsmächtigen Akteur zu entwerfen. Gemeinsam mit hochrangigen Vertretern des Reiches und Preußens reiste Reichspräsident Friedrich Ebert sowohl anlässlich der Goethewoche als auch anlässlich der Paulskirchenfeier nach Frankfurt, um die Relevanz dieser Feiern für die politische Spitze der Republik hervorzuheben.

2.1 Institutionelle Voraussetzungen der Goethewoche und der Paulskirchenfeier Frankfurts Status als preußische Stadt spielte hierbei eine wichtige Rolle; denn der einstige konservativ-militärische Obrigkeitsstaat avancierte während der langjährigen Regierungszeit des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun (1872–1955) und seines ebenfalls der Sozialdemokratie angehörenden Innenministers Carl Severing (1875–1952) zu einem Zentrum demokratisch-parlamentarischer Politik.19 Hier herrschten – im Gegensatz zu den heiklen Mehrheiten im Reichstag – stabile Mehrheitsverhältnisse: Die 16 17

18 19

Ebd., S. 16. Frankreich hatte Ende 1922 die Verzögerung deutscher Reparationslieferungen zu einem Einzug ins Ruhrgebiet genutzt – „offiziell, um sich als ,produktiver Pfänder‘ zu versichern; insgeheim, um doch noch die Abspaltung des Rheinlandes und der Ruhr vom Reich durchzusetzen“. Siehe Peukert: Die Weimarer Republik, S. 69. In Deutschland rief dies entrüsteten Widerstand und erbitterten Protest hervor, der die innenpolitischen und gesellschaftlichen Grabenkämpfe eine Zeit lang überdeckte. Zum Hergang der Ereignisse um den Ruhrkampf vgl. ausführlich etwa Schulze: Weimar, S. 248ff. Vgl. hierzu exemplarisch Peukert: Die Weimarer Republik, S. 71. Schulze: Weimar, S. 225. Diese Ansicht vertritt neben Hagen Schulze auch Heinrich August Winkler, der die preußische Regierung unter Otto Braun und Carl Severing ebenfalls als „vielgerühmte[s] ,Bollwerk‘ der deutschen Demokratie“ bezeichnet. Siehe Winkler: Weimar 1918–1933, S. 130.

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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Parteien der Weimarer Koalition waren hier − von 1921 bis 1925 gemeinsam mit der DVP − fast ohne Unterbrechung bis zum Juli 1932 an der Regierung, als Preußen auf Anordnung von Papens gewaltsam mediatisiert wurde.20 Im Zuge dieser politischen Neuausrichtung wuchs auch die Bedeutung Frankfurts und seiner liberal-demokratischen Traditionen. Unterstützt von der preußischen Staatsregierung begannen die kommunalpolitischen Eliten, die Stadt als Stütze der Weimarer Republik zu profilieren. Freilich fügte sich Frankfurt zunächst nicht ganz leicht in diese neue Rolle, hatte die Stadt doch erheblich unter den Nachwirkungen des Krieges und der Inflation zu leiden. Äußerlich durch den Krieg zwar kaum zerstört – die alte Stadtsilhouette sollte bis zu den Bombenhageln des Zweiten Weltkrieges fast unangetastet erhalten bleiben – schien das alte Frankfurt, die stolze und wohlhabende Bürgerstadt der wilhelminischen Ära, untergegangen zu sein: „Das Geld war nichts mehr wert. [...] Frankfurt, die Stadt der Millionäre, die gern sechsspännig gefahren war, Stadt der Banken, des Bürgerstolzes, lag grau im [...] Novemberlicht. In ungezählten Familien war der Himmel eingestürzt.“21

Viele Zeitgenossen nahmen die Unterschiede gegenüber der Vorkriegsära schmerzhaft wahr. Kaum je zuvor, so die vielfach geäußerte Ansicht, hatte sich „das deutsche Volk im Laufe der neueren Geschichte in einem derartigen Zustand innerer Erregung“ befunden wie in der ersten Nachkriegszeit.22 Die Jahre des Kaiserreiches erschienen vielen zeitgenössischen Beobachtern nun als eine wohlgeordnete und spannungsfreie Welt der Sicherheit und des allgegenwärtigen Fortschrittsoptimismus. Die Folgen des Weltkrieges waren auch in ihren Auswirkungen auf die politische Festkultur der 1920er Jahre spürbar, die die allseits wahrnehmbare kulturelle Verunsicherung der bürgerlichen Gesellschaft aufnahm und artikulierte: Bereits 1899 hatte Frankfurt eine Goethewoche ausgerichtet, die sich allerdings von den Festlichkeiten des Jahres 1922 ganz erheblich unterschieden hatte, waren die damaligen Feierlichkeiten doch in eine Phase großstädtischen Stolzes und saturierten urbanen Wohlstandes eingebettet gewesen, wie die Presse 1922 in der melancholischen Rückschau auf jene Tage festhielt: „Frankfurts Mauern haben nie ein erhebenderes Fest gesehen als die Goethewoche des Jahres 1899. Um den akademischen Festakt des Hochstifts gruppierten sich Theatervorstellungen, Konzerte, Vorträge und Kommerse. Am 28. August prangten die Straßen in reichem Flaggen- und Girlandenschmuck, und am Abend waren das Goethedenkmal und der Goetheplatz in ein Meer von Licht getaucht, und durch die illuminierte Stadt bewegte sich, einer endlosen, glitzernden Schlange gleich, ein Zug von mehr als zwanzigtausend Fackeln. Alle Stände, alle Klassen Frankfurts hatten sich in schöner Eintracht zusammengefunden, dem großen Sohne der Stadt zu huldigen.“23 20 21 22 23

Schulze: Weimar, S. 225. Madlen Lorei/Richard Kirn: Frankfurt und die goldenen zwanziger Jahre [1966], Frankfurt a. M 1981, S. 11. Drüner: Im Schatten des Weltkrieges, S. 372. Frankfurter Zeitung, 23. Februar 1922, Abendblatt.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Ganz anders nahm der Berichterstatter der Frankfurter Zeitung demgegenüber die Goethe-Feierlichkeiten des Jahres 1922 wahr, die sich seiner Beschreibung zufolge nur allzu wenig von dem unbeschwerten Glanz der Vorkriegsjahre hatten bewahren können: „Wieder stehen wir in einer Goethewoche. Aber kein rauschender Festjubel ertönt, in den winterlichen Straßen geht das Getriebe des Tages seinen Gang und die Feier spielt sich nur in den Sälen und Theatern ab. Denn diese Goethewoche ist aus der Not der Zeit geboren.“24

Der Ton einer gewissen Ernüchterung und Desillusionierung ist in dieser Passage unverkennbar und weist nicht nur auf die ökonomische Notlage, sondern auch auf die tiefe kulturelle und politische Identitätskrise hin, mit der sich vor allem die Angehörigen der bürgerlichen Schichten konfrontiert sahen. Die Festlichkeiten des Jahres 1922 fanden dementsprechend in einem vergleichsweise kleinen und exklusiven Rahmen statt. Akademische Feiern und abendliche Theatervorstellungen standen im Mittelpunkt dieser Goethewoche und erreichten somit nur einen relativ kleinen Adressatenkreis, der vornehmlich auf das gebildete und zumindest teilweise noch vermögende städtische Bürgertum sowie auf die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Stadt beschränkt blieb und damit gerade nicht jene gesamtgesellschaftlich integrative Wirkung entfalten konnte, die sich viele Zeitgenossen erhofft haben mochten. Als Folie (bildungs-)bürgerlichen Selbstverständnisses richtete sich die Goethewoche in erster Linie an jene Schicht, die durch den Verlust ihrer gesellschaftlichen Position sowie durch das Infragestellen ihrer Werte am empfindlichsten getroffen worden war und nach Orientierung verlangte. Den politischen Eliten der Stadt und Preußens kam in diesem Prozess der kulturellen Standortbestimmung eine Schlüsselrolle zu. Engagiert schalteten sie sich in jene Deutungskämpfe ein, die um die Ausformung einer republikanischen politischen Kultur rangen. Hoffnungsfroh bewertete die Frankfurter Zeitung die Goethewoche denn auch „als ein Bekenntnis zum Optimismus, der hinter der Nacht den hellen Morgen ahnt“.25 Anders als die Goethewoche war die nur ein Jahr später stattfindende Paulskirchenfeier dezidiert als „Volksfeier“ angelegt.26 Mit dieser Maßnahme trugen die verantwortlichen Planer dem Umstand Rechnung, dass die Goethefeier mit ihrer exklusiven Hinwendung zu einem bildungsbürgerlichakademischen Adressatenkreis gerade kein schichtenübergreifendes Identifikationsangebot für möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Lager Frankfurts unterbreitet hatte. Nun allerdings sorgte die Frage, ob die Stadt Frankfurt oder die Reichsregierung als offizieller Träger und Organisa-

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Ebd. Frankfurter Zeitung, 28. Februar 1922, Zweites Morgenblatt, Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75jährige Feier des Zusammentritts des ersten deutschen Parlaments. Einladungen, Absagen etc., Bd. I, Ordner 3: Absagen, Meldungen von Nachkommen der 48er etc., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154.

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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tor der Paulskirchenfeier auftreten sollte, von Anfang an für Kontroversen.27 In Berlin fürchtete man, dass der „Gedanke einer großen Feier“ „nicht bei allen Mitgliedern der Reichsregierung“ eine „widerstandslose Aufnahme“ finden würde.28 Der damalige Ministerialdirektor des Reichsinnenministeriums, Arnold Brecht, betonte, „daß wir eine Koalitionsregierung haben, deren Mitglieder nicht alle an 1848 in dem Sinne anknüpfen, den gerade die Feier zum Ausdruck bringen soll“.29 Diese Aussage verdeutlicht die politische Sprengkraft, die bereits im Vorfeld von der Frankfurter Feier ausging, da sich ein Teil der bürgerlichen Regierungsparteien – Brecht dachte hier gewiss vor allem an die Abgeordneten der DVP – mit den Inhalten der Paulskirchenfeier augenscheinlich nicht oder nur partiell identifizieren konnte. Demgegenüber wollten die politischen Spitzen Frankfurts keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um „den republikanischen Gedanken zu fördern“.30 Die Reichsregierung schlug deshalb vor, die Stadt Frankfurt bei der Feier in den Vordergrund treten zu lassen; versicherte aber, dass die Anwesenheit der Reichsvertreter – insbesondere des Reichspräsidenten – auf jeden Fall „sichergestellt werden“ würde.31 Demgegenüber vertrat Ludwig Landmann, der der Planungs-Kommission angehörte32 , die Ansicht, dass die Paulskirchenfeier notwendigerweise „vom Reiche zu veranstalten“ sei.33 Gerade nämlich, „wenn die Feier nicht nur eine 27

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Anhand des vorhandenen Aktenmaterials lässt sich nicht zweifelsfrei erschließen, ob die Idee zur Veranstaltung der Paulskirchenfeier von Berlin oder von Frankfurt ausging, obgleich der damalige Ministerialdirektor des Reichsinnenministeriums, Arnold Brecht, darauf hinwies, dass der Plan zur Paulskirchenfeier zuerst von der Berliner Reichsregierung geäußert worden war. Hierauf macht Dieter Rebentisch in seiner Untersuchung der Paulskirchenfeier aufmerksam. Siehe ders.: Friedrich Ebert, S. 17. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75jährige Feier des Zusammentritts des ersten deutschen Parlaments. Einladungen, Absagen etc., Bd. I, Ordner 3: Absagen, Meldungen von Nachkommen der 48er etc., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Ebd. Siehe den Brief des Frankfurter Stadtrats Prof. Dr. Ziehen an den Magistrat der Stadt Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1922, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75 jähr. Feier des Zusammentritts des I. deutschen Parlaments (18. Mai 1848), 1922f., Bd. II., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75jährige Feier des Zusammentritts des ersten deutschen Parlaments. Einladungen, Absagen etc., Bd. II, Ordner 3: Absagen, Meldungen von Nachkommen der 48er etc., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Im Vorfeld der Feierlichkeiten war ein organisatorischer Hauptausschuss ins Leben gerufen worden, dem neben den Spitzen der städtischen Gremien circa 20 Vertreter lokaler und regionaler Behörden und Organisationen sowie rund fünfzig angesehene Frankfurter Privatleute – unter ihnen etwa Heinrich Simon, der Herausgeber der Frankfurter Zeitung, die Bankiers Max von Goldschmidt-Rothschild und Moritz von Metzler oder der Industrielle Leo Gans, Gründer der Casella-Werke – angehörten. Weiterhin war eine kleinere Planungs-Kommission gegründet worden, der neben Oberbürgermeister Voigt und Bürgermeister Gräf unter anderem auch die Stadträte Landmann und Ziehen angehörten. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75jährige Feier des Zusam-

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Erinnerungsfeier sein“, sondern „Gelegenheit zu einem politischen Ferment für die Zukunft bieten“ solle, so Landmann, müsse sie „vom Reiche getragen sein“.34 Landmann forderte die Reichsregierung auf, die Revolution von 1848 gerade in ihrer nationalen politischen Dimension ernst zu nehmen; denn nur so könne sie auch zu einem Impuls gebenden nationalen symbol- und geschichtspolitischen Schlüsselereignis der Gegenwart werden. Letzten Endes einigte man sich auf eine Kompromissformel: In einem offiziellen Schreiben des Magistrats vom 28. April 1923 war nun davon die Rede, dass „die Stadt Frankfurt a.M. im Einvernehmen mit der Reichsregierung eine Gedenkfeier“ veranstalte, um die „Erinnerung an die 75. Wiederkehr des Tages der Eröffnung der ersten deutschen National-Versammlung in der Paulskirche“ feierlich zu begehen.35 Gleichzeitig wies man darauf hin, dass der Reichspräsident sowie Vertreter der Reichsregierung „ihre Beteiligung an dieser Feier zugesagt“ hätten.36 Nachdem die Frage der politischen Verantwortlichkeit geklärt worden war, bewilligte die Reichsleitung zur Ausrichtung der Jubiläumsfeier einen Betrag von insgesamt fünf Millionen Mark37 – eine allerdings eher geringe Summe im Wert von umgerechnet nur rund siebzig Dollar, die die Stadt Frankfurt zwang, den finanziellen Löwenanteil der Feier zu schultern.38 Die Mitglieder des Organisations-Komitees unterstützten die Pläne des Reichskunstwarts Edwin Redslob, der die Paulskirchenfeier zu einem öffentlichkeitswirksamen Ereignis machen wollte.39 Unter dem Titel „Der Tag

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mentritts des ersten deutschen Parlaments. Einladungen, Absagen etc., Bd. I, Ordner 3: Absagen, Meldungen von Nachkommen der 48er etc., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Ebd. Ebd. Ebd. Siehe das Schreiben von Reichsinnenminister Rudolf Oeser vom 13. April 1923, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75 jähr. Feier des Zusammentritts des I. deutschen Parlaments (18. Mai 1848), 1922f., Bd. II, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Vgl. hierzu Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 20. Insgesamt nämlich beliefen sich die Kosten für die Maifeierlichkeiten auf circa 26,6 Millionen Mark. An Einnahmen hatte die Stadt einschließlich des bereits geleisteten Zuschusses von Seiten des Reichs über 5 Millionen Mark lediglich 8,3 Millionen Mark erzielen können, so dass die Stadt Frankfurt am Ende Ausgaben in Höhe von rund 18 Millionen Mark zu schultern hatte. Siehe diese Angaben in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75 jähr. Feier des Zusammentritts des I. deutschen Parlaments (18. Mai 1848). 1922f., Bd. II, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Der Kunst- und Kulturhistoriker Edwin Redslob (1884–1973) war seit 1920 als so bezeichneter ,Reichskunstwart‘ tätig. Seine Tätigkeit bestand vor allem darin, zwischen Kultur und Politik zu vermitteln und den Aufbau der Weimarer Demokratie öffentlichkeitswirksam voranzutreiben. Der in Weimar geborene Redslob prägte der Weimarer Kulturpolitik über mehr als zehn Jahre seinen Stempel auf: Neben den Goethefesten der Jahre 1922 und 1932 oder der Paulskirchenfeier 1923, die er konzeptionell mitbetreute, konnte er vor allem mit den jährlichen Verfassungsfeiern die Erfindung einer genuin republikanischen Festtradition für sich reklamieren. Außerdem richtete er die Totenfeiern für Walther Rathenau, Friedrich Ebert und Gustav Stresemann aus. 1930 schrieb er ein so genanntes Befreiungsfestspiel, das im gleichen Jahr in Wiesbaden im Rahmen der

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des ersten deutschen Parlamentes“ wurde die Gedächtnisfeier von der Firma Kirby-Kugler als Film aufgezeichnet und in Berlin und Frankfurt am 8. Juni 1923 von der UFA vorgeführt – ein deutliches Zeichen dafür, dass man mit der Paulskirchenfeier ein möglichst großes Publikum erreichen wollte und sich daher gezielt die neuen Medien der Zeit zunutze machte, um eine massenwirksame Verbreitung der Feierlichkeiten zu gewährleisten.40 Mit Festvorstellungen im Frankfurter Opernhaus erreichten beide Feiern ihren zeremoniellen Höhepunkt. Hier bot man dem Publikum im Verlauf der Goethewoche (27. Februar bis 5. März 1922) Goethes Egmont, Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride sowie Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Zauberflöte dar.41 Sowohl der Kunstgattung Oper als auch dem Opernhaus als repräsentativem Veranstaltungsort wurde so ein herausragender Stellenwert eingeräumt. Hervorzuheben ist vor allem, dass es den Veranstaltern der Goethewoche gelungen war, mit Reichsinnenminister Adolf Köster (SPD), Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, dem expressionistischen Dichter und Pazifisten Fritz von Unruh sowie dem der Konservativen Revolution nahestehenden Schriftsteller Rudolf G. Binding bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zu gewinnen, die jeder der vier Festaufführungen eine einführende programmatische Ansprache an das versammelte Publikum vorausschickten und den kulturellen und politischen Status der Festwoche explizit betonten. Im Verlauf der Goethewoche stand die Oper aber nicht nur als opulenter Fest- und politischer Bekenntnisraum im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Opern und Singspiele wie die Zauberflöte unterstrichen vielmehr die Wirkung der Ansprachen und verwandelten die Festabende in eindringliche Er-

40

41

Feiern zum Abzug der Alliierten aus dem Rheinland aufgeführt wurde (vgl. hierzu Kapitel III.8 (Vom ,Totentanz am Rhein‘ zu einem neuen ,Platz an der Sonne‘?). Redslob verstand sich dabei vor allem als Förderer der Kunst der Moderne und der Avantgarde: Er bekannte sich zum Expressionismus, gehörte dem Kreis um Harry Graf Kessler an und war mit Henry van de Velde befreundet. 1933 wurde Redslob von den Nationalsozialisten aus seinem Amt entfernt. Nach 1945 gehörte er zu den Mitbegründern des Berliner Tagesspiegels und war Initiator der Freien Universität Berlin (1948). Hier lehrte er von 1948 bis 1954 Kunst- und Kulturgeschichte und war 1949/50 als Rektor tätig. Vgl. zu Person und Wirken vor allem Christian Welzbacher: Edwin Redslob. Biographie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009. Siehe zur Goethewoche des Jahres 1932 den Artikel von Christian Welzbacher: „Keine Konzessionen an den schlechten Geschmack“. Wie sich die Kulturnation inszeniert: „Goethe lebt. . . !“. Ein wiederentdeckter staatlicher Jubiläumsfilm aus dem Goethe-Gedenkjahr 1932, in: Süddeutsche Zeitung, 28. August 2007. Siehe in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, 75 jähr. Feier des Zusammentritts des I. deutschen Parlaments (18. Mai 1848). 1922f., Bd. II, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 154. Lediglich die letzte Festvorstellung der Goethewoche, eine Aufführung von Goethes Torquato Tasso am 3. März, fand im Schauspielhaus statt. Vgl. zur Relevanz der Oper als städtischem Festort während der Goethewoche auch Kleiner: „Staatsmännisch im höchsten und schönsten Sinn“.

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lebnisse, die die symbolpolitische Zugkraft und Kohärenz der Goethewoche sicherstellten. Die appellierenden Festreden waren demnach auf die affizierende Wirkmacht der Musik angewiesen, um ihre eigentliche Überzeugungskraft entfalten zu können. Dies soll anhand einer Festvorstellung von Ludwig van Beethovens Oper Fidelio im Mai 1923 dargestellt werden, die den feierlichen Abschluss der Paulskirchenfeier bildete. Die Aufführung wie auch die sich anschließende Kundgebung auf dem Frankfurter Opernplatz wurden von Seiten der Organisatoren wie auch der Presse als besondere Höhepunkte dieses Festtages eingestuft.42 Beide Anlässe waren somit in doppelter Weise kodiert: Zunächst sollten sie dazu beitragen, bürgerlich-städtische Identität herzustellen und zu verfestigen; denn als Institution stellte das Opernhaus weiterhin ein Forum bürgerlicher Geselligkeit dar und förderte so den sozialen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Über das gesellschaftliche Ritual des Opernbesuchs ließ sich nach wie vor festlegen, was als bürgerliche Hochkultur anzusehen war. Das Musiktheater bezeichnete also einen Speicher Identität stiftender Traditionsbestände und gewährleistete dadurch die kollektive Selbstwahrnehmung und -auslegung des Frankfurter Bürgertums. Darüber hinaus freilich markierte die Oper einen Ort, an dem sich – so zumindest war es die Hoffnung der anwesenden politischen Eliten – die dezidiert politische Neuausrichtung der Weimarer Republik vollziehen sollte. Im Urteil der städtischen Presse konstituierte sich in der Oper ein republikanisches Zeremoniell, das die bürgerlichen Eliten mit den politischen Instanzen und Repräsentanten der Republik von Weimar versöhnen sollte.43 Diese Initiierung einer neuen gesellschaftspolitischen Ordnung wurde unter anderem dem Bereich des Ästhetischen überantwortet: Indem man sich bei der Gestaltung der Goethewoche und der Paulskirchenfeier an einem Werkkanon ausrichtete, der im Wesentlichen den Komponisten der Wiener Klassik verpflichtet war, wollte man den politischen Neubeginn auch ästhetisch hervorbringen und sich von der politischen und ästhetischen Kultur des 19. Jahrhunderts abgrenzen: Komponisten wie Beethoven oder Mozart wurden mit den Dichtern der Weimarer Klassik auf eine Stufe gehoben und zu Wegbereitern eines toleranten, den Idealen der Aufklärung verpflichteten Weltbürgertums erklärt. Emphatisch lehnte man sich an eine Idee des Klassischen, Überzeitlich-Gültigen – und damit Erhabenheit suggerierenden – an, um die Festkultur der Republik mit der benötigten Gravität und Legitimität ausstatten zu können.

42 43

Vgl. hierzu die Kapitel III.2.2 (Auf der Suche nach ,unseres Ursprungs Einheit‘). Vgl. hierzu Kapitel III.2.4 (Die Schaffung eines ,republikanischen Zeremoniells‘).

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2.2 Auf der Suche nach „unseres Ursprungs Einheit“44 : Die Goethewoche und das ,neue Deutschland‘ Der Plan, anlässlich des 90. Todestages des Dichters eine Goethewoche abzuhalten, ging zurück auf die Initiative der ,Freunde des Goethe-Museums‘, der neben anderen der Frankfurter Oberbürgermeister und DDP-Politiker Georg Voigt, der Rektor der Universität, Geheimrat Neisser, und der Frankfurter Polizei-Präsident und Sozialdemokrat Fritz Ehrler angehörten. In einem öffentlichen Aufruf appellierten die Initiatoren an die Bürgerschaft, das vom Verfall bedrohte „Nationalheiligtum“ zu bewahren45 und auf diese Weise „zu zeigen, daß die Goethe-Stadt [. . . ] der deutschen Meister größten ehrt und die Stätte, da er geboren wurde, nicht dem Verfall preisgibt“.46 Die Veranstaltung sollte sich allerdings nicht nur darauf beschränken, die für die Erhaltung des Goethehauses notwendige Summe einzuwerben. Vielmehr rückten Presse und Organisatoren sie von Anfang an in einen nationalen Bezugsrahmen: Die Festlichkeiten sollten „allen Kulturnationen“ ein treffendes „Bild der deutschen Geisteshaltung im Dezenium 1920/30“ vermitteln47 , wobei Goethe zu einer unentbehrlichen nationalkulturellen Identifikationsfigur erklärt wurde. Die intellektuellen und politischen Deutungseliten der Weimarer Republik waren darauf angewiesen, sich auf konsensfähige symbolpolitische Sinnbestände beziehen und mit deren Hilfe ein ,neues Deutschland‘ entwerfen zu können. Mit Vorliebe berief man sich dabei auf die Tradition der Weimarer Klassik, sah sich zugleich aber vor die Aufgabe gestellt, die Goethe-Verehrung der Bismarck- und Gründerjahre, die vor allem durch die „Mythisierung und Teutonisierung“ der Goethezeit und durch die „Koalition des Geistes von Weimar mit dem von Potsdam“ gekennzeichnet gewesen war, inhaltlich neu auszudeuten und sie den „universale[n] und emanzipatorische[n] Vorstellungen“ anzupassen, die die Republik von Weimar für sich reklamierte.48 Die liberale Frankfurter Presse nahm das Dichtersymbol Goethe denn auch als eine über den Parteien und Konfessionen stehende Quelle nationaler Einheit und kollektiver Identität in Anspruch: „In sonntäglichen Stunden“, so führte beispielsweise die Frankfurter Zeitung aus, „suchen wir nach Inseln, auf die wir aus Wirtschaftskampf, politischem Hader, Parteigezänk flüchten 44 45 46 47 48

Frankfurter Zeitung, 26. Februar 1922, Erstes Morgenblatt. Willi Emrich: Reichspräsident Friedrich Ebert und die Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1954, S. 11. Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Freies Deutsches Hochstift, Bd. IV: 1912–1927, Blatt 66, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 1779. Emrich: Reichspräsident Friedrich Ebert und die Stadt Frankfurt am Main, S. 11. Zur wechselvollen und komplexen Rezeptionsgeschichte des Erinnerungsortes Weimar siehe vor allem Georg Bollenbeck: Weimar, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte I, München 2001, S. 207–224, hier S. 218f.

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können. Wir wandern die stillen Pfade der Vergangenheit zurück, zu den Ahnen, in denen wir, zersprengte Nachkommen, unseres Ursprungs Einheit wiederfinden möchten“.49 Indem die Zeitung Goethe außerdem zu „eine[r] Art Gottesfriede“ stilisierte, lud sie den Bereich der Kunst sakral auf und berief sich auf die harmonisierend-befriedende Wirkung dieser Kunstreligion.50 Im Topos der religiösen Überhöhung der eigenen Nationalkultur wurden zugleich die Bedürfnisse einer in hohem Maß dezentrierten und orientierungslos gewordenen bürgerliche Mitte greifbar, die ihre Koordinaten kulturellen, politischen und sozialen Sinns neu bestimmen musste. Entlang des programmatischen Deutungsmusters von ,Bildung‘ und ,Kultur‘ ließen sich neue normative Leitbilder des Nationalen entwerfen: Exemplarisch verkörperte Goethe für die Frankfurter Zeitung demnach jenes ,bessere‘ Deutschland der Aufklärung und der Weimarer Klassik, das weltoffene Toleranz „urhaft“ mit dem „Allernächsten“ – „Heimat, Volk, Sprache“ – zu verbinden vermochte und Deutschland erneut seine Aufnahme in den Kreis der europäischen Staatenwelt sichern sollte.51 Damit knüpfte die Presse programmatisch an die Rede Friedrich Eberts bei der Eröffnung der verfassunggebenden Nationalversammlung vom 6. Februar 1919 an, in der Ebert ebenfalls den Zusammenbruch der „alten Grundlagen der deutschen Machtstellung“ konstatiert und die Umkehr vom „Imperialismus zum Idealismus“, von der „Weltmacht zur geistigen Größe“ gefordert hatte.52 Explizit hatte der Reichspräsident bei dieser Gelegenheit auf den „Geist der großen Philosophen und Dichter“ verwiesen, der ihm zur Bewältigung der „großen Gesellschaftsprobleme“ der Gegenwart unverzichtbar erschien.53 Indem die Goethewoche die 1919 von Ebert eingeforderte politische Neuorientierung ausdrücklich unterstützte, wiederholte und bekräftigte sie den Gründungsakt der Republik. Dies ließ sich als Zeichen der wachsenden Bedeutung Frankfurts deuten, denn als Geburtsort Goethes war die Stadt überzeugt, auch etwas von der Strahlkraft und „Einheit der Kulturnation“ zu verkörpern, durch die Weimar sich auszeichnete.54 Angesichts der Kriegsniederlage und der anhaltenden Debatten um den vermeintlichen Diktatfrieden von Versailles hatte die Frage nach der Au49 50 51 52

53 54

Frankfurter Zeitung, 26. Februar 1922, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Siehe die hier zitierten Auszüge aus dieser Rede in: Georg Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne. 1880–1945, Frankfurt a.M. 1999, S. 194. Ebd., S. 194. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 195. Bereits 1919 hatte sich Frankfurt als Sitz der Nationalversammlung beworben, hatte aber nicht zuletzt aufgrund der „unmittelbaren Randlage an der französisch besetzten Zone keine Chancen.“ Ebert hatte sich aufgrund der symbolischen Bedeutung des ,Geistes von Weimar‘ für diese Stadt entschieden, um der jungen Republik auch die Unterstützung des Auslandes zu sichern. Siehe hierzu Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 21f.

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ßendarstellung Deutschlands im internationalen Kontext eine neuartige Brisanz erfahren. Goethe wurde nun vielfach als Garant eines toleranten Weltbürgertums und als Inkarnation eines geläutert-idealen Deutschtums herangezogen, das nichts mehr mit „den schlechten Manieren eines Weltreisenden ohne Kinderstube zu tun“ habe, wie die Frankfurter Zeitung mit einem Seitenhieb auf das kaiserzeitliche Deutschland bemerkte.55 Das traditionell kosmopolitisch ausgerichtete Frankfurt stand politisch nicht in der Tradition eines militant-chauvinistischen Nationalismus und bot sich damit als Symbolort eines umfassenden politischen Neubeginns an. Ausdrücklich berief sich die Frankfurter Zeitung denn auch auf den ,Europäer‘ Goethe, dessen „imperatorische Stellung im europäischen Geistesleben“ sie gerade auf seinen „Universalismus“ zurückführte.56 Damit verband die Zeitung eine neue Wertschätzung für die „Welt- und Menschheitsideen des 18. Jahrhunderts“.57 Die „Aufgeklärtheit aller freien Geister jener Zeit“, die auch Goethe ausgezeichnet und in einen „lebendigen Zusammenhang mit Dichtern anderer Länder, anderer Sprache“ gestellt habe, sollte nun zum Maßstab eines neuen, „edle[n] Patriotismus“ werden, der sich explizit vom „polternde[n] Chauvinismus“ der Vorkriegsjahre abheben wollte.58 Mit der Neuausrichtung an Goethe verband sich zugleich die Hoffnung auf die Restituierung einer „deutsche[n] Weltgeltung“.59 Nationalbewusstsein und kosmopolitisches Weltbürgertum stellten demnach für die Frankfurter Zeitung keine Gegensätze dar. Im Gegenteil fungierte der Rückbezug auf Goethe und die Weimarer Klassik als Unterpfand einer zeitweise zwar verloren gegangenen, aber dennoch erneuerbaren deutschen Weltgeltung. Viele deutsche Intellektuelle des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sahen in dieser Denkfigur ein probates Instrument der „Selbstdefinition qua Konfrontation mit der Außenwelt oder dem ,Anderen‘“.60 Dieses ,Andere‘ manifestierte sich in erster Linie in den bürgerlichparlamentarischen ,Zivilisationen‘ des ,Westens‘, vor allem Frankreichs, so dass die Idee eines deutschen Weltbürgertums einerseits zwar einen „Modus der ,Wertschätzung‘ anderer Nationalkulturen“ bezeichnete, zugleich aber die besondere Stellung der deutschen ,Kultur‘ implizierte.61 Exemplarisch greifbar wird diese Argumentationsfigur in Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen aus dem Jahr 1918, denen die dichotome Gegenüberstellung von deutscher Kultur und westlicher Zivilisation als Leitunterscheidung 55 56 57 58 59 60

61

Frankfurter Zeitung, 26. Februar 1922, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Zum Verhältnis von ,Weltbürgertum‘ und ,Nationalismus‘ siehe: Michael P. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1928, München 2000, S. 89ff., hier S. 92. Ebd.

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diente. Mann entwarf sein Konzept einer ,deutschen Kultur‘ mit dem stereotypen Instrumentarium einer defensiven Rhetorik der Eigentlichkeit und stellte unter anderem Bürgerlichkeit, Innerlichkeit, Moral und Kunst als ihre Haupteigenschaften heraus. Dieser ,Kultur‘ wurde die westliche ,Zivilisation‘ gegenübergestellt, die in abwertender Weise vor allem als die Sphäre der Politik und des opportunistischen Kalküls charakterisiert wurde. Manns Deutung deutscher Kultur war zudem an die Vorstellung eines nationalen Weltbürgertums gekoppelt, als dessen besonderes Kennzeichen er die „Verbindung deutscher Bürgerlichkeit“ mit einer als universal charakterisierten humanistischen Bildung sah.62 Obwohl Thomas Mann sich nach dem Krieg zum ausgesprochenen ,Vernunftrepublikaner‘ wandelte und zu einem entschiedenen Fürsprecher der Republik werden sollte, fanden sich Spuren der ideologisch geprägten Denkfigur des ,nationalistischen Weltbürgertums‘ noch in seinen Ansprachen zur Goethewoche 1922.63 Sicher kann es daher kaum als Zufall angesehen werden, dass Mann bei diesem Festakt als einer der Hauptredner auftrat und – wie die Ausführungen der Frankfurter Zeitung belegen – gerade mit seiner ambivalenten Haltung gegenüber der Republik von Weimar auch weiten Teilen des Frankfurter Bürgertums aus dem Herzen sprach. Auch Reichspräsident Ebert sah in Goethe ein eindrückliches Symbol dessen, „was wir selbst unter deutschem Wesen verstehen und was die Welt darunter verstehen sollte“.64 Im Rahmen einer Festansprache in den Räumen der Frankfurter Gesellschaft für Handel, Industrie und Wissenschaft erklärte er den Dichterfürsten zum „Fundament“, auf dem das ,neue Deutschland‘ „seine Gegenwart und Zukunft sicher errichten“ könne.65 Mit diesem Verweis auf Goethe formulierte Ebert zugleich ein politisches Programm, das die Zeit der deutschen Klassik als zentrale Referenzepoche in Anspruch nahm und wenig mit dem „leergelaufenen Klassikerkult der wilhelminischen Ära“ zu tun haben wollte66 : Goethe sollte einerseits für die anzustrebende Wiederaufnahme Deutschlands in den Kreis der internationalen Staatenwelt bürgen. Andererseits benötige der Reichspräsident den Rückbezug auf Goethe als „über die Klassen- und politischen Lagergrenzen hinausgrei62 63

64 65 66

Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen [1918], 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2004, S. 133. Auf den zutiefst ambivalenten Tonfall, der Thomas Manns Schriften und Reden auch nach der Wende zum ,Vernunftrepublikaner‘ durchzog, hat auch Wolf Lepenies hingewiesen: „Thomas Manns Schriften in der Zeit der Weimarer Republik ähneln einem Palimpsest: Selbst in den entschiedensten, emotional aufgeladenen Reden zur Verteidigung der Republik dringt die Skepsis des unpolitischen Betrachters durch, der in der Demokratie eine den Deutschen fremde Staatsform gesehen hatte“. Siehe Wolf Lepenies: Kultur und Politik. Deutsche Geschichten, München/Wien 2006, S. 87. Vgl. außerdem Kapitel III.2.5 (,Festoper Goethes‘). Frankfurter Zeitung, 27. Februar 1922, Morgenblatt. Ebd. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 196.

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fende[s] Kommunikationsmedium“.67 Von diesem erhoffte sich Ebert eine gesamtgesellschaftlich integrative Wirkmacht, die die Wirren des politischen Neubeginns auffangen sollte. Fast schien es, als ob Ebert die Goethewoche zu einem ,zweiten Gründungsakt‘ der Weimarer Republik erheben wollte, denn in seiner Ansprache hob er ausdrücklich hervor, dass „von den Frankfurter Tagen ein neuer Impuls für das geistige und politische Deutschland ausgehen und Goethe zum zweitenmal von Frankfurt aus seinen Weg in das deutsche Volk gehen“ solle.68 Ebert sprach Frankfurt dabei die Rolle eines geographischen, politischen und kulturellen Zentrums zu: Die Stadt beschrieb er als weltoffene Metropole, „deren Horizont weit über Deutschland“ hinausreiche, und deren Aufgabe darin liege, „Herkunft, Vergangenheit und Heimatliches“ zwar „treu“ zu bewahren, diesen „festen Besitz“ zugleich aber so weiterzuentwickeln, daß er „mehr und mehr auch fremder Achtung und Bewunderung zugänglich“ werden könne.69 Die Goethestadt wurde hier gleichsam zum Symbol eines ,neuen‘, weltoffenen Deutschland – eine Geste, die das symbolpolitische Gewicht der Goethewoche nochmals unterstrich.

2.3 Geschichtspolitische Deutungskämpfe im Kontext der Paulskirchenfeier Mit dem Rückbezug auf die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 machte sich die Paulskirchenfeier ähnliche geschichts- und kulturpolitische Legitimationsstrategien zu Nutze. Im Besonderen rückte sie die historische Kontinuität zwischen 1848 und 1918 in den Mittelpunkt, um alternative politische und kulturelle Traditionsbestände aufrufen und die Weimarer Republik als Gegenentwurf des wilhelminischen Machtstaates etablieren zu können. Erneut waren mit Reichspräsident Ebert, dem preußischen Ministerpräsidenten Braun sowie dem preußischen Innenminister Severing die Spitzen der Reichs- und der preußischen Landesregierung nach Frankfurt gekommen, um die Bedeutung der Feier zu betonen. Zudem waren Abgesandte zahlreicher Landesvertretungen nach Frankfurt gereist, und auch von Seiten des Reichs- und des Preußischen Landtages waren – mit Ausnahme der Abgeordneten von Kommunisten und Deutschnationalen – sämtliche Fraktionen bei den Feierlichkeiten vertreten.70 Die Paulskirchenfeier begann mit einer Begrüßung des Reichspräsidenten und der übrigen Gäste im Kaisersaal des Frankfurter Römer. In seiner Begrüßungsansprache bezeichnete der Frankfurter Oberbürgermeister Voigt das 67 68 69 70

Dörner/Vogt: Literatursoziologie, S. 110. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 18. Mai 1923, Abendblatt.

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Paulskirchenparlament als „Fundament“, auf dem sich die Idee eines „deutschen Volksstaates“ erstmals habe entfalten können.71 Den Weimarer Staat erhob er dabei zum Vollender der 1848er Revolution, denn erst die Weimarer Verfassung habe mit der „Idee der Freiheit“ den „anderen großen Leitgedanken jener Zeit“ in die Tat umgesetzt und damit eine historische Pflicht eingelöst.72 Mit dieser Aussage unterstrich Voigt das geschichtspolitische Gewicht der Gedächtnisfeier; denn angesichts der angespannten innen- und außenpolitischen Lage schien es geboten, diejenigen Kontinuitätslinien zu betonen, die die parlamentarische Demokratie Weimars explizit in einen positiven Traditionszusammenhang stellten. Emphatisch verglich Voigt daher die Republik mit einem „gen Himmel“ strebenden Baum, der seine „breite Krone“ getrost entfalten könne, da er nicht „auf schwankendem Grund“ „lose hingestellt“ sei, sondern „mit seinen Wurzeln“ „tief “ hineingreife in das „Reich der Väter“, um von dort „seine Säfte“ zu saugen, „die ihn mit frischem Grün bekleiden“ sollten.73 Das freiheitlich-nationale Erbe von 1848 könne – so mahnte Voigt an – „die in ihm schlummernde Kraft“ allerdings nur dann entfalten, wenn es „alle Glieder unseres Volkes“ mit „kräftigem Schlag durchpuls[e]“ und „zu einem einzigen großen in sich festgeschlossenen Körper“ füge.74 Die von Voigt gewählten Metaphern des Baumes, dessen Wurzeln tief in die Erde reichen, oder des intakten (Volks-)Körpers situierten die Festrede des Frankfurter Oberbürgermeisters in einem zeitgenössischen Diskurs, der Vorstellungen einer organisch-natürlichen und ursprünglich-symbiotischen (Volks-)Gemeinschaft propagierte und diese einer angeblich kühl-distanzierten und fragmentierten Gesellschaft entgegenstellte. Voigt schrieb damit die bereits 1886 von Ferdinand Tönnies getroffene Unterscheidung zwischen einem vermeintlich verlorenen Zustand gemeinschaftlicher Einheit einerseits und einer atomisierten, dem Kalkül individuellen Nutzens folgenden Gesellschaft andererseits fort und entwarf mit diesen sozialen Formationen ein binär-oppositionelles Ordnungsmodell. Wie Thomas Mann dies mit der wertenden Gegenüberstellung einer auf „Bindung“ angelegten Kultur und einer „Auflösung“ herbeiführenden Zivilisation beabsichtigt hatte75 , bekannte sich auch Voigt klar zu den „Wunschbildern der ,ungesonderten Einheit‘“76 , in denen „Staat und Volk“ endlich „in eines“ verschmelzen sollten.77 Im Unterschied zu Voigt betonte Reichspräsident Ebert in einer Ansprache, die er am Nachmittag des 18. Mai 1923 in der Paulskirche hielt, weniger die Notwendigkeit einer intakten organischen Volksgemeinschaft, sondern wies 71 72 73 74 75 76 77

Siehe die Rede Voigts in: Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 187. Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M. 1994, S. 76. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt.

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vielmehr auf die dezidiert politisch integrativen Leistungen des Paulskirchenparlamentes hin. Besonders würdigte er das Bemühen der Nationalversammlung um eine rechtsstaatliche Verfassung, eine Leistung, die für die weitere Entwicklung Deutschlands zu einem wegweisenden „Denkstein“ geworden sei und „weit und sichtbar“ in die „weitere Entwicklung des staatlichen Lebens der Nation“ hineinreiche.78 Die „Arbeit von Weimar“ band Ebert explizit an jene Leitgedanken zurück, die „einst an dieser Stätte geboren worden“ seien.79 Indem er die historische Kontinuität zwischen 1848 und 1923 betonte, wollte er der Weimarer Republik ein Legitimität generierendes Gründungsdatum, ja gleichsam eine Art staatstragenden ,Ursprungsmythos‘ verschaffen, der sie vom Makel befreien sollte, Ergebnis eines im Grunde unrechtmäßigen revolutionären Umsturzes zu sein: Über „gute und böse Tage hinüber“ – so Ebert – schlinge sich das „Band, das uns Deutsche von heute mit der ersten Nationalversammlung verbindet“, und das in der Trias „Einheit, Freiheit und Vaterland“ seinen sichtbarsten Ausdruck finde.80 Indem er der Weimarer Republik eine besondere historische Tiefendimension attestierte und sie zum Hüter der schichten- und parteienübergreifend positiv besetzten Werte Einheit, Freiheit und Vaterland erklärte, wollte Ebert sie als alternativlosen Zielpunkt in der politischen Geschichte Deutschlands verorten (Abb. 14). Im Anschluss an den akademischen Festakt in der Paulskirche fand auf dem Römerberg eine Feier statt, bei der Reichstagspräsident Paul Löbe „auf dem Balkon vor dem Kaisersaal, umringt von Trägern höchster Reichs- und Staatswürden, zwei mächtige Flaggen in den Reichsfarben“ als „Zeichen unseres Bekenntnisses zu Einheit, Freiheit und Vaterland“ hissen ließ.81 Nach Angaben der Frankfurter Zeitung versammelten sich rund 27 000 Menschen auf dem Römerberg, wobei die zahlreichen Vereine, Wandervögel und Turnvereine, Musikkapellen und Sängervereinigungen das „Bild einer Massenversammlung“ boten.82 Die Frankfurter Zeitung beschrieb den Festakt als „bunt und volkstümlich“, und das volksfestartige Spektakel wurde denn auch „alsbald von Photographen und Filmleuten festgehalten“ (Abb. 15).83 Diese affirmative Strategie republikanischer Traditionsstiftung konnte indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Paulskirchenfeier durchaus nicht überall auf ungeteilte Zustimmung stieß, sondern in einem Spannungsfeld politischer Extreme angesiedelt war. Wie zu erwarten war, äußerten Vertreter der Rechts- und Linksparteien die vehementeste Kritik. So kommentierte der Völkische Beobachter aus München polemisch, dass man „nicht leicht ein betrüblicheres Bild von demokratischer Unfähigkeit“ finden könne als das 78 79 80 81 82 83

Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 14: Titelseite des Illustrierten Blatts, 29. Mai 1923

Paulskirchenparlament, in dem einst die „hohlsten Köpfe“ ihre „professorale Dünkelhaftigkeit“ gepflegt hätten.84 Auch die Rote Fahne, das Zentralorgan der KPD in Berlin, äußerte sich abschätzig über die „Frankfurter Hanswurstiade“85 : Mit viel „offiziösem Tamtam“ versuche man zu kaschieren, dass die Herrschaft der Bourgeoisie nach wie vor Bestand habe.86 Die der DVP nahe stehenden Frankfurter Nachrichten verurteilten die Festlichkeiten gleichfalls mit scharfen Worten. Sie deutete die Frankfurter Revolutionsfeier als Akt linksdemokratischer Agitation: Angestrengt versuche man, das Jahr 1848 gleichsam als „Vorläufer dessen“ zu präsentieren, „was im Jahre 1918 und 1919 sich dann zutrug“.87 Nachträglich wolle man die Ereignisse der Jahre 1918/19 dadurch „in ein etwas helleres Licht“ rücken.88 Die republikanische Geschichtspolitik Eberts und Voigts sollte als zynische Propaganda entlarvt werden, da „der November 1918“ ein „einziges großes 84 85 86 87 88

Völkischer Beobachter, 20./21. Mai 1923, zitiert nach: Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 13. Die rote Fahne, 20. Mai 1923, zitiert nach: Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 13. Ebd. Frankfurter Nachrichten, 13. Mai 1923. Ebd.

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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Abbildung 15: Die Festteilnehmer verlassen die Paulskirche

Verbrechen“ darstelle, so dass alles, „was daraus erwuchs“, mit dem „Kainszeichen gebrandmarkt“ sei.89 Gegenwärtig herrsche denn auch – davon waren die Frankfurter Nachrichten überzeugt – allein „der international eingestellte Sozialismus“, der Deutschland in ein „pazifistisches Krüppelgebilde“ verwandelt habe.90 Gewichtige Teile des bürgerlichen Lagers lehnten damit die um Traditionsstiftung bemühte Geschichtspolitik der Paulskirchenfeier ab. Dies bezeugt, wie weit man 1923 von einer konsensuellen Geschichtspolitik tatsächlich entfernt war, und wie erbittert der Kampf um die Ausdeutung politischer Schlüsselbegriffe wie ,Revolution‘, ,Freiheit‘ oder ,Nation‘ geführt wurde. Trotz der Proteste aus den Reihen des Republikgegner bemühten sich die staatstragenden Kräfte Frankfurts und Preußens nach Kräften, einen demokratisch-republikanischen Master-narrative durchzusetzen: Indem man den Weimarer Staat zum eigentlichen Vollender der 1848er Bewegung erhob und damit zugleich die erfolgreiche institutionelle Bändigung der revolutionären Bestrebungen von 1918/19 reklamierte, präsentierte man die Weimarer Republik als legitimen und handlungsmächtigen politischen Akteur. Eine Reihe von Festaufführungen, die im Rahmen beider Anlässe im Frankfurter Opernhaus aufgeführt wurden, nahmen dieses programmatische Anliegen auf und 89 90

Ebd. Ebd.

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lassen sich gewissermaßen als performative Einlösungen des geforderten politischen Neubeginns deuten.

2.4 Die Schaffung eines „republikanischen Zeremoniells“91 : Friedrich Ebert im Frankfurter Opernhaus Am Abend des 27. Februar 1922 wurde das Frankfurter Opernhaus zum Schauplatz eines glanzvollen politischen Festaktes. So sah es zumindest die Frankfurter Zeitung, die am 28. Februar über die erste Festvorstellung von Goethes Egmont berichtete und auf die hier initiierte gelungene Symbiose von Politik und Kultur hinwies: Das Opernhaus – so hielt das Blatt mit Nachdruck fest – habe an diesem Tag die „Weihe als Kunststätte eines republikanischen Deutschlands empfangen“.92 In der ehemaligen Fürstenloge nahmen an diesem Abend neben Reichspräsident Ebert auch Reichs- und Landesminister, der Frankfurter Oberbürgermeister sowie einige bekannte Dichter Platz.93 Der Referent der Zeitung zeigte in seiner emphatischen Darstellung keine Scheu davor, „höfischer Schmeichler gescholten zu werden, wenn er sagt: Selten trug eine Loge im Theater gewichtigere geistige Fracht“.94 Um die ,republikanische Weihe‘ in angemessen festlicher Kulisse zu begehen, hatte man an diesem Abend den „hohe[n] Preis der Elektrizität“ gerne gezahlt und das Haus „geradezu verschwenderisch beleuchtet“.95 Wie in früheren Tagen waren die Spitzen der Frankfurter Gesellschaft im fast ausverkauften Opernhaus versammelt, wollten es sich „Frankfurts schöne Frauen und Frankfurts Männer der offiziellen, der gelehrten und der kommerziellen Welt“ sowie „viele bekannte titellose Bürger“ nicht nehmen lassen, an der Eröffnung der Goethewoche teilzunehmen.96 Dennoch – so beobachtete die Frankfurter Zeitung – unterschied sich der äußere Rahmen des Festakts signifikant von der prunkvollen Aufmachung kaiserzeitlicher Anlässe, zeige die Oper doch nicht länger „das festlich-helle Bild früherer Veranstaltungen“.97 Im Gegenteil seien „viele Damen“ schmucklos geblieben, „die allermeisten hatten dunkle Kleider angelegt“, was der Berichterstatter als einen „Zug von Takt“ begrüßte, da diese Geste besage: „Wir feiern keine Feste, wir erhalten das GoetheHaus!“98 91

Frankfurter Zeitung, 28. Februar 1922, Zweites Morgenblatt. Ebd. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Ebd. 92

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Obgleich dem Chronisten diese „stillschweigende Uebereinkunft zur Einfachheit“ „angenehm und zeitgemäß“ erschien, kritisierte er, dass es der Frankfurter Bürgerschaft und ihren politischen Repräsentanten bislang offenbar noch nicht gelungen sei, „für feierliche Gelegenheiten wie die heutige ein republikanisches Zeremoniell zu schaffen“.99 Dass sich das Publikum beim Eintreffen Eberts im Zuschauerraum des Opernhauses nämlich nicht von seinen Sitzen erhoben hatte, wertete die Zeitung als ein Zeichen mangelnden Respekts gegenüber dem Staatsoberhaupt, und so ermahnte sie ihre Leser recht unverblümt: „Herr Ebert aus Heidelberg ist zur Zeit der Träger unseres Staatsgedankens, die erwählte Spitze der Nation. Es stünde uns wohl an, ihn beim Betreten des Hauses durch Erheben von den Sitzen zu ehren. Ja, das müßte uns, wenn wir im Präsidenten die Republik grüßen wollen, eine Selbstverständlichkeit sein.“100

Beschwichtigend fügte der Berichterstatter hinzu: „Aber wir sind noch junge Republikaner und lernen noch.“101 Entgegen der einleitenden Behauptung des Blattes, dass das Gedenken an den „deutschen Seelenkünder“ Goethe die vordringlichste Aufgabe des Festaktes sei, stand der zu feiernde Dichter hier gerade nicht im Mittelpunkt.102 Vielmehr nutzte der Berichterstatter den Anlass, um das Fehlen eines republikanischen Zeremoniells zu beklagen, das die anerkennende Zustimmung zum Weimarer Verfassungsstaat sichtbar zum Ausdruck bringen sollte. Erhob sich das Publikum nämlich nicht von seinen Sitzen, um den Reichspräsidenten zu begrüßen, verletzte es die symbolische Ordnung des Festes. Das städtische Opernhaus wurde damit – überspitzt formuliert – Schauplatz einer ,Versuchsanordnung‘, in der symbolpolitisch relevante Handlungen und Gesten erprobt werden konnten. Die Festvorstellungen wurden offenbar auch als Möglichkeit begriffen, ein genuin demokratisches Amtscharisma zu schaffen; denn für den Erfolg des Weimarer Modells – so die Argumentation der Zeitung – reichte es augenscheinlich nicht aus, dass sich die politischen Amtsinhaber als demokratisch und legitim gewählte Volksvertreter präsentieren konnten. Erst indem sich das im Publikum verkörperte Staatsvolk und die durch Ebert repräsentierte Republik im Begrüßungszeremoniell der Festvorstellung wechselseitig anerkannten, konnte der von der Goethewoche angestrebte ,zweite Gründungsakt‘ der Weimarer Republik erfolgreich vollzogen werden. Das Opernhaus wurde von Seiten der Frankfurter Zeitung explizit als ein symbolpolitisches Laboratorium wahrgenommen, in dem gesellschaftspolitische Ordnungsmodelle zeremoniell hergestellt und eingeübt werden konnten: Publikum, Journalisten und Politiker versam-

99 100 101 102

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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melten sich hier, um eine genuin republikanische Etikette zu entwerfen und konstituierten sich damit als politische Einheit. Der Oper wurde somit der Vollzug symbolisch generierter Integrations- und Orientierungsleistungen überantwortet, erzeugte sie doch einen Rahmen, in den politisches Handeln eingebettet und dadurch mit Sinn ausgestattet werden konnte. Mit Philip Manow können demokratische Repräsentationsformen hier im wahrsten Sinne des Wortes als „politisches Theater“ beschrieben werden, in dem „das Publikum erst durch die Anschauung seiner Repräsentanten überhaupt zum Bewußtsein seiner selbst kommt“.103 Wie explizit die Goethewoche den Gründungsakt der Republik tatsächlich wiederholen und dadurch eine politische Zeitenwende initiieren wollte, wurde im weiteren Verlauf des Abends ersichtlich; denn anlässlich der Aufführung von Goethes Egmont hob der ebenfalls als Festredner geladene Reichsinnenminister Adolf Köster die unmittelbar politische Bedeutung der Goethewoche hervor: „Aus der Politik“ – so Köster – „sind wir zu Ihnen nach Frankfurt gekommen, [...] um in der Arbeit mit Ihnen eins zu sein in diesen Tagen. Als der Ruf laut wurde, das Goethe-Haus sei bedroht, eilten in rührender Sorgfalt Männer und Frauen herbei, um es zu retten. Möge in gleicher Weise das deutsche Volk sein Staatenhaus schützen, indem es das Ehrwürdige erhält und dem Neuen freie Bahn schafft. Wenn Frankfurt sein Goethe-Haus erhält, arbeitet es zugleich für den deutschen goetheschen Menschen der Zukunft.“104

Die Sorge um das Goethe-Haus wurde in der Rede des Ministers in eins gesetzt mit der Sorge um das parlamentarische ,Staatenhaus‘ und den ,goetheschen Menschen der Zukunft‘. In diesem – so Kösters Hoffnung – sollten sich „der politische und der künstlerische Mensch“ verbinden.105 Daher gelte es, „den Deutschen für den neuen Staatenbegriff reif zu machen“.106 Köster erkannte damit dem Bereich von Kunst und Kultur eine zutiefst politische und erzieherische Aufgabe zu; denn erst der durch die Kunst sensibilisierte ,Mensch der Zukunft‘ könne auch verantwortungsvoll den Schutz des demokratischen ,Staatenhauses‘ übernehmen. Köster nahm das Theater also nicht nur im Sinne Schillers als eine moralische, sondern als eine geradezu politische und pädagogische Anstalt wahr, deren erzieherischer Einfluss das Publikum für den hier propagierten „Staatenbegriff “ reif machen sollte.107 Auch die Frankfurter Zeitung als publizistisches Sprachrohr des linksliberalen Frankfurt betonte immer wieder das genuin Neue, das die Goethewoche von früheren Festanlässen unterschied: An sich – so das Blatt – sei es nichts Außergewöhnliches, dass „Enthüllungen von Denkmälern“ oder die Einwei103 104 105 106 107

Philip Manow: Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation, Frankfurt a.M. 2008, S. 70. Frankfurter Zeitung, 28. Februar 1922, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd.

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hung repräsentativer Gebäude „durch die Anwesenheit von Behörden und höchsten und allerhöchsten Herrschaften verschönt wurden“.108 Im Unterschied dazu aber bezeichne die Goethewoche insofern ein außerordentliches Ereignis, als sich hier etwas genuin Neues ereigne, „etwas, das wie ein Anfang war und eine Hoffnung hinterließ“.109 Die Frankfurter Zeitung wollte ein „solches Zusammenklingen von Staat, Geist und Menschlichkeit“ beobachtet haben, „daß die Feier [...] zu einem deutschen und – wenn man dieses Wort nicht in einem engen Parteisinn versteht – zu einem politischen Ereignis wurde“.110 Als nämlich, so die Beobachtung der Zeitung, „am Abend der ersten Festvorstellung die für die Ehrengäste reservierte Loge den Präsidenten der deutschen Republik, deutsche und preußische Minister mit vier angesehenen [...] deutschen Dichtern einte, nicht Herren auf der einen und nach höfischem Zeremoniell ,Befohlene‘ auf der anderen Seite, sondern in schöner, auf gegenseitiger Achtung beruhenden Gemeinschaft Verbundene“, habe der „Anblick dieser unter dem Zeichen Goethes stehenden“ und „ungezwungen“, doch „respektvoll“ und „menschlich untereinander verkehrenden Männer vom Staat und Männer vom Geist symbolische Bedeutung“ bekommen.111 Detailliert dokumentierte die Frankfurter Zeitung hier, wie eine im Wesentlichen auf Hierarchie und Distanz aufruhende höfische Etikette durch das Miteinander von ,Geist‘ und ,Macht‘ abgelöst wurde. Das gewandelte Festzeremoniell spiegelte das grundsätzlich Andersartige der republikanischen Festkultur allerdings nicht einfach nur wider, sondern es wirkte am Vollzug der hier beschworenen Zeitenwende gleichsam aktiv mit: Die Goethewoche schuf damit ein Forum, in dem sich der erhoffte Weimarer Kulturstaat unmittelbar formieren konnte. Inwiefern es freilich gelungen war, die Emphase dieses ,gelungenen Momentes‘ – nämlich des ästhetisch erwirkten politischen Neubeginns – in eine stets wiederholbare Partitur politischer Repräsentation zu überführen, sollte sich im Jahr darauf zeigen: Im Mai 1923 versammelten sich die Spitzen des Reiches, Preußens und Frankfurts erneut im städtischen Opernhaus, um den 75. Jahrestag des Paulskirchenparlamentes mit einer Aufführung von Beethovens Fidelio zu feiern: „Zum dritten Akt erschien Reichspräsident Ebert mit seiner Begleitung [...] und nahm in der großen Mittelloge Platz.“112 Das Frankfurter Festpublikum, das noch ein Jahr zuvor „nicht recht“ gewusst hatte, „ob es schicklich sei, das erwählte Oberhaupt Deutschlands laut zu begrüßen“, empfing „Herrn Ebert“ nun unbefangen „mit lautem Beifall und ehrte ihn durch Erheben von den Sitzen“.113 Aus dieser Geste zog die Frank108 109 110 111 112 113

Frankfurter Zeitung, 2. März 1922, Abendblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Ebd.

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furter Zeitung den Schluss, „daß es mit der Zeit eine Selbstverständlichkeit sein wird, den ersten Bürger der Republik zu bewillkommnen wie früher den Träger der Krone“.114 Hatte die Zeitung anlässlich der Goethewoche noch moniert, dass sich das Publikum nicht von den Sitzen erhoben hatte, um dem ,ersten Bürger der Republik‘ seine Achtung zu erweisen, so lobte sie nun, dass es seine an Ebert gerichtete Huldigungsgeste mit dem Bekenntnis zur Republik verband. Allerdings fällt erneut auf, wie detailreich die Zeitung die Empfangs-Szene im Opernhaus schilderte, wie angestrengt sie die dem Präsidenten dargebotene Ehrbezeugung als etwas im Grunde Selbstverständliches charakterisierte. Dieses insistierende – und darum gerade nicht selbstverständliche – Beharren legt nahe, dass es sich hier um durchaus prekäre Stabilisierungsmaßnahmen handelte, die die im Grunde labile Handlungsmacht der Republik offenlegten.115 Mit der Geste des kollektiven Applaudierens und Sich-Erhebens brachte das Publikum seine Zustimmung zur Republik zum Ausdruck, konstituierte sich darüber hinaus aber zugleich als machtvoller politischer Akteur. Hier wurde jene spezifische „Logik der Diplomatie“ sichtbar, die Helmuth Plessner in den 1924 publizierten Grenzen der Gemeinschaft als „das Spiel von [...] List und Überredung, Handeln und Verhandeln“ sowie als Ensemble der „Methoden und Künste der Machtvergrößerung“ beschrieben hat.116 Im Zeremoniell der Festvorstellung wurden machtrelevante Handlungsspielräume ausgelotet; denn im Umkehrschluss war auch das Publikum auf die symbolische Repräsentation durch die politischen Amtsträger und Institutionen angewiesen.117 Die Oper bot beiden Seiten Raum, sich wechselseitig die benötigte Anerkennung zu bekunden. Dies weist einerseits auf die Ordnungsleistungen symbolpolitischer Gesten und Verfahrensweisen hin, zeigt andererseits aber auch die sozusagen subkutan weiterhin schwelenden Legitimationsdefizite der Weimarer Republik, die ihre Autorität entlang der „Grenzen des täglichen Lebens“118 beständig erneuern und absichern musste. Dies war sicher einer der Gründe, weswegen die öffentlichen Inszenierungen der Republik auch jene symbolisch aufgeladenen Orte und Traditionsbestände zu besetzen suchten, auf die sich die Monarchie gestützt hatte, so dass deren „Erinnerungsspuren“ in den Ritualen und Festen der parlamentarischen Demokratie nachlebten.119 Nicht umsonst hob die Frankfurter Zeitung, die sonst nicht müde wurde, das grundsätzlich Neue und Andersartige der Weimarer Republik zu betonen, im Kontext der Pauls114 115 116 117 118 119

Ebd. Vgl. hierzu konzeptionell Göhler: Der Zusammenhang von Institution, Macht und Repräsentation, S. 44. Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus [1924], Frankfurt a.M. 2001, S. 99. Ebd., S. 45. Ebd., S. 100. Manow: Im Schatten des Königs, S. 56.

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kirchenfeier mit einem Mal die Kontinuität zur politischen Festkultur des Kaiserreiches hervor. Mithilfe etablierter, Kohärenz stiftender Symbole und Rituale sollten die strukturellen Defizite der Weimarer Ordnung aufgefangen und bearbeitet werden – ein Anliegen, das im Folgenden ausführlicher dargestellt werden soll.

2.5 Die ,Festoper Goethes‘120 : Thomas Mann und Die Zauberflöte im Kontext der Goethewoche Anlässlich der zweiten Festvorstellung während der Goethewoche (1. März 1922) wandte sich Thomas Mann, der bereits im Rahmen einer akademischen Feier in der Universität einen Festvortrag über Goethe und Tolstoi gehalten hatte, mit einer „Vorrede“ an die im Opernhaus versammelte Festgesellschaft.121 An diesem Abend wurde Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Zauberflöte dargeboten, zu der Mann allerdings vergleichsweise wenig sagte, da er sich in seiner Ansprache auf Goethes Ideal der Menschlichkeit konzentrierte. In ihrer Berichterstattung der Rede allerdings hob die Frankfurter Zeitung hervor, dass Mann die besondere Verbundenheit von Mozart und Goethe herausgestrichen und die Zauberflöte dementsprechend sogar als „Festoper Goethes“ klassifiziert habe.122 Mann hingegen gab sich nicht damit zufrieden, eine ideelle Einheit zwischen der Zauberflöte und Goethes Konzept der „Menschlichkeit“ zu konstatieren.123 Vielmehr nutzte Thomas Mann seine Vorrede, um ein politisches Bekenntnis abzulegen, dessen zentrale Passagen er in musikalische Metaphern kleidete. So knapp also seine Verweise auf die Zauberflöte tatsächlich ausfallen sein mochten, die Musik spielte in Manns Ansprache dennoch eine herausragende Rolle. Sie stellte dem Redner nämlich ein Metaphernfeld zur Verfügung, mit dessen Hilfe politische Zusammenhänge prägnant ausformuliert und verdichtet werden konnten. Mann war es vornehmlich um die Formulierung eines politischen Programms zu tun: Bereitwillig gab er sich als Anhänger des „konservative[n] Lager[s]“ zu erkennen und warb für einen Staatsbegriff, der der „Idee des Organischen“ verpflichtet war.124 Das „Politische“ müsse deshalb auch ausdrücklich von der „Bildungsidee“ durchdrungen sein.125 Unter Bezugnahme auf den großen „Erzieher“ Goethe interpretierte Mann Bildung

120 121 122 123 124 125

Frankfurter Zeitung, 2. März 1922, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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dabei als universales Konzept, das neben dem Politischen vor allem das „Erzieherische“ sowie das „Autobiographisch-Bekennerische“ umfassen solle.126 In Goethes als „kühn“ und neuartig charakterisiertem Konzept der Menschlichkeit erblickte Mann daher die Weiterentwicklung jener „Humanität des 18. Jahrhunderts“, die bereits in Mozarts Zauberflöte angelegt sei und sich für Mann am eindrücklichsten im „Geist des Sarastro“ verkörperte.127 Dem hier evozierten Bild freundschaftlich-egalitären Miteinanders stellte Mann den „weisen“, „zugleich strengen und heiteren Traum von Erziehung und Jugendbildung“ Goethes gegenüber, in dem zwar „noch viel“ vom Geist des 18. Jahrhunderts enthalten sei, der aber dennoch – so die Meinung Manns – eine andere Form der „Menschlichkeit, der Menschenwürde, der Gesittung“ repräsentiere.128 Goethes Ideal der Bildung und Menschlichkeit beruhe in erster Linie auf der „Unterordnung des Ich unter eine edle, schätzenswerte Gemeinschaft“, auf einem ausgeprägten Sinn für „Ehrfurcht, Ueberlieferung, Symbol, Geheimnis, für Disziplin, Rhythmus“, vor allem aber auf „eine[r] reigenartige[n], fast choreographische[n] Gebundenheit in der Freiheit“.129 Aufgrund dieser besonderen Qualitäten beschrieb Mann Goethes Konzept der Menschlichkeit als „staatsmännisch im höchsten und schönsten Sinn“.130 Zwar hielt er es für „gewiß nicht weniger revolutionär“ als die „anarchischen Erziehungsideen der Rousseauiten“ – zu denen er Tolstoi zählte –, vor allem aber sah er hier die Gewähr eines geläuterten „Kosmopolitismus“, dessen „humane Absichtslosigkeit“ noch immer als „national deutsch“ erkennbar bleibe (Abb. 16).131 Ohne dabei näher auf die semantischen Gehalte der Zauberflöte und die bevorstehende Inszenierung einzugehen, verwendete Mann für sein politisches Credo musikalische Metaphern. Musik – so lässt sich etwa sein Hinweis auf die reigenartig choreographierte „Gebundenheit in der Freiheit“132 interpretieren – stellte für Mann ein Form gebendes Ordnungsmodell bereit, das in paradigmatischer Weise als ein Modus organischer Entwicklung, Veränderung und Harmonisierung wirksam werden konnte. Thomas Mann entwarf somit unter Rückgriff auf eine genuin musikalische Begrifflichkeit ein gesellschaftspolitisches Ideal, das sich das Austarieren von Freiheit und Gebundenheit zum Ziel setzte und damit in einem zeitgenössischen politischen Diskurs situiert war, der nach 1918 um eine Neubestimmung des Politischen rang. Damit agierte und argumentierte Mann, der der „durchpolitisierte[n] Gesellschaft“ der demokratischen „Zivilisationsliteraten“ in seinen Betrach-

126 127 128 129 130 131 132

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Abbildung 16: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte (Feuer- und Wasserprobe, 1921)

tungen eines Unpolitischen noch so feindlich gegenübergestanden war, selbst in sichtbarer Weise innerhalb eines politischen Kontextes und gestaltete diesen durch sein Auftreten in der Frankfurter Oper aktiv mit.133 Mann präsentierte sich hierbei allerdings nicht nur als Lehrmeister und Erzieher134 ; seine Festansprache im Frankfurter Opernhaus zeigte ihn zugleich in der Nachfolge des Bekenners Goethe, den Mann einleitend ausdrücklich nicht nur als „leidenschaftliche[n] Pädagog[en]“ und „Erzieher“, sondern gerade auch als „Bekenner“ charakterisiert hatte.135 In dieser Weise tritt zu Tage, dass die Frankfurter Oper während der Goethewoche 1922 auch einen symbolischen Raum der Selbstauslegung und Selbstthematisierung bezeichnete, der Möglichkeiten und Techniken des individuellen öffentlichen Bekenntnisses, ja der politischen Konversion einschloss beziehungsweise bereit stellte. Vor dem anwesenden Festpublikum gab sich Mann hier als Befürworter der republikanischen Festtradition zu erkennen, so dass die Oper zugleich ein 133 134

135

Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 313. In seiner kurzen Darstellung dieser Rede betont Donald Prater vor allem Manns Selbstverständnis als Lehrer und Erzieher der Nation. Vgl. Donald Prater: Thomas Mann. A life, Oxford 1995, S. 136f. Frankfurter Zeitung, 2. März 1922, Zweites Morgenblatt.

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institutionelles Arrangement konstituierte, in dem persönliches Bekenntnis und politischer Appell miteinander gekoppelt werden konnten.136

2.6 Der Zauber des ,erfüllten Augenblicks‘: Fidelio als Festoper der Paulskirchenfeier Bereits ein Jahr später wurde das Frankfurter Opernpublikum Zeuge eines ähnlich freimütigen Bekenntnisses zum Weimarer Staat. Der „Erinnerungstag“ an den Zusammentritt des Frankfurter Paulskirchenparlamentes fand seinen Höhepunkt in einem „imposanten Fackelzug“, der durch die Hauptstraßen der Stadt zum Opernhaus führte.137 Eine „zahllose Menschenmenge“ versammelte sich auf dem Opernplatz, um die Ansprachen zu hören, die Reichspräsident Ebert, Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) und Franz Dinghofer, der Präsidenten des österreichischen Nationalrats, im Anschluss an eine Festvorstellung von Ludwig van Beethovens Oper Fidelio vom Balkon des Opernhauses an die versammelte Zuhörerschaft richteten.138 Der herbeigeströmten Menge forderten die Redner dabei das „Gelöbnis“ ab, den „demokratischen Volksstaat“ zu bewahren und zu stärken und „alle Arbeit dem Vaterlande und seiner Zukunft“ zu widmen.139 Löbe bezeichnete diese Kundgebung gar „als eine der größten, die er seit Jahrzehnten in Deutschland erlebt hatte“.140 Die Intention der Paulskirchenfeier, einen tragfähigen und populären ,Mythos des Staates‘ zu entwerfen und die Weimarer Republik zur Vollenderin der Anliegen von 1848 zu erheben, ließ sich im Licht der Festaufführung von Fidelio noch einmal wirkungsvoll aufnehmen. Die 1805 uraufgeführte Oper thematisierte eine Reihe von Problemlagen – besonders prominent etwa die Frage nach der Beschaffenheit ,guter Herrschaft‘ –, die auch das zeitgenössische Publikum der 1920er Jahre umtrieben. Zugleich entwarf die Oper in ihrem Schlusstableau die Vision einer harmonischen Gesellschaftsordnung, in der sich ein alle Stände umfassendes Volk nicht länger dem Willen eines tyrannischen Machthabers unterwirft, sondern ein selbstbestimmt-harmonisches Miteinander pflegt.141 Fidelio sprengte dabei den Rahmen einer ausschließlich dem Gedankengut der Französischen Revolution verpflichteten Zeitoper, um 136

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Zur Bedeutung und Form öffentlicher Selbstthematisierung vgl. auch Gunter Burkart (Hrsg. unter Mitarbeit von Marlene Heidel): Die Ausweitung der Bekenntniskultur – neue Formen der Selbstthematisierung?, Heidelberg 2006. Offenbacher Zeitung, 19. Mai 1923. Ebd. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Offenbacher Zeitung, 19. Mai 1923. Siehe in: Jost Hermand: Beethoven. Werk und Wirkung, Köln 2003, S. 102.

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einen „,erfüllten Augenblick‘ menschlicher Verwirklichung“ zu beschwören, der als Vorgriff auf eine künftige ,bessere Welt‘ verstanden werden konnte.142 Die Frankfurter Paulskirchenfeier nahm dieses Moment des ,erfüllten Augenblicks‘ bezugreich auf und passte ihn in ihr geschichtspolitisches Programm ein: Die Weimarer Republik wurde im Verlauf des Festtages ostentativ an den bereits 1848 spürbaren „Geist der Einigkeit, der Freiheit und des Rechts“ zurückgebunden und erschien so als Einlösung beziehungsweise Verwirklichung einer im Geschichtsprozess angelegten Utopie demokratischer Selbstermächtigung.143 Dadurch sollte die Republik vom Makel eines aus der Niederlage geborenen Staatswesens befreit und mit dem Nimbus staatstragenden Glanzes ausgestattet werden. Oper und politisches Fest bezogen sich in einem emphatischem Sinn auf die Vorstellung eines ,erfüllten Augenblicks‘, der Vergangenes sinnhaft ausdeuten und damit auch für die Zukunft Orientierung und Halt, ja gleichsam Erlösung bereithalten konnte. Friedrich Ebert etwa erhob die Paulskirchenfeier ausdrücklich zum richtungweisenden „Leitstern“, der „uns einer besseren Zukunft entgegenführen“ könne144 , und auch Reichstagspräsident Löbe konstatierte, dass „aus Kriegen voll roten Blutes, aus dunkler schwarzer Vergangenheit“ nun leuchtend „das goldene Licht der Zukunft“ aufscheinen und in den „Farben strahlen“ solle, die „vor 75 Jahren die besten Männer unseres Volkes geschmückt“ hätten.145 Hier wurde das Politische mit Wunschbildern ausgestattet, die ihm eine quasi utopisch-eschatologische Dimension zuwiesen. Auch Beethovens Oper entwarf das Politische als einen offenen und gestaltbaren Raum, der mit geradezu heilsgeschichtlichen Hoffnungen aufgeladen wurde und eine positive Utopie des Staates schuf. Im Finale der Oper wird mit der Begnadigung der Häftlinge und der Wiedervereinigung des liebenden Paares Leonore und Florestan die Macht des guten, gerechten Staatswesens demonstriert, dessen Intervention eine natürlich-harmonische Ordnung der politisch-sozialen Beziehungen wieder herstellt. In besonders einprägsamer Weise kreist auch Ernst Blochs (1885–1977) berühmt gewordene Fidelio-Interpretation aus Das Prinzip Hoffnung um die Vision des großen Augenblicks, den „Stern der erfüllten Hoffnung im Hier und Jetzt“: „Der große Augenblick ist da [...]. Leonore nimmt Florestan die Ketten ab: ,O Gott, welch ein Augenblick‘ – genau auf diese, durch Beethoven in Metaphysik gehobenen Worte entsteht ein Gesang, der, ohnehin das Verweilen selbst, würdig wäre, niemals ein Ende seiner Ankunft zu nehmen. [...] Wie nirgends sonst wird aber Musik hier Morgenrot, kriegerischreligiöses, dessen Tag so hörbar wird, als wäre er schon mehr als bloße Hoffnung. [...] So steht Musik insgesamt an den Grenzen der Menschheit, aber an jenen, wo die Menschheit, mit neuer Sprache und der Ruf-Aura um getroffene Intensität, erlangte Wir-Welt, sich erst 142 143 144 145

Ebd., S. 101. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. So Ebert in der Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. Ebd.

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bildet. Und gerade die Ordnung im musikalischen Ausdruck meint ein Haus, ja einen Kristall, aber aus künftiger Freiheit, einen Stern, aber als neue Erde.“146

Aus der Musik des Fidelio glaubte Bloch den Anruf einer neuen Sprache, einer kommenden Verheißung herauszuhören. Der Oper bescheinigte er demgemäß ein besonderes „utopische[s] Präsens“, das diesen Neubeginn erahnen lasse und die Oper zum konkreten Hoffnungszeichen erhebe.147 Das Musiktheater formierte auf diesem Weg einen die Gegenwart überschreitenden Möglichkeitsraum, der die Vision einer gelingenden Zukunft umschloss. Mit ihrem Pathos des Neubeginns und der Errettung befeuerte Beethovens Oper im Kontext der Paulskirchenfeier den Prozess einer republikanischen Traditionsstiftung: Unverkennbar lassen sich so etwa Parallelen zwischen der Bühnenfigur des Ministers und dem politischen Amtsträger Friedrich Ebert benennen. In seiner Interpretation des Fidelio etwa hat Hans Mayer die Figur des Ministers als überpersönliches Subjekt, als „Angelus Novus der Geschichte“ gedeutet und ihn als Verkörperung des Neuen, als einen, „der seinen Brüdern das Prinzip Hoffnung verkündet“, interpretiert.148 Wie der Minister der Opernhandlung als quasi überpersönlicher Anwalt einer gerechten Herrschafts- und Gesellschaftsordnung auftritt, bemühte sich auch Ebert, als Person hinter dem Amtscharisma des Reichspräsidenten in den Hintergrund zu treten. Seine Repräsentationspraxis zielte im Grund darauf ab, eine nicht-personale „Sphäre der Institutionalität“ zu erzeugen und anonyme Ideen und Prozesse – etwa die Idee der Republik, des Staates oder der Nation – zu vergegenwärtigen.149 Ob und inwieweit er sich bei seinen Ansprachen in der Paulskirche und auf dem Balkon des Frankfurter Opernhauses tatsächlich am Freiheitspathos des Fidelio orientierte, muss Spekulation bleiben. Dennoch lassen sich einige frappierende inhaltliche und rhetorische Ähnlichkeiten zwischen Eberts Festreden und den Appellen von Beethovens Don Fernando feststellen: Mit Nachdruck erinnerte Ebert seine Zuhörerschaft immer wieder an die revolutionäre Verve, mit der sich „das deutsche Volk“ 1848 und 1918/19 dazu aufgerafft habe, „sein Geschick und sein Leben in die eigene Hand zu nehmen“ und für die Einlösung eines sozialen und politischen Ideals zu kämpfen.150 Don Fernando wiederum beschwört die befreiten Gefangenen im Finale der Oper in ganz ähnlicher

146 147 148 149

150

Bloch: Marseillaise und Augenblick in Fidelio, S. 1296f. Hervorh. im Original. Ebd. Hans Mayer: Beethoven und das Prinzip Hoffnung, in: ders.: Versuche über die Oper, Frankfurt a.M. 1981, S. 71–89, hier S. 88. Vgl. hierzu konzeptionell Albrecht Koschorke: Vom Geist der Gesetze, Diskussionsbeitrag im Rahmen des Forschungskolloquiums des Konstanzer SFB 485 „Norm und Symbol“ am 15. Juni 2005, Nr. 63, Konstanz 2005, S. 16. Ebd.

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Weise: „Nicht länger knieet sklavisch nieder, / Tyrannenstrenge sei mir fern/ Es sucht der Bruder seine Brüder, / und kann er helfen, hilft er gern.“151 Prägnante Grundmotive des Fidelio – etwa die Spannung zwischen einer Utopie des „stets Erhoffte[n]“ auf der einen und dem im Geschichtsprozess immer nur momenthaft aufscheinenden Einbruch des Neuen auf der anderen Seite152 , aber auch der Kampf von Gewalt und Güte, Tyrannei und Freiheit – durchzogen offenbar auch die Erfahrungswelt der 1920er Jahre. Das Trompetensignal des Fidelio nahm auch bei den Maifeiern 1923 den Stellenwert eines konkreten Hoffnungszeichens ein, indem es der im dicht besetzten Frankfurter Opernhaus versammelten Festgesellschaft jenen von Ebert bei seiner Rede in der Paulskirche so emphatisch beschworenen Geist der äußeren und inneren Freiheit erneut in Erinnerung rief, der das Land in „der großen Volksbewegung“ von 1848 erfasst und es bewogen habe, sich dem „Widerstand der deutschen Fürsten“ beherzt entgegenzustellen.153 Die besondere Nähe zwischen Oper und politischem Fest trat in einem Fackelzug zum Frankfurter Opernhaus, der im Anschluss an die FidelioAufführung stattfand, noch einmal ostentativ zu Tage; denn in zahlreichen Presseberichten finden sich Anspielungen auf das Freiheits- und Gemeinschaftspathos der Oper, ihre Beschwörung des erfüllten Augenblicks „namenlose[r] Freude“.154 Das Finale des Fidelio, das mit einer Apotheose von Einheit und Freiheit endet, präsentiert dem Publikum auf der Bühne ein Volks- und Revolutionsfest. Den Appellen des Ministers antwortet der Chor der Befreiten im letzten Aufzug der Oper mit dem Ruf „Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde“, und gemeinsam mit Florestan jubeln die aus der Gefangenschaft befreiten Häftlinge ihrer Retterin Leonore zu, die für sie „zum Werkzeug des Prinzips Hoffnung“ geworden ist.155 Die Frankfurter Paulskirchenfeier trug gleichfalls deutliche Züge eines republikanischen Volksfestes: „Nach Beendigung der Oper begab sich der Reichspräsident mit den geladenen Gästen auf den Balkon des Opernhauses, um den Fackelzug anzusehen. Vor dem Opernhause war ein weites Viereck abgesperrt. Dahinter stand eine ungeheure Menschenmenge. Gesichter, klein wie Stecknadelköpfe, blickten der Oper zu. Alle Straßen, die zu dem Platze führten, waren dick bestopft, desgleichen alle Fenster und Balkone – ein überwältigendes Bild. Langsam nahten sich mit Musik die ersten Fackelträger und machten Halt. Dann [...] quollen die goldenen Lichter hurtig über die Goethe-Straße heran, eine schier endlose Zeile zitternder Flämmchen, die schließlich den mächtigen Platz ganz erfüllten. Jugend, Jugend und wieder Jugend! Auch viele Mädchen darunter, ganze Züge mit den Musikinstrumenten der 151 152 153 154

155

Kurt Pahlen (Hrsg.): Ludwig van Beethoven, Fidelio. Textbuch aus dem Französischen des J.N. Bouilly von Joseph Sonnleitner und Friedrich Treitschke, München 1978, S. 87. Mayer: Beethoven und das Prinzip Hoffnung, S. 82. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Erstes Morgenblatt. Ernst Bloch: Zu ,Fidelio‘ [1927], in: Attila Csampai/Dietmar Holland (Hrsg.): Ludwig van Beethoven, Fidelio. Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek 1981, S. 208–210, hier S. 210. Mayer: Beethoven und das Prinzip Hoffnung, S. 85ff.

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Wandervögel, sodaß an munteren Konzerten kein Mangel war. [...] Die Schupo hatte einige Mühe, die andringenden Menschenmassen in ihrem Gebiet zu halten und die Fackelträger ordentlich zu sammeln.“156

In Analogie zur Opernhandlung beschrieb die Frankfurter Zeitung das Geschehen auf dem Frankfurter Opernplatz als Emanation eines republikanischen Massenspektakels: Hatten sich auf dem Römerberg bereits rund 27 000 Zuschauer eingefunden, so nahmen an dem abendlichen Fackelzug circa 70 000 Menschen teil.157 Immer wieder beschrieb die Presse den Fackelzug und die Festlichkeiten auf dem Opernhausplatz als eine „Huldigung der Republik“.158 Die Jubiläumsfeier beeindruckte allerdings nicht nur die anwesenden Journalisten. Auch Reichspräsident Ebert zeigte sich nach den Worten seines Parteifreundes Konrad Haenisch (1876–1925), der zu dieser Zeit als preußischer Regierungspräsident in Wiesbaden tätig war, von den Festlichkeiten so ergriffen, dass er sie im Rückblick als Höhepunkt seines gesamten politischen Wirkens bezeichnete.159 Haenisch selbst beschrieb die Paulskirchenfeier als „vielleicht erste ,republikanische Massenveranstaltung‘“ der Weimarer Jahre, so dass die symbolpolitische Eigenleistung der Paulskirchenfeier hier deutlich zum Ausdruck kam.160 Nicht von ungefähr schien das reale Geschehen auf dem Frankfurter Opernplatz das triumphale Ende des Fidelio-Finales zu imitieren; denn wie Beethovens Musik – den Worten Ernst Blochs zufolge – eine gemeinsame „Wir-Welt“ konstituierte und das Versprechen einer „neue[n] Erde“ in sich barg161 , so „stürmisch“ bejubelte die auf dem Frankfurter Opernplatz versammelte Menge die Ansprachen Eberts und seiner nachfolgenden Redner und legte das „Gelöbnis“ ab, den „demokratischen Volksstaat“ auch zukünftig „zu bewahren und zu stärken“.162 Abermals umschrieb die Oper einen Bekenntnisraum, in dem der ,erfüllte Augenblick‘ (Ernst Bloch) in seiner schillernden Flüchtigkeit immer neu aufscheinen konnte. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Beethovens Fidelio in den Folgejahren immer mehr zur Chiffre einer republikanisch-demokratischen und nationalen Festkultur wurde, wie die wiederholte Wahl des Werkes auch bei späteren, symbolpolitisch relevanten Feierlichkeiten bezeugen kann.163 Beethovens einzige Oper galt den Zeitgenossen als exemplarische Rettungs- oder Freiheitsoper und wurde mit ihrem ,menschheitsumschlingenden‘ Pathos oftmals in die Nähe der Neunten Sinfonie gerückt. Indem die Oper klang- und bildgewaltig von der Befreiung des Menschen aus dem 156 157 158 159 160 161 162 163

Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Vgl. diese Zahlen bei Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 137. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Ebd. Zitiert nach Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 137. Bloch: Marseillaise und Augenblick in Fidelio, S. 1297. Frankfurter Zeitung, 19. Mai 1923, Zweites Morgenblatt. Siehe Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘).

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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„Weltkerker“ erzählte und eine „Legende der erfüllten Hoffnung“ darbot164 , stellte sie bezugreiche Deutungsmuster zur Verfügung, die universal genug waren, um auf vielfältige Kontexte übertragen zu werden und sich im Sinne einer symbolpolitischen Meistererzählung interpretieren ließen, bei der Utopie, Politik und Kunst eine besondere Synthese eingingen.165

2.7 Beethoven als „Leitstern“ im Kampf um die „beglückende Freiheit“166 : Das Komponistensymbol in der Lesart Paul Bekkers Ein überzeugendes Beispiel einer solchen Lesart des Werkes stellen die Arbeiten Paul Bekkers dar, die zugleich eine unmittelbare Nahtstelle zwischen dem Bereich der Politik und dem Musiktheater bildeten. Bekker, der lange Jahre als Musikkritiker der Frankfurter Zeitung tätig gewesen war, ehe er in den 1920er Jahren als Intendant an den Staatstheatern in Kassel und Wiesbaden arbeitete, fungierte hierbei als Bindeglied zwischen dem administrativ-institutionellen Bereich und dem kunstästhetischen und symbolpolitischen Diskurs.167 Zugleich stand er exemplarisch für eine Kunstauffassung, die dem Bereich des Ästhetischen eine symbolpolitisch zentrale Aufgabe zuwies, sollte die Kunst seiner Meinung zufolge doch nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung Europas den Aufbau einer neuen politischen und gesellschaftlichen Welt mitgestalten. Seit Ende des Ersten Weltkrieges hatte sich Bekker mit einer Reihe von musiksoziologischen und -wissenschaftlichen Publikationen einen Namen gemacht; er veröffentlichte nicht nur drei breit angelegte Monographien über Richard Wagner, Gustav Mahler und Ludwig van Beethoven, sondern auch eine Reihe von musiksoziologischen Analysen, in denen er sich mit der Rolle der Musik in der Gesellschaft auseinandersetzte. Der Grundgedanke von Bekkers „soziologische[r] Ästhetik“168 strebte hierbei nichts weniger an als eine Neuformierung und „Demokratisierung des Kunstlebens“ und damit auch des gesellschaftlichen und politischen Zuschnitts, die für Bekker notwendigerweise Hand in Hand gehen mussten.169 Bekker plädierte vehe164 165 166 167

168 169

Bloch: Marseillaise und Augenblick in Fidelio, S. 1296. Siehe in Hermand: Beethoven, S. 92. Paul Bekker: Beethoven als Kulturmacht. Eine Studie, in: Die Musik 9, H. 1 (1909/10), S. 3–15, hier S. 8f. Zu Paul Bekkers Tätigkeit als Intendant der Staatsbühne Wiesbaden vgl. ausführlicher Kapitel III.7 (Vom ,Lieblingstheater‘ des Kaisers zum ,Volks‘- und ,Kulturtheater‘ der Republik). Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 11. Paul Bekker: Theaterkultur, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. II: Klang und Eros, Stuttgart/Berlin 1922, S. 176–192, hier S. 183.

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ment für eine „neue soziale Gemeinsamkeit“ auf der Basis eines gewandelten Gesellschaftsbegriffes, der von der Vision einer alle parteipolitischen Gräben überwölbenden organischen Kulturgemeinschaft ausging: „Unser Gesellschaftsbegriff weitet sich von der Vorstellung eines nur auserwählte Kreise umfassenden, in sich geschlossenen Gemeinwesens zu einer alle Schichten vereinigenden, aus dem Bewußtwerden der gemeinsamen Arbeit erwachsenden sozialen Gesamtheit.“170

Im Theater erblickte Bekker jene öffentliche Arena, in der die Forderung nach einer alle „Individualismen“ überwindenden „nationale[n] Kulturgemeinschaft“ erprobt und verwirklicht werden konnte; denn die musikalische Form galt Bekker als geeignetes Medium, das gesellschaftlichen Wandel organisch gestalten konnte.171 Wie kaum ein anderer Musiker verkörperte Beethoven für Bekker dieses Ideal einer gesellschaftsverändernden und -bildenden ,Kulturmacht‘. Bekkers Beethovenbild kombinierte unterschiedliche Facetten des Komponistensymbols und kann als Arbeit am ,Mythos Beethoven‘ gelesen werden: Seit seinem Tod im Jahr 1827, vor allem aber seit der Gründung des Kaiserreiches 1871 hatte Beethovens Wirkungsgeschichte unterschiedliche Stadien durchlaufen und den Komponisten zur zentralen Ikone des Musiklands Deutschland aufsteigen lassen. Die besondere Verbindung zwischen der Rezeption seines Werkes und der sich wandelnden politischen Ordnung Deutschlands verwies dabei auf spezifische Facetten einer deutschen Nationalidentität, die sich zu weiten Teilen auf einen „musical nationalism“ bezog und in Beethoven und seiner Musik eine Projektionsfläche nationaler sowie schichten- oder gar parteispezifischer Selbstentwürfe fand.172 Unterschiedliche soziale und politische Lager beriefen sich in ihren Deutungskämpfen immer wieder auf Beethoven und nahmen ihn als autoritative Bezugsgröße in Anspruch, um eigene Geltungsansprüche zu formulieren.173 Die bis heute andauernde Omnipräsenz seines Werkes in zeremoniellen Kontexten demonstriert eindrücklich die anhaltende Bedeutung Beehovens im Prozess einer sich kontinuierlich wandelnden kulturellen wie symbolpolitischen Standortbestimmung.174 Die semantische Offenheit des Komponistensymbols Beethoven generierte dabei unterschiedliche und mitunter divergierende Entwürfe nationaler Identität; denn „every major interest in Germany claimed this composer and his music to be symbolic of its particular vision of the German future“.175

170 171 172

173 174 175

Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 334f. Bekker: Theaterkultur, S. 182. Zur Genese und Rezeptionsweise unterschiedlicher Beethovenbilder sowie zur Geschichte ihrer Instrumentalisierung im Bereich der politischen Ideologie vgl. besonders David B. Dennis: Beethoven in German politics 1870–1989, New Haven/London 1996. Ebd., S. 7. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6.

2. Frankfurter Goethewoche und 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution

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In seiner 1913 veröffentlichten Beethoven-Monographie präsentierte auch Paul Bekker ein spezifisches Konzept nationalkultureller Identität. Auf diesem Weg schaltete er sich aktiv in die kulturpolitischen Deutungskämpfe ein, die im Medium des ästhetischen Diskurses zugleich um eine gesellschaftspolitische Standortbestimmung rangen. In seiner Lesart trug das Komponistensymbol Beethoven sowohl Züge des sozialrevolutionären Visionärs wie auch die eines der Gedankenwelt des deutschen Humanismus und Idealismus verpflichteten Propheten bildungsbürgerlicher Innerlichkeit. Bereitwillig gab Bekker seine Zugehörigkeit zu einem liberalen Bildungsbürgertum zu erkennen, wenn er Beethoven in erster Linie als den „Mitkämpfer“ Fichtes, Humboldts, Goethes und Kants würdigte.176 Beethovens Leben und Schaffen beruhten nach Ansicht seines Biographen Bekker auf einer „sittliche[n] Basis“ und zeigten sich als „ein erarbeitetes, in schwerem Schicksalskampf erobertes Glück“.177 Schlüsselbegriffe, in denen Bekker pointiert das Selbstverständnis des deutschen Bürgertums skizzierte und Beethoven als bürgerlichen Heros präsentierte, finden sich zuhauf: Die Lebensführung des Komponisten erschien Bekker geprägt von „einer bewunderungswürdigen Zweckmäßigkeit“, von einem „scharfblickenden, alle realen Verhältnisse richtig und nüchtern beurteilenden Geist“.178 In Beethoven sah Bekker daher nicht so sehr den weltabgewandten Tonpoeten, nicht das sich in eine übersinnlich-romantische Zauberwelt flüchtende Genie, sondern einen „geistig vielfach“ Interessierten, der „auf allen Gebieten“ nach „Wissenswertem“ gesucht und sich hierbei sowohl „in wertvolle Denkmäler der Alten“ als auch in „die Bedeutung religiöser Probleme“ vertieft habe, um seine geistige Erziehung zu vervollkommnen.179 Vor allem aber, so Bekker, habe der Komponist von Anfang an regen Anteil „an allem bedeutenden Neuen“ genommen und sich stets als aufmerksamer und kritischer Beobachter seiner Gegenwart gezeigt.180 Sein Blick habe sich in besonderer Weise „auf alle ihn umgebenden Verhältnisse“ gerichtet, die er analysierend beobachtet und „aus seinem Geist heraus“ neu zu formen versucht habe.181 Beethoven habe dabei, so Bekkers Darstellung, kein „üppiges Sichgehenlassen“ gekannt, „kein gemächliches Ausruhen“, sondern einzig ein „ernstes Pflichterfüllen“.182 Allein „harter Selbstzwang“ hätten ihm „die Tiefen des eigenen Wesens“ erschließen können.183 Als „Kämpfer“, so Bekker, habe Beethoven im „Bewußtsein der Pflichten sich selbst und anderen gegenüber“ stets um die Erfüllung „des Kantschen kategorischen Imperativs“ gerungen; denn nur das „Bewußtsein 176 177 178 179 180 181 182 183

Paul Bekker: Beethoven, Berlin 1913, S. 90. Ebd. Ebd., S. 49. Ebd., S. 70. Ebd. Ebd., S. 85. Ebd., S. 90f. Ebd.

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tätiger Pflichterfüllung“ habe jene „erhabene Heiterkeit“ hervorrufen können, die „im Leben trotz aller Schmerzen kein verächtliches, sondern ein kostbares Gut sieht, wert, es zu besitzen, zu verteidigen, zu höchster Entfaltung aller gegebenen Kräfte zu steigern“.184 Bekker präsentierte seinen Lesern hier einen sich in heroischem Daseinskampf behauptenden Beethoven, der zugleich – etwa mit der Betonung eines spezifischen Leistungsethos’ oder dem Verweis auf disziplinierte Pflichterfüllung und die zentrale Rolle der Bildung – einen stilisierten Inbegriff deutscher Bürgerlichkeit bezeichnete und einem bildungsbürgerlichen Publikum damit als identifikatorische Folie dargeboten wurde. So dezidiert Bekker Beethoven einerseits als Idealbild bildungsbürgerlicher Pflichterfüllung und Selbsterziehung charakterisierte, so bestimmt nahm er den Komponisten andererseits als politischen Menschen und Kämpfer wahr, in dessen Werken für ihn derselbe „Akkord“ vernehmbar wurde, „der in den Freiheitskriegen zum Sturm“ angeschwollen und „zwei Jahrzehnte vorher den Orkan der Französischen Revolution durchbraust“ habe.185 Nur in der Anerkennung Beethovens als eines zutiefst politischen Menschen konnte sich für Bekker der eigentliche Gehalt seines Lebens und seiner Werkidee erschließen. In seiner Werkbiographie beschrieb er den Komponisten daher ausdrücklich als einen Künstler, der sich von den politischen Umwälzungen seiner Zeit existenziell betreffen ließ und sich entsprechend in einer ganz neuartigen Weise mit der allmählich heraufziehenden Moderne auseinandersetzen musste. Beethoven habe darum auch „nichts mehr von der ergebenen Dienstbarkeit Haydns, von der kindlich gutmütigen Anhänglichkeit Mozarts, oder gar von dem ehrsam trockenen Beamtentum Bachs“.186 Für Bekker verkörperte Beethoven vielmehr das moderne Individuum schlechthin, das in seiner autonomen Subjektivität „frei für sich“ stand187 : „Steifnackig, selbstherrlich wie keiner vor ihm [...] predigt er das Recht auf die eigene Persönlichkeit, den Anspruch auf freie Betätigung des Einzelwesens innerhalb der Gesamtheit.“188

Vor diesem Hintergrund erst konnte sich das eigentliche Leitmotiv von Beethovens poetischer Werkidee erschließen, die sich – der Argumentation Bekkers zufolge – vor allem über die beiden Schlüsselbegriffe des Heldentums und des Ringens nach individueller Freiheit dechiffrieren ließ. Bereits 1909/1910 hatte Bekker in der musikalischen Fachzeitschrift Die Musik einen Aufsatz mit dem Titel „Beethoven als Kulturmacht“ veröffentlicht, in dem er den Komponisten zum „Grundpfeiler der heutigen Kultur“

184 185 186 187 188

Ebd., S. 90f. Ebd., S. 90. Ebd. Ebd. Ebd.

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und zum „Fundament der neuen Kunst“ erklärt hatte.189 Angesichts einer zunehmend als ungeordnet und unüberschaubar erfahrenen Gegenwart rief er Beethoven als universalen „Leitstern“ aus, „zu dem wir aufblicken, wenn uns die bunten Erscheinungen des Lebens verwirrt haben“.190 Im Urteil Bekkers war Beethoven für die gegenwärtige Zeit deshalb von so eminenter Bedeutung, weil auch er in einer Epoche des „Umsturzes und der Revolutionen“ gelebt habe.191 Politische Ereignisse wie die Französische Revolution, die Machtergreifung Bonapartes oder die Freiheitskriege bildeten für Bekker den Ausgangspunkt von Beethovens Werk und lieferten zugleich den Schlüssel zum Verständnis seiner Werkidee.192 Beethoven – so meinte Bekker – habe rasch erkannt, dass die Idee der Republik nicht länger eine Utopie bleiben müsse, sondern auch „im modernen Staatsleben“ durchgesetzt werden könne; aufgrund seiner Ablehnung „des monarchischen Systems“ sowie seiner „Begeisterung für ein politisches Zukunftsideal“ sei er daher zum Republikaner geworden.193 Auch in seiner Beethoven-Monographie zeichnete Bekker das Bild des heroisch für seine individuellen Freiheitsrechte kämpfenden Genies, das zeitlebens um „Freiheit in künstlerischer, politischer“ und „persönlicher Hinsicht“, „Freiheit des Willens, des Handelns, des Glaubens, Freiheit des ganzen Individuums in all seinen Betätigungen äußerer und innerer Art“ gerungen habe.194 Bekker stilisierte Beethoven zum politischen Visionär, der die Durchsetzung angeborener Grundrechte propagiert und ,Freiheit‘ und ,Menschenwürde‘ als Schlüsselbegriffe seiner Epoche geschätzt habe.195 Zugleich bemühte sich Bekker, Beethoven nicht „als Umstürzler“ und „Revolutionär“ zu präsentieren.196 Alternativ charakterisierte er den Komponisten als Verkünder eines „künstlerischen Heroentums“, dem es vor allem – wie etwa die Große Messe in D-Dur zeigen sollte – darum zu tun gewesen sei, überzeitlich gültige Ideen zu gestalten, die an die „ideale Gemeinde aller Menschen“ gerichtet seien.197 Deutlich setzte er daher gerade den Fidelio von der „verweichlichende[n] Zauberpoesie der Romantiker“ ab, da diese mit ihrer Hervorhebung außermenschlicher Schicksalsmächte und ihrem Verlangen nach „Stimmungszauber“ nicht über die Klarheit und Kraft verfügt hätten, auf die Beethoven so großen Wert gelegt habe.198 Die leidenden und kämp-

189 190 191 192 193 194 195 196 197 198

Bekker: Beethoven als Kulturmacht, S. 3. Ebd. Ebd., S. 8f. Ebd. Ebd., S. 9. Bekker: Beethoven, S. 89f. Ebd., S. 86ff. Ebd., S. 77. Ebd., S. 84ff. Ebd., S. 307.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

fenden Protagonisten des Fidelio hingegen verkörperten für Bekker abstrakte menschliche „Empfindungsprinzipien“.199 Gerade im Kontext der Frankfurter Paulskirchenfeier erhielt das insistierende Festhalten an der von Beethoven angestrebten „Verherrlichung des politischen“ wie des „persönlichen Freiheitsideals“ ein spezifisches Gewicht, avancierte der Komponist damit doch gleichsam zum geistigen Impulsgeber der Paulskirchenfeier. Ähnlich wie Thomas Mann den Dichter Goethe 1922 als charismatischen Erzieher und Bekenner beschrieben und zur geistigmoralischen Autorität erhoben hatte, stellte Paul Bekker Beethoven als exemplarische Persönlichkeit vor, die ihr „eigenes Erleben mit rücksichtsloser Offenheit der staunenden Menschheit entgegen“ geschleudert und sich im Medium ihrer Kunst zur prophetischen Heldenfigur aufgeschwungen habe.200 In Bekkers Lesart trug auch Fidelio bekenntnis- und bekennerhafte Züge: Das Werk thematisiere wie kaum ein anderes die dramatische Steigerung und Zuspitzung realer „Lebenskämpfe“, indem es mit seiner Schilderung heroischer Größe, tyrannischer Bosheit oder aufopferungsvoller Selbstpreisgabe die „Schranken der Alltäglichkeit“ durchbreche ohne seinen Anspruch auf eine „rein menschliche Kunst“ preiszugeben.201 Bekker vermerkte, dass es Beethoven gelungen sei, grundlegende und zeitlose Konfliktlagen so überzeugend zur Darstellung zu bringen, dass sich das Werk eine besondere Lebendigkeit erhalten habe und sich auch einem zeitgenössischen Publikum mühelos erschließen könne. Bekker rückte die Oper in die Nähe der Fünften Sinfonie, lege doch auch sie den Sieg der Kräfte des Lichts über die der Finsternis dar: Beethoven – so beschied Bekker – habe in beiden Werken einen elementaren Lebens- und Schicksalskampf in Noten und Klänge übersetzt und am Ende eine wahre „Freudenfeier“ in der „Siegestonart C-Dur“ zelebriert.202 Beide Finalsätze seien von einer so mitreißenden Energie durchdrungen, für die es ein „Ziel im Endlichen“ nicht zu geben scheine und „durch die der Pulsschlag der Jahrhunderte“ töne.203 Indem es die poetische Vision des Künstlers und die politischen Hoffnungen des Kämpfers Beethovens ineinanderblendete, bot sich Paul Bekkers Beethovenbild überdies als gesellschaftspolitischer Entwurf an. Ähnlich wie Goethe war der Komponist elementarer Bestandteil jenes nationalkulturellen Kanons, an dem die bürgerlichen Schichten auch nach dem realpolitischen Zusammenbruch des wilhelminischen Obrigkeitsstaates festhalten konnten, da man hier eine zeitlos gültige und politisch nicht kontaminierte Größe erblickte, die nach wie vor für die kulturelle Hegemonie der Nation der Dichter und Denker bürgen und die Legitimität der neuen politischen Ord199 200 201 202 203

Ebd. Ebd., S. 99. Ebd., S. 307. Ebd., S. 325. Ebd.

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nung untermauern sollte. In diesem Sinn lässt sich das Komponistensymbol Beethoven als ein Schichten- und Parteigrenzen überwindendes Kommunikationsmedium interpretieren, dem eine beachtliche sozialintegrative Funktion zukam.204 Gerade seine semantische Offenheit machte es zu einer ikonischen Leitfigur der Paulskirchenfeier und erlaubte es denjenigen bürgerlichen Kreisen, die aufgrund ihrer politischen Ausrichtung den Inhalten der Paulskirchenfeier eventuell eher ablehnend gegenüberstehen mochten, über die ausdrücklich republikanisch-demokratische Ausrichtung der Gedenkfeier hinwegzusehen und sich demgegenüber mit dem ,Nationalhelden‘ Beethoven zu identifizieren. Diese Offenheit bedeutete zugleich eine Entlastung der politischen Festkultur, da dergestalt divergierende Rezeptionsweisen des Kunstwerkes zugelassen werden konnten, ohne den politischen Gehalt der Paulskirchenfeier in Frage zu stellen.

2.8 Der „erste Ton einer neuen Zeit“205 : Goethewoche und Paulskirchenfeier als Wegbereiter der politischen Festkultur Frankfurts in der Zeit der Weimarer Republik Für die Stadt Frankfurt stellten Goethewoche und Paulskirchenfeier zwei zentrale Festereignisse der 1920er Jahre dar. Beide Ereignisse boten Gelegenheit, den Status einer preußischen Provinzstadt endgültig abzustreifen und erneut an freistädtische Glanzzeiten anzuknüpfen.206 Als Heimstätte des ersten deutschen Parlamentes glaubte sich Frankfurt dazu ausersehen, auch künftig die Rolle eines politischen Zentralortes einzunehmen.207 Die Teilnahme des Reichspräsidenten an beiden Festanlässen stärkte das symbolpolitische Gewicht der Goethestadt dabei sichtbar und trug zur Festigung der Republik bei. Auch in den Reihen der Bevölkerung fand dieses Vorhaben weitgehenden Rückhalt, wenngleich eine antirepublikanische Grundhaltung in Teilen des Frankfurter Bürgertums durchaus verbreitet war und sich das Idealbild einer „republikanischen Bürgergesellschaft“ nur in Ansätzen verwirklichen ließ.208 Aufgrund seiner liberalen politischen Tradition bildete Frankfurt dennoch die geeignete Kulisse, vor der Reichspräsident Ebert mit seinen Festansprachen anlässlich der Goethewoche und der Paulskirchenfeier jenen „erste[n] Ton ei204 205 206 207 208

Dörner/Vogt: Literatursoziologie, S. 110. Frankfurter Zeitung, 2. März 1922, Abendblatt. Vgl. hierzu Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 21. Frankfurter Zeitung, 18. Mai 1923, Abendblatt. Rebentisch: Friedrich Ebert, S. 23.

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ner neuen Zeit“ anstimmen konnte, der eine neue politische Kultur ins Leben rufen wollte.209 Den Festaufführungen im Frankfurter Opernhaus kam daher eine über das Ornamental-Unterhaltende weit hinausreichende Bedeutung zu. Der angestrebte deutsche Kulturstaat konnte sich in der symbolischen Rückbindung an Goethe, Mozart oder Beethoven vielmehr unmittelbar konstituieren und – garantiert durch die Anwesenheit seiner zentralen kulturellen und politischen Vertreter – sichtbar nach außen präsentieren. Opernhaus und Opernplatz fungierten damit als Geburtsstätten einer neuen politischen Kultur. Die Tatsache, dass Minister und Künstler die Oper zudem ostentativ als einen Raum des öffentlichen Bekenntnisses und Gelöbnisses nutzten, belegt die genuin politische Bedeutung des Musiktheaters, bewirkte die Oper doch die situative Herstellung einer gemeinsamen ,Wir-Welt‘ und ermöglichte dadurch die Vergegenwärtigung des ,erfüllten Augenblicks‘, der eine neue Zeit aufscheinen ließ. Eine deutlich andere Form des symbolpolitischen Neubeginns vollzog sich unterdessen im nahe gelegenen Wiesbaden, wo eine ähnlich emphatische Neuausrichtung der politischen Festkultur nicht auszumachen war. Die äußeren Rahmenbedingungen wurden hier durch die jahrelange Besatzung durch alliierte Truppen bestimmt und erschwerten die ungehinderte Entwicklung der Stadt. Wiesbaden erholte sich nur schwer von den Umwälzungen der Kriegsjahre, da sich der Zusammenbruch des internationalen Tourismus hier besonders schmerzhaft bemerkbar machte. Die Stadt, die vornehmlich von ihrem Nimbus als ,Kaiserresidenz‘ gezehrt hatte, fand sich im Weimarer ,Staatenhaus‘ zusehends an den Rand gedrängt und arrangierte sich nur schwer mit den politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen der 1920er Jahre.

209

Frankfurter Zeitung, 2. März 1922, Abendblatt.

3. Wiesbaden und sein Theater 1918–1930: ,Staatsbühne von höchstem Rang‘ oder ,Kulturtheater für die deutsche Provinz‘? Wie Frankfurt erlebte auch Wiesbaden die frühen Nachkriegsjahre als eine Phase politischer, sozialer und wirtschaftlicher Wirren. Hier nahm man vor allem die alliierte Besatzung der linksrheinischen Gebiete Deutschlands und der drei Brückenköpfe um Köln, Koblenz und Mainz durch Truppen der alliierten Siegermächte Frankreich, Großbritannien, Belgien und der USA, die im November 1918 begonnen hatte, als unwiderrufliches Zeichen der Niederlage wahr.1 Der Herausgeber der Berliner Kulturzeitschrift Der Spiegel, Robert Prechtl, beschrieb die Lage in Wiesbaden im November 1919 mit folgenden Worten: „Kommt man nach Wiesbaden, befällt einen alsbald das graue Elend. Man ist, mitten in Deutschland, plötzlich in französischer Stadt. Hechtgraue Liniensoldaten mit den zweispitzigen Garnisonsmützen schlendern herum; khakifarbene Marokkaner mit runden niedrigen Fezkappen stehen truppenweise und gaffen; Motoristen knattern die Wilhelmstraße entlang; Autos aller Farben und Formen halten, fahren, poltern, sausen. Französische Straßenaufschriften unter den deutschen. Im Palasthotel Offiziersmesse. Vor dem Hohenzollernhotel Schildwachen.“2

Das gemeinsam mit dem Versailler Vertrag im Juni 1919 abgeschlossene Rheinlandabkommen legte die genaueren Richtlinien der alliierten Besatzung fest und zielte darauf ab, langfristig eine Situation politischer, militärischer und wirtschaftlicher Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. In erster Linie überwachte es die Entmilitarisierung des Rheinlandes und trug für die planmäßige Einhaltung der deutschen Reparationszahlungen Sorge.3 Das 1

2 3

Siehe zum Verlauf der Rheinlandbesatzung 1918–1930: Margaret Pawley: The watch on the Rhine. The military occupation of the Rhineland, 1918–1930, London 2007; AnnaMonika Lauter: Sicherheit und Reparationen. Die französische Öffentlichkeit, der Rhein und die Ruhr (1919–1923), Essen 2006; Tilman Koops/Martin Vogt (Hrsg.): Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten, 1919–1930 und 1945–1949. Ergebnisse einer Tagung des Bundesarchivs in der Universität Trier vom 12. bis 14. Oktober 1994, Koblenz 1995; Franziska Wein: Deutschlands Strom – Frankreichs Grenze. Geschichte und Propaganda am Rhein 1919–1930, Essen 1992; David G. Williamson: The British in Germany. 1918–1930, Oxford 1991; Peter Hüttenberger/Hansgeorg Molitor (Hrsg.): Franzosen und Deutsche am Rhein, 1789 – 1918 – 1945, Essen 1989; Walter A. McDougall: France’s Rhineland diplomacy, 1914–1924, Princeton 1978, sowie Keith L. Nelson: Victors divided. America and the allies in Germany, 1918–1923, Berkeley/Los Angeles/London 1975. Robert Prechtl: Wiesbaden. Eine politische Kulturfrage, in: Der Spiegel. Beiträge zur sittlichen und künstlerischen Kultur, Flugblatt Nr. 14/15 (November 1919), S. 1-6, hier S. 1. Siehe ausführlich McDougall: France’s Rhineland diplomacy, S. 67ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Rheinland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt, wobei die Anwesenheit der Alliierten auf maximal fünfzehn Jahre befristet wurde. Es war vorgesehen, dass die vier Zonen nach fünf, zehn und fünfzehn Jahren geräumt werden sollten. Da die USA den Versailler Vertrag nicht ratifiziert hatten, zogen die amerikanischen Truppen allerdings bereits 1923 wieder ab, ihre Besatzungszone wurde von Frankreich übernommen.4 Wiesbaden, das im Gebiet der französischen Zone lag, gehörte neben Trier, Ludwigshafen a. Rh. oder Mainz zu den Städten, die erst 1930 vollständig geräumt wurden. Im Januar 1920 wurde die so genannte Interalliierte Rheinlandkommission als oberste Verwaltungsbehörde mit Sitz in Koblenz ins Leben gerufen, ein ziviles Gremium, das die Kontrolle des besetzten Gebietes durch militärische Instanzen ablöste.5 Gegenüber den deutschen Behörden war die Interalliierte Rheinlandkommission, deren Vorsitz der Hohe Kommissar Frankreichs, Paul Tirard, innehatte, weisungsberechtigt: Sie konnte Verordnungen – so genannte Ordonnanzen – erlassen, die die Sicherheit und den Unterhalt der alliierten Truppen sicherstellen und den ungestörten Fortgang des öffentlichen Lebens gewährleisten sollten. Die Alliierten konnten unter anderem Beamte ernennen und abberufen, die Presse- und Versammlungsfreiheit einschränken und in Fragen der Rechtsprechung eingreifen.6 Demgegenüber wurden die Interessen der betroffenen deutschen Länder durch das so genannte Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete vertreten. Aus sicherheitspolitischen Erwägungen wollte Frankreich, das sowohl 1870/71 als auch 1914/18 von deutschen Truppen besetzt worden war, das Rheinland in einen oder mehrere entmilitarisierte, von Frankreich kontrollierte Pufferstaaten gegen Deutschland aufgliedern. Allerdings wurde dies von Großbritannien und den USA abgelehnt, die sich für eine gemäßigte Politik stark machten.7 Obgleich die besetzten Gebiete ihre administrative Selbstständigkeit weitgehend beibehielten, nahm das Gros der rheinländischen Bevölkerung die Okkupation als Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen wahr.8 Heftiger Widerstand richtete sich nicht zuletzt gegen die Angehörigen afrikanischer Kolonialtruppen, die Frankreich im besetzten Gebiet stationierte 4 5

6 7

8

Vgl. die Einzelheiten des Versailler Vertrages und des Rheinlandabkommens ausführlich bei Pawley: The watch on the Rhine, S. 16ff. Siehe zur Etablierung und Funktion der Interalliierten Rheinlandkommission exemplarisch Ernst Fraenkel: Military occupation and the rule of law. Occupation Government in the Rhineland, 1918–1923, London/New York/Toronto 1944, S. 81ff. Die Ordonanzen der Interalliierten Rheinlandkommission siehe ausführlich bei Fraenkel: Military occupation and the rule of law, S. 237ff. Zu den Zielen der französischen Besatzungspolitik im Rheinland siehe weiterführend Wein: Deutschlands Strom − Frankreichs Grenze, S. 25ff. Zur Wahrnehmung und Einschätzung der Besatzung innerhalb der französischen Öffentlichkeit siehe Lauter: Sicherheit und Reparationen. Siehe exemplarisch Karl Wachendorf : Zehn Jahre Fremdherrschaft am deutschen Rhein. Eine Geschichte der Rheinlandbesetzung von 1918–1928, Berlin 1928, S. 16.

3. Wiesbaden und sein Theater 1918–1930

313

– eine Maßnahme, die auf Seiten deutscher Nationalisten rassistische Vorurteile schürte und in letzter Konsequenz zur Destabilisierung der Weimarer Republik beitragen solte.9 In Wiesbaden empfand man die alliierte Besatzung als eine Zeit „seelischer Pein“, die nicht zuletzt auch „manche Beschränkung und Beeinträchtigung im Gang des täglichen Lebens“ mit sich brachte.10 Druck- und Pressezensur, Verkehrs-, Ausgangs- und Postsperren waren ebenso Teil der alliierten Bestimmungen wie Versammlungsverbote und die Rationierung des Gas- und Stromverbrauchs. In den frühen 1920er Jahren wurden zwar einige dieser Auflagen allmählich gelockert, doch 1919 stand Wiesbaden noch ganz unter dem Eindruck des verlorenen Krieges und der militärischen Besatzung. Mit einem Mal hatte die Stadt ihren opulenten kaiserzeitlichen Prunk eingebüßt und war zu einer besetzten Grenzstadt herabgesunken. Bis 1923/24 war die politische und militärische Lage hier durch eine mitunter explosive Instabilität gekennzeichnet. Im Windschatten der Besatzung kam es immer wieder zu mehreren Separatistenaufständen.11 Gerade angesichts der militärischen Niederlage und der um die Jahreswende 1918/19 äußerst unsicheren innenpolitischen Lage, die durch die Furcht vor drohenden Revolutionswirren oder einem bolschewistischen Umsturz oftmals noch zusätzlichen politischen Zündstoff erhielt, erschien vielen Bewohnern des Rheinlands die Gründung einer unabhängigen rheinischen Republik keineswegs als rundweg unliebsame Perspektive. Obwohl die französische Besatzung die separatistischen Umtriebe im Stillen vielfach begrüßte, unterband sie diese – wenngleich mitunter zögerlich –, um den Konflikt mit Großbritannien und den USA nicht zu vertiefen.12 9

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Vgl. hierzu weiterführend Lauter: Sicherheit und Reparationen, S. 81ff., sowie Christian Koller: „Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt“. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914– 1930), Stuttgart 2001. So urteilte die Rheinische Volkszeitung im Juli 1930 in ihrem Rückblick auf „Theater und Kurhaus in der Besatzungszeit“. In Wiesbaden machte sich der ehemalige Staatsanwalt Hans Adam Dorten trotz der ablehnenden Haltung des damaligen Wiesbadener Oberbürgermeisters Karl Glässing und der Mehrheit der städtischen Bevölkerung für die Proklamation einer Rheinischen Republik stark. In der Nacht zum 2. Juni 1919 wurden in Wiesbaden Anschläge angebracht, die zur Bildung von Arbeitsausschüssen einer Rheinischen Republik aufriefen und deren vorläufige Regierung in der Stadt ansiedeln wollten. Doch Dortens Versuch scheiterte; die Anschläge wurden nicht nur rasch entfernt, sondern in den Folgetagen kam es in Wiesbaden zu einem Proteststreik, zu Geschäftsschließungen und politischen Versammlungen, die den französischen Oberbefehlshabern klar machen sollten, dass sich Wiesbaden der Regierung Dorten nicht unterstellen wollte. Im Zeichen der Ruhrkrise von 1923 flackerten allerdings erneut separatistische Unruhen im Raum Wiesbaden auf. In der Nacht zum 23. Oktober 1923 drangen bewaffnete Separatisten in das Wiesbadener Rathaus, das Regierungsgebäude und das Landeshaus ein und forderten abermals die Errichtung einer Rheinischen Republik. Allerdings schlug auch dieser zweite Separationsversuch fehl. Siehe hierzu Müller-Werth: Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden, S. 153. Vgl. Wilhelm Kreutz: Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik im be-

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Wesentlich offensiver zeigte sich die französische Besatzung in den Jahren von 1919 bis 1923 im Bereich einer offiziellen Kulturpolitik. In deren Zentrum stand die so genannte Rheintheorie, ein geschichts- und kulturpolitisches Programm, das den Anspruch Frankreichs auf den Rhein als Ostgrenze legitimieren sollte: Intellektuelle und Publizisten wie Maurice Barrès attestierten dem Rheinland eine besondere historische, geographische und kulturell-religiöse Nähe zu Frankreich und stilisierten den Rhein zur „europäische[n] Kulturscheide“, die den französisch-preußischen Gegensatz geographisch festschrieb.13 Die Rheintheorie knüpfte bewusst an die Epoche der Revolution und der napoleonischen Ära an und erhob das Rheinland zu einem geläuterten, ,besseren‘ Deutschland, das aufgrund dieses historischen Erbes eigentlich Frankreich zugezählt werden musste. Besonders anschaulich lassen sich die kulturpolitischen Bemühungen Frankreichs am Beispiel von zwei Kunstausstellungen illustrieren, die 1921, dem 100. Todesjahr Napoleon Bonapartes, in Wiesbaden veranstaltet wurden. Dieses ehrgeizige Projekt französischer Kulturpolitik war mit einem enormen „repräsentative[n] Anspruch“ verbunden.14 Die unter dem Vorsitz Paul Tirards stehende „prächtige Kulturschau“15 präsentierte im Wiesbadener Paulinenschlösschen und im Biebricher Schloss eine Ausstellung französischer Malerei vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowie eine „Exposition rétrospective de l’intérieur français“, die einen „Rückblick auf die große Zeit der französischen Innenarchitektur der Zeit Ludwigs XVI. bis zum ausgehenden Empire“ gab.16 Die Ausstellung wurde als regelrechte Sensation wahrgenommen und machte auch als gesellschaftliches Großereignis von sich reden. Ein ausgedehntes Kultur- und Gesellschaftsprogramm, das unter anderem die Präsentation neuester französischer Kinofilme oder Gastauftritte französischer Theaterensembles beinhaltete, flankierte die Ausstellung und zog nicht nur die Angehörigen der französischen Besatzungsarmee und verwaltung, sondern auch eine große Anzahl von Besuchern aus Paris an, ja fast schien es, „als ob St. Cloud mit seiner eleganten Gesellschaft“ vollzählig nach Wiesbaden gereist sei.17 Hatte Tirard im Vorfeld die intellektuelle und künstlerische Annäherung Frankreichs an die rheinische Bevölkerung als

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setzten Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Tilman Koops/Martin Vogt (Hrsg.): Das Rheinland in zwei Nachkriegszeiten, 1919–1930 und 1945–1949. Ergebnisse einer Tagung des Bundesarchivs in der Universität Trier vom 12. bis 14. Oktober 1994, Koblenz 1995, S. 19–37, hier S. 20. Zur Genese der französischen Rheintheorie siehe ausführlich Kreutz: Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik. Vgl. Gerhard Brunn: Französische Kulturpolitik in den Rheinlanden nach 1918 und die Wiesbadener Kunstausstellung des Jahres 1921, in: Hüttenberger, Peter/Molitor, Hansgeorg (Hrsg.): Franzosen und Deutsche am Rhein, Essen 1989, S. 219–241, hier S. 233. Ebd. Ebd., S. 235. Ebd., S. 238.

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eines der Hauptziele der Ausstellung bezeichnet, so sah der amerikanische Oberkommandierende Henri T. Allen hier vor allem eine „künstlerische Machtdemonstration“, die er gar mit den pompösen Selbstinszenierungen Wilhelms II. vergleichen zu können glaubte.18 Die kulturpolitischen Demonstrationen französisch-alliierter Stärke wurden in Wiesbaden nicht zuletzt deshalb als demütigende Geste empfunden, weil die ehemals so wohlhabende Stadt sehr von den wirtschaftlichen Erschütterungen jener Zeit betroffen war. Bereits zum 1. Dezember 1918 legte der Magistrat einen Bericht vor, der die wirtschaftlichen und sozialen Folgelasten des Krieges detailliert auflistete.19 Da Landwirtschaft und Industrie in Wiesbaden traditionell fast keine Rolle spielten, traf der drastische Rückgang des Fremdenverkehrs und des Kurbetriebes die Stadt umso härter.20 Viele Hotels und Pensionen sahen sich mit „einem plötzlichen Niedergang ihrer Geschäfte“ konfrontiert, von dem „Hunderte von Existenzen“ betroffen waren.21 Auch Handel und Gewerbe mussten empfindliche Rückschläge hinnehmen, da relevante Sektoren wie Luxus- und Modewaren oder Weinhandel besonders „auf den Absatz an Fremde“ spezialisiert waren.22 Erst als in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 der Kur- und Fremdenbetrieb durch die Lockerung der Einreisebestimmungen wieder aufgenommen werden konnte, verbesserte sich die wirtschaftliche Lage Wiesbadens langsam. Kurzzeitig erlebte die Stadt eine Phase des überhitzten Konjunkturaufschwunges, der besonders durch den „Segen trächtiger Devisen“23 hervorgerufen wurde: „Aus aller Herren Länder strömten die Menschen herbei, um sich nach einer nur allzu langen Zeit der Entbehrungen und des Verzichts einmal gründlich auszutoben. [...] Ein zehrender Drang, Versäumtes und Verpaßtes nachzuholen peitschte die Menschen hoch und auf all die schönen und nur zu lange entbehrten Dinge zu, die sich jetzt willig und lockend darboten und des Genusses harrten.“24

Fremdenverkehr und Kurleben erholten sich zusehends: Hatten 1919 knapp 68 000 Besucher, darunter 18 500 Kurgäste, den Weg nach Wiesbaden gefun18 19

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Vgl. dieses Urteil Henri T. Allens in: ebd., S. 236. Siehe den Wiesbadener Magistratsbericht über die „Einwirkungen des Krieges auf das Wirtschaftsleben der Stadt Wiesbaden“, in: Städtische Kur-Verwaltung Wiesbaden. Akten betrf. Welt-Krieg 1914–1918, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 1721, S. 1ff. Durchschnittlich – so der Bericht des Wiesbadener Magistrats – hatten in den letzten Jahren vor dem Krieg jährlich rund 190 000 bis 200 000 Touristen und Kurgäste die Bäderstadt besucht, wobei der Gesamtumsatz der Besucher und Kurgäste in Wiesbaden „mit 20 Millionen Mark pro Jahr nicht zu hoch bemessen“ war. Siehe in: Bericht des Wiesbadener Magistrats über die „Einwirkungen des Krieges auf das Wirtschaftsleben der Stadt Wiesbaden“, in: Städtische Kur-Verwaltung Wiesbaden. Akten betrf. Welt-Krieg 1914–1918, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 1721, S. 3ff. Ebd. Ebd., S. 1ff. Hagemann: Bühne und Welt, S. 198. Ebd., S. 197f.

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den, so stieg die Zahl der Gäste bis zum Jahr 1922 auf insgesamt 168 923 an. Besonders der Anteil der ausländischen Besucher nahm kontinuierlich zu und belief sich 1922/23 auf 108 912 Personen.25 Erneut begann sich Wiesbaden in diesen Jahren als ,Weltbad‘ herauszuputzen, und eine Zeit lang nahmen „Feste, Empfänge, Tanztees und Gesellschaften jeder Art [...] kein Ende“.26 Allerdings zog der Nimbus des ,Weltkurbades‘ oftmals ein anderes Publikum an als vor dem Krieg. Waren damals die Angehörigen einer internationalen Feudal- und Finanzaristokratie regelmäßig während der Frühjahrs- und Herbstsaison in Wiesbaden zu Gast gewesen, tauchten mit einem Mal − so schilderte es der damalige Theaterintendant Carl Hagemann − „[s]eltsame Menschen“ in Wiesbaden auf: „Kleinbürgertypen, die zu Hause nichts bedeuteten und infolge der günstigen Währung zum ersten Male in ihrem Leben eine Reise nach Europa unternommen hatten, [...] neu eingekleidet und auch kosmetisch gerüstet. [...] Und jetzt wohnte man im ,Nassauer Hof‘ oder in der ,Rose‘ mit ehemaligen Großfürsten, hohen französischen Offizieren und ungarischen Magnaten auf demselben Flur und saß breitspurig und als große Dame verkleidet in der Theaterloge.“27

Diese Phase einer überhitzten wirtschaftlichen Hochkonjunktur war mit dem Ruhrkampf und der Einführung der Rentenmark im Oktober 1923 allerdings fast über Nacht vorbei: „[Was] man gestern noch greifen konnte, erschien heute wie ein Spuk. Menschen, die sich als Herren der Lage gefühlt und bei jeder Gelegenheit die Geldtasche gezückt hatten, waren nur noch Schemen und verschwanden bald ganz wie ein Filmbild, das man abblendet und durch ein anderes ersetzt.“28

Während des Inflationsaufschwunges der Jahre 1921/22 hatte sich der städtische Arbeitsmarkt zwar kurzzeitig entspannt, doch machte sich seit Herbst 1922 ein erneuter Rückgang bemerkbar: Im Dezember 1923 belief sich die Zahl der Arbeitsuchenden auf rund 10 000 Personen.29 Insbesondere die Gruppe der durch den Krieg und den Einbruch der städtischen Wirtschaft in Not geratenen Kleinrentner, die größtenteils dem einstmals vergleichsweise kapitalkräftigen bürgerlichen Mittelstand entstammten, wurde zunehmend größer. Immer mehr Menschen waren auf die Zuwendungen der städtischen Fürsorge angewiesen, und im Zuge zahlreicher Eingemeindungen zwischen 1926 und 1928 stieg die Zahl der Wohlfahrtsempfänger auf über 6000 Personen an.30 25 26 27 28 29 30

Siehe diese Zahlen bei Müller-Werth: Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden, S. 158f. Hagemann: Bühne und Welt, S. 200. Ebd., S. 200f. Ebd., S. 209. Siehe diese Angaben bei Müller-Werth: Geschichte und Kommunalpolitik der Stadt Wiesbaden, S. 162f. Ebd., S. 163.

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Diese wirtschaftlich prekäre Situation trug ebenso wie die alliierte Besatzung dazu bei, dass sich Wiesbaden nur schwer auf die gewandelten Verhältnisse einstellen konnte. Lange trauerten weite Teile der Bevölkerung jener vermeintlich großen Zeit nach, „in der Wiesbaden im Festesjubel schwamm, in der Leute aus ganz Deutschland, aus aller Welt dem Kaiser zujauchzten, wenn er durch die reichgeschmückten Straßen unter blumenumrankten Ehrenpforten in die Abendvorstellung fuhr“.31 Die Legitimationsdefizite, denen die Weimarer Republik hier von Anfang an ausgesetzt war, machten sich auch und gerade im Bereich der Kulturpolitik bemerkbar. Seitdem der letzte preußische Hoftheaterintendant Wiesbadens, Kurt von Mutzenbecher (1866–1938), am 14. November 1918 im Zuge der Revolutionswirren sein Amt niederlegt hatte, war die Epoche der ,Königlichen Schauspiele‘ und ihrer ,Kavalierintendanten‘ zwar endgültig beendet, doch war ein umfassender kulturpolitischer Neuanfang hier nur schwer umzusetzen. Das ehemals hoch dotierte höfische Institut fand sich nach den „Wirrnissen des Krieges und der Revolution“ in einer „herrenlosen Zeit“ wieder, deren hervorstechendste Kennzeichen ihre „Niedergeschlagenheit“ und vermeintliche „Ideallosigkeit“ waren.32 In ein ,Nassauisches Landestheater‘ umgewandelt, wurde die Wiesbadener Bühne zunächst zwei Jahre lang von dem seit 1912 in Wiesbaden engagierten Regisseur und Schauspieler Ernst Legal (1881–1955) geleitet, der bewusst mit der Tradition des Hoftheaterstils brach.33 Die Startbedingungen für Legal waren denkbar ungünstig. Nicht nur war er gezwungen, seine Arbeit als Intendant während einer laufenden Spielzeit aufzunehmen, sondern auch die Übernahmeverhandlungen mit dem Staat Preußen und damit die Frage, wie der aufwendige und kostspielige Theaterbetrieb zukünftig finanziert werden sollte, verliefen langwierig und zäh. In Berlin hatte man aus Angst vor den enormen finanziellen Belastungen zunächst erwogen, die ehemaligen preußischen Hoftheater in Wiesbaden, Kassel und Hannover in kommunale

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Wilhelm Wittgen: Zum 25-jährigen Jubiläum des nassauischen Landestheaters, in: Nassovia. Zeitschrift für nassauische Geschichte und Heimatkunde 20, H. 11/12 (16. Juni 1919), S. 73–77, hier S. 73. Ebd., S. 75f. Ebd., S. 76. Legals Entscheidungen wurden von einer ,Mitgliederkommission zur Leitung des Nassauischen Landestheaters‘ kontrolliert. Ohne deren Einwilligung – etwa im Hinblick auf die Spielplangestaltung – konnte der neue Intendant keine bindenden Entscheidungen treffen. In den zwei Jahren seiner Intendanz bemühte sich Legal vor allem, das in Wiesbaden stets stiefmütterlich behandelte Schauspiel aufzuwerten. Seit je war Wiesbaden für jemand, „der am Schauspiel hängt, eine unmögliche, uninteressierte und uninteressierbare Stadt“, so dass er gerade in diesem Punkt enormen Nachholbedarf sah. Siehe hierzu einen Brief Legals an Kurt von Mutzenbecher vom 21. Juni 1916 in: Personalakte Ernst Legal, Hessisches Staatstheater Wiesbaden, zitiert nach: Gerda Haddenhorst: Das Wiesbadener Theater in der Zeit der Weimarer Republik, Teil 1, in: Nassauische Annalen 98/1987, S. 273–295, hier S. 274.

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Verwaltung zu überführen. Aufgrund der ohnehin angespannten Finanzlage sah sich die Stadt allerdings nicht in der Lage, das Theater zu übernehmen.34 Auch überregional stieß das ungewisse Schicksal der ehemaligen Hoftheater auf lebhaftes Interesse. Der Dramaturg und Schriftsteller Herbert Eulenberg (1876–1949) plädierte so etwa aus Gründen einer republikanischen Staatsräson für die Übernahme der einstigen Hoftheater.35 Versäume das ,neue Deutschland‘ dies, „würden [wir] damit zeigen, daß wir unsere Potentaten nicht los zu sein verdienten und ein Knechtsvolk bleiben müßten“.36 Angesichts der französischen Besatzung votierte die Frankfurter Zeitung dafür, das ehemalige Hoftheater in staatliche Verwaltung zu überführen. Nur so könne man nach Meinung des Blattes den von den französischen Militärs konsequent verfolgten „Französisierungs-Bestrebungen“ entschlossen entgegentreten.37 Gerade in Wiesbaden dürfe von „deutscher Kunst nur das Allerbeste dargeboten werden [...], um all diesen fremden Einflüssen“ zu begegnen.38 Die Zeitung plädierte für ein „deutsches Nationaltheater“, das „durch seinen Charakter als Staatsbesitz“ vor den „wachsenden Wünschen und Ansprüchen der Besatzungsbehörden und ihrer Kunstpolitik“ geschützt sei und „der französischen Kunst die notwendige Konkurrenz“ bieten könne.39 Obwohl das Schicksal der Wiesbadener Bühne damit immer mehr zu einem nationalen Politikum wurde, erwies sich die Übergabe in staatliche Verwaltung als vergleichsweise langwieriges und schwieriges Unterfangen; denn insbesondere ungeklärte Ressortzuständigkeiten der am Betrieb der ehemaligen Hoftheater beteiligten Ministerien verhinderten eine rasche Lösung.40 Im Juni 1920 wurden die Zwistigkeiten endlich beigelegt 34

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Siehe hierzu ein Schreiben des Magistrats der Stadt Wiesbaden vom 18. Juni 1919, in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Büro der Hauptverwaltung, Akten betrf. Betrieb des früheren Kgl. Theaters, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2999. Eulenberg verurteilte in der Vossischen Zeitung vom 16. März 1919 die „muffige Kleinstadtluft“ und den „ängstliche[n] Konservatismus“, die vielen Hofbühnen ihr „trauriges und langweiliges Siegel“ aufgedrückt hätten. Allein der Repräsentation „oder des eigenen dumpfen Wohlbehagens wegen“ sei die Mehrzahl der Fürsten bereit gewesen, die Hoftheater großzügig zu finanzieren, doch hätte dies „künstlerisch [...] kaum Zinsen getragen“, wie Eulenberg meinte. Siehe in: Vossische Zeitung, 16. März 1919. Ebd. Frankfurter Zeitung, 21. August 1918. Siehe in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. das Nassauische Landestheater, Bd. I: 1918, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 315. Ebd. Ebd. Im November 1918 wurde zunächst das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung provisorisch ermächtigt, die Angelegenheiten der bisherigen Königlichen Theater zu regeln. Bereits im Dezember desselben Jahres kamen die ressortmäßig am Betrieb der ehemaligen Hoftheater beteiligten Ministerien – außer dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung waren dies die Ministerien der Finanzen, des Inneren und der öffentlichen Arbeiten – zusammen, um strittige Fragen endgültig zu klären und festzulegen, in wessen Zuständigkeitsbereich die ehemaligen Hofbühnen übergeben

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und der Staat Preußen erklärte sich bereit, die ehemaligen Hoftheater Kassel und Wiesbaden in staatliche Regie zu übernehmen. Bis Ende August 1932 wurde das Wiesbadener Theater nun als ,Preußisches Staatstheater‘ geführt. Zudem willigte das Berliner Ministerium 1922 ein, auch das bislang privat geleitete Residenztheater als Schauspielbühne und ,Kleines Haus‘ bis 1933 zu übernehmen, so dass die preußische Staatsbühne in Wiesbaden nun über zwei Spielstätten verfügte.41 Staat und Reich teilten die Zuschusskosten unter sich auf, wobei die finanziellen Belastungen für beide Seiten erheblich waren: Bereits 1920 ergab sich für das Wiesbadener Staatstheater ein Fehlbetrag in Höhe von annähernd vier Millionen Reichsmark.42 Im Verlauf der 1920er Jahre wuchsen der staatliche wie auch der städtische Zuschussbedarf kontinuierlich an. Am Ende belief sich der preußische Zuschuss für die Wiesbadener Theater auf mehr als 1,7 Millionen Reichsmark43 , und auch die Stadt Wiesbaden, die sich bereit erklärt hatte, die Pacht des ,Kleinen Hauses‘ zu übernehmen, musste ihre Zuschüsse auf 300 000 bis 400 000 Reichsmark erhöhen.44 Trotzdem hielt Preußen an seiner Unterstützung des Wiesbadener Theaters fest. Die staatlichen Bühnen waren in einen kulturpolitisch ausdrücklich erwünschten und geförderten Prozess eingebunden, der auf eine umfassende gesellschaftspolitische Neuausrichtung Deutschlands abzielte. Der Kunst wurde dabei eine pädagogisch-erzieherische Aufgabe zuerkannt. Nach Einschätzung des preußischen Kultusministers und späteren Wiesbadener Regierungspräsidenten Konrad Haenisch durfte sich eine staatliche Kulturpolitik nicht auf obrigkeitliche und finanzielle Zuwendungen beschränken, sondern musste – ganz im Sinn eines humanistischen Bildungs- und Erziehungsideals – ihre gleichsam pädagogisch-moralische Verpflichtung „im Dienst der Volks-

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werden sollten. Vor allem das Ministerium des Innern nahm im Verlauf der Verhandlungen – „gemäß seiner bisherigen Zuständigkeit in Theaterangelegenheiten“ – nun „auch diejenige für die bisher Königlichen Theater in Anspruch“. Da aber auch das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung auf seinem Anspruch beharrte und eine „Doppelzuständigkeit für Theaterangelegenheiten“ als „auf die Dauer nicht haltbar“ eingeschätzt wurde, zog sich die Regelung der Theaterverhältnisse hin. Siehe hierzu ein Schreiben des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Konrad Haenisch, vom 7. April 1919, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 2405. Im ,Großen Haus‘ wurden vornehmlich Große Oper, größere Schauspiele sowie Operetten gespielt, das ,Kleine Haus‘ war für Kammerspiele und Spielopern reserviert. Siehe diese Angabe in einem Schreiben an das Reichsinnenministerium vom 17. November 1921, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Siehe hierzu einen Bericht des Preußischen Landtags über die finanzielle Lage der staatlichen Theater in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 90a, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 2406. Siehe hierzu: Nassauisches Landestheater. Vorlage für den 69. Kommunallandtag, S. 7ff., in: Magistrat der Stadt Wiesbaden. Büro der Hauptverwaltung. Akten betrf. Schliessung des Staatstheaters (Zweite preuß. Sparverordnung vom 23. Dezember 1931), in: StAW, Bestand WI/ 2, Nr. 3000.

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kultur“ ernst nehmen.45 Der demokratische Staat sollte sich als engagierter Schutzherr des öffentlichen Musiklebens erweisen und das „kultursponsernde Mäzenatentum“ der Vorkriegsära ablösen.46 Entsprechend vertrat die Weimarer Kulturpolitik ein Kunstverständnis, demgemäß Kunst und Kultur, „den einzelnen aus der für ihn wie für die Allgemeinheit gleich gefährdenden Absonderung“ herauslösen und ihn „zum Glied des Volksganzen, zum [...] Staatsbürger“ machen sollten.47 Wie vorangehend dargestellt48 , erhofften sich die politischen und intellektuellen Eliten der Weimarer Koalition von einer Rückbesinnung auf die eigene Nationalkultur einen umfassenden gesellschaftspolitischen Neubeginn, der die Spannung zwischen Kultur und Staat überbrücken beziehungsweise aufheben sollte. Kunst und Kultur wurde nach wie vor eine dezidiert integrative Wirkmacht zugeschrieben, wobei besonders der Nexus zwischen nationaler Identität und einem deutschen Musikkanon intakt blieb und ein unverzichtbares Reservoir der symbolpolitischen Sinnstiftung darstellte. Bereits die musikalische Reformpädagogik des späten Kaiserreiches hatte der Musik eine besondere soziale Wirkmacht attestiert. Zahlreiche Publizisten und Kulturpolitiker sahen in der Musik „das beste Mittel“, um „großen Massen gemeinsame Empfindungen beizubringen“ und die oftmals als elitär empfundene adelig-bürgerliche Bildungskultur zu überwinden.49 Die reformorientierte Musikpädagogik der Nachkriegsära hielt vielfach an den integrativen Potenzialen einer nationalen Musikkultur und -tradition fest. Der Musikpädagoge Leo Kestenberg (1882–1962), der seit dem 1. Dezember 1918 als Referent für musikalische Angelegenheiten und später als Ministerialrat im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung tätig war, sprach der Musik in seiner programmatischen, 1921 publizierten Schrift Musikerziehung und Musikpflege jene einigende und „sittliche Kraft“ zu, die das „deutsche Volk“ benötige, um sich als „geistige Gemeinschaft“ erleben

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Ebd. Eichhorn: „Magister, Magister“, S. 33. Konrad Haenisch wird zitiert nach: Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 197. Siehe hierzu Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). In seinen 1911 publizierten Überlegungen zu einer zeitadäquaten Musik-Politik definierte der Musikpublizist und Schriftsteller Karl Storck (1873–1920) Musik als „Grundkraft deutscher Kunstkultur“ und als „sozialste aller Künste“. Storck datierte die von der Musik geleistete „Rettungsarbeit am deutschen Volkstum“ bis in die Ära Johann Sebastian Bachs (1685–1750) und Georg Friedrich Händels (1685–1759) zurück, deren Musik es gelungen sei, dem „von völliger Verkümmerung bedrohten deutschen Volke“ ein „Mittel der seelischen Erhebung aus aller Trübsal“ zu geben. Ihre Musik beschrieb Storck emphatisch als „Befreierin“ und „Erlöserin“ des „deutschen Volkes“; er stilisierte sie geradezu zum Inbegriff einer „urdeutsche[n] Kultur“, die den „politische[n] Aufschwung unter Friedrich dem Großen“ vorweggenommen habe. Siehe Karl Storck: Musik-Politik. Beiträge zur Reform unseres Musiklebens, Stuttgart 1911, S. 24ff.

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zu können.50 Kestenberg hob vor allem die Bedeutung einer systematischen Musikerziehung hervor und erkannte der musikalischen Früherziehung, den Volks-Musikschulen oder der Schulmusik einen hohen Stellenwert zu. Musikerziehung und -pflege sollten aus dem geschlossenen Kokon bürgerlicher Lebensführung und -erfahrung herausgelöst werden, um sukzessive eine schichtenübergreifende nationale Musikkultur etablieren zu können.51 Diese kunstpolitischen Reformen standen in engem Zusammenhang mit der geforderten Neuausrichtung und Demokratisierung der Nachkriegsgesellschaft als solcher: Die Weimarer Kulturpolitik erhob die Musik zum Vehikel einer umfassenden gesellschaftlichen Reform, die den politischen, sozialen und künstlerischen Modernisierungsprozess der Nachkriegsära vorantreiben sollte. Forderungen nach einer ästhetisch vermittelten politischen Sinnstiftung wurden dabei sowohl von Seiten linksliberaler als auch bürgerlich-konservativer Publizisten und Kulturpolitiker immer wieder geäußert. Beide Lager hielten damit weitgehend an jenem „historiographischen Mythos“ fest, der die „nach 1750 komponierte Musik der deutschsprachigen Länder zum Maßstab aller musikalischen Dinge machte“ und von dem man sich besonders im Zeichen der tief greifenden gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1918/19 ästhetische und gesellschaftspolitische Impulse erhoffte.52 Als konstitutiver Unterschied kann allerdings festgehalten werden, dass sich die sozialdemokratische preußische Staatsregierung von Anfang an auch institutionell zu einem entschiedenen Fürsprecher der musikalischen Moderne machte, wohingegen rechtskonservative Kreise sehr rasch dazu übergingen, Komponisten wie Ernst Krenek, Arnold Schönberg, Kurt Weill und andere Vertreter der ,neuen Musik‘ als Anhänger eines gefährlichen ,Musikbolschewismus‘ zu verunglimpfen. Damit prägten sie jenen weltanschaulich aufgeladenen Kampfbegriff, der die Herausforderung konventioneller Hörgewohnheiten zu einem Politikum werden ließ. Der ,neuen Musik‘ wurde ein subversivrevolutionäres Moment attestiert, und diese Absage an etablierte Kompositionsstile und Formsprachen reichte aus, um den „Bruch mit der Tonalität als Parallele zum Sturz der Monarchie zu formulieren“.53 Ästhetische Werturteile 50 51

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Leo Kestenberg: Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig 1921, S. 4. Bei den zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Schulmusik-Wochen, die zwischen 1921 und 1928 insgesamt acht Mal in unterschiedlichen Städten des Reichs stattfanden, ging es daher nicht allein um praktisch-methodische Fragen (Lehrplangestaltung etc.). Vielmehr strebten diese Veranstaltungen eine Demokratisierung des institutionalisierten Musikbetriebes an. Vgl. Anselm Gerhard: Musikwissenschaft − Eine verspätete Disziplin, in: ders. (Hrsg.): Musikwissenschaft − Eine verspätete Disziplin? Die akademische Musikforschung zwischen Fortschrittsglauben und Modernitätsverweigerung, Stuttgart/Weimar 2000, S. 1– 30, hier S. 11. Siehe zur Genese und Funktion des Begriffs ,Musikbolschewismus‘ und zur Politisierung der Musik in der Weimarer Zeit vor allem Eckhard John: Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–1938, Stuttgart/Weimar 1994, S. 46f.

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speisten sich somit auch aus einer weit verbreiteten Furcht vor der Erosion gesamtgesellschaftlich verbindlicher Traditions- und Ordnungsmuster. Im Laufe der 1920er Jahre radikalisierte sich die Denkfigur des ,Kultur‘-, ,Kunst‘- oder ,Musikbolschewismus‘ zusehends. Immer öfter konnte jene so folgenreiche wie verhängnisvolle „Verknüpfung ästhetischer und politischer Ressentiments gegen die junge Republik“ beobachtet werden, in der „die Ablehnung der kulturellen Moderne mit antiliberalen, antisozialistischen und autoritären politischen Optionen“ Hand in Hand ging.54 Auch die Kulturpolitik Kestenbergs, die die Kunst der Moderne gezielt förderte, wurde vielfach zur Zielscheibe antiliberaler und antimoderner Kritik. Kestenberg hatte in seiner Berufungspolitik wiederholt bewusst unkonventionelle Entscheidungen getroffen und wurde dafür nach eigenen Aussagen vielfach kritisiert und angegriffen.55 Nicht zuletzt war seinem Einsatz die zielstrebige Reform der Staatlichen Hochschulen für Musik in Köln und Berlin zu verdanken. In Berlin etwa machte er sich für die Berufung Ferruccio Busonis und Franz Schrekers an die Staatliche Akademie der Künste stark, die das Institut maßgeblich prägten und die Öffnung gegenüber der kulturellen Moderne vorantrieben. Besonders engagierte sich Kestenberg auf dem Gebiet der Oper. Der preußische Kulturpolitiker betrieb unter anderem die Berufung des damaligen Wiesbadener Generalmusikdirektors Otto Klemperer an die Berliner KrollOper, die das „größte und kühnste Experiment“ der Weimarer Kulturpolitik werden sollte, und die allerdings 1930 im Bankrott endete.56 Hier fanden jene epochalen Aufführungen statt, die die Kroll-Oper zum künstlerischem Aushängeschild der neuen Republik, ja zum Inbegriff eines ästhetisch radikalen ,Kulturtheaters‘ werden ließen.57 Paul Hindemiths Opern Cardillac und Neues vom Tage waren hier ebenso zu bestaunen wie Ernst Kreneks Orpheus und Eurydike oder Leoš Janáčeks Aus einem Totenhaus.58 Insgesamt, so Kestenberg, stellte das Repertoire der Kroll-Oper in seinem „noch nie dagewesene[n], moderne[n] Gewand“ für das Berliner Publikum „geradezu eine Herausforderung“ dar.59 Doch ausgerechnet das Volksbühnenpublikum, das nach den Vorstellungen der Berliner Kulturpolitiker doch „der eiserne Bestand“ der Kroll-Oper sein sollte, „versagte“ nach den Worten Kestenbergs vollkommen und besuchte lieber die „mittelmäßigen Aufführungen von ,Butterfly‘, ,Tosca‘ usw.“, die in der Lindenoper gegeben wurden.60 Resigniert sah man in Berlin zu, wie „der Besuch der einzelnen Aufführungen auf ein 54 55 56 57 58 59 60

Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 201. Leo Kestenberg: Bewegte Zeiten. Musisch-musikantische Lebenserinnerungen, Zürich 1961, S. 54. Ebd., S. 66. Siehe hierzu allgemein Peter Heyworth: Otto Klemperer. Dirigent der Republik 1885– 1933, Berlin 1988, S. 269ff. Kestenberg: Bewegte Zeiten, S. 68. Ebd. Ebd.

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Minimum zurückging und demgemäß die Einnahmen ganz geringfügig wurden“.61 Mit ähnlichen Problemen sahen sich die preußischen Kulturpolitiker auch in Wiesbaden konfrontiert. Professionelle und den ästhetischen Neuerungen der Moderne gegenüber aufgeschlossene Theaterleiter wie Carl Hagemann (1871–1945), der die Wiesbadener Bühne von 1920 bis 1926 leitete und sich neben seiner Laufbahn als Intendant der Theater in Mannheim, Hamburg und Wiesbaden auch als Autor theaterwissenschaftlicher Fachbücher einen Namen machte, oder der Musikschriftsteller und -kritiker Paul Bekker, der von 1926 bis 1932 in Wiesbaden tätig war, verliehen dem Theater im Laufe der 1920er Jahre ihre besondere Kontur: Die Berufung dieser beiden Intendanten durch das Berliner Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung stellte damit sowohl in ästhetischer als auch in kulturpolitischer Hinsicht einen bewusst herbeigeführten Bruch mit dem Hoftheaterstil der Vorkriegszeit dar. Beide Intendanten aktualisierten das Repertoire der Bühne und bemühten sich um eine Homogenisierung des künstlerischen Ensembles, um das Star-System der Kaiserzeit abzulösen. Hagemann und Bekker unterstützten damit aktiv den neuen Kurs der Berliner Staatsregierung, die das Wiesbadener Theater im Sinnes eines ,Volks- und Kulturtheater‘ leiten wollte. Gerade in den Anfangsjahren der Weimarer Republik war es nicht leicht, dieses Konzept eines ,modernen Kulturtheaters‘ in Wiesbaden durchzusetzen. Weite Kreise des alteingesessenen Theaterpublikums verlangten noch immer nach einer mehr „bürgerlichen Orientierung des Instituts“ und waren nicht bereit, den programmatischen Neuerungen Hagemanns zu folgen, wie dieser enttäuscht feststellte, nachdem seine Spielplangestaltung und seine Inszenierungsweise wiederholt scharf angegriffen worden waren.62 Gerade im Hinblick auf die Außenwirkung der exponierten Wiesbadener Bühne verwarf Hagemann die oftmals pompös-kolossale Ausrichtung, durch die die Wiesbadener Bühne in den Vorkriegsjahren von sich reden gemacht hatte. Wo regelmäßig Neuinszenierungen „von der ,Entführung‘ oder von ,Tristan und Isolde‘“ zu sehen seien, so Hagemann, müssten auch „europäische Meisterwerke wie ,Hoffmanns Erzählungen‘ oder ,Carmen‘ gelegentlich aufgefrischt werden“.63 Dies empfahl sich nach Meinung des Intendanten schon aus Rücksicht auf die „besonderen Bedürfnisse“ einer internationalen Bäderstadt, „wo das Fremdenpublikum von deutscher Theaterkunst maßgebende und fortwirkende Eindrücke bekommt, die nach Meinung Einsichtiger mehr zu Völkerverständigung und Völkerversöhnung beitragen als alle die vielen Kongresse, Konferenzen und ähnliche politische Unternehmungen“.64 61 62 63 64

Ebd. Siehe hierzu einen offenen Brief Carl Hagemanns an Wilhelm Wittgen in: Nassauer Rundschau. Wochenschrift für Deutschtum und Heimat 40, Nr. 15 (14. April 1922). Ebd. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Gerade ein Kulturtheater „von der Größe und Bedeutung des Wiesbadener“ dürfe sich – so Hagemanns Urteil – nicht von „irgend einer Partei oder irgendeiner Doktrin ins Schlepptau nehmen lassen“.65 Vom Staat betrieben und subventioniert, gehöre das Wiesbadener Theater in erster Linie „der Allgemeinheit“ und solle dementsprechend auch „für alle Schichten der Gesamtbevölkerung“ spielen.66 Paul Bekker folgte dieser programmatischen Ausrichtung seines Vorgängers. Er sah die Aufgabe der neuen Staatstheater darin, „Volkstheater“ zu sein „jenseits aller Parteigänger politischer wie künstlerischer Art“.67 In Wiesbaden arbeitete er deshalb „auf eine Zusammenfassung aller schöpferischen Geisteskräfte“ hin, um sowohl einen einheimischen als auch einen „fremdländischen Hörerkreis“ für das Staatstheater zu begeistern.68 Außerdem versuchte Bekker, das Staatstheater in stärkerem Maß „dem öffentlichen Leben an[zu]gliedern“ und die „von der Allgemeinheit aufgewandten Mittel der gleichen Allgemeinheit auch im wirtschaftlichen Umsatz wieder zufließen“ zu lassen.69 Von Anfang an war allerdings eine gewisse Kluft zwischen den konzeptionellen Vorstellungen und Plänen der preußischen Staatsregierung und der leitenden Intendanten einerseits und den Erwartungen des Wiesbadener Publikums und des internationalen Fremdenpublikums andererseits auszumachen. Ein republikanisches ,Kulturtheater‘ im oben skizzierten Sinn ließ sich in Wiesbaden nur partiell verwirklichen. Im Gegensatz zu Frankfurt entwickelte sich Wiesbaden in den 1920er Jahren nicht zu einem bedeutenden intellektuellen und künstlerischen Zentrum der Weimarer Republik. Die besondere Einwohner- und Publikumsstruktur der Bäderstadt, die bis 1930 andauernde alliierten Besatzung, der wirtschaftliche Niedergang und die politisch vergleichsweise konservative Stadtkultur prägten das janusköpfige Gesicht der Stadt, die in der Weimarer Zeit zwischen nostalgischer Trauer um den verlorenen Glanz der Kaiserzeit und zögerlichem Aufbruch in die Moderne hin- und hergerissen war. Drei Fallstudien werden nachfolgend die Entwicklung der politischen Festkultur Wiesbadens in den Jahren zwischen 1919 und 1930 illustrierend nachzeichnen. Ein erstes Kapitel untersucht am Beispiel des Wiesbadener Theaterbrandes (1923), wie sich die Stadt und ihr Theater in jener ersten Phase der ,Wirren und des Beginns‘ (Peter Gay) zu positionieren suchten und welche spezifische Rolle dem Musiktheater in diesem Prozess natio-

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Ebd. Ebd. So Paul Bekker in: Das Theater, in: Richard H. Grützmacher (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 73–81, hier S. 81. Ebd. Ebd.

3. Wiesbaden und sein Theater 1918–1930

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nalkultureller Standortbestimmung zukommen sollte.70 Auch in der sich anschließenden Phase relativer Stabilität und Prosperität tat sich Wiesbaden schwer, sich aus der Stagnation der Anfangsjahre zu lösen. Carl Hagemann charakterisierte seine Wiesbadener Tätigkeit im Rückblick mit fast resigniertzynischen Worten: „Überhaupt muß ich [...] sagen: von allen Intendantenstellen Deutschlands ist die Wiesbadener die ruhigste und beschaulichste, die unaufregendste. Man hört wenig und weiß gar nichts. Im Guten nicht und nicht im Bösen. Kommt es wirklich einmal zu einer das Theater betreffenden Äußerung in der Presse, im Foyer, auf einem der großen Feste oder einer sportlichen Veranstaltung, so ist das Gerede so unbedeutend und belanglos, wird es so ohne Nachdruck vorgetragen, daß man nichts damit anfangen kann.“71

Im Rückblick glaubte Hagemann, mit seiner ehrgeizigen „Fiktion vom Kulturtheater der deutschen Provinz“ gescheitert zu sein und wechselte 1926 zum Berliner Rundfunk.72 Seinem Nachfolger Paul Bekker gelang es, dem Wiesbadener Staatstheater mit der 1928 wieder aufgenommenen Tradition der Maifestspiele neuen Auftrieb zu geben.73 Sein Scheitern dokumentiert allerdings den schnellen Bedeutungsverlust Wiesbadens, das es im Gegensatz zu Frankfurt nicht vermochte, eine gewandelte und genuin republikanisch-moderne Festkultur zu etablieren, sondern vornehmlich vom Nimbus der kaiserzeitlichen Pracht zehrte. Eine dritte und letzte Fallstudie untersucht die so bezeichneten ,Befreiungsfeierlichkeiten‘, die Wiesbaden im Juni und Juli 1930 anlässlich der Räumung des Rheinlandes durch die alliierten Truppen festlich beging. Innerhalb der Stadt- und Theatergeschichte stellte diese Feier ein herausragendes symbolpolitisches Ereignis dar.74 In gewisser Weise schlägt dieses Kapitel eine Brücke zur ersten Fallstudie aus dem Jahr 1923, die sich ebenfalls mit der alliierten Besatzung auseinandersetzt. Aus Anlass des Truppenabzugs im Sommer 1930 führte man hier unter anderem ein so genanntes ,Befreiungsfestspiel‘ auf, das den Titel „Deutschlands Strom“ trug und als gigantisches Freilicht-MassenFestspiel in Szene gesetzt wurde: Tausende von Statisten und Sängern − darunter 3000 Wiesbadener Schülerinnen und Schüler − waren im Einsatz, der Festplatz fasste Zehntausende Zuschauer, so dass eine Aufführung in den Räumen des Staatstheaters undenkbar war. Obwohl das Theater mit einer Reihe von Festaufführungen an den Festlichkeiten beteiligt war, stand es − anders als etwa während der Zeit der Kaiserfestspiele − nicht mehr im Zentrum des Interesses. Der ästhetische wie auch der gesellschaftliche und politische Bedeutungsverlust der Oper trat damit klar zutage. 70 71 72 73 74

Gay: Die Republik der Außenseiter, S. 193ff. Vgl. hierzu Kapitel III.4 (Ein ,Fels im brandenden Meer der feindlichen Propaganda‘). Hagemann: Bühne und Welt, S. 172. Leipziger Zeitung, 24. Dezember 1926. Vgl. hierzu Kapitel III.6 (Das ,Locarno der Kultur‘). Vgl. hierzu Kapitel III.8 (Vom ,Totentanz am Rhein‘ zu einem neuen ,Platz an der Sonne‘?).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Durch eine Preußische Notverordnung wurde das Wiesbadener Staatstheater bereits 1932 aufgelöst und vorübergehend als ,Nassauisches Landestheater‘ weitergeführt, da der Staat die hohen Subventionen für seine Staatstheater in Kassel und Wiesbaden nicht mehr aufbringen konnte. 1934 wurde das Wiesbadener Theater dann wieder zum ,Preußischen Staatstheater‘, als der damalige preußische Ministerpräsident Göring die Wiesbadener Bühne seinem Ministerium unterstellte und Carl von Schirach, den Vater des künftigen Reichsjugendführers, zu dessen Leitung berief. 1935 in ein ,Deutsches Theater‘ umgewandelt, sollte das Haus dazu beitragen, „die Kunst wieder zum Volke zu führen, um das Volk wieder zur Kunst führen zu können“, wie Reichspropagandaminister Goebbels bereits am 8. Mai 1933 in einer Rede vor deutschen Bühnenleitern im Berliner Hotel Kaiserhof unmissverständlich klar gemacht hatte.75 Wie dieses Programm in Wiesbaden umgesetzt werden sollte, bedarf keiner längeren Ausführung: Die unter Paul Bekker unternommenen „Ausflüge in die ,entartete‘ Moderne“ hatten ein Ende zu finden, auf den Spielplänen der Wiesbadener Bühnen hielten nun wieder die ,deutsches Wesen‘ garantierenden Klassiker Einzug.76 1935 fanden auch zum letzten Mal vor dem Krieg ,Maifestspiele‘ statt, im gleichen Jahr ernannte die Stadt Wiesbaden Adolf Hitler zu ihrem Ehrenbürger; durch diese Geste erhoffte sich das ,Rheinische Nizza‘ „alten Glanz in neuer Verpackung“ − ein nicht ganz unerwarteter Vorgang, wenn man sich vor Augen führt, „daß Wiesbaden schon sehr früh zu den deutschen Städten gehörte, in denen die NSDAP mit einer beträchtlichen Zahl von Wählerstimmen rechnen konnte“.77 Wiesbadens Theatergeschichte fand schließlich 1944 ihr vorläufiges Ende, als Goebbels im Berliner Sportpalast den ,Totalen Krieg‘ ausrief und alle deutschen Bühnen geschlossen wurden.

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Zur Geschichte des Wiesbadener Theater zwischen 1918 und 1945 siehe ausführlich Karl Heinz Roland: Aufbruch, Gleichschaltung und Zusammenbruch 1918–1945, in: ders./ Alexander Hildebrand/Eva Christina Vollmer (Hrsg.): Theater in Wiesbaden 1765–1978, S. 85–97, hier S. 96. Ebd. Ebd., S. 97.

4. Ein „Fels im brandenden Meer der feindlichen Propaganda“1 : Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes 1923 4.1 Der Theaterbrand im Kontext der alliierten Besatzungspolitik In der Nacht des 18. März 1923 brach in den Bühnenräumen des Wiesbadener Theaters nach einer Vorstellung von Richard Wagners Oper Rienzi ein Feuer aus, das die Kuppel des Gebäudes zum Einsturz brachte und das große Bühnenhaus fast völlig zerstörte − ein Schlag, der die vom Fremdenverkehr abhängige Stadt besonders hart traf. Von Anfang an nahm man den Theaterbrand in Wiesbaden denn auch als ein ebenso einschneidendes wie niederschmetterndes Ereignis wahr, und weit über den regionalen Umkreis hinaus erblickte die Presse in diesem Feuer eine „unerhörte [...] Katastrophe“.2 Vielfach bewertete man die Zerstörung des Theaters als einen „unentgeltliche[n] Verlust deutscher Kultur“.3 Der Theaterbrand wurde in der Folgezeit geradezu zu einer nationalen Tragödie stilisiert und die Wiesbadener Bühne zum Inbegriff „deutscher Kunst“ und „deutscher Gesinnung“ erhoben (Abb. 17).4 Die Ursache des Feuers ließ sich nicht eindeutig feststellen, aber da bereits beim Bau des Hauses in den 1890er Jahren auf Feuersicherheit großer Wert gelegt worden war, stellte sich bald heraus, dass die Flammen dem Zuschauerraum, dem Foyer, den Ankleideräumen und Büros sowie der Bibliothek und den Werkstätten keinen nennenswerten Schaden zugefügt hatten.5 Die 1 2 3 4 5

München-Augsburger Abendzeitung, 24. März 1923. Hannoverscher Kurier, 21. März 1923. Deutsche Allgemeine Zeitung, 20. März 1923. Neues Wiener Journal, 28. März 1923. In einem Brief des Wiesbadener Intendanten Carl Hagemann an den Wiesbadener Regierungspräsidenten Konrad Haenisch vom 25. März 1923 heißt es hierzu ausführlicher: „Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, vor allem aber auch für Ihre Bereitwilligkeit, mich nach Möglichkeit unterstützen zu wollen, wenn jetzt die schwierigen Fragen des Wiederaufbaues unserer Bühne geregelt werden. Glücklicherweise ist der Brand auf das Bühnenhaus, ein unmittelbar angrenzendes Dekorations- und Möbelmagazin und auf die Rüstungskammer beschränkt geblieben. Der Zuschauerraum, das Foyer, sämtliche Büro-, Kassen- und Garderoberäume sowie fast alle Magazine blieben intakt. Wir sind infolgedessen noch im Besitz des allergrössten Teils unseres Dekorations- und Kostümfundus, der gesamten Bibliothek und Akten, sowie aller Musikinstrumente, sodass wir den künstlerischen Betrieb unmittelbar nach Wiederherstellung des technischen Bühnenapparates in alter, vorbildlicher Weise wieder aufnehmen können.“ Siehe das Schreiben Hagemanns

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 17: Historische Postkarte, die den Brand im Wiesbadener Staatstheater darstellt

Aufbauarbeiten des Theaters gingen daher auch vergleichsweise rasch vonstatten. Bereits im Dezember des gleichen Jahres konnte das Haus mit einer Festvorstellung von Richard Wagners Lohengrin wieder eröffnet werden. Dennoch saß der Schock der Brandkatastrophe tief und wurde jenseits der tatsächlich angerichteten Schäden als einschneidende Zäsur der städtischen und regionalen Geschichte wahrgenommen. Mit dem monatelangen Ausfall des Theaters standen für Wiesbaden offenkundig nicht nur vitale ökonomische und touristische Interessen auf dem Spiel. Im Verlauf dieses Jahres sollten der Brand der Wiesbadener Bühne, ihr Stellenwert innerhalb der deutschen Theaterlandschaft und ihre kulturpolitische Bedeutung „für die Westmark unseres Vaterlandes“ immer wieder in den Fokus publizistischer Debatten gerückt werden.6 Zahlreiche Presseberichte wollten in der plötzlichen Zerstörung und dem mühevollen Aufbau des Theaters ein Gleichnis für das „von Unglück und Schicksalsschlägen“ heimgesuchte Deutschland erkennen, das sich gerade 1923 − bedingt etwa durch die Nachwirkungen der Inflation, die militärische Besatzung des linken Rheinufers und den Verlauf des Ruhrkampfes − ebenfalls einer innen- wie außenpolitisch äußerst schwierigen Lage gegenübersah und den Aufbruch in eine ,neue‘ Ära nur zögerlich zuwege brachte.7 In ersten Reaktionen auf den Brand zeigte sich die lokale und überre-

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in: Staatstheater Wiesbaden, General-Akten betrf. Bühnenbrand im Staatstheater ,Großes Haus‘ am 18.3.1923, Bd. I: 1923, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 355. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Wiesbadener Tagblatt, 31. Dezember 1923.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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gionale Presse erschüttert über die Zerstörung dieses architektonischen und ästhetischen Wahrzeichens der international renommierten Bäderstadt: Während „der Aera Hülsen“ habe das pompöse Theater zwischen 1890 und 1914 stets einen „Glanz“ verbreitet, „der seine Anziehung auf die ganze Welt“ ausgeübt habe.8 Neben diesen wehmütig-nostalgischen Reminiszenzen wurden auch andere Stimmen laut, die den Brand und die Wiederaufbauarbeiten des Theaters einem ,nationalen Verteidigungskampf ‘ deutscher Kultur gegen die französisch-alliierten Besatzer zuordneten und mitunter revanchistischnationalistische Ressentiments laut werden ließen. Den Wiederaufbau des Theaters und dessen festliche Eröffnung im Dezember 1923 deuteten diese publizistischen Erzählmuster entsprechend als heroisches Zeichen „deutscher Widerstandsfähigkeit in schlimmer Zeit“, mit dem sich zugleich die Erneuerung einer nationalen Gemeinschaft verband.9 Auf diese Weise wurden die Stadt Wiesbaden und ihr Theater selbst zu verdichteten nationalen Symbolen, mit denen das Trauma der Kriegsniederlage Deutschlands und der Nachkriegswirren bearbeitet werden konnte. Anhand der unterschiedlichen diskursiven Deutungsstrategien des Theaterbrandes lässt sich dieser Vorgang ebenso nachzeichnen wie am Beispiel der Festwoche im Dezember 1923, als das Theater feierlich wiedereröffnet werden konnte: Festinszenierungen von Wagners Opern Lohengrin (20., 23. und 25. Dezember 1923) und Tannhäuser (30. Dezember 1923) sowie Carl Maria von Webers Der Freischütz (6. Januar 1924) dominierten die Festwoche, an Schauspielen kam lediglich Friedrich Schillers Drama Maria Stuart zur Aufführung. Die Theaterleitung hatte dieses Festprogramm sorgsam zusammengestellt, um das Ereignis der Wiedereröffnung angemessen zu würdigen. In Bezug auf das Musiktheater galten gerade Carl Maria von Weber und Richard Wagner als Wegbereiter und virtuose Gestalter einer genuin deutschen Nationaloper. Daher war es auch als symbolpolitische Geste aufzufassen, dass anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten des Wiesbadener Theaters zentrale Werke eines nationalkulturellen Kanons zur Aufführung gelangten, über die die Vorstellung nationaler Identität und Gemeinschaft performativ Klang und Gestalt annehmen sollte. Politisch bedeutsam war dies besonders deshalb, weil man in und außerhalb Wiesbadens die Wiedereröffnung des Hauses als erfolgreiche Inbesitznahme eines lange Zeit umkämpften städtischen Raumsymbols wahrnahm. Seit dem Ende des Krieges und dem Beginn der alliierten Besatzung im Dezember 1918 hatten sich viele Konflikte zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Angehörigen der Besatzungsmächte immer wieder an Fragen der Kultur- und Theaterpolitik entzündet.10 In den Jah8 9 10

Neues Wiener Journal, 28. März 1923. Ebd. Besonders der Befehlshaber des in Wiesbaden stationierten 30. französischen Armeekorps, General Henri Mordacq, hatte stets ein waches Gespür für die Bedeutung und Wirkmacht symbolischer Gesten erkennen lassen. Immer wieder finden sich in seinen

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ren der Besatzung wurde Wiesbaden mehr als einmal Zeuge aufwendiger ,Heerschauen‘, bei denen die Dominanz der alliierten Streitkräfte und der unwiderrufliche Zusammenbruch des wilhelminischen Machtstaates der Stadt Wiesbaden vor Augen geführt wurden: Die regelmäßige Feier des französischen Nationalfeiertages am 14. Juli, der Jahrestag des 11. November 1918 und die Wachablösungen vor dem kaiserlichen Schloss waren markante, symbolisch aufgeladene Ereignisse, die die französischen Militärbehörden zur bewussten Demonstration ihrer Macht ebenso nutzten, wie dies nur wenige Jahre zuvor der letzte Hohenzollernmonarch bei seinen regelmäßigen Aufenthalten in Wiesbaden getan hatte. Bei diesen Anlässen wurden stets symbolpolitisch relevante Orte des städtischen Raumes in das Gesamtgefüge der alliierten Herrschaftsapparatur einbezogen. Mit dem Ritual der täglich stattfinden Wachablösungen führten die französischen Militärs den Deutschen die Präsenz „unsere[r] tüchtigen Soldaten“ vor Augen, und besonders „das Intonieren unserer Kriegsmärsche vor dem kaiserlichen Schloß“ rief der Bevölkerung Wiesbadens „jeden Tag ins Gedächtnis“, dass „wir uns an Ort und Stelle als Machthaber ganz wohl fühlten.“11 Die Spitzen der alliierten Militärmächte wie der französische General Henri Mordacq waren sich über die eminente Bedeutung und Reichweite einer solchen Geste durchaus im Klaren; Mordacq etwa notierte freimütig, dass diese zwar „vom rein militärischen Standpunkt aus vielleicht nicht unbedingt notwendig“ gewesen sei, zugleich aber „eine richtige Zeremonie“ darstelle, die in hohem Maße „symbolisch“ wirke.12 Dass eine solche Zurschaustellung der durch den Krieg radikal gewandelten politischen und militärischen Machtverhältnisse gerade in der ehemaligen Residenzstadt Wiesbaden als ein besonderes Ärgernis erlebt wurde, belegen die Äußerungen des Kulturpublizisten Robert Prechtl, der sich 1919 in der Berliner Zeitschrift Der Spiegel zum „Fall Wiesbaden“ wie folgt äußerte: „Man kriegt ein dickes Herz. Es wird mit einemmal sichtbar, was das ist: besiegt. Unsere Herren und Gebieter machen sich breit in unserm Land. [...] An der runden Ecke ein Schild in den drei Farben, darinnen leuchtend R F − dort, wo wahrscheinlich früher ein Schild mit W prangte. [...] Besiegt! Unterworfen! Die schwarzen Truppen marschieren vorbei − [...], die Offiziere mit langen Spaden, martialische Kerle − und die Fahnen, die Fahnen! Zerschossen, ausgebleicht in hundert Gefechten, aber leuchtend vom Ruhm, die furchtbarste Militärmacht der Welt zu Boden geworfen zu haben, zerrieben zu haben, von der Erde weggefegt zu haben.“13

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Erinnerungen an seine Zeit als Befehlshaber der Rheinarmee in Wiesbaden ausführliche Beschreibungen zeremonieller Festakte, Paraden und Gedenktage, mit denen die französische Besatzungsarmee die radikale Veränderung der politischen und militärischen Machtverhältnisse nach 1918 wirkungsvoll in Szene setzte. Henri Mordacq: Die deutsche Mentalität. Fünf Jahre Befehlshaber am Rhein, Wiesbaden 1927, S. 19. Ebd. Prechtl: Wiesbaden, S. 1f. Hervorh. S. K.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Neben dem Stadtschloss nahmen die französischen Truppen ein weiteres städtisches Wahrzeichen in Besitz. Auch das Wiesbadener Theater, das seit seiner Eröffnung im Jahr 1894 einen Zentralort urbaner Festkultur dargestellt hatte, wurde von den französischen Militärs sukzessive in den Prozess der symbolischen Herrschaftsrepräsentation eingebunden. In seinen Memoiren schilderte Henri Mordacq ausführlich einen Besuch des britischen Marschalls Wilson in Wiesbaden. Während ihres Treffens besuchten sie gemeinsam „eine Wagner-Vorstellung im Opernhaus“.14 Beide wiesen dem ästhetischen Erleben allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Vielmehr nutzten sie die Gelegenheit, um über die Zeit zu sprechen, „da wir versuchten, [...] dem französischen und englischen Generalstab klarzumachen, daß der große Krieg nahe sei [...]. Wir hatten nur wenig Gehör gefunden; aber letzten Endes ist der Sieg ja doch gekommen [...].“15 Dass Wilson und Mordacq diesen Sieg im Wiesbadener Theater noch einmal symbolisch nachvollzogen und auskosteten, belegt eindrücklich, wie sehr das Opernhaus als strategischsymbolpolitisches Raummedium wahrgenommen wurde und in Prozesse der Hervorbringung und Präsentation von politischer und militärischer Macht eingebunden war. Die alliierten Befehlshaber legten zudem großen Wert darauf, dass ihnen bei ihren Besuchen im Theater dieselbe Reverenz erwiesen wurde, die einst die Hohenzollernkaiser für sich gefordert hatten; so bestanden sie beispielsweise darauf, den eigens für Wilhelm II. eingerichteten Zugang zur Kaiserloge zu nutzen, um nicht denselben Theatereingang wie das Publikum nehmen zu müssen.16 Wenn Mordacq in seinen Memoiren ausdrücklich festhielt, dass er gemeinsam mit dem Ehepaar Wilson in der für ihn ständig reservierten ehemaligen Kaiserloge Platz nahm, so bekundete er hiermit seinen Anspruch auf einen der repräsentativen Herrschaftsräume, der nur wenige Jahre zuvor noch zur Glorifizierung und Festigung wilhelminischer Macht beigetragen hatte. Dieser Tatsache war sich Mordacq auch bewusst, wenn er rückblickend in seinen Memoiren darüber räsonierte, welches „wohl die Gedanken und Empfindungen Wilhelms II. gewesen“ wären, „wenn man ihm sechs Jahre vorher gesagt hätte, daß ihn eines Tages ein englischer Marschall und ein französischer General ersetzen würden in dieser Loge, an der er so sehr hing, daß er sie während seines ganzen Aufenthalts in Wiesbaden nicht einen einzigen Tag entbehren konnte?“17 Als militärischer Befehlshaber wollte Mordacq nicht auf das Opernhaus als Raum der symbolischen Repräsentation verzichten. Wie auch andere Angehörige der alliierten

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Mordacq: Die deutsche Mentalität, S. 19. Ebd. Vgl. hierzu den Brief der französischen Militärregierung vom 28. Oktober 1919 an die Intendantur des Wiesbadener Theaters. Vgl. in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Maßnahmen während der Besatzung Wiesbadens durch den Feind, Bd. II: Juni 1919–1923, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 353. Mordacq: Die deutsche Mentalität, S. 20.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Besatzungsmächte − etwa der Präsident der Rheinlandkommission, Paul Tirard, − nutzte er es vielmehr bewusst zur Demonstration seiner exekutiven Amtsgewalt und besuchte die Wiesbadener Bühnen teilweise mehrmals in der Woche.18 Allabendlich hatte die Intendantur daher ein bestimmtes Kartenkontingent für die französischen Militärangehörigen zu reservieren. Die ehemaligen Wiesbadener Stammkarten- und Logeninhaber reagierten zumeist ungehalten auf diese Verfügung, führte diese Maßnahme doch dem einheimischen Publikum seine gesellschaftliche Deklassierung vor Augen.19 Die demonstrative Übernahme des Wiesbadener Theaters durch die französischen Besatzungstruppen war somit auch als ein politischer Akt einzustufen, der von der städtischen Bevölkerung vielfach als gezielte Brüskierung erfahren wurde: „Nichts ist schmerzlicher und niederdrückender“, so meinte man hier, „als wenn andere im eigenen Haus nach Gutdünken und Willkür wie die eingesessenen Herren schalten und walten können. Das Siegerbewußtsein führt leicht zu Uebermut und Ungerechtigkeit; auch Racheinstinkte werden lebendig [...].“20 Oftmals befremdete das Verhalten der französischen

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Vgl. hierzu Hagemann: Bühne und Welt, S. 175f. Anlässlich der Feierlichkeiten des Rheinlands am 30. Juni 1930 brachte die Rheinische Volkszeitung am 1. Juli 1930 eine Sonderausgabe heraus, in der in dem Artikel „Theater und Kurhaus in der Besatzungszeit“ unter anderem auch die Vergabepraxis der Kartenkontingente an die französischen Mannschaften detailliert beschrieben wurde: „Der französische Oberdelegierte requirierte am 12. Dezember 1918 im Großen Haus 26 Plätze für Offiziere, 50 für Unteroffiziere und 100 für Mannschaften; im Kleinen Haus 15 Plätze für Offiziere, 30 für Unteroffiziere und 60 für Mannschaften, die sämtlich bis nach Abschluß des Versailler Vertrages ohne Entschädigung zur Verfügung stehen mußten. Eine Folge der Beschlagnahmung dieser ausnahmslos besten Plätze war die Verweisung der Abonnenten auf ungünstigere Sitze oder auf ein nichts. Vom 6. Mai 1920 ab waren die requirierten Plätze zu bezahlen, auch wurden sie auf ein Drittel eingeschränkt. Nur für den Vorsitzenden und den Oberdelegierten der Rheinlandkommission, den kommandierenden General, den Divisionsgeneral, den Brigadegeneral und Platzkommandanten gab es von nun an noch Freikarten. Die Offiziere vergüteten jetzt für den Platz ein Drittel des Tagespreises, Unteroffiziere und Mannschaften die Hälfte. [...] Für die Oper waren aber andererseits außer den befohlenen noch 20 Plätze zu vollem Preis in Verwahrung zu halten, die eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung freigegeben wurden, aber oft verfielen, was dann eine neue erhebliche Einbuße bedeutete. [...] Nach der Stabilisierung der deutschen Währung und dem gleichzeitig einsetzenden Beginn der Abwärtsbewegung des Franken wurde die Zahl der vorzubehaltenden Karten noch weiter vermindert, so daß vom März 1924 ab in der Oper für Offiziere 38 Plätze, im Schauspiel 13, in der Oper für Unteroffiziere 20 Plätze, im Schauspiel 10, für Mannschaften in der Oper 15 Plätze, im Schauspiel 5 vorzusehen waren. Die Offiziere bezahlten nun in der Oper 6 RM, die Unteroffiziere 2 RM, die Mannschaften 35 RPf. Vom 1. Juli 1925 ab kamen die Freiplätze und Vergünstigungen für Besatzungsangehörige infolge des Pariser Abkommens zwischen Reichsregierung und Besatzungsländern in Fortfall, und die Plätze mußten fortan voll bezahlt werden.“ Siehe in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. die Befreiungsfeier, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 343. Ebd.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Truppen und Zuschauer das Wiesbadener Stammpublikum. So monierte man beispielsweise, dass die französischen Theaterbesucher während der Vorstellung ihre Kopfbedeckungen aufbehielten, die Garderobe mit auf den Platz nahmen, „bei falscher Platzwahl kurzerhand über die Sitze“ kletterten oder gar „mit brennender Zigarette im Theater“ umher promenierten.21 Mancher „Kampf “ war hier auszustehen, „bis die Anpassung an hiesige Art, ein Bühnenkunstwerk zu genießen, vollzogen war“.22 Vor allem in der Frühphase der französischen Besatzung bot der Bereich der Kultur- und Theaterpolitik mehr als einmal Anlass zu Konflikten zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Alliierten. In Wiesbaden entstand vielfach der Eindruck, dass die französischen Militärs „das besetzte Gebiet [...] durch Sättigung mit französischem Geist“ gewissermaßen „en passant“ erobern wollten und im Theater ein besonders wirksames Instrument ihrer „,Bekehrungs‘-Politik“ erblickten.23 Die Theaterpolitik der Alliierten sah anfangs nämlich vor, dass in jeder Spielzeit eine Reihe von französischen Opern und Schauspielen in die Spielpläne der Wiesbadener Theater aufgenommen werden mussten.24 Zudem fanden auf Veranlassung der französischen Besatzungsbehörden Gastspiele französischer Theatergruppen in Wiesbaden statt, und Ensembles der Comédie Française oder des Théâtre de l’Odéon gastierten mehrfach in Wiesbaden. Die Reaktionen der Wiesbadener Bürgerschaft waren insgesamt eher verhalten, wenngleich der Widerstand gegen die französische Kulturpolitik im Rückblick sicher oftmals in überspitzter Form dargestellt wurde. Es darf wohl bezweifelt werden, dass die Wiesbadener Öffentlichkeit gerade angesichts der hier immer wieder ausbrechenden separatistischen Unruhen den Anstrengungen der französischen Kulturpolitik tatsächlich so „frostig und unbeteiligt, ja widerstrebend“ gegenüberstand, wie dies die Wiesbadener Presse gern kolportierte.25 Wie ernst die französischen Besatzer den Bereich der Kulturpolitik tatsächlich nahmen und wie sehr sie im Theater die Gefahr einer antifranzösischen Agitation vermuteten, bezeugen die in der Anfangszeit der französischen Besatzung recht rigide gehandhabten Zensurbestimmungen, mit denen die 21 22 23 24

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Ebd. Ebd. Ebd. Entsprechende Vorschläge hatte der Wiesbadener Intendant dem zuständigen Verwalter des Militärdistrikts Wiesbaden, Oberst Lineau, zu unterbreiten. Vgl. etwa ein von der Intendantur des Wiesbadener Theaters am 30. Dezember 1918 erstelltes Verzeichnis, das diejenigen französischen Opern und Schauspiele auflistete, die in die aktuellen Spielpläne der Wiesbadener Bühnen übernommen werden sollten: Genannt wurden hier vor allem Opern von Halévy, Auber, Cherubini, Gounod, Bizet, Meyerbeer oder Offenbach sowie Schauspiele von Molière. Siehe in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, General-Akten betrf. Massnahmen während der Besetzung des Wiesbadener Theaters durch den Feind, Bd. I: 1918–1919, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 368. Siehe hierzu den Artikel „Theater und Kurhaus in der Besatzungszeit“ in einer Sonderausgabe der Rheinischen Volkszeitung vom 1. Juli 1930.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Wiesbadener Theaterbetriebe belegt wurden. Die im Dezember 1918 erlassenen polizeilichen Zensurbestimmungen der französischen Militärbehörden sahen unter anderem vor, dass in Wiesbaden „ohne Erlaubnis der OrtsMilitärbehörde und ohne die Vorlegung und beglaubigte Annahme [...] des Programms“ keine Theatervorstellungen stattfinden dürften.26 Zudem wurde eine Spielerlaubnis „davon abhängig gemacht, dass die Intendantur die volle Verantwortung für den zu Gehör gebrachten Text“ übernahm.27 Die Theatermitglieder wurden nachdrücklich aufgefordert, den „Text der Rollen nicht willkürlich durch Extempores u.s.w., die nicht vorher ausdrücklich genehmigt wurden, zu verändern“.28 Im Falle von Zuwiderhandlungen wurden harte Sanktionen angedroht. Gerade diese Bestimmung zeigte, dass die Bühne als Ort möglicher Grenzüberschreitungen beargwöhnt wurde. Man fürchtete hier offenbar die Möglichkeit einer permanenten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und nahm das Theater als Arena politischer oder zumindest politisierter Leidenschaften wahr, die jederzeit auf das Publikum überzugreifen drohten. In der Tat kam es mehrmals zu unliebsamen Zwischenfällen: Der Wiesbadener Intendant Carl Hagemann berichtete in seinen Lebenserinnerungen von einer Aufführung von Gerhart Hauptmanns Florian Geyer aus dem Jahr 1922, bei der der Schauspieler August Momber, der die Titelrolle spielte, „die berühmte Stelle ,Der deutschen Zwietracht mitten ins Herz‘ mit besonderer Betonung und grimmigem Ausdruck vorn an der Rampe ins Publikum“ geschleudert hatte, „worauf eine Rotte halbwüchsiger Gymnasiasten im Parkett geschlossen die Mittelloge ins Auge faßte und schadenfroh zu dem dort auf seinem Ehrensitz thronenden General heraufgrinste. So auffallend und unzweideutig, daß dieser in begreifliche Erregung geriet und die Ansicht äußerte, Mombert müsse eben etwas gegen ihn Gerichtetes gesagt haben.“29

General Mordacq verließ daraufhin mit seinen Begleitern das Theater und ließ Hagemann am nächsten Tag zum ehemals kaiserlichen Schloss kommen, wo er Quartier bezogen hatte. Hagemann beeilte sich, den Vorfall als Bagatelle und Jungenstreich herunterzuspielen und entschuldigte sich bei Mordacq, woraufhin die Angelegenheit – seinen Ausführungen zufolge – in beiderseitigem Einverständnis beigelegt worden sei. Dennoch deutet dieser scheinbar nebensächliche Zwischenfall darauf hin, dass das Theater als symbolischer Gradmesser politischen und militärischen Einflusses zu gelten hatte. Die 26

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Siehe Art. 12 der in der Wiesbadener Zeitung vom 14. Dezember 1918 abgedruckten Polizei-Verordnung, in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, General-Akten betrf. Massnahmen während der Besetzung des Wiesbadener Theaters durch den Feind, Bd. I: 1918–1919, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 368. Siehe hierzu einen Aushang im Wiesbadener Theater vom 15. Dezember 1918, in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, General-Akten betrf. Massnahmen während der Besetzung des Wiesbadener Theaters durch den Feind, Bd. I: 1918–1919, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 368. Ebd. Hagemann: Bühne und Welt, S. 184.

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Wiesbadener Bühne mit ihren Möglichkeiten der zeremoniellen Rahmung und Inszenierung von Herrschaft ließ auch die Fragilität der politisch-militärischen Macht der französischen Besatzungsarmee und die begrenzten Einflussmöglichkeiten der französischen Kulturpropaganda hervortreten. Als Repräsentant der alliierten Siegermächte war General Mordacq einerseits darauf angewiesen, diese Machtfülle performativ immer wieder neu herzustellen und nach außen zu dokumentieren – eine symbolpolitisch gebotene Maßnahme, die durch die zeremonielle Übernahme der ehemals kaiserlichen Hofloge möglich gemacht wurde. Andererseits galt auch für den französischen General, was bereits für Wilhelm II. selbst in seinem ,Lieblingstheater‘ stets aufs Neue greifbar geworden war: Der Akt der Sichtbarmachung und der demonstrativen Präsentation politischer Macht barg zugleich Risiken; denn in dem Augenblick, wo Macht sich vor einer Öffentlichkeit exponierte, machte sie sich zugleich angreifbar und für Kritik adressierbar. Als öffentlicher Raum trug das Theater maßgeblich dazu bei, Macht hervorzubringen und nach außen zu dokumentieren. Zugleich konnte es aber auch Prozesse der Delegitimierung und Dekonstruktion politischer Macht in Gang setzen. Vielleicht erklären Erfahrungen wie die eben geschilderte, warum die französischen Besatzungsbehörden in vielen Belangen der Kultur- und Theaterpolitik zunehmend zurückhaltend agierten, denn nach dem Urteil Hagemanns zeigten sich die französischen Befehlshaber in der Folgezeit sehr vorsichtig in Bezug auf Eingriffe in administrativ-institutionelle Fragen der preußischen Staatsbühne in Wiesbaden. Von einem rigide verfolgten kulturpolitischen Kurs der französischen Regierung und ihrer Besatzungsarmee jedenfalls konnte, je länger die militärische Besatzung sich hinzog und je mehr die politischen Ereignisse angesichts des Einmarsches belgischer und französischer Truppen ins Ruhrgebiet im Januar 1923 zu eskalieren drohten, nicht mehr die Rede sein. In seinen Erinnerungen lobte Hagemann denn auch immer wieder ausdrücklich die angenehmen gesellschaftlichen Formen und die Zurückhaltung, die die französischen Militärbehörden ihm gegenüber an den Tag legten und die es ihm ermöglichten, den ungehinderten Betrieb des Wiesbadener Theaters zu gewährleisten.30 Rückblickend musste man auch in Wiesbaden anerkennen, dass die „ärgsten Unterdrückungen“ seit 1921 immer geringer wurden.31 Von diesen Lockerungen profitierten selbstverständlich auch die Wiesbadener Theater, da „gewisse Einreiseerleich30

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Bereits seit Beginn des Jahres 1919 waren „Verwaltungsdienstbriefe aller Art“ zwischen der General-Intendantur in Berlin und dem Wiesbadener Theater wieder erlaubt, so dass die organisatorischen und verwaltungstechnischen Abläufe zwischen Berlin und Wiesbaden wieder in einigermaßen geregelten Bahnen erledigt werden konnten. Siehe hierzu das entsprechende Schreiben der Intendantur in Wiesbaden an die General-Intendantur in Berlin in: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, General-Akten betrf. Massnahmen während der Besetzung des Wiesbadener Theaters durch den Feind, Bd. I: 1918–1919, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 368. Siehe hierzu den Artikel „12 Jahre Fesseln für den deutschen Rhein“, in: Sonderausgabe

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terungen“ immer mehr dafür sorgten, dass sich Kurbetrieb und Tourismus wieder etwas lebhafter gestalteten, wenngleich sie „nicht annähernd den Umfang der früheren Jahre“ erreichen konnten.32 Auch den französischen Besatzungsbehörden war daran gelegen, den um das Jahr 1919 herum langsam wieder einsetzenden Fremdenverkehr nicht über Gebühr zu behindern, um die angesichts der wiederholten Separationsversuche ohnehin angeheizte öffentliche Stimmung nicht noch weiter zu polarisieren. Die politischen und militärischen Ereignisse dieser Jahre boten offenbar genug Sprengstoff, als dass die französischen Militärbehörden ein Interesse daran gehabt hätten, die ohnehin prekäre Situation durch eine offensiv betriebene Kulturpolitik weiter anzuheizen und hierdurch etwa Konflikte mit Briten oder Amerikanern zu riskieren.33 Der eher bescheidene Erfolg der französischen Sprach- und Kulturpolitik im Rheinland war zudem auf den innenpolitischen Kurswechsel zurückzuführen, da die Regierungen Édouard Herriots und Aristide Briands eine Verständigungspolitik mit Deutschland anstrebten und die extensiv betriebene Kulturpolitik der Rheintheorie nicht weiter verfolgten.34

4.2 Das Wiesbadener Theater als Aufmarschgebiet der „Kerntruppen deutscher Musik“35 : Publizistische Reaktionen auf die französische Kulturpolitik Zum Scheitern der französischen Rheintheorie im besetzten Rheinland trug nicht zuletzt ein teilweise betont agitatorisch betriebener kulturpolitischer Widerstand Preußens und des Reichs bei. Eine erstaunliche Vielzahl regionaler Initiativen wie beispielsweise die Gründung der pfälzischen Landesbibliothek in Speyer und der Erweiterungsbau für das RömischGermanische Museum in Mainz können als bewusste Reaktionen auf die kulturpolitischen Aktivitäten der Besatzungsmächte, insbesondere Frankreichs, gewertet werden. Mit Hilfe dieser Maßnahmen sollte vor allem die Eigenständigkeit und Größe einer deutschen, aber auch einer genuin rheinländischen Kultur betont werden.36

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der Rheinischen Volkszeitung, 1. Juli 1930, in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. die Befreiungsfeier, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 343. Verwaltungsbericht der Wiesbadener Intendantur an die General-Intendantur in Berlin für das Jahr 1919 vom 31. März 1920, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 377, Blatt 113f. Vgl. auch Kreutz: Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik, S. 34. Ebd. Prechtl: Wiesbaden, S. 4. Kreutz: Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik, S. 37. In diesem Zusammenhang müssen vor allem die groß angelegten Ausstellungsprojekte zur ,Deutschen

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Das Wiesbadener Theater wurde nun sukzessive in den symbolpolitischen ,Verteidigungskampf ‘ des Rheinlands einbezogen. Der Deutsche Bühnenverein hatte „als demonstrative Antwort auf die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen“ verfügt, „eine ganze Zeit lang überhaupt keine französischen Stücke zu spielen“.37 Diese Vorgabe war zwar für die Wiesbadener Bühne nicht bindend, doch setzte Hagemann alles daran, den Wünschen des Bühnenvereins nachzukommen. Bereits mehrfach nämlich war der Intendant aufgrund seines angeblichen „Mangel[s] an Patriotismus“ und wegen seiner „guten Beziehungen“ zu den französischen Offizieren bei den deutschen Behörden denunziert worden war.38 In einem bereits 1920 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung publizierten Aufsatz, der auch im preußischen Innenministerium wie im Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung für Aufsehen gesorgt hatte, war Hagemann neben anderem vorgeworfen worden, sich der „großen kultur-propagandistischen Betätigung, deren sich die Franzosen im besetzten rheinischen Gebiet und namentlich in Wiesbaden auf dem Gebiete des Theaters befleißigen“, nicht entschieden genug entgegengestellt, sondern im Gegenteil im „französisch besetzten Gebiet [...] die französische Dicht- und Bühnenkunst“ gepflegt und gefördert zu haben.39 Das Innenministerium hatte gefordert, dass ein solch „bedauerlicherweise gemachte[r] Fehler“ keinesfalls wiederholt werden dürfe.40 Vielmehr hatte man die „Prüfung der Frage“ angeregt, ob „nicht während der Dauer der feindlichen Besatzung in der staatlichen Kunststätte des besetzten Gebietes lediglich deutsche Werke zur Darstellung gelangen“ sollten.41 „[N]ationale Notwendigkeiten“, so hieß es weiter, ließen es geboten erscheinen, „das Deutschtum angesichts der ständig ihm drohenden Gefahren“ ostentativ zu stärken, was „am besten durch ausschließliche Vorführung der Werke unserer großen deutschen Dichter und Komponisten“ gelingen könne.42 Zudem wurde scharf kritisiert, dass Hagemann zu Beginn der Spielzeit 1920/21 Jacques Offenbachs Großherzogin von Gerolstein aufgeführt hatte; denn wenngleich Offenbach auch in Köln geboren worden sei, so sei „auf der anderen Seite doch allgemein bekannt, daß er später Franzose geworden ist und sich durch

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Romantik‘ von 1922 oder die Jahrtausendfeiern des Jahres 1925 erwähnt werden, bei denen sich eine Vielzahl rheinischer Städte zusammenschloss, um in einer ideologisch aufgeladenen ,deutsch-rheinischen Kulturmission‘ den alliierten Siegermächten vor allem die Geschlossenheit der ,deutschen Schicksalsgemeinschaft‘ und die Überlegenheit der nationalkulturellen Größe Deutschlands vor Augen zu führen. Vgl. hierzu ausführlich Haude: ,Kaiseridee‘ oder ,Schicksalsgemeinschaft‘. Hagemann: Bühne und Welt, S. 175. Ebd. So ein Schreiben des preußischen Innenministeriums an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 2. Dezember 1920. Vgl. in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8201. Ebd. Ebd. Ebd.

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einen wütenden Deutschenhaß“ hervorgetan habe.43 Der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hingegen verteidigte seinen Intendanten und betonte, dass sich die „deutsche Bühnenkunst in Wiesbaden“ vor allem „von chauvinistischer Exklusivität“ fernhalten sollten.44 Die „Grossen der Weltliteratur – Shakespeare, Molière, Calderon – im Theater wie im Schriftlichen sich zugeeignet und für sie auch einen Darstellungsstil geschaffen zu haben“, so Haenisch, sei „stets eine Stärke deutschen Geistes gewesen“, und in diesem „deutschem Geiste“, so der Minister weiter, werde „auch die Leitung des Staatstheaters in Wiesbaden geführt“.45 Das Wiesbadener Theater war somit bereits einige Zeit vor dem Ausbruch des Ruhrkampfes zum Schauplatz eines dezidiert ,nationalen Verteidigungskampfes‘ geworden. In unmittelbarer Reaktion auf die militärische Besatzung wurde das Theater nicht nur als eine „Staatsbühne [...] von höchstem Rang“ eingestuft, sondern es wurde zum Ausgangspunkt einer kulturellen Erneuerungsbewegung erhoben und zunehmend in den Mittelpunkt kulturpolitischer und publizistischer Debatten gerückt. Gerade überregional wurde dem Wiesbadener Theater nun „[h]öchste politische Wichtigkeit“ attestiert, da die Zuschauer hier Tag für Tag Zeugen „der unzerbrochenen Macht deutschen Geistes“ werden sollten.46 Die Wiesbadener Bühne avancierte auf diesem Weg immer mehr zu einer dringlichen „Reichs-Sache“, wie der Publizist Robert Prechtl erklärte.47 Nach der Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen nahm man die Wiesbadener Bühne vielfach als denjenigen Ort wahr, an dem „jetzt deutsche und französische Kunst die Klingen“ kreuzten.48 Der französischen ,Machtpolitik‘ eines General Mordacq sollte Deutschland nach dem Willen Prechtls hier als „wirksame Versicherungs-Politik“ eine offensive Demonstration deutscher Nationalkultur entgegensetzen.49 Dies wollte Prechtl zugleich als eine ,Kampfansage‘ verstanden wissen: „Hier ist Kampfboden! Hier leite deine Revanche ein, deutsches Volk! Mit deinen Waffen, mit den Waffen deiner Zukunft, mit den Waffen des Geistes! Hier, wie nirgends, steht dir die Arena offen!“50

Prechtl und andere Autoren, die sich zum ,Fall Wiesbaden‘ äußerten, ließen 43 44

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Ebd. Siehe dieses Schreiben von Konrad Haenisch an das preußische Staatsministerium vom 27. November 1920, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8201. Ebd. Prechtl: Wiesbaden, S. 6. Ebd., S. 3. So der Frankfurter Regisseur Richard Weichert in: „Der Fall Wiesbaden“, in: Der Spiegel. Beiträge zur sittlichen und künstlerischen Kultur, Flugblatt Nr. 14/15 (November 1919), S. 7–11, hier S. 7. Prechtl: Wiesbaden, S. 6. Ebd., S. 4.

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keinen Zweifel aufkommen: Nach dem Scheitern der politisch-militärischen Ambitionen Deutschlands wurde der Bereich der Kulturpolitik mit einem Mal zu einem Hauptschauplatz der ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschland und Frankreich. Um aller Welt, vor allem aber den Angehörigen der französischen Besatzungsmacht, den ungebrochenen Behauptungswillen Deutschlands vor Augen zu führen, sollten nun auf der Bühne des Wiesbadener Theaters die „Kerntruppen deutscher Musik“ aufmarschieren.51 In erster Linie dachte Prechtl hierbei an die Opern Beethovens, Webers und Wagners; denn gerade die Opern Wagners verkörperten für Prechtl „wie kein zweites Kunstwerk [...] das Doppelwesen des deutschen Genius“.52 Aus dem Werkkanon der klassischen Moderne favorisierte er vor allem Richard Strauss und Hans Pfitzner. Daneben sollte aber auch die „leichte Kavallerie“ zum Einsatz kommen, etwa „die himmlischen lustigen Weiber“ oder „die unsterbliche Fledermaus“.53 Schließlich vertraute Prechtl ganz auf das „Tankgeschwader absoluter Musik“ und wollte so die Symphonien von Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner und Johannes Brahms sowie Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion oder Beethovens Missa solemnis in Wiesbaden aufgeführt sehen.54 Angesichts der als demütigend erlebten Niederlage intonierte eine Reihe von Intellektuellen und Publizisten erneut das altbekannte Deutungsmuster einer ebenso unangefochtenen wie ungebrochenen nationalkulturellen Größe Deutschlands, das bereits in den kulturimperialistischen Debatten vor 1914 vernehmbar gewesen war und den Anspruch auf wirtschaftliche Expansion und politisch-militärische Hegemonie mit einer behaupteten Überlegenheit deutscher Kultur verbunden hatte. Nirgends, so meinten nun erneut zahlreiche Autoren, die sich zum ,Fall Wiesbaden‘ äußerten, zeige diese sich die Dominanz und Schaffenskraft deutscher Kultur eindeutiger als in der vermeintlich ,deutschesten‘ aller Künste, der Musik. Komponisten wie Beethoven und Wagner wurde als identitätsstiftenden „Symbolfiguren deutscher Größe“ weiterhin ein beträchtliches Integrationspotenzial zugeschrieben.55 Wie zur Zeit der Befreiungskriege und in den Jahren vor der Reichsgründung von 1871 dienten Kultur und Kunst erneut als Statthalter nationaler Größe sowie als Vorboten staatlicher Einigung und Erneuerung. Damit wurde dem Wiesbadener Theater eine eminent politische Aufgabe zuerkannt. Mitten im französisch besetzten Gebiet bezeichnete die Wiesbadener Bühne nun eine ,Kampf-Arena‘, in der – so die Deutung zahlreicher Publizisten – die „Ehre deutscher Kultur“ verteidigt werden musste.56 Im 51 52 53 54 55 56

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 4f. Bollenbeck: Bildung und Kultur, S. 21. So jedenfalls äußerte sich Karl Strecker zum „Fall Wiesbaden“. Vgl. in: Der Fall Wiesba-

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Theater sollte die symbolische Vergesellschaftung eines kampfbereiten und gerüsteten ,neuen Deutschland‘ auf den Weg gebracht werden; denn unter „all den Offizieren, Beamten, Kaufleuten, Reisenden, Schwestern, Kokotten, Frauen“, die jeden Abend die „schönen Räume“ des Wiesbadener Theaters füllten, waren – so glaubte Prechtl – „immer vierzig, siebzig, hundertzehn Menschen“ zu finden, die „geeignet sind als Träger geistiger Werte zu dienen“.57 Die Wiesbadener Bühne, die zur Zeit des Kaiserreiches in erster Linie ein adelig-höfisches und großbürgerliches, vor allem aber eben auch ein internationales Publikum angezogen hatte, wurde nach 1918 immer mehr zu einem ,Nationaltheater‘, das sich neben den Werken der deutschen Klassik und Romantik nun auch vermehrt der gemäßigten klassischen Moderne zuwandte. Zwar waren auch vor dem Krieg deutschsprachige Opern- und Schauspielklassiker im Spielplan des Hauses prominent vertreten, doch hatten die gesellschaftliche Dominanz und die transnationalen Geschmackspräferenzen der in Wiesbaden verkehrenden europäischen Adelsgesellschaft ein zu großes Eigengewicht eines deutschnationalen Kanons nicht zugelassen, wie das Scheitern der ,Hohenzollern-Trilogie‘ von Joseph Lauff belegen konnte.58 Mit dem Niedergang dieser gesellschaftlichen Schicht wandelte sich auch das künstlerische Selbstverständnis des Wiesbadener Theaters. Träger der nun einsetzenden deutschnationalen Kulturmission sollte nicht länger ein Publikum sein, das den barock-bombastischen „Wiesbadener Stil der Kaiserzeit“ favorisierte und sich aus „pensionierte[n] Regierungsrätinnen“, „rheumatische[n] Wirkwarenfabrikanten aus Korotschin und Pirna“ oder Offizieren und „Finanzagenten aus alle[r] Herren Länder“ zusammensetzte.59 Die „Reisesnobs einer unnützen Oberschicht“ wollte man nun nicht länger als bevorzugte Theatergemeinde sehen, sondern im Gegenteil sollte eine bunte Menge „von Klugen und Dummen, Gebildeten und Rohen, Reichen und Armen“ für das neue preußische Staatstheater gewonnen werden.60 Im Bestreben, eine neue Publikumsschicht für eine zeitgemäße Form des Kulturtheaters zu begeistern, trafen sich die Befürworter einer deutschnationalen Kulturmission mit den Berliner Kulturpolitikern der ersten Stunde, die sich ebenfalls für einen ästhetischen und gesellschaftspolitischen Neubeginn einsetzten. Politiker nahezu jeder Couleur bedienten sich dabei eines diskursiven Deutungsmusters, das einen mitunter ideologisch aufbereiteten Nationalismus nutzte, um den jeweiligen politischen Zielen symbolischen Ausdruck und ästhetische Autorität zu verleihen. Die Etablierung eines über die politischen Lagergrenzen hinaus wirksamen „konsensuellen Kunstnationalismus“

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den, in: Der Spiegel. Beiträge zur sittlichen und künstlerischen Kultur, Flugblatt Nr. 14/15 (November 1919), S. 11. Prechtl: Wiesbaden, S. 4. Siehe hierzu Kapitel II.5.2 (Burggraf und Eisenzahn). Prechtl: Wiesbaden, S. 4. Ebd.

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sollte in den Weimarer Jahren daher kaum je gelingen, wie die heterogenen politischen Festkulturen Frankfurts und Wiesbadens andeuten.61

4.3 Von der ,Trümmerstätte‘ zum ,Festspiel der Nation‘: Diskursive Deutungsstrategien des Theaterbrandes Dass das vorab skizzierte Programm eines ,nationalen Verteidigungskampfes‘ durch den Brand des Wiesbadener Theaters zusätzliche Sprengkraft erfuhr, kann anhand der unterschiedlichen Deutungsstrategien veranschaulicht werden, mit denen die lokale und überregionale Presse das Ereignis begleitete. Wie anfangs angedeutet, nahm man den Brand des Großen Hauses in Wiesbaden als gleichsam epochales Ereignis wahr, dessen symbolische Dimensionen unübersehbar waren. Dabei ließen sich eine Reihe unterschiedlicher, nicht selten heterogener Zugriffs- und Darstellungsweisen unterscheiden, die den Brand und den Wiederaufbau des Hauses in je eigene Deutungshorizonte einpassten. In ersten Reaktionen beklagte die lokale Presse den Brand als sichtbares Zeichen für das unwiderrufliche Ende der ,großen‘ Zeit des einstigen Weltkurbades. Zusammen mit dem Bühnenhaus wurden auch die berühmten Wandeldekorationen von Webers Oper Oberon ein Raub der Flammen, und mit ihnen verschwand nun jenes „Überbleibsel“ aus einer längst vergangenen (und nach dem Urteil des Wiesbadener Intendanten Hagemann auch „überholten“) Zeit „für immer“.62 Die Zerstörung der Wandeldekorationen des Oberon, der unter der Regie Georg von Hülsens zur „größte[n] Sehenswürdigkeit“ der Wiesbadener Bühne avancierte und als Synonym kaiserzeitlichen Glanzes weltweit gefeiert worden war63 , rief den Wiesbadener Theaterbesuchern und der lokalen Presse schmerzhaft den Bedeutungsverlust der einstigen Hohenzollernresidenz ins Bewusstsein.64 Viele der alten „Offiziere, Rentner und Pensionäre, die in Wiesbaden ihren Lebensabend verbrachten und gesellschaftlich wie geistig mit der alten Zeit und ihrer Kunstübung verhaftet geblieben waren“, beklagten dies als Fanal einer nunmehr endgültig aus den Fugen geratenen Welt, in der vertraute Normen und Werte keine Geltung mehr zu besitzen schienen.65 Doch nicht nur Teile der Wiesbadener Bürgerschaft reagierten verstört auf den Theaterbrand. Auch über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus 61 62 63 64 65

Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 198. Hagemann: Bühne und Welt, S. 168. Siehe hierzu Kapitel II.5 (Kaiserfestspiele). Frankfurter Nachrichten, 20. März 1923. Hagemann: Bühne und Welt, S. 168.

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zeigte man sich vom Brand des Theaters betroffen. Die massive Beschädigung des Wiesbadener Theaters, so der allgemeine Tenor, wirke „wie eine tückische Symbolik“, da nun, in „Deutschlands Unglückszeiten“, auch dieses Haus habe zugrunde gehen müssen, „an das sich Erinnerungen an Feste höfischen Glanzes, an ein Leben in rauschendem Ueberschwange des Glückes knüpften“.66 Um überhaupt verstehen zu können, „was gerade dieser Theaterbrand“ bedeutete, müsse unbedingt „ein wenig Zeitgeschichte gestreift werden“, wie das Neue Wiener Journal betonte, und so erging sich eine Vielzahl von Presseartikeln in nostalgischer Rückschau auf die Ära wilhelminischen Prunkes.67 Überall rief nun die Nachricht vom Brand des Theaters „Erinnerungen wach an vergangene Zeiten, da der Glanz der Festspiele dazu beigetragen“ hatte, auch „nach außen hin von der Größe und Entwicklung des Deutschen Reiches Zeugnis abzulegen“.68 Einmütig stilisierten zahlreiche Berichte die Wiesbadener Bühne nun geradezu zum Inbegriff deutscher Nationalkultur und parteiübergreifender Kaisertreue. Das Wiesbadener Hoftheater wurde somit zusehends zum Sinnbild jener verlorenen Größe Deutschlands, die in den Wiesbadener Kaiserfestspielen ihre emphatische Bestätigung und ästhetische Überhöhung erfahren hatte: „Wenn der Kaiser, gebräunt von der Sonne Korfus, durch die Alleen Wiesbadens ritt, umbrandet von den Jubelrufen einer festlich bewegten Menge im Rahmen dieser frühlingseeligen Gartenstadt, wenn abends das strahlend erleuchtete Theater das malerische Bild der Herren in Gala und der Damen in großer Toilette umschloß, wenn man nach der Vorstellung in die von Brunnen durchrauschte und von Fliederduft durchtränkte Sternennacht hinaustrat, so waren das Eindrücke, deren Schimmer durch die ausländischen Gäste, die aus allen Weltteilen nach Wiesbaden drängten, bis in ferne Länder reichte und der stark genug war, um auch uns die Erinnerung an etwas Frohes und Lichtes aus einer glücklicheren Zeit zu erhalten. [...] Es ist wohl niemand zu denken, der nicht Stolz empfindet, wenn die Kunst in feierlichem Gewande von der Kultur und Größe des eigenen Landes Zeugnis ablegt.“69

Umso drastischer nahmen sich angesichts solch idyllisierender Beschreibungen die Schilderungen der Brandnacht und des in Teilen niedergebrannten Theatergebäudes aus, die der Wiesbadener Bürgerschaft wie der nationalen Öffentlichkeit das unumstößliche Ende jener nostalgisch verbrämten Ära vor Augen führten: „Da lag gegenüber im nächtlichen Dunkel des herrlichen Parks Wilhelms II. Lieblingstheater, das hohe Bühnenhaus von kleinen, irrlichternden Flämmchen übersät, die schneller und immer schneller die Simse umkreisten und plötzlich einen mächtigen Flammenkreis bildeten, so daß das imposante Gebäude wie mit einem Zauberschlag taghell erleuchtet erschien. [...] Im nächsten Augenblick lohte eine mächtige Stichflamme empor [...]. [...] Dann zerstör-

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Frankfurter Nachrichten, 20. März 1923. Neues Wiener Journal, 28. März 1923. Siehe hierzu den Beitrag von E. von Schmidt-Pauli in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 23. März 1923. Ebd.

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te das gefährliche Element das [...] prächtige Bühnenportal, und man sah, daß hier nichts mehr zu retten war.“70

Nachdem auch das „gewaltige Bühnendach“ „mit Donnergetöse“ in den Bühnenraum hinabgestürzt war, ging „ein einziger, markerschütternder Schrei [...] durch die Reihen des tiefergriffenen Wiesbadener Publikums: Ihr geliebtes Hoftheater war tot, erschlagen“.71 Ein „tückisches Schicksal“, so das einhellige Urteil der Presse, habe die Einwohnerschaft Wiesbadens ereilt und „unzählige Menschenleben [...] zerschlagen“.72 Die Metaphern, mit denen die Presse den Brand und die Theaterruine beschrieb, ließen das ehemalige Hoftheater in fast gespenstischer Weise zum Ebenbild des gepeinigten, von den Wirren des Krieges, der Inflation und der Besatzung gezeichneten Deutschland werden, das vermeintlich ebenfalls − führt man sich etwa die enorme Wirkmacht des Deutungsmusters der ,Dolchstoßlegende‘ vor Augen − von einem ,tückischen Schicksal‘ und einem ,feigen Verrat‘ heimgesucht worden war.73 Rasch wurden Vermutungen laut, denen zufolge die Feuersbrunst im Wiesbadener Theater „weder auf Kurzschluß noch auf Selbstentzündung, sondern auf einen verbrecherischen Anschlag zurückzuführen“ sei, da es sich wahrscheinlich „um Brandstiftung oder eine Bombenlegung“ handele, wie die Berliner National-Zeitung erfahren haben wollte.74 Ein anderer Augenzeugenbericht äußerte gar die Vermutung, dass sich das Feuer nur deshalb so ungehindert habe ausbreiten können, da die „Feuerwehr von Mainz nicht zu Hilfe gekommen war“.75 Dies habe seine Ursache darin, so ein in der Chemnitzer Allgemeinen Zeitung veröffentlichter Bericht, „daß der Fernsprechverkehr im besetzten Gebiet gesperrt ist und eine Benachrichtigung der Mainzer Feuerwehr auf diese Weise nicht erfolgen konnte“ − ein Hinweis darauf, dass letzten Endes der als unnachsichtig-repressiv wahrgenommenen Regulierungspolitik der Alliierten eine Mitschuld an der Zerstörung des Theaters zuzuweisen war.76 Auch in offiziellen Berichten wurde anfangs die Möglichkeit einer Brandstiftung nicht ausgeschlossen; denn auch die Wiesbadener Intendantur war verwundert, „dass das Feuer sich in so kurzer Zeit mit einer derartig 70 71 72 73

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Siehe den Augenzeugenbericht von Paul Schweder in der München-Augsburger Abendzeitung vom 24. März 1923. Ebd. Neues Wiener Journal, 28. März 1923. Vgl. hierzu vor allem Boris Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003, S. 407ff. National-Zeitung, 20. März 1923. Chemnitzer Allgemeine Zeitung, 21. März 1923. Ebd. Im Gegensatz zu dieser Darstellung hoben andere Berichte in lobender Weise die rasche Hilfsbereitschaft der französischen Besatzungsbehörde hervor, die „sofort mehrere Kompagnien“ alarmierte und „den Feuerherd in weitem Umkreis“ absperren ließ. Vgl. hierzu: Hamburger Nachrichten, 19. März 1923.

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rasenden Schnelligkeit“ habe verbreiten können und nahm die „Möglichkeit, dass von dem Dach des Bühnenhauses aus eine stark wirkende Explosivmasse auf die Bühne geworfen wurde“, durchaus ernst.77 Die Wiesbadener Bürgerschaft reagierte erschüttert auf die Ereignisse der Brandnacht, und eine „schweigende Menge“ umstand am folgenden Tag verzweifelt „das schwarze Gebäude mit seiner eingestürzten Kuppel und schwarzen Fensterlöchern“ und blickte fassungslos auf „das Chaos des leeren, bloßliegenden Bühnenraumes“.78 Eine „erbarmungslose[...] Frühlingssonne“79 beschien dieses „Bild der Verwüstung“, aus dem noch „an manchen Stellen beißender Rauch schwelt[e].“80 Nachdem der erste Schock über die Ereignisse der Brandnacht allerdings überwunden war und sich Berichte über einen möglichen Anschlag oder Brandstiftung rasch als falsch erwiesen hatten, wurden die bislang vorherrschenden nostalgischen Reminiszenzen zunehmend abgelöst von einer anderen Deutungsweise, die den Brand nun nicht länger vornehmlich nur als unwiderrufliches Ende einer dem Untergang geweihten Ära wahrnahm. Vielmehr fügten sich die Ereignisse der Brandnacht in einen neuen semantischen Rahmen ein, indem sie nun sowohl im lokalen wie im überregionalen Pressediskurs systematisch in das Erzählmuster eines heroisch geführten deutschen ,Verteidigungskampfes‘ eingebunden wurden. Erst vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges, der alliierten Besatzung und des Ruhrkampfes gewannen die Ereignisse des Jahres 1923 nun ihre eigentliche Bedeutung, und so beschwor man systematisch den im Wiesbadener Theater vermeintlich imposant verkörperten „Begriff deutscher Kunst, deutschen Könnens, deutschen Strebens, deutscher Gesinnung“, vor allem aber „deutscher Widerstandsfähigkeit in schlimmer Zeit“.81 Noch gut ein halbes Jahr nach dem Brand erinnerte sich die Wiesbadener Presse an jene „Unglücksnacht des 18. März 1923“ und an das „Leid, das dieses Feuer damals in schon übers Maß gequälte Seelen“ eingebrannt habe.82 Gerade die wachsende zeitliche Distanz bewirkte eine Mythologisierung des Theaterbrandes und der Wiederaufbauarbeiten des Großen Hauses. Je größer der zeitliche Abstand nämlich wurde, umso emphatischer hoben die Pressebeschreibungen den 18. März 1923 als einen epochale Zäsur in der Geschichte der Stadt hervor, und umso wortgewaltiger wurden die symbolischen Dimensionen des Brandes in vielen journalistischen Berichten herauspräpariert: Noch 1931 erinnerte das Wiesbadener Tagblatt angesichts der drohenden 77

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Siehe ein Schreiben der Intendantur des Staatstheaters an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 21. März 1923 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Neues Wiener Journal, 28. März 1923. Ebd. Berliner Lokal-Anzeiger, 24. März 1923. Neues Wiener Journal, 28. März 1923. Wiesbadener Tagblatt, 12. Oktober 1923.

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Schließung der preußischen Staatstheater an die „Brandnacht 1923“, als die Wiesbadener Bürgerschaft „mit Tränen in den Augen an der Unglücksstätte“ gestanden und ihren „Opfermut“ und ihre „Entschlossenheit“ unter Beweis gestellt habe.83 Dem enormen „Druck der Besatzung“ standhaltend sei der „Wiederaufbau des Hauses“ als eine wirkliche „Herzenssache“ bewerkstelligt worden.84 Der 18. März 1923 wurde auf diese Weise zu einem geschichtspolitisch bedeutsamen Datum stilisiert: Indem man die Metaphernfelder von Untergang und Neuanfang, von äußerer Bedrängnis und innerer Geschlossenheit, von alliierter Bedrohung und heroischem Kampfgeist auf den Theaterbrand übertrug, brachte man ein gleichsam mythisches Deutungsmuster hervor, das im besetzten Rheinland eine hochgradig appellative und integrative Wirkmacht entfaltete. Reich, Staat und Stadt hatten mit dem Wiederaufbau des Theaters tatsächlich eine organisatorisch wie finanziell äußerst schwierige Aufgabe zu meistern: Im Juni 1923 bezifferte die Stadt Wiesbaden die „Gesamtkosten des Wiederaufbaues“ dem Regierungspräsidenten gegenüber auf „825.000.– Goldmark“.85 Aufgrund ihrer sozialen und finanziellen Notlage konnte die Stadt allerdings nicht allein für den Wiederaufbau des Theaters aufkommen; dieser wurde daher vor allem durch kommunale Notstandskredite finanziert, die den Kommunen vom Reich zur Verfügung gestellt wurden.86 Auch Preußen gewährte Kredite im „Gesamtwert von 218.547.– Goldmark“.87 Dies war nicht zuletzt auf die beherzte Fürsprache des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zurückzuführen; denn im Verlauf des Jahres wurden immer wieder Stimmen laut, die die Angemessenheit der finanziellen Unterstützung für den Wiederaufbau des Wiesbadener Theaters in Frage stellten“.88 Die „politischen Verhältnisse in Wiesbaden“ wurden aufgrund der separatistischen Unruhen dieses Jahres als so brisant eingestuft, dass „ein ordnungsgemäßes Fortschreiten der Arbeiten sowieso unmöglich“ schien.89 83 84 85

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Wiesbadener Tagblatt, 23. Dezember 1931. Ebd. Siehe hierzu ein Schreiben des Wiesbadener Magistrats an den preußischen Finanzminister vom 13. November 1923 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Obgleich das Reichsfinanzministerium festhielt, dass „Kommunaldarlehen“ bislang ausschließlich an „notleidende Gemeinden gegeben“ worden waren und nicht dazu dienen sollten, „kulturpolitische Erwägungen“ zu unterstützen, stimmte es in diesem Fall einer großzügigen Kreditvergabe zu. Siehe hierzu ein entsprechendes Schreiben des Reichsfinanzministeriums vom 10. August 1923, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Siehe hierzu ein Schreiben des Wiesbadener Magistrats an den preußischen Finanzminister vom 13. November 1923 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Siehe ein entsprechendes Schreiben vom 4. November 1923 in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Ein „Ausgeben von Staatsgeldern in ein Gebiet“, dessen politische Zukunft ungewiss war, erschien Berlin „nicht angängig“ zu sein.90 Trotz dieser Zweifel gewährte das preußische Finanzministerium der Stadt Wiesbaden dennoch weitere Sechsmonatswechselkredite, mit deren Hilfe die Wiederaufbauarbeiten abgeschlossen und das Theater noch im Dezember des Jahres 1923 eröffnet werden konnte.91 Die Erfolgsgeschichte des zügig fertig gestellten Theaterneubaus wurde im Umkreis der Stadt Wiesbaden euphorisch gefeiert: Gleich „einem goldenen Siegeszeichen“ wurde im Oktober 1923 das „gelbe Brettergefüge des Kuppelbaus“ als ein „erster frohstimmender Morgenblick“ begrüßt.92 Auch überregional wurde die festliche Wiedereröffnung des Wiesbadener Theaters im Dezember 1923 als „staunenswerte Leistung deutscher Energie und deutschen Könnens“ bejubelt.93 Viele überregionale Zeitungen, die über die Neueröffnung des Großen Hauses berichteten, überschlugen sich in ihren Beschreibungen: So lobten die Leipziger Neuesten Nachrichten die „Glanzleistung“ des Wiederaufbaus94 , während die Magdeburgische Zeitung das Wiesbadener Theater geradezu als „die modernste, technisch und maschinell vollkommenste Bühne – nicht Deutschlands, sondern der Welt“ feierte.95 Auch die München-Augsburger Abendzeitung hob anerkennend hervor, dass „dank der Mitwirkung des ganzen deutschen Volkes sowie vieler Spenden aus dem befreundeten Auslande“ aus „einer fast hoffnungslosen Ruine“ ein Neubau entstanden sei, der in jeder Hinsicht eine Höchstleistung darstelle.96 Diese weit über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus publizierten und gelesenen Berichte über den Brand und den Wiederaufbau des Wiesbadener Theaters können als Replik auf die französische Kulturpolitik im Zeichen der so bezeichneten Rheintheorie interpretiert werden. Wenn die Dresdner Nachrichten den Neubau als ein „gewaltiges Zeichen deutscher Wiederaufbautätigkeit“ und als eine „Riesenarbeit“ lobten, die man im besetzten Gebiet ja angeblich nur unter „allerschwierigsten Verhältnissen“ habe leisten können97 , wenn die Kölnische Zeitung von der „Höchstleistung“ der Stadt Wiesbaden sprach, die als „ein neues Zeugnis deutscher Willensstärke und deutscher Tatkraft gerühmt werden“ dürfe98 , dann diente diese Rhetorik ganz offensichtlich auch der nationalen Selbstvergewisserung und 90 91

92 93 94 95 96 97 98

Ebd. Vgl. diese Angabe in einem Schreiben des Magistrats an die Preußische Staatsbank vom 15. Dezember 1923, in: GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8202. Wiesbadener Tagblatt, 12. Oktober 1923. Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. Leipziger Neueste Nachrichten, 31. Dezember 1923. Magdeburgische Zeitung, 20. Dezember 1923. München-Augsburger Abendzeitung, 31. Dezember 1923. Dresdner Nachrichten, 21. Dezember 1923. Kölnische Zeitung, 24. Dezember 1923.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Mobilisierung.99 Der Bereich deutscher Nationalkultur bezeichnete keinen nostalgiebesetzten Rückzugsraum, sondern fungierte als expressives Medium nationalen Prestiges. Das im „gefährdeten ,Loch im Westen‘“100 angesiedelte Wiesbadener Theater wurde emphatisch zu einem „Fels im brandenden Meer der feindlichen Propaganda“101 hochstilisiert, da man hier „unbeeinflußbar bodenständige deutsche Kunst“ präsentiere.102 In seiner nationalen Bedeutung stellte es die München-Augsburger Abendzeitung deshalb „noch über die des Berliner Theaters“.103 Auch das einheimische Publikum war sich − den Ausführungen der Presse zufolge − über diesen Stellenwert der Wiesbadener Bühne im Klaren und sorgte selbst bei vergleichsweise hohen Preisen „allabendlich“ für „ein ausverkauftes Haus“.104 Der unerwartete Andrang des Publikums war dabei nicht allein das Verdienst des Wiesbadener Intendanten Hagemann und seiner „glänzenden Künstlerschar“.105 Die Presse führte dies vor allem auf die unverminderte und Gemeinschaft stiftende Macht jener „Großen und Größten unserer Meister“ zurück, deren „Andenken“ im Wiesbadener Theater hochgehalten werde.106 Die ,Großen und Größten‘ waren es – mit anderen Worten – selbst, die Abend für Abend den Kampf um die Geltung der deutschen Nationalkultur ausfochten und sich als rettender ,Fels im brandenden Meer der feindlichen Propaganda‘ erwiesen. Indem das Wiesbadener Theater immer wieder die „Kerntruppen deutscher Musik“ aufmarschieren ließ107 , löste es die bereits 1919 von Robert Prechtl geforderte ,Kampfansage‘ an die alliierten Besatzungsmächte ein und verwandelte die Bühne buchstäblich in jenen symbolpolitischen Kampfplatz, an dem deutsche und französische Kunst miteinander „die Klingen“ kreuzten.108 Im Pressediskurs verfestigte sich damit ein Deutungsmuster, das den nationalen Opernkanon als wehrhafte nationale ,Bastion‘ imaginierte. Insbesondere den Werken Richard Wagners 99

100 101 102 103 104 105 106 107 108

Grenzsperrungen zwischen dem besetzten und dem unbesetzten Gebiet hatten im Frühjahr und Sommer 1923 die Aufbauarbeiten des Großen Hauses tatsächlich immer wieder behindert, wie aus den Unterlagen des Verwaltungsdirektors des Wiesbadener Staatstheaters, Hofrat Sommerfeld, hervorgeht. Dennoch zeigte sich die französische Behörde nach den Worten Sommerfelds insgesamt „sehr entgegenkommend und hilft, wo sie helfen kann“, so dass die polarisierenden Berichte der lokalen und überregionalen Presse mitunter kritisch relativiert werden müssen. Siehe hierzu: Intendantur des Königlichen Theaters Wiesbaden, Personal-Akten betrf. Schriftverkehr des Verwaltungsdirektors Herrn Hofrat Sommerfeld. Bd. I: 1921–1925, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 308, Blatt 112. Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. München-Augsburger Abendzeitung, 24. März 1923. Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. München-Augsburger Abendzeitung, 24. März 1923. Ebd. Ebd. Ebd. Prechtl: Wiesbaden, S. 4. So der Frankfurter Regisseur Richard Weichert in: ders.: Der Fall Wiesbaden, S. 7.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

räumte man eine bevorzugte Stellung ein. Kaum einem anderen Dichter oder Komponisten brachte das deutsche Bildungsbürgertum eine derartig innig-faszinierte Verehrung entgegen, nirgends sonst schien sich die deutsche Nation augenfälliger „an die Spitze der Kulturvölker gesetzt“ zu haben als im Gesamtkunstwerk Wagners.109 In der Person und dem Werk Wagners erblickte die Wiesbadener Presse darum gerade auch 1923 einen kämpferischen Fürsprecher nationaler Größe. Wortreich berichtete die Rheinische Volkszeitung, wie in der „unglücklichen Brandnacht“ das Feuer immer weiter nach „Nahrung“ gesucht und dabei „unersetzliche Werte an Dekorationsstücken“ vernichtet habe.110 Wie durch ein Wunder hatten die Flammen dabei aber − ausgelöst durch ein plötzliches Umschlagen des Windes − vor „dem Gralsschild Lohengrins“ Halt gemacht.111 Der Presse schien es, als habe eine „höhere Macht dem verzehrenden Element Einhalt geboten“, und so nahm sie es als ein „gutes Omen“ auf, dass das Wiesbadener Theater mit einer „Vorstellung von Richard Wagners geheimnisvollem und symbolreichem ,Lohengrin‘“ wiedereröffnet werden sollte.112

4.4 Die Festwochen zur Wiedereröffnung des Großen Hauses Selbst die Wiesbaden oftmals so kritisch gegenüberstehende Frankfurter Zeitung wertete den raschen Wiederaufbau des Staatstheaters als „Riesenarbeit“ und lobte darüber hinaus die „glänzend verlaufene“ Lohengrin-Aufführung, die die Theatereröffnung am 20. Dezember 1923 „vor größtenteils geladenen ,Festgästen‘“ zu einem wahren „Ehrenabend“ gemacht habe.113 Für die überregionale Presse stand fest, dass der Abend „ein unvergessliches Erlebnis“ und einen „Lichtblick für die verdüsterte Psyche der Bewohner des besetzten Gebietes“ dargestellt habe.114 Das politische Gewicht des Festtages wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass „Vertreter des preußischen Kulturministers und anderer staatlicher Behörden“ sowie Angehörige der französischen Zivil- und Militärverwaltung die Aufführung besuchten (Abb. 18).115 In den Augen der Presse war der Erfolg des Abends vor allen Dingen der Festvorstellung des Lohengrin geschuldet; denn kaum ein anderes 109

110 111 112 113 114 115

Rüdiger vom Bruch: Jubilare und Jubiläen in Kunst und Wissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Paul Münch (Hrsg.): Jubiläum, Jubiläum. Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen 2005, S. 171–207, hier S. 188. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 27. Dezember 1923, Abendblatt. Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. Leipziger Neuste Nachrichten, 31. Dezember 1923.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Abbildung 18: Plakat der Festvorstellung zur Wiedereröffnung des Großen Hauses

Werk − so meinten die Leipziger Neusten Nachrichten − könne so treffend den besonderen Stellenwert des Ereignisses hervorheben wie Wagners „nationaldeutsche[s] Festspiel“.116 Wagners Lohengrin nahm innerhalb der Wiesbadener Theatergeschichte einen besonderen Platz ein; denn von hier aus hatte das Werk in den 1850er Jahren – so zumindest die Sichtweise der lokalen Presse – seinen Siegeszug um die Bühnen der Welt angetreten. Nach der Weimarer Uraufführung im August 1850 war die Wiesbadener Bühne eine der ersten gewesen, die sich um die Inszenierung des Werkes verdient gemacht und so dem aufgrund seiner politischen Umtriebe geschmähten Komponisten die dringend benötigte Anerkennung verschafft hatte. 1853 wurde Lohengrin hier erstmals aufgeführt – noch bevor namhafte Theaterstädte wie Wien, München, Leipzig, Dresden oder Mannheim die Oper auf ihre Bühnen holten.117 Der Verweis auf Wiesbadens Pionierrolle sollte dazu beitragen, die Stadt erneut zum Leuchtturm deutscher Nationalkultur zu stilisieren und die besondere Nähe zu Wagner hervorzuheben. Im Umfeld der Wiesbadener Presse war die Freude über die Wiedereröffnung des Theaters besonders greifbar. Hier jubelte der Rezensent des Wiesbadener Tagblatts − bezeichnenderweise Tannhäuser zitierend − über die „,teure‘ − ach so ,teure Halle‘“, die nun der Wiesbadener Bevölkerung und 116 117

Ebd. Siehe hierzu Bauer: Richard Wagner, S. 174.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

ihren Gästen zurückgegeben worden sei118 , während die Rheinische Volkszeitung überwältigt den „Glanz“ und „die alte Pracht“ bestaunte, die auch das neu renovierte Haus auszeichneten.119 Dass mit der Wiedereröffnung der Bühne vielfach auch die Hoffnung auf die Wiederkehr der ,großen Zeit‘ des Theaters und der Stadt verbunden wurde, zeigt der von Teilen der Presse fast notorisch bemühte Vergleich mit den Glanzzeiten des einstigen Hoftheaters. Die originalgetreue Renovierung der Innenausstattung des Theater- und Bühnenraumes war daher Programm, und entsprechend bewunderten die Berichterstatter den „stolze[n] Zuschauerraum“, der nun wieder in „üppiger Farbenpracht“ „glühte“.120 Vor allem bestaunte die Presse das opulent von den Brüstungen herabstrahlende „Gold“, das „der verschwenderischen Fülle der Vorkriegszeit“ gleiche und damit die angemessene Kulisse für künftige Festabende bilde.121 Allgemein wurde zwar eingestanden, dass im Wiesbadener Staatstheater „kein höfisches Gepränge“ mehr herrschen könne, wohl aber biete der Anblick des Zuschauerraumes dem Publikum und den Vertretern der Presse noch immer „ein Bild vornehmer Geselligkeit“.122 Die Darstellung des Tagblatts ähnelte dabei auffällig den einschlägigen Berichterstattungen der Vorkriegszeit, denen die fast schwärmerische Beschreibung einer sich im Opernhaus versammelnden eleganten Gesellschaft stets ebenso wichtig gewesen war wie die Beurteilung der auf der Bühne dargebrachten Leistungen des Ensembles und des Orchesters: „Dort − markante Vertreter der städtischen Behörden und Stadtverordneten; der ordengeschmückte Beigeordnete fehlt nicht [...]; in den Logen des 1. Ranges − die Offiziere der Hohen Interalliierten Kommission mit ihren Damen, und hier − all die Vertreter der Kunst und Wissenschaft, die Wiesbaden sein eigen nennt, die Schriftsteller, Musiker, Journalisten und Berichterstatter, und die Mitglieder der Bühne.“123

Überall herrschte an diesem Abend „ein Grüßen und Begrüßen von Platz zu Platz“, und wie es schien, konnte nicht einmal die Anwesenheit der alliierten Militärs die Freude der Wiesbadener Öffentlichkeit trüben. 124 Gerade diese Beschreibung der zeremoniellen Rahmung des Festabends lässt Unterschiede zur Frankfurter Theaterkultur der Nachkriegsjahre anschaulich zutage treten: Während der Goethewoche (1922) oder der Paulskirchenfeier (1923) waren die Rezensenten der Frankfurter Zeitungen stets bemüht gewesen, das genuin Neue und Andersartige der politischen Kultur der Nachkriegszeit zu betonen, das sich ihrer Ansicht nach auch in einem nüchternen und betont schlichten republikanischen Zeremoniell 118 119 120 121 122 123 124

Wiesbadener Tagblatt, 21. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 21. Dezember 1923. Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 21. Dezember 1923. Ebd. Ebd.

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niederschlug und die neue politische und kulturelle Ordnung veranschaulichen sollte.125 Vielfach war daher von den ,schlichten Toiletten‘ oder dem ,vorherrschenden Schwarz‘ der Garderoben die Rede, das in so auffälliger Weise dem Glanz und dem Blitzen der militärischen Orden widersprach, mit denen sich die Festgesellschaft des Wiesbadener Theaters an ihrem ersten wirklichen Festtag nach dem Ende des Krieges schmückte. In der ehemaligen Mairesidenz der Hohenzollern versuchte man hingegen, an das gesellschaftliche und symbolpolitische Ordnungsgefüge der Vorkriegszeit anzuknüpfen, indem man deren zeremonielle Konventionen weiter pflegte. So sehr Lohengrin bei Teilen des Publikums und bei einigen Wiesbadener Rezensenten wehmütige Reminiszenzen an den Glanz vergangener Hoftheaterherrlichkeiten aufrufen mochte, so sehr rezipierte man das Werk aber auch vor dem Hintergrund des aktuellen politischen Diskurses. Die Rheinische Volkszeitung wies ihre Leserschaft explizit darauf hin, dass für Wiesbaden mit der Wiedereröffnung des Theaters eine „neue Epoche“ anbrechen müsse.126 Hatte der 16. Oktober 1894, der Tag der Eröffnung des Theaters durch Wilhelm II., „eine Zeit des Reichtums und des Glanzes“ für Wiesbaden eingeleitet, so fand man sich nun in einer Zeit wieder, die wenig geeignet schien für „prunkvolle Feiern und geräuschvolle Feste“.127 Arm sei man geworden, so das Blatt, und schwer trage man am Zusammenbruch des Kurbetriebes und des Fremdenverkehrs sowie an der alliierten Besatzung.128 Enttäuscht zeigte sich der Berichterstatter der Zeitung zudem über so manches fehlgeschlagene „Experiment“ im Bereich der Kunst, die „vielfach die Verbindung mit dem Volk“ und „der Wirklichkeit“ verloren habe und sich „unsicher“ in „fremden und oft unerfreulichen Kreisen“ bewege − eine deutliche Absage an den von Intendant Hagemann angestrebten Reformkurs. Nur sehr bedingt teilte man in Wiesbaden die Begeisterung der Frankfurter Politiker für den neuen Weimarer Staat, brachte man diesen doch mit dem Bedeutungsverlust der Stadt in Verbindung. Weder in der schlichten Rückkehr zu Altvertrautem noch im übereilten Vorpreschen in eine als fremd und kalt empfundene Moderne erblickte die Rheinische Volkszeitung daher einen gangbaren Weg. Anlässlich der Wiedereröffnung des Staatstheaters erhoffte sich das Blatt einen Neubeginn eigener Art, durch den der Stadt und ihrem Theater „ein neues, gesundes und frohes Leben“ „erblühen“ solle.129 Der hier angestrebte Neuanfang stellte in vielerlei Hinsicht eine Fortschreibung, vor allem aber eine merkliche Radikalisierung jenes nostalgischen Diskurses dar, der den Statusverlust Wiesbadens beklagt und auf eine Restituierung der natio125 126 127 128 129

Siehe hierzu Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Ebd. Ebd. Ebd.

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nalstaatlichen Größe Deutschlands gehofft hatte. Teile der lokalen Presse forderten das „Deutsche Reich, das deutsche Volk“ dementsprechend auf, sich „allen unerhörten Belastungen zum Trotz“ weiterhin als standhaft zu erweisen.130 Im besetzten Wiesbaden hoffte man auf die Restituierung einer nationalen „Volksgemeinschaft“, die die „Schwäche deutscher Regierungen und der Parteien“ wettmachen und zur Grundlage des „neuen deutschen Staates“ werden solle.131 Das wieder errichtete Theater wurde in emphatischer Weise zum Symbol dieses Anfangs erklärt. Es bezeichnete einen konkreten Ort, an dem der vielfach postulierte Neubeginn ästhetisch hervorgebracht werden sollte: Wie das niedergebrannte Bühnenhaus „den Untergang des Glanzes unseres Vaterlandes begleitet“ habe, könne die nun wieder errichtete Bühne „Zeugin von neuem Glanze, neuem Glück desselben werden“.132 Die Eröffnungsfeierlichkeiten am 20. Dezember 1923 wurden daher vor allem als „ein guter Tag in der Geschichte des Theaters, der Stadt, des Vaterlandes“ wahrgenommen und stellten nach Meinung der Rheinischen Volkszeitung den „Ausgangspunkt von künstlerischen und kulturellen Kräften“ dar, die die Zuschauer „geläutert, gestärkt“ und „geadelt“ entlassen sollten.133 Die Festinszenierungen gerieten entsprechend vielfach zu einem politischen Bekenntnis. Dies bezeugen etwa Briefe und Glückwunschtelegramme, die Carl Hagemann anlässlich der Wiedereröffnungsfeierlichkeiten zugingen. Insbesondere beglückwünschte man den Intendanten und seine Künstlerschaft zu dem „neuerstandenen [W]ahrzeichen deutscher [K]ultur und [G]eisteskraft in der [W]estmark“134 und sah erwartungsvoll dem nun aus „den [R]uinen“ neu erblühenden „hohen [S]treben“ des Wiesbadener Theaters entgegen.135

4.5 Lohengrin und das „Gestalt-werden“ des „Volkstums“ im Medium der Oper136 Dass gerade Wagners Lohengrin die Erwartungen des Wiesbadener Publikums wie der anwesenden Kritiker im Dezember 1923 artikulieren konnte, verwundert nicht, erblickte man doch in dieser Oper eine besonders 130 131 132 133 134

135

136

Wiesbadener Tagblatt, 31. Dezember 1923. Ebd. Biebricher Tagespost, 21. Dezember 1923. Hervorh. S. K. Ebd. So ein Glückwunschtelegramm von Heinz Gorrenz aus Marburg/Lahn an Intendant Hagemann. Vgl. in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Wiedereröffnung des ,Großen Hauses‘ am 20.12.1923, Bd. I: 1923 in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 303. So der Wiesbadener Theaterfreund Konsul Aschoff, der Hagemann eigens aus Den Haag telegrafiert hatte. Siehe in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betreffend Wiedereröffnung des ,Großen Hauses‘ am 20.12.1923, Bd. I: 1923, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 303. Rheinische Volkszeitung, 21. Dezember 1923.

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beredte „politische Manifestation“, einen Spiegel nationaler Hoffnungen und Ängste.137 Im Verlauf seiner wechselvollen Inszenierungs- und Rezeptionsgeschichte wurde das Werk in jeweils eigenständige und selektive Erwartungs- und Deutungshorizonte eingepasst, so dass es die Wahrnehmungs- und Interpretationslogiken unterschiedlicher Rezipientenkreise widerzuspiegeln vermochte: Während beispielsweise die Kritiker der Weimarer Uraufführung der Oper kaum nationale und politische Gehalte zuerkannt und – wie die Kleine Musikzeitung Hamburg – Wagner vorgeworfen hatten, nur „Lärm, und zwar einen entsetzlichen“ ersonnen zu haben138 , karikierte Heinrich Mann in seinem gut 50 Jahre später entstandenen Roman Der Untertan das nationalistische Pathos der Oper auf unnachahmliche Weise. Der Protagonist des Romans, der Papierfabrikant Diederich Heßling, erfreut sich beim gemeinsamen Opernbesuch mit seiner Verlobten Guste vornehmlich an der ,markigen‘ Wirkung der Musik Wagners, die er vom „nationalen Standpunkt“ aus begrüßt, glaubt er aus ihr doch eine „kaisertreue Gesinnung“ heraushören zu können.139 Die in Wiesbaden anwesenden Presserezensenten nahmen im Dezember 1923 noch einmal eine andere Facette der Oper wahr. Für sie trat das „Ritterlich-Romantische“ der Oper nicht mehr so prominent in Erscheinung, sondern vor allem deuteten sie das Werk als ein „national-deutsches Festspiel“, das „die Kraftquellen völkischer Verbundenheit neu aufspringen“ lassen sollte.140 Während man Lohengrin in den Vorkriegsjahren zumeist „äußerlich glänzend“ in Szene gesetzt und dabei den „Ritter“ Lohengrin als „strahlend schönen Mann mit herrlichem Vollbart“ ins Zentrum des Geschehens gerückt habe, sah das Gros der anwesenden Presserezensenten in der Wiesbadener Inszenierung des Jahres 1923 in erster Linie den „Hüter des heiligen Gefäßes“ und den „Gottgesandten voll priesterlicher Weihe“.141 Das Schicksal des ebenso rätselhaft-tragischen wie charismatischen Helden interpretierte die Presse als „Gleichnis unserer selbst“142 : In Lohengrin, so meinte die Rheinische Volkszeitung, „sehen [wir] uns selbst“.143 Nachdrücklicher lässt sich der der Oper zugewiesene identifikatorische Gehalt kaum zum Ausdruck bringen. Wagners Oper befeuerte im Kontext der Rheinlandbe137

138

139 140 141 142 143

Reinhold Brinkmann: Lohengrin, Sachs und Mime oder Nationales Pathos und die Pervertierung der Kunst bei Richard Wagner, in: Herfried Münkler/Hermann Danuser (Hrsg.): Deutsche Meister – Böse Geister? Nationale Selbstfindung in der Musik, Schliengen 2001,Münkler/Danuser: Deutsche Meister − Böse Geister?, S. 206–221, hier S. 217. Vgl. hierzu Gregor-Dellin: Richard Wagner, S. 315, sowie Helmut Kirchmeyer: Situationsgeschichte der Musikkritik und des musikalischen Pressewesens in Deutschland, IV. Teil: Das zeitgenössische Wagner-Bild, Bd. 3: 1846–1850, Regensburg 1968, Sp. 663ff. Heinrich Mann: Der Untertan [1914], 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2000, S. 346ff. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 21. Dezember 1923. Ebd. Ebd.

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satzung einen Prozess der ästhetischen Selbstreflexion, durch die kollektive Bedürfnislagen und Ängste formuliert und bearbeitet werden konnten. Die Rheinische Volkszeitung etwa beschrieb das bürgerliche Opernpublikum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als einen „Kollektiv-Ahasverus“, der einem schemenhaften Ziel nachjage und dem es nicht gelinge, den „letzten Schleier, der uns noch vom deutschen Antlitz trennt, zu zerreißen“.144 Einzig in der Preisgabe an die „Seelen- und Nervenkunst“ Wagners könne sich jene „machtvolle Stärke des mystischen Erlebens“ entfalten145 , die die Zuschauer erneut zu einer organischen Gefühlsgemeinschaft, einem „Ganzen des Geistes und des Herzens“ verbinde.146 Der Musik wurde somit eine unmittelbar formierende und aktivierende Kraft zugeschrieben: Sie bewirke – so sah es die Presse – eine emotionale Affizierung des Publikums, ein „seelische[s] Zusammenklingen“ der im Theater versammelten Festgemeinde147 , und bereite so die Heilung einer gedemütigt-unterworfenen Gesellschaft vor. Indem die musikalische Metapher des harmonischen Zusammenklingens auf den sozialen Kontext eines Vergesellschaftungsprozesses übertragen wurde, wies man dem Musiktheater erneut eine Ordnung und Sinn stiftende Wirkmacht zu. Die ästhetische Praxis gemeinsamen Zusammenklingens und Zusammenspielens wurde demgemäß als Vorbild einer gelingenden sozialen Interaktion vorgestellt. Wiederum lassen sich hier vernehmbare Unterschiede zur Frankfurter Festkultur feststellen: Während sich die Mainstadt anlässlich der Goethewoche zur demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung eines Weimarer Kulturstaates bekannt und diesem Ansinnen mit der Anknüpfung an die Wiener Klassik symbolisch Gestalt verliehen hatte, vertraute man in Wiesbaden weiterhin auf die integrative Strahlkraft des romantischen Opernkanons, der bereits den Spielplan der Vorkriegsära dominiert hatte. Gerade ein Werk wie die in den 1840er Jahren entstandene Oper Lohengrin eignete sich aufgrund ihrer „politischen Parabelfunktion“ in besonderer Weise als Festvorstellung zur Wiedereröffnung des Wiesbadener Theaters.148 Wagner hatte mit Lohengrin ein Werk geschaffen, das sowohl eine Situation äußerer Bedrohung durch feindliche Streitmächte als auch die Gefahr des inneren Zerfalls durch Intrigen schildert und mit der Propagierung eines republikanischen ,Dichterfürsten‘, eines unmittelbar vom Volk auserwählten, gleichsam auratischen Herrschers auch die Frage nach dem Zuschnitt guter Herrschaft stellt.149 Die mittelalterliche Fabel Lohengrin ließ sich damit unmittelbar an aktuelle politische Problemlagen anschließen und wurde auf144 145 146 147 148 149

Ebd. Ebd. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Ebd. Brinkmann: Lohengrin, Sachs und Mime, S. 214f. Ebd., S. 214.

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grund ihrer vielfältigen politischen Bezüge auch 1923 als symbolpolitisches Gleichnis interpretiert. Gerade die in zahlreichen zeitgenössischen Presseberichten auftauchende Figur einer harmonischen Volksgemeinschaft fand in Lohengrin einen bezugreichen Widerhall: Die Handlung des Werkes wird an zentralen Schlüsselstellen durch monumentale Massen- und Chorszenen vorangetrieben, in denen Wagner „die deutsche Nation als ein in Stämme unterteiltes Kollektiv“ auftreten ließ und den Zuschauern damit die eigene Volksgemeinschaft optisch und akustisch vor Augen führte.150 Wenn Wagner gleich zu Beginn der Oper seinen König Heinrich ausrufen lässt: „Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr’ zu wahren; / Ob Ost, ob West? Das gelte Allen gleich! / Was deutsches Land heißt, stelle Kampfes Scharen, / dann schmäht wohl Niemand mehr das deutsche Reich!“, oder wenn die Sachsen feierlich des „deutschen Reiches Ehr’“ beschwören151 , so konnte dies vor dem Hintergrund der alliierten Besatzung ein enormes Echo finden und als politischer Appell gedeutet werden. Die das Werk durchziehende „nationale Emphase“ musste 1923 im besetzten Rheinland besonderen Anklang finden, sehnte man hier doch die Erneuerung nationaler Größe und Einheit herbei.152 Dieser Wunsch fand sich beispielsweise in der letzten Szene der Oper wieder, wenn König Heinrich folgenden Appell an die in voller kriegerischer Rüstung versammelten Männer des brabantischen Heerbanns richtet: „Habt Dank, ihr Lieben von Brabant! / Wie fühl’ ich stolz mein Herz entbrannt, / find’ ich in jedem deutschen Land / so kräftig reichen Heerverband! / Nun soll des Reiches Feind sich nahn, / wir wollen tapfer ihn empfahn: / aus seinem öden Ost daher / soll er sich nimmer wagen mehr! / Für deutsches Land das deutsche Schwert! / So sei des Reiches Kraft bewährt!“153

Teile der lokalen und der überregionalen Presse machten sich in ihren Berichten eine ähnliche Rhetorik zu eigen, indem sie die Oper kurzerhand zu jenem ,Schwert‘ erklärten, mit dem sich das Reich erfolgreich verteidigen konnte: Mit der Festvorstellung des Lohengrin habe man dem Publikum einen Augenblick „innerster Freude“ geschenkt, gleichzeitig aber den „Ausländern“ „Achtung und Ehrerbietung vor deutscher Kunst“ abgerungen.154 Im „geheimnisvolle[n]“ und „symbolreiche[n]“ Lohengrin machte die Rheinische Volkszeitung ein „gutes Omen“ aus, das die erlittenen „Wunden“ zu heilen vermochte155 , während das Hamburger Fremdenblatt die Festaufführung als 150

151 152 153 154 155

Ther: In der Mitte der Gesellschaft, S. 366. Vgl. etwa 1. Aufzug, 1. Szene, in der König Heinrich die sächsischen und thüringischen Grafen und Edelleute um sich versammelt, oder 1. Aufzug, 3. Szene, in der das Volk die Ankunft des Schwanenritters bejubelt. Vgl. hierzu Richard Wagner: Lohengrin. Textbuch mit Varianten der Partitur, hrsg. v. Egon Voss, Stuttgart 2001, 1. Aufzug, 1. Szene. Ther: In der Mitte der Gesellschaft, S. 366. Wagner: Lohengrin, 3. Aufzug, 3. Szene. Magdeburgische Zeitung, 20. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923.

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Zeichen jener „Pionierarbeit für die deutsche Kunst“ würdigte, mit der die Wiesbadener Bühne „Angehörige aller Nationen“ mit den „höchsten Leistungen dieser Kunst“ bekannt mache.156 Mit der Wiesbadener LohengrinInszenierung – so meinte das Wiesbadener Tagblatt bekräftigend – wäre selbst „Rich. Wagner zufrieden gewesen“, habe die Aufführung doch ganz im Sinne ihres Schöpfers „Schreck und Rührung“ verbreitet und das anwesende Festpublikum in seinen Bann gezogen.157 Die gesamte Aufführung sei dementsprechend von nahezu „hinreißendem Schwung getragen“ gewesen, der die „angeregte Stimmung des Publikums“ immer mehr gesteigert habe, so dass am Ende „enthusiastischer Beifall und endlose Hervorrufe“ für die Darsteller, den Dirigenten und den Intendanten den „unzweideutigen Beweis“ vom Erfolg dieses Abends abgelegt hätten.158 Auch die Biebricher Tagespost beschwor rückblickend „die Klänge des Orchesters“, die mit „feierlicher, tief ergreifender Macht und Schönheit“ die „Räume des Hauses“ erfüllt und die Aufführung zu einem „unvergeßbare[n] Ereignis“ gemacht hätten.159 Die Rheinische Volkszeitung beschwor schließlich die durch die Aufführung des Lohengrin herbeigeführte „Weihe gemeinsamen Erlebens“160 , die ein „Hinschmelzen in selig-tragischer Erschütterung“ bewirkt habe.161 Und mit Blick auf die Reaktion des Publikums bilanzierte schließlich das Hamburger Fremdenblatt pointiert: „Es war mehr als Jubel – es war Ergriffenheit!“162 Hier wird eine weitere Dimension erkennbar, die in der zeitgenössischen Rezeption des Lohengrin eine zentrale Rolle einnahm und das Werk als wirkmächtige Folie kollektiver Selbstbeschreibung hervortreten lässt. Die zahlreichen Presseberichte begnügten sich nicht damit, die Überwindung der äußeren Zwangslage zu fordern. Vielmehr beeilte man sich, das Theater im Sinne der Werkidee Wagners zu einer Arena symbolischer Sinnstiftung zu erklären, in der sich die erhoffte Volksgemeinschaft erneuern und festigen sollte. Nur wenn es gelinge, so die Rheinische Volkszeitung, in der „Weihe gemeinsamen Erlebens“ den „wahren Sinn des Theaters“ wieder zu entdecken und der „Vielheit der Herzen“ das „Wesen der Gemeinschaft“ zu vermitteln, könnten einem „krankenden Volk wie dem unseren die Kraftquellen völkischer Verbundenheit“ neu aufspringen.163 Der insistierend-beschwörende Tonfall, mit dem die anwesenden Rezensenten die besondere Erlebnis-Dimension der Wiesbadener LohengrinAufführung hervorhoben, kann als Indiz dafür gedeutet werden, dass die Zeitgenossen dem Musiktheater offenbar eine neuartige gesellschaftliche 156 157 158 159 160 161 162 163

Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. Wiesbadener Tagblatt, 21. Dezember 1923. Ebd. Biebricher Tagespost, 21. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 21. Dezember 1923. Hamburger Fremdenblatt, 27. Dezember 1923. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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Relevanz zuerkannten. Bewusst wollte man sich von den ästhetischen Konventionen der Vorkriegszeit absetzen, in der die Oper zu einer reinen „Unterhaltungsangelegenheit“ und zur „Gewohnheit einer Mode“ herabgesunken sei.164 Demgegenüber hatten die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbrüche der Kriegs- und Nachkriegsjahre eine konzeptionelle Neuorientierung der musikdramatischen Kunst in Gang gesetzt. Die Oper, so forderten zahlreiche Publizisten, müsse sich erneut auf ihre Wurzeln besinnen und danach streben, „den Menschen ganz zu ergreifen, zu erheben und zu erschüttern“.165 Neben dem bewährten Rückgriff auf die „monumentale Größe des klassischen griechischen Dramas“, das die Bühnenkunst stets als ein „Fest aller mit allen und für alle“ begriffen hatte166 , machte die Wiesbadener Presseberichterstattung vornehmlich auf jene neuartigen „Veränderungen der Wahrnehmung“ aufmerksam, die auch Walter Benjamin als Kennzeichen der Moderne ausmachte.167 Innerhalb der Literaturwissenschaften und der Kulturphilosophie des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erfuhr gerade der ,Erlebnis‘-Begriff eine erstaunliche Konjunktur, indem ihm insbesondere von Wilhelm Dilthey, Georg Simmel und Walter Benjamin ein hohes zeitanalytisches Potenzial zuerkannt wurde.168 Im ,Erlebnis‘-Begriff zeige sich – so Benjamin – am deutlichsten jene „Revolution in der Sphäre der Wahrnehmungen“, die die Moderne so einschneidend präge.169 Wie Simmel hob auch Benjamin den punktuellen, auf Verdichtung und Intensivierung abzielenden Charakter des Erlebnisses hervor, das aufgrund seiner schockartigen Plötzlichkeit nicht mehr länger in eine auf Kontinuität angelegte und kollektiven Traditionen verpflichtete Erfahrung eingepasst werden konnte. Der durch den Weltkrieg herbeigeführte Epochenbruch zeigte sich für Benjamin nicht zuletzt in den veränderten Modi der Weltwahrnehmung und -deutung. Deutlich habe sich am Ende des Krieges gezeigt, dass die aus dem Feld heimgekehrten Soldaten „ärmer an mitteilbarer Erfahrung“ seien;170 denn nie seien „Erfahrungen gründlicher Lügen gestraft worden als die strategischen durch den Stellungskrieg, die wirtschaftlichen durch die 164 165 166 167

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Ebd. Ebd. Ebd. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie [1963], in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. I.2, hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1974, S. 471–508, hier S. 478. Zum Erlebnisbegriff in der deutschen Literaturwissenschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts vgl. vor allem Karol Sauerland: Diltheys Erlebnisbegriff. Entstehung, Glanzzeit und Verkümmerung eines literaturhistorischen Begriffs, Berlin/New York 1972. Ebd., S. 163. Walter Benjamin: Erfahrung und Armut [1933], in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. II.1, hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1977, S. 213– 219, hier S. 214.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Inflation, die körperlichen durch die Materialschlacht, die sittlichen durch die Machthaber“.171 Die Erosion verbindlicher, Erfahrung generierender Traditionen war für Benjamin somit ein besonderes Signum der eigenen, modernen Zeit, insbesondere im Gefolge des Krieges. Zugleich erblickte Benjamin in dieser Erfahrungsarmut der Moderne aber auch die Chance zu einer neuartigen, unverbrauchten Welterschließung. Die Kunst galt ihm als Medium, das auf Reflexion und Mobilisierung abzielte und gerade durch seinen Erlebnis-Charakter alternative gesellschaftliche wie ästhetische Perspektiven eröffnen konnte. Insbesondere wurde ihr von Benjamin die Fähigkeit zugeschrieben, einen neuen, unbelasteten und damit gleichsam ursprünglichen und positiv konnotierten ,barbarischen‘ LebensRaum zu schaffen: „In der Tat. Wir sagen es, um einen neuen, positiven Begriff des Barbarentums einzuführen. Denn wohin bringt die Armut an Erfahrung den Barbaren? Sie bringt ihn dahin, von vorn zu beginnen; von Neuem anzufangen; mit Wenigem auszukommen [...]. Unter den großen Schöpfern hat es immer die Unerbittlichen gegeben, die erst einmal reinen Tisch machten. Sie wollten nämlich einen Zeichentisch haben, sie sind Konstrukteure gewesen.“172

Auch im revolutionären ,Bilderstürmer‘ Wagner erblickten die Wiesbadener Presserezensenten am 20. Dezember 1923 einen solchen Konstrukteur des Neuen, dessen Tondichtungen die traditionelle Opernform gesprengt und durch wahre „Festspiele“ ersetzt hatten.173 Die Festaufführung des Lohengrin sollte es dem Publikum dementsprechend ermöglichen, die von Wagner intendierte Wiedergeburt des deutschen „Volkstums“ zu erleben, indem sie das Musiktheater in einen neuartigen Erlebnis-Raum verwandelte.174 Wenngleich man sich bewusst war, dass das „Gepräge hellenischen Kunstgefühls“ in der Gegenwart ein „Ideal“ bleiben müsse, vernahm man in den „Schöpfungen Wagners“ doch ein so „seltsam vertraut[es]“ und „heimatlich [. . . ] warmes Frohgefühl“, eine so „unerhörte seelische Macht“, dass die Festaufführung des Lohengrin durchaus als Vorgriff auf die Wiederherstellung einer nationalen Volksgemeinschaft empfunden und gedeutet werden könne.175 Wenn die Presse den Eröffnungsabend des neuen Hauses daher als ein „frohes, festliches Ereignis“ beschrieb, das „allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben wird“, versuchte sie, das eigentlich punktuelle Erleben eines durch die Oper erzeugten nationalen Hochgefühls auf Dauer zu stellen und zur Grundlage eines gesellschaftlichen Neubeginns zu erklären.176 Die programmatische Neuorientierung, die sich mit der Wiedereröffnung des Wiesbadener Theaters verband, wurde durch eine Reihe weiterer 171 172 173 174 175 176

Ebd. Ebd., S. 215. Rheinische Volkszeitung, 21. Dezember 1923. Ebd. Ebd. Ebd.

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Festvorstellungen bestätigt und vertieft: Auch den an den folgenden Tagen aufgeführten Opern Tannhäuser und Der Freischütz billigte die Presse „den Charakter einer Festvorstellung“ zu.177 Enthusiastisch pries sie die „Wiederauferstehung“ von „Webers Meisteroper“ und rühmte den Freischütz als ein „Wunderwerk der deutschen Romantik“, das aufgrund seiner „warmherzigen Innigkeit und Sinnigkeit mit sanfter Gewalt und dabei mit dramatischer Schlagfertigkeit zu Gemüt“ gehe und der Aufführung so den gebührenden Erfolg sichere.178 Dass die Zeitung darüber hinaus in Webers Oper nicht nur die Essenz der deutschen Oper, sondern gleichsam „Deutschland selbst“ verkörpert sehen wollte, verstärkt die Vermutung, dass die zeitgenössische Wahrnehmung im Musiktheater ein bevorzugtes Medium nationalkultureller Selbstbestätigung erblickte.179 Gerade die an eine kaiserzeitliche Ästhetik anschließenden Festinszenierungen des Jahres 1923 griffen beispielsweise mit der Wartburg und dem ,deutschen Wald‘ auf symbolpolitisch aufgeladene Erinnerungs- und Identifikationsräume zurück, die vom zeitgenössischen Opernpublikum wie von der musikalischen Fachpresse als Repräsentationen einer deutschen Nationalidentität wahrgenommen wurden (Abb. 19).180 Die Presseberichterstattung war demnach ganz ausschlaggebend an der Erzeugung spezifischer Selbst- und Weltbilder beteiligt. Mit ihren Beschreibungen einzelner Vorstellungen verfügten die anwesenden Kritiker über in Erzählmuster eingelagerte Sinn- und Deutungsressourcen, mit deren Hilfe sie „Ereignisse und Entwicklungen“ einordnen und „historische Kontingenz in sinnhaftes Geschehen überführen“ konnten.181 Diese Engführung von politischem und ästhetischem Diskurs zeigt sich besonders deutlich in den unterschiedlichen, mitunter konvergierenden kulturpolitischen Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes und den Festwochen zur Wiedereröffnung des Hauses. Im durch das Feuer zerstörten und mühevoll wieder errichteten Theater ließ sich zudem ein Symbol des Jahres 1923 ausmachen, das so viel „Trostlosigkeit“ gesehen, schließlich aber mit einem „Gefühl der Erleichterung“ geendet habe.182 Die Wiesbadener Bühne betrachteten daher viele als konkrete „Zukunftshoffnung“183 , die nicht nur dazu beitragen könne, „die Wunden zu heilen“, sondern die das Land zugleich ermahne, sich der „Größe“ seines „Geschickes würdig“ zu erweisen.184

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Wiesbadener Tagblatt, 31. Dezember 1923. Wiesbadener Tagblatt, 7. Januar 1924. Ebd. Vgl. hierzu etwa Albrecht Lehmann: Der deutsche Wald, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte III, München 2001, S. 187–200, sowie Herfried Münkler: Richard Wagner, in: ebd., S. 549–566. Münkler: Kunst und Kultur als Stifter politischer Identität, S. 49. Wiesbadener Tagblatt, 31. Dezember 1923. Ebd. Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923.

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Abbildung 19: Joseph Kühn, Bühnenbild zu Richard Wagners Tannhäuser (circa 1870)

4.6 Fazit und Ausblick: Das Ende der Ära Hagemann in Wiesbaden und die Zäsur der Frankfurter Kulturpolitik Der hier skizzierte Brand und Wiederaufbau des Wiesbadener Theaters fiel in jene erste Phase der Weimarer Republik (1919–1924), die oftmals als eine − nicht nur in politischen oder wirtschaftlichen Belangen − ungewisse Zeit antagonistischer Sinn- und Orientierungskämpfe beschrieben wird, in der die vertrauten Deutungsmuster der wilhelminischen Gesellschaft ihre Binde- und Geltungskraft weitgehend eingebüßt hatten.185 Auch die Kulturpolitik Weimars war in dieser Frühphase zahlreichen Belastungen ausgesetzt, und weite Teile der Öffentlichkeit nahmen den ,neuen Kurs‘ der republikanischen Kulturpolitik äußerst kritisch auf. Am Beispiel der Reaktionen auf den Brand und die Wiederaufbauarbeiten des Wiesbadener Theaters lässt sich darlegen, dass man hier viel eher auf die Restitution einer wehrhaften und organischen ,nationalen Volksgemeinschaft‘ als auf die Etablierung einer republikanischdemokratischen Staatsgesellschaft hoffte. Werke wie Tannhäuser oder Frei185

Vgl. hierzu etwa Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 7ff.; Peukert: Die Weimarer Republik, S. 32ff.; Gay: Die Republik der Außenseiter, S. 159.

4. Kulturpolitische Deutungsstrategien des Wiesbadener Theaterbrandes

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schütz wurden zumeist emphatisch als Nachweis der ungebrochenen Größe der deutschen Kultur begrüßt und als Generatoren nationaler Identität und Größe in Anspruch genommen, damit Deutschland fortan seine Augen nicht mehr „schamvoll niedersenken“ müsse.186 Dies änderte sich in einer Phase der allmählichen Stabilisierung der Weimarer Republik in den Jahren zwischen 1924 und 1929. Mit der Spielzeit 1924/25 gelang es Hagemann, den Dirigenten Otto Klemperer an das Wiesbadener Staatstheater zu verpflichten. Der 1885 geborene Klemperer hatte zu diesem Zeitpunkt bereits an den Bühnen in Prag, Hamburg, Straßburg und Köln gearbeitet und zählte zu den wichtigsten Vertretern einer neuen Dirigenten-Generation. Auch in Wiesbaden sollte er sich als Pionier und „Führer des modernen Opern-Theaters“ erweisen, ehe er die Stadt 1927 gemeinsam mit Carl Hagemann verließ, um seine Tätigkeit an der Berliner Kroll-Oper fortzuführen.187 Gemeinsam reformierten Hagemann und Klemperer den Wiesbadener Theaterbetrieb. Ihre kongeniale Zusammenarbeit begann im September 1924 mit einer als provozierend empfundenen Neueinstudierung von Ludwig van Beethovens Oper Fidelio.188 Mit Inszenierungen von Richard Strauss’ Elektra, oder Paul Hindemiths Cardillac setzten sie ihre Reformbestrebungen fort.189 Bei seinem Wechsel zum Berliner Rundfunk lobte die Frankfurter Zeitung Hagemann als „Erzieher und Reformator“, dessen unermüdliche „Sisyphusarbeit“ der Wiesbadener Bühne eine neue Ausrichtung zu geben vermocht habe.190 Dennoch − so engagiert Hagemann das ,Experiment Wiesbaden‘ begonnen hatte, so entnervt verließ er die Stadt, deren „brave Bürger“ bei ihrem „obligate[n] Theaterabend“ keine „seelischen Erschütterungen“ wünschten und Hagemann immer wieder zu „Konzessio-

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Rheinische Volkszeitung, 19. Dezember 1923. Hagemann: Bühne und Welt, S. 103. Zur Zusammenarbeit von Klemperer und Hagemann in Wiesbaden vgl. ausführlich Gerda Haddenhorst: Das Wiesbadener Theater in der Zeit der Weimarer Republik. Teil 2: Das Staatstheater Wiesbaden unter der Leitung von Carl Hagemann 1920–1927, in: Nassauische Annalen 99/1988, S. 129–151. Besonders der Auftritt des Gefangenenchors im zweiten Bild des Ersten Aufzugs der Oper schockierte das Publikum und die anwesenden Pressevertreter. Als die Gefangenen den düsteren Gefängnishof betraten, glaubte ein Kritiker „im ersten Moment“ „eine Horde von Clowns und Pierrots ans Licht“ treten zu sehen. Tatsächlich hatte man den Gefangenen in Hagemanns Inszenierung Kopf- und Barthaar abrasiert, so dass sich hier dem Publikum ein „neurartiger Anblick“ bot, wie der Kritiker des Wiesbadener Tagblatts vom 5. September 1924 festhielt. Und die Neue Wiesbadener Zeitung urteilte am 6. September irritiert: „Eine Schar gespenstischer Gestalten, kreideweiß das Antlitz, wie jene Schemen aus entsetzlichen Träumen, die unsere modernen Fratzenmaler lieben, ein Groteskeffekt von brutaler Häßlichkeit. War wirklich solche Ausdeutung hier angebracht, wo wir nicht schreckhaftes Grausen empfinden sollen, sondern tiefstes Mitleid, vermittelt durch eine Musik von heiliger Schönheit?“. Vgl. hierzu Carl Hagemann: Regie. Die Kunst der szenischen Darstellung, 4. Aufl., Berlin/Leipzig 1916, S. 112. Frankfurter Zeitung, 17. August 1927, Abendblatt.

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nen und Einschränkungen“ nötigten, durch die seine künstlerische Tätigkeit einen Gutteil ihrer anfänglichen „Spannkraft“ verlor.191 Anders als Wiesbaden hatte sich Frankfurt nach dem Krieg frühzeitig als großstädtisches Zentrum der Republik etablieren können und sich bemüht gezeigt, dem Weimarer Staat durch eine entsprechende politische Festkultur den notwendigen symbolischen Rückhalt zu geben.192 Gerade die häufigen Besuche Friedrich Eberts hatten dazu beigetragen, die symbolpolitische Relevanz der Stadt und ihrer politischen Traditionen hervorzuheben, so dass sein Tod im Februar 1925 hier eine deutliche Zäsur markierte. Der Wahl seines Nachfolgers kam insofern eine enorme Bedeutung zu, als sich nun zeigen musste, ob die politische Richtung, die Ebert vorgegeben hatte, weiter eingehalten werden würde. Während konservative und reaktionäre Kreise die Wahl Paul von Hindenburgs (1837–1934) ausdrücklich begrüßten, standen liberal-demokratische Kräfte dieser Entscheidung durchaus kritisch gegenüber. So schrieb Theodor Wolff im Berliner Tageblatt: „Die Republikaner haben eine Schlacht verloren, der bisher monarchistische Feldmarschall von Hindenburg wird Präsident der deutschen Republik. [...] Was soll man mit einem Volke anfangen, das aus seinem Unglück nichts lernt und sich immer wieder [...] von den gleichen Leuten am Halfterbande führen läßt?“193

Zunächst trug die Wahl des oftmals so betitelten ,Ersatzmonarchen‘ Hindenburg zu einer gewissen Stabilisierung des politischen Klimas bei, konnten sich die Gegner der Republik doch nun nicht mehr auf Hindenburg berufen, da dieser als ehemals prototypische Symbolfigur des ,alten Preußen‘ mit einem Mal zum Repräsentanten der republikanischen Staatsverfassung geworden war.194 Davon abgesehen stand Hindenburg der zunehmend urban geprägten, parteipolitisch verfassten und pluralistisch organisierten Weimarer Republik im Grunde distanziert gegenüber und repräsentierte im Unterschied zu dem in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsenen und südwestdeutschliberalen Traditionen verbundenen Sozialdemokraten Ebert den traditionalen preußisch-militärischen Wilhelminismus. Während seiner Amtszeit trug Hindenburg dazu bei, das ohnehin labile Instrumentarium der parlamentarischen Regierungsbildung zu unterminieren, indem er das Reichspräsidialamt systematisch zu einem „konkurrierende[n] Machtzentrum“ ausbaute.195 Lange vor dem 30. Januar 1933 sollte sich so der innenpolitische Schwerpunkt nach rechts verlagern, indem Hindenburgs autoritäre Regierungsweise oftmals dazu beitrug, die demokratisch-parlamentarischen Institutionen gezielt zu schwächen. 191 192 193 194 195

Ebd. Siehe hierzu Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revlution). Berliner Tageblatt, Nr. 197, 27. April 1925, zitiert nach Schulze: Weimar, S. 296. Vgl. Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration, S. 321. Peukert: Die Weimarer Republik, S. 212.

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Auch in Frankfurt hatte die Wahl Hindenburgs für Kontroversen gesorgt. Ein großer Teil der Bevölkerung hatte ihn „nicht zum Reichspräsidenten gewählt“, und auch die Mehrheit der politischen Eliten der Stadt stand Hindenburg distanziert gegenüber.196 Im November 1925 zeigte sich diese Reserviertheit eindrücklich, als Hindenburg neben den süddeutschen Landesregierungen in Karlsruhe, Stuttgart und Darmstadt auch Frankfurt einen Besuch abstattete. Trotzdem war der Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann überzeugt, dass sich mit dem Besuch des Präsidenten die Chance ergebe, gerade „jene Bevölkerungsschichten, die sich bisher nicht mit dem neuen Staat anfreunden mochten, stärker an die Republik heranzuführen“.197 Ob sich allerdings der politische Kurs der frühen 1920er Jahre unter gewandelten Bedingungen nahtlos fortführen ließ und ob die Jahre zwischen 1924 und 1929 tatsächlich als viel beschworene, goldene Ära‘ wahrgenommen wurden, wird im folgenden Kapitel zu diskutieren sein.

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Lorei/Kirn: Frankfurt und die goldenen zwanziger Jahre, S. 119. Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 139.

5. „Hindenburgrummel“1 in Frankfurt: Der Besuch Paul von Hindenburgs 1925 Hatte Frankfurt bereits Reichspräsident Ebert im Rahmen der Goethewoche und der Paulskirchenfeier mit zeremoniellen Ehrungen empfangen, bejubelte die Stadt auch den Besuch seines Amtsnachfolgers Paul von Hindenburg. Den politischen Eliten der Stadt bot sich insbesondere die Gelegenheit, die unter Ebert begonnene Experimentierphase, in der alternative politische Weltbilder erstmals artikuliert und performativ umgesetzt worden waren, in eine Ära relativer Stabilität zu überführen und die symbolische Ordnung der Weimarer Republik weiter zu festigen. Auf eine Initiative des 1924 zum neuen Oberbürgermeister gewählten DDP-Politikers Ludwig Landmann hin hatte man Hindenburg im Rahmen seiner Süddeutschland-Reise, die den Reichspräsidenten eigentlich nur nach Stuttgart, Karlsruhe und Darmstadt führen sollte, auch nach Frankfurt eingeladen.2 Mit dieser Geste wollte Landmann an den bereits während der Amtszeit Eberts entworfenen Plan anknüpfen, Frankfurt als Zentralort der Weimarer Republik zu profilieren.3 Um die sich wandelnden Facetten der politischen Kultur Weimars am Beispiel der Frankfurter Festkultur akzentuieren und die nach wie vor dichten Bezüge zwischen Oper und Politik eingehender beleuchten zu können, sollen nachfolgend einzelne Etappen des Hindenburg-Besuches ausführlicher dargestellt werden. Die Wahl Hindenburgs zum neuen Reichspräsidenten im Frühjahr 1925 bewirkte einen spürbaren Wandel der politischen Kultur Deutschlands. Im Wahlkampf hatte der über siebzigjährige Hindenburg von seinem Nimbus als charismatische Führer- und Vaterfigur profitiert und sich geschickt als überparteiliche Autorität präsentiert. In weiten Teilen des Reiches wurde seine Wahl stürmisch bejubelt, und vor allem das zersplitterte protestantische Bür1 2

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Volksstimme, 7. November 1925. Anfang Oktober erklärte sich der Magistrat mit dem Vorhaben Landmanns einverstanden, und so erging eine offizielle Einladung an den Reichspräsidenten. Bereits am 15. Oktober 1925 erhielt Landmann eine erste Zusage aus dem Büro des Reichspräsidenten. Nach kurzen Absprachen wurde der Besuch Hindenburgs auf den 13. November 1925 festgelegt. Siehe hierzu: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main, 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31. Gemäß Landmanns Vorstellungen sollte jeder Inhaber des Reichspräsidialamtes jährlich einen Teil seiner Amtszeit im Frankfurter Bundespalais, dem „Symbol der inneren Einheit aller deutschen Stämme“, verbringen. Siehe Frankfurter Zeitung, 21. Dezember 1924, zitiert nach Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 138.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

gertum hatte er erfolgreich hinter sich vereinen können.4 In Hindenburg wollten viele einen Hoffnungsträger, ja gleichsam einen Heilsbringer sehen, der seine „politische Mission der nationalen Integration“ zielstrebig vorantreiben würde.5 Auch in Frankfurt bezeichnete sein Amtsantritt einen merklichen Einschnitt innerhalb der politischen Kultur. Allerdings bewertete die republikanische Öffentlichkeit das Wahlergebnis als Versuch einer Restitution des Vergangenen, die die noch immer instabilen Errungenschaften der ,neuen Ära‘ zugunsten einer konservativen Revolution zu relativieren drohe.6 Der Frankfurt-Aufenthalt Hindenburgs brachte damit tiefer liegende Unsicherheiten und Ängste zum Vorschein, die die Gefährdungen der ,neuen Ära‘ offenlegten.7 Wenngleich die Frankfurter Zeitung den Festtag als „groß, staatstreu und national“ charakterisierte8 , wurde im Verlauf dieser Besuchsreise immer wieder sichtbar, dass die ,graue Republik‘ (Kurt Tucholsky)9 nach wie vor auch hier unter Akzeptanzdefiziten litt. Häufig sah man in ihr eine unliebsame, glanzlos-sachliche und wenig zukunftsfähige politische Lösung. Ein ihr zugeschriebener Mangel an repräsentativen und Identität stiftenden Symbolen qualifizierte die neue Staatsform als farblos und anonym – ein Urteil, in dem sich die massiven Vorbehalte gegenüber dem Weimarer Staat bündelten.10 Die der DVP nahe stehenden Frankfurter Nachrichten etwa kritisierten, dass hier „Schein“ mehr gelte als „Sein“, „Wort“ über „Tat“ gehe und „Meinung“ höher geschätzt werde als „Erkenntnis“.11 Für die Zeitung verkörperte das neue Staatsoberhaupt demgegenüber die „Erinnerung an eine stolzere Zeit“, in ihm erblickte man das „Symbol des deutschen Gedankens“, den Hoffnungsträger, 4

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Vgl. zur politischen Laufbahn Paul von Hindenburgs sowie zu einer kritischen Einschätzung der Person und des politischen Akteurs Hindenburg ausführlich: Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007; zur Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten im April 1925 siehe ebd., S. 461ff. Ebd., S. 484f. Als Sprachrohr des Frankfurter Linksliberalismus erläuterte die Frankfurter Zeitung, dass die in weiten Teilen der Gesellschaft verankerte „romantische Sehnsucht nach vergangenem Glanz und vergangener Größe“ zum Sieg Hindenburgs geführt hatte. Vor allem die in ihrem „nationalen Selbstbewußtsein schwer getroffenen Volksschichten“, so vermutete das Blatt, hätten einen „romantischen Strahlenglanz“ um das „Haupt des Feldherrn gewoben“, ohne sich darüber im Klaren gewesen zu sein, dass sie ihr „persönliches wie nationales Elend“ einzig dem „alten System kaiserlicher Staats- und Kriegsführung“ zu verdanken hätten, dem sie nun, verkörpert in der Person Hindenburgs, erneut die Leitung der politischen Geschicke des Landes überantworteten. Siehe dieses Zitat aus der Frankfurter Zeitung bei Winkler: Weimar 1918–1933, S. 282. Siehe hierzu Kapitel III.5.2 (In ,Treue fest‘ zur Republik?). Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Zitiert nach Thomas Koebner: Einleitung, in: ders. (Hrsg.): Weimars Ende. Prognosen und Diagnosen in der deutschen Literatur und politischen Publizistik 1930–1933, Frankfurt a.M. 1982, S. 9–17, hier S. 15. Zu den Klagen über die ,graue Republik‘ allgemein vgl. ebd. Frankfurter Nachrichten und Intelligenz-Blatt, 13. November 1925.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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der „den Glauben an eine bessere, lebenswertere Zukunft“ wiederherzustellen vermochte.12 Mit der Wahl Hindenburgs verbanden die Republikgegner insbesondere die Erwartung, dass die „müden, leidgewohnten Sinne“ sich endlich wieder einmal „zu jenen Höhen emporheben“ könnten, in denen „der Alltagsstreit der Parteien, der Lärm der Besserwisser“ und die „Kritik der Unberufenen zum Schweigen verdammt“ sein sollten.13 Deutlicher als 1922 und 1923 traten damit die Spannungen hervor, die die unterschiedlichen politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen voneinander trennten. Unversöhnlich standen sich auch während Hindenburgs Frankfurt-Aufenthalt das „aufgebotene Hakenkreuzgelichter“14 auf der einen und die „Bengel des Reichsbanners“15 auf der anderen Seite gegenüber, wie die Presse polemisch festhielt. Die Anwesenheit des Reichspräsidenten förderte desintegrativ wirksame Verwerfungen zutage, die eine eindeutige semantische Fixierung des Staatsbesuches erschwerten und das erhoffte Plädoyer für die Republik mitunter kleinlaut verhallen ließen. In zwei ersten Abschnitten beleuchtet dieses Kapitel daher die Kontroversen um eine republikanischen Traditionsstiftung und eine eigenständige republikanische Festkultur. Hierbei wird auch der von der Geschichtswissenschaft oftmals geäußerte Vorwurf zu hinterfragen sein, dass es die prorepublikanischen Eliten weitgehend versäumten, der Bevölkerung Identifikationsangebote zu unterbreiten, die sie enger an die neue Staatsform binden konnten.16 Das Beispiel des Frankfurter Hindenburg-Besuchs kann aufzeigen, dass die politischen Amtsträger der Stadt sehr gezielt Öffentlichkeitsarbeit leisteten, die die Legitimität der Republik festigen sollte. Zugleich aber wird diese Strategie einer offiziell gelenkten Traditionsstiftung auf ihre tatsächliche Tragweite hin zu überprüfen sein. Städtische und staatliche Deutungseliten privilegierten mitunter voneinander abweichende Staatskonzepte und gesellschaftliche Ordnungsmuster, die einen verbindlichen Grundkonsens erschwerten, wenn nicht gar verhinderten. Dies vertiefte sowohl die politischen Gräben als auch die gesellschaftlichen Spannungen und begünstigte die fortschreitende Erosion der politischen Kultur Weimars. Deutungskämpfe machten sich im Verlauf des Hindenburg-Festtages 12 13 14 15 16

Ebd. Ebd. Volksstimme, 7. November 1925. Frankfurter Post, 15. November 1925. Vgl. hierzu etwa das Urteil Ute Daniels, die es den Weimarer Politikern zum Vorwurf macht, sich nur halbherzig um eine „genuin demokratische Sinnstiftung“ bemüht und ihre „direkte Propaganda für die Republik“ auf „blasse Staatsbürgerideologie“ sowie auf die „Beschwörung gesamtgesellschaftlicher Harmonie“ reduziert zu haben. Siehe hierzu Ute Daniel: Die Politik der Propaganda. Zur Praxis gouvernementaler Selbstrepräsentation vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, in: dies./Wolfram Siemann (Hrsg.): Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung (1789–1989), Frankfurt a.M. 1994, S. 44–82, hier S. 59.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

besonders dadurch bemerkbar, dass verschiedene Verbände, Vereine und Gruppen an unterschiedlichen Orten der Stadt um Präsenz und Sichtbarkeit rangen, um ihren Einfluss geltend zu machen und ihren spezifischen politischen Weltbildern Nachdruck zu verleihen. Ein Aufmarsch der republikfeindlich-vaterländischen Verbände – unter anderem Angehörige des Stahlhelm, des Alldeutschen Verbandes und der Deutschnationalen Studentenschaft sowie Mitglieder von Offiziers-, Kolonial- und Jugendverbänden – war ebenso geplant wie eine Kundgebung des Reichsbanners ,Schwarz-RotGold‘, das angetreten war, um die „deutsche Republik in ihrem Präsidenten“ zu feiern, obschon „kaum einer“ seiner Angehörigen Hindenburg gewählt hatte, wie die Frankfurter Zeitung ausdrücklich festhielt.17 Gerade die in zahlreichen Beschreibungen auftauchende Metapher des Kampfes weist auf die zunehmende Zerklüftung der politischen Kultur hin, die während der unterschiedlichen Etappen des Hindenburg-Besuchs in Frankfurt hervor trat.18 Neben einem offiziellen Empfang des Reichspräsidenten im Kaisersaal des Römer und einer Ansprache an die Frankfurter Schulklassen waren auch ein Besuch in der Universität sowie eine Rundfahrt durch die Stadt und das Stadion vorgesehen (Abb. 20). Zum Abschluss der Feierlichkeiten fand im Opernhaus eine Festaufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Die Hochzeit des Figaro statt. Einem „Wunsche“ Hindenburgs folgend wurde „eine Mozartoper gegeben“, in deren Verlauf auch ein offizieller Empfang der städtischen Eliten durch den Reichspräsidenten angesetzt worden war.19 Sowohl die Festaufführung in der Oper als auch der Verlauf der „mächtige[n] Kundgebung“ des Reichsbanners auf dem Opernplatz ließen deutlich werden, dass die Oper einen umkämpften städtischen Symbolort bezeichnete, waren die Reichsbannerleute doch demonstrativ angetreten, um einen „Eckstein“ in das „Gemäuer“ des „deutschen Staatsbau[s]“ zu mauern.20 Indem man die Oper und den Opernplatz dergestalt zum Schauplatz eines öffentlichen politischen Bekenntnisses machte, markierte man ihre Vorrangstellung innerhalb der urbanen Topographie der Stadt und hielt sie als Ort der politischen Performanz intakt. 17 18

19 20

Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Erbittert äußerte sich so etwa die Arbeiter-Zeitung über die nationalistischen und rechtskonservativen Gegendemonstrationen, zu denen die von der Stadt angeordnete Spalierbildung geradezu eingeladen hatte: „Der ,demokratische‘ Magistrat der ,demokratischen‘ Stadt Frankfurt a.M. hat den Monarchisten und Hakenkreuzlern mit dem Hindenburgbesuch einen guten Tag zur Schaustellung ihrer Requisiten bereitet. Alle, die den Kampf gegen das Proletariat aufzunehmen bereit sind, kamen aus ihren Stellungen heraus und zeigten der Arbeiterschaft, wie die monarchistische Gegenrevolution sich vorbereitet und von wem sie gefördert wird“. Vgl. Arbeiter-Zeitung, 14. November 1925. Volksstimme, 12. November 1925. Siehe hierzu Kapitel III.5.3 (Republikanische Traditionspflege oder charismatische Selbstinszenierung?). Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

369

Abbildung 20: Reichspräsident Paul von Hindenburg verlässt den Römer (1925)

Während die zeremonielle Gestaltung des Festtages in den Augen der Kritiker allzu offensichtlich an „das Gepränge und Hurrageschrei wilhelminischer Empfänge“ erinnerte, wollten Stadt und Intendanz mit einer Festvorstellung der Hochzeit des Figaro ein ,Plädoyer für das 18. Jahrhundert‘ abgeben und an die künstlerischen und symbolpolitischen Impulse der Goethe- und der Paulskirchenfeier anknüpfen.21 Allerdings entfaltete die Darbietung der Oper eine ästhetische Eigenlogik, die eine allzu eindeutige Rezeption als republikanische Festoper kaum zuließ. Mozarts Oper blieb für unterschiedliche Ausdeutungen offen, und diese semantische Offenheit war nicht nur der Festvorstellung im Opernhaus, sondern dem gesamten Frankfurt-Aufenthalt des Reichspräsidenten zu eigen. In der Rückschau bemühten sich die tonangebenden prorepublikanischen Kräfte daher, den Besuch Hindenburgs nachträglich als „machtvolle Kundgebung“ zu charakterisieren, die Frankfurts „unerschütterliche Treue zum Reich und zur Republik“ wirkungsvoll unter Beweis gestellt habe.22 Auch der badische Staatspräsident und DDPPolitiker Willy Hellpach (1877–1955), der 1925 für das Amt des Reichsprä21 22

Volksstimme, 7. November 1925. Siehe hierzu einen Beitrag in: Das Rathaus 15 (1925), in: Inst. f. StG Ffm, Sammlungen S2 Personen, S2/1101: Paul von Hindenburg.

370

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

sidenten kandidierte, wies dem Festtag rückblickend eine symbolpolitische Eindeutigkeit zu, die dieser tatsächlich hatte vermissen lassen.23 Auf der Ebene des Pressediskurses wurden somit Nachjustierungen angestellt, die Zwiespältigkeiten und Brüche gleichsam wegretuschieren sollten.

5.1 Frankfurt und der Beginn der ,Ära Landmann‘ In politischer Hinsicht brachte das Jahr 1924 der Stadt Frankfurt eine Reihe einschneidender Veränderungen. Im Mai wurde ein neues Stadtparlament gewählt, und zum ersten Mal seit der Gründung der Republik verlor die Weimarer Koalition – wenn auch nur um zwei Sitze – ihre absolute Mehrheit: Wenngleich es der SPD gelungen war, 19 von insgesamt 71 Mandaten zu erringen und sich damit als stärkste Fraktion des Stadtparlamentes zu behaupten, waren Zentrum, DDP und SPD dennoch gezwungen, sich zur Mehrheitsbildung mit einer neu formierten Arbeitnehmerfraktion zusammenzuschließen.24 Mit besonderer Spannung sah man außerdem der Wahl eines neuen Oberbürgermeisters entgegen, da die Amtszeit des bisherigen Amtsinhabers Georg Voigt im September 1924 ablief.25 Im Magistratswahlausschuss wurden die Debatten um einen geeigneten Kandidaten von Anfang an hitzig geführt. Neben Voigt, den einige Teile der Frankfurter Demokraten als angesehenes Mitglied der städtischen Honoratiorenschaft favorisierten, wurde auch eine Reihe auswärtiger Kandidaten – unter ihnen der frühere preußische Ministerpräsident Paul Hirsch oder der spätere Reichskanzler Hans Luther – ins Gespräch gebracht. Am 2. Oktober 1924 entschied eine Kampfabstimmung des Wahlausschusses schließlich zugunsten des bisherigen Wirtschaftsdezernenten Ludwig Landmann (Abb. 21).26 Obgleich die Wahl Landmanns 23 24 25

26

Siehe hierzu Kapitel III.5.5 (Ein ,Finale von höchster Vollkommenheit‘?). Vgl. hierzu Rebentisch: Ludwig Landmannn, S. 112. Für diesen Posten, so schrieb der Vorsitzende der Frankfurter SPD-Fraktion, Karl Kirchner, an den preußischen Innenminister Severing, konnte nur eine Persönlichkeit in Frage kommen, die „wirklich Großes leisten kann und kommunalpolitisch hervorragend ist. Mit unserem derzeitigen Oberbürgermeister Voigt sind wir nicht zufrieden; er ist kein Oberbürgermeister für eine Stadt von der Bedeutung Frankfurts“. Siehe diese Äußerung Kirchners in: Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 442. Der Einschätzung seines Biographen Dieter Rebentisch zufolge war es nicht so sehr parteipolitische Räson, die den Ausschlag für Landmann gab – wie Voigt gehörte er der DDP an –, als vielmehr die Kompetenz in Sachfragen, über die der ausgebildete Jurist durch seine langjährige Vertrautheit mit den kommunalpolitischen Angelegenheiten der Stadt verfügte. Siehe dazu ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 442. Die Frankfurter Zeitung, die Handelskammer und Teile der Frankfurter Bankwelt hatten Landmann vor allem aufgrund seines Industrieförderprogramms offensiv unterstützt, erhoffte sich die Stadt doch einen Neuaufschwung der industriellen Entwicklung und

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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Abbildung 21: Ludwig Landmann

keinesfalls unumstritten gewesen war – in den Reihen des Zentrums waren so etwa Vorbehalte gegenüber seiner jüdisch-kleinbürgerlichen Herkunft laut geworden –, überwog in Frankfurt die Überzeugung, mit dem in Mannheim geborenen und den Traditionen des südwestdeutschen Liberalismus verpflichteten Landmann einen geeigneten Kandidaten für dieses Amt gefunden zu haben.27 Doch nicht nur für die Stadt Frankfurt brachten die Jahre 1924/25 einschneidende Veränderungen mit sich. Aufmerksame Beobachter wie Stefan Zweig nahmen die Zeit zwischen 1924 und 1933 im Rückblick als vergleichsweise fried- und hoffnungsvoll wahr: „Von heute aus gesehen stellt das knappe Jahrzehnt zwischen 1924 und 1933, vom Ende der deutschen Inflation bis zur Machtergreifung Hitlers trotz allem und allem eine Pause dar in der Aufeinanderfolge von Katastrophen, deren Zeuge und Opfer unsere Generation seit 1914 gewesen ist. Nicht daß es innerhalb dieser Epoche an einzelnen Spannungen, Erregungen und Krisen gefehlt hätte [...], aber innerhalb dieses Jahrzehnts schien in Europa Friede gewährleistet, und schon das bedeutete viel. [...] Die Welt schien sich wieder aufbauen zu

27

eine Wiederbelebung der internationalen Handelsbeziehungen. Siehe zur Wahl Ludwig Landmanns ausführlich Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 111ff. Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 442.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

wollen. [...] Man konnte wieder arbeiten, sich innerlich sammeln, an geistige Dinge denken. [...] Einen Weltaugenblick – diese zehn Jahre – schien es, als sollte unserer geprüften Generation wieder ein normales Leben beschieden sein.“28

Tatsächlich hatte sich die innen- und außenpolitische Lage Europas und Deutschlands seit dem Frühjahr 1923 deutlich gewandelt. Der Dawes-Plan (1924), der die Reparationszahlungen Deutschlands regelte und die wirtschaftliche Einheit des Landes wiederherstellte, hatte die entscheidenden Rahmenbedingungen für eine allmähliche Erholung geschaffen. Deutschland wurde ein internationaler Kredit in Höhe von 800 Millionen Goldmark gewährt, der das Land wirtschaftlich wieder handlungsfähig machte.29 Mit dem Ende der Besatzung des Ruhrgebietes im Sommer 1925 und dem im Oktober 1925 unterzeichneten Vertrag von Locarno festigte sich das außenpolitische Gleichgewicht zusehends. Vom deutschen Außenminister und DVP-Abgeordneten Gustav Stresemann maßgeblich initiiert und mitgestaltet, regelten die Verträge von Locarno strittige Fragen der europäischen Außenpolitik. Deutschland, Frankreich und Belgien verzichteten auf eine gewaltsame Verschiebung ihrer Grenzen, Deutschland erkannte zudem die Entmilitarisierung des Rheinlandes an.30 Voraussetzung für das Inkrafttreten der Verträge von Locarno war der – allerdings erst im September 1926 realisierte – Beitritt Deutschlands zum Völkerbund. Durch diesen Schritt konnte das Land seine außenpolitische Isolation endgültig überwinden und im internationalen Konzert der Mächte wieder einen Platz einnehmen. Die Verträge von Locarno stellten somit einen wichtigen Schritt im Rahmen der europäischen Verständigungspolitik dar und wurden in den demokratisch gesinnten Teilen Deutschlands freudig begrüßt; denn nun – so die Einschätzung des Berliner Tagblatts – atme Europa „nach Jahren der Verbitterung“ einen „neuen Geist“.31 Eine Zeit „großer Abenteuer“ schien nun anzubrechen, „die Künste florierten, in Konferenzen mühte man sich um ewigen Frieden“, und eine Weile – so auch das Resümee von Madlen Lorei und Richard Kirn in ihrer Darstellung der ,goldenen zwanziger Jahre‘ in Frankfurt – war viel „Hoffnung in der Welt. Es war eine unerhört bunte, lebensprühende Zeit“.32 Die außenpolitische Erholung jener Jahre trug dazu bei, dass sich die Weimarer Republik auch innen- und wirtschaftspolitisch immer mehr festigen 28 29

30 31 32

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers [1944], Frankfurt a.M. 1994, S. 364f. Vgl. ausführlich Schulze: Weimar, S. 276. Der britische Premierminister MacDonald feierte den Dawes-Plan daher auch als bedeutenden Friedensvertrag, war dieser doch in der Gewissheit unterzeichnet worden, dass „wir den furchtbaren Kriegsjahren und der Kriegsmentalität den Rücken gewandt haben!“ Vgl. die Äußerungen MacDonalds in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender (1924), S. 433, zitiert nach Schulze: Weimar, S. 276. Schulze: Weimar, S. 278. Berliner Tageblatt, 17. Oktober 1925, zitiert nach Schulze: Weimar, S. 279. Lorei/Kirn: Frankfurt und die goldenen zwanziger Jahre, S. 301.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

373

konnte: Im Oktober 1923 wurde die Rentenmark eingeführt, die die Inflation beendete.33 Der Umlauf der neuen Währung wurde allerdings bereits im August 1924 per Gesetz stark eingeschränkt, ehe man sie schließlich durch die Reichsmark ersetzte. Diese erwies sich in den kommenden Jahren als stabil, so dass es in der Folgezeit mit Hilfe internationaler Kredite zunehmend gelang, den Reichshaushalt zu sanieren und auszugleichen. Allmählich besserte sich die wirtschaftliche Lage Deutschlands. Da vor allem die industrielle Produktion anzog, gingen die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich zurück. Zudem begannen die Preise zu sinken, so dass Deutschland seit 1924 insgesamt eine Phase zunehmender Prosperität durchlief.34 Spätestens bei den Reichstagswahlen im Dezember 1924 zeigte sich, dass die wirtschaftlichen Verbesserungen auch die Akzeptanz der politischen Ordnung beförderten. Die parlamentarische Mitte ging gestärkt aus diesen Wahlen hervor: Die Kommunisten mussten einen herben Stimmenverlust zugunsten der SPD hinnehmen, die mit 131 Mandaten die größte Reichstagsfraktion bildete.35 Der Stimmenanteil der DNVP, die sich wiederholt vehement gegen die Verträge von Locarno gestellt hatte, blieb nur mit Hilfe der rechtsradikalen Wählergruppen einigermaßen stabil. Als Gewinner der Wahlen konnte sich in erster Linie die DVP, die Partei Stresemanns, präsentieren, die ihre Abgeordnetenzahl von 45 auf 51 steigern konnte; auch das Zentrum gehörte zu den Wahlsiegern und verfügte nun über 88 Abgeordnete.36 Bis zu den Reichstagswahlen von 1928 war das Reich, dem Urteil Hagen Schulzes zufolge, durch eine „innenpolitische Ruhelage“ gekennzeichnet, da Deutschland in dieser Phase immer durch so genannte ,BürgerblockKabinette‘ regiert wurde.37 Obwohl sich die Republik innen- und außenpolitisch erkennbar festigte und die vielfach so bezeichneten ,goldenen Zwanziger Jahre‘ zwischen 1924 und 1929 eine ebenso kosmopolitisch geprägte wie dynamisch-schillernde kulturelle Strahlkraft entfalteten, darf die gesellschaftliche und politische Stabilität der Weimarer Republik nicht überbewertet werden. Gerade in dieser Zeit begann die allmähliche, aber unaufhaltsame Erosion der liberalen Mitte. Bei künftigen Wahlen sollten sowohl DVP als auch DDP kontinuierliche und empfindliche Verluste hinnehmen müssen, so dass die Weimarer Republik in einem prekären Spannungsfeld angesiedelt war und der vorsichtig wachsenden Akzeptanz der republikanisch-parlamentarischen Verfassung stets die harsche Verunglimpfung der Republik gegenüberstand.38 Auch in Frankfurt setzte sich zunächst eine optimistische Aufbruchstim33 34 35 36 37 38

Vgl. hier und nachfolgend Schulze: Weimar, S. 287f. Ebd. Ebd., S. 290f. Ebd. Ebd., S. 291. Peukert: Die Weimarer Republik, S. 207f.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

mung durch: Das „neue Geld veränderte die Welt der Stadt“ und nahm einen Teil der „Lähmung“, die so lange über ihr gelegen hatte, hinweg.39 Mit jedem Tag schien das Leben „stabiler“ zu werden.40 Aufgrund der günstigen Wirtschaftslage gelang es dem Magistrat im Frühjahr 1924 zum ersten Mal seit Kriegsende, einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf vorzulegen.41 Das Gefühl eines umfassenden Neuanfangs machte sich auch in anderen Bereichen bemerkbar: „Gebaut wurde in Frankfurt kräftig“, allen voran führten Banken wie die Reichs-, die Vereins- oder die Deutsche Bank Erweiterungen aus.42 Überall in der Innenstadt sah man in jenen Jahren „die Gerüste der Weißbinder“; denn die Stadt war bestrebt, „das viele Grau der Kriegs- und Inflationszeit“ zu „überpinseln“.43 Immer mehr formierte sich die Überzeugung, dass Deutschland „an einem Wendepunkt“ angelangt sei, und dass nach all den „chaotischen Erschütterungen“ der Kriegs- und Nachkriegsjahre eine „Zeit des Wiederaufbaues“ anbrechen müsse, wie Ludwig Landmann im Rahmen seiner Antrittsrede als neuer Oberbürgermeister am 22. November 1924 hervorhob.44 Diese „feste Stimmung der Zuversicht“ gründete Landmann vornehmlich – wie dies auch im Zitat Stefan Zweigs anklang – „auf die beginnende allgemeine Wiedergesundung, die Wiederkehr der Vernunft in Europa und in der Welt“.45 Nach seinem Amtsantritt konzentrierte sich der neue Oberbürgermeister vor allem auf wirtschaftspolitische Themen; besonders bemühte er sich um die Förderung der städtischen Industrie.46 Das nun einsetzende rasche Wachstum der Stadt machte eine regere und sozialpolitisch durchdachte Bau- und Siedlungspolitik notwendig. Der dem Bauhaus-Stil von Walter Gropius verpflichtete Frankfurter Architekt und Städteplaner Ernst May (1886–1970) wurde Ende der 1920er Jahre Leiter eines städtischen Dezernates, das sämtliche Bauaufgaben der Stadt umfasste und sich vor allem auf die Erschließung großzügig angelegter Neubausiedlungen konzentrierte, um die beengte Wohnsituation in der Altstadt zu entlasten. May machte sich besonders durch seinen funktional-avantgardistischen Baustil einen 39 40 41 42 43 44 45 46

Lorei/Kirn: Frankfurt und die goldenen zwanziger Jahre, S. 25. Ebd. Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 111. Lorei/Kirn: Frankfurt und die goldenen zwanziger Jahre, S. 44. Ebd. Siehe die Rede Landmanns in: Städtisches Anzeigenblatt, 22. November 1924, in: Personalakte Ludwig Landmann, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 57.583. Ebd. Die Gründung der Süddeutschen Luftverkehrs-Aktiengesellschaft und die Ausgestaltung des Frankfurter Flughafens waren ebenso Teil seiner Agenda wie die Heranziehung neuer industrieller Unternehmungen. Durch eine gezielte Eingemeindungspolitik gehörten bald lukrative Industrieunternehmen wie die Farbwerke in Höchst zu Frankfurt. Im Zuge dieser Entwicklung erhöhte sich die Einwohnerzahl der Stadt beträchtlich. Ende der 1920er Jahre zählte Frankfurt mehr als 500 000 Einwohner. Siehe ausführlich Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 449.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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Namen.47 Dem Vorbild der Neuen Sachlichkeit folgend entwarf er in Frankfurt mehr als 8000 Wohnungen, die sich durch betont reduziert-sparsame architektonische Formen auszeichneten.48 Die an der Peripherie der Stadt entstehenden Wohnflächen sollten in ausgedehnte Grünflächen eingebettet sein und den Vorstellungen eines gemeinnützig-genossenschaftlichen Wohnungsbaus entsprechen.49 Insbesondere die von ihm entworfene so genannte ,Frankfurter Küche‘ avancierte zum Inbegriff einer modernen Bauweise, deren Funktionalität sich mit einem sozialreformatorischen Anspruch verband, hatte es sich May doch zum Ziel gesetzt, ein städtebauliches Programm für die heraufziehende Massen- und Industriegesellschaft der Nachkriegsjahre zu konzipieren. Neben Ernst May zählte der sozialdemokratische Stadtkämmerer Bruno Asch (1890–1940) zu den engsten Mitarbeitern Landmanns. Für diesen Posten hatte sich der ehemalige Bürgermeister von Höchst neben anderem durch eine breit rezipierte Publikation über das kommunale Finanzsystem Preußens empfohlen. Wie Landmann selbst trat auch Asch für eine umfassende Selbstverwaltung der Städte ein, die beide Politiker als wichtigen Bestandteil einer gelingenden Demokratisierung des Landes einschätzten.50 Im Frankfurter Magistrat bildeten Landmann, Asch und May das „eigentliche Gravitationszentrum“, dessen Initiativen der städtischen Kommunalpolitik entscheidende Impulse vermittelte, und das es verstand, die widerstreitenden parteipolitischen Kräfte immer wieder zusammenzuführen.51 Mit diesen Maßnahmen legte die Stadt den Grundstein für ihren Aufstieg zu einer modernen Nachkriegsmetropole und zu einem Knotenpunkt der aufstrebenden Rhein-MainRegion.52 Das gewandelte Selbstverständnis der Stadt manifestierte sich dabei zunehmend im Bereich städtischer Kulturpolitik, die Landmann gezielt förderte.53 Der neue Oberbürgermeister wollte die Stadt zu einem künstlerischen und intellektuellen Herzstück der Republik machen, das „allen schöpferischen Geistern in Kunst, Wissenschaft und freien Berufen“ den Aufenthalt in der Mainstadt „zu einer Sehnsucht“ machen sollte.54 Letzten Endes, so die Überzeugung Landmanns, könnten diese Maßnahmen Frankfurt „größeren Lohn und größere Erfolge“ sichern als die vielfältigen „wirtschaftlichen

47

48 49 50 51 52 53 54

Seine Ausbildung hatte der sozialdemokratisch gesinnte May unter anderem in London erhalten, wo er mit den Idealen der Fabian Society in Berührung gekommen war. Siehe hierzu vor allem Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 133. Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 450. Ebd. Vgl. hierzu vor allem Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 135f. Ebd. Vgl. hierzu auch Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 444f. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 143. Siehe die Rede Landmanns in: Städtisches Anzeigenblatt, 22. November 1924.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Unternehmungen“.55 Eine engagierte Kulturpolitik sollte das Profil der Stadt nach außen hin erkennbar schärfen und innenpolitisch dazu beitragen, soziale wie politische Gegensätze einzuebnen und so die Integration der Stadtgesellschaft voranzutreiben.56 Kulturpolitik stellte für Landmann demnach ein dynamisch-gestalterisches Element dar, mit dem Prozesse der kollektiven Sinnstiftung in Gang gesetzt werden konnten. Gerade aufgrund ihres pluralistischen Charakters, ihres professionalisierten, doch zuweilen vergleichsweise anonymen Verwaltungsablaufs sowie aufgrund der weit verbreiteten antiurbanen Vorbehalte waren die Großstädte ganz besonders dazu angehalten, sich mit öffentlichen Einstellungen auseinanderzusetzen und sich in diesem vielstimmigen und heterogenen städtischen Meinungsraum zu positionieren.57 Der Bereich der städtischen Kulturpolitik sollte dabei einen gestaltbaren öffentlichen Raum formieren und die Strahlkraft der Republik gewährleisten.58 Das Politische ließ sich somit als ein Netzwerk polyphoner Diskurse und divergierender Praktiken charakterisieren, innerhalb dessen Machtverhältnisse konfrontativ ausgehandelt werden mussten. Auch anlässlich der Süddeutschland-Reise Hindenburgs rieben und überlagerten sich partikulare Interessen, Meinungen und Ansprüche immer wieder, so dass sich ein Entwurf des „große[n] Ganze[n]“, nämlich die „politische Einheit von Reich und Volk“, nur schwer umsetzen ließ.59

5.2 In „Treue fest“60 zur Republik? Die kontroverse Aufnahme Hindenburgs in Frankfurt Für den Empfang Hindenburgs am 13. November 1925 hatte Frankfurt ein aufwendiges Festprogramm zusammengestellt, das in seinem zeremoniellen Aufwand einen merklichen Kontrast zu der unter Ebert gepflegten schmucklos-nüchternen Etikette bildete. Demgegenüber trug der Besuch Hindenburgs den Charakter eines demonstrativen „Huldigungs- und Festakt[es]“, wie die Volksstimme kritisch anmerkte.61 Der Reichspräsident selbst hatte für seinen Aufenthalt genaue Vorkehrungen getroffen und ein waches Gespür für die gezielte symbolpolitische Bearbeitung des eigenen Mythos unter Beweis ge55 56 57 58 59

60 61

Ebd. Hansert: Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, S. 143. Ebd., S. 14f. Ebd. Siehe die Festansprache Landmanns zur Begrüßung von Reichspräsident Hindenburg im Frankfurter Römer, abgedruckt in: Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Ebd. Volksstimme, 7. November 1925.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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stellt: Durch einen Staatssekretär hatte er mitteilen lassen, dass er zusätzlich zur Festvorstellung einen „Teeempfang mit kleinem Imbiß“ oder einen „Bierabend“ im Foyer des Opernhauses wünschte, um die städtischen Eliten empfangen und Cercle halten zu können.62 Diesem Wunsch entsprechend erhob man für die Festvorstellung erhöhte Eintrittspreise und forderte das Publikum auf, im Gesellschaftsanzug zu erscheinen. „[G]ewöhnlichen Sterblichen“ wurde der Besuch der Oper damit verwehrt.63 Diese Vorkehrungen illustrieren nicht nur erneut den besonderen Stellenwert des Opernhauses; die Idee eines Tee-Empfanges oder eines Bierabends in den Räumlichkeiten des Theaters erinnert vielmehr auffallend an die Gepflogenheiten Wilhelms II., der bei seinen Besuchen in Wiesbaden das Theaterfoyer regelmäßig dazu genutzt hatte, um sich im Kreis der regionalen Eliten feiern zu lassen. Immer wieder wurde Kritik an dem geplanten üppig-glanzvollen Festakt laut. Die Volksstimme ließ sich in scharfen Worten über den geplanten „Hindenburgrummel“ aus, der aus ihrer Sicht einer „Verhöhnung des republikanischen Frankfurt“ gleichkam.64 Dem Magistrat machte das Blatt den Vorwurf, keinerlei Rücksicht auf die Empfindungen des republikanischen Teils der Frankfurter Bevölkerung zu nehmen, der doch „nun einmal immer noch ihre Mehrheit bildet und bleiben wird“.65 Erbittert verglich man „die geplante Großartigkeit des Hindenburgempfanges mit der armseligen Dürftigkeit“ der Paulskirchenfeier 192366 : Damals „kommandierte man keine Schulkinder zum Römerberg, veranstaltete keine Straßenspaliere und statt eines opulenten Festmahles gab es nur belegte Brote“.67 Aus Sicht der Zeitung konnte sich die Stadt einzig durch „demokratische Schlichtheit“ profilieren, „die das Gepränge und Hurrageschrei wilhelminischer Empfänge ostentativ“ vermeide.68 In Abgrenzung dazu bemühte sich die Frankfurter Zeitung, Hindenburg als das gewählte „Symbol des Staates“ zu charakterisieren, dem der Respekt aller politischen Gruppierungen gebührte.69 Um zu vermeiden, dass der Festtag zu einer antirepublikanischen Kundgebung ausartete, nahm die Zeitung die Gelegenheit wahr, die Einwohnerschaft Frankfurts im Namen der demokratisch-republikanischen Kräfte – namentlich der Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der DDP, der SPD, des Republikanischen Reichsbundes und des Republikanischen Studentenbundes – aufzufordern, sich energisch zum Weimarer Staat zu bekennen.70 62 63 64 65 66 67 68 69 70

Ebd. Volksstimme, 12. November 1925. Volksstimme, 7. November 1925. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 13. November 1925, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 10. November 1925.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Demgegenüber verkörperte der „Nationalheros“ Hindenburg für die rechtskonservative Frankfurter Post „all die edlen und reinen Tugenden“, die Deutschland „einst groß und mächtig gemacht“ hätten.71 Daher rief die Zeitung die Frankfurter Bürger auf, in „geschlossener vaterländischer Front“, ihre Herzen voll „Dankbarkeit und Verehrung unserm Generalfeldmarschall entgegenschlagen“ zu lassen, „der 4 1/2 Jahre lang an der Spitze unserer tapferen Wehrmacht einer Welt von Feinden siegreich trotzte“ und nun seinen „Lebensabend“ dahingebe, um als Reichspräsident seinem „Volk und Vaterland“ zu dienen.72 Individuelle Einstellungen gegenüber der Person und dem öffentlichen Amt des Reichspräsidenten bezeichneten demnach widerstreitende politische Weltbilder, die weitgehend hermetisch geschlossen waren und einen offenen Dialog erschwerten. Die hier durchscheinenden widerstreitenden politischen Semantiken zementierten die internen Spaltungen der Frankfurter Bürgerschaft und verstärkten deren Desintegration. Die Festansprache Ludwig Landmanns, mit der er den Reichspräsidenten im Frankfurter Römer begrüßte, schien deshalb besonders darauf angelegt zu sein, alle politischen Lager anzusprechen und sowohl der Stadtgesellschaft als auch Hindenburg selbst ein Identifikationsangebot zu unterbreiten. Nach einem Prolog, in dem Landmann an herausragende Etappen der städtischen Geschichte erinnerte, ging der Oberbürgermeister zu einer Bestandsaufnahme der aktuellen Problemlagen über.73 Hier zeigte sich rasch, dass der vermeintlich neutrale Tonfall der Ansprache lediglich eine geschickte rhetorische Geste bezeichnete, hinter der sich tatsächlich eine politische Mahnrede verbarg, die an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig ließ. Anstatt sich der Person und den Verdiensten Hindenburgs zuzuwenden, erinnerte Landmann zunächst demonstrativ an die Leistungen Friedrich Eberts, der in jeder Hinsicht das Bild eines „klugen und mutigen Staatsmannes und eines treuen deutschen Patrioten“ verkörpert habe, und dessen Lebenswerk für jeden künftigen Amtsinhaber immer mehr zum Vorbild werden müsse, „je länger die Zeit um sein stilles Grab in Heidelbergs Bergfriedhof weht“.74 Den verstorbenen Reichspräsidenten lobte der Redner vor allem in seinem Bemühen um die „Versöhnung der Arbeiterklasse mit dem Staat“ und in seinem Einsatz für die demokratisch-parlamentarische Neuausrichtung der Weimarer Republik.75 Gerade in der Rückschau auf die ersten Jahre der Amtszeit Eberts, jene „Zeit des Chaos, der unaufhörlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Dammbrüche“, zeigten sich dessen Leistungen besonders 71 72 73 74 75

Frankfurter Post, 12. November 1925. Ebd. Siehe die Rede Landmanns in: Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 3. Mai 1925, zitiert nach Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 138.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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einprägsam, habe es Ebert doch zuwege gebracht, Deutschland auf den „Weg einer allmählichen Gesundung“ zu führen und damit das Fundament für den allmählichen Wiederaufstieg des Landes gelegt.76 Ein solcher Rekurs auf die Verdienste seines Amtsvorgängers musste für Hindenburg beinahe einem Affront gleichkommen, relativierte dies doch unzweifelhaft die Leistung jenes „Gigantenkampf[s]“, dem sich das „deutsche Heer draußen an der Front“ gestellt hatte, wie Landmann schließlich begütigend einräumte.77 Die Maßregelungen seines Gastgebers konnte Hindenburg auch insofern als eine Provokation aufnehmen, als Landmann die militärischen Erfolge Hindenburgs nur oberflächlich streifte: Zwar gestand er ihm das Verdienst zu, mit dem „Eindringen der Russen in deutsches Land“ einen „Alpdruck“ von der Bevölkerung genommen zu haben, doch hütete er sich davor, den Mythos des ,Helden von Tannenberg‘ fortzuschreiben.78 Vorsichtig würdigte er demgegenüber Hindenburgs ungebrochene „Treue zum deutschen Volke“, die ihn bewogen habe, aufs Neue die Last der politischen Verantwortung auf sich zu nehmen.79 Die Festansprache ließ kaum einen Zweifel an der politischen Haltung Landmanns aufkommen, zumal sich dieser bewusst gegen einen RedeEntwurf entschieden hatte, den ein Referent für ihn vorbereitet hatte.80 Landmann skizzierte im Fortgang seiner Ansprache programmatische Richtlinien für das Amt des Reichspräsidenten, um eine möglichst reibungslose Kontinuität zwischen Ebert und Hindenburg herzustellen. Rhetorisch eindringlich war darum der letzte Teil seiner Rede gehalten, in dem er Hindenburg mit einer geschickt auf den militärischen Habitus des Reichspräsidenten abgestimmten Wortwahl aufforderte, „in Treue fest“ zu seinem Amt und dem deutschen Reich zu stehen, „für dessen Erhaltung“, „Schutz“ und „Staatsform“ er sein „Manneswort verpfändet“ habe.81 Insbesondere beschwor er den Gast, die Republik vor allen Angriffen „von oben oder von unten“ zu bewahren.82 Landmann schien darauf zu hoffen, dass die Wahl Hindenburgs besonders diejenigen Teile der Bevölkerung, die der Weimarer Demokratie bisher ablehnend gegenüber gestanden hatten, enger an das ,neue Deutschland‘ binden konnte. Dabei vertraute er maßgeblich auf den persönlichen Nimbus 76 77 78 79 80

81 82

Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Dieses Konzept war ganz auf die Person Hindenburgs zugeschnitten und im Ton einer Lobrede abgefasst worden: Nicht nur wurde darin der „unbesiegliche Wille“ Hindenburgs im „zähen Gigantenkampf “ gewürdigt, sondern vor allem mystifizierte die Redevorlage das von „antikem Heldentum“ beseelte „Ausharren“ und das „eiserne Pflichtgefühl“ des Generalfeldmarschalls. Die von Landmann nicht verwendeten RedeAuszüge finden sich in den Frankfurter Magistratsakten (R 31) im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte und werden hier zitiert nach Rebentisch: Ludwig Landmann, S. 140. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Ebd.

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Hindenburgs, der seiner Ansicht nach dazu beitragen könne, „alle Glieder des in der jungen Republik geeinten deutschen Volkes [...] immer mehr zum Ganzen“ zu verbinden.83 Sei es – so Landmann – Eberts Verdienst gewesen, die Fundamente einer parlamentarisch-demokratischen Republik gelegt und sich gleichsam als Gründungsvater des Weimarer Staatsgedankens profiliert zu haben, so sah er die Aufgabe Hindenburgs vornehmlich darin, das Werk Eberts fortzuführen und dafür Sorge zu tragen, die innere Zerrissenheit der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen zu überwinden, um „die Einigkeit nach innen und das Ansehen nach außen zu mehren“.84 Landmanns Rede zielte wohl zudem darauf ab, die vergleichsweise vagen und allgemein gehaltenen Grußworte Hindenburgs, der bei seiner Ansprache an die Frankfurter Schulklassen auf dem Römerberg dazu aufgefordert hatte, die „Liebe und Treue zum Vaterland zu pflegen“ und mitzuhelfen, das „Vaterland durch Eintracht und Einigkeit des ganzen Volkes wieder zu Ehre, Ansehen und Würde“ zu führen, durch seine eigene entschiedene Stellungnahme für die republikanische Staatsverfassung zu korrigieren.85 Indem er Hindenburgs Semantik der Einheit, Einigkeit und „Hingabe an das große Ganze“ aufgriff und als „Gewähr dafür“ interpretierte, dass Hindenburg sein Amt „in dem Sinne“ ausüben werde, in dem es ihm „vom deutschen Volke anvertraut“ worden sei, verwandelte er dessen Ansprache kurzerhand in ein Plädoyer für die neue Staats- und Gesellschaftsordnung.86 Die rhetorischen Bemühungen Landmanns belegen, wie unterschiedlich die Positionen der beiden Politiker im Grunde waren, und wie fragil sich der ,Burgfrieden‘, zu dem sie sich angesichts der beständigen innenpolitischen Wirren durchgerungen hatten, gestaltete. Umso offensiver versuchten die politischen Eliten Frankfurts, die 1922/23 begonnene republikanische Traditionsstiftung auch 1925 fortzuführen und im Medium der politischen Festkultur jene symbolische Eindeutigkeit zu erzeugen, die der „demokratische[n] Gesinnung“ der Stadt entsprang, und deren „Treue und Anhänglichkeit zum Reich und zur deutschen Republik“ bekunden sollte.87 Aus diesem Grund hatte man den städtischen Raum in eine bezugreiche Festkulisse verwandelt: Schon das „äußere Bild der Stadt“ erschien der Presse „erhebend“, denn von „allen Häusern der Hauptstraßen grüßten die Fahnen und Flaggen“ und „erweckten Festesstimmung in den Herzen jedes Einzelnen“.88 Sämtliche Etappen der Frankfurt-Reise – vom Empfang auf dem Römerberg, an dem rund „23.000 Frankfurter Schulkinder“ teilnahmen,

83 84 85 86 87 88

Ebd. Ebd. Siehe die Ansprache Hindenburgs in: Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Siehe hierzu: Das Rathaus 15 (1925), in: Inst. f. StG Ffm, Sammlungen Personen S2: Paul von Hindenburg, S2/1101. Ebd.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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über den offiziellen Begrüßungsakt im Kaisersaal des Römers und den Besuch Hindenburgs in der Universität, wo die versammelte Studentenschaft zu Ehren des Reichspräsidenten das Deutschlandlied anstimmte, bis hin zu dessen Auftritt im Frankfurter Stadion, den rund 20 000 Menschen miterleben wollten – ließen den Besuch Hindenburgs zu einem ereignisreichen „Festtag“ werden, den die „Frankfurter Einwohnerschaft“ mit „restlose[r] Anteilnahme“ feierte.89 Den festlichen Höhepunkt des Tages stellte die abendliche Festvorstellung von Mozarts Oper Die Hochzeit des Figaro im Opernhaus dar. In der großen Pause fand im Foyer ein offizieller Empfang für die Spitzen der Frankfurter Behörden und die Elite der Bürgerschaft statt.90 Zeitgleich hatten sich auf dem Opernplatz neben zahlreichen Schaulustigen die Angehörigen des Reichsbanners versammelt, um „für die deutsche Republik, ihre Verfassung, für Völkerverständigung und Völkerfrieden einzutreten“ – wobei „auf der Opernhaustreppe“, „wo einige deutschnationale Opernbesucher standen“, auch „einiges Mißfallensgemurmel“ zu vernehmen war.91 Im Anschluss an die Festvorstellung richtete Hindenburg vom Balkon des Opernhauses an die auf dem Opernplatz versammelte Menge eine Ansprache, in der er „mit weit über den Platz hin schallenden Worten die Mahnung an die Versammelten“ aussprach, „einig und treu zu Nutz und Frommen unseres lieben deutschen Vaterlandes“ zu stehen.92 Obgleich Hindenburg dabei mit „keine[r] Silbe“ erwähnte, dass „dies ,Vaterland‘ heute eine Republik ist und bleiben muß“93 , stimmten im Anschluss „Tausende“ „[b]egeistert“ und mit „ergreifender Gewalt“ das Deutschlandlied an, „während das Opernhaus in feurigem Fackelschein erstrahlte“.94 Hier wird ersichtlich, dass der Reichspräsident gekonnt auf die medialen Anforderungen seines Amtes einzugehen verstand. Auf die in der Öffentlichkeit zirkulierenden Bilder seiner Person nahm er aktiv Einfluss, indem er einerseits kaiserzeitliche Symbolbestände restituierte und sich andererseits als charismatisch-überparteiliche Führerinstanz der Republik in Szene setzte.95

89 90 91 92 93 94 95

Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main. 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31 (ohne Paginierung). Volksstimme, 14. November 1925. Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Volksstimme, 14. November 1925. Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Vgl. zu Hindenburgs gezielter medialer Selbstinszenierung auch Pyta: Hindenburg, S. 115ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

5.3 Republikanische Traditionspflege oder charismatische Selbstinszenierung? Paul von Hindenburg im Frankfurter Opernhaus Wie die beiden vorausgegangenen Staatsbesuche Eberts trug auch Hindenburgs Anwesenheit im Frankfurter Opernhaus den Charakter eines politischen Ereignisses. Im Gegensatz zu den Festanlässen der Jahre 1922 und 1923 knüpfte Hindenburg weit mehr an kaiserzeitliche Traditionen symbolischer Herrschaftsrepräsentation an. Dafür spricht neben dem geplanten Bierabend im Opernfoyer auch der ausdrückliche Wunsch des Reichspräsidenten, für ausgewählte Ehrengäste – etwa ehemalige Regimentskameraden und Generäle sowie Angehörige des Kreiskriegerverbandes und des Beamtenbundes – eine bestimmte Anzahl von Logen zu reservieren.96 Außerdem hatte man zu Ehren des Gastes die große Balkon-Proszeniumsloge mit „einem Arrangement von weißen Chrysanthemen“ aufwendig geschmückt.97 Trotzdem charakterisierte die Frankfurter Zeitung die Festetikette des Abends als weitgehend prunklos-ungekünstelt und betonte jene Facetten, die die Eigenständigkeit der ,neuen Ära‘ unterstreichen sollten.98 Somit übertrugen die am Festgeschehen beteiligten Akteure und Berichterstatter dem Festabend jeweils spezifische Aufgaben und erzeugten dadurch voneinander abweichende Deutungszusammenhänge. Diese widerstreitenden semantischen Schichtungen ließen Brüche erkennbar werden, die dem Ereignis die erhoffte Einstimmigkeit nahmen und den Hindenburg-Tag zu einem umkämpften und in seinem Ausgang ungewissen Ereignis machten. Die Volksstimme äußerte sich bereits im Vorfeld erbost darüber, dass man aus Anlass des Hindenburg-Besuches in der Oper die Eintrittspreise „schlankweg um das Doppelte“ erhöht habe, um „den Opernbesuch auf die Exklusiven“ zu beschränken.99 Eine Stadt, die „sich gern eine demokratische nennen hört“, solle auf „die Methoden der entschwundenen Hoftheater verzichten“.100 Dass der Vergleich mit den Gepflogenheiten der einstigen Hoftheater nicht ganz von der Hand zu weisen war, nahm offenbar auch die Frankfurter Zeitung wahr, die bei ihrer Darstellung der Ereignisse aber bewusst andere Akzente setzte und die verfeinerte republikanischen Etikette lobte, die sich das Frankfurter Opernpublikum mittlerweile immer mehr zu eigen gemacht hatte: „Allmählich findet die Republik ganz ohne Vorschriften ein Zeremoniell für feierliche Gelegenheiten, etwa für die Begrüßung des Staatsoberhauptes. Wir warten nicht mehr wie bei

96 97 98 99 100

Siehe hierzu: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main. Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main. 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31. Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Erstes Morgenblatt. Volksstimme, 12. November 1925. Ebd.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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den [...] Wiesbadener Maifestspielen im Hoftheater, bis die Fanfarenbläser ihren Tusch losgelassen haben und ein Hofmarschall dreimal den Stab auf den Boden stößt, um dann in das kommandierte Hurra einzustimmen, wir erheben uns, wenn der Reichspräsident die Loge betritt, ganz selbstverständlich von unseren Plätzen und grüßen mit brausendem Hoch das Haupt der Deutschen Republik.“101

Die unter Ebert begonnene Experimentierphase einer republikanischen Etikette war für die Zeitung damit erfolgreich fortgeführt und weiter entwickelt worden. In den sich allmählich verfestigenden Abläufen des republikanischen Begrüßungszeremoniells erblickte sie einen Gradmesser für die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz der Weimarer Republik und teilte ihrer Leserschaft zufrieden mit: „Wir grüßen im Reichspräsidenten das Vaterland. Dem Beobachter mochte es scheinen, im dichtgefüllten Hause seien keine Zögernde[n] gewesen, und es umflamme das vom Volke erwählte Staatsoberhaupt eine höhere Würde als die vormals vom Zufall der Geburt verliehene.“102

So emphatisch die integrative Kraft zeremonieller Gesten hier auch beschworen werden mochte, so augenfällig legt diese Passage die Anstrengung offen, mit der das Blatt die mühelos-authentische Selbstverständlichkeit des republikanischen Zeremoniells behauptete. Insistierend bezeichnete man Hindenburg als gewähltes Oberhaupt einer demokratischen Republik, um zu verhindern, dass der Reichspräsident primär mit der Aura des ,Ersatzmonarchen‘ oder dem Charisma des ehemaligen Generalfeldmarschalls assoziiert würde. Dabei legen die Anspielungen auf die unter Wilhelm II. üblichen Strategien der kalkulierten Herrscherglorifizierung den Verdacht nahe, dass Hindenburg diesen Traditionen monarchisch-militärischer Repräsentation näher stand, als es der demokratisch-republikanischen Öffentlichkeit Frankfurts lieb sein konnte. Die Frankfurter Nachrichten präsentierten eine deutlich abweichende Darstellung des Festabends. Der Besuch Hindenburgs war für die Zeitung Anlass, schmerzlich in der „Erinnerung an eine stolzere Zeit“ zu schwelgen und „den Mann“ zu loben, der „wie wenige vor ihm Symbol des Begriffes ,deutsch‘ in des Wortes vollkommenster Bedeutung“ geworden war. 103 Auch die Frankfurter Post konnte vom Erfolg eines genuin republikanischen Festaktes, wie ihn die Frankfurter Zeitung festgestellt haben wollte, wenig wahrnehmen. Ihrem Bericht zufolge hatte das demokratische Frankfurt an diesem Abend eine herbe Niederlage erlitten, indem die Frankfurter Bevölkerung sich den Intentionen der Kommunalpolitiker kurzerhand entzogen und den Reichspräsidenten nicht mit „eingelernten Schlagworten“, sondern mit „deutsche[m] Gefühl“ und „deutschen Herzen“ willkommen geheißen habe.104 In ihrem 101 102 103 104

Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Nachrichten, 13. November 1925. Frankfurter Post, 15. November 1925.

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emphatisch-nationalen Duktus erinnern beide Passage der nationalkonservativen Presse an die Ansprache Hindenburgs im Frankfurter Römer, bei der der Reichspräsident die institutionelle Verfasstheit der demokratischen Republik ebenfalls kaum erwähnt und sich auf das entlastende Integrationspotenzial eines auf nationale Gemeinschaft und vaterländische Treue abzielenden Deutungsmusters zurückgezogen hatte. Demgegenüber merkte die Frankfurter Zeitung spitz an, dass ein Teil der städtischen Bürgerschaft mit der „deutsche[n] Republik“ offenbar „noch nicht [...] Bescheid“ wisse.105 Als beispielhaft stufte sie daher die ihrer Ansicht nach demokratische Gesinnung des Frankfurter Opernpublikums ein, die sich in der schlichten Kleidung der Zuschauer und in der zurückhaltendsparsamen Dekoration des Opernhauses niederschlug: Die „Liebe zum Reich“ und seinen politischen Institutionen bedürfe „keines kostbaren Rahmens, um sich zu begeistern“, und bewusst habe man deshalb auf alles „Prunkende und Augenfällige“ verzichtet.106 Zwar war das Haus „festlich erleuchtet“, wehte „im Nebelglanz des Abends die Bannerseide der Republik und der Stadt Frankfurt“, und auch der Aufgang „trug gefälligen Blumenschmuck“, aber – so betonte die Frankfurter Zeitung – im Zuschauerraum „bot sich das Bild versammelter Bürger und Bürgerinnen, die im schwarzen Rock und nicht in blendender Toilettenpracht versammelt waren“.107 Unweigerlich erinnert diese Darstellung an die Beschreibungen der Frankfurter Goethewoche 1922. Wiederum stilisierte die Zeitung das Opernhaus zu einer genuin bürgerlichen, ja dezidiert demokratischen Institution, die sich als Teil des republikanischen ,Staatenhauses‘ einmal mehr als Kulisse darbot, vor der sich das ,neue Deutschland‘ formieren konnte. Unmissverständlich sollte diese Passage zum Ausdruck bringen, wie sehr sich die Feste der Republik von den prunkvollen Gala-Abenden der Wiesbadener Kaiserfestspiele abhoben, bei denen weder die Dekoration des Opernhauses noch der Schmuck der Toiletten und Uniformen opulent genug sein konnten, wenn es galt, den anwesenden Monarchen zu feiern und den Glanz der ,Weltkurstadt‘ unter Beweis zu stellen. Um die Möglichkeiten symbolischer Repräsentation zu nutzen und den Anforderungen einer republikanischen Traditionspflege gerecht zu werden, versammelten sich an diesem Abend auch die politischen Eliten der Stadt im Opernhaus: „Der Magistrat – die Stadt wollte diesmal nicht umsonst Haupt-Aktionär des [...] Theaters sein – hatte einen großen Teil der Plätze des Parketts, der Logen und der teuren Ränge den städtischen Gremien und geladenen Gästen vorbehalten, so daß die Damen von vornherein in der Minderheit waren. Man sah denn auch alle kommunalen Leiter und Mitleiter un-

105 106 107

Frankfurter Zeitung, 13. November 1925, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Ebd.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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serer Geschicke, alle geistigen, künstlerischen und wirtschaftlichen Schwergewichtler der Stadt.“108

Nicht nur Hindenburg nutzte die Vorstellung im Opernhaus, um eine ihm wohl gesonnene Entourage um sich zu versammeln. Auch die städtischen Eliten mochten an diesem Abend nicht auf die etablierten Formen repräsentativer Selbstdarstellung verzichten und bemühten sich um die Inbesitznahme derjenigen Räume, die die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen ,Schwergewichtler‘ der Mainstadt ins rechte Licht zu rücken vermochten. Damit hatten sich die Angehörigen antagonistischer gesellschaftlicher Lager und politischer Fraktionen im Opernhaus zusammengefunden und verwandelten den Zuschauerraum des Theaters in eine potenziell konfliktgeladene Arena. Die eigentliche Aufmerksamkeit des Publikums und der anwesenden Presse galt an diesem Abend aber dem Reichspräsidenten, bei dessen Erscheinen das versammelte Publikum sich „von den Plätzen“ erhob und „in langanhaltende Ovationen“ ausbrach.109 Daraufhin trat der Reichspräsident „an den Rand der Loge und verbeugte sich mehrfach dankend“.110 Nachdem Hindenburg noch „einige Worte mit dem Bürgermeister“ gewechselt hatte, verdunkelte sich das Haus und Dirigent Clemens Krauss erhob den Taktstock zum Beginn.111 Die anwesenden Pressevertreter vermeldeten, dass der Reichspräsident die Oper „mit Interesse“ verfolgt und sich reichlich am allgemeinen Beifall beteiligt habe.112 Obwohl sich das Begrüßungszeremoniell gegenüber 1922 und 1923 nicht maßgeblich gewandelt hatte, nahm es die Volksstimme trotzdem als unziemliche und berechnende Selbstinszenierung des Reichspräsidenten wahr und kommentierte lapidar: „Das Auftreten des ,Gastes‘ ist also wohl in den Zuschauerraum gelegt und Herrn von Hindenburg diese Rolle zugedacht“.113 Während die Frankfurter Zeitung den Opernbesuch Hindenburgs als gelungene Fortführung eines demokratischen Zeremoniells interpretiert hatte, verurteilte die Volksstimme das Ereignis als gezielten Versuch, eine symbolische Vorkriegsszenerie restituieren zu wollen, indem sie Hindenburg den Vorwurf machte, sich als autoritär auftretende Herrscherpersönlichkeit, ja beinahe als eine Art Wiedergänger Wilhelms II. zu präsentieren und auf diesem Weg die von Ebert initiierte demokratisch-schlichte Festkultur zu boykottieren. Dass diese Beobachtung keineswegs unzutreffend war, zeigte sich spätestens während des in der Pause im Foyer stattfindenden Empfanges, „wo die Vorstellung der siebenmal Gesiebten erfolgte und kalte Platten und Bier ge108 109 110 111 112 113

Ebd. Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Volksstimme, 12. November 1925.

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reicht wurden“.114 Ganz im Stile des letzten Hohenzollernkaisers hielt Hindenburg hier Hof, zeigte sich als „aufmerksamer Zuhörer“, der „unermüdlich“ den Pflichten seines Amtes folgte und „zahlreiche Herren ins Gespräch“ zog, ehe er sich „endlich an einem langen Tische in Gesellschaft des Oberbürgermeisters Landmann“ niederließ.115 Die Frankfurter Zeitung berichtete weiter: „In angeregter Unterhaltung, bei der sogar, was gewiß noch nie im Opernhause gestattet war, geraucht wurde, verging mehr Zeit als die ausgemachte halbe Stunde.“116

Vergebens mahnte daher die den Beginn des neuen Aktes anzeigende Glocke; denn viele „der im Treppenhaus und auf den Zugängen zum Foyer Harrenden“ zogen dem Fortgang der Oper die „Gelegenheit zu Hochs und Tücherschwenken“ vor und rührten sich „nicht von der Stelle“.117 Diese Passage veranschaulicht, dass Hindenburg eine Strategie gezielter Selbstinszenierung zugestanden wurde, die frappierend an die von Wilhelm II. bevorzugten Formen der Herrscherglorifizierung im Wiesbadener Theaterfoyer erinnerte. Wie der Hohenzollernmonarch verstand es der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall, die zeremoniellen Möglichkeiten, die der Besuch des Opernhauses bot, ganz in seinem Sinne zu nutzen, um sich als auratischhoheitsvolle Führerpersönlichkeit wie als jovialer Staatsmann in Szene zu setzen. Entsprechend zeigte sich die städtische Öffentlichkeit von der Aura des „Bedeutende[n] im Wesen dieses [...] Mannes überwältigt“.118 Eine Reihe von Antwort- und Dankesschreiben der zum Empfang im Foyer geladenen Festgäste bestätigen die außerordentliche Erlebnisqualität des Festtages. Am 14. November bedankte sich so etwa Oscar F. Oppenheimer in einem Schreiben an Landmann dafür, dass ihm der Magistrat eine Einladung „für die gestrige Festvorstellung im Opernhause und den Empfang durch den Herrn Reichspräsidenten im Foyer“ übermittelt hatte.119 Oppenheimer stand „ganz unter dem überwältigenden Eindruck dieses für Frankfurt grossen Tages“ und sprach dem Oberbürgermeister seinen „aufrichtigen, herzlichsten Dank“ für das „mir durch diese Einladung vermittelte grosse Erlebnis“ aus.120 Auch andere geladene Gäste wie der Präsident der Handelskammer, Otto Hauck, dankten Landmann „für die freundliche Einladung zu den Veranstaltungen“,

114 115 116 117 118 119

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Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Nachrichten, 14. November 1925. Siehe das Schreiben Oscar F. Oppenheimers in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main. 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31. Ebd.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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die die Frankfurter Bevölkerung als Zeugnis einer „echten vaterländischen Begeisterung lange in Erinnerung behalten“ werde.121 Als ein gesellschaftliche Einheit und politische Harmonie befördernder Festtag konnte der Hindenburg-Besuch freilich nur so lange gefeiert werden, wie es gelang, allzu polarisierende Meinungen auszuschalten und einen tragbaren Minimalkonsens zu erzeugen, auf den sich die unterschiedlichen Lager einigen konnten. Der Empfang im Opernhaus war vor allem deshalb so störungs- und spannungsfrei verlaufen, weil den Vertretern der so genannten ,Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Verbände Schwarz-Weiss-Rot‘, in der rund fünfzehn, zum großen Teil antirepublikanisch gesinnte Verbände zusammengeschlossen waren, die Teilnahme an der Festvorstellung und am Empfang des Reichspräsidenten im Vorfeld strikt untersagt worden war. In einem Schreiben an Landmann hatte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Heinz Schütz, bereits frühzeitig darauf hingewiesen, dass die vaterländischen Verbände nicht nur „zum Spalierbilden zugelassen“ sein wollten, sondern auch darauf drangen, bei der offiziellen „Vorstellung beim Herrn Generalfeldmarschall“ berücksichtigt zu werden.122 Einen möglichen Ausschluss von den Festlichkeiten, so Schütz weiter, müssten die vaterländischen Verbände „als eine Brüskierung auffassen“, die zudem „nicht im Sinne des Herrn Feldmarschalls“ liegen könne.123 Landmann lehnte die Teilnahme der Arbeitsgemeinschaft allerdings auch weiterhin ab und gab durch seine Weigerung zu erkennen, dass er eine offen völkisch-nationalistischen Agitation befürchtete. Außerdem wurde an dieser Stelle deutlich, dass er Hindenburg als Symbolfigur rechter Sammlungsbewegungen wahrnahm, denen während des festlichen Empfangs im Opernfoyer jede Gelegenheit genommen werden sollte, die Begeisterung für ihr Idol mit einer antirepublikanischen Demonstration zu verbinden. Hindenburg sollte bei dieser Gelegenheit ausschließlich als Repräsentant der Republik auftreten: In diesem Sinn wollte Landmann ihn auch als Symbol des Ganzen ausweisen, nicht aber als Verkörperung vaterländischer – und damit letztlich partikularer – Ideale. Sowohl die Stadtregierung als auch die vaterländischen Verbände stuften die Oper somit als einen zentralen politischen Bekenntnisraum ein, in dem sich nur Einfluss verschaffen konnte, wer persönlich anwesend war und den eigenen Stellenwert nach außen sichtbar markieren konnte. Symbolisches Handeln ließ sich demnach nicht als eine nur ornamentale Geste einstufen, sondern trug ausschlaggebend zur Sichtbarmachung politischer Macht bei.

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Siehe das Schreiben von Handelskammerpräsident Hauck, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main. 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31. Siehe das Schreiben von Heinz Schütz, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Besuch des Reichspräsidenten in Frankfurt am Main. 1925f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur R 31. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Die symbolische Inbesitznahme des öffentlichen Raumes durch die republikanischen Spitzen der Stadt kann somit als demonstrative Geste politischer Selbstermächtigung gedeutet werden. Dem Opernhaus kam demnach eine strategisch bedeutsame Funktion zu, sollte es doch einen festlichen Rahmen erzeugen, der „den Eindruck einer historischen Stunde im Leben der jungen deutschen Republik“ verstärken und den Reichspräsidenten immer mehr „in den Bannkreis der Gedankenwelt des südwestdeutschen Landes“ ziehen sollte.124 Auch die ausgewählte Festoper sollte diese Bestrebungen unterstreichen und – dem Willen der politischen Eliten der Stadt zufolge – zur Erzeugung symbolpolitischer Eindeutigkeit beitragen.

5.4 Die Hochzeit des Figaro als Festoper für Paul von Hindenburg? Landmanns Vorhaben, den 1922 und 1923 begonnenen Prozess demokratisch-republikanischer Traditionspflege auch 1925 weiterzuführen, schien durch Mozarts Oper Die Hochzeit des Figaro tatsächlich wirkungsvoll unterstützt zu werden. In seiner 1786 in Wien uraufgeführten Oper hatte Mozart gemeinsam mit seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte ein gesellschaftliches und politisches Tableau entworfen, das nur wenige Jahre vor dem Ausbruch der Französischen Revolution die Widersprüche und Konfliktlagen des untergehenden Ständesystems offen legte und gerade das Gebahren des Adels – verkörpert vor allem in der Figur des Grafen Almaviva – kritisierte und der Lächerlichkeit preisgab.125 Basierend auf der 1783 mit überwältigendem Erfolg in Paris uraufgeführten Komödie La Folle journée, ou Le Mariage de Figaro von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais präsentierte sich die Oper Mozarts und Da Pontes als ein Spiel der Intrigen und Täuschungen. Nicht nur lösen sich im verschlungenen Handlungsverlauf die bislang geltenden gesellschaftlichen Hierarchien auf, indem die Verwirrung der Emotionen traditionelle Ordnungsmuster und Abhängigkeitsverhältnisse zeitweise außer Kraft setzt. Darüber hinaus muteten Da Ponte und Mozart ihrem Publikum ein Ende zu, bei dem die mühsam herbeigeführte Restituierung der ständischen Ordnung deren endgültige Erosion nur notdürftig zu kaschieren vermochte.126 Politisch brisant, so die Analyse Udo Bermbachs, wurde Figaro besonders 124 125

126

Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Abendblatt. Vgl. zur politischen Dimension der Hochzeit des Figaro vor allem: Udo Bermbach: Der Adel tanzt plebejisch. Französische Revolution und Wolfgang Amadé Mozarts ,Le nozze di Figaro‘, in: ders.: Wo Macht ganz auf Verbrechen ruht. Politik und Gesellschaft in der Oper, Hamburg 1997, S. 101–125, hier S. 111. Ebd., S. 120.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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im Zuge der moralischen Aufladung und Erweiterung, die der Begriff des Politischen im 18. Jahrhundert erfuhr, und durch die er sich von jenem „bloß strategischen Verständnis“ ablöste, das im Anschluss an Machiavelli und Hobbes Politik ausschließlich auf Prozesse des Erwerbs und der Erhaltung von Macht verkürzt hatte.127 Demgegenüber setzte sich im 18. Jahrhundert – so Bermbach – ein Politikverständnis durch, das in erster Linie von der Vorstellung eines angeborenen Naturrechtes ausging und dessen Gewährleistung und Schutz als wesentliches Merkmal einer guten politischen Ordnung definierte.128 Dieses „weite Politikverständnis“ beschränkte sich nicht mehr allein auf ein rein zweckdienliches Machthandeln und war auch nur noch begrenzt an staatliche Institutionen und Herrschaftsapparate gebunden.129 Im Zuge dieser konzeptionellen Begriffsverschiebung und institutionellen Entkoppelung, die dem Bereich des Politischen nun die Bewahrung der Menschen- und Bürgerrechte überantwortete, entwickelte sich Politik sukzessive zu einem Medium, das die sittlich-moralischen Grundlagen eines Gemeinwesens nicht nur speicherte, sondern zugleich normative Regelwerke, Verfahren und Mechanismen entwickelte, die das soziale Handeln der Gesellschaftsmitglieder steuern und an ethischen Maßstäben ausrichten sollten.130 In diesem weiteren Sinn, so Bermbach, müsse Mozarts Oper als ein hochgradig politisches Werk gedeutet werden, dessen satirische Gesellschaftskritik eine umfassende, an ethischen Prinzipien orientierte gesellschaftspolitische Neuausrichtung bewirken wollte und deshalb zugleich als moralische Parabel rezipiert werden müsse.131 Mozarts Oper Figaro, die Bermbach dem Genre der Revolutionsoper zuordnet, das mit Vorliebe Themen wie die Läuterung tyrannischer Machthaber, die Errettung ungerecht verurteilter Gefangener, die Hinwendung Adliger zu den Idealen von Freiheit und Gleichheit oder die Liebe zu Republik und Vaterland behandelte, konnte auch im Kontext der politischen Festkultur Frankfurts unschwer als expliziter Kommentar der jüngeren politischen Vergangenheit eingestuft werden.132 Wie die Komponisten Mozart oder AndréErnest-Modest Grétry den Bereich des Politischen angesichts der revolutionären Umwälzungen ihrer Zeit als gleichsam existenzielle Kraft erfahren und in ihren Werken immer wieder die Verquickung von Politik und Ästhetik thematisiert hatten133 , erlebten auch die Zeitgenossen der 1920er Jahre das Ende des Krieges und die damit verbundenen sozialen, kulturellen und politischen Veränderungen als den „Einbruch ungeheurer realer Gewalten in unser Leben“.134 Diesen Prozess wollten die politischen Eliten der Mainstadt 127 128 129 130 131 132 133 134

Ebd., S. 122. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 122f. Ebd., S. 108. Ebd., S. 104. Karl Holl: Oper in Not, in: Frankfurter Zeitung, 19. Januar 1930, Erstes Morgenblatt.

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mit ihrer Unterstützung der parlamentarisch-demokratischen Republik aktiv mitgestalten. Mit der Festaufführung der Hochzeit des Figaro setzte Frankfurt seine programmatische Neuausrichtung am Werkkanon der Wiener Klassik fort, um mit dieser „Abkehr von der großen Repräsentations-Oper und vom Gesamtkunstwerk des Musikdramas“ zugleich ein symbolpolitisches Bekenntnis zu formulieren.135 Die verstärkte Wertschätzung Mozarts war einer konzeptionellen Neubewertung der Kunst und ihrer ästhetischen und gesellschaftlichen Funktionen geschuldet. Den Werken Mozarts kam insofern eine Schlüsselrolle zu, als sie vielfach einen Realismus von so „unerhört suggestiver Kraft“ entfalteten, dass alle „opernhafte Repräsentation und Virtuosität“ zugunsten des „echtesten menschlichen Ausdruck[s]“ verworfen werde und das „Menschliche jeder einzelnen Figur“ deutlich hervortrete, wie der seit 1924 in Frankfurt tätige Regisseur Lothar Wallerstein (1882–1949) glaubte.136 Wallersteins Ausführungen konzentrierten sich zwar vor allem auf Mozarts Don Juan, sie lassen sich allerdings auch auf Die Hochzeit des Figaro übertragen, da diese Oper mit ihrer ironischen Kritik an adelig-höfischen Konventionen und ihrem satirischen Angriff auf etablierte Autoritäten nicht nur die Welt des 18. Jahrhunderts herausforderte, sondern auch die sozialen und politischen Konstellationen der Gegenwart problematisieren konnte. Die wiederentdeckte Popularität der Werke Mozarts erhält vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Neubewertung des 18. Jahrhunderts einen tieferen Aussagewert. Besonders anschaulich lässt sich diese Neuorientierung in einem „Plädoyer für das 18. Jahrhundert“ nachverfolgen, das der Dramaturg und Schriftsteller Arthur Kahane (1872–1932), der in Berlin lange Jahre mit Max Reinhardt zusammengearbeitet hatte, im Dezember 1927 in den Blättern der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, veröffentlichte. Diese Schriftenreihe druckte nicht nur Kritiken und Kommentare zu einzelnen Aufführungen, sondern publizierte auch programmatische kunstästhetische Texte.137 In seiner Stellungnahme bemühte sich Kahane um eine Rehabilitation des 18. Jahrhunderts, das – wie der Autor bedauerte – ganz zu Unrecht „mit den verhaßten Schlagworten: Aufklärung und Rationalismus“ in Verbindung gebracht und vorschnell als „gottlos und sittenlos“, frivol und oberflächlich abgelehnt werde.138 Demgegenüber bescheinigte Kahane dem Jahrhundert Mozarts, Voltaires, Rousseaus oder Napoleons „rasend viel Talent“139 : 135 136

137 138 139

Ebd. Lothar Wallerstein: Bemerkungen zur Neuinszenierung des Don Juan von Mozart, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 15/16 (10./23. April 1926), S. 87– 93, hier S. 88f. Vgl. hierzu Arthur Kahane: Plädoyer für das 18. Jahrhundert, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 47/48 (Dezember 1927), S. 297–300. Ebd., S. 297. Ebd., S. 298.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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„Es spielte auf allen Instrumenten. Es beherrschte alle Genres. Außer das langweilige. Es erfand die scheinbare Mühelosigkeit. Es entdeckte [...] eine Logik ohne Pedanterie, eine Logik, die nicht drückte, sondern beglückte, so befreiend selbstverständlich wirkte sie.“140

Zwar räumte der Autor ein, dass das 18. Jahrhundert zugleich ein Jahrhundert der Widersprüchlichkeiten und Gegensätze gewesen sei, ein Jahrhundert, in dem etwa „die weiße Sklaverei mit Unterdrückung und Seelenschacher den Höhepunkt der Untragbarkeit erreicht“ habe, und in dem „die absolutistische Macht des Staates“ erst „wüste Triumphe“ feiern musste, ehe der Mensch „sich seines Menschenrechtes und seiner Würde bewußt wurde“.141 Aus all dem aber – so Kahane – habe sich die Vorherrschaft eines umfassenden Freiheitsbegriffes entwickelt, der die ausgeprägten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gegensätze seiner Zeit anprangerte und in der Französischen Revolution seinen sprechendsten Ausdruck fand.142 Durch seine außerordentliche Wertschätzung der menschlichen Freiheit, so der Autor, habe das 18. Jahrhundert überkommene Traditionen und Autoritäten unerschrocken herausgefordert.143 Kahane würdigte das 18. Jahrhundert demnach als ein Zeitalter der „scharmanteste[n] Respektlosigkeit“, in dem „viele Arten Tafeln“ zerbrochen wurden, um der „Wahrheit zu dienen“.144 Zugleich schätzte er das Zeitalter Mozarts aufgrund seines spezifischen „Humanitätsideal[s]“, das den „Begriff der großen und allseitig gebildeten Persönlichkeit“ geprägt und das „Streben nach Freiheit und Schönheit“ sowie die „Heiterkeit und Anmut des Geistes“ zu entscheidenden „Grundlagen“ seiner Kultur erhoben habe.145 Die von Bermbach für das 18. Jahrhundert diagnostizierten moralischen und ästhetischen Implikationen eines erweiterten Politikbegriffes spielten somit auch für die Zeitgenossen der 1920er Jahre eine wichtige Rolle. Kahane charakterisierte das 18. Jahrhundert gleichsam als Fundament seiner eigenen Gegenwart: Er schrieb ihm einen „Reichtum“ zu, von dem „die Welt noch lange unbewußt und undankbar zehren wird“, und dem sie zugleich „alles“ zu verdanken habe, „was wir an körperlicher, staatlicher und geistiger Freiheit noch besitzen“.146 Das 18. Jahrhundert erhob er auf diese Weise zu einem normativen Modell zeitgenössischer Selbstauslegung und erklärte es zur zentralen Referenzepoche. Auch andere Publizisten und Intellektuelle bezogen sich auf ein idealisierendes Konzept des 18. Jahrhunderts, um gegenwärtige Problemkonstellationen sinnhaft bearbeiten und politische, ethische und ästhetische Integration aufeinander beziehen, ja gleichsam miteinander verschränken zu können. Im Zeichen einer weit reichenden 140 141 142 143 144 145 146

Ebd. Ebd., S. 300. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 297. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Kulturkritik forderten Autoren wie Kahane, Paul Bekker oder Karl Holl (1892–1975), der in den 1920er Jahren die Nachfolge Bekkers als Musikreferent der Frankfurter Zeitung antrat, dazu auf, die spezifischen Ressourcen des Ästhetischen ernst zu nehmen. Dabei wiesen Bekker und Holl vornehmlich dem Musiktheater die Aufgabe zu, an der „Bildung neuer menschlicher Gemeinschaft mitzuwirken“, habe doch die Oper besonders schmerzlich jenen Prozess der Desillusionierung und Entzauberung durchlaufen, dem auch die deutsche Gesellschaft in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ausgesetzt war.147 Da es die Oper, die nach dem Dafürhalten Holls in der Vorkriegsära vielfach zum repräsentativen Sensationsspektakel herabgesunken war, erfolgreich bewerkstelligt habe, zu einer im „Gesang zentrierten Musik- und Musizieroper“ zurückzufinden und ihren Auftrag zur „geistigen Repräsentation“ der Gegenwart zu erfüllen, erhob er sie kurzerhand zum Modell gelingender gesellschaftlicher und politischer Transformationsprozesse.148 Von Haus aus eine festlich-repräsentative und vielfach dezidiert elitäre Kunstform habe die Oper lange gebraucht, um sich auf die gewandelten Lebensumstände und Bedürfnisse des ,neuen‘ Menschen und der ,neuen‘ Gesellschaft einzustellen. Erst indem sie sich breiten Publikumsschichten geöffnet und sich neuartige Stoffe und Klangwelten erschlossen habe, so die Überzeugung Holls, sei es ihr gelungen, ihre jahrhundertealte kulturgeschichtliche Bedeutung zu erhalten und produktiv weiterzuentwickeln. Ihre „kaleidoskopische Buntheit und Vielheit“ prädestiniere sie als experimentelle Folie, die weltanschauliche, geistige und soziologische Probleme aufnehmen und gestalte könne.149 Der zeremoniellen Experimentierphase der Nachkriegsjahre entsprach somit eine konzeptionelle und kompositorische Neuausrichtung des Musiktheaters. Autoren wie Karl Holl plädierten dafür, die vielfach als verbraucht und dekadent eingestuften „romantischen Musik-Tragödie[n]“ des 19. Jahrhunderts hinter sich zu lassen und durch die Rückbesinnung auf ältere Gattungen wie die neapolitanische Buffa, die englische Bettler-Oper oder das deutsche Singspiel, aber auch durch die bewusste Pflege zeitgenössischer Werke eine grundsätzliche „Umstellung“ auf die „Lage des neuen Menschen, des Kollektiv-Menschen“ vorzunehmen und so eine tatsächliche „Demokratisierung der Oper“ zu erwirken.150 Holls Schriften erschließen sich im Grunde erst, wenn man ihnen einen ästhetisch und moralisch erweiterten Politikbegriff zugrunde legt. Der Musikkritiker führte die allgemein diagnostizierte Krisenerfahrung des frühen 20. Jahrhunderts auf Prozesse der Desintegration zurück, die seiner Ansicht nach wesentlich durch das Auseinandertreten von Politik, Kunst und Gesellschaft ausgelöst worden waren. Im Musiktheater

147 148 149 150

Holl: Oper in Not. Ebd. Ebd. Ebd.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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glaubte er ein Medium gefunden zu haben, mit dessen Hilfe soziale, politische und ästhetische Integration wieder zusammengeführt werden konnten. Die Ernsthaftigkeit, mit der Publizisten wie Kahane oder Holl auf eine kulturelle Fundierung gesellschaftspolitischer Realität hinwirken wollten, erklärt sich gewiss auch daraus, dass beide alarmiert auf die weiterhin labile Lage der Republik reagierten. Deutschland, das prototypische „Musikland“, dessen „Musikkultur einen der größten Aktivposten seiner Weltgeltung“ ausmachte, verdiene es, wie Holl glaubte, vor „Pferdekuren und Quacksalbereien“ bewahrt zu werden.151 Daher gelte es zu verhindern, dass eine parteipolitisch gebundene und rein „mechanisierte Auffassung von Demokratie“ das bisher Erreichte zunichte mache und als Einfallstor reaktionärer Bestrebungen dienen könne.152 Die prorepublikanischen Kräfte Frankfurts reagierten sensibel auf solche Warnungen und versuchten mithilfe einer öffentlichkeitswirksamen Kulturpolitik, affektive und institutionelle Defizite der neuen politischen Ordnung auszugleichen. Wie oben dargestellt, war gerade Oberbürgermeister Landmann überzeugt, dass der „Geist der großen Kultur“ über das Schicksal der Stadt entscheide und den Prozess urbaner Profilbildung wirkungsvoll unterstützen könne.153 Aus diesem Grund war die in den 1920er Jahren vollzogene institutionelle Einbindung der Städtischen Theater in den Verwaltungsbereich der Kommune ganz in Landmanns Sinn. Die auf der Ebene des fachwissenschaftlich-publizistischen Diskurses beobachtbare ästhetischkulturelle Fundierung des Politischen fand damit in den kulturpolitischen Weichenstellungen der Stadt ihre institutionelle Verankerung. Dennoch dokumentiert der hier geschilderte Verlauf der Festvorstellung der Hochzeit des Figaro, dass sich Wallersteins Neubestimmung der Werke Mozarts, Kahanes explizites Plädoyer für das 18. Jahrhundert sowie die kunstpolitischen Überlegungen Holls kaum in die Festpraxis des 13. November 1925 einschleusen ließen. Insgesamt nämlich wurde der Festaufführung eine untergeordnete Bedeutung beigemessen. Über sie wurde nicht nur wenig und beiläufig berichtet, sondern die politischen Potenziale des Werkes fanden in der städtischen Öffentlichkeit eine vergleichsweise verhaltene Resonanz. Ob man die politisch brisanten Gehalte der Oper bewusst ausblendete oder sie schlicht nicht wahrnahm, lässt sich anhand der ausgewerteten Presseberichterstattung nicht ausloten. Unübersehbar war jedenfalls, dass die ungeteilte Aufmerksamkeit von Publikum und Presse der Person Hindenburgs galt. Dies hatte zur Folge, dass der Prozess einer republikanischen Traditionsstiftung, der durch die Auswahl der Hochzeit des Figaro eigentlich untermauert wurde, an Strahlkraft verlor. Sowohl das gesellschaftliche Zeremoniell im Zuschauerraum des Opernhauses und der Festempfang im Foyer als auch die Rezeption 151 152 153

Ebd. Ebd. Siehe die Rede Landmanns in: Städtisches Anzeigenblatt, 22. November 1924.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

von Mozarts Oper folgten einer besonderen und nur schwer steuerbaren Eigenlogik, die eine Indienstnahme des Werkes als republikanische Festoper erschwerte, wenn nicht gar verhinderte.

5.5 Ein „Finale von höchster Vollkommenheit“154 ? Die Frankfurter Feierlichkeiten im Kontext der SüddeutschlandReise Paul von Hindenburgs Während sich republikanische Etikette und ästhetische Inszenierung im Rahmen der Goethewoche und der Paulskirchenfeier gegenseitig verstärkt und ein genuin republikanisches Festritual hervorgebracht hatten, beförderte der 13. November 1925 einen offensiven Personenkult, der Hindenburg zum „getreue[n] Eckart des deutschen Volkes“ und zur „Verkörperung deutscher Kraft“ stilisierte.155 Eindringlich bezeugt dies der Schluss des Festaktes auf dem Frankfurter Opernplatz. Vom Balkon des Opernhauses nahm Hindenburg, „das Spalier der städtischen roten Hellebardiere durchschreitend“, „die Huldigung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold entgegen“156 : „Dann wurden große Kandelaber vor der Oper entzündet. Der Reichspräsident tritt auf den Balkon heraus. Trompetensignal. Ein Reichsbannerführer tritt vor und ruft über den Platz: ,Unserer Deutschen Republik, der Verfassung von Weimar, den Reichsfarben Schwarz-RotGold: ein dreifaches Hoch!‘“157

Bereits der Tempuswechsel verweist auf den Stellenwert dieser HuldigungsZeremonie, der die Frankfurter Zeitung eine besondere Erlebnis-Dimension attestierte: Kurzerhand rief die Zeitung den Festtag zur „historische[n] Stunde im Leben der jungen deutschen Republik“ aus, in der sich die Versöhnung der demokratischen Republik mit dem „zum Reichspräsidenten gewählten Ersten der alten kaiserlichen Generäle“ vollzog.158 Den Appellen der prorepublikanischen Eliten entzog sich der Reichspräsident allerdings unmissverständlich. Auf den ihm dargebrachten Gruß des Reichsbannerführers antwortete er lapidar: „Ich entnehme diesem Gruß, daß wir alle gleich treu zu unserem Vaterlande stehen. [...] Auf die Treue kommt es an und auf das Zusammenstehen, auf die Einigkeit in der Liebe zum Vaterland.“159

154 155 156 157 158 159

Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Post, 13. November 1925. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925, Zweites Morgenblatt.

5. „Hindenburgrummel“ in Frankfurt

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Indem sich Hindenburg hier zum Bewahrer einer überpolitischen ,Einheit‘ und ,Treue zum Vaterland‘ aufschwang, nahm er für sich in Anspruch, ein ,eigentliches‘, besseres Deutschland zu verkörpern, das sich in der parlamentarischen Republik von Weimar nicht oder nur bedingt wiederzufinden vermochte. Durch sein Bekenntnis zur Partikularität – das allerdings in eine Rhetorik der Eigentlichkeit und Ganzheit gekleidet war – boykottierte seine Grußadresse das von den republikanischen Kräften angestrebte Bekenntnis zur neuen Staatsordnung. Opernhaus und Opernplatz wurden somit buchstäblich zum Schauplatz eines politischen Dramas, bei dem republikanischdemokratische Ordnungsmuster auf rivalisierende Traditionen tendenziell reaktionär-völkischer beziehungsweise konservativ-monarchistisch geprägter Normbeständen trafen. Dass der Besuch Hindenburgs dennoch gerade von den prorepublikanischen Kräften Frankfurts und des Reichs als Erfolg verbucht wurde, bezeugt ein Beitrag, den der badische Staatspräsident Hellpach in der Frankfurter Zeitung veröffentlichte. Den Frankfurter Hindenburg-Tag feierte Hellpach als „ein Finale von höchster Vollkommenheit“, das die Besuchsreise des Reichspräsidenten durch die südwestdeutschen Landesregierungen feierlich zum Abschluss gebracht habe.160 Die im Verlauf des Festtages immer wieder durchscheinenden innerstädtischen Konkurrenzen überführte Hellpach dabei kurzerhand in eine geographische Konkurrenz, die gleichfalls politisch konnotiert war: In seinem Essay erhob der DDP-Politiker Frankfurt zum Zentralort des deutschen Südwestens und stellte die Stadt demonstrativ als Gegenspielerin „ostelbischaltpreußischer Auffassungen“ heraus.161 Pro- und antirepublikanische Tendenzen wurden somit klar geographisch zuweisbar. Hellpach entwarf eine politische Topologie, die Frankfurt als Statthalter von „Demokratie“ und „Europabürgertum“ auswies und gegen die Reichshauptstadt Berlin ausspielte, die – so glaubte er – Deutschland weder „politisch-geographisch“ noch „politisch-psychologisch“ angemessen repräsentieren könne.162 Hellpachs Überlegungen gingen so weit, das „Schicksal“ der Republik davon abhängig zu machen, ob es gelinge, dem „neuen Deutschland“ im „alten Frankfurt“ „eine zweite Hauptstadt“ zu geben“.163 Diese Ausführungen heben mit Nachdruck den exponierten Status Frankfurts hervor, das sich im Lauf der 1920er Jahre erneut zu einer einflussreichen und politisch gewichtigen Metropole aufgeschwungen hatte. 160 161

162 163

Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Vgl. hierzu die Überlegungen des badischen Staatspräsidenten Hellpach, der in der Frankfurter Zeitung in dem Essay „Das alte Frankfurt und das neue Reich“ die gewachsene Bedeutung Frankfurts innerhalb der politischen Geographie des Reiches herausstellte. Siehe Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Ein abschließendes Resümee des Frankfurter Hindenburg-Tages muss allerdings auch in Rechnung stellen, dass genuin demokratisch-republikanische Festelemente mit zeremoniellen Traditionsbeständen des Wilhelminismus vermischt wurden, so dass der Hindenburg-Feier durchaus eine reaktionäre Note beigemischt war. Hierdurch wurden miteinander „konkurrierende Legitimitätsvorstellungen“ sichtbar, die von der um gesamtgesellschaftliche Integration und demokratische Sinnstiftung bemühten Symbolpolitik eines Ludwig Landmann in Zukunft nur noch schwer eingeholt werden konnten, und durch die auch die „inneren Widersprüche der ,relativen Stabilisierung‘“ immer offener zu Tage traten.164

164

Vgl. hierzu Peukert: Die Weimarer Republik, S. 214ff.

6. Das „Locarno der Kultur“1 : Frankfurt und der Sommer der Musik 1927 6.1 Frankfurt plant eines der „größten Ereignisse der Musikgeschichte“2 Zwei Jahre nach dem Besuch Hindenburgs konnte sich Frankfurt erneut als ,zweite Hauptstadt‘ der Weimarer Republik in Szene setzen. 1927 veranstaltete die Stadt mit ihrem so genannten Sommer der Musik ein gewaltiges Messe- und Veranstaltungsprojekt, dessen Höhepunkt eine mehrere Monate dauernde internationale ,Weltkultur-Ausstellung‘ mit dem Titel Musik im Leben der Völker darstellte.3 Frankfurts Oberbürgermeister Ludwig Landmann, einer der maßgeblichen Initiatoren des Projekts, bezeichnete die Kulturmesse in einem Schreiben an das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin als die wohl „grösste und vollständigste internationale Ausstellung“, „die seit Jahrzehnten auf deutschem Boden durchgeführt worden ist“ (vgl. Abb. 22).4 Die von Juni bis Ende August andauernde Ausstellung gliederte sich in mehrere Bereiche, unter anderem eine musikhistorische Abteilung, in der die „Entwicklungsgeschichte der Musik der Welt“ veranschaulicht werden sollte.5 Hier waren vor allem Instrumente, Noten und Autographen ausgestellt. Außerdem gab es eine ethnographische Abteilung, in der Musikinstrumente aus aller Welt zusammengetragen worden waren.6 Generell wurde ausländischen Musikkulturen ein breiter Raum zuerkannt: Das Frankfurter ChinaInstitut hatte sich bereit erklärt, chinesische Musik und Oper darzubieten, und zwischen dem 12. und dem 16. August 1927 gastierte zum ersten Mal ein chinesisches Orchester in Europa.7 Die afrikanische Musikkultur wurde beispielsweise durch Kamerun und den Kongo vertreten (Abb. 23 und 24).8 1 2 3 4

5 6

7 8

Frankfurter Zeitung, 18. August 1927, Erstes Morgenblatt. New York Times, zitiert nach: Frankfurter Zeitung, 26. August 1927, Abendblatt. Zum Frankfurter ,Sommer der Musik‘ vgl. ausführlich: Hansjakob Ziemer: Die Moderne hören, S. 238ff. Siehe das Schreiben Ludwig Landmanns an das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 30. Mai 1927 in: Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main, Bd. I: Ausstellung: ,Musik im Leben der Völker‘, Sommer 1927, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2587. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Hier gab es seltene „Schätze“ zu bestaunen, etwa ein javanisches Gamelan- und ein birmanisches Puppenspiel-Orchester. Siehe in: Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 14. Juli 1927, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Abbildung 22: Karikatur „Frankfurt wird Kunststadt“ (Frankfurter Nachrichten, 20. Februar 1927)

Einen eindeutigen Schwerpunkt hatten die Veranstalter allerdings auf die europäische Musikkultur gelegt, und so waren Exponate aus Italien, Ungarn, Österreich, Frankreich, Belgien oder Polen zu bewundern, neben anderem ein Beethoven-Flügel. Eine italienische Sammlung stellte anhand kostbarer Einzelstücke markante Etappen der Geschichte der italienischen Musik vor, beispielsweise eine Bratsche, die Antonio Stradivari für Cosimo III. de’ Medici angefertigt hatte, sowie eine Reihe von Originalpartituren, die die Entstehungsgeschichte der italienischen Oper von ihren Anfängen bis zu Puccini dokumentierten.9 Eine eigene Abteilung war auch für die neuen Medien der Zeit konzipiert worden: Besondere Beachtung fand der Bereich der elektronischen Musik, die zur „akustische[n] und musikalische[n] Sensation“ geriet.10 Daneben gab es eine „Sonderschau“, die über „Fünfzig Jahre Sprechmaschine“ informierte.11 Weiterhin waren auf dem Festhallenareal Konzert- und Musiksäle eingerichtet worden, unter anderem ein Raum für Kammermusik, ein Beethoven-Saal 9 10 11

Frankfurter Zeitung, 13. Juli 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 4. August 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt.

6. Das „Locarno der Kultur“

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Abbildung 23: Plakat des Frankfurter Musiksommers 1927

oder ein Johann-Sebastian-Bach-Saal, in dem „die neue Riesenorgel von Walker“ ihre „gewaltige Stimme“ erheben sollte.12 Zudem gab es einen „Vergnügungspark“ mit einem „prächtigen „Saxophon-Tanzsaal“ und einem eigenen Café.13 Flankiert wurde die Ausstellung von zahlreichen Vorträgen, Tagungen und festlichen Opern-, Konzert- und Choraufführungen, von denen etwa ein mehrtägiges Musikfest der Internationalen Gesellschaft für neue Musik, eine Internationale Arbeiter-Musikwoche, Konzerte der Wiener und der Budapester Philharmoniker, jeweils eine Woche für katholische und evangelische Kirchenmusik sowie eine Reihe von Tagen für Volksmusik zu nennen sind. Als besondere künstlerische Ereignisse waren zudem zwei Festspiel-Zyklen vorgesehen, die den für das Veranstaltungsprojekt zentralen Gedanken der Synthese von Tradition und Moderne symbolisieren sollten und den Werken von Richard Wagner und Richard Strauss gewidmet waren. Letzterer war im August 1927 eigens in Frankfurt zu Gast, um neben anderem seine Opern Salome, Der Rosenkavalier und Ariadne auf Naxos zu dirigieren. Die ästhetische und stilistische Vielfalt des Frankfurter Musiksommers spie12 13

Ebd. Ebd.

400

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 24: Übersicht der Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker, Frankfurt 1927

gelte das Bedürfnis der städtischen Kulturpolitik nach gesamteuropäischer Ausweitung und repräsentativer Vielfalt wider, barg aber ebenso die Gefahr einer gewissen Überdehnung und Beliebigkeit in sich.14 Frankfurt verband mit seiner Ausstellung die Suche nach einem integrativen Kulturideal, mit dem sich sowohl die ausländischen Gäste als auch die deutschen Besucher identifizieren können sollten (Abb. 25). Mit besonderem Nachdruck betonten die Organisatoren den dezidiert europäischen Charakter der Messe. So gastierten viele international renommierte Künstler, Ensembles, Chöre und Orchester während des Sommers in Frankfurt, unter ihnen beispielsweise die Wiener und die Budapester Philharmoniker sowie das Pariser Ballett. Zudem hatten eine Reihe hochrangiger Staatsmänner des In- und Auslandes − neben vielen anderen der deutsche Außenminister Gustav Stresemann und der französische Unterrichts- und Kultusminister Édouard Herriot − sowie Vertreter der Regierungen Russlands, Polens, Belgiens, Ungarns, Großbritanniens und Italiens ihr Kommen zu den Eröffnungsfeierlichkeiten im Frankfurter Opernhaus zugesagt, während eine Delegation des Völkerbundes das Abschlussfest der Ausstellung im August besuchte. Der Zeitpunkt für dieses groß angelegte Projekt war dabei nicht zufällig 14

Siehe hierzu die Kapitel III.6.4 (Musik im ,Geiste der allmenschlichen Geltung‘) und III.6.5 (Die Richard Strauss-Festwoche).

6. Das „Locarno der Kultur“

401

Abbildung 25: Festgelände der Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker, Frankfurt 1927

gewählt worden. Das Jahr 1927 stand im Zeichen Ludwig van Beethovens, dessen 100. Todestag man weltweit feierlich beging, und mit Bedacht optierten die Frankfurter Politiker für diesen Zeitpunkt, um mit Pomp die Rückkehr Deutschlands in das europäische Konzert der Mächte zu begehen. Beethoven, der von den „Völker[n] des ganzen Erdballs“ gleichermaßen verehrt und als Gestalter einer nach den Umwälzungen der Französischen Revolution „grundlegend veränderten Welt“ wahrgenommen wurde15 , schien wie kein zweiter geeignet, die geistige Patenschaft eines Projektes zu übernehmen, das sich gleichfalls neuartigen politischen Herausforderungen stellen musste und dabei dennoch am Ziel einer umfassenden, Einheit stiftenden Kultursynthese festhalten und einen „Hauch europäischer Kulturgemeinschaft“ fühlbar werden lassen wollte.16 Als weltweit geschätzter Inbegriff künstlerischen Genies verkörperte Beethoven geradezu idealtypisch jene nicht nur „international“, sondern geradezu „übernational“ und universal wirksame Welt des GeistigKulturellen, mit der sich das ,neue Deutschland‘ zurecht identifizieren und seinen Anspruch auf eine Wiederaufnahme in den Kreis der europäischen Mächte legitimieren konnte.17 15 16 17

Frankfurter Zeitung, 27. März 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 18. August 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 3. Juli 1927, Zweites Morgenblatt. Siehe hierzu Kapitel III.6.2 (Der ,Schrei nach Seele‘).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Damit knüpfte der Sommer der Musik programmatisch an die Politik der Verträge von Locarno 1925 oder an den 1926 erfolgten Eintritt Deutschlands in den Völkerbund an. Der städtische Messedirektor und DDP-Politiker Otto Ernst Sutter, der neben Landmann einer der zentralen Initiatoren des Ausstellungsprojektes war, wies im Rahmen einer musikpädagogischen Festwoche des ,Reichsverbandes Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer‘ ausdrücklich auf diesen Anspruch hin. Den Sommer der Musik bezeichnete Sutter in seiner Festansprache enthusiastisch als ein „Locarno der Kultur“, das die „Perspektive einer vom Geist geformten und vorbereiteten Realpolitik“ eröffnen solle.18 Als symbolische Klammer sollte die Musik jene Syntheseleistungen erbringen, zu der die (Real-)Politik der Gegenwart nur bedingt im Stande war.19 Hier manifestierte sich ein zeitgenössisches Politikverständnis, das den Bereich der politischen Kultur als einen Sinn generierenden Kommunikations-, Handlungs- und Diskursrahmen in Anspruch nahm, in den realpolitisches Agieren eingebettet war.20 Frankfurt verfolgte mit seiner Kulturmesse eine Reihe von Zielen. Offenkundig spielten zunächst ökonomische und infrastrukturelle Überlegungen eine Rolle, so erhoffte sich die städtische Wirtschaft durch die Belebung des Fremdenverkehrs und die Förderung einheimischer Dienstleistungsbetriebe einen Aufschwung. Wie bereits erwähnt, ähnt ließen sich daneben aber auch symbolpolitische Interessen ausmachen: Erstens versprach sich Frankfurt, das seit 1866 stets allergisch auf den „etwas verächtliche[n] Begriff ,Provinz‘“ reagiert hatte, einen weiteren Zugewinn an großstädtischem Prestige, um seinen Status als urbanes Zentrum ausbauen zu können.21 Emporgewachsen im „schicksalsbestimmenden und kräftereichen Kreuzungspunkt der ältesten und wichtigsten kommerziellen und kulturellen Straßen des Erdteils“, sah sich Frankfurt vor allem „als Hochburg freiheitlichen Denkens, der Humanität und der Künste“.22 Mit dem Sommer der Musik wollte die Stadt mit Nachdruck an jene städtische Festtradition anknüpfen, „die vor vier

18 19 20 21

22

Frankfurter Zeitung, 18. August 1927, Erstes Morgenblatt. Siehe hierzu Kapitel III.6.3 (Das Theater als ,Werkraum der Demokratie‘). Vgl. hierzu allgemein Rohe: Politische Kultur. Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, S. 1. Frankfurter Zeitung, 22. Mai 1927, Zweites Morgenblatt. Wäre, so räsonierte die Frankfurter Zeitung, das deutsche Reich bereits aus den „Einigungsbestrebungen des Jahres 1848“ hervorgegangen, hätte sich Frankfurt seinen Gästen mit Fug und Recht als legitime Reichshauptstadt präsentieren können. So musste man sich 1927 aber mit der Gewissheit zufrieden geben, die „deutsche Kultur würdiger repräsentier[en]“ zu können „als die Kolonialstadt Berlin“. Die anhaltende Konkurrenz zu Berlin durchzog die Frankfurter Messe daher gleichsam als ein durchgehendes Motiv. So der Wortlaut einer von der Stadt Frankfurt eigens für den Sommer der Musik angefertigten Werbebroschüre. Siehe in: Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main, Bd. I: Ausstellung: ,Musik im Leben der Völker‘, Sommer 1927, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 2587.

6. Das „Locarno der Kultur“

403

Jahrzehnten mit der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung begonnen“ hatte.23 Mit diesem Messeprojekt hatte sich Frankfurt 1891 zum ersten Mal erfolgreich als moderne, international angesehene Metropole situiert.24 Wenngleich die Elektrotechnische Ausstellung bereits eine internationale Orientierung hatte erkennen lassen, war sie insgesamt allerdings noch stark in den Horizont eines nationalen Konkurrenzkampfes eingebettet geblieben. Das mehr als 30 Jahre später stattfindende „Fest der Kultur“ stand demgegenüber ganz im Zeichen der europäischen Völkerverständigung und versöhnung. Zeitgleich zum Frankfurter Festsommer nämlich fand in Genf eine Ratstagung des Völkerbundes statt; beide Veranstaltungen markierten komplementäre Ereignisse, formulierten sie doch den Anspruch, „Baupläne“ für ein geeintes Europa zu erarbeiten.25 Die Frankfurter Messe war damit nicht nur in eine konkurrenzgeprägte nationale Topographie eingelassen, die die Mainstadt als Gegenstück zur Reichshauptstadt entwarf. Zudem situierte sich Frankfurt in einer dezidiert europäisch ausgerichteten Topographie: Während der Sommer der Musik das „Europa der gemeinsamen Kultur“ lebendig werden lassen wollte, ging es in Genf darum, „die politischen Hindernisse des Alltags“ zu überwinden, um die „politische Ordnung und Zusammenfassung unseres Kontinentes“ zu fördern.26 Erneut wurden hier Real- und Symbolpolitik als komplementäre Bestandteile des Politischen entworfen und in den Dienst einer übergeordneten „Idee“ gestellt, die sich die „gefühlsmäßige Annäherung“ der „durch die tragische Geschichte der jüngsten Zeit“ entfremdeten europäischen Staatenwelt zum Ziel gesetzt hatte.27 Da aber gerade das „Gefühl“ oft über „das Leben der Völker“ entscheide, wie die Frankfurter Zeitung glaubte, war die „aktive Teilnahme von Repräsentanten verschiedener Nationen“ eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Musiksommers, der Europa als einen „Kulturbegriff “ „sichtbar und hörbar“ machen wollte.28 Um eine gesamteuropäisch wirksame symbolische Ordnung initiieren und festigen zu können, bezog sich der Musiksommer immer wieder in markanter Weise auf das gemeinsame Erbe einer europäischen Musikkultur. Anhand ausgewählter Etappen soll nachfolgend dargelegt werden, wie sich dieser Prozess kulturpolitischer Traditionsstiftung im Einzelnen entfaltete und diskursiv aufbereitet wurde.

23 24 25 26 27 28

Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Abendblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

6.2 Der „Schrei nach Seele“29 (L. Landmann): Der Mythos Beethoven und die Eröffnung der Internationalen Musikausstellung im Frankfurter Opernhaus Am 12. Juni 1927 berichtete die Frankfurter Zeitung ausführlich über den Festakt in der Frankfurter Oper, wo tags zuvor die feierliche Eröffnung der Internationalen Musikausstellung stattgefunden hatte. Überschwänglich bejubelte das Blatt diesen Tag als Markstein in der Geschichte Frankfurts: „Man muß Jahrzehnte zurückgehen“, so hieß es, „um auf einen Tag zu treffen, der in der Frankfurter Kulturgeschichte von gleicher Bedeutung ist wie der 11. Juni 1927“.30 Der außerordentliche Stellenwert des Ausstellungssommers schlug sich bereits im Stadtbild nieder: In den Hauptstraßen „wehten allenthalben Flaggen in den Reichs- und Stadtfarben, die großen Gasthöfe hatten international geflaggt“, und vor allem in der Kaiserstraße schwangen sich „lustige Flaggenbänder [...] von Mast zu Mast“, die der Szenerie ein „ein festliches Gepräge“ verliehen.31 Überall in den Straßen herrschte reges Treiben, und „besonders vor dem Opernhause hatte sich eine ansehnliche Menge angestaut, um die Vorfahrt der Minister des Reichs und der ausländischen Staaten zu erwarten“.32 Auch dem feierlichen Empfang der Gäste in der Frankfurter Oper attestierte die Presse ein „glänzendes Bild“, obwohl die „belebenden Farben der Damentoiletten fehlten und das feierliche Schwarz der Herren vorherrschte“.33 Ihre „besondere Note“ erhielt die „illustre Festgemeinde“ nach einhelliger Meinung durch „die Vertreter der auswärtigen Staaten“, deren „Gemeinschaft wie ein Symbol wirkte“.34 Den Symbolcharakter der Veranstaltung hob auch die Volksstimme hervor, da „Europas bedeutendste Männer, Minister, Diplomaten, Künstler, Schriftsteller und die Spitzen der Behörden der Länder und Städte der engeren Heimat“ sich eingefunden hätten, um Frankfurt für diesen Tag nicht nur zum „geographische[n] Herz[en]“, sondern zum „geistige[n] Zentrum Europas“ und zum „Sitz des kulturellen Völkerbundes“ zu machen − eine Äußerung, die den Anspruch Sutters, den Frankfurter Ausstellungssommer als ein ,Locarno der Kultur‘ zu feiern, explizit bekräftigte.35 Auch die Frankfurter Nachrichten betonten den Metropolencharakter Frankfurts: Die Goethestadt, so hieß es hier, habe sich niemals in die „Enge 29 30 31 32 33 34 35

Zitiert nach: Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Volksstimme, 13. Juni 1927.

6. Das „Locarno der Kultur“

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spießbürgerlicher Kommunalpolitik“ zurückgezogen, sondern sich seit jeher durch „einen hohen weltbürgerlichen Sinn“ und „einen starken Drang in die Weite“ ausgezeichnet.36 „Frankfurt und die Welt“ − das mochten zunächst zwei „scheinbar heterogene Begriffe“ sein, doch seit dem Eröffnungstag des Sommers der Musik seien beide „zu einer geistigen Einheit verschmolzen“, die „unabsehbare Ergebnisse für den Frieden Europas“ in Aussicht stelle.37 Damit formulierte auch die lokale Presse den Anspruch, Frankfurt zu einem Zentralort eines internationalen Netzwerkes zu erheben und der Stadt eine maßgebliche Rolle beim Aufbau einer neuen gesamteuropäischen Ordnung zuzubilligen. Das festliche Eröffnungszeremoniell unterstrich diesen Gedanken einer internationalen Friedenspolitik: Gemeinsam mit den „Vertretern des Reichs, Frankreichs, Belgiens usw.“ nahm der Frankfurter Oberbürgermeister in einer der Proszeniumslogen des Hauses Platz, um von hier den Darbietungen des Opernhausorchesters unter der Leitung von Clemens Krauss zu folgen.38 Zu Beginn des Festaktes präsentierte man den Zuhörern das Vorspiel aus Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg, und „festlich und feierlich“ „rauschten“ die Klänge durch das „bis auf den letzten Platz besetzte Haus“.39 Weitere musikalische Darbietungen folgten im Verlauf der Feier, so trug beispielsweise das Tschechische Streichquartett das Largo sostenuto aus dem Quartett Aus meinem Leben von Bedřich Smetana vor, ehe die „würdige und glanzvolle Feier“ mit der Darbietung der Dritten Leonoren-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven ihren Ausklang fand.40 In seiner Ansprache an die im Opernhaus versammelte internationale Festgesellschaft griff Oberbürgermeister Landmann das Motiv europäischer Völkerverständigung auf, indem er die Hoffnung aussprach, dass von der Frankfurter Kulturmesse ein Impuls zur „Neubildung der Menschheit auf dem alten Kontinent“ ausgehen solle.41 In einer gemeinsamen Musikkultur erblickte er dabei ein wirkmächtiges Symbol friedlichen Miteinanders. Ein „Fest der Kultur“ und der Musik schien ihm „das beste Medium“, um eine echte „Zeitenwende“ herbeizuführen, bilde doch die „Welt der Töne“ einen Besitz „der ganzen Menschheit, aller Völker, aller Zeiten“ und „aller Kulturstufen“.42 Indem er die Musik zum „Esperanto der Welt der Empfindungen“ erhob und ihr die Fähigkeit zuerkannte, die brachliegenden „Kräfte der Verständigung und des Verständnisses“ zu wecken und in einem „Schrei nach Seele und Innerlichkeit“ zu artikulieren, machte er sie zum Fundament einer kollektiv

36 37 38 39 40 41 42

Frankfurter Nachrichten, 12. Juni 1927. Ebd. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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geteilten Erfahrungs- und Wertewelt, auf dem sich das erhoffte gemeinsame europäische ,Staatenhaus‘ errichten ließ.43 Den maßgeblichen Ideengeber und Wegbereiter dieses Neubeginns sah Landmann dabei in Ludwig van Beethoven, dessen Todestag er zum Anlass nahm, um die Ausstellung als eine Geste der „Huldigung an den Genius Beethoven“ herauszustellen.44 Kaum ein anderer Künstler, so führte Landmann aus, habe sich in so hohem Maß den Belangen seiner Gegenwart zugewandt, habe „so für sein Ideal gelitten und gekämpft“ und so innig daran „geglaubt“ wie Beethoven.45 Dieses im Dienste der Humanität „gelebte Ideal“ solle zur Richtschnur der Politiker Europas werden.46 Landmanns auffällige Hervorhebung einer ästhetisch hervorgebrachten und gemeinsam geteilten „Welt der Empfindungen“47 schloss konzeptionell und rhetorisch an die von der Frankfurter Zeitung geforderte „gefühlsmäßige Annäherung“ der „durch die tragische Geschichte der jüngsten Zeit“ entfremdeten europäischen Staatenwelt an, die sich der Bedeutung des „Kulturbegriff[s]“ Europa aufs Neue bewusst werden müsse.48 Dieser Auffassung gemäß konnte das Vertragswerk von Locarno nur einen Mosaikstein der angestrebten ,Politik des Neubeginns‘ bilden. Zusätzlich aber bedurfte es – die Rede Landmanns verdeutlicht dies – einer affektiven Bindung an jene ,Politik des Neubeginns‘, da erst ein die europäische Staatengemeinschaft verbindendes Kulturideal jenen bergenden Rahmen bieten konnte, in den realpolitisches Handeln eingelassen war. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der spezifische Stellenwert, den die zeitgenössische Lesart dem Komponistensymbol Beethoven beimaß: Die am 11. Juni im Frankfurter Opernhaus anwesenden Staats- und Regierungsvertreter nahmen den Komponisten als „Führer“ einer europäischen „Völkerverständigung“ wahr und erhoben ihn auf diesem Weg zur Ikone einer gemeinsamen Musikkultur.49 43 44 45 46 47 48 49

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 11. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass es gerade 1927 an unterschiedlichen und teils erheblich voneinander divergierenden Beethoven-Bildern nicht mangelte und der Komponist nicht nur von den Kulturpolitikern Frankfurts als probater politischer Mythos wahrgenommen wurde, mittels dessen die je eigenen politischen Ideen autorisiert und kommuniziert werden konnten. Die Jahresfeier von Beethovens 100. Todestag war vielmehr ein Ereignis von weltweiter Bedeutung, wobei sich die ,Welt‘, von der hier die Rede ist, nach den Beobachtungen des Musikwissenschaftlers Esteban Buch auf diejenigen Teile des Globus beschränkte, „wo die abendländische Kultur dominierte oder wenigstens als anerkannt galt“. So feierte man Beethoven denn beispielsweise in New York als Inbegriff des ,wahren Demokraten‘, während man ihn in Moskau vor allem als Revolutionär“ begrüßte. Vgl. hierzu Esteban Buch: Beethovens Neunte. Eine Biographie, Berlin/München 2000, S. 222ff. Auch die französische Kulturpolitik feierte vor allem den zugleich romantisch

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Landmann ging im Verlauf seiner Rede deshalb auch noch ausführlicher auf die gesellschaftliche und politische Bedeutung der Musik ein. Seinem Verständnis gemäß bildete sie den „Grundakkord“, „der durch das Leben aller dringt und von Allen verstanden wird“, da sie es von allen Künsten am unmittelbarsten vermöge, „das kulturelle Gemeinschaftsgefühl der Menschen“ zum Ausdruck zu bringen.50 Mit dieser Begriffsbestimmung folgte Landmann der von dem renommierten Musikwissenschaftlicher Guido Adler (1855– 1941) vertretenen Forderung, Musik zu einem „integrierenden Instrument des die Gesellschaft leitenden Kulturverständnisses“ zu machen.51 In einem Beitrag für die Frankfurter Zeitung ging Adler, der bis 1927 als Ordinarius für Musikgeschichte an der Universität Wien gelehrt hatte und als Mitbegründer der modernen Musikwissenschaft gilt, ausführlich auf das Thema ,Nationalismus und Internationalismus in der Musik‘ ein und überantwortete der Musik einen elementaren Kulturauftrag. Eine gemeinsame europäische Musikkultur zählte er zu den zentralen „Fundamenten“, auf denen die erhoffte Völkerverständigung aufbauen müsse.52 Hervorgegangen aus der „Verbindung und Vermischung“ der einzelnen Nationalkulturen beziehe sie ihre „organische Macht und Kraft“ nur aus einer „Symbiose“ unterschiedlicher nationaler Elemente.53 Als Geistes- und Kulturwissenschaft sollte die Musikforschung nach dem Willen Adlers dazu beitragen, die „einheitsstiftende Generalentwicklung“ der europäischen Musikkultur heraus zu destillieren,

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51

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und revolutionär gesinnten Tragiker, der in seinen Symphonien, Sonaten und Quartetten „die Auflehnung des Menschen gegen die Grausamkeit des Schicksals“ schilderte und das „Reich der Schönheit, des Friedens, der menschlichen Brüderlichkeit“ beschwor. Vgl. Beilage zum ,Ersten Morgenblatt‘ der Frankfurter Zeitung vom 27. März 1927. Besonders kontrovers war dagegen die Aufnahme Beethovens innerhalb der offiziellen Fest- und Gedenkpolitik Weimar-Deutschlands. Hier brachten die sehr unterschiedlichen Deutungen des Komponisten-Symbols die politische und mentale Fragmentierung des Bürgertums zum Ausdruck: Das nationalistische Lager feierte Beethoven so etwa enthusiastisch als „Festung, die kein Versailler Vertrag zu zerstören vermag“, während der Komponist Hanns Eisler die ,Ode an die Freiheit‘ „mit dem Kampf des Proletariats“ und Schillers Epoche mit den Repressionen der Regierung in Zusammenhang brachte. Insgesamt, so das Urteil Buchs, spiegelte sich in den Debatten um die ,richtige‘ Ausdeutung der Werkidee Beethovens jene für Weimar-Deutschland spezifische „Verkrampfung“ wider, die „die kulturelle Identität stets [in den] Mittelpunkt der nationalen Identität“ gestellt hatte. Mit dieser Verquickung verband sich deshalb die politische Aufladung und Überhitzung der Kunst. Vgl. Buch: Beethovens Neunte, S. 230. Siehe den ausführlichen Wortlaut der Begrüßungsrede von Ludwig Landmann am 11. Juni 1927 in: Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main, Bd. I: Ausstellung ,Musik im Leben der Völker‘, Sommer 1927, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 2587. Volker Kalisch: Unmaßgebliche Bemerkungen zu einem maßgeblichen Konzept: Guido Adlers Musikwissenschaftsentwurf, in: Anselm Gerhard (Hrsg.): Musikwissenschaft – Eine verspätete Disziplin? Die akademische Musikforschung zwischen Fortschrittsglauben und Modernitätsverweigerung, Stuttgart 2000, S. 69–85, hier S. 84. Guido Adler: Nationalismus und Internationalismus in der Musik, in: Frankfurter Zeitung, 3. Juli 1927, Zweites Morgenblatt. Ebd.

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die sich bei aller zu beobachtenden Pluralität doch aus einer gemeinsamen Tradition herleiten lasse.54 Der sich allmählich universitär etablierenden Musikwissenschaft übertrug er die Aufgabe, diejenigen Gesetze zu formulieren, die der „Zerfahrenheit der modernen Kunstzustände“55 entgegenwirken und damit einen „wissenschaftlich kontrollierten Brückenschlag zwischen Musikwissenschaft und Musikkultur“ in die Wege leiten sollten.56 Adlers vornehmlich historisch angelegtes musikwissenschaftliches Konzept war dabei einem Idealismus verpflichtet, der auf dem Vertrauen in die Möglichkeit einer „Synthese“ aller „Einzel- und Gesamterscheinungen“ des Kulturellen aufruhte.57 Hierbei favorisierte er einen Stilbegriff, der musikgeschichtliche Phänomene in ihren kulturellen Kontext einordnen wollte, um den inneren Zusammenhang der europäischen Musikentwicklung nachzuweisen.58 Jede Nation, so meinte er, habe im Verlauf der europäischen Musikgeschichte ihre jeweils „größte Spannkraft“ entfalten können.59 Durch diesen „stets flüssigen Wechselverkehr“ nahmen die „Hochblütekulturen“ der „Deutsche[n], Engländer, Franzosen, Italiener und Spanier“ in den „einzelnen Stilperioden“ eine geradezu „universelle Stellung“ ein, so dass die Musik für Adler das „Symbol“ für die „innigste Völkerverständigung“ darstellte, ein „Etwas“ verkörperte, das „nicht nur international, sondern übernational“ angelegt war.60 Aus diesem Grund könne sie als „völkerverbindende Macht“ und „Seelensprache“ auch am ehesten dazu beitragen, die „chauvinistische Ueberhebung“, die Adler als „traurigste Verirrung unserer zerklüfteten Zeit“ ansah, zu überwinden.61 Musikwissenschaft und Symbolpolitik sahen sich damit komplementären Zielen verpflichtet. Im Rahmen seiner Festansprache zeigte sich auch Ludwig Landmann überzeugt, dass Europa mehr als je zuvor auf das Bewusstsein seiner geistigen Verbundenheit angewiesen war. Landmann sah die jüngste Vergangenheit und Gegenwart als transitorische „Wende zweier Zeitalter“62 : „Ein Strom des Erneuerungswillens hat uns alle erfasst“, glaubte Frankfurts Stadtoberhaupt.63 Noch immer „zitter[e]“ das „große Weltgeschehen nach“, noch immer ringe Europa verzweifelt „nach neuen Daseinsformen“ und einem „neuen Lebensideal“.64 Die „Zerfahrenheit“, die Adler den „modernen 54 55 56 57 58 59 60 61 62

63 64

Kalisch: Unmaßgebliche Bemerkungen, S. 83. Guido Adler: Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, in: Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft 1/1885, S. 5–20, hier S. 6. Kalisch: Unmaßgebliche Bemerkungen, S. 71. Guido Adler: Methode der Musikgeschichte, Leipzig 1919, S. 113. Vgl. hierzu Kalisch: Unmaßgebliche Bemerkungen, S. 79. Adler: Nationalismus und Internationalismus in der Musik. Ebd. Ebd. Vgl. den ausführlichen Wortlaut der Begrüßungsrede von Ludwig Landmann am 11. Juni 1927, in: Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main, Bd. I: Ausstellung ,Musik im Leben der Völker‘, Sommer 1927, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 2587. Ebd. Ebd.

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Kunstzustände[n]“ attestiert hatte, übertrug Landmann damit auf die sozialen, ethischen und politischen Entwicklungen der Gegenwart.65 Dabei warnte der Frankfurter Oberbürgermeister davor, angesichts solch drängender Probleme in Resignation oder politische Reaktion zu verfallen: Gegenüber den „Mächten des Beharrens“ sah Landmann vielmehr auch „neue Triebkräfte stürmisch am Werk“, die „dem modernen Leben“ die ihm angemessenen „Formen [...] geben“ könnten.66 Als eine dieser formenden Kräfte sah der Politiker Landmann gerade auch die Musik an, so dass hier politischer und wissenschaftlicher Diskurs unmittelbar aufeinander bezogen waren. Beide Äußerungsweisen schrieben der Musik die Fähigkeit zu, den Auf- und Umbau gesellschaftspolitischer Realität begleitend vorantreiben zu können. Landmanns Rede zeichnete sich des weiteren durch ihre appellativen und bekenntnishaften Züge aus, gab sich der Politiker doch offen als Anhänger eines europäischen Kulturideals zu erkennen, dem er die Fähigkeit zu einer umfassenden Rekonzeptualisierung des Politischen überantwortete. An die Rede Landmanns schlossen sich unter anderem Ansprachen Gustav Stresemanns, Édouard Herriots sowie des belgischen Minister Camille Huysmans an, so dass für die Frankfurter Zeitung der „europäische Charakter der Veranstaltung“ eindrücklich hervortrat.67 Herriot (1872–1957), der der 1901 gegründeten moderaten Mitte-Links-Partei ,parti radical‘ angehörte und zwischen 1924 und 1932 insgesamt drei Mal das Amt des Premierministers innehatte, stimmte dabei den Ausführungen Landmanns zu und mahnte seine Zuhörer, nicht als „Genießer einer Reihe von Vergnügungen“ am Sommer der Musik teilzunehmen, sondern als „Menschen“ und als Staatsmänner, die „festen und entschlossenen Willens sind“, die „große Masse der Völker für die musikalische Kultur zu gewinnen“.68 Die Musik erklärte Herriot hierbei zu einem „wesentlichen Bestandteil“ einer „Ethik der neuen Zeit“, und auch er bezog sich bewusst auf Beethoven als Garanten dieser „höhere[n] Form der menschlichen Kultur“.69 Wie Landmann oder Sutter vertraute auch der französische Kultusminister auf die spezifischen Potenziale einer gemeinsamen Symbolpolitik, die seiner Ansicht nach als „geistige Vorarbeit“ das Ferment jeder Form realpolitischen Handelns darstellte.70 Dass Herriot mit seinen Ausführungen „die Herzen seiner Zuhörer“ getroffen hatte, zeigte nach Ansicht der Frankfurter Zeitung der „[s]türmische Beifall“, der „immer wieder neu losbrach“.71 Den Gesamtverlauf der Feier bewertete das Blatt daher positiv: Alle Beteiligten – 65 66

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Adler: Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, S. 6. Vgl. den ausführlichen Wortlaut der Begrüßungsrede von Ludwig Landmann am 11. Juni 1927, in: in: Magistratsakten der Stadt Frankfurt am Main, Bd. I: Ausstellung ,Musik im Leben der Völker‘, Sommer 1927, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur 2587. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Erstes Morgenblatt. Ebd. Ebd. Ebd.

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so hieß es – hätten den Eindruck vermittelt, nicht nur einen lästigen „Höflichkeitsbesuch“ absolviert zu haben.72 Viel eher schien den geladenen Gästen „der Wunsch aus dem Herzen zu kommen, daß dieser Sommer der Musik die Geister eine Wegstrecke weiter führe zu dem Ziele einer Einigung der Völker“.73 In diesem Sinne attestierte man der Veranstaltung eine weit über „das gemeinsame Interesse an der Kunst“ hinausweisende eminent „politische Bedeutung“.74 Gleichwohl warnte die Frankfurter Zeitung davor, den in zahlreichen Festreden immer wieder geäußerten „Wunsch nach Vergeistigung“ und „Beseelung“ allzu leichtfertig bereits als Erfolg zu werten.75 Das Blatt erinnerte daran, wie oft dieser „Wunsch“ und „Wille“ zu „gemeinsamer kultureller Arbeit“ bereits laut geworden sei, und wie oft „der Materialismus und der Egoismus des Einzelvolkes den Sieg über die gemeinsamen Ideale“ davongetragen hätten.76 Die Frankfurter Zeitung hoffte denn auch, dass die Eröffnung der internationalen Ausstellung mit ihren „schönen harmonischen Klängen“ nicht „einschläfernd“ verhalle, sondern eine aufrüttelnde, anfeuernde Wirkung entfalten könne.77 Wie „ein Trommelwirbel“ sollte das Frankfurter Musikfest „alle Friedenskämpfer in allen europäischen Ländern“ dazu bringen, „sich in Marsch zu setzen zu dem Kampf gegen alle Friedensbehinderer, Unfriedensäer, Haßerzeuger“.78 Die Offenbacher Volkszeitung räumte ihrerseits ein, dass die im Opernhaus versammelten Politiker „die an sich so außerpolitische Welt der Musik“ gar nicht anders als mit „politischen Augen“ betrachten könnten.79 Ihrer Ansicht nach musste der Sommer der Musik schon aus diesem Grund „gesellschaftliche und politische Auswirkungen“ zeitigen und als ein positiv zu veranschlagendes „Ereignis“ bewertet werden.80 Die Festlichkeiten im Frankfurter Opernhaus trugen somit dazu bei, die symbolpolitischen Dimensionen des Sommers der Musik abzustecken. Beethoven markierte dabei den Bezugspunkt der gemeinsamen „kämpferische[n] Sache“, da seine Musik als aktivierend-beflügelnde und Einheit stiftende Macht beschrieben wurde.81 Was die rhetorisch noch so ausgefeilten und aufrüttelnden Festreden der Politiker allein nicht vermochten, das gelang der ,Sprache‘ des europaweit so verehrten Komponisten scheinbar mit Leichtigkeit: Als nämlich am Schluss des festlichen Empfangs das Orchester der 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 13. Juni 1927, Abendblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Offenbacher Volkszeitung, 11. Juni 1927. Ebd. Frankfurter Zeitung, 13. Juni 1927, Abendblatt.

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Pariser Gesellschaft der Konservatoriumskonzerte die „Leonoren-Ouverture“ anstimmte und „mit einem Verständnis“, einer außerordentlichen „Subtilität“ und einer „vollendeten Schönheit im Klang“ interpretierte, da − so begeisterte sich die Frankfurter Zeitung − „durchfuhr die Hörer neben der Freude eine tiefe Erschütterung, daß von dem scheinbar fremden Volke uns als Gabe die ureigenste Schöpfung des deutschen Genies gereicht wurde“.82 Mit dieser Geste einer gelebten und erlebten Völkerverständigung waren die Eröffnungsfeierlichkeiten allerdings noch nicht zu Ende, denn ihren Abschluss fanden sie erst am Tag darauf mit einer Aufführung von Beethovens Fidelio. Die Frankfurter Zeitung war überzeugt, dass diese Operninszenierung unzweifelhaft die „Krönung des Ganzen“ bedeute.83 Und auch die Volksstimme berichtete: „Vor einer ebenso zahlreichen wie andächtigen Zuhörerschaft gab das Opernhaus unter Clemens Krauss [...] am Sonntag Abend eine ,Fidelio‘-Aufführung“, die „ohne Zweifel dazu beitragen“ könne, Frankfurts guten Ruf als europäische Metropole zu erhöhen.84 Aus „aller Herren Länder“ waren die Zuhörer nach Frankfurt gereist, unter ihnen „Minister und Regierungsdelegierte, Künstler und Kunstkritiker aus allen europäischen Kulturzentren“, und aus „aller Munde kam nur eine Stimme des Lobes über die bis ins kleinste vorzüglich gelungene Aufführung“.85 Die Bühnenbilder, die Ludwig Sievert bereits für die Frankfurter Fidelio-Inszenierung 1926 entworfen hatte, brachten das Motiv des Neubeginns einprägsam zum Ausdruck. Zeigte ein erstes Bühnenbild den finsteren Kerker, in dem Florestan und die anderen Gefangenen festgehalten werden, gab ein zweites Bühnenbild den Blick auf den hell erleuchteten ,Platz vor dem Ausgang des Kerkers‘ frei: Die Sonne der Freiheit und Brüderlichkeit führt die Gefangenen in ein neues Leben und vereint Florestan und Leonore. Der im Vertragswerk von Locarno fixierte Grundsatz des gesamteuropäischen Neubeginns und des völkerverbindenden Miteinanders wurde beim Frankfurter ,Locarno der Kultur‘ nun in die einprägsamen Bild- und Klangwelten des Fidelio überführt und erfahrbar gemacht (Abb. 26 und 27). Karl Holl, der Musikredakteur der Frankfurter Zeitung, hatte die bürgerliche Öffentlichkeit Frankfurts bereits mit seinen Überlegungen zu „Beethoven und unsere Generation“ auf den Musiksommer vorbereitet und dazu beigetragen, den Komponisten zur maßgeblichen Referenzgröße einer orientierungslosen Zeit zu stilisieren.86 In emphatischem Duktus beschrieb er den Komponisten als „Totalität am geistigen Horizont unseres Daseins“, den sich jeder nach Sinn und Richtung Verlangende zum Lehr82 83 84 85 86

Frankfurter Zeitung, 12. Juni 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 13. Juni 1927, Morgenblatt. Volksstimme, 13. Juni 1927. Ebd. Karl Holl: Beethoven und unsere Generation, in: Frankfurter Zeitung, 27. März 1927, Zweites Morgenblatt.

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Abbildung 26: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Ludwig van Beethovens Fidelio (Hof des Staatsgefängnisses, 1926)

meister nehmen könne.87 Jede Generation, so meinte Holl, müsse sich dabei ihr eigenes „Beethoven-Erlebnis“ erschließen.88 Diese Aneignung konnte aus seiner Sicht allerdings nicht mit jener Fülle von Festaufführungen erzielt werden, die man dem Komponisten in seinem Todesjahr „wie einem zu fürchtenden Dämon“ darbrachte.89 Vielmehr bedürfe es einer aufgeschlossenen und kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk Beethovens.90 Dieser Aneignungsprozess stellte gerade für die Zeitgenossen der 1920er Jahre eine außerordentliche Herausforderung dar: Aufgewachsen im Zeichen einer „romantischen Auffassung“, die den „Pathetiker“ Beethoven, den „vom Schicksal Getroffene[n]“ in den Vordergrund gestellt habe, seien sie gezwungen worden, diesen „romantischen Subjektivismus“ hinter sich zu lassen und den Blick dem „souveräne[n] Musik-Bildner“ zuzuwenden, der vornehmlich 87 88 89 90

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Abbildung 27: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Ludwig van Beethovens Fidelio (Platz vor dem Ausgang des Kerkers, 1926)

durch seinen eigenständigen Umgang mit tradierten klassischen Formen bestach.91 Diese zweite Stufe der zeitgenössischen Beethoven-Rezeption war für Holl ganz besonders geprägt durch die „Befreiung von Weltschmerz, von Selbstanalyse und Stimmungswahn“, die die romantische Sichtweise in den Vordergrund gestellt hatte.92 Doch auch diese zweite Stufe, so glaubte Holl, müsse überwunden werden und in eine Phase der produktiven Neuaneignung einmünden. Jenseits „romantischer Selbstdarstellung und antiromantischer Nur-Sachlichkeit“ lasse sich in der Musik Beethovens unmissverständlich auch der Ruf nach „Freiheit in der Verbundenheit“ vernehmen sowie die Aufforderung zur „Gestaltung des Gemeinsamen“.93 Die „innere Not“ der Gegenwart dränge danach, neue und „lebendige Formen“ zu schaffen.94 Holl erhob Beethovens Musik hier zum Symbol eines ästhetisch erwirkten gesellschaftlichen und politischen Neubeginns, wobei er mit der Figur der ,lebendigen Form‘ ganz bewusst an das von Paul Bekker entworfene Konzept anknüpfte. Wie dieser verwies Holl auf die besondere Erlebnis-Dimension der Musik, die – mehr noch als die anderen Künste – dazu beitragen sollte, eine neue symbolische Ordnung 91 92 93 94

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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zu erzeugen. Seine Darlegungen überzeugen dabei durch das Ineinandergreifen von musikästhetischem Fachdiskurs, kulturkritischer Analyse und gesellschaftlichem Appell. Zugleich lassen sich die Ausführungen des Musikredakteurs als Teil eines semantischen Netzwerkes beschreiben, an das auch die politischen Initiatoren des Sommers der Musik anknüpfen konnten, indem sie auf den ,Mythos Beethoven‘ zurückgriffen und diesen für die politischen Anliegen des Ausstellungssommers in Anspruch nahmen. Sowohl auf der nationalen Ebene als auch im internationalen Kontext konnte Beethoven somit zu einem wirkmächtigen Symbol kultureller Selbstdefinition werden und eine gesamteuropäisch integrative und sinnstiftende Wirkmacht entfalten. Der Sommer der Musik fand in der Inszenierung des Fidelio, in den ihr vorausgehenden Ansprachen und den sie flankierenden musikästhetischen und soziologischen Analysen einen ersten festlichen Höhepunkt. Seine besondere Wirkmacht entfaltete er aber nicht so sehr durch die außeralltägliche FesttagsAtmosphäre, durch die Opulenz seiner Exponate und die Menge der vielfältigen Veranstaltungen. Vielmehr wurde er für die politische Festkultur der Weimarer Zeit deshalb zu einem zentralen Ereignis, weil sich hier abermals jene Bekenntnis-Kultur manifestierte, die bereits für die Goethewoche und die Paulskirchenfeier charakteristisch war. In ihren Ansprachen an die im Opernhaus versammelten politischen Eliten der europäischen Staaten thematisierten die Festredner eigene politische Überzeugungen, um auf diese Weise ein als besonders authentisch gerahmtes Zeugnis eines politischen Neubeginns abzulegen. Indem sie sich in ihrem Gestus des Bekennens vor einem Publikum exponierten, initiierten sie zugleich auch neuartige politische Kommunikationsformen: Anders als in der Zeit des Kaiserreiches wurden symbolpolitisch markante Festanlässe nicht mehr schweigend absolviert, sondern das redende, an eine Zuhörerschaft appellierende Subjekt sollte nun die Legitimität einer neuen politischen Ordnung bekunden. Damit wurde eine andersartige – nämlich ausdrücklich reflexiv-selbstreferentielle – Logik der Repräsentation in das festliche Ritual des Opernbesuchs eingeschleust: Der Redner thematisierte sich selbst und warb so um Unterstützung für seine politischen Visionen. Die Wirkmacht einer solchen gravitätischen Pathosgeste wurde durch die Atmosphäre des Opernraums zusätzlich mit Gewicht aufgeladen, da das Theater seit je einen Ort der leidenschaftlichen Gefühlsäußerung, des emotionalen Appells und der werbenden Selbstexplikation bezeichnete.

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6.3 Das Theater als „Werkraum der Demokratie“95 Die zeremonielle Dimension des Opernbesuchs nahm im Gesamtarrangement des Festtages eine zentrale Funktion ein. Zeitgenossen wie Paul Bekker erkannten dem Theaterraum eine besondere „Kraft der Vergemeinschaftung“ zu.96 Das Theater charakterisierte er als einen konkreten topographischen „Wahrnehmungsraum“, in dem die Hörerschaft als „Kollektivwesen“ zusammenfinden und einen gemeinsamen ästhetischen Erwartungshorizont aufbauen könne.97 Somit verwandele sich der Theaterbau im Moment der Aufführung eines Kunstwerkes vor einem anwesenden Publikum in einen sozialen Raum, der dazu beitrage, Ordnung und Sinn zu generieren.98 Neben Paul Bekker erblickten viele zeitgenössische Intellektuelle in Theater und Oper nach wie vor Schlüsselinstitutionen, in denen gesellschaftliche und politische Problemlagen bearbeitet werden konnten. In einem Beitrag für die Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurts griff der Journalist und Musikpublizist Werner Thormann (1894–1947) Bekkers Formkonzept gezielt auf, indem er das Theater als einen „Werkraum der Demokratie“ bezeichnete.99 Auch Thormann war überzeugt, dass das Publikum im Theater „mitschöpferisch“ tätig sei und mithelfe, das Theater als „Zeitsymbol“ lebendig werden zu lassen, wobei es ihm vor allem darum ging, in der ästhetischen Darbietung den „künstlerische[n] Ausdruck“ drängender „Lebensfragen“ aufzuspüren.100 Thormann dachte hier vor allem an die Herausforderungen, die „Weltzivilisation, Weltwirtschaft“ und „Weltverkehr“ an die Gegenwart stellten.101 Diese globalen Problemlagen führte er auf das „Ende des bürgerlichen Zeitalters“, 95 96

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99 100 101

Werner Thormann: Bühne und Zeit, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 7/8 (13./26. Februar 1928), S. 116–118, hier S. 117. Rudolf Schlögl: Der Raum als ,Universalmedium‘ in der frühneuzeitlichen Stadt, Manuskript eines Vortrags, gehalten am 9. November 2004 im Rahmen der Tagung ,Machträume in der frühneuzeitlichen Stadt‘, die vom Teilprojekt S des SFB 537 in Dresden veranstaltet wurde. Eine erweiterte Publikation ist vorgesehen (vgl. http://www.unikonstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Schloegl/Schloegl/RaumalsUniver salmedium03.pdf, S. 2; letzter Zugriff: 13.12.08). Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 23. Vgl. konzeptionell vor allem Schlögl: Der Raum als ,Universalmedium‘ in der frühneuzeitlichen Stadt, S. 3. In seinem ,Musikleben‘ verglich Bekker die Gemeinschaft stiftende Kraft des Theaterraumes vielfach mit den Kathedralen und Domen des Mittelalters. Diese Architekturmetapher hob die Bedeutung des bergenden, Einheit stiftenden und „Visionen der Ganzheit“ evozierenden Sakralraumes hervor und übertrug diese egalisierenden und verbindenden Potenziale des Kirchenraumes auf Oper und Theater, so dass diese gleichfalls als Generatoren gesellschaftlicher Ordnung wirksam werden konnten. Vgl. zu Bekkers Raumbegriff auch Eichhorn: „Magister, Magister“, S. 51. Ebd., S. 117. Ebd. Ebd.

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namentlich aber auf Phänomene wie Urbanisierung oder Technologisierung zurück, die die Lebensumstände der Menschen nachdrücklich veränderten.102 Diese drängenden Probleme könnten – so Thormanns Überlegungen – nur gelöst werden, wenn man bereit sei, in beherzter Weise „Neuland“ zu betreten und die „Anarchie des Uebergangs“ in einen „positiven Zustand“ zu überführen.103 Das Theater zeichnete sich demnach durch seinen experimentellen Charakter aus, eine Facette, die bereits während der Goethefeier 1922 präsent gewesen war. Wie Bekker plädierte Thormann für einen dynamischen, ästhetisch-soziologischen Form- und Gesellschaftsbegriff, der sensibel auf die Problemlagen der eigenen Gegenwart reagieren sollte. Diese Begriffsbestimmung vollzog einen radikalen Bruch mit der Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts, die das Theater vielfach mit einer sakralen Aura ausgestattet und als Bereich außeralltäglicher Erfahrung markiert hatte. Entsprechend mahnte Thormann denn auch, dass das „verhängnisvolle Schlagwort vom Theater der Volk- und Kulturgemeinschaft“ noch immer in den Köpfen herumspuke, obwohl „wir in dem Sinne, wie es damit gemeint ist, kein Volk sind, und also auch keine Volkskultur kennen“.104 Demgegenüber betonte er die unmittelbar lebensweltliche Relevanz von Oper und Schauspiel: Die Bühne als ,Werkraum‘ zu bezeichnen, implizierte zugleich, sie in die Lebenswelt des Einzelnen zurückzuholen, ihr den Nimbus des ausgesucht Elitären zu nehmen und sie als eine Art kollektiven Arbeitsraum zu beanspruchen, in dem verbindliche und als handlungsrelevant eingestufte Ordnungsmuster hervorgebracht, ja im wahrsten Sinne des Wortes hergestellt werden sollten. Das Theater war für ihn deshalb in erster Linie ein Labor gesellschaftspolitischer Entwürfe, in dem sich durch die Synthese von Kunst und Politik ein umfassender gesellschaftlicher Neubeginn vollziehen konnte. Thormanns gesellschaftspolitisch konnotierte Theatermetapher, die die Bühne zum Arbeitsraum, zur Werkstatt, zum Laboratorium erklärte, weist zudem auffallende Parallelen zu den kunstästhetischen Prämissen des 1907 in München gegründeten Werkbundes auf. Dieser strebte eine Rückbesinnung auf die Qualität handwerklicher Kultur an und arbeitete gleichfalls darauf hin, experimentell eine neue Formsprache zu entwickeln, die auf die Herausforderungen des Industrie- und Massenzeitalters reagieren sollte. Aber nicht allein musiksoziologisch argumentierende Publizisten wie Bekker und Thormann waren von der raumsymbolischen Wirkmacht des Theaters überzeugt. Auch die Staatsmänner, Diplomaten und Journalisten, die sich am 11. und 12. Juni 1927 im Frankfurter Opernhaus zur festlichen Eröffnung des Sommers der Musik zusammengefunden hatten, wiesen dem Opernhaus als einem Ort der Begegnung und der politischen Kommunikation eine besondere Prägekraft zu. Immer wieder wurde auf die Präsenz 102 103 104

Ebd. Ebd., S. 118. Ebd.

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und Orientierung stiftende Kraft des gestalteten und gestaltenden Raumes verwiesen, dem die Fähigkeit zur Sichtbarmachung gesellschaftlicher und politischer Ordnungsmuster überantwortet wurde. Die Offenbacher Volkszeitung konstatierte selbstbewusst: „Mit einem von allem Glanz internationaler Repräsentation umstrahlten Festakt hat heute der ,Sommer der Musik‘ in Frankfurt begonnen.“105 Das Frankfurter Opernhaus selbst wurde in der Berichterstattung des Blattes zu einem der zentralen Protagonisten erhoben, denn es „sieht außerordentliche Gäste, [...] sieht das repräsentative Orchester Frankreichs, sieht eine Fülle von Musikern internationalen Rangs, sieht die Vertreter vieler deutscher Länder und Städte“.106 Die besondere soziale Funktion des Raummediums Oper erblickten die Vertreter der Presse vor allem darin, dass hier politische Rituale geschaffen und bereits verloren geglaubte Mechanismen des gesellschaftlichen Miteinanders aufs Neue eingeübt und vorgeführt werden konnten: „Es ist schon etwas daran“, meinte die Offenbacher Volkszeitung in der Rückschau auf die Aufführung des Fidelio am 12. Juni 1927, „wenn wir jetzt wieder in der Art zivilisierter Menschen zusammenleben“.107 Niemand, so räumte das Blatt ein, solle diese Gesten „überschätzen“, allerdings nur deshalb nicht, „weil man eben von ,Selbstverständlichkeiten‘ nicht viel Aufhebens macht. Wie wichtig sie aber sind, wird erst im Vergleich mit den noch garnicht so weit zurückliegenden Zeiten klar, als diese ,Selbstverständlichkeiten‘ nicht mehr existierten“.108 Diese Aussage der Zeitung unterstreicht eindrücklich, dass das Opernhaus von den Zeitgenossen tatsächlich als eine Art Werkstatt wahrgenommen wurde, in der verbindliche, symbolisch generierte Ordnungszusammenhänge entworfen und gesellschaftliche und politische Umgangsformen wieder trainiert werden konnten. Das Unmittelbarkeit signalisierende politische Bekenntnis und das ein gemeinsames europäisches Kulturerbe symbolisierende ästhetische Erlebnis gingen hierbei eine bezugreiche Allianz ein und garantierten die außerordentliche Wirkung des Festes. Dergestalt hoffte man darauf, verloren geglaubte Selbstverständlichkeiten eines europäischen Zivilisationsideals wiederherstellen zu können. Der Berichterstatter der Offenbacher Volkszeitung fuhr in seiner Darstellung des Opernabends nämlich fort: „[W]enn die Existenz Europas auf die Dauer auch davon abhängt, ob sich gemeineuropäische Substanz innerhalb der geistig führenden Schichten genügend in Persönlichkeiten, in ,Europäern‘ konkretisiert, dann hat auch das gemeineuropäische Erlebnis eines gemeineuropäischen musikalischen Besitzes indirekt eine politische Aufgabe.“109

Gemeinschaft erzeugender Raum und Gemeinschaft stiftendes Kunsterlebnis 105 106 107 108 109

Offenbacher Volkszeitung, 11. Juni 1927. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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waren damit gerade in der Oper eng aufeinander bezogen und schufen einen Erfahrungsraum, in dem sich die angestrebte europäische Versöhnungspolitik vorsichtig entfalten konnte (Abb. 28). Frankfurt machte sich dergestalt sehr viel entschiedener zum Anwalt der Weimarer Politik als dies im Falle Wiesbadens, das immerhin preußischer Regierungssitz war, beobachtet werden kann. Paul Bekkers Ideal der ,lebendigen Form‘ schien im Verlauf des Musiksommers tatsächlich Gestalt anzunehmen, was abermals darauf hindeutet, dass Frankfurt sich erfolgreich als ,zweite Hauptstadt‘ der Republik behaupten konnte. Eine Darstellung des weiteren Verlaufs des Ausstellungssommers kann dazu beitragen, diesen Eindruck zu bestärken und das innovative Potential der Kulturmesse plastischer zu konturieren.

Abbildung 28: Zeichnung zur Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker (Frankfurter Nachrichten, 27. Juli 1927)

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6.4 Musik im „Geiste der allmenschlichen Geltung“110 (P. Bekker): Doktor Faust beim Sommer der Musik In seinen Überlegungen zur „Weltgeltung der deutschen Musik“, in denen Möglichkeiten und Probleme der institutionellen und konzeptionellen Neuausrichtung des deutschen und des europäischen Musiklebens erörtert wurden, hatte Paul Bekker bereits 1920 die Frage aufgeworfen, ob es eine zeitgenössische Musik gebe, die genug „schöpferische Kraft“ in sich trage, um „internationale Bindungen für Gegenwart und Zukunft“ schaffen zu können.111 Bekker forschte nach einen gemeinsamen europäischen Musikideal, das geeignet erschien, „Menschen und Völker“ „von Haß und gegenseitiger Erbitterung“ freizumachen112 und der „überhebliche[n] Selbsteinschätzung“ der einzelnen Nationalkulturen einen Riegel vorzuschieben.113 Gerade in Deutschland habe man − so der Vorwurf Bekkers − zu lange einen überheblichen Kunstnationalismus kultiviert, der das Eigenständige und Besondere anderer Musikkulturen zumeist ignoriert oder als „mehr oder weniger interessanten Nebenbeitrag zur Entwicklung der weltbeherrschenden deutschen Kunst“ abgetan habe.114 Wie sehr eine solche Haltung die Fähigkeit eines produktiven, wechselseitigen Austauschs gelähmt hatte, war aus Bekkers Sicht in den Jahren vor dem Ausbruch des Krieges zutage getreten, als nationalistisch-kulturchauvinistische Vorbehalte das Bewusstsein eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes verschüttet hatten.115 Umso eindringlicher würdigte er daher das „Weltbürgerideal“, das die „großen Vorbilder und Führer“ „Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven“ gelebt und verkörpert hatten.116 Bekkers stilisierte diese Komponisten zu Kündern eines universalen „Menschheitsideal[s]“, das kein „Volks-, kein Nationalgefühl“ gekannt, sondern sich „über die Grenzen des heimatlichen und nationalen Bezirks“ hinaus zum „Weltbürgertum“ aufgeschwungen habe.117 Die Wiederbelebung dieses kanonisierten Ideals weltbürgerlich-universalistischer Klassizität hielt Bekker allerdings für illusorisch. Zu tief seien noch immer die Gräben, die das 19. Jahrhundert mit dem „Auseinanderfallen“ dieses „Weltreichs“ gerissen habe118 , zu nachhaltig sei die durch den Siegeszug der Romantik bewirkte „geistige Umschichtung“ 110 111 112 113 114 115 116 117 118

Paul Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. III: Neue Musik, Stuttgart/Berlin 1923, S. 119–156, hier S. 149. Ebd., S. 148. Ebd., S. 121. Ebd., S. 147. Ebd. Ebd. Ebd., S. 129. Ebd., S. 128. Ebd., S. 129.

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vollzogen worden, die das „Prinzip der stammesartlich nationalen Sammlung“ und die „Abgrenzung gegen fremdnationale Art“ zum „Leitgedanken“ einer politisch wie ästhetisch parallel laufenden Bewegung erhoben habe.119 So sehr Bekker daher auch Beethoven als herausragenden Fürsprecher einer universalen „Menschheitssprache“ wertschätzte120 , so eindringlich rief er dazu auf, eine zeitgenössische Kunst zu pflegen, die sich der Bürde des romantischen Erbes bewusst war und aus diesem Wissen heraus die „magische Hypnose“ der Romantik zu bannen suchte.121 Nur wenn es gelinge − so glaubte Bekker −, die vermeintlichen Gegensätze nationaler Selbstbeschränkung zu überwinden, könne die Kunst erneut den „Geist der allmenschlichen Geltung“ zum Ausdruck bringen.122 Unter den modernen Musikern hob Bekker zwei „Ausnahmeerscheinungen“ heraus, denen er diese „Kraft der inneren Bindung“ zutraute123 : Frederick Delius (1862–1934) und Ferrucio Busoni (1866– 1924) stünden ihrer „Geburt und Erziehung“ zufolge „zwischen den Völkern“ und ließen in ihrem Schaffen jenen „eigentümlichen Ausgleich der Nationen erkennen“, der aus „innerster Notwendigkeit“ heraus den so sehnlich erhofften „Umschwung der Geister“ in die Wege leiten solle.124 Dass die Überzeugungen Bekkers auch von einer breiteren städtischen Öffentlichkeit geteilt wurden, zeigte sich im Verlauf des Musikfestes der ,Internationalen Gesellschaft für neue Musik‘, das im Rahmen des Musiksommers vom 29. Juni bis zum 4. Juli 1927 im Frankfurter Opernhaus stattfand und mit einer Festaufführung von Busonis Oper Doktor Faust begann (Abb. 29). Für die Frankfurter Oper stellte die Erstaufführung dieses 1925 in Dresden uraufgeführten Werkes eine willkommene Herausforderung dar, hatte die Stadt die zeitgenössische Musik doch stets besonders gepflegt.125 Bis „weit in die Nachkriegsjahre hinein“, so meinte Karl Holl, habe das Opernhaus mit seinen zahlreichen „Ur- und Erstaufführungen epochemachender Schöpfungen“ wie etwa Debussys Pelleas und Melisande auf sich aufmerksam gemacht126 , und neben Berlin stand das Frankfurter Musikleben „in Bezug auf die Pflege der zeitgenössischen Musik“ in Deutschland „an erster Stelle“.127 Frankfurts Kulturpolitik förderte die musikalische Moderne und verband dies mit dem Bekenntnis zu einem umfassenden gesellschaftspolitischen Wandel. War man 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Ebd., S. 130. Ebd., S. 137. Ebd., S. 140. Ebd., S. 149. Ebd. Ebd. Zur Rolle Frankfurts als Zentrum der modernen Musik vgl. exemplarisch Ziemer: Die Moderne hören, S. 188ff. Karl Holl: Frankfurt und die neue Musik, in: Melos. Zeitschrift für Musik 6, H. 6 (Juni 1927), S. 243f. Karl Holl: Neue Kammermusik, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 22. April 1920, zitiert nach Ziemer: Die Moderne hören, S. 189.

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in den Anfangsjahren der Republik − etwa im Fall der Goethewoche oder der Paulskirchenfeier − noch zögerlich zu Werke gegangen, indem man im Rahmen symbolpolitisch wichtiger Festanlässe ausschließlich auf etablierte Repräsentanten eines klassischen Kanons wie Mozart und Beethoven vertraut hatte, bedeutete der Sommer der Musik in der Tat eine politisch wie ästhetisch bedeutsame Hinwendung zu schöpferischer Entgrenzung, die die „Bürde“ eines traditionsgebundenen Nationalismus hinter sich lassen wollte.128 Das Musikfest der Internationalen Gesellschaft für neue Musik fand auf ausdrücklichen Wunsch der Stadt Frankfurt zum ersten Mal auf deutschem Boden statt und verstärkte den „internationale[n] Charakter der Gesamtveranstaltung“.129 Hatte sonst stets eine der Sektionen der Gesellschaft für neue Musik die Organisation des internationalen Musikfestes übernommen, ging die Initiative im Jahr 1927 „von den Autoritäten der Stadt Frankfurt aus“, wie der Vorsitzende der Gesellschaft, der renommierte britische Musikwissenschaftler Edward J. Dent (1876–1957), eigens hervorhob.130 Im Anschluss an die Festvorstellung des Faust fanden im Verlauf des Festes eine Reihe von Orchesterkonzerten und Kammermusikabenden statt. Insgesamt konnte das Musikfest − den Worten Dents zufolge − aufgrund der zuvorkommenden Haltung der Stadt Frankfurt „in einem grösseren Rahmen abgehalten“ werden als die vorangegangenen Zusammenkünfte der Gesellschaft.131 Besonders die Festaufführung des Doktor Faust sorgte für Furore: Die Vorstellung fand vor „ausverkaufte[m] Haus“ und unter der musikalischen Leitung des in Frankfurt ebenso umschwärmten wie umstrittenen Clemens Krauss statt, der an diesem Abend abermals einen „eindrucksvolle[n] Beweis seines feinen Ohrs und seines ausgesprochenen Sinnes für dekorative Klangwirkung“ lieferte.132 Neben dem amerikanischen Komponisten Aaron Copland hatten sich an diesem Abend in der Oper „eine ganze Anzahl führender Musiker Europas“ eingefunden, um bei der Frankfurter Erstaufführung des Werkes zugegen zu sein133 : Wilhelm Furtwängler, Walter Gieseking, Paul Hindemith oder Hermann Scherchen sowie Béla Bartók und Leoš Janáček waren als Ehrengäste anwesend und verkörperten den im Zeichen einer europäischen Kulturgemeinschaft stehenden „Geist der neuen Musik“.134 Ähnlich wie Bekker lobte auch Karl Holl Busonis Oper als ein geradezu „testamentarisches Werk“, das als ein „Stern am Horizont“ den Weg in die „erwünschte Zukunft“ eines wahrhaft internationalen Musiklebens weisen könne, lege seine Musik doch ein eindrückliches „Zeugnis für die 128 129 130 131 132 133 134

Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 151. Städtisches Anzeigenblatt der Stadt Frankfurt am Main, 16. April 1927. Vgl. hierzu Edward J. Dent: Zur Einleitung, in: Melos. Zeitschrift für Musik 6, H. 6 (Juni 1927), S. 240f. Ebd. Frankfurter Zeitung, 30. Juni 1927, Abendblatt. Ebd. Ebd.

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Abbildung 29: Aus dem Programm zum Fünften Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik im Frankfurter Opernhaus

Möglichkeit übernationalen künstlerischen Ausdrucks“ ab.135 Aus diesem Grund – so pflichtete auch die Frankfurter Zeitung bei – stelle sein Faust „auf theatralischem Gebiet“ das „gegebene Werk zur feierlichen Eröffnung der ersten internationalen Tagung der jungen Musiker auf deutschem Boden“ dar.136 Der Festaufführung der Oper maß man nicht zuletzt deshalb einen außerordentlichen symbolischen Stellenwert bei, da sie die Wiederaufnahme Deutschlands in das sprichwörtliche ,Konzert der Mächte‘ zum Ausdruck zu bringen schien: Das Publikum, so resümierte die Frankfurter Zeitung, habe nach dem Ende der Vorstellung „fühlbar unter dem Eindruck des Werkes“ und seiner „seltsamen, überragenden Menschlichkeit“ gestanden und so die völkerverbindende Kraft der Musik einmal mehr hervorgehoben.137 Im Anschluss an die Festvorstellung fand in den Römerhallen ein Empfang statt, der dieses Anliegen unterstreichen sollte. Die „alten Räume“ präsentierten sich bei dieser Gelegenheit „aufs vorteilhafteste“ und waren eigens mit üp135 136 137

Ebd. Ebd. Ebd.

6. Das „Locarno der Kultur“

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pigem „Blumenschmuck“ verziert worden.138 Oberbürgermeister Landmann hieß die geladenen Ehrengäste willkommen und gab seiner „Freude und Genugtuung darüber Ausdruck“, dass das erste Musikfest der Internationalen Gesellschaft für neue Musik in Frankfurt stattfand, wo man die „völkerverbindende Sendschaft der Musik“ seit jeher hoch schätzte.139 Auch Edward J. Dent zeigte sich zufrieden mit dem Verlauf der Feier und versicherte dem Oberbürgermeister in einem späteren Dankschreiben, dass die Internationale Gesellschaft noch niemals zuvor „ein Fest in so glanzvollem Stile“ habe feiern dürfen und Frankfurt mit dem Gefühl verlassen habe, „dass es uns unmöglich sein wird, dieses Vorbild je zu erreichen“.140 Trotz einer solch insgesamt enthusiastischen Bewertung des Musikfestes der Internationalen Gesellschaft für neue Musik war freilich das bereits von Paul Bekker diagnostizierte „Vorherrschen intellektueller Elemente“ im Werk Busonis kaum zu übersehen.141 Bereits 1920 hatte Bekker die Schwierigkeiten und Herausforderungen der neuen Musik auf einen Nenner gebracht, indem er sie als eine vornehmlich „von Oberschicht zu Oberschicht wirksame Kultur“ charakterisiert hatte.142 Da die neue Musik in erster Linie einer vergleichsweise kleinen und gebildeten bürgerlichen Schicht zugänglich war, fiel es ihren Vorkämpfern umso schwerer, sie zur repräsentativen Ausdrucksform einer neuen Ära zu erklären: So nachdrücklich gerade Paul Bekker immer wieder die „Vergesellschaftung [. . . ] der geistigen Güter“ forderte und die „aufbauende, menschenbildnerische“ Kraft der Musik nutzen wollte, um eine neue Staats- und Gesellschaftsordnung zu schaffen143 , so rasch wurde die neue Musik in ihren unterschiedlichen Spielarten bald ausschließlich als Manifest einer unliebsamen, linksrevolutionären und damit gerade nicht gesamtgesellschaftlich wirksamen Kulturpolitik wahrgenommen. Die Hoffnung der prorepublikanischen Kräfte, mit der neuen Musik zugleich eine gewandelte und identitätsstiftende symbolische Kommunikationsform gefunden zu haben, wurde in diesen zunehmend hitzig geführten und weltanschaulich eingefärbten Debatten um eine zulässige ,Politisierung der Musik‘ immer mehr zerrieben.144 Umso höher war Frankfurts Bereitschaft einzuschätzen, im Rahmen des Sommers der Musik auch der neuen Musik eine Plattform zu bieten. Dennoch 138 139 140

141 142 143 144

Ebd. Ebd. Siehe das Schreiben Dents in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Ausstellung ,Musik im Leben der Völker. Internationale Musikfeste‘, Bd. I: 1925– 1928 Januar, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 1792. Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 150. Ebd. Vgl. hierzu Paul Bekker: Die Kunst geht nach Brot [1918], in: ders.: Kritische Zeitbilder, Berlin 1921, S. 212–217, hier S. 217. Vgl. hierzu ausführlich John: Musikbolschewismus, sowie Walter: „Die Mörder sitzen im Rosenkavalier“.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

zeigten die Abschlussfeierlichkeiten des Musiksommers im August 1927, dass sich die neue Musik nur bedingt als Medium ästhetisch-sozialer Kommunikation und symbolpolitischer Repräsentation hatte durchsetzen können. Nach wie vor vertraute man auf die Strahlkraft etablierter und Konsens versprechender Traditionsbestände: Aus diesem Grund beschloss ein Festspielzyklus mit Opern von Richard Strauss, nicht aber eine Werkschau der neuen Musik den Sommer der Musik.

6.5 Die Richard Strauss-Festwoche und das Ende des Frankfurter Ausstellungssommers Frankfurt hatte im Verlauf des Musiksommers sein Möglichstes getan, um sich als schillernde, kosmopolitisch eingestellte Metropole zu präsentieren und mit seiner internationalen Ausrichtung eine symbolische Transnationalität und Universalität zu erzeugen, die als kulturpolitisches Pendant der Locarno-Verträge wahrgenommen werden sollte. Gerade in der „neuen, gärenden Zeit“145 , in der Europa sich neu definieren musste, hatte der Sommer der Musik ein Wissen davon vermitteln wollen, „daß wir Menschen sind, nicht bloß Nationen“.146 Die Frankfurter Kulturmesse wollte Ludwig Landmann daher als einen „Funkspruch des Geistes an alle“ verstanden wissen, die noch „vor kurzer Zeit mit den Waffen in der Hand gegen uns und gegeneinander standen oder die auch heute noch auf politischem Gebiet Gegner“ waren.147 International angelegte Veranstaltungen hatten demgemäß die Frankfurter Kulturmesse dominiert: In Aussicht genommen war so etwa ein englischer Konzertabend sowie der Empfang einer „Schar erlesener Gäste der Frankfurter Gesellschaft“ beim englischen Generalkonsul.148 Für Ende Juli hatte man das Gastspiel eines russischen Ensembles angesetzt, das sich aus allen „Völkerschaften der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ zusammensetzte; zusätzlich waren Darbietungen aus dem Bereich der kroatischen und ungarischen Musik eingeplant.149 Der Besuch einer russischen und einer schwedischen Delegation wollte einen Einblick in das künstlerische Schaffen beider Länder bieten und die diplomatischen und kulturellen Beziehungen erneut aufnehmen.150 Die internationale Beachtung war dem Musiksommer daher sicher: Die New York Times feierte die Frankfurter Ausstellung als „eines der größten Ereignisse der Musikgeschichte“, das Neue Wiener Tageblatt lobte den Sommer 145 146 147 148 149 150

Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Morgenblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 6. Juli 1927, Zweites Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 14. Juli 1927, Abendblatt. Frankfurter Zeitung, 27. Juli 1927, Zweites Morgenblatt.

6. Das „Locarno der Kultur“

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der Musik als ein Ereignis, das „künstlerisches Gefühl und Wirklichkeitssinn“ in sich vereine, der Secolo Milano merkte an, dass der „Genius der Musik aller Völker und Epochen“ in Frankfurt „majestätisch in Erscheinung“ getreten sei, und der Manchester Guardian bezeichnete die Musikausstellung als ein „gewaltiges internationales Ereignis, das nicht so leicht wiederkommen wird“.151 Auch das Prager Tageblatt zeigte sich beeindruckt von dem „[w]eltumspannend[en] Bild“ des Unternehmens, das sowohl die „abendländische Musik“ als auch „die Musik des Orients“ berücksichtigt und dabei die „Systematik des Wissenschaftlers“ mit dem „schöpferische[n] Erlebnis des Künstlers“ in Einklang gebracht habe.152 Die französische Zeitung Le Temps wiederum ging ausdrücklich auf die symbolpolitische Reichweite der Kulturmesse ein und resümierte, dass diese es vermocht habe, „die wahrhafte europäische Musik“ zu repräsentieren153 : Es sei nicht aus Zufall geschehen, so meinte das Blatt, „daß in Frankfurt eine große internationale Musikausstellung eröffnet wurde, während gleichzeitig in Genf die 45. Völkerbundsversammlung tagte“.154 Wo sich diese allerdings stets sehr verhalten und vorsichtig gezeigt hätte, sei in Frankfurt das „Wunder“ möglich geworden, das „europäische Konzert“ einen ganzen Sommer lang zum Klingen zu bringen.155 Ausgewählte Solisten dieses ,europäischen Konzerts‘ – von den „Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden“ über eine Reihe bedeutender Repräsentanten „deutscher Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft“ bis hin zu „Vertreter[n] fast aller Nationen“ – hatten sich auch am 28. August 1927 zur Feier der „Abschiedsstunde“ in den Räumen des Bach-Saals auf dem Festgelände versammelt, um die „kulturell-kosmopolitische Gesinnung“ aller Beteiligten unter Beweis zu stellen.156 Abermals zeichnete sich auch diese „großangelegte Feier“ durch einen dezidiert internationalen Charakter aus, und entsprechend vielfältig nahm sich das Festprogramm aus157 : Der Festredner „ein Franzose, das Orchester ein spanisches“, der Dirigent einer der „größten lebenden deutschen Tondichter“.158 Abermals hatte man − unter anderem mit dem Direktor des in Paris ansässigen Völkerbundinstituts für geistige Gemeinschaftsarbeit, dem französischen Historiker und Schriftsteller Julien Luchaire (1876–1962), − renommierte Gäste nach Frankfurt geladen. Luchaire betonte in seinem 151 152 153 154 155 156 157 158

Vgl. diese und die nachfolgend zitierten internationalen Pressestimmen in: Frankfurter Zeitung, 26. August 1927, Abendblatt. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Morgenblatt. Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Abendblatt. Gemeint war hier Richard Strauss, siehe: Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Morgenblatt.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Redebeitrag vor allem die komplementäre Bedeutung des Frankfurter Ausstellungssommers und der Genfer Zusammenkunft des Völkerbunds, hatten es sich doch beide zum Ziel gesetzt, nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen eine gemeinsame Basis für eine internationale Zusammenarbeit zu schaffen.159 In diesem Zusammenhang würdigte Luchaire erneut die verbindende Wirkmacht der Musik, die die „höchste Schöpfung des Gemeinsamkeitsgefühls“ symbolisiere und den Völkern deshalb als ein „Werkzeug ihrer Erziehung“ dienen könne.160 Luchaires Ansprache reihte sich in jenen Master-narrative ein, der die univeral-erzieherischen Dimensionen der Kunst betonte und der Musik einen für die Politik eminent wichtigen Vorbildcharakter zuschrieb; sein rhetorisch ein wenig gewundener Rückgriff auf musikalische Metaphernfelder legt dies einprägsam dar: Der Völkerbund, so führte Luchaire aus, habe es sich zum Ziel gesetzt, „sich mit Musik zu beschäftigen“ und eine eigene „politische Musik“ zu schaffen, die die „Kakophonie des Krieges“ in eine wenn auch nicht einheitlich zusammenklingende „Melodie“, so doch zumindest in eine „ausgesprochen polyphone Symphonie“ verwandeln könne.161 Da Musik die „stärksten menschlichen Bande“ verkörpere, müsse auch die Politik versuchen, die „beste Musik zu finden“, die je ein „Musiker erträumt“ habe, um sie „auf das Gebiet der Politik“ zu übertragen.162 Der Umstand, dass die Forderung nach einer neuen europäischen Politik hier in genuin musikalische Metaphern gegossen wurde – wie dies etwa Thomas Mann 1922 bei seiner Festansprache im Frankfurter Opernhaus angestrebt hatte163 –, illustriert abermals die symbolpolitische Bedeutung eines gemeinsamen europäischen Musikkanons: Dieser wurde als „Ausdruck der Seele“ der Völker wahrgenommen und stellte damit einen Fundus gemeinsamer Wertsphären, ästhetisch vermittelter Erfahrungen und Ordnungsmuster parat.164 Indem Luchaire den angestrebten Zustand eines friedvollen, transnationalen Miteinanders allerdings in das Bild einer ausgesprochen ,polyphonen Symphonie‘ kleidete, verwies er zugleich auf die Schwierigkeiten einer transnational agierenden europäischen Politik, deren Zersplitterung in eine Vielzahl unterschiedlicher Nationalismen, in antagonistische Interessengegensätze und in divergierende politische Weltbilder ein einstimmig vorgetragenes, homophones und harmonisches Zusammenklingen erschwere, wenn nicht gar verhindere. Vorbehalte gegenüber der Frankfurter Kulturmesse ließen daher auch nicht lange auf sich warten: Die zum Teil massiven Ressentiments der Ausstellungs-

159 160 161 162 163 164

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Siehe hierzu Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Frankfurter Zeitung, 29. August 1927, Morgenblatt.

6. Das „Locarno der Kultur“

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gegner unterminierten die symbolpolitische Schlagkraft des Musiksommers, um deren Herstellung sich die europäischen Staatsmänner und Künstler so eindringlich bemüht hatten. Angesichts der drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Gegenwart kritisierten einige Abgeordnete des Stadtparlamentes vor allem die hohen Kosten des Unternehmens. Ein Abgeordneter der kommunistischen Partei verurteilte das Unterfangen als heuchlerisch-prahlerische Geste. Dem Ausland habe Frankfurt zeigen wollen, „wie die idealen Wirkungen der Musik die Menschen in ein Zauberland versetzen und die realen Tatsachen, die sie täglich erleben, vergessen lassen“.165 Tatsächlich aber nützten diese Bemühungen nichts, wenn eine „große Masse von Menschen in Frankfurt“ kaum „das Notwendigste zum Leben“ zur Verfügung habe, „geschweige denn soviel, um solche Veranstaltungen besuchen zu können“.166 Tatsächlich konnte der Sommer der Musik kaum als kommerzieller Erfolg verbucht werden. Obwohl Preußen und die Stadt Frankfurt Zuschüsse in Höhe von über 180 000 Reichsmark beigesteuert hatten, schloss der Ausstellungssommer mit einem erheblichen Defizit: Die Gesamtausgaben in Höhe von fast 2,7 Millionen Reichsmark konnten durch die erzielten Einnahmen (rund 1 Million Reichsmark) sowie die genannten Zuschüsse nicht annähernd gedeckt werden, und auch „nach Abzug eines privaten Garantiefonds in Höhe von 181.000 Mark“ blieb noch immer ein Gesamtfehlbetrag von über einer Million Reichsmark übrig.167 Von Seiten der rechtsnationalen Kräfte wurde das Ausstellungsprojekt besonders in seiner programmatischen Ausrichtung kritisiert. Der Abgeordnete der Nationalsozialisten, Peter Gemeinder, verhöhnte den „Genius“, den die „Staatsmänner der vereinigten Staaten von Europa“ immer wieder beschworen hatten, als hohle rhetorische Phrase.168 Die Ausstellung habe „dem deutschen Volke vor Augen“ daher auch geführt, „dass es die Knechtschaft, die es heute zu ertragen hat, nicht weiter tragen“ könne.169 Wenngleich die Vertreter des Magistrats demgegenüber immer wieder die „moralischen und kulturellen Ergebnisse“ des Musiksommers hervorhoben170 , ließ sich nicht von der Hand weisen, dass die Frankfurter Kulturmesse vielfach als Aus165

166 167

168

169 170

Siehe das Protokoll der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom 24. April 1928, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Ausstellung ,Die Musik im Leben der Völker‘, Bd. II: Januar 1928f, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2587. Ebd. Siehe ein Schreiben Otto Ernst Sutters an den preußischen Regierungspräsidenten Ehrler vom 28. März 1928 in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Ausstellung ,Musik im Leben der Völker‘. Internationale Musikfeste. Sommer der Musik 1927, Bd. II.: Januar 1928f., in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 1792. Vgl. hierzu das Protokoll der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom 24. April 1928, in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Ausstellung ,Die Musik im Leben der Völker‘, Bd. II: Januar 1928f, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur S 2587. Ebd. Vgl. hierzu den Vortrag des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung vom

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 30: Plakat der Richard Wagner-Woche 1927

druck einer „verfluchten Ausstellungs- und Repräsentationssucht“ vehement abgelehnt wurde.171 Vielleicht war es gerade die Furcht vor solch grundsätzlichen Angriffen, die die Organisatoren des Musiksommers veranlasst hatte, für die Abschlussfeierlichkeiten des Musiksommers nach einer versöhnlichen Geste zu suchen und in besonderer Weise die nationale Strahlkraft der Kulturmesse zu betonen. Für die letzten Tage des Ausstellungssommers jedenfalls hatte man mit Richard Strauss einen der populärsten und einflussreichsten zeitgenössischen Komponisten gewinnen können, und so stellten die Richard Strauss-Festspiele (20.–28. August 1927) vor allem in gesellschaftlicher Hinsicht einen besonderen Gipfel- und Schlusspunkt der Ausstellung dar. Die Aufführung von Strauss’ sechs wichtigsten Opern − darunter Salome, Der Rosenkavalier, Intermezzo und Ariadne auf Naxos − verband Frankfurt demonstrativ mit einer

171

16. April 1928 bezüglich der Abrechnung der Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker und des Sommers der Musik. Arbeiter-Zeitung, 7. April 1928.

6. Das „Locarno der Kultur“

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Abbildung 31: Plakat der Richard Strauss-Festspiele 1927

„Huldigung an den größten deutschen Musikdramatiker der Gegenwart“ und rückte auf diesem Weg demonstrativ die Bedeutung der eigenen Nationalkultur in den Mittelpunkt, hatte die Kulturmesse im Juni 1927 doch mit einem Werkzyklus des „größten deutschen Musikdramatiker[s] der Vergangenheit“ − Richard Wagner − begonnen (Abb. 30 und 31).172 Ein solch insistierendes Lob des eigenen nationalästhetischen Kanons musste die Utopie eines europäisch-weltbürgerlichen Kulturideals in ihre Grenzen weisen, indem der so oft propagierte weltumspannende Universalismus und Humanismus einer europäischen Musikkultur nun mit nationalistisch aufgeladenen Topoi deutscher Größe und Weltgeltung konfrontiert wurde. Auch angesichts des so erfolgreich um kosmopolitischen Glanz bemühten internationalen Festes wurde der Frankfurter Sommer der Musik stets auch als „Leistungsschau der Deutschen“ wahrgenommen, mit der die vermeintliche Überlegenheit der deutschen Musikkultur behauptet werden sollte.173 Zwar legte Frankfurt mit der Strauss-Woche erneut ein − wenn auch ge172 173

Frankfurter Zeitung, 22. August 1927, Morgenblatt. Dies gibt Hansjakob Ziemer zu bedenken, vgl. ders.: Die Moderne hören, S. 245.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

mäßigtes − symbolreiches Bekenntnis zur Gegenwart ab: Nicht von ungefähr begann der Strauss-Zyklus mit Salome, jenem „ersten gewaltigen Wurf “, der „die Welt vor zwanzig Jahren aufhorchen machte“ und sich durch die „kühne Eigenart“ seiner Partitur ebenso auszeichnete wie durch sein „rücksichtsloses Vortasten in die Zukunft“, wodurch das Werk nicht nur die „Problematik des einzelnen Künstlers“, sondern „diejenige seiner ganzen Generation“ umrissen habe.174 Dennoch konnte diese Würdigung der Frankfurter Zeitung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Strauss ästhetisch und ideell weit eher als Repräsentant der wilhelminischen Epoche zu gelten hatte: Bereits 1908 hatte der Komponist mit der Oper Elektra seinen „avantgardistischen Höhepunkt“ überschritten und sich seither einem vorwiegend „kulinarischen Stil verschrieben“, der dem „Publikumszuspruch“ wie dem Absatz seiner Werke sehr viel dienlicher war.175 Daher wurde ein Werk wie die 1915 entstandene Alpensinfonie aufgrund seiner „aufgeblasene[n] Monumentalität“ ex post zum Sinnbild einer untergehenden Ära erklärt, die ihren ästhetischen wie politischen Zerfall mit Hilfe eines bombastischen Prunkes zu verschleiern suchte.176 Auch in Frankfurt nahm man Strauss-Opern wie den Rosenkavalier als verhaltenen Abgesang auf die Vorkriegsära wahr. Dem 1911 in Dresden uraufgeführten Werk attestierte die Frankfurter Zeitung so etwa eine „zarte Verhaltenheit“ und eine „herbstliche Stimmung des Abschieds“, in der sich die „wienerische Sentimentalität“ des Komponisten widerspiegele und alles „Noblesse, Kultur und Charme“ atme.177 Im wehmütig-melancholischen Ton dieser Passage schien zugleich eine leise Trauer um die verlorene Sicherheit und den Glanz der Belle époque vernehmbar zu sein, deren Strahlkraft auch durch die Verve des so einmütig beschworenen kulturpolitischen Neubeginns nach 1918 nicht vollständig eingeholt werden konnte. Damit deutete sich an, welcher Stellenwert dem Opernschaffen von Richard Strauss im Rahmen des Frankfurter Musiksommers zugewiesen wurde: Als ein „Fest“ feierte die Presse die Aufführung der Ariadne auf Naxos, denn Richard Strauss selbst wollte „den kristallenen Schliff “ dieses Werkes zum Leuchten bringen, und so kam das Publikum „mit hochgespannter Erwartung und beifallsbereitem Herzen“.178 Der Maestro verstand es denn auch, jeden einzelnen Festspielabend zu einem „Ereignis“ werden zu lassen.179 Solchermaßen aber demonstrierten die Frankfurter Wagner- und StraussFestspiele die noch immer weitgehend ungebrochene festlich-zeremonielle Strahlkraft der (spät-)romantischen Oper, die sich als ästhetisches Genre 174 175 176 177 178 179

Ebd. Walter: „Die Mörder sitzen im Rosenkavalier“, S. 9f. Ebd., S. 10. Frankfurter Zeitung, 22. August 1927, Abendblatt. Ebd. Ebd.

6. Das „Locarno der Kultur“

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einen Restbestand ihrer einstigen gesellschaftlichen Bedeutung und ihrer glanzvoll-repräsentativen Aura bewahrt hatte. Gerade im Rahmen des so um die ästhetische Moderne bemühten Frankfurter Musiksommers kanalisierte die Strauss-Festwoche das Bedürfnis des Publikums nach Altbekannt-Vertrautem. Wiederholt berichtete die Presse, dass die von Strauss dirigierten Vorstellungen restlos ausverkauft waren und sämtlich einen „nachhaltige[n] Eindruck“ hinterlassen hätten.180 Im begeisterten Jubel des Publikums schien sich zugleich die Sehnsucht nach einem unverrückbaren und zeitlos gültigen Werkkanon zu artikulieren, der die schichtenspezifische Identität und den – mittlerweile zunehmend gefährdeten – gesellschaftlichen Status des bürgerlichen Musikpublikums nicht nur geradezu idealtypisch verkörperte, sondern ihn zugleich zu konservieren versprach und die Musik damit einmal mehr zum Träger und Symbol gruppenspezifischer gesellschaftspolitischer Anliegen erhob. Mit einer betont vermittelnd-ausgleichenden Note, nicht aber mit einem revolutionären Bekenntnis zu radikal Neuem klang der Sommer der Musik aus. Indem sie an etablierten ästhetischen Formen und Identifikationssymbolen wie Wagner oder Strauss festhielt, relativierte die Kulturmesse die aufbruchfreudige Risikobereitschaft, die sie so nachdrücklich für sich in Anspruch genommen hatte. Solche ästhetischen Kompromissformeln wurden – dies hatte die Festrede Julien Luchaires illustriert – von einer emphatischbeschwörenden politischen Bekenntnisrhetorik begleitet, die freilich nicht verbergen konnte, wie sehr man die Zerklüftung der sozialen wie der politischen Beziehungen nach wie vor fürchtete. Hier schienen die StraussFestspiele in der Tat einen entlastenden Rückzugsraum zur Verfügung zu stellen: Einerseits war sein Werk noch gegenwärtig genug, um als Ausdruck einer aktuellen Zeitkunst zu gelten, andererseits war es bereits so sehr in einen als sakrosankt empfundenen europäischen Werkkanon entrückt, als dass es eine Herausforderung ästhetischen Empfindens darstellte oder als kulturelles Symbol einer Politik der Radikalität eingestuft werden konnte. Bereits Paul Bekker hatte den festlich-repräsentativen Charakter der Kompositionen von Richard Strauss mit deutlichem Unbehagen konstatiert. Zwar erkannte er dessen Musik aufgrund ihrer „illustrativen Tendenzen und ihrer virtuosen Aufmachung“ die „breiteste Wirkungsmöglichkeit“ zu, warf seinem Einsatz artistischer Mittel aber vor, von „zu äußerlicher“ und zu „wenig stichhaltig[er]“ Art zu sein, als dass durch sie eine „über das Vergnügen“ hinausgehende „geistige Bindung“ ermöglicht werde.181 Bekkers Urteil über diejenigen Komponisten, die sich in der Nachfolge Wagners um die Bewahrung und Weiterentwicklung der romantischen Oper bemühten, traf zu weiten Teilen auch auf Strauss zu, wenngleich er diesem zugestand, der „tendenziöse[n] Kunst180 181

So berichtete die Frankfurter Zeitung am 22. August 1927 in ihrem ,Morgenblatt‘ über die Festvorstellung der Salome. Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 155.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

auffassung und -lehre Wagners“ nicht vollständig ergeben zu sein.182 Schon in seiner 1922 publizierten Analyse Deutsche Musik der Gegenwart hatte er die in der Tradition Wagners komponierenden Künstler als Exponenten einer Ära angegriffen, die „ihre Gesetze aus der Oper empfing“ und mit ihrer „Neigung zu falschem Pathos und schlechter Rhetorik“ einen öffentlichen Stil geprägt habe, der sich in erster Linie durch überfrachtete Theatralität auszeichne.183 Den als epigonal wahrgenommenen Werken eines Strauss oder Pfitzner aber traute Bekker es nicht zu, in einer nach neuen Formen suchenden und nach Orientierung verlangenden Zeit weiterhin als Maßstab und Wegweiser fungieren zu können, waren seiner Überzeugung gemäß doch die „Säfte der alten Welt“ endgültig vertrocknet, so dass der „Zwang zur neuen Welt“ – und damit zu anderen Stilen, Inhalten und Formen – zu einem „Gebot der inneren Verheißung“ wurde.184 Als Staatstheaterintendant in Kassel und Wiesbaden versuchte Bekker nur wenige Jahre später, diesen „Glauben an das Unbekannte“ in seiner Theaterarbeit wirksam werden zu lassen und am Bau einer nicht nur ästhetisch, sondern auch sozial und politisch „neue[n] Welt“ mitzuwirken.185 Ob er dabei – wie dies auch ein vorsichtiges Fazit des Frankfurter Musiksommers einräumen muss – zu ästhetischen Kompromissen und gesellschaftspolitischen Zugeständnissen bereit sein würde, wird hierbei näher zu untersuchen sein.

182 183 184 185

Vgl. hierzu Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 101f. Ebd., S. 101f. Ebd., S. 118f. Ebd., S. 119.

7. Vom ,Lieblingstheater‘ des Kaisers zum ,Volks‘- und ,Kulturtheater‘ der Republik. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker (1928–1932) Mit seinem Vorhaben, die Wiesbadener Maifestspieltradition wieder zu beleben, knüpfte Paul Bekker, der nach dem Weggang Carl Hagemanns als neuer Intendant des Theaters nach Wiesbaden gekommen war, an die konzeptionellen Weichenstellungen seines Vorgängers an und führte dessen Reformarbeit zugunsten eines modernen Kulturtheaters fort. Zugleich schlossen die 1928 wieder aufgenommenen Maifestspiele insofern an kaiserzeitliche Traditionsbestände an, als auch Bekkers republikanisches Festspielkonzept der Suche nach wirkmächtigen ästhetischen Repräsentationsformen des Politischen verpflichtet war (Abb. 32). Allerdings hatte Bekker in Wiesbaden von Anfang an mit erheblichen Widerständen zu kämpfen: Weite Teile der städtischen Bevölkerung nahmen ihn explizit als Vertreter der Berliner Kulturpolitik und damit als Repräsentant des Weimarer ,Systems‘ wahr, dem man gerade in der einstigen ,Kaiserstadt‘ vielfach mit Argwohn und Ablehnung begegnete.1 Als intellektueller Impulsgeber der ,neuen Ära‘ und als Fürsprecher der neuen Musik setzte er sich ausdrücklich dafür ein, die „Kultform“ des romantischen Musikdramas durch ein musiksoziologisch und -ästhetisch fundiertes Konzept der so bezeichneten ,lebendigen Form‘ zu ersetzen2 , das den Bedürfnissen einer demokratischen Massengesellschaft gerecht werden wollte und in der Musik nicht länger eine „aus mythischer Quelle“ wirkende Macht, sondern eine „tätige, sozial sich auswirkende, gestaltende, bauende Lebensmacht“ ausmachte.3 Bekker wollte der zunehmend heterogenen und fragmentierten Gesellschaft der Weimarer Republik ein ästhetisch vermitteltes Bewusstsein sozialer Einheit nahebringen, um dem „Ganzen wie dem Einzelnen Sinn und Ziel“ zu geben.4 Damit entwarf er ein kunstpolitisches und ästhetisches Programm, das zur Grundlage seiner Festspielidee werden sollte und sich in seiner Zielsetzung wie auch in seinem konzeptionellen Zuschnitt von anderen zeitgenössischen Festspielprojekten wie beispielsweise den Bayreuther oder den Salzburger Festspielen unterschied. Diese hingen einem vergleichsweise 1 2 3 4

Siehe hierzu Kapitel III.7.2 (Republikanische Maifestspiele). Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 86. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 128. Ebd., S. 275. Siehe hierzu Kapitel III.7.1 (Vom ,Traumbild vergangener Romantik‘ zum ,Zukunftsbild der neuen Form‘).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 32: Paul Bekker in der Karikatur „Götter und Heroen“ (Der Auftakt. Musikblätter für die tschechoslowakische Republik, 1925)

national-konservativen Ideenkreis an und positionierten sich als Gegenbewegungen zu einer vermeintlich sinnentleerten und mechanisierten Moderne. Obgleich auch Bekker im Kontext einer kulturkritischen Gegenwartsanalyse verortet werden kann und sich ihres semantischen Arsenals bediente – mit seinem Rekurs auf programmatisch aufgeladene Kampf- und „Scharnierbegriffe“ wie Leben vs. Stagnation, elementares Erleben vs. Entfremdung reagierte Bekker auf die Verlusterfahrungen einer „entzauberten Moderne“5 –, stellt sein Konzept der ,lebendigen Form‘ eine eigenständige Strategie der Wiedergewinnung ästhetischer wie gesellschaftspolitischer Sinn- und Ordnungsressourcen dar. Anders als die Anhänger einer zumeist kulturpessimistisch argumentierenden ,konservativen Revolution‘ akzeptierte und bejahte Bekker die mit der Moderne verbundenen Umbrüche und definierte sein Formkonzept ausdrücklich als Möglichkeit gemeinsamer, schöpferischer Weltaneignung.6 5

6

Zum Konzept der ,entzauberten Moderne‘ und zu den Hintergründen der zeitgenössischen Kulturkritik vgl. vor allem: Georg Bollenbeck: Eine Geschichte der Kulturkritik. Von Rousseau bis Günther Anders, München 2007, S. 199–232, hier S. 205. Siehe hierzu die Kapitel III.7.3 (Ernst Kreneks Operneinakter) und III.7.4 (Bekker und die Teilhabe am Kompositionsprozess).

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Anhand der vielfältigen Tätigkeit Bekkers in Wiesbaden – er wirkte hier einerseits als Intendant und Publizist, war andererseits aber auch als Regisseur tätig – lassen sich daher nicht nur Verfugungen zwischen der Ebene des Institutionellen, des zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurses und dem Bereich der ästhetischen Inszenierung besonders einprägsam darstellen. Außerdem ermöglicht es die diagonale Perspektive, jeweils spezifische Dimensionen dieser städtischen Festspieltradition herauszupräparieren und ihren sich wandelnden Stellenwert im Kontext der politischen Festkultur Wiesbadens in den Blick zu nehmen.

7.1 Vom „Traumbild vergangener Romantik“ zum „Zukunftsbild der neuen Form“7 : Bekkers musiksoziologischer Formbegriff als konzeptioneller Leitfaden seiner kulturpolitischen Arbeit in Wiesbaden Anders als Hagemann konnte Bekker, der 1925 vom preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zum Staatstheaterintendanten in Kassel ernannt worden war, nur auf eine kurze praktische Bühnentätigkeit zurückblicken. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er vor allem als Musikkritiker und -schriftsteller auf sich aufmerksam gemacht. Seine zahlreichen musiksoziologischen und -politischen Schriften hatten ihn hierbei zum Vordenker einer umfassenden Reform des deutschen Musiklebens aufsteigen lassen.8 Seit langem hatte Bekker jedoch immer wieder den Wunsch geäußert, sein publizistisches Wirken zugunsten einer praktischen Tätigkeit aufgeben zu wollen, um als Intendant einer Staatsbühne unmittelbar an der institutionellen und programmatischen Neuausrichtung des deutschen Musiklebens mitarbeiten zu können. Mehrere Versuche in diese Richtung waren allerdings gescheitert. Bekker, der bereits 1919 vom preußischen Ministerium für das Amt des Intendanten der Berliner Staatsoper vorgeschlagen worden war, hatte im Juni 1919 eine herbe Niederlage erleben müssen, als sich die Künstlerschaft in einer eilig anberaumten Wahl mit 9 zu 163 Stimmen für den ehemaligen Stuttgarter Generalmusikdirektor Max von Schillings 7 8

Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 128, 122. In einem Brief an Bekker bekannte der zu dieser Zeit als Musikreferent im Preußischen Ministerium für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung tätige Leo Kestenberg freimütig, dass man dessen Anregungen zur Neugestaltung des staatlichen Musikunterrichts und zur Ausbildung von Musikpädagogen im Berliner Ministerium stets dankbar „zu Rate“ gezogen habe. Vgl. die Äußerung Kestenbergs an Bekker in: Andreas Eichhorn: Paul Bekker. Facetten eines kritischen Geistes, Hildesheim 2000, S. 285. Zu Paul Bekkers Vorbildfunktion für Kestenbergs Reformen vgl. vor allem Eichhorn: „Magister, Magister“.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

entschied und das Berliner Ministerium, das noch keinen verbindlichen Wahlmodus geschaffen hatte, kurzerhand vor vollendete Tatsachen stellte.9 Der überwältigende Wahlerfolg Schillings, der aus seiner deutschnationalkonservativen Gesinnung keinen Hehl machte und von Bekker in einem Brief an den Komponisten Franz Schreker als „aalglatte[r] Mann des ancien régime“ charakterisiert wurde10 , verdeutlicht die immensen Schwierigkeiten, denen die reformorientierte Politik Weimars auch in den neu geschaffenen Gremien und Institutionen ausgesetzt war; denn oft verstanden es die antirepublikanischen Kräfte erfolgreich, ihren Einflussbereich in den bürokratischen Institutionen des preußischen Kultusministeriums zu behaupten und angestrebte Transformationsprozesse dadurch zu blockieren.11 Bezeichnenderweise konnte Bekker, der als Jude bereits vor seinem Wechsel in die Kulturpolitik immer wieder Zielscheibe antisemitischer Angriffe geworden war, das kulturpolitisch exponierte Amt eines preußischen Staatstheaterintendanten erst zu einem Zeitpunkt übernehmen, zu dem die Republik in eine Phase zunehmender Konsolidierung eingetreten war. Wie viele seiner Zeitgenossen diagnostizierte auch Bekker in den ersten Nachkriegsjahren sowohl in Bezug auf die politischen und wirtschaftlichen als auch auf die künstlerisch-kulturellen Verhältnisse Deutschlands eine „Zuspitzung der Krise“.12 Sein Intendantenamt in Kassel und Wiesbaden (1925– 1932) wollte er entsprechend dazu nutzen, sich dieser „Katastrophenpolitik der Verzweiflung“ entgegenzustellen.13 Als engagierter Befürworter der Weimarer Reformkräfte wandte sich Bekker insbesondere gegen eine Politik des „Übermutes“, die er sowohl bei den extremen Rechts- als auch den radikalen Linksgruppierungen ausmachte.14 Seine Überlegungen zu einer Neukonstitution der Gesellschaft resultierten aus dem Erlebnis des Ersten Weltkrieges, den er wie viele zeitgenössische Intellektuelle als Katalysator umwälzender gesellschaftlicher und politischer Veränderungen empfand.15 Bekkers musiksoziologische Darlegungen mündeten in den Entwurf einer Kultur- und Gesellschaftstheorie, die sich gezielt die „ins Kolossale gesteigerte Allgemeinheit“ einer demokratischen Massengesellschaft zum Adressat machte.16 Dementsprechend weitete sich Bekkers „Gesellschaftsbegriff “ „von der Vorstellung 9 10

11 12 13 14 15 16

Vgl. hierzu Eichhorn: Paul Bekker, S. 82. Vgl. diesen Brief Bekkers an Franz Schreker vom 29. Juni 1919 in: Christopher Hailey (Hrsg.): Paul Bekker/Franz Schreker. Briefwechsel mit sämtlichen Kritiken Bekkers über Schreker, Aachen 1994, S. 106. Vgl. hierzu ausführlich Eichhorn: Paul Bekker, S. 89. Paul Bekker: Theaterkrise [1920], in: ders.: Kritische Zeitbilder, Berlin 1921, S. 234–243, hier S. 237. Ebd. Ebd. 1916 erschien sein Buch Das deutsche Musikleben, in dem er zum ersten Mal seine Vision einer neuartigen, musiksoziologisch fundierten Gesellschaftskunst entwickelte. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 275.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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eines nur auserwählte Kreise umfassenden, in sich geschlossenen Gemeinwesens zu einer alle Schichten vereinigenden, aus dem Bewußtwerden der gemeinsamen Arbeit erwachsenden sozialen Gesamtheit“.17 Der Kunst − und im Besonderen der Musik − wies Bekker in diesem Prozess der Neuformierung eine konstitutive Rolle zu, da er es als ihre Aufgabe ansah, „die Idee dieser Einheit immer lebendig zu bewahren“ und zu erneuern.18 Vor diesem Hintergrund entwickelte er sein dreigliedriges Konzept der so genannten ,lebendigen Form‘, die sich erst in der stetigen und wechselseitigen Kommunikation zwischen Künstler, Publikum und Kritik formierte.19 Erst diese mehrschichtige Konstellation war es, die das Kunstwerk als solches im Prozess wechselseitigen Austauschs hervorzubringen vermochte. Zwar hielt Bekker an einer Semantik gesellschaftlicher Einheit fest, die dem Zerfall in unterschiedliche Teilkulturen entgegenwirken wollte. Da sein Modell der ,lebendigen Form‘ aber zugleich der Kommunikation verschiedenartiger Akteure entscheidendes Gewicht beimaß und pluralistische Interessenvielfalt damit nicht per se als bedrohlich-destruktive und desintegrativ wirksame Kräfte perhorreszierte, ist zu hinterfragen, ob und inwieweit ihm tatsächlich „antimoderne Züge“ bescheinigt werden können.20 Vielmehr scheint Bekkers Ideal einer neu zu schaffenden „Ideen- und Empfindungsgemeinschaft“ Verschiedenartigkeit und Pluralität bewusst einzukalkulieren.21 Auf dieser Basis – so ließe sich folgern – sollte ein kollektiv akzeptiertes Kulturideal geschaffen werden, das auf der produktiven Inklusion unterschiedlicher Stile und Formen basierte, zugleich aber einen ästhetisch generierten gemeinsamen Erfahrungsraum umschrieb, der aus dem Prinzip der Improvisation heraus entstand und die musikalische Praxis damit in ein Experimentierfeld verwandelte, auf dem immer neu um zeitadäquate künstlerische wie soziale Ausdrucksformen gerungen werden musste. Bekkers programmatische Überlegungen entstanden vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem 19. Jahrhundert und insbesonde17 18 19 20

21

Ebd., S. 335. Ebd., S. 276. Ebd., S. 237. Zu Paul Bekkers musiktheoretischen Schriften, vor allem zu seinem Formbegriff vgl. maßgeblich Eichhorn: Paul Bekker, sowie ders.: „Magister, Magister“, S. 37ff. In seiner Darlegung der ,lebendigen Form‘ Paul Bekkers schreibt Andreas Eichhorn dieser insofern eine antimoderne Stoßrichtung zu, als sie „einen entscheidenden Wesenszug der Moderne“, nämlich die „Zersplitterung in eine Vielzahl von Teilkulturen“, nicht akzeptieren wollte. Berücksichtigt man allerdings nicht allein Bekkers Publikationen, sondern auch seine konkrete praktisch-institutionelle Arbeit als Intendant und Regisseur, so zeigt sich ein deutlicherer Synkretismus, der – wenn auch aufgrund sozialer Zwänge – darum bemüht war, verschiedenartige ästhetische Präferenzen und heterogene Publikumsinteressen zu berücksichtigen, ohne dabei das eigene Eintreten zugunsten der ,neuen Musik‘ zurückzustellen. Vgl. hierzu Andreas Eichhorn: Annäherung durch Distanz. Paul Bekkers Auseinandersetzung mit der Formalästhetik Hanslicks, in: Archiv für Musikwissenschaft 54/1997, H. 3, S. 194–209, hier S. 198. Siehe Eichhorn: Paul Bekker, sowie ders.: „Magister, Magister“, S. 37ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

re mit der musikalischen Romantik. Der romantischen Bewegung des 19. Jahrhunderts warf Bekker vor, den vielfach beklagten Verlust religiöser Sinn- und Ordnungsentwürfe mit Hilfe einer selbst geschaffenen „Religion der Haus- und Nationalgötter“ aufgefangen zu haben.22 Die ästhetischen, politischen und wissenschaftlichen Spielarten dieser im Grunde zutiefst „sterilisierte[n] Religiosität“ griff Bekker als „Fetisch“ an; denn dass Kunst – und insbesondere Musik – als dem Leben entgegenstehende absolute Form gedeutet und als Religionsersatz herangezogen worden war, hatte sich seiner Meinung nach als besonders verhängnisvoll erwiesen.23 Exemplarisch führte Bekker hierbei die Werkidee und Rezeption von Richard Wagners Gesamtkunstwerk an, das einer nach Religion verlangenden, im Grunde aber zutiefst „glaubensunfähigen Zeit“ die „Kultform des religiösen Dramas in ästhetischer Verkleidung“ gepredigt und diese damit in einen pseudoreligiösen „Gemeinschaftsrausch“ versetzt habe.24 Gerade diese normative Überfrachtung der Musik habe dazu geführt, dass die Oper mit einem Mal „predigen, philosophieren, moralisieren, zum mindesten psychologischen Anschauungsunterricht geben“ müsse.25 Die Romantik stufte Bekker damit insgesamt als eine ausschließlich auf das Subjektivistische fixierte Niedergangserscheinung ein, deren Ideal der absoluten Form er ebenso kritisierte wie die von ihren Vertretern propagierte Dichotomie von Kunst und Leben.26 Der letzten Endes dogmatische Zuschnitt der romantischen Kunstreligion zeigte sich für Bekker besonders drastisch im Niedergang der Bayreuther Festspielidee: Wagner, der angetreten sei, „das Volk zu suchen“, habe schließlich nur „den Bayreuther Patronatsverein“ gefunden und sich zum Diener eines luxusverliebten Publikums gemacht, das „sich am Rausch seiner Ekstasen religiös zu erbauen meinte“ und nicht erkennen wollte, „daß hier Symbole einer entseelten Religiosität zu dekorativer Schaustellung arrangiert“ worden seien.27 Neben der Rückbesinnung auf das Individuelle verurteilte Bekker die Romantik auch aufgrund ihres die eigene Geschichte und Kultur überhöhenden „Nationalismus der Kunst“, den er als eine „Erkrankung der Geister“ ausmachte.28 Aus seiner Sicht hatte auch diese Entwicklung in Wagner ihren Gipfel- und Wendepunkt erreicht.29 Den immensen Erfolg Wagners, dessen Werke in den Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in New York und Barcelona eine ebenso begeisterte Aufnahme gefunden hatten wie in München 22 23 24 25 26 27 28 29

Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 90. Ebd., S. 88ff. Ebd., S. 86. Ebd., S. 105. Vgl. hierzu Eichhorn: Annäherung durch Distanz, S. 196f. Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 88. Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 137. Zu Bekkers Einschätzung von Leben und Werk Richard Wagners vgl. auch Eichhorn: Paul Bekker, S. 310f.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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und Berlin, führte Bekker nicht nur auf die Faszination dieses sich zu einem „Weltkultus“ formenden Werkkorpus zurück.30 Vielmehr war er überzeugt, dass Wagners Kunst mit ihrem „fast schroff hervorgekehrten Deutschtum“ nur deshalb einen so kolossalen Sieg habe verbuchen können, weil hier tatsächlich ein „Kampf “ ausgefochten worden sei.31 Bekker stellte dabei eine innere Verbindung zwischen dem von ihm beobachteten Kunstnationalismus Wagners und dem aggressiven Militarismus des späten Kaiserreiches her, da Wagners Kunst – so seine Darlegung – einen geistigen Raum geschaffen habe, der auf die Betonung nationaler Gegensätze abgezielt habe.32 Bekkers Anklagen gegen die Romantik und das musikalische Schaffen Wagners gipfelten schließlich in dem Vorwurf, den kulturchauvinistisch eingefärbten Nationalismus vor 1914 offensiv vorangetrieben und sich gleichsam zum Wegbereiter der ,Ideen von 1914‘ gemacht zu haben.33 Das internationale Musikleben der Vorkriegszeit kennzeichnete er daher polemisch als Vorwegnahme des Krieges mit anderen Mitteln, nämlich als ein „gegenseitiges Aufstacheln, ein lauerndes Sichbeobachten“.34 Exemplarisch spiegelte sich für Bekker im Leben und Wirken Richard Wagners die konservative Wende des deutschen Bürgertums wider. Mit dem Scheitern der revolutionären Bewegung der 1848er Jahre und der sich anschließenden Phase der politischen Reaktion, die letztlich in die Errichtung des wilhelminischen Machtstaates einmündete, war zugleich das Erlahmen der liberal-parlamentarischen Bewegung verbunden. Das Bürgertum hatte sich nun zunehmend in eine „resignierte, machtgeschützte Innerlichkeit“ (Thomas Mann) zurückgezogen und eine deutlich konservativ-reaktionäre Wende vollzogen.35 Konsequent, so glaubte auch der Paul Bekker intellektuell nahestehende Theodor W. Adorno, lege Wagners Werk Zeugnis ab „von der Frühzeit des bürgerlichen Verfalls“, indem der „Zerstörungsdrang“ des Komponisten „den der Gesellschaft“ im „Gleichnis“ bereits vorwegzunehmen schien.36 Das Ideal der ,lebendigen Form‘ ist demnach als dezidierte Absage an die Musik der Romantik zu deuten und sollte zu einer Neugestaltung des 30 31 32

33

34 35

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Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 140. Ebd., S. 139. Den „Triumph der Kunst Wagners“ brachte Bekker mit dem „Triumph von 1870/71“ in Verbindung, indem er der Musik Wagners „etwas Gewalttätiges, etwas Napoleonisches“, ja ein beinahe „brutales Eroberertum“ attestierte, das die „Gegenseite“ erbarmungslos in die Knie gezwungen habe. Siehe ebd., S. 140. Die „große Erscheinung Wagners“ beschrieb Bekker als geradezu „aufreizend“, habe sie doch die „bis dahin latent gebliebenen nationalistischen Energien“ zu „äußerste[r] Anspannung“ angetrieben und schließlich „zum Kampf “ angestachelt. Siehe ebd., S. 146f. Ebd. Thomas Mann: Leiden und Grösse Richard Wagners [April 1933], in: ders.: Wagner und unsere Zeit. Aufsätze, Betrachtungen, Briefe, hrsg. v. Erika Mann, mit einem Geleitwort von Willi Schuh, Frankfurt a.M. 1983/1995, S. 63–123, hier S. 114. Adorno: Versuch über Wagner [1952], S. 143.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

nationalen wie des internationalen Musiklebens beitragen, um das Wiedererstarken eines aggressiven (Kunst-)Nationalismus zu verhindern − gerade in einer Zeit, in der dieser erneut „zum bestimmenden Prinzip“ zu werden drohte, wie dies ja auch im Falle der kulturpolitischen Deutungsstrategien um den Brand und die Wiedereröffnung des Wiesbadener Theaters 1923 sichtbar geworden war.37 Im Besonderen richtete sich Bekker dabei gegen den wachsenden Einfluss der oftmals so genannten Spätromantik, als deren wichtigster Vertreter ihm der Komponist Hans Pfitzner (1869–1949) galt. Seine Anhänger verehrten in Pfitzner den Bewahrer des romantischen Erbes und den Gestalter der „unwandelbaren Tiefen der deutschen Volksseele“ und waren überzeugt, dass seine Musik zur Heilung der innerlich kranken Volksgemeinschaft beitragen könne.38 Gegen Pfitzner erhob Bekker den Vorwurf, von einem „heiß[en] Drang zum Glauben“, einem „bedingungslose[n] Fanatismus“ erfüllt zu sein, der sich in jenem „mythischen Dunst“ zu verlieren drohe, der zur „Verehrung des erdhaft Heimischen“, zur „Anbetung des Blutes“ und einer „Verherrlichung des Gewesenen“ führen müsse und damit dem „künstlerischen Nationalismus“ erneut eine „religiöse Bedeutung“ zuerkenne.39 Mit seiner Kritik an der religiösen Aufladung des Ästhetischen und des Politischen sowie seiner Ablehnung der Idee einer organischen Rassen- und Volksgemeinschaft reagierte Bekker seinerseits auf Pfitzners gegen ihn selbst gerichtete polemische Schrift Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz (1919/20).40 Pfitzner, dessen Ästhetik eine kaum verhohlene antisemitische und antidemokratische Stoßrichtung aufwies, hatte dem Intendanten Bekker vorgeworfen, gemeinsam „mit seiner mächtigen ,Frankfurter Zeitung‘ „die international-jüdische Bewegung in der Kunst“ anzuführen, und vor einer Kunst gewarnt, die nicht mehr „deutschnational“, sondern „international“ empfinde.41 Bekkers musiksoziologisches Hauptwerk, Das deutsche Musikleben (1916), hatte demgegenüber bereits einen alternativen Werkbegriff formuliert, der den vermeintlich pseudoreligiösen und in Ansätzen bereits völkisch besetzten „Gemeinschaftsrausch“42 der (Spät-)Romantik durch eine demokratischrepublikanisch ausgerichtete „Ideen- und Empfindungsgemeinschaft“ ersetzen wollte.43 Die Kategorie des ,Volkes‘ wurde bei Bekker weitgehend durch die Vorstellung einer mit den Mitteln des Ästhetischen hervorzubringenden

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Bekker: Die Weltgeltung der deutschen Musik, S. 148. So Erwin Kroll in seinem Beitrag „Hans Pfitzner“ in: Die Musik 16 (6. März 1924), S. 408– 420, hier S. 408. Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 89f. Vgl. hierzu Hans Pfitzner: Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?, München 1920. Ebd., S. 124. Bekker: Deutsche Musik in der Gegenwart, S. 86. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 237.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Gesellschaft ersetzt, die die Idee eines exklusiven, organisch-schicksalhaften Volks-Konzeptes verabschieden wollte. Die institutionelle und programmatische Neuausrichtung des öffentlichen Musiklebens, die Bekker auch als Leitfaden seiner Intendantentätigkeit an den preußischen Staatstheatern in Kassel und Wiesbaden umsetzen wollte, basierte auf jenem vorab skizzierten spezifischen Formbegriff, der den Fokus von einer Produktions- zu einer Rezeptionsästhetik verlagerte.44 Der Schaffenstätigkeit des Musikers fügte Bekker als aktiv-schöpferisches Moment die Wahrnehmungstätigkeit des Publikums und die vermittelnde Erkenntnistätigkeit der Kritik hinzu.45 Die Idee der ,lebendigen Form‘ war für Bekker demnach weniger ein ästhetisches, als vielmehr „ein soziologisches Klangsymbol“46 , charakterisierte er das Publikum hier doch als homogenes „Kollektivwesen“, das sich – vermittelt durch das gemeinsame Kunsterlebnis – immer mehr zur „Gesellschaft“ formen solle.47 Bekkers Idealbild der ,lebendigen Form‘ rechnete mit einem mitschöpferisch tätigen Publikum, das Musik nicht passiv konsumierte, sondern eine aktive Rezeptionshaltung an den Tag legte und sich neuartige Wahrnehmungshorizonte erschloss. Dieser kulturschöpferische Prozess war für ihn Ausdruck einer radikal gewandelten Zeit, in der soziale und ästhetische Einheit komplementär aufeinander bezogen sein und die „Idee dieser Einheit“ produktiv weiterentwickeln sollten.48 Somit zielte Bekkers „sozialenergetischer“ Formbegriff auf die Schaffung einer neuartigen ,Bindungskunst‘ ab, die konstruktiv-schöpferisch auf die Verlusterfahrungen der Moderne reagieren und ein neuartiges soziokulturelles Gefüge entwerfen sollte.49 Das „Gesellschaftsproblem in der Musik“ entsprach nach Meinung Bekkers in vielerlei Hinsicht „dem Staatsproblem in der Politik“50 , denn auch das Politische müsse darauf hinarbeiten, eine „umfassende Einheitsidee“ zu entwickeln und sich als „Ausdruck eines gegenwärtigen Allgemeinwillens“ zu präsentieren.51 Bekker war überzeugt, dass die demokratische Nachkriegsordnung das Politische nicht länger als eine Art Arkanbereich definieren dürfe, der „nur ein paar Leute angeht“ und von dem „,nichts zu verstehen‘ zum guten Ton gehört“.52 Vielmehr wollte er einem Politikkonzept den Weg ebnen, das Politik im Sinn einer gemeinsam zu teilenden und zu gestaltenden 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. hierzu ausführlich Eichhorn: Paul Bekker, S. 175ff. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 32. Ebd., S. 23f. Ebd., S. 23. Ebd., S. 276. Zum Konzept der sozialenergetischen Form vgl. Eichhorn: Annäherung durch Distanz, S. 195f. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 180f. Ebd., S. 180f. Paul Bekker: Künstler als Politiker [1917], in: ders.: Kritische Zeitbilder, Berlin 1921, S. 198–205, hier S. 204.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Aufgabe deutete.53 Wie eine Reihe renommierter Vertreter der Weimarer Staatsrechtslehre – beispielsweise Rudolf Smend – vertraute auch Bekker dabei auf die Wirkmacht des politischen Erlebnisses, das mithelfen sollte, den Staat nicht länger als eine bloß funktional zu denkende Apparatur der Verteilung und Ausübung von Macht zu charakterisieren, sondern ihn als sinnhafte Institution zu konkretisieren, an der der einzelne aktiv Anteil nehmen konnte.54 Zahlreiche zeitgenössische Publizisten und Intellektuelle diskutierten in diesem Zusammenhang immer wieder die Neuordnung des Verhältnisses von Musik und Staat. Der Staat wurde nun nicht länger als „der große ,Andere‘“ wahrgenommen, der in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur Gesellschaft stand und sich dieser als autokratisch-bürokratischer Mechanismus präsentierte.55 Vielmehr erklärte man ihn zum „Treuhänder der Volksgesamtheit“, der sich auch an der Gestaltung des öffentlichen Musiklebens beteiligen sollte.56 Erst in diesem umfassenden Sinn konnte das Politische, konnte der Staat zum „Ereignis“ werden und sich aus einer „Gegenwart des amusischen Rationalismus“, der „anmutlosen Nüchternheit“ lösen.57 Paul Bekker schaltete sich immer wieder in diese Debatte ein und rief dazu auf, die „Verpflichtung zur Mitarbeit“ ernst zu nehmen.58 Dabei bediente er sich wiederholt einer Semantik der Dynamisierung, der konstruktiven Gestaltung, die das schöpferisch-improvisierende Moment der Musik auf den Bereich des Politischen übertragen wollte. In der Pflege der Musik erblickte er eine gesamtgesellschaftlich notwendige Aufgabe; denn wie sich seiner Ansicht nach gegenwärtig niemand mehr anmaßen dürfe, „nichts von Politik zu verstehen“, solle der einzelne zugleich bemüht sein, „Musik zu verstehen“ im Sinne einer „tätigen Anteilnahme“ an der „sozialen und ästhetischen Erscheinung der Allgemeinheit“.59 Weil Bekker in der Kunst eine wesentliche „Macht der Volksorganisation“ erblickte, wollte er als Intendant der preußischen Staatsbühne Wiesbaden die Musik als Modell gelingender Vergesellschaftung nutzen und der Weimarer Gesellschaft damit „das lebende Denkmal ihrer selbst“ schaffen.60

53 54

55 56 57 58 59 60

Ebd. Vgl. hierzu Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, 4. Aufl., München 1994, S. 83. Hans Joachim Moser: Musik und Staat, in: Die Musik 22, H. 1 (Oktober 1929), S. 7–16, hier S. 8. Ebd. Ebd., S. 16. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 281. Ebd., S. 282. Ebd., S. 336.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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7.2 Die ,republikanischen Maifestspiele‘ als „lebendige Erneuerung der Tradition“ und als „Gesellschaftswesen der Gegenwart“61 Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte der Festspielgedanke eine erstaunliche Renaissance: Seit 1919 fanden in München wieder Mozart- und WagnerFestspiele statt − nun erweitert durch die Werke zeitgenössischer Komponisten wie Richard Strauss oder Hans Pfitzner −, am 22. August 1920 wurden mit Hugo von Hofmannsthals Jedermann die ersten Salzburger Festspiele eröffnet. Die Kammermusiktage in Donaueschingen, die sich zu einem der wichtigsten Zentren für Neue Musik aufschwingen sollten und dazu beitrugen, die Werke Paul Hindemiths, Alban Bergs, Arnold Schönbergs oder Anton Weberns einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, fanden erstmals im Jahr 1921 statt. 1924 wurden zum ersten Mal nach dem Ende des Weltkrieges auch in Bayreuth wieder Festspiele abgehalten. Ebenfalls im Jahr 1924 trug man sich auch in Berlin mit dem Gedanken, eine eigene Festspieltradition ins Leben zu rufen − ein Vorhaben, das allerdings erst im Mai 1929 realisiert werden konnte. Gemeinsam war diesen Bestrebungen, dass sie als repräsentative und ästhetische Entwürfe in einer Zeit politischer Krisen und wirtschaftlicher wie kultureller Unsicherheit angesiedelt waren und man sich von ihnen einen ordnungs- und gemeinschaftsstiftenden Impuls erhoffte. Abgesehen davon zeichneten sich die unterschiedlichen Festspielprojekte durch eine enorme programmatische und öffentlichkeitswirksame Bandbreite aus: Während sich etwa die Donaueschinger Kammermusiktage für die Förderung der Neuen Musik einsetzten, waren die Salzburger Festspiele nach dem Willen von Hofmannsthals, einem ihrer Hauptinitiatoren, ausdrücklich dazu bestimmt, „ein Modell österreichischer Nationalidentität zu liefern“ und mit dem Festspielprogramm ein Kulturerbe zu verkörpern, in dem das Konzept einer katholisch-konservativen Kulturideologie verwirklicht werden solle.62 Die Initiatoren der Salzburger Festspiele wollten dabei nicht einfach die barock-katholische Vergangenheit der Donaumonarchie beschwören, sondern bewusst ein ganz bestimmtes, ,ideologisches‘ Bild dieser Vergangenheit entwerfen, um die kulturellen und politischen Anliegen der Vertreter einer ,konservativen Revolution‘ zu befördern.63 In der Wiener Allgemeinen Zeitung wurde die Salzburger Festspielidee entsprechend als „Sinnbild des unzerstörbaren Österreichertums“ und als „Wahrzeichen unverwüstbarer

61 62 63

Paul Bekker: Das Festprogramm, in: Staatstheater Wiesbaden, Programmschrift zur Maifestwoche 1928, S. 1f., hier S. 2; ders.: Das deutsche Musikleben, S. 84. Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 8. Ebd., S. 47.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Wesensart“ begrüßt, von deren „völkische[r] Mission“ man sich einen Beitrag zu einer neuen Staats- und Weltordnung erhoffte.64 Wie Salzburg etablierte sich auch Bayreuth nach 1924 zunehmend als Zentrum einer nationalkonservativen Ideologie.65 Anhänger der Festspiele feierten Bayreuth als Herzstück deutscher Nationalkultur, an dem sich die Kulturpolitik der Republik zukünftig zu orientieren habe, wie beispielsweise der Musikschriftsteller Paul Marsop (1856–1925) meinte.66 Hatte das Festspielhaus vor dem Krieg feiertägliche Erholung gespendet, wurde seine Erhaltung nun vielfach zur unverzichtbaren Notwendigkeit erklärt und als Einlösung einer nationalen Pflicht deklariert, bot sich hier doch die Chance, zu einem „nationalen Darstellungsstil“ zurückzufinden, der das Prestige Deutschlands im internationalen Wettstreit wirkungsvoll heben sollte.67 Bewusst spielte man Bayreuth hierbei gegen die neuen Staatstheater der Republik aus, die Marsop zu den „groteskesten Erscheinungen des neuen Deutschlands“ zählte, da er sie für unfähig hielt, ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich der Vermittlung „gehaltreiche[r] Kunst“ unter Berücksichtigung „vaterländische[r] Gesichtspunkte“ nachkommen zu können.68 Seinen Kritikern wiederum erschien Bayreuth als „Brutstätte einer [...] pharisäischen Wagner-Manie“, die sich plakativ einer tagespolitischen Propaganda verschrieben habe.69 Der offizielle Festspielführer des Jahres 1924 las sich in ihren Augen demnach als Manifest eines „[k]ünstlerische[n] und staatsbürgerliche[n] Byzantinismus, Nationalismus und Antisemitismus“, der Wagner zu einer nationalen Führerfigur erheben und ihm die Verteidigung ,deutscher Art‘ überantworten wolle.70 Mit „einem gelinden Erstaunen“ nahmen Kritiker diese „gesinnungsmäßige Umstellung“ Bayreuths wahr, das 1924 zwar eine finanziell erfolgreiche „äußere Auferstehung“ habe feiern können, seinen ästhetischen und kulturellen Stellenwert jedoch weitgehend verspielt habe.71 64 65

66 67 68 69

70 71

Vgl. diesen Artikel der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 24. Januar 1919 bei: Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele, S. 66. Zur Entwicklung der Bayreuther Festspiele als zentraler Kulturinstitution zwischen 1924 und 1933 vgl. vor allem Holger R. Stunz: Hitler und die ,Gleichschaltung‘ der Bayreuther Festspiele. Ausnahmezustand, Umdeutung und sozialer Wandel einer Kulturinstitution 1933–1934, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 55/2007, H. 2, S. 237–268. Paul Marsop: Bayreuth, die Zeitenwende und das Reich, in: Die Musik 17, H. 1 (Oktober 1924), S. 1–13, hier S. 4. Ebd., S. 3ff. Ebd., S. 3. Zum 80. Geburtstag druckte die Frankfurter Zeitung 1972 eine Reihe seiner älteren Texte, unter anderem seinen Bericht „Bayreuth 1924. Dem Beobachter die Augen öffnen“ vom 3. August 1924, den Holl anlässlich der Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele nach dem Ersten Weltkrieg für die Frankfurter Zeitung geschrieben hatte. Siehe in: FAZ, 15. Januar 1972, in: Inst. f. StG Ffm, Personalakte Karl Holl, Signatur S2/664. Karl Holl: Bayreuth 1924. Dem Beobachter die Augen öffnen, Wiederabdruck in: FAZ, 15. Januar 1972, in: Inst. f. StG Ffm, Personalakte Karl Holl, Signatur S2/664. Ebd.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Scharfe Angriffe gegen das Bayreuther Festspielkonzept waren auch von Paul Bekker zu vernehmen, der Bayreuth bereits 1921 den Vorwurf gemacht hatte, in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Krieges zu einer Kultstätte „entwicklungsfeindlichen Dünkels“ und „mißverstandenen Deutschtums“, kurz, zu einer „Hochburg der Reaktion“ und zum „Symbol des Stillstandes und des Nichtwollens“ herabgesunken zu sein.72 Nicht nur ästhetisch, sondern vor allem politisch hatte sich Wagners Festspielstätte in Bekkers Augen zu einem Zentrum einer epigonalen, deutschnational-konservativen Reaktion entwickelt.73 Die Chance einer zukünftigen produktiven Wiederbelebung der Bayreuther Festspieltradition schätzte der zukünftige Wiesbadener Intendant denn auch als sehr gering ein. Für ihn war Bayreuth kaum mehr als ein „verfallende[r] Gralstempel“, „umstrahlt von der Abendröte der Erinnerungen, aber nicht mehr erreichbar den Zeichen des neuen Tages.“74 Gerade angesichts dieses Übergewichts kulturkonservativer und nationalistisch ausgerichteter Festspielkonzepte nahm Bekkers Versuch, in Wiesbaden eine zeitadäquat-moderne und dezidiert ,republikanische‘ Festspieltradition zu etablieren, innerhalb der deutschsprachigen Festspiellandschaft der 1920er Jahre eine Sonderstellung ein. Seine programmatische Zielsetzung hob sich nachweislich von den beiden überaus populären Vorbildern Salzburg und Bayreuth ab. Mit der Wiederbelebung der Maifestspiele strebte Bekker von Anfang an eine „lebendige Erneuerung der Tradition“ an, die sich dezidiert von einer imitierenden Nachahmung der kaiserzeitlichen Maifestspiele distanzieren und dem höfischen Prunk vergangener Tage einen alternativen „feiertägliche[n] Inhalt“ entgegenstellen wollte, um den Anforderungen eines zeitgenössischen Kulturtheaters entsprechen zu können.75 Nicht wenige Anzeichen deuteten allerdings von Anfang an darauf hin, dass Bekker in Wiesbaden seine Vorstellung eines republikanischen Kulturtheaters nur mir Mühe umsetzen konnte. Obgleich Inflation, Besatzung und soziale Not in Wiesbaden deutliche Spuren hinterlassen hatten, verglich sich die Stadt nach wie vor gern mit „einem Edelstein in köstlicher Fassung“ oder mit einem „Gemälde in prunkhaftem Rahmen“.76 Das „neue Wiesbaden“ der Nachkriegsära, das in zahlreichen Werbebroschüren und Veröffentlichungen der 1920er Jahre auf sich aufmerksam machte, präsentierte sich seinen Kurgästen und Besuchern wie auch seiner Bürgerschaft zumeist als das ,alte‘ Wiesbaden der wilhelminischen Ära, in der die Kurstadt die An72 73 74 75 76

Paul Bekker: Bayreuth [1920], in: ders.: Kritische Zeitbilder, Berlin 1921, S. 56–64, hier S. 60ff. Ebd., S. 62. Ebd., S. 63f. Paul Bekker: Das Wiesbadener Festprogramm, in: Frankfurter Zeitung, 5. Mai 1928, Abendblatt. Heinrich Leis: Die Landschaft, in: Richard H. Grützmacher (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 9–17, hier S. 9ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

gehörigen einer internationalen Finanz- und Geburtsaristokratie angezogen hatte.77 Nachdrücklich berief sich die Stadt auf ihre wilhelminische Vergangenheit, in der sich Wiesbaden einen Namen als bevorzugte Erholungs-, Repräsentations- und Vergnügungsstätte der deutschen Kaiser gemacht hatte. Auch in den 1920er Jahren hielt Wiesbaden, dessen „Physiognomie“ sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts „immer mehr dem wilhelminischen Berlin“ angenähert und in dem seit 1866 der „neu-preußische Barock“ mit „PaukenWirbel und Posaunen-Geschmetter“ Einzug gehalten hatte, weitgehend an einer konservativen, mitunter beinahe restaurativen politischen Gesinnung fest.78 Gerade in der „Trübsal der Nachkriegszeit“ tröstete sich die besetzte Stadt mit der Erinnerung an ihre große Vergangenheit, als Wilhelm I. und Bismarck das damals noch junge Reich „zu Ansehen und Herrlichkeit, zu Macht und Glanz“ geführt hatten.79 Diese Selbstbeschreibungen waren symptomatisch dafür, dass ein weitgehend konservativ-antidemokratisch ausgerichteter Nationalismus wilhelminischer Prägung in der Beamten- und Pensionärsstadt Wiesbaden über weite Strecken die Identifikation mit dem Weimarer Staat erschwerte. Auch als Theaterstadt hatte Wiesbaden „keine Tradition als den wilhelminischen Glanz“, wie Bekker kritisch anmerkte.80 Dieser schien ihm allerdings kein hinreichendes „Fundament“ für eine neuartige Theater- und Festspielkultur zu sein, und die immer noch zahlreichen „Überbleibsel“ dieser Zeit erwiesen sich für seine Arbeit oft eher „als hemmende Belastung“.81 Dennoch war er bemüht, das Wiesbadener Stamm- wie das internationale Fremdenpublikum für seine Vorstellung eines republikanischen Kulturtheaters zu begeistern. Die ausführlichen programmatischen Beiträge, die Bekker anlässlich der Maifestwochen 1928, 1929, 1931 und 1932 verfasste und in denen er die Spielplangestaltung, die konzeptionelle Ausrichtung sowie die Inszenierungskonzepte einzelner Aufführungen und Neubearbeitungen der Wiesbadener Maifestspiele kommentierte, bieten einen guten Einblick in Bekkers künstlerisches und kulturpolitisches Selbstverständnis und können als eine Art programmatisches Bekenntnis gelesen werden, mit dem er sein Konzept der republikanischen Festspiele zu erläutern suchte. Wie bereits angedeutet, war Bekker in Wiesbaden nicht nur als Intendant und preußischer Kulturpolitiker tätig, sondern trat auch weiterhin als Publizist und Kritiker auf, um Publikum und Leserschaft seine Vorstellung einer auf schöpferischen Austausch bedachten lebendigen Zeitkunst zu ver77

78 79 80 81

Carl Andreas Müller: Das neue Wiesbaden. Mit zahlreichen Rückblicken in die Vergangenheit. Für Fremde und Einheimische insbesondere für die reifere Jugend zusammengestellt, Wiesbaden 1924. Wolfram Waldschmidt: Das Bild der Stadt, in: Richard H. Grützmacher (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 19–36, hier S. 27. Müller: Das neue Wiesbaden, S. 14f. Paul Bekker: Wiesbaden, in: Die Musik 12, H. 8 (Mai 1930), S. 594–596, hier S. 595. Ebd.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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mitteln.82 Neben den begleitenden Programmschriften zu den Wiesbadener Maifestspielen brachte das Staatstheater Wiesbaden seit 1928 auch eine eigene Schriftenreihe heraus, die zum großen Teil aus Originalbeiträgen bestand und in der neben Bekker eine Vielzahl von Autoren die in der jeweiligen Spielzeit angesetzten Opern und Schauspiele vorstellen und Inszenierungskonzepte kommentieren konnten. Zudem schuf sich hier auch das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ein Publikationsorgan, in dem es sein Konzept des republikanischen Staatstheaters und einer „volkstümlichen Kunstpflege“ darlegen und sich als aufmerksamer Mäzen empfehlen konnte, der die „planmässige Förderung des Theaterwesens“ als integralen Bestandteil seines kunstpolitischen Engagements betrachtete und die Aufgabe der „sozialen Kunstpflege“ gerade in den „Grenzgebiete[n] Preussens“ ernst nahm.83 Wie zu erwarten, begann Bekker, der bereits zu Beginn seiner Tätigkeit in Wiesbaden mit der südwestdeutschen Erstaufführung von Ernst Kreneks ,Jazzoper‘ Jonny spielt auf am 9. Oktober 1927 für Furore gesorgt hatte84 , seine Maifestspiele mit einer „bekenntnismäßig[en]“ Geste.85 Gemäß seiner Forderung, dass das Festspielprogramm das „Gesicht der Zeit“ tragen solle, waren bereits die ersten Abende der Maifestwoche, die vom 6. bis zum 13. Mai 1928 andauerte, dem zeitgenössischen Schauspiel- und Opernschaffen vorbehalten86 : Am 6. Mai begannen die Festspiele mit der Uraufführung der drei unmittelbar nach Jonny – also zwischen 1926 und 1927 – entstandenen Operneinakter Der Diktator, Das geheime Königreich und Schwergewicht oder Die Ehre der Nation von Ernst Krenek, mit dem Bekker bereits in Kassel zusammengearbeitet hatte. Bekker hatte den jungen Komponisten nach Wiesbaden geholt, um in der gemeinsamen Arbeit seine Vorstellung eines republikanischen Kulturtheaters zu verwirklichen und eine künstlerisch 82 83 84

85 86

Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 243. Vgl. hierzu: Der Staat Preussen und sein Theater, in: Staatstheater Wiesbaden. Grosses und Kleines Haus. Spielzeit 1928/29, S. 139f., hier S. 139. Dem Berliner Ministerium berichtete Bekker in der Rubrik ,Bemerkenswerte künstlerische Vorgänge‘ am 7. November 1927 Folgendes über diese Aufführung: „Am 9. Oktober 1927 fand die Erstaufführung von Ernst Krenek’s Jonny spielt auf statt, die nach vertraglicher Sicherung die Erstaufführung für Südwest-Deutschland war, dem Wiesbadener Theater also den Vorsprung vor den Nachbarbühnen Frankfurt, Mainz, Darmstadt und Mannheim gab. Die Aufführung, vom General-Musik-Direktor, Herrn Rosenstock, musikalisch, vom Intendanten szenisch geleitet, sollte gleichzeitig dazu dienen, eine Reihe neuverpflichteter Kräfte in einer gut vorbereiteten Erstaufführung herauszustellen [...]. Sowohl der künstlerische, als auch der materielle Erfolg war aussergewöhnlich und hat sich auch in den Presseurteilen weit über die lokale Umgrenzung hinaus ausgewirkt. [...].“ Siehe in: Staatstheater Wiesbaden, Beiakten zu den General-Akten A.I.2a, Spezial-Akten betrf. Bericht an den Herrn Minister über a) Bemerkenswerte künstlerische Vorgänge, b) Kassenrapport, Bd. I: 1926–1932, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 388, Blatt 98. Bekker: Das Festprogramm, S. 2. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

produktive Atmosphäre zu schaffen, die die „Entfremdung zwischen dem Theater und den Schaffenden“ überwinden und der vielfach beklagten krisenhaften „Stagnation des Theaters“ ein Ende bereiten sollte.87 Wie auch am 8. Mai, als mit Franco Alfanos ,lyrischer Komödie‘ Madonna Imperia und mit Mario Castelnuovo-Tedescos ,Florentinischer Musikkomödie‘ Mandragola zwei weitere Wiesbadener Uraufführungen angesetzt waren, hatte Bekker anlässlich der Krenek-Aufführungen selbst die Spielleitung übernommen. Da er seinem Publikum aber sowohl einen Eindruck der „charakteristischen Gegenwartsproduktion“ vermitteln als auch Werke der „älteren Produktion“ pflegen wollte, sah der Spielplan für das Große Haus neben anderem (Neu-)Inszenierungen von Wagners Lohengrin − auch hier fungierte Bekker als Spielleiter − oder von Giuseppe Verdis Ernani vor, während das ,Kleine Haus‘ hauptsächlich Schauspiele, Gesellschaftskomödien oder Operetten darbot. 88 Da die Nachkriegsfestspiele einen eigenständigen „künstlerische[n] Wille[n] und ein geistiges Zielbewusstsein“ vermitteln sollten, trat jegliche dekorative Prachtentfaltung, die die Tradition der Kaiserfestspiele so sehr geprägt hatte, in den Hintergrund.89 Bekker knüpfte zwar insofern an diese Tradition an, als auch er die Festspiele als „festliche Veranstaltungen“ gewahrt sehen wollte und bemüht war, ihnen „den Charakter der gesellschaftlichen Feier“ aufzuprägen.90 Der repräsentative Zug sollte sich allerdings nicht aus den glanzvollen äußeren Rahmenbedingungen der Festspiele ergeben. Im Gegenteil definierte der neue Intendant Repräsentativität gemäß seiner bereits im Musikleben dargelegten Idealvorstellung als „Sammlung und produktive Verdichtung aller vorhandenen Energien“ und interpretierte sein Festspielkonzept als Symbol der „Gesellschaft unserer Zeit“.91 Es ging Bekker hierbei weniger um die Fixierung eines verbindlichen, normativen Konzeptes, als um die gemeinsam geteilte Erfahrung des ,schöpferischen Moments‘, in dem sich das bislang vornehmlich genießende Publikum als „belebte Ideen- und Empfindungsgemeinschaft“ erfahren sollte.92 Das Flüchtige und Ephemere, ja Augenblickhafte der lebendigen Form erhob Bekker hierbei ausdrücklich zum Programm: In der immer „neu entstehende[n] und im Augenblick vergehende[n] Form“ manifestierte sich für ihn ein ästhetisches Ideal eigener Qualität.93 Wohl könne man, so Bekker, in der Philosophie „den Begriff des ,Dinges an sich‘ konstruieren“, doch „in der 87 88 89 90 91 92 93

Paul Bekker: Brief an Ernst Krenek, in: Frankfurter Zeitung, 5. November 1932, Abendblatt. Bekker: Das Festprogramm, S. 2. Ebd., S. 1. Ebd. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 282. Ebd., S. 236f. So Bekker in einem Brief an Werner Wolffheim vom 12. August 1916, in: Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Mus. Ep. P. Bekker 177.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Kunst“ sei dies unmöglich, entstehe diese doch erst dadurch, „daß ich sie als solche erkenne“.94 Nach Bekkers Auffassung existierte daher auch Form nicht „an sich“, sondern konnte erst „in und durch den Anschauenden“ lebendig werden.95 Selbst Artefakte wie das Straßburger Münster ließ Bekker nicht als „Absolutes, Konstantes, Für-sich-Seiendes“ gelten, wandle sich dieses doch „mit jeder andern Art, es anzuschauen“.96 Somit existierte Form für Bekker immer nur in und durch den einzelnen Betrachter: Dieser erst lasse sie durch seine aktive Aneignung „Erscheinung werden“ und hauche ihr auf diesem Weg Leben ein.97 Das Prinzip der produktiven Aneignung, die der Improvisation sehr nahe kam, wollte Bekker auch in seiner Theaterarbeit realisieren; denn die aktiv am Entstehen des Kunstwerks beteiligte Zuhörerschaft sollte vor allem „die Erinnerung an dieses Zusammenwirken vielgestaltiger schöpferischer Kräfte“ bewahren und als „Erlebnis besonderer Art, als Daseinsgestaltung von unverlierbarem Wert“ schätzen lernen98 , um durch das Kunsterlebnis „frei“ zu werden und sich einem „tätige[n] Leben“ zu öffnen.99

7.3 Ernst Kreneks Operneinakter als Auftakt der Maifestspiele 1928 und die Ressentiments gegen Bekker Exemplarisch lässt sich Bekkers Vision eines dem Konzept der lebendigen Form verpflichteten republikanischen Kulturtheaters anhand der drei Operneinakter Ernst Kreneks und ihrer Rezeption durch die Wiesbadener Presse erläutern. Der Wiesbadener Intendant schätzte Krenek (1900–1991) als eines der überragenden Theatertalente der jüngeren Komponisten-Generation und hielt ihm zugute, sich virtuos bislang brachliegende Möglichkeiten des Dramas und der Musik zu eigen gemacht und sie auf eine Weise zum Einsatz gebracht zu haben, dass der ursprüngliche Spielcharakter des Theaters wieder lebendig hervortreten könne.100 Damit näherte sich Krenek der von Bekker so geschätzten „Rückkehr zur Naivität“ an, die an die Stelle philosophischästhetischer Reflexion das freie Spiel der Phantasie setze und eine Wirklich94

95 96 97 98 99 100

Brief Paul Bekkers an Werner Wolffheim vom 31. Juli/1. August 1915, in: Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Mus. Ep. P. Bekker 177. Vgl. zu Bekkers Formkonzept auch ausführlich Eichhorn: Paul Bekker, S. 175ff. Brief Paul Bekkers an Werner Wolffheim vom 31. Juli/1. August 1915, in: Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Mus. Ep. P. Bekker 177. Ebd. Ebd. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 311. Ebd., S. 282. Bekker: Brief an Ernst Krenek.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

keit eigener Qualität schaffe.101 Dies löse – wie Bekker lobend hervorhob – beim Publikum ganz neue, unerwartete Wirkungen aus und trage zu seiner Sensibilisierung bei.102 Kreneks Werk wurde für ihn gleichsam zum „Paradigma einer Neuen Musik“, zum Modell einer „überpersönlichen Kunst“, die das selbstvergessene Pathos der romantischen Musik endgültig verabschiede und damit die Ausdrucksästhetik des 19. Jahrhunderts hinter sich lasse.103 In seiner Besprechung der drei Operneinakter würdigte auch Karl Holl es als besonderes Verdienst Kreneks, „mit den einfachsten Mitteln des Bühnenpraktikers handfestes und doch nicht geistloses Theater zu machen“ und seinen „grübelnde[n] Verstand“ dabei seiner „naiven Spielphantasie“ unterzuordnen.104 Obwohl der Rezensent im Gegensatz zu Bekker bemängelte, dass die „Absicht ,sozialer‘ Wirkung“ dabei zu sehr hervortrete und die drei Stücke die „intellektuelle, ideologische Seite“ allzu prominent herausstellten, lobte er doch die „bemerkenswerte Einfachheit und Sammlung“ der Tonsprache sowie „eine besondere Begabung für das gesungene und gespielte Ensemble“.105 Krenek, der im Begleitheft der Festspiele seine Kurzopern vorstellte, hatte sich hier eingehend mit den Grenzen und „Möglichkeiten menschlicher Machtentfaltung“ auseinandergesetzt106 : Seinen inneren Zusammenhalt fand der Opernzyklus in der Konzeption seiner drei männlichen Protagonisten − einem Diktator, einem König und einem Sportidol −, die sich aus Machtgier, Schwachheit oder Eitelkeit als unfähig erweisen, verantwortungsvoll mit der ihnen zukommenden militärischen, gesellschaftlichen und politischen Macht umzugehen. Zugleich setzte sich Krenek dabei mit aktuellen politischen und sozialen Zeitfragen auseinander und stellte sich dem von Bekker aufgeworfenen Problem, das Konzept der ,lebendigen Form‘ im Sinne einer „Sichtbarwerdung der Gesellschaft“ zu gestalten.107 In ihrer Besprechung lobte die Frankfurter Zeitung ausdrücklich das Bemühen Kreneks, „aus der Empfindungslage und mit den Mitteln der Gegenwart“ Theater zu machen.108 Insbesondere würdigte sie die in den drei Einaktern gestaltete „Grundidee“, nämlich „die Entlarvung der brutalen Macht mit dem Hinweis auf ihre Grenzen und auf ein Höheres, Reineres, was da kommen könnte, kommen sollte“, zumindest aber „ersehnt“ wurde.109 Mit dem Diktator präsentierte Krenek einen „Sketch, der nur so knallt und 101 102 103 104 105 106 107 108 109

Ebd. Ebd. Eichhorn: Annäherung durch Distanz, S. 203. Karl Holl: Kreneks Opern-Einakter. Uraufführung im Wiesbadener Staatstheater, in: Frankfurter Zeitung, 7. Mai 1928. Ebd. Ernst Krenek: Meine drei Einakter, in: Staatstheater Wiesbaden. Maifestwoche 1928, S. 4–6, hier S. 6. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 234. Holl: Kreneks Opern-Einakter. Ebd.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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prasselt“110 : Dem Publikum führte der Komponist den „Typ des modernen Gewaltmenschen“ vor Augen, der „auf schwächere Gemüter unwiderstehlich wirkt“.111 Der Diktator eines Krieg führenden Landes reist mit seiner Frau in ein oberhalb des Genfer Sees gelegenes Kurhotel, wo das Paar einen aus dem gleichen Land stammenden Offizier trifft, der durch eine Kriegsverletzung erblindet ist. Der Diktator verführt die Ehefrau des Offiziers und erweist sich im Verlauf der Oper immer mehr als korrupter Manipulator menschlicher Leidenschaften. Bereitwillig nimmt er am Ende die Ermordung der Geliebten hin, als diese einen auf ihn gerichteten Pistolenschuss abfängt und sich für ihn opfert.112 Demgegenüber porträtiert die Märchenoper Das geheime Königreich einen schwachen König, der die seiner Krone innewohnende Macht gegen eine im Land tobende Rebellion nicht zu nutzen weiß und erst nach einem schmerzhaften Läuterungsprozess zu verstehen beginnt, dass nicht äußere Symbole der Macht, sondern allein die „Verbundenheit mit dem inneren Wesen der Dinge“ das Wesen guter Herrschaft ausmachen.113 Erst nachdem er dieses ,wahre Königreich‘ gefunden“ hat, kann er seine alten Kleider als König wieder anlegen, während ihm sein Narr die Königskrone aufsetzt.114 Den Meisterboxer Adam Ochsenschwanz schließlich, Protagonist der ,burlesken Operette‘ Schwergewicht oder die Ehre der Nation, hatte Krenek als zeitgemäße Karikatur der beiden anderen Herrscherfiguren konzipiert.115 Hier ging es ihm vor allem darum, den „Kontrast zwischen äusserer Wertschätzung und innerem Wert des Kraftmeiers“ herauszustellen.116 Krenek reagierte damit – wie er schrieb – auf die Behauptung eines Diplomaten, wonach Idole aus der Welt des Sports weit mehr zur Hebung des nationalen Renommees beitragen könnten als Künstler und Wissenschaftler.117 Außerdem kritisierte er in seiner bewusst übertreibenden Satire die manipulative Sensationsgier des frühen massenmedialen Zeitalters: Obwohl von allen Seiten als athletisches Phänomen bestaunt und öffentlich als strahlender Sieger bejubelt, befindet sich das einfältige Sportidol tatsächlich in einem „Zustand schlimmster Hilflosigkeit“, aus der es kein Entrinnen gibt.118 Ochsenschwanz erliegt der List des Liebhabers seiner Frau, der den „Helden seiner Zeit“ auf einen „elektrisch angetriebenen Trainierapparat“ bannt und ihn damit „zu ewigem hilflosen

110 111 112 113 114 115 116 117 118

Paul Stefan: Reisebericht. Krenek-Uraufführungen in Wiesbaden, in: Musikblätter des Anbruch 10, H. 5 (Mai 1928), S. 153–155, hier S. 154. Holl: Kreneks Opern-Einakter. Krenek: Meine drei Einakter, S. 4. Ebd., S. 5f. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd., S. 5. Ebd. Ebd., S. 6.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Treten“ und „sinnloser Kraftvergeudung“ zwingt.119 Als er einen Regierungsrat, der ihm den Auftrag überbringt, bei der nächsten „Olympiade“ die „Ehre der Nation“ zu verteidigen, darum bittet, die Maschine abzuschalten und ihn aus seinem Zwangsapparat zu befreien, erwidert dieser ihm lapidar, dass Ochsenschwanz in seinem Training nicht nachlässig werden dürfe und überlässt den Meisterboxer seinem Schicksal.120 In seinen Operneinaktern betonte Krenek bewusst den von Bekker geforderten „Spielcharakter der Oper“, so dass sich sein Opernzyklus als programmatischer Auftakt der neuen Maifestspieltradition in besonderer Weise empfehlen konnte.121 Bekker, der die Gattung Oper vornehmlich aufgrund ihres gewollt artifiziellen, mitunter übertreibenden, ja beinahe parodistischen Wesens schätzte, begrüßte das Opernschaffen Kreneks als zeitadäquates Klangsymbol, das auf der Grundlage kreativen Schaffensvermögens lebendige Protagonisten und Schicksale gestaltete ohne dabei weltanschauliche Aspekte in den Vordergrund treten zu lassen.122 Mit dem Terminus des ,Spiels‘ führte Bekker eine neue Beschreibungskategorie in seinen begrifflichen Analyseapparat ein, die ihm vornehmlich dazu diente, die zeitgenössische Neue Musik von der ,Ausdruckskunst‘ des 19. Jahrhunderts abzugrenzen.123 Außerdem entsprach die Kategorie des Spiels seiner Wertschätzung der Improvisation, der nicht endgültig fixierten Form, die sich geschmeidig in neue Konstellationen einfügte und den Bereich des Ästhetischen als Experimentierfeld nutzte.124 Hierbei orientierte sich Bekker vor allem am Werk Wolfgang Amadeus Mozarts, der es aus seiner Sicht wie kein anderer Komponist verstanden habe, die Oper zu sich selbst finden zu lassen, indem er sie beispielsweise in seiner Zauberflöte in das Gewand eines „Kinderspieles“ gekleidet, dabei doch treffend das „Ziel aller humanitären Kultur: die Menschheitsvereinigung durch Freundschaft, Liebe, Weisheit“ dargelegt habe.125 Somit erstaunt es nicht, dass die Maifestspiele des Jahres 1929 dem Publikum auch eine von Bekker geleitete Neuinszenierung der Zauberflöte präsentierten. 1928 jedoch erschien es zunächst nicht wenigen Zuschauern und Kritikern befremdlich, dass Krenek und Bekker ausgerechnet in Wiesbaden, 119 120 121 122

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Holl: Kreneks Opern-Einakter. Krenek: Meine drei Einakter, S. 5. Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 98. Bekker: Brief an Ernst Krenek. Bereits in seinen Überlegungen zur Deutschen Musik der Gegenwart (1922) hatte Bekker die Oper als „Idealgattung des Phantasiespiels“ bezeichnet, da sie sich bewusst normativen Werturteilen und einer dogmatisch vertretenen Ethik entziehe, dadurch aber die Probleme ihrer Zeit umso wirkungsvoller verdichten und im Maskengewand bewusster Verfremdung aufs Eindringlichste gestalten könne. Siehe hierzu Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 97ff. Vgl. hierzu Eichhorn: Annäherung durch Distanz, S. 203. Vgl. zum Begriff des ,Spiels‘ als „Chiffre des experimentellen Denkens“ ebd., S. 208. Bekker: Deutsche Musik der Gegenwart, S. 97.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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dem Lieblingstheater des letzten Kaisers, einen Opernzyklus zur Aufführung brachten, der so grundsätzlich mit den Aufführungstraditionen der ehemaligen Hofbühne brach und die Inhaber politisch-gesellschaftlicher Macht in einer derart offenkundigen Weise der Lächerlichkeit preisgab. Zwar feierten die als Anwalt der neuen Musik auftretenden Musikblätter des Anbruch die Operneinakter Kreneks begeistert als bestandene „Sensationsprobe nach der Sensation“126 , doch zeigte sich die Neue Wiesbadener Zeitung zunächst eher irritiert von der „üppig wuchernden Begabung“ Kreneks und rätselte, ob sich hinter dem „brutal herrschenden, jeder Willkür sich hingebenden“ Diktator etwa Mussolini verbergen solle.127 Schließlich aber lobte das Blatt Bekkers Festspielkonzept: Mit einer Reihe „interessante[r] Kunstwerke“ habe dieser die „Serie von Maifestspielen“ wieder aufgenommen, die „einst, freilich in ganz anderen Zeiten, eine solche Anziehungskraft“ ausgeübt hatten“.128 Auch die Zustimmung des Publikums hielt sich am Premierenabend anfangs in Grenzen, steigerte sich aber nach und nach, und am Ende der Vorstellung wurde Krenek gar mit „starkem Beifall bedacht“, wie die Frankfurter Zeitung notierte, die besonders den „vorzüglichen Ensemblegeist des Instituts“ lobte und Bekker attestierte, mit seiner Arbeit das „Niveau ,Provinz‘ [...] nach Möglichkeit überschritten“ zu haben.129 Zunächst sah alles danach aus, als ob Bekker mit seinem neuartigen Festspielkonzept in Wiesbaden Fuß fassen konnte: Sein Vorhaben, die Musik als eine Öffentlichkeit schaffende und gestaltende „Macht der Volksorganisation“ zu etablieren und dem Weimarer Staat mit den republikanischen Festspielen ein „lebende[s] Denkmal“ seiner selbst zu schaffen, schien Zustimmung zu finden.130 Publikum und Presse setzten sich neugierig mit Bekkers Idee der lebendigen Form auseinander und bemühten sich, in Kreneks Opernzyklus das „in der unmittelbaren Gegenwart“ hervortretende „rein Menschliche“ zu würdigen und etwa dem Diktator eine „pazifistische Tendenz“ zuzuschreiben.131 Außerdem hatte eine Reihe auswärtiger Gäste ihr Kommen zugesagt, um den Festspielen den gewünschten repräsentativ-festlichen Rahmen zu verleihen. Aus Berlin reisten der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Carl Heinrich Becker, der Ministerialdirektor im Kultusministerium, Wilhelm Nentwig, sowie Heinz Tietjen, der General-Intendant der preußischen Staatsbühnen, an. Im Rahmen des sich an die Opernaufführung anschließenden Festaktes im Theaterfoyer hob der Wiesbadener Oberbürgermeister Fritz Travers denn auch hervor, dass das Kommen hochrangiger Kulturpolitiker beweise, „daß das Interesse für das Wiesbadener Staatstheater noch fortlebt im preußischen 126 127 128 129 130 131

Stefan: Reisebericht. Krenek-Uraufführungen in Wiesbaden, S. 153. Neue Wiesbadener Zeitung, 7. Mai 1928. Ebd. Frankfurter Zeitung, 7. Mai 1928. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 336. Neue Wiesbadener Zeitung, 7. Mai 1928.

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Staate“.132 Neben den Intendanten der „großen deutschen Theater“ und vielen „Kunst-Interessierten“ erschienen auch zahlreiche Vertreter der „deutschen und ausländischen Presse“, so dass die Festspiele des Jahres 1928 den Willen bekundeten, die „Tradition der großen künstlerischen Vergangenheit des Wiesbadener Staatstheaters“ weiterzuführen.133 Freilich zeigte sich bald, dass Bekker mit seinem Festspielkonzept keineswegs nur lobende Anerkennung fand. Vielmehr formierte sich in den Reihen der Wiesbadener Presse von Anfang an auch ein erbitterter Widerstand gegen „die ,Bekkerei‘“, wie der rechtskonservative Nassauer Beobachter festhielt, der auch vor antisemitischen Verunglimpfungen nicht zurückschreckte, um Bekker zu diskreditieren.134 Die internationale Ausrichtung Bekkers, die ihm unter anderem bereits Hans Pfitzner zum Vorwurf gemacht hatte, wurde auch im sich gern weltgewandt gebenden Wiesbaden nicht vorbehaltlos begrüßt: Hier sah man sich „unter den gegenwärtigen Zeitumständen eine[r] große[n] vaterländische[n] Mission“ verpflichtet, die vornehmlich darin bestehen sollte, einem internationalen Fremdenpublikum wie auch den Angehörigen der alliierten Armeen „deutsches Wesen und deutsche Kunst“ zu „offenbaren“.135 Die topographische Lage des Ortes wurde somit strategisch genutzt, um den nationalen Verteidigungskampf gegen innere und äußere Feinde führen zu können. Diese Forderung legt die Widersprüche offen, die das geistige Klima der einstigen ,Weltkurstadt‘ in den 1920er Jahren prägten. Gerade die kosmopolitische Aura des Ortes wurde zunehmend für nationalistische Zwecke instrumentalisiert und sollte einen international gehörten Resonanzraum des Deutschen schaffen, der sich seiner „nationale[n] Sendung“ bewusst war.136 Da die Stadt aber existenziell auf einen prosperierenden Kur- und Fremdenbetrieb angewiesen war und sich seit 1925 eine spürbare Belebung des Fremdenverkehrs bemerkbar machte, konnte ein allzu offensiv vorgebrachter Kunstnationalismus Wiesbaden kaum als weltoffene Metropole empfehlen.137

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136 137

Ebd. Ebd. Nassauer Beobachter. Wiesbadener Wochenschrift für Wahrheit und Recht!, 1. JuniAusgabe, Nr. 23, Juni 1928. So meinte der damalige Kurdirektor und Hofrat Rauch in seinem Beitrag „Das geistige Leben in der Kurstadt“, in: Richard H. Grützmacher (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 51-58, hier S. 51. Ebd. Seit 1925 erlebte Wiesbaden eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, was unter anderem der deutlichen Zunahme Fremdenverkehrs geschuldet war: Hatten 1925 noch rund 123 000 Gäste die Stadt besucht, betrug die Besuchsziffer 1928 bereits knapp 160 000 Gäste. Damit hatte man den Vorkriegshöchststand − 1913 hatten fast 200 000 Kurgäste und Touristen die Stadt besucht − zwar nicht wieder erreichen können, doch hatte sich die Situation gegenüber den ersten Nachkriegsjahren merklich entspannt. Siehe Richard H. Grützmacher: Werden und Wesen der Stadt, in: ders. (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 37–50, hier S. 47.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Dieser Zwiespalt, der in Ansätzen bereits die Jahre des Kaiserreichs geprägt hatte, vertiefte sich nun zusehends. Mit dem Vorwurf einer das Eigene vernachlässigenden Internationalität verband sich ein weiteres Ressentiment gegen Bekker. Während sich dieser nämlich der Forderung des preußischen Kultusministeriums anschloss und einen kulturellen Pluralismus förderte, der „stets das Ganze“ in den Blick nehmen und es in „allen seinen Gegensätzlichkeiten“ unterstützen wollte138 , forderten konservative oder rechtsorientierte Kulturpolitiker und Publizisten eine strikte Regulierung des Musiklebens. Offensiv wollte man gerade gegen jene Komponisten vorgehen, deren Werk als nicht ausreichend ,deutsch‘ und ,national‘, sondern als ,musikbolschewistisch‘, ,international‘ oder ,entartet‘ eingestuft wurde. Der Vorwurf des ,Musikbolschewismus‘ artikulierte konservativ-bildungsbürgerliche Vorbehalte gegenüber der kulturellen Moderne und goss damit genuin politische Ängste vor Kommunismus, gesellschaftlicher Desintegration und dem Verlust verbindlicher Ordnungsmuster in ästhetische Metaphern.139 Es waren vor allem die selbsternannten Hüter und Bewahrer einer ,absoluten‘ Musik, die die Vertreter der so bezeichneten Neuen Musik als Zerstörer der ,wahren‘ Kunst angriffen und diesen politisch verdächtige Intentionen unterstellten. Gesellschaftspolitisch brisant wurde diese radikalnationalistische und antimoderne Argumentationsweise in dem Moment, in dem ökonomische, politische und kulturelle Krisenphänomene miteinander kurzgeschlossen wurden und sich zu einem grundsätzlich antirepublikanischen Ressentiment verdichteten.140 Eben diese Situation trat 1928 ein, als gegen Bekker gerichtete antimoderne Vorbehalte in eine umfassende Kritik am Weimarer Staat und seinen politischen Instanzen umschlugen. Gezielt bedienten die einschlägigen Presseorgane dezidiert antisemitische Klischees, um ihren Anschuldigungen die gewollte öffentliche Resonanz zu sichern. Bereits kurz nach dem Abschluss der ersten Maifestspiele zog der Nassauer Beobachter im Juni 1928 eine erste Bilanz von Bekkers bisheriger Intendantentätigkeit in Wiesbaden und erhob eine Reihe schwerster Anschuldigungen gegen den Intendanten. Bekker, den das Blatt durchgängig als ,Baruch Hirsch‘ bezeichnete, wurde als „Rassegenosse“ der preußischen Ministerialräte Leo Kestenberg und Ludwig Seelig neben anderem der Vorwurf der Günstlingswirtschaft zur Last gelegt.141 Da man mit Bekkers Berufung an das Wiesbadener Theater eine „vollkommene Verjudung des Staatstheaters“ befürchtete, regte das Blatt einen „Protest der Deutschen“ gegen Bekkers Amtsführung an.142 Solche und ähnliche Boy138 139 140 141 142

So formulierte es Leo Kestenberg in einem Empfehlungsschreiben für Arnold Schönberg. Vgl. dieses Schreiben bei Eichhorn: Paul Bekker, S. 746ff. Vgl. zum Begriff des ,Musikbolschewismus‘ vor allem John: Musikbolschewismus, S. 9. Vgl. hierzu allgemein Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 266. Nassauer Beobachter, 1. Juni-Ausgabe, Nr. 23, Juni 1928. Ebd.

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kottaufrufe blieben nicht ohne Wirkung: Eine „von über 1500 Wiesbadener Bürgern unterzeichnete Protestnote“ gegen den von Bekker an das Wiesbadener Theater verpflichteten Generalmusikdirektor Joseph Rosenstock blieb vom Berliner Ministerium zwar unbeantwortet, hatte jedoch eine „Massenkündigung von Theaterabonnements“ zur Folge, „von der hauptsächlich die teueren und mittleren Plätze betroffen“ waren.143 Eine „starke“ und „begründete Unzufriedenheit“ mit der Arbeit Bekkers äußerte auch das Wiesbadener Fremdenblatt, das das lobende Urteil des preußischen Kultusministers Becker „anläßlich der Krenek-Uraufführungen“ nicht teilen konnte und stattdessen „ein offenes Wort über die Lage des Staatstheaters“ forderte.144 Gegen Bekker wurde der Vorwurf laut, dass er „als theaterfremder Musikgelehrter“ sowohl „im Spielplan, der Besetzung“ als auch bei „den Engagements ohne Rücksicht auf das Publikum“ agiert und das Haus damit in eine ernstzunehmende „Krisis“ gestürzt habe.145 Bereits im November 1928 wurde der Ton heftiger; rasch kam es zu jener vorab skizzierten Koppelung nationalistischer, antimoderner und antisemitischer Ressentiments. In einer November-Ausgabe griff der Nassauer Beobachter Bekker erneut scharf an und warf ihm vor, das „nunmehrige Staatstheater Wiesbaden“ zu einer „Provinzbühne fünften Ranges“ herabgewirtschaftet zu haben.146 Antisemitische Vorwürfe wurden ebenso unverblümt wie aggressiv eingesetzt und gingen offen dazu über, Bekker als Person zu diffamieren: „Herr Baruch Hirsch“, so hieß es nun, „der demokratische Nachfolger aristokratischer Vorgänger, der sich aus Zweckmäßigkeitsgründen heute Paul Bekker zu nennen beliebt, ist Jude, und sein eifriges Bestreben geht offenbar dahin, aus dem einstmals Kgl. Hoftheater ein jüdisches Staatstheater zu machen“.147 Der „Tatsache einer planmäßig sich vollziehenden Verjudung des Staatstheaters“, mit der „ein unaufhaltsamer Niedergang“ der Bühne einhergehe, müsse man, so die Forderung des Blattes, nun endlich entschieden entgegentreten, da das Theater „dem deutschen Volk“ gehöre und „von Geldern deutscher Steuerzahler und deutscher Besucher“ erhalten werde.148 Da diese hilflos zusehen müssten, wie „ihre deutschen Künstler verjagt und durch jüdische Komödianten ersetzt“ und

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Ebd. Bereits im Spätjahr 1928 erhielt Joseph Rosenstock ein Angebot der Metropolitan Opera in New York. Im Herbst 1929 trat er dort eine Stelle als erster Kapellmeister an. Siehe in: Staatstheater Wiesbaden, Personal-Akten betrf. den Generalmusikdirektor Joseph Rosenstock, Bd. I: 1926–19XX, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 3324. Der entsprechende Artikel des Wiesbadener Fremdenblattes ist abgedruckt in: Nassauer Beobachter, 1. Juni-Ausgabe, Nr. 23, Juni 1928. Ebd. Nassauer Beobachter, Nr. 47, November 1928. Ebd. Ebd.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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„ihnen an Stelle deutscher Kunst jüdische Schmarren vorgesetzt“ wurden, gab es für die Zeitung nur eine Lösung: „Weg mit dem Juden ,Paul Bekker‘!“149 Schon zu diesem Zeitpunkt war unübersehbar, dass Bekker in Wiesbaden mit seinem Konzept eines auf Inklusion und Pluralität bedachten republikanischen Kulturtheaters, das eine aus dem ästhetischen Erleben generierte neue soziale Einheit schaffen wollte, an seine Grenzen stieß. Hatte Bekker gehofft, gerade aufgrund der internationalen Zusammensetzung des Wiesbadener Publikums mit seiner Förderung der Zeitoper Zustimmung zu finden und das „Blender-Programm“ der Vorkriegsjahre durch wahre „Feste der Republik“ ersetzen zu können, so sah er sich in dieser Erwartung getäuscht.150 Mit der neuartigen musikalischen Idiomatik eines Ernst Krenek konnte ein Großteil des Publikums wenig anfangen und verlangte stattdessen nach einer als ,wahrhaft deutsch‘ eingestuften Kunst, die die Aktivierung und Rehabilitierung einer deutschen Volksgemeinschaft auf den Weg bringen sollte.

7.4 Bekker und die Teilhabe am Kompositionsprozess einer neuen Oper für Wiesbaden Trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe hielt Bekker bei den Maifestspielen des Jahres 1929 an seinem Festspielkonzept fest und vertraute weiterhin auf eine „ethisch-metaphysische Aktivierung durch Musik“, von deren „kathartische[r] Humanität“ er sich die Konstituierung einer ,neuen Gesellschaft‘ erhoffte.151 Dass die programmatische Werkschau der Wiesbadener Bühnenarbeit auch in diesem Jahr überzeugende Resultate vorzuweisen hatte, zeigte sich nach seinem Dafürhalten am deutlichsten in der Ausweitung der Festspiele von einer auf insgesamt drei Wochen (4.–21. Mai 1929), in denen Bekker seinem Publikum nicht nur die bereits erwähnte Neuinszenierung von Mozarts Zauberflöte, sondern zugleich eine Aufsehen erregende Erstaufführung von Hector Berlioz’ selten gespielter Oper Benvenuto Cellini präsentierte, bei der er selbst Regie führte. Die Frankfurter Zeitung lobte die sowohl „musikalisch wie szenisch“ „vorzüglich durchgearbeitet[e]“ Inszenierung erneut als überzeugendes „Dokument einer geistig bewegten Führung“ und als „sehr respektable Eigenleistung des Ensembles“, verschwieg aber auch nicht, dass sie die Oper insgesamt als ein „problematisches Werk“ einstufte, da die Partitur nach Einschätzung des Blattes zu sehr der „alten Opernform“ verhaftet

149 150 151

Ebd. Bekker: Wiesbaden, S. 596. Walter: „Die Mörder sitzen im Rosenkavalier“, S. 28ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

bleibe.152 Insgesamt bemühte sich Bekker in seinem zweiten Festspieljahr ausdrücklich, seinem Publikum ein ausgewogenes Programm zu präsentieren, in dem neben deutschen Klassikern auch repräsentative Werke der französischen oder italienischen Oper zu finden waren.153 Mittlerweile hatte Bekker seine reformpädagogischen Bemühungen ausgedehnt, um das Wiesbadener Publikum stärker an das Theater zu binden und seine Arbeit transparenter zu gestalten. In öffentlichen Vorträgen und Pressebesprechungen erörterte er beispielsweise zunehmend verwaltungstechnische Angelegenheiten, Fragen nach der voraussichtlichen Gestaltung des Spielplans sowie seine Ansicht zur allgemeinen Lage des Theaters, wobei er sich besonders der viel diskutierten „Krise der Oper“ zuwandte.154 Gerade die „heutige Zeit mit ihren Schwierigkeiten“ brauche das „unmittelbare“ künstlerische „Erlebnis“155 , um die „wirkliche und wahrhafte Form der Gegenwart“ erkennen und mitgestalten zu können.156 Um dieses Konzept auch dem Wiesbadener Publikum nahezubringen, unterstützte Bekker im April 1931 die Gründung der Gesellschaft der ,Freunde des Staatstheaters‘, die sich an dem ein Jahr zuvor in Frankfurt gegründeten ,Verein Opernhilfe‘ orientierte und mit Hilfe werbewirksamer Aktionen wie etwa groß angelegter Künstlerfeste darauf abzielte, das Staatstheater finanziell zu unterstützen und den Zusammenhalt zwischen Bürgerschaft und Theater zu vertiefen.157 Um der städtischen Musik- und Theaterkultur ein eigenständiges Profil zu verleihen, bemühte sich Bekker in der Folgezeit um eine Wiederbelebung des Auftragssystems der Theater. Mit einer eigens für das Wiesbadener Theater komponierten Oper wollte er dem fieberhaften Wetteifern um Uraufführungen und Neuinszenierungen entkommen und eine Zeit- und Gebrauchskunst fördern, die sich an den unmittelbaren Bedürfnissen und Möglichkeiten der jeweiligen Bühnen orientieren sollte. Außerdem hoffte er, das Wiesbadener Theater dadurch künstlerisch von Berlin emanzipieren zu können.158 Bekker regte an, der preußische Staat sollte „Sondermittel zur Verfügung stellen“, um junge Komponisten durch die Gewährung von Stipendien zielgerecht unter152 153

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Karl Holl: Berlioz. ,Benvenuto Cellini‘. Eröffnung der Wiesbadener Maifestspiele, in: Frankfurter Zeitung, 6. Mai 1929, Abendblatt. Zu Ehren des 60. Geburtstages von Hans Pfitzner hatte man dessen Oper Palestrina in den Spielplan des Großen Hauses aufgenommen. Außerdem wurden Wagners Lohengrin sowie Richard Strauss’ Die ägyptische Helena aufgeführt. Daneben hatte Bekker eine Reihe von Neuinszenierungen vorbereitet, unter anderem von Bizets Carmen oder Meyerbeers Die Afrikanerin. Zudem brachte man Giuseppe Verdis Opern Ein Maskenball und Rigoletto zur Aufführung. Siehe das vollständige Programm der Maifestspiele 1929, in: Staatstheater Wiesbaden, Mai-Festspiele 1929 (vom 4. bis 21. Mai), Wiesbaden 1929, S. 46f. Wiesbadener Tagblatt, 20. August 1930. Ebd. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 274. Rheinische Volkszeitung, 23. April 1931. Eichhorn: Paul Bekker, S. 287.

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stützen zu können.159 Das preußische Kultusministerium nahm diese Initiative Bekkers „mit lebhaftem Interesse“ zur Kenntnis und wies dem Wiesbadener Theater bereits im Oktober 1927 einen Betrag von 10 000 Mark zu, um das Projekt realisieren zu können.160 Als geeigneten Kandidaten schlug Bekker dem Ministerium im Frühjahr 1929 den jungen Komponisten Hugo Herrmann (1896–1967) vor, auf den er „durch Aufführungen in Baden-Baden“ aufmerksam geworden war und den ihm unter anderem Paul Hindemith persönlich empfohlen hatte.161 Bereits im März des gleichen Jahres erklärte sich das Ministerium mit Bekkers Vorschlag einverstanden. Als Ratgeber und Kritiker schaltete sich Bekker von Anfang an in den Schaffensprozess der Oper ein und drängte Herrmann, dem neu zu verfassenden Werk eine ganz bestimmte musikalische und inhaltliche Ausrichtung zu geben. Am 16. Oktober 1928 hatte Herrmann Bekker noch wissen lassen, dass er „eine hochaktuelle“ Oper plane, die „den Forderungen unserer Zeit“ entsprechen solle.162 Vom „breite[n] Erfolg“ eines solchen Projektes war der Komponist überzeugt, da er glaubte, eine „äußerst bühnenwirksame“ Gestaltung des Stoffes bieten zu können.163 Ohne Details der Handlung zu nennen, hatte Herrmann angegeben, dass er den ersten Akt seiner Oper in einer Zeche ansiedeln wolle; als Schauplatz des zweiten Aktes war ein „Cabarett“ vorgesehen, ehe der dritte Akt mit einer „Olympiade“ enden solle.164 Bekker zeigte sich gegenüber Herrmanns Plänen allerdings skeptisch und bekannte freimütig, dass er „zu einem Szenarium dieser Art wenig Vertrauen“ habe.165 Seiner Ansicht nach war die „Idee, daß man in der neueren Oper [...] die szenischen Mittel und vor allem das szenische Milieu der modernen Technik verwenden“ müsse, nicht nur „nicht mehr neu“, sondern durch ein Werk wie Kreneks Jonny „ziemlich aufgebraucht“.166 Bekkers kritisches Zeitgespür zeigt sich hier besonders anschaulich: Gerade der so überaus populären 159 160

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Ebd. Siehe ein entsprechendes Schreiben des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an Paul Bekker vom 27. Oktober 1927, in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 2. Siehe dieses Schreiben Paul Bekkers an das Berliner Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 38. In den Jahren zwischen 1934 und 1945 machte sich Herrmann allerdings vor allem als Leiter der Donaueschinger Kammermusiktage einen Namen; die einstige Plattform der Neuen Musik verwandelte Herrmann in einen Festspielort, der den kulturpolitischen Anschauungen und den ästhetischen Präferenzen der Nationalsozialisten entgegenzukommen suchte. Siehe den Brief Hugo Herrmanns an Paul Bekker vom 8. November 1928, in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 9f. Ebd. Ebd. Siehe das Antwortschreiben Paul Bekkers an Hugo Herrmann vom 5. Dezember 1928, in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 11f. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Zeitoper verlangte er ab, sich nicht effekthascherisch und zitierend einzelner Requisiten und Stilmittel zu bedienen, um damit Modernität und Aktualität zu signalisieren. Als Kunstform müsse die Oper ihr zeitanalytisches Potential mit Hilfe einer möglichst umfassenden Vereinfachung der Handlung wie des szenischen Apparates ausschöpfen.167 Aus diesem Grund forderte er Herrmann auf, sich einem neuen Klassizismus zuzuwenden, der die Oper bewusst als phantastisch-illusionäres Spiel begreifen und das Publikum auf eine entsprechend spielerisch-unbewusste Weise ergreifen und fesseln sollte. Schließlich einigten sich Intendant und Komponist auf ein neues Sujet: Die in der Spielzeit 1930/31 uraufgeführte Oper Vasantasena basierte auf Lion Feuchtwangers Bearbeitung des altindischen Dramenstoffes um die Tempeltänzerin Vasantasena, „deren verstehendes und verzeihendes Menschentum, durch göttliche Gnade entzündet und genährt, alles Böse in ihrem Umkreis in Gutes verwandelt“.168 Bekker glaubte, dass das Werk nun den Charakter einer lyrischen Oper aufweise, hatte Herrmann doch zu sehr auf dramatische Wirkung bedachte Passagen bewusst zurückgenommen und die Solopartien organisch in die „großen Rahmenchöre“ eingebettet.169 Insgesamt, so meinte der Intendant, könne das Werk als geglücktes Beispiel eines neuen Operntyps gelten, der gezielt auf ältere, klassische Muster zurückgriff (Abb. 33).170 Auch Karl Holl war überzeugt, dass Herrmanns Komposition „höchste Achtung und weitere Aufmerksamkeit“ einfordere, da sich hier eine „Formbegabung und ein satztechnischer Könner ersten Ranges“ gefunden habe.171 Gleichzeitig verschwieg der Musikkritiker der Frankfurter Zeitung nicht, dass er Bekkers Opern-Experiment als nicht ganz geglückt einstufte, verliere sich das Werk zuweilen doch zu sehr „in der Sphäre des noblen artistischen Spieles“ und vernachlässige dadurch die notwendige dramatische Spannung.172

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Vgl. ebd. Karl Holl: Märchen-Oper − Opern-Märchen? Zur Uraufführung ,Vasantasena‘ im Staatstheater Wiesbaden, in: Frankfurter Zeitung, 30. November 1930. So Paul Bekker in seinem Bericht über die Aufführung der Oper an den GeneralIntendanten der preußischen Staatstheater im Dezember 1930. Siehe in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 93. Siehe den Bericht Bekkers an den General-Intendanten der preußischen Staatstheater im Dezember 1930. Vgl. in: Akte ,Preisausschreiben Hugo Herrmann‘, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 1410, Blatt 93. Holl: Märchen-Oper − Opern-Märchen?. Nach Maßgabe Holls zeigte sich der Komponist vor allem in der Handhabung der kompositorischen und orchestralen Mittel zu unsicher: Zwar versuche er, der Musik in der Oper durch die Verwendung kontrapunktischer Elemente zu neuer Selbständigkeit zu verhelfen, verquicke diesen innovativen Ansatz aber mit einer überholten neuromantischen Klangmalerei. Dennoch würdigte Holl Vasantasena insgesamt als „Symptom eines Wandlungsprozesses“, der engagiert nach unverbrauchten musikalischen und szenischen Ausdrucksmitteln suche und auf diese Weise einen „neuen Willen zur Wirklichkeit“ erkennen lasse. Siehe dazu Karl Holl: Märchen-Oper, heute?, in: Frankfurter Zeitung, 11. November 1930.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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Abbildung 33: Gustav Singer, Bühnenbild zu Hugo Herrmanns Vasantasena, Spielzeit 1930/31

7.5 Bekkers ästhetische Kapitulation und der Sieg der Reaktion: Oberon in neuem Gewand Trotz dieser Bemühungen zeigte sich bei den Festspielen der Jahre 1931 und 1932 immer mehr, dass der reformerische Elan Bekkers in Wiesbaden zusehends auf Unverständnis stieß; gerade unbekannte Ur- oder Erstaufführungen riefen immer häufiger Unmut hervor. Als Bekker die Festspiele des Jahres 1932 mit einer Uraufführung von Ignaz Liliens (1897–1964) komischer Oper Die große Katharina, die auf einer Textvorlage George Bernard Shaws basiert, eröffnete, wurde die Inszenierung, „nur mit wenig starkem Beifall aufgenommen“.173 Wieder bestätigte sich, so meinte ein Rezensent, dass Opern, die „sogenannte irritierende, aufreizende Klangmittel anwenden, kein starkes Echo beim großen Publikum“ fänden.174 Aufsehen habe weniger die Inszenierung selbst erregt als eine „offenbar von vornherein beabsichtigte Zischerei kleiner Gruppen“, die den Verlauf der Aufführung gezielt stören wollten.175 Nur bedingt war es gelungen, das Wiesbadener Publikum 173 174 175

Wiesbadener Zeitung, 10. Mai 1932. Ebd. Karl Holl: Shaw in Musik?, in: Frankfurter Zeitung, 10. Mai 1932, Abendblatt.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

für ästhetische Neuerungen zu interessieren und einen Adressatenkreis zu erschließen, der sich bereitwillig auf inszenatorische und musikalische Stilexperimente einließ. Nach wie vor gab in Wiesbaden „das gutbürgerliche Element“ den Ton an.176 Die Festspiele wünschte man sich zwar sehr wohl als „zusammenfassende Schau von Höchstleistungen“, doch als besonders erwähnenswert galten nach wie vor die „Bilder, die das Foyer des großen Hauses während der Zwischenakte“ darbiete, wenn der „prunkvolle Raum“ an die „Festsäle des achtzehnten Jahrhunderts“ erinnere und „schöne Frauen mit weitfallenden Kleidern aus leuchtender Seide langsam und ein wenig zögernd“ die große Freitreppe hinabschritten.177 Derartige Präferenzen waren freilich weit entfernt von Bekkers ästhetischen und gesellschaftspolitischen Ambitionen, die mit der prunkvollen Festkultur der Vorkriegsjahre brechen wollten. Auch finanzielle Engpässe, die auf den rigiden Sparkurs der Berliner Regierung zurückzuführen waren, zwangen Bekker nun zunehmend, seine experimentellen Inszenierungen zugunsten bewährter Klassiker zurückzustellen, um die Einnahmen des Hauses einigermaßen stabil zu halten und die Existenz der Bühne nicht zu gefährden. Bereits 1930 waren Pläne des Berliner Ministeriums bekannt geworden, die Staatsbühnen in Kassel und Wiesbaden zu entstaatlichen und in die Verantwortung der Städte oder privater Unternehmer zu überführen.178 In Wiesbaden nahm man solche Pläne mit Bestürzung auf, da die Stadt kaum in der Lage war, die finanzielle Zusatzbelastung für einen aufwendigen Theaterbetrieb zu schultern. Von allen Seiten war Bekker auf diese Weise einem enormen Erfolgszwang ausgesetzt. Es kann deshalb nur wenig erstaunen, dass der Wiesbadener Intendant verstärkt dazu überging, die für „ein deutsches Staatstheater“ relevanten Werke „der bedeutendsten deutschen Autoren“ „in guten Aufführungen“ darzubieten.179 Entgegen dem Kurs der früheren Jahre nahmen nun bewährte Klassiker der Hoftheaterära wie Tristan und Isolde, Tannhäuser, Rienzi, oder Die Afrikanerin einen breiteren Raum ein. Außerdem eroberten Operetten wie Viktoria und ihr Husar oder Die Fledermaus die Spielpläne der Maifestspiele. Auch der unentbehrliche Fixpunkt der kaiserzeitlichen Festspielära, Carl Maria von Webers Oper Oberon, wurde erneut ins Festspielprogramm aufgenommen, was − entgegen Bekkers zahlreichen Beteuerungen − wie das Eingeständnis der Kapitulation der kulturellen Moderne vor der immer stärker werdenden Übermacht der Tradition wirken musste. Die Festspiele der Jahre 1931 und 1932 vollzogen damit zumindest teilweise eine Rückkehr 176 177 178 179

Edelyne Gräfin von Brockdorf : Das gesellschaftliche Leben, in: Richard H. Grützmacher (Hrsg.): Wiesbaden. Seine Schönheit und seine Kultur, Wiesbaden 1929, S. 67. Ebd. Vgl. einen entsprechenden Bericht der Neuen Leipziger Zeitung vom 28. August 1930. Paul Bekker: Programm der Maifestspiele 1931, in: Staatstheater Wiesbaden. Maifestspiele 1931, S. 1f., hier S. 1.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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zur Tradition der romantischen Nationaloper. Einem auf ,Traditionspflege‘ bedachten Festspielprogramm gelang es, wenigstens das alte Stammpublikum zu halten, denn gerade für die Wiederaufnahme des Oberon traf die „oft zu Unrecht verwendete Phrase vom ,allseitigen Wunsch‘“ „ohne Einschränkung“ zu.180 Gleichzeitig warf die Neuinszenierung des Werkes, das so sehr „zum eisernen Bestand“ der einstigen Kaiserfestspiele gehört und die „frühere Wiesbadener Theaterkunst“ repräsentiert hatte, zahlreiche Fragen und Probleme auf.181 Lange wurde überlegt, ob man auf eine der zahlreichen anderen Bearbeitungen des Werkes zurückgreifen sollte, um so die als ,Huldigungsoper‘ für Wilhelm II. intendierte ,Wiesbadener Spezial-Einrichtung‘ Hülsens zu umgehen. Letzen Endes aber entschied sich der Intendant für die Wiesbadener Fassung. Diesen Entschluss rechtfertigte er durch den fragmentarischen Charakter des Werkes, stelle Hülsens Fassung doch die „bisher einzige“ Bearbeitung dar, „die das gestellte Ziel, [...] nämlich ,Oberon‘ zu einem Bühnenerfolg zu machen“ tatsächlich habe einlösen können.182 Zwar waren bei dem Theaterbrand von 1923 nicht alle Dekorationen des Oberon verbrannt, wohl aber die für den Schluss des Werkes benötigte große Wandeldekoration, die die Flucht des Liebespaares von Tunis nach Aachen in den Thronsaal Kaiser Karls d. Großen in rasch wechselnden bunten Bilderfolgen darstellte und die das Publikum stets aufs Neue begeistert hatte. Bezeichnenderweise ging Bekker, der bei früheren Gelegenheiten stets so sehr darauf bedacht gewesen war, „aus der ursprünglichen Vorstellungsart des Musikers heraus [...] neue Bilder“ zu formen183 , bei der Wiederaufnahme des Werkes sogar so weit, diese fehlende Wandeldekoration „unter tunlichster Anpassung an die vorhandenen Vorlagen“ zu rekonstruieren.184 Die einzige Änderung gegenüber der Vorkriegsära bestand darin, dass man auf die von dem damaligen Wiesbadener Kapellmeister Josef Schlar komponierten „Zwischenaktmusiken“ und anderen musikalischen Ergänzungen verzichtete, da es „auch bei weitestgehender Respektierung des historischen Charakters der Aufführung“ nicht tragbar erschien, „in einer Oper von Weber einen anderen als eben nur Weber zu Wort gelangen zu lassen“.185 Mit diesem Rückgriff „auf ein abgesunkenes, doch im Eigenartigen recht wertvolles Gebiet“ musikdramatischen Schaffens trafen die Festspiele weitaus eher den Geschmack der „mailich international bevölkerte[n] Stadt“, die „mit Vorliebe dem Alten“ zugeneigt war und die Wiederaufnahme des Oberon nach all den modern-experimentellen Inszenierungen geradezu als „wohlver-

180 181 182 183 184 185

Paul Bekker: Zur Wiederaufnahme des ,Oberon‘, in: Staatstheater Wiesbaden. Maifestspiele 1931, S. 3–5, hier S. 3. Ebd. Ebd. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 332. Bekker: Zur Wiederaufnahme des ,Oberon‘, S. 4. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

diente[n] Segen“ empfand.186 Die oft als „Zauber- und Ausstattungsstück“ belächelte Oper, die bereits bei vielen Kritikern der Vorkriegsära „als ,museal‘ und antiquiert verschrien“ gewesen war, wurde von Bekker nicht nur „lebendig und theaterwirksam“, sondern erstaunlich detailgetreu inszeniert: „Man sah einen Feenhain in exotischer Üppigkeit der Vegetation mit traumhaft schöner Fata-Morgana-Landschaft, einen Haremshof von abendländischer Geprägtheit, eine Sultanshalle mit kunstvollem Figurenwerk und reichem Mosaik, [...] sodann die weite Perspektive einer Bucht mit auf- und niederwogendem Meer, den in grandioser Wandeldekoration dargestellten Flug der Befreiten von Tunis nach Aachen und dort die imposante Domhalle mit Kaiser Karl und der zur Feier der Vermählung Hüons mit Rezia versammelten Rittern (in einer Wiener Staatsopernherrlichkeit).“187

Bei Kritikern löste die Wiederaufnahme des Oberon vor allem „grosse Verwunderung“ und mitunter heftige Kontroversen aus, da zahlreiche Rezensenten das Werk in erster Linie als eine „hinabgelebte Illusion von gestern“ einstuften188 und sich mit der überwunden geglaubten „Tradition der Vorkriegszeit“ konfrontiert sahen.189 Wer sich − so resümierte die Koblenzer Volkszeitung enttäuscht − originelle Inszenierungen erhofft habe, dürfe seine Hoffnungen nicht länger auf die Wiesbadener Staatsbühne setzen: Paul Bekker bescheinigte das Blatt ein wachsendes „Faible für die ,Großen Opern‘“, während man gleichzeitig monierte, dass der Intendant dem klassischen und zeitgenössischen Opernschaffen zunehmend aus dem Weg zu gehen schien.190 Trotz dieses ernüchterten Fazits bleibt festzuhalten, dass Bekker während seiner Tätigkeit in Wiesbaden bis zuletzt bemüht war, dem Ideal der ,lebendigen Form‘ zu entsprechen und darauf hinarbeitete, den Spielplan seiner Bühne konsequent zu erweitern und zu modernisieren. Dies verdeutlicht ein statistischer Rückblick, den Bekker dem Programmheft der Wiesbadener Festspiele des Jahres 1932 beifügte, als sein Weggang aus Wiesbaden und die Umwandlung der Staatsbühne in ein ,Nassauisches Landestheater‘ bereits beschlossene Sache waren: In den mehr als 30 Jahren, die seit der Eröffnung des ,Großen Hauses‘ im Jahre 1894 vergangen waren, hatten während der Amtsjahre der Hoftheaterintendanten Georg von Hülsen (1894–1902) und Kurt von Mutzenbecher (1902–1918) sowie der Landes- beziehungsweise Staatstheaterintendanten Ernst Legal (1918–1920) und Carl Hagemann (1920–1927) insgesamt fünf Opernuraufführungen stattgefunden. Dagegen hatte es Paul Bekker in den fünf Jahren seiner Wiesbadener Tätigkeit auf zwölf Uraufführungen, achtzehn Erstaufführungen neuerer Opernwerke 186

187 188 189 190

So jedenfalls die Einschätzung des Journalisten Hermann Gaeffgen, der unter anderem für die Wormser Zeitung über die Wiesbadener Festspiele des Jahres 1931 berichtete. Siehe den Bericht Gaeffgens in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Presse, Bd. III: Februar 1930–1935, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 387, Blatt 117. Ebd. Ebd. So hatte die Koblenzer Volkszeitung bereits am 23. Februar 1931 moniert. Koblenzer Volkszeitung, 23. Februar 1931.

7. Die Wiesbadener Maifestspiele unter Paul Bekker

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sowie zwölf Erstaufführungen beziehungsweise Neueinstudierungen älterer Opern gebracht.191 Die Jahre der künstlerischen Experimente waren für Wiesbaden allerdings bereits mit dem Jahr 1929 zu Ende. Die Weimarer Republik hatte es hier − im Unterschied zu Frankfurt, das sich in den 1920er Jahren gerne als „zweite Hauptstadt“ der Weimarer Republik gerierte und vielfach als Fürsprecher der demokratischen Republik aufgetreten war192 − nicht vermocht, mit ihrem Konzept des Staatstheaters eine eigenständige und allgemein akzeptierte Form der ästhetischen und symbolpolitischen Repräsentation zu entwickeln. Was 1928 noch so progressiv und innovativ begonnen hatte, verlor sich bald in den ausgetretenen Pfaden einer Tradition, die sich immer mehr darauf zurückzog, sich selbst zu zitieren und von einem Nimbus zehrte, den sie lange verloren hatte. Anders als in Frankfurt, wo Lokalpolitik, Presse und Publikum über weite Teile die symbolpolitische Festkultur Weimars mittrugen und auf diese Weise eine Art ,republikanische Konsensgemeinschaft‘ bildeten, stieß der kulturpolitisch und ästhetisch innovative Bekker in Wiesbaden von Anfang an auf heftigen Widerstand, wie gerade die exemplarisch angeführten antisemitischen Hetzkampagnen der lokalen Presse eindringlich demonstrieren konnten. Die Festspiele des Jahres 1932 endeten am 31. Mai mit einer Neuinszenierung von Ludwig van Beethovens Oper Fidelio, jenem Werk, in dem Bekker ein idealtypisches „Einheitsbewußtsein“ verwirklicht fand, das, „alle Unterschiede ausgleichend, die Menschen dieser Zeit zu einer großen Gemeinde“ einen sollte.193 1934 floh Paul Bekker ins amerikanische Exil. Noch von New York aus bekämpfte er in Beiträgen für das Pariser Tageblatt 194 das Terrorregime der Nationalsozialisten. Der universale Humanismus Beethovens, den Bekker 1932 noch gefeiert hatte, ließ sich im Deutschland Hitlers nicht mehr finden. Der bittere, fast zynisch-enttäuschte Ton seiner 1934 geschriebenen Reportage „Alle Arier werden Brüder“ legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab und bringt zugleich die Verzweiflung Bekkers über die willkürliche Indienstnahme und Instrumentalisierung Beethovens als arisch-germanischem ,Nationalmythos‘ zum Ausdruck195 : Niemals – so Bekker – könne Beethoven 191 192 193 194

195

Vgl. hierzu: Staatstheater Wiesbaden: Maifestspiele 1932, Verzeichnis der Wiesbadener Uraufführungen, S. 7ff. Frankfurter Zeitung, 17. November 1925, Erstes Morgenblatt. Bekker: Das deutsche Musikleben, S. 41. Diese seit 1933 bestehende Zeitung war „die einzige im Exil gegründete Tageszeitung der deutschen Opposition gegen Hitler“ und richtete sich vor allem an das „linksliberale deutsch-jüdische Bürgertum“, um diesem „einen öffentlichen, überregionalen Diskussionsraum der Hitler-Gegner“ zur Verfügung zu stellen. Vgl. Andreas Eichhorn (Hrsg.): „Geist unter dem Pferdeschwanz“. Paul Bekkers Feuilletons aus dem Pariser Tageblatt 1934–1936, Saarbrücken 2001, S. 8. Paul Bekker: Alle Arier werden Brüder, in: Andreas Eichhorn (Hrsg.): „Geist unter dem Pferdeschwanz“. Paul Bekkers Feuilletons aus dem Pariser Tageblatt 1934–1936, Saarbrücken 2001, S. 67–70.

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in der Gestalt des „Hakenkreuz-Ideologen“ erscheinen, hier „versagt die dehnbarste kulturelle Wandeldekoration. Beethoven und Nazitum – das ist, wie wenn die Kommunisten den Grossen Kurfürsten als Parteigründer proklamierten“.196 Bekker verwahrte sich vehement gegen eine Dekonstruktion des bürgerlich-republikanischen Beethovenbildes: So sehr er zugestand, dass sich jede Generation eigenständig mit überlieferten Norm- und Traditionsbeständen auseinandersetzen müsse und damit auch die Pflicht habe, die Geltung eines etablierten Werkkanons kritisch zu hinterfragen, so wenig dürfe Beethoven zur ideologischen Verhandlungsmasse herabgewürdigt und dem völkisch-arischen Rassenmythos eingepasst werden.197 Noch einmal beschwor er Beethoven als Vorkämpfer für die der Aufklärung verpflichteten republikanischen Werte und Ideale und bezog sich ausdrücklich auf das humanistisch-freiheitliche Deutungsmuster des liberalen Bürgertums: „Dieser Beethoven war die Inkarnation dessen, was die Nazis hassen, und er hasste alles, was sie für schön halten. Er war vor allem das Urbild des ,liberalistischen Demokraten‘. [...] Der junge Rheinländer hatte die grosse Revolution miterlebt, und es gibt wohl unter allen Künstlern der damaligen Zeit keinen, der die Ideen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit inbrünstiger in sich aufgenommen hat, als Beethoven. [...] Seine gesamte Kunst war Botschaft des Triumphs der Freiheit, der Menschlichkeit, der Hoheit des Geistes. [...] Mit diesem Beethoven ist nicht zu scherzen. Er wirft die ganze Hitlerei über den Haufen.“198

Diese Äußerungen belegen, wie erbittert Bekker zuletzt den Zerfall jener demokratisch-republikanischen Wertewelt durchlebte, für die er sich publizistisch und institutionell stark gemacht hatte. Sein Anliegen, über das Medium des Ästhetischen eine ,neue Gesellschaft‘ zu formieren, verflüchtigte sich nun zusehends zur Utopie. Angesichts der sich abzeichnenden Machtübernahme der Nationalsozialisten war der Versuch der liberalen Weimarer Kulturpolitik, mit Hilfe eines republikanischen Kulturtheaters einen spezifisch demokratischen Erfahrungsraum zu schaffen, immer mehr zum Scheitern verurteilt. Das Ende der verhassten ,Hitlerei‘ sollte Bekker nicht mehr erleben: 1937 starb er in seinem New Yorker Exil. In Wiesbaden indes wurde die Tradition der Maifestspiele 1950 wiederaufgenommen. Rasch avancierten sie nach dem Krieg zu den „ersten großen Repräsentationsfestspiele[n] [...] in den Westzonen“.199 Mit den nun so bezeichneten Internationalen Maifestspielen, die bis heute fortgeführt werden, gelang es endlich, sich vom „kaiserzeitlichen Muff und der Selbstbespiegelung“ zu emanzipieren und sich als eine der „bedeutsamsten Plattformen für internationalen Austausch“ zu profilieren.200 196 197 198 199

200

Ebd., S. 69. Ebd., S. 68. Ebd., S. 69. Die Epoche der Internationalen Maifestspiele zwischen 1950 und 1968 hat Holger R. Stunz fesselnd nachgezeichnet. Siehe ausführlich: Holger R. Stunz: Die Welt zu Gast in Wiesbaden. Internationale Maifestspiele 1950–1968, Frankfurt a.M. 2008, S. 25. Ebd., S. 8.

8. Vom „Totentanz am Rhein“ zu einem neuen „Platz an der Sonne“?1 Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ anlässlich des Abzugs der alliierten Truppen 1930 8.1 Der ,Kampf um die Kunst‘ als ,Kampf um die Nation‘2 : Die ,Befreiungsfeier‘ im Kontext der politischen Festkultur der Weimarer Republik Der Abzug der alliierten Besatzungstruppen im Juni und Juli 1930 markierte für Wiesbaden ein einschneidendes Ereignis: Das Ende der fast zwölf Jahre andauernden Besatzung der Stadt durch französische, später durch englische Truppen löste ein nationales Hochgefühl aus, von dem sich viele einen umfassenden politischen und wirtschaftlichen Wiederaufstieg erhofften, in das sich oft aber auch dezidiert revanchistisch-nationalistische Töne mischten. Die späten 1920er Jahre waren gerade in den besetzten rheinischen Gebieten als Zeit einer sich zuspitzenden Krise empfunden worden. Die dramatische Verschlechterung der städtischen Wirtschaft, vor allem der „erbitterte Existenzkampf “, dem sich Handel, Handwerk und Gewerbe ausgesetzt sahen, die Furcht vor einer „vollkommenen Proletarisierung“, vor Verschuldung und Arbeitslosigkeit nahmen immer drastischere Ausmaße an und machten einer „Verzweiflungsstimmung“ Platz.3 Diese Entwicklungen führten schließlich eine Situation herbei, die Detlev Peukert mit Blick auf die gesamte Republik pointiert als eine „Dauerkrise der Alltagserfahrung“ bezeichnet hat.4 In Sonderausgaben feierte die Wiesbadener Presse den 30. Juni deshalb als „Stunde der Freiheit“, in der die „Faust des Siegers“ und das „feindliche Diktat“ der alliierten Herrschaft von den besetzten Gebieten genommen würden.5 Endlich, so glaubte man, habe der „Totentanz am Rhein“ ein Ende gefunden6 , und die von Fremdenverkehr und Kurbetrieb abhängige Stadt freute sich, wieder ihren vermeintlich „redlich verdienten Platz an der Sonne“ einnehmen 1 2 3 4 5 6

Vgl. Sigmund Koch: Vom Gestern zum Morgen, in: Wiesbadener Tagblatt, Sonderausgabe: Befreites Gebiet, 30. Juni 1930. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 275. Wiesbadener Tagblatt, 23. Januar 1930. Peukert: Die Weimarer Republik, S. 25. Siehe den Artikel „12 Jahre Fesseln für den deutschen Rhein“, in: Rheinische Volkszeitung, Sonderausgabe zur Befreiung der Rheinlande am 1. Juli 1930. Vgl. Koch: Vom Gestern zum Morgen.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

zu können.7 Demgegenüber waren Stimmen wie die Erich Koch-Wesers, des Vorsitzenden der DDP, die den „Kampf um die Befreiung des Rheinlandes“ als einen politischen Sieg der „deutschen Demokratie“ und der „Verständigungspolitik“ der Reichsregierung interpretierten, in der Minderheit.8 Divergierende Deutungsstrategien prägten auch die Festwochen, die die Stadt zwischen dem 30. Juni und dem 20. Juli 1930 veranstaltete. Wiesbaden hatte eine Vielzahl von Veranstaltungen geplant, die am 30. Juni 1930 mit einer mitternächtlichen Feier auf dem Schlossplatz begannen und mit einem Besuch des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 20. Juli endeten. In diesen Wochen fanden neben Konzerten, Reit-, Fußball- und Fahrturnieren, einer Rheinfahrt zum Nationaldenkmal am Niederwald und einem Flugtag auch eine Reihe von Festvorstellungen im Wiesbadener Staatstheater statt, die den „rheinischen Schicksalsgedanken“ musikalisch und dichterisch untermalen sollten, wie es in einem offiziellen Festvortrag im Kurhaussaal hieß9 : Zwischen dem 1. und dem 6. Juli wurden im Großen Haus Richard Wagners Opern Die Meistersinger von Nürnberg und Lohengrin, Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel Die Zauberflöte sowie Gerhart Hauptmanns Florian Geyer und Friedrich Schillers Wilhelm Tell aufgeführt (Abb. 34). Die Presserezeption dieser Werke dokumentiert, wie die Verehrung einzelner Dichter und Komponisten zu einer politischen Geste umgeformt wurde10 : Wagner, Mozart oder Schiller galten nach wie vor als integrative Symbolträger, mit deren kultureller Autorität „politische Weltauslegungen und Sinnangebote“ formuliert und auf dem umkämpften Gebiet „politischer Massenkommunikation“ instrumentalisiert werden konnten.11 Das Gros der lokalen Presse charakterisierte die ausgewählten Werke als Manifestationen eines „kerndeutsche[n] Wesen[s]“ und einer volkstümlichen, „seelendokumentarische[n] Wahrheit“12 , so dass sich das Ringen um eine als genuin deutsch deklarierte Kunst zu einem „Kampf um die Nation“ ausweitete.13 Darüber hinaus aber demonstrierte die Wiesbadener Festwoche, dass die noch 1923 als nahezu sakrosankt postulierte Bindekraft dieser Dichter- und Komponistensymbole 1930 nicht mehr fraglos gewährleistet war. Wiederholt klagten die Rezensenten über nicht ausverkaufte Häuser und ein zunehmendes Desinteresse von Seiten des Publikums. Mit der fortschreitenden 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. den Artikel „Befreites Gebiet“, in: Wiesbadener Tagblatt, Sonderausgabe: Befreites Gebiet, 30. Juni 1930. Erich Koch-Weser: Tag der Freiheit!, in: Wiesbadener Tagblatt, Sonderausgabe: Befreites Gebiet, 30. Juni 1930. Wiesbadener Tagblatt, 2. Juli 1930. Siehe hierzu die Kapitel III.8.2 (Die Planung der Festwoche) und III.8.3 (Die Wiesbadener ,Befreiungswoche‘). Vgl. hierzu Dörner/Vogt: Literatursoziologie, S. 106. Ebd. So urteilte etwa der Rezensent des Wiesbadener Tagblatts am 3. Juli 1930 über die Aufführung des Florian Geyer im Staatstheater. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 275.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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Abbildung 34: Programm der Wiesbadener ,Befreiungswoche‘ 1930

Desintegration der (bildungs-)bürgerlichen Lebenswelt schienen auch die kanonisierten Klassiker immer mehr an Anziehungskraft zu verlieren. Dagegen konnte das von Reichskunstwart Edwin Redslob eigens für die Feierlichkeiten und den Besuch Hindenburgs gedichtete so bezeichnete ,Befreiungsfestspiel‘ mit dem Titel Deutschlands Strom eine ungleich größere Breitenwirkung entfalten (Abb. 35). Es wurde auf einem für diesen Anlass neu hergerichteten Festplatz in Szene gesetzt, der mehr als 10 000 Zuschauer

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

fassen konnte.14 Dass das Festspiel einen derartigen Erfolg für sich verbuchen konnte, lag insbesondere an der politischen Brisanz und der ideologischen Funktion der so genannten ,Rheinfrage‘, die nach 1918 immer mehr zum „Trauma der deutsch-französischen Beziehungen“ geworden war und die beiderseitige „Stilisierung des Stroms zum nationalen Mythos“ bewirkt hatte.15 Der Abzug der alliierten Truppen aus den besetzten linksrheinischen Gebieten und den Brückenköpfen um Mainz, Koblenz und Köln beendete jenen politisch wie propagandistisch von beiden Seiten erbittert geführten Kampf um den Rhein. Die Wiedergewinnung von ,Deutschlands Strom‘ wurde von deutscher Seite als ,Sieg‘ „germanisch-deutscher Libertät“ gefeiert, mit der die als Demütigung empfundene Nachkriegsordnung von Versailles endlich korrigiert und die Wiedergeburt der Nation in die Wege geleitet werden konnte.16 Die Vorstellung einer im Medium des Ästhetischen beschworenen organischen Volksgemeinschaft konnte ein weitaus größeres Integrationspotenzial entfalten als das von Paul Bekker angestrebte Modell einer demokratischen Staatsgesellschaft: Bekkers Versuch, die einstigen ,Kaiserfestspiele‘ als ,Feste der Republik‘ neu zu entwerfen und sie zum Symbol einer demokratischen Massengesellschaft, zum Spiegel einer neuen Staatsordnung und zum Forum einer gewandelten Ästhetik zu machen, stieß bei der Mehrheit der einheimischen Theaterbesucher wie der Kurgäste vielfach auf Unverständnis oder offene Ablehnung.17 Die wachsende Kluft zwischen den Befürwortern der kulturellen Moderne und den Anhängern tradierter Kunstformen und -stile kann als Anzeichen einer kulturkritisch gefärbten Identitätskrise des Bürgertums gedeutet werden, in die auch das Empfinden der nationalen Demütigung durch den Versailler Vertrag, die Furcht vor zunehmendem Statusverlust und die Angst vor einer weitergehenden materiellen Deprivation eingingen.18 In 14 15 16

17 18

Siehe hierzu Kapitel III.8.4 (,Deutschlands Strom‘). Kreutz: Französische Rheintheorie und französische Kulturpolitik, S. 23. Ebd., S. 19. Mit einem konzeptionell andersartigen Zugriff wurden die Wiesbadener ,Befreiungsfeierlichkeiten‘ auszugsweise bereits analysiert in: Stephanie Kleiner: Klänge von Macht und Ohnmacht. Musikpolitik und die Produktion von Hegemonie während der Rheinlandbesatzung 1918 bis 1930, in: Sven Oliver Müller/Sarah Zalfen (Hrsg.): Besatzungsmacht Musik. Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914–1949), Bielefeld 2012, S. 51–84. Siehe hierzu Kapitel III.7 (Vom ,Lieblingstheater‘ des Kaisers zum ,Volks‘- und ,Kulturtheater‘ der Republik). Vgl. hierzu auch Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 263. Das Scheitern von Paul Bekkers Festspielkonzept zeichnet damit das von Michael Walter diagnostizierte grundsätzliche Dilemma der Oper in der Weimarer Republik nach: Als musikdramatisches Genre wie als Medium der zeremoniellen Kommunikation sollte sie zwar die gewandelte Staats- und Gesellschaftsform der Weimarer Republik repräsentieren, doch hätte es hierzu einer konsequenteren Modernisierung der Spielpläne bedurft, was beim Gros des Opernpublikums wie der lokalen Presse allerdings nicht durchzusetzen war. Vgl. hierzu Walter: Oper 1918–1933.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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Abbildung 35: Titelseite des Programmheftes zum sogenannten Befreiungsfestspiel Deutschlands Strom, 1930

Wiesbaden kam verstärkend die als nationale Schande empfundene alliierte Besatzung hinzu. Teile der reaktionär-rechtskonservativen Presse legten dem Intendanten zur Last, eine „typisch jüdisch-politische Unterminierarbeit“ zu betreiben19 , eine Stigmatisierung und öffentliche Diffamierung, die zugleich das bei vielen verhasste ,Weimarer System‘ angriff. Diesem wies man die Schuld für die mannigfaltigen Enteignungserfahrungen der Moderne zu, so dass in die Kritik an der kulturellen Moderne zugleich antidemokratische Ressentiments einflossen.20 Weite Teile des Publikums lehnten entweder die Republik als Staatsform ab – und standen damit auch einem Teil der für Weimar typischen Werke skeptisch gegenüber – oder nahmen das von Bekker propagierte Konzept der ,lebendigen Form‘ gleichgültig auf und sahen in der Oper nur ein Unterhaltungsmedium unter vielen.21 Bekker, der Gesellschaft zwar nicht wie Helmuth Plessner als ein „offenes System der Verkehrsformen einander fremder Menschen“ definierte22 , sondern an der Vorstellung einer sozialen Einheit festhielt, hatte wiederholt den auf Inklusion angelegten, wohl 19 20 21 22

Nassauer Volksblatt, 1. Februar 1932. Vgl. hierzu Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 263. Vgl. hierzu Walter: Oper 1918–1933, S. 119. Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 76.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

aber pluralistisch verfassten Charakter dieser Gesellschaft betont, die sich seiner Meinung zufolge über gemeinsames Handeln und eine gemeinsame ästhetische Erfahrung konstituierte. Demgegenüber etablierte sich der Begriff der Volksgemeinschaft in den 1920er Jahren zunehmend als „Kampfbegriff gegen ,Gesellschaft‘“.23 Dieser wurde die Vorstellung eines „verlorenen ,ursprünglichen und natürlichen Zustand[es]‘ der Einheit“ gegenüberstellt, die gerade die voluntaristische Dimension des Gesellschaftlichen ablehnte und eine vorgegebene, rassisch-ethnisch definierte „symbiotisch[e] Seinsform“ proklamierte.24 In dieses weltanschaulich aufgeladene und parteipolitisch gefärbte Spannungsfeld waren auch die Wiesbadener Feierlichkeiten eingelassen. Im weiteren Fortgang dieses Kapitels werden daher besonders die das Festspiel begleitenden Kontroversen darzustellen sein; denn einerseits sollte das Festspiel als Medium einer genuin republikanisch ausgerichteten politischen Sinnstiftung fungieren und als Exponent einer weniger elitären und massenwirksamen politischen Festkultur wahrgenommen werden, andererseits gelang es den zuständigen politischen Vertretern Wiesbadens und Preußens nicht, die Einbettung der Festwochen in einen zunehmend völkisch besetzten nationalen Diskurs zu unterbinden, durch den auch die Autorität der bestehenden politischen Ordnung in Frage gestellt wurde. Die Feier fand daher in einem Kontext sich radikalisierender politischer Deutungskämpfe statt und war nicht in der Lage, eine eindeutige Stellungnahme zugunsten der Republik zu formulieren.

8.2 Die Planung der Festwoche im Frühjahr 1930 Die Jahre der Besatzung hatten das Selbstbewusstsein der einstigen Fremdenmetropole Wiesbaden merklich beschädigt. Umso eifriger waren Politiker und Pressevertreter bemüht, der drohenden ,Verprovinzialisierung‘ der Stadt entgegenzuarbeiten und den Abzug der Alliierten als Markstein der städtischen Geschichte zu feiern, der den Wiederaufstieg Wiesbadens einläuten sollte. Bereits im Januar 1930 beschloss der Magistrat daher die Ausrichtung einer Festwoche, die der nassauische Landesausschuss mit einem Zuschuss von 3000 Reichsmark unterstützte.25 Besonders nachdem bekannt geworden war, dass der Reichspräsident anlässlich des Truppenabzugs eine ausgedehnte Rheinlandreise durch einige der betroffenen Städte − etwa Mainz, Speyer, 23 24 25

Ebd. Ebd. Vgl. in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30. 6. 1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. II, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2143, Blatt 45.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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Aachen und Trier − unternehmen wollte, versuchte Wiesbaden, Hindenburg für einen Besuch in der einstigen Kurmetropole zu interessieren. Im Frühjahr 1930 mussten die verantwortlichen Kommunalpolitiker allerdings lange und mühevoll um die erhoffte Aufmerksamkeit von Seiten der Reichs- und Staatsbehörden ringen. Als im April aus Berlin vermeldet wurde, dass Hindenburg im Verlauf seiner Rheinlandreise Wiesbaden möglicherweise gar nicht besuchen würde, reagierte man hier mit Empörung und Bestürzung, wertete man das Fernbleiben des Reichspräsidenten doch als Indikator für den Statusverlust der Stadt. Die Wiesbadener Zeitung stufte die Nachricht denn auch als „grob-mangelhaft“ ein; denn als „Weltkurstadt“ wie auch als die durch Krieg und Besatzung am nachhaltigsten geschädigte „Stadt am Rhein“ glaubte Wiesbaden ein Anrecht auf den Besuch des Reichspräsidenten geltend machen zu können.26 Wiederum griff man bei dem Versuch, Argumente für einen Besuch Hindenburgs zu finden, auf die wilhelminische Vergangenheit zurück: Wiesbaden, so hieß es, sei im Gegensatz zu Koblenz, Aachen und Trier nicht einfach nur eine Regierungsstadt. Vor allem, so argumentierte das Blatt, müsse der „Umstand ins Gewicht fallen, daß Wiesbaden die Kaiserstadt am Rhein war“, und zwar besonders „in einer Epoche der deutschen Geschichte, die [...] einem Manne wie Reichspräsident v. Hindenburg sicher noch besonders nahe“ liege.27 Aufgrund dieser „Imponderabilien der vornehmen Kontinuität“ und der „Achtung vor dem noch nicht lange Vergangenen, mit dem auch Wiesbadens Blüte verging“, glaubte sich die Stadt berechtigt, sich als „Hauptort für den Besuch des Reichspräsidenten“ empfehlen zu können.28 Offenbar bewirkten diese Appelle schließlich die erhoffte Resonanz, denn nur wenige Wochen später konnte die Wiesbadener Presse vermelden, dass der Reichspräsident im Rahmen seiner Rheinlandreise am 20. Juli nun auch Wiesbaden einen kurzen Besuch abstatten würde.29 Zudem hatten mittlerweile auch andere hochrangige Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden − unter ihnen der preußische Ministerpräsident Otto Braun und der Botschafter und Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete, Freiherr Langwerth von Simmern, − ihr Kommen zugesagt, so dass der von der Stadt erhoffte repräsentative Rahmen gewährleistet war. Um den angestrebten Status als ehemalige Kaiser- und Weltkurstadt wirkungsvoll hervorzuheben, hatte Wiesbaden eine Reihe aufwendiger Festveranstaltungen vorgesehen, die am 30. Juni mit einer mitternächtlichen Feier auf dem Schlossplatz beginnen und zunächst bis zum 6. Juli andauern sollten, ehe der Besuch Hindenburgs am 20. Juli 1930 die Festlichkeiten beschließen sollte. Von Anfang an wurde auch die Intendanz des Staatstheaters in die Planungen einbezogen. Intendant Bekker wurde vom Wiesbadener Ober26 27 28 29

Wiesbadener Zeitung, 25. April 1930. Ebd. Ebd. Zum endgültigen Programm der Feierlichkeiten vgl. Wiesbadener Tagblatt, 28. Juni 1930.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

bürgermeister dazu aufgefordert, dem Arbeitsausschuss beizutreten, der die Planung und Durchführung der Feier organisierte.30 Wie die verantwortlichen Kommunalpolitiker legte auch Paul Bekker Wert darauf, dass Hindenburg bei seiner Rheinlandreise der Stadt Wiesbaden und ihrem Theater einen Besuch abstatten würde. Gegenüber Heinz Tietjen, dem Generalintendanten der preußischen Staatsbühnen, äußerte er in einem Schreiben, „dass ein Zustandekommen dieses Besuches für das Ansehen des Theaters ausserordentlich wichtig“ sei31 − könne der Reichspräsident mit dieser Geste doch den Status der Wiesbadener Bühne als einem überregional geschätzten Staatstheater unterstreichen. Dass Hindenburg im Juli 1930 das Wiesbadener Theater nicht besuchte, mochte einerseits auf den äußerst knapp bemessenen Zeitrahmen der Besuchsreise zurückzuführen sein, deutet andererseits aber auch auf den mittlerweile unübersehbar gewordenen Bedeutungsverlust der Oper als repräsentativ-zeremonieller Arena hin. Dennoch war das Staatstheater maßgeblich an der Planung und Gestaltung der Wiesbadener Festwoche vom 1. bis zum 6. Juli beteiligt. Bei der Festlegung der Spielpläne zeigte sich Bekker äußerst zurückhaltend. Nachdem der Magistrat ihn Ende Februar um eine Mitteilung darüber gebeten hatte, welche Veranstaltungen das Staatstheater „für die Befreiungswoche in Aussicht genommen“ habe32 , antwortete Bekker vorsichtig, dass er in der „ab 1. Juli zu veranstaltende[n] Befreiungswoche in erster Linie eine politische bezw. lokal-politische Feier“ sehe, bei der „die Wünsche der städtischen Behörden als maßgebend“ anzusehen seien.33 Daher scheine es ihm „erforderlich, daß das Staatstheater sich den von der Stadt zu gebenden Anregungen nach bestem Vermögen anpasst“.34 Bekker ging davon aus, dass die leitenden Stellen der Stadtverwaltung bereits „einen Grundplan“ erarbeitet hätten, der auch die Programmauswahl der Festvorstellungen im Staatstheater umfasse.35 Im Hinblick darauf, „daß die Veranstaltungen dieser Woche eben ihrer politischen Bedeutsamkeit wegen einer besonders kritischen Behandlung durch die Öffentlichkeit unterworfen sein“ würden, ersuchte der Intendant „die verantwortlichen politischen Stellen der städtischen Behörden“, ihm „ihre Ideen für 30 31 32

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Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. die Befreiungsfeier 1930, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 343, Blatt 24. Siehe das Schreiben Paul Bekkers, in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. die Befreiungsfeier 1930, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 343, Blatt 2. Siehe das Schreiben des Wiesbadener Magistrats an Paul Bekker vom 24. Februar 1930, in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30. 6. 1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. II, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2143, Blatt 60. Siehe das Antwortschreiben Paul Bekkers an den Wiesbadener Magistrat vom 25. Februar 1930 in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30.6.1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. II, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2143, Blatt 61. Ebd. Ebd.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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die Ausgestaltung der Woche mitzuteilen, bezw. präzisierte Angaben über die dem Staatstheater zufallenden Aufgaben zu machen“.36 In der Tat hatte die Stadt bereits recht genaue Vorstellungen über die Gestaltung der Spielpläne; so ließ die Städtische Kurverwaltung verlautbaren, dass man es als selbstverständlich erachte, dass der Intendant nur „der Befreiungswoche angemessene Werke deutschen Geistes und deutscher Kunst bieten“ werde.37 Bekkers Spielraum für eine eigenständige künstlerische Rahmung der Feier war somit von Anfang an begrenzt. Dem für seine mitunter provozierenden Inszenierungen berüchtigten Intendanten wurde signalisiert, sich auf bewährte Klassiker eines als dezidiert ,national‘ eingestuften Kanons zu beschränken, der die politische Stoßkraft der ,Befreiungsfeier‘ wirkungsvoll untermalen sollte.

8.3 Die Wiesbadener ,Befreiungswoche‘ Weit über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus wurde der Abzug der Alliierten als national bedeutsames Ereignis bejubelt. Der Historiker und Publizist Hermann Oncken (1869–1945) vermeldete in einer Ausgabe des Rheinischen Beobachters, dass sich im Sommer 1930 eine der drängendsten „deutschen Schicksalsfragen seit Versailles“ gelöst habe.38 Nun endlich, so meinte der damalige Berliner Ordinarius, der sich selbst zwar als liberal einstufte, dem von vielen Schülern und Hörern allerdings eine deutlich konservative, wenn nicht gar reaktionär-völkische Haltung attestiert wurde, habe das „deutsche Volk“, das „gebrochen“, „wehrlos, verelendet und isoliert“ aus dem Weltkrieg hervorgegangen sei, „den Kampf der Freiheit und der Ehre“ erfolgreich zu Ende führen können.39 Aufgestaute Ressentiments entluden sich nun in zahlreichen Presseartikeln und Sonderausgaben, die von nationalen Stereotypisierungen nur so strotzten und mit Vorliebe an die vermeintlich erlittenen Schikanen und Demütigungen erinnerten, die man von Seiten der Alliierten habe ertragen müssen: An jenen „nebelgrauen Novembertag des Jahres 1918“ etwa, an dem in Wiesbaden zum ersten Mal französische Offiziere die „Renaissancehallen“ des Rathauses betreten hatten, an das Hissen der Tricolore auf dem Dach des Wiesbadener 36 37

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39

Ebd. Vgl. hierzu ein an das Wiesbadener Kurdezernat gerichtetes Schreiben vom 22. April 1930, in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30.6.1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. II, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2143, Blatt 65. Siehe hierzu den Beitrag Hermann Onckens in: Rheinischer Beobachter. Halbmonatsschrift für westdeutsche Politik, Kultur und Wirtschaft 9, Nr. 11/12 (Juni 1930), S. 165– 166. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Schlosses, an die „Orgien“ und „bombastischen Zeremonien“ der französischen Besatzer oder an das mit dem Einzug britischer Truppen zu vernehmende „Gequäk des schottischen Dudelsacks“.40 Alles, so die Meinung der lokalen Presse, habe die Wiesbadener Bevölkerung mit einem vorbildlichen „Fatalismus hingenommen“, und umso enthusiastischer begrüße man nun den Abzug der alliierten Truppen.41 Bereits lange vor dem Beginn der mitternächtlichen Feierstunde am 30. Juni 1930, so beobachtete das Wiesbadener Tagblatt, „wogte eine ungeheure und freudig bewegte Menschenmasse“ durch die Straßen der Stadt.42 Viele Häuser waren mit Laubgewinden und den Fahnen Wiesbadens, Nassaus, Preußens und des Reichs geschmückt worden. Selbst die „ersten Siegesnachrichten im Jahre 1914“, so wollte sich das Blatt erinnern, hätten es nicht vermocht, ein solches „Wunder flatternder Farben hervorzuzaubern“ – ein weiterer Hinweis auf die epochale Bedeutung, die man in Wiesbaden dem Truppenabzug der alliierten Streitkräfte zuschrieb.43 Eine Menge von rund 30 000 Zuschauern, so die Angaben des Tagblatts, hatte sich auf dem Schlossplatz eingefunden, um die Festansprachen des Wiesbadener Oberbürgermeisters und anderer Ehrengäste anzuhören.44 Um zwölf Uhr läuteten „die Glocken der Kirchen mit dröhnendem Schalle“ die „Stunde der Befreiung“ ein, Männergesangsvereine und Posaunenchöre stimmten Dankchoräle an und erfüllten „den mitternächtlichen Platz mit Gesang, der wie Opfergewölk in die schwüle Nacht des letzten Junitages“ emporstieg.45 Kaum weniger enthusiastisch war auch der Tenor der Festrede, mit der der Wiesbadener Oberbürgermeister und DVP-Politiker Georg Krücke (1880– 1961) den Abzug der Alliierten als „historische“ Stunde feierte, wobei er nicht nur auf die „Bedrückungen der Franzosenzeit“ hinwies, sondern zugleich die Einmütigkeit lobte, mit der man in Wiesbaden allen Separationsversuchen entgegengetreten sei.46 Von den Vertretern Preußens und des Reichs erhoffte sich Krücke eine tatkräftige Unterstützung, um die Not „unserer schwergeprüften Stadt“ lindern und ihren „baldigen Wiederaufstieg“ in die Wege leiten zu können.47 Auch die beiden anderen Festredner des Abends, der Reichskommissar für die besetzten Gebiete, Freiherr Langwerth von Simmern, sowie der preußische Ministerpräsident Otto Braun, begrüßten den 30. Juni als einen „Tag des Dankes“, den sie vor allem den Männern geschuldet sehen wollten, die „hüben und drüben durch die Tat von Locarno“ die Grundlage einer 40 41 42 43 44 45 46 47

Wiesbadener Tagblatt, 1. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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deutsch-französischen Verständigungspolitik geschaffen hatten.48 Insbesondere bemühte sich von Simmern, die regionale beziehungsweise nationale Perspektive auszuweiten und den 30. Juni als einen Beitrag zur „Befriedung der Welt“ und zur „Einigung der Völker“ herauszustellen.49 Im Abzug der alliierten Truppen erblickte er nicht so sehr jenen in der Wiesbadener Presse trotzig verkündeten „Sieg“ des „Germanentums“ über das „Romanentum“.50 Vielmehr galt ihm der Festtag als Mahnung, „das Trennende [zu] überwinden“, um auf diese Weise das „Beste“ sowohl für „Volk und Vaterland“ als auch für Europa und die Welt zu erwirken.51 Die Ansprache des Reichskommissars illustrierte prägnant das strukturelle Dilemma, in das die Feier eingelassen war: Radikale Nationalismen feierten angesichts des alliierten Truppenabzuges fröhliche Urstände und erschwerten die Anbindung der Festwoche an eine moderate europäische Ausgleichs- und Versöhnungspolitik. Deshalb versuchte auch Ministerpräsident Braun, den Truppenabzug im Kontext einer gemeinsamen europäischen Politik der Völkerverständigung zu verorten. Braun sah die „[d]eutsche Republik“ vor allem durch innere Anfeindungen und parteipolitische Grabenkämpfe gefährdet und mahnte an, weltanschauliche Differenzen beizulegen und aus der Feierstunde das „Gefühl der Verbundenheit“ und die „Achtung vor der ehrlichen Überzeugung anderer“ in den „Alltag der mühevollen Kleinarbeit“ mitzunehmen.52 Die Bemühungen der Reichs- und der preußischen Staatsregierung, die Begeisterung über den Abzug der alliierten Truppen mit einem Plädoyer für die Republik und die von Politikern wie Rathenau oder Stresemann begonnene Verständigungspolitik zu verbinden, fanden freilich nicht die ungeteilte Zustimmung der Wiesbadener Bevölkerung. Im Rahmen eines parallel zur Wiesbadener Feier stattfindenden ,Befreiungsfestes‘ des Stadtteils Biebrich etwa setzte der Hauptredner des Abends, der Wiesbadener Magistratsvertreter Osterheld, deutlich andere Akzente. Im Unterschied zu Braun oder von Simmern betonte Osterheld einmal mehr vor allem das Deutschland und Frankreich Trennende, indem er auf das Ende der „Knechtschaft“ hinwies und sich besonders über das majestätische Rauschen des „heilige[n] Strom[es]“ freute, der nun endlich wieder „deutsch und frei“ sei.53 Osterheld rief seinen Zuhörern dabei die „glutvollen Augusttage“ des Jahres 1914 in Erinnerung, als „gewaltige Heeresmassen begeisterungsgetragen den Rheinstrom überschritten, um aus lebendigen Leibern einen Schutzwall zu ziehen um die geliebte Heimat.“54 Mit „besonderem Stolze“ hob er dabei die „unvergleichlichen Hel-

48 49 50 51 52 53 54

Ebd. Ebd. So der Wiesbadener Legationsrat Sigmund Koch in: ders.: Vom Gestern zum Morgen. Wiesbadener Tagblatt, 1. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

dentaten unseres herrlichen Heeres in allen Weltteilen“ hervor und gedachte des „Opfergang[s]“ des deutschen Volkes, als dieses sich im November 1918 in die „Hand des Siegers“ begeben habe ohne seine „deutsche Freiheit und Würde“ aufzugeben.55 Die größtenteils revanchistisch-militaristisch gefärbte Ansprache Osterhelds, die mit einem Dank an die „großen Toten“ und die „treuen Söhne des Vaterlands“ endete, bildete damit einen auffallenden Kontrapunkt zur Feier auf dem Wiesbadener Schlossplatz und bezeugt, wie weit die Segmentierung der politischen Fest- und Erinnerungskultur mittlerweile vorangeschritten war.56 Erbittert wurde auch in der lokalen Presse um die Deutungshoheit über die offizielle Geschichtspolitik gerungen: Hatte sich das Wiesbadener Tagblatt bemüht, die besondere Erhabenheit der mitternächtlichen Feier auf dem Schlossplatz hervorzuheben, zeigte sich der Berichterstatter der Wiesbadener Zeitung vom Hergang des Festes „schwer enttäuscht“ .57 Schon das „äußere Bild der Stadt“, so hieß es hier, „war nicht erhebend“58 : Der Flaggenschmuck der Häuser etwa erschien dem Chronisten allzu spärlich, um „der Weihe des Tages“ gerecht werden zu können.59 Vor allem die „eigentliche Feier auf dem Rathausplatze“ nahm die Wiesbadener Zeitung „in jeder Beziehung“ als „erschreckend stimmungslos“ wahr und gab an, mit dieser Kritik „die Ansicht weiter Kreise“ wiederzugeben.60 In ihrer kritischen Abrechnung prangerte die Zeitung vornehmlich die Festreden des Reichskommissars und des preußischen Ministerpräsidenten an, die ihr allzu „sachlich und nüchtern“ erschienen und „jeglichen, die Zuhörer begeisternden Schwunges“, entbehrten, da es die Redner nicht verstanden hätten, „die Menge zu packen und hinzureißen“.61 Immer wieder wurde beanstandet, dass die allzu „kurze akademische Feier“ keineswegs „den Erwartungen der nach Zehntausenden zählenden Menge“ entsprochen habe: Begierig habe man „auf ein von Herzen zu Herzen gehendes, zündendes Wort“ gewartet, „das leider ungesprochen blieb“.62 Einmal mehr zeigte sich die Presse von dem als nüchtern-pragmatisch qualifizierten Ton der politischen Entscheidungsträger enttäuscht, der es nicht verstanden habe, „diese begeisterungsfähige Menge“ für sich zu gewinnen.63 Hinter dieser vermeintlich sachlich formulierten Kritik an der politischen Rhetorik Brauns und Simmerns verbargen sich bekannte Stereotypen antirepublikanischer Agitation. Die Wiesbadener Zeitung sah in der Feier das Symptom jener vorgeblichen Versachlichung und Verflachung, 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Ebd. Ebd. Wiesbadener Zeitung, 13. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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die dem Weimarer Staat wiederholt attestiert wurden. Was sich das Blatt stattdessen von den Festreden erhofft hatte, war nicht schwer zu erraten: Von einer ,begeisterungsfähigen Menge‘, die ,gepackt‘ und ,hingerissen‘ sein wollte, war hier die Rede, von enttäuschter Erwartung, wo man „begierig auf ein von Herzen zu Herzen gehendes, zündendes Wort“ gewartet habe.64 Statt unsentimentaler Sachlichkeit hoffte man auf begeisterndes Pathos, statt nüchtern-moderater Aufrufe zugunsten einer Politik der ,mühevollen Kleinarbeit‘ verlangte man nach einem flammenden Plädoyer, das die Größe und Einheit der eigenen Nation beschwor. Die herbeigesehnte Erweckung eines quasi-religiösen Zusammengehörigkeitsgefühls, die Etablierung einer nicht mehr durch klassen- oder parteipolitische Lager geschiedenen sozialen Gemeinschaft sollte auch im Fall der Wiesbadener Feierlichkeiten dazu beitragen, den „abstrakte[n] Individualismus, Utilitarismus und Moralismus der Sozialgestaltung“ zu bekämpfen, wie dies Ernst Troeltsch (1865–1923) bereits 1922 mit Blick auf die organologische Ausrichtung der deutschen historischen Schule kritisch angemerkt hatte.65 Im Unterschied zu diesen dem französischen Rationalismus zugerechneten Grundprinzipien sollten sich nach dem Willen der deutschen Lebensphilosophie und Kulturkritik das „Soziale und Politische [...] von den überindividuellen, organischen und ästhetischen Werten der neuen deutschen Kulturidee aus als Kollektiv-Identität [...] organisieren lassen“66 − ein Vorhaben, das darauf abzielte, Kultur, Staat und Gesellschaft umfassend zu erneuern, hierbei aber immer mehr einem „düsteren Erlösungsparadigma“ den Weg bahnte, das den Stellenwert rationaler politischer Diskurse und pragmatischer Handlungsweisen radikal in Frage stellte.67 In den 1920er Jahren gingen sowohl Vertreter einer rechts- wie linksgerichteten philosophisch-kulturellen Avantgarde verstärkt dazu über, die Künste zu Wegbereitern „einer zukünftigen, wahrhaftigen und damit [...] verbindlichen Existenzform“ zu erheben68 , schien doch gerade der Bereich des Ästhetischen über jene tiefere Authentizität und unbedingte Wahrheit zu verfügen, die bereits die Vertreter der Romantik in der politischen und staatlichen Geschichte Deutschlands so oft vermisst hatten. Poesie, Malerei und Musik wurden daher mit einem immensen autoritativen Geltungsanspruch ausgestattet, sollten sie doch eine umfassende Katharsis des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens herbeiführen. Die hierbei formulierten utopisch-revolutionären Ideale einer urwüchsig-organischen sozialen Harmonie ließen sich zwangsläufig

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Ebd. Ernst Troeltsch: Der Historismus und seine Probleme, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. III, Aalen 1961, S. 287. Ebd. Peter Ulrich Hein: Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus, Reinbek 1992, S. 12. Ebd., S. 16.

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nur schwer historisch konkretisieren, waren aber dennoch darauf angewiesen, sich in solchen symbolischen und medialen Formen auszudrücken, die von Seiten ihrer Rezipienten und Adressaten verstanden und anerkannt werden konnten. Richard Wagners Modell des Gesamtkunstwerks stellt sicher eines der wirkmächtigsten Konzepte einer visionär-universalen Erneuerung von Staat, Gesellschaft und Kunst dar, das seinen Nimbus auch 1930 − trotz heftiger Auseinandersetzungen um seine Gültigkeit und Reichweite − noch nicht eingebüßt hatte. Auch im Rahmen der Wiesbadener Feier griff man vor allem auf Wagners Entwurf einer politischen Ästhetik zurück, um jenen „radikal neuen Lebensanfang“ zu feiern, den man mit dem Abzug der Alliierten herbeisehnte.69 Während die Presse die Ansprachen der politischen Festredner meist als zu nüchtern-sachlich aburteilte und sie als Auswuchs der ungeliebten ,grauen Republik‘ (Kurt Tucholsky) abtat, schienen die Werke Wagners weiterhin einen wirkmächtigen ästhetischen Gegenentwurf in Aussicht zu stellen. Von ihnen erhoffte man sich jenen elementaren Appell, der die Vision einer in harmonischem Gleichklang schwingenden Gemeinschaft hörbar und sichtbar herbeiführen und das Grundanliegen der Feier expressiv vergegenwärtigen sollte. Zwei der insgesamt fünf Festvorstellungen, die zwischen dem 1. und 6. Juli im Wiesbadener Staatstheater dargeboten wurden, waren Wagner vorbehalten, der damit den Festspielplan der Feier dominierte: Am 1. Juli begann der Festspielzyklus mit den Meistersingern von Nürnberg. Nachfolgend präsentierte man dem Publikum am 2. Juli eine Aufführung von Hauptmanns Florian Geyer, gefolgt von einer Inszenierung des Lohengrin am 3. Juli. Am 4. Juli gelangte Schillers Wilhelm Tell zur Aufführung, ehe Mozarts Zauberflöte am 6. Juli die Festwoche beendete. Gerade die beiden Wagner-Opern schienen der Presse außerordentlich geeignet, um den „patriotischen Festtag zu verherrlichen“.70 Beide Werke standen − so befand das Wiesbadener Tagblatt − in einem sehr engen Verhältnis zur Stadt Wiesbaden, ihrer Geschichte und nationalkulturellen Bedeutung: Einen Teil seiner Meistersinger-Partitur hatte Wagner 1862 bei einem Aufenthalt in Wiesbaden-Biebrich komponiert, was das Werk der lokalen Presse „besonders teuer“ machte.71 Doch auch abgesehen von ihrem besonderen lokalhistorischen Stellenwert zeichneten sich beide Werke durch eine auffallende „zeitliche und geistige Nachbarschaft“ aus.72 Die Grundkonzeptionen beider Opern waren 1845 bei einem Aufenthalt Wagners in Marienbad entstanden und als Weiterführungen

69

70 71 72

Vgl. Richard Wagners Konzept der politischen Ästhetik bei Udo Bermbach: Lohengrin. Frageverbot und ästhetische Mission, in: ders.: „Blühendes Leid“. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen, Stuttgart 2003, S. 117–139, hier S. 122. Wiesbadener Tagblatt, 2. Juli 1930. Ebd. Hans Mayer: Lohengrin oder die Utopie in A-Dur, in: ders.: Richard Wagner, hrsg. v. Wolfgang Hofer, Frankfurt a.M. 1998, S. 104–111, hier S. 105.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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des Tannhäuser angelegt, als dessen „legitime Verwandte“ Hans Mayer Lohengrin und Stolzing beschrieben hat.73 Beide Werke kommentierten „den politischen Aspekt des deutschen 19. Jahrhunderts“74 , indem sie „mit den Mitteln des Theaters“ auf eine „Neubestimmung von Politik und Kunst“ hinzuwirken suchten.75 Sowohl in Lohengrin als auch in den Meistersingern hatte Wagner die Vision einer freiheitlich-harmonischen Volksgemeinschaft geprägt, die, um zu sich selbst zu finden, sich entweder aus den Fesseln einer traditionalen Staats- und Gesellschaftsordnung oder aus den Zwängen einer drohenden Fremdherrschaft lösen muss. In der Folgezeit wurden beide Opern vor allem aufgrund ihrer Bearbeitung nationaler Geschichts- und Sagenstoffe sowie ihrer Gestaltung „große[r] Masse[n]“ in den Rang einer deutschen Nationaloper erhoben.76 Das auf der Bühne traditionell im Chor verkörperte „Volk“ sah Hans Pfitzner etwa in Lohengrin „sympathischer hingestellt“ als es sonst in Wagners Tondichtungen der Fall sei.77 Hier verschaffe sich nicht der „Pöbel im korrumpierten Rom“ oder im „mittelalterlichen England“ Gehör, sondern Wagner lasse „hochgemute Recken“ auftreten, die „viel zu stark in sich selbst“ ruhten, um nicht das in der Gestalt Lohengrins personifizierte „Höhere zu ehren“, und die aus diesem Grund unschwer als „Deutsche“ zu identifizieren seien.78 Auch in den Meistersingern ist es das Nürnberger Stadtvolk, das als „jener produktive Resonanzboden“ auftritt und das Fundament einer sich nach ästhetischen Regeln organisierenden deutschen Volks-Gemeinschaft bildet.79 Im Zuge der wechselvollen Rezeptionsgeschichte der Oper wurde diese immer wieder zur Projektionsfläche nationaler Hoffnungen und Sehnsüchte, wobei Aufführungskonventionen und Kritik sie sukzessive aus ihrem ursprünglichen Kontext lösten und in jeweils eigenständige, zeitgebundene semantische Bezüge einstellten. Berühmt-berüchtigter Endpunkt dieses Prozesses war die Indienstnahme des Werkes für die „Nürnberger NS-Saturnalien“, als Wagners Festgemeinde zum erklärten Vorbild für Hitlers „,Meistersinger‘-Staat“ erhoben wurde.80 In seiner berühmt gewordenen Deutung des Meistersinger-Vorspiels hatte Friedrich Nietzsche die Oper bereits 1885 als hochgradig ambivalentes Kunstwerk eingestuft und als eine „schwere und späte Kunst“ charakterisiert.81 Nietzsche hatte ihm jene „gewisse deutsche Mächtigkeit und 73 74 75 76 77 78 79 80 81

Ebd. Ebd, S. 106. Bermbach: Lohengrin, S. 122. Hans Pfitzner: Auszug aus ,Vom musikalischen Drama‘, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 41/42 (Dezember 1929), S. 662–668, hier S. 664. Ebd. Ebd. Bermbach: Die Meistersinger von Nürnberg, S. 267. Siehe hierzu Köhler: Wagners Hitler, S. 372. Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse [1886]. Zur Genealogie der Moral [1887],

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Überfülle der Seele“ bescheinigt, die ihm „zugleich jung und veraltet, übermüde und überreich noch an Zukunft“ erschien.82 Für ihn stellte die Oper gleichsam eine Art Zerrspiegel dar, in dem sich das Deutsche im „besten und schlimmsten Sinn des Wortes“ breche.83 Altertümlich, fremd und „herb“, zugleich aber „überjung“ und „schelmisch“ mutete ihn diese Musik an, um im nächsten Augenblick einen Abgrund aufzureißen, den Nietzsche als einen „Alpdruck“ empfand, etwas „Willkürlich-Barbarisches“, dem jene „Grazie“, jener „Tanz“ und jener „Wille zur Logik“ fehlten, die seiner Überzeugung gemäß die klassisch-apollinische Kunst des Südens auszeichneten.84 In den Meistersingern drückte sich für ihn daher am besten aus, „was ich von den Deutschen halte: sie sind von Vorgestern und von Übermorgen, − sie haben noch kein Heute“.85 Der utopisch-visionäre Traum eines neu heraufziehenden und gewandelten ,Reiches der Deutschen‘, den Wagner in seinen Meistersingern beschworen hatte, schien sich für die ,verspätete Nation‘ zunächst im Kaiserreich der Jahre 1870/71 erfüllt zu haben, als sich der deutsche Nationalstaat als ,Deutsches Reich‘ konstituierte und damit an die mittelalterliche Glanzzeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anzuknüpfen versprach. Nach dem Untergang des Hohenzollernreiches hielten die bürgerlichen Parteien gegen den Willen der Sozialdemokratie am Begriff des Reiches fest: Insbesondere für die antidemokratischen Kräfte verband sich mit dem Terminus der ,Reichsnation‘ die Hoffnung auf eine Restituierung einer hegemonialen, wenn nicht gar imperialen Großmachtstellung Deutschlands.86 Die Vorstellung eines ,Deutschen Reiches‘ kanalisierte auch die politischen Hoffnungen der Wiesbadener ,Befreiungsfeier‘ im Sommer 1930. Zahlreiche Festvorstellungen und -vorträge waren um die Ideenkomplexe ,Volk‘, ,Reich‘, ,Nation‘ und ,Gemeinschaft‘ angeordnet, so dass die beiden Wagner-Opern, aber auch Florian Geyer oder Wilhelm Tell geeignete identifikatorische Folien darboten, mittels derer die historisch-politische Zeitgeschichte gedeutet und bearbeitet werden konnte. In unterschiedlichen graduellen Abstufungen behandelte jedes der für die Festwoche ausgewählten Werke die Thematik des nationalen ,Befreiungskampfes‘ oder das Ringen von Gut und Böse, von Licht und

82 83 84 85 86

in: ders.: Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Bd. 5, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1980, S. 179. Ebd. Ebd., S. 180. Ebd., S. 179f. Ebd., S. 180. Zur geschichtlichen Entwicklung und den spezifischen Dimensionen des deutschen Reichsbegriffs vgl. allgemein Otto Dann: Nationale Fragen in Deutschland. Kulturnation, Volksnation, Reichsnation, in: Etienne François/Hannes Siegrist/Jakob Vogel (Hrsg.): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich, 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 66–82, hier S. 76ff., sowie Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1995, S. 104ff.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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Finsternis. Sie alle stellten die Frage nach der Beschaffenheit guter Herrschaft, nach Möglichkeiten staatspolitischer Einheit und gesellschaftlicher Harmonie. Diese Konfliktlagen verdichteten sich im Schicksal der zumeist charismatischen Helden- und Führerfiguren und wurden zu einem glücklich-harmonischen (Zauberflöte, Meistersinger, Wilhelm Tell) oder unerlösttragischen Ende geführt (Lohengrin, Florian Geyer). Kaum eine der angesetzten Festvorstellungen gab die nationale Hochstimmung der Feier dabei so treffend wieder wie Wagners Meistersinger von Nürnberg: Nach Meinung der Wiesbadener Zeitung hätte kein „besseres, deutscheres Werk“ für die „Befreiung von der fremden Besatzung“ gefunden werden können als die „sonnige[n] ,Meistersinger‘“.87 Auch für das Wiesbadener Tagblatt stand fest, dass diese Oper in ihrer „festgegründeten Großheit deutsches Wesen und deutsches Volkstum“ in Klänge und Worte gefasst habe, so dass die Aufführung erwartungsgemäß den ungeteilten Beifall des Publikums fand.88 Wieder einmal bejubelte die Presse vornehmlich den „patriotischen Anruf “ der Schluss-Szene, brachte der Darsteller des Hans Sachs, Adolf Harbich, diesen doch zu „so nachdrücklicher Wirkung“, dass das Publikum „in größte Bewegung geriet“ und der „jubelnde Beifall kaum enden wollte“.89 In einer feierlichen Ansprache im Wiesbadener Kurhaus erklärte der Schriftsteller Leo Sternberg (1876–1937) am 1. Juli 1930 die ausgewählten Dichter und Musiker kurzerhand zu Vorkämpfern einer „nationale[n] Mission“.90 Ihre Werke beschrieb er als wirkmächtige Waffen, mit denen das Rheinland in der „Zeit der Not“ den Kampf „gegen die geistige Offensive“ der französischen Besatzer habe ausfechten können.91 Das französische Militär habe dabei, so meinte Sternberg mit Bezug auf den von Wagner bearbeiteten Nibelungen-Stoff, im Drang nach „maßlose[r] Macht“ den „Fluch“ auf sich gezogen, „der auf allen Weltherrschaftsgefühlen ruht“.92 Die „erlösende Liebe zu dem Golde des Rheines“ sei es gewesen, so Sternberg, die Deutschland den „Sieg“ über die „Machtgier“ Frankreichs errungen habe, so dass dieses nun zurecht den „goldenen Schlüssel des Reiches“ als Lohn in Händen halte.93 Für Sternberg stellte die Wiedergewinnung des Rheins zugleich die Restitution des Reiches und eine neue Blütezeit der nationalen Volksgemeinschaft in Aussicht, wobei das Werk Richard Wagners für ihn den maßgeblichen semantischen Referenzrahmen abgab, in den sich die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit einpassen und als sinnhaft verorten ließen.

87 88 89 90 91 92 93

Wiesbadener Zeitung, 2. Juli 1930. Wiesbadener Tagblatt, 2. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

484

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Auch Gerhart Hauptmanns 1896 uraufgeführtes und in der Zeit der Bauernkriege angesiedeltes Schauspiel Florian Geyer deuteten viele Rezensenten ausdrücklich in Analogie zur politischen Zeitgeschichte der 1920er und 1930er Jahre: Der von Hauptmann verarbeitete gewaltsame Konflikt zwischen Junkern und Bauern, das Ringen um schichtenübergreifende Einheit und nationale Integrität wurde als hochaktuelle Thematik wahrgenommen. Dem Drama wies die Presse eine geradezu „imponierende Monumentalität“ zu, die die „Atmosphäre spezifisch deutschen Leiderlebens“ präzise einfangen könne.94 Abermals beschwor die Presse die Notwendigkeit eines neu zu schaffenden ,Deutschen Reiches‘. Man schien darin übereinzustimmen, dass sich diese Vision künftiger Größe weder in der gegenwärtigen Staatsform der parlamentarischen Republik finden, noch „in das Gebiet des UtopischVisionären verbannen“ ließ.95 Kollektive Hoffnungen wurden immer mehr auf eine charismatische Führerfigur projiziert, die dieses ,Rettungs‘- und ,Erlösungswerk‘ vollbringen sollte.

8.4 „Leuchtend steigt aus Nacht und Tiefen / Unsrer Freiheit Strahlendom“96 : Das ,Befreiungs-Festspiel‘ Deutschlands Strom und der Wiesbaden-Besuch Paul von Hindenburgs So sehr sich die lokale Presse auch bemühte, dem Festspiel-Zyklus des Staatstheaters eine besondere „Feststimmung“ zuzuerkennen97 , ließ sich kaum übersehen, dass diese Erfolgsmeldungen mitunter etwas angestrengt klangen. Mancher Rezensent musste einräumen, dass die kanonisierten Klassiker nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums fanden. Indigniert 94

95 96 97

Wiesbadener Tagblatt, 3. Juli 1930. Der Rezensent des Wiesbadener Tagblatts meinte im Hinblick auf die Inszenierung des Florian Geyer, dass die Textstellen, „bei denen es um kerndeutsches Wesen und Besonderheit“ ging, die „stärkste Anteilnahme“ des Publikums gefunden hätten. Der Umstand, dass Geyer „an der kläglichen deutschen Zwietracht“, an „Verrat und Niedertracht“ scheitere, machte für den Kritiker des Wiesbadener Tagblatts die „gewaltige Gleichniskraft“ des Dramas aus. Im Protagonisten sah man die sinnbildliche Verkörperung des deutschen ,Schicksals‘: Wie Geyer „von der Hand eines meuchlerischen Viechkerls“ niedergestreckt wurde, habe sich auch Deutschland − so die Deutung der Wiesbadener Presse − aufgrund eines niederträchtigen Verrats geschlagen geben müssen und war nun gezwungen, „noch viele hundert Jahre“ zu warten, ehe ein neuer „Kaiser im Kyffhäuser“ eine „gerechte Welt“ herbeiführen konnte. Hein: Die Brücke ins Geisterreich, S. 23. Vgl. hierzu Edwin Redslob: Befreiungs-Festspiel ,Deutschlands Strom‘. Chorische Dichtung zur Feier der Rheinland-Befreiung, Wiesbaden 1930. Wiesbadener Zeitung, 2. Juli 1930.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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stellte die Wiesbadener Zeitung fest, dass man bei ,volkstümlichen‘ Preisen eigentlich hätte erwarten dürfen, „daß das Haus bis auf den letzten Platz gefüllt sein würde“.98 Davon konnte allerdings bei fast keiner der vorangehend erwähnten Festvorstellungen die Rede sein. Die Festwoche stieß vielmehr auf ein weit verbreitetes öffentliches Desinteresse. Nach Meinung des Wiesbadener Tagblatts entsprach so etwa die Inszenierung des Florian Geyer nicht den Maßstäben, die man an das Werk anlegen müsse. Das Blatt vermisste vor allem „den Pulsschlag einer leidenschaftlichen Zeit“, einen „fühlbaren Rhythmus im Gesamtgefüge der Wiedergabe“.99 Den meisten Darstellern habe man anmerken müssen, so kritisierte die Zeitung, dass sie „gar keine Beziehung zu den Geschehnissen“ gehabt und sich darauf beschränkt hätten, eine „äußerliche Theaterei“ vorzuführen.100 Wie im Fall der vorab vorgestellten Festansprachen auf dem Wiesbadener Rathausplatz wurde auch hier bemängelt, dass kein ,zündender Funke‘ zwischen Bühne und Publikum überspringe und sich die Aufführung in formaler ,Theaterei‘ verliere. Der Vorwurf des Unauthentisch-Gekünstelten, des Äußerlichen und Distanzierten beklagte das Auseinanderfallen von Rolle und Schauspieler als einen Verlust an Echtheit, Eigentlichkeit und künstlerischer Substanz. Übertrugen Kulturkritik und Lebensphilosophie der Nachkriegsära die Kategorien der Verdinglichung, der Entfremdung und der erstarrten Konvention mit Vorliebe auf den Bereich des Sozialen und Politischen und markierten sie diese abwertend als „Sphäre der permanenten Trennungen“101 , so fielen entsprechende Anklagen nun auf den Bereich des Ästhetischen zurück: Dem Theater als Theater – und damit als einer Sphäre der gewollten Un-Wirklichkeit, der beabsichtigten Verstellung und der institutionalisierten Maskierung – wurde zur Last gelegt, zu einem Ort der Uneigentlichkeit, des Unauthentischen herabgesunken zu sein. Auch in der Ästhetik setzte sich das Verlangen nach unhintergehbarer Echtheit durch, die sich in der Forderung nach einer das Publikum emotional mitreißenden, es gleichsam existenziell ergreifenden Inszenierungsweise niederschlug. Dass dieser affektive ,Rausch‘ nicht länger gewährleistet war, scheint auch auf die nachlassende Strahl- und Bindekraft eines etablierten Kanons hinzuweisen: Eine Bühnenpraxis, die sich vornehmlich auf bewährte Klassiker stützte, ging offenbar immer mehr an den Erwartungen des Publikums vorbei und entsprach nicht länger den Anforderungen der sich wandelnden Medienlandschaft der 1920er und 1930er Jahre. Mit Film und Kino hatte das Publikum ganz neue ästhetische Formate kennengelernt, die die Ausdrucksmöglichkeiten der Bühne sprengten und eine überzeugendere Illusion der Unmittelbarkeit zu schaffen vermochten. Angesichts einer zunehmend plura98 99 100 101

Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 3. Juli 1930. Ebd. Vgl. hierzu Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 77.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

listisch organisierten Massengesellschaft konnte ein klassischer Opern- und Schauspielkanon nicht mehr die Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit stiftenden Funktionen übernehmen, die eine groß- und bildungsbürgerliche Elite ihm einst überantwortet hatte. Die fortschreitende Erosion der bürgerlichen Schichten, die den Hauptteil des Theaterpublikums des 19. Jahrhunderts dargestellt hatten, trug maßgeblich zu jener von Seiten der Fach- wie der Tagespresse diskutierten ,Publikumskrise‘ bei, die deshalb auch als eines der drängendsten „Theaterprobleme der Gegenwart“ eingeschätzt wurde.102 Als Ursachen dieser Publikumskrise benannte man fast immer die andauernden Folgen der Inflation und die aufgrund des Krieges gewandelten sozialen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, die auch die institutionelle Struktur der deutschen Theaterlandschaft grundlegend verändert hatten.103 Mit dieser Feststellung korrespondierte ein weiterer Befund, der insbesondere für den Bereich der Musik und des Musiktheaters relevant war: In den Nachkriegsjahren sah man sich mit dem Umstand konfrontiert, dass „augenblicklich mehr als nur der gewohnte Generationsgegensatz unter den schöpferischen Musikern wie unter den Hörern“ bestand.104 Immer wieder wurde beanstandet, dass sowohl der klassisch-romantische Werkkanon als auch ein Großteil der so genannten ,Avant-Garde-Komponisten‘ die innere Verbindung zur Gegenwart verloren habe.105 Viele zeitgenössische Kritiker glaubten, dass sich gerade ein Großteil der neuen Musik mit der „politischen Demokratisierung“ noch „viel tiefer in das „aristokratisch-bürgerliche l’artpour-l’art‘“ zurückgezogen habe, als dies vor 1914/18 der Fall gewesen sei.106 Zu keiner Zeit, so der Musikpädagoge und -publizist Hans Heinrich Stuckenschmidt (1901–1988), habe es so sehr an einer allgemein verständlichen „Gebrauchsmusik“ gemangelt wie in den Nachkriegsjahren, niemals „wurde individualistischer musiziert als im revolutionierten Deutschland und Oesterreich“.107 Gerade die Oper, so klagte auch der lange Zeit als Theaterregisseur in Frankfurt tätige Herbert Graf (1903–1973), sei in ihren Hauptzügen eine weitgehend „exklusive Kunst“ geblieben, die das Publikum noch immer in Logen und Ränge einteile und damit in eine „Summe von getrennt lebenden“ und hierarchisch gestuften „Einzelwesen“ zergliedere.108 Seiner Ansicht 102 103 104

105 106 107 108

Arthur Sakheim: Theaterprobleme der Gegenwart, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 31/32 (August 1931), S. 355–358. Ebd., S. 355. Hans Esdras Mutzenbecher: Die Zukunft der Oper. Richtlinien für eine aktuelle Operndramaturgie, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 9/10, (Februar/ März 1928), S. 131–137, hier S. 132. Hans Heinrich Stuckenschmidt: Sozialisierung der Musik, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 17/18 (Mai 1929), S. 463–467, hier S. 463. Ebd., S. 465. Ebd., S. 465f. Herbert Graf : Die Zukunftsfrage der Oper, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 41/42 (Dezember 1929), S. 643–648, hier S. 643f.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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nach war die Raumgestaltung der meisten Stadt- und ehemaligen Hoftheater signifikant für diesen epigonalen Zug des Theaters verantwortlich. Um die folgenschwere „Distanz zum Publikum“ zu überwinden und einen neuen ästhetischen Erlebnisraum zu schaffen, der sich verstärkt auf die „Erlebnisart der heutigen Menschen“ einlassen könne, empfahl Graf, den vermeintlich leblos-museal erscheinenden Kokon der Theater- und Opernhäuser gegen öffentliche Stadien und Arenen einzutauschen, in denen die „Oper der Gegenwart“ wieder „große allgemein verständliche Gefühlskomplexe [...] in eindrucksvollen Szenen“ zur Wiedergabe bringen könne.109 Nach Meinung der zeitgenössischen Kritik und Publizistik waren es somit vor allem zwei Differenzmomente, die die Vormachtstellung einer überzeitlich gültigen Kunst(-praxis) anzweifelten und damit auch die Einheit stiftende Bindekraft des Musiktheaters in Frage stellten: Zum einen wurden kanonisierte Klassiker mitunter als unauthentisch und flach wahrgenommen, ihr Aussagewert für ein nach Orientierung und Emotionalisierung verlangendes Publikum gering geschätzt. Zum anderen stufte man das Gros der Opern- und Theaterbauten als zergliedernde, teilende, kurz als Hierarchien produzierende Raummedien ein, die ein wirkliches Gemeinschaftserlebnis nicht ermöglichen konnten. Ein Ausweg aus diesem Dilemma schien sich mit dem Freilicht- und Volksfestspiel anzubieten, das eine ganz neuartige Ästhetik produzierte, indem es die Logik der Partizipation am Geschehen in doppelter Weise veränderte: Zum einen wurde es so möglich, eine weit größere Anzahl von Darstellern einzubinden und die gewünschte Massenmobilisierung zu erzielen. Dabei ließ sich der vielfach propagierte Anspruch auf Authentizität und Unmittelbarkeit insofern umso wirkungsvoller einlösen, als man vermehrt auf Laiendarsteller zurückgreifen konnte und musste, die vermeintlich spontaner und ,echter‘ agierten als professionell-routiniert arbeitende Schauspieler. Zum anderen waren große Plätze, Arenen und Stadien Orte, die Egalität hervorzubringen versprachen, da sie sich, anders als die entlang einer vertikalen, Hierarchie hervorbringenden Achse erbauten Opern- und Theaterbauten des 19. Jahrhunderts, viel eher am Prinzip einer horizontalen Ebene orientierten, die Gleichheit und Gemeinschaft zu suggerieren schien und das Publikum nicht länger ,zergliederte‘ und ,einteilte‘. Solche Beweggründe veranlassten jedenfalls die Wiesbadener Kulturpolitiker, den zweiten Teil der Feierlichkeiten von der Bühne des Staatstheaters weg an eine „der landschaftlich schönsten Stellen Wiesbadens“ zu verlegen, wie es der städtische Beigeordnete Hess am 6. Juni 1930 in einem Schreiben an das Büro des Reichspräsidenten formulierte.110 Eigens für die Feier 109 110

Ebd., S. 647. Siehe in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30.6.1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. IV, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2145, Blatt 49.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

hatte man den bereits in früheren Jahren als Festort genutzten Platz ,Unter den Eichen‘ erneut als einen Fest- und „Spielplatz“ hergerichtet.111 Während der Besatzungszeit war dieser Platz von den Alliierten beschlagnahmt und für militärische Zwecke genutzt worden. Die symbolische Wiederaneignung des Rheinlandes konnte daher an kaum einem anderen Ort der Stadt wirkungsvoller in Szene gesetzt werden als hier, wo rund 10 000 Zuschauer aus „alle[n] Bevölkerungsschichten“ teilnehmen konnten.112 Der Festplatz, der nach Angaben des Wiesbadener Tagblatts „160 Meter lang und 66 Meter breit“ war, bot insgesamt 5000 Sitzplätze.113 Auf Logen hatte man bewusst verzichtet, um die „vollkommene Gleichheit“ aller Besucher zu gewährleisten − bereits dies eine Geste von hoher Symbolkraft, mit der gerade die bislang stets so elitäre ,Weltkurstadt‘ bewusst mit ihren Traditionen gesellschaftlicher Exklusivität brechen wollte.114 Um die „sinnbildliche Bedeutung“ des Truppenabzugs auszudrücken, war die Aufführung eines Festspiels vorgesehen, das auf einem Text des Reichskunstwarts Edwin Redslob basierte.115 Bei der Aufführung dieses „chorische[n] Spiel[s]“ sollten unter der Leitung des Oberregisseurs des Staatstheaters, Fritz Schröder, rund 3000 Wiesbadener Schulkinder, Mitglieder der städtischen Jugendsport- und Turnvereine sowie Schauspiel- und Orchesterangehörige des Staatstheaters mitwirken. Neben der Intendanz des Staatstheaters waren auch die Kur- und Verkehrsdirektion, die Schulverwaltung, das städtische Hoch- und Tiefbauamt sowie die Gartenverwaltung in die Vorbereitung des Festspiels involviert, das somit zugleich eine gigantische Werbeveranstaltung darstellte, mit der die Stadt Wiesbaden über den lokalen und regionalen Bereich hinaus auf sich aufmerksam machen konnte. Der städtische Magistrat hatte sich im Frühjahr eigens an Redslob gewandt und ihn um seine Mitarbeit gebeten. In Redslobs Aufgabenbereich fiel insbesondere die Planung repräsentativer staatlicher Feiern.116 Die Trauerzeremonien für Friedrich Ebert und Gustav Stresemann hatte er ebenso koordiniert wie die zehnjährige Verfassungsfeier des Jahres 1929. In bewusstem Gegensatz zu den Verfassungsfeiern und ihrem „trockenen akademischen Ton“117 aber verstand sich das Festspiel Deutschlands Strom als „Theater der Zehntausend“, das einer „neue[n] volkstümliche[n] Kunst“ den Weg bereiten

111 112 113 114 115

116 117

Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 7. Juni 1930. Ebd. Siehe in: Magistrat der Stadt Wiesbaden, Akten betrf. Befreiungsfeier anlässlich der am 30.6.1930 erfolgten Räumung des besetzten Gebietes, Bd. IV, in: StAW, Bestand WI/2, Nr. 2145, Blatt 49. Siehe hierzu auch Kapitel III.2 (Die Frankfurter Goethewoche und die 75-Jahr-Feier der 1848er Revolution). Wiesbadener Tagblatt, 7. Juni 1930.

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wollte.118 Aus diesem Grund hatte Redslob seine Dichtung bewusst als eine „Angelegenheit der Masse“ konzipiert.119 Die Grenze zwischen Zuschauern und Darstellenden wollte man dadurch einebnen, dass man „die ganze Stadt zu Mitwirkenden“ machte.120 Die umfassende Mobilisierung der Zuschauer schien durch die bewusst „symbolisch gestaltet[e]“ Handlung sichergestellt, garantiere diese doch, dass sich „Tausende“ von Besuchern „im Herzen“ als „deutsche Volksgemeinschaft erleben“ konnten.121 Nachdrücklicher kann kaum auf die Bedeutung einer ästhetisch vermittelten Politik der Symbole verwiesen werden, die − so die zeitgenössische Wahrnehmung − entscheidend daran mitwirken sollte, mit Hilfe ihrer neuen ästhetischen „Formen“ zugleich ein ganz neuartiges Gemeinschaftserlebnis hervorzubringen.122 Damit wanderte das Erlebnis gewissermaßen von der Oper auf den Festsplatz hinaus, wo man ihm eine unverbrauchte und weitaus öffentlichkeitswirksamere Arena zur Verfügung gestellt hatte. Gerade für eine Stadt wie Wiesbaden, die sich 1894 mit ihrem Hoftheater einen markanten Zentralort ihrer politischen Festkultur erbaut und mit den Kaiserfestspielen eine monumentale, auf das Theater und seinen hoheitlichen Protektor zugeschnittene Festspieltradition geschaffen hatte, kam diese Akzentverlagerung einem Traditionsbruch gleich. Auch die Wiesbadener Presse zeigte sich überzeugt, dass Redslobs Dichtung die geeigneten „packenden Mittel“ gefunden habe, um diesen „Geist“ der Befreiung und des Wandels zum Ausdruck zu bringen.123 Chorischer Sprechgesang und rhythmische Bewegung waren die spezifischen Merkmale, mit dem ein „Funke oder eine Flamme von Begeisterung und Jubel“ geweckt werden sollten, um die durch „Klassenunterschiede“, „parteipolitische Zerrissenheit“, durch „weltanschauliche Verschiedenheit“ oder Gleichgültigkeit „blockierten Kräfte zu lösen“ und sie aufs Neue „in breiten Kanälen zu sammeln“.124 Die lokale Presse machte ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Dichtung des Festspiels keine herkömmliche künstlerische Darbietung darstelle, die man sich amüsiert oder gar unbeteiligt ansehen könne. Aufgrund seiner Monumentalität und Allgemeinverständlichkeit – so argumentierte das Wiesbadener Tagblatt – bezeichne das Festspiel vielmehr einen „Kraftpol“, der „alle an sich zieht“ und zu Zeugen und Vollstreckern eines „großen geschichtlichen Ereignisses“ machen sollte.125 Mit diesem Anspruch wurde der Stellenwert eines klassischen musikalisch-dramatischen Kanons abermals relativiert. Darüber hinaus aber wurde auch das Opernhaus als 118 119 120 121 122 123 124 125

Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Volksstimme, 7. Juni 1930. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 7. Juni 1930. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

ordnendes, sortierendes und zugleich Sinn stiftendes Gehäuse gesprengt, da es kaum als ,Kraftpol‘ wirken konnte, der Zehntausende ergriff und zu einer ,Volksgemeinschaft‘, zur wiedererweckten Nation zusammenschweißen konnte. Anders das ,Befreiungsfestspiel‘: Der Rhein wurde im Text des Festspiels förmlich zu einem „Sinnbild“ erhoben, in dem das Schicksal und das „Wesen“ Deutschlands „verkörpert“ waren.126 „Solange er [der Rhein] gefesselt war, war es das ganze Reich, fallen seine Ketten, dann erst wird Deutschland frei“.127 Das Rheinland mit seinen „mittelalterliche[n] Burgen und Domen, Rathäuser[n] und Schlösser[n]“, mit seinen „moderne[n] Fabriken und Kurhäuser[n]“ sollte gleichfalls als Allegorie deutscher Geschichte und „Gegenwartsleistungen“ erkennbar werden.128 Hier zeigt sich, dass dem Festspiel als Auftrags- und Gelegenheitsdichtung − es sollte lediglich am 19., 20. und 21. Juli zur Aufführung gelangen − bewusst die Funktion zugewiesen wurde, „ein Stück neuer deutscher Festkultur“ zu schaffen.129 Anders als die Opern Wagners und Mozarts und die Dramen Schillers und Hauptmanns war es nicht fester Bestandteil eines Kanons, der sich einer allzu offensiven Indienstnahme entzog und dessen Vielschichtigkeit stets auch Raum ließ für unterschiedliche Deutungsweisen. Aufgrund ihrer komplexeren Anlage waren diese in sehr viel höherem Maß auf die Deutung durch professionalisierte Exegeten angewiesen gewesen und mussten erst von Vertretern der Presse als allgemeinverständliche „symbolische Darstellungen“ der ,Rheinfrage‘ entschlüsselt werden.130 Demgegenüber war das Festspiel aufgrund seiner weniger komplexen Form der Sinnproduktion wie auch aufgrund seiner gesteigerten Möglichkeit der Massenpartizipation viel unmittelbarer auf die Anforderungen der Wiesbadener Feier zugeschnitten und konnte weit eher als direkter Kommentar zu den aktuellen tages- und symbolpolitischen Geschehnissen verstanden werden. Das Festspiel brachte die Trauer um den Verlust wie auch die Freude über die Rückgewinnung des Rheins in plastischen, eingängigen Szenen zur Darstellung und übertrug den gesellschaftspolitischen Anspruch der ,Rheinfrage‘ in vornehmlich plakativ-stereotype Verse. Nach einem „feierliche[n], von Fanfarenbläser[n] geleiteten Festzug“ begrüßte ein Herold die von Bewegungschören verkörperten unterschiedlichen Flüsse, die das deutsche Reich durchflossen. Dabei beklagten der Herold und der „Chor der Flüsse“ das Fehlen des Rheines, der eigentlichen „Lebensader“ des Landes, den der „welke Hass“ fremder „Truppe“ in die „Frohn [sic!]“ gezwungen habe.131 Sodann 126 127 128 129 130 131

Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Redslob: ,Deutschlands Strom‘.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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betrat der gefesselte Rhein selbst die Szene und forderte das rheinische Volk auf, seiner „Ketten Bande zu lösen“.132 Das Festspiel bediente sich damit einer revanchistisch-nationalistischen Metaphorik, deren appellativer Grundton kaum überhört werden konnte. Entsprechend machten sich daraufhin Bauern und Landarbeiter, Winzer und Bergarbeiter sowie Schiffer und Fischer auf, um endlich die „Kette der Knechtschaft“ zu „zerschlagen“.133 Die verschiedenen Stände der rheinischen Bevölkerung vertraten dabei „alle Schichten unserer Nation“.134 Nach glücklich vollbrachter Tat priesen der „Chor des Volkes“, der Herold und der Rhein abschließend die ,Befreiungstat‘. Der Rhein wurde im abschließenden Hymnus wiederum zu einem programmatisch aufgeladenen Kollektivsymbol, mit dem der Befreiungskampf und das Einheitsbewusstsein der deutschen Nation beschworen werden konnten: Endlich, so hieß es hier, „steigt aus Nacht und Tiefen / Unsrer Freiheit Strahlendom“, um als weithin loderndes „Freudenfeuer“ über dem „befreiten Land“ zu „glänze[n]“ und aller „Trennung“ und „Zweiheit“ ein Ende zu bereiten.135 Als politisch signifikantes Ereignis hatte die Aufführung des Festspiels deshalb zu gelten, weil der langersehnte Besuch Paul von Hindenburgs gerade für den 20. Juli vorgesehen war. Wenngleich der Reichspräsident nicht lange genug in der Stadt weilte, um die an diesem Tag angesetzte Inszenierung besuchen zu können, stand diese doch „ganz unter dem Eindruck der erhebenden Stimmung, die der Besuch Hindenburgs“ allgemein hervorgerufen habe.136 Wie der Rhein im Festspiel als Inkarnation der deutschen Nation fungierte, so nahm die Wiesbadener Bevölkerung auch den Reichspräsidenten als „würdigste, lebendige Repräsentation von Deutschlands Größe und Freiheit“ wahr.137 Die beiden Festanlässe ließen sich deshalb wirkungsvoll aufeinander beziehen, so dass der 20. Juli 1930 ein herausragendes Datum im „Buch der Geschichte Wiesbaden[s]“ darstellte, verkörperten doch beide den Gedanken organischer Verbundenheit und ungeteilter Einheit, der den rheinischen ,Befreiungsfeiern‘ zugrunde lag.138 Das zu Ehren Hindenburgs in Szene gesetzte Festzeremoniell verband beinahe anachronistisch anmutende Elemente der Vorkriegsjahre mit dezidiert modernen, massenmedial wirksamen Formen der politischen Repräsentation. Da Hindenburg anders als sein Amtsvorgänger Friedrich Ebert kaum daran interessiert war, eine spezifisch republikanische Festtradition zu schaffen139 , konnte in den Jahren der Weimarer Republik von einer konsensuellen Symbolpolitik kaum die Rede sein. Vielleicht erklärt sich auf diesem Weg das 132 133 134 135 136 137 138 139

Ebd. Ebd. Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Redslob: ,Deutschlands Strom‘. Wiesbadener Zeitung, 21. Juli 1930. Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Frankfurter Nachrichten, 21. Juli 1930. Siehe hierzu Kapitel III.5 (,Hindenburgrummel‘).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

konstante Bestreben, eine dezidiert ,neue‘, genuin andersartige und allgemein verbindliche politische Festkultur ins Leben zu rufen: Eine Vielzahl der hier versammelten Beispiele aus der Weimarer Zeit kreist gebannt um diese Semantik des Neuen, des Neubeginns, des Aufbruchs in eine ,neue Ära‘. Dies demonstriert ebenso eindrücklich das Auseinanderfallen einer einheitlichen symbolischen Ordnung als auch die Vielzahl möglicher und miteinander konkurrierender Sinnstiftungsangebote. Auch die Wiesbadener ,Befreiungswoche‘ im Juli 1930 zeigt eine solche Schichtung unterschiedlicher Festkulturen und divergierender Symbolbestände. Die meisten lokalen und regionalen Zeitungen verwiesen zunächst demonstrativ auf die deutlichen Parallelen, die zwischen dem Besuch Hindenburgs und „den Vorkriegs-Maitagen“ auszumachen waren.140 Seit der „Kaiserzeit“ habe die Wilhelmstraße nicht mehr „dieses festliche Gepräge“ aufweisen können wie an jenem 20. Juli 1930.141 Wie einst prunke Wiesbadens Prachtstraße nun endlich wieder „im Glanze festlichsten Girlanden-, Fahnen- und Blumenschmuckes“, und wie man es aus den angeblich so unbeschwerten Tagen der Kaiserfestspiele kannte, bewegte sich seit den frühen Morgenstunden „eine festfroh gestimmte gewaltige Menschenmenge durch die Straßen der Bäderstadt“.142 Beim Eintreffen Hindenburgs in der Wiesbadener Innenstadt mischten sich die „Fanfaren vom Balkon des Kurhauses“ mit den „stürmischen Jubelrufe[n] der unübersehbaren Menschenmassen“.143 Auch schallten dem Reichspräsidenten „begeisterte Jubelrufe“ entgegen, als er bei dem für ihn anberaumten Empfang im Wiesbadener Kurhaus die frühere Kaiserloge des Saales betrat.144 „Überwältigend“ erschienen den Frankfurter Nachrichten dabei nicht nur „diese endlosen spontanen Huldigungen“, sondern auch „das Bild der aufmarschierten Verbände und Vereine“.145 Zu weiten Teilen schrieb der Wiesbaden-Besuch Hindenburgs daher tatsächlich kaiserzeitliche Zeremoniellformen fort: Wie man es von den Besuchen Wilhelms II. kannte, hatten sich „die ehemaligen Angehörigen der Wiesbadener Regimenter 80 und 27“ sowie „nahezu sämtliche Vereine der Stadt“ eingefunden, um zu Ehren des Reichspräsidenten vom Kurhaus bis in die Wilhelmstraße im Spalier Aufstellung zu nehmen.146 Die Wiesbadener Zeitung machte dabei die Beobachtung, dass die Angehörigen des ,Stahlhelm‘, die sich ebenfalls „zur Spalierbildung eingefunden“ hatten, bei ihrem „Aufmarsch von der Menge stürmisch begrüßt“ wurden, während das Blatt lediglich en passant erwähnte, dass auch eine „große

140 141 142 143 144 145 146

Frankfurter Nachrichten, 21. Juli 1930. Wiesbadener Zeitung, 20. Juli 1930. Frankfurter Nachrichten, 21. Juli 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Wiesbadener Zeitung, 21. Juli 1930.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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Zahl Reichsbannermitglieder“ erschienen war, um den Reichspräsidenten zu begrüßen.147 Wie bereits bei seinem Aufenthalt in Frankfurt im November 1925 machte Hindenburg keinerlei Anstalten, den mit seiner Person verbundenen „vaterländische[n] Symbolbestand“ zugunsten der Republik einzusetzen.148 Auch während seines Wiesbaden-Besuches betonte er vor allem die „[t]reue Vaterlandsliebe“ und die „geduldige Ausdauer“, die das deutsche Volk „seit dem unglücklichen Ausgang des großen Krieges“ unter Beweis gestellt habe.149 Ausdrücklich beschrieb Hindenburg die Jahre der Besatzung als nationalen Opfergang, den „die rheinische Bevölkerung aufrechten Hauptes um Deutschlands willen gegangen“ sei.150 Das militärisch gefärbte und religiöse verbrämte Vokabular fand vor allem bei den konservativ-nationalistisch ausgerichteten Teilen der Wiesbadener Bevölkerung das erhoffte Echo, wie die begeisterte Begrüßung des Reichspräsidenten durch lokale Veteranenverbände und durch Anhänger des rechtsnationalistischen ,Stahlhelm‘ nahelegen. Die „konservativ-autoritäre Wende“ der Jahre 1930 bis 1932 war in diesem Schreiben bereits vollzogen.151 Im Gegensatz etwa zum preußischen Ministerpräsidenten Braun kultivierte Hindenburg hier ein klar revanchistisch gefärbtes Geschichtsbild, indem er nachdrücklich auf die „fremde Machtwillkür“ der Besatzer hinwies, und zu parteiübergreifender „Einigkeit“ aufforderte, um „unser geliebtes Vaterland“ „einem besseren, helleren Tag“ entgegen führen zu können152 − eine Aussage, die nicht nur die gegenwärtige politische, ökonomische und soziale Lage als ,finster‘ und unzureichend einstufte, sondern zugleich die grundsätzliche Unzufriedenheit weiter Kreise der rheinischen Bevölkerung mit den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen Weimars kanalisieren konnte. Zugleich stilisierte sich Hindenburg zum erwählten Führer, zum charismatischen Lichtbringer, der seine Legitimation ausschließlich aus dem Volk heraus empfing und dieses Volk daher auch in seiner Gesamtheit verkörpern konnte. Damit reagierte er geschickt auf die medialen und repräsentativen Bedürfnisse der Massengesellschaft der 1920er und 1930er Jahre, die sich nicht mehr fraglos mit traditional besetzten Werten wie Treue und Gehorsam identifizieren konnte, sondern nach einem neuartigen Herrschaftstypus verlangte, der das Bedürfnis nach völkisch-organischer Vergemeinschaftung berücksichtigte.153 Auch die Wiesbadener Feier legte auf diesen Aspekt besonderen Wert und erklärte Hindenburg zu einer Art Lichtgestalt, zum entschlossenen 147 148 149 150 151 152 153

Ebd. Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration, S. 321. Vgl. das Schreiben Hindenburgs in: Wiesbadener Städtische Nachrichten (Amtliches Verkündigungsblatt des Magistrats), 1. Juli 1930, 7. Jg., Nr. 28. Ebd. Peukert: Die Weimarer Republik, S. 217. Vgl. das Schreiben Hindenburgs in: Wiesbadener Städtische Nachrichten (Amtliches Verkündigungsblatt des Magistrats), 1. Juli 1930, 7. Jg., Nr. 28. Hein: Die Brücke ins Geisterreich, S. 29.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Fürsprecher der rheinischen „Befreiungspolitik“.154 Beim Eintreffen Hindenburgs auf dem Festplatz erhob sich die Menge von den Sitzen, „und unter brausendem Jubel und begeisterten Zurufen“ fuhr der Wagen mit Hindenburg und Oberbürgermeister Krücke „seine Runde um den Platz“.155 Viele „tausend Kinder in farbenprächtiger Gewandung“ und „viele, viele tausend Erwachsene jubelten dem Reichspräsidenten des Deutschen Reiches zu und gelobten dem deutschen Vaterlande und seinem Führer unverbrüchliche Treue“.156 In der Mitte der Rundfahrt wurde Hindenburg „durch einen gut geschulten kleinen Sprechchor besonders begrüßt“, indem ihm die Tochter des Oberbürgermeisters „einen in Nassauer Farben geschmückten Blumenstrauß“ überreichte.157 Als Hindenburg schließlich „langsam den Festplatz verließ, stimmte die Menge das Deutschlandlied an, und aus „vielen tausend Kinderkehlen klang ein herzliches ,Auf Wiedersehen!‘ dem scheidenden Reichspräsidenten nach“.158 Eine „symbolisch-kultische Handlung“ von besonderer Aussagekraft hatte die Presse ihren Lesern bereits im Vorfeld angekündigt, und tatsächlich entfachte die im Anschluss an den kurzen Besuch Hindenburgs stattfindende Aufführung des ,Befreiungsfestspiels‘ eine noch gesteigerte Begeisterung in den Reihen der Zuschauer159 : Als der Rheinstrom sich endlich „seiner Ketten entfesselte“ und „das Deutschlandlied zum Himmel“ scholl, füllte sich − den Beobachtungen der Wiesbadener Zeitung zufolge − „manches Auge vor Rührung und Begeisterung mit Tränen“.160 Endlich war damit jener Funke der Euphorie übergesprungen, den so viele Vertreter der Presse bei den Festvorstellungen des Staatstheaters vermisst hatten. Hier, in der „freien Natur“, im „Rahmen ragender Bäume“ und im Nachhall des Besuchs des ,Lichtbringers‘ Hindenburg, könnten die Teilnehmer erst wirklich erfahren, „was Deutschlands Befreiung“ bedeute.161 Die in der Grußadresse Hindenburgs, in den Kommentaren der Presse und im Text des Festspiels immer wieder bemühte Lichtmetaphorik bündelte dabei die unterschiedlichen Schichten, die in der symbolischen Zurichtung des 20. Juli 1930 sichtbar geworden waren und glättete eventuelle Brüche und Nahtstellen, die durch das mitunter abrupte Neben- und Ineinander traditionaler und moderner Festelemente entstanden sein mochten. Zugleich schrieb sie jenen vorab erwähnten ,Reichs‘-Diskurs fort, der das Ideal einer harmonisch-integrierten Volksgemeinschaft und einer künftigen nationalen Größe heraufbeschwor. Den ,helleren Tag‘, den Hindenburg in seinem Schreiben 154 155 156 157 158 159 160 161

Frankfurter Nachrichten, 21. Juli 1930. Wiesbadener Zeitung, 21. Juli 1930. Frankfurter Nachrichten, 21. Juli 1930. Wiesbadener Zeitung, 21. Juli 1930. Ebd. Rheinische Volkszeitung, 8. Juli 1930. Wiesbadener Zeitung, 21. Juli 1930. Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930.

8. Die Wiesbadener ,Befreiungsfeiern‘ im Sommer 1930

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ersehnte, erhoffte sich auch der Chor in Redslobs Festspiel: „Trägt uns ein Hoffen / Ruft uns ein Licht / Das uns den Atem / Der Freiheit verspricht!“, hieß es hier etwa, ehe endlich „aus Nacht und Tiefen“ „leuchtend“ der „Freiheit Strahlendom“ emporragen konnte.162 Der auffallend häufige Gebrauch der Lichtmetaphorik in Festspiel und Grußadresse imaginierte ein beinahe endzeitlich-eschatologisches „Bedrohungsszenario“, „an dessen Ende der Führer als Retter der deutschen Kultur auftritt“.163 Wo Frankfurts Oberbürgermeister Ludwig Landmann den Reichspräsidenten bei seinem Frankfurt-Besuch noch aufgefordert hatte, „die deutsche Republik“ vor allen „Angriffen“ zu bewahren und Hindenburg gemahnt hatte, „in Treue fest“ zu seinem Amt zu stehen, das die „Erhaltung“ und den „Schutz“ der republikanischen „Staatsform“ vorsah, waren ähnlich entschiedene Stellungnahmen von den politischen Gremien Wiesbadens nicht zu vernehmen.164 Der Vergleich mit Frankfurt legt einen weiteren Befund offen, der die Unterschiede in den jeweiligen urbanen Festkulturen hervorhebt und den besonderen Stellenwert der Oper im symbolpolitischen Ordnungsgefüge beider Städte herausmodelliert. Während die Oper im Kontext der Frankfurter Festkultur ein bedeutsames öffentliches Forum darstellte und von den prorepublikanischen Kräften der Mainstadt vor dem Eindringen der republikfeindlichen Verbände geschützt wurde, verzichtete Wiesbaden zusehends auf das Opernhaus als politisch codierten Raum und privilegierte andere Arrangements der symbolischen Sinnstiftung. Hier bildeten die ,freie Natur‘ und die ,ragenden Bäume‘ den Rahmen, der ,wahres‘ und ,tiefes‘ Erleben wieder möglich machte und damit eine neuartige Form der politischen Ästhetik konstituierte.

8.5 Fazit Ironischerweise − so könnte man bilanzieren − schien sich Paul Bekkers Ideal der ,lebendigen Form‘ in Form des Freilichtfestspiels sehr viel umfassender und eindrücklicher zu entfalten als in den „zu eng geworden[en]“ Räumen der Wiesbadener Staatsbühne.165 Im Besuch Hindenburgs und der Aufführung des rheinischen ,Befreiungsfestspiels‘ waren dabei bereits wesentliche Elemente einer neuartigen „Ausdruckskultur“ angelegt, die auf beunruhigende Weise an die Heilsideologie, die Aufmärsche und Massenansammlungen des Nationalsozialismus erinnern.166 Der „Freiheit Strahlendom“167 , der hier 162 163 164 165 166 167

Redslob: ,Deutschlands Strom‘. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 275. Frankfurter Zeitung, 14. November 1925. Wiesbadener Tagblatt, 9. Juli 1930. Hein: Die Brücke ins Geisterreich, S. 92. Redslob: ,Deutschlands Strom‘.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

unter freiem Himmel errichtet werden und Deutschland einen neuen „Platz an der Sonne“ verschaffen sollte168 , hatte mit dem „Staatenhaus“ der Republik, das Reichsinnenminister Köster während der Goethewoche im Frankfurter Opernhaus gefeiert hatte, nicht mehr viel gemeinsam.169 Aber auch Frankfurt erlebte das Jahr 1930 als schicksalhaften Wendepunkt. Im Oktober feierte die Stadt das 50-jährige Jubiläum ihres Opernhauses – ein Anlass, der zu einer retrospektiven Werkschau einlud und zum Vehikel urbaner Geschichtspolitik wurde. Als Ort einer sich wandelnden ästhetischen und zeremoniellen Praxis spiegelte die Oper das wechselvolle Geschick der Stadt in den Jahren zwischen 1880 und 1930 wider und blieb als Ordnung stiftendes und Kohärenz erzeugendes Gehäuse intakt. Im Gegensatz zu dieser ,Erinnerungsformation‘ kann die Wiesbadener Feier als ,Ablösungsformation‘ beschrieben werden, die mit etablierten Sinnstiftungsmechanismen brach und neuartige symbolische und performative Formationen in die zerklüftete Festkultur Weimars einschleusen wollte, letzten Endes aber eine politische Ästhetik etablierte, die das Ende dieser Republik herbeizuführen half.

168 169

Siehe hierzu den Artikel „Befreites Gebiet“, in: Wiesbadener Tagblatt, Sonderausgabe: Befreites Gebiet, 30. Juni 1930. Frankfurter Zeitung, 28. Februar 1922.

9. Ein „halbes Jahrhundert und eine veränderte Welt“1 : Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930 Anders als das mit überschwänglicher Festlichkeit begangene Opernjubiläum des Jahres 1905 fiel das 50-jährige Jubiläum der Frankfurter Oper im Oktober 1930 in eine Phase allgemeiner Krisenerfahrung. Von jener selbstsicheroptimistischen Grundstimmung, die das Jubiläum 1905 ausgezeichnet und das städtische Opernhaus zum „Musterbild der Kraft des Bürgertumes“ erklärt hatte, war 1930 nicht mehr viel zu spüren.2 Weitaus verbreiteter war nun das Empfinden, in „einer Zeit großer Wandlungen“ zu leben3 , und insbesondere den bürgerlichen Schichten Frankfurts schien jeder „neue Morgen“ zugleich „neue Kunde“ von „Not und wilder Ungebühr“ zu bringen.4 Das Zusammentreffen der ökonomischen, politischen und kulturellen Krise am Ende der 1920er Jahre verstärkte das Gefühl, einen „schwindeligen Steg“ beschreiten zu müssen, der „wundersam durch ferne Räume“ führte, ohne dabei diesem „kritischen Geschlecht“, als das sich die Zeitgenossen wahrnahmen, ein rettendes, bergendes Ziel in Aussicht zu stellen.5 Tatsächlich schwand die politische, ökonomische und soziale Vorherrschaft des etablierten Frankfurter Bürgertums zusehends dahin, und besonders der traditionell sehr einflussreiche Linksliberalismus musste herbe Rückschläge hinnehmen.6 Schon bei den Kommunalwahlen im Mai 1928 hatte sich eine parteipolitische Polarisierung angekündigt, als sich 1

2

3 4 5 6

Auszug aus einer Grußadresse des Frankfurter Oberbürgermeisters Ludwig Landmann: 1880–1930. 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, in: Intendanz des Opernhauses (Hrsg.): 50 Jahre Opernhaus, Frankfurt a.M. 1930, S. 4–6, hier S. 5. Siehe hierzu den Artikel „Vor fünfundzwanzig Jahren. Persönliche Erinnerungen“, in: Frankfurter General-Anzeiger, 21. Oktober 1905. Zum Opernjubiläum des Jahres 1905 vgl. Kapitel II.6 (,Im schönen Garten heil’ger deutscher Kunst‘). Josef Turnau: Unsere Pflichten, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 29/30, (September/Oktober 1930), S. 451–454, hier S. 451. Arthur Sakheim: Werberuf zur Erhaltung der Frankfurter Bühnen, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 21/22 (Juli 1930), S. 337–340, hier S. 337. Ebd., S. 339. Hatte die DDP bei den Kommunalwahlen im März 1919 noch 23,2 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen können, schwand ihr Anteil in den Folgejahren immer mehr: 1924 war er bereits auf 10,2 Prozent, 1928 auf 7,9 Prozent gesunken. Bei den Kommunalwahlen im November 1929 schließlich erzielte die Partei nur noch ein Ergebnis von 5,5 Prozent. Trotzdem hatte sie ihren politischen Einfluss lange Zeit erfolgreich verteidigen können, denn aufgrund der anhaltenden Wahlerfolge von SPD und Zentrum konnten die Parteien der so genannten Weimarer Koalition zwischen 1919 und 1924 sowie in den Jahren 1928 und 1929 die absolute Mehrheit behaupten. Vgl. hierzu Köhler: Die Nationalsozialisten in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung 1929 bis 1933, S. 441ff.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Wirtschaftspartei, Deutschnationale und DVP erstmals mit der NSDAP zusammenschlossen.7 Bei den Kommunalwahlen des Jahres 1929 zeigte sich die fortschreitende Erosion der politischen Mitte noch deutlicher, als die NSDAP ihren Stimmenanteil von 4,5 Prozent auf fast 10 Prozent steigern konnte.8 Auch die KPD erzielte bei diesen Wahlen einen klaren Erfolg und konnte 13 Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen.9 Mit ihrer agitatorischen Aggressivität erzeugten die antirepublikanisch eingestellten Parteien KPD und NSDAP von nun an im Stadtparlament eine Atmosphäre der Angst und Unberechenbarkeit und bewirkten durch ihre taktische Zusammenarbeit vielfach die „Zerstörung des kommunalen Parlamentarismus“.10 In der Folgezeit häuften sich die Angriffe gegen die politische Ordnung der Republik und ihre Vertreter. Im November 1932 erhob der Sachsenhausener Anzeiger schwere Vorwürfe gegen das vermeintliche „System Landmann“.11 Landmann wurde insbesondere zur Last gelegt, die Haushaltsnöte und die wirtschaftliche Instabilität Frankfurts nicht entschieden genug zu bekämpfen. In der Tat befand sich die Stadt in finanz- und wirtschaftspolitischer Hinsicht in einer zunehmend prekären Situation, denn ein wachsendes Haushaltsdefizit, steigende Kosten für die städtischen Fürsorgesysteme und der Ausfall von Steuern schränkten ihre finanziellen Handlungsmöglichkeiten stark ein. Der Oberbürgermeister beurteilte die rigorose Sparpolitik, die Brünings Notverordnungen den Städten auferlegte, allerdings äußerst kritisch, da er befürchtete, dass damit auch Privataufträge für die Wirtschaft ausbleiben würden.12 Repräsentative, aber finanziell verlustreiche Großprojekte wie der Sommer der Musik, die nicht zuletzt die städtische Wirtschaft beleben sollten, schürten angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen die Verbitterung breiter Bevölkerungsschichten und öffneten Tür und Tor für polemische Angriffe gegen Landmann, dem gerade von Seiten der Nationalsozialisten immer öfter und offen antisemitisch vorgeworfen wurde, Frankfurt systematisch zu einem der „Hauptzentren des Weltjudentums“ zu machen.13 Somit war der liberal-demokratische Grundkonsens, der die städtische Parteienlandschaft in den Jahren der Weimarer Republik über weite Strecken geprägt hatte, um das Jahr 1930 zunehmend brüchig geworden. Die sich verschärfenden ökonomischen Probleme im Zuge der Weltwirtschaftskrise gaben den antirepublikanischen Kräften schließlich einen konkreten Ansatzpunkt für ihre politischen Ziele. Nun wurde sichtbar, dass gerade die NSDAP, die viele als eher „bedeutungslose Splittergruppe“ im Lager der 7 8 9 10 11 12 13

Ebd., S. 442. Vgl. diese Zahlenangaben ebd., S. 483. Vgl. diese Zahlenangaben ebd. Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 475. Sachsenhausener Anzeiger, 2. November 1932. Vgl. zur ökonomischen und finanziellen Lage Frankfurts in den 1920er Jahren Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 477ff. Vgl. die Angriffe der Nationalsozialisten auf Landmann ebd., S. 474.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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Republikgegner abgetan hatten, über eine breite Anhängerschaft und einen effizient organisierten Parteiapparat verfügte.14 Das politische Erdbeben, das dann die Reichstagswahlen vom 14. September 1930 auslösten, als die NSDAP zur zweitstärksten Partei Deutschlands aufstieg und rund 18 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte, hatte sich damit in Frankfurt bereits ein Jahr zuvor angekündigt und die Parteien der bürgerlichen Mitte empfindlich geschwächt.15 Das Jubiläum des Frankfurter Opernhauses im Oktober 1930 fand also inmitten einer Phase wachsender politischer und gesellschaftlicher Destabilisierung statt, und allgemein wurde konstatiert, dass die „50-Jahrfeier“ des Hauses kaum „Anlaß zum Jubeln“ biete, sondern viel eher „zur Besinnung“ auffordere.16 Neben der politischen und wirtschaftlichen Notlage sah sich Frankfurt zudem mit der auch andernorts diagnostizierten Kultur- und Theaterkrise der ausgehenden 1920er Jahre konfrontiert, auf die man allerdings anders zu reagieren versuchte als dies etwa in Wiesbaden zu beobachten war. Während der Bedeutungsverlust der Oper als einer Arena gesellschaftlicher Sinnstiftung dort besonders markant zutage getreten und vielfach mit einer radikalnationalistischen Ablehnung der Republik Hand in Hand gegangen war, hielt Frankfurt am Opernhaus als dem zentralen „Wahrzeichen“ der „großbürgerlichen Repräsentation“ und des „gemeinverbindlichen Willens zum ,Wahren, Schönen, Guten‘“ fest.17 Nach wie vor schätzte man die Oper hier als wichtiges Element urbaner Vergesellschaftung. Einer aus dem Gefühl der permanenten Bedrohung heraus entstandenen und in Wiesbaden weit verbreiteten „bürgerliche[n] Antibürgerlichkeit“, die mit der Absage „an die liberalen und emanzipativen Ideale des 19. Jahrhunderts“ einherging, stellte sich in der Goethestadt eine mehrheitlich liberal-demokratisch ausgerichtete Gruppe von Politikern um Oberbürgermeister Landmann entgegen, die die Selbstpreisgabe eines zunehmend desorientierten Bildungsbürgertums wenn nicht verhindern, so wenigstens doch hinauszögern konnte (Abb. 36).18 Nachfolgend soll daher zunächst untersucht werden, wie sich Frankfurt im Rahmen der vieldiskutierten Kultur- und Opernkrise der 1920er Jahre positionierte und welche Strategien eingesetzt wurden, um das Musiktheater als einen zwar heterogenen, doch zugleich produktiven und Zusammenhalt stiftenden städtischen Referenzrahmen zu erhalten.19 Dabei werden zunächst jene Musiker und Publizisten, Kritiker und Theaterschaffenden zu Wort kommen, die – wie etwa Theodor W. Adorno – das Frankfurter Musikleben 14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 470. Zu den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 vgl. etwa Winkler: Weimar 1918– 1933, S. 388. Karl Holl: 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, in: Frankfurter Zeitung, 11. Oktober 1930, Erstes Morgenblatt. Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 288. Siehe hierzu Kapitel III.9.1 (Bestandsaufnahme einer Krise).

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 36: Plakat zum 50-jährigen Jubiläum der Frankfurter Oper 1930

über Jahre hinweg aktiv begleiteten und kommentierten, die kritisch Missstände aufzeigten und maßgeblich zur intellektuellen Selbstauslegung der städtischen Öffentlichkeit beitrugen. Sodann wird nach institutionellen und administrativen Maßnahmen gefragt werden, mit denen die Stadt ihr Opernhaus als symbolpolitisches Zentrum einer bürgerlichen Mitte intakt zu halten versuchte.20 Durch die Einbeziehung einer diachronen stadtgeschichtlichen Perspektive können spezifische Entwicklungen und Bruchlinien kleinschrittig herausgearbeitet werden. Aus diesem Grund bietet sich ein Vergleich mit dem Opernjubiläum des Jahres 1905 an; denn es wird zu sehen sein, dass 1930 weit mehr Aufwand notwendig war, um das Opernhaus als einenden, Gemeinschaft hervorbringenden Rahmen zu erhalten als dies 1905 der Fall gewesen war. Obschon die Programmauswahl der Festwoche die Oper als experimentelles Forum nutzen wollte, in dem Tradition und Moderne, Vergangenheit und Gegenwart sinnhaft aufeinander bezogen werden konnten, traten die Grenzen dieses Unterfangens deutlich zutage. Besonders drastisch zeigen dies die Kontroversen um die städtische Erstaufführung von Kurt Weills und Bertolt Brechts ,Skandaloper‘ Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. 20

Alexander Lernet-Holenia: Über die Fähigkeit zur Kunst, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 49/50, (5./18. Dezember 1926), S. 295–298, hier S. 297; siehe hierzu Kapitel III.9.2 (Ein ,Volks-Patronat‘ für die Frankfurter Oper).

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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9.1 Bestandsaufnahme einer Krise: Frankfurt und das Opernproblem der Gegenwart Die Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main hatten seit 1928 vermehrt auf die sich verschärfende „Krisis des Opernkunstwerks“ und des Opernbetriebs aufmerksam gemacht.21 Der Dramaturg und Regisseur Hans Esdras Mutzenbecher (1897–1983) etwa trat dafür ein, ohne „falsche Sentimentalität“ und „entnervenden Pessimismus“ die „Krisenerscheinungen“ der deutschen Opern- und Theaterlandschaft zu analysieren.22 Die entscheidenden Ursachen dieser Notzeit, die sich auch in Frankfurt beispielsweise durch steigende Subventionen und ein oftmals nur spärlich besuchtes Haus bemerkbar machte, führte der Autor maßgeblich auf die musiksoziologischen Rahmenbedingungen der 1920er Jahre zurück.23 Ganz besonders kritisierte er die mangelnde Bereitschaft des Publikums, sich auf moderne Komponisten einzulassen.24 Am Ende der 1920er Jahre befinde man sich – so Mutzenbecher lapidar – „in einer Art Vakuum zwischen der Scylla der romantischen Harmonik und der einstweilen als Charybdis erscheinenden atonalen Polyphonie“.25 Die Opernkrise konnte für ihn nur dann befriedigend gelöst werden, wenn es gelinge, die „richtige Einstellung zur Gegenwart“ zu finden26 : Kulturschaffende und Öffentlichkeit müssten lernen, die stilistischformalen Wandlungen der Musik als „historische Notwendigkeit“ anzuerkennen und produktiv mit den sich verändernden ästhetischen Konventionen und Möglichkeiten umzugehen.27 Stagnation, Abnutzung und nostalgische Sehnsucht nach dem Althergebrachten – dies waren Schlüsselkategorien einer zeitgenössischen Kulturkritik, die auch Paul Bekker in zahlreichen Publikationen aufgriff und in Frage stellte. Bereits 1925 hatte er eine im gesamten europäischen Raum spürbar werdende „Müdigkeit und Schlafsucht des Geistes“ diagnostiziert und mit Nachdruck vor den restaurativ-reaktionären Strömungen seiner Gegenwart gewarnt.28 Vehement plädierte er für eine produktive „Evolution“, eine „sinnhafte Einordnung und Weiterführung der explosiv hervor getriebenen neuen Kräfte“.29 Die neue Musik – und damit auch die zeitgenössische

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Mutzenbecher: Die Zukunft der Oper, S. 131. Ebd. Ebd. Ebd., S. 131f. Ebd., S. 134. Ebd., S. 135. Ebd., S. 136f. Paul Bekker: Evolution oder Restauration?, in: Der Auftakt. Musikblätter für die tschechoslowakische Republik 5, H. 5/6, Festschrift 1925: Die Musik der Gegenwart, S. 128– 132, hier S. 129ff. Ebd., S. 129.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Opernproduktion – war in den Augen Bekkers in den mittleren und späten 1920er Jahren an einen Scheideweg gelangt. Den „Kampf um die ,neue Musik‘“, jenen „Sammelnamen“ für vielfältigste musikalische Strömungen, hielt Bekker 1925 „eigentlich“ für „ausgekämpft“.30 Wenngleich sich die neue Musik mittlerweile einen Platz in den Spielplänen und Programmen des internationalen Opern- und Konzertlebens erobert habe, müssten die zuständigen Theater und Kulturschaffenden diesen Weg der Erneuerung und der experimentierfreudigen Vielfalt weitergehen und jene „lebendigen Kräfte“ fruchtbar machen, die eine „produktive Weiterführung“ sicherstellen könnten.31 Auch der Musikwissenschaftler Hans Mersmann (1891–1971) hatte noch 1927 zuversichtlich konstatiert, dass sich die „gegenwärtige Musik“ von der „Durchbruchsstelle einer Revolution“ abgelöst habe, um in das „Stadium der Evolution“, der „stetigen und natürlichen Entwicklung“ einzutreten.32 Vorüber schienen die Turbulenzen der Vorkriegsjahre und der durch den Weltkrieg bedingten ,Zeitenwende‘, die sämtliche „Grundlagen des Denkens und Fühlens“ erschüttert habe33 , und in der die „Jungen, Vorstossenden, Kühnen“ den Kampf gegen die Übermacht der Tradition aufgenommen, „Parteien gebildet, Schlagworte formuliert, Absagen ausgesprochen, Programme aufgestellt“ hätten.34 Ein umfassender Generationswechsel habe in den Reihen der Musiker, Dirigenten und Theaterintendanten, aber auch in Musikschulen, Universitäten und Zeitungsredaktionen eine Reihe „frischer Talente“ zur Entfaltung gebracht, die sich, „unsicher zwar noch und im einzelnen suchend“, von der vorherrschenden Kunstauffassung der Vorkriegs- und Kriegszeit abgewandt hätten, um „den Weg einer neuen, ideenreichen, ernsten Jugend zu suchen“.35 Zuversichtlich hoffte man dabei auf ein Publikum, das die Gewohnheit „geistlosen Genießens“ hinter sich lassen und stattdessen den Weg „innerer Mitarbeit“ einschlagen werde.36 Zahlreiche Verfechter der kulturellen Moderne erhoben die formale und stilistische Vielfalt der neuen Musik zum Paradigma einer zunehmend heterogenen, pluralistisch organisierten Gesellschaft und schätzten gerade deren experimentelle Möglichkeiten, die neuartige und unverbrauchte Formen kultureller Bindung in Aussicht zu stellen schienen. Gleichzeitig war man weit davon entfernt, über eine allgemein akzeptierte und als verbindlich betrachtete ,Partitur des Neuen‘ zu verfügen. Vielfach erschwerte gerade die konstitutive Offenheit und Vielgestaltigkeit der neuen Musik den beherzten Bruch 30 31 32 33 34 35 36

Ebd. Ebd. Hans Mersmann: Neue Musik, in: Melos. Zeitschrift für Musik 6, H. 2 (Februar 1927), S. 47–57, hier S. 49. Paul Bekker: Zeitenwende, in: Die Musik 15, H. 1 (Oktober 1922), S. 1–9, hier S. 1. Mersmann: Neue Musik, S. 47. Bekker: Zeitenwende, S. 5. Mutzenbecher: Die Zukunft der Oper, S. 134.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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mit etablierten Traditionen und peitschte die Suche nach kollektiv wirksamen ästhetischen Formen zu einem Politikum auf: Aufgrund der zentralen, Identität verbürgenden Rolle, die die Musik im nationalkulturellen Gedächtnis einnahm, schlugen kulturelle Ungewissheiten schnell in existenzielle Ängste der Selbstenteignung und -preisgabe um. Indem der musikästhetische Diskurs mit politisch so aufgeladenen Begriffen wie ,Revolution‘ und ,Reaktion‘, ,Stagnation‘ und ,Weiterentwicklung‘ jonglierte, kanalisierte er zugleich gesellschaftspolitische Bedrohungsszenarien und Verlustängste und wurde damit zu einer Chiffre jenes Traditionsbruches, der die ,Krisenjahre der klassischen Moderne‘ (Peukert) so nachdrücklich beeinflusste. Ganz besonders auf dem Gebiet der zeitgenössischen Opernproduktion wurde heftig um adäquate Formen und Inhalte einer ,neuen Oper‘ gerungen. Im Mittelpunkt stand dabei nach wie vor der Versuch, sich von den ästhetischen Konventionen und den stilistischen Ausdrucksmitteln des 19. Jahrhunderts zu lösen und mit dem „individualistischen Kunstprinzip“ der Romantik zu brechen.37 Immer wieder entzündeten sich die Debatten um die Weiterentwicklung des zeitgenössischen Musiktheaters am Phänomen der so bezeichneten ,Zeitoper‘. Komponisten wie Kurt Weill (1900–1950) verlangten, dass sich das Operntheater der Gegenwart nicht länger in den vermeintlich esoterischen Zirkeln eingeweihter Spezialisten verlieren dürfe, sondern sich auf die Interessen und Bedürfnisse eines breiteren Publikums einlassen und seine „gemeinschaftsbildende oder -fördernde Kraft“ ernst nehmen müsse.38 Diese neuartige ,Gebrauchsmusik‘, so glaubte Weill, könne durch ihre enge Verbundenheit mit anderen Künsten wie Literatur, Malerei oder Tanz eine eigenständige, zugleich „unaktuelle“ und doch „einmalige und endgültige Darstellung unserer Zeit“ geben und auf die Anforderungen einer gewandelten Gesellschaft angemessen reagieren.39 Weill wandte sich bewusst gegen jene Form der ,Zeitoper‘, die mit Hilfe quasi-cineastischer oder revueartiger musikalisch-szenischer Stilmittel die Gegenwart plakativ einfangen wolle. Aktualität verstand er zwar als bedeutende Teilfunktion des Theaters, zugleich aber sah er sie zu einem „falsch verstandenen Schlagwort“ herabgewürdigt.40 Demgegenüber forderte Weill, dass 37

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Kurt Weill: Verschiebungen in der musikalischen Produktion, Erstabdruck in: Berliner Tageblatt, 1. Oktober 1927. Hier zitiert nach: Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/ Weill „Mahagonny“, Frankfurt a.M. 2006, S. 148–151, hier S. 148. Weill: Verschiebungen in der musikalischen Produktion, S. 149f. Ebd., S. 150. Kurt Weill: Aktuelles Theater, in: Melos. Zeitschrift für Musik 8, H. 12 (Dezember 1929), S. 524–527. Im Wesentlichen unterschied Weill hier zwei Formen von Aktualität, die er beide für ungeeignet hielt, den maßgebenden „Ideen unserer Zeit“ eine „unanfechtbare künstlerische Form“ zu geben: Die von ihm so bezeichnete ,Metropolis-Aktualität‘, die sich darauf beschränke, äußerliche Requisiten der Gegenwart – etwa Automobile, Wolkenkratzer oder Maschinen – zitierend auf die Bühne zu bringen, kritisierte er mit besonderem Nachdruck. Seiner Ansicht nach vermochte sie es nicht, an den „Grundanschauungen des Theaterbesuchers“ zu rütteln. Daneben stand Weill aber auch

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

sich das Zeitstück zum politischen Theater entwickeln müsse, und dies schien ihm auch für eine Weiterentwicklung des Musiktheaters der einzig gangbare Weg zu sein.41 Die Oper, so eine grundsätzliche Forderung des Komponisten, solle aus ihrer oftmals selbstgewählten Isolierung heraustreten und zeitgenössische Stoffe behutsam mit entsprechenden unverbrauchten musikalischen Formen kombinieren, um nicht zu einer reinen „Museumsangelegenheit“ zu verkommen.42 Mit seiner Kritik an einem Teil der zeitgenössischen Opernproduktion und der Beharrungsmacht eines konventionellen Musiktheaters war Weill nicht allein. Eine Reihe von Musikkritikern und -publizisten setzte sich in den 1920er Jahren mit der bürgerlichen Musikkultur und deren hartnäckiger Sehnsucht nach dem „repräsentativen Fest“ auseinander, das, so der Vorwurf Theodor W. Adornos, in erster Linie darauf abziele, „den eigenen Bestand ideologisch“ zu verfestigen.43 Es könne nicht – so meinte Adorno – die Aufgabe der Oper sein, „die Existenz des Hörers zu verklären, indem sie sein Esszimmer zum Mannensaal, seine Sommerfrische zur Wolfsschlucht“ erweitere und ihm Gelegenheit gebe, in der Oper „alte Bekannte aus dem Café“ zu treffen.44 Nachdrücklich charakterisierte er die Oper demgegenüber als „eigenständige Form“, die aufgrund ihrer spezifischen Eigengesetzlichkeit Wertschätzung verdiene – emphatisch sprach Adorno hier von einer „Verpflichtung des Hörenden“45 – und die den Hörer und Zuschauer dadurch entlohne, dass sie ihn – unter Umständen – verändert zurücklasse.46 1929 mahnte schließlich auch der Komponist und Musikforscher Egon Wellesz (1885–1974), dass die Musik einen „wesenhafte[n] Faktor im Gesamtbewußtsein der Nation“ darstelle und dass gerade die „neue Musik“ eine „entscheidende Rolle im Gepräge einer neu sich bildenden Kultur“ spielen müsse.47 Die 1920er Jahre zeichneten sich somit durch einen bislang ungekannten Pluralismus unterschiedlicher musikalischer Stile und ästhetischer Konzepte aus: Die „ganze Spaltung des

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jenem aktuellen Theater kritisch gegenüber, das zeitgenössische Stoffe lediglich deskriptiv abhandelte, es seiner Ansicht nach aber vermeide, eine analytisch-kritische Bestandsaufnahme der Gegenwart zu versuchen. Zwar bearbeiteten Gattungen wie die literarische Zeitrevue aktuelle Stoffe – etwa Prozesse oder Skandalaffären – und versuchten dabei, „Menschen von heute“ darzustellen. Für Weill versäumten es diese Zeitstücke allerdings, größere Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, begnügten sie sich doch damit, die Gegenwart zu „photographieren, anstatt ihr den Spiegel vorzuhalten“. Ebd. Ebd., S. 526f. Theodor W. Adorno: Das fünfte Fest der internationalen Gesellschaft für neue Musik in Frankfurt a.M., in: Die Musik 12, H. 12 (September 1927), S. 879–884, hier S. 879. Theodor W. Adorno: Neue Oper und Publikum, in: Intendanz des Opernhauses (Hrsg.): 50 Jahre Opernhaus, S. 50–54, hier S. 52. Ebd., S. 53. Ebd., S. 52. Egon Wellesz: Der Musiker und diese Zeit, in: Melos. Zeitschrift für Musik 8, H. 5/6 (Mai/ Juni 1929), S. 210–220, hier S. 210.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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Lebens“, die „Auflösung einer einheitlichen Ideologie der Kunst“48 war als Tatsache nicht von der Hand zu weisen, und die Theater mussten versuchen, sich dieser „prismatischen Gespaltenheit“ des „sozialen und geistigen Lebens anzupassen“.49 Gerade in den großen Städten präsentierte sich der Opern- und Theateralltag demgemäß äußerst heterogen, und auch Frankfurt versuchte, sein Opernhaus im Wettbewerb unterschiedlicher Unterhaltungs- und Bildungsinstitutionen gut dastehen zu lassen. Nach wie vor bezeichnete die Oper ein maßgebliches Zentrum des kulturellen städtischen Lebens: Seit jeher, so hieß es im Januar 1930 in einer Stellungnahme des Magistrats, sei es „eine der Besonderheiten Frankfurts“, dass sein Theater aus dem „Durchschnitt der grossen Provinztheater“ herausrage und man seine Leistungen mit denen der „Staatstheater in Berlin, in gleicher Linie mit Dresden, Hamburg und München“ würdige.50 Auf dem „Gebiete der Theaterkultur“ nehme die Stadt damit eine ähnliche Stellung ein, „wie sie München und Düsseldorf auf dem Gebiete der Malerei lange Jahre“ innegehabt hätten.51 Durch seine „kulturelle[n] Spitzenleistungen“ rage Frankfurt über das Gros dessen heraus, was „jede Provinzstadt ihren Besuchern zu bieten“ habe; erlaube es doch die vielfältige Theaterkultur, dass man seine „Abende in einer einer Grossstadt entsprechenden Weise“ verbringen könne.52 Trotz dieser selbstsicheren Darlegungen blieb es auch Frankfurt nicht erspart, sich mit den Ursachen und Folgen der Opern- und Theaterkrise auseinanderzusetzen. Hier war es vor allem der Musikkritiker Karl Holl, der unermüdlich auf die Gefahren einer fehlgehenden Musikpolitik hinwies. Holl war sich bewusst, dass das städtische Konzert- und Opernleben 1929 nach dem Weggang prägender Persönlichkeiten wie Hermann Scherchen oder Clemens Krauss an einem „Scheideweg“ angelangt war.53 Die städtische Kulturpolitik forderte er daher auf, sich mit Urteilskraft und Weitsicht den Aufgaben der Gegenwart zu stellen54 : Eindringlich mahnte er immer wieder eine Wiederbelebung des „Volksstaats-Gedankens“ an und forderte die bestehenden privaten und bürgerlichen Musikgesellschaften – darunter so renommierte Institutionen wie den Orchesterverein, die Museumsgesellschaft, die Singakademie oder den Cäcilienverein – dazu auf, engagierter 48 49 50

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Erich Doflein: Gegenwart, Gebrauch, Kitsch und Stil, in: Melos. Zeitschrift für Musik 8, H. 5/6 (Mai/Juni 1929), S. 294–300, hier S. 299. Ebd., S. 294. Vgl. hierzu den Vortrag des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung vom 14. Januar 1930, in: Städtische Theater i.sp. Städtische Bühnen A.G. Vertrag, städt. Zuschuß, Bilanz und Geschäftsberichte, Bd. XIII: 1928, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 532, Blatt 28c. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Holl: Was geht in Frankfurt vor?, S. 141. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

den Kontakt mit der Kommune zu suchen.55 Die konsequente Förderung der „wahrhaft volkskulturell“ tätigen Einrichtungen sollte das „Werden einer neuen Gesellschaft“ befördern, die sich auch in ihrer Pluralität noch immer als Einheit definieren und erleben könne.56 Gerade vom Jubiläumsfest der Oper erhoffte sich Holl einen Ansatz zu umfassenden Reformen. Seine Leserschaft forderte er in der Frankfurter Zeitung auf, sich angesichts des Gedenktages die Frage zu stellen, „ob nicht die großzügige Tat einer vorausschauenden vergangenen Generation eine neue aktive Leistung der lebenden Generation“ zur Folge haben müsse.57 Eindringlich warnte er davor, dass das „stolze und anspruchsvolle“ Frankfurt in „beunruhigend schnellem Tempo“ eine „ausgesprochen provinzielle Atmosphäre“ annehmen werde, wenn es kommunale Politik und städtische Öffentlichkeit versäumten, sich engagierter für Oper und Theater einzusetzen.58 Das Opernfest sollte somit explizit eine seit langem überfällige Reform des städtischen Musiklebens initiieren. Im Vorfeld des Jubiläums warf Holl die Frage auf, ob die Bürgerschaft ihr Opernhaus, ihr „Erbe der vom Schicksal günstiger gestellten, aber auch von stärkerem Gemeingeist beseelten Vorfahren“, nun nach einem halben Jahrhundert „hoch qualifizierter, fruchtbarer und weithin sichtbarer Wirkung“ der gegenwärtigen krisenhaften Zeit „fatalistisch zum Opfer bringen“ wolle.59 Das Opernjubiläum mahnte zu einer kritischen Bestandsaufnahme, indem es die zeitgenössische Leserschaft mit einer als mustergültig apostrophierten Vergangenheit konfrontierte. Auch der neue Intendant der Frankfurter Oper, Josef Turnau, warb für einen „neuen Geist“, der das Theater erneut als eine „Notwendigkeit im Leben des deutschen Volkes“ verankern sollte.60 Mit Holl und Turnau hatten sich maßgebliche Instanzen der Frankfurter Kulturpolitik zu Wort gemeldet und ihre Einschätzung der städtischen Opern- und Kulturkrise kundgetan. Ob, in welcher Weise und mit welchem Erfolg die vielfach beschworene Forderung nach umfassenden Reformen auch institutionell in die Wege geleitet wurde, soll im folgenden Abschnitt näher dargelegt werden.

55 56 57 58 59 60

Ebd., S. 140. Ebd. Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Ebd. Ebd. Turnau: Unsere Pflichten, S. 451.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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9.2 Ein „Volks-Patronat“61 für die Frankfurter Oper Im Vorfeld des Opernjubiläums wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die die Oper als kulturpolitisch relevante Institution stärken und fester in der sozialen Praxis der Bürgerschaft verankern sollten. Ältere Formen bürgerschaftlich-mäzenatischer Kunstförderung erfuhren hierbei erneut Beachtung und ergänzten städtische Initiativen. Institutionelle Unternehmungen unterstützten somit diskursiv vorgetragene Anliegen, um das Musiktheater als zeitgemäße Plattform gesellschaftlicher Selbstherstellung und -erneuerung lebendig zu erhalten. Karl Holl rief bereits im Sommer 1930 dazu auf, „für unser Opernhaus eine Art Volks-Patronat“ zu schaffen.62 Als Modell stand ihm der bereits seit 1924 bestehende so bezeichnete ,Patronatsverein der Städtischen Bühnen‘ vor Augen, den eine Reihe wohlhabender Frankfurter Bürger wie etwa Arthur von Weinberg, Heinrich Simon, Hermann von Passavant oder Richard Merton ins Leben gerufen hatten. Diese rein private Stiftung setzte sich seitdem aktiv für die Belange der Frankfurter Theater ein. Eines der Hauptanliegen des Vereins bestand darin, die Oper auch angesichts der wachsenden Finanznot der Stadt als öffentliches Zentrum einer großbürgerlichen Metropole zu bewahren.63 Stolz wies der Vorstand des Patronatsvereins in der Frankfurter Zeitung auf das „hauptstädtische Niveau“ hin, das der Oper von kundiger Seite immer wieder attestiert werde und das „die alte Stellung Frankfurts als Kunst- und Fremdenstadt erfolgreich“ restituieren könne.64 Der Patronatsverein organisierte darum in erster Linie Vorträge, Spendenaktionen und andere öffentlichkeitswirksame Werbemaßnahmen, um die Theater jenseits der von Seiten der Stadt gewährleisteten Subvention zu unterstützen. Bevorzugt rief der Verein solche Veranstaltungen ins Leben, die sich durch einen gewissen exklusiven Charakter auszeichneten.65 Der Patronatsverein stellte auf diesem Weg zugleich einen Rahmen her, in dem kunstsinnige Bürger, politische Amtsträger und Künst61 62 63

64 65

Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Ebd. Als so etwa für die 1929 geplante Erstaufführung der Oper Maschinist Hopkins zur Verstärkung der Akustik eine Lautsprecheranlage angeschafft werden musste, für die im Theateretat keine Mittel vorgesehen waren, konnte der Patronatsverein hier „helfend eingreifen“, und auch für eine Aufführung von Puccinis Oper Turandot stiftete der Patronatsverein „einen namhaften Beitrag“. Vgl. diese Angaben bei Heinrich Simon: Frankfurter Patronatsverein der Städtischen Bühnen, in: Intendanz des Opernhauses (Hrsg.): 50 Jahre Opernhaus. Frankfurt a.M. 1930, S. 22–24, hier S. 24. Frankfurter Zeitung, 28. Oktober 1926, Zweites Morgenblatt. So lud der Verein beispielsweise 1924 im Anschluss an die Uraufführung des Golem von Eugen d’Albert den Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann sowie die mitwirkende Künstlerschaft zu einem exklusiven Abendessen in den Frankfurter Hof ein, um auf diese Weise eine Art Scharnier zwischen offizieller Kulturpolitik und Kunstschaffen-

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

ler zusammenkommen konnten. Diese Form der privaten Kunstförderung und der informellen kulturpolitischen Einflussnahme blieb weitgehend auf die verhältnismäßig kleinen Zirkel der Frankfurter ,Gesellschaft‘ beschränkt und trug vornehmlich Züge großbürgerlicher Repräsentation und Patronage. Demgegenüber verstand sich der anlässlich des Opernjubiläums gegründete ,Verein Opernhilfe‘ erklärtermaßen als „Volks-Patronat“, als eine „auf breitester Grundlage aufgebaute Besucherorganisation“, die sich die „Mobilisierung aller kulturwilligen Kreise und Einzelpersonen“ zum Ziel gesetzt hatte.66 Die publizistisch eingeforderte Einbeziehung neuer Publikumsschichten wurde durch diese Neugründung erfolgreich unterstützt: Nicht nur zählte der Verein binnen kurzer Zeit bereits mehr als 8000 Mitglieder, sondern er wurde über die Stadtgrenzen Frankfurts hinweg als beispielhaftes Modell wahrgenommen, das auf effiziente Weise den Kontakt zwischen Publikum und Theater vertiefen konnte.67 Nach einem Jahr zählte der Verein bereits 12 000 Mitglieder, die durch ihren Beitritt den Willen bekundeten, „die künstlerische und kulturelle Tradition unserer Stadt fortzusetzen“.68 Mit besonderem Stolz verwies Hedwig Levi, die Leiterin der Opernhilfe, darauf, dass es durch gezielte Werbeaktionen gelungen sei, den „wirtschaftlichen Aufbau der Theater“ zu sichern und „bisher völlig theaterfremde Kreise für den Besuch der Städtischen Bühnen zu gewinnen“.69 Ganz bewusst griff der Verein auf öffentlichkeitswirksame Werbemedien wie „Plakate, Handzettel“ und „Lichtreklame in den Theatern“ zurück, und machte außerdem in den „geselligen Veranstaltungen“ von Künstlervereinen, Sportverbänden und Rundfunk auf sich aufmerksam.70 Die moderne massenmediale Infrastruktur von Rundfunk und Werbung, die so oft zur Zielscheibe kulturkritischer Zeitdiagnostik wurde, trug nun dazu bei, die traditionellen Institutionen urbaner Hochkultur zu unterstützen. Die Frankfurter Opernhilfe arbeitete so, dass ihre Mitglieder einen Jahresbeitrag von 3.– Reichsmark entrichteten und dafür mit ihrer Mitgliedskarte

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den zu bilden. Vgl. in: Akten des Magistrats der Stadt Frankfurt am Main, Theater-Verein 1915–1930, in: Inst. f. StG Ffm, Signatur U 510. Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. In Wiesbaden etwa, wo Intendant Paul Bekker ebenfalls mit abnehmenden Besucherzahlen und explodierenden Kosten zu kämpfen hatte, orientierte man sich offen am Vorbild der Frankfurter Besucherorganisation. Interessiert beobachtete man, dass es dem Frankfurter ,Verein Opernhilfe‘ gelungen war, „das Interesse am Theater neu zu wecken, den Besuch zu fördern und damit zur Aufrechterhaltung des Theaters beizutragen“. Vgl. hierzu ein Schreiben des Vorstands der Wiesbadener ,Gesellschaft der Freunde des Staatstheaters‘ an die Intendantur des Staatstheaters vom 30. Juni 1932, in: Staatstheater Wiesbaden, Spezial-Akten betrf. Gesellschaft der Freunde des Staatstheaters, Bd. I: 1931– 1934, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 345, Blatt 90. Hedwig Levi: Das Volkspatronat, in: Verein Opernhilfe e.V. Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1931/32, S. 9–11, hier S. 9. Ebd., S. 9f. Ebd, S. 10.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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zwei Gutscheine zu jeweils 1,50 Reichsmark erhielten, die ihnen den Besuch von Theatervorstellungen ihrer Wahl ermöglichten. Zudem gab es eine bald überaus populäre Freikartenlotterie. Hier nahm jedes Mitglied mit seiner Mitgliedsnummer an einer Lotterie teil, in der die Theaterverwaltung wöchentlich zehn der besten Plätze des Hauses zur Verfügung stellte.71 Obgleich sich die städtischen Wirtschaftsverhältnisse 1930 weiter verschlechtert hatten, konnte das Frankfurter Volkspatronat mit seiner Arbeit den Einnahmeerlös der Oper gegenüber dem Vorjahr leicht steigern.72 Frankfurt hielt damit an seinem Ziel fest, seine Theater in ein allen Schichten der Bevölkerung offenstehendes Volkstheater umzuwandeln.73 Sowohl Oper als auch Theater gaben regelmäßig Vorstellungen für „Erwerbslose und Pflegelinge des Wohlfahrtsamtes“ und ermöglichten damit jährlich „etwa 30.000 unbemittelten Personen“ den unentgeltlichen Besuch der Theater.74 Mit diesen Maßnahmen versuchte die städtische Kulturpolitik, die Theater „trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ als ein „wichtiges Mittel der Erwachsenenbildung“ zu erhalten und zu fördern.75 Der ,Verein Opernhilfe‘ erwachse, so argumentierte auch der Frankfurter Kulturdezernent Max Michel, aus dem Bewusstsein, dass die „Opernkunst“ nicht länger einer gebildeten bürgerlichen Elite vorbehalten bleiben solle, wie dies im Fall des Frankfurter Patronatsvereins zu beobachten war.76 Wie Michel plädierte auch Karl Holl für eine umfassende „Demokratisierung der Oper“, damit diese der erhofften „neue[n] ,Gesellschaft‘“ als Medium der „geistige[n] Repräsentation“ zu Gebote stehe.77 71 72

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Vgl. in: Staatstheater Wiesbaden. Spezial-Akten betreffend Gesellschaft der Freunde des Staatstheaters, Bd. I: 1931–1934, in: HHStAW, Abt. 428, Nr. 345, Blatt 90. Der städtische Magistrat bezeichnete in einer Stellungnahme die Entwicklung des Rechnungsjahres 1930 als zufriedenstellend und verwies dabei vor allem auf die gegenüber 1929 leicht gestiegenen Erträge aus den ersten sechs Spielmonaten. Während das Opernhaus im ersten Halbjahr des Jahres 1929 413 095 RM eingenommen hatte, verbesserten sich die Einnahmen im gleichen Zeitraum des Jahres 1930 auf immerhin 424 338 RM. Diese leichte Verbesserung war vor allem „durch extensive Werbung“ bewerkstelligt worden, zu der nicht zuletzt auch die Besucherorganisationen beigetragen hatten. Vor allem stuften es die städtischen Gremien als erfreulich ein, „dass die Besucherzahl gegenüber dem Vorjahr leicht zugenommen“ hatte. Auch „die Entwicklung der Abonnements“ wurde als „zufriedenstellend“ bezeichnet. Dies änderte dennoch kaum etwas an der dramatischen Finanzlage des Frankfurter Opernhauses. Das Rechnungsjahr 1929 schloss mit Einnahmen in Höhe von 1 867 332,71 RM ab. Diesem Betrag standen Ausgaben in Höhe von RM 4 567 288,38 RM gegenüber, so dass ein Zuschussbedarf in Höhe von 2 699 955,67 RM verblieb. Vgl. diesen in der Sitzung der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom 8. Januar 1931 verhandelten Bericht des Magistrats in: Akten der Stadtverordnetenversammlung zu Frankfurt am Main, Städtische Bühnen, 1929–1931, in: Inst. f. SG Ffm, Signatur 1.793. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Max Michel: 50 Jahre Opernhaus, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 31/32 (Oktober 1930), S. 483–486, hier S. 486. Holl: Oper in Not.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

Das Jubiläum des Jahres 1930 bezeichnete in diesem Sinn tatsächlich eine Zäsur in der institutionellen Verfasstheit der Städtischen Bühnen, indem es Oper und Theater umfassender innerhalb der Bürgerschaft verankerte und das „Recht auf einen Platz“ gleichsam zur „Bürgerpflicht“ ausrief.78 Mit dieser Maßnahme zielte das Jubiläum darauf ab, die Stadtgesellschaft durch kulturelle Institutionen zusammenzuhalten. Indem man an die vermeintlich ,basisdemokratischen‘ Wurzeln des Instituts erinnerte, appellierte man an das Publikum, nicht „entfremdet abseits“ zu stehen, sondern sich als tätige „Bürger Frankfurts“ zu erleben.79 Als Symbol bürgerschaftlich-urbaner Identität nahm die Frankfurter Oper damit auch 1930 eine prominente Stellung ein. Wie bereits bei früheren Anlässen versuchte die Stadt auch im Rahmen ihres Jubiläumsfestes eine synthetisierende stadtkulturelle Tradition zu etablieren und aus dem Bewusstsein einer „große[n] künstlerische[n] Vergangenheit“ eine „Verpflichtung“ gegenüber der Zukunft herzuleiten.80 Dies wurde gerade auch in den performativen Aspekten des Opernjubiläums sichtbar, die im folgenden Abschnitt im Zentrum stehen werden und ausgewählte Aspekte des Jubiläums in den Blick nehmen.

9.3 Die Festwoche der Frankfurter Oper Während also im Vorfeld des Jubiläums einiges daran gesetzt wurde, die Bindung von Stadt, Bürgerschaft und Oper zu intensivieren, zielten die Aktivitäten während der Festwoche selbst vor allem darauf ab, die wechselvolle Entwicklung der Oper zum Sinnbild der Frankfurter Stadtgeschichte zu stilisieren und zum Modell spannungsfreier sozialer Interaktion zu erheben. Nach wie vor sollte die Oper als prominentes „Wahrzeichen“ der Stadt erhalten bleiben und jenen besonderen „Gesinnungsadel der Bürgerschaft“ dokumentieren81 , der aus inniger „Kulturleidenschaft“ geboren war.82 Angesichts des Jubiläums wurden städtische und regionale Identität zu wichtigen Kategorien, mit denen die krisenhaften Verlustängste der ausgehenden 1920er Jahre bearbeitet werden konnten. Das Opernhaus verkörperte hierbei das „neue Zeichen der Verbundenheit“, das den bürgerschaftlichen Zusammenhalt sicherstellen sollte.83 Erneut sollte Frankfurt neben Berlin, Köln, Hamburg 78 79 80 81 82

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Sakheim: Werberuf, S. 340. Ebd., S. 339. Michel: 50 Jahre Opernhaus, S. 486. Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Max Michel: Ansprache anläßlich des 50 Jahr Jubiläums der Frankfurter Oper, in: Verein Opernhilfe e.V. Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1931/32, S. 2–6, hier S. 5, in: StAW, Akten betrf. Nassauisches Landestheater – Verschiedenes, Zeitungsausschnitte, Bestand WI/2, Nr. 3004. Ebd., S. 6.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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oder Dresden als gleichberechtigte Metropole profiliert werden. Seit jeher, so formulierte es deshalb Oberbürgermeister Landmann in einer Grußadresse, habe Frankfurt die Gefahr einer mit dem Aufstieg Berlins verbundenen „geistig-kulturellen Verödung der Provinzen“ klar erkannt und sich als Gegenpol zu der von der Hauptstadt ausgehenden „zentralistische[n] Entwicklung“ behauptet.84 Mehr als je zähle es daher zu den Aufgaben der Großstädte, den „alten Baum der deutschen Kultur“ zu pflegen.85 Das Jubiläum bot allerdings nicht nur Gelegenheit, das großstädtische Renommee der Goethestadt zu verteidigen. Die Rückbindung an die volkskulturellen Traditionen des Theaters sollte außerdem dazu beitragen, kommunalen Gemeinsinn zu befördern. Wie Landmann vermerkte, sei die Oper in Frankfurt niemals „eine gesellschaftliche Einrichtung der oberen Zehntausend“ gewesen.86 Wie dies schon 1905 geschehen war, charakterisierte man das Haus auch 1930 ausdrücklich als demokratisch-egalitäre Arena, die sich frühzeitig für „das Volk vom 4. Stand“ geöffnet87 und auf diesem Weg „zur menschlichen Veredelung, zur Vergeistigung und künstlerischen Empfänglichkeit breitester Massen“ beigetragen habe.88 Das Jubiläum setzte damit zugleich eine Reflexion über die Stadt als sozialen, politischen und symbolischen Raum frei. Sozialpolitische Problemlagen waren bis in den städtischen ,Musentempel‘ vorgedrungen und verlangten eine Neubestimmung der dort gepflegten kulturellen und sozialen Praxis. Die Oper wurde dabei von den kulturpolitischen Wortführern der Stadt zu einem Forum gelingenden gesellschaftlichen Wandels erklärt: Hier konnte die brüchig gewordene Vorherrschaft des etablierten Bildungs- und Besitzbürgertums zur Disposition gestellt, konnten neue gesellschaftliche Protagonisten in den Kreis der Frankfurter Bürgerschaft aufgenommen werden. Kulturelle Praktiken wie der Besuch der Oper trugen auf diesem Weg dazu bei, urbane, bürgerschaftliche Lebensformen symbolisch herzustellen und weiterzugeben (Abb. 37).89 Freilich ließ sich dieses Unterfangen in einer Zeit, in der sich soziale, politische und kulturelle Gegensätze eher vertieften und verfestigten, nur ansatzweise realisieren. Das Ideal einer kulturell gestifteten großstädtischen Harmonie erwies sich im Oktober 1930 zunehmend als Trugbild und konnte nur mit immensem symbolischem Aufwand aufrecht erhalten werden. Eine 84 85 86 87

88 89

Landmann: 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, S. 5. Ebd. Ebd. So der Frankfurter Kulturdezernent Max Michel in seiner Festansprache am 12. Oktober 1930. Vgl. ders.: Ansprache anläßlich des 50 Jahr Jubiläums der Frankfurter Oper, in: Verein Opernhilfe e.V. Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1931/32, S. 2–6, hier S. 4, in: StAW, Akten betrf. Nassauisches Landestheater – Verschiedenes, Zeitungsausschnitte, Bestand WI/2, Nr. 3004. Landmann: 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, S. 5. Prigge: Urbanität und Intellektualität, S. 10.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik Abbildung 37: Festveranstaltungen zum 50-jährigen Jubiläum der Frankfurter Oper 1930

nüchterne Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation überschattete deshalb zunächst die Feststimmung. Der städtische Kulturdezernent Max Michel etwa zeichnete in einem Beitrag für die Blätter der Städtischen Bühnen die prägenden Stationen der zurückliegenden fünfzig Jahre nach: Beginnend im Jahr 1880, in den „Zeiten eines glückhaften Aufstieges“ unter der „Führerschaft der Bürger in kulturellen Dingen“, sei man nach einer „schwere[n] Periode des Krieges und der Nachkriegszeit“ in eine Gegenwart eingemündet, in der die Stadt mit ihren Steuerquellen das Erbe dieses bürgerschaftlichen Engagements weitgehend übernommen habe.90 Zwischen 1880 und 1930, so äußerte sich Oberbürgermeister Landmann, liege daher nicht nur „ein halbes Jahrhundert“, sondern eine vollkommen „veränderte Welt“.91 Habe beim 25-jährigen Jubiläum das Empfinden vorgeherrscht, „an der Schwelle einer 90 91

Michel: 50 Jahre Opernhaus, S. 483. Landmann: 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, S. 4.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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Periode nicht geahnter wirtschaftlicher Blüte, politischen Machtzuwachses“ und eines „lebensbejahenden Kraftgefühls“ zu stehen, so durchlebe Frankfurt das Jahr 1930 als eine Zeit „tiefster, seelischer Depression, geistiger Verzerrung, wirtschaftlichen Niederganges“ und „politischer Verwilderung“.92 Das Gefühl, in einer nach wie vor lebendigen Tradition zu stehen und aus diesem Wissen heraus das große Jubiläum des Opernhauses als Krönung einer bürgerlichen Erfolgsgeschichte feiern zu können, schien 1930 immer mehr dem Bewusstsein der „Entzauberung“, der „Abstreifung der Seelenhüllen der Vorkriegszeit, der Ernüchterung überkommener Vorstellungen“ und der „Erschütterung“ geltender Werte gewichen zu sein.93 Einer solch entmutigenden Bilanz zum Trotz bekundete Kulturdezernent Michel allerdings auch den Vorsatz, der künstlerischen „Mission“ des Theaters „treu“ bleiben und die Frankfurter Oper auch künftig als eine der „ersten deutschen Musikbühnen“ der Republik erhalten zu wollen.94 Daher – so meinte auch die Frankfurter Zeitung – sei das ,goldene‘ Jubiläum des Opernhauses nachdrücklich als „Mahnung an die Gegenwart“ aufzufassen, stehe doch im Jubiläum die Zeit selbst „wider die Zeit“ auf, spreche „Epoche [...] zu Epoche“.95 Insistierend beschworen zahlreiche Presseartikel jene im Jahr 1930 „fast sagenhaft“ anmutende Ära der Gründerjahre um 1880, als „unter weitgehender Beteiligung weitester Kreise ein Kunstinstitut“ ins Leben gerufen worden sei, das „im Laufe der nächsten Jahrzehnte als demokratisches Unternehmen die meisten Feudalbühnen an produktiver und reproduktiver Leistung“ habe übertreffen können.96 Indem die Festspielwoche mit Mozarts Don Juan, Wagners Lohengrin, Beethovens Fidelio oder Richard Strauss’ Rosenkavalier glanzvolle Höhepunkte der städtischen Operngeschichte wieder lebendig werden ließ, entrollte sich vor den Augen des an den Festabenden im Opernhaus versammelten Publikums zugleich die „Chronik“ einer Zeit, die den Zuschauern dieses „Bild eines bürgerlichen Gemeinsinns“ und einer „freudigen Verantwortung gegenüber ideellen Werten“ exemplarisch in Erinnerung rufen wollte.97 Die Jubiläumswoche begann am 10. Oktober mit einem Opernhaus-Konzert, bei dem Leoš Janáčeks Festliche Messe und Giuseppe Verdis Quattro pezzi sacri zur Aufführung gelangten. Darauf folgte am 11. Oktober eine Festaufführung von Mozarts Don Juan, mit dem das Haus im Oktober 1880 eröffnet worden war. An diese erste Galavorstellung schloss sich ein vom Frankfurter Patronatsverein ausgerichteter großer Gesellschaftsabend in den Räumen

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Ebd. Ebd., S. 4f. Michel: 50 Jahre Opernhaus, S. 483. Artikel „Das goldene Jubiläum des Opernhauses“, in: Stadt-Blatt der Frankfurter Zeitung, 11. Oktober 1930, S. 3. Holl: Wie feiern wir das Opernjubiläum?. Ebd.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

des Opernhauses an. An den folgenden Tagen präsentierte man den Zuschauern Ludwig van Beethovens Fidelio, Albert Lortzings Zar und Zimmermann, Richard Wagners Lohengrin und Richard Strauss’ Rosenkavalier, ehe die Jubiläumsfeier mit einer Aufführung der umstrittenen Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Kurt Weill und Bertolt Brecht ihr Ende fand. Mit Egon Pollack, Gustav Brecher und Eugen Szenkar hatte man zudem drei namhafte Gastdirigenten gewinnen können, die „ihren Aufstieg zu ersten Stellungen über die Frankfurter Bühne genommen“ hatten.98 In dieser Programmauswahl manifestierte sich die angestrebte Verbindung des klassischen und des zeitgenössischen Werkkanons, die für die Frankfurter Oper seit jeher typisch gewesen war, da man hier, wie es Carl Ebert, der Generalintendant des Hessischen Landestheaters, in einer Grußadresse formulierte, im „Gegensatz zu der rheinisch-höfischen Repräsentationsbühne Wiesbaden“ stets großen Wert darauf gelegt habe, „den verheissungsvollen Ansätzen der musikalischen Entwicklung mit Wagemut und Überzeugungstreue zu dienen“.99 Mit dem Opernhaus-Konzert am 10. Oktober gelang der Frankfurter Oper nach Maßgabe der Presse bereits ein „wirklich festliches Präludium zu der Folge von Jubiläums-Aufführungen“.100 Nach diesem Auftakt eröffnete Mozarts Don Juan am nächsten Abend den eigentlich „theatralischen Teil der Festwoche“.101 Im „Bewußtsein der Stunde“ nahm man die Wiedergabe der Oper „mit besonderer Aufmerksamkeit entgegen“ und honorierte damit insbesondere den historischen und symbolischen Stellenwert, den das Werk für die lokale Theatergeschichte innehatte.102 Mit dem Don Juan erinnerte die Intendanz der Oper gezielt an jene „friedlichen Zeitläufe“ der „achtziger und neunziger Jahre“ des 19. Jahrhunderts, in denen die „Verbindung von Kunstpflege und Gesellschaft“ zu den prägenden „Faktoren des öffentlichen Lebens“ gehört und die „Kultivierung der ästhetischen Werte“ eines „der Ziele kulturellen Daseins“ dargestellt hatte.103 Im Opernjubiläum wurde somit nicht nur eine nostalgische Reminiszenz an eine ruhmvolle Vergangenheit greifbar; zugleich wurde ihm eine appellative und ausdrücklich prospektiv angelegte Funktion zugewiesen, deren normativer Beiklang unüberhörbar war. Angesichts des Jubiläumsfestes erinnerte die Frankfurter Zeitung ihre Leserschaft an jenen über den Bereich der Kultur und der Kunstpflege definierten bürgerlichen Werte- und Verhaltenskanon, der die Teilhabe am öffentlichen Leben der Stadt ermöglicht hatte und nach wie vor als beispielhaft postuliert wurde. Um diesem Ideal einer kunstsinnig-weltmännischen Etikette auch im 98 99 100 101 102 103

Frankfurter Zeitung, 16. Oktober 1930, Abendblatt. Vgl. diese Grußadresse Carl Eberts zum 50. Jubiläum des Opernhauses in: Intendanz des Opernhauses (Hrsg.): 50 Jahre Opernhaus, Frankfurt a.M. 1930, S. 54. Frankfurter Zeitung, 11. Oktober 1930. Frankfurter Zeitung, 13. Oktober 1930, Morgenblatt. Ebd. Artikel „Das goldene Jubiläum des Opernhauses“, in: Stadt-Blatt der Frankfurter Zeitung, 11. Oktober 1930, S. 3.

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Angesicht einer nüchtern-entzauberten Gegenwart zu entsprechen, hatte der Patronatsverein der Städtischen Bühnen im Anschluss an die „begeistert aufgenommene“ Festaufführung des Don Juan zu einem Gesellschaftsabend in den Räumen der Oper eingeladen, dessen Erlös dem Opernhaus zugute kommen sollte.104 Für diesen „Gesellschaftsakt“ ließ sich – so meinte die Presse – kaum ein „glänzenderer Rahmen“ finden als das städtische „Opernhaus mit seiner pompösen Treppe“ und seinen „erhöhten Umgängen und Galerien“, die an diesem Abend nach langer Zeit einmal wieder den Blick auf das „Gewühl“ eines großen Festpublikums freigaben.105 Endlich – so schien es – hatte Frankfurt eine Gelegenheit gefunden, um im Beisein zahlreicher auswärtiger Gäste „wahrhaft vornehm“ zu repräsentieren.106 Anwesend waren unter anderem der Berliner Generalintendant Heinz Tietjen, der als Vertreter des Preußischen Kultusministeriums nach Frankfurt gereist war, sowie „das Frankfurter Konsularkorps, die Oberbürgermeister und TheaterIntendanten der südwestdeutschen Städte und die Spitzen der Frankfurter Behörden“.107 Zahlreich war auch das Frankfurter Publikum „aller Lebensalter“ erschienen, so dass an diesem Abend „die Zeiten“ zusammenklingen und bei „den Besuchern des Festes“ „angenehme Eindrücke“ hinterlassen konnten.108 Treue Theaterbesucher tauschten wehmütig ihre Erinnerungen aus, während die „ungestümen Kinder der Gegenwart“ „den Alten“ die Sorgen „verplauderten“, wie die Frankfurter Zeitung freudig notierte.109 Das Blatt bemühte sich, das Bild eines spannungsfreien und generationenübergreifenden Dialogs zu vermitteln, setzte aber zuweilen – so lässt sich vermuten – den Weichzeichner etwas zu bereitwillig ein, um den harmonischen Verlauf des Gesellschaftsabends und die einende Kraft des Festes zu dokumentieren: Unter „Blumen und Girlanden“, „überfunkelt von Licht“ und „umwogt von Musik“ wollte die Presse ein für die oftmals so „gemessenen Bürger“ Frankfurts ungewohnt „zwangloses Treiben“ beobachtet haben, das das Opernhaus gerade in einer Zeit der fortschreitenden gesellschaftlichen Desintegration in einen ästhetisch durchwirkten, bergenden Raum verwandelte, in dem zwanglose Geselligkeit und stadtbürgerliche Einheit nach wie vor möglich waren.110 In ihrer idyllisierenden Ausdeutung des Jubiläums knüpfte die Presse bereitwillig einen kulturellen und kommunalen Traditionszusammenhang, der generationen- und gruppenübergreifend wirksam werden sollte: „Hunderttausende“ hatten im Verlauf der vergangenen fünf Jahrzehnte „verzaubert, erhoben“ und „erschüttert“ die Aufführungen des städtischen

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Frankfurter Zeitung, 12. Oktober 1930, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd. Städtisches Anzeigenblatt, 11. Oktober 1930, Nr. 41. Frankfurter Zeitung, 12. Oktober 1930, Zweites Morgenblatt. Ebd. Ebd.

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Opernhauses bestaunt und hierdurch einen Erinnerungsschatz gewonnen, „den kein Alltag“ verwehen könne.111 Dem klassisch-romantischen Musikkanon kam damit weiterhin eine „erlösend“-entlastende Wirkung zu, die das Theater als Ort gemeinsamen ästhetischen Erlebens bewahren sollte.112 Hier, so die Hoffnung Karl Holls, konnte die Stadtgesellschaft nach wie vor zu einer gelingenden sozialen Einheit zusammenfinden. Besonders erfreut zeigte sich der Kritiker deshalb über die „viele[n] kleinere[n] und ,kleine[n] Leute‘“, die beim Jubiläumsfest ebenfalls zahlreich zugegen waren113 und die Festaufführungen „dankbar“ feierten.114 Diese bewusst idealisierende und mitunter seltsam anachronistisch anmutende Darstellung dokumentiert, wie angestrengt Presse und Kulturpolitik um eine verbindliche Interpretation des Jubiläums rangen, und wie forciert das Bild gesellschaftlicher Einheit aufrechterhalten werden sollte, um die Krise der Oper, die zugleich als eine Krise der Gesellschaft wahrgenommen wurde, abmildern zu können. Dabei legen die Debatten um die letzte Festvorstellung der Frankfurter Festwoche, Kurt Weills und Bertolt Brechts Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, nahe, dass das Erzählmuster einer synthetisierenden, Tradition und Moderne harmonisch verbindenden Kunst- sowie einer gelingenden generationen- und gruppenübergreifenden sozialen Praxis mittlerweile offensichtliche semantische Brüche und Inkonsistenzen aufwies.

9.4 „Wir selber sind in Mahagonny“115 : Bertolt Brechts und Kurt Weills ,Skandaloper‘ in Frankfurt Um nicht den Anschein epigonaler Traditionspflege oder unproduktiver Nostalgie zu erwecken, machte es sich die Festwoche zur Aufgabe, den „Willen unserer Zeit zur Oper“ „energisch“ zu bekunden und ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an einer Neuorientierung der Kunstform Oper unter Beweis zu stellen.116 Mit einer Aufführung von Brechts und Weills Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, der ersten „Zeitoper im eigentlichen und tieferen Sinne“, die bei ihrer Uraufführung in Leipzig im Frühjahr 1930 einen der

111 112 113 114 115 116

Ebd. Frankfurter Zeitung, 14. Oktober 1930, Abendblatt. Ebd. Ebd. Theodor W. Adorno: Mahagonny, zitiert in: Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/ Weill „Mahagonny“, Frankfurt a.M. 2006, S. 354–362, hier S. 355. Ernst Latzko: Weill-Brechts Mahagonny, in: Blätter der Städtischen Bühnen Frankfurt am Main, H. 29/30 (September/Oktober 1930), S. 467–470, hier S. 470.

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spektakulärsten Theaterskandale der Weimarer Jahre ausgelöst hatte, endete am 16. Oktober 1930 die Frankfurter Jubiläumsfeier.117 Die Leipziger Premiere des Werkes im März 1930 hatte deutschlandweit für erregte Debatten gesorgt. Unverkennbar trug der Meinungsstreit um die Uraufführung der Oper politische Züge: Die einstmals so renommierte Neue Zeitschrift für Musik etwa, die 1834 von Robert Schumann gegründet worden war, seit 1928 aber von dem Berliner NSDAP-Schriftleiter Fritz Stege geleitet wurde, stilisierte die Unruhen um die Leipziger Uraufführung zu einem „Volksgericht“, bei dem das Publikum über ein „hundsgemein[es] und vor allem künstlerisch impotente[s] Stück“ geurteilt und diese „Dichtung des Zuhältertums“ entschieden abgelehnt habe.118 Alfred Polgar, der an diesem Abend ebenfalls zugegen war, schilderte in seiner Besprechung die „vorsprühende Unruhe“ und das „hörbare Zurechtrücken der Leidenschaften“, das bereits im Vorfeld der Aufführung wahrzunehmen war.119 Für ihn „roch“ die Atmosphäre „stark nach mitgebrachtem Unwillen, der darauf wartete, erregt zu werden, und, als diese Erwartung nicht rasch genug sich erfüllte, durch Selbstentzündung losging“120 : „Kriegerische Rufe, an manchen Stellen etwas Nahkampf, Zischen, Händeklatschen, das grimmig klang wie symbolische Maulschellen für die Zischer, begeisterte Erbitterung, erbitterte Begeisterung im Durcheinander.“121

Die durch die Aufführung evozierten politischen Leidenschaften verebbten allerdings nicht mit dem organisierten Krawall des Premierenabends, sondern fanden ihre Fortsetzung am 11. März 1930, als der Theaterausschuss der Leipziger Stadtverordnetenversammlung zu einer Sondersitzung zusammenkam und der DNVP-Abgeordnete Schmidt die Absetzung der Oper forderte.122 Drei Tage später kam es zu einer Abstimmung über den Einspruch Schmidts, der mit zehn Gegenstimmen abgelehnt wurde. Daraufhin fand am 16. März eine zweite Aufführung des Werkes statt, der bis Mitte April allerdings nur noch vier weitere folgten.123 Die hitzigen Debatten um die Leipziger Aufführungen zeitigten rasch folgenreiche Konsequenzen: Die Theater in Dortmund, Essen und Oldenburg setzten so etwa vertraglich bereits gebundene Inszenierungen von ihren Spielplänen ab, und bis 1933 erlebte das Werk in Deutschland lediglich vier weitere Inszenierungen (in Braunschweig, Kassel, Frankfurt und Berlin). Gemessen an den mitunter überraschend großen Publikumserfolgen anderer zeitgenössischer Opern – wie beispielsweise Kreneks Jonny – zeigt 117 118 119 120 121 122 123

Melos. Zeitschrift für Musik (April 1930, Hans Mersmann, Hans Schultze-Ritter, Heinrich Strobel), zitiert nach: Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 228. Zitiert nach: ebd., S. 222. Alfred Polgar wird zitiert nach: ebd., S. 221. Ebd. Ebd., S. 221. Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 223. Vgl. ebd.

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diese geringe Aufführungsziffer eindringlich, wie sehr viele Bühnen den politischen Zündstoff des Werkes fürchteten. Allerdings entfachte sich dieser wohl weniger an der Oper selbst, als vielmehr an den erhitzt-aggressiven Debatten, die Mahagonny zum Politikum hochstilisierten und als öffentliches Ärgernis brandmarkten. Die liberale Frankfurter Presse nahm die Politisierung der Oper sehr kritisch auf. Insbesondere die Form des Leipziger „Disputs“ wurde als „gefährlich“ und „abwegig“ eingestuft; denn – so die Meinung Karl Holls in der Frankfurter Zeitung – eine Stadtverordnetensitzung sei kaum diejenige Instanz, die über das Wohl und Wehe eines Kunstwerks zu entscheiden habe.124 Holl ermahnte die städtische Kulturpolitik, sich nicht zu einer Diffamierung oder gar zu einem Verbot des Stückes hinreißen zu lassen, sondern ein Urteil über den Stellenwert und die Akzeptanz des Stückes dem Publikum, der Kritik und den künstlerischen Instanzen der Theater zu überlassen. Mit der Entscheidung, Mahagonny im Rahmen der Jubiläumsfestwoche auf den Spielplan zu nehmen, verband Frankfurt daher eine politisch mutige Stellungnahme. Die Tatsache, dass sich die Stadt lange vor Berlin für eine Aufführung des Werkes entschied – hier dauerte es bis Dezember 1931, ehe die Oper in einer Produktion Ernst Aufrichts am KurfürstendammTheater zu sehen und zu hören war125 – stellt die aufgeschlossen-liberale Grundhaltung der städtischen Kulturpolitik unter Beweis. Gerade angesichts der zunehmenden Angst vor kultureller Desintegration und einem um sich greifenden ,Musikbolschewismus‘ markierte die Frankfurter Erstaufführung des Werkes ein „künstlerisch“ wie „taktisch“ „gewagte[s]“ Experiment, das in den Reihen des Publikums sowohl „stärksten Beifall“ als auch „Pfiffe“ hervorrufen sollte.126 Zweifel, ob das Werk tatsächlich „bürgertheaterfähig“ war, wurden immer wieder laut.127 Auch in Frankfurt provozierte Mahagonny einen Theaterskandal, dessen Ausmaß dem „Mords-Skandal“, den die Leipziger Uraufführung mit sich gebracht hatte, nur wenig nachstand.128 Kurt Weill, der bei der Frankfurter Aufführung zugegen war, hob den Entschluss der Stadtverordnetenversammlung, das Werk im Rahmen der Jubiläumsfestwoche zur Aufführung zu bringen, lobend hervor: Frankfurt habe sich nicht, so Weill, „von einer Horde Analphabeten [...] ins Boxhorn lassen“ und sich beherzt jener „sinnlosen Angstpsychose“ entzogen, die die „maßgebenden Kreise“ vieler anderer Städte dazu bewogen habe, „ihre Ängstlichkeit hinter allen möglichen Ausflüchten zu verstecken“.129 In der Tat fügte sich Mahagonny treffend in das Programm der Festspielwo124 125 126 127 128 129

Frankfurter Zeitung, 13. März 1930. Lotte Lenya: Erinnerungen an ,Mahagonny‘ [1957], in: Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/Weill „Mahagonny“. Frankfurt a.M. 2006, S. 187–191, hier S. 190. Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1930, Abendblatt. Ebd. Ebd. Vgl. in: Situation der Oper. Heinrich Strobel: Gespräch mit Kurt Weill, hier zitiert nach:

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che ein, verstand sich das Werk doch als „Chronik der Stadt Mahagonny“, die in einer Abfolge von „Sittenbildern des 20. Jahrhunderts“ den Aufstieg und Niedergang einer ,Paradiesstadt‘ schilderte.130 Eigentlicher Protagonist dieser Zeitoper war dabei die Stadt selbst, so dass sich die Oper als bezugreicher Kommentar der Jubiläumswoche deuten ließ, hatte die lokale Presse das Ereignis doch selbst wiederholt in narrative Muster gegossen, die um urbanen Aufstieg und Glanz, um Niedergang und drohenden Verfall kreisten. Die Entwicklungsgeschichte der Stadt Mahagonny wurde anhand der Schicksale ihrer Bewohner erzählt, so dass sämtliche Aspekte der Handlung sowie die Mehrzahl der Gesänge der Oper fast immer als „Ausdruck der Masse“ angelegt waren.131 Der Forderung nach einer politischen Zeitoper nachkommend, waren Weill und Brecht bei der Konzeption des Werkes vor allem an den „großen Begriffe[n] des Zusammenlebens der Menschen“ interessiert132 : „Freundschaft und Verrat, Armut und Wohlstand, Bescheidung und Auflehnung, Angst und Mut“.133 Aufbauend auf diesen archetypischen Grundmustern wollten beide eine neuartige Form des Musiktheaters etablieren, die sie als „musikalischen Bilderbogen“ verstanden sehen wollten.134 Unverkennbar war dabei – so die kritische Einschätzung Karl Holls in der

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Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/Weill „Mahagonny“, Frankfurt a.M. 2006, S. 175–178, hier S. 175 (zuerst in: Melos. Zeitschrift für Musik 10/1931, S. 43–45). Vgl. in: Zur Uraufführung der „Mahagonny“-Oper, zuerst in: Leipziger Neueste Nachrichten, 8. März 1930, hier zitiert nach: Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/Weill „Mahagonny“, Frankfurt a.M. 2006, S. 171–174, hier S. 173. Mahagonny erzählt die Geschichte vom Aufstieg, der Glanzzeit und dem Niedergang einer fiktiven Stadt: „Zwei Männer und eine Frau, auf der Flucht vor den Konstablern, geraten mit ihrem Auto in eine wüste Küstengegend. Sie können nicht weiter, weil der Wagen kaputt ist. Hinter ihnen sind die Konstabler, vor ihnen ist eine Wüste. So beschließen sie, an dem Ort zu bleiben und hier eine Stadt zu gründen, in der sie den Männern, die von der Goldküste her vorüberkommen, ihre Bedürfnisse erfüllen und ihr Geld abnehmen wollen. In der Paradiesstadt Mahagonny, die hier entsteht, führt man ein beschauliches, idyllisches Leben. Das kann aber den Männern auf Dauer nicht genügen. Es entsteht Unzufriedenheit. Viele reisen schon wieder ab. Die Preise sinken. Da zieht ein Taifun gegen die Stadt heran, und in der Nacht des Grauens, während die Männer ihr Ende erwarten, erfindet ein Holzfäller namens Johann Ackermann [= in der Urfassung Jimmy Mahonney] das neue Gesetz der Stadt. Diese Gesetz lautet: ,Du darfst alles.‘ Der Taifun biegt ab. Die Stadt bleibt verschont, aber die Mahagonny-Leute leben weiter nach den neuen Gesetzen. Nun blüht die Stadt auf. Die Bedürfnisse der Menschen steigen – und mit ihnen die Preise. Denn: Man darf zwar alles – aber nur, wenn man es bezahlen kann. Johann Ackermann selbst wird ein Opfer seines eigenen Geldes. Da ihm das Geld ausgeht, wird er zum Tode verurteilt. Das ist die Schicksalsstunde der Stadt Mahagonny. Die Teuerung steigt ins Unermeßliche, und eine große Demonstration gegen die Teuerung und für den Fortbestand des goldenen Zeitalters kündigt das Ende der ,Paradiesstadt‘ an.“ Siehe in: Zur Uraufführung der „Mahagonny“-Oper, S. 172f. Zur Uraufführung der „Mahagonny“-Oper, S. 174. Ebd. Ebd.

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Frankfurter Zeitung – der Hang zu antikapitalistischer „Tendenz“, die sich „gegen die Allmacht des Geldes und für schrankenloses Ausleben angesichts der Grausamkeit des Existenzkampfes in der Natur“ ausspreche.135 Nach Ansicht der Frankfurter Zeitung hatten Komponist und Dichter ein Werk geschaffen, das sich zwar mit einem „Grundproblem dieser Zeit“ auseinandersetze136 ; dabei trete aber – so die Kritik des Blattes – der vermeintlich ideologische Gehalt des Werkes mit seiner „Technik der Provokation“ und der „dialektischen Zersetzung“ allzu sehr in den Vordergrund.137 Brecht, so ein oft geäußerter Vorwurf, dem sich auch die Frankfurter Zeitung anschloss, habe seine Angriffe gegen traditionelle politische Anschauungen und religiös-moralische Empfindungen hier stellenweise so „sensationell“ und drastisch formuliert, dass sich ein großer Teil des Publikums brüskiert abwandte.138 Die „Bestie Mensch“, so hatte es Karl Holl bereits in seiner Besprechung der Leipziger Uraufführung formuliert, beherrsche die Szene des Bühnengeschehens in Form von „Haifischen, Dirnen“ und „Arbeits-Sklaven“, und über der trügerischen Idylle der aus der Ödnis geschaffenen Gold- und Paradiesstadt „wölbt sich der ,Himmel‘ des Kapitalismus, der die Leidenden vertröstet“ und „schuldig macht“ und sein Heilsversprechen am Ende ins Absurde überführe.139 Indem er in „aufreizend ironischer Reflexion“ auf das „Fressen, Huren“ und „Saufen“ derer, „die Geld haben“ beziehungsweise auf das „Leiden derer, die kein Geld haben“, aufmerksam mache, decke Brecht – so die Meinung Holls – zwar zurecht die offenkundigen Widersprüche der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf.140 Insbesondere lobte er den gesellschaftskritischen Grundzug des Werkes, aus dem er ein „inneres Weinen“, eine geradezu „tierische Melancholie“ herauszuhören glaubte.141 Dennoch, so meinte der Rezensent der Frankfurter Zeitung, dürfe man ein „politisches Manifest“ nicht mit einem „Kunstwerk“ verwechseln, und in dieser Hinsicht habe der „Dramatiker und Ideologe Brecht“ die gegen ihn immer wieder vorgebrachten Einwände mit Mahagonny erneut bekräftigt.142 Das Finale der Oper präsentiere dem Publikum mit der Hinrichtung des Protagonisten Jim Mahonney „das Bild völligen Verfalls im ,Kampf aller gegen alle‘“, ohne dabei aber – so argumentierte Holl – ein ausgleichendes oder gar erlösendes Ideal in Aussicht zu stellen, das „über das Anarchische“ hinausweisen könne oder wolle.143 Indem die Oper in einprägsamen Sequenzen den unaufhaltsamen Zerfall einer (Stadt-)Gesellschaft vorführte, konterkarierte sie geradezu das 135 136 137 138 139 140 141 142 143

Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1930, Abendblatt. Ebd. Frankfurter Zeitung, 12. März 1930. Frankfurter Zeitung, 13. März 1930. Frankfurter Zeitung, 12. März 1930. Ebd. Ebd. Ebd. Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1930, Abendblatt.

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Anliegen der Festwoche, die ihre Hoffnungen gerade auf eine neue ,Bindungskunst‘ setzte und die Oper als Ort gelingender Vergemeinschaftung und als Kontinuität stiftendes, bergendes „Klangritual“ erhalten wollte.144 Mahagonny hingegen provozierte und forderte das Publikum heraus: Das Werk entwarf ein Szenario, in dem bürgerkriegsähnliche Unruhen einen anarchischen Zustand herbeiführen, der schließlich in den Untergang der Stadt einmündet. Damit schilderte die Oper eine Zerfallsgeschichte, die kaum als festlicher Schlussakkord der Jubiläumsfestspiele taugte. Vielmehr konfrontierte sie ihr Publikum mit einem überzeichnet-grellen Bild der Gegenwart, das kaum zur Identifikation einlud, sondern viel eher latente Ängste aufgriff und schürte. Insbesondere die von Brecht eingeführte Figurenkonstellation wurde kontrovers beurteilt. An Stelle „hohe[r] Ideale“ wie „Königtum, Heldentum, Liebe“ präsentierten Komponist und Textdichter dem Publikum „die nüchterne Sachlichkeit der Gegenwart“.145 Weill und Brecht hatten ihre Protagonisten nicht als mit subtilen Regungen ausgestattete Individuen angelegt, die in fein ziselierten Arien das Spektrum menschlicher Leidenschaften und Seelenkämpfe ausloteten; vielmehr traten sie als typisierte Repräsentanten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auf.146 Von der „Idee des Königtums“ sei so etwa nur noch der „im Geld konzentrierte Machtgedanke übriggeblieben“, die „Heldenbegeisterung“ einer früheren Epoche sei dem „Sportfieber der Jetztzeit gewichen“, und „von der Liebe“ habe sich kaum mehr als „die Sexualität lebendig erhalten“, die durch „Zuhälter, Kupplerin und Freudenmädchen“ repräsentiert werde (Abb. 38).147 Die Typisierung der Figuren setzte sich in der Musik des Werkes fort, indem die Sänger vornehmlich als Repräsentanten einzelner gesellschaftlicher Gruppen auftraten und die Ensemblesätze gegenüber den Solistenpartien überwogen.148 Insbesondere der für Weill/Brecht typische ,Song‘, der im Refrain von allen Protagonisten mitgesungen wurde, galt als prototypischer Ausdruck „der kollektivistischen Musiktendenzen unserer Zeit“.149 Als Zeitoper – so das Fazit einiger der renommiertesten Musikkritiker des zeitgenössischen Kulturlebens – mute Mahagonny dem Publikum unerbittlich die Auseinandersetzung mit den Problemlagen der eigenen Gegenwart zu, die hier in sezierender Gründlichkeit beleuchtet werde.150 Hans Heinrich Stuckenschmidt (1901–1988) etwa stellte die Oper enthusiastisch an die „Spitze der musikdramatischen Produktion der Gegenwart“, mache sich das Werk 144 145 146 147 148 149 150

Frankfurter Zeitung, 14. Oktober 1930, Abendblatt; siehe hierzu Kapitel III.9.3 (Die Festwoche der Oper). Latzko: Weill-Brechts Mahagonny, S. 468. Ebd. Ebd., S. 468f. Ebd., S. 470. Ebd. Ebd., S. 469.

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Abbildung 38: Szenenbild zu Kurt Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

doch gerade dadurch virtuos die Möglichkeiten der Oper zunutze, dass es deren etablierte Grenzen sprenge.151 Einen leidenschaftlichen Fürsprecher fand Mahagonny außerdem in Theodor W. Adorno, der bei der Frankfurter Aufführung zugegen war. Wo Karl Holl die offenkundigen politischen Implikationen des Werkes verurteilt und sich von seiner gesellschaftskritischen Wucht abgestoßen gefühlt hatte, lobte Adorno ausdrücklich die surrealistische Verve der Oper, die so treffend den Niedergang der bürgerlichen Welt einfange.152 Gerade der bewusst verfremdende und montagehafte Charakter des Werkes erschien ihm als gelungene „Zusammenstellung durchschauter Scherben“153 : „Wie in Kafkas Romanen die mittlere bürgerliche Welt absurd und verstellt erscheint, indem sie aus dem geheimen Stande der Erlösung angeschaut wird, so ist in Mahagonny die bürgerliche Welt enthüllt als absurd, gemessen an einer sozialistischen, die sich verschweigt. Ihre Absurdität ist wirklich und nicht symbolisch. Das geltende System mit Ordnung, Recht und Sitte ist durchschaut als Anarchie: wir selber sind in Mahagonny, wo alles erlaubt ist außer dem einen – kein Geld zu haben. [...] Die schräge infantile Betrachtung, die sich an Indianerbüchern und Seegeschichten nährt, wird zum Mittel der Entzauberung der kapi151 152 153

So Hans Heinrich Stuckenschmidt in: Die Scene, März 1930. Stuckenschmidt wird zitiert nach: Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 225. Theodor W. Adorno: Mahagonny, zitiert in: Fritz Henneberg/Jan Knopf (Hrsg.): Brecht/ Weill „Mahagonny“, Frankfurt a.M. 2006, S. 354–362, hier S. 359. Ebd., S. 361.

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talistischen Ordnung, deren Höfe sich in Koloradofelder, deren Krisen sich in Hurrikane, deren Machtapparatur sich in parate Revolver verwandeln.“154

Das meisterhafte Konstruktionsprinzip der Oper zeige sich ganz besonders in der Musik Weills, die „von der ersten bis zur letzten Note dem Schock“ gelte, den die „jähe Vergegenwärtigung der verfallenden Bürgerwelt“ erzeuge.155 Den Melodien Weills – so legte Adorno dar – gehe es nicht länger um kultivierte Unterhaltung, mitreißenden Schwung oder beseelte Innerlichkeit.156 Diese Qualitäten seien Weill lediglich willkommene Mittel, um das Grauen der eigenen Gegenwart einzufangen.157 Weills Musik charakterisierte Adorno als zutiefst gebrochen: Indem sie Bruchstücke und Bestandteile eines traditionellen Formenkanons zitierend-ironisierend aufgreife und neuartig arrangiere, verleihe sie der zusehends zerfallenden bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts klanglichen Ausdruck. Ein ästhetisch generiertes Wunschbild ganzheitlicher Einheit, das noch Karl Holl so vehement eingefordert hatte, verwarf Adorno als ebenso naive wie trügerische Hoffnung. Der künstlerische Kosmos, den Brecht und Weill erschaffen hatten, setzte mit seiner Bestandaufnahme der Gegenwart so düstere Akzente, dass auf ein Generationen und Gruppen verbindendes Kunstideal kaum mehr gehofft werden konnte. Hatte die Frankfurter Festwoche darauf gesetzt, Tradition und Moderne harmonisch zueinander in Beziehung zu setzen und dergestalt in den Dienst eines integrativen Kulturideals stellen zu können, sprengte die Aufführung Mahagonnys diesen Ruf nach Ganzheit auf spektakuläre Art und Weise. Die Oper schleuste etwas von jener konstitutiven Heterogenität in die Jubiläumswoche ein, die der kulturellen Moderne zu eigen war, und die einer als fragmentiert und vielgestaltig wahrgenommenen Wirklichkeit entsprach. Versuche, dieser Disparatheit mit symbolisch hervorgebrachten Einheitsmythen zu begegnen, waren – so zumindest sah es Adorno – zum Scheitern verurteilt. Im Gegensatz zu Holl lobte Adorno deshalb ausdrücklich das Engagement der Frankfurter Bühne, die sich den Herausforderungen Mahagonnys gestellt und dabei „ihr bestes“ getan habe, auch wenn seiner Ansicht nach „dekoratives Operntheater und Psychologismus“ mitunter allzu prominent in den Vordergrund getreten seien.158 Mit der Aufführung von Mahagonny, so Adorno, habe die Frankfurter Festwoche ein „gutes Ende“ genommen, was durch den großen Beifall der Zuschauer und die „nachhaltig[e]“ Publikumswirkung besonders deutlich geworden sei.159 Auch Karl Holl musste einräumen, dass das Werk seine Schockwirkung auf das Frankfurter Publikum nicht verfehlte: Als etwa, so vermerkte er in sei154 155 156 157 158 159

Ebd., S. 355. Ebd., S. 360. Ebd. Ebd. Ebd., S. 363. Ebd., S. 364.

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ner Besprechung der Aufführung, die Sopranistin Else Gentner-Fischer in der Rolle der Jenny vor der Hinrichtung Jims den „Spruch ins Publikum sandte, daß auch es mit seinem über alles geliebten Geld nicht für den Verurteilten eintreten“ konnte, gab es „einen Moment lautloser Stille im Raum“, einen Moment als „ginge ein Engel durch den Saal“.160 Diese und andere eindrückliche Szenen verliehen der Frankfurter Aufführung ihr „fesselnde[s] Gesicht“, durch die dem Rezensent das Wagnis dieser Inszenierung als „theatralisch entschieden gelungen“ erschien.161 Holl forderte seine Leserschaft abschließend dazu auf, die Oper „auf sich wirken zu lassen und sich mit ihr auseinanderzusetzen.“162 Erwartungsgemäß wurde die Erstaufführung von Mahagonny nicht in allen Kreisen der Frankfurter Bürgerschaft und der lokalen Presse so positiv aufgenommen, wie dies bei Adorno der Fall war. Die rechtskonservativen Frankfurter Nachrichten sahen in der Aufführung des Werkes geradezu ein „Symbol“ für den „zu Grabe getragenen guten Geschmack“163 : Das Opernhausjubiläum endete nach Meinung des Blattes „glücklich in der Kloake“, da man zu seinem Ausklang ein Stück gewählt habe, dessen „kümmerliche[s] Unvermögen zu künstlerischer Gestaltung nihilistischer Gefühle“ für die Zuschauer untragbar gewesen sei.164 Politische Konsequenzen blieben nicht aus und fachten den öffentlichen Meinungsstreit um die Inszenierung der Oper weiter an: Der Fraktionsvorsitzende der NSDAP, Karl Lange, stellte einen Misstrauensantrag gegen den jüdischen Kulturdezernenten Max Michel und rief polemisch dazu auf, die Aufschrift ,Dem Wahren, Schönen, Guten‘ vom Opernhaus zu entfernen und durch den Leitspruch ,Der Halbwelt, dem Untermenschentum und der Kloake‘ zu ersetzen, falls das Werk weiter auf dem Spielplan der Bühne bleibe.165 Im Verlauf der zweiten Aufführung des Werkes am 19. Oktober 1930 kam es – ähnlich wie in Leipzig – auch in Frankfurt zu ,theaterskandalwürdigen‘ Ausschreitungen, als „organisierte Radaukommandos“ in Aktion traten und eine Festvorstellung störten, die Oberbürgermeister Landmann gemeinsam mit dem japanischen Prinzenpaar besuchte.166 Rund 150 nationalsozialistische Demonstranten drangen in das Foyer des Opernhauses ein, aus dem sie allerdings durch Polizei, Beamte und Bühnenarbeiter vertrieben werden konnten. Mittlerweile aber hatte sich auch auf dem Opernplatz eine Gruppe nationalsozialistischer Demonstranten eingefunden, die „dauernd laut ihr

160 161 162 163 164 165 166

Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1930, Abendblatt. Ebd. Ebd. Frankfurter Nachrichten, 17. Oktober 1930. Ebd., zitiert nach: Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 236. Vgl. hierzu Bettina Schültke: Theater oder Propaganda? Die Städtischen Bühnen Frankfurt am Main 1933–1945, Frankfurt a.M. 1997, S. 23. Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 236.

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,Deutschland erwache‘ brüllten“.167 Nach Beginn des zweiten Aktes wurden von der Galerie sogar Feuerwerkskörper und Stinkbomben geworfen, woraufhin unter den Zuschauern Panik ausbrach.168 Abermals entfernte die Polizei die Aufwiegler und verhaftete deren Anführer.169 Obwohl die Oper trotz dieser gewalttätigen Intervention kampfbereiter Demonstranten bis Januar 1931 zehn weitere Aufführungen erfuhr und schließlich als „große[r] Erfolg für die Frankfurter Bühnen“ verbucht wurde, endete die Jubiläumswoche mit einem Missklang.170 Als Schock erlebte man die Aufführung des Werkes auch hier: Mit einem Mal nämlich wurde die Oper zum realen Kampfplatz, wodurch sich Karl Holls idyllisierende Beschwörung stadtbürgerlicher Harmonie ins Absurde verkehrte. Frankfurt, das sich mittels seines Opernhauses und dessen performativen Möglichkeiten über Jahre hinweg als Ebenbild des harmonisch geordneten MeistersingerNürnberg gefallen hatte, wollte sich nur ungern in der dem Untergang und der Selbstzerstörung geweihten Goldgräberstadt Brecht/Weills wieder erkennen. Mit dem vorsätzlichen Radau nationalsozialistischer Ruhestörer war aber eine friedlose Gegenwart in der Oper angekommen und hatte diese in einen Ort verwandelt, an dem politische, kulturelle und soziale Gegensätze aufklafften und divergierende Deutungswelten explosiv aufeinanderprallten. War es Ludwig Landmann beim Besuch des Reichspräsidenten im November 1925 noch gelungen, die vaterländisch-rechtsnationalistischen Verbände von den Festlichkeiten in der Oper auszuschließen und sie als Arena republikanischer Traditionspflege zu schützen, war dies fünf Jahre später nicht mehr möglich. Weniger denn je war die Oper ein Refugium kontemplativer Innerlichkeit und kompensatorischer Weltflucht. Vielmehr war der Bürgerkrieg, den Mahagonny auf der Bühne in Szene setzte, in die Frankfurter Oper vorgedrungen und brachte die tiefe Zerklüftung der bürgerlichen Gesellschaft ebenso zum Ausdruck wie den fortschreitenden Verlust des „innerstaatlichen Rechtsfriedens“.171 Indem die organisierte Gewalt schließlich im Theater Einzug hielt, bewahrheitete sich Adornos Diktum ,Wir selber sind in Mahagonny‘ nur allzu schmerzhaft.

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Frankfurter Nachrichten, 20. Oktober 1930, zitiert nach: Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 236. Ebd., S. 237. Ebd. Schebera: Zur Wirkungsgeschichte bis 1933, S. 235. Dirk Blasius weist den Jahren zwischen 1930 und 1933 eine wichtige Brückenfunktion für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Herrschaft zu. Die Endphase der Weimarer Republik erschließt und deutet er dabei über das Phänomen des Bürgerkrieges, um so den Zerfall der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung der Weimarer Republik darzulegen. Vgl. hierzu ders.: Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930–1933, Göttingen 2005/2006, S. 7.

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III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

9.5 Fazit Mit ihrem Anspruch, einen Überblick über die wechselvolle Geschichte des Frankfurter Opernhauses zu bieten, hatten die städtischen Kulturpolitiker versucht, einen Gegensätze und Brüche überwölbenden Traditionszusammenhang bürgerlicher Musikkultur zu stiften, der die stadtbürgerliche Zusammengehörigkeit fördern und die zunehmend auseinander klaffende Bürgerkultur der Stadt festigen sollte. Insbesondere bemühte man sich, jüngere Publikumsschichten an das Opernhaus zu binden, um das Theater als öffentliches Forum wie auch als Kunstform neu zu beleben und seine integrative Wirkmacht zu bewahren. Gerade in „Notzeiten“, so der Oberbürgermeister, müsse Frankfurt es sich zur Aufgabe machen, „das unerschöpfliche Erbe und Kulturgut musikalischen Schaffens“ zu pflegen und „breiteste[n] Massen“ nahezubringen.172 Diese angestrebte Demokratisierung der Oper vollzog das Frankfurter Opernjubiläum auf anderem Weg als die Wiesbadener ,Befreiungsfeier‘, bei der man den Auszug aus der Oper gewählt und sie dergestalt als Ort sozialer Praxis und ästhetischer Erfahrung aufgegeben hatte. Frankfurt dagegen wollte das Opernhaus als Resonanzboden kommunaler Selbstherstellung erhalten und setzte dabei auf die Synthese von Tradition und Moderne, wobei sie sich nicht scheute, ein so kontroverses Werk wie Weill/Brechts Mahagonny in das Festprogramm aufzunehmen. Da die Oper allerdings vielfach als Angriff auf geschätzte Traditionsbestände bürgerlicher Musikkultur wahrgenommen wurde, traten die Grenzen dieses Bemühens deutlich zutage: Indem die städtische Kulturpolitik den Anspruch auf ästhetische Heterogenität einlöste, beförderte sie zugleich partei-, kultur- und gesellschaftspolitische Fliehkräfte. Letzten Endes, so schien es, musste man den Wunsch nach einer ästhetisch hervorgebrachten Einheit der Stadtgesellschaft aufgeben und anerkennen, dass die Pluralisierung der Lebensstile und Wertvorstellungen weit vorangeschritten war und sich nur noch notdürftig durch etablierte symbolische Praktiken und Ordnungsentwürfe zusammenzwingen ließ. Kulturpolitisch mutige künstlerische Experimente waren zukünftig kaum noch möglich. Die politischen Entwicklungen der Folgejahre veränderten nicht nur die programmatische Ausrichtung der Städtischen Bühnen, sondern wirkten sich auch massiv auf die institutionellen Rahmenbedingungen des Frankfurter Kulturlebens aus. Am 7. Februar 1933 fand die letzte Sitzung des frei gewählten Frankfurter Stadtparlamentes statt, ehe Hermann Göring, von Hitler zum kommissarischen preußischen Innenminister bestimmt, die Auflösung der kommunalen Vertretungsinstanzen anordnete. Bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 und bei den Kommunalwahlen am 12. März 1933 konnte die NSDAP ihren Stimmenanteil weiter ausdehnen; bei den 172

Landmann: 50 Jahre Frankfurter Opernhaus, S. 5.

9. Das Frankfurter Opernhausjubiläum 1930

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Kommunalwahlen errang sie fast 48 Prozent der Wählerstimmen.173 Mit Unterstützung der DNVP, die auf knapp vier Prozent kam, gelang ihr damit die legale Übernahme der politischen Macht.174 Noch am Tag der Wahl erfolgte die Amtsenthebung Ludwig Landmanns, der durch den Juristen Friedrich Krebs ersetzt wurde.175 Kurze Zeit darauf, am 28. März 1933, verfügte der neue Oberbürgermeister die „Entlassung sämtlicher jüdischer Angestellten der Stadtverwaltung sowie der städtischen Gesellschaften“.176 Zahlreiche profilierte Repräsentanten der Frankfurter Kulturpolitik waren von dieser Maßnahme betroffen, so auch Josef Turnau, der Intendant des Opernhauses, Georg Swarzenski, der Generaldirektor der Städtischen Museen, Kulturdezernent Max Michel oder der Direktor der städtischen Kunstgewerbeschule, Fritz Wichert.177 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die Gleichschaltung der Städtischen Bühnen nur eine Frage der Zeit. Im Februar 1933 trat die demokratisch gewählte Theaterdeputation zum letzten Mal zusammen, ehe das Gremium ganz ausgeschaltet wurde und seine Kompetenzen auf den neuen Oberbürgermeister übergingen. In der Folgezeit konnte Krebs die höchsten lokalen parteipolitischen und staatlichen Ämter auf sich vereinigen und wurde zum alleinigen Vorgesetzten des neuen Generalintendanten der Städtischen Bühnen.178 Sichtbar schlug sich die rasch voranschreitende Vereinnahmung der Bühne etwa in der Umbenennung der Programmhefte nieder, die nun unter dem Titel „Der 30. Januar. Braune Blätter der Städtischen Bühnen“ firmierten.179 Völkische Interpretationen deutscher Klassiker, Neueinstudierungen parteipolitisch erwünschter zeitgenössischer Stücke und leichtes Unterhaltungstheater dominierten von nun an die Spielpläne der Frankfurter Bühnen.180 Nationalsozialistische Feiertage wurden mit besonderen Festveranstaltungen gefeiert. Dem Theater – so das Resümee Bettina Schültkes 173 174 175

176 177 178 179 180

Vgl. hierzu Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 487. Ebd. Ludwig Landmann befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in Frankfurt. Nachdem ihm Freunde von der Rückkehr in die Stadt abgeraten hatten, hielt sich Landmann einige Zeit in Berlin auf, ehe er nach Amsterdam, der Heimat seiner Frau, flüchtete. Aufgrund einer anhaltenden Herzkrankheit und der Entrichtung der so genannten ,Reichsfluchtsteuer‘ geriet Landmann bald in eine finanzielle Notlage. Zudem drohte ihm in seinem holländischen Exil in den Kriegsjahren mehrfach die Gefahr der Deportation. Das Ende des Krieges erlebte er nicht mehr, da er im März 1945 an den Folgen von Unterernährung und Krankheit starb. Vgl. hierzu auch Rebentisch: Frankfurt am Main 1918–1945, S. 486f. Ebd, S. 488. Ebd. Vgl. zur Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Gleichschaltung der Städtischen Bühnen in Frankfurt vor allem: Schültke: Theater oder Propaganda?, S. 439. Vgl. ebd., S. 442. Vgl. detailliert ebd., S. 230ff.

528

III. Wiesbaden und Frankfurt am Main während der Weimarer Republik

in ihrer Untersuchung der Städtischen Bühnen zwischen 1933 und 1945 – wurde auf diese Weise sukzessiv „eine aktive Rolle im Propagandaapparat der NSDAP“ eingeräumt.181

181

Ebd., S. 446.

IV. Schlussbemerkungen: Die Oper als „Inventio dessen [. . . ], was fehlt“ (Ernst Bloch)

IV. Schlussbemerkungen

531

In seinen in den USA niedergeschriebenen Lebenserinnerungen hielt Ernst Krenek auch seine Eindrücke von Frankfurt und Wiesbaden fest. Beiden Städten war der gebürtige Österreicher, der 1938 von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben worden war, durch seine Tätigkeit als Komponist und Kritiker eine Zeitlang verbunden gewesen. Kreneks Einschätzungen fielen dabei sehr unterschiedlich aus: Frankfurt hatte auf ihn eine große Anziehungskraft ausgeübt, sah er hier doch einen westeuropäisch-kosmopolitischen Einfluss am Werk, der ihn lebhaft an Paris erinnerte.1 Ganz anders sein rückblickendes Urteil über die Stadt Wiesbaden, wo er in den 1920er Jahren mit Intendant Paul Bekker am Staatstheater zusammengearbeitet hatte. Krenek hatte hier nach eigenen Worten niemals recht heimisch werden können, denn allzu ausgeprägt waren ihm noch in den Weimarer Jahren die „bombastischen, protzigen und hässlichen Züge“ der wilhelminischen Ära ins Auge gestochen, deren „billige Monumentalität“ dem Komponisten missfiel.2 Auch das Theater, so sein bissiges Urteil, sei „im gleichen stupiden wilhelminischen Stil“ errichtet worden.3 Vor allem beklagte er das Übermaß an Bürokratie, das ihm die Bewohner der Stadt noch in der Erinnerung „trübsinnig und farblos“ erscheinen ließ.4 Trotz seiner Abneigung gegen die Stadt hatten Krenek die kreative Atmosphäre und Ernsthaftigkeit tief beeindruckt, die an der damaligen Staatsbühne unter Bekkers Leitung für frischen Wind und mitunter auch für heftige Kontroversen bei Publikum und Presse gesorgt hatten. Mit seinen eigenen Opernwerken, besonders mit Jonny spielt auf und den drei Kurzopern Der Diktator, Das geheime Königreich und Schwergewicht oder Die Ehre der Nation, die die Maifestspiele des Jahres 1928 eröffneten, hatte Krenek in Wiesbaden zudem einen mehr als achtbaren Erfolg verzeichnen können. Der Komponist musste in der Rückschau einräumen, dass gerade der Festspielauftakt im Mai 1928 mit „allen Attributen eines großen Ereignisses“ ausgestattet war, zumal nach dem Ende der Vorstellung noch ein Empfang stattgefunden hatte, bei dem der eigens angereiste preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker eine Festrede gehalten hatte.5 Wenngleich Kreneks Beschreibungen von Wiesbaden und Frankfurt als stereotype Zuspitzungen gelesen werden können, sind sie insofern aufschlussreich, als hier – wenn auch in der stilisierten Rückschau des beredten und redseligen Autobiographen – zeitgenössische Einschätzungen überliefert sind, die das Bild der beiden Städte auch langfristig geprägt haben. In den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts errichtet, wirkten beide Theater unmittelbar in die politische Festkultur Wiesbadens und Frankfurts hinein, indem sie zum Schauplatz außeralltäglicher Feierlichkeiten wurden und auf 1 2 3 4 5

Ernst Krenek: Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne, Hamburg 1998, S. 279. Ebd., S. 640. Ebd. Ebd. Ebd., S. 663.

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IV. Schlussbemerkungen

den Prozess urbaner Vergesellschaftung und kollektiver Imagination Einfluss nahmen. Dadurch befeuerten sie jene charakteristischen Selbstdeutungen, die es Frankfurt ermöglichten, als weltoffen-kultivierte Metropole aufzutreten, während sich Wiesbaden bisweilen als Eldorado wilhelminischer Machtphantasien gebärdete: Als man im Verlauf der Elektrotechnischen Ausstellung des Jahres 1891 im Frankfurter Opernhaus das Ballett Excelsior aufführte, wurde dieses unverzüglich zum Sinnbild wissenschaftlichen Fortschritts, metropolitaner Weltgewandtheit und einer optimistischen Geschichtsauffassung erklärt. Die Ballettsensation vervollständigte auf diesem Weg den Erfolg der Ausstellung und spornte die Stadt an, sich zur Vorreiterin technisch-naturwissenschaftlicher Modernität und bürgerlicher Selbstermächtigung zu erklären. Komplementär dazu wurde mit Pietro Mascagnis im Mai 1890 uraufgeführter Oper Cavalleria rusticana ein international gefeiertes Werk dargeboten, das den dynamisch-großstädtischen Charakter Frankfurts wirkungsvoll unterstrich. Wiesbaden verlegte sich derweil auf eine andere Strategie urbaner Selbstdarstellung und präsentierte sich als Hohenzollern-Residenz und bevorzugter Erholungsort einer internationalen Adels-, Militär- und Finanzelite. Die von Krenek in der Rückschau so abschätzig bewertete Zurschaustellung wilhelminischen Prunks wurde von einer Vielzahl anderer zeitgenössischer Beobachter keineswegs als hohl oder stillos eingestuft. Vielmehr schätzte man den architektonischen Formenreichtum und die üppig-ornamentale Aufmachung der Straßenzüge, Plätze und Alleen sowie das prunkvoll gestaltete Areal um Kuranlagen und Hoftheater, erblickte man hier doch eine angemessene Kulisse, in der sich der oberste Repräsentant einer aufstrebenden Weltmacht einem internationalen Publikum zeigen und den Herrschaftsanspruch des Reiches unterstreichen konnte. Noch in den späten 1920er Jahren, als Ernst Krenek und Paul Bekker gemeinsam am Wiesbadener Theater arbeiteten, trauerten Teile des Publikums und der Presse dieser niedergegangenen Ära des Kaiserreiches nach und waren nur zögerlich bereit, sich gegenüber den ästhetischen und kulturpolitischen Neuerungen zu öffnen, für die Bekker und Krenek einstanden. Beide sahen im einstigen Hoftheater ein Forum eigenständiger Welt- und Selbsterfahrung, das dazu beitragen sollte, eine neuartige symbolpolitische Referenzordnung auszubilden. Mit einem Seitenhieb auf die zuweilen allzu ostentativ betriebenen Rituale elitärer Selbstinszenierung forderte Bekker dabei vehement eine sich auf sich selbst besinnende dramatische Kunst, die jenseits von „armseliger Aktualität“ und „prahlerischer Wichtigtuerei“ auf die Bedürfnisse, Ängste und Wunschbilder eines sich wandelnden Publikums Rücksicht nehmen sollte.6 Diese knapp bilanzierenden, die Theaterkulturen Wiesbadens und Frank6

Paul Bekker: Wandlungen der Oper [1934], Zürich 1983, S. 7.

IV. Schlussbemerkungen

533

furts aufeinander beziehenden Erläuterungen rücken die symbolpolitischen Wirkungsweisen der Oper noch einmal in den Mittelpunkt. Institutionelle Arrangements, spezifische Inszenierungsweisen einzelner Werke, charakteristische Verhaltens- und Kleiderordnungen sowie die Beurteilungen und Darstellungen relevanter Festaufführungen durch die Presse – all diese Elemente weisen darauf hin, in welchem Maß das Musiktheater einen Raum umschrieb, in dem politische Ordnungsvorstellungen wirkungsvoll hervorgebracht und Prozesse kollektiver Sinnstiftung angestoßen wurden. Um zentrale Argumentationsstränge und Befunde abschließend zusammenzuführen, sollen einzelne Fallstudien gleichsam stichprobenartig herausgegriffen und gegeneinander konturiert werden. Im Besonderen sollen fünf zentrale Argumentationslinien nachgezeichnet werden, die den in einzelnen Fallstudien aufgefächerten Prozess der durch das Musiktheater ermöglichten symbolpolitischen Repräsentation zu bündeln versuchen. Oper und Festspiele werden dabei in verschiedenartige Referenzordnungen eingerückt, die das Spektrum ihrer politischen und politisierbaren Wirkungsweisen umreißen.

1. Die Oper als Ort kollektiver Traditionsstiftung In beiden Städten bezeichnete das Opernhaus einen öffentlichen Ort, an dem Prozesse stadtkultureller, regionaler sowie nationaler Vergemeinschaftung initiiert und sich zu Identität verbürgenden Traditionen verfestigt werden konnten. Mittels einer spezifischen sozialen Praxis – etwa durch ein charakteristisches Zeremoniell, durch das Unterhalten einer Loge oder eines Abonnements – konnten Regeln sozialer Zugehörigkeit oder Konventionen gesellschaftlichen Umgangs ausgehandelt werden. Die Inszenierungs- und Rezeptionsweisen einzelner Bühnenwerke wiederum trugen dazu bei, Mechanismen kollektiver Imagination in Gang zu setzen und gruppenspezifische Selbstbilder und Weltentwürfe zu modellieren. Exemplarisch kann hier die Eröffnung des Wiesbadener Hoftheaters im Beisein des deutschen Kaisers und der staatlichen und städtischen Eliten angeführt werden (1894): In einer feierlichen, sorgsam arrangierten Zeremonie, die das anwesende Festpublikum rigide hierarchisierte, enthüllte Wilhelm II. in den nahe beim Hoftheater gelegenen Kuranlagen zunächst ein Denkmal Wilhelms I. Diese Geste sollte den Herrschaftsanspruch Preußens und der Dynastie der Hohenzollern bekräftigen und Wilhelm II. am Charisma seines als Volkskaiser verehrten Großvaters teilhaben lassen. Mit diesen geschichtspolitischen Maßnahmen legte der gerne als prototypischer Reise- und Medienkaiser beschriebene Regent ein waches Gespür für die Anforderungen einer durch symbolische Akte in die Wege geleiteten gesellschaftlichen Integration an den Tag. Indem der Monarch für sich in Anspruch nahm, die heterogene Staatsnation zu verkörpern, versuchte er, seiner eigenen, stets fragilen Herrschaft die benötigte Respektabilität zu verleihen und den Platz in der kollektiven Imagination seiner Untertanen zu besetzen, den Wilhelm I. wie auch dessen Reichskanzler Bismarck so erfolgreich für sich reklamiert hatten. Konsequent nutzte Wilhelm dabei die medialen Möglichkeiten seiner Zeit: Neben Film und Fotographie vertraute der Kaiser auf die inszenatorischen Qualitäten und die repräsentativen Möglichkeiten des Musiktheaters. Im Wissen darum, dass seine Anwesenheit und sein Urteil über einzelne Aufführungen von der Presse genau beobachtet und stets akribisch dokumentiert wurden, präsentierte sich Wilhelm bevorzugt als Förderer einer nationalen Kunst. Die programmatische Selbststilisierung zum feinsinnig-kultivierten Künstlerkönig lässt sich anhand der Wiesbadener Festvorstellung im Oktober 1894 besonders anschaulich nachzeichnen: Zunächst erhob ein huldigender Prolog das neue Theater in den Rang einer auf ,Allerhöchsten Befehl‘ erbauten Hofbühne, die sich der besonderen Protektion durch den deutschen Kaiser erfreuen konnte. Zugleich verwandelte dieses Festspiel das Theater in einen höfischen Festsaal,

536

IV. Schlussbemerkungen

in dem der Monarch sich einem jubelnden Publikum wie auch den versammelten Pressevertretern zeigen konnte. Während der Aufführung des zweiten Aktes von Wagners Tannhäuser wurde das Theater vollends zur Kulisse eines triumphalen Festes, indem die in der Oper vorgesehene ,große Szene‘ des Herrschereinzuges auf der Bühne das festliche Zeremoniell im Zuschauerraum aufgriff und wiederholte. Die ambivalenten Gehalte von Wagners Künstleroper wurden dadurch überblendet, dass die Identität stiftenden Aspekte einer nationalen deutschen Kunst unter der Schirmherrschaft einer monarchischen Spitze von Seiten der anwesenden Pressevertreter besonders eindringlich in den Vordergrund gerückt wurden. Die 1896 initiierten Kaiserfestspiele führten diese traditionsstiftenden Maßnahmen bewusst fort. Regelmäßig gerierte sich das mondäne Wiesbaden dabei als nationale Pilgerstätte nach dem Vorbild Bayreuths, galt es doch, den Kaiser zu einer nationalen Ikone zu erheben und in den Mittelpunkt einer (inter-)nationalen Medienöffentlichkeit zu rücken. Tatsächlich avancierten die Maifestspiele zu einem weithin beachteten Ereignis. Mit ihrem über Jahrzehnte erfolgreichen ,Aushängeschild‘, Carl Maria von Webers Oper Oberon, wurden sie so erfolgreich, dass sie bis 1914 ein großes internationales Publikum anzogen. Die ausgewählten Festvorstellungen waren freilich in ein vorab sorgsam festgelegtes Zeremoniell eingebettet, das das Bühnengeschehen rahmte und die Rezeption durch Presse und Publikum in möglichst kaisertreue Bahnen lenken sollte, ohne in schlichte Propaganda abzugleiten. Die weltweit beachteten Bearbeitungen von Opern wie Oberon oder Christoph Willibald Glucks Armide können vielmehr als wirkungsvolle geschichtspolitische Maßnahmen gedeutet werden, bestachen sie doch nicht allein durch die Opulenz ihrer Bühnenbilder und Kostüme, die die prunkvoll-luxuriöse Aufmachung des Hoftheaters unterstreichen und die Herrschaftsfülle des Reiches und seines Throninhabers wirkungsvoll hervorkehren sollten. Indem der Wiesbadener Oberon mit der Figur Karls des Großen ein prototypisches Ideal kaiserlicher Herrschaft auftreten und als Alter Ego Wilhelms II. agieren ließ, wurde eine symbolische Rückkoppelung zwischen Bühne und Zuschauerraum bewirkt, die dazu bestimmt war, einen Konsens heischenden Mythos des deutschen Kaiserreiches und seines obersten Repräsentanten zu entwerfen. Der Anspruch, eine wirksame außenpolitische Repräsentation mit innenpolitischer Herrschaftssicherung zu verbinden, ließ sich dabei nicht ganz widerspruchsfrei realisieren. Einzuräumen bleibt nämlich, dass gerade jene oftmals emphatisch als Nationalopern gefeierten Werke wie die Opern Webers und Wagners in einem dynamisch-wechselvollen Spannungsfeld widerstreitender Bedeutungszuschreibungen angesiedelt waren und zwischen national verengender Aneignung und internationaler Rezeption changierten. Gerade ein Bühnenwerk wie Oberon konnte mit seinen märchenhaft-überwältigenden Bühnenbildern und mit seiner Vielzahl von Handlungssträngen und Instrumentierungsweisen keineswegs auf seine nationalen und höfischen Facetten reduziert werden. Es bedurfte eines nicht geringen inszenatorischen

1. Die Oper als Ort kollektiver Traditionsstiftung

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wie publizistischen Aufwandes von Seiten der Intendanz und der Presse, um diesen ästhetischen Überschuss zu zähmen und die Oper zum Manifest deutsch-romantischer Innigkeit und Eigentlichkeit zu erklären, um, anders gesagt, ihre Rezeption in eine vorgezeichnete, herrschaftsaffirmative Richtung lenken zu können. Dieses Beispiel demonstriert zugleich, dass die von den städtischen, staatlichen und höfischen Eliten zielstrebig verfolgte Strategie monarchischer Glorifizierung offensiv auf sich selbst verwies: Wagners Tannhäuser, der zum prunkvollen Höhepunkt eines höfischen Festzeremoniells erhoben wurde, Joseph Lauffs panegyrische ,Hohenzollern-Tetralogie‘, die in der Frühphase der Maifestspiele ein kaisertreu-preußisches Pendant zu Wagners RingTetralogie abgeben wollte, oder auch die ,Spezialbearbeitung‘ des Oberon, deren Schlussbild einen eigenwilligen Entwurf des kaiserlichen Thronsaals Karls des Großen präsentierte und diesen mit stilisierten Reichsadlern und Herrschaftsinsignien versah – sie alle zielten darauf ab, eine Kulisse nationalmonarchischen Glanzes zu erschaffen, die eine Apotheose des wilhelminischen Kaiserreiches in die Wege leiten und den Monarchen zur auratischen, dem politischen Alltagsgeschehen enthobenen Führungsgestalt erheben sollte. Dabei machte es den besonderen Reiz der Maifestspiele aus, dass sie Motive des höfisch-elitären Spektakels mit Facetten des bürgerlichen Festes und populärkulturellen Elementen zusammenführten und unterschiedliche Formen symbolischer Vergemeinschaftung wirkungsvoll, wenngleich nicht immer spannungs- und widerspruchsfrei miteinander kombinierten. Die Festspiele stellten verschiedenartige Sinnofferten bereit, gaben sie ihrem Publikum doch Gelegenheit, den Kaiser in unterschiedlichen Rollen und Funktionen beobachten zu können: Den Regenten erlebte man – beispielsweise bei seinen Ausritten zu Pferd – als volksnahen Monarchen, der den Kontakt zu seinen Untergebenen suchte. Ebenso aber konnte man den versiert-energischen Machtpolitiker bestaunen, der in seinem Hoftheater die Repräsentanten anderer Staaten willkommen hieß und die weltpolitischen Ambitionen des Reiches vertrat. Zudem ließ sich die mit besonderer Autorität ausgestattete Herrscherpersönlichkeit bewundern, die in den Festräumen des Hoftheaters ausgesuchte Persönlichkeiten empfing. Mithilfe dieses präzise kalkulierten Kaiser- und Reichskultes konnten die Festspiele lange Zeit überaus erfolgreich unterschiedliche Erwartungshaltungen bündeln und eine Projektionsfläche gruppenspezifischer Wunschbilder und Sehnsüchte erzeugen. Kohärenz und Sinn verbürgende Traditionen benötigte die junge Weimarer Republik nach den politischen und sozialen Umwälzungen des Ersten Weltkrieges noch dringlicher als das Kaiserreich, in dem die Monarchie trotz aller Spannungen eine bedeutsame integrative Bindewirkung zu entfalten

538

IV. Schlussbemerkungen

vermocht hatte.1 Nicht zuletzt mit Hilfe des Musiktheaters initiierten prorepublikanische Politiker wie Friedrich Ebert, aber auch Angehörige der künstlerischen und intellektuellen Eliten der Weimarer Republik nun einen Prozess gesellschaftlicher, politischer und kultureller Neuausrichtung, indem sie sich auf eine Semantik des Neuen, des Aufbruchs, des Wandels beriefen. Um dieser Orchestrierung des Neuen den notwendigen öffentlichen Rahmen zu schaffen, wählte man nicht zuletzt Orte wie die Opernhäuser, die seit je Foren gesellschaftlichen Miteinanders und kollektiv wirksamer Vergemeinschaftung gewesen waren. Die Fallstudien zur Frankfurter Goethewoche (1922), die einen zweiten, symbolpolitisch motivierten Gründungsakt der Republik darstellte, und zur Frankfurter Paulskirchenfeier (1923), die als erste republikanische Massenveranstaltung von sich reden machte und den 75. Jahrestag des Zusammentritts des Paulskirchenparlamentes feierte, beleuchten Möglichkeiten und Mechanismen einer genuin republikanischen Traditionsstiftung. Im Rahmen beider Feierlichkeiten riefen die politischen Eliten der Republik das Frankfurter Opernhaus in emphatischem Ton zum Ausgangspunkt eines ästhetisch begründeten politischen und sozialen Neubeginns aus. Dass man die Forderung nach einer grundlegenden Veränderung ernst nahm und um neue symbolpolitische Fundamente rang, zeigt ein Blick auf die konkrete Festordnung von Goethewoche und Paulskirchenfeier: 1922 etwa waren neben exponierten Repräsentanten der politischen Eliten auch so prominente Schriftsteller wie Thomas Mann oder Gerhart Hauptmann als Festredner gewonnen worden, die für den erhofften republikanischen Kulturstaat einstanden, ihn im wahrsten Sinne des Wortes verkörperten. Als Auftakt zu den Festvorstellungen im Opernhaus richteten die Autoren programmatische Einführungsworte an das versammelte Festpublikum, in denen sie den neuen Kulturstaat proklamierten und die Legitimität der Republik nachdrücklich hervorhoben. Der demokratische Volkskörper – so lässt sich zuspitzend argumentieren – entthronte und substituierte den monarchischen body politic, eignete sich aber zur gleichen Zeit dessen Repräsentationsräume und -praktiken an, die er freilich transformierte und eigenen Bedürfnissen anzupassen suchte.2 Grundlegende normative Neupositionierungen wurden durch entsprechende zeremonielle Praktiken flankiert. Um den Bruch mit wilhelminischen Gepflogenheiten explizit zu markieren, ersetzte man in Frankfurt den üppigen Prunk, die kostbaren Roben und Uniformen sowie die pompöse Festetikette der Vorkriegsära durch betont schlichte rituelle Formen – etwa das Tragen dunkel gehaltener Kleider –, um dem nüchternenegalitären Zuschnitt der neuen politischen Ordnung sinnfällig Kontur zu 1 2

Vgl. hierzu Christopher M. Clark: Iron Kingdom. The rise and downfall of Prussia, 1600– 1947, London u. a. 2006, S. 596. Vgl. hierzu vor allem Philipp Manows Ausführungen zur „re-semantisierten Idee des politischen Körpers“ des Königs in der Demokratie und ihren spezifischen Repräsentationsmechanismen: Manow: Im Schatten des Königs, S. 10.

1. Die Oper als Ort kollektiver Traditionsstiftung

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verleihen und um gleichsam eine ,neue Sachlichkeit‘ in den Bereich des öffentlichen Zeremoniells einzuschleusen. Komplementär zu diesen Abgrenzungsbestrebungen bemühten sich Kulturschaffende und politische Machthaber, solche Traditions- und Symbolbestände zu besetzen, die Legitimität und Strahlkraft verbürgen und den zutiefst verunsicherten bürgerlichen Schichten Sicherheit und Beständigkeit signalisieren sollten. Zugleich galt es, die parlamentarische Republik als unverzichtbare politische Alternative zu rechts- wie linksradikalen politischen Optionen zu präsentieren. Indem sie sich ostentativ auf die Weimarer Klassik und ihr Ideal der Humanität, der Toleranz und des Weltbürgertums beriefen, wollten die republikanischen Eliten – so formulierte es Friedrich Ebert im Februar 1919 programmatisch in seiner Ansprache zur Eröffnung der verfassunggebenden Nationalversammlung – „die alten Grundlagen deutscher Machtstellung“ ein für allemal hinter sich lassen und sich statt dessen auf die kulturstaatlich-kosmopolitischen Ideale eines Goethe oder Schiller besinnen, um so den Grundstein für ein geläutertes, besseres Deutschland zu legen.3 Für die politische Festkultur Frankfurts wurde dieses Ansinnen stilprägend, und als zentraler Ort städtischer Öffentlichkeit wurde das Opernhaus auch in diesen Prozess einer symbolpolitischen Neuausrichtung einbezogen. Gerade bei überregional bedeutsamen Festanlässen verständigte man sich darauf, vornehmlich Werke von Mozart und Beethoven aufzuführen. Damit leitete man in der Geburtsstadt Goethes eine Engführung von Weimarer und Wiener Klassik in die Wege, mit der die Stadt als eine ,zweite Hauptstadt‘ der Republik profiliert werden sollte. Geschichtspolitisch relevante Jahrestage lieferten willkommene Anlässe, die noch ungeübten Rituale einer republikanischen Symbolpolitik zu verfeinern. Der 75. Jahrestag der 1848er Revolution wurde 1923 vom Reich und der Stadt Frankfurt mit großem Aplomb gefeiert: Hier bot sich die Gelegenheit, die instabile und von vielen Seiten abgelehnte Republik in historisch bedeutsamen Traditionslinien zu verorten und so die Last permanenter Legitimationsdefizite zu mildern. Im Gesamtarrangement des Festtages avancierte die Aufführung von Beethovens Revolutions- und Befreiungsoper Fidelio zum festlichen Höhepunkt. Wie kaum ein anderes Werk – so notierte der Philosoph und Musikliebhaber Ernst Bloch, der sich vor allem in seinem philosophischen Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung immer wieder mit Musik auseinandersetzte – ,bezeichnete gerade diese Oper das „tönend dargestellte Wunschland“ von Neubeginn und Freiheit.4 Bloch gestand der Musik im Vergleich zu anderen Künsten ganz besondere sozialutopische Qualitäten zu, die ihr die Macht verliehen, Orte der „Selbstbegegnung mit Unordnung“ zu kreieren, die zugleich die Möglichkeit 3 4

Die Rede Friedrich Eberts wird zitiert nach Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 194. Vgl. diese Deutung von Beethovens Fidelio in Bloch: Prunk, Elysium in Oper und Oratorium, S. 974.

540

IV. Schlussbemerkungen

eröffneten, „Diagramme einer anderen Ordnung“ zu ersinnen.5 Auch im Verlauf der Paulskirchenfeier wurden diese Potenziale von Musik abgerufen. Beethovens Fidelio wurde in den Rang einer Festoper der Republik erhoben, stattete die Oper diese doch mit einer bezugreichen Meistererzählung aus. So jedenfalls lässt sich argumentieren, wenn man den konkreten Verlauf der Frankfurter Paulskirchenfeier rekapituliert. Das triumphale Opernfinale des Fidelio fand seine Entsprechung in einem nächtlichen Fackelzug und einer anschließenden Festkundgebung auf dem Opernplatz, so dass Opernfinale und Revolutionsfest ineinander übergingen und einander verstärkten. Im nächtlichen Festakt vor dem Opernhaus sahen viele zeitgenössische Beobachter einen Höhepunkt republikanischer Festkultur. Hier wiederholte die versammelte Menge den in der Oper beschworenen ,großen Augenblick‘ gemeinsamen Jubels und gemeinschaftlicher Verbundenheit – eine spontane Geste, die das gleichsam mythische Ideal authentischer gemeinschaftlicher Freude zu realisieren schien und noch nicht jene Form der „Ersatz participation“ darstellte, die die faschistischen Massenkundgebungen späterer Jahre kennzeichnen sollte, als die Straßen und Plätze der Städte zu Schauplätzen faschistischer Staatsspektakel wurden, die den versammelten Zuschauermassen einen vornehmlich passiven, lediglich akklamierenden Status zuwiesen.6 Das Beispiel der Paulskirchenfeier legt darüber hinaus nahe, dass das Musiktheater keinesfalls als eine Art ,Wiederverzauberungsmaschine‘ wirkte. Es bezeichnete gerade keinen kompensatorischen Rückzugsraum, der für Momente die Flucht aus einer bedrückenden Realität ermöglichte und die Zumutungen disparater Selbst- und Weltwahrnehmungen dämpfte. Im Gegenteil thematisierte es Brüche und Dissonanzen und lässt sich deshalb eher im Sinne einer „Inventio dessen, [. . . ] was fehlt“, „was im Gefühl des Fehlenden stärkt und bestärkt“, beschreiben.7 In seinen musikästhetischen Überlegungen bescheinigte Bloch der Musik eine dezidiert experimentelle Funktion: Gerade aufgrund ihrer besonderen Affinität zu Fest und Repräsentation, zur „Schaubarkeit des Glanzes“, könne sie daran mitwirken, mögliche Brüche einer krisenhaften Alltagserfahrung nicht zu verhehlen, sondern produktiv zu bearbeiten und auf diese Weise eine gemeinsam geteilte und bewohnbare Gegenwart herzustellen.8 Die Studien zur Frankfurter Goethewoche und zur Paulskirchenfeier öffnen damit den Blick für die besondere Dynamik, mit

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7

8

Ernst Bloch: Tonmalerei, nochmals Naturwerk, die Intensität und Moralität Musik, in: ders.: Das Prinzip Hoffnung [1954–1959], Frankfurt a.M. 1985, S. 1279. Zur Kulturgeschichte kollektiver Freude und zur ihrer Instrumentalisierung durch die faschistischen Bewegungen der Moderne vgl. vor allem Barbara Ehrenreich: Dancing in the streets. A history of collective joy, New York 2006, S. 199. Ernst Bloch: Die Nymphe Syrinx oder erste Musik, in: ders.: Der unbemerkte Augenblick. Feuilletons für die „Frankfurter Zeitung“. 1916–1934, hrsg. v. Ralf Becker, Frankfurt a.M. 2007, S. 330–335, hier S. 335. Bloch: Prunk, Elysium in Oper und Oratorium, S. 969.

1. Die Oper als Ort kollektiver Traditionsstiftung

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der die Oper Prozesse der politischen Traditions- und Sinnstiftung hervorrief und vorantrieb.

2. Strategien der Selbstreferentialität: Das Musiktheater im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik Gerade in der Umbruchphase zwischen 1890 und 1930 lässt sich allerdings auch beobachten, dass etablierte Traditionslinien modifiziert oder in neuartige semantische Rahmungen eingepasst werden mussten. Das Musiktheater hatte entscheidenden Anteil an diesen Prozessen der Resemantisierung; denn es bot den beteiligten Künstlern, Kritikern und Zuschauern Gelegenheit, sich selbtstreflexiv mit eigenen Traditionsbeständen auseinanderzusetzen, sich von diesen zu distanzieren oder sie affirmativ zu bekräftigen und fortzuschreiben. Damit lässt sich die Oper in den Jahren nach 1918 auch als eine Arena der Vergangenheitsbewältigung und der tastenden Suche nach gelingender Selbstverortung beschreiben. Die intensive Auseinandersetzung mit und die explizite Bezugnahme auf die unmittelbare Vorkriegsära waren dabei für beide Stadtkulturen kennzeichnend. In dem bereits Ende 1918 von alliierten Truppen besetzten Wiesbaden wurde die Ära des Wilhelminismus rasch als exemplarische Referenzepoche begriffen und von Teilen der Presse mit dem Nimbus nationalkulturellen Glanzes ausgestattet. Gerade die Jahre zwischen 1890 und 1914 wurden von weiten Teilen der städtischen Öffentlichkeit nun emphatisch zu einer Zeitspanne politischer Stabilität und Machtfülle, wirtschaftlicher Prosperität und kultureller Blüte erklärt, die durch die weltpolitischen Ambitionen der monarchischen Reichsspitze gesichert worden waren. Demgegenüber fielen nostalgische Reminiszenzen an das Kaiserreich in Frankfurt insgesamt deutlich verhaltener aus; denn die Stadt berief sich vor allem auf jene Facetten ihrer urbanen Tradition, mit denen sich Zurückhaltung und Kritik gegenüber dem wilhelminisch-preußischen Machtstaat signalisieren ließ. Im sicheren Wissen um eine bedeutsame republikanischparlamentarische politische Kultur tat sich Frankfurt sichtlich leichter damit, sich von kaiserzeitlichen Konventionen abzusetzen und neuartigen symbolischen Referenzordnungen das Feld zu bereiten. Die politische Festkultur Frankfurts gestaltete die neue Ära der Nachkriegsjahre so von Anfang an affirmierend mit und behauptete sich als Impulsgeber einer republikanischen Traditionsstiftung. Eine vergleichende Gegenüberstellung beider städtischer Festkulturen erlaubt es abermals, charakteristische Entwicklungslinien nachzuzeichnen und die divergierende Funktionalität und Ausgestaltung geschichts- und symbolpolitischer Maßnahmen zu dokumentieren. Verschiedenartige Modi der Selbstpositionierung gegenüber kaiserzeitlichen Traditionsbeständen waren dabei für die Weimarer Jahre mit ihrer Suche nach rückversichernden Symbolen und Ritualen in besonderem Maße cha-

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IV. Schlussbemerkungen

rakteristisch. Als beispielsweise der Wiesbadener Intendant Paul Bekker 1928 die Tradition der Maifestspiele wiederbelebte und zugleich reformierte, indem er sie den Idealvorstellungen eines republikanischen Volks- und Kulturtheaters anpasste, hatte er sich intensiv mit der nahezu mythisch verklärten Ära der Kaiserfestspiele auseinanderzusetzen. Seine republikanische Festspielidee griff schließlich auf die Form des repräsentativen Festes zurück, füllte sie aber mit neuen Inhalten und markierte somit bei allen Kompromissgesten ausdrücklich den Bruch mit der Vergangenheit. Hatten die Kaiserfestspiele offensiv eine nationalkulturelle Kunstreligion propagiert und einen mitunter ins Pompöse ausgeweiteten Kaiser- und Reichskult betrieben, trat nun der Gedanke des produktiven und kritischen Austauschs zwischen Bühnenschaffenden, Publikum und Kritik in den Vordergrund. Dies entsprach Bekkers Ideal einer lebendigen Kulturgemeinschaft, in der das Musiktheater die Rolle eines öffentlichen Laboratoriums einnehmen sollte. Einer sich wandelnden Gesellschaft wollte der Intendant Gelegenheit zu kritisch-reflexiver Selbstverortung bieten. Aufruhend auf dem gemeinsamen ästhetischen Erlebnis wollte er mit dem Musiktheater eine experimentelle Plattform ins Leben rufen, auf der neuartige Möglichkeiten des staatlichen, kulturpolitischen und gesellschaftlichen Miteinanders erprobt werden sollten. Selbstreferentielle Bezugnahmen auf die eigene Vergangenheit spielten auch im Frankfurt der 1920er Jahre eine wichtige Rolle. Großereignisse wie die Kulturmesse Sommer der Musik (1927) oder das 50. Jubiläum des Opernhauses (1930) richteten sich an herausragenden events der Vorkriegsära aus, um aktuellen Anlässen eine historische Tiefendimension zu verleihen und eine ungebrochene urbane Festtradition behaupten beziehungsweise etablieren zu können. Allerdings legen die ausgearbeiteten Fallstudien nahe, dass die Vorkriegsära hierbei weniger als negatives Zerrbild denn als Ideal gelingenden bürgerschaftlichen Zusammenhalts und erfolgreicher Selbsttransformation eingeschätzt wurde. Gerne berief sich Frankfurt auf die jahrhundertealte Prägekraft seiner stadtbürgerlichen Traditionen, die für kultivierte Selbstsicherheit, urbanen Glanz und tolerante Weltoffenheit einstanden und in einer Zeit tiefgreifender Veränderung Stabilität und Kontinuität versprachen. Besonders prononciert spiegelt sich dies in den Opernjubiläen der Jahre 1905 und 1930 wider: Beide Male bot das Jubiläum Anlass, den Stellenwert des Opernhauses innerhalb der städtischen Öffentlichkeit zu überprüfen. Zudem aber initiierten die beiden Jahrestage Debatten über allgemein verbindliche Idealbilder städtischer Gemeinschaft. 1905 schlug man dabei einen zumeist selbstsicheren Ton an: Mit großem Aplomb feierte sich Frankfurt in einem eigens zum Jubiläum gedichteten Festspiel selbst und stellte sich dabei stolz als Hort bürgerlich-liberaler Tugenden vor. Das Festspiel erhob die Goethestadt kurzerhand zum Pendant zu Wagners Meistersinger-civitas und endete in einer Apotheose stadtbürgerlicher Traditionsbestände, indem das Schlussbild das zu feiernde Opernhaus präsentierte und damit die Stadt Frankfurt selbst zum Kunstwerk erhob. Über fünf Jahrzehnte hinweg

2. Musiktheater im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik

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blieb die Oper als Bewahrungsort dieses Idealbildes urbanen Glanzes intakt, wenngleich es 1930 eines wesentlich größeren Aufwandes bedurfte, um eine lebendige Tradition bürgerschaftlicher Kulturpflege und kosmopolitischen Self-fashionings aufrechterhalten zu können. Immer wieder erinnerte man im Oktober 1930 deshalb an die Feier des 25. Opernjubiläums im Herbst 1905, bei dem das Opernhaus noch in selbstverständlicher Manier als generationen-, schichten- und parteiübergreifender Versammlungs- und Festort gefeiert und zum unverzichtbaren Bestandteil einer bürgerlich-großstädtischen Lebenswelt verklärt worden war. 1930 ließ sich dies freilich nicht selbstverständlich wiederholen, und mit einer Mischung aus Sorge und sozialromantischer Nostalgie wies die Presse 1930 darauf hin, dass die Oper seit jeher dazu beigetragen habe, schichten- und generationenspezifische Bruchlinien zu überwinden, zumindest aber produktiv zu bearbeiten. Immer deutlicher aber wurden in dieser Spätphase der Weimarer Republik die Gräben sichtbar, die im Zuge der politischen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre entstanden waren und die fortschreitende Erosion der bürgerlichen Lebenswelten bewirkt hatten. Eindringlich rekurrierten die Zeitungsfeuilletons 1930 daher auf das Jubiläum des Jahres 1905, das zum Sinnbild gelingender städtischer Vergemeinschaftung und urbaner Pracht aufgewertet wurde. Indem der öffentliche Diskurs das Erlöschen dieses urbanen Ideals beklagte und vor einem irreversiblen Bruch mit einem wichtigen Strang städtischer Geschichte warnte, wurde die Oper als symbolischer Hort stadtbürgerlicher Identität und Praxis entworfen. Auch der Frankfurter Kultursommer des Jahres 1927, die erste große internationale Ausstellung auf deutschem Boden nach dem Ende des Krieges, wollte explizit eine städtische Tradition wieder aufgreifen, die mit der Elektrotechnischen Ausstellung des Jahres 1891 begonnen hatte. Das ReflexivWerden der städtischen Festkultur lässt sich hier nicht nur anhand einzelner Kommentare in der lokalen Presse beobachten, sondern fand unmittelbar Einlass in die dargebotenen Festreden der städtischen Eliten. Frankfurts Oberbürgermeister etwa hob in seiner Begrüßungsansprache im Opernhaus die Kontinuitätslinien zwischen beiden Projekten ausdrücklich hervor, indem er die Elektrotechnische Ausstellung zum Vorbild des Sommers der Musik erklärte und auf die weltweite Signalwirkung verwies, die die technische Messe des Jahres 1891 zu entfalten vermocht hatte. Diese direkte Bezugnahme formte zugleich zeitgenössische Wunschbilder großstädtischer Bedeutung aus, stand damit doch ein Maßstab zur Verfügung, an dem sich der Sommer der Musik seinerseits messen lassen wollte. Während man 1891 den Siegeszug der technischen Moderne gefeiert und in der Elektrizität globalen wissenschaftlichen Fortschritt, bürgerlichen Leistungswillen und ein optimistisches Geschichtsbild versinnbildlich sah, sollte 1927 die Musik eine völkerverbindende Kommunikation in Gang setzen und dazu beitragen, die Wunden der trennenden Vergangenheit durch das Erleben einer gemeinsamen Menschheitskultur zu heilen. Beide Male stilisierte sich die Stadt dabei

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IV. Schlussbemerkungen

zum visionären Pionier von Modernität, Humanismus und Fortschritt, um ihren besonderen Rang im Kreis deutscher, aber auch europäischer Großstädte sichern zu können. Die Ausstellungsprojekte vertrauten dabei jeweils auf die zeremonielle Strahlkraft der städtischen Oper, die 1891 zum Sinnbild einer europäischen Bürgerkultur und 1927 gleichsam zur Geburtsstätte einer dann sogar weltweiten, ästhetisch modellierten Verständigung erkoren wurde. Die 1891 und 1927 aufgeführten Festopern Cavalleria rusticana und Fidelio fügten sich bruchlos in die symbolische Textur der beiden Festanlässe ein, indem sie deren Leitmotive in einprägsame Bild- und Klangwelten überführten und somit ein beziehungsreiches semantisches Netz knüpften. 1891 beispielsweise wurde der Komponist Pietro Mascagni von der lokalen Presse als bürgerlicher selfmade-man beschrieben, den Geschick, Leistungsbereitschaft und Selbstdisziplin an die Spitze der europäischen Opernkultur geführt hatten, und auch seine Cavalleria bejubelte man als Glanzstück virtuoser Erfindungsgabe. Mithin wurden Komponist und Oper mit ganz ähnlichen Attributen belegt wie jene Wissenschaftler, Ingenieure und Politiker, die den Siegeszug der Technik- und Naturwissenschaften verantwortet und die zu würdigenden Ausstellungsexponate hervorgebracht beziehungsweise versammelt hatten. Technische und kulturelle Moderne wurden auf diesem Weg miteinander kurzgeschlossen und als Ausdruck ein und desselben dynamisch-optimistischen Zeitgeists begriffen. Als Wegbereiterin eines umfassenden Kulturfortschrittes wollte auch die Kulturmesse des Jahres 1927 wahrgenommen werden. Hatte man 1891 Mascagni die Elektrotechnische Ausstellung ästhetisch personifizieren lassen, so berief man sich im Todesjahr Ludwig van Beethovens nun auf jenen Komponisten, dessen Werk einen nahezu weltumspannend-universalen Humanismus zu verkörpern schien und somit zum ideellen Fundament der Ausstellung Musik im Leben der Völker erhoben werden konnte. Repräsentative Vertreter europäischer Kunstmusik bildeten den gemeinsamen symbolischen Fixpunkt beider Ausstellungsprojekte und ermöglichten es der Goethestadt, die eigene Vergangenheit in einer kosmopolitisch-liberalen Tradition zu situieren. Indem es zusehends einen Raum für Momente selbstreferentieller Verortung und Reflexion anbot, profilierte sich das Musiktheater mithin als Arena geschichtspolitischer Auseinandersetzung: Hier war der Ort, an dem spezifische Traditionsbestände relevant gehalten oder aber verworfen werden konnten, wo das Eigene emphatisch bekräftigt oder etablierte Ordnungsentwürfe ostentativ in Frage gestellt wurden.

3. Die Oper als Arena des Austragens von Dissens Dies deutet bereits darauf hin, dass die Oper nachdrücklich in die zeitspezifischen Deutungskämpfe einbezogen wurde, die die Spätphase des ausgehenden Kaiserreiches und die Jahre der Weimarer Republik prägten. Keinesfalls lässt sie sich lediglich als ein beliebig verfügbarer Mechanismus zur Erzeugung gesellschaftlichen Konsenses beschreiben, der den jeweiligen politischen Machthabern zu Gebote stand, um die eigene Herrschaft und bevorzugte politische Weltbilder und Ordnungsmuster mit einer legitimitätsfördernden Aura des Glanzes zu umgeben. Vielmehr evozierten Staatsbesuche und Jahrestage, bei denen Festvorstellungen in der Oper sehr beliebt waren, um den außergewöhnlichen Charakter solcher Begegnungen und Gedenkformen angemessen zu würdigen, immer wieder auch konfliktgeladene und widerstreitende Ausdeutungen der Vergangenheit – vor allem in einer Zeit, in der eine äußerst diversifizierte Presselandschaft es ohnehin nicht mehr erlaubte, die Interpretationshoheit über bestimmte Ereignisse zu wahren. Das Beispiel der Frankfurter Friedensfeier (1896) etwa deutet an, wie sehr die Oper politische Emotionen polarisieren und gegenläufige Interpretationen von Gegenwart und Vergangenheit begünstigen konnte. Das Theater verwandelte sich dabei in einen konfliktträchtigen Raum, in dem politischer Dissens und soziale Distinktion öffentlich bekundet und bearbeitet werden konnten. Während sich beispielsweise die nationalliberale Fraktion um den Frankfurter Bürgermeister betont kaisertreu gab und die „Geburt der Nation aus dem Krieg“ feierte, nutzten die linksliberalen Kräfte das Jubiläumsfest, um Kritik an der militärischen Machtdemonstration Preußens und seiner politischen Repräsentanten zu üben.1 Wiederholt kritisierte gerade die Frankfurter Zeitung die von Kaiser und Armee ostentativ betriebene militärische Zurichtung des Festtages. Mit Nachdruck reklamierte das Blatt daher das städtische Opernhaus als Domäne eines kultivierten, demokratisch organisierten städtischen Bürgertums, das „Freiheit, Wohlfahrt und Gesittung“ ebenso ernst nahm wie die „Durchsetzung des demokratischen Gedankens“ und die allmähliche Herbeiführung des „Weltfriede[ns]“.2 Wagners Meistersinger boten der Zeitung Gelegenheit, ihre eigene Deutung des Festtages vorzutragen und alternative politische Sinnwelten zu imaginieren: Frankfurt wurde kurzerhand als Pendant zu einem friedliebenden und harmonischintegrierten Opern-Nürnberg gedeutet, in dem die Bürgerschaft ihre eigenen Regeln gesellschaftlichen Umgangs festlegen konnte. Indem die Zeitung 1 2

Frank Becker: Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001, S. 292. Frankfurter Zeitung, 10. Mai 1896, Erstes Morgenblatt.

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IV. Schlussbemerkungen

dieses ästhetisch begründete Modell urbaner Egalität und Solidarität auf das Jubiläumsfest übertrug, um auf dieser Basis die militaristischen Beiklänge des Festtages zu kritisieren, nutzte sie die in der Oper angelegten Deutungspotenziale zu einer ebenso eindeutigen wie kontroversen politischen Bekundung. Auch das Beispiel des Wiesbadener Theaterbrandes (1923) legt offen, dass die Oper bestehende Modelle politischer Ordnung zu attackieren vermochte, indem sie kollektive Unzufriedenheiten und Ängste artikulierte. Die vielfach als nationale Schande empfundene alliierte Besatzung des Rheinlandes schien – so deuteten es Presse und Bevölkerung – im Brand des Wiesbadener Theaters eine sinnfällige Entsprechung gefunden zu haben. Das durch die Flammen schwer beschädigte Bühnenhaus wurde vielfach mit dem niedergebeugten Nachkriegsdeutschland gleichgesetzt, so dass seine Wiedererrichtung emphatisch als nationale Heilstat beschrieben und zugleich als Vorgriff auf das Wiedererstarken Deutschlands gedeutet werden konnte. Die Feierlichkeiten zur Wiedereröffnung des Theaters im Winter 1923 gerieten deshalb gleichsam zum nationalen Fest, bei dem die Rückbesinnung auf eigene Traditionsbestände in den Mittelpunkt gerückt und der Widerstand gegen die alliierten Besatzer, aber auch gegen das vermeintlich hilflos-schwache ,Weimarer System‘ und seine angebliche ,Erfüllungspolitik‘ mobilisiert werden konnten. Aktuelle Bedrohungsszenarien und Erlösungsphantasien wurden dabei auf Wagners Lohengrin projiziert, der zum Kollektivsymbol nationaler Größe und nationalen Selbstbehauptungswillens avancierte und ein Ventil gegenwärtiger Problemlagen bereit zu stellen versprach. So wurde die Oper zum Manifest nationalkultureller Widerstandsbereitschaft und Einheit erhoben.

4. Die Oper als Rahmen politischen Bekennens Der Vorschlag, die einzelnen Festanlässe nach ihren verschiedenen Modi der Referenz zu differenzieren, trägt allerdings noch weiter. Denn die Fallstudien zur Weimarer Zeit lassen nicht nur historische Bezüge und Bezugnahmen auf allgemeine Kollektivsymbole wie Goethe und Beethoven hervortreten, sondern sie machen noch eine weitere Weise der politischen Referenz sichtbar, die einen markanten Bruch mit der Kaiserzeit bedeutete und der politischen Kultur der Weimarer Republik eine ihrer Eigenarten verlieh. Indem man den Formen selbstreferentieller Bezugnahme weiter nachspürt, können interne Bedeutungsverschiebungen und Funktionsveränderungen diagnostiziert werden, die auf einen Funktionswandel des Musiktheaters als sozialer Praxis hindeuten. Wilhelm II. hatte seine präzise choreographierten Auftritte im Wiesbadener Theater schweigend absolviert und allein die halboffiziell gehaltenen Pausen dazu genutzt, um ausgewählte Persönlichkeiten zu empfangen und ins Gespräch zu ziehen. Vertreter der Presse beobachteten zwar auch diese Intermezzi genauestens und notierten akribisch, welchen Eindruck der Kaiser vermittelte und wem er besondere Aufmerksamkeit schenkte. Die direkte Kommunikation mit dem Publikum beschränkte sich aber weitgehend auf ritualisierte Gesten wie die grüßende Verneigung vor einer applaudierenden Zuhörerschaft. In der Frankfurter Oper der Weimarer Zeit dagegen wurden im Zuge von Festanlässen zahlreiche Reden und Begrüßungsadressen gehalten und vorgetragen, in denen die Vortragenden sich selbst thematisierten und ihre eigenen politischen Überzeugungen zum Gegenstand machten. Die Oper als Ort des scheinbar politikfernen Spiels, der großen Geste und des eindrücklichen Gefühlsausbruchs rahmte also Äußerungen authentischen politischen Bekennens und leidenschaftlichen Werbens.1 Die Selbstreferenz des redenden politischen Subjekts sollte einstehen für die Legitimität der neuen politischen Ordnung. Der schon für die Kaiserzeit konstatierte Selbstbezug des Geschehens wanderte von dem Gesamtarrangement in eine der Figuren, den Redner nämlich, der sich auf der Bühne stehend bekannte und seine eigenen Überzeugungen für das große Gan1

Forschungen zum politischen Bekenntnis sind vergleichsweise rar. Vgl. jüngst, wenn auch für das hier entwickelte Argument wenig ergiebig: Christian Hiebaum: Bekenntnis und Interesse. Essay über den Ernst in der Politik, Berlin 2008. Ausführlich zur kommunikativen Struktur des Bekennens in religiösen Kontexten: Edmund Arens: Bezeugen und Bekennen. Elementare Handlungen des Glaubens, Düsseldorf 1989, S. 169ff. Arens’ Betonung der situativen Einbettung des Bekennens wird im Folgenden eine wichtige Rolle spielen und auf die Form des politischen Bekenntnisses übertragen.

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IV. Schlussbemerkungen

ze der politischen Ordnung aus dieser exponierten Stellung heraus in die Waagschale warf. Blickt man noch einmal auf so vielbeachtete öffentliche Feiern wie die Frankfurter Goethewoche oder den Sommer der Musik, so fallen diese grundlegend neuartigen Aspekte der politischen Festkultur der Weimarer Jahre auf. Politiker wie Friedrich Ebert, Ludwig Landmann, Gustav Stresemann und Édouard Herriot, aber auch Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann – sie alle traten bei der Frankfurter Goethewoche, der Paulskirchenfeier oder im Verlauf des Sommers der Musik in den Räumen der Frankfurter Oper vor ein zahlreich versammeltes Publikum. In direkter Rede wandten sie sich dabei an ihre Zuhörer und warben um Unterstützung für die neue politische Ordnung Deutschlands. Insbesondere für die politische Festkultur Frankfurts ist jener Wandel öffentlicher Repräsentations- und Kommunikationsmodi zu konstatieren. Da sich die Goethestadt als Hauptort einer ,neuen Ära‘ präsentierte, musste sie diesem Ansinnen durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen Nachdruck verleihen. Demonstrativ bezog man das städtische Opernhaus in diesen Prozess symbolpolitischer Neuverortung ein, und so wurden – zumeist im Vorfeld der eigentlichen Opernaufführungen – politische Standpunkte geäußert, Appelle formuliert und Visionen entworfen. Seit jeher ein Raum der großen Geste und der pathetischen Gefühlsäußerung, ließ sich die Oper auch als Bühne der leidenschaftlichen politischen Rede wie der kulturpolitischen Reflexion in Anspruch nehmen. Die dramaturgische Logik des Gesamtkunstwerks Oper wurde auf diese Weise in den politischen Diskurs und die Sphäre politischer Repräsentation eingeschleust. Gerne wurde dabei betont, wie innig Ästhetik und Politik aufeinander bezogen waren: Freimütig bekundete etwa Reichsinnenminister Adolf Köster bei der Goethewoche die enge Verbundenheit von Staat und Kultur und forderte seine Zuhörerschaft dazu auf, sich im neuen ,Staatenhaus‘ der Republik ebenso selbstverständlich einzurichten wie im bergenden Tempel nationaler Kultur, für die Ikonen wie Goethe und Mozart stellvertretend standen. So diversifiziert und umkämpft die politische Kultur der Weimarer Republik insgesamt war, so verschiedenartig waren auch die untersuchten bekenntnishaften Sequenzen. Stets waren sie Teil eines jeweils individuellen semantischen Gesamtgefüges. Während der Goethewoche bot die Oper prominenten Vertretern der kulturellen und politischen Eliten Gelegenheit, sich persönlich an einem umfassenderen Geschehen symbolischer Selbstlegitimation zu beteiligen und die Weimarer Republik in einer Tradition zu verorten, für die ein humanistisches Bildungsideal, weltbürgerliche Toleranz und politischer Liberalismus als konstitutiv zu gelten hatten. Mit Hilfe dieser konzertierten, die Republik affirmierenden Stellungnahmen seitens prominenter Intellektueller und Politiker wurde gewissermaßen ein zweiter, symbolischer Gründungsakt der Republik angestrebt, der einerseits die fragile politische Ordnung stabilisieren sollte, andererseits aber auch die Goethestadt Frankfurt zu einem Zentrum der politischen Kultur Weimars erhob.

4. Die Oper als Rahmen politischen Bekennens

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Da sich die Veranstaltungen der Goethewoche vornehmlich an die kleine und exklusive Gruppe des Opernpublikums gewandt hatte, versuchte man 1923 mit dem Paulskirchenjubiläum einen breiteren Adressatenkreis zu erreichen. Eine sorgfältige, kontinuierliche Staffelung von Öffentlichkeit war daher eines der herausragenden Kennzeichen dieses Festanlasses. Zwar blieb die Oper selbst einem vorwiegend bildungsbürgerlichen Publikum vorbehalten. Zugleich aber öffnete sie sich zu der auf dem Opernplatz versammelten Menge, die sich nach der Festvorstellung des Fidelio hier zusammenfand, um die Ansprache von Reichspräsident Ebert zu hören. Bei dieser Gelegenheit diente der Balkon des Opernhauses als Brücke zwischen der auf der Bühne inszenierten Revolutionsfeier und dem öffentlichem Fest auf dem Opernplatz. Diese exponierte, weithin sichtbare Rednertribüne bot dem Staatsoberhaupt die Gelegenheit zu einem eindrücklichen Akt politischen Bekennens zur Republik. Indem also Oper, Fest und Bekenntnis zu einem stimmigen Arrangement zusammengefügt wurden, gelang es den städtischen und staatlichen Eliten, ihre politischen Intentionen mit einem hohen Grad symbolischer Eindeutigkeit zu versehen – bei allem zu konstatierenden ästhetischen Überschuss. Beim Frankfurt-Besuch von Reichspräsident Hindenburg im November 1925 hingegen wurde das Opernhaus zur Kulisse widerstreitender Bekenntniskulturen. Die Anwesenheit des Staatsoberhauptes, die im Zeichen gesellschaftlicher Einheit und politischer Geschlossenheit zu stehen beanspruchte, beförderte zugleich die öffentliche Zerklüftung politischer Weltbilder, da Oberbürgermeister Landmann und Reichspräsident Hindenburg offen antagonistische Vorstellungen politischer und gesellschaftlicher Ordnung vertraten und nach außen kommunizierten. Während Landmann einem eher linksliberal ausgerichteten Politikkonzept anhing und den völkisch-rechtskonservativen Vereinigungen Frankfurts die Teilnahme am Festakt im Opernhaus rundweg untersagt hatte, unterließ es Hindenburg, sich bei seiner Ansprache vom Balkon des Opernhauses dezidiert zur politischen Ordnung der Republik zu bekennen. Mehr noch, durch seine kalkuliert vage Semantik der nationalen Verbundenheit und Ganzheit machte er sich adressierbar für widerstreitende politische Meinungen. Diese internen Dissens ebenso wie ideologische Reserven gegenüber der Republik tolerierende Haltung konnte auch durch die eigens angesetzte Festvorstellung von Mozarts Die Hochzeit des Figaro nicht in allgemeine Einmütigkeit überführt werden. Obwohl das Werk die für die politische Festkultur Frankfurts charakteristische programmatische Rückbindung an die Wiener Klassik einlöste und mit seinen satirischen Qualitäten die höfische Ordnung des 18. Jahrhunderts in Frage stellte, konnte es im Kontext des Hindenburg-Besuches nicht vorbehaltlos als Element einer ästhetischen Bekenntniskultur begriffen werden, die sich von den nationalistischen Tendenzen des späten 19. Jahrhunderts lossagen wollte. Mithin verdeutlicht gerade dieses Beispiel, dass die Oper als Kulisse des leidenschaftlichen Bekenntnisses mitunter zum Schauplatz eines unverhohlenen politischen Disputs werden konnte. Wer sich hier vor

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IV. Schlussbemerkungen

einem ausgewählten Festpublikum oder einer zahlreich versammelten Menge zeigen konnte, wessen Wort hier Gehör fand, der konnte dies als Gradmesser seines öffentlichen Einflusses werten. Entsprechend bot die Oper nicht nur einen Rahmen für Auseinandersetzungen, sondern weckte überdies unterschiedliche Ambitionen, ihren Symbolwert mit divergierenden politischen Positionen aufzuladen. Die Ausweitung einer nationalen republikanischen Bekenntniskultur hin zu einer europäischen, wenn nicht gar globalen Kultur gegenseitiger Toleranz und Kooperation stand im Zentrum der Weltkulturausstellung Musik im Leben der Völker (1927), deren feierliche Eröffnungszeremonie im Frankfurter Opernhaus eine dritte Variante des öffentlichen politischen Bekenntnisses darstellt. Die Kulturmesse begriff sich emphatisch als symbolische Bekräftigung des kurz zuvor unterzeichneten Locarno-Vertrages und bot den zahlreich nach Frankfurt gereisten Vertretern der europäischen Staatenwelt Gelegenheit, gemeinsame Werte- und Erfahrungswelten zu generieren und dadurch die Wiederannäherung des durch Krieg, Inflation und Besatzung nach wie vor gespaltenen Europa in die Wege zu leiten. Zahlreiche Festredner bekräftigten dieses Vorhaben in ihren Ansprachen. Viel beachteter Höhepunkt der Eröffnungsfeier war eine Aufführung des Fidelio, die die in vielen Ansprachen transportierte Semantik von Freiheit, Neubeginn und Solidarität wirkungsvoll aufgriff und damit die Anliegen europäischer Verständigungspolitik in Szene setzen konnte. Beethovens Oper avancierte somit im Sinne Blochs zu einer „Inventio dessen [. . . ], was fehlt“ – nicht indem sie über das Fehlende hinwegtröstete, sondern indem sie ein Ausdrucksmittel bereit stellte, mit dem das Fehlende artikuliert und neue Visionen gelingenden politischen Handelns formuliert werden konnten.2

2

Bloch: Die Nymphe Syrinx oder erste Musik, S. 335.

5. Zwischen Utopie und Nostalgie. Die Oper in der Spätphase der Weimarer Republik Als Frankfurt wenige Jahre später das 50. Jubiläum seines Opernhauses feierte (1930), hatte sich der politische Horizont bereits erheblich verdüstert. Parallel diagnostizierten Publizisten und Künstler eine allseitige Opernkrise, die zugleich als eine Krise der Gesellschaft interpretiert wurde und die Furcht vor sozialer Desintegration schürte. Anhand eines bunten Reigens prominenter Opernwerke – von Beethovens Fidelio über Wagners Lohengrin bis hin zu Richard Strauss’ Rosenkavalier – ließen die verantwortlichen Frankfurter Kulturpolitiker daher noch einmal jene Glanzzeit nationaler Musikkultur Revue passieren, in der die Oper das repräsentative „Triumphland“ eines optimistisch-selbstsicheren Bürgertums umschrieben hatte.1 Gleichzeitig mischten sich nostalgische, wenn nicht gar resignierende Untertöne in diese Rückschau. Wie sehr die Presse auch das Idealbild schichten- und parteiübergreifender Harmonie und großstädtischen Glanzes beschwor und die Oper zum Zentrum urbaner Vergemeinschaftung erkor, ihren durch und durch bemühten Charakter konnten diese Stilisierungen nicht mehr verhehlen. Im Unterschied zum Opernjubiläum des Jahres 1905 war die Oper nicht länger jener bergende ,Tempel‘, in dem die städtische Gesellschaft hervorgebracht werden konnte. Oftmals wurde sie geradezu als eine Art von Museum angesehen, dessen kostbare Exponate ihre einstige Strahlkraft allerdings nur noch zitieren konnten, aber nicht länger imstande waren, wirkmächtige Impulse zu geben. Aufmerksamkeit erregte lediglich die Aufführung von Bert Brechts und Kurt Weills schonungslos dekonstruierender Opernparabel Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny: Das Werk, das die Selbstzerstörung einer Stadtgesellschaft auf die Bühne brachte und in einem bürgerkriegsähnlichen Schlussbild endete, führte die Operntradition der „Haupt- und Staatsaktionen mit beliehener oder eigener Aurora“ und „siegreiche[m] Opernfinale“2 endgültig ad absurdum, indem es das Publikum in drastischen Bildern mit der alltäglich erlebbaren sozialen wie parteipolitischen Zerklüftung und mit den daraus resultierenden Gewaltpotenzialen konfrontierte, die die gesellschaftliche Ordnung zunehmend gefährdeten. Kaum verwundert es, dass die Aufführung der Oper den erwarteten Theaterskandal nach sich zog und gewalttätige Reaktionen von Seiten rechtskonservativer Kreise auslöste. Die nostalgische, in melancholische Introspektion flüchtende Rückschau und die offen provozierende Demontage des etablierten Werkkanons kön1 2

Bloch: Prunk, Elysium in Oper und Oratorium, S. 971. Ebd.

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IV. Schlussbemerkungen

nen als komplementäre Phänomene gedeutet werden, verweisen doch beide auf die schwindende Bindekraft der Oper als Ort und Medium lebendiger kollektiver Imagination. Für diese Annahme spricht auch der Vergleich mit der Festkultur Wiesbadens, wo Paul Bekker mit seinem Versuch, eine eigenständige, Tradition und Moderne synthetisierende Festspieltradition zu etablieren, am Widerstand des Publikums und den antisemitischen Angriffen rechtskonservativ-völkischer Kreise scheiterte. Die Wiederaufnahme der ,Spezialbearbeitung‘ von Webers Oberon in das Programm der Maifestspiele (1932) signalisierte, dass man sich auch hier in eine vermeintlich bergende Tradition zurückzog. Altbekannte Bild- und Klangmotive beschworen wehmütig die verlorene Aura kaiserzeitlicher Opulenz und Sicherheit herauf und stellten damit abermals einen selbstreferentiellen Bezug her, der nun jedoch nur sehr bedingt eine lebendige Wiederaufnahme und produktive Weiterführung einer Identität verbürgenden Tradition erreichte, sondern viel eher eine nostalgische Reminiszenz an eine niedergegangene Ära bezeichnete. Die groß angelegten Feierlichkeiten angesichts des alliierten Truppenabzugs im Juli 1930 schließlich offenbarten ebenfalls die schwindende Integrationskraft der Oper, die immer mehr auf ihren musealen Status herabgestimmt wurde. Auch hier bot man dem Publikum eine Reihe erprobter Klassiker wie Wagners Meistersinger, Mozarts Zauberflöte oder Gerhart Hauptmanns Florian Geyer dar. Obwohl die lokale Presse den Stellenwert eines nationalkulturellen Opern- und Schauspielkanons demonstrativ hervorhob und in den genannten Werken nationale Geschlossenheit und Widerstandsbereitschaft eindrücklich vermittelt sah, stellte sich der erhoffte Erfolg nicht ein. Vielfach waren die Festvorstellungen nur mäßig besucht und vermochten es nicht, eine besondere, der Signifikanz des Ereignisses gemäße Wirkmacht zu entfalten. Einen überwältigenden Erfolg bei Publikum und Presse konnte demgegenüber das eigens für diesen Anlass verfasste Freilichtfestspiel Deutschlands Strom für sich verbuchen, bei dem Tausende von Statisten mitwirkten, und das auf einem freien Platz stattfand, der rund 10 000 Zuschauer fassen konnte. Das Spektakel wurde von Veranstaltern und Presse emphatisch als Wiedergeburt einer organischen Volksgemeinschaft gefeiert. Dass Reichspräsident Hindenburg eigens zu den Feierlichkeiten nach Wiesbaden gereist war, befeuerte den Jubel über das Wiedererstarken des nationalen Gedankens zusätzlich. Hatten Wagners Meistersinger ihre Festwiese noch auf der Opernbühne errichtet und von dort ihre mahnende Aufforderung, die Einheit stiftende Wirkmacht deutscher Kunst zu beherzigen, ins Publikum gesungen, so hatte sich die Wiesbadener Befreiungsfeier kurzerhand ihre eigene Festwiese geschaffen. Deutlicher hätte man den Bedeutungsverlust der Oper als Ort kollektiver Vergemeinschaftung und politischer Repräsentation nicht markieren können als durch diesen Auszug der Stadtgesellschaft und der politischen Eliten auf die Wiesbadener Festwiese.

Quellen und Literatur Quellen Archivbestände Berlin Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK): I. HA, Rep. 89, Geh. Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 21201, Nr. 21204, Nr. 21198 I. HA, Rep. 90 A, Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 4435, Nr. 2405, Nr. 2406 I. HA, Rep. 151 Finanzministerium, HB, Nr. 1225 I. HA, Rep. 151, Finanzministerium, IC, Nr. 8201, Nr. 8202 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Bestände der Musikabteilung, Mus. Ep. P. Bekker 177

Frankfurt am Main Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Inst. f. StG Ffm): Akten der Stadtverordnetenversammlung: 1.468, 1.647, 1.934, 1.936 Magistratsakten: R 31, R 154 (Bd. I–II), S 1779 (Bd. IV), S 1792 (Bd. I–II), S 2261 (Bd. I), S 2303, S 2587 (Bd. I–II)), S 2665, S 2725 (Bd. III), S 2805 (Bd. II), U 510, U 532 (Bd.: I, III, V–VI, VIII–XIII), U 533 (Bd. I) Personalakten: Ludwig Landmann: 57.583, Clemens Krauss: S2/914, Paul von Hindenburg: S2/1101, Karl Holl: S2/664

Wiesbaden Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW, Abt. 428): Nr. 30, Nr. 58, Nr. 63, Nr. 64, Nr. 69, Nr. 101, Nr. 303, Nr. 308, Nr. 315, Nr. 343, Nr. 345, Nr. 353, Nr. 355, Nr. 368, Nr. 377, Nr. 387, Nr. 388, Nr. 393, Nr. 762, Nr. 1410, Nr. 1744, Nr. 33224 Hessische Landesbibliothek Wiesbaden, Gha 2568/60. Stadtarchiv Wiesbaden (StAW, Bestand WI/2): Nr. 1710, Nr. 1721, Nr. 2143, Nr. 2145, Nr. 2999, Nr. 3000, Nr. 3004

Gedruckte Quellen Zeitungen und Zeitschriften Alt-Nassau (1900) Arbeiter-Zeitung (1925, 1928) Berliner Illustrierte Zeitung (1899) Berliner Lokal-Anzeiger (1923)

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Quellen und Literatur

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Das Frankfurter Opernhaus (1880), Zeichnung von Lorenz Ritter (1881), in: Albert Richard Mohr: Das Frankfurter Opernhaus 1880–1980. Ein Beitrag zur Frankfurter Theatergeschichte, Frankfurt a.M. 1980. Abb. 2: Emil Rumpf, Bühnenbild zu Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana (Blick durch den Zuschauerraum der Frankfurter Oper auf die Bühne während der Vorstellung, 1891), in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 3: Plakat der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt (1891), in: Karl Maly: Die Macht der Honoratioren. Geschichte der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, Bd. I: 1867–1900, Frankfurt a.M. 1992. Abb. 4: Das Wiesbadener Theater (1894), in: Programmheft der Wiesbadener Festspiele 1899. Abb. 5: Blick in den Zuschauerraum des Wiesbadener Theaters (1894), in: Kleine Presse, 18. Oktober 1894. Abb. 6: Denkmal Kaiser Wilhelm I., aufgestellt am 16. Oktober 1894 in den Kuranlagen am Warmen Damm in Wiesbaden, in: Der Zwischenakt, Stadtarchiv Wiesbaden. Abb. 7: Titelseite des Wiesbadener General-Anzeigers zur Eröffnung des neuen Theaters in Wiesbaden 1894, in: Wiesbadener General-Anzeiger, 10. Oktober 1894. Abb. 8: Plakat der Festvorstellung am 16. Oktober 1894, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv, Abt. 428, Nr. 1814. Abb. 9: Der Wiesbadener Intendant Georg von Hülsen, in: Bühne und Welt (1903), in: Stadtarchiv Wiesbaden, Ordner GMD/Theaterintendanten. Abb. 10: Plakat der Maifestspiele 1900, in: Stadtarchiv Wiesbaden, Bestand WI/s, Nr. 1710. Abb. 11: Franz Angelo Rottonara, Bühnenbild zu Carl Maria von Webers Oberon (Palast des Kalifen), 1900, in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 12: Franz Angelo Rottonara, Bühnenbild zu Carl Maria von Webers Oberon (Thronsaal Karls des Großen), 1900, in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 13: Johann Kautzky/Carlo Brioschi/Hermann Burghart, Bühnenbild zu Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (Straße vor den Häusern von Pogner und Sachs), 8. März 1884, in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 14: Titelseite des Illustrierten Blatts, 29. Mai 1923, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 15: Die Festteilnehmer verlassen die Paulskirche, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 16: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte (Feuer- und Wasserprobe, 11. März 1921), in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 17: Historische Postkarte, die den Brand im Wiesbadener Staatstheater darstellt (18. März 1923), in: Wiesbadener Tagblatt, 18. Oktober 2001. Abb. 18: Plakat der Festvorstellung zur Wiedereröffnung des Großen Hauses, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 428, Nr. 303. Abb. 19: Joseph Kühn, Bühnenbild zu Richard Wagners Tannhäuser (circa 1870), in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln.

582

Abbildungsverzeichnis

Abb. 20: Reichspräsident Paul von Hindenburg verlässt den Römer (1925), in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 21: Ludwig Landmann, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 22: Karikatur „Frankfurt wird Kunststadt“, in: Frankfurter Nachrichten, 20. Februar 1927. Abb. 23: Plakat des Frankfurter Musiksommers 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 24: Übersicht der Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker, Frankfurt 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 25: Festgelände der Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker, Frankfurt 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 26: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Ludwig van Beethovens Fidelio (Hof des Staatsgefängnisses, 12. September 1926), in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 27: Ludwig Sievert, Bühnenbild zu Ludwig van Beethovens Fidelio (Platz vor dem Ausgang des Kerkers, 12. September 1926), in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 28: Zeichnung zur Internationalen Ausstellung Musik im Leben der Völker, in: Frankfurter Nachrichten, 27. Juli 1927. Abb. 29: Auszug aus dem Programm zum Fünften Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik im Frankfurter Opernhaus, Juni 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 30: Plakat der Richard Wagner-Woche 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 31: Plakat der Richard Strauss-Festspiele 1927, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 32: Paul Bekker in der Karikatur „Götter und Heroen“, in: Der Auftakt. Musikblätter für die tschechoslowakische Republik 5, H. 5–6 (Festschrift 1925: Die Musik der Gegenwart). Abb. 33: Gustav Singer, Bühnenbild zu Hugo Herrmanns Vasantasena, Spielzeit 1930/31, in: Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität zu Köln. Abb. 34: Programm der Wiesbadener ,Befreiungswoche‘ 1930, in: Stadtarchiv Wiesbaden, Bestand WI/2, Nr. 2145. Abb. 35: Titelseite des Programmheftes zum sogenannten Befreiungsfestspiel Deutschlands Strom, 1930, in: Stadtarchiv Wiesbaden, Bestand WI/2, Nr. 2147. Abb. 36: Plakat zum 50-jährigen Jubiläum der Frankfurter Oper, Oktober 1930, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 37: Festveranstaltungen zum 50-jährigen Jubiläum der Frankfurter Oper, Oktober 1930, in: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Abb. 38: Szenenbild zu Kurt Weills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 1930, in: Albert Richard Mohr: Die Frankfurter Oper 1924–1944. Ein Beitrag zur Theatergeschichte mit zeitgenössischen Berichten und Bildern, Frankfurt a.M. 1971.

Register Personenregister Adickes, Franz 79, 97, 100f., 113, 219, 222, 256 Adler, Guido 407f. Adorno, Theodor W. 24, 42, 166, 439, 499, 504, 522–525 Albert von Sachsen-Coburg und Gotha 97 Alfano, Franco 448 Allen, Henri T. 315 Andreae, Albert 86 Asch, Bruno 375 Auber, Daniel-François-Esprit 333 Aufricht, Ernst 518 Bach, Johann Sebastian 68, 306, 320, 339, 399, 425 Barrès, Maurice 314 Bartók, Béla 421 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de 388 Becker, Carl Heinrich 453, 456, 531 Beethoven, Ludwig van 27, 49–52, 68, 137, 218, 267, 269, 280, 293, 298–300, 302–310, 339, 361, 398, 401, 405f., 409– 414, 419–421, 465f., 513f., 539f., 546, 549, 552f. Bekker, Paul 265f., 323–326, 392, 413, 415f., 418–421, 423, 431–442, 445–450, 452–466, 470f., 473–475, 495, 501f., 531f., 544, 554 Benjamin, Walter 42, 357f. Berg, Alban 42, 265, 443 Berlioz, Hector 180, 457 Binding, Rudolf G. 279 Bismarck, Otto von 50, 78, 166, 230, 446, 535 Bizet, Georges 333, 458 Bloch, Ernst 49f., 52, 299f., 302, 539f., 552 Bolongaro-Crevenna, Alfred 83, 85 Bonaparte, Napoleon 211f., 314, 390, 439 Bonn, Moritz Julius 88 Brahms, Johannes 339 Braun, Otto 274, 285, 473, 476–478, 493 Brecher, Gustav 514

Brecht, Arnold 277 Brecht, Bertolt 500, 514, 516, 519–521, 523, 525f., 553 Briand, Aristide 336 Bruckner, Anton 339 Bülow, Bernhard von 205f., 209f., 213 Bülow, Hans von 218 Busoni, Ferrucio 266f., 322, 420f., 423 Butterworth, Benjamin 104, 115 Calderón de la Barca, Pedro 338 Castelnuovo-Tedesco, Mario 448 Cesarani, David 15 Chamberlain, Houston Stewart 205 Cherubini, Luigi 333 Christian IX., König von Dänemark 208 Claar, Emil 86, 137, 224f., 230f. Cole, Henry 102 Copland, Aaron 421 Cosimo III. de’ Medici 398 Da Ponte, Lorenzo 388 D’Albert, Eugen 507 Debussy, Claude 420 Delius, Frederick 420 Dent, Edward J. 421, 423 Dilthey, Wilhelm 357 Dinghofer, Franz 298 Dorten, Adam 313 Ebert, Carl 514 Ebert, Friedrich 44, 262, 274, 278, 282, 284–288, 290f., 293f., 298–302, 309, 362, 365, 376, 378–380, 382f., 385, 488, 491, 538f., 550f. Ehrler, Fritz 254, 281 Erlanger, Raphael 83, 85 Erzberger, Matthias 271, 273 Eulenberg, Herbert 318 Fellner, Ferdinand 123 Feuchtwanger, Lion 460 Fichte, Johann Gottlieb 305 Flimm, Jürgen 15

584

Register

Furtwängler, Wilhelm

421

Gans, Leo 83, 86, 277 Gentner-Fischer, Else 524 Genzmer, Felix 127, 203 Georg II. von Sachsen-Meiningen 170 George, Stefan 28 Geremek, Bronislaw 18 Gieseking, Walter 421 Glässing, Karl 313 Glinka, Michail 32 Gluck, Christoph Willibald 157, 176, 198, 264, 279, 419, 536 Goebbels, Joseph 326 Göring, Hermann 326, 526 Goethe, Johann Wolfgang von 262, 274– 276, 279, 281–285, 290–293, 295–297, 305, 308, 310, 369, 394, 538f., 544, 549f. Goldmann, Paul 116 Goldschmidt, Adolph 83 Goldschmidt-Rothschild, Max von 277 Gounod, Charles 333 Graf, Herbert 263f., 486f. Grandauer, Franz 180 Gropius, Walter 374 Händel, Georg Friedrich 320 Haenisch, Konrad 302, 319, 327, 338 Hagemann, Carl 207, 316, 323–325, 327, 334f., 337, 341, 347, 351f., 361, 433, 435, 464 Halévy, Fromental 333 Harbich, Adolf 483 Harnoncourt, Nikolaus 15 Hauck, Otto 386 Hauptmann, Gerhart 279, 334, 468, 480, 484, 490, 538, 550, 554 Haydn, Joseph 306, 419 Hebbel, Friedrich 157, 175 Heinrich, Prinz von Preußen 213 Hell, Theodor 179, 181 Hellpach, Willy 262, 369, 395 Helmer, Hermann 123 Herriot, Édouard 51f., 336, 400, 409, 550 Herrmann, Hugo 459–461 Hey’l, Ferdinand 63 Hindemith, Paul 265, 322, 361, 421, 443, 459 Hindenburg, Paul von 262, 362f., 365– 369, 376–387, 393–397, 468f., 473f., 491–495, 551, 554 Hirsch, Paul 370

Hitler, Adolf 19, 273, 326, 466, 481, 526 Hobbes, Thomas 389 Hofmannsthal, Hugo von 28, 443 Holl, Karl 263f., 269, 392f., 411–413, 420f., 450, 460, 505–507, 509, 516, 518– 520, 522–525 Hülsen, Botho von 138 Hülsen, Georg von 68, 137–142, 144, 150, 156f., 163f., 166, 173, 176–178, 180–182, 184–186, 188–197, 200, 203, 207, 213, 215f., 329, 341, 463f. Hülsen, Hans von 140 Humboldt, Wilhelm von 305 Huysmans, Camille 409 Ibell, Carl von 62f., 112, 132, 138, 203 Ibsen, Henrik 71 Janáček, Leoš

322, 421, 513

Kahane, Arthur 390–393 Kant, Immanuel 305 Karl der Große 179, 182, 191–194, 201, 236, 247, 463f., 536f. Kestenberg, Leo 320–322, 435, 455 Kirchner, Karl 370 Kleist, Heinrich von 170 Klemperer, Otto 50, 322 Knackfuß, Hermann 168 Koch, Louis 268 Koch-Weser, Erich 468 Köster, Adolf 279, 292, 496, 550 Kohn-Speyer, Sigismund 83, 85 Krauss, Clemens 52, 268f., 385, 405, 411, 421, 505 Krebs, Friedrich 527 Krenek, Ernst 265f., 321f., 447–453, 456f., 459, 517, 531f. Krips, Josef 15 Krücke, Georg 476, 494 Ladenburg, Emil 83 Landmann, Ludwig 50–52, 255f., 262, 267, 277f., 363, 365, 370f., 374–376, 378–380, 386–388, 393, 396f., 402, 405– 409, 423f., 495, 498f., 507, 511f., 524f., 527, 550f. Lange, Karl 524 Langwerth von Simmern, Ernst Freiherr 473, 476–478 Lauff, Joseph von 141, 144, 163, 167–176, 181, 186, 194f., 197, 203, 207f., 211f., 215, 340, 537

585

Personenregister Legal, Ernst 317, 464 Lehmann, Lilli 156 Leopold II., König von Belgien 208 Lessing, Gotthold Ephraim 157 Levi, Hedwig 508 Lilien, Ignaz 461 Löbe, Paul 287, 298f. Lortzing, Albert 514 Luchaire, Julien 425f., 431 Ludwig XVI., König von Frankreich 314 Luther, Hans 370 Machiavelli, Niccolò 389 Mahler, Gustav 180, 303 Mann, Heinrich 34, 353 Mann, Thomas 27, 29, 44, 279, 283f., 286, 295–297, 308, 426, 439, 538, 550 Manskopf, Nikolaus 83, 268 Manzotti, Luigi 98, 110f. Marenco, Romualdo 98, 110f. Marsop, Paul 444 Mascagni, Pietro 88, 99, 104–107, 109f., 116, 532, 546 May, Ernst 374f. Mendelssohn Bartholdy, Felix 180 Menzel, Adolph von 199 Mersmann, Hans 502 Merton, Richard 86, 507 Metzler, Carl 83, 85f. Metzler, Moritz von 277 Meyerbeer, Giacomo 157, 333, 458 Michel, Max 509, 512f., 524, 527 Miller, Oscar von 95 Miquel, Johannes 100f., 105, 230 Molière, Jean Baptiste 333, 338 Moravcsik, Andrew 15 Mordacq, Henri 329–331, 334f., 338 Mozart, Wolfgang Amadeus 15, 18f., 27, 164, 229, 242, 265, 269, 279f., 295–297, 306, 310, 368f., 381, 388–391, 393f., 419, 421, 443, 452, 457, 468, 480, 490, 513f., 539, 550f., 554 Müller, Georg Alexander von 206 Mutzenbecher, Hans Esdras 501 Mutzenbecher, Kurt von 203, 213, 317, 464 Nietzsche, Friedrich 71, 161f., 196, 218, 481f. Nikolaus II., Zar von Russland 178, 208– 210, 212–215 Oeser, Rudolf

278

Offenbach, Jacques 333, 337 Oncken, Hermann 475 Oppenheimer, Oscar F. 386 Oskar II., König von Schweden

208

Passavant, Hermann von 507 Pfitzner, Hans 339, 432, 440, 443, 454, 458, 481 Planché, James Robinson 178f., 185 Plessner, Helmuth 294, 471 Pohl, Richard 149 Polgar, Alfred 517 Pollack, Egon 514 Prechtl, Robert 311, 330, 338–340, 347 Presber, Rudolf 233f., 236, 239f., 247–249 Puccini, Giacomo 398, 507 Raskin, Adolf 264f. Rathenau, Walther 273, 278, 477 Rebicek, Joseph 142 Redslob, Edwin 278, 469, 488f., 495 Reger, Max 267 Reinhardt, Max 390 Richter, Hans 156, 165 Röder, Adam 202 Rohrbach, Paul 205 Rosenstock, Joseph 447, 456 Rothschild, Mayer Carl Freiherr von 78, 83, 85 Schellendorf, Bronsart von 137, 150 Scherchen, Hermann 267, 421, 505 Schiller, Friedrich 157, 175, 292, 329, 468, 480, 490, 539 Schilling, Johannes 129, 132 Schillings, Max von 435f. Schirach, Carl von 326 Schlar, Josef 176, 181, 186, 192, 197, 207, 463 Schmidt, Leopold 196f. Schönberg, Arnold 42, 321, 443 Schreker, Franz 266, 322, 436 Schröder, Fritz 488 Schüssel, Wolfgang 15, 17f. Schütz, Heinz 387 Schumann, Robert 517 Seelig, Ludwig 455 Severing, Carl 274, 285, 370 Shakespeare, William 157, 175, 179, 338 Shaw, George Bernard 461 Sievert, Ludwig 297, 411–413 Simmel, Georg 357

586

Register

Simon, Heinrich 51f., 277, 507 Smend, Rudolf 442 Smetana, Bedřich 32, 51, 405 Solana, Javier 15 Sonnemann, Leopold 78, 83, 85, 88, 95, 97, 100, 113, 115, 227 Speyer, Georg 83 Spier, Selmar 75 Stege, Fritz 517 Stern, Theodor 83 Sternberg, Leo 483 Stettheimer, Max 83 Storck, Karl 320 Stradivari, Antonio 398 Strauss, Richard 42, 269, 339, 361, 399, 424, 428–432, 443, 458, 513f., 553 Strawinsky, Igor 42, 265, 267 Stresemann, Gustav 278, 372f., 400, 409, 477, 488, 550 Stuckenschmidt, Hans Heinrich 486, 521 Sulzbach, Rudolph 83 Sulzbach, Sigismund 83 Sutter, Otto Ernst 402, 404, 409 Swarzenski, Georg 527 Szenkar, Eugen 514 Thormann, Werner 415f. Tietjen, Heinz 453, 474, 515 Tirard, Paul 312, 314, 332 Tirpitz, Alfred von 205f. Tolstoi, Leo 295f. Travers, Fritz 453 Troeltsch, Ernst 479 Tucholsky, Kurt 366, 480 Turnau, Josef 506, 527 Unruh, Fritz von

279

Verdi, Giuseppe 32, 106, 111, 269, 448, 458, 513 Voigt, Georg 255, 277, 281, 285f., 288, 370 Volta, Alessandro Graf 94

Wackenroder, Wilhelm Heinrich 220, 245 Wagner, Richard 18f., 27, 32–34, 44, 51, 68, 89, 93, 109, 121, 138, 144–151, 159– 168, 180, 184, 194, 196, 217–220, 222f., 233–236, 238–240, 244–250, 264f., 269, 303, 327–329, 331, 339, 347–349, 352– 356, 358, 360, 399, 405, 428f., 431f., 438f., 443–445, 448, 468, 480–483, 490, 513f., 536f., 544, 547, 553f. Wallerstein, Lothar 52, 390, 393 Weber, Carl Maria von 27, 68, 105f., 158, 164, 176, 178, 180–186, 188, 191f., 195, 201, 214f., 329, 339, 341, 359, 462f., 536, 554 Webern, Anton 443 Weill, Kurt 265, 321, 500, 503f., 514, 516, 518f., 521–523, 525f. Weinberg, Arthur von 86, 507 Wellesz, Egon 504 Wichert, Fritz 527 Wieland, Christoph Martin 179, 190 Wilhelm I., Kaiser des Deutschen Reiches und König von Preußen 47, 65–68, 120, 128–131, 134f., 166, 170, 219, 230, 233, 446, 535 Wilhelm II., Kaiser des Deutschen Reiches und König von Preußen 34, 36, 38f., 50, 57, 63–65, 68–70, 73, 88, 96f., 113f., 120, 125f., 129, 133–135, 137–140, 143, 145f., 149–151, 156, 165–171, 174, 181, 186f., 198, 201, 203f., 206, 208–212, 219, 222, 230f., 233, 237, 315, 331, 335, 342, 351, 377, 383, 385f., 396, 446, 463, 492, 535f., 549 Wilson, Sir Henry Hughes 331 Wolff, Theodor 362 Wüllner, Franz 180

Zeiss, Karl 263 Zweig, Stefan 371, 374

Werkregister

587

Werkregister Adlerflug 211 Aida 111 Ariadne auf Naxos 399, 428, 430 Armide 157, 176, 198f., 536 Auf der Höhe der Kultur 94 Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 500, 514, 516, 518–526, 553 Aus einem Totenhaus 322 Aus meinem Leben 51, 405 ,Befreiungsfestspiel‘ Deutschlands Strom 46, 325, 469, 471, 488, 490, 494f., 554 Benvenuto Cellini 457 Cardillac 322, 361 Carmen 323, 458 Cavalleria rusticana 88, 99f., 104–106, 108–111, 116, 532, 546 Dalibor 32 Das geheime Königreich 447, 451, 531 Der Burggraf 167–172 Der Diktator 447, 450f., 453, 531 Der Eisenzahn 167, 172–175 Der fliegende Holländer 164 Der Freischütz 158, 182, 184, 189f., 197, 242, 329, 359, 361 Der Golem 507 Der Rosenkavalier 42, 399, 428, 430, 513f., 553 Der Sturm 179 Der Verschwender 157 Die ägyptische Helena 458 Die Afrikanerin 157, 458, 462 Die Entführung aus dem Serail 18, 323 Die Fledermaus 339, 462 Die große Katharina 461 Die Großherzogin von Gerolstein 337 Die Hermannsschlacht 170 Die Hochzeit des Figaro 368f., 381, 388– 390, 393, 551 Die lustigen Weiber von Windsor 339 Die Meisterschüssel 211 Die Meistersinger von Nürnberg 32, 51, 89, 164, 168, 217–224, 233–241, 244– 250, 405, 468, 480–483, 525, 544, 547, 554 Die Walküre 164, 173

Die Zauberflöte 18, 164, 242, 279, 295– 297, 452, 457, 468, 480, 483, 554 Doktor Faust 29, 267, 420–422 Don Giovanni (Don Juan) 229, 231, 390, 513–515 Egmont 279, 290, 292 Ein Leben für den Zaren 32 Ein Maskenball 458 Ein Sommernachtstraum 179 Eine Alpensinfonie 430 Elektra 361, 430 Ernani 448 Euryanthe 184 Excelsior 98f., 110–112, 117, 532 Festliche Messe 513 Fidelio 49, 52, 267, 280, 293, 298–302, 307f., 361, 411–414, 417, 465, 513f., 539f., 546, 551–553 Flachsmann als Erzieher 157 Florian Geyer 334, 468, 480, 482–485, 554 Hoffmanns Erzählungen Intermezzo 428 Iphigénie en Tauride Jonny spielt auf

323

279

447, 459, 517, 531

La Clemenza di Tito 18 Lohengrin 33f., 109f., 164f., 168, 328f., 348f., 351–356, 358, 448, 458, 468, 480f., 483, 513f., 548, 553 Madame Butterfly 322 Madonna Imperia 448 Mandragola 448 Maria Stuart 329 Maschinist Hopkins 507 Matthäuspassion 339 Missa solemnis 339 Neues vom Tage 322 Oberon 164, 176, 178–180, 182–184, 186–197, 199, 201f., 207f., 213–216, 235, 341, 462–464, 536f., 554 Orpheus und Eurydike 322

588

Register

Palestrina 458 Pandora oder Götter-Funken 94, 109 Parsifal 194 Pelléas et Mélisande 420 Quattro pezzi sacri

513

Rienzi 327, 462 Rigoletto 458 Salome 399, 428, 430f. Salve 208 Schwergewicht oder Die Ehre der Nation 447, 451, 531 Siegfried 168, 173 Silvana 105 Sinfonie Nr. 5 c-moll (Ludwig van Beethoven) 308

Sinfonie Nr. 9 d-moll (Ludwig van Beethoven) 302 Tannhäuser 68, 121, 138, 144f., 148–153, 164, 329, 349, 359f., 462, 481, 536f. Tosca 322 Tristan und Isolde 93, 323, 462 Turandot 507 Vasantasena 460f. Viktoria und ihr Husar Vorwärts 211f. Wilhelm Tell

462

468, 480, 482f.

Zar und Zimmermann 514

Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael

Die Reihe Ordnungssysteme nimmt Impulse auf, die sich seit zwei Jahrzehnten aus der Revision politik- und sozialgeschichtlicher Forschungsansätze entwickelt haben. Als Forum einer methodisch erneuerten Ideengeschichte trägt sie der Wirksamkeit politischkultureller Traditionen Europas seit dem Zeitalter der Aufklärung Rechnung. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dem konkreten Wechselspiel ideeller, politischer und sozialer Prozesse. Die Reihe Ordnungssysteme hat insbesondere das Ziel: – vergleichende Studien zu den nationalen Eigenarten und unterschiedlichen Traditionen in der europäischen Ideengeschichte zu fördern, – gemeineuropäische Dimensionen seit der Aufklärung zu untersuchen, – den Weg von neuen Ideen zu ihrer breitenwirksamen Durchsetzung zu erforschen. Die Reihe Ordnungssysteme verfolgt einige Themen mit besonderem Interesse: – den Ideenverkehr zwischen Europa und Nordamerika, – die Beziehungen zwischen politischen und religiösen Weltbildern, – die Umformung der politischen Leitideen von Liberalismus, Nationalismus und Sozialismus im 20. Jahrhundert, – die Herausbildung traditionsstiftender, regionenbezogener Gegensatzpaare in der europäischen Ideenwelt, wie zum Beispiel den Ost-West-Gegensatz. Die Reihe Ordnungssysteme bemüht sich um eine methodische Erneuerung der Ideengeschichte: – Sie verknüpft die Analyse von Werken und Ideen mit ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten. – Sie untersucht die Bedeutung von Wissenssystemen in der Entwicklung der europäischen Gesellschaften. – Sie ersetzt die traditionelle Ideengeschichte der großen Werke und großen Autoren durch eine Ideengeschichte, die Soziabilität und Kommunikation als tragende Gestaltungskräfte kultureller Produktion besonders beachtet. – Sie bezieht Institutionen und Medien der Kulturproduktion systematisch in die Untersuchung ein.

Band 1:

Band 2:

Michael Hochgeschwender Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen 1998. 677 S. ISBN 978-3-486-56341-2

Thomas Sauer Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises 1999. VII, 326 S. ISBN 978-3-486-56342-9

Band 3:

Band 10:

Gudrun Kruip Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen 1999. 311 S. ISBN 978-3-486-56343-6

Martina Winkler Karel Kramář (1860–1937) Selbstbild, Fremdwahrnehmungen und Modernisierungsverständnis eines tschechischen Politikers 2002. 414 S. ISBN 978-3-486-56620-8

Band 4:

Band 11:

Axel Schildt Zwischen Abendland und Amerika Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre 1999. VIII, 242 S. ISBN 978-3-486-56344-3

Susanne Schattenberg Stalins Ingenieure Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren 2002. 457 S. ISBN 978-3-486-56678-9

Band 5:

Rainer Lindner Historiker und Herrschaft Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert 1999. 536 S. ISBN 978-3-486-56455-6

Band 12:

Torsten Rüting Pavlov und der Neue Mensch Diskurse über Disziplinierung in Sowjetrussland 2002. 337 S. ISBN 978-3-486-56679-6

Band 6:

Jin-Sung Chun Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit Die westdeutsche „Strukturgeschichte“ im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948–1962 2000. 277 S. ISBN 978-3-486-56484-6

Band 13:

Julia Angster Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie Die Westernisierung von SPD und DGB 2003. 538 S. ISBN 978-3-486-56676-5 Band 14:

Band 7:

Frank Becker Bilder von Krieg und Nation Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913 2001. 601 S. und 32 S. Bildteil ISBN 978-3-486-56545-4

Christoph Weischer Das Unternehmen ‚Empirische Sozialforschung‘ Strukturen, Praktiken und Leitbilder der Sozialforschung in der Bundesrepublik Deutschland 2004. X, 508 S. ISBN 978-3-486-56814-1

Band 8:

Band 15:

Martin Sabrow Das Diktat des Konsenses Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969 2001. 488 S. ISBN 978-3-486-56559-1

Frieder Günther Denken vom Staat her Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970 2004. 364 S. ISBN 978-3-486-56818-9

Band 9:

Thomas Etzemüller Sozialgeschichte als politische Geschichte Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 2001. VIII, 445 S. ISBN 978-3-486-56581-2

Band 16:

Ewald Grothe Zwischen Geschichte und Recht Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970 2005. 486 S. ISBN 978-3-486-57784-6

Band 17:

Band 24:

Anuschka Albertz Exemplarisches Heldentum Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart 2006. 424 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-57985-7

Rüdiger Graf Die Zukunft der Weimarer Republik Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933 2008. 460 S. ISBN 978-3-486-58583-4 Band 25:

Volker Depkat Lebenswenden und Zeitenwenden Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts 2007. 573 S. ISBN 978-3-486-57970-3

Jörn Leonhard Bellizismus und Nation Kriegsdeutung und Nationsbestimmung in Europa und den Vereinigten Staaten 1750– 1914 2008. XIX, 1019 S. ISBN 978-3-486-58516-2

Band 19:

Band 26:

Lorenz Erren „Selbstkritik“ und Schuldbekenntnis Kommunikation und Herrschaft unter Stalin (1917–1953) 2008. 405 S. ISBN 978-3-486-57971-1

Ruth Rosenberger Experten für Humankapital Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland 2008. 482 S. ISBN 978-3-486-58620-6

Band 18:

Band 20:

Lutz Raphael, Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.) Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte 2006. 536 S. ISBN 978-3-486-57786-0

Band 27:

Désirée Schauz Strafen als moralische Besserung Eine Geschichte der Straffälligenfürsorge 1777–1933 2008. 432 S. ISBN 978-3-486-58704-3 Band 28:

Band 21:

Thomas Großbölting „Im Reich der Arbeit“ Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914 2007. 518 S., zahlreiche Abb. ISBN 978-3-486-58128-7 Band 22:

Wolfgang Hardtwig (Hrsg.) Ordnungen in der Krise Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900–1933 2007. 566 S. ISBN 978-3-486-58177-5

Morten Reitmayer Elite Sozialgeschichte einer politischgesellschaftlichen Idee in der frühen Bundesrepublik 2009. 628 S. ISBN 978-3-486-58828-6 Band 29:

Sandra Dahlke Individiuum und Herrschaft im Stalinismus Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943) 2010. 484 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-58955-9 Band 30:

Band 23:

Marcus M. Payk Der Geist der Demokratie Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn 2008. 415 S. ISBN 978-3-486-58580-3

Klaus Gestwa Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte, 1948–1967 2010. 660 S., 18 Abb. ISBN 978-3-486-58963-4

Band 31:

Band 36:

Susanne Stein Von der Konsumenten- zur Produktionsstadt Aufbauvisionen und Städtebau im Neuen China, 1949–1957 2010. VIII, 425 Seiten, 107 Abb. ISBN 978-3-486-59809-4

Claudia Kemper Das „Gewissen“ 1919–1925 Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen 2011. 517 S. ISBN 978-3-486-70496-9

Band 32:

Fernando Esposito Mythische Moderne Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien 2011. 476 Seiten, 17 Abb. ISBN 978-3-486-59810-0 Band 33:

Silke Mende „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ Eine Geschichte der Gründungsgrünen 2011. XII, 541 Seiten, 6 Abb. ISBN 978-3-486-59811-7 Band 34:

Wiebke Wiede Rasse im Buch Antisemitische und rassistische Publikationen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik 2011. VIII, 328 S., 7 Abb. ISBN 978-3-486-59828-5 Band 35:

Rüdiger Bergien Die bellizistische Republik Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933 2011. 448 S. ISBN 978-3-486-59181-1

Band 38:

Johannes Grützmacher Die Baikal-Amur-Magistrale Vom stalinistischen Lager zum Mobilisierungsprojekt unter Brežnev 2012. IX, 503 S., 9 Abb. ISBN 978-3-486-70494-5 Band 39:

Stephanie Kleiner Staatsaktion im Wunderland Oper und Festspiel als Medien politischer Repräsentation (1890–1930) 2013. 588 S., 38 Abb. ISBN 978-3-486-70648-2 Band 40:

Patricia Hertel Der erinnerte Halbmond Islam und Nationalismus auf der Iberischen Halbinsel im 19. und 20. Jahrhundert 2012. 256 S., 22 Abb. ISBN 978-3-486-71661-0 Band 41:

Till Kössler Kinder der Demokratie Religiöse Erziehung und urbane Moderne in Spanien, 1890–1936 2013. 544 S., 19 Abb. ISBN 978-3-486-71891-1